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[Fünfter Theil.]
Freundlicher Leser, stelle Dir eine unermeßliche Ebene vor, auf welche nach allen Seiten der Horizont sich niedersenkt; denke Dir, diese Ebene sei grün, ein dunkler, saftiger Grasteppich mit bunten Frühlingsblumen durchwebt und von zahllosen kleinen und großen Wassergräben durchzogen; füge in Nähe und Ferne eine Anzahl sauberer ziegelrother Häuser hinzu; hohe einzelnstehende Baumgruppen, welche sich schützend darüber ausstrecken, Heerden von schönem, gefleckten Vieh, jede Kuh in Decken eingehüllt, ein Gegenstand besonderer Sorgfalt und Verehrung, zahllose Windmühlen, welche, seltsam genug, hier Wasser treiben und eine unermeßliche Menge von Kibitzen, deren mißtöniges Geschrei Dich unaufhörlich belästigt, so glaube ich kaum, daß Du nicht errathen wirst, wo wir uns befinden?
Im Lande eines sehr braven, in vielen Dingen tüchtigen und freiheitsliebenden, sehr spekulativen, handelnden, rechnenden, gut essenden, sehr fetten, bedächtigen, blonden und Tabak rauchenden aber sehr langweiligen Volkes. In Holland.
Die Myn Heers haben gewiß nicht ganz Unrecht, wenn sie mit einem Gefühl von Bedauern und Verachtung auf die stammverwandten Nachbarn hinübersehen. Erstens macht das der Hochmuth des fettgewordenen Reichthums, zweitens ein sehr lobenswerther Nationalstolz, der immer noch an Ruyters Michiel de Ruyter, erfolgreicher niederländischer Admiral des 17. Jh. Besen denkt, und drittens endlich ist es ja überhaupt so Mode, daß nicht allein die Chinesen und Holländer, sondern sämmtliche Völker des Erdbaus den demüthigen, gehorsamen, dummen Teufel von Deutschen zur Zielscheibe ihrer plumpen, oder feinen Verhöhnung nehmen.
Aber die Myn Heers wissen vielleicht am allerwenigsten, wie sehr sich diese gutmüthigen deutschen Thoren dennoch verändert haben, denn sie sagen ganz ruhig: jusqu' à la mer sei etwas ganz anderes als dans la mer, und wir glauben es seit fünfundzwanzig Jahren, wenn wir auch zuweilen in der Tasche die Faust ballen und Bücher dagegen schreiben.
Sechsunddreißig Millionen Deutsche und keine zwei und eine halbe Million Holländer. Pfui! wie schimpflich wäre es bei solcher Ungleichheit der Kräfte, Gewalt zu brauchen. Lieber offenbares Unrecht leiden, als einen so schwachen Nachbar kränken. Wir singen dafür: Sie sollen ihn nicht haben, und wenn sie ihn doch haben und er nicht frei ist, so ist es Schande genug für sie; lieber schließen wir vortheilhafte Handelsverträge und zeigen ihnen, daß die Zeit vorbei ist, wo der gute Vetter Michel sich an der Nase umherführen ließ.
Mag es sein, wie es will, aber soviel ist gewiß, zu der Zeit, wo auf der Straße von Herzogenbusch nach Grave zwei junge Gesellen schritten, rüstig anzuschauen, aber mit herzlich leichtem Ränzchen, den Stab durch die Luft schwingend und von Zeit zu Zeit ein deutsches Lied anstimmend, war man den Deutschen nicht sehr zugethan in Holland. Die unerschütterlich ernsthaften Gesichter schienen bei unserem Anblick nur noch ernsthafter zu werden, und die meisten wendeten sich majestätisch von uns ab, um weder von uns zu sehen, noch zu hören.
Aber was kümmerten uns diese dicken Myn Heers! Waren doch ihre blonden Töchter da und dort um so freundlicher zu uns gewesen, und ging es aus dem gelobten Lande, wo weder Wein noch Wasser wächst, doch nach Deutschland zu, wo beides, und Liebe und Lust, schön und vollauf zu finden war.
Der Tag war ein warmer, heller Frühlingstag, einer der ersten im Mai und unsere Herzen waren mit ihm aufgewacht. Wir trieben Possen oft der thörichsten Art, ganz besonders lange mit einem alten Juden, der eine Zeit über mit uns wanderte und dessen dicke Geldkatze um den hagern Leib geschnallt, uns eben so ergötzliche Scenen gewährte, wie sie Walter Scott in seinem Robin der Rothe zwischen dem Einnehmer Morris und dem jungen Osbaldisstone schildert.
Der alte Mann sprach deutsch, wie alle englische und holländische Juden, er war sanftmüthig und gefällig, hatte es aber ganz besonders darauf abgesehen, einen Handel mit uns zu machen. Vielleicht schloß er aus der Magerkeit unserer grünen Tornister, daß Moses und die Propheten uns nothwendiger wären, als Wäsche, Kleider und vielleicht der kleine Bündel ganz und gar. Er wollte Alles kaufen, und um uns zu zeigen, daß er der Mann dazu sei, ließ er uns seine Geldkatze bewundern. Indeß empfand er schon einige Augenblicke darauf die Nachwehen seiner heillosen Unvorsichtigkeit, denn er knöpfte den Rock mit merkwürdiger Schnelle wieder zu und warf einen langen mißtrauischen Blick auf uns, der schrecklich in uns wucherte.
Die Gegend war öde und menschenleer, der Abend brach herein, die Heerstraße lief ganz fern in einem weiten Bogen hin, wir dagegen befanden uns auf einem Fußpfade, den er selbst uns als eine bedeutende Abkürzung des Weges gezeigt hatte. Tiefe schilfige Gräben voll schwarzen Sumpfwassers begrenzten den Weg zu beiden Seiten, und abschüssig steil blieben wenige Fuß fester Erde, auf welcher wir, der Eine nach dem Andern, gingen.
Die ersten Fragen: wieviel Geld er bei sich führe? schien er ganz zu überhören, aber er wendete seinen grauen bärtigen Kopf mit unheimlicher bittender Angst nach uns um, als bäte er uns, nicht so mörderischen Scherz zu treiben. Die fieberhafte Unruhe, in der er sich befand, vermehrte sich jedoch immer mehr, als ich ihm das Anerbieten machte, das Geld, das ihm gewiß doch sehr sauer werde, statt seiner zu tragen. Gleichsam um uns zu beweisen, daß es nicht der Fall sei, hüpfte er eine Zeit lang vor uns her und strengte sich an, wenigstens zehn Schritte vor uns zu bleiben, aber seine schwachen Kräfte vermochten es nicht, sich mit so rüstigen jungen Gesellen zu messen.
