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[Fünfter Theil.]
Aus einem Tagebuche mitgetheilt.
Vor drei Jahren ungefähr stand ich an einem Nachmittage, wo Strichregen mit hellem Sonnenschein abwechselten, an dem Portal des Domes in Köln, gerade vor dem Thurme, von welchem der Krahn, das Wahrzeichen, daß dieser wunderbare Bau noch immer seiner Vollendung harre, mahnend heruntersieht. Ich war in mancherlei Betrachtungen über den wechselnden Geist der Zeit und der Menschen versunken, als ein lautes Gezänk mich davon abzog. Die Thür war aufgemacht, ein Wächter ließ einen Herrn heraus, oder vielmehr, er hielt ihn am Arm fest und äußerte sich sehr unzufrieden mit der Belohnung für seine Mühe, ihn auf dem Bau umhergeführt zu haben.
Der Herr war lang und dünn, sein Gesicht lag in einem großen, weißen Halstuch, sein Leib steckte in einem weißlichen, festverknöpften Oberrock, eine wunderliche Reisemütze bedeckte seinen Kopf. Er sah wie ein wohlhabender Mann aus, wie einer der vielen Rhein auf Rhein ab ziehenden, müßigen, sonderbaren, langweiligen Leute, die man reisende Engländer nennt.
Mit einiger Heftigkeit machte er sich frei, warf dem Begehrenden einen drohenden Blick zu und sagte mit fremdländischer Betonung:
Laß los! fort! es ist genug bezahlt!
So ging er von dannen und der alte Wärter rückte mit der einen geballten Faust sein schwarzes Käppchen zurecht, die andere machte er auf und zeigte mir, da ich näher trat, ein Zweigroschenstück.
Verdammter Engländer! sagte er erbost und drohte dem Davoneilenden nach, komm ja nicht wieder! Es ist zu arg mit dem Volk, nichts geben sie, Alles ist ihnen zu viel. Ist es nicht eine Schande, ein Zweigroschenstück!
Die Engländer sind doch sonst nicht so knauserig, sagte ich.
Nicht knauserig? rief er ärgerlich. Es gibt keine größere Lumpe. Sie kommen hieher, weil sie sparen wollen; pauvres Volk, sage ich Ihnen, Jeder denkt, er wird betrogen. Ist es denn nicht zu toll, ein Zweigroschenstück gibt mir der Mensch.
Um seinen gerechten Zorn zu beschwichtigen, machte ich ihm den Vorschlag, mich umherzuführen, und diese Aussicht auf neuen Gewinn besänftigte ihn.
Langsam gingen wir durch das wüstliegende Schiff des Domes, stiegen die Treppen hinauf durch mancherlei Hemmungen auf die Gerüste hinaus, wo Meister Steinmetz und Gesellen die fleißigen Hände regten und man die Kunst der neuen Zeit in den Drachentraufen und Zinnen und Zierrathen, eingefügt dem herrlichen, alten Werke des Meißels, bewundern konnte. Und neben der Kunst gab sich die Natur zum Besten.
Zu meinen Füßen lag die alte, wunderliche Stadt. Ihre zahlreichen Thürme streckten sich leicht über das dunkle Meer der krummen, engen Straßen, aus denen das Rauschen der Lebenswellen verworren aufstieg. Da funkelte der Rhein; Dampfschiffe lösten ihre Kanonen, schwarze Wolken zogen nach Deuz hin, das im Sonnenschein zwischen Gärten und grünen Feldern lag, die in neblichter Weite verschwanden.
Aus solcher Ferne, aus dem Leben und der Tiefe kehrte dann das Auge wieder zu den schweigenden, edlen Gebilden der Frömmigkeit zurück, die versunkene Zeiten bedeutungsvoll uns zurückgelassen; und ich dachte darüber nach, ob eine neue Zeit nun kommen werde, die das Unvollendete vollenden würde! Ob alter Glaube oder neuer Patriotismus und Kunstsinn Begeisterung genug verleihe in der Zeit der Eisenbahnen, der materiellen Bewegung und der politischen Fragen zu einem Kirchenbau katholischer Christenheit Millionen für einen Zweck zu opfern, der das Nützlichkeitsprincip ausschließt?
Der Glaube thut es nicht, sagte ich. Wer glaubt noch feurig genug, um für einen verfallenen Gottestempel seine irdische Habe hinzuwerfen? Was schiert der Dom von Köln auch den Protestanten an der Spree?! Und wie gering waren selbst die Sammlungen am Rhein? Nur der Kunstliebe des protestantischen Königs, verbunden mit dem edlen Eifer einer kleinen Zahl frommer und für das erhabene Denkmal begeisterter Männer, gelang es, zu thun, was eben gethan wird. Eine begeisternde Idee thürmte diese Steine zu Gottes Ehre auf; eine andere nur kann sie vollenden.
Im Augenblick wurde ich von zwei Armen umfaßt, so fest, daß ich mich nicht umwenden konnte, und eine Stimme sagte an meinem Ohr:
Diese neue Idee muß die Liebe sein, Liebe zum Vaterlande, stolze Liebe zu seinen erhabensten, schönsten Werken! Liebe, welche die alte Schuld tödtet und zum neuen Leben erweckt.
Die Arme ließen mich los, freudig überrascht erblickte ich einen alten Freund vor mir, den ich weit entfernt an den grün und gelben Schlagbäumen Rußlands glaubte.
Moritz! rief ich und wir fielen uns um den Hals und küßten uns, und führten eine Erkennungsscene auf dem Bretterbau vor dem alten Dom aus, welche von der lebhaften Theilnahme einer Zuschauerschar von Handwerkern und Gehülfen begleitet wurde, die Kelle und Pickart ruhen ließen, um uns bequem anzustaunen.
