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[Fünfter Theil.]
So sind die Menschen! immer bereit an jedem Fehlschlage ihrer Hoffnungen, an Allem, was sie Unglück nennen, zu verzweifeln, sagte der Präsident, und doch ist es fast immer nur vorübergehendes Mißgeschick, das in seinen Folgen sich oft wol noch als Glück offenbart.
Mein Onkel ist ein Philosoph, erwiderte der Assessor spottend; er berechnet das Menschenschicksal im Großen und Ganzen nach den Resultaten der Geschichte und überall entdeckt er Nothwendigkeit und Fortschritt. Die Leiden der einzelnen unnützen Geschöpfe, ihr sogenanntes Unglück und ihre Verzweiflung darüber, sind kaum zu beachten, sie verwehen im Zeitenlauf. Man kann sterben daran; aber das ist auch Alles, und sterben muß, was da lebt, weil es werth ist, zu Grunde zu gehen. Wie und wo, ob früh, ob spät, ob gesättigt vom irdischen Glück oder auf dem Rost glühender Kohlen gebraten, ist im Grunde einerlei.
Mir ganz gewiß nicht, fiel der Präsident ein; die Gesellschaft stimmte lachend ein.
Mir ebenfalls nicht, sagte der Neffe. Ich vertheidige keineswegs das Prinzip der Nichtigkeit unseres irdischen Daseins.
Nun denn, Deine Behauptung?
Daß wir ein Recht haben, an unseren Schicksalen zu verzweifeln! rief der junge Mann lebhaft. Daß die lange Reihe von Menschen- und Erdenleid die stärkste Seele bis zur Vernichtung niederbeugen kann, daß es Schmerzen gibt, die kein Gott vergüten kann.
Junger Thor! sagte der Präsident mit einem sanften Neigen seines ehrwürdigen Hauptes, was weißt Du denn von Leben und Leiden? Willst Du ein Menschenleben ohne zerstörte Hoffnungen, ohne Kampf, ohne Schmerzen? Es ist unsere Bestimmung, unzertrennbar von unserem Loose. Hat ein Schiff jemals das Meer befahren, ohne vom Sturm gefaßt zu sein? Aber war es gut und stark gebaut, wurde es muthig geführt, legten die Leute am Bord nicht die Hände in den Schooß, sondern arbeiteten wacker, als das Wetter am schlimmsten tobte; so gingen große Gefahren unschädlich vorüber. Die Sonne kam wieder und neues Vertrauen; denn im Sturme erprobt man die Kraft, in Gefahren wächst der Muth der Tapfern. Nur der Feige verzweifelt!
Höre nicht so aufmerksam auf diese Weisheit, liebe Antonie, rief der Assessor, indem er die Hand seiner schönen Cousine ergriff, Du wirst sie doch nicht befolgen können. Sie haben es sich glücklich herausgeklügelt, die Wohlverständigen, daß man wie ein Matrose arbeiten müsse, um nicht unterzugehen. Sie vergleichen das unempfindsame Holz mit dem warmen Menschenherzen und vergessen bei ihrer traurigen, kalten Moral, daß nicht Jeder so wettergebräunt und abgehärtet geboren ist, wie ein Seemann sein muß. Es gibt aber weichere, zartere Wesen, die, wie Vögel des Südens mit glänzendem Gefieder, kränkeln und hinsterben, wenn sie einmal vom rauhen Nord getroffen wurden; es gibt auch Schicksale, Stürme, aus denen kein Schiff unzerschmettert hervorgeht, kein neues Glück erblüht.
Er beugte sich zu ihr hin und fuhr dann mit Innigkeit in Blick und Wort leiser fort:
Wenn ich Dich verlöre, Antonie, an die mein ganzes Lebensglück sich knüpft, wenn meine Liebe aufhören sollte, wenn Schicksale uns trennten, könnte mir irgend eine Hoffnung, Muth zum Kampfe bleiben?
Da haben wir's, rief der Präsident herzlich lachend; der Berg kreiste und gebar eine Maus! Er kennt kein größeres Schicksal auf Erden, als ein Weib zu verlieren, an der sein Herz hängt. Und doch, fuhr er fort, indem er die jungen Leute mild betrachtete, doch hat er Recht. Es ist für einen Liebenden der größte Erdenschmerz; für einen anderen mag es ein anderer sein! Wer weiß denn überhaupt, was unter Leiden das größte Leid ist?! Ueberall aber bedarf es den Trotz des Lebens, die zähe, elastische Kraft der Seele, wie eine gestählte Feder den Druck zurückzugeben, die Last abzuschnellen, je schwerer sie drückt, um nicht zu zerbrechen. Wer das nicht vermag, der erliegt. Das Leben ist hart, man muß es verstehen lernen, wenn man sich damit versöhnen will.
Sie sind eine Art Fatalist, lieber Onkel, rief der Assessor.
Nichts weniger als das, versetzte der alte Herr, ich ermahne zum Kampf, nicht zur Unterwerfung. Mein junger Freund, fuhr er lächelnd fort, ich will Dir eine Geschichte erzählen, die mir eben einfällt und Dir nützlich sein kann.
Er sah in dem Kreise umher, als suche er die Einwilligung der Gesellschaft und es währte einige Minuten, ehe er seine Mittheilung begann.