Je mehr er lief, desto mehr blieben wir ihm auf den Hacken, unsere Fragen wiederholend, die ihn endlich in einen Zustand der Verzweiflung versetzten. Stillstehen konnte und wollte er nicht, auszuweichen war unmöglich, und der Muthwille, mit dem wir unsere Reisestöcke nahe hinter seinem Rücken schwangen, die blutgierigen Andeutungen, welche wir über die Einsamkeit der Gegend und die tiefen Gräben machten, welche so leicht keinen, der zufällig hineinfiele, wiedergeben würden, schienen ihm eine schreckliche Gewißheit. Er wagte es gar nicht, unser Mitleid anzurufen, aber sein Kopf war in einer fortgesetzten Bewegung halb nach uns zurückgewandt, halb Erde und Himmel um Hülfe durchirrend; endlich aber, da nirgend sich ein rettendes Wesen zeigte, hielt er es nicht länger aus, er faßte die Schöße seines langen Rockes und lief mit mehr Geschwindigkeit und Ausdauer davon, als man dem ausgedörrten Körper zutrauen konnte.
Im Uebermaß des Gelächters sanken wir zu Boden und nur in der Ferne sahen wir noch einmal die dürre Gestalt, mit drohend ausgestrecktem Arme, schreckliche Flüche und die Versicherung über uns ausschüttend, daß er morgen in Grave uns empfangen wolle, wie wir es verdienten. Ein bloßes Aufstehen genügte, um ihn von Neuem in die Flucht zu treiben und niemals hat mein Auge ihn mehr erblickt; aber wir entdeckten dabei noch etwas Anderes, das unseren Uebermuth abkühlte.
Der ganzen südliche Horizont bildete eine blauschwarze, wildgeballte Masse, die langsam, allein mit schrecklicher Gewißheit sich uns nahete. Der bleiche Sonnenschein löschte aus, es zuckte flimmernd an verschiedenen Stellen und kleine röthliche Wolken segelten mit reißender Schnelle über uns hin, wie Couriere des mächtigen Herrn, welche die Sterblichen warnen, seinem Zorne aus dem Wege zu gehen.
Bei uns, hätte es dieser Mahnung nicht bedurft, denn von allen Leiden, welche Reisende und namentlich Fußreisende bedrohen, ist eines der schlimmsten Das:naß bis auf die Haut in Dunkelheit auf schlüpfriger Landstraße umherzuirren.
Wir waren daher auch munter daran, unserm gemißhandelten Freunde vom Stamme Juda zu folgen, und fragten uns, ob er nicht gar vielleicht durch geheime Zauberflüche aus der Mischna oder Gemara Mischna und Gemara bilden zusammen den Talmud. Darin stehen wichtige Regeln für das Zusammenleben der Juden und Kommentare dazu. – Goi: jiddisches Wort, das einen Nichtjuden bezeichnet. den elenden Goims dies Wetter auf den Hals geladen hatte. Indeß hielt uns diese Betrachtung nicht ab, eifrig nach einem Schutzorte umherzuspähen, aber es war nichts zu entdecken; kaum in der Ferne ein einsamer Baum und wilde Brombeerranken, die in ihren Geflechten sich zu Hecken ausdehnten. Ob unser Verfolgter sich hinter einer solchen Wand an der Grabeneinfassung verborgen hatte, weiß ich nicht, genug, er war verschwunden.
Wir liefen, was wir konnten, der verwünschte Fußweg wollte kein Ende nehmen, die Heerstraße schien sich weiter und weiter zu entfernen. Endlich sahen wir ihre Baumspitzen nicht mehr, denn Dunkelheit umhüllte den Gesichtskreis. Die Stimme des Donners sprach über unseren Köpfen, zackig liefen die weißen Blitze durch die schwarze, ausgespannte Wand, Wirbelwinde zerrissen die Schilfwälder und trieben ihre Fetzen mit uns fort.
In diesem Augenblick theilte sich der Weg. Rechts lief er jedenfalls der verlassenen Straße zu, links durch das Wiesenland in eine unabsehbare Ferne, über welcher ein scheidender Streif des blauen Himmels stand. Unentschlossen standen wir einen Augenblick, als mein Gefährte plötzlich mit dem Stock in den Abendschein deutete und ganz entzückt rief: da steht ein Haus!
Dieser Ausruf warf plötzlich alle frischen Entschlüsse zu Boden, mit welchen ich so eben den Fuß auf den Pfad zur großen Straße setzte, und den Gott der Götter um rechtschaffene, christliche Geduld, ein paar tüchtige Brombeersträucher und um etwas Hagel bat, weil es dann gewöhnlich weniger regnet. Das Haus sah ich allerdings nicht, denn der Herr in seiner Weisheit machte mich zu einem kurzsichtigen Verehrer seiner Werke; aber ich glaubte es aufs Wort, und je mehr nun der Donner rollte, je stürmischer der Wind uns einzelne große Tropfen zur Anfrischung unseres Muthes zuwarf, um so großartiger wurde unser Bestreben, den Kampf der Natur, wie man das Naßwerden poetisch zu nennen beliebt, so gut wie andere Leute im Trocknen zu bewundern.
Ganz über Erwartung gelang es uns auch. Das Haus war da, ehe wir es uns dachten, und wenn es auch in der Nähe besehen unsere übrigen Phantasien gar nicht befriedigte, denn es war eine elende arme Wohnung, so war es doch ein Haus, und das war in unseren Verhältnissen kein großer Unterschied von einem Palaste.
Wenn man von Holland, seinen Häusern und seiner sprichwörtlichen Reinlichkeit hört, so glaubt man gewöhnlich, es sei da Alles im Lande so nett und blank, wie in dem berühmten Dorfe Broek im Waterlande, wo das Pflaster der Straßen aus roth, grün und braun glasirten Ziegeln besteht und die kleinen Häuser mit den polirten Thüren, blitzenden Messinggriffen und Spiegelfenstern, den Gärtchen mit zierlichen Taxushecken und Statuen und Brunnen, wie Wunder aus Taufend und einer Nacht aussehen, oder man denkt doch wenigstens an Saardam; jedes rothe, nette Haus in schönen Blumengärten und mit Wasser umgeben, wie eine Feeninsel. Aber in Broek sind die Bauern reiche Capitalisten, und in Saardam wohnen viele vermögende Kaufleute, das ist die Lösung des Räthsels.