Da bin ich am grünen Rhein, sagte er, und drücke mir nicht so heftig die Hand, ich bin es wirklich, ein Mann von Fleisch und Bein, obwol ich mich ein wenig verändert haben mag.
Zu Deinem Vortheil, versetzte ich. Dein großer Körper war zu mager, Deine ganz leidlichen Züge zu spitz und eckig; jetzt hat sich das alles gerundet und ausgeglichen, wenn Du auch niemals zu den Wohlhabig-Aussehenden gerechnet werden kannst. Aber auch Deine äußerste Aeußerlichkeit hat gewonnen, fuhr ich prüfend fort. Dein wirres Haar ist jetzt so glatt und hübsch geordnet, der wohlgepflegte Backenbart zeugt von Sinn für Veredlung, und Deine Hände in Leder gesteckt, Deine saubere Wäsche, sauberen Kleider – Mensch! rief ich und faßte ihn an, welcher Gott hat Dich verwandelt?!
Ein Schutzgeist, erwiderte er mit einem schlauen Lächeln, der uns sogleich sichtbar erscheinen wird.
Du bist verheirathet?
O, schlechter Menschenkenner! versetzte er. Nur ein Bräutigam putzt seine Person heraus.
Also Bräutigam?
Ich diene wie Jacob um meine Rahel, aber ich stehe jetzt auf der letzten Sprosse meiner Himmelsleiter.
Und die echte, schöne Tochter Laban's öffnet ihre weichen Arme.
Wir wollen aufhören, biblisch zu reden, sagte er, ich bin wirklich im Begriff, nach langem Zögern mich zu verheirathen.
Hier am Rhein? fragte ich.
Vielleicht am Rhein, sagte er geheimnisvoll lächelnd.
Aber bist Du nicht seit mehreren Jahren im Staatsdienst?
Ich bin Baumeister und hatte meine Stellung, aber ich habe sie aufgegeben. Man wollte mir nicht wohl und glücklicher Weise öffneten sich mir plötzlich neue Aussichten. Ich werde Dir Alles mittheilen; doch nicht jetzt. Caroline könnte uns überraschen.
Wie! rief ich, Deine schöne Braut begleitet Dich?
Ja, erwiderte er, sie und ihr Vater – aber sage nicht schön – schön ist sie nicht.
Aber doch gut?
Sie ist ein Engel an Güte!
Die Dame und der Herr, berichtete ein Arbeiter, der heran kam, sind auf die Gallerie gegangen.
So komm, sagte Moritz, indem er mich fortzog, Du mußt sie kennen lernen. Caroline wird sich freuen, Dich zu sehen. Sie kennt Dich aus meinen Erzählungen. Wir gehen morgen nach Aachen.
Ich auch.
Vortrefflich! so reisen wir zusammen. Ich hätte Dich nicht fortgelassen, sagte er leiser und drückte meine Hand.
Als wir in die Gallerie traten, kam uns ein alter Mann entgegen, der ein ernstes, berechnendes Gesicht hatte. Er war klein, stark und unbehülflich, stützte sich auf einen dicken Stock und sah im Ganzen ungefähr wie ein reicher Handelsmann aus.
Ich wollte Sie eben suchen, sagte er.
Ich habe einen alten Freund gefunden, erwiderte Moritz. Wo ist Caroline?
Dort, versetzte der alte Herr, indem er mich mit einem mißtrauischen Blicke maß.
Wir traten hinein; eine Dame lehnte über die Brüstung der Gallerie und schaute in die Kirche nieder; indem sie leise mit dem Manne sprach, der sie umhergeführt hatte. Unten gingen auch Fremde umher, ihre Worte klangen murmelnd herauf, ihre kleinen Gestalten bewegten sich im Abendschein, der durch die hohen Fenster auf sie niederfiel und seinen Abglanz auf die Galerie warf.
Liebe Caroline, rief Moritz, ich habe eine große Freude gehabt.
Sie richtete sich auf und winkte ihm Stille zu. Er trat ihr näher und nannte meinen Namen, den sie mit einer Verbeugung gegen mich erwiderte, dann aber, ohne mich zu beachten, weiter sprach, hinabsah, sich nach mancherlei Dingen erkundigte und erst nach einiger Zeit plötzlich hinaus ins Tageslicht auf das Gerüst trat. Mit lebhafter Stimme sagte sie:
Hier paßt es sich besser, Freunde zu begrüßen. Ich habe Vieles schon von Ihnen gehört, Moritz hat mir erzählt; ich theile seine Freude aufrichtig über dies unerwartete Begegnen.
Nein, sie war nicht schön, Moritz hatte Recht. Ihre Züge waren unregelmäßig, aber die erste Jugendblüthe machte sie frisch und lebensvoll. Ihr Benehmen war gefallsüchtig, doch nicht ohne Reiz. Von Gestalt klein und üppig gebaut wurden alle Bewegungen ungemein lebhaft ausgeführt; ihre schwarzen, feurigen Augen waren dabei so unstät hin- und herfahrend, wie die Einfälle, durch welche sie mir vor ihrem Geist und ihren Kenntnissen Respect einzuflößen suchte. Es war, man sah es ihr an, das verzogene, eitle, einzige Kind eines schwachen Vaters.
Moritz war ein Mann, der sein Fach verstand, und, mit uns umhergehend, lehrreich und anziehend über den wundervollen Bau und die Zeiten sprach, in denen er entstanden war. Caroline hatte sich an seinen Arm gehängt und machte zahlreiche, witzige Anmerkungen über Dies und Jenes. Sie störte unsere Gespräche und verlangte, als wir dennoch damit fortfuhren, hinab und nach Hause zu gehen, weil sie die steinernen Wände nicht mehr anstarren könne.