Es ist lange her, sagte er dann, als ein junger Mann, etwas älter als Du, eines Tages an die Thür eines Beamten klopfte, der den Titel, »Hofrath« führte und Kassenrendant war. Als drinnen eine Stimme antwortete, öffnete er und verbeugte sich ein wenig befangen vor dem großen dürren Manne, der die Brille von der Nase auf die Stirn geschoben hatte und von seinem Arbeitstische aus, die ganze Majestät seines strengen Gesichts zeigte. Es war der Urtypus eines Hofrathes und Kassenbeamten. Ernsthaft und gravitätisch saß er da, mit dem stolzen Bewußtsein seiner Würde und Wichtigkeit im Staate.
Als er den Eintretenden erkannte und inne ward, daß es kein Besuch in Dienstangelegenheiten sei, verschwand die Falte von seiner Stirn und die Kälte von seinem Gesicht. Er stand auf, gab dem jungen Herrn die Hand, führte ihn zum Sopha, bat ihn Platz zu nehmen, setzte sich dann neben ihn und indem er ihm sogar eine Prise anbot, sagte er, so freundlich als er konnte:
Ich bin erstaunlich überrascht, sehr freudig überrascht, mein werther Herr Assessor. Was führt Sie in so ungewohnter Stunde zu mir, oder wie? Haben Sie sich etwa in der Thür geirrt, und wollten dort hinein, meiner Familie Ihren werthen Besuch zuwenden?
Ich wollte zu Ihnen, Herr Hofrath, erwiderte der Assessor.
Der große Mann wurde plötzlich wieder ernsthaft, er witterte einen Supplikanten.
Womit könnte ich dienen? murmelte er und preßte die Worte zwischen die Zähne.
Der Assessor drehte seinen Hut rund in den Händen um und heftete die Augen auf den schwarzen Bandsaum. Plötzlich aber schlug er sie auf und sagte:
Erlauben Sie mir, kurz und bestimmt zu sein. Seit einem Jahre habe ich die Ehre, Ihr Haus zu betreten; dies gab mir Gelegenheit, Ihr Fräulein Tochter kennen und verehren zu lernen. Ich liebe sie, Auguste erwidert meine Neigung, es fehlt zu unserem Glücke nur Ihre Einwilligung; diese zu erbitten bin ich gekommen und wenn ich hoffen dürfte – wenn Ihre Achtung wenn mein Charakter – meine Liebe –
Der alte Herr rückte unruhig auf dem Sopha hin und her; sein faltenreiches Gesicht wurde mit jedem Worte finsterer, bei der Liebe unterbrach er ihn.
Alles recht schön, sagte er, indem er die Brille abnahm und in seine Hand drückte; ich fühle mich unendlich geehrt und meine Tochter würde ohne Zweifel kein besseres Loos sich wünschen können, aber –
Sie werden unser Lebensglück nicht stören wollen, rief der Assessor und seine Lippen zitterten wie die Hand, welche er nach dem strengen Vater ausstreckte.
Aber, fuhr der Hofrath in demselben bedächtigen Geschäftstone fort, ich kann dennoch mein unmaßgebliches Bedenken nicht unterdrücken. Eine Heirath aus Liebe in jungen Jahren scheint allerdings ein sehr verlockendes Glück. Die Liebe läßt Alles im besten Lichte sehen; allein es ist damit, wie mit einem falschen Kassenschein. Man glaubt sich schon im Besitz einer Geldsumme zu befinden, betrachtet man es aber genau, so steht ein Buchstabe, eine Zahl darin falsch und die ganze Herrlichkeit ist nichts werth.
Und dieser falsche Buchstabe?
Das ist die Hauptsache! rief der alte Herr, daran knüpft sich Alles. Wenn Liebe Liebe sein und bleiben soll, so ist es es nöthig – nichts für ungut, Herr Assessor – daß sie nicht hungert, nicht friert! Ganz offenherzig: ich habe nichts gegen Ihren Antrag, ich ehre und achte Sie, aber wer eine Frau nimmt, muß denken, er stürzt sich in ein Meer von Sorgen und Nöthen; muß denken, daß sich Wehe auf Ehe reimt, wie unsere Väter schon sagten: muß denken, daß es nicht genug ist, zu lieben und zu heirathen, sondern daß man auch Mittel haben muß, Frau und Kind zu nähren. Und haben Sie das, können Sie das, bedachten Sie das? Ich kann Augusten nichts geben als meinen Segen und eine dürftige Ausstattung; Sie, soviel ich weiß, besitzen kein Vermögen; Sie sind Assessor – er sah ihn mit einem gewissen mitleidigen Blicke an – allerdings mit Aussicht, weiter zu steigen bis zu den höchsten Staatsstellen; aber leider – es dauert zu lange jetzt, schlechte Aussichten, es gibt gar zu viele von der Sorte, sagte er versöhnlich lächelnd und seinem Gaste die Hand schüttelnd, darum dachte ich, wir schlügen es uns aus dem Sinn, wir warten und besinnen uns, legen die Sache ad acta. Was meinen Sie?
Der junge Verliebte war jedoch dieser Meinung durchaus nicht.
