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[Sechster Theil.]
Es war im Maimonat des Jahres 1630, als ein großes portugiesisches Barkschiff, die heilige Dreieinigkeit genannt, mit doppeltem Deck und einer Anzahl schwerfälliger Geschütze darauf, die Bai von St. Vincent erreichte. Diese Hafen- und Handelsstadt lag und liegt noch jetzt im Innern eines wunderherrlichen Meerbusens, fast an der untern Grenze des brasilianischen langen Küstenstrichs, den man das Littorale nannte, und welches damals der Theil war, auf welchem sich fast allein die europäische Civilisation beschränkte.
Als die heilige Dreieinigkeit der Bucht ihr hohes Gallion zuwandte, das von den holzgeschnitzten und reich vergoldeten göttlichen Gestalten ihrer Schutzpatrone getragen ward, und nun die grünen, im Scheine der Frühsonne glänzenden Küsten hervortraten, die wunderbaren, riesenhaften Bäume der Tropenwelt, die Pisang Palmenartiger Baum, dessen Frucht geschmacklich der Feige ähnelt. und Palmen, die hohen Gipfel der Felsenkette dazu, welche in hundert wechselnden Farben mit Wald geschmückt, von Wolken umsegelten Gipfeln einen unermeßlichen Hintergrund bildeten, da erhob sich auf dem Schiffe ein Freudengeschrei, das sich immer wieder erneute.
Ein frischer Wind trieb das plumpe Fahrzeug jetzt rasch an der Insel des heiligen Sebastian vorüber, und der Patron erhöhte die Freude, als er alle seine Geschütze, die im Tajo geladen, glücklicherweise des Abfeuerns nicht bedurft hatten, jetzt die kleine Stadt begrüßen ließ, welche immer deutlicher sich zeigte.
Es war eine große Verwirrung auf dem Deck, wie sie nur sein kann, wenn nach langer Seefahrt ein mit Passagieren der mannigfachsten Art gefülltes Schiff sich dem Hafen nähert. Die heilige Dreieinigkeit gehörte der amerikanischen Handelskompagnie in Lissabon und war theils mit den Agenten und Gütern dieser reichen Kaufleute beladen, theils hatten Spekulanten, Abenteurer der buntesten Art, Auswanderer mit ihren Familien und ihrer ganzen fahrenden Habe, Weiber, Kinder, und ein halbes Dutzend in Kutten gehüllter, verhungert und fanatisch aussehender Missionaire den übrigen Raum eingenommen.
Im Zwischendeck aber führte das Schiff eine Abtheilung Musketiere, welche die Regierung herüberschickte auf dringendes Verlangen des Gouverneurs, dessen Ansehen bei den wilden Einwanderern oft gänzlich verkannt wurde. Rechnet man hierzu noch einige Beamte und Offiziere, einige Damen mit dunklen, vielsagenden Augen, die auch ihr Glück in der neuen Welt machen wollten, und einige Glieder der Gesellschaft Jesu, in schwarzen, einfachen Kleidern, mit klugen, stets süßlächelnden blassen Gesichtern, welche jährlich in die Jesuiterkolonien am Uruguai geschickt wurden, um diese weiter und weiter auszudehnen, so wird man so ziemlich die ganze Ladung der heiligen Dreieinigkeit kennen.
Einen einzigen Passagier haben wir jedoch noch nicht erwähnt, einen jungen Mann von einnehmender Gestalt, der sich an eine Koronadenschleife lehnt und heimlich mit einer schönen Frau flüstert und lacht, während rund um ihn die frommen Seelen vor dem Muttergottesbilde am Hauptmaste hingesunken, ihre Dankgebete murmeln, sich bekreuzen und Thränen der Freude über die glückliche, von den Heiligen beschützte Reise vergießen; Andere aber von den blassen Missionairen das Benedicite empfangen, oder mit gierigem Schweigen den Jesuiten zuhören, welche von dem Lande der Wunder, des Goldes und der Diamanten sprechen, das grün und schimmernd vor ihnen liegt.
»Grausame Ines,« sagte der junge Mann mit der zärtlichen Galanterie seiner Zeit, »ich rufe die Göttin der Liebe zum Zeugen auf, daß ich an dieser Hartherzigkeit sterben werde.«
»Pfui, mein Herr,« erwiderte die schöne Dame zwischen Lachen und einem ängstlichen Ernste ringend, »es ist unchristlich, eine heidnische Göttin so oft herbeizurufen, und hätte es der würdige Pater Bonaventura gehört, wie würde er Ihnen dies vorhalten.«
»Lassen wir den frommen Herrn bleiben, wo er ist,« erwiderte der junge Ritter. »Wir haben wenig Zeit mehr zu verlieren und diese soll uns der Jesuit nicht verkümmern.«
»Ich möchte wissen,« sagte die schöne Dame lächelnd, »was Herr Gaston de Rivere, oder, wie man Euch gut portugiesisch nennt: Herr Gaston Amador de Ribeira, so Nöthiges mir mitzutheilen hat?«
»Und ich möchte wissen,« erwiderte er in derselben Weise, »ob Sennora Ines da Vargal geneigt ist, mich anzuhören.«
»Es kommt darauf an, was ich hören soll,« versetzte sie.
»Nur die Wahrheit,« sagte Gaston, »obwol man behauptet, schöne Damen hören diese niemals gern.«
»Dem Sprichworte nach, Niemand!« rief Ines. »Aber zur Sache, mein Herr. In wenigen Minuten werden alle jene kleinen Fahrzeuge, die uns entgegen schwimmen, uns umringen und mein Gemahl ist hoffentlich der Erste.«
»Das war es, Madame,« flüsterte Gaston, »Sie sprechen es aus, und so frage ich denn, im Namen Gottes und seiner Heiligen: Sind Sie in der That Das, wofür Sie auf der ganzen Reise gelten wollten, die Gattin eines Kaufmanns?«
»Eines Edelmanns, Herr Gaston,« erwiderte sie mit Stolz, »der Handelsgeschäfte treibt. Heilige Mutter Gottes! Sie zweifeln doch nicht daran?«
»Ich wollte, ich zweifelte so lange,« sagte er, »bis sich alles wie ein Traum auflöste; aber leider muß ich nun wol glauben, was ich bis jetzt für einen Traum hielt.«
»Und was träumten Sie denn, mein Herr Gaston? fuhr die Dame lebhaft fort.
Er sah einen Augenblick in ihre dunkel glühenden Augen, dann verbeugte er sich tief und sagte:
»Madame, ich beneide Ihren Gemahl, aber der Gegenstand Ihrer Wahl muß dies Glück verdienen.«
Eine dunkle Röthe flog über das schöne Gesicht.
»Sie sollen wissen, mein Herr,« sagte sie; »daß man in Lissabon gewöhnlich wenig darnach fragt, ob –« hier brach sie ab, und fuhr nach einer Pause hastiger fort: »Mein Gemahl ist seit einem Jahre von mir getrennt; er liebte mich sehr, und nur eine heftige Krankheit hinderte mich, ihn sogleich zu begleiten, als die gemessenste Nothwendigkeit ihn zwang, meine Genesung nicht zu erwarten. Ich blieb im Schutze meiner Schwiegermutter zurück, und dort steht Barbara, meine Duenna, einst die Wärterin meines Gemahls. Sie spricht mit dem frommen Pater Bonaventura, der seit einiger Zeit ihr Vertrauter geworden ist. Diese alte Frau ist wachsam und böse wie ein Kettenhund. Herr Gaston, scheidend hören Sie einen guten Rath. Bonaventura will Ihnen nicht wohl. Er hat mir zweimal schon gesagt, es stände nicht gut mit Ihrem Glauben. Bei einem Kriegsmanne, der in dem ketzerischen Deutschland gefochten hat, kann das kaum anders sein. Aber hüten Sie sich, es ist in diesem Lande leicht geschehen um ein Menschenleben.«
Er wollte eben eine leichtfertige Antwort geben, indem er den Griff seines langen Stoßdegens faßte, als der Jesuit, welcher Bonaventura genannt wurde, ihn unterbrach.
Es war ein Mann, der wol einige dreißig Jahre zählen mochte. Groß, mit einem schmalen, gelben Gesicht, traurig düstern Augen und einer schönen kühnen Stirn, die sich über einer römischen Nase wölbte. –
»Ihr seid sehr fröhlich, mein Sohn,« sagte er, »das Land Eurer Wünsche erreicht zu haben. Aber habt Ihr auch daran gedacht, Eure Gebete Dem darzubringen, mit dessen Hülfe allein wir den Weg durch das unermeßliche Meer fanden?«
»Mein würdiger Herr,« versetzte Gaston mit einem leisen Anflug von Spott, »Eurer Ermahnungen bedarf es dazu nicht. Der Himmel hat mir ein dankbares Herz in die Brust gesetzt, das seine Pflichten wie von selbst erfüllt; wahrhaftig! zuweilen mehr als mir lieb ist.«
Der Pater warf dem lachenden Ritter einen finstern Blick zu, und dann sah er Ines mit einer Miene an, in welcher deutlich geschrieben stand: Siehst Du wol, welch ein frecher Ketzer und Spötter in diesem verliebten jungen Laffen steckt? Im nächsten Augenblicke aber lächelte sein strenger Mund sanft und versöhnlich, und theilnehmend sagte er:
»Werdet Ihr lange in St. Vincent verweilen, mein Sohn?«
»Ich denke, nein,« erwiderte Gaston.
»Und wohin wollt Ihr?« fragte der Jesuit aufmerksamer. »Habt Ihr Geschäfte im Lande?«
»Allerdings,« sagte Gaston, »außerordentliche Geschäfte, der geheimnißvollsten, wunderbarsten Art. Im Vertrauen, mein frommer Vater, ich suche Diamanten und weiß ein Mittel, diese in den tiefsten Schlünden funkeln und glühen zu sehen.«
»Ihr erlaubt Euch witzig zu sein ohne Noth,« rief Bonaventura erbittert.
»Keinesweges,« sagte Gaston, »Ihr seid begierig zu hören, was ich hier will, und indem ich Euch offenbare, welcher Geist mich treibt, erlaubt Ihr Euch, mich zu beleidigen.«
Der Jesuit stand vor ihm mit den finsteren Augen, die jeden Andern verlegen gemacht hätten, nur Den nicht, der sich fest vorgenommen hatte, es nicht zu werden.
»Ich kenne dies Land genau, mein Sohn,« sagte er, »so genau, daß ich Euch einen Rath ertheilen will. Ihr könnt nichts Besseres thun, als je eher je lieber nach St. Paul zu reisen, bei der heiligen Gottesmutter! das ist ein Ort für Euch; dort seid Ihr an Eurer Stelle.«
Er wendete sich mit einem verächtlichen Lächeln ab, und Gaston fühlte eine brennende Röthe über sein Gesicht laufen. Er kannte nicht ganz die Größe der Beleidigung, welche der Priester ihm anthat, aber er ahnete wol den geheimen Sinn, und daß in der That St. Paul das Ziel seiner Reise war, vermehrte durch die Wahrheit das Treffende und Verletzende.
Um jedoch dem Manne, den er haßte, nichts schuldig zu bleiben, rief er ihm nach:
»Ich nehme Euern Wunsch an, mein geistlicher Herr, und werde Euch später meinen Dank abstatten.«
»In der Weise der Bürger St. Paul's, hoffe ich,« sagte der Jesuit mit derselben Verachtung. »Aber erinnert Euch auch, daß am Uruguai eine schreckliche Gastfreundschaft die Paulisten erwartet.«
Das war ein neues Räthsel für den jungen Abenteurer.
Aergerlich lachend wendete er sich zu dem Getümmel, das sich jetzt auf der Backbordseite des Schiffes erhob. Die ganze Mannschaft drängte sich hier zusammen, denn so eben legten die ersten der Boote an, aus welchen unter Freudengeschrei und Jubel einige Männer an Bord stiegen, denen schnell mehre und immer mehre folgten, bis das ganze Schiff von den kleinen flachen Fahrzeugen umringt war, die sich wie Entenmuscheln an seinen Riesenkörper festhängten.
Auf dem Deck erkannten sich nun lang getrennte Freunde, hier wurden neugierige Fragen gewechselt, dort Thränen des Wiedersehens vergossen, alte Erinnerungen erneut, und die regen Empfindungen des Augenblicks beschäftigten selbst Die, welche von Niemandem empfangen wurden.
Erst nach einer guten Weile, und nachdem er sich gehörig über die braunen, fast ganz nackten Wesen, welche die Boote ruderten, gewundert hatte, über ihr sonderbares scheues und wildes Ansehn, über die Palmenschirme, die von Bord zu Bord gespannt waren und die Bastmatten darunter, auf welchen die weißen trägen Herren im Schatten ruhten, wie über alles Neue und Sonderbare, das ihn umgab, fiel es Gaston ein, auch nach der schönen Ines umherzusehen, und richtig erblickte er sie, nicht weit von sich, in Gesellschaft eines an Bord gekommenen Portugiesen, eines kleinen mageren Menschen von abstoßend widerlichem Ansehen, mit einem langen schmalen Gesicht und einer unheimlichen Freundlichkeit darin.
»Und dieser Affe,« murmelte Gaston erstaunt, »dieser Tölpel im rothen gelbgestickten Rock, dieser spitzbübische Kaufmann, dem der Gauner und Schelm deutlich genug aufgeprägt ist, wäre der Gemahl eines so schönen Weibes?« –
Nun machte er eine spöttische Bemerkung, die ihr Wahres hat, so lange die Welt steht und stehen wird, nämlich die, daß die schönsten Frauen oft die abgeschmacktesten, häßlichsten Männer lieben, und umgekehrt, Männer von Geist und Körperschöne durch eine sonderbare, unerklärliche Gewalt an häßliche oder doch völlig gewöhnliche Frauen gekettet werden.
Dann aber fiel es ihm ein, daß Ines mit besonderer Hast und Nachdruck von dem Zwange der Ehe gesprochen habe, der gewöhnlich in Portugal nicht nach Liebe frage, von einer drachenhaften Schwiegermutter und Duenna, und jetzt war er überzeugt, diese Frau sei ein Opfer der Welt und der Verhältnisse, wie viele andere.
Mit Bekümmerniß und Aerger sah er, wie der Pater Bonaventura, süß und heuchlerisch, sich an den Mann drängte, der ganz für ihn geschaffen war, und als Ines ihm einen feurigen und doch traurigen und bedeutungsvollen Blick zusandte, lächelte er vor sich hin und sagte:
»Es ist, wie ich sehe, eine ganz gewöhnliche Geschichte. Das junge, blühende Weib hat den häßlichen Menschen nehmen müssen, und gibt mir nun nicht ganz undeutlich zu verstehen, daß es ihr recht angenehm wäre, wenn ich ein abenteuerliches und tapferes Herz voll heißer Liebe besäße. Ich könnte dann wol Erhörung finden, und wenn das Glück gut ist, vielleicht auch sechs Zoll Eisen oder einen kühlen Trank aus der Maniokblüthe Maniok, in Südafrika beheimatet, enthält Blausäure. gekocht. Aber ich mag dies Alles nicht, ich will nichts mit dem rothen Schelme theilen, doch arme Ines, arme Ines!«
Hatte er diese letzten Worte zu laut gesagt, oder hatte der Pater vielleicht einige boshafte Bemerkungen in das Ohr des rothen Herrn geflüstert, Dom Pedro Augustin la Vargal drehte sich zu ihm mit einem von Anmaßung und Geringschätzung strahlenden Gesicht um, und während ein unaussprechlicher Hohn sich in den tausend Falten seiner Augen und Nase festsetzte, maß er ihn vom Wirbel bis zur Zehe.
»Wie heißt der Mensch?« fragte er dann mit schnarrender Stimme, und als der kluge Pater ihn lächelnd fortführte, schrie er mit aller Anstrengung: »Bei der heiligen Jungfrau del Pilar! so wahr ich Edelmann bin und ein guter Portugiese und treuer Unterthan meines Herrn und Königs, man schickt uns zuviel Gesindel hierher, Ketzer, Gottesleugner, heillose Taugenichtse, und wir sind nicht besser daran, als zur Zeit, wo drei Mal im Jahre eine Gallione den Auswurf aller Gefängnisse Portugals nach der neuen Welt schaffte.«
In der ersten Heftigkeit seines natürlichen Zornes faßte der junge Ritter den Dolch, der an einer kurzen Kette am Gürtel hing, und vielleicht hätte eine rasche blutige That ihn ohne Rettung den Händen seiner Feinde überliefert, wenn eine Hand nicht plötzlich ihn festgehalten hätte.
Diese gehörte einem Menschen, kurz, breitgeschultert, mit einem listigen verschmitzten Gesicht, einem schäbigen Anzug von Leder und glänzend schwarzem Haar, das glatt herabhängend, auf dem Wirbel in einen Knoten zusammengedreht, sein bleifarbiges Gesicht umgab.
Es war einer der Blendlinge aus fünf oder sechs Mischungen, von europäischem, indischem und Negerblut entstanden; ein freier Mann, ein Diener von tausend Herren; heut Wasserträger, morgen Pisang- und Maniokwurzel-Händler; im Frühjahr von Kaufleuten gemiethet, einen Karavanenzug über die Bergketten der Sierra von Montiqueira zu geleiten oder jenseit derselben eine Expedition zu verstärken, die dem Lande der Minen zueilte, um rothen Thon und Goldlagen aufzuspüren; im Herbst verbrüdert mit wilden Gesellen, den Lasso am Sattelbogen, den Speer in der Hand, bereit zur Tiger- und Ochsenjagd und gelegentlich wol zu Schlimmerem, wenn es sich traf.
Dieser Mensch nun drückte seine großen knochigen Finger fest in Gaston's Arm und flüsterte ihm zu:
»Mein Herr, ein Wort zu Euch, und wenn Ihr ein kluger Mann seid, werdet Ihr es hören. Stecken Sie das Messer da in die Scheide,« fuhr er leise fort und verbeugte sich höflich, als Gaston ihn zornig anblickte. »Jener Sennor dort, mein Herr, ist der Vorsteher der königlichen Handelskompagnie und beim heiligen Jacob! ein Mann, der Vieles kann, was er will. Ich aber bin Euer Gnaden unterthänigster Diener, ein armer Gallego, der an Bord gekommen ist, Eurer Herrlichkeit seine geringen Dienste anzutragen.«
Er lächelte dann pfiffig und zeigte zwei Reihen ungeheuer großer, blendend weißer Zähne, indem er halblaut ein altes portugiesisches Sprichwort wiederholte, das ungefähr soviel sagte, als: wer eine Eule fangen will, muß warten bis sie schläft.
»Und diese Eulen da,« flüsterte er, »sind von der häßlichsten Art. Herr Pedro di Vargal, ein Mann, der mehr Spanier ist, als Portugiese, und ein Jesuit von Paraguay, pfui Teufel! ich wollte, ich begegnete ihm jenseit der blauen Berge da. Aber wo sind Ihre Sachen, mein Herr, das Schiff hat Anker geworfen, und je eher wir hier fortkommen, um so besser wird es sein. Gaspar di Som Piarti – das ist mein Name und ein guter Name, mein Herr – wird Sie führen in jede Posada Unterkunft, Gaststätte., wohin Sie befehlen, wenn Sie ihm sagen, wohin die Reise geht.«
Als Gaston ihm aber einige Worte zugeflüstert hatte, trat er ein wenig erschrocken zurück und sah den Fremden unruhig an.
»Madra de Deos!« murmelte er, »nun meinetwegen, ich bin bereit, mein Herr. Gaspar ist oft unter den wildesten von ihnen gewesen, aber es sind Söhne des Satans und wer nicht muß, mag daheim bleiben.«
Wir finden unsern Abenteurer wieder, wie er so eben die kleine Stadt mit seinem geschwätzigen Begleiter durchzogen hat, der unter dem geringen Gepäck seines neuen Herrn leicht daherwandelt und Zeit genug behält, ihm als Cicerone mit allerlei Erklärungen aufzuwarten.
Im Ganzen wußte Gaspar jedoch wenig von den Herrlichkeiten seiner Vaterstadt vorzubringen, und trotz aller Ausschmückungen und Lügen, trotz dessen, daß er sich rühmte, ein echter Portugiese zu sein – ein Mann, der bei den Völkern des Südens fast dieselbe Bedeutung hatte, wie früher für uns der eines Franzosen, indem er die lebhafte Beweglichkeit der Zunge, das leichtfarbige Blut, die Lachlust, den Witz, die Prahlerei und den kecken Muth vereinte – beschränkte sich doch Alles auf die Namen einiger Gebäude, auf mehre lächerliche Uebertreibungen über den Reichthum der Kaufleute und auf ein halbes Dutzend Wunder, die von heiligen Missionairen zur Ehre Gottes und der Kirche, wie überall auf der Erde, so auch hier, gemacht waren.
Weit mehr aber bewies Gaspar, daß er ein echter Portugiese sei, als die Rede auf Spanien kam und die spanische Herrschaft. – Seit Sebastian's Tode und Philipp's des Zweiten glücklicher Besitznahme von Lissabon durch Herzog Alba, war Portugal mit dem mächtigen Nachbar vereint, aber vierzig Jahre hatten den Haß nicht erlöschen können. Er lebte im Fürsten wie im Bettler fort, und jenseit der Atlanten war er um nichts gemildert; denn kaum berührte Gaston diese zarte Seite des Nationalgefühls, als Gaspar's Stirn sich verfinsterte und Fluch über alle Spanier sich über seine breiten Lippen wälzte.
»Was ist das dort für ein langes niederes Gebäude?« sagte Gaston, um den Strom seiner Anklagen zu unterbrechen.
»Maledetto!« murmelte Gaspar, »das ist auch eine spanische Erfindung, die sie uns mitgebracht haben; aber Gott bewahre Eure Herrlichkeit und mich und Jeden davor, es ist das Inquisitionsgebäude. Ach! verstehen Sie mich recht, Caballero,« fuhr er ein wenig ängstlich fort, »ich bin ein gläubiger Christ, der sein Ave Maria zu beten versteht, und diese Schufte von Indianer sind hier von jeher niedergestochen, gepfählt und aufgehangen worden, wie es jedem Feinde der heiligen Kirche zukommt.«
»Höre, Gaspar,« sagte Gaston lachend, »Deine Zunge ist ganz dazu gemacht, in dem Hause dort auch einmal abgeschnitten zu werden, zur Ehre Gottes, und wenn der Pater Bonaventura es wüßte –«
»Der Pater koche sich von allen Jesuiten eine Suppe,« murmelte Gaspar, nachdem er sich vorsichtig umgesehen hatte. »Doch still, still,« fuhr er leiser fort, »hier sind wir an der Posada der vierzehn Wunder und dort unter dem Schirmdache sehe ich Pferde und Maulthiere stehen, deren buntes Zaumzeug und die rothen und blauen Bänder in den Mähnen uns einen Wink geben, vorsichtig zu sein.«
Das Wirthshaus, auf welches sie zuschritten, lag außerhalb der Schanzen und Palisadenreihen, mit welchen Vincente umgeben war, und schien ein festgebautes großes Haus. Eine Mauer mit Schießscharten zog sich rund um den Vorplatz und ein Graben verstärkte die Befestigung.
»Das ward Alles so gebaut,« sagte Gaspar, als er seinen Begleiter das Gemäuer betrachten sah, »da die wilden Stämme noch mächtiger waren als sie jetzt sind. In einer dunklen Nacht kam da oft ein Rudel der Lupinambos, oder der langhaarigen Goytacayas und Flamme, Speer und Axt, machten schnell allem Leben ein Ende, wenn feste Mauern die Wagehälse nicht abhielten. Nun,« fuhr er fort, »jetzt ist das anders geworden an der Küste; aber im Lande, mein Herr, da heißt es freilich: Vorgesehen, wenn Du Deine Gurgel behalten willst! Da sind die Ulmoros, die Tupis und andere Räuberhorden und Jesuiten und Paulisten dazu.«
Sie waren nun in den Vorhof getreten und Gaspar's scharfes Auge hatte recht gesehen. Unter einem Schirmdache standen buntgeputzte Maulthiere und Pferde von wildem Ansehen, mit langem Mähn- und Stirnhaar und feurigen schönen Augen. In einer Ecke an der Thür saß ein braungelber nackter Mensch, der nur einen farbigen Gürtel um die Hüften trug. Er war groß und schlank, von edler, stolzer Gesichtsbildung. Ein langer Bogen und ein Bündel Pfeile lagen neben ihm und zu seinen Füßen kauerte ein Weib, nackt wie er, das unter langem schwarzen Haar ihr Gesicht verbarg. Als der weiße Mann vorüberging, beugten sich Beide tief grüßend zu Boden. Gaspar lachte laut.
»Seht da,« rief er, »das ist ein Königssohn. Sein Vater war ein großer Häuptling, aber der ganze Stamm ist ausgerottet zur Ehre Gottes, weil sie ihr Land nicht hergeben wollten, und dieser mit Wenigen, die übrig blieben, wurden Christen, um nicht zu verhungern.«
Der indische Krieger streckte mit trauriger Miene die Hand aus und sagte dann mit einer sanft klagenden Stimme:
»Du täuschest Dich, mein Bruder, Antaitas hungert sehr.«
»Wie!« schrie Gaspar, als er sah, daß der Ritter mitleidig nach einem Geldstück suchte, »beim Blute Christi! Sie werden doch einem nichtsnutzigen Hunde von Indianer kein Almosen geben?«
Ohne sich indeß von seinem Entschlusse abhalten zu lassen, reichte Gaston dem armen Königssohne ein werthvolleres Stück, als er Anfangs wollte, einen silbernen Piaster. Der Indier warf einen Blick voll Verwunderung und Dank auf den Barmherzigen, dann zog er langsam seine Hand zurück und beugte stumm sein Haupt.
»Da sieht man es,« murmelte Gaspar, indem er die Thür zur Gasthalle öffnete, »was diese Wilden für eine Lebensart haben. Ich hätte für diesen Piaster ihm alle Herrlichkeiten der Welt zehntausendmal gewünscht, er weiß kein Wort zu reden.«
Er warf einen raschen Blick über das große wüste Gemach, wo an mehren Tafeln trinkende, essende und rauchende Leute saßen, ließ dann seinen Herrn hineintreten, suchte in einer Ecke ein Tischchen und eine Bank auf, wo er das Gepäck hinlegte und schrie nun mit seiner gellenden Stimme den Wirth herbei, der sich eben nicht sehr beeilte, einen Reisenden zu bedienen, welcher zu Fuß und mit so geringen Habseligkeiten erschien.
Gaston behielt vollkommen Zeit, die hohe düstere Halle zu mustern, welche nach Art dieser Wirthshäuser bis unter das Dach reichte, dessen leichte Bekleidung von Holz und Lehm gefugt und schwarz beraucht, hier und dort einen Schein des Himmels und des Sonnenlichtes durchblicken ließ.
Weit merkwürdiger aber, als dies übelriechende Gemach, waren die Gäste darin. Ein halbes Dutzend wettergebräunter Männer, vom wildesten trotzigsten Aeußern, saßen schmausend in der Mitte des Zimmers. Ihr langes Haar war geflochten und hing unter einem spitzen Netze, das den Kopf bedeckte, oder ein Hut mit aufgeschlagener Krämpe und einer Straußenfeder saß keck darauf, die kühn geschnittenen Gesichter mit den großen funkelnden Augen bezeugten leicht, daß in Allen mehr oder minder das reine portugiesische Blut nicht mehr sei und ihre Väter oder Urväter in wilder Gemeinschaft mit indischen Schönen ihren Ursprung bewirkt hatten. Die großen goldenen Ohrringe, an beiden Seiten des Gesichts herabhängend, vermehrten das Unheimliche dieser Gestalten. Ihre Bekleidung, von den kurzen spanischen Stiefeln, von denen stets der rechte nur einen ungeheuren eisernen Sporn trug, bis zu der farbigen Jacke, die grob und rauh eine rauche Brust bedeckte, war eben so abenteuerlich und seltsam, wie die eisernen Männer selbst.
Auch sie betrachteten und musterten den Fremdling, seine Gestalt, seinen Anstand und seine Waffen mit argwöhnischen spöttischen Blicken und leisen Worten, die sie sich zuflüsterten, aber sie waren höflich genug, die Eigenthümlichkeiten des fremden Mannes so weit zu achten, daß sie ihn nicht kränkten oder beleidigten.
In einer andern fernen Ecke saßen zwei Handelsleute aus der Stadt, die hierher gekommen waren, einige rüstige Gesellen zu miethen, welche sie und ihre Waaren über die Berge geleiten sollten; dann schmausten eine Anzahl Menschen von wüstem Ansehen, mit Weibern und Kindern, an einer andern Tafel und ihr Geschrei und Lachen übertönte den Lärm. Es waren Abenteurer und Einwandrer, von welchen die Ersten die Andern mit List und schönen Worten beschwatzten und auf ihre Kosten zehrten. Ein gelber Jude lief dabei von Tisch zu Tisch und bot seine zahlreichen Waaren an, Stoffe von mannigfacher Art, Putz und Schmuck und scharfe lange Einschlagemesser, zweischneidig und von funkelndem Stahl.
An einem ganz kleinen Tischchen aber saß ein alter Mönch, ein Missionair und Bekehrer, von einem der vielen Bettelorden, die alle zu der Genossenschaft des heiligen Franziskus gehörten.
Es währte lang, ehe der dicke Wirth herbeikam in seinem braunen Kleide und buntfarbigem Haarputze, einen rothen Gürtel um die Hüften und ein Tafeltuch daran gesteckt. Er hatte sich auch gar nicht die Mühe genommen zu fragen, was sein Gast begehrte, sondern er brachte gleich mit, was er für ihn bestimmt hatte. Einen Meerfisch, von dem irgend ein besser Bedienter die besten Stücke bekommen hatte und ein Paar kleine Tauben oder Drosseln, die auch nur wie die Reste einer glücklichen Vergangenheit aussahen.
Gaston aber war ganz der Mann, der einen tölpelhaften Wirth zu behandeln und sein eigenes gesunkenes Ansehen zu heben wußte. Kaum hatte der dicke Kerl die Speisen auf den Tisch gestellt, als sie auch schon einem sehr dürren umherschwenzelnden Hunde vorgeworfen wurden. Mit der gleichgültigsten Miene von der Welt erklärte dann der junge Reisende, daß er das nächste Mal den Sennor Pedro zwingen werde, seine Speisen selbst zu verzehren, wenn sie nicht besser wären, und wie zur Bekräftigung seiner Drohung, warf er ihm ein Paar Pisangstücke ins Gesicht und spielte mit dem Dolche.
»Jesus Maria! Herr!« schrie der Gastwirth, »gleich! gleich! Aber lassen Sie Ihr Messer in Ruhe, edler Herr. Erst vor acht Tagen ist eine neue Bestimmung ergangen, die bei Todesstrafe jedes Messerziehen untersagt.«
»In Eurem durch Streit berüchtigten Hause,« rief Gaspar, »das beichtet auch, Sennor Pedro, und das Ganze betraf eigentlich nur die Paulisten,« fügte er ganz leise hinzu.
»Alle meine Gäste ohne Ausnahme,« rief Pedro und warf einen raschen Blick auf die Männer an der großen Tafel, von denen Einer, der jüngste von Allen, aufgestanden war und mit besonderem Antheil die Scene zu betrachten schien, – »Was aber befehlen Sie denn, mein gnädiger Herr?« fuhr er laut schreiend fort.
»Unstreitig das Beste was Ihr habt,« sagte Gaston. »Und so schnell, mein vortrefflicher Mann, als Euer fetter Körper es zuläßt.«
Der junge Eingeborne machte dem Wirth ein spöttisches Gesicht. Es war Sennor Pedro's schwache Seite, flink und mager sein zu wollen, und wie alle Wohlbeleibte, war es sein größter Aerger, fett zu heißen.
»Beim heiligen Kreuz, mein Herr,« sagte der junge Mann lachend, »das war wacker gethan. Sie haben dem Schelm, der sonst mit der Zunge unbezwinglich ist, gut den Mund gestopft, und nun können Sie sicher sein, Sie werden vortreffliche Speisen, guten Wein und ein auserlesenes Glas Paraguay Ein Getränk, das mit dem sog. Paraguay-Kraut, einem kalorienfreien Süßkraut ( Stevia rebaudiana) zubereitet wird. erhalten.«
Gaston musterte den Sprecher, der sich freimüthig nahte, und heimlich erstaunte er über die Schönheit des Jünglings. Groß und kräftig gebaut, war er doch von zarten und gefälligen Formen. Die buntgestickte Lederjacke war feiner, als die seiner Gefährten, der große Sporn an seinem weiten spanischen Stiefel schien von Silber zu sein und sein Hut trug unter der Straußfeder eine blitzende Agraffe. Dunkle, lebensvoll glühende Augen, ein schwarzglänzender Bart, eine Adlernase von echt antiker Form und ein mädchenhaft kleiner Mund voll schöner Zähne, bildeten ein auffallendes Bild tadelloser Schönheit. Um Stirn und Augen aber lag ein Zug unbeschreiblicher Wildheit; neben dem urkräftigen Muthe eine herausfordernde Keckheit, bei der romantischen Glut ein Durst nach Helden- und Liebesthaten, der verzehrend und zerstörend darin zu brennen schien.
Gaston gab eine gleichgültige und keinesweges so freundliche Antwort, als dieser erwartet haben mochte, indem er sich, um jede weitere Frage abzuschneiden, lang auf der Bank, wo er saß, ausstreckte und das Gesicht fortwandte.
Eine dunkle Röthe überzog die Stirn des jungen Mannes und mit Zorn rief er aus:
»Bei allen Heiligen! mein Herr, woher Sie auch kommen mögen, aus dem Lande der Höflichkeit sicherlich nicht.«
»Und woher meint Ihr wol, daß ich kommen könnte?« sagte Gaston spöttisch.
Die Augen des Eingebornen sprühten in der äußersten Rachlust.
»Nun ich denke, es ist nicht schwer zu rathen,« versetzte er. »Zehn gegen Eins will ich wetten, es steckt ein Küstenbruder in Euch, der auf dem festen Lande nach einer hohen trockenen Schlafstelle sucht.« –
Er machte dabei eine Bewegung rund um den Hals, die höchst verdächtig war und brach in ein lautes Gelächter aus.
»Zuvörderst sagt mir, was Ihr unter einem Küstenbruder versteht?« fragte Gaston.