So sind die gelehrten Herren, sagte sie, für die lebendige Schönheit haben sie keine Zeit, uns und unsere Wünsche beachtet man nicht, aber wo es gilt, eine alte Kirche, ein altes Bild, eine alte Statue, oder sonst eine Reliquie der Vergangenheit anzuschauen, erstarren sie fast zur Salzsäule.
Sie bedrohte uns zürnend und ließ Entschuldigungen nicht gelten.
Moritz beugte sich zu ihr nieder und sagte ihr sicher irgend eine Schmeichelei, denn sie machte eine abwehrende Bewegung, aber mit lächelnder Miene.
O, Sie sind nicht besser als die Andern, rief sie. Wie habe ich mich in Berlin und Dresden in den Museen geärgert. Sie waren nicht von der Stelle zu bringen. Und heut' lassen Sie mich und den Vater auf dem wüsten Bau allein und finden dann zufällig einen Freund als Entschuldigungsmittel.
Ich hörte das Letzte recht gut, obwol es leiser gesagt war. Mit dem Papa ging ich hinterher; dieser erzählte mir von der Reise, seinem Hause und seinen Geschäften, klagte, was das Reisen unangenehm und obenein theuer sei; wie ihn die Angst plage und er zufrieden sein werde, wenn er sich wieder an Ort und Stelle befinden würde. Ich hörte mit halbem Ohr und antwortete mit einigen Interjectionen, indem ich meine Gedanken für eine chemische Untersuchung der beiden Verliebten vor mir verbrauchte.
Die junge Dame gefiel mir ganz und gar nicht und Moritz eigentlich eben so wenig. Stolz, kräftig von Körper, wie von Geist, ungestüm in seinem Wollen, edler und feuriger Entschlüsse fähig, so war er immer gewesen. Jetzt aber schien er mir wie nach Außen, so auch im Innern verwandelt zu sein. Seine geschmeidigen Formen hatten etwas Demüthiges, sein sonst so offenes, entschiedenes Wesen, das nicht selten derb und rauh werden konnte, schien ganz von ihm gewichen, die feste Männlichkeit seines Charakters von einer unruhigen Beweglichkeit der Gemüths verdrängt zu sein.
Jahre lang waren wir nun getrennt gewesen, unsere Correspondenz hatte aufgehört, allein unsere Freundschaft hatte sich erhalten, das fühlte ich jetzt, wo ich mit Unruhe und Theilnahme daran dachte, daß Moritz im Begriff sei, ein Ehebündniß zu schließen, welches ihn gewiß nicht beglücken konnte.
Körperlich wie geistig schien mir dies Paar so ganz entgegengesetzt, daß gar nichts Passendes und Symmetrisches an ihm zu finden war. Moritz war zwar nicht schön, aber ein geistiger Adel lag in seinen Zügen, Kraft und Schönheit in allen seinen Bewegungen. Aus seiner Einfachheit blickte die Eleganz des Mannes von Welt und Bildung; wie paßte nun dies hüpfende, ausgeputzte, oberflächlich und schrillend schimmernde Wesen dazu, dem man es sehr bald anmerkte, wie leer und traurig es unter den bunten Federn aussah. Und dies Mädchen liebte er; ihr widmete er seine verständige Neigung, sein Leben? Es war keine Täuschung, kein flüchtiger Rausch, der ihn zu ihr zog? Das war der Engel von Liebenswürdigkeit und Güte, wie er pathetisch ausgerufen hatte? Ich fühlte mich versucht zu lachen, indem ich fast unbewußt laut ausrief:
Es ist unmöglich, unglaublich!
Es scheint allerdings so, sagte der alte Herr, der meinen Ausruf als eine Antwort auf eine seiner Bemerkungen betrachtete, aber wir mußten bezahlen, oder vielmehr – ich mußte bezahlen, weil ich alles überhaupt bezahlen muß. Vom Rhein herauf bis hier an unsern Gasthof, Stück für Stück vier Groschen, sechs Groschen, acht Groschen. Ist das eine Taxe bei den Dampfschiffen, wo ein ehrlicher Mann reisen kann?! Muß man da nicht froh sein, wenn man so wenig wie möglich besitzt? Und ein grobes, sackgrobes Volk ist es obenein.
Die Kölner haben niemals in dem Ruf besonderer Feinheit gestanden, sagte ich.
Und überall die Bettelei, fuhr er ergrimmt fort, wohin man geht, was man sehen will, immer geben! Die Sammelei für den Dom und für die elftausend Jungfrauen, die man auch nicht einmal umsonst hat, und für ein altes Bild, das so schwarz ist, wie eine Nacht, mag's von Dürer sein, oder von einem andern alten Deutschen. Meinetwegen, ich gebe nichts, sehe Jeder, wo er was bekomme. Der Dom ist ein respectables altes Gebäude, es ist Schade darum, wenn es untergeht, aber, erlauben Sie mal, ich bin aus Ostpreußen. Es ist ja lächerlich, wenn ich dazu beitragen soll!
Aber es ist der erhabenste Gottestempel in Deutschland.
Gut, sagte er ganz ernsthaft, es ist mir auch einerlei.
Sie sind ein echter norddeutscher Protestant, erwiderte ich lachend.
Erlauben Sie, sagte er, keinesweges: ich bin Katholik, aus Ermeland gebürtig und ein ganz guter, gläubiger Christ; aber mein Hausstand kostet, meine Tochter kostet, die Reise kostet, und die Heirath, die uns bevorsteht, die kostet auch etwas, sagte er leiser und mit einem Achselzucken und Seufzer.