Sie dürfen versichert sein, erwiderte er hastig, daß ich alles wohl bedacht habe. Sie haben vollkommen Recht. Will man Carriere, so gehen Jahre wol hin, ehe man zu Brod und Stellung kommt. Ich habe mich jedoch entschlossen, allen zweifelhaften, ehrgeizigen Planen zu entsagen; nur ein bescheidenes Glück zu suchen, um zum Ziele zu gelangen. Mit diesen Vorsätzen bin ich hergekommen, fuhr er dann ruhiger fort, und damit Sie sehen, daß ich wohl überlege, was ich will, erlauben Sie mir, Ihnen mitzutheilen, daß eine Stelle, die Brod gibt, so gut wie mein ist. In I. ist das Syndikat zu besetzen. Mein Vetter, der Justizcommissair, hat alle Schritte zu meiner Wahl gethan; ich habe nur nöthig, mich dort vorzustellen. Das soll morgen geschehen, dann bin ich im Amt und habe fünfhundert Thaler, ohne Accidentien, und Alles in Allem läßt sich wohl eine Frau damit ernähren, die so bescheidene Ansprüche macht wie Auguste.
Der Hofrath hatte aufmerksam zugehört. Er besaß vier Töchter, die alle hübsch heranwuchsen und Freier begehrten. Er überlegte und rechnete. Einen Syndikus zum Schwiegersohn, fünfhundert Thaler jährlich, es waren freilich keine sonderlichen Aussichten. Aber er konnte ja einmal Stadtrichter oder gar Bürgermeister werden und es immer doch noch zu einigen Titulaturen und Thalern mehr bringen.
Ich bin Ihren Absichten gewiß nicht entgegen, lieber junger Freund, sagte er nach einer Pause; wenn Ihre Aussichten auch bescheiden sind, so genügen sie mir doch, und wenn Auguste – halt! halt! rief er lachend und wehrte den feurigen Dank ab, erst müssen wir ganz im Reinen sein; ich gebe meine Zustimmung nicht eher, bis wir Schwarz auf Weiß von wegen der Stelle haben. Schwarz auf Weiß! schrie er, ja das ist der beste Liebeskitt; so ein Diplom, ein Patent, eine Anweisung, das zieht die Herzen zusammen und wird mit den süßesten Küssen belohnt.
Morgen sollen Sie es haben, erwiderte der glückliche Assessor; es waltet dabei nicht der geringste Zweifel.
Der Hofrath zweifelte auch nicht, er führte den halb und halb Gesegneten zu seiner Familie und der Rest des Tages verging unter Glücksträumen der Liebenden, die Hand in Hand ungestört ihre Luftschlösser bauten und von der übrigen Welt absperren durften, recht nach Braut- und Bräutigamsart. Am nächsten Morgen holte der Justizcommissair seinen Vetter zu Wagen ab und beide fuhren nach T.
Der Advokat war einer jener lustigen, immer lachenden Gesellen, welche die Welt mit ihren Sorgen und Plagen an sich hingehen lassen, ohne viel danach zu fragen. Die Quintessenz seines Daseins war ein guter Tisch, ein noch besserer Trunk und eine Gesellschaft sorgloser Freunde von gleichem Schlage. Uebrigens hatte er Herz und Kopf auf der rechten Stelle, und, wenn er wollte, Witz und Scharfsinn genug, um seine Lust zum Spott tüchtig zu unterstützen.
Es war eine fröhliche Reise, obwol es eine kalte Herbstnacht war, die eben hereinbrach, als die Thürme der Stadt vor ihnen aufstiegen. Der lustige Vetter hatte tausend Dinge zu bespötteln und zu erzählen. Er sprach, rauchte, trank, lachte und sang ohne Aufhören; er war das echte Modell eines Junggesellen von vierzig Jahren, der über Liebe nur noch spöttisch mit den Augen zwinkt, Sarkasmen hervorsprudelt, die Weiber zwar nicht verachtet, aber um so mehr die Ehe; der sein rundes, rothes Gesicht als die Folge seiner Enthaltsamkeit bewundert, und seine Wohlbeleibtheit als das glückliche Ergebniß seiner Freiheit und Unabhängigkeit hoch leben läßt.
Es läßt sich denken, daß der Assessor, dem er herzlich zugethan war, nichts desto weniger viel von seinen Spöttereien zu leiden hatte, obgleich er es selbst war, der ihm die Mittel verschaffte, sobald als möglich zur Fahne des Unterrocks zu schwören.
Als er dem Thore nahe war, hielt er den Wagen plötzlich an und klopfte seine Cigarre ab, indem er nachdenkend, mit der Peitsche auf die Stadt wies.
Es ist doch sonderbar, rief er aus, daß eines Menschen Schicksal mit ein paar Schritten weiter auf immer entschieden werden kann. Ja, wenn ich Dich ansehe und Alles recht bedenke, möchte ich Thränen weinen, oder wenigstens meine Gäule links um machen lassen, um über Hals und Kopf zurückzujagen.
Dort, sagte der Assessor lächelnd, dort liegt mein wahrer Lebenshafen.