Zwar haben die Städte in Holland, und die Häuser darin manche treffliche Einrichtung; sie werden abgewaschen von innen und außen zum Schrecken der Geschäftigen auf den Straßen, man scheuert und putzt sie mit Decken und Zierrathen; aber die Armuth hat ihr Elend und ihren Schmutz in der ganzen Welt gleich, und es ist gar kein so großer Unterschied zwischen der Erdhöhle des Samojeden, dem Filzzelte des Kalmücken und der irdischen Glückseligkeit in den Hütten: der civilisirten Armuth.
Unser Zufluchtsort hatte ganz den rechten Anstrich. Verfallen, mit tiefhängendem Dach und verbogener Thür, die kleinen Fenster neben dieser zerbrochen und verstopft mit bunten Lappen und Heu, sah es wüst und unheimlich aus. Mitten in Wiesen, Sumpf und Wasser schien es uns Anfangs ganz verlassen, alleine ein dünner Rauch quoll durch eine Oeffnung über der Thür, und von innen hörten wir das tiefe ängstliche Brummen des Viehs, das sich vor dem Wetter fürchtete.
In dem Augenblick, wo ein heftiger Platzregen niederstürzte, und blendende Blitze den ganzen Himmel in Feuer setzten, riß mein Freund die Thür auf, blieb aber auf der Schwelle stehen und fuhr erst hinein, als ich ihn fortstieß, um ins Trockne zu kommen.
Je weniger man auf Ueberraschungen vorbereitet ist, um so eher stellen sie sich ein. Es gibt eine Art Gesetz im Leben der Menschen, erforscht ist es noch nicht, aber es ist da, welches uns zwingt, Pläne zu machen, Gedanken nachzuhängen, und auf diesen zu bauen, bis plötzlich ein ganz unberechenbares Etwas Alles verändert und verwandelt. Andere sagen, es gibt eine Art Kobold, kleine Teufelchen, die sich das boshafte Vergnügen bereiten, unsere besten und sichersten Vermuthungen zu Schanden zu machen. Denkt Einer so ganz im Geheimen, bei Kleinem wie bei Großem: so muß es sein, das muß geschehen! ohne daß seine Lippen sich bewegen, hat einer der Millionen Luftgeister in seinem Ohr und Hirne den Gedanken aufgeschnappt und verdreht ihn nun zum Gegentheil.
Manchen Menschen sind aber diese Geister hold, und das sind die Glücklichen; Anderen fällt jedes Butterbrod auf die geschmierte Seite, das sind die Sündenböcke aller Bosheit, die Pechvögel, die immer gewiß sein können, bei jeder Wahl das Unrechte zu wählen.
Ich will nicht bekennen, zu welcher Klasse ich gehöre, denn es gibt noch eine dritte, nicht kalt, nicht warm, nicht Fisch, nicht Fleisch, die große Klasse der Gleichgültigen, um die sich weder Glück noch Unglück kümmert, und sie mit elenden Brocken von beiden todtfüttert bis an ihr seliges Ende, aber das kann ich gestehen, ich war nicht wenig überrascht, als ich in diese Hütte trat und sie statt öde und leer, vollgepfropft von Menschen fand.
Es war ein kleiner mit Steinen gepflasterter Raum, in welchen wir traten. Zu beiden Seiten waren Holzwände, die ihn von dem innern Theil der Hütte abschieden, von Kammern und Ställen, die den Rest füllten; allein es war das einzige Wohngemach, Küche und Versammlungszimmer sämmtlicher Hausbewohner, was einige Hühner zu beweisen strebten, die von der Thürschwelle aufgeschreckt mit uns hineinstiegen und dreist umherspazierten.
An den Wänden hingen ein paar Sicheln zum Grasschneiden und anderes Hausgeräth des Landmannes, im Hintergrund aber war eine Feuermauer aufgeführt. Der Platz davor mit Estrich ausgegossen und mit Backsteinen umstellt, bildete den Herd, ein eiserner Haken steckte in der Mauer und an diesem schwankte ein Kessel über einer Glut von Torf, Schilf und Rohr, die bald heller aufzuckte, bald unter dichten Dampfwolken zu stocken schien.
Als wir die Thür öffneten, der frische Luftzug die Flamme anblies und das Feuer des Himmels zu gleicher Zeit glänzend den ganzen Raum erleuchtete, blieb uns einige Augenblicke nichts verborgen. An dem Kessel rührte eine schmutzige Frau in einem dicken Brei, zwei halbnackte Kinder hockten neben ihr und sahen gierig auf die Speise. An der andern Seite stand ein Mann, der Kartoffeln durchschnitt und in den Kessel warf; in einem weiten Halbkreise aber saßen auf umgekehrten kleinen Fässern und Kasten drei Männer in blauen Kitteln, die ihre kurzen Thonpfeifen rauchten und bei dem Donnerschlage, der das Haus erschütterte, sich bang bekreuzten. Zwei andere Männer lagen auf ihren Knien und beteten laut in einer unverständlichen Sprache mit großer Schnelle und Inbrunst. So wurden wir empfangen, aber Niemand regte sich; nur die Frau blickte nach uns hin und die Kinder sahen uns mit dummen Gesichtern an. Dann fiel die Thür zu; Alles war Finsterniß um uns.
Erst nach einiger Zeit lernten wir sehen und gebrauchten unsere Augen, uns Plätze zu suchen, die wir in der Nähe der Thür auch auf einigen Klötzen fanden, welche anderen Leuten schon zu demselben Zwecke gedient hatten. Außer einem guten Abend, den wir geboten hatten, der uns aber nicht erwidert wurde, hatten wir nichts mit unseren sonderbaren Gesellschaftern gesprochen, welche in sich gekehrt und stumm zu sein schienen. Unter den heftigen Donnerschlägen und dem Rauschen des Regens, der jetzt in Strömen herabstürzte, hörten wir nur zuweilen den Knieenden lauter seine Gebete murmeln, der große Kerl mit dem trotzigen Gesicht machte langsam das Zeichen des Kreuzes und die Funken, welche vom Herde aufsprühten, zeigten uns die erschrockenen Mienen der schmutzigen Kinder und ihrer Mutter.