Ah so, versetzte ich; aber dafür bekommt Ihre Tochter auch einen Mann, und welchen Mann!
Erlauben Sie, sagte er, was ist die Hauptsache bei einem Mann?
Es kommt darauf an, aus welchem Gesichtspunkte Sie die Sache betrachten.
Es ist nur ein Gesichtspunkt da, rief der alte Herr. Die Hauptsache ist Geld! Und nun wollen wir Ihre Phrase umkehren: Herr Moritz bekommt eine Frau, und welche Frau?!
Jedenfalls eine liebenswürdige, die ihn beglücken wird.
Soviel kann ich Ihnen sagen, fiel der Schwiegervater ein, indem er mit dem dicken Kopf nickte und seinen Stock auf das Pflaster stieß, sie hat glänzende Partieen ausgeschlagen, Ihrem Freunde zu Liebe. Gott gebe seinen Segen!
Ich stimme von Herzen ein, sagte ich.
Da standen wir vor dem Gasthofe zum römischen Kaiser und Fräulein Caroline stritt sich leise mit Moritz, der bittende Worte flüsterte und ihre Hand küßte, bis sie sich zu mir wendete und mit einem freundlichen Lächeln sagte: wenn ich nichts Besseres zu thun wisse, so wäre es gewiß recht schon von mir, wenn ich diesen Abend mit armen Pilgers- und Landsleuten verleben wolle.
Ich dankte eben so freundlich und sagte, daß ich leider noch Geschäfte habe, daß ich aber jedenfalls kommen wolle, wenn es irgend möglich sei, und ihre gastliche Einladung somit annehme.
Sie trinken eine Tasse Thee mit uns, rief der alte Herr, dem die Anspielung auf gastliche Einladung bedenklich klingen mochte. Mein Bruder in England ist ein außerordentlicher Theetrinker, von dem haben wir es uns auch angewöhnt und trinken nun alle Abend, was der Gesundheit ungemein zuträglich ist.
Und damit Du nicht entläufst, sagte Moritz, werde ich Dich begleiten.
Sie wollen mich allein lassen? rief seine Braut vorwurfsvoll.
Man muß den Damen Zeit geben, Toilette zu machen und ein wenig zu ruhen, erwiderte er. In einer Stunde spätestens kommen wir zurück.
Caroline machte ein empfindliches Gesicht und zwischen Scherz und Ernst schwankend, sagte sie:
Mein Prinz, Ihr seid entlassen, aber – hier drohte sie schalkhaft mit dem Finger – keine Minute später!
Ist sie nicht allerliebst?! fragte Moritz, als wir Arm in Arm dem Rhein zu gingen, an dessen Seite, im Hof von Holland, ich mein Quartier aufgeschlagen. – Nein, sie ist nicht schön und in dem Köpfchen stecken tausend Launen, tausend Bizarrerien und kleine Thorheiten, sage mir nichts, ich weiß es; aber –
Sie ist doch ein Engel an Güte und Liebenswürdigkeit, fiel ich ein.
Ach, spotte nicht, erwiderte er; denn es ist Spott, was Du da sagst, Du kennst sie nicht. Sie ist gut, von Herzen gut.
Und sie liebt Dich wirklich.
Glaubst Du? Warum glaubst Du es?
Erstens, weil ihr Vater sagt, daß sie viele Partieen Deinetwegen ausschlug, und dann, weil sie eifersüchtig auf mich ist.
Moritz lachte. Du hast Recht, sagte er, was aber den Vater betrifft –
So ist das, wie bei vielen andern Ehen die Schwiegermutter, eine schlimme Zugabe, fiel ich ein.
Er schwieg ein Weilchen, dann sagte er:
Du weißt wohl, wie alte wohlhabende Leute sind: wunderlich, spießbürgerhaft! Carolinens Vater ist ein sehr rechtlicher, sehr ehrenwerther Mann, aber voll kleinstädtischer Eigenheiten, an welche man sich nicht kehren muß, die aber nach und nach ausgetrieben werden können.
Bist Du der Mann dazu, auch bei ihm als Reformator aufzutreten? fragte ich lächelnd; wirst Du nicht alle Hände voll zu thun haben und alle Energie gebrauchen, um – nun ja – um Herr im Hause zu bleiben?
Thörichter Mensch! sagte er, mit einem stolzen Blicke, fürchte nichts. Caroline liebt mich, sie hat mich merklich begünstigt; ich liebe sie auch, und daß alles sich fügen soll, laß meine Sorge sein.
Wir standen vor dem Hause eines Wechslers still, wo ich die Absicht hatte, einen Bankschein umzusetzen, als die Stufen herab derselbe lange Mann im gelben, festverknöpften Rock kam, den ich am Dom zuerst gesehen hatte. Er warf den Kopf in die Höhe und sah uns mit einem durch dringenden Blicke an. Dann steckte er seine Hände in die Seitentaschen und ging langsam und bedächtig von dannen.
Was ist das für eine Vogelscheuche? fragte Moritz laut und lachend. In Venedig würde ich ihn für einen der Nachfolger Abällino's »Abaellino der große Bandit« (1794), Roman von Heinrich Zschokke; 1795 brachte er in eine dramatisierte Fassung. halten.
In Köln ist es ein reisender Engländer, sagte ich. Ein Geizhals, der mich heut' schon belustigte.
So sieht er aus, fiel Mori ein; ein schreckliches und doch belustigendes Geschöpf.
Der lange gelbe Mann schien gehört und verstanden zu haben, was wir sagten. Er blieb einige Schritte stehen, drehte sich um, spreizte seine Beine, holte eine der langen Hände aus der Tasche und rückte seine fabelhafte Mütze damit in die Höh', um uns bequem betrachten zu können, dann schüttelte er den Kopf und setzte sich von Neuem in Bewegung.