In dem abscheulichen Neste, schrie der Justizrath, wo Du verkümmern und untergehen wirst, wenn nicht an Leib, doch an der Seele. Mensch, sagte er und legte seine große Hand auf die Schulter seines Verwandten, den er derb schüttelte, hast Du auch Alles bedacht, Alles überlegt, und willst mit offenen Augen in Dein Unglück rennen? Bist Du reif zum wahren Philister, zum echten Spießbürgerleben? Fühlst Du den unbezwinglichen Trieb, nichts zu sein, als der Mann einer Frau, der, wenn sie schmollt und die lieben Kinder schreien, in den Gesellschaftsgarten geht, in die Harmonie, um schlechtes Bier zu trinken, Kegel zu schieben und einfältiges Zeug zu schwatzen? Kannst Du auch vergessen, auf immer und ewig vergessen, was Dein Ehrgeiz Dir einst in unruhigen Träumen vorgespiegelt hat? Du wirst ein armes, stilles Leben führen; Deine Wünsche sind abgethan, Deine Zukunft reicht nicht viel weiter als diese Lehmhütten und Wiesen, Deine Gebeine werden unter den falben Pappeln ruhen, die dort über das schwarze Gegitter ragen, und Du, mein liebenswürdiger, lebhafter Vetter, Du, der bestimmt schien, bei Muth und Ausdauer, Gott weiß welche Stufenleiter des Glücks zu erklimmen, Du wirst nicht einmal den Trost haben, daß man auf Deinen Leichenstein setzt: Er wurde Syndikus und starb als Stadtrichter. Weil er ein Weib liebte, vergaß er die Welt und seinen Beruf darin.
Der Assessor lachte, aber doch brannte manches Wort des guten Vetters wie Feuer in seiner Seele.
Du weißt nicht, was es heißt: lieben! sagte er darauf. Soll ich eitel Lug und Trug, leeren Fantomen, nachjagen und dafür ein Wesen aus meinem Herzen reißen, ohne welches mir alles Glück gleichgültig wäre? Du bist ein kalter, verstockter Egoist, der nur in seinen Lüsten den Reiz des Lebens findet. Dir mag, was ich thue, ein schweres Opfer scheinen, für mich ist es keines; übrigens aber kommen alle Deine guten Lehren zu spät, darum fahre weiter, es wird kalte Nacht.
Der Justizrath nickte bedauerlich seinem verstockten Freunde zu, dann hieb er auf die Pferde.
Lauf denn in Dein Unheil, Patron, schrie er, mit keinem Narren in der Welt ist schwieriger auszukommen, als mit dem Verliebten. Du thust mir auch nicht einmal leid, fuhr er dann fort; was man verschuldet, muß man tragen; was das Herz gesündigt, hat Mancher schon bis zum Tode gebüßt! Und so gehe denn auch Du mit Deinem Kreuze und seufze nicht darunter, wenigstens nicht öffentlich, denn man würde Dich auslachen; ich würde Dich auslachen, Du hast's gewollt, nun hast Du es!!
Der Assessor wickelte sich fester in seinen Mantel, sein Vetter aber fuhr ohne Zögern in die Stadt und hielt vor dem besten Gasthause an. Man kannte ihn hier, bald waren die beiden Reisenden behaglich eingerichtet, aber beide waren unmuthig angeregt. Der Assessor starrte finster vor sich hin, der Justizrath aber pfiff ein Liedchen, setzte dann seinen Hut auf und ging hastig im Zimmer auf und nieder. Es that ihm leid, einen Freund beleidigt zu haben und doch mochte er nicht ein Geständniß machen, daß er Unrecht habe. Nach einem Weilchen hielt er es nicht mehr aus, er ging; er ging, um, wie er sagte, ein paar nöthige Geschäftsgänge heute noch abzumachen, und wollte in einer Stunde zurück sein.
Als der Assessor allein war, bestand er einen angsthaften Kampf mit sich selbst. Er drückte die Hände in beide Augen, murmelte heftige Worte vor sich hin und stierte dann wieder in die lange, verkohlte Schnuppe des Lichts. Die Worte seines Vetters halten immer von Neuem in ihm wieder und erweckten einen Trübsinn, der sich nicht bewältigen lassen wollte. Fern von der Geliebten kam ihm Manches in ganz anderem Lichte vor; nicht seine Liebe schien ihm verändert, aber er fragte sich, ob die Mittel zum Zweck nicht auch anders sein könnten, ob er nicht wirklich hier moralischen Tod erleiden werde? Er dachte an alle Hoffnungen und Träume, die er gewaltsam zerrissen hatte, und nun standen sie in ihren Sterbekleidern vor ihm und ängstigten ihn als Gespenster.
Endlich trat er ans Fenster und sah auf die todte Straße hinab. Bang und immer bänger trat ihn der Gedanke an, hier leben und – wie der Justizrath spottend gesagt hatte – sterben zu müssen. Er konnte es nicht mehr aushalten, drüben nach dem Bäckerladen zu sehen, wo eine trübselige Lampe drei oder vier kleine Brödchen beschien, die Niemand abholen wollte; so nahm er denn auch seinen Hut und schlich leise zum Hause hinaus durch die stillen Gassen, sah die Häuser an, stand an den Spalten der Fensterladen still, durch welche da und dort ein Lichtstrahl brach, und beschaute sich das Stilleben innen, die nüchterne Häuslichkeit, an den Tisch gesetzt, um mit den Gaben, die Gott bescheert hatte, satt gemacht zu werden.