»Besinnt Euch, mein Herr, besinnt Euch doch,« rief der Andere spottend, »solltet Ihr nicht wissen, daß die Flibustier von Domingo, um allen bösen Verleumdungen zu entgehen, sich selbst den unschuldigen Namen gegeben haben?«
»Also für einen Seeräuber nehmt Ihr mich,« sagte Gaston lachend, »und wahrscheinlich fürchtet Ihr nun, daß ich Euch ins Handwerk falle.«
»Wie meint Ihr das, Sennor?« fragte der junge Mann trotzig.
»Seid Ihr nicht ein Paulist?« fragte der Ritter.
»Ein Paulist? Ja, Herr. Sprecht mit Ehrfurcht von den Paulisten.«
»So gehört Ihr, wie ich es dachte, zu einer hübschen Gesellschaft, von der man weit und breit zu erzählen weiß,« sagte Gaston ruhig. »Es ist kein Wunder, daß Ihr auch mich als Euresgleichen betrachtet.«
»Ihr lügt, Verräther!« schrie der Paulist erbleichend.
»Ist es nicht ein Haufen von gesetzlosen Leuten, deren Hand gegen Jedermann ist und Jedermanns Hand gegen sie?« fuhr Gaston fort.
»Wer wagt es, die Republik zu lästern!« rief einer der Männer am Tische und that einen fürchterlichen Schlag mit der Hand auf die Platte, daß alles bebte. »Jose Manuel Cabral, bist Du ein Pinheiro und duldest das?«
Der junge Mann that einen raschen Griff in die Tasche seines Stiefels. Gaspar aber, der ihn genau beobachtete, so lange der Streit währte, hielt feinen Arm eine Minute lang fest und schrie seinem Schützling zu:
»Bewahrt Euer Leben, Herr, ein Paulist ist nie ohne Messer.«
Wie wahr er sprach, erwies sich in demselben Augenblicke, wo Jose mit großer Kraft Gaspar's Hand abschüttelte und ein glänzender Stahl sichtbar ward. Ehe jedoch irgend etwas geschehen konnte, da sich der erschrockene Wirth, die Einwanderer, die Abenteurer und die übrigen Paulisten fluchend, schreiend und besänftigend herbeidrängten, eilte auch der Mönch herbei, und die ehrwürdige Gestalt, welche mit strafenden Worten sich zuerst an Jose wandte, führte Ruhe und Frieden zurück.
»Jose Cabral,« sagte er, »ist Dein Gemüth denn wahrhaft so wild und böse, wie Deine Feinde es behaupten, mein Sohn? – Sind die Pinheiros nur in der Welt, um überall Streit zu beginnen und Blut zu vergießen?«
Der junge Cabral schien viel Ehrfurcht vor dem Mönche zu haben. Er zog den Hut ab, verbarg das Messer und sagte:
»Vater Rafael Macedo, was man auch von den Pinheiros sagt, ihre Herzen sind warm und offen. Ich fing den Streit nicht an, ich begrüßte diesen Fremdling höflich, es ist nicht meine Schuld, wenn er mich beleidigte. Ich bin ein Edelmann.«
»Und gewohnt,« fiel der Mönch strafend ein, »jedes Mißverständniß oder jede Kränkung Eurer Eitelkeit als eine Todsünde anzusehen.«
Wahrscheinlich würde dieser Streit länger gedauert haben, wenn nicht plötzlich an der Thür sich ein Gegenstand gezeigt hätte, der die Blicke aller Anwesenden auf sich zog und die Jose Cabral's am meisten. Er wollte sich schnell fortwenden, als der alte Mönch seine Hand ergriff und festhielt.
»Nein,« sagte er, »Du sollst nicht von dieser Stelle, mein Sohn, bis Du diesem Herrn die Hand gereicht und den Schwur geleistet hast, ihm keine Feindschaft nachzutragen.«
Eine dunkle Röthe übergoß Cabral's Gesicht und seine Hand zuckte in der des Mönches, als Gaston aufsprang, und indem er sie ergriff und herzlich drückte, ihm versicherte, daß er durchaus nicht beleidigt sei, vielmehr Alles als einen Scherz betrachtet habe, bei dem Jeder seinen Theil bekommen hätte.
Jose antwortete nicht, sein Auge sah auf einen Mann, der hereingetreten und ein Zeuge des Auftritts geworden war, den er mit vieler Theilnahme zu betrachten schien. Er war jung und groß, nicht so auffallend schön gebildet, wie Jose, aber doch ein stattlicher Jüngling mit jenem Anstande, der in allen Ländern der Erde den Stutzer ankündigt. Man sah, er war eitel auf seine Persönlichkeit, gefallsüchtig durch die Aufmerksamkeit, welche er seiner bunten saubern Kleidung mit ihren Troddeln, Seidenschnüren und Bändern erwies, und eingebildet auch auf Dinge, die er nicht besaß, denn er zupfte und streichelte seinen Bart, der keinesweges zu streicheln war, denn spärlich nur sproßte er auf.
Als er sich dem Tisch näherte, wo die Männer saßen, standen mehre ehrerbietig auf.
»Thomas Ovienza,« sagte er und sein Gesicht nahm den Ausdruck von Hohn an, während er seine Stimme laut machte,« geh' hin zu dem Kaufmann Correa, fordere dort für mich, für Tibertio Ramalho, die Kleider und den Schmuck, welche ich für meine Braut Dolores, meine Cousine, kaufte. Ja, mein Vater,« rief er dem Mönche zu, »Ihr sollt es auch wissen, Dolores ist mir zugesagt und morgen soll unsere Verlobung sein. – Ah, sieh da, Jose Cabral« – er that als bemerkte er ihn erst jetzt – »ich kannte Euch nicht, Jose, Ihr standet im Schatten, das ist niemals gut. – Führt mein Maulthier heraus, Simon. – Es ist ein herrliches Thier, Jose, mit schwarzem Schweif und Kamm und kostet funfzig goldene Pesos. Das ist theuer, Ihr Herren, nicht wahr? Aber dafür soll es auch meine schöne Braut zur Kirche tragen. Die Minuten werden mir zur Ewigkeit, ich schmachte nach ihren seidenen Locken, nach den Augen, die wie Sterne des Himmels glänzen, nach ihrer Stimme, die süßer ist, wie die der Drossel. – Wollt Ihr nicht mit mir reiten, Jose? Wir können viel von ihr sprechen.«
Ein schwerer Kampf hatte sich in Jose's Zügen ausgesprochen. Bald zuckten sie dunkel und leidenschaftlich, bald starrten sie wie leblos. Zuletzt aber war es ruhig und undurchdringlich darin geworden. –
»Ich reite nicht mit Euch,« sagte er.
»Ihr fürchtet Euch doch nicht, mit einem Ramalho zu reiten,« rief Tibertio spöttisch.
»Wann hätte ein Pinheiro die ganze Schaar der Ramalho's gefürchtet?« war die stolze Antwort.
»Nun dann, so zeigt es und reitet mit,« sagte Tibertio. »Ich bin toll vor Liebe, Jose, und muß eine Seele haben, zu der ich von Dolores Reizen reden kann, wäre es auch ein Pinheiro.«
Jose Cabral warf ihm einen Blick zu, in welchem eine unheimliche Gewalt das Lächeln begleitete, zu welchem er seine Züge zwang.
»Wenn Ihr es durchaus wünscht,« erwiderte er, »so will ich Euch das Vergnügen der Gesellschaft eines Pinheiro's nicht rauben. Ich bin bereit.«
»Halt! meine Söhne,« rief der alte Mönch, »Ihr sollt nicht allein reisen, ich werde Euch begleiten.« –
Tibertio, der schnell die Thür ergriffen hatte, drehte sich um und sagte:
»Kommt nach, mein Vater. In dem kleinen Wirthshause am Fuße der Sierra sollt Ihr uns wiederfinden.«
Als sie fort waren und wenige Minuten später auf ihren stolzen Thieren durch das Thor und über die Ebene sprengten, murmelte der Mönch noch immer ein leises, eifriges Gebet und dann hob er den greisen Kopf mit den durchdringend klugen Augen zu Gaston auf und sagte:
»Mein Herr, es war nicht recht von Ihnen, Sie hätten diesen Jüngling schonender behandeln sollen. Edles und stolzes Blut fließt in seinen Adern, er ist ein Pinheiro und ein Paulist, zwei Gründe, vorsichtig zu sein. Feindschaften werden hier mit der Spitze der Messer ausgeglichen, eine grausame sündige Sitte, aber in der Wildniß und umringt von Gefahren wird der Mensch fast selbst wild und das Licht des Himmels reift langsam. Doch Sie sind in ein Fremder und selbst ein Jüngling noch,« fuhr der alte Mann mild entschuldigend fort: »Darf ich, ohne unbescheiden zu sein, fragen, wohin Sie Ihren Weg richten?«
Als er nun hörte, daß Gaston nach St. Paul wollte, schüttelte er noch stärker sein graues Haupt und betrachtete ihn lange.
»Was Sie auch hinführen mag, mein Sohn,« sagte er, »es war nicht recht und nicht vorsichtig von Ihnen, den Sohn der mächtigsten Familie zu beleidigen. Nun, der Streit ist abgethan,« fügte er hinzu, »und Jose ist ein wilder, aber im Grunde ein guter Mensch, er wird ihn nicht erneuen. Doch hüten Sie sich, hüten Sie sich sehr, mein junger Freund, ihm noch einmal in den Weg zu treten.«
Gaston erwiderte lachend, daß er sich schon zu hüten wissen werde, und Pater Rafael, nach einer tadelnden Antwort, die er auf diese trotzige Sicherheit gab, fragte dann den jungen Ritter, ob er, des Weges unkundig, es nicht angenehm finden würde, in seiner Gesellschaft den Zug nach St. Paul mitzumachen. –
Nichts konnte diesem erwünschter sein, nur schien ihm der Umstand bedenklich, wie er sich in so kurzer Zeit beritten machen wolle; aber Gaspar hatte nicht sobald den Entschluß seines jungen Herrn gehört, als er ihn auch mit seiner geschwätzigen Zunge sogleich ein halbes Dutzend und mehr der allervortrefflichsten Maulthiere rühmte, die in den Ställen der Posada zum Kauf standen. Nebenher stellte es sich auch heraus, daß Gaspar es sich in den Kopf gesetzt hatte, seinen neuen Herrn durchaus nicht sobald zu verlassen, denn kaum merkte er, daß der junge Ritter ihn als einen Führer betrachtete, den er nicht weiter benutzen möchte, als er die eindringlichsten Vorstellungen dagegen machte. –
»Im Namen aller Heiligen!« sagte er zum Schlusse einer langen Rede, in welcher er alle Vortheile seiner werthen Person weitläufig erklärt hatte, »Sie werden doch den guten treuen Gaspar nicht zurücklassen, mein Herr, denn wie würde ein feiner junger Mann ohne einen gut bewaffneten und gut berittenen Diener wol in das Land der Paulisten reiten?! Ja, bedenken Sie doch auch, daß ich Ihre Hand hielt, als Sie das Messer auf dem Schiffe zückten, daß ich zum andern Male das Gelenk des Pinheiro zusammendrückte, als er in seinem verdammten Stiefel umhersuchte und so eben draußen an der Thür einem schwarzen schnüffelnden Spion, vielleicht einem Spürhunde des Heiligen Gerichts,« flüsterte er, »eine Nase drehte, als er nach einem jungen Manne fragte, der ganz so aussehen sollte, wie Sie.«
Gaston konnte nicht entdecken, ob der Schelm log oder die Wahrheit sprach, aber er war längst entschlossen, den Bitten nachzugeben und der Pater bestärkte ihn darin, indem er Gaspar fast in allen Dingen Recht gab und hinzufügte, daß diese Diener aus dem Mischlingsblute gewöhnlich treue, schlaue und verwegene Menschen wären, die bei allen Fehlern doch gewissenhaft ihre Pflicht erfüllten und als zuverlässige Führer in dem halbwilden Lande oft großen Nutzen brächten.
Unter wechselnden Gesprächen vergingen Stunden, während dessen die Sonne ihre hohen Bogen schnell und schneller senkte und endlich sich wie ein rothglühender Edelstein an die höchsten Felsenhäupter der Bergkette zu heften schien, die abendwärts in einem ungeheuern Halbkreis ausgebreitet lagen.
Der alte Mönch war ein Schatz für den jungen Reisenden, der in ihm gleichsam ein großes lebendiges Buch der Geschichte dieses unbekannten merkwürdigen Landes erblickte, das Capitel für Capitel ihm aufgethan ward.
Als sie den beschwerlichen Bergzug hinter sich hatten, an dessen Fuße in einem kleinen Wirthshause Pater Rafael vergebens nach Jose Cabral und seinem Begleiter gefragt hatte, dehnte sich eine unermeßliche, von Hügeln durchschnittene Ebene vor ihren Blicken aus, die den reizendsten Anblick bot. Pisang und Palmenarten, wunderbar große und seltsame Gewächse entfalteten die ganze Ueppigkeit der Tropenvegetation. Der Urwald in seiner düstern Majestät zog in langen Gewinden auf den Höhen hin, und man konnte ihn mit geheimem Bangen von dem Bergzuge aus verfolgen, wie er in schwarzen schlangenartigen Massen, bis an den fernsten Horizont hinlief und dann in Nebel und Duft verschwand.
Zwischen ihm lagen Savannen voll hoher Gräser und Röhrichte, der rechte Aufenthalt des Wildes und des gefleckten Jaguars, wie Gaspar andeutete, und hastig sprudelten die Wasser von dem Bergzuge nieder, die Quellen, welche Bäche wurden, die Bäche, welche dem Piartiningo und andern kleinen Flüssen zueilten, und der ganze Zug der Wasser, die den Uraguay speisen. Die schnellen Wechsel von Licht und Schatten, der Weg selbst, der bald durch ein blumenvolles schmales Thal, bald einen steilen Hügel von Kalkschiefer hinauf und dann durch tiefschweigendes Walddunkel leitete, um überraschend wieder in eine neue Savanna hinauszutreten, – alles war dazu geeignet, die Geschichte des greisen Priesters zu verstehen, welche sonst wol wie Mährchen geklungen hätte.
»Ihr findet den Weg beschwerlich, mein Sohn,« sagte der Mönch, als die Maulthiere, wie Affen fast, eine steile Hügelwand hinangeklettert waren, »aber Ihr bedenkt nicht, daß Ihr doch auf dem Rücken eines sichern Thieres die schlimmen Pässe des Jelinges sowol, wie diese Felsenhügel ziemlich bequem übersteigen könnt. Der Wald ist gelichtet, die Rohrungen der Savannen, die Sümpfe und Bäche sind gangbar gemacht und an bösen Stellen sind selbst Brücken gelegt. Die Hand der Kultur regt sich segnend auch in diesen Einöden, denn der heilige Glauben des Christenthums führt das Geschlecht der Menschen zum Nachdenken, zum Fleiß und zum gemeinsamen Streben.«
»Und wer, mein Vater,« sagte Gaston, indem er die Unendlichkeit dieser Natur staunend maß, »wer war der erste Weiße, der sich in diese Wildniß wagte?«.
»Wer kann es anders gewesen sein, als ein Diener des Herrn;« erwiderte Rafael feurig. »Jetzt sind es siebenzig Jahre, als der fromme Anchieta und sein Gefährte Nobrega die Felsenkette überstiegen und in der Ebene, die der Piartiningo durchströmt, sich Hütten bauten, wo sie die heidnischen Inder zu sich riefen und ihnen das Christenthum lehrten. Die sanften Geschöpfe vom Stamme der Guaranos kamen zuerst, um zu lernen, und dankbar ernährten sie dafür die Priester mit Wild und Fischen. O! meine Kinder, welche Männer waren diese Priester! Fromme Märtyrer, Heilige, die um Gottes willen jede Noth und jedes Leid ertrugen. Ihre Kleider waren aus dem gröbsten Baumwollenstoff, ihre Sandalen aus den Fasern der Bergdistel geflochten, ihre Hütte von Rohr und Geblätter, ihre Lager eine Strohmatte. Pisangblätter dienten als Tische und Tischtücher, ein Fisch oder ein Feldhuhn und wenige Maniokwurzeln mit einem Trunk aus dem Quell, bildeten ihr Mahl, das oft wol ganz fehlte, und nun – wie ist nun Alles anders!«
Gaston sah dem alten Vater fragend in das betrübte Gesicht, aber Gaspar flüsterte halb lachend:
»Nun steht St. Paul an der Stelle und reiche Klöster mit einem Bischofe haben sich eingenistet. Da gibt es leckere Dinge genug, und was die Paulisten stehlen, theilen die Mönche mit ihnen und geben Gottes Segen dafür in den Kauf.«
»Ihr habt St. Paul entstehen sehen, mein Vater?« sagte Gaston
»Vieles habe ich gesehen, mein Sohn,« erwiderte Rafael Macedo feierlich. »Ich habe den frommen Anchieta gekannt und bin mit ihm hingegangen tief in die Wildniß, welche weniger Menschen Fuß betreten hat, um das heilige Kreuz zu verbreiten. Es duldete den heiligen Priester nicht in der Stadt, die er gegründet hatte und aufblühen sah, denn, allbarmherziger Gott! welche Verbrechen keimten darin. Es kamen Männer aus allen Ländern der Erde hierher nach St. Paul, oder wie es damals hieß, Piartininga, Männer, die in die Wildniß flohen, weil das Leben sie ausgestoßen hatte und das Gesetz sie verfolgte. Tapfer und durstig nach Schätzen hatten sie kaum ihre Häuser und Hütten erbaut und ein dürftiges Feld mit Mais und Maniokwurzeln bestellt, als sie sich schaarten und die Stämme der feindlichen Indianer überfielen, um Sklaven und Weiber zu erobern. Ihr habt die Söhne der Männer gesehen, welche zuerst den frommen Missionairen folgten. Joao Ramalho rühmt sich sogar, daß sein Ahnherr eher hier gewesen sei, als irgend ein Mönch. Pedro Pinheiro hat das erste Haus erbaut. Mit ihren Verwandten und Anhängern haben diese beiden Familien die Stadt von jeher in zwei feindliche Hälften getheilt, und wenn die Kriegszüge gegen die Inder oder die Streifereien nach den Gold- und Diamantenbezirken beendet waren, fingen die häuslichen Fehden von Neuem an.«
»Der Baum der Vergessenheit kann auch da nicht gedeihen, wo Blut vergossen ist,« sagte Gaspar. »Und ist denn ein Jahr hingegangen, wo nicht ein Ramalho oder ein Pinheiro einen Messerstich erhielt? Aber die Vendetta, die Blutrache, will eine gleiche Rechnung haben, und die Ramalho's schwören, daß noch zehn Pinheiro's wenigstens sterben müssen.«
»Aber kann das Gesetz und der Gouverneur des Königs nicht den Frieden erhalten?« sagte Gaston.
»Wenn St. Paul eine Stadt wäre, wie alle übrigen des Landes, so würde das nicht schwer sein,« erwiderte der Mönch. »Allein es ist eine Republik, wie ihre Bewohner selbst es nennen. Der Gouverneur des Königs erhebt die Abgaben und steht allerdings der Gerechtigkeit vor, die wilden Paulisten aber gehorchen nur so lange es ihnen beliebt, und die Häupter der Ramalho's und Pinheiro's haben gewiß weit mehr zu sagen, als der gute Don Silvio Herreira.«
Bei diesem Namen glänzte Gaston's Auge, und schon wollte er eine Frage thun, als der Priester von Neuem über die blutige Feindschaft der beiden großen Familien zu sprechen begann, die St. Paul mehr als einmal schon dem Untergange nahe gebracht hatte.
»Wenn der Knabe des Paulisten die Hände gebrauchen lernt,« sagte er, »so streckt er sie zuerst nach dem Messer aus, und nicht selten erlegt er schon seinen ersten Feind, ehe die Mannbarkeit gekommen ist. Erwacht sein Bewußtsein, so gebraucht er es, um darüber nachzusinnen, welchen Weg man einschlagen müsse, um jenseit der Montiqueirakette das echte Land des Goldes und der Diamanten aufzusuchen.«
»Laßt ihn sterben,« rief Gaspar verächtlich, »Wenn sein Leben das eines Bauern sein soll. Aber die Paulisten lassen Andere die Felder besäen, welche sie ernten. Die frommen Väter am Paraguay kennen das. Beim heiligen Jacob! sie sehen lieber einen Jaguar, als ein Pferd mit rothen Bändern.«
»Da hört Ihr die Sprache eines solchen wilden Gesellen, mein Herr,« sagte Rafael seufzend. »Ja, leider ist es nur zu wahr, daß die frommen Missionen am Paraguay seit den letzten Jahren mehr als je von Paulistenhaufen heimgesucht werden, ohne daß Abmahnungen von Seiten des Gouverneurs, oder Androhung der Excommunikation durch den heiligen Bischof etwas gefruchtet hätten. Die frommen Väter haben endlich Gewalt mit Gewalt vertrieben und ihre Neophyten, die Guaranistämme, bewaffnet und nun ist des Mordes und Krieges kein Ende. Und doch sind diese Missionen, seit Portugal und Spanien einer Krone gehören, derselben Herrschergewalt unterworfen, wie ihre grimmigen Feinde in St. Paul.«
»Und Silvio Herreira,« rief Gaston, »läßt von diesen Halbwilden die königliche Macht so sehr verachten? Es soll, nach dem was ich weiß, ein heftiger und tapferer Mann sein, dem seine Geduld nicht ähnlich sieht.«
»Kennen Sie den Gouverneur des Königs, mein Sohn?« sagte der alte Mönch verwundert.
Gaston wollte so eben eine Antwort ertheilen, als Gaspar sich im Sattel aufrichtete und mit gedämpfter Stimme seine Gefährten auf einen Reiter aufmerksam machte, der vor ihnen hinsprengte.
Der Mond war aufgegangen und beglänzte mit dem prachtvollsten Lichte das ganze weite Land. Man konnte deutlich sehen, wie der fremde Mann an derselben Hügelkette hin sein schnelles Thier spornte, welche die kleine Gesellschaft so eben erstiegen hatte. Hohe und einzeln stehende Bäume warfen ihre Schatten auf seinen Weg und verbargen ihn bald, bald ward er wieder sichtbar und flog mit reißender Schnelle über die Ebene, bis er in einer steilen Schlucht sich verlor, ohne den lauten Ruf Gaston's und das kreischende indianische Kriegsgeschrei seines Dieners zu beachten.
Wenn die erstaunten Reiter nicht den Hufschlag des Thieres gehört hätten, als es über den felsigen Boden setzte, so hätten sie vielleicht an die alte Wundersage vom Inderfürsten geglaubt, der, als wilder Jäger Amerikas, durch die Jagdgründe der Seligen sein windschnelles Roß und sein Schattengefolge von Hunden und Knechten treibt.
Gaspar aber, der den Instinkt des Sohnes der Wildniß hatte, sagte:
»Es ist weder der nächtliche Jäger, vor dem man ein Kreuz machen muß, denn sonst wäre er längst wieder dort und da und hinter und vor uns zum Vorschein gekommen, bis wir, vom Zauber angefaßt, ihm nachstürzten und den Hals brächen; noch ist es ein Taguya oder ein Tupi mit geflochtenen Zöpfen, der uns in einen Hinterhalt locken will. Ich sage, es war ein Paulist. Ich sah, wie er im Mondschein das linke Bein am Sattel heraufzog, den Sporn einhakte und sich rechts hinunter an den Hals seines Thieres warf, damit es leichter die Luft theile, und vielleicht auch, um uns zu täuschen. Das ist aber die echte Paulistenart, denn die Inder alle thun es zur linken Seite, und Daum und Nagel wollte ich wetten, es war Jose Cabral.«
»Was hätte ihn aber bewogen, so schnell zu fliehen?« sagte Gaston.
Auf diese Frage erhielt er keine Antwort, denn der alte Mönch saß sinnend und leise Worte vor sich hinmurmelnd, Gaspar aber spitzte die Ohren und rief dann:
»Unter den Büschen war es; ja, beim heiligen Jacob! da bewegt es sich wieder. Es ist irgend ein Thier, es ist ein Maulthier, jetzt sehe ich es. Seine rothen Zügel haben sich in den Ahornästen verwickelt; es will sich frei machen.«
Hundert Schritte vom Wege lag der Busch, auf welchen Gaspar deutete. Gaston sah nichts als einen spielenden Baumschatten im Monde und hörte ein leichtes Rauschen der Blätter; aber der Mönch rief:
»Im Namen Gottes und der heiligen Jungfrau! ich habe vergebens das Unheil hindern wollen.«
Als sie dicht an der Baumgruppe waren, sprang Gaspar sogleich ab, und nun erblickten sie alle ein Maulthier, das vergebens aus den zackigen Zweigen sich zu befreien strebte. Plötzlich aber trat der geschäftige Gaspar zurück und sagte mit dumpfer Stimme:
»O, Gottesmutter! erbarme dich seiner armen Seele!« –
Er fiel auf seine Knie nieder, warf den spitzen Hut zur Erde, bekreuzte sich und betete laut und heftig.
Der Pater Rafael war indeß mühsam von seinem Thiere gestiegen, und sagte mit zitternden vorgestreckten Händen:
»Meine Augen sind dunkel, wo ist es, wo hast Du es gesehen, mein Sohn?«
Gaspar deutete durch das Gesicht von dichten Rohrhalmen, Büschen und Zweigen, die er mit seinen rauhen Händen heftig fortbog; auf einen kleinen Platz im Innern des waldbedeckten Raumes. Hier schien das Mondlicht fast die Helle des Tages zu erreichen. Durchsichtig und silberklar lag es auf dem dunklen Wiesenboden, denn die schwarzen stillen Bäume rund umher erhöhten seinen Glanz.
Einen Augenblick sah Rafael hin und dann brach er in laute Klagen aus, indem er mitten durch das Gestrüpp sich Bahn machte.
»Unglücklicher Knabe!« rief er, »was hast Du gethan?! und Du, mein Kind, wehe Dir, wehe Dir! statt in den Armen der Braut, bist Du nun im Grabe auf der Heide gebettet, mitten in Kraft und Jugend ist der Stamm Deines Lebens und Deiner Liebe gebrochen.«
Gaston war dem alten Manne gefolgt, ahnend was hier geschehen, voller Entsetzen und jener schrecklichen Neugier, die den Menschen zum Anschauen des Bösen drängt. Er sah ihn fast auf der Mitte des Platzes niederknieen, und erblickte eine Stelle, wo der Grund umher aufgewühlt und zertreten war. Die Halme nicht weit davon waren geknickt; ein junger Baum lag frisch zerbrochen am Boden. Ein Ringen und Kämpfen hatte hier Statt gehabt; dort war ein schwerer Körper durch das Gras geschleppt worden und hatte es zerbrochen. Auf dem aufgewühlten Grunde aber stand ein Kreuz, rasch zusammengesetzt aus zwei Aesten, die mit einigen Halmen zusammengebunden waren. Es war nicht tief in den Boden gestoßen und neigte sich zur Seite. Das weiße Holz am obern Ende war röthlich gefärbt und Gaston schauderte. Es war Blut, und unter dieser leichten Erddecke schlief ein Todter, ein Ermordeter, den sein Sieger hier flüchtig eingescharrt hatte.
Die tiefe Stille umher, dann und wann nur in der Ferne das weinerliche Geschrei eines Jaguars, dem das Schnauben der Maulthiere antwortete; der betende Greis mit dem kahlen Kopfe, an den Schläfen das glänzend lange Silberhaar; der wilde, zerlumpte Gesell an seiner Seite, das Mondlicht, das auf die Beiden und auf das Grab fiel und die Zeugnisse des Kampfes hier erhellte, dort zweifelhaft bedeckte, Alles führte der zagenden, aufgeregten Phantasie tausend schnelle Bilder des Todten und seines Mörders vor und erhöhte das Grausen, das Gaston's Seele beschlich.
Jose Cabral, es war kein Zweifel, hatte seinen Gefährten hier ermordet, und doch hegte er noch immer eine schwache Hoffnung, daß dies einsame Grab vielleicht ein leerer Schrecken sei, daß es kein menschliches Wesen enthalte.
Als er dies äußerte und sein Schwert zog, um es prüfend in den Boden zu stoßen, hielt Rafael seine Arme fest.
»Stört nicht die Ruhe der Todten,« sagte er; »der Richter wird Zeit genug haben, die Wunden zu messen, an welchen der arme Tibertius starb. O! denkt doch nicht,« fuhr er dann fort, »es könnte hier ein Mensch einen schrecklichen Scherz getrieben haben. Wenige Hände voll Sand zurückgeschaufelt, und Ihr würdet eine fürchterliche Wahrheit erblicken. Ihr kennt die Sitte nicht, mein Sohn, die hier in den Messerkämpfen zweier Feinde dem Sieger befiehlt, das Grab seines Opfers zu graben, ein Kreuz darauf zu pflanzen und ein Gebet zu zu sprechen. Das hat Jose gethan, und kaum beendet, hat unsere Nähe seine eilige Flucht bewirkt. Kommen Sie, Cavallero, lassen Sie uns eilen und dem Gesetze berichten, was wir wissen. Klagen und Verzweiflung, Rache und Blut genug wird dies vergossene Blut erwecken, und wehe dem unglücklichen Jüngling, der hier und dort es zu vertreten hat.«
Gaspar hatte indessen das Maulthier frei gemacht und es an das seine gekoppelt. Das schöne Thier ward von ihm sogleich als dasselbe erkannt, auf welchem Tibertius Ramalho aus der Posada ritt, und wie sie nun von Grauen getrieben über die Ebene hinjagten und nach und nach die Thürme und Kirchen und die hohen Klostergebäude St. Paul's heranrückten, hörte man von dem alten Priester immer wieder die Worte:
»Wehe Euch, Ihr Verblendeten! Ich wußte es, eine Stimme sagte es mir. Wehe den Pinheiro's und wehe Euch, ihr Ramalho's! Arme Dolores, armes Kind!«
Endlich waren sie in der Stadt, die aus geraden Straßen, mit festen niedern Häusern besetzt, bestand. Auf einem freien Platze stand ein größeres Gebäude, mit einem Graben umzogen, einer Mauer und einem festen Thore.
»Es ist die Wohnung des Gouverneurs,« sagte der Mönch, »er vor Allen muß wissen, was geschah, denn ihm liegt es ob, die Ruhe zu erhalten. Erfahren die Ramalho's, was vorfiel, so werden sie jeden Pinheiro ermorden; diese aber haben größern Anhang in der Stadt, jene unter dem Landvolke, und leicht kann eine allgemeine Zerstörung die Folge sein.«
Der Pater befahl nun Gaspar, an das Thor zu klopfen, und dies geschah mit solcher Stärke, daß einige Minuten später ein Mann es öffnete, der, mürrisch über die späte Störung, dem Fremdling das Unziemliche seines Benehmens verwies. Als er aber den alten Priester erblickte, zog er schnell die Kappe von seinem Kopfe und verneigte sich voller Ehrfurcht.
»Mein guter Pedro,« sagte Rafael, »es ist nöthig, daß ich Seine Excellenz störe.«
»Wenn es sein muß, ehrwürdiger Herr,« erwiderte der Alte mit einem Grinsen, das über seine lederartig ausgedorrten Züge schlich, »so will ich Sie führen. Se. Excellenz liebt es zwar nicht, so spät gestört zu werden und Donna Uraca hat auch den Paraguaytrank längst hereingebracht und das Schaukelbrett angeknüpft; allein was sein muß, muß sein,« fügte er männlich entschlossen hinzu, und man sah es ihm an, daß es ihm weit mehr Vergnügen machte, dem Gouverneur eine Unbequemlichkeit zu bereiten, als er sich vor dessen Zorn fürchtete.
Gaston war auch von seinem Thiere gestiegen und wollte dem Pater Rafael folgen, aber der große mumienartige Kerl warf ihm das Thor vor der Nase zu.
»Ihr, junger Bursche, mögt draußen bleiben bei dem andern Ritter von Casso,« rief er zurück, »wenn man Euch braucht, werdet Ihr gerufen werden. Uebrigens hat Euresgleichen sich auch gar nicht so sehr nach dem Eintritt in dies Haus zu drängen, wo Mancher schon lieber hinaus als hinein ging.«.
Gaspar rief lachend:
»Dieser Esel des Gesetzes hält Ew. Gnaden für meinen Kameraden, aber was das Ein- und Ausgehen betrifft, hat er Recht. Die Gefängnisse sind auch dort innen und Sie verlieren gar nichts, wenn Sie den alten, dicken, wüthenden Dom Silvio nicht sehen. Des Abends, sagt man, liebt er so das Paraguaykraut und Zucker und Arac dazu, mehr als nützlich ist, und dann ist er ganz toll und voll und hat immer zu schimpfen und zu regieren, obwol er auch wieder regiert wird.«
»Wer und was regiert ihn?« sagte Gaston aus seinem Nachdenken aufblickend.
»Madra de Deos!« versetzte Gaspar lachend, »wenn es der schwarze Feind aller Menschen nicht selbst ist, so ist es seine Großmutter wenigstens. Aber, seht doch da,« rief er, »da kommen lustige Leute. Man soll nicht sagen, St. Paul sei eine Stadt des Blutes und der Thränen. Niemand versteht die Zither besser zu schlagen und süße Lieder zu singen, als die jungen, wilden Gesellen hier.«
An der Seite der Häuser zog ein Haufen lärmender Jünglinge hin. Einige trugen Fackeln und schwangen diese in dem blauen Mondlichte, andere schlugen die Zither und mehre sangen dazu eine wol ursprünglich maurische Romanze, die ihre Väter mit über das Meer gebracht hatten, dazwischen schrien sie Vivas den Schönen, lachten und liefen dann weiter, bis einer von ihnen stillstand, seine lauten Gefährten vorüberließ, ein paar rasche leise Griffe in sein Instrument that und eine Zeile aus einem Liebesliedchen mit schöner tiefer Stimme halb sang, halb sprach.
Dem Hause des Gouverneurs gegenüber stellte er sich dann unter einen dichten alten Feigenbaum, dessen Schatten ihn verbarg, als die Thür, wo er gesungen, sich aufthat und eine weibliche Gestalt hervorschlüpfte. Scheu blickte sie umher, dann warf sie die Kappe der Mantilla zurück und schritt auf den Baum zu.