Ich war inzwischen in den Laden des Wechslers getreten, und als ich nach einigen Minuten zurückkam, fand ich Moritz noch lachend.
Dieser reisende Schatten eines Geizhalses hat mir viel Spaß gemacht, sagte er. Dreimal noch stand er still, um mich zu betrachten, und endlich zog er eine ungeheure Brieftasche heraus, in welche er das Ergebniß seiner Beobachtungen, gewiß eine Art Steckbrief und Achterklärung, einschrieb. Endlich verschwand er.
Vielleicht finden wir ihn wieder. Wir gehen dort hinab.
Laß ihn laufen, versetzte Moritz, ein solcher Anblick ist immer fatal, mag ihm nie wieder begegnen.
Er sprach nun von seinen Verhältnissen und erzählte mir, wie er Carolinen kennen gelernt, wie es lange gewährt habe, ehe man sich beachtete, welche Hindernisse sich gegen die Annäherung und erklärte Begünstigung gerichtet, bis endlich eine Erklärung erfolgte, die vorher wohl überlegt und geprüft worden war. Es war eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte, der die Hochzeit folgt und eine gesegnete Ehe folgen kann; aber ich fühlte mich unangenehm von dem Eifer berührt, mit welchem er mir die Einsicht, mit der er gehandelt, und die Vortheile, welche sie ihm bringen mußte, beschrieb.
Ich hatte es satt, sagte er, meine Freiheit dem Staat für ein paar Hundert Thaler hinzuwerfen und in der büreaukratischen Hierarchie, demüthig, gehorsam gegen oft alberne Vorgesetzte, welche doch die Lenker meines Schicksals waren, nach und nach emporzusteigen. Weil ich mich nicht beugen und bücken konnte, war dieser Weg ohnedies mehr als unsicher; mein Vermögen aber bis auf einen geringen Rest verzehrt, Aussichten und Hoffnungen verloren, mein Leben eine Qual, wenn ich daran dachte, daß ich es in jenem nördlichen Winkel der Erde vielleicht beschließen sollte.
Ehrsucht trieb Dich also?
Nenne es nicht so, rief er, oder ja, nenne es Ehrsucht, wenn Du damit den Drang des Mannes meinst, in der Welt zu steigen, seine Kräfte zu entwickeln, den Rang in der Gesellschaft einzunehmen, den er ihm gebührend glaubt. Verdüstert und verzweiflungsvoll sann ich tausendmal über die Mittel und Wege nach, um aus dem Käfig von Eisenstangen herauszukommen, durch dessen Gegitter ich die Welt voll Glücklicher betrachtete, und mich allein verstoßen und verschmachtend. Da machte ich Carolinens nähere Bekanntschaft –
Hier hielt Moritz ein; er schien zu errathen, weshalb ich ihn fest anschaute; er ward verlegen und murmelte etwas vor sich hin, was ich nicht verstand.
Ich lernte sie lieben, sagte er mit einer gewissen Heftigkeit, unsere gegenseitige Zuneigung wuchs und endlich war auch der Widerstand des Vaters überwunden, der es freilich lieber gesehen hätte, wenn seine einzige Tochter, von der er natürlich viel hoffte, eine bessere Partie gemacht hätte, als den armen Baumeister.
So sind die Neigungen der Kinder gewöhnlich ganz verschieden von denen der Eltern, sagte ich.
Man kann es dem alten Herrn nicht verdenken, erwiderte er mit einigem Selbstgefühl. Caroline ist in der Pension in Berlin erzogen, höchst musikalisch und talentvoll gebildet, das Wunder der Stadt und der Vater als ein reicher Mann bekannt. Unter der Zahl ihrer Bewerber, was Titel und Würden betrifft, war mehr als Einer mir überlegen; Du kannst daher denken, welches Aufsehen es erregte, als ich solchen Nebenbuhlern vorgezogen war.
Ich habe es immer in der Komödie für kein großes Glück gehalten, sagte ich, wenn ein Mädchen aus einer ganzen Schaar von Anbetern endlich einem den Vorzug gibt, der die Seligkeit hat, sie zu heirathen und die übrigen auszulachen. Ein solcher Vorzug kann leicht den Stoff zu einem neuen Stück geben, wo die Frau schwere Reue über die leichtsinnige Wahl empfindet und der Mann seufzend wünscht, daß ein Anderer das Glück gehabt und die Braut heimgeführt hätte.
Es kommt Alles darauf an, erwiderte Moritz, nachdem er einige Zeit lang geschwiegen, wie man die Verhältnisse zu gestalten weiß. Die Schwächen der Menschen muß man studiren, um sie zu beherrschen. Die Herzen der meisten sind Wachs, der geknetet werden muß; wer es aber nicht versteht, wer das Leben nicht begreift, dem werden sie unter den Händen zu Erz und Stein, der säet Nesseln und erntet Dornen.
Kluger Mann, sagte ich, hüte Dich, daß Deine Weisheit nicht zu Schanden werde.
Ich habe Großes vollbracht, versetzte er scherzend, und Größeres vor mir. Sie wissen Alles. Sie wissen, daß ich meinen Posten aufgegeben, daß ich kein Vermögen besitze, daß ich mit dem Gelde meiner Frau eine neue Laufbahn mir eröffnen will; und siehe da, selbst der geizige Kaufmann ist damit einverstanden und will seinen Säckel des Ueberflusses öffnen. Ich werde Landgüter kaufen, jetzt ist die rechte Zeit dazu, ich werde dann Geld und Selbständigkeit erwerben, und daß ich dies kann, dafür haben wir die Reise an den Rhein gemacht, wo ich einen Schatz heben will, den Niebelungenhort, den ein grimmer Wächter behütet.