So verging eine geraume Zeit, bis einer der Männer die Hand nach dem kleinen Fenster ausstreckte, und einige Worte im flammänd'schen Patois sprach. Ich folgte seiner Bewegung und der Spitze seiner kleinen Thonpfeife, und sah durch das zerborstene Papier einen lichten Wolkenstreif, der das Aufhören des Gewitters anzeigte. Gleich darauf erhob sich der Andere vom Boden, schüttelte sein langes, schwarzes Haar, stieß noch einige Jesus Marie! hervor, und öffnete dann die Thür, durch welche plötzlich das blasse Abendlicht hereindrang.
Nun verzog sich der schwere Torfrauch langsam; neugierige Blicke starrten uns an, aber Niemand sprach. Der Regen plätscherte leise und fein auf die Schwelle, die Thür ward wieder angelehnt, und der große Kerl sah mich mit einem finstern Blicke an, als ich sie weiter öffnete. Er rückte sein Faß dem Feuer näher, störte darin umher und schielte dann wieder nach uns beiden, als wir nicht in den lobendsten Ausdrücken halblaut die Frage zu lösen suchten, wie lange es für einen gewöhnlichen Menschen wol möglich sei, in dieser Atmosphäre zu leben.
Und in dieser noblen Gesellschaft, die allerdings nicht im besten Geruch steht, setzte Franz lachend hinzu. Ich gebe mir die größte Mühe, zu entscheiden, was besser wäre, jedes einzeln genossen, oder diese Mischung von Torfdampf, Thran, Sumpf, Schweiß und anderen pikanten Ingredienzien.
Wir lachten beide, der Mann in der blauen Bluse kehrte sich aber zu uns und sagte im langsamen verständlichen Deutsch:
Warum kamt Ihr her, Herr, wenn Ihr so feine Nasen habt? Geht hinaus, der Regen hört bald auf, und die Wiesen mit Gras und Blumen duften freilich besser als die Hütte eines Armen.
Wir waren überrascht von dieser plötzlichen Anrede und im Gefühle unserer Schuld, wie es immer geht, wenn man in dem Glauben sündigt, es unbeachtet thun zu können.
Herr, sagte sich, Ihr werdet hören, daß wir scherzten, und wißt nicht, wie froh wir waren, als wir das Haus entdeckten.
Der Flammänder schwieg, indem er uns aufmerksam betrachtete. Endlich kam eine Art Lächeln auf seine breiten Lippen.
Dann gehört Ihr zu den undankbaren Leuten, sagte er, welche Gastfreundschaft schlecht lohnen und darüber spotten, wenn die böse Stunde vorüber ist. Ich kenne das, ich, fuhr er mit starker Stimme fort, ich weiß, wie die Menschen sind. Noth macht sie Alle gleich, aber laßt diese vorüber sein, und sie haben kein Gedächtniß mehr dafür.
Das war verständiger gesprochen, als ich vermuthete. Wir sahen mit Verwunderung den Bauer an, der in diesem Augenblicke eine besondere Würde besaß. Das Gesicht hatte etwas feindlich Ernstes und Häßliches. Die flammändischen dicken Lippen, gelbblondes, langes Haar, das über seine Stirn herabfiel, eine breite Nase und kleine Augen, in denen ein wildes vom Alter nicht erlöschtes Feuer lag, machten in der Zusammenstellung ein abschreckendes Ganzes.
Aber doch war etwas in dem Manne, das Achtung oder Furcht gebot. Es lag ein Ausdruck von Charakterstärke und unerschütterlicher Entschlossenheit darin. Sein Kopf saß gerade auf der Schulter des mächtigen Körpers, der in dem weiten Leinenhemd noch kolossaler erschien.
Ihr seid Soldat gewesen, Herr? sagte ich.
Soldat des Kaisers, erwiderte er stolz, und legte die Hand, ich glaube unwillkürlich, zum militairischen Gruß an seine Stirn.
Dacht' ich's doch, ein Soldat des großen Kaisers! Wer kennt sie nicht, diese verwehten Reste der alten Legionen; sie tragen die Gedächtnistafeln ihrer Thaten, Erinnerungen und Leiden deutlich und stolz auf Stirn und Brust mit sich umher bis ins Grab! Ich bin nie ohne lebhafte Theilnahme Einem aus ihrer Schar begegnet und habe sie in den verschiedensten Lagen gefunden: die Gassen in London kehrend, halb verhungert und zerlumpt sitzend unter den alten Bäumen im Luxemburggarten, als Abenteurer oder im bürgerlichen Wohlstande als Landleute, Krämer und Handwerker, aber immer mit dem Stolz der großen Erinnerungen und im Bewußtsein ihres Antheils an der blutig großen Weltgeschichte.
Wenn Ihr Soldat des Kaisers waret, sagte ich, so mögt Ihr wohl die Wahrheit des alten Spruchs kennen gelernt haben, daß die Welt mit Undank lohnt.
Er sah mich finster an.
Ich hoffe, Sie meinen den Kaiser nicht damit, erwiderte er, aber Sie sind ein Deutscher, was wissen Sie davon, wie groß er war? Man hat ihn sterben lassen und vergessen, wie uns, aber wir vergessen ihn nicht, wir nicht!