Gaspar hatte auch aufmerksam hingesehen, jetzt flüsterte er seinem Herrn zu:
»Ja, so sind sie Alle, diese Paulisten. Nachdem das Messer seine Arbeit gethan und er sein Gebet verrichtet hat, ist das Blut vergessen, bis es aufgeweckt nach Rache schreit.«
Gaston deutete auf den Baum, aber Gaspar sagte schnell:
»Es ist Jose Cabral, der den Tibertius erstach, und ich denke derselben Augen wegen, die jetzt sein Mund küßt.«
Innerhalb der Wohnung des Gouverneurs erscholl aber zugleich eine heftige Stimme.
»Alle!« schrie diese, »und wohlbewaffnet, ich will dieser gesetzlosen Bande ein Beispiel geben, das sie zittern lehrt. Bei den Wunden Jesu! bei der unbefleckten Gottesmutter! er soll hängen sobald der Morgen anbricht.«
In diesem Augenblicke fühlte Gaston ein tiefes Erbarmen mit Jose. Aus den Armen der Liebe sollte er vielleicht in wenigen Minuten in Kerker und Tod gerissen werden. Gemordet hatte er nicht; er hatte den übermüthigen Nebenbuhler im Zweikampf besiegt, und seine Liebe war sein Verbrechen.
Leise lief er an der Mauer hin und sprang auf den Baum los. Der leise Schrei einer Mädchenstimme und eine rasche Bewegung ihres Geliebten, der eine Waffe zu führen schien, drangen ihm entgegen.
»Du bist es, Jose Cabral?« sagte der junge Ritter.
»Und wenn ich es bin?« erwiderte Jose fragend und herausfordernd.
»So flieh schnell,« fuhr Gaston fort. »Ich will Dich warnen, nicht verderben. Dom Herreira's Diener, die Hunde des Gesetzes, sind auf Deiner Spur.«
»Was thatest Du denn, mein Jose?« fragte das Mädchen.
Der junge Mensch stampfte heftig auf den Boden.
»Laßt sie kommen,« sagte er, ich fürchte sie nicht.«
»Fort,« sagte Gaston, »prahle nicht mit Deinem Muthe. Der Gouverneur hat einen hoben Eid geschworen, daß er Dich im Frühroth aufhängen läßt.«
»Heilige Gottesmutter!« rief Dolores kläglich. »Was hast Du begangen, Jose?«
»Ich habe meinen Feind getödtet,« erwiderte er stolz. »Fluch ihm! Er hat mich dazu gezwungen. Es war sein Wille, mich stumm zu machen wie die Nacht.«
»Tibertius!« sagte Dolores heftig und stieß seine Hand zurück.
»Dein Vetter Tibertius,« erwiderte Jose. »Ihn, den ich haßte, der meine Seele mir entreißen wollte, Dich, Dolores. Aber bei Gott und seinen Sternen! ich hätte nie an seinen Tod gedacht, denn er war ein Ramalho und auch Du gehörst ihnen an.«
»Falscher Mann!« sagte das Mädchen mit einer Stimme, die in Leidenschaft zitterte, »Du hast ihn ermordet, wie einen elenden Guarino, weil er um meine Liebe warb. Aber Tibertius war mein Vetter, sein Name war schön, er war ein Ramalho! O! Jose Cabral, sind das Deine Schwüre? ist Dein Herz so verdorben? war es die schwarze That, Dein sündiges Gewissen, war es die Blutschuld, die mich verlocken wollte, mit Dir zu entfliehen?! Eine Tochter des Alcaide Mor, eine Enkelin des großen Joao Ramalho. Geh hin, geh und suche alle Wasser der Erde, sie werden das rothe Blut nicht von Deinen Händen waschen.«
Sie sah ihm mit zürnendem Abscheu ins Gesicht und Jose stand stolz vor ihr, eine Marmorsäule im Lichte des Mondes. Jede Muskel war angespannt in gewaltiger Kraft und Kühnheit, und das Haupt emporgerichtet im Gefühl der Beleidigung und voll unterdrückten Schmerzes. Dann streckte er die Hand gegen die aus, welche er die Seele seines Lebens nannte und sagte:
»Geh, und danke der heiligen Jungfrau, daß Du kein Mann bist, der mich falsch nennen konnte. Willst Du nicht glauben, was ich sagte, so laß das Gras zwischen uns wachsen, bis es uns verbirgt. Sprich, meine Dolores, wann hat Jose eine Lüge gesagt? Tibertius verhöhnte mich und meine Liebe, er prahlte damit, von Deinem Vater Deine Hand erhalten zu haben und die Brautgaben einzukaufen.«
»Er log, der Bösewicht!« rief Dolores.
»Er log und ich lachte,« erwiderte Jose. »Als wir die Gebirgspässe hinter uns hatten, beleidigte er mich und ich warnte ihn. Er beschimpfte die Pinheiro's und ich spornte mein Thier. Willst Du die Streitaxt ausgraben, sagte ich, da sie doch kaum mühsam verscharrt wurde? Du weißt, daß noch kein Jahr vergangen ist, wo kein Ramalho und kein Pinheiro sich begegneten ohne zum Dolche zu greifen, daß der heilige Bischof und der fromme Vater Rafael Macedo den Frieden vermittelten; ich bitte Dich, laß mich allein. Er aber blieb an meiner Seite, denn sein Thier war schneller. Höre, Pinheiro, schrie er, ich will Dir das Leben schenken, aber wage es nicht, den Blick mehr zu Dolores Ramalho zu erheben, sie ist meine Braut und ein Pinheiro« – hier zitterten Jose's Glieder in der Wuth der Rückerinnerung, die Zunge versagte ihm den Dienst und mühsam sagte er: »Er stieß mit dem Messer nach mir, meine Schulter war getroffen; da floh der letzte Rest der Milde aus meiner Brust, unter dem Sattel zog ich mein Messer hervor, es war um ihn geschehen.«
»Du erstachst ihn, ehe er sich vertheidigen konnte,« rief Dolores verächtlich. »Das ist die That eines Pinheiro, das sind die Siege Deines Geschlechts.«
In der ungezähmten Wuth seiner Sinnesart hob Jose den Arm zum Schlage gegen den schwachen Beleidiger auf, doch schnell ließ er ihn sinken und sagte:
»Deine Augen haben mich zum Weibe gemacht, Dein Mund hat mich bethört, nicht länger ein Pinheiro zu sein, der das falsche Geschlecht der Ramalho's ewig haßt. Nun geschieht mir, wie es geschehen muß. Was ich litt und trug, trug ich um Dich. Ich hätte das Paradies verschmäht, um bei Dir zu sein; ich hätte Dich vertheidigt gegen die ganze Welt, gegen Priester und Gott, und was Du auch sagen mochtest, ich wäre für die Wahrheit gestorben. Du bist eine Ramalho und Deine Liebe ist Thorheit. O! reiß sie aus Deinem Herzen und aus meinem Herzen; ja, eine blutige Hand liegt zwischen uns, nicht der todte Tibertius, aber die Lüge und das Mißtrauen. Leb wohl, Dolores.«
»Jose Cabral!« rief in diesem Augenblicke der Gerichtsdiener, der leise mit drei andern Gefährten an der Mauer entlang geschlichen war, »ich verhafte Dich im Namen Sr. Excellenz, des Gouverneurs. Macht keine Umstände und folgt.«
Jose leistete in der That nicht den geringsten Widerstand. Die Diener des Gesetzes packten seine Arme, und wie er zwischen ihnen hoch und gewaltig stand, schien es ihm ein leichtes zu sein, die vier Männer, trotz ihrer Spieße und Dolche, abzuschütteln. Er warf jedoch nur einen stolzen in Wehmuth hinschmelzenden Blick auf Dolores, die starr vor ihm stand und wenig beachtet wurde, dann zogen ihn die Häscher fort und der alte dürre Mensch faßte Gaston mit der andern Hand und rief sehr barsch:
»Ihr müßt auch mit, Gesell, denn Ihr seid beim Morde zugegen gewesen. Man kann nicht wissen, ob nicht morgen früh zwei oder drei Schlingen nöthig sind.«
Dolores stand noch einen Augenblick, dann deckte sie mit Heftigkeit beide Hände über ihr Gesicht:
»Gnadenreiche Gottesmutter!« rief sie, »sterben soll er nicht. Die Pinheiro's werden ihn retten, die Pinheiro's müssen ihn retten. O! Jose Cabral, ich kann Dich nicht hassen!«
Gaston ward nun mit derselben Vorsicht wie Jose selbst, in das Haus geführt, dessen Thor man sogleich hinter ihm sperrte. In einem Winkel des Hofes sah er seine Maulthiere stehen und Gaspar daneben, der von einem der bewaffneten Diener des Gouverneurs in Aufsicht gehalten wurde. Man ließ ihm keine Zeit, seinem Herrn eine Erklärung zu geben, denn als er sprechen wollte, befahl ihm der Mann zu schweigen und die Andern stießen ihre Gefangenen in einen dunkeln Gang, der gepflastert und gewölbt war und der Festigkeit des Hauses Ehre machte.
Die Schritte der Männer schallten laut auf den Quadern und nun kam ihnen ein alter Diener mit einer Laterne entgegen, der in der Hand ein Schlüsselbund trug und in seinem rothen Camisol wie ein Henkersknecht aussah.
»Hier Manoel,« sagte der große Mensch, der den Anführer machte. »Hier sind Deine Gäste, gib ihnen gutes Quartier.«
Der Mann hob seine Laterne auf und trat erschrocken zurück.
»Herr Jose Cabral,« sagte er, »der Neffe des Pinheiro. O! je, es ist ein Irrthum, beim heiligen Petrus! es muß ein Irrthum sein. Was! wollt Ihr Euch von seinen Vettern und Freunden die Köpfe einschlagen lassen, oder habt Ihr so große Lust zu einem Messer aus Coimbra? Den Andern kennt Niemand, der mag aufgehangen werden. Ich will es selbst thun mit vielem Vergnügen zur Ehre Gottes und des Rechts, aber einen Pinheiro mag aufhängen, wer da will.«
Die Gerichtsdiener sahen sich mit verlegenen Blicken an, in denen man wol lesen konnte, daß der alte Mann ihren Muth merklich erschüttert hatte. Gaston aber sagte lachend und halb vor sich hin:
»Es ist überall sich gleich in der Welt. Hast Du Freunde und bist Du mächtig, so wird das Recht jederzeit leicht zu Unrecht, und Unrecht zu Recht werden. Nun lauf von Pol zu Pol und suche das Land, wo Recht und Gesetze Eins ist. Bei den Wilden und Heiden, wie bei den Christen und Türken ist das Gesetz nur für die Unbekannten und Armen gemacht, die man überall, wie der alte Mensch dort sagt, mit dem größten Vergnügen kreuzigt und aufhängt.«
Die Wächter würden wol noch länger überlegt haben, was zu thun sei, wenn nicht jetzt ein anderer Diener die Stiege herabgekommen wäre, der mit lauter Stimme ihnen zuschrie, Se. Excellenz wolle den Gefangenen sehen, und auch den Fremden, der mit dem Pater Macedo gekommen sei.
Das war eine Hülfe in der Noth, die eilig von den Häschern benutzt wurde. Man führte den schweigenden Cabral und den lachenden Gaston, der es sehr komisch fand, daß man ihn in diesem Hause noch immer wie einen Verbrecher behandelte, rasch die Treppe hinauf und Pedro flüsterte ihm zu:
»Euch wird das Lachen sogleich vergehen, Se. Excellenz scheint in der besten Laune zu sein, kurzen Proceß mit Euch zu machen. Hört Ihr seine Stimme?«
Durch das Vorgemach drang in der That eine Art von Löwenstimme, die einen armen Verlassenen wol in Furcht setzen konnte, und als die Thür eines großen Gemaches geöffnet wurde, erblickte man eine unter andern Umständen gewiß belustigende Gruppe. Das saalartige Zimmer war mit glänzend weißem Kalk gefärbt und mit manchen Geräthen von europäischem Luxus ausgestattet.
Einige Armsessel und Tische standen darin und an einem derselben saß der gute Mönch und eine Dame von riesenhafter Größe und entsetzlicher Magerkeit, an der andern Seite ihnen gegenüber aber stand ein schönes Polsterbett, auf welchem lang ausgestreckt ein kleiner kugelrunder Mann lag, mit rothem Gesicht und einem struppigen Bart, und vor ihm befand sich ein silbernes, sehr schön gearbeitetes Gefäß auf einem kleinen Feuer von wohlriechendem Holz, daneben lagen Citronen und auf silbernen Tellern Früchte und Brod, Wildpret von verschiedener Art und eine große Flasche mit Arac.
Jede der drei Personen hatte einen dampfenden Becher voll heißen Getränkes vor sich. Der des kleinen dicken Mannes war von Gold, reich mit Edelsteinen besetzt und im Munde hielt er ein kleines gebogenes Futteral, aus welchem er Dampf und Feuer zog.
Als er die Beiden eintreten sah, erhob er sich halb und suchte seine fette Stirn mit so vielen Runzeln zu bedecken, als er konnte. Dies gelang ihm ziemlich gut und die kleinen stechenden Augen funkelten dazu so grimmig, daß das ursprünglich gutmüthige Aeußere einen drohenden, wilden Charakter erhielt.
In einer kurzen Rede hielt er dem Pinheiro sein Verbrechen vor, der ruhig vor ihm stand und mit Geduld die Beschuldigungen anhörte, welche er ihm und seinem Geschlechte machte. Jose schien an ganz etwas Anderes zu denken, so theilnahmlos war er, und erst als der Gouverneur seinen Eid wiederholte, daß er ihn unfehlbar am andern Morgen aufhängen lassen würde, warf er einen zornigen und spöttischen Blick auf den kleinen Mann, der diesen nicht wenig verdroß.
Er stand ganz auf und es lag in seinem Wesen, trotz der Unförmlichkeit seiner Gestalt, mehr Energie und Adel, als man erwarten konnte.
»Jose Manuel Cabral,« sagte er mit Würde, die der mächtige Klang seiner Stimme unterstützte, »vergeßt nie, daß Ihr vor dem Gouverneur unseres Herrn, des Königs, steht, der das Recht erhalten soll an seiner Stelle. Ihr bekennt Euch zu dem Morde des Tibertius Ramalho?«
»Ich tödtete den, der mich tödten wollte,« erwiderte Jose.
»Zeugen aber besitzt Ihr nicht,« rief der Gouverneur, »Ihr seid der That geständig, und ich kenne Euch wol als das Haupt der Unruhestifter. Ihr wart es, der vor zwei Jahren schon einen Ramalho erstach, Ihr stecktet mit einer Rotte Eurer Anhänger das Landhaus des Joao in Brano; Ihr raubtet die Sklaven des Dingo Matheo, in Summa ist aber nichts geschehen in dem schändlichen Streite, wo Ihr nicht einen guten Antheil hattet.«
»Wenn der Gouverneur des Königs wüßte, was in St. Paul vorgeht,« erwiderte Jose stolz, »so würde er sich auch erinnern, daß ich seit zwei Jahren überall für den Frieden gesprochen und Manches gethan habe, um ihn zu erhalten.«
»Ihr seid ein frecher Bursche!« rief Dom Herreira und ballte die Hand gegen ihn. »Führt ihn fort und in der ersten Frühe hängt ihn auf, zur Warnung aller Mordgesellen.«
Jose ging der Thür zu, wohin ihn die Diener mit den besorgten bittenden Blicken auf den Gouverneur, offenbar in der Absicht so langsam führten, daß dem gestrengen Herrn noch etwas Besseres einfallen möge. Als dieser aber sich abwendete und zu dem Polsterlager zurückging, trat Gaston vor.
»Excellenz,« sagte er, »es sind allerdings Umstände vorhanden, durch welche dieser junge Mann das Zeugniß seiner Unschuld ersetzen kann. Ich hörte selbst, wie er in St. Vincent sich weigerte, mit dem zu reiten, der sich Tibertius nannte; wie übermüthig roh und beleidigend dieser ihn endlich dazu zwang, wenn er nicht beschimpft sein wollte, und so läßt sich wol annehmen, daß die Schuld dieser That auf den fällt, der freilich sich niemals mehr dazu bekennen kann.«
Jose warf einen dankenden Blick auf den plötzlich erstandenen Freund und die Gerichtsdiener nickten beifällig, obwol erstaunt über die ungeheure Kühnheit.
Die große hagere Frau aber schrie:
»Die Pinheiro's, Fluch den Pinheiro's! wer kennt sie nicht, diese Mörder und Diebe in der Wiege. Und dieser Fremde hier, wer ist er denn, der mit den Geiern in Freundschaft lebt?«
»Ist dies ein Liebeshof,« sagte Gaston spöttisch, »wo Schönheit und Jugend Sitz und Stimme haben?«
Die alte Frau fuhr zornig auf, aber Pater Rafael zog sie sanft zurück.
»Ihr seid eine Freundin der Ramalho's,« sagte er, »darum ist Euer Zorn natürlich, doch ich bitte Euch, seid gerecht. Jener junge Mann spricht die Wahrheit.«
»Excellenz!« schrie die alte Dame, »seid Ihr auch gerecht und bestraft den Landstreicher, der mich zu beschimpfen denkt.«
»Wer seid Ihr, Herr?« rief der kleine Gouverneur zornig. »Ihr seid, wie es scheint, einer der Abenteurer, wie sie uns jährlich schaarenweise heimsuchen?«
»Ich heiße Gaston Ribeira,« erwiderte dieser lachend, »und wenn mein Oheim seinen Neffen als Landstreicher und Abenteurer betrachten will, so mag es geschehen.«
Der kleine Gouverneur ließ das Silberrohr aus dem Munde fallen und sah den Jüngling lange starr an, dann nahm er ihn bei der Hand und zog ihn dem Tische näher, und nun verzog die Freude sein dickes Gesicht einen Augenblick, als er mit einer schlecht unterdrückten Verlegenheit, aber doch herzlich ihn in seine Arme schloß und willkommen hieß.
Nach einigen schnellen Fragen siegte aber doch die Würde und Pflicht des Gouverneurs über die Liebe zu einem unverhofft erschienenen Verwandten, und so befahl er denn den Dienern nochmals, den Gefangenen fortzuführen und seinen Spruch in allen Stücken zu vollziehen.
»Halt ein!« rief er, als Gaston seine Vorstellungen erneuern wollte und Rafael mit erhobenen Händen aufstand; »ich habe einen hohen Eid geleistet, den ersten Mörder aufhängen zu lassen, und hängen soll und muß er, so wahr ich ein Christ bin.«
Er machte hierbei der alten Dame eine Betheuerung mit der Hand, die er schwörend aufhob.
»Wenn Excellenz keine Einsprache gelten lassen will,« sagte der demüthige Mönch, »und Ihre Weisheit den Tod dieses jungen Mannes für unerläßlich hält, was auch seine Familie, die so zahlreich und streitsüchtig ist, dagegen thun möge, so gestatten Sie mir, dem hochwürdigen Bischofe die Anzeige zu machen und den Kerker dieses Jünglings zu theilen, um ihn mit seinem Schöpfer zu versöhnen.«
Der Gouverneur trank den dampfenden Becher aus.
»Thut was Ihr wollt, ehrwürdiger Herr,« sagte er, »der geistliche Beistand soll Keinem fehlen.«
Die ganze Procedur der Verurtheilung hatte aber so viel Willkürliches und Seltsames, daß Gaston, der nur der europäischen Formen gewohnt war, kaum begreifen konnte, daß es sich alles Ernstes um Leben und Tod eines Menschen handelte. Jose Cabral aber hob seine Hände drohend empor.
»Diese Schmach, Herr,« sagte er, »werden die Pinheiro's zu rächen wissen. Gebt mir den Tod, wenn Ihr meint die Macht zu haben, denn das Recht habt Ihr nicht. Ich bin ein freier Mann, ein Bürger der Republik. Der König ist unser Schutzherr, wir bezahlen, was ihm gehört, aber keiner seiner Diener darf über Tod und Leben richten.«
»Schurke!« rief der Gouverneur voller Wuth, »bin ich nicht der erste Richter hier?«
»Um die Ordnung zu erhalten, seid ihr da, Cavallero,« erwiderte Jose, »Sklaven zu strafen, um Verbrechen nicht geschehen zu lassen. Ich bin ein Edelmann wie Ihr; ich habe meinen Feind im Zweikampf getödtet. Wenn sein Tod gerächt werden soll, so ist das Sache der Vendetta, nicht die Eure. Ueberlaßt es den Ramalho's, mein Blut zu fordern, was mischt Ihr Euch unberufen in den Streit unserer Familie, der so alt ist, als St. Paul? Ich warne Euch, Herr, macht dem Scherz ein Ende. Noch ist es keinem Gouverneur eingefallen, einen freien Bürger hängen zu lassen, Ihr seid der Erste, leicht möchtet Ihr der letzte sein.«
Hier zeigte es sich aber, daß der kleine Mann nicht so leicht einzuschüchtern war, als der große Handlanger des Rechts.
»Für diese Frechheit,« rief er in der größten Wuth, »sollt Ihr gezüchtigt werden. Fort mit ihm und schließt ihn in Ketten.«
Jose ward hinausgezogen, kaum aber war er einige Minuten fort und der Gouverneur hatte noch immer mit der Beschwichtigung seines Zornes zu thun, als man ein furchtbares Geschrei unten im Hause hörte. Gleich darauf eilte einer der Diener herein, der bleich und zitternd stammelte, daß die Pinheiro's am Thore wären; ein ganzer Haufen mit Spießen und Dolchen bewaffnet, die Jose Cabral verlangten oder Jeden zu tödten schworen.
Der kleine Gouverneur bot bei dieser Nachricht einen merkwürdigen Contrast von Muth und Entschlossenheit und lächerlicher Heftigkeit. Bald schrie er, den Verräther in den festesten Kerker zu bringen, bald forderte er mit donnernder Stimme seinen Stahlhut und sein Schwert, bald tröstete er wieder eindringlich und besänftigend die alte Dame, die jammernd ihm um den Hals lag und um Erbarmen und Rettung vor den mörderischen Pinheiro's schrie.
»Die Thore sind fest,« sagte er mit unerschütterlichem Muthe, »wir haben Gewehre und Pulver und eine tapfere Garnison. Morgen in der Frühe aber soll er hängen und wenn die ganze Republik an den Mauern wäre.«
Dieser heroische Entschluß ward jedoch plötzlich durch das Erscheinen Gaspar's unterbrochen, der in der dürrsten Weise die Flucht des Gefangenen und der sämmtlichen Gerichtsdiener und Hausleute verkündete.
»Excellenz,« sagte er, »es war kaum zu unterscheiden, ob der ganze Troß nachlief, um den Jose festzuhalten, der ganz stolz und frei das Thor aufmachte und hinausging, oder ob sie den Mörder hinausschoben und sich an ihm festhielten, damit er sie schütze! Soviel ist aber gewiß, sie sind Alle fort, und fast möchte ich denken, hätte ich nicht schnell die Balkenthüren und Eisengitter zugeschlagen, so würden die Bösewichter jetzt hier sein, denn sie schrieen wenigstens laut genug, daß sie Rache nehmen wollen.«
Diese niederschlagende Nachricht übte auch sogleich ihre Wirkung aus. Zwar rief Dom Herreira noch eine Zeit lang, daß er der Majestät der Krone nichts vergeben könne, die seine Schmach schon rächen würde, aber bald übertäubte das Klagegeschrei der Donna Uraca seine Stimme, die betend auf den Knieen lag, bei jedem neuen heftigen Stoße, der unten gegen die Thür gethan wurde, um Erbarmen und Rettung kreischte.
Der Gouverneur hatte endlich allen Muth und alle Kampflust verloren. Das künstliche Feuer des Paraguaytrankes war auch erloschen, und bald sah er im einbrechenden Kleinmuthe seine Lage für gefährlicher an, als sie war. Selbst wenn die starken Thore nicht gehalten hätten, so würden die Paulisten, so ungezähmt sie waren, doch schwerlich den Gouverneur des Königs ermordet haben, da Jose Cabral am Leben war.
Ueberdies aber war er gar nicht unbeliebt unter ihnen, denn trotz seiner Heftigkeit und seines hochmüthigen Sinnes, war er doch ein Mann, der des goldenen Sprichwortes: Leben und leben lassen! immer eingedenk war und den gelegentlichen Zügen nach den Missionen, dem Sklavenraub und den Klagen der Jesuiten und Küstenbewohner, soviel er konnte, durch die Finger sah.
Nur in der letzten Zeit, seit seine Lebensgefährtin und Haushälterin, die dürre Schöne und Freundin der Ramalho's, immer mehr ihn beherrschte, war er den Pinheiro's gram geworden, die er als die alleinigen Urheber des Bösen zu betrachten begann, und endlich schien es ihm an der Zeit, ein zerschmetterndes Beispiel zu geben.
Die Hoffnung, daß die beleidigte Familie der Ramalho's mit ihm gemeinsam die Pinheiro's bekämpfen werde, war eine feste, diplomatische Voraussetzung, die sich jedoch sehr bald als falsch bewähren sollte, denn Gaspar und Gaston, die von neuem die Thore untersucht hatten, kamen mit der Nachricht zurück, daß auch diese mächtige Familie das Regierungshaus umzingeln helfe und daß man für den Augenblick alle Feindschaft abgethan habe, um das Recht der Bewohner St. Pauls aufrecht zu erhalten.
Als nun Gaspar erzählte, daß die Empörer beschlossen hätten, die festen Thore mit Balken und Steinen zu verpacken und die Eingesperrten so lange zu belagern, daß sie entweder verhungern oder herauskommen sollten, wo man sie aufhängen werde, sank der letzte Rest des Muthes bei Herreira.
»Verhungern!« rief er und blickte auf die Reste des Mahles. »Sagten sie das, die Bösewichter? Verhungern! Madra de Deos! mein frommer Vater Rafael, was meint Ihr, und Du, mein Neffe Gaston, soll ich hinuntergehen und – und – nun ja, soll ich ihnen sagen, daß Alles vergeben und vergessen sein soll?«
Die Bangigkeit des alten Mannes war jedoch nicht so groß, um die Scham ganz zu unterdrücken, die er bei diesem Vorschlage empfand. Es bedurfte weniger kräftiger Worte von Seiten Gaston's, um ihm zu beweisen, daß ein solcher Schritt ihn auf immer um jedes Ansehen bei einem Volke bringen müsse, wo der trotzige Muth und Verachtung der größten Gefahren so vieles galt. Vergebens waren jetzt die Thränen der geliebten Haushälterin, die Alles gethan haben würde, um den Sturm zu beschwören, und kaum vermochte ihre Betheuerung, daß gar keine Lebensmittel im Hause seien, einigen vorübergehenden Eindruck zu machen.
Als der Pater Rafael aufstand und Gaston's Rede Recht gab, indem er hinzufügte, daß man den Morgen ruhig abwarten müsse, wo er selbst mit den Belagerern reden und nöthigen Falls die Hülfe des Bischofs fordern würde, verwandelte sich die Kleinmüthigkeit des Gouverneurs schnell wieder in eine tapfere Unbesorgtheit, und nun erst umarmte er mit voller Herzlichkeit seinen Neffen und rief der Haushälterin zu, ihre Thränen zu trocknen, da er Weinen nicht leiden könne, weil es die hübschesten Gesichter entstellte.
Dann ließ er das Feuer unter der kleinen Maschine von neuem anblasen, holte aus einer kostbaren Dose drei Fingerspitzen voll der kleinen feinen Paraguayblätter, ließ den Trank kochen, befahl herbeizubringen, was an Lebensmitteln noch vorhanden sei und schwor, vor Morgen solle nun Niemand mehr von der fatalen Geschichte reden.
Während er den Trank bereitete und dann und wann den Deckel aufhob, um den aromatischen Duft einzusaugen, erzählte Gaston seine Lebensgeschichte, welche wir hier mit wenigen Worten zusammendrängen.
Seine Mutter, die Schwester Dom Silvio's, hatte einen von den französischen Edelleuten geheirathet, die mit König Sebastian nach Afrika zogen und in der Schlacht bei Alcassar fochten. Unter denen, die nach zahlreichen Abenteuern die Heimath wiedersahen, befand sich auch Gaston's Vater. Als Herzog Alba Portugal überzog, kämpfte er mit Tapferkeit bei Alcantara und floh nach der Niederlage mit seinem jungen Weibe nach dem Süden, wo Haufen von Patrioten in den Bergen von Monchique noch lange Widerstand leisteten und heimlich von den Großen unterstützt wurden. Als einer der Anführer ward er geächtet, bis er endlich seinen Frieden mit den Spaniern schloß und eine Hauptmannsstelle in einem flandrisch spanischen Regimente erhielt.
Dort in fremden Landen ward Gaston geboren und wuchs unter abwechselnden Kriegszügen, Lagern und Abenteuern auf, die dann und wann die Pflege der Mutter, ein kurzer Frieden und die Ruhe der Winterquartiere vergessen machte. Vierzehn Jahr alt, trat er in seines Vaters Regiment, und in mehren Hülfszügen der Spanier gegen die französischen Hugenotten erwarb er sich Ruhm. Schon führte er selbst eine Kompagnie, als sein Vater starb, und die Bitten seiner Mutter, welche mit großer Sehnsucht Portugal wieder zu sehen wünschte, wie eine innere Abneigung gegen die Spanier sowol, wie gegen die Verfolgungen und Grausamkeiten der Glaubenskriege, machten es ihm leicht, seinen kriegerischen Beruf aufzugeben.
Gaston gehörte zu den Tausenden, die mit warmem Gefühle, und einem durchdringenden Verstande begabt, der Kirchenverbesserung anhingen und das verrottete Pfaffen- und Mönchswesen des katholischen Christenthums damaliger Zeit herzlich verabscheuten, ohne jedoch den Fanatismus zu besitzen, sich, aller Hindernisse ungeachtet, offen dagegen zu erklären. Er liebte seine Mutter zärtlich, und diese war eine strenggläubige Dame, deren letzte Tage er unaussprechlich elend gemacht haben würde. Nach einem kurzen Aufenthalte in Lissabon starb sie und Gaston stand völlig verwaist da.
Er zählte sechsundzwanzig Jahre. Ein kleiner baarer Schatz, die Ersparnisse seiner Eltern, schützten ihn in der ersten Zeit vor Mangel, und jedenfalls würde es ihm leicht geworden sein, von neuem in Kriegsdienste zu treten. Aber sein Aufenthalt in Portugal hatte den Haß gegen die Spanier vermehrt, deren übermüthiges Joch Portugal belastete. Er war Zeuge der Erpressungen, Zeuge der Tyrannei und der vielen Hinrichtungen in Lissabon. Sein patriotisches und frei denkendes Herz zitterte vor Zorn und Schmerz, und die Klugheit' rieth ihm, so bald als möglich ein Land zu meiden, wo ein schwer zu unterdrückendes Wort oder eine unüberlegte Handlung ihn in den Kerker oder auf ein Blutgerüst führen konnte.
Mitten in seinen Grübeleien und Planen über das Wohin? fiel ihm der Bruder seiner Mutter ein, der seit vielen Jahren, nachdem er ein tapferer Kriegsmann gewesen, nach Brasilien gekommen war. Erkundigungen bei der Regierung bestätigten ihm, daß Silvio Herreira lebe und Gouverneur des Königs in St. Paul sei. Sein Entschluß war nun gefaßt; der Hang zu Abenteuern in der neuen Welt war noch in aller Menschen Brust, die des Glückes bedurften, eben so allgemein verbreitet, wie heutzutage die Auswanderungslust.
Amerika und seine Schätze lockten und betrogen damals, wie jetzt, nur mit dem Unterschiede, daß man in jener Zeit reich werden wollte durch abenteuerlich blutige Züge in gänzlich unbekannte Länder, wo das Schwert den Heiden Leben und Schätze rauben sollte, während die neuen Kreuzfahrer, mit der Sichel bewaffnet, einem heiligen Lande zueilen, das ohne Mühe den Anbau tausendfach lohnen soll. Und wie ehemals jeder träumte, in Brasilien Gold und Diamanten wie Feldsteine aufzulesen und keine Klagen und kein Elend der Wiederkehrenden die Irrthümer zerstreuen konnte, so sehen wir auch jetzt noch alle Warnungen verhallen, denn es ist Bestimmung Amerikas, ein neues Völkerleben aus einer fortgesetzten Völkerwanderung hervorgehen zu lassen. Nicht umsonst heißt es die neue Welt!
Gaston schiffte sich auf der heiligen Dreieinigkeit ein und hatte nach einer glücklichen Ueberfahrt alle die Abenteuer gehabt, die ihn endlich in seines Oheims Haus begleiteten.
Dom Herreira hatte seine Erzählungen oft durch Fragen und Ausrufungen unterbrochen, endlich aber fiel er seinem Neffen um den Hals, pries seinen Entschluß, den alten Oheim aufzusuchen und schwor bei allen Heiligen, ein solcher junger tapferer Arm und verständiger Rath habe ihm immer gefehlt. Nun sei er glücklich, einen Sohn und Enkel gefunden zu haben und kümmere sich weder um die Pinheiro's noch Ramalho's, mit denen er morgen schon fertig werden würde.
Der gute Pater Rafael reichte auch seinem jungen Freunde mit herzlicher Liebe die Hand und drückte seine Ueberzeugung aus, daß Se. Excellenz eine wahre Stütze an einem so tüchtigen, einsichtsvollen Verwandten erhalten habe. Gaspar, der Blendling, zeigte seine großen Zähne mit einem stolzen Beifallslächeln, und die einzige heimlich Ergrimmte war die Haushälterin, obwol sie gezwungen den Neffen ihres Herrn willkommen heißen mußte. Sie that es, wie ein Kettenhund, der, den Befehlen seines Herrn folgsam, sich streicheln läßt, aber doch recht vernehmlich knurrt, und zog sich dann in einen Winkel zurück, wo sie scheinbar schlafend, den Gesprächen zuhörte, und auf Rache und Verderben sann.
Unter Gesprächen und im Genuß des süßen Paraguaygetränkes verging die Nacht schneller, als man glaubte. Dann und wann waren die beiden rüstigsten Vertheidiger des Hauses hinausgeschritten und hatten sich die Vorhaben ihrer Feinde betrachtet, welche mehre Stunden lang in voller Arbeit gewesen waren, die Thore von Außen zu verrammeln. Jetzt hatten sie Posten ausgestellt und allem Anscheine nach sollten die Feindseligkeiten am nächsten Tage sich wiederholen, bis die Demüthigung des Gouverneurs vollendet sei.