Er sah mich an und schien zu erwarten, daß ich neugierig weiter frage, aber ich war mit Anderem beschäftigt. Es war mir plötzlich etwas eingefallen aus seinem früheren Leben, und statt auf seine Räthsel einzugehen, sagte ich nachdenkend:
Ist es Täuschung, oder hattest Du nicht schon früher ein Verhältniß, eine Braut, deren Bild ich einst sah, das Du an einer Schnur auf Deinem Herzen trugst?
Mit einer schnellen Bewegung faßte Moritz nach seiner Brust, als suche er etwas dort, dann erwiderte er im scherzenden Tone:
Möglich, daß Du Recht hast, denn wer hatte nicht in früher Jugendzeit ein leichtfertig Spiel mit seinen Empfindungen getrieben?! Mancher bindet sich mit siebenfachen Fesseln und muß darin sterben, weil er, zur Vernunft gelangt, nicht den Muth hat, jene zu zerreißen. Ich hatte auch einst einen solchen Bund geknüpft, aber, Gott sei Dank, er wurde aufgelöst, als ich zum Bewußtsein gelangte, was ich gethan. Kinder handeln eben wie Kinder, nicht besser, nicht schlechter, gereift haben wir höhere Pflichten gegen unser Menschenthum, als das Halten eines schlechten Versprechens; denn der ist ein Narr, der sein Unglück erkennt und doch hineinrennt. Ich hoffe, daß Du von einem wahren, höheren Standpunkte aus meine Ueberzeugung theilt und mir beistimmst.
Jetzt hielt er ganz inne und drückte mit krampfhafter Heftigkeit meinen Arm. Wir standen vor dem Hof von Holland, ein Wagen hielt an seiner Thür, und zwei Personen, eine alte Frau und ein junger, kräftiger Mann, hoben eine Kranke heraus, die langsam ihren Bemühungen folgte. Im Dämmerschein sah ich ein geisterbleiches Gesicht; mild und geduldig lächelten die feinen Lippen. Langsam schlug sie die Augen auf, die plötzlich groß, brennend und lebensvoll wurden. So starrte sie Moritz an, dann ließ sie die Hand ihres Begleiters los, und indem sie ihre beiden Hände bittend gegen die fremde Erscheinung, aufhob, stieß sie einen schneidend wilden Schrei aus und rank in die Arme der alten Frau.
Gewaltsam riß mich Moritz fort, an den Häusern hin, den Weg zum Rhein hinab, ohne mir eine Antwort zu geben. Sein Gesicht war todtenbleich, er klemmte die Zähne fest zusammen und murmelte Worte, die ich nicht verstand, bis er in ein Lachen des bittersten Zornes ausbrach.
Mir, rief er endlich, indem er die Hände ballte und zusammenpreßte, mir allein unter allen Sterblichen konnte dies nur begegnen; mir, dem Unglück und Elend an die Fersen geheftet sind, seit der ersten Stunde der Geburt; der Noth des Lebens tragen muß für Handlungen, welche Andere frei und glücklich machen.
Ich unterbrach ihn nicht. Die aufgeregten Empfindungen in mir eigneten sich nicht zu Rede und Trost; ich konnte errathen, wie rächend der Zufall gewaltet hatte. Ich sah auf den Rhein hinaus, der voll Leben und Gewühl war, das im ungewissen Abenddunkel von Schiffen und rudernden Boten herüberwogte und erstarb; auf die Brücke, welche vor uns lag, und einen schwarzen, ringelnden Schwarm von Wesen hinüber und herüber trug. Plötzlich hörte ich einen schnellen, starken Schritt hinter uns, und gleich darauf stand ein Mann vor Moritz, derselbe Mann, welcher die Kranke begleitet hatte.
Kennst Du mich? sagte er, und vertrat ihm den Weg.
Ja! erwiderte Moritz langsam, als besänne er sich auf die Antwort. Was willst Du?
Nun, bei Gott, rief der Fremde, diese Frage steht Dir wohl an; sie ist so frech und nichtswürdig, wie Deine Handlungen.
Ruhig! versetzte sein Gegner, indem er sich stolz aufrichtete. Ein Mann schimpft nicht.
Er fordert Rechenschaft! das will ich.
So spät, sagte Moritz kalt, und so weit kamst Du dazu her? Gut, mag es sein, aber willst Du mich erst hören?
Höre mich zuerst.
Nicht hier, nicht auf offener Straße. Laß meinen Weg frei.
Nicht von der Stelle, rief der junge Mann mit Heftigkeit, bis wir im Reinen sind.
Du siehst, sagte Moritz, indem er sich zu mir wandte, daß ich gewaltsam angefallen werde und mich vertheidigen muß.
Du rufst einen Zeugen auf, erwiderte der Fremde; wer er auch sein mag, Dein Freund, Dein Genosse selbst, er soll zeugen und richten zwischen Dir und mir. Du hast das Opfer gesehen, das Du schändlich um ein Leben betrogen und dann verlassen hast. Können Sie der Freund eines Menschen sein, rief er und wendete sich zu mir, der solche bübische That gethan und sich ihrer rühmt?
Fort! rief Moritz und riß die Hand seines Gegners von seinem Kleide. Was ich gethan habe, will ich Rede stehen vor Gott und Menschen, aber ich warne Dich – keine Knabenstreiche!