Er murmelte Etwas, was ich nicht verstand, dann sagte er:
Glauben Sie nicht, daß das, was ich von Noth und Undank sagte, sich auf ihn bezog; er belohnte seine Braven, aber mir fällt eine Geschichte ein, die ich erlebt habe. Es war tief in Rußland, wir hatten eine elende Hütte gefunden mitten in Eis und Schnee, und ein mühsames Feuer angezündet. Da saßen wir in unsern Lumpen und starrten still in die Flamme. Wer seinen Platz hatte, vertheidigte ihn mit Zahn und Nagel, denn der Tod saß hinter uns und lauerte auf jeden, der fortging. Da schwankte ein junger Officier herein und bat leise um Hülfe, aber die Mannszucht hatte aufgehört, Niemand kümmerte sich um ihn, und als er näher kam, ward er zurückgestoßen und fiel in einem Winkel zu Boden. Dort lag er. Der Feuerschein spiegelte von fern über sein bleiches Gesicht. So jung sollte er sterben! Einen Augenblick dachte ich nach, dann stand ich auf und trug ihn auf meinen Platz. Meine Drohungen schafften Platz; ich flößte ihm ein Paar Tropfen Branntwein ein, die ein glücklicher Zufall mir Tags zuvor verschafft hatte, wickelte ihn in meine alte Wolldecke und nun kam die Wärme wohlthätig hinzu, er erholte sich. Am Morgen fuhren Wagen vorüber, es glückte mir, ihn hinaufzubringen, er drückte meine Hände und ich sah ihn nicht wieder, bis Alles vorbei war mit dem Kaiser und uns. Man ließ uns laufen, und da ich kein Franzose mehr sein sollte, weil ich bei Luxemburg geboren war, konnte ich mich in meine Heimat betteln. Nun komme ich nach Brüssel, und wie ich an der St. Güdule vorübergehe, kommt ein Herr mit einer jungen, schönen Dame heraus und andere Vornehme mit ihnen, denen Bediente folgen. Er war es und in meiner Freude strecke ich die Hand nach ihm aus und fasse seinen seinen Rock. Was wollt Ihr? sagte er, und sieht mich an. Mein Herr, rufe ich, kennen Sie mich nicht; erinnern Sie sich nicht mehr der Bauernhütte bei Wilna? Er wurde roth und blaß und sah sich verlegen um, denn damals suchten sie Alle sich reine zu waschen, und wollten um jeden Preis beweisen, daß sie nichts mit dem Kaiser und dessen Anhängern zu thun hätten. Ich kenne Euch nicht, mein Freund, sagte er stolz, geht Euren Weg, und da – er griff in die Tasche. Ich aber drehte mich um und ging und – bettelte weiter.
Wir schwiegen Alle, endlich sagte Franz:
Solcher Elenden gab es zum Glück wol wenige, aber nun – was thut Ihr nun?
Der Mann drehte sich langsam gegen die Kammer zur Seite.
Ich trage mit meinen Cameraden Strohdecken nach Deutschland hinüber, erwiderte er, dort steht unsere Bagage. Eine schwere Last, Herr, und geringer Verdienst, indeß nährt er mich seit Jahren, wo ich nach Flandern gekommen bin.
Wie das Feuer aufleuchtete, sahen wir die hohen Deckenpacken stehen, unter welchen die armen Leute, Lastthieren gleich, einherkeuchen, und doppelt that es mir weh, daß der alte Soldat auch so kümmerlichen Antheil nehmen mußte.
Und wen habt Ihr um alle Eure Noth anzuklagen, als den Mann, den Ihr so hoch verehrt, sagte ich. Ihr würdet glücklich und zufrieden Euer Leben gelebt, in Eurer Heimat ein guter Bürger geworden sein, wenn er nicht mit Blut und Elend die Welt überschwemmt hätte.
Hier hielt ich inne, denn der Flammänder war aufgestanden und ballte seine Fäuste. Schweigt still, sagte er, und sein häßliches Gesicht stierte mich an, als wollte er die rechte Stelle suchen; Ihr scheint mir einer von Denen zu sein, Herr, die Alles wissen und sich klüger dünken als andere Leute; aber merkt es Euch, ich will Euch stumm machen für alle Zeit, wenn Ihr nicht von selbst den Mund halten könnt.
Somit war es aus mit aller unserer Freundschaft, denn mit drohenden Blicken ging der große Kerl hart an uns vorüber, als messe er seine und meine Kraft-Gestalt, die übrigens auch niemals zu den gering zu achtenden gehörte.
Das Wetter hatte inzwischen nachgelassen. Die Sonne trat am Rande des westlichen Gesichtskreises noch einmal hervor, und warf ihr gelbrothes Licht scheidend über das weite Wiesenland und beruhigend auf die dunklen Wolken, in denen es noch immer murrte und zuckte. Aber konnten wir jetzt unser Obdach verlassen? Die Wege waren vom Regen überfluthet, der schwarze Boden aufgeweicht, schlüpfrig, der Abend brach schnell herein und wo fanden wir die rechte Straße in diesem von tiefen Gräben und Brücken durchkreuzten Lande?
Indem wir dies leise bedachten, öffnete das Weib die Thür und ließ das rothe Licht in den traurigen, feuchten Raum dringen. Es brachte die Versöhnung mit, denn alles sah nun viel wohnlicher und besser aus, selbst die Gesichter der Menschen, die es freundlicher machte. Die Frau drehte inzwischen den Kessel an dem Haken und Ringe von dem Feuer ab, rührte seinen Inhalt noch einmal mit einem großen Blechlöffel durch und sagte dann den Kindern ein paar Worte, deren Sinn uns völlig verständlich wurde, als diese in den Verschlag liefen und mit irdenen bunten Tellern und Löffeln zurückkehrten, während der Mann ein ungeheures Brod herbeibrachte.
Die Fässer und Kasten wurden nun rund um das Feuer gerückt, jeder hielt seinen Teller auf den Knien, sein Stück Brod in der Linken, seinen Löffel in der Rechten, und der Speisesaal war fertig, der Tisch gedeckt. Man hatte uns nicht gefragt, wollt Ihr, oder wollt Ihr nicht? sondern uns wie die Anderen versorgt, und nun drehte sich der Kessel am Haken von Einem zum Andern, und die Frau mit dem großen Löffel fuhr hinein und wieder heraus, und legte auf jeden Teller eine ungeheure Masse Kartoffeln und Brodstücke, die mit einer weißen zähen Brühe überzogen waren.
Wenn man Hunger hat, sagt ein altes Sprichwort, ist es völlig einerlei, ob uns Brod oder Braten vorgesetzt wird, und nach dem alten Seneca soll der Durst sogar allen Unterschied zwischen Wein und Wasser aufheben. Die Sprichwörter lügen jedoch häufig oder immer. Ich habe an fürstlichen Tafeln gesessen und das trockne Brod der Armuth oft genug getheilt, und habe immer gefunden, daß Braten unter allen Umständen Braten, Wein Wein, Wasser Wasser bleibt. Hungrig und durstig hab' ich freilich hineingebissen und verschluckt, was man mir vorsetzte, aber als ich in dieser schrecklichen Höhle bei Grave den gelbweißlichen Brei vor mir sah, ging es mir, wie einem Europäer im Orient, dem ein mächtiger Pascha mit eigenen hohen Händen eine Fleisch- und Pilav-Kugel bereitet und sie ihm als Zeichen seiner Achtung in den Schlund schiebt, wo er schlucken oder umkommen muß.