»Man hat mir oft vorgeworfen;« sagte der Gouverneur, »daß ich den Raubzügen dieser Banden und ihren Kriegen gegen die Indianerstämme keinen größern Widerstand leistete, aber gelobt sei die Jungfrau! daß jährlich wenigstens eine kleine Zahl dieser Schelme in der Wüste und unter Messern und Pfeilen endet, daß ihre Gier nach Gold und Sklaven und fremdem Gut sie in die Weite und in den Tod treibt, denn blieben sie alle hier, so wäre es unmöglich, irgend eine Ordnung zu erhalten.«
»Und warum,« sagte Gaston, »veranstaltet man es nicht, daß alle die unruhigen Köpfe einmal auf Abenteuer ausziehen? Zwei Familien stören hier den Frieden, benutzt doch ihre Liebe zu Abenteuern, schickt sie in die Wüste hinaus und überlaßt es dem Himmel, ob er Euch nicht mit einem Schlage von ihnen befreit oder doch die Meisten nicht wieder heimkehren läßt.«
Herreira war ganz entzückt von diesem klugen Rathe.
»Mutter Gottes!« rief er, »wie Recht hat dieser junge Mensch. Wenn das möglich wäre, wenn man sie austreiben könnte, dann erst würde das Land dem Könige gehören und Leben und Eigenthum sicher sein.«
Der Pater Rafael dachte lange nach, dann sagte er:
»Es ließe sich wol thun, wenn man klug und geschickt mit den beiden alten Häuptern der Familie unterhandelte. Wenn man des Einen Ehrgeiz durch den des Andern anspornte und ihnen die Sage von den ungeheuren Schätzen in das Gedächtniß riefe, welche jenseit des Paraguay verborgen sein sollen.«
»Und dieser Aufruhr gegen meinen würdigen Oheim,« fügte Gaston hinzu, »läßt sich vortrefflich benutzen, um die Verhandlungen einzuleiten, was von Seiten der Kirche geschehen muß.«
»Wer hätte größeres Ansehen bei diesen Bösewichtern, als unser tugendhafter Freund Rafael,« sagte der Gouverneur. »Ihr, ehrwürdiger Vater, habt schon so oft hier den Streit vermittelt. Der Gefährte und Freund des frommen Anchieta ist vom Himmel dazu berufen, in Euren Händen allein kann ein so gutes Werk gelingen.«
»Allmächtiger Gott,« sagte der Mönch, »ist es denn auch ein frommes und gutes Werk, viele deiner Wesen zu bethören, sich in den grausamen Tod zu stürzen?! Und doch sind diese Menschen die Saat des Unglücks in diesem Lande des Friedens. Wir wollen es bedenken und ich will mit dem heiligen Bischof darüber reden,« fuhr er fort; »jetzt, wo der Morgen anbricht, laßt uns erst sehen, ob meine Stimme die Kraft hat, den Frieden zu vermitteln und Se. Excellenz vor Gefahr zu behüten.«
Der brasilianische Mönch Fray Gaspar de Madra de Deos erzählt in seinen Memoires der Geschichte St. Pauls, daß die Belagerung des Gouverneurs in seinem Hause mehre Tage gewährt habe und daß dieser verhungert sein würde, wenn nicht ein Freund auf geheimnisvolle Weise ihn mit Körben voll Früchten und Lebensmitteln versorgt hätte. Ob dieser Freund nun eine alte treue Sklavin gewesen sei, wie ein anderer Schriftsteller sagt, oder ob es der dankbare Jose Cabral war, wie wir annehmen, mag unerörtert bleiben. Wir wollen eben so wenig die weitläufigen Unterhandlungen der Familienhäupter mit dem Bischofe verfolgen, die Androhung der Excommunication, die Widerlegung der Forderungen der Paulisten, der Gouverneur solle Abbitte leisten und schwören, sich nie mehr in die Streite der Bewohner zu mischen; endlich die Vorstellungen und Reden des guten Mönches, Rafael Macedo, der nach und nach eine Versöhnung bewirkte, deren Grundlage völlige Vergebung und Vergessenheit des Geschehenen war; wir wenden uns vielmehr dem feierlichen Tage zu, wo die Bevölkerung St. Pauls in der Kirche des Heiligen Paulus, ihres Schutzpatrones, sich vereint hat, um den letzten Bestrebungen des Paters und des Bischofs beizuwohnen, welche die beiden alten Häupter der streitenden Familien zu einem großen Entdeckungszuge bewegen wollten.
Selten mag in diesen Landen eine merkwürdigere Versammlung statt gefunden haben. Es war ein Reichstag, auf welchem sich stolze Feinde begegnen, deren blutdurstiger Zorn nur durch die Gegenwart der Diener Gottes, durch Friedensschwüre und die Heiligkeit des Ortes unterdrückt wird. Am Hochaltare, der mit goldenen Geräthen und einem von Diamanten strahlenden Bilde der Gottesmutter geschmückt war, hatte sich der Bischof niedergelassen, und neben ihm saß der Gouverneur, zur Seite stand dessen Neffe mit einigen Beamten und Dienern, und auf der andern Seite ein Chor von Mönchen; auf den Stufen des Altars aber der greise Rafael, der mit aller göttlichen Begeisterung seiner Aufgabe zu den beiden Parteien redete.
Man sagt von zwei feindlichen Brüdern, deren Leichen, als sie in einem Grabe ruheten, die Gruft sprengten und auf die Erde zurückkehrten, und diese gräßliche Geschichte hätte wol bei denen Glauben erhalten können, die den Haß der Paulisten sahen. Geschieden durch die Grabsteine in dem Hauptgange der Kirche, und als läge der Tod selbst mit scharfem Schwerte zwischen ihnen, standen sie sich gegenüber, feurigen Blickes, voll Hohn, voll Racheglut und Lust zum Morde, voll unversöhnlichen Grimmes, der alle Leidenschaften anregte.
Die beiden Häupter der Familie sah man an der Spitze. Es waren Greise, nahe dem Grabe, aber mit ungeschwächter Kraft die Gefühle nährend, welche ihr ganzes Leben durchglüht hatten. Miguel Pinheiro war groß und wohlgestaltet. Sein Gesicht war ein halb indisches, lang und ausgedörrt. Glänzend weißes Haar und ein langer greiser Bart gaben ihm ein ehrfurchtgebietendes Aeußeres, aber eine Adlernase und feurige Augen verliehen ihm jugendliche Kühnheit und Ausdruck, und bezeugten gleichsam, was seine Anhänger ihm nachrühmten, daß dieser Greis tausend Gefahren getrotzt, seine Jugend auf Kriegszügen verlebt und einer der gefürchtetsten Anführer gewesen sei.
Joao Ramalho schien dagegen klein und von unvortheilhafter Bildung. Seine Gestalt war plump und fett, sein Scheitel kahl, feine Gesichtszüge unangenehm, aber seine Augen, düster und mit einem erstarrenden Blick begabt, sprachen von der zähen Stärke seines Charakters und dem unerschütterlichen Muthe und Hasse, der sein langes Leben begleitete. Auch er hatte in Abenteuern und kühnen Thaten seine Jugend verstreichen sehen, auch von ihm erzählte man wunderbare Züge, die er bis an den Amazonenstrom ausgedehnt haben soll. Er gab seinem Nebenbuhler in Nichts nach, weder in Ruhm noch in Reichthümern, noch in häuslichem Glück und Lebensgütern.
Beide hatten indische Frauen, die Töchter großer Häuptlinge geheirathet und waren Väter starker und schöner Kinder, beide besaßen Schätze an Gold, an Diamanten und Sklaven und großen Landbesitz. Dieser Reichthum sprach sich auch hier in Schmuck und Pracht ihrer Kleider aus. Agraffen von großen Diamanten zierten ihre aufgeschlagenen spanischen Hüte, die mit Straußfedern besteckt waren. Ihre kurzen Mäntel wurden von schweren Goldschlössern gehalten, selbst die Schwerter und Dolche, die sie, allen Abmahnungen trotzend, auch an den Altar mitgebracht hatten, waren mit Edelsteinen besetzt, die, nicht minder reich, auch die Kleider und Waffen ihres Gefolges zierten.
Welche Auswahl von kräftigen und kühnen Gestalten sah man hier! Jugend und Körperschöne zierten auf beiden Seiten die meisten der Männer und Jünglinge, aber doch strahlte Jose Cabral auch hier unter allen hervor, und wie er, am herrlichsten geschmückt, groß und gewaltig, die Menge überragte, so war er auch der Gegenstand aller Blicke, die in Liebe und Haß auf ihn gerichtet waren. Er hielt seinen Hut mit den schwankenden Federn in der Hand, und nun floß sein glänzend schwarzes Haar in natürlichen Schleifen und Ringen auf den gestickten Kragen seines Festkleides.
Für seine Feinde und Freunde aber hatte er fast keinen Blick; seine Augen suchten in der Tiefe der Kirche, wo viele andere Personen, und namentlich die Frauen und Töchter der großen Familien, in ängstlicher Spannung sich auch feindlich entgegenstanden und den Ausgang erwarteten. Als er die gefunden hatte, die er die Seele seines Lebens nannte, begegneten sich ihre Blicke. Er empfand es, daß er noch geliebt wurde, und das Feuer glühte stärker in ihm und machte sein Herz fromm und weich.
Mit ungeduldiger Begier zum Frieden blickte er auf die Schaar der Ramalho's und dann zürnend auf die beiden harten Greise, welche zu allen Vorschlägen Rafael's und des Gouverneurs Einwände zu machen hatten. Bald ward von Beiden behauptet, der Gouverneur wolle nur, daß die kräftigste Jugend sich entferne, um dann mit Hülfe der in St. Vincent gebildeten Soldaten die Freiheit der Stadt zu unterdrücken und die Rechte der Bewohner zu schmälern; bald verlangte das Mißtrauen der Ramalho's einen Schutz gegen die Falschheit ihrer Feinde, die zurückkehren würden, wenn sie ihre Gegner weit in der Wüste wußten, um ungestraft Raub und Mord zu üben, und dann erhob sich der alte Pinheiro und gab diese verrätherische Beschuldigung ganz ebenso den Ramalho's zurück. Nun wurden Vorwürfe um Vorwürfe, Beleidigung um Beleidigung gewechselt, und wenig fehlte, daß im Gotteshause selbst Blut floß, denn die Dolche waren gezückt und die Friedenseide vergessen.
Nur Macedo's Entschlossenheit, der das Kreuz vom Altare ergriff und mitten unter die Ergrimmten eilte, denen er es entgegenhielt, brachte Ueberlegung in diese heißen Herzen. Der Bischof selbst erhob sich und schickte sich zürnend an, die Kirche zu verlassen.
»Unwürdige Söhne einer liebenden Mutter,« rief er ihnen zu: »so geht denn hin und verderbt in Sünden und Laster! Die heilige Religion soll keinen Trost mehr für Euch haben; fortan soll jede Gemeinschaft aufgehoben sein zwischen Euch und dem Himmel. Mit dem siebenundsiebzigfachen Fluche will ich Euch belegen und alle Strafen und Plagen mögen Euch verzehren, die Gott für den Verfluchten bestimmt hat.«
Der Chor der Mönche streckte die Hände aus und rief das siebenfache Wehe! mit dumpfer Stimme dem Bischofe nach.
Die Scham über ihr Vergehen und ihre Schwäche, der geheime Schauer vor dem Richtschwerte eines zürnenden Gottes, die Furcht vor dem Bannstrahle seiner Priester, welche damals noch die ganze Herrlichkeit ihrer bindenden und lösenden Macht behaupteten, vereinten sich zu einer entscheidenden Umwandlung. Die Paulisten senkten die Waffen und verbargen sie, sie neigten die Häupter und die Augen; als sie wieder aufblickten, lag die Versöhnung darin. Jose Cabral, der mildgesinnt war durch seine Liebe, trat zuerst hervor.
»Mein Oheim!« rief er, »o! weigert Euch nicht länger, den Vorstellungen dieser frommen und weisen Männer Folge zu leisten. Sie reden im Namen Gottes, es soll geschehen und zur Ehre des Himmels wollen wir den Zug antreten. Ich selbst nenne meinen Namen zuerst, gebt Eure Einwilligung, Oheim, und meine Vettern und Freunde werden mir folgen.«
Das war der Funke, dessen es nur bedurft hatte, um von allen Seiten eine gleich feurige Begeisterung zu erwecken. Die Liebe nach Abenteuern, der romantische Muth der Paulisten, der Durst nach Gold und Schätzen, nach Kämpfen, und um schöne Indianerinnen, um Sklaven und köstliche Beute, regte plötzlich jede Brust auf, hundert Pinheiro's schrieen mit einer Stimme, daß sie bereit seien, dem Rufe zu folgen und drüben antworteten die Ramalho's mit gleicher Begeisterung, denn ihr Ehrgeiz war entzündet, und wie hätten sie zurückbleiben wollen, wenn die Pinheiro's nach Beute zogen?!
Wenn früher das Mißtrauen jeden Fortschritt hinderte, so kamen sich jetzt dagegen mit einem Male die Wünsche und Anerbietungen großmüthig entgegen. Jedes Herz war plötzlich aufgetaucht, in einem menschlich schönen Liebesstrom von Großmuth und Vertrauen den Feind zu übertreffen. Wie leicht war es nun dem Pater Macedo, die Vorschläge zu ordnen. Die beiden Alten traten an den Altar und schworen, beim Blute des Erlösers, für sich und im Namen der Ihrigen, jede Feindseligkeit einzustellen, bis die beiden Kriegshaufen aus der Wüste zurückgekehrt seien. Dann beschwor man auch, daß diese Expeditionen selbst jede Feindschaft und jedes Zusammentreffen in der Wüste vermeiden sollten, und bestimmte deshalb, daß die Einen nach Westen, die Andern nach Norden ziehen. Jede Partei verpflichtete sich dann noch, bei Strafe der Excommunikation, die Missionen der frommen Väter Jesu und deren Schüler nicht zu beunruhigen. Endlich schwor auch der Gouverneur, nichts gegen die Stadt und deren Freiheiten zu unternehmen, und zuletzt betheuerte der Bischof selbst, daß er über alles wachen und mit Hülfe Gottes Alle schützen werde.
Als nun diese wichtige Verhandlung abgethan war und der Pater Rafael auf seinen Knien Gott pries, mit dessen Hülfe nun das Werk gelungen sei, als Joao Ramalho die Hand des Miguel Pinheiro hielt und beide sich anschauten, indem sie den Haß ihres ganzen Lebens in einem gewaltsamen Lächeln zu zerschmelzen suchten, als viele der Ersten aus beiden Familien sich Glück wünschten und Worte der Freundschaft und der bessern Zukunft wechselten, als endlich die Frauen und Töchter auch unter Thränen der Freude in die Mitte der buntgemischten Schaaren eilten und die guten Empfindungen zu befestigen strebten, da war es Jose Cabral nicht mehr möglich zu verschweigen, was ja auch der größte Theil der Versammelten wußte oder doch ahnte.
Er trat zu dem alten Ramalho hin, noch ehe sich dieser von seinem Oheim trennen konnte und ergriff die Hand der Dolores, die ihm mit leisem Zittern folgte:
»Herr,« sagte er, als sich auf ihres Vaters Stirn eine schlimme Falte zusammenzog, »blickt gütig auf mich. Was auch geschehen sein mag, laßt es begraben sein und den Baum der Freude wachsen. Ihr wißt es, daß ich Gold besitze, Ihr wißt auch, daß ich Dolores liebe, daß diese Liebe noch vor Kurzem Tibertius Haß erregte, aber Ihr wißt nicht, was ich gelitten habe durch Euren Zorn. Seit einem Jahre, Herr, bin ich nur ein halber Pinheiro; mein Herz ist getheilt, es schlägt für die Ramalho's, ich möchte Euch lieben und verehren, Euch Vater nennen und Eure Freude die meine sein lassen.«
»Warst Du es nicht, der meinen Neffen erstach?« rief Joao mit Bitterkeit.
»Ich that es, weil ich mußte,« sagte Jose, »aber das Messer, Herr, ging auch durch mein Herz. Laßt die Vergangenheit schlafen, Joao Ramalho, wir können die Schatten nicht zurückrufen, das abgefallene Blatt grünt niemals wieder. Aber der Baum des Lebens blüht von neuem in der Sonne der Liebe und treibt tausend junge grüne Blätter.«
»Und Du, Dolores,« fragte der Alte mit dem finstersten Ernst. »Sagt Jose Cabral die Wahrheit? Haben Eure Herzen so viel aus dem Quell der Vergessenheit getrunken, daß die Macht des Lebens sie nicht mehr berührt?«
Dolores warf einen langen innigen Blick auf ihren Geliebten. Ihre großen schwermüthig brennenden Augen hatten, während Jose sprach, bald ihn, bald den Vater, bald den großen Kreis der Zuschauer betrachtet. Ihre zarte Gestalt wiegte sich auf den kleinen Füßen, als erwarte sie ungeduldig eine Entscheidung. Der weiße Schleier, der ihre schön geflochtenen Haare bedeckte, fiel auf die Schulter nieder, als sie die kurze Mantilla zurückschlug, um Jose auch die andere Hand zu reichen, und so blickte sie ihren zürnenden Vater mit Entschlossenheit an, und sprach mit ihrer sanft klingenden Stimme:
»So gewiß die Sonne am Himmel steht und die Sterne, so gewiß habe ich mit Jose Cabral einen Bund geschlossen, der keinen Haß kennt.«
»Und soll denn dieser Streit, der so viel Blut vergossen, niemals aufhören?« rief Jose. »Soll denn die versöhnende Liebe nicht die Häuser wieder bauen, die der Haß zerstörte? Joao Ramalho, der Tag ist gekommen, wo die tödtende Hand segnen darf. O! pflanzet Liebe und Ihr werdet Glück erndten. Ich bin ein Pinheiro, gebt mir meine Dolores und die Ramalho's werden meinem Beispiele folgen. Die Töchter der Pinheiro's werden an dem Heerde Eurer Freunde sitzen, der Schatten der Liebe wird an Eurer Thür wachsen und der Becher des Elends keine Lippen finden.«
Er streckte fast flehend die Hände nach dem alten Joao aus, der kalt mit den starrdurchbohrenden Augen ihn anschaute.
»Jose Cabral,« sagte er dann, »nicht so leicht ist es, die That über Worte zu vergessen. Zeit will Zeit haben, und was der Zorn der Menschen in vielen Jahren baute, kann durch einen Tag der Liebe nicht wieder verschwinden. Die Pinheiro's und Ramalho's sind zwei Ströme, die wider einander kämpfen, und wo ist das Bett, in welchem sie gemeinsam weiter fließen sollen? Nicht Worte sprecht, sondern werbt durch neue Thaten um Dolores Hand. Löscht den Haß aus, der Blut fodert, des Blutes wegen, das Ihr vergossen habt, und macht ihn zu Liebe, durch Großes, das Ihr vollbringt. So blüht die Blume der Versöhnung.«
»Was fodert Ihr von mir?« rief Jose bestürzt. »Laßt mich Alles hören.«
Das Auge des alten Ramalho glühte einen Augenblick feuriger, ehe es in die erstarrte Ruhe sank und mit fast tonloser Stimme sagte er:
»Es ist von den Tapujas und andern Inderstämmen oft erzählt worden, daß weit in der Wüste im Schooße jener hohen Gebirgsketten, hinter denen ein unermeßliches unbekanntes Meer liegt, große gediegene Goldadern zu finden sind. Dort, so sagen sie, liegen die ungeheuern Schätze bis zur Oberfläche aufgeschossen vor den erstaunten Menschenaugen, Goldbänke und Klippen, die aus den rothen Thonlagern hervorbrechen, Edelsteine, die funkelnd, wie helle Sonnen, in den Felsenquellen sitzen. Es ist nur zu gewiß, daß einige dieser feigen Sklaven jene wunderbaren Thäler und ihre Minen entdeckt haben, denn haben wir nicht Platten des reinsten Goldes bei ihnen gesehen, die viele Pfunde wogen, und haben wir je selbst diese köstlichen Stufen auffinden können? Zieh hinaus in die Wüste, Jose Cabral, und findest Du diese unerschöpflichen Lager, dann kehre zurück und Dolores Lippen sollen Dich empfangen. Dann soll die Axt des Blutes auf ewig zwischen den Pinheiro's und uns vergraben sein und der Baum der Liebe zum Himmel aufwachsen.«
Einen Augenblick stand Jose Cabral zwischen Zorn und Schmerzen ringend da. Was der harte tückische Ramalho ihm ansann, war selbst für das unerschütterliche Herz eines Paulisten zu viel. Die Gebirge, auf welche er deutete, der große Stamm der Anden, der Peru, Chili und das stille Meer von der ungeheuren Masse des Festlandes diesseits, bis zum atlantischen Ozean, trennt, waren eine bloße Sage damals, denn Niemand kannte ihre Ausdehnung, Niemand wußte von ihnen mehr, als was die seltsamsten Ausgeburten der Phantasie von Schätzen, Riesen, Drachen, Höhlen und Wundern erzählte. Die Schwärme nackter Reiter, die, dann und wann, aus dem Innern des unbekannten Landes hervorbrachen und zuweilen selbst bis in die ungeheuren Wiesenstriche und Wildnisse des Parana schwärmten, waren die einzige unsichere Kunde einer Bevölkerung, deren Spuren Raub, Mord und Flammen bezeichneten, und wo war ein Weg mitten durch eine Wüste voll undurchdringlicher Wälder, Ströme, Felsengebirge und feindlicher Stämme zu suchen, der in der gradesten Richtung mindestens so viel betrug, als wolle ein Bewohner Portugals quer durch Europa nach Sibirien reisen.
In der nächsten Minute aber fühlte er sich von der ganzen Kraft der Liebe beseelt, deren Begeisterung aus seinen Augen strahlte. Was lag ihm an Leben und Heimkehr, wenn er Dolores missen sollte, und nun hob er seine Hand empor, während er mit der andern die Geliebte festhielt, und schwor einen heiligen Eid, entweder das Land des Goldes zu entdecken oder nie zurückzukehren.
Was Cabral schwor, schworen freudig die Pinheiro's nach, denn wer hätte nicht mit inbrünstigem Verlangen sich nach den unerschöpflichen Goldquellen gesehnt und freudig den furchtbaren Gefahren Trotz geboten, um das Ziel aller Wünsche zu entdecken.
»Ich nehme Deinen Schwur an,« sagte Joao Ramalho mit derselben stolzen Ruhe, »und bei der heiligen Gottesmutter! schwöre auch ich, meine Zusage zu erfüllen.«
Alle die Anwesenden hörten, was geschah, mit großer Stille und größtentheils mit derselben Zufriedenheit an. Der Gouverneur und der Bischof freuten sich heimlich, wahrscheinlich nun doch den größten Theil der Abenteurer nicht wieder zu sehen, die beiden Parteien sahen nur die Schätze und die Thaten, welche ihnen winkten; der alte Mönch warf einen traurigen Blick auf den jungen Cabral, den er liebte, und auf Dolores, die tief bewegt am Altare niedergesunken war und die Hände gefaltet, die Augen andachtheiß auf das Muttergottesbild gerichtet hatte. Nach und nach schien der Glaube alle Zweifel zu besiegen. Ihr schönes Gesicht verklärte sich, die Thräne stockte, ein himmlisches Lächeln der Hoffnung öffnete die dunkeln Thore der Zukunft weiter, und nun erhob sie sich mit einer Geisteskraft, die aus den edlen stolzen Zügen ihres Gesichtes leuchtete. Ihre kleine Gestalt schien sich zu vergrößern und noch einmal reichte sie dem Manne ihrer Liebe die Hand.
»Jose Cabral,« sagte sie, »Du hast recht gethan, Deinen Schwur zu leisten. Du willst mich erwerben und vergebens legt man dem edlen Panther Schlingen. Ich habe zu der gnadenreichen Jungfrau gebetet und eine Stimme sprach zu mir: Du wirst ihn wiedersehen! O! Gottesmutter, Du wirst ihn schützen. Gottes Segen über Dich, Jose, und mein Segen, der Segen der Liebe und Treue; denn höre mich an: Wenn Du stirbst, so will ich auch sterben, und mein Herz soll Dir gehören, so lange mich die Heiligen beschützen und ich beten kann.«
Alle hörten still zu, als Dolores aber schwieg und Jose zu ihren Füßen sank und ihre Fingerspitzen küßte, führte der alte Ramalho sie fort und zu ihrer Mutter, die mit ihr die Kirche verließ. Nun wurden die Männer gezählt, die von beiden Theilen mitziehen sollten. Von den Pinheiro's waren es sechsundachtzig Jünglinge, die Ramalho's stellten neunundsiebzig, die unter einem Sohne des alten Familienhauptes, unter Pedro Ramalho's Führung ausziehen sollten.
Eine große Messe und die Austheilung des Abendmahles beschloß die kirchliche Feier, dann kehrten Alle in ihre Häuser zurück, und nun ging es an ein Rüsten und an ein Schaffen, das eine ganze Woche lang währte, bis endlich der Morgen anbrach, wo St. Paul seine tapfersten Söhne in ein ungewisses Loos hinausstieß.
Von dem Lande herein waren auch viele Menschen gekommen, die dem großen Zuge beiwohnten, der vom Bischofe geweiht wurde und den Segen empfing. Glückwünsche und Thränen mischten sich, die zitternden Abschiedsworte manches trauernden Herzens wurden von rauhen lachenden Stimmen unterbrochen, welche nichts von sanften Gefühlen kannten oder kennen wollten. Dann zogen die Ramalho's langsam, unter dem Gesange der Priester, hinaus, dem Ufer der Tiete zu, wo eine Menge Canoes sie erwartete. Sie sollten der Verabredung nach diesen Fluß hinunterschiffen, bis er in den Parana sich ergießt. Von dort aus begannen unbekannte Wüsten, und diese zu durchforschen, dort das rothe Gold zu suchen, war ihnen vorbehalten.
In dem Augenblicke, wo sie sich in Bewegung setzten, traten auch die Pinheiro's ihren Zug an, der zahlreicher und glänzender war, weil er den Weg zu Lande nahm. Maulthiere und Rosse trugen die wohlbewaffneten Reiter, zahlreiche Sklaven und Saumthiere vermehrten ihre Menge, und da die Pinheiro's überhaupt den größern Anhang in der Stadt hatten, so sah man Viele, die sie begleiteten.
An dem Ausgange der Stadt, nicht fern von des alten Ramalho's Hause, schieden sich die beiden Züge und die Ramalho's standen einen Augenblick, um ihre Nebenbuhler den Weg nach Norden hinunterziehen zu sehen, in dessen Ferne sich blaue gewaltige Felsengebirge erhoben. Heutzutage bilden diese Gegenden die Provinz Minas, damals war es ein völlig unbekanntes Land, wo mancher Abenteurer schon das Ende seiner verwegenen Irrfahrten gefunden hatte, und die Ramalho's mochten wol heimlich hoffen, daß es ihren Feinden nicht besser gehen würde.
An der Spitze des feindlichen Zuges befand sich Jose Cabral, von allen seinen Verwandten umgeben. Er war der Führer seiner Schaar, die an dem jungen Helden mit der größten Hingebung hing und in ihren jubelnden Abschiedsgrüßen der frohen, reichen Heimkehr gewiß war.
Plötzlich hielt Jose sein schön geschmücktes Maulthier an und sah zu den Ramalho's hinüber. Eine jugendliche Gestalt flog daher auf einem weißen Rosse, es war ein Weib, es war Dolores. Als sie ihm nahe war, sprang sie schnell von ihrem Thiere und umarmte den Scheidenden mit der glühenden Liebe einer Creolin. Jose sank zu ihren Füßen und küßte ihre Hände und ihre Kleider. Keines von beiden sprach ein Wort des Abschiedes, keine Thräne floß, keine Klage wurde laut; als wäre Alles für diese lebte theure Minute zu wenig oder zu viel. Einen Augenblick lang zuckte ein ungeheurer Schmerz durch Jose's Züge und dann erstarb er in dem Lächeln seiner Geliebten, die nach dem reinen, sonnenvollen Himmel deutete, den Namen der heiligen Jungfrau murmelte und ihren Schutz anflehte.
Einen Augenblick noch und mehre Männer, die Söhne Joao's Ramalho's, eilten herbei, um die Entflohene unter Vorwürfen zurückzuführen.
»Lebe wohl, mein Jose,« rief Dolores, »ich werde Dich erwarten. Weise Frauen sagten mir, es werde so geschehen, Du werdest finden was Du suchst, und dann, Jose Cabral, o! dann – mein Vater hat es geschworen, und er hält, was er sagt.«
Jose flüsterte einige leise Worte, die eine letzte Anbetung der Schönheit seiner Geliebten und ein Wiederball aller seiner Schwüre waren. Dann wandte er das Gesicht ab, langsam ließ er ihre Hände los und plötzlich mit einem Sprunge saß er im Sattel und jagte dem Zuge seiner Brüder nach, die schon den Bergrücken hinaufstiegen, an welchen sich St. Paul lehnt.
Als die Brüder kamen, starrte Dolores noch immer dem wilden Reiter nach. Geduldig hörte sie die rauhen Vorwürfe und den Spott ihrer Verwandten, und von dem Tage an war ihr Sein ganz verändert. Sie war ein heftiges, rasches Mädchen gewesen, hochgeartet voll übermüthiger Keckheit; nun war sie plötzlich ernst und schweigsam geworden, voll milder Verständigkeit, Fleiß und stiller Sitte.
Gaston hatte bald Alles kennen gelernt, was St. Paul an Reiz des Aufenthaltes, wie an Ungemach bot. Anfangs gefiel ihm das Leben ganz wohl in der freundlichen Stadt, wo die Häuser von gepreßter Erde und Steinen mit dem glänzend weißen Kalküberzuge, selbst auch mit künstlichen Thonarbeiten geziert, mit ihren grünen Jalousien und feinen Mattendecken grade, schöne Linien bildeten. Reinlichkeit und Ordnung, so selten in Brasilien, zeichneten die Paulisten eben so sehr aus, wie ihre abenteuerliche Goldsucht und Tapferkeit. Ueberall waren die Hausfrauen thätig, mit Sklaven und Gesinde den Feld- und Gartenbau zu betreiben, zu weben und zu schaffen, und kein Müßiggang wurde geduldet.
Nur der freie Mann hatte das Vorrecht, in den Wäldern umherzuschweifen, wenn die Jagdlust ihn ankam, oder er führte seine Sklaven und Knechte zum Fischfang an den Tiete, wenn in den Goldwäschereien nichts zu thun war. Andere lange Züge von Sklaven wanderten aber täglich in die Gebirge von Jaragua, wo der Sand goldhaltig war, und dort verrichteten sie die beschwerliche Arbeit, während der Herr mit der Peitsche in der Hand daneben stand, oder sie schleppten auf ihren Schultern den goldhaltigen Glimmerstein herbei, mit welchem die Straßen der Stadt gepflastert waren, die so schön glänzend, zierlich und prachtvoll aussahen.
Gaston fand es nach den Begriffen seiner Zeit so unrecht nicht, daß der geduldige, dumme, träge Neger, aus Afrika herbeigeschleppt, des weißen Mannes Sklave sei; aber der schwarze Knecht war theuer, darum eben ritten die Paulisten auf wohlfeileren Menschenraub in die weiten Ebenen jenseits der Montequeirakette und schleppten die braunen, schönen, schwermüthigen Inder herbei, die nach weniger Zeit in Sehnsucht aufgezehrt hinwelkten und starben, weil sie immer und immer wieder nach den Palmenwäldern und den Bergen ihrer Heimath sahen.
Damals schon rührte das traurige Schicksal dieser sanften, höher organisirten Race die Herzen vieler Weißen und die Könige von Spanien und Portugal hatten längst strenge Befehle gegeben, keinen Indianer zum Sklaven zu machen, woran freilich die Paulisten, wie viele andere Städte der Colonie, sich Jahrhunderte lang wenig kehrten. Aber man hielt sie besser als Haussklaven und beschäftigte sie leichter, obwol man sie bei ihrem Hange zur Freiheit auch schärfer bewachte und mit Grausamkeit bestrafte.
Nach dem Auszuge der beiden Paulistenschaaren war es friedlicher in der Stadt geworden, als je vorher. Die unruhigen Köpfe beider Parteien waren nun entfernt, die Uebrigen band der Eid ihrer Stammhäupter, und die Ehrfurcht vor diesen siegte selbst über die gesetzloseste Wildheit.
Als Neffe des Gouverneurs bildete Gaston auch eine Mittelsperson, die Manches beitragen konnte, das gute Vernehmen zu erhalten. Jung und von einnehmenden Sitten, mit körperkräftiger Schönheit, mit Unerschrockenheit, die er gelegentlich auf der Jagd geltend machte, und andern ritterlichen Eigenschaften ausgerüstet, war er ein willkommener Gast in allen Familien. Er tanzte mit den schönen Frauen und Töchtern der Paulisten, war freundlich gegen die armen Sklaven, die er oft beschützte und die ihn liebten; er konnte die Zither schlagen, mit Dolch und Schwert zu fechten, konnten sich Wenige mit ihm vergleichen, und wie er der Jugend zu Lust und Spiel willkommen war, so war er es auch den Aelteren, denen er von Europa Vieles zu erzählen wußte und deren Abenteuern er dagegen, als ein wißbegieriger Zuhörer, lange Stunden widmete. Und welchen Reiz für eine junge, in Lust zu romantischen Thaten und Schicksalen glühende Einbildungskraft mußten die Erzählungen dieser Männer haben, deren langes Leben nichts war, als eine Kette wunderbarer merkwürdiger Begebenheiten.
Drachen und Riesen, Aberglauben und Fabel mischten sich mit Wahrheiten, die eben so unglaublich schienen. Gold, Schätze, schöne Weiber, entsetzliche Schrecken und Gefahren, die Ungeheuer der Wüste, die Gewalt und Größe der unbeherrschten Natur und ihre geheimnißvollen Kräfte – Alles bildete lange, anstaunungswürdige Geschichten, die den Zuhörer mit Grauen und Bewunderung erfüllten. Die nie erforschten in den Himmel steigenden Gebirge der Anden, die Schlünde und Klüfte, die zauberhaften Grotten der Hecas, die ungeheuren sagenvollen Ströme, alle Wunder dieses größten Schöpfungstages thaten sich vor Gaston auf, wenn die alten Paulisten erzählten, was sie sahen und erfuhren.