Ich kenne Dich, sagte der junge Mensch, indem er seine Heftigkeit mäßigte. Du glaubst an keinen richtenden und rächenden Gott, sonst würdest Du vor Deinem Frevel verzagen. Was aber die Menschen betrifft, so ist die Rechenschaft mein. Marie ist meine Schwester, ihre Ehre ist meine Ehre. –
Mein Herr, fuhr er fort, hören Sie in wenigen Worten, was ich zu sagen habe. Moritz verlobte sich früh mit meiner Schwester. Damals waren wir wohlhabend, reich vielleicht, es war eine vortheilhafte Partie, und trotz des unsäglichen Widerstrebens meiner Eltern, trotz des gerechten Einwurfs, daß Beide zu jung, Marie aber um ein Jahr älter sei, als ihr leidenschaftlicher Anbeter, siegten Bitten, Thränen und Schwüre über allen Widerstand. Eine wirkliche Versprechung fand statt; Moritz reiste dann nach Berlin, um seine Studien zu vollenden. Jahre gingen und kamen, unglückliche Verhältnisse verminderten unser Vermögen; mein Vater starb, die Zerrüttung ward größer, es kamen viele Kümmernisse über uns. Unter diesen Umständen hielt Marie es für angemessen, ihrem Bräutigam sein Wort zurück zu geben. Ich selbst übergab ihm ihren Brief und sprach mit kühler Ueberzeugung. Es hätte mich geschmerzt, wäre er zurückgetreten, aber ich hätte es mit der Macht der Verhältnisse entschuldigt. Er aber schien empört über die kränkende Zumuthung und eine Reise in die Heimath knüpfte das Band fester. Ich begleitete ihn, ich war soeben Officier geworden, und ich denke noch daran, wie er die Hand auf meinen Degen legte und mich fragte, mit welchem Namen ich den Elenden benennen würde, der meine Schwester beschimpfen und verlassen könne? Könntest Du es jetzt, rief ich, so müßte ich Dein Leben haben. Er umarmte mich und schwur von Neuem, meine arme Schwester glücklich zu machen. So schieden wir, die Zeit ging hin, endlich war er im Amt. Nach langen Jahren, nach Jahren der Hoffnungen und Geduld, sollte und konnte nun eine Vereinigung erfolgen. Statt dessen kamen Klagen über seine schlechte Stellung in der entfernten Provinz, unmuthsvolle Briefe über seine beschränkte Lage, ein Gemisch von Niedergeschlagenheit und Hoffnungen; plötzlich aber erfolgte eine kalte Erklärung, daß Trennung stattfinden müsse zu Beider Glück.
Zu Beider Glück, ja, so habe ich gesagt, antwortete Moritz. Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich ihr Glück wollte.
Unmensch! rief der junge Mann, Du hast sie wahnsinnig gemacht! Angst, Vorwürfe, Scham, Verzweiflung raubten ihr den Verstand. In langer Krankheit ist dieser kaum zurückgekehrt, kaum sind wir im Stande, die halb Genesene in ein milderes Klima, in ein Bad zu führen, da trittst Du uns entgegen und ersparst mir den Weg, Dich aufzusuchen. Nenne es immerhin Zufall, ich nenne es Vorsehung. Sie hat Dich zu mir geführt, sie wird zwischen uns entscheiden.
Ich werde Dir nicht entfliehen, erwiderte sein Gegner.
Es wäre umsonst, denn ich würde Dich wiederfinden. Einer von uns darf nur leben.
Einer von uns, murmelte Moritz.
So bestimme Ort und Zeit. Morgen!
Nein, sagte Moritz langsam. Nicht morgen.
Du warst sonst nicht so feig, rief der Officier verächtlich. Aber das böse Gewissen klammert den Sünder an sein armseliges Leben fest.
Eine dunkle Röthe lief über Moritz Gesicht. Er richtete seine hohe Gestalt empor, der Schimmer aufgehender Sterne, die durch die Abendnebel zu blitzen begannen, schien seine stolzen Züge zu beleuchten.
Bist Du so versessen auf mein Leben?! rief er. Nimm es, wenn Du kannst, aber gedulde Dich wenige Tage. Ich bin kein Thor, der einer heißblütigen Minute Alles opfert. Ich habe Pflichten zu erfüllen, meine Rechnung als Mensch zur Menschheit abzuschließen, das muß geschehen, dann wirst Du mich finden. Morgen reise ich nach Aachen, fuhr er ruhiger fort, drei Tage sollst Du mir schenken, wie Dionys einst dem Möros In Friedrich Schillers Ballade »Die Bürgschaft«., dann bin ich bereit. Aachen ist auch besser passend für unser Vorhaben; die belgische Grenze ist in der Nähe, Du kannst Deine Maßregeln nehmen.
Sein Gegner bedachte sich einen Augenblick, dann sagte er:
In drei Tagen also! Willst Du mir Dein Wort geben?
Ja, sei überzeugt, Du wirst mich finden.
Gute Nacht! sagte der Fremde, indem er sich zu mir wendete, dann ging er schnell davon und ließ uns allein.
Wir sprachen nicht. Moritz hatte die Arme gekreuzt und lehnte sich an den Stamm eines Baumes. Das Wasser fluthete und klatschte an den Planken der Schiffe, Abendstille war um uns, nur aus der Ferne kam das Getöse des Lebens. Plötzlich fuhr Moritz auf und sah einem Manne nach, der fast geräuschlos, schnell an uns vorüber ging. War dieser aus einem Winkel der Mauer oder hinter einem der Bäume am Ufer hervorgetreten, oder hatte er den Pfad verfolgt, der daran hinläuft, wir hatten nichts gehört; ganz sicher aber war es kein Anderer, als der Mann im gelben Rock. Seine Hände hatte er in den tiefen Taschen verborgen. Der Arm umschloß seinen rothen Regenschirm, so sah er unter seiner seltsamen, großen Schirmmütze sich nach uns um, und wie ein Lichtstrahl aus einem Schiffe auf ihn fiel, erkannte ich deutlich seine langen, abgemagerten Züge.