Ich starrte so lange schaudernd auf die Speise, welche meinem Nachbarn vortrefflich schmeckte, bis unsere gütige Wirthin mich sehr verständlich zum Essen einlud, und da ich immer gefunden habe, daß der Teufel nie so schwarz ist, wie er aussieht, wenn man nur Muth hat, sich nicht zu fürchten, so nahm ich einen Anlauf, empfahl meine Seele Gott und siehe da, es ging besser, als ich dachte. Es war ein Brei von Mehl, weißen Bohnen, Erdtoffeln und Brod, mit saurer Milch gemischt, der gar nicht übel schmeckte, besonders weil wir ihm gegenseitig Lobsprüche machten und dann und wann zur Abwechslung unser Brod zermalmten.
Als wir in voller Arbeit waren, kam Joseph herein, denn mit diesem Namen hatte das kleine Mädchen den alten mürrischen Kerl gerufen. Er setzte sich neben uns, füllte seinen Teller, und nachdem er ein Gebet gemurmelt und ein Kreuz geschlagen hatte, begann er mit einer merkwürdigen Geschicklichkeit die Speisen zu verschlingen. Ich hätte erwähnen können, daß auch die Uebrigen mit einem kurzen Tischgebet ihr Mahl begannen und eine stumme mürrische Verwunderung zeigten, als wir ihr Beispiel nicht befolgten. Leise unterredeten sie sich und einer der jungen schwarzhaarigen Menschen, die während des Gewitters auf den Knien lagen, sah uns mit unverkennbarem Zorn und Abscheu an, indem er seinen Sessel von uns abrückte.
Was das zu bedeuten hatte, wußten wir sehr wohl; wir waren erkannt als Mitglieder einer Sekte, die von früh auf ihnen als Feinde Gottes und der Menschen geschildert war, und in keinem Lande, wie in diesem, wo hundertjährige Religionskriege gewüthet haben, findet man noch jetzt unter dem stumpfsinnigen Volke den wildesten Haß und Aberglauben so fanatisch erhalten und gepflegt.
Als unser einfaches Mahl beendet war, drängten sich die Deckenträger um Joseph, der, die Arme gekreuzt, auf seiner Tonne saß, sinnend wie ein Diogenes, die Augen starr auf das verglimmende Feuer gerichtet und aus der kleinen schwarzen Thonpfeife dicke Rauchwolken ausstoßend. Daß von uns die Rede sein mochte, war wohl zu merken, denn diese rohen Menschen verstanden nicht die Kunst, sich zu verstellen. Sie blickten uns mit ihren leidenschaftlichen wallonischen Augen spöttisch und mürrisch an, dann sprachen sie wieder und lachten, Joseph aber sah dann und wann finster zu uns herüber, und beantwortete ihre Fragen mehr durch einzelne verneinende und bejahende Zeichen, als durch Worte.
Während dessen war die Nacht gekommen, und der Mond ging über dem Wiesenlande auf. Durch die offene Thür konnten wir in die unendliche Landschaft hinaussehen, die in tiefem Frieden lag. Ein alter Baum streute den Schatten seiner Blätter mit tiefen Schwingungen über Hof und Hütte, die schwarzen scharfen Schatten des Hauses fielen schräg auf den Grasboden, und hinter ihm glänzte das weiße, stille Licht bis in die verschwimmenden Fernen, wo es in langen, matten Fäden vom Himmel zu rieseln schien.
Nun brachte der Luftzug den Duft von Blumen und Gras und Kraut herein, und die unzähligen leisen Stimmen der Thiere, die ihr nächtliches Leben und Lieben begannen. Wir waren jetzt aufmerksamer auf die Menschen um uns, als auf die versöhnende Natur, und strengten uns an, etwas von deren Reden zu verstehen. Aber die Frau lief hin und her, und klapperte mit ihrem Tischgeräth, und der Landmann sprach hinter der Bohlwand laut mit seinen Thieren, die mit ihren Ketten rasselten und mit tiefem Brummen seiner Pflege dankten.
Endlich brachte die Frau eine kleine Lampe, die an einem Lampendrath hing, der an der Feuerwand eingehakt wurde und ihr röthliches trübes Licht auf uns warf. Die Frau hatte ein gutmüthiges Gesicht und schien uns so mitleidig anzusehen, indem sie zugleich einen langen forschenden Blick auf unsere Gegner warf, daß meine Besorgnisse plötzlich dadurch ein bestimmtes Ziel erhielten.
Wir waren allein, vom Wege abgeirrt. Niemand würde nach den beiden unbekannten Wanderern fragen, wenn man an uns ein Verbrechen begehen wollte, und diese tiefen Sümpfe und Gräben, mit welchen wir übermüthig den armen Juden geängstigt hatten, konnten leicht jetzt über uns auf ewig zusammenschlagen.
Indem ich darüber nachsann, zog mein Begleiter seine Uhr hervor und trat näher zur Lampe. Es war eine schöne alte Uhr mit doppelten goldnen Gehäusen, und plötzlich waren alle Blicke darauf gerichtet. Joseph richtete den Kopf auf und fragte, was es an der Zeit sei? indem er fast zugleich die Hand darnach ausstreckte und sie an der Kette festhielt. Die Uebrigen drängten sich um ihn und starrten das seltene Kleinod gierig an. Ich verwünschte die Unvorsichtigkeit, und Josephs Worte: Zeigt her, Herr, laßt uns das Ding betrachten! schienen mir eine Art Todesruf für die Uhr zu sein. Halb widerstrebend ließ Franz sie los, und der alte Mann betrachtete sie nun mit sichtlichem Vergnügen, indem er manches halblaut vor sich hinsprach und sie immer wieder nach allen Seiten beschaute.
Es ist Gold, sagte er dann, schweres Gold, aber so arm ich jetzt aussehe, ich habe in früherer Zeit mehr als eine gehabt, die besser war, wie diese da. Verdammtes Gold! es wollte nicht bei mir bleiben; nehmt Euch in Acht, Herr, daß es Euch nicht auch so geht.