Da vernahm er von dem grimmen Reitervolke der Abyponen, die aus unbekannten Bergen auf sattel- und zaumlosen Pferden sprengen, um Menschen zu morden und zu fangen, von denen noch niemals einer wiederkehrte; er hörte von dem menschenfressenden Tupis, von den Aymores, deren Sprache nur aus Gurgellauten bestand; von dem seltsamen Volke der Plattköpfe am größten Strome, dem Orinoco; von behaarten Negerstämmen, die in den fernsten Gebirgen wohnen und große Städte bauen; von dem kunstvollen Töpfervolke, die Curucicaris; von dem Volke der Steinmetzen, die Zirinas; und von den wunderbaren Amazonen, jenen grausamen Weibern, die den Fremden erst liebkosen und sich ihm in Liebe ergeben, dann tödten, und in Ketten und Panzer von herrlichen grünen Steinen gehen.
Dazwischen erzählten die Weitgereisten ihre Kämpfe und Siege, ihre Abenteuer und Gefahren. Geheimnißvolle Sagen gingen von den unerschlossenen Wundern und Schätzen, die des Glücklichen harrten, von den Thälern des Todes, die alles Leben schnell auslöschten, von Höhlen von Diamanten, wo Geister und Feien wohnten, von Quellen, aus denen das klingende Gold flüssig und melodisch niederrauscht in schweren gediegenen Wellen, und die Blicke der alten Paulisten glühten, ihre Augen irrten düster und gierig durch das Nachtdunkel, ihre Hände zitterten, ihre Lippen stammelten leise Flüche, daß sie das Land der Verheißung nicht gefunden und nun zu alt waren, es zu entdecken.
Welchen Zauberkreis von Träumen und Sagen riefen diese Erzählungen in Gaston's Brust! Er empfand den unwiderstehlichen Reiz, welchen die Wüste und ihre Wunder in die Herzen dieser wilden Bergleute und Menschenjäger pflanzte, und mehr als einmal war er im Begriff, mit kleinen Schaaren auf Abenteuer auszuziehen, wovon ihn nur die Abmahnungen seines Oheims zurückhielten, der ihn so lieb gewonnen hatte, als es seine Bequemlichkeit und der Egoismus des Alters immer zuließ.
Dennoch aber wurde es Gaston immer unheimlicher in Dom Herreira's Hause, wo der böse Wille der alten Haushälterin ihn eben so sehr als die lange Weile plagte. Vielleicht wäre dies und die kleinen häuslichen Auftritte, welche jedesmal freilich mit einer herzlichen Versöhnung endeten, hinreichend gewesen, Gaston zurück nach Europa zu führen, oder auch sich auf eigene Hand ein Loos zu schaffen, wenn nicht in dieser Zeit sich manches anders gestaltet hätte.
Der Umgang mit dem guten Mönch Rafael, dem er wie einem weisen Freunde alle seine Sorgen und Zweifel vertraute, und die Lehren dieses liebevollen Greises machten sein junges Herz geduldiger. Rafae¾s Tugend war selbst ein siebenzigjähriges Dulden und Vergeben gewesen. Sein ganzes Dasein war ein unantastbarer Strom von Glauben und Liebe, der das Böse auslöscht, wo er es findet und die ausgestoßene Welt Gottes Throne zu nähern sucht. Sein milder Sinn warf die Schuld von den Menschen auf die Gewalt des Bösen, und nie hatte ein Zweifel seine Brust durchwühlt, nie um ein verlorenes Glück sein Auge sich befeuchtet. Die Gottesfurcht brannte hell in ihm. Er wußte nichts von den Leidenschaften, er kannte sie nur aus ihren Wirkungen, die er unablässig bekämpfte, und so schritt er unter den sündigen Menschen daher wie ein anbetungswürdiges besseres Wesen, denn wohin er kam, brachte er Liebe und Versöhnung mit.
Die Art, wie Rafael das ganze Leben betrachtete, wie er seinen Glauben der Wirklichkeit verband, wie er überall Gottes Liebe und Weisheit erkannte und die Schwächen und Fehler der Menschheit nicht verdammte, sondern nur beklagte, machten einen tiefen Eindruck auf Gaston. Rafael war auch nicht blind gegen die Gebrechen der Kirche und ihren zerstörenden herrschsüchtigen Eifer, aber er schwieg lächelnd, so oft Gaston diesen gefährlichen Gegenstand berührte.
»Mein Sohn,« sagte er einst nach einem solchen Gespräch, »o! glaubt nur, was Menschenwerk an dem heiligen großen Glauben der Welt und ihrem Schöpfer ist, wird immer vergehen und zerfallen; aber die wahre Kirche hat viele Wesen schon erlöst und wird sie fort erlösen aus dem blinden Heidenthum. Mag in Europa ein trauriger Streit wüthen, oder der Geist, wie Ihr sagt, um die neue Wahrheit kämpfen, hier muß der glühende Eifer meiner Brüder ein Vorbild sein und bleiben, denn nur dies heilige Gewand und der Glaube an des Priesters Gemeinschaft mit Gott und den Heiligen, an Sündenvergebung, Ablaß, Beichte und Buße, die Ihr so sehr tadelt, kann hier die Wildheit zähmen. Nehmt Euch in Acht,« fuhr er dann lächelnd fort, »daß das heilige Gericht in Los Santos oder Vincent nichts von Euch hört; es würde Euch für einen gefährlichen Schwärmer halten. Ihr müßt Euch diesen Grübeleien entziehen,« fuhr er dann lächelnd fort, »und dies bringt mich auf eine Mittheilung, welche mir schon längst Euer Oheim machte. Könnt Ihr rathen, was es ist?«
»Nein, mein Vater,« sagte Gaston.
»Durch nichts,« erwiderte Rafael sanft, »wird der Mensch so sehr seinem Hange zur Unzufriedenheit mit Gott und mit dem, was ist, hingegeben, als wenn sein Herz sich einsam fühlt in der weiten Welt; wenn es arm und liebeleer umhersucht und doch heiß und verlangend schlägt. O! mein Sohn, ich hatte, wie Sie, einst einen Mai des Lebens, und wenn mir nie der Gedanke kam, ein irdisches Weib zu besitzen, so war es, weil die Himmelskönigin meine Träume beglückte und meine durstige Seele aus dem Borne des Glaubens tränkte. Nicht Jedem aber wird diese Gnade, nicht Jeder vemag es, den Gefühlen zu entsagen, die der Schöpfer in jeden Keim gelegt hat.«
»Mein Oheim wünscht, daß ich heirathe,« sagte Gaston.
»Man baut in der Welt kein festes Haus,« versetzte Rafael, »ohne eine Lebensgefährtin, die darin waltet. Sollten Sie noch nie sich Beides gewünscht haben, mein Sohn?«
»Sie fragen mich, ob ich schon ein irdisches Weib liebte?« rief Gaston lächelnd.
»Wie ein Vater frage ich, der das Glück seines Kindes will,« sprach der Priester. »Im Hause Ihres Oheims ist Neid und Mißgunst, die häufig auch den alten Herrn böse stimmen. Wenn mein Neffe ein Weib nehmen möchte, sagte er jüngst, gern wollte ich dann für ihn sorgen, ihn selbstständig machen und was ich besitze, theilen. In St. Paul mag Herreira's Neffe dreist an jede Thür klopfen, sie wird nicht verschlossen bleiben. Nun, mein Sohn, ist keine von den Töchtern St. Pauls würdig in Ihren Augen?«
»Ich liebe keine, sagte Gaston, »keine so, daß ich sie zum Weibe wünschte.«
»Unter dem kühlen Himmel St. Pauls,« erwiderte der alte Mönch, »wächst die Blume der Schönheit, so sagt das Sprichwort, das im ganzen Lande verbreitet ist. Aber es scheint mir, daß die Stunde ihres Herzens noch nicht geschlagen hat.«
»Sie hatte geschlagen,« rief Gaston lachend, »aber die Uhr schlug falsch, gütiger Vater. Sie erinnern sich, was ich Ihnen von der Dame erzählte, mit der ich die Ueberfahrt nach Vincent machte. Ja, wäre der rothhaarige, häßliche Affe von Mann nicht gewesen und jener Schelm von Jesuit, der sein Netz ausgeworfen hatte, ich säße sicher jetzt an Ines Seite und wäre und besäße Alles, was mein guter Oheim wünscht.«
Rafael warf einen mißbilligenden Blick auf ihn und sagte dann:
»Auch im Scherz, mein Sohn, soll man der Sünde nicht gedenken. Ich hoffe, Sie haben nie diese verbrecherische Liebe verfolgt.«
»Offen gestanden,« erwiderte Gaston, »so hat es nicht an meinem Willen gelegen. Ich war mehrmals in Vincent, um Ines aufzusuchen, aber soll ich den Himmel segnen oder ihm zürnen, es war immer vergebens, und endlich erfuhr ich, daß sie nach dem La Plata abgereist sei, wo der widerwärtige Rothe seinen Handel treibt. Nun ist sie vergessen, diese thörichte Liebe, und mein Herz stände jeder andern offen, doch ich weiß keine. Aber mein Oheim,« fuhr er fröhlich fort, »hat Ihnen sicher einige Dutzend schöne reiche Schwiegertöchter genannt?«
»Eine nur,« erwiderte Rafael.
»Und wer ist denn diese Auserwählte?« rief der junge Mann neugierig.
Der Mönch betrachtete ihn einige Minuten, die Gaston's Ungeduld erhöhten, dann sagte er mit sanfter Stimme
»Dolores Ramalho!«
Ein flüchtiges Roth lief über Gaston's Stirn. Er fühlte ein schnelles Pochen seines Herzens, und der alte Mönch lächelte und hob drohend seinen Finger.
»Ihr seid nicht aufrichtig gewesen, mein junger Freund,« sagte er, »und nun straft das ungehorsame Blut verrätherisch den eigenen Herrn. Glaubt Ihr denn, man habe es nicht bemerkt, wie oft Ihr in der Dämmerung aus den Bergen gerade dahin zurückkehrt, wo Dolores unter der Palme sitzt und den Blick nach Westen wendet, wo Jose Cabral am Wüstensaume verschwand? Glaubt Ihr denn nicht, daß man auch bemerkt hat, daß die schöne Tochter des reichsten Mannes in St. Paul, eines Mannes, der fünfmal Corregidor oder Alcaide war, seit einiger Zeit mit dem Neffen des Gouverneurs lange Gespräche hält, daß sie ihn zu erwarten scheint und in seiner Begleitung zurückkehrt?«
Gaston fiel hier dem Mönche in die Rede.
»Weiß Ramalho denn auch, daß ich das Vertrauen seines Kindes besitze?« fragte er.
»Mein lieber Sohn,« erwiderte Rafael, »Sie wissen ja selbst, wie der Friede zwischen den beiden feindlichen Familien geschlossen wurde, und welche Bedingungen Joao Ramalho an seinen Segen zu einem Liebesbunde geknüpft hat. Nun sind zwanzig Monate verflossen, in denen man nicht eine Kunde von den beiden Schaaren erhielt, und das ist selbst für St. Paul fast eine zu lange Zeit. Man fürchtet, daß man sie nie wieder sieht, aber dennoch ist dies ein weit kleineres Leid, als wenn Jose mit Schätzen beladen käme und Dolores forderte. Ramalho weiß nicht allein von Ihrer Zuneigung, er ist erfreut und stolz darüber, eben so wol, wie Ihr Oheim. Sie wissen,« fuhr er fort, »daß Donna Uraca eine Freundin der Ramalho's ist, und auch diesen Gegner würden Sie durch Dolores Liebe versöhnen. Ja, mein gutes Kind, bauen Sie sich einen eigenen Heerd und führen Sie das schöne Wesen, das so lange schon wie eine Pflanze ohne Licht welkt und bleicht, in das junge freudige Leben zurück.«
Pater Rafael ward hier durch einen Andern abgerufen und sein junger Freund ging nachdenkend zum Hügel hinaus, wo unter den Palmen Dolores ihn erwartete.
»Wie schön ist sie!« rief eine Stimme in ihm, als er ihren Mund lächeln und die großen Augen ihn willkommen heißen sah.
Er erröthete fast über den verwegenen Gedanken, den eine unbekannte Macht plötzlich aufweckte, und der, wie der Funken einer galvanischen Kette, die ungeheuersten Fernen ohne Zeitmaaß durchströmte. Bisher hatte er Dolores als Jose Cabral's sehnsüchtig trauernde Geliebte betrachtet. Er hatte von ihm gesprochen, ihn bewundert, seine Jugend, seine Stärke und Schönheit gerühmt und Trost und Hoffnung in ihr kummervolles Herz gelegt. Dolores konnte mit Niemandem von dem Manne ihrer Liebe reden; die Ramalho's haßten und verspotteten ihn, die Pinheiro's haßten sie.
Es war Friede zwischen den beiden Nebenbuhlern, aber von Freundschaft und Versöhnung war man weiter als je entfernt. Wie knurrende Doggen mit gesträubtem Haar umschlichen sich die Männer, aber ihre Kraft war die fortgezogene Jugend, von der die schweigende Wüste keine Kunde gab, und so blieb es bei einzelnen Raufereien, bei einzelnen Messerstichen auf die Lederjacken. Immer versöhnte Priesterschaft und Gouverneur die Erzürnten, und selbst als ein Ramalho einen Pinheiro auf offener Straße erstach, ward die beschworene Ruhe nicht gänzlich gebrochen. Man hoffte von Tag zu Tag, die Jünglinge sollten wiederkehren und mit ihnen die Rache; aber sie kamen nicht, wie brünstig auch Alle in den Kirchen beteten, welche Opfer man brachte, wie weinend man auch die Heiligen anrief, und so nagten Schmerz und Zorn an den alten Wunden und hielten sie offen.
Wie glücklich war Dolores, ein Wesen gefunden zu haben, das Jose Cabral liebte und von ihm sprach. Es war ein fremder Mann, aber in wenigen Minuten war er ihr Freund, ihr Vertrauter. Gütig tröstend hörte er ihre bangen Klagen, und wenn er von dem Heldenmuthe Jose's, von seiner Kenntniß des Landes, von der Kraft seines Körpers und seiner Seele redete, funkelte ein neuer Lebensstrom in ihren Augen. Mit Heftigkeit reichte sie ihm dann die Hand und rief:
»O, gnadenreiche Madonna! ja, Sie haben Recht, Herr Gaston, Jose wird wiederkehren, ich habe ihn in meinen Träumen gesehen, und eine Stimme hat es mir zugerufen. Er wird wiederkehren, und käme er auch ganz allein, lägen alle Pinheiro's auch todt in der Wüste.«
So war Dolores mit Gaston bekannt geworden, und unvermerkt hatten sie ein Bündniß geschlossen, sich am Hügel zu finden. Beide fehlten selten, beide warteten und bangten, wenn sie allein blieben und wechselten Entschuldigungen und Vorwürfe, wenn sie sich wiedersahen, aber beiden fiel es nicht ein, daß Jose's Andenken durch diese ihm gewidmeten Stunden geschwächt werden könnte.
Gaston bewunderte die treue Liebe eines so schönen Mädchens mitten im Haß, und Dolores glaubte nur an Jose zu denken, wenn der junge Europäer mild lächelnd vor ihr saß und von den Sitten St. Pauls, vom Hasse der Geschlechter und Jose's Abenteuern hörte. Eben so aufmerksam hörte sie selbst auf die Erzählungen seiner eigenen Schicksale; von den Ländern, die er gesehen, von den fernen Völkern und großen Städten.
Die Gespräche über Jose konnten, so unerschöpflich sie auch waren, doch nicht immer währen, und Gaston wußte so heiter und freundlich den Scherz mit dem Ernste zu mischen und die Sorgen fortzuscheuchen, daß Dolores nach und nach viel von ihrem schwermüthigen Wesen verlor. Neue Hoffnungen waren in ihr Herz gezogen, sie glaubte an eine glückliche Zukunft, welche er ihr so oft verhieß und tausend willige Einfälle und Gründe dafür wußte, daß Alles so kommen müsse, wie sie es nur wünschen könne.
Heute aber empfing sie ihn mit einem sehnsüchtigen, doch ernsten Gesicht, in welchem eine fast zornige Erregtheit sich aussprach. Das große Auge ruhte fragend und durchdringend auf ihm, als suche es nach einem Verrath und könne nicht daran glauben. Als er ihre Hand ergriff und nach der Ursache dieses wunderbaren Empfanges fragte, zog sie die Finger gewaltsam schnell zurück, eine helle Gluth lief über Wangen und Stirn. Plötzlich aber ward es wieder still in den zürnenden Augen, und mit einer edlen Erhebung ihres Stolzes sagte sie:
»Die ernste Blume der Freundschaft duldet keine Flecken, keinen giftigen Tropfen. Wenn ein Blatt abfällt, stirbt sie ganz und wird schnell zu Staub.«
»Und wie könnte dieses Schicksal unserer Freundschaft drohen?« erwiderte Gaston.
Sie sah ihn mit einem strafenden Blicke an:
»Haben Sie mir nichts zu sagen, Herr Gaston?« fragte sie.
»Nichts, meine süße Dolores,« versetzte er lächelnd, »als daß ich wahrscheinlich bei Ihnen verläumdet wurde.«
»Oder daß Sie selbst ein Verläumder, ein Verräther waren.«
»Und welchen Verrath,« sagte Gaston, »beging ich denn? Welche Sprache führt meine Freundin? Ich darf eine Erklärung fordern.«
»Haben Sie mit meinem Vater gesprochen?«
»Nein,« erwiderte Gaston.
»Mit Ihrem Oheim?«
»Auch mit diesem nicht.«
»Können Sie bei den Heiligen schwören, daß Sie nicht wissen, was mich beunruhigt?«
»Wissen, nein,« erwiderte Gaston; »aber ich ich ahne es; ich sprach mit dem guten Pater Rafael.«
»Und er,« rief Dolores mit Hast, »was sagte er? Nicht war, er schüttelte sein ehrwürdiges Haupt über die bösen Menschen? O! er kennt Jose, er liebt ihn, er liebt auch mich und hat meine Schwüre gehört.«
»Nein, Dolores,« sagte Gaston, »Rafael sprach zu mir, wie ich mir denke, daß mein Oheim und Ihr Vater gesprochen haben mögen.«
Sie richtete sich an dem Stamme der Palme auf und sah ihn starr an.
»Wer hat es diesen Menschen gesagt?« rief sie, »wer warf diesen bösen Gedanken in ihre Brust? Eine Schlange schlich sich in mein Herz, ein Geier baute sein Nest darin, und Jose! wo bist Du?! O! Gottesmutter, erbarme Dich!«
»Bei meiner Ehre!« sagte Gaston und ergriff von neuem ihre Hand, die ängstlich in der seinen zuckte, »ich habe nie geahnt, daß unsere Verwandten unsere Freundschaft so deuten und Plane der Zukunft darauf gründen konnten, am wenigsten aber habe ich mich selbst verrätherisch in Ihr Herz gedrängt, meine theure Dolores. Ich war überrascht von dem, was ich von Rafael erfuhr, und doch lag Alles so nahe, und wie von einem Traume erwachte ich. Die schönste Jungfrau St. Pauls würdigt mich ihrer Freundschaft, ich wurde längst als ihr Ritter betrachtet; die Eltern gestatten es, daß ich auf Spaziergängen ihr Begleiter bin. Ich werde freundlich und gastlich in dem Hause empfangen, der Vater drückt mir die Hand, die Mutter lächelt mir zu, die Geschwister und Freunde betrachten mich als den Freund. Und soll sich da der Gedanke nicht auch regen: aus Dolores Herzen werde der Schleier des Kummers verschwinden, der Mann, den Alle hassen, werde niemals wiederkehren und die weiße Blume der Freundschaft werde einst roth blühen?«
»Verräther!« rief Dolores in schwankender hinsterbender Heftigkeit, »das war Ihr Wille!«
»Ich war ein Blinder,« erwiderte er sanft, »Nein, Dolores, ich dachte nicht an Liebe. Wenn ich an Ihrer Seite saß und von Jose redete, dachte ich nur an den Schmerz, den Sie empfinden müßten und suchte ihn zu mildern. Nun öffnet sich plötzlich vor mir das Land des Goldes, das er weit hinter den blauen Bergen sucht, und ich sehe in der Ferne das Paradies, das mir aufgethan ist. Doch eine Hand stößt mich zurück, und der Himmel sei mein Zeuge! ich will den Namen des Verräthers nicht um alles Glück tragen. Was mein Oheim auch beschlossen hat, welchen Zorn Ihr Vater und die Ramalho's auf mich schütten mögen, ich werde ihnen sagen, daß nichts mich bestimmen kann, Dolores Augen mit Kummer zu füllen.«
Er wollte sich entfernen, aber sie hielt ihn zurück.
»Was wollen Sie thun?« sagte sie.»Eine solche Erklärung ist eine Beleidigung, die mein Vater niemals vergibt. Wollen Sie sagen, Dolores verschmäht mich, so wird er antworten: Joao Ramalho gibt sein Wort, meine Tochter wird ihren Bräutigam empfangen. Wollten Sie edelmüthig mich verschmähen, so ist das blutige Messer der Rache geschliffen. Gott verzeih es Dem, der den ersten Gedanken in der Seele meines Vaters erweckte. Er sah mild auf meinen Kummer, und wäre Jose gekommen, ja, käme er noch und hätte erfüllt, was er sollte, er würde sein Versprechen halten.«
»Welchen Weg aber sollen wir einschlagen?« sagte Gaston.
Dolores erröthete heftiger und schwieg lange, bis sie endlich mit fester Stimme sagte:
»Hat die weiße Blume in Wahrheit schon ein rothes Blatt getragen, Herr Gaston?«
»Und wenn ich nun diese Frage an Dolores richte,« erwiderte er, »wenn ich frage, ob Jose, der nun zwei Jahre fast entfernt ist, mir keine Hoffnung läßt?«
»Sie lieben mich nicht, Gaston!« rief sie, ihn hastig unterbrechend, »und ich danke der Mutter Gottes dafür. Wenn Sie mich liebten, wie Jose mich liebte, o! es würde mich viel unglücklicher machen. Sie haben das sanfte Wohlwollen eines Freundes für mich; Ihr einsames Herz hat sich dem meinen angeschlossen, das auch einsam ist, und diese Freundschaft kann sich röthen, wie die Pfirsichblüthe, aber nicht dunkel glühen, wie die Liebesblume glüht. Mein Vater trat heute zu mir hin und sagte: Dolores, meine Tochter, Dein Sinn ist verständig und dein Herz besonnnen – o! er kennt es nicht, dieses Herz! – so höre denn, was ich Dir sage. Dom Herreira begehrt Dich für seinen Neffen, dessen Freundschaft zu Dir ich längst beobachtet und mich gefreut habe. Es ist ein junger tüchtiger Mann, der sein Haus wohl bauen und den Ramalho's Ehre bringen wird. Du wirst glücklich sein, die Freude Deines Vaters, der Dich liebt. So sagte er.«
»Und nun, meine theure Dolores,« rief Gaston entzückt, »ist denn die rothe Liebesblume so ganz nur für Jose aufgeblüht, daß der Wunsch des Vaters gar keine Stimme fände? Wenn die Wüste ihn auf immer aufgenommen hat, wenn er niemals wiederkehrte?«
»Er wird wiederkehren,« sprach sie, »und wird mich treu finden.«
»Es sind Jahre vergangen,« sagte Gaston dagegen, »will Dolores hoffen, bis jede Hoffnung schwindet?«
»Man wird mich zwingen wollen,« versetzte sie, »und doch darf ich keine Stimme hören, keinem Fluche folgen und keinem Segen. Wollen Sie thun, was ich von Ihnen fordere, Gaston?«
»Ich will es,« versetzte er. »Reden Sie, theure Dolores, was soll ich thun?«
»So lassen Sie denn Ihren Oheim um meine Hand werben, und zwingen Sie Ihr Herz, fröhlich einzustimmen, wenn Ihr Mund mich begehrt.«
»Wie,« rief Gaston erstaunt, »wäre es möglich? Dolores, beim Himmel! scherzen Sie nicht. Mein Herz ist heiß genug, mein Verlangen entzündet, und was ich begehre, begehre ich ganz.«
»Und können Sie auch allem entsagen?« fuhr sie heftig und mit blitzenden Augen fort; »können Sie auch, wenn die rechte Stunde schlägt, mich vergessen, wenn ich es fordere? Kann die Blume der Freundschaft die rothen Liebesblätter bleichen und weiß werden lassen, wie sie waren?
»Was Sie fordern,« sagte Gaston bestürzt und zornig erregt, »ist eine Grausamkeit, und doch will ich gehorchen, wenn Sie es gebieten können.«
Eine glühende Röthe füllte ihr Gesicht; ein schmerzliches Beben und Zucken folgte und langsam ließ sie seine Hand fallen.
»Wenn mein Vater diese Hand wieder in die Ihre legt,« rief sie, »so werde ich sagen: Ein Jahr und ein Tag noch soll vergehen, dann will ich zum Altare folgen. Diese Frist gestatten Sie mir, das ist Alles, was ich begehre.«
Sie rief ihre gewöhnliche Begleiterin, die alte Sklavin, herbei, welche in einiger Entfernung am Boden saß, und wandte plötzlich das Gespräch auf einen gleichgültigen Gegenstand. In Gaston's Gesellschaft ging sie dann nach der Stadt zurück, und als sie Abschied nahm, sprach sie mit jenem Gemisch von Lächeln und Freundlichkeit, welches die geheime Wunde und den Schmerz zudecken soll, und es doch nicht ganz vermag:
»O! fürchten Sie nichts, mein Herr Gaston, bei Gottes Thron! fürchten Sie nichts, dieser Liebesbund soll Sie niemals binden, ich löse den Knoten zu jeder Zeit.«
Unmuthig, und nicht wie ein glücklicher Bräutigam, ging Gaston dem Hause seines Oheims zu. Er sollte um ein Mädchen werben, die es ihm gleich zur Bedingung machte, ihr zu entsagen, wenn ihr Geliebter zurückkehre, und käme er nicht, was würde sie dann thun? Er war Dolores gewogen und ihre Schönheit hatte seit dem Augenblicke der Erkenntniß selbst ein zärtliches Gefühl in ihm hervorgebracht. Ihre Herzensgüte flößte ihm Zuneigung, ihr Verstand Achtung ein; aber ein peinliches, seltsam unmuthiges Empfinden war ihm durch den Verlauf ihres Gespräches aufgestiegen.
Er hatte wohl bemerkt, daß er diesem feurigen Wesen nicht so gleichgültig war, wie es den Anschein hatte; eine geheime Stimme sagte ihm, daß in ihrem Herzen ein Krieg wüthe zwischen Gegenwart und Vergangenheit, und daß vor beiden die Zukunft stehe, hier schreckend, dort drohend, und mit den Verheißungen zugleich die Furcht vor Sünde und Strafe sie bestürme.
Dies Bewußtsein entzündete auch wieder seinen Muth, Jose war ein verlorener Mann, und alle diese wüsten Raubgesellen lagen längst in den Wüsten begraben und harrten des Auferstehungstages. Von dieser Seite, meinte er, sei daher am wenigsten Besorgniß zu hegen, aber war er im Stande, Dolores heiß erwachte Liebe eben so heiß zu erwidern? Und wenn er nun durch Liebe zur feurigen Leidenschaft gereizt, ganz dieser hingegeben wäre, könnte dann nicht dennoch ein böser Tag den Jose zurückführen oder irgend eine Seltsamkeit ihm den Becher von den Lippen reißen; und hatte er nicht geschworen, Dolores zu vergessen, wenn sie es fordere?
Unter allen diesen Zweifeln trat er in das Haus seines Oheims, und als er die Thür des Zimmers öffnete, saß dieser mit Joao Ramalho und dem Pater Rafael bei der silbernen Kanne voll Paraguaythee. Der alte Herreira mit dem rothen lachenden Gesicht wälzte sich von dem weichen Lager, und indem er seinem Neffen voll Liebe beide Hände reichte, rief er dem alten Ramalho zu:
»Nun, Herr Joao, hier ist er, und ich wette mein Ritterschwert, er kommt von Dolores? Ist es nicht so, Gaston, sprich mein Sohn, ist es nicht so?«
Als er die Antwort hörte, war er ganz außer sich vor Lust. Er zerrte seinen Neffen zu dem Stuhl des alten Parteihauptes und schrie dann mit kräftiger Stimme:
»Beim heiligen Paulus! Herr, ich habe nichts mehr zu sagen. Hier steht er vor Euch und ich werbe in seinem Namen. Herr Ramalho, wollt Ihr meinem Neffen Eure Tochter zur Ehe geben, so will ich ihm die Wirthschaft einrichten und sein Haus bauen.«
»Große Ehre ist diese Verbindung für mein Haus,« erwiderte der alte stolze Mann, »und St. Paul soll viele Jahre den Tag rühmen, wo Joao Ramalho sein Kind vermählte. An Sklaven, Gold und Land soll keine Braut sie je übertroffen haben.«
So war es entschieden, und mit väterlicher Freude umarmte und küßte das Haupt der Ramalho's den neuerworbenen Sohn. Dann kam auch die furchtbare Haushälterin herbei, die jetzt plötzlich aus einer wilden Katze ein ganz zahmes süßes Wesen geworden war. Vor Freudenthränen und Liebesbetheuerungen konnte sie kaum zu dem Geständnisse gelangen, daß sie es gewesen sei, welche zuerst den schlummernden Funken weckte, und mit der Verheirathungslust, die den alten Frauen eigen ist, die Sache betrieben hatte.
Auch der alte Geistliche war stolz darauf. Mit mildem Lächeln segnete er den Jüngling, und betend hob er Augen und Hände dann empor und rief, daß der Tag gekommen sei, wo St. Paul Freude und Glück kommen sehe.
Was an Feierlichkeiten und Ehren- und Freudenbezeigungen geschehen konnte, hatte den Tag verherrlicht, wo im Beisein der ganzen Familie der Ramalho's und vieler Bewohner St. Pauls, die Versprechung des jungen Paares erfolgte. Mit Mühe nur hatte Gaston die Bitte der jungen Braut beschirmt und geltend gemacht, Jahr und Tag vergehen zu lassen, ehe er sie heimführe, denn Jeder mochte ahnen, daß doch irgend ein geheimer Liebesgedanke an den fernen Jose die wahre Ursache dieses Verlangens sei. Da aber der neue Bräutigam mit ritterlichem Gehorsam sich fügte, so konnte Niemand etwas einwenden.
Die Zeit ging schnell hin; die Frauen hatten zu rüsten und zu schaffen, um die Räume des neuen Hauses zu füllen, das Ramalho mit Pracht und Kunst aufführen ließ. Es wurden Landankäufe gemacht und Sklaven erhandelt; feine Geräthschaften aus den Küstenstädten herbeigeschafft und weder Mühe noch Gold gespart, den Aerger und Grimm der Pinheiro's zu vermehren, die sich freilich Glück wünschten, daß Jose Cabral nicht der Bräutigam war, aber aus der Verbindung der Ramalho's mit dem Gouverneur die bösesten Ahnungen schöpften.
Oft entstanden jetzt auf den Straßen blutige Zwiste zwischen den Parteien, die immer schwieriger beigelegt wurden. Das Ansehen des Gouverneurs galt den Pinheiro's gar nichts mehr, denn er war ein Ramalho geworden. Wüthende Beschuldigungen strömten auf ihn herab, und heimlich bereute er es nicht selten, daß er unkluger Weise sich zur Partei gemacht und seinen Neffen zu einer Verbindung geleitet habe, an welcher dieser erst nach und nach Geschmack zu gewinnen schien.
In der ersten Zeit hatte Gaston ein so unmuthiges ernstes Wesen angenommen, daß Herreira wol einsah, die Liebe zu Dolores könne so groß nicht sein, wie er sich eingebildet hatte. Später aber war der Bräutigam immer fröhlicher geworden, und endlich hatte er ganz das aufgeregte, unruhige und in extremen Empfindungen sich bewegende Aeußere eines feurigen und von allen Schmerzen und Entzücken gepeinigten Liebhabers erhalten.
Diese verschiedene Stufenleiter gab auch wirklich die Veränderungen in der gegenseitigen Stellung des jungen Paares an. Dolores schien aus einer ungezwungenen Kälte nach und nach zum neuen Leben zu erwachen. Denn Gaston mit seinem heitern gefälligen Sinn, mit dem Reize seiner Jugend und feineren Bildung, wußte ihre Zuneigung bald zu erhöhen und ihre ängstlichen Besorgnisse zu zerstreuen. Bald hatte er in wachsender Stärke von ihrem Herzen Besitz genommen, und wie er sich geliebt sah, erweckte dies auch seine Leidenschaft.
Dolores war wie ein junger verschmachtender Baum, der, aus der Wüste in ein besseres Land gebracht, nun seine Blätter und Blüthen treibt, aber ungewohnt dieser Lebensfülle, den Organismus nicht auch nach dem neuen Glück umwandeln kann und seine Krone abwechselnd kräftig aufrichtet oder sinken läßt, je nachdem die Lebensfülle ihm zuströmt oder verläßt.
Oftmals saß sie an seiner Seite und schien alle Vergangenheit vergessen zu haben. Sie hörte auf Gaston's schöne, sanfte Worte von der Zukunft und deren Glück mit einem verlangenden Lächeln. Wenn er den Arm um ihren Leib schlang und ihre gefalteten Hände an seine Lippen zog, zitterte sie leise, aber ihr Bangen löste sich in Liebe, das Gesicht verklärte sich in Hoffnung und Freude, und nun brach ein Strom von Zärtlichkeit hervor, der Gaston mit Entzücken erfüllte. Mitten in diesem Liebesleben aber sanken dann ihre Arme nieder, ihr Auge verlor das Feuer, ihre Brust athmete schwer und heftig, und mit einer an Abscheu gränzenden Heftigkeit riß sie sich los und eilte davon. Tage und Wochen vergingen dann wol, ehe die alte Eintracht wiederkehrte.