Die Genügsamkeit und Einförmigkeit dieses von der Welt abgetrennten Familienglücks fröstelte ihn eiskalt an, ein Gefühl trostloser Langeweile rieselte durch Herz und Adern, er ließ den Kopf seufzend tief auf die Brust senken und hob ihn erst wieder auf, als er in seiner Nähe helles Licht durch helle Scheiben fallen sah und laute Stimmen hörte. Da stand mit goldenen Buchstaben groß geschrieben: Wein- und Kaffeehaus und der ehrenwerthe Name des Wirths darunter.
Ach! rief der Assessor, und neuer Muth floß in sein Herz, gibt es Wein- und Kaffeehäuser hier, so steht es besser, als ich dachte. Ueberhaupt aber, was soll das Grübeln und Bedenken? Der nichtsnutzige Spott des Vetters kann mich nicht anfechten, meine Entschlüsse stehen fest.
Mit diesen Gedanken trat er in die kleine Wirthsstube, aus der die gemischten Gerüche von allerlei Speisen und Getränken ihm entgegenwehten, eingewickelt in Wolken von Tabaksdampf, aus welchen die plumpen Gestalten von drei oder vier ehrsamen Bürgern, wie Ossianische Götter Ossian ist der angebliche Autor von altgälischen Gesängen und Epen aus der keltischen Mythologie. Die »Gesänge des Ossian« hat in Wirklichkeit der Schotte James Macpherson (1736-96) geschrieben. Inhalt der Gesänge sind episch dargestellte Schlachten und die Schicksale auserwählter edler Helden, die sich meist um die Rettung von Königreichen bemühen. Viele Leser der vorromantischen Zeit waren empfänglich für Düsteres und Vorzeitliches und glaubten bereitwillig an die Wiederentdeckung eines Nationalepos. Weit über die Grenzen Schottlands hinaus begeisterte »Ossian« eine ganze Dichtergeneration und trug zum Sturm und Drang bei. Herder, ein Philosoph und Sammler von Volksgesängen, brachte seinem Schützling Goethe den ›Homer des Nordens‹ nahe, der ihn wiederum im ›Werther‹ zitierte. aus Nebeln, schauten.
Sie saßen und tranken und schienen zu dem wohlhabenden Theile der Bevölkerung zu gehören; besonders der Eine, ein stattlicher dickleibiger Herr mit rothem, hochmüthigem Gesicht, von dem jeder Zoll es deutlich aussprach: Habt Respekt, ich bin der Mann, der mehr Geld hat als ihr Alle! Dieser plebejische Dünkel, der so häufig in der reich gewordenen Handwerkerklasse zu finden ist; trat dem Assessor widerwillig entgegen. Er wendete schnell den Blick von der Gesellschaft ab, setzte sich an einen Seitentisch, forderte Punsch und bemerkte es gar nicht, daß seine Nichtbeachtung der anwesenden Honoratioren sofort eine Art Verschwörung gegen ihn zu Stande gebracht hatte.
Der dicke Herr betrachtete ihn mit Hohn und Zorn, er blinzelte unaufhörlich nach dem fabelhaften Menschen, der die Frechheit hatte, ihn nicht zu grüßen und den Hut erst abzunehmen, als er längst an dem Tische saß. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück, steckte die Hand in die Tasche, klimperte mit Geld, warf dann den Kopf stolz hintenüber und blies den Rauch seiner Pfeife weit von sich, wobei er mit den Achseln zuckte und hell auflachte, als einer seiner Gefährten ihm etwas zuflüsterte.
Nach und nach entspann sich ein Gespräch, das immer lauter wurde, je weniger der Gegenstand desselben sich daran kehrte, denn der Assessor stützte den Kopf in die Hand und starrte auf ein altes Zeitungsblatt, das auf dem Tische lag, wobei er an etwas ganz Anderes dachte. Erst nach einer Weile, als das Lachen um ihn nicht aufhörte, sah er die Gäste einen Augenblick an. Alle grinsten zu ihm herüber; der dicke Herr betrachtete ihn mit dem Ausdruck äußerster Verachtung und musterte ihn vom Wirbel bis zur Zehe.
Mit einer ärgerlichen Empfindung wandte der reizbare junge Mann sich ab und fiel in seine vorige Stellung, aber er konnte nicht umhin, von nun an auf das Gespräch zu hören.
Man hat jetzt eine neue Erfindung gemacht, schrie ein kleiner dicker Kerl mit einer krähenden Stimme, die alte Mühle ist wieder entdeckt worden, wo die Grobheit abgeschliffen wird.
Da wüßte ich gleich Einen, den wir hinschicken könnten, fiel der dicke Herr ein und deutete mit der Posenspitze Siehe Anm. 40. seiner Thonpfeife über die Achsel auf den Assessor. Ein brüllendes Gelächter belohnte ihn. Der reiche Mann behielt seine Würde und nickte seinen Gefährten zu, fortzufahren.
Schaden könnte es nicht, rief der Dritte, der ganz heiser war. Ich glaube, sie bekämen da ein gutes Probestück, krähte der Kleine.