Damit gab er die Uhr zurück und sprach mit seinen Kameraden, denen er irgend eine alte Geschichte erzählen mußte, denn sie hörten aufmerksam zu und verfolgten bald die Uhr, bald uns mit ihren Blicken. Ihr leises Sprechen begann von Neuem, und ganz besonders eifrig war der junge, fanatische Wallone, dessen Mienen und Bewegungen so lebendig wurden, daß ich die Worte zu verstehen glaubte. Dürfen solche Ketzer so schöne Sachen besitzen, schien er zu sagen, und wäre es nicht ein gutes Werk, wenn wir sie für uns in Beschlag nähmen?
Joseph hörte Alles still an, dann machte er eine abwehrende Bewegung, zu einem anderen Vorschlage aber nickte er sein Ja, dann mischten sich die Anderen hinein und endlich wurde der Landmann, welcher so eben kam, auch angerufen und ihm Mittheilungen gemacht. Nun flüsterten sie zusammen und schienen sich zu streiten, dann und wann schielten sie nach uns hinüber und endlich erhoben sie sich alle, sichtlich in Einigkeit über das, was sie thun wollten, und starrten uns herausfordernd an.
Ihr seid sicher müde, Herr, sprach Joseph mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete; und indem er an der Bohlwand in die Höhe deutete, wo eine kleine Thür auf den Bodenraum führte, fuhr er fort: Dort aber ist Euer Lager im Heu und hier bringt Gipson seine alte Leiter. Steigt hinauf und gute Nacht, Herr, und gute Reise; wiedersehen werden wir uns nicht.
Warum nicht? rief ich erschrocken.
Weil wir mit dem ersten Tagesgrau fortmüssen, erwiderte Joseph eintönig und wendete sich fort zu dem Wirthe, dem er die Leiter anlegen half.
Ich blickte Franz unentschlossen und fragend an, aber dieser hatte schon sein Ränzchen ergriffen und kletterte mit merkwürdiger Behendigkeit die Sprossen hinauf in den dunkeln Raum. Langsam folgte ich ihm und kroch durch die kleine Oeffnung, durch welche der Wirth hineinleuchtete und uns einen hohen Heuhaufen zeigte. Dann schlug er die Thür zu, wir hörten, wie er den Eisenriegel vorschob, hörten die Leiter fortnehmen, und unten folgte auf eine Frage, die wir nicht verstanden, ein lautes allgemeines Gelächter, das unsere Ahnungen nur zu sehr rechtfertigte.
Der Bodenraum, auf welchem wir uns befanden, lief über das ganze Haus hin, aber er war durch eine ziemlich große mit einem morschen Holzkreuz versperrte Oeffnung erhellt, durch welche der Dämmerschein des Mondes hereinfiel. Ein dichtgeästeter Baum lehnte sich daran und umwand sie mit seinem Geblätter; hier lag das Heu und der vorsichtige Franz warf sich dicht an dem Fenster nieder.
Was denkst Du über unsere Lage? sagte ich leise.
Ich denke eigentlich gar nichts, erwiderte er, es ist aber ganz gewiß, daß, wenn es uns an den Kragen geht, Du der Erste sein wirst. Hoffentlich wirst Du Dich dann mannhaft vertheidigen, und während dessen behalte ich Zeit, dies Holzkreuz einzuschlagen und entweder hinabzuspringen, oder, wenn der Weg versperrt ist, bis in den Gipfel des alten Baumes zu klettern, wo mich so leicht keiner herunterholen soll. Uebrigens kannst Du Dich darauf verlassen, daß ich sogleich in Grave die Anzeige der ruchlosen That mache, und Deine Mörder gehörig nach den Landesgesetzen bestraft werden sollen.
Ich wußte, daß er scherze, daß er vielleicht mehr fürchtete als ich, und daß, wenn es zum Aergsten käme, kein treueres und entschlosseneres Herz gefunden werden könne, aber ich ärgerte mich über seine schlecht angewendeten Scherze und machte ihm Vorwürfe über den Leichtsinn seines ganzen Lebens und Treibens, der sich auch jetzt offenbare.
Ohne ein Wort zu erwidern, suchte er dagegen seine Lagerstätte bequemer zu machen, und that mir dann den Vorschlag zu einem Vertrage, wie ihn die beiden Juden schlossen, die ein Pferd gemeinschaftlich gekauft hatten: wenn ich wachte, wolle er nämlich schlafen, und schliefe er, sollte ich wachen. Dabei streckte er sich aus und blieb lange Zeit in der Lage eines Menschen, der alle Sorgen glücklich abgeschüttelt hat, bis er plötzlich sich aufrichtete und leise sagte:
Was zum Henker haben die Kerle da draußen zu schaffen?
Er hatte schärfer gehört als ich, denn als ich an das Gitter zu ihm hintrat, sah ich die Männer draußen im Schatten stehen und leise sprechen. Endlich kam der Landmann auch mit der Laterne und nun folgten sie diesem in den niederen verfallenen Stall, der hinterwärts stand, und nicht zu verkennen war es, daß einige von ihnen mit Spaten und Hacken bewehrt waren, deren Geräusch uns bald überzeugte, daß sie die Erde aufwühlten.
Was thun sie da? fragte ich mit innerem Entsetzen.
Ich glaube, erwiderte Franz eben so leise und von Schrecken ergriffen, sie graben unser Grab!
Dann werden sie uns hoffentlich nicht allein begraben, rief ich entschlossen; es soll diesen Schurken nicht so leicht werden, als sie glauben, rief ich.
Ich zog mein Reisemesser, das dolchartig spitz und mit einer Feder versehen war, die es fest in seiner Lage hielt; Franz dagegen hatte nichts als seinen Stock, den er jedoch zu brauchen verstand, und so sahen wir, uns Muth einsprechend, der Entwickelung des Abenteuers entgegen.
Lange durften wir nicht warten, denn bald kam die Mörderbande eben so still zurück und schlich in das Haus, wo sie eine kurze Zeit flüsterten, dann hörten wir sie die Leiter vorlegen, heraufsteigen und den Riegel leise zurückschieben.
Wir hatten uns ganz in der Ecke am Fenster zusammengedrückt und lagen still und erwartungsvoll, aber mein Herz pochte in wilden Schlägen, als ich den ersten der Kerle hereinkriechen sah. Der Mond war tief am Himmel und warf sein Licht weit über den Raum, so daß ich sehr gut den alten Joseph erkennen konnte. In halb sitzender Stellung, aus welcher ich in einem Augenblick aufspringen konnte, hielt ich in der Rechten das scharfe Messer, mit dem linken Arm schützte ich meinen Körper.Franz hatte seine Hand krampfhaft fest auf meine Schulter gelegt.