In langen Nächten lag Dolores betend an dem Hausaltare oder man sah sie in der Kirche, in dem Kloster der Ursulinerinnen oder beichtend und in langen Gesprächen mit dem guten Mönche Rafael, welcher ebensowol der Vertraute Gaston's, wie der Beistand des armen von Liebe und Zweifeln gequälten Mädchens war. Gewöhnlich waren es auch die Trostgründe Macedo's, welche den Sturm besänftigten, der in einer leidenschaftlichen Scene endete, wo Dolores mit neuem Muthe an Glück und Zukunft glaubte.
Nach einigen Monaten wurden diese Zwischenfälle seltener, die unruhige fieberhafte Spannung ihrer Seele machte einem Vertrauen Platz, das die Zeit herbeigeführt hatte, und endlich fehlten wenige Monate noch, bis zum Tage einer ewigen Verbindung mit Gaston. Alle Vorbereitungen waren beendet und Joao Ramalho führte seine Kinder zu dem neuen Hause, das er ihnen gebaut hatte. Wie eine kleine Festung lag es stattlich hinter Gräben und Mauern mit Schießscharten, mit großen Höfen und Wirthschaftsgebäuden, festen Rückzugplätzen, weitläufigen Vorrathsräumen und Gemächern, wie es dem Schwiegersohne des Joao Ramalho gebührte.
Es wurde nach der Sitte mit einem kleinen Feste eingeweiht, bis der große Hochzeitsschmauß das allgemeine Fest begehen würde, und alles war voll Freude und Heiterkeit. Dolores schien an diesem Tage den letzten Rest ihrer Besorgnisse verloren zu haben. Sie überließ sich dem Glück, bald als Hausfrau in diesen Räumen zu walten, und Gaston, der den Bau mit leiten half und alle Einrichtungen genau kannte, führte sie lachend und scherzend umher.
Als er endlich in die Wohngemächer zurückkehrte, von welchen einige mit besonderer Sorgfalt für Dolores geschmückt und eingerichtet waren, umfaßte er sie zärtlich:
»Hier wirst Du wohnen, meine Dolores,« sagte er, »hier werde ich in Deinen Armen das Glück und den Frieden meines Lebens finden. O! dürfte ich doch hoffen, auch Dich heiter und glücklich zu sehen, daß meine Liebe allen bösen Trug und Schein ausgelöscht habe und Du nicht mehr an Tage denkst, die wiederkehren können.«
Mit Zärtlichkeit umarmte ihn Dolores und lange stand sie sprachlos an einem der Fenster, und sah bald gegen Westen in die sinkende Sonne hinaus, bald mit größerer Innigkeit in Gaston's Augen.
»Zweifle nicht, daß ich Dich liebe,« erwiderte sie. »Ja, mein Gaston, ich liebte Dich, als ich Deine Freundin war, aber ich verbarg es mir selbst, ja, ich zürnte mir, als eine Stimme es leise, und dann lauter und lauter, sagte. Ich warf mich nieder und betete und flehte zu den Heiligen, mich zu schützen, und als man mir sagte, Du solltest mir gehören, und mein Vater mich bedrohte, rangen Entzücken und Elend in meiner Brust. Jose trat vor mich hin, wie ein Gespenst, o! heilige Gottesmutter! ich liebte ihn, und liebe ihn noch; aber ich liebte auch Dich, und Du warst so schön und gut. Eine ungeheure Furcht faßte mich, ein Grauen vor meinem Thun, eine Angst vor meinen Schwüren. Mein Gaston, ich entsetzte mich, Dich zu verlieren und zitterte doch vor Deinem Besitz. Wenn ich Dich in meinen Armen hielt, so verwandelten sich plötzlich Deine Züge, und ich sah Jose darin. Er stand an Deiner Seite, wenn Du kamst, und wollte ich ihn sehnsüchtig festhalten, ihn zurückrufen, für ihn beten, so drängte sich Dein Bild zwischen meine Seele und den fürbittenden Heiligen. Meine Sinne verwirrten sich, ich flehte vergebens!«
»Und nun,« sagte Gaston, »sind endlich die trüben Bilder den sicheren leichteren Gestaltungen gewichen. Meine Dolores, gedenke immer des armen Jose, der um Dich mit Blut und Leben warb. Wir wollen seiner uns oft erinnern, um ihn trauern und ihn fortlieben, wie man die theuren Todten lieben muß.«
»Und glaubst Du denn,« sagte sie leise und zitternd, »er könne mir verzeihen, daß ich meinen Eid breche, daß ich einem andern Manne gehören will?«
»Du frommes Kind,« erwiderte Gaston, »hat Pater Rafael Dir nicht gesagt, daß Gott keinen Schwur hört, der sündlich gethan ist? Du hast Jose Cabral Treue gelobt, und wäre er wiedergekehrt, Du hättest Dein Wort gehalten; bei Gottes Sonne! ich würde meine Liebe aus dem Herzen gerissen und Eure Hände vereinigt haben, mochte ich auch selbst darüber sterben. Aber kannst Du an seinem Tode zweifeln? Ist Dir der Glaube noch geblieben, daß er wiederkehren könnte? Und darf man ein junges, schönes, von Gott zu Glück und ewiger Liebe bestimmtes Leben einem verzweiflungsvollen Augenblicke zum Opfer hinwerfen, wo man ein thörichtes Gelübde that?«
Dolores sank in Liebe und Vertrauen an seine Brust.
»Du verstehst es, die Sinne zu bethören,« sagte sie, »aber ach! ich glaube Dir! Ja, ich will den armen Jose wie eine verlorene, unschätzbare Perle beweinen, die ins Meer fiel und dort nun ewig ruht, bis einst alle Meere versiegen, alle Länder in Luft zerfließen und in dem Paradiese alles Verlorene und Köstliche seinen Herrn wiederfindet.«
Bis jetzt waren sie allein gewesen, nun aber kam eine Anzahl Verwandte, und an der reichbesetzten Tafel überließ sich jeder der Fröhlichkeit. Als die Köpfe in Unordnung geriethen, rief Einer, daß man, dem Bräutigam zu Ehren, einen Zug gegen die Tupis machen müsse, um Sklaven in das neue Haus zu bringen; Andere schrieen, daß sie dazu bereit wären, da man doch jetzt nicht gegen die Jesuiten fechten solle, weil Bischof und Gouverneur mit Bann und Acht drohten; noch Andere schüttelten dem Bräutigam die Hände und sprachen, wenn er ein echter Paulist und ein Ramalho sein und werden wollte, so möge er mit ihnen ziehen, um Schätze zu suchen, vielleicht gebe es auch noch etwas Anderes; vielleicht ließe sich Goldsand entdecken, oder eine hübsche Niederlage von Paraguaythee, oder es gebe auch einen Kampf mit einer streifenden Abiponerschaar und ein schönes Weib mit langen Haaren ließe sich erbeuten.
Gaston, von seinem Muthe getrieben, rief dagegen, daß er gern bereit sei, einen solchen Zug zu begleiten, und dieser Antwort bedurfte es nur, um den Jubel recht laut zu machen. Auch der alte Ramalho schüttelte ihm die Hand und lobte den Entschluß; ein Dutzend tapferer Männer und Jünglinge aber drängten sich sogleich herbei, tranken den Brüdertrank mit ihm und erklärten ihn als ihren Anführer. Er sah wohl ein, man wollte ihn necken, und glaubte nicht daran, daß ein glücklicher Bräutigam wenige Monate vor der Hochzeit noch einen gefährlichen Zug gegen Indianer und die Schrecken der Wüste machen werde.
Nun gab es Scherz und Lust in Menge, und das letzte Glühen des Tages streifte von den hohen Bergen in die Stadt, als die ganze Gesellschaft das Haus verließ. Die Abendglocken hatten ausgeklungen, alle Arbeit war abgethan und die Straßen schallten von dem Gesange der Negersklaven, mit welchem sich das Jauchzen der übermüthigen Ramalho's mischte.
Als sie aber dem großen Platze zugingen, ward es doch stiller, denn an der Ecke desselben stand ein heiliges Bild von großem Rufe, eine Madonna, die häufig schon Wunder gethan und von allen in hohen Ehren gehalten wurde. Die ewige Lampe unter dem Schirmdache flammte hell auf das buntgemalte, ziemlich roh geschnitzte Bild und beleuchtete einen weiten Kreis von Sklaven, die nach ihrer Gewohnheit, auf den Knien liegend und betend, davor sangen.
Indem die Ramalho's vorübergingen und schweigend ihr Kreuz schlugen, sprangen einige der Sklaven schreiend empor und deuteten auf das Gesicht der Gottesmutter.
»O! Massa! Massa!« schrieen die Neger, »herbei! herbei! ein Wunder, ein Wunder!«
Die Ramalho's liefen hinzu und Dolores zog Gaston fast gewaltsam näher. Hell funkelte der Lampenschein auf den Kopf, der in einem tief schmerzvollen Zuge das leise Lächeln ganz zu verlieren schien; dann bewegten sich die Augenlider, Thränen drangen aus den Steinaugen des Bildes und tropften leise nieder.
»Erbarmen, Erbarmen!« schrie jeder Mund, und Alle, von Reue und Angst gefaßt, warfen sich nieder und betrachteten staunend und zitternd das Wunder, das mehre Minuten währte. Plötzlich richtete Dolores sich auf, hob Augen und Hände, wie erstarrt, zu dem Bilde empor, wollte näher wanken und vermochte es nicht und sank mit einem lauten Schrei in Gaston's Arme.
Da hörte das Wunder auf, viele Menschen kamen herbei. Die Pinheiro's waren auch da und ein alter Mönch verkündete großes Unglück und Wehe über St. Paul.
»Unsere Freunde in der Wüste,« rief eine Stimme, »sie sind verunglückt, ermordet, die Thränen der Gottesmutter verkünden uns ihr Ende!«
Diese Deutung fand Wahrscheinlichkeit und hallte in jeder Brust wieder. Wehklagen und Thränen erfüllten die ganze Stadt, und Gaston blieb in Ramalho's Hause bis tief in die Nacht, wo Dolores, aus einer langen Ohnmacht erwacht, ihn zu sprechen wünschte.
Joao Ramalho liebte sein Kind mit großer Zärtlichkeit. Als er Gaston zu ihrem Ruhelager führte, sagte er:
»Dolores Seele schwärmt in dem Schrecken des Wunders, das sie auf Jose Cabral deutet. Seid milde, mein Sohn, verzeiht dem unglücklichen Kinde, gebt ihr Trost und Frieden.«
Dolores streckte ihm beide Hände entgegen, und als er an ihrem Lager niederkniete, rief sie:
»O! Gaston! Du bist wie die Engel sind; Du wirst mir vergeben, mich nicht hassen, wenn ich thöricht bin. Ich habe ihn gesehen, Gaston, ja, es war Jose Cabral, der aus den Zügen der Gottesmutter mich anschaute. Er weinte über mich. Er lebt! o, ihr Heiligen! er lebt und denkt an mich, oder er ist todt und warnt und verdammt mich!«
Sie sank erschöpft zurück, und vergebens waren alle Trostgründe, welche Gaston an ihrer Furcht erschöpfte. In seinem Innern hielt er das ganze Wunder für einen Streich der Pinheiro's, deren Oberhaupt, der verschlagene und ränkevolle alte Miguel, kein Mittel scheute, den Ramalho's wehe zu thun und ihnen zu schaden. Miguel war es, der einst die Jesuiten aus der Stadt gejagt hatte, und der in dem Rufe stand, viele Zauberkünste zu verstehen und weder Bischof noch Gott zu fürchten.
Gleich nach dem Wunder waren auch die Pinheiro's thätig, überall die schreckliche Kunde der Thränen zu verbreiten und arglistig hinzuzufügen, daß der Gouverneur und sein Neffe die wahre Schuld des Unglücks trügen, denn in ihrem Kopfe sei das Project entsprungen; ihr Rath und Wille habe so viele tapfere Männer in den Tod gejagt, und nun nehme Gaston auch die Braut des Jose Cabral, nun wurden heilige Versprechen gebrochen, denn ohne recht zu wissen, ob Jose wiederkehre und seine Aufgabe gelöst habe, bräche Joao Ramalho seinen Eid, das werde St. Paul büßen in Gottes Zorn.
Nach langer Zeit, als Dolores Alles gehört hatte, was Gaston zu sagen vermochte, erwiderte sie:
»Ich werde nicht Ruhe finden vor seinem Schatten, der mich verfolgt, bis ich ihn wiedersehe, sei er lebend oder todt. Du hast gelobt, mein Gaston, einen Zug zu machen und meine Vettern und Freunde wollen Dich begleiten. Ja, ziehe hinaus in die Sertams Der Sertão, die halbwüstenartigen Landschaften im Binnenland Brasiliens., versprich es mir, schwöre es mir, daß Du ihn sehen willst. Vielleicht wirst Du eine Kunde seines Lebens oder seines Todes erhalten, Du wirst ihn finden, Du mußt ihn finden, o, ihr Heiligen! gebt mir Gewißheit.«
Um den entsetzlichen Zustand der Seelenangst zu mildern, welcher auf Dolores lastete, versprach Gaston, so gefaßt er es vermochte, Alles, was sie wünschte; aber er fühlte es auch, daß er niemals glücklich werden könne, daß Dolores Liebe ewig zwischen ihm und einem Phantome getheilt sein werde und die tiefe Wunde ihrer Brust niemals ganz vernarben könne.
Seltsamer Weise war Joao Ramalho ganz einverstanden mit Dolores Wünschen, aber dies erklärte sich aus dem Zustande der Parteien. Das Wunder war zu merkwürdig, die Vorwürfe zu laut, es bedurfte einer That, um die Pinheiro's mit ihren Verläumdungen und Wahrheiten zu widerlegen.
»Zwölf unserer Freunde sollen mit Euch ziehen,« sagte Joao; »Männer, die des Landes kundig sind, so weit man überhaupt eine Kunde davon hat, und wie es Euch, mein Sohn, in den Augen eines jeden wackeren Mannes ehrt, nach der Sitte unserer Bürger einen Zug durch die Sertams zu machen, so ehrt es Euch noch mehr, daß Ihr auszieht, ohne Unterschied Freund und Feind zu suchen; selbst auf die Gefahr hin,« fügte er spöttisch lächelnd hinzu, »den Jose Cabral wirklich zu finden, der die Goldberge der Riesen und Zwerge sicher nun entdeckt hat. Wohlauf denn, Gaston, es wird ein Zug des Friedens sein. Dom Herreira und der Bischof werden gern Briefe und Urkunden mitgeben, mit welchen Ihr Euch bis in die Missionen an den beiden Strömen begeben könnt, die oft Nachricht von den Zügen der weißen Männer haben, von denen Niemand sonst mehr etwas weiß. Denn dorthin kommen die Handelsleute aller Völker. Die Guaranis und ihre mönchische Herren knüpfen Verkehr mit Stämmen an, die wir kaum dem Namen nach kennen, und wenn Ihr als Friedensboten kommt, wird man Euch wohl aufnehmen.«
Am nächsten Tage wurden mit Zustimmung des Gouverneurs und des Bischofs wirklich alle Anstalten zu dem Zuge getroffen. Das Wunder hatte alle Gemüther aufgeregt, und die Männer, welche mit Gaston ausziehen wollten, um die Verschollenen aufzusuchen, wurden von allen Seiten von Lob und guten Wünschen begleitet.
Dolores fieberhaft erregter Zustand hatte am nächsten Tage den Anschein einer frommen Ergebung und eines festen Vertrauens angenommen. Betend lag sie an dem kleinen Hausaltare als Gaston kam, und mit einer Mischung von Furcht, Kummer und Vergebung fordernder Reue erhob sie sich.
»Du zürnst mir,« sagte sie traurig, »ich fühle es wol, es muß so sein. Ich jage Dich in die Wüste hinaus, um Jose zu suchen, und wenn Du ihn findest, mein Gaston, ist uns dann nicht ein neues Leid bereitet? Ich habe es ihm geschworen am Altare, war es nicht so? O, Gottesmutter! erbarme Dich meiner Schmerzen, zeige mir den rechten Weg!«
Dann faßte sie fast krampfhaft Gaston's Arm und rief:
»Geh nicht von mir, mein Gaston, die Wüste hat ihn auf ewig verschlungen, wie sie so viele tapfere Männer jährlich als Opfer einscharrt; sie wird auch Dich festhalten und mich verzweifeln lassen!«
Gleich darauf aber sah sie ihn starr an und hob die Hände segnend auf:
»Geh hin,« sagte sie, »es muß so sein. Die heilige Jungfrau weinte Thränen, und viele, viele Thränen werde ich auch weinen, ehe es Friede in mir wird.«
Der alte Ramalho führte Gaston fort.
»Dolores ist krank,« sagte er; »sie hat die ganze Nacht geträumt und gesprochen, den Narren Jose gesehen, und dann Euch wieder in sonderbaren Verwechselungen. Heute Morgen erst ward sie ruhiger und sagte: Ihr würdet Ihn finden und wieder zur Heimath führen, dann wisse sie einen Weg, den die Gottesmutter ihr genannt, die Nachts ihr erschienen sei und mit Thränen sie an das eigene schmerzdurchbohrte Herz gedrückt und geküßt habe. Zieht mit Gottes Schutz,« sprach er beim Abschiede, »Dolores wird Euch gesund empfangen, wenn Ihr wiederkehrt, und dann wollen wir die Hochzeit fröhlich feiern, wie noch nie eine hier gefeiert wurde. Geht nicht zu weit, der Paraguay und die Missionen sind die Marksteine, an welchen Ihr umkehren sollt.«
Als nun die kleine Zahl der muthigen Männer die Berge von Montiqueira in Rücken hatten, verloren sie sich in den ungeheuren Ebenen, welche bis an die Parana reichen. In den ersten Tagen sahen sie wol da und dort noch die Spuren des civilisirten Lebens, das die Europäer in die Länder gebracht hatten. Einzelne Facendas Im kolonialen Zeitalter Brasiliens in der Regel die Bezeichnung für den Großgrundbesitz mit Plantagenbewirtschaftung (entsprechend der Hacienda in den spanischen Kolonien), jedoch auch für »Bauernhof« im Allgemeinen im Gebrauch. oder Landgüter der Wüstenbewohner, auf der unermeßlichen Strecke zerstreut, hoben ihre spitzen kegelförmigen Dächer aus der Mitte eines kleinen fruchtbar gemachten Plätzchens, das von irgend einer Quelle Leben und Nahrung empfing. Roh aus Erde gebaut, ohne Fenster und Thür, nur mit Palmenmatten behängt und bedeckt, stand es den Winden und Stürmen eben so wol offen, wie den indischen Räubern, die in grausamen nächtigen Kämpfen sie zuweilen eroberten und ihre Bewohner auf ewig verstummen ließen.
Zahllose Heerden gefleckten Viehes weideten in den grasreichen Thälern, denn ein Volk von Hirten lebte hier in der Wüste, unbeschränkte Gebieter des Raumes und Herren jener brüllenden, fliehenden Geschöpfe, die vor dem kleinen Trupp der Paulisten in die Dickichte und Rohrwälder flohen. Dann und wann sahen sie auch einige der halbwilden Sertaneiros, wie sie auf ihren kleinen, muthigen Rennern mit wüthendem Geschrei über die Ebene jagten, die Lanze in der Hand, den furchtbaren Lasso, die Schleuder mit den Doppelkugeln über dem Kopfe schwingend und den Heerden folgend, um irgend ein ausgesuchtes Stück zu fangen, zu tödten, oder nur zu zeichnen.
Das war Gaspar's, des Mischlings, Element, der seinem Herrn weitläuftig erzählte, wie alle diese wilden, zahllosen Heerden doch eigentlich nicht herrenlos seien. Wie die Sertaneiros zweimal im Jahre sie zusammentreiben und mit dem glühenden Eisen zeichneten, wie sie, mit der Lanze, so geschickt den stärksten Ochsen im vollen Lauf des Rosses niederstoßen, daß er nicht aufstehen kann und doch nicht schwer verletzt ist, wie sie mit dem Lasso die wilden Pferde fangen und zähmen; wie unbändig der Muth dieser Männer, wie furchtbar ihre Kämpfe, wie hart ihr Leben und ihre Entbehrungen sind.
Und nun kamen diese Gestalten von Sehnen und Knochen selbst herbei, ganz in Leder eingehüllt, den ungeheuren Sporn an der nackten Ferse, Centauren gleich, die mit den Pferden verwachsen schienen, und wie zur Schlacht heranjagten, bis sie dicht vor den Paulisten ihre Rosse plötzlich stehen ließen und der menschliche befreundete Laut ihrer Sprache erst Vertrauen zu ihrer Menschheit und ihrer gutmüthigen Gastfreundschaft erweckte.
Als man von diesen tapfern Hirten einen Vorrath in Streifen geschnittenes und getrocknetes Fleisch erhandelt hatte, setzte der Trupp seinen Weg fort, und bald zog ein alter Priester vorüber, der einen kleinen Altar vor sich auf dem Pferde hatte, und neben sich einen indischen bewaffneten Sklaven und einen halbblütigen Knaben als Meßdiener. Für eine kleine Vergütung las der Greis eine Messe mitten unter dem Rauschen der hohen Waldbäume, unter den Wirbelwinden der Wüste und dem tiefen, regenkündigenden Geheul einer Schar bärtiger Affen, die aufmerksam auf die knienden Männer blickten. Dann machte sich der Priester eilig fort, die Facendas zu erreichen, um heute recht viele Messen noch zu lesen, damit ihm kein Nebenbuhler vorkomme, der Geld für das arme Kloster verdiene.
Die Paulisten aber ritten weiter und weiter, bis die wahren Sertams In der Vorlage hier und an weiteren Stellen »Sertanis«; augenscheinlich Setzfehler, berichtigt zu dem auch zuvor verwendeten »Sertams«. Siehe Anm. 75. begannen, wo keine Wohnung mehr war, und einige Mal nur noch ein kleiner Trupp Abenteurer ihnen begegnete, der schwarze Sklaven zum Goldwaschen mit sich führte und Schöpfgeräthe, um die Geschiebe auf dem Grunde der Bäche aufzuwühlen und hervorzuheben, ob etwa Diamanten darin verborgen wären. Dann störte nichts mehr die ungeheuren Einöden, die wechselnd, bald sandig und mit einzelnen Steinblöcken übersäet, auf welche Büsche und Geflechte wie ein undurchdringliches Dach wucherten, bald als endlose schöne Wiesenflächen mit üppigem Grün, mit Wald und Rohr bedeckt, viele Tage lang den Weg der Wanderer begleiteten.
Auch an Unterhaltung fehlte es nicht ganz; denn die Sinne wurden in steter Regsamkeit erhalten und alle Vorsicht angewendet, um keine Spur des Zuges zurückzulassen, oder aus geringen Merkzeichen versteckte Feinde zu wittern. Jeder Fußstapfen im Sande ward genau besichtigt, mit erstaunenswerthem Scharfsinne die Zeit bestimmt, wann er entstand, der Stamm der Wilden, zu welchem der gehörte, der ihn hinterließ, sein Alter und Geschlecht, und sogar ob er zum Kriege gerüstet war.
Zuweilen trafen sie auf alte Feuer und Lagerplätze, und man unterschied sogleich, wer sie einst errichtet hatte; ob eine Schar Sertaneiros, ob Indier, ob Abenteurer aus Los Santos, aus Juan del Rey oder Paulisten. Einige Mal glaubten sie Zeichen der verschollenen Brüder zu entdecken. In der Nähe der Parana fand sich ein Lager, wo unter überwucherndem Gebüsch ein halbverwitterter Maulthierzaum gefunden wurde. Er ward sogleich für paulistische Arbeit erkannt und aus der Schnalle mit gekrümmtem Dorn wollte man ihn zum Eigenthume eines Ramalho's machen.
Diese Entdeckung gab neuen Muth, daß man sich auf der Fährte der Vermißten befinde, aber wie bald schwanden wieder alle Spuren! Niemand gab eine Kunde, selbst die stummen Zeichen der Fußstapfen hörten auf, als der kleine Haufen nun in den ungeheuern Wäldern verschwand, welche die Stromthäler der Parana einfassen. Oftmals zeigte es sich, wie die Paulisten, gleich den gefährlichen Raubthieren, fürchtend und gefürchtet, jedes Begegnen von Menschen in diesen Wildnissen vermeiden mußten, und in Folge ihrer eigenen Thaten aller Kunde entbehrten.
Zuweilen sahen sie Rauch aufsteigen, an grünen Abhängen weideten Scharen von Pferden, Ochsen und kleinen langgehörnten Ziegen, Pisanggebüsche und Schminkbohnen umgaben die Kegelhütten, die halbverschmachteten Männer blickten sehnsüchtig nach den Orten, wo Ueberfluß an köstlichen Dingen, an frischem Fleisch, Milch und Früchten war. Der Wind führte dann auch rauhe Töne herüber, oder ein nackter Indianer, mit Federkrone und flatterndem Pantherfell, jagte über die Hügelkette am Saum der sinkenden Sonne hin. Die Paulisten warfen sich zu Boden, bis die Nacht da war und eilten dann mit mannichfacher List an dem gefährlichen Orte vorbei.
Jedermanns Hand war gegen die weißen Räuber der Küste, wie ihre Hand gegen Jedermann. Die Ramalho's ballten die Faust und murmelten: Wären unsere Brüder mit uns, o! ihr rothen Hunde, bald genug würdet ihr gebunden zu unseren Füßen liegen und unsere Sklaven sein. Das war ihr ganzes Sinnen und Denken, und so ging es weiter durch die Wälder, wo der Tapir seinen Rüsselkopf aus dem Schlamme der Lachen emporstreckte und die fremden Wesen dumm anstarrte, oder der klägliche Schrei eines vom Tode vergessenen Geschöpfes der Urwelt, eines Faulthiers, sie erschreckte. Dann und wann schlich sich auch wol ein anderes jener seltsamen Ueberbleibsel einer untergegangenen Schöpfung, ein Ameisenbär, durch den Wald. Sein langes greises Haar und die schleifenden Füße mit den ungeheuren Krallen schien selbst dem räuberischen Jaguar Schrecken einzuflößen, der auf dem Baume lauernd auf ihn herabsprang, aber ebenso schnell entfloh, wenn der Greis der Thierwelt sich langsam aufrichtete.
Endlich rauschte es dumpf durch die Wälder, und als man eine Hügelkette hinabstieg, floß der silberhelle Parana durch ein heiteres, mehre Meilen breites Thal. Seine Wasser waren in der Blüthe, das heißt, sie hatten fast den ganzen Thalkessel überfluthet und bildeten einen ungeheuren Wasserspiegel, aus welchem die höhern Landestheile gleich Inseln hervorsahen.
Hier regte sich nun vereint die ganze Lebenskraft der Pflanzen- und Thierwelt. Die riesenhaften Waldbäume hielten ihre Kronen voll wundergroßer Blüthen, wie ein schwebender, von Säulen getragener Garten, hundert Fuß zwischen Himmel und Erde. Unten blühten und sproßten die Kelche der Mimosen, der Riesenpilze, und die tausend Lianen und Blumen, und ungeheure Blätter und Blattstiele, als ein anderer Zauberhain.
Wie regte das Leben sich an jedem Halme! Die glänzenden Insekten, die Schlangen von schreckender Gestalt, die zahllosen bunten Vogelschwärme, der gehörnte Anhinga, der Tukan mit dem gewaltigen Schnabel, der Jabiru, ein Riese, der langsam durch die Wasser watete, die wildflatternden, unzähligen Schwärme von Papageien, Cacadous und farbigen Raben, die von den Affen gejagt wurden, denen wieder, auf den Inseln im Strome, der große Jaguar auflauerte; und nun im Wasser selbst die Myriaden seltsamer und schöner Fische, spielend und sonnend in dem klaren Elemente, und durch den Glanz verrathen an hochschwebende Geier und Falken, von der kleinen, lauernden Tigerkatze, die mit dem Schwanze aufs Wasser schlägt, um die neugierigen Fische herbeizulocken, und selbst von Affen verfolgt.
Die Paulisten aber kümmerten sich wenig um diese Schöpferkraft der Natur, sie waren schnell dabei, ein Floß zu bauen, auf welchem sie am nächsten Tage schon den Strom überschifften und dann vorsichtig in das Land eindrangen, welches zwischen dem Parana und Paraguay, in einer Breite von funfzig bis hundert Meilen, bald Ebenen voll Gras und Weidenreichthum, bald Urwälder, welche noch nie die Axt lichtete, bald Hügel und Bergzüge mit tiefen Auenthälern und Quellen, bald aber auch Wiesenschluchten bildet, in welchen der Paraguaythee an weidenähnlichen Sträuchern wächst.
Was Gaston betrifft, so hatte dieser im Kampfe mit den Mühseligkeiten und Gefahren des Zuges selten Zeit gefunden, lange und trübsinnig an St. Paul und seine Liebe zurück zu denken. Ein widerwilliges Gefühl hielt ihn auch meist davon zurück. Nur Nachts, wenn er einsam wachend am Feuer, in den Decken gehüllt lag, der Thau auf seine verdorrten Lippen fiel, und die Sterne durch die Waldgipfel leise grüßend, vorüberzogen, sah er Dolores, wie sie mit dem aufgelösten glänzenden Haar, händeringend am Altare lag, oder von dem Hügel gen Westen starrte und bald Jose, bald Gaston rief. Und heimlich kalt lief es ihm durch die Brust, und er saß und sann, und konnte doch kein Ziel und keine Ruhe finden, bis das ferne Geheul eines Jaguars die Stimmen der Thiere umher weckte und die Menschen sich ermunterten und aufhorchten, oder das Rauschen des Windes ihn einsang und alle Besorgnisse fortscheuchte.
Als sie eines Tages an einer hohen Hügelkette herabsahen, schimmerte ein unermeßlicher Wasserspiegel am Rande des Horizontes, und die Augen der Ramalho's blitzten stärker; denn dort sollte das Ziel ihrer Reise sein. Es war der Paraguay. Je näher sie dem mächtigen Strome kamen, um so vorsichtiger wurden die Paulisten, denn hier standen sie auf dem Gebiet ihrer Feinde, der Jesuiten. Das war das Land der Missionen und der braunen sanften Guaranis, die den Thee sammelten und liebten und beteten, ganz wie die Priester es befahlen.
Als sie den Strom erreichten und an seinen hohen buschigen Ufern hinzogen, zeigten sich die Ueberschwemmungen, welche, zweimal im Jahre, auf einer Strecke von hundert Meilen Länge und vierzig in der Breite, dies ganze Land in einen großen Binnensee verwandeln; das linke hohe Flußufer bildete den Grenzstein des Festlandes. Hier schien Brasilien und Amerika sein Ende erreicht zu haben. Die gelben, schmutzigen Fluthen des Paraguay wälzten sich langsam an den Lehmhügeln hin; überall stiegen die Baumkronen aus dem seltsamen Meere und die blauen himmelhohen Berggipfel am äußersten Rande des Horizonts kündigten neue ferne Länder an; jene wunderbaren Felsenketten vielleicht, in denen das Gold in gediegenen Wellen fließen sollte.
Langsam verfolgten sie den Zug des Wassers, seine Buchten, seine Einspülungen, und nicht selten entgingen sie kaum den Gefahren, wenn die Lehmwände der Hügel sich in großen Massen da und dort, loslösten, und mit dem Walde auf ihrem Rücken herabstürzten und verschwanden. Keine Menschenspur hatte bis jetzt dabei ihnen Sorge oder Freude gemacht; nur die Pflanzen- und Thierwelt rang mit den gelben Wellen, nur das Krachen, Brüllen und Aechzen der Wesen, die im Kampfe mit der Natur oder mit stärkern Feinden unterlagen, begleitete den einsamen Weg.
Plötzlich aber hielt die Vorhut des Zuges auf einem Vorsprunge still, und ihre Zeichen kündeten den Nachrückenden eine Entdeckung an. Mit pochendem Herzen eilte Gaston hinauf; noch ehe er aber die Höhe erklommen hatte, schallten die Töne einer fernen Glocke durch die Luft. Es war ein Zeichen der Menschennähe, der Nähe einer wunderbaren Civilisation der Christenheit mitten in der Wildniß. Er konnte es kaum erwarten hinabzusehen, und Thränen füllten seine Augen, als er ein Thal erblickte, mit Häusern und Hütten, ein großes Gebäude, in der Mitte mit einer thurmartigen Spitze, von welchem ein goldenes Kreuz in der Sonne glänzte. Braune Menschen in hellen baumwollenen Kleidern arbeiteten in den Gärten und Feldern, Andere kamen mit großen geflochtenen Körben aus den Waldhügeln in einem langen Zuge.
Einige schwarz gekleidete Männer von ehrwürdigem Ansehen schienen die Aufsicht zu führen, und die Ramalho's wiesen hinunter und sagten spottend:
»Das sind die schwarzen Räuber, die Jesuiten, die ihre Schafe mustern.«
Weiterhin spielte eine Anzahl Kinder in dem hohen Grase, und einige beaufsichtigten kleine Thierheerden aller Arten, die in eingehegten Weideplätzen ihr Futter fanden; noch andere größere kamen mit Büchern aus einem großen Hause, und als die Glocke nun wieder läutete und der rothe Schein der Abendsonne hoch an den Wipfeln glühte, verließen die Arbeiter Feld und Garten, und Frauen, Männer und Kinder gingen in einem langen Zuge in das Gotteshaus, wo die Diener des Christengottes ihnen Gebet und Buße lehrten.
Es war eine große Niederlassung, die das ganze Thal einnahm und mehre tausend der sanften Guaranis schützte. Einer der Ramalho's meinte, es sei die Mission der unbefleckten Jungfrau, ein Anderer aber setzte diese tiefer hinab, wo der Curugnatos einströmt, und ein sehr erfahrener Mann behauptete, das sei die neue Ansiedlung, welche die Paters erst vor einem Jahre errichtet hatten.
Dieser kleinen Ungewißheit folgte die größere, ob man zögern und kundschaften, oder frischen Muthes sich hinunter wagen sollte! Die Paulisten waren bei aller Verwegenheit doch wenig geneigt dazu. Sie hatten den Missionen zu viel Schaden gethan, um nicht auch jetzt zu fürchten. Daß Gaston Briefe und Beglaubigungen des Bischofs bei sich führte, schien ihnen gar nicht so viel Sicherheit zu versprechen. Es waren welterfahrene kluge Leute, die wohl wußten, daß ein geschriebenes Wort kein Panzer und Schwert sei und ganz richtig sich prophezeiten, daß, wenn es den guten Paters und ihren bewaffneten Zöglingen gefiele, sie sämmtlich aufzuhängen, der Himmel zu hoch und St. Paul zu weit sei, um ihnen zu helfen.