Wenn man seinen Mitmenschen nützen will, sagte der dicke Herr, muß man keine Mühe scheuen und gern wollte ich selbst dabei helfen.
Sie! Sie! riefen die Andern und lachten wie toll. Es ist erstaunlich!
Machen Sie nicht solche Witze, bei denen man umkommen muß vor Lachen, schrie der Kleine, wie er sich erholt hatte.
Ich setze jetzt meinen Hut auf, fing der Heisere an. Es ist Mode.
Wissen Sie, Stieglitz, warum das jetzt Mode ist? fragte der dicke Herr mit Würde.
Nein. Warum denn?
Weil die armen Schlucker in der Residenz allerlei Raupen im Kopfe haben, die sie nicht raus lassen wollen.
Ich platze! ich platze! schrie der Kleine, indem er fast von seinem Sitze fiel, und alle hielten sich die Seiten und fingen immer wieder an, herzerschütternd zu lachen, je mehr sie den Assessor ansahen.
Hier ist das aber nicht Mode, fuhr der dicke Herr fort, als der Sturm sich einigermaßen gelegt hatte, und kann selbst zuweilen schlagende Folgen haben.
Dabei machte er mit der Hand gegen den Fremden eine sehr bezeichnende Bewegung, gerade als dieser den Kopf wieder aufhob und ihn ansah. Eine schnelle Röthe lief über das Gesicht des jungen Mannes. Plötzlich setzte er den Hut auf und trat dicht vor den dicken Herrn, zufällig vielleicht, sogar auf dessen Füße; denn mit einem zornigen Schrei stieß dieser den Stuhl zurück, sprang auf, so schnell er konnte und schrie:
Was ist denn das für ein Benehmen von Ihnen, Herr? Was wollen Sie, Herr? Wissen Sie, Herr, mit wem Sie es zu thun haben?
Danach verlangt mich durchaus nicht, erwiderte der Assessor; jedenfalls aber mit einem pöbelhaften, dummen Menschen.
Der dicke Herr behielt den Mund vor Entsetzen offen.
Er ist verrückt, sagte er, oder – oder – es ist unerhört!
Er ist verrückt, schrien die Andern. Es ist unerhört!
Sie haben sich unterstanden zu behaupten, daß Sie mir den Hut abschlagen wollen, fuhr der Assessor während dieses Geschreies fort. Wolan denn, schlagen Sie, wenn Sie den Muth haben. Schlagen Sie.
Der dicke Herr machte eine Bewegung, von der man nicht wußte, wollte er wirklich ausführen, was er behauptet, oder sollte es eine abwehrende Demonstration sein. Ehe seine Absichten sich aber entwickeln konnten, gab es einen lauten Schall in der Stube und noch einen, offenbar eine Folge der zwiefachen blitzschnellen Berührung des dicken rothen Gesichts durch die Hand des Assessors.
Der dicke Herr sank plötzlich in den Stuhl zurück, der ganze Körper hatte das Gleichgewicht verloren und stürzte zu Boden. Die Freunde eilten schimpfend und Hülfe wie Rache fordernd herbei; der Wirth aber, der offenbar mit einem Gefühl gesättigter Schadenfreude den ganzen Handel im Hintergrunde mit angesehen hatte, faßte den Assessor an dem Arm, öffnete die Thür, drängte ihn hinaus und sagte behend und leise:
Nun, junger Herr, machen Sie, daß Sie fortkommen. Der Spaß ist zehn Thaler werth; o Je! Der ist nicht zu bezahlen; aber fort mit Ihnen! und nun schrie er ein paar laute, heftige Redensarten über Störung des Hausfriedens und warf die Thür hinter ihm zu.
Nach ruhiger Ueberlegung schämte sich der Assessor ein wenig seiner Heftigkeit und gestand sich ein, ohne Ueberlegung gehandelt zu haben; aber er war doch auch erfreut über den Ausgang, und verließ lachend den Kampfplatz mit dem Vorsatz, daß für's Erste Niemand von dem Handel etwas erfahren solle.
So kam er denn ganz fröhlich gestimmt im Gasthofe an und fand den Justizrath, der ihn schon am wohlbesetzten Tische erwartete, heiter gelaunt und bereit, allen Hader vergessen zu machen.
Nun, begann er, Du hast Dein künftiges Paradies bei Nacht in Augenschein genommen, wo es Dir vielleicht besser gefallen hat als bei Tage, wozu Du noch Zeit genug haben wirst. Deine Sachen stehen gut, fuhr er dann fort. Ich habe mit dem einflußreichsten Manne gesprochen, der Alles zu entscheiden hat. Er hat mit Hand und Mund gelobt, Dir zu helfen, und das ist so gut, als wärst Du es schon. Morgen machen wir unsern Besuch, er hat uns zum Frühstück eingeladen; Abends nimmst Du Deine Anstellung mit nach Haus. Kein Wort mehr, Vetter, jeder sehe, wie er's treibe. Du hast, was Du willst, übrigens bist und bleibst Du mein Herzensfreund; und laß uns ein Glas auf Dein wahrhaftes Glück und eine frohe, reiche Zukunft leeren. Julie, rief er der niedlichen Kellnerin zu, – eine frische Flasche vom Besten für den Herrn Syndikus.