Nun waren sie Alle oben, Joseph flüsterte einige Worte, dann ging er leise über das Heu dicht zu mir heran und kniete nieder, indem er mich lange betrachtete. Sie schlafen fest, murmelte er, um so besser. Bei diesen Worten setzte er sich nieder, griff in die Bluse und holte etwas hervor, das er in seinen Händen umwendete. Die Angst schärfte meine Sinne, mit Entsetzen erkannte ich ein großes Messer, das er zu öffnen suchte, und eine Art wahnsinniger Wuth ergriff mich, als ich die Klinge im Mondlicht blitzen sah. Meine Hand umspannte den Stahl, es war mir, als müßte ich jetzt ohne Aufenthalt zustoßen, wenn ich länger leben wollte; eine Bewegung noch hätte hingereicht, um zu beginnen.
In dem Augenblick aber, wo ich wartete, daß er sich zu mir wenden würde, wo mein Arm schon leise gehoben war, steckte Joseph das Messer bedächtig in seinen Stiefel, legte sich in das Heu zurück und nahm die Stellung eines Schlafenden an. Neue Verlegenheit! Anfangs glaubte ich, es sei Verstellung; aber alle seine Kameraden lagen zu meiner Verwunderung dicht neben einander, und in wenigen Minuten begannen die meisten ein Nasen- und Gurgelconcert, an dessen Aufrichtigkeit nicht im mindesten zu zweifeln war.
Ich sage nichts von meinem leisen Gespräche mit Franz, der plötzlich seine ganze lustige Laune wiedererhalten hatte und unsere Noth. verspottete, aber ich weiß nicht, wann ich endlich einschlief. Es muß spät gewesen sein, denn Franz rüttelte mich auf, er hielt mich an der Gurgel und schrie lachend:
Dein Geld oder Dein Leben, elendes Menschenkind!
Verwundert sah ich umher. Der Tag war hell, die Sonne glühte über der unermeßlichen Ebene, die in ihrem tief dunklen Grün vom Morgenglanze übergossen, und von frisch bewegter Luft durchfeuchtet, Hoffnung und neuen Lebensmuth in die Herzen hauchte. Unsere Schlafgenossen waren verschwunden, auch Franz hatte sie nicht gehen hören und lange dauerte es, ehe wir die Leiter bekommen konnten, um aus unserem duftigen Bett zu steigen. Der Landmann war auf's Feld gegangen, die Frau nach Grave, und die Kinder kamen endlich in uns zu erlösen.
Ein paar Zehnstüber Stücke setzten sie in große Freude; von dem großen Brod, das sie herbeiholten, schnitten wir tüchtige Stücke, ein Topf mit Milch machte unser Frühstück vollkommen, und dann ging es wackern Schrittes lustig und und lachend den Weg hinab, wobei die Kinder uns bis zur großen Straße geleiteten. Nach einigen Stunden sahen wir Grave vor uns, und schon dachten wir mehr an den nahen Rhein als an unser Abenteuer in Holland, als wir plötzlich die fünf gefährlichen Mörder erblickten, die ihre Packen am Grabenrande abgeworfen hatten und frühstückend daneben saßen.
Sie begrüßten uns freundlich, der alte Joseph aber streckte mir seinen rauhe Hand entgegen und schien ganz besonders zutraulich zu sein. Nachdem wir ein Weilchen mit ihm geplaudert hatten, konnte ich nicht umhin, ihm zu sagen, daß er mir heut viel mehr gefalle als gestern, wo er alle Rauheit nach Außen und gegen uns gekehrt.
Das macht, sagte er lachend, weil – nun ja, Herr, weil Sie uns gar nicht gelegen kamen. Fremde erscheinen selten in der abgelegenen Hütte, darum verkehren wir dort. Sie sehen mich an, Herr, fuhr er fort, und ich denke Ihnen mehr sagen zu können. Wir gehen nach Deutschland mit Strohdecken, aber wir haben zuweilen unsere eigenen Wege, und manche andere Dinge gibt es hier im Lande, die sich hübsch zwischen und unter den Decken verpacken lassen, und welche kein Zöllner, Gott verdamme sie! sehen darf. Dort in dem Hause haben wir so ein kleines Depot von Allerlei – nun das Uebrige verstehen Sie.
Mit einem Male hatten wir Aufschluß.
Und als Ihr in der Nacht nach dem Stall zogt mit Schippen und Spaten sagte ich, wurde das Depot geöffnet.
Maria Joseph! rief er verwundert, das wissen Sie auch?!
Ihr habt Eurem Heiligen noch mehr zu danken, fuhr ich fort, er hat Euch aus großer Gefahr gerettet. Ich erzählte ihm Alles und der Alte bekreuzte sich ganz erschrocken; dann aber nahm er eine zürnende Miene an und sagte:
Wie, Herr, das trautet Ihr einem alten Soldaten des Kaisers zu? Ah! ich schäme mich. Sehe ich denn aus, als könnte ich so schlechte Thaten begehen?
Ich reichte ihm die Hand und sagte ihm Lobsprüche, die er freudig annahm, obwol seine trotzige Gestalt und sein neu entdecktes Geschäft als Schmuggler wol zu einer andern Antwort Stoff gegeben hätten. Etwas merkte er wol von unseren Gedanken, denn sein narbiges Gesicht röthete sich, als er langsam sagte
Diese Zölle, wer hat sie gemacht? Die Menschen, welche nichts von Noth und Elend der Armen wissen. Es ist kein Unrecht, das Ungerechte zu betrügen, aber sonst – ja, Herr! ich habe ein Gewissen, es ist ganz rein.
Wir gingen mit ihm bis nahe vor Grave, dann wandten sie sich von der Straße ab.
Da durch, sagte er, geht zwar der breite Weg, wir haben aber andere kürzere Pfade. Lebt wohl, Herr, und vergeßt den alten Joseph nicht.
Wir schüttelten uns die Hände, und die Last auf seinem Rücken mit dem Stock gestützt, sah er uns nach, bis wir über die Zugbrücke gingen. An der Ecke schwenkten wir noch einmal unsere Hüte, er winkte mit seiner Kappe, da verschwanden wir in dem düstern Thore der Festung.