Aus diesen und ähnlichen Gründen, die in einem allgemeinen Kriegsrathe verhandelt wurden, ward zuletzt der Beschluß gefaßt, daß Gaston, sein Diener Gaspar und zwei der tapfersten und klügsten Ramalho's in die Mission hinabsteigen, die Uebrigen aber sich in einer abgelegenen Waldschlucht bis zum nächsten Tage, oder überhaupt so lange verbergen sollten, als man nicht vollkommen sicher vor List und Falschheit sei. Nur, wenn man mit Recht annehmen könne, daß keine Gefahr drohe, solle der Hinterhalt verlassen werden, in jedem andern Falle aber, und wenn die Ursache ihres Kommens fruchtlos sei, wenn man nichts von den Ramalho's oder Pinheiro's in den Missionen gehört habe, sollten die Kundschafter schnell wieder aufbrechen. Sollte man aber ihnen Gewalt anthun, so schworen die Paulisten ihre Brüder furchtbar zu rächen, was diesen zwar wenig helfen konnte, aber dennoch immer gewissen Trost gab.
Unter diesen Beschlüssen war das Dämmerlicht des Abends fast hereingebrochen und in dem letzten röthlichen Scheine ritten die vier kühnen Männer den steilen Hügel hinunter. Bald verließen sie den schirmenden Wald und befanden sich auf einem Wiesenstreif, an welchem eine gangbare Straße zur Niederlassung führte.
Jetzt sahen sie erst deutlich, daß die Mission nicht ohne Vertheidigung und wohl angelegt war. Während sie selbst auf etwas erhöhtem Boden lag, breitete sich ringsum der saftige tiefe Wiesenteppich aus, welcher zum Theil in fruchtbares Feld und Gartenland verwandelt war. Erdaufwürfe und dichte Hecken zogen sich rund um die Häuser, zwischen welchen auch an verschiedenen Stellen feste Rückzugplätze erbaut waren. Den Eingang verschloß ein starkes Thor und eine Balken- oder Palisadenreihe, die mit Schießlochern versehen war.
Schweigend und vorsichtig umherblickend zogen die Paulisten ein. Ein Kind, das an der ersten Hütte saß, starrte die fremden Männer neugierig an, bei der zweiten erhob ein Weib ein lautes Geschrei, ein brauner Mann stürzte aus der dritten, kaum aber hatte er die bärtigen Gäste erblickt, als er mit einem gellenden Hülferuf über den Platz floh und in die Kirche eilte. Die Paulisten waren ihm nachgezogen, und ihnen entgegenquoll aus dem geöffneten Gotteshause eine aufgeregte, furchtsam erschreckte und unschlüssige Menge, die nicht wußte, sollte sie davonlaufen, oder die vier verwegenen Reiter umringen und niederreißen, oder sie als ein Wunder betrachten.
Das verwirrte Geschrei hatte indeß auf Gefahr gedeutet, und eine Anzahl Männer eilte mit Waffen herbei. Daneben hörte man im Innern der Kirche eine starke tönende Stimme, die im Namen Gottes befahl, die Thore zu besetzen und die Räuber zu vertilgen. Jetzt trat dieser Held aus der Thür. Es war ein hoher stattlicher Priester mit kühnem, feurig geröthetem Gesicht. Als er Gaston erblickte, funkelten seine Augen zorniger, er streckte die Hand aus und rief mit Heftigkeit:
»Ihr also seid es, junger Mann, Ihr haltet Euer Wort und erscheint als Feind des Volkes Gottes am Paraguay, hütet Euch, daß auch das meine sich nicht erfülle.«
Gaston blickte erstaunt den Sprecher an. Es war der Pater Bonaventura!
Als eine Verständigung erfolgt war, so gut der Augenblick diese zuließ, nahm der Pater Superior die Briefe aus Gaston's Hand, öffnete sie, las und blickte dann einige Mal schnell auf den jungen Abenteurer. Endlich glättete sich seine Stirn und die lauernde Freundlichkeit seines Blickes ging nach einigen Augenblicken ganz in eine offene und würdevolle Hoheit über, die sein schönes stolzes Gesicht füllte.
»Seid uns denn willkommen, Herr Hauptmann«, sagte er, »und vergebt es den bösen Zeiten und unseren traurigen Erfahrungen, wenn wir Euch für weit schlimmer hielten, als Ihr seid. Im Namen des Herrn seid unser lieber Gast, ruht aus von Euren Mühen, und wenn wir Euch in Euren Angelegenheiten auch nur wenig Kunde und Rath geben können, so wollen wir uns doch bemühen, Euch, Eurem würdigen Verwandten, Dom Herreira, und dem frommen Bischofe in St. Paul so viel zu dienen, als wir vermögen.«
Er theilte hierauf den horchenden Guaranis die Versicherung mit, daß diese Männer zwar Paulisten waren, doch nichts von ihnen zu fürchten sei, und lud dann mit großer Freundlichkeit seine Gäste ein, ihm zu folgen.
Gaston war von seinem Thiere gestiegen und ging neben Bonaventura her, der seinerseits auch von einigen Gehülfen begleitet wurde, während der ganze Schwarm der Schüler, flüsternd und murmelnd ihnen folgte. Nach wenigen Schritten aber drehte sich der Pater um, und indem er segnend die Hände gegen die Menge ausstreckte, sagte er mit sanftem Nachdruck:
»Geht, meine Kinder, geht, Ihr müßt ermüdet sein. Ihr habt des Tages Last und Hitze getragen und daheim erwartet Euch die Ruhe, der Herr sei mit Euch, meine Kinder!«
Es bedurfte nur dieser Worte, um Alle zu entfernen. Schweigend beugten sie sich tief vor dem ernsten Manne und Keiner blieb neugierig stehen, Keiner lachte und Keiner murrte; das Wort eines Kaisers hätte nicht pünktlicher vollzogen werden können.
Gaston erstaunte vor dieser geistigen Ueberlegenheit und der Pater mochte wohl merken, was in ihm vorging; denn er sagte mit einem leichten Lächeln:
»Es sind gute folgsame Kinder, voll Treue und Gehorsam, denn sie wissen, daß der heilige Orden und seine Diener, der sie schützt, ernährt und zum Himmel reifen läßt, ihnen nur befiehlt, was gut und recht ist. Darum gibt es auch nichts, was sie nicht vollbrächten.«
Als er diese Worte stark betont aussprach, erschrak der Paulist, denn sie zeigten ihm an, daß er ganz in der Gewalt dieses Jesuiten sei, aber er lächelte, denn der Pater lächelte auch und fragte mit der größten Theilnahme über die Zustände St. Pauls, über die Reise durch die Sertams, kreuz und quer, welches Gaston zwar aufrichtig, aber doch mit Vorsicht beantwortete. Bonaventura's herrisches Auge nahm zuweilen den vernichtenden Ausdruck an, welchen Gaston am Bord der heiligen Dreieinigkeit gesehen hatte, aber es war ein Schatten, der ebenso schnell an seiner Seele vorüberzog, und dann der heitern Freundlichkeit und Belehrung Platz machte.
»Sie sind hier in den Schooß des Friedens und fast in eine andere neue Welt gerathen«, sagte er, »von der Sie vielleicht manches Böse gehört haben, aber ich denke Sie nicht eher fortzulassen, bis Sie eines Besseren überzeugt sind.«
»Dann«, sagte Gaston lächelnd, »würde mein Aufenthalt sehr kurz sein müssen, denn gewiß, Herr Pfarrer, ich fühle mich von diesem Bilde der Ordnung, der Arbeit, des Friedens und der Gottesfurcht so angezogen, daß ich die Wohlthat, welche Ihr heiliger Orden diesen armen gemißhandelten Naturkindern brachte, in seiner ganzen Wahrheit empfinde.«
Bonaventura sah ihn prüfend an.
»Dächten doch alle Bürger St. Pauls so«, sagte er seufzend, »wir könnten dann weit mehr thun, als uns möglich ist, und das Werk der Liebe von den Guaranis auch auf andere Stämme und Gegenden verpflanzen.«
Gaspar murmelte hier in seinen Bart:
»O! ihr falschen Hunde, ja, ihr möchtet sie Alle arbeiten und beten lassen, was sie können, und nichts dafür geben als das Nothwendigste; das Andere aber steckt ihr in eure Taschen, betrügt ehrliche Leute mit eurem verdammten Thee und sammelt Gold und Schätze.«
Aber er schwieg sogleich, als der Pater ihn scharf ansah, und dieser fuhr fort:
»Wir haben diese Indianer zu denkenden Wesen gemacht, ihnen Rechte und Freiheiten ertheilt und Liebe zu Gott und Menschen eingepflanzt. Dafür lieben sie nun uns, ihre Beschützer, welche auch weltliche Macht genug besitzen, ihre irdischen Feinde zu demüthigen.«
Er hatte diese Erklärung mit einer kalten Ueberlegenheit gegeben, der man es wohl anhörte, daß es ihm wenig darum zu thun sei, ob er seine Zuhörer überzeuge oder nicht. Bei den letzten Worten aber deutete er lebhaft über den Platz hin, auf einen Haufen junger Leute, die mit Säbeln und Dolchen, und selbst mit Gewehren versehen waren und ihre Waffenübungen soeben beendet hatten. Der Pater schien sich herzlich darüber zu freuen, er blieb stehen und folgte einige Minuten lang den Bewegungen, während Gaston Zeit behielt, die Menschen und Häuser, wie die ganze Umgebung zu mustern.
Mehre lange Gebäude von fester Bauart waren sicher die Vorrathsräume, von welchen Bonaventura sprach. In einem Halbkreise umher lagen die Wohnungen der Indianer, gleichförmig und sehr freundlich, fast zierlich gebaut, mit kleinen Vorgärten voll Blumen und mannichfachen Gewächsen. Die Seitengassen, deren es wenige gab, führten alle auf den großen Platz und in der Mitte stand die Kirche, ein für diese öde Wildniß prächtiges Gebäude, ihr gegenüber aber das Schulhaus und ein anderes größeres und besser aussehendes, die Wohnung des regierenden Pfarrers und seiner Substituten.
Als Bonaventura aufblickte, fragte Gaston, ob er schon lange hier die geistliche Sorge und das Generalcommandantenamt in der Mission verwalte? Aber der Pater lächelte vornehm und sagte dann:
»Ihr irrt, mein junger Freund, wenn Ihr mich für den Pfarrer haltet. Der Orden sendet von Zeit zu Zeit einen Delegaten herüber, der die Missionen lange genug besucht, um einen genauen Bericht einst ablegen zu können. Mit einem solchen Auftrage bin ich auch beehrt worden, doch denke ich im nächsten Jahre nach Rom zurückzugehen und einige Kenntniß aller Zustände der neuen Welt mitzunehmen.«
Diese Mittheilung war für Gaston natürlich der Kern einer schnell entspringenden Gedankenreihe, und er bewunderte heimlich ebenso sehr den mächtigen Orden, der die Welt seinen Zwecken dienstbar zu machen suchte, indem er die größten Geister und die tiefsten Kenntnisse in sich vereinte, wie den hohen ernsten Mann an seiner Seite, welcher mit gewinnender Freundlichkeit von Neuem zahlreiche Fragen an ihn richtete und dann ebenso gütig und weise, wie belehrend, sprach.
Als sie das Haus erreicht hatten, welches Bonaventura ihnen als seinen Aufenthalt und den ihren, so lange es ihnen beliebte seine Gäste zu sein, bezeichnete, stand Gaston einen Augenblick und betrachtete einen Anbau, der aus festem Stein gefügt und mit kleinen vergitterten Fenstern versehen, einen auffallenden Anblick gewährte. Ein Schauer überlief ihn plötzlich, er wußte selbst nicht weshalb.
»Das«, sagte er und deutete darauf, »sieht wie ein Gefängniß aus.«
»Und das ist es auch«, erwiderte Bonaventura. »Wir haben auch hier unsere Sünder, und leider macht die Unvollkommenheit der menschlichen Natur es nöthig, zu Strafen zu greifen, um zu warnen, zu bessern oder zu vernichten, wenn die Vernichtung nothwendig wird.«
»Es scheint mir«, sagte Gaston beklommen, »als hätte dieser Thurm eben jetzt einen Einwohner. Es lief ein Schatten hinter dem Gitter fort, und seht doch, da ist eine Hand.«
»Treten Sie herein«, sagte der Pater ruhig, ohne auf seinen Ausruf Rücksicht zu nehmen.
Er zog an einer starktönenden Schelle, und mehre braune Diener eilten herbei, denen der Superior in der Guaranisprache befahl, den Fremden Beistand zu leisten, ihnen den Stall für ihre Thiere, Futter für diese und Speisen für die Männer zu bereiten, dann faßte er Gaston's Arm und bat ihn, die Sorge diesen Leuten zu überlassen, welche Alles wohl ordnen würden.
Als der Paulist ihm folgte, glitt sein Blick an einen Mann hin, der neben den Maulthieren stand und ihn aufmerksam zu betrachten schien. Sein dunkler Körper war stark und hoch, sein Auge, glänzend und ernst, schien das tiefe Dämmerlicht zu durchstrahlen. Gedankenvoll starrte Gaston ihn an, aber der Wilde wandte sich ab, und Bonaventura zog seinen Gast in ein Zimmer, das in der That gastlich zu nennen war.
Ein leichtes Feuer brannte hier auf einem Roste, theils die Feuchtigkeit zu verjagen, theils um ein hell polirtes Gefäß von edlem Metall zu erwärmen, in welchem der Paraguaythee kochte. An der einen Seite des großen Gemachs waren Bücher aufgereiht, und in einer Nische stand ein kleiner Hausaltar mit einem Betpulte, an der andern langen Wand aber war ein bequemes Ruhebett und mehre Gegenstände des Luxus, unter welchen ein Spiegel nicht einer der geringsten war. Schriften lagen in einigen gewaltigen Stößen auf einem großen Tisch, an welchem mehre Stühle standen; einige mächtige Bücher ruhten aufgeschlagen, und gleichsam als Gegensatz dieser Gelehrsamkeit hing an der Wand ein Gewehr mit einem Räderschlosse, zwei lange Reiterpistolen und ein Schwert.
»Hier sind Sie in meiner stillen Wohnung«, sagte Bonaventura, »und ich heiße Sie nochmals willkommen. Oben sind zwei geräumige Kammern, die ich Ihnen überlasse, nur müssen Sie nicht zürnen, wenn es ein wenig unbequem her: geht. Ich könnte Ihnen leicht«, fuhr er dann fort, »eine bessere Wohnung verschaffen, allein Sie sind mir von dem Bischof, wie von dem Gouverneur, dringend empfohlen, und so sanft und folgsam unsere Wilden hier sind, so haben sie doch zu viel, Böses von den Paulisten erfahren, die ihnen Vater und Brüder raubten und erschlugen, um nicht die Möglichkeit einer Rache zu denken, die ihnen früher Gesetze und Pflicht war.«
Mit der Besorgtheit und Aufmerksamkeit eines guten Wirthes sorgte er nun für jede mögliche Bequemlichkeit. Seine strenge Stirn glättete sich, der ernste Blick seines Auges machte einer sanften Freundlichkeit Platz und als er das schwarze Kleid abgelegt hatte und in einem seidenen bequemen Hausmantel neben seinem Gaste saß, den Thee bereitete und den süßen berauschenden Trank reichlich spendete, schien er ganz den Priester und den mächtigen Superior vergessen zu haben, denn er plauderte mit der vertrautesten Harmlosigkeit und erzählte viele komische Geschichten aus dem Leben und Treiben dieser Naturkinder der Wildniß.
Daneben aber war er so belehrend und so scharfsinnig denkend und unterrichtet, daß Gaston ihm mit Vergnügen zuhörte. Was Bonaventura sagte, floß wie ein reicher Strom von seinen Lippen. Es war edel und tief empfunden und klang oft wie prophetische Verkündigung. Sein Auge war begeistert von einer ahnungsvollen Schwärmerei, mit welcher er von Menschenglück und der Freiheit künftiger Tage sprach, von Zeiten, wo Weisheit und Liebe die Welt regieren würde und wo es keiner Priester mehr bedürfe, um nackte zitternde Wesen vor einem Räubervolke zu schirmen. Das waren Worte, die Gaston's Herz innig bewegten. Er sprach Vieles über sein Lieblingsthema, das er lange unter Verschluß gehalten hatte, über eine Kirchenverbesserung, und mit Weitläufigkeit erklärte er seine Ansichten und was er in Deutschland und den Niederlanden und in Hugonottenzügen erfahren und ergrübelt hatte.
Bonaventura hörte ihm mit großer Aufmerksamkeit, oft lächelnd und Beifall nickend, oft durch einige widerlegende Worte ihn mehr anspornend, zu. Dann sprach er einige beziehungsvolle Wünsche, und stieß mit Begeisterung sprühenden Augen auf ihre Erfüllung, auf Bekehrung der Welt zur wahren höchsten Kirche an. Als Gaston aber dies Gespräch fortsetzen wollte, brach er plötzlich mit einem Scherze ab, und wußte so viele lustige Geschichten und so viele ernste Dinge zu erzählen und seinen Gast darin zu verwickeln, daß dieser wohl sah, er wolle von dem gefährlichen Thema nichts weiter hören.
Bald fühlte auch der ermüdete Reisende, wie das feurige Getränk durch seine Pulse rollte und seinen Kopf umschwindelte. Bonaventura aber leerte Glas auf Glas und schien die Wirkungen nicht zu empfinden. Er kochte den süßen Trank und erzählte dabei Wunder- und Zaubergeschichten, und dann von den Paulisten, die er suchen lassen würde, bis an die Andenkette. Plötzlich that er dann wieder viele schnelle Fragen an Gaston, über seinen Zug und seine Begleiter. Mehrmals war der junge Capitain nahe daran, dem guten Priester Alles zu verrathen, was er wußte, aber ein unbekanntes Etwas hielt ihn davon zurück, und wenn er die Lippen dazu öffnete, schwieg er wieder.
Endlich stand er auf, denn sein Kopf war sehr schwer, und als Bonaventura lächelnd noch nichts von Aufbruch hören wollte, fiel Gaston plötzlich die Donna Ines ein und das Abenteuer auf dem Schiffe. –
»Gut«, rief er in seiner trunkenen Laune, »gut, mein heiliger Herr, ich will bleiben und mit Euch trinken, aber dann sollt Ihr mir auch erzählen, was aus der schönen Frau und dem rothhaarigen Schurken in St. Vincent geworden ist, und ob Ihr glücklicher waret als ich!«
Der Superior warf einen schnellen Blick im Zimmer umher.
»Ich sehe wohl«, sagte er mit einer Mischung von abwehrender Würde und Scherz, »ich muß meinen jungen Freund entlassen. Gute Nacht denn, Herr Gaston, wir werden morgen weiter sprechen.«
Ein Diener führte ihn in die obere Kammer, wo seine Gefährten schon im tiefen Schlafe zu liegen schienen. Gaston streckte sich halb entkleidet auf dem Lager aus und schloß die Augen, ohne daß der Schlaf kam. Sein Kopf brannte, tausend abenteuerliche Gestalten tanzten fratzenhaft in der Finsterniß. Bald war es Bonaventura, der ihn hämisch anstarrte, bald breitete Dolores die Arme nach ihm aus, oder Dom Herreira winkte ihm und die alte Haushälterin schlug ein kreischendes Gelächter auf. Er hörte es so deutlich, daß er emporfuhr und sich auf seinem Lager aufrichtete.
Draußen rauschten die Bäume im Nachtwinde und ein Sternenschein drang schwach durch die kleinen mit Gaze eingerahmten Fenster. Als er noch im dumpfen Sinnen hinblickte, verschwand der Schimmer. Irgend ein Körper schien auf dem Vorsprung der Bedachung hinzukriechen, und nun glaubte er ein leises Kratzen oder Klopfen zu hören. Eine Ahnung von Gefahr dämmerte in ihm, und aus dem wüsten Rausche trat plötzlich das klarste Bewußtsein. Einen Augenblick wollte er laut schreien und seine Gefährten wecken, deren Schnarchen ihm bewies, wie fest sie schliefen; dann dachte er, es sei einer der großen Panther, die zuweilen nächtlich von Hunger getrieben in die Wohnungen der Menschen brechen und die Dächer nach Raub ersteigen, und er sprang auf, ergriff seine Waffen und horchte von Neuem, als er eine leise, ganz leise Stimme sagen hörte:
»Weißer Bruder, öffne Dein Ohr, ein Freund wacht an Deiner Thür.«
Entschlossen öffnete Gaston das Fenster. Eine dunkle, ganz zusammengekauerte Gestalt saß auf der schmalen Fassung und zwei Augen glänzten ihn an. Er sprang zurück und zog sein Messer, aber die Gestalt hob bittend die Hände auf, und indem sie eine Bewegung zum Entfliehen machte, flüsterte sie im gebrochenen portugiesisch:
»Im Namen Gottes, mein Bruder, rede nicht. Der Tod jagt um Dein Haupt, Antaitas. ist Dein Knecht, höre, was er sagt.«
»Wer bist Du?« sagte Gaston, »ich kenne Dich nicht.«
Der Inder, schlüpfte durch die Oeffnung und richtete sich daran empor.
»Einst«, sagte er, »war ich ein großer Häuptling, doch Deine weißen Brüder haben mein Volk getödtet und Antaitas lag, wie Staub, zu ihren Füßen. Hier lebe ich nun bei den heiligen Vätern, denen ich als Jäger diene und die mich schützen. Antaitas trauert, aber als ich Dich sah, erwachte die Freude in mir, denn Du warst es, der mir Geld gab, als ich verachtet und hungernd in der großen Posada von St. Vincent lag. Antaitas ist dankbar.«
Nun erkannte ihn Gaston. Es war derselbe braune Diener, der ihn bei seiner Ankunft so aufmerksam betrachtet hatte.
»Welche Gefahr«, sagte er, »droht uns denn?«
Der Indianer ergriff seine Hand.
»Folge mir«, sprach er, ich will Dich führen. Deine Augen sollen sehen und Dein Ohr hören.«
Er zog ihn fort und öffnete eine Thür, durch welche sie auf einen leeren Bodenraum traten. Dann schob er die Riegel einer zweiten Thür zurück und eine schmale Treppe führte in das untere Stockwerk. Hier hörten sie mehre Stimmen und plötzlich, auf der Mitte der Stufen blieb Antaitas stehen und deutete auf einen Lichtschimmer, der durch den breiten Spalt einer schlecht verwahrten Holzwand fiel. Gaston konnte bequem von oben in ein großes Gemach sehen, das neben dem lag, in welchem er Bonaventura's Gast gewesen war. Der Superior stand vor mehren Indianern, denen er Befehle ertheilte.
»Nun wißt Ihr Alles, meine Kinder«, sagte er. »Antaitas ist schon fort, um am Strome hinaufzuspüren, Ihr durchstreift die Hügel mit den zweihundert jungen Leuten, und ich müßte mich sehr irren, wenn die Gnade der heiligen Jungfrau Euch nicht bis zur Morgensonne die Söhne des Teufels entdecken hülfe. Ja, ich verkünde es Euch, Ihr werdet sie finden, und dann wollen wir ein Beispiel geben zur Ehre Gottes und der Menschen, wie es lange nicht geleuchtet hat.«
Die Guaranis entfernten sich und Bonaventura wandte sich zu zwei schwarzen Herren, dem Pfarrer und seinem Gehülfen, die neben ihm standen.
»Das ist ein seltsam glückliches Ereigniß«, sagte er. »Es kommt selten vor, daß der Jaguar so freiwillig ins Netz springt.«
Der Pfarrer erwiderte einige leise Worte, von welchen Gaston nur »Briefe und Bischof« zu hören glaubte, dann aber fügte er hinzu:
»Wissen Sie auch gewiß, Hochwürdiger, daß es derselbe junge Ketzer ist, dem in St. Vincent das heilige Gericht nachspürte?«
»Beim heiligen Ignaz!« sagte Bonaventura, »ich weiß es sehr genau. Der Kläger, Dom Vargal, war mein Freund und ich selbst ein Zeuge dabei. Der Bursche aber machte sich zu schnell davon, und so blieb die Klage ohne Erledigung. Nun aber haben wir ihn, den Gotteslästerer und Paulisten, der die gerechte Strafe empfängt. Sie waren ja im Nebenzimmer, als er dort seine schändlichen Reden gegen unsere heilige Religion ausstieß. Sie sehen also, wie wenig eine Besserung in ihm vorgegangen ist, und wie könnte ein so ganz verdorbenes Wesen sich auch bessern! Der fromme Bischof in St. Paul muß solche Schutzbriefe ausstellen, er ist in den Händen der Gottlosen, aber sicher wird er nicht böse sein, wenn wir seinen Schützling trotz dessen aufhängen.«
»Dann aber«, erwiderte der Pfarrer, »wäre es wol am besten, sie Alle im Schlafe zu knebeln und in den Thurm zu werfen. Sie sind jetzt tüchtig berauscht und unfähig, sich zu wehren.«
Der Superior schien sich zu bedenken, dann sagte er:
»Nein, wir wollen nichts übereilen. Erst müssen wir die Andern haben. Es ist sicher, daß ein Theil der Rotte sich verborgen hält. Dieser Gimpel ist doch zu sehr Neuling, um sich nicht zu verrathen. Er war mehrmals nahe daran, Alles zu bekennen, und sollten unsere Späher den Versteck nicht entdecken, so bin ich doch sicher, morgen sein Geheimniß zu erfahren, dann erst ist es Zeit. Nun, gute Nacht, meine werthen Brüder, ich denke, die Banane gibt uns Stricke Aus dem Stamm der Bananenstaude lassen sich durch Einweichen und Aufkochen bzw. Auswaschen spinnbare Fasern gewinnen. genug für alle diese Räuber, mögen die Heiligen sie verschwinden lassen, wie ich diese der ewigen Vergessenheit zu übergeben denke.«
Als die beiden Jesuiten fort waren, stand Gaston zitternd vor Zorn und Ueberraschung und starrte auf den Superior nieder, der seinerseits einige seltsame Vorbereitungen machte. Er setzte eine Sammtmütze auf seinen Kopf, nahm einen kurzen Mantel, den er umhing, und steckte dann eine kleine Laterne an, die er auf den Tisch setzte. Endlich legte er auf einen Teller Fleischstücke und Brod, schloß einen Schrank auf, wo er eine Flasche herausnahm, die er im Busen verbarg, und nachdem er die Vorräthe alle in ein Tuch geknüpft hatte, schickte er sich zum Gehen an.
Gaston ward schnell von seinem braunen Freunde fortgezogen und die Stufen wieder heraufgeführt, als er die Thür unter sich öffnen hörte. Eine grimmige Entschlossenheit strömte durch sein Herz.
»Er kommt herauf,« flüsterte er, »geh und laß mich allein mit ihm.«
»Nein, nein,« erwiderte Antaitas eben so leise, »er geht in den Thurm zu den Gefangenen.«
»Wer ist dort gefangen?« fragte Gaston.
Der Indianer zuckte die Achseln.
»Ich weiß es nicht,« sagte er, »es ist ein Weib, denke ich, aber komm, wecke Deine Brüder, ich will Euch führen, bis in den Wald. Er soll Euch nicht aufhängen.«
»Am besten wäre es,« sagte eine gedämpfte Stimme neben ihnen, »wir hingen diesen abscheulichen Jesuiten sogleich auf, das wäre das Sicherste.«
Antaitas sprang voll Entsetzen zurück und griff nach seinem Messer, aber Gaston erkannte sogleich, daß es der treue Gaspar war.
»Ich schlich hinterher, als dies braune Thier Sie fortführte,« sagte der Mischling, »denn mir ahnte von Anfang an nichts Gutes. Man hatte uns dort mit Trinken zugesetzt, und das schien mir ein abgeredeter Plan. Meiner Treu! Gaspar kennt den Kakadu am ersten Ton. Auch die Andern sind wach und gerüstet, denn nichts vergeht schneller, als ein Rausch, wenn man das Messer an der Kehle pfeifen hört.«
»Ich will dem Priester nach,« sagte Gaston entschlossen. »Wir dürfen diesen Verräther nicht so heimlich verlassen, ich muß wissen« –
Antaitas hielt ihn auf und flüsterte:
»Es sind viele Menschen hier, die mächtiger sind als Du, mein Bruder. Flieh, und ich will Dir den Weg zeigen.«
»Zeige mir den Weg, den er nahm,« erwiderte der Paulist, »wenn Du dankbar sein willst, und ich will es Dir lohnen.«
Der Indianer gab keine Antwort; aber er schritt voran, die Stufen hinunter in den langen Gang des Hauses, der es in zwei Hälften theilte. Es war völlig finster darin. Der Eine hielt sich an dem Andern; so tappten sie vorwärts, die Messer in der Hand und bereit, jeden unverhofften Widerstand stumm zu machen.
Endlich standen sie am Ende und Antaitas flüsterte:
»Hier ist der Eingang, hier geht es hinab, und dann in den Thurm.«
Eine schwere Thüre war nur angelehnt und vorsichtig stiegen sie mehre Stufen hinab in ein hohes kühles Kellergewölbe, und nach einigem Suchen fand sich zur Seite eine zweite starke Bohlenthür und Stufen, die aufwärts in den Thurm führten. Von oben herab wurden sie durch eine dumpfschallende Stimme geleitet, es war die des Superiors.
Antaitas zitterte heftig. War es das Ringen zwischen Dankbarkeit und Undankbarkeit, oder Furcht vor der Macht, das Schrecken vor dem Priester und dem durchbohrenden Auge des merkwürdigen Mannes – er sank auf die Stufen nieder und keine Bitte Gaston's bewog ihn, weiter zu folgen. Gaston selbst war von der fieberhaften Spannung dieses Augenblicks bis zum Fanatismus erregt, der jeder That fähig ist. Ahnungen, die gespenstisch ihn durchzuckten, ließen ihn fast alle Klugheit vergessen, und kaum konnte der schlaue Gaspar ihn festhalten und zur Vorsicht zwingen.
Als sie leise in das obere Geschoß des Thurmes traten, sahen sie, daß dieser vier Zellen nach den vier Seiten enthielt. Ein Lichtstrahl und die Stimme des Superiors leitete sie weiter, Gaston blieb horchend an der Thür stehen, wo der Ton hervordrang, aber bald schien ihn ein unbeschreibliches Gefühl zu ergreifen. Er deckte die Hände auf sein Herz, als glaube er, das laute Pochen könnte ihn verrathen; dann drückte er die rauhe Hand seines Gefährten mit einer Heftigkeit, daß dieser kaum den Schrei des Schmerzes verbiß, endlich faßte er krampfhaft das Messer und seine Zähne schlugen vor Erregung und Erwartung zusammen.
Die Zelle war hoch und düster. Die kleine Laterne brannte auf einem niedern Tisch, wo auch die mitgebrachten Speisen aufgestellt waren, und vor demselben stand Bonaventura, erzürnt und mit lauter Stimme zu einer Gestalt redend, die im Schatten und abgewendet vor ihm saß.
»Undankbare,« sagte der Superior, »Ihr wißt zu gut, daß ich die Macht habe, Euch zu verderben, und doch gern Euch retten möchte. Ihr wißt es, daß ich Euch ein zärtliches Mitleid schenke; daß, was ich auch gethan habe, nur in der Absicht geschah, Euch zur wahren Einsicht, zur Verständigung Gottes und der Welt zu führen. Ja, meine Tochter, ich strebte danach, die Sünde auch aus Eurer Brust zu entfernen und die reine demuthsvolle Liebe an die Stelle der eitlen Lust zu setzen. Als Euer Gemahl, mein Freund, in Assumption starb, standet Ihr einsam in der weiten Welt. Ich konnte Euch anklagen, ich konnte ein furchtbares Verbrechen auf Euer Haupt wälzen, denn Ihr wißt es wohl, unter welchen Symptomen Dom Augustin endete. Ihr warft Euch zu meinen Füßen, Ihr beschwort Eure Unschuld, ich hob Euch erbarmungsvoll auf und lud Euch ein, in einer unserer Missionen Euren kranken Geist und leiderfüllten Körper zu stärken, an Werken der Milde und Christenliebe.«
»O, spart doch Eure Worte,« fiel hier eine sanfte Stimme ein, »ich kenne zu gut diese Sprache, und der Himmel hat es gewollt, daß ich ihr zu sehr vertraut habe. Wie könnt Ihr nur so entsetzliche Klage gegen mich erheben? Ihr wißt es, daß Dom Vargal plötzlich an einem jener Faulfieber starb, die die Europäer hier oft mit Blitzesschnelle ergreifen und fortraffen.«
»Könnt Ihr bei dem heiligen Kreuze schwören,« sagte Bonaventura spöttisch lächelnd, »daß Eure Thränen aufrichtig flossen?«
»Es war ein harter Herr,« erwiderte die Dame leise. »Die heilige Jungfrau weiß, wieviel ich gelitten habe.«
»Und sein Tod war Euch erwünscht,« fuhr der Superior fort. »Euer sündiges Herz dachte an andere, in Euern Augen schönere Männer. So häuft sich Schuld auf Schuld, so wächst das Verbrechen riesengroß, und die Hölle öffnet sich vor dem ewig Verdammten!«
»Was wollt Ihr mit mir?« sagte die Gefangene heftig bewegt, und stand auf. »Als mein Gemahl starb, eröffnetet Ihr mir, welch entsetzlicher Verdacht meine Ehre beflecke, und ich verlangte eine Untersuchung; aber ich weiß jetzt, daß Ihr nur diese Lüge erfandet, um mich hierher zu locken. Ihr wolltet mich hier schützen und verspracht meine Angelegenheiten zu ordnen; statt dessen habt Ihr meinen Willen mir ganz genommen, und als ich vor einer Woche auf Abreise drang, mich auch der persönlichen Freiheit beraubt, unter dem Vorwande, daß ich eine Gottlose und Verdammte sei. Was berechtigt Euch dazu?«
»Die Liebe zu Gott und zur Tugend,« erwiderte Bonaventura. »Es ist unser Beruf, hier den Sündern Erkenntniß ihrer Schuld zu lehren, das versuchte ich erst mit Ihnen, meine Tochter. Sie wissen wohl, daß ich das heilige Gericht in Assumption jeden Augenblick auf Ihr schuldiges Haupt herabziehen kann, und wenn ich als Kläger auftrete, keine Rettung vom martervollen Tode zu hoffen ist. Ich wünschte Sie davor zu bewahren, darum führte ich Sie hierher, um in der einsamen, arbeitsvollen Wildniß das gefallene Herz aufzurichten. Ich hoffte und glaubte, Sie würden sich an mich anlehnen, und zu einem neuen schöneren Leben Kraft und Muth gewinnen. Statt dessen wuchs die Sünde größer, und Sie sehnten sich in die Welt hinaus, um ihr zu fröhnen.«
»Weil die Art und Weise,« rief Ines mit zitternder Gewalt, »weil Ihr Umgang –«.