Nun waren sie beide in der besten Laune, Scherz folgte auf Scherz, und wie es der Abend gelassen, begann der Morgen wieder, bis sie ausstaffirt in bester Weise sich auf den Weg zu dem wohlgesinnten Gönner machten, dessen Küche und Keller der Justizrath, nachdrücklich pries.
Bald standen sie an einem stattlichen Hause. Ein flinkes Mädchen öffnete, die Thür vor ihnen und endlich das Staatszimmer, in welchem der Hausherr zu finden sein sollte.
Der Justizrath drang in seiner Weise hinein.
Wo ist er? schrie er. Wo ist mein wackerer, hoch: verehrter Freund?: Ah, da! Mein würdiger Herr, hier bring ich unsern Kandidaten, der sich Ihrer dauernden Gewogenheit zu empfehlen wissen wird.
Der würdige Herr kam mit dem freundlichsten Lächeln und ausgestreckten Armen näher; plötzlich aber blieb er stehen, sein rothes Gesicht wurde blau und dunkel: vor Zorn und Entsetzen, dann trat er zurück und schrie mit großer Heftigkeit:
Er hat sich schon empfohlen, nachdrücklich empfohlen. Hab und Gut will ich verlieren, Herr, ehe Sie die Stelle bekommen, Herr, das schwöre ich Ihnen. Ich habe nichts, gar nichts mit Ihnen zu schaffen. So lief er hinaus und warf die Thür ins Schloß, daß das Zimmer dröhnte.
Der Assessor stand starr und bleich vor seinem Verwandten, der ein ganz unbegreifliches Gesicht machte, mit dem Finger nach seiner Stirn tappte und leise sagte:
Der alte Mensch ist augenscheinlich soeben verrückt geworden, ich hoffe, er wird wieder vernünftig werden.
Gib Dir keine Mühe, erwiderte der Assessor so gefaßt als möglich; dies Vorurtheil gegen mich ist zu fest eingeprägt.
Mit wenigen Worten erzählte er den Vorgang, nach dessen Anhören der Justizrath ohne ein Wort seines Vetters Arm ergriff, ihn auf die Straße führend, wo er plötzlich in ein anhaltendes Gelächter ausbrach, während Verzweiflung, Scham und Wuth den Angstschweiß auf die Stirn des Assessors trieb.
Da ist freilich nichts mehr zu machen, rief der Justizrath, Gott will es nicht haben. Lob sei Dir in der Höhe, Herr; wir können aber wirklich nichts Besseres thun, als so schnell wie möglich nach Hause zu fahren.
Das thaten sie denn auch, aber in welchem Seelenzustande gelangte der arme Vetter in sein stilles Zimmerchen. Er konnte das Licht sehen, das seiner harrenden, glücklichen Braut leuchtete, und starrte trostlos darauf hin, bis es erlosch. Es gibt keine Qualen der Hoffnungslosigkeit und des Liebesgrames, die ihn nicht in dieser dunkeln und einsamen Nacht anfielen und sein Herz zerfleischten, kein Unglück, das ihn mit dem seinen vergleichbar dünkte. Er blätterte das Buch seiner Zukunft durch und jedes Blatt schien ein neues furchtbares Bild zu tragen. Schmerz, Spott, Schande leuchteten ihm überall entgegen und verwirrten sein Denken bis zur Vernichtung. Er sollte das aufgeben und verlieren, um dessen willen ihm das Leben allein Reiz zu haben schien; Trennung war unvermeidlich, sie mußte erfolgen, und doch glaubte er sie nicht ertragen zu können.
Nach und nach aber sänftigte sich sein Sturm durch das Erwachen eben jenes Muthes; der kräftigen Naturen im Kampfe mit widerwärtigem Geschick immer zu Hülfe kommt. Sein Stolz und sein männlicher Sinn erwachten zur That, Entschlüsse durchblitzten seine Seele, eine trotzige Energie strömte von belebenden Gedanken aus. Neue Bahnen zu betreten, dem Schicksal die Stirn zu bieten, nicht zu wanken und zu weichen, dazu fand ihn der Morgen bereit, und gefaßten Sinnes ging er endlich dem Hause zu, wo seine Zukunft entschieden werden sollte.
Als er näher kam, öffnete Antonie das Fenster. Glück lag auf ihren lächelnden Lippen, es strömte aus ihren zärtlichen und funkelnden Augen auf ihn nieder; sie ließ ihr Taschentuch verstohlen ihm entgegenwehen, die Liebesklage, welche das gescheiterte Schiff vergebens begrüßte. In ihren heilig schönen Empfindungen bemerkte sie seinen kummervollen Dank nicht; sie sprang ihm entgegen, riß die Thür vom Zimmer ihres Vaters auf, und rief mit freudeberauschter, zitternder Stimme:
Da ist er! und nun ist Alles gut, nicht wahr, lieber theurer Vater, nun ist Alles gut.
Der liebe Vater, dessen Hand sie festhielt, kam dem Assessor entgegen, und er war ein praktischer Mann, der auf den ersten Blick erkannte, daß nicht Alles gut sei. Seine grauen Augen zogen sich unter den Wimpern zusammen; sein Ernst wurde zum Hohn und seine Stimme klang abschreckend scharf, als er ausrief:
Was hab' ich gesagt? Es ist nicht so leicht, Brod zu finden! Das hab' ich gesagt.