»Sie sollen Ihren Wunsch erfüllt sehen,« sagte Bonaventura mit markiger Stimme. »Der Schatten meines armen Freundes schwebt noch unversöhnt über uns. Ich habe versucht, Sie zu retten, nun mag die heilige Inquisition die Besserung übernehmen, wenn nicht meine Lehren in diesem schönen Körper auch ein schönes empfängliches Herz finden.«
»Welche entsetzliche Heuchelei!« rief die Gefangene, »aber der Himmel wird mir beistehen, ihm übergebe ich mich. Vielleicht sandte er mir schon den Helfer, ich habe ihn gesehen, es war Herr Gaston von Rivere, der heute hier erschien, und wenn er wüßte –«
»Und wenn er es auch wußte,« erwiderte Bonaventura ruhig. »Die Mission wird von drei tausend Menschen bewohnt, deren Jeder meinem Winke gehorcht. Nein, meine schöne Freundin, hängen Sie Ihren Sinn nicht an so trügerische Hoffnungen und lassen Sie diesen elenden räuberischen Paulisten den Weg gehen, welchen er morgen gehen wird, um nie wieder zurückzukehren. Hören Sie die Stimme der Einsicht und Vernunft, lassen Sie uns einen Frieden schließen, der sich in harmonische Eintracht löst, und in drei Monaten führe ich Sie selbst nach Europa zurück, nach Rom, wo der heilige General unseres Ordens, Pater Vitalleschi, uns für alle Sünden Vergebung gewähren wird.«
Mit Abscheu stieß Ines die Hand zurück, welche er gegen sie ausstreckte, und Bonaventura sagte lächelnd:
»Sie sind zu aufgeregt, meine Freundin. Wir wollen uns Zeit nehmen, ruhiger zu denken, wenn dieser unruhige junge Mensch aus St. Paul von uns gegangen ist.«
»Recht schön,« sagte Gaston plötzlich, »aber er wird nicht gehen, wie Ihr es wünscht, mein ehrwürdiger, gütiger Freund.«
Ines stieß einen schwachen Schrei aus, dann flog sie mit rascher Besonnenheit an dem erstarrten Bonaventura vorbei und sank sprachlos zu Gaston's Füßen.
»Wollt Ihr mich ermorden?« rief der Jesuit und richtete sich stolz empor.
»Ich hätte allerdings einige Lust,« erwiderte Gaston, »indeß kommt es auf Euch an, es abzuwenden.«
Bonaventura sah ihn starr an und ergriff die kleine Laterne. –
»Wenn ich dies Licht auslösche,« sagte er, »so gibt es einen Kampf im Finstern, und wenn ich auch unterliege, so wird mein Geschrei doch viele Menschen herbeiziehen und Ihr werdet verloren sein.«
Gaspar streckte hier seinen ungeheuern bleifarbigen Kopf durch die Thür und sagte:
»Laßt ihn werfen, was er will, ich sehe auch im Finstern, in wenigen Augenblicken soll Alles vorüber sein.«
War es nun diese grimmige Gestalt und ihre Drohung, oder der Glaube, daß auch die übrigen Paulisten auf der Lauer ständen, oder die Furcht vor dem gewissen Tode, dem er entgehen wollte, wenn es irgend möglich wäre; Bonaventura setzte die Lampe wieder an ihren Platz und sagte mit der kältesten Entschlossenheit:
»Hier bin ich, thut was Ihr wollt, Ihr legt die Hand an einen Geweihten Gottes, sein Fluch wird Euch verfolgen und verderben!«
»Nun überlaßt ihn mir,« sagte Gaspar leise lachend, »ich will ihn einwickeln wie eine Puppe; nur seid aufmerksam, mein gnädiger Herr.«
Mit wunderbarer Behendigkeit wickelte er die Schnüre und Riemen seines Lassos ab, den er von der Schulter riß, und bat nun den Superior ganz höflich, seine Hände zusammenzufalten, Bonaventura gehorchte ohne Widerstreben, und in wenigen Minuten lag er, wie ein Knäuel zusammengebunden, am Boden. Nun schleppte ihn Gaspar zu dem Lager der schönen Gefangenen, und Gaston konnte ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken, als er leuchtend danebenstand, und das ganze Dichten und Trachten des lüsternen Jesuiten mit diesem Ausgange verglich. Bonaventura's Augen schienen eine kalte Verachtung auszudrücken, er schwieg, und erst als Gaspar ihm einen fürchterlichen Knebel in den Mund stieß, murmelte er einige Worte, daß er nicht sterben möge unter den Händen eines Bösewichts, aber der Tag der Vergeltung kommen würde.
»Und nun, meine theure Ines,« sagte Gaston und küßte das weinende schöne Weib, die sich fest an ihn klammerte, als fürchte sie noch den Verfolger in Banden, »lassen Sie uns diesen traurigen Ort verlassen. Wie glücklich bin ich, vom Himmel als Ihr Helfer erkoren zu sein! Ich führe Sie ins Leben zurück, und Dieser, hoffe ich, soll uns nicht mehr daran hindern.«
Gaspar nahm die Lampe und trat grinsend an das Lager, indem er tief seine Kappe abzog:
»Schlafen Sie in Frieden, hochwürdigster Herr,« rief er, »die Zeit wird Ihnen sonst etwas lang werden; aber wenn Einer morgen fragt, wer Ihnen diese kunstgerechten Bandagen angelegt hat, so antworten Sie in Gottes Namen: Ein wackerer Mann aus St. Vincent und Gaspar di San-Piarti wird er genannt.«
Hastig und leise verschloß man die Thüren und gelangte glücklich durch die Kellergewölbe ins Haus. Hier standen die Paulisten bereit zum Aufbruch und zur That, wo es nöthig war; Gaspar aber, der die Vorrathskammer des Hauses entdeckt hatte, belud sich und seine Gefährten mit den besten Lebensmitteln, und war in der vortrefflichsten Laune, da er immer wieder an seine Heldenthat dachte, und wie man endlich einen listigen Jesuiten überlistet habe.
Fortzukommen aus dieser gefährlichen Höhle war aber nun der herrschende Gedanke. Noch fehlte jedoch der, welcher am meisten dazu nöthig war, Antaitas, der dankbare Indianer vom Tupistamme, und schon wollte Gaston, dem jede Minute eine verlorene schien, und die Paulisten, welche Verrath witterten, auf jede Gefahr den Ausgang suchen, als die Thür zur Seite leise geöffnet wurde und der Inder hereinschlich. Vorsichtig winkte er, Gaston löschte die Laterne und alle schlichen hinaus.
Die kühle Nachtluft wehte sie tröstend an, die Sterne sahen hoffnungsvoll nieder, und kaum beherrschten sie ihr Entzücken, als sie ihre Thiere unter einem Schirmdache stehend fanden. Antaitas hatte sie hierher geführt, und nun leitete er sie durch einen Garten und durch Hecken und Gräben ins Freie und in die Berge hinein, bis sie endlich einen kleinen Feuerschein zwischen den Spalten hervorbrechen sahen.
»Mein Bruder,« sagte der Inder, »Du hast mir den Ort gut beschrieben wo Deine Gefährten schlafen, wir haben ihn gefunden. Antaitas verläßt Dich: der große Gott leite Dich durch die Wüste.«
»Bleib bei uns,« erwiderte Gaston gerührt, »bei allen Heiligen! Du sollst sehen, daß die Paulisten dankbar sind.«
»Weißer Mann!« rief der Wilde mit klagender und zorniger Stimme. »Deine Brüder haben Alles ermordet, alle Blüthen meines Baumes sind abgefallen, Gott ist gewaltig, er wird sie finden!«
»Bleib, halt!« rief Gaston, aber die Zweige rauschten, der Inder war auf immer verschwunden.
Eine halbe Stunde später sprengte der Paulistenzug im Mondlichte an den Ufern des Paraguay hin, und wand sich dann durch eine wilde Bergkette, um den Verfolgern zu entgehen.
* * *
Es kann nicht unsere Absicht sein, mit der kleinen Schar alle die Gefahren und Mühen des langen Weges zurückzumessen. Vielmals waren sie nahe daran, zu erliegen, denn bald war es der Hunger und die Erschöpfung, bald Stürme und die Schrecken der Wüste, bald das Schwert der Indianer, das ihnen den Untergang drohte; aber immer leuchtete der gute Stern, der die Glücklichen begleitet, und so sehen wir sie endlich aus den Wäldern und Steppen in die grasreichen Wiesenstriche treten, welche der Tiete durchströmt, wo die guten Hirten ihnen Milch und Nahrung reichen und mit Erstaunen von den seltsamen Abenteuern erzählen hören.
Gaston ritt dann träumerisch und angstvoll neben seiner schönen Begleiterin, die in dem rauhen Lande, zärtlich beschützt von seiner sorgsamen Liebe, Zeit und Gelegenheit genug gehabt hatte, auch ihm tausendmal zu schwören, daß ihr Herz schon auf der heiligen Dreieinigkeit für ihn geschlagen habe. Mitten in der Wüste und umringt von Schrecken hatten sie das süße Bekenntniß ausgetauscht und Stunden des heitersten Glücks gelebt.
Je näher aber das Ziel kam, um so tiefer senkte sich oft Gaston's Kopf, um so finsterer wurde sein Auge. Er zitterte, die Thürme St. Pauls aus dem Morgendufte treten zu sehen, denn nun wußte er es gewiß, er hatte Dolores niemals geliebt und wie er heimlich die schöne Freundin an seiner Seite mit der Tochter der Ramalho's verglich, faßte ihn ein Entsetzen, dieser zu gehören, und jener entsagen zu müssen. Er war überzeugt, es müsse einen Ausweg geben, es würde einer kommen, und sollte er ihn auch gewaltsam erkaufen. Dann dachte er aber wieder an die stolzen Männer in St. Paul, an das arme Mädchen, die ihn wol seit vielen Wochen erwartete und für ihn betete, an seinen Oheim, selbst an die schmähsüchtige, höhnische Haushälterin, und sein Kopf schwindelte vor Gestalten und Plänen und Entwürfen, aus welchen er sich kein klares Bild herausringen konnte.
Selbst ein Hoffnungsloser, brachte er nicht eine Hoffnung von den Verschollenen zurück, und mit Verzweiflung im Herzen, wagte er doch nicht, diesen Kummer seiner Geliebten zu vertrauen, die ihm mit der ganzen glühenden Zärtlichkeit eines Weibes anhing, dessen ganze Zukunft, alles Denken, Wollen und Hoffen auf dieser Welt an das eine theure und geliebte Wesen geknüpft ist.
Er hatte Ines wol mit seinem vergangenen Leben bekannt gemacht und ihr auch seine Verbindung mit Dolores und den Ramalho's nicht verschwiegen, aber die Liebe weiß immer Mittel sich selbst und die Liebe zu täuschen; denn kaum sah er ihre großen Augen in Thränen schwimmen und den zitternden Schmerz durch den kleinen Körper laufen, als er auch tausend Schwüre und Versprechungen fand, daß Alles sich leicht lösen lasse, daß er nur ihr angehören, sie nur ewig und allein lieben wollte, und Ines glaubte es und lachte, und vergaß in seinem Kusse den Vorwurf.
In Gaston aber wühlte und brannte es fort, und als an einem herrlichen Morgen einer der Ramalho's ein Jubelgeschrei erhob, weil der spitze Berg sichtbar wurde, an dessen Fuß St. Paul lag, da wünschte er, daß der Boden sich öffnete und ihn tief und auf ewig verschlänge. Er wußte nicht, ob er nicht die Zügel von Ines Maulthier fassen und mit ihr von Neuem hineinsprengen sollte in die endlose Wüste. Ein Sertaneiro werden und ein wildes Hirtenleben führen, eine Hütte, ein Weib und eine Freiheit, unendliche fessellose Freiheit! Das klopfte Alles ungestüm an sein Herz.
Er hielt sein Thier an, und seine Augen flammten und suchten und schlugen sich geblendet zu Boden, denn die glühende Sonnenscheibe trat über die Berge herauf und verwandelte die milchblaue reine Fluth des Tiete in Gold. War es doch auch, als würden die gierigen Augen der Paulisten von diesem Goldmeere gefesselt. Sie blickten vor sich hin in das helle Gespiegel, wo der Strom durch Rohrwälder schoß, und dann unter den träumerischen Campeschen hervorquellend, eine weite stille Fläche bildete.
Plötzlich rief der Eine:
»Das ist ein Boot, es sind Menschen darin! Seht Ihr wohl, da kommen sie herauf!«
Und eine andere Stimme sagte:
»Es sind Indianer, es sind braune Thiere vom Stamme der Lapuyas. Ich sehe die kurzgeschorenen Kahlköpfe und das kleine Boot aus Borke. Vorn liegen die langen Wurfpfeile mit vergifteten Spitzen.«
Nun folgten noch andere Ausrufungen, und Gaston starrte aus seinen Träumen auf und erblickte das kleine Schiff auf den Wellen, wie es von zwei Indianern geführt, rasch herankam. Als es ganz nahe war, sahen die Indianer erst die Männer, welche hinter den Bäumen verborgen hielten, aber sie flohen nicht, und waren auch nicht demüthig wie sonst. Sie winkten und riefen ihnen zu und legten dann ihr kleines Fahrzeug an, während die Paulisten herbeikamen.
»Wohin wollt Ihr?« riefen viele Stimmen.
Da nahmen die Inder eine Matte von Palmenbast fort, die über ihrem Fahrzeug lag, und deuteten schweigend auf den Körper eines Mannes, oder vielmehr auf den Schatten eines Körpers, der ausgestreckt, von wenigen Lumpen umhüllt, regungslos auf dem Boden lag, wie ein Todter. Das Gesicht war abgewendet, ein wilder Bart hatte es fast ganz umwuchert. Grauschwarz verschrumpft, verzehrt von Hunger und Elend, einem menschlichen Wesen fast unähnlich, ward er doch sogleich erkannt.
»Jose Manuel! Jose Cabral!« schrien die Ramalho's fast zugleich, dann blieben sie finster blickend bei ihm stehen, als der Unglückliche von den guten Indern in der Matte ans Land getragen wurde.
Bei diesem Ausruf versuchte die Gestalt sich langsam emporzurichten und starrte dann, aus einem lethargischen Zustande erwachend, immer heller und freudiger, bald auf die Ramalho's, die ihn umknieten, bald auf Gaston, den er zu erkennen schien und nach ihm die Hände ausstreckte, bald auf das fremde Weib, die mitleidsvoll sein Haupt unterstützte und über seinen Jammer weinte. Gaston war wunderbar tief von diesem Wiederfinden ergriffen. Er hatte einen ungeheuern Weg gemacht, um eine Spur dieses Mannes zu entdecken, und hier lag er nun plötzlich vor ihm, ein Bild des Schreckens, und übernatürlicher Leiden; aber doch lebendig und fähig zu denken und sich auszudrücken. Hier war er ja, derselbe Jose Cabral, der ausgezogen war, die Schuld in Gold zu sühnen, und dem Dolores zugeschworen wurde, wenn er mit der Entdeckung der reichen Minen heimkehre.
Er stürzte auf ihn zu und ergriff seine Hände.
»Jose!« schrie er fast mit dem Golddurst eines Paulisten, »hast Du die Schätze gefunden?«
Der hinfällige Mann sah ihn starr an, als begriffe er seine Frage nicht, dann schlich ein Lächeln über sein verhungertes Gesicht, die großen Augen sprühten auf, er nickte mit dem Kopfe.
»Dann ist Dolores Dein!« rief Gaston, »Dolores Ramalho, die drei Jahre nach Dir geweint hat.«
Bei diesem Namen loderte ein neues Lebensfeuer in Jose auf. Er wandte den Kopf zu dem spitzen Berge im Osten und sagte mit Anstrengung:
»O! jetzt erkenne ich alles! Führt mich nach St. Paul, meine Freunde, ja nach St. Paul, es wird alles gut werden.«
Gaston wollte ihn auf ein Maulthier setzen, wo einer der kräftigsten Burschen ihn in seinen Armen festhalten sollte, aber es war das erste Mal, daß ein Pinheiro so von einem Ramalho getragen wurde wie ein Kind, die glühende Feindschaft erlosch selbst nicht bei dem rührenden Anblick dieses Mannes, der einst so oft das Schrecken seiner Gegner gewesen war. In dem Gesicht des Reiters zeigten sich deutlich die Spuren des Widerwillens, er weigerte sich der Hülfe, und Gaston mußte die Indianer herbeirufen, welche, menschlicher als diese weißen Männer, ihren Schützling in die Matte legten und sanft trugen.
Cabral schien vor Erschöpfung zu schlafen, und die Indianer erzählten, wie sie ihn nicht weit von der Parana gefunden hätten, halb bedeckt vom Sande der Wüste, eine Leiche, über welcher schon die Geier schwebten. Ein Lebenshauch war noch in seiner Brust; sie trugen ihn an den Strom, erfrischten und pflegten ihn, wie sie vermochten, und er versprach ihnen hohen Lohn, wenn sie ihn nach St. Paul schaffen wollten.
Nun bauten die Tupuyas schnell ein Boot und nach zwei Tagen schifften sie die Parana hinauf in den Tiete und erreichten ihr Ziel in demselben Augenblicke, wo die Ramalho's erschienen. Diese richteten von Zeit zu Zeit Fragen an den müden Pinheiro, nach Gold, nach Abenteuern, nach seinen und ihren Freunden, aber er beantwortete keine, – und jetzt lag St. Paul vor ihnen, jetzt erblickten sie die Kirchen, die Häuser, die bekannten Orte, und Menschen kamen ihnen entgegen, Bekannte, Freunde, Männer und Weiber, Anhänger der einen und der andern Partei. Thränen und Geschrei, Fragen und Glückwünsche bildeten einen verworrenen Lärm. –
Nichts hatte sich in St. Paul geändert, Alles lebte dort in dem alten Wohl und Weh, und kaum hatten sie erfahren, daß in der Matte Jose lag, Jose Manuel Cabral, der Einzige, der Wiedergekehrte von fast zweihundert tapfern Männern, so war alles vergessen, außer ihm. Das Geschrei des Volkes hatte ihn aufgeweckt, und als er nun am Thore der Stadt sich aufrichtete, als er, von den Indern geführt, langsam durch die Straßen schlich, da stürzten von allen Seiten die Menschen herbei, hier die Pinheiro's, dort die Ramalho's.
Auf dem Marktplatze konnte man nicht weiter. Kaum wurden Gaston und die heimgekehrten Freunde bemerkt. Tausend Stimmen riefen nach Jose, Jeder wollte hören, Jeder von ihm erfahren, welche seltsamen Abenteuer er erlebt, was man entdeckt, gefunden. und wo die Verwandte und Freunde, geblieben seien. Man hatte ihn in der Nähe des Muttergottesbildes niedergesetzt, und hier traf ihn sein Oheim, Miguel Pinheiro, der kühne Greis, der mit einer Schaar Bewaffneter herbeieilte.
»Gebt den Pinheiro's Raum, Ihr Ramalho's,« rief er schon von Weitem und zog sein breites Schwert, aber Niemand gehorchte. Waren doch die Ramalho's eben so sehr bei Jose's Wiederfinden betheiligt. Sein Erscheinen war eine Nationalsache, Jeder wollte hören, Jeder wissen, was in der schweigenden Wüste geschah. Furcht und Hoffnungen belebten jedes Herz.
Der stürmische Greis war inzwischen an der Seite seines jungen Verwandten niedergekniet und unterstützte sein Haupt, während er ihm fest in die Augen sah, als prüfe er seine Abkunft und seine Lebenskraft. Dann rief er:
»Jose Manuel, mein theurer Neffe, ermanne Dich, Du bist bei Deinen Freunden. Sprich mein Kind, habt Ihr Gold gefunden? Wo ist es? Wo sind Deine Gefährten?«
Beim Klange dieser mächtigen Stimme richtete Jose sich auf und drückte seinem Verwandten die Hand. Alles war still geworden umher und man hörte seine leisen Worte.
»Mein Oheim,« sagte er in kurzen Absätzen, die sein schweres Athmen ausfüllte, »noch nie betrat eines weißen Mannes Fuß die Gegenden, welche wir durchzogen. Ströme und Gebirge, wunderbare Völker haben wir gesehen und Abenteuer haben wir bestanden.«
»Aber das Gold,« schrie Miguel Pinheiro heftiger, »das Gold!«
»Nach achtzehn Monaten,« fuhr Jose fort, »entdeckten wir die Schätze, von welchen die Sagen erzählen. Minen von unerschöpflichem Reichthum. Die funkelnden Adern waren vor uns aufgethan. Goldene Wellen flossen durch die rothen Ufer, eine Welt voll Wunder lag hier, wie kein Sterblicher sie gesehen hat.«
Nach diesen Worten hob der alte Pinheiro sein Gesicht auf. Es funkelte vor Freude und doch auch vor Haß, daß die Ramalho's es hörten und umherstanden.
»Wir beluden alle unsere Thiere mit Schätzen,« sagte Jose, »dann zogen wir zurück. Es war ein grauenvoller Weg. Die Geister der Wüste blendeten unsere Augen; wir irrten umher, kämpfend mit wilden Stämmen, mit Hunger und den Bestien der Wildniß. Als wir die bekannteren Gegenden erreichten, waren wir bis auf die Hälfte geschmolzen, aber unser Gold war erhalten.«
»Und wo waren die Ramalho's?« rief hier eine wilde Stimme.
»In einer öden Sertam kam ein zerlumpter, hungernder Schwarm uns entgegen,« sprach Cabral. »Es waren die Ramalho's. Sie hatten nichts gefunden. Sie waren voll Verzweiflung und Haß und verlangten von uns die Theilung.«
»Ihr thatet es nicht!« schrie der Greis und ballte die Faust.
»Wann haben die Pinheiro's und Ramalho's getheilt?« rief Jose mit aller Anstrengung. »Vergebens waren unsere Vorstellungen, es kam zum Kampfe – und da – O! da – «
»Sie wurden für ihre Verwegenheit bestraft!« schrie Miguel mit einer schrecklichen Zuversicht.
»Sie starben Alle!« sagte Jose dumpf.
Einem Schrei des Jubels vermischten sich Flüche und Racheschwüre, dann kehrte die Stille zurück und Jose sagte:
»Ich blieb mit sechs meiner Gefährten allein am Leben. Es war unmöglich das Gold fortzubringen. Wir vergruben es an einem Orte, der leicht und sicher wieder zu finden ist.«
»Bei der Gottesmutter!« rief Miguel in Angst und Wuth, »weißt Du es auch genau, mein Kind?«
Jose machte ein beschwörendes Zeichen.
»Ich will ihn nennen,« sagte er, »und morgen schon könnt Ihr ausziehen es zu holen, aber Dir allein, mein Oheim.«
Hier erhob sich das Haupt der Pinheiro zürnend und sah auf die Ramalho's, welche dicht umherstanden.
»Seit wann,« rief er, ist es denn Sitte, »daß Fremde sich zu den Berathungen der Pinheiro's drängen? Zurück Ihr Ramalho's, und wage es keiner, der sein Leben liebt, näher zu treten.«
Aber dieser Drohung bedurfte es nur, um das Zeichen eines Ausbruchs der Rache zu geben.
»Seht den Mörder!« schrien die Ramalho's. »Er bekennt es, unsere Freunde ermordet zu haben. Ihnen gehörte das Gold und die falschen Pinheiro's stahlen es. Sprich! bekenne! wo hast Du es versteckt, nicht von der Stelle mit Dir, bis wir alles wissen.«
Und so stießen sie die Pinheiro's zurück, die Jose umringten und ihn forttragen wollten. Da blitzten plötzlich hundert Schwerter; Büchsen wurden losgebrannt, das Geschrei der Sterbenden und Verwundeten, das Klirren der Waffen ertönte, die ganze Furie des Hasses begann einen Vernichtungskampf über Jose's Körper, der blutend am Boden lag.
Der erste Schuß hatte seinem Leben gegolten. Seine Brust war von einer Kugel durchbohrt, als aber ein Ramalho ihn gänzlich tödten wollte, ward er plötzlich zurückgerissen, und eine Stimme, die Alle kannten und Alle verehrten, rief:
»Im Namen Gottes, im Namen der heiligen Jungfrau! Fluch über Den, der es wagt, die Hand noch zu heben!«
Es war Rafael Macedo, der von dem Bette eines Sterbenden, das Crucifix in der Hand, mitten in den heißesten Kampf stürzte und seine Brust den Streichen darbot. Die Erscheinung dieses ehrwürdigen Greises wirkte wunderbar. Die Schwerter senkten sich, die Partheien traten zurück und nur Miguel Pinheiro schwang sein breites Schwert um sein Haupt und rief:
»Laßt sie zur Seite treten, wenn sie nicht sterben wollen, diese Ramalho's. Ihr Pinheiros! umringt Eurern Verwandten. – Jose, im Namen des Himmels! halte, die fliehende Seele auf, wo ist das Gold? sprich, erbarme Dich, wo ist das Gold?«
Er warf sich neben dem Sterbenden nieder, legte den Mund an sein Ohr und dann sein Ohr an den blutigen Mund. Aber nur ein Röcheln und unverständliches Murmeln war die Antwort. Dann schlug Jose die Augen auf, erblickte den Priester und das Kreuz und streckte flehend die Hände darnach aus.
»Im Namen des Erlösers! entferne Dich, Greis,« rief der Pater Macedo mit heiligem Eifer, »fort und gib Gott die Ehre, daß dieser Sterbende sich mit ihm versöhne.«
Miguel war aufgesprungen mit rollenden, von Wuth und Begier blitzenden Augen; aber die Macht der Kirche war größer als die seine.
»Laßt ihn denn beichten,« schrie er, aber beeile Dich, Priester, fünf Minuten gebe ich Dir, ihn mit dem Himmel abzufinden, dann gehört er mir und wehe Dir! wenn Du mich störst.«
Er zog aus seiner Taschen eine ungeheure silberne Uhr und hielt sie dem Pater hin, dann warf er angstvolle, wilde Blicke auf ihn und den Sterbenden, der eine halb verständliche Beichte versuchte und Ablaß wollte von dem Blut, daß er so oft vergossen. Wie ein Raubthier lief der alte Miguel umher, sein Schwert schwingend und leise Flüche murmelnd, bald einen Ramalho, der ihn zu nahe kam, mit der flachen Klinge zurücktreibend, bald den Zeiger der einförmigen Uhr betrachtend, der nicht von der Stelle wollte.
Jetzt fehlten noch wenige Augenblicke und der Greis machte sich bereit dem Mönche seine Beute zu entreißen, als der Kreis durchbrochen wurde und ein Weib mit langen flatternden Haaren hereinstürzte. Ihre Augen rollten im Wahnsinne, sie sprach nicht, sie stieß den alten Mönch zurück, schlang in wilder Heftigkeit die Arme um Jose's Haupt, drückte ihn an ihr Herz, küßte seine Lippen, seine Augen: und dann sah sie ihn unaussprechlich liebend und schmerzvoll an. Seine Blicke belebten sich darin und glühten empor, wie das letzte Strahlen der Abendsonne. Ein mildes überirdisches Lächeln erfüllte seine finstern Züge. Auf einen Augenblick schien er wieder der schöne Jüngling zu sein; Leben, Liebe und Zukunft glänzten auf seiner hohen Stirn und verdrängten die Schatten und Schmerzen des nahen Todes. So sank er an ihre Brust, seine Arme um ihren Leib, sein Kopf auf ihre Schulter und seine Lippen hauchten den theuern Namen aus, dann verstummten sie auf ewig.
»Reißt sie fort!«: rief der alte Pinheiro, und als Keiner, nahte, nahm er den Erben seines Stammes selbst aus Dolores' 'Armen. Aber er hielt eine Leiche, und eine unzähmbare Wuth ergriff ihn. Sein weißes Haar umflatterte den röthlichen Schädel, sein Fuß ruhte auf der Brust, die das Geheimniß, auf ewig in sich verschloß, und seine Faust mit dem Schwerte hob sich rächend empor.
»Verfluchter Priester,« schrie er, »Du hast mir mein Gold gestohlen, und Du, elende Brut der Ramalho's, nimm Deinen Lohn.«
So führte er einen furchtbaren Hieb gegen sie, aber der Pater hatte das Kreuz schützend ausgestreckt, und obgleich es nur von schwachem Holz war, fuhr, wie die Legenden sagen, das Schwert doch davon zurück, wie von Diamanten, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Der zornerfüllte Greis aber rief die Pinheiro's zum Kampf, und als er sich in die dichteste Masse der Ramalho's warf, traf ihn sein Todesstoß und warf ihn nieder.
Jetzt erst gelang es dem Pater Rafael leichter seine Friedensworte zu sprechen. Dies Pinheiro's waren gebeugt, und als der Bischof jetzt herbeikam und der Gouverneur mit einer Abtheilung portugiesischer Büchsenträger, welche die Regierung vor Kurzem hergesandt hatte, löste sich der Kampf ganz in Thränen und Wehklagen.
Die Pinheiro's trugen ihre Todten fort, mit denen ihr Stolz begraben lag, und Joao Ramalho nahm die Tochter vom Boden auf und trug sie in sein Haus
Der dunkle Mantel der Reue und des Schmerzes lag auf St. Paul. Die Leidenschaften waren durch so viel Blut und Thränen wol nicht gestillt, aber sie waren durch die eigene Wuth gebrochen. Von jenem Zage an waren die Pinheiro's besiegt. Sie konnten ihren Feinden nicht mehr widerstehen, und bald wurden sie ganz vertrieben und wanderten nach der kleinen Stadt Taudate aus. Aber auch Joao Ramalho genoß diesen Triumph nicht lange. Sein Stolz war auch gebrochen, da sein Lieblingswunsch unerreicht blieb, Dolores mit Gaston zu verbinden, und bald folgte er seinem Feinde ins Grab, als er sein Kind, trauernden Herzens, in das Kloster der heiligen Frauen vom Berge geführt hatte, wo sie Ruhe suchte und fand.
Funfzig Jahre lang war es ihr beschieden, um ein verlornes Leben zu trauern und sich mit Gott zu versöhnen. Daß es ihr gewährt ward, beweisen die vergilbten Blätter eines alten Buches, wo sie als eine Heilige gepriesen wird, die hoch verehrt wurde.
Gaston Amador de Ribeira lebte dagegen ein thatenvolles Leben. Ines wußte im Hause seines Oheims diesem sowol, wie selbst der alten, mürrischen Duenna so zu gefallen, daß sie bald als eine liebe Tochter auf- und angenommen wurde. Als er Dolores im Kloster aufsuchte, war sie mild und getröstet, und wie er ihr seinen neuen Bund verkündete, segnete sie ihn und weinte sanft.
»Ich traure nicht,« sagte sie dann, »ich mußte diese Wege gehen. Die heilige Jungfrau hatte sie mir bestimmt. Hier bete ich für das Glück aller Menschen, hier darf ich trauern um die Todten und sie lieben; ja, ich segne Dich, ich segne Deine Wahl, ich hätte Dich doch niemals ganz und innig lieben und beglücken können.«
Als Dom Herreira starb, war sein Neffe sein Nachfolger, und wie nun die Stürme losbrachen, welche die spanische Herrschaft von Portugal und Brasilien rissen, war sein Name und sein Ansehen so geehrt in St. Paul und der Provinz, daß man ihm selbst die Krone und das Königreich anbot. Aber treu und klug, verschmähte er die unsichere Herrschaft und wußte es dahin zu leiten, daß man einstimmig dem neuen Königsgeschlechte der Braganza's huldigte.
Mit Kraft und Milde zügelte er auch nach und nach zum guten Theil den rasenden Durst nach Gold, der die Paulisten in die Wildniß trieb, sie zum Räuberhaufen machte und die Stadt entvölkerte. Rafael Macedo, der fromme Greis, half noch lange bei diesen Bemühungen, und der treue Gaspar war der Erste, der sich bekehrte, denn er nahm ein Weib, schwor sein Feld zu bauen und nie mehr die Wüsten zu durchstreifen.
Nur mit den Jesuiten war noch lange Feindschaft, und viele Ueberfälle ihrer Missionen und grausame Rache bezeichneten den gegenseitigen Haß.
Jetzt ist St. Paul eine schöne gewerbsame Stadt. Die alte Wildheit der Paulisten ist verschwunden bis auf die Sage; statt ihrer rühmt man aber die Tapferkeit ihrer Männer – eine seltene Sache in Brasilien – die Schönheit der Frauen, und die Höflichkeit, wie den freiheitsliebenden gebildeten Sinn aller Klassen.
Das Gold der Pinheiro's ist niemals wiedergefunden worden. Die unerschöpflichen Minen hat noch keiner entdeckt. Daß alle, die darnach auszogen, umkamen und elend starben, vermehrte das Geisterhafte und die vielen mährchenhaften Sagen.
Noch jetzt sieht man an den Ufern der Parana eine eigenthümliche Schwalbenart, die ängstlich schreiend den Kopf des einsamen Wanderers umflattert. Wenn der Sertaneiro, der Dein Führer durch diese Wildnisse ist, sie erblickt, wird er nicht verfehlen ein Kreuz zu schlagen und ein Gebet zu murmeln, und dann flüstert er Dir zu, daß dies die Geister der Pinheiro's sind, die hier ihre Schätze bewachen.
Wenn aber in Brasilien ein Mensch plötzlich reich wird, ohne daß man weiß woher, oder irgend Einer eine zweifelhafte Unternehmung beginnt, dann hört man wol die sprichwörtliche Rede: Er hat das Gold der Pinheiro's, gefunden! oder: Er geht, um es zu suchen! Und das ist Alles, was sie wissen.
Die Thaten der gewaltigen Geschlechter liegen begraben mit ihnen, nur ein Sprichwort ist geblieben, dessen Bedeutung man nicht kennt.