Der Assessor wandte sich von ihm zu Antonien, die plötzlich wie eine Todte die großen, offenen Augen auf ihn richtete, in welchen Thränen hingen, die nicht weiter fließen wollten.
Höre mich an, sagte er, und faßte ihre beiden Hände. Ein seltsamer Zufall, ein Ungefähr, eine Laune des Schicksals, so lächerlich, daß ich es nicht wieder sagen mag, hat mich um alle meine Hoffnungen gebracht. Aber er hat mich nicht vernichtet, sondern mir nur neuen Muth gegeben, nach Besserem zu ringen. Willst Du an mich glauben, mir vertrauen? Willst Du mich treu lieben, bis die rechte Stunde kommt, so soll nichts uns trennen. Willst Du?
Ich will, sagte sie leise und zitternd, aber, o Gott!
Ich muß sehr bitten, fiel der Vater zornig ein, keine Komödie aufzuführen, die nur Unglück stiften kann. Sie sehen ein, daß hier nur ein Weg möglich ist.
Der, von Ihnen zu scheiden, rief der junge Mann mit fester Stimme, ich bin bereit dazu. Ich verlange keine Versprechungen, Antonie. Kannst Du mich vergessen, kann eines andern Mannes Herz und Hand Dich beglücken, so sei gesegnet, ich klage nicht. So lange das nicht der Fall ist, halte ich mich für gebunden. Lebe wohl, ich komme gewiß zurück, auf diese Stelle zurück – ich komme! sagte er und ließ ihre Hand los.
Er ging und Niemand hielt ihn auf. In den nächsten Tagen verließ er die Stadt, besuchte einen Verwandten in der Nähe und betrieb seine Versetzung in eine entfernte Provinz, die schnell erfolgte
Drei Jahre gingen hin, fuhr der Präsident lächelnd fort, und während dieser langen Zeit wurden wenige Briefe zwischen den Liebenden heimlich empfangen und erwidert, als einziges Zeichen fortbestehender Liebe. Im letzten Jahre war Alles still geworden, denn der Vater hatte doch etwas von der Correspondenz entdeckt, und da inzwischen ein anderer, nicht unannehmbarer Freier sich gemeldet, bei seinem höchsten Zorne jede Fortsetzung der albernen Schreiberei, wie er sagte, verboten.
Da geschah es eines Tages, daß an die Thür des Hofraths geklopft wurde, eben als Auguste im Zimmer war. Der alte Herr richtete sich auf, schob die Brille über die Stirn und ließ von dem Sermon ab, den er seiner Tochter hielt, welche demüthig, aber in bestimmten Ausdrücken erklärt hatte, sie werde alle Bewerbungen zurückweisen. Im nächsten Augenblick that sie einen jähen Schrei und schlug beide Arme um den Eintretenden, der sie festhielt und küßte und wieder küßte, bis der Vater sich störend einmischte.
Hier stehe ich auf derselben Stelle, sagte der Assessor, um zu halten, was ich versprochen. Damals konnte ich Ihnen kein Zeugniß bringen, wie ich es gelobt, das mir Ihren Segen erworben hätte; jetzt aber kann ich es; nehmen Sie, lesen Sie!
Er reichte ihm sein Patent als Regierungsrath.
Weiteres, rief der Präsident mit fröhlicher Stimme, habe ich wol nicht hinzuzufügen. Es versteht sich, daß die Hochzeit bald gefeiert wurde, und am Abend schlang der Justizrath seine Arme um das junge Paar und rief in lustiger Laune:
Was habe ich Dir gesagt, Mensch?! Zum Syndikus in dem Neste warst Du zu schlecht, aber Regierungsrath, Geheimrath, Präsident zu werden, dazu bist Du gut genug und aus dem rechten Holze. Gott sei ewig gedankt für die Ohrfeigen, die Du dem Kerl gegeben hast, sie haben Dir auf den Weg zum Glück geholfen.
Hier schwieg der Präsident und sagte erst nach einer langen Pause, die Niemand weiter unterbrach, indem er seiner Gattin die Hand reichte. So erblüht bei fester Willenskraft, im Großen wie im Kleinen, aus Unheil neues Glück, und ich denke, liebe Auguste, die Stunden der Prüfung, so schwer sie waren, sind Dir niemals leid geworden.
Niemals! rief die heiter lächelnde Frau, indem sie ihren Mann umarmte, sie bilden eine Folie zu meinem Glück, die ich um keinen Preis vermissen möchte.
Viele von der Gesellschaft wußten es längst, daß der Präsident seine eigene Geschichte erzählte, Andere ahneten es und alle umringten ihn mit herzlichen Glückwünschen.
Nur Muth, meine Freunde! rief der ehrwürdige Greis, und sein Auge strahlte in jugendlichem Feuer, nur festen Muth in aller irdischen Noth, Vertrauen auf den Gott im eigenen Busen, nicht verzagt! Ungewiß ist das Loos des Menschen, Kummer und Sorge sind oft seine Begleiter, aber nur dem Muthigen geht immer wieder eine neue Sonne hinter den düstersten Wolken auf!