Was will der Schurke? rief Moritz mit Heftigkeit, was hat er mit uns?! Holla, alter Narr, steht still, wenn Ihr mich kennen lernen wollt!
Aber der gespenstische Alte entfernte sich so rasch, daß, als wir um die Ecke biegend ihm nacheilten, er spurlos verschwunden war.
Moritz stand still und ergriff meine Hände, die er fest in den seinen hielt.
Du weißt nun Alles, sagte er, darf ich noch auf Deine Freundschaft, auf Deinen Beistand rechnen?
Sage mir das Eine, erwiderte ich. Wenn Alles wahr ist, was jener Mensch Dir vorhielt; wenn Deine Unbeständigkeit, Dein ehrgeiziger Egoismus seine arme Schwester um ein schönes Leben betrog, bis ihre Liebe zu Dir in Wahnsinn endete, bereust Du nicht, was Du gethan?
Nein, sagte er, nach einem kurzen Bedenken, ich kann und darf nicht bereuen. Ich habe nach allen Pflichten der Vernunft gehandelt, es war das Ergebniß meiner Ueberzeugungen. Meine Liebe war erloschen bis auf den letzten Funken; Schauder ergriff mich, wenn ich an eine Vereinigung dachte. Ich malte mir meine Zukunft aus und die ihre; es war ein freudloses, dunkles Bild, und je öfter ich hineinstarrte, um so höllengleicher kam es mir vor. Nein, ich will nicht! Und könnte ich zurück, konnte ich als reuiger Sünder Verzeihung erhalten, ich würde es dennoch nicht. Tausendmal lieber Tod, als ein Leben voll innerer Verzweiflung!
Leb wohl, sagte ich und wendete mich von ihm.
Du willst mich verlassen, erwiderte er, indem er mich aufhielt; gut, ich begreife, was Dich treibt.
Freundschaft, sagte ich, beruht auf Achtung.
Es gibt Formen, Herkömmliches, das, zum Gesetz geworden, als Ehre und Gewissen erscheint, und wer dagegen handelt, ist verfehmt von Allen, die sich besser und reiner denken. Du solltest mich nicht so leicht aufgeben, wie die große, gewöhnliche Menge, fuhr er sanft und mit leise zitternder Stimme fort, Du solltest die Kämpfe und Leiden auch bedenken, die ich mit mir selbst bestand, ehe ich zum Entschluß gelangte. Geh nicht so von mir, sagte er bittend, als ich noch immer schwieg, denk' an unsere alte Freundschaft, denke, daß mein Schicksal in wenigen Tagen entschieden sein muß, versage mir Deinen Beistand nicht. Auch hast Du meiner Braut versprochen, uns zu begleiten; was soll ich ihr sagen, wenn Du so plötzlich kalt und fremd geworden bist? Drei Tage noch, dann, wenn Du willst, wenn ich Deine Achtung nicht wiedergewinnen kann, dann gib mich auf. Ich verlange Deine Antwort jetzt nicht, sagte er dann, als ich etwas erwidern wollte. Du würdest Deine Ansicht jetzt nicht ändern können, laß uns also ruhiger werden, es liegt eine ganze Nacht zwischen heut und morgen. Versuche einen Blick in mein innerstes Leben zu werfen, dann entscheide Dich, ob Du morgen einen Platz in unserm Wagen und unsere Gesellschaft annehmen kannst. Jetzt, gute Nacht, gib mir Deine Hand, und wäre es auch zum letzten Male.
Ich reichte sie ihm hin und plötzlich zog er mich an seine Brust und drückte seinen Kopf auf meine Schulter. Mit einem leisen Seufzer hob er ihn dann schnell empor, sah mich fest und fragend an und ging die Straße hinab.
Lebhaft bewegt erreichte ich mein Zimmer und fast bis zum Morgen blieb ich schlaflos. Dicht neben mir hatte man die kranke Dame gebettet. Ich hörte ihre sanftklingende Stimme, ihr leises Husten und Aechzen, das mich immer wieder aufweckte, wenn ich die Augen schließen wollte, und wie eine Klage und Mahnung gegen den herzlosen Mann in meine Brust drang. Ein paar Mal kam es mir vor, als weine sie, dann glaubte ich, daß sie seinen Namen nenne, und endlich war ein tiefes, schmerzhaftes Seufzen die letzte Kunde, welche ich von meiner armen Nachbarin erhielt.
Ganz in der Frühe weckte man mich schon. Der rothe Morgen lag auf dem Rhein; Frühsonnenschein lief bleich und fein über die schlummernden Schiffe; Natur und Menschen schwankten noch zwischen Schlaf und Erwachen. Unter meinen Fenstern aber rasselte es häßlich mit Ketten, und als ich hinabschaute, trieben Soldaten mehrere Gefangene vorüber, die frech lachten und scherzten. Ich war noch immer unschlüssig, ob ich Moritz aufsuchen oder für immer meiden sollte; die Gefangenen entschieden darüber.
Er liegt auch in Retten, murmelte ich, aber ich sollte meinen, sie drückten ihn doch mehr, als diese Taugenichtse, die fluchend und lästernd von dannen gehen. Und kann es denn nicht sein, daß eine treue Hülfe sie ihm abfeilen kann, daß er aus seinem unfreien Zustande zur rechten Freiheit kommt, und sich alles zum Guten wendet?
Ich blickte nach der Thür hin, die mich von der Kranken trennte, und so eben sagte sie ganz deutlich:
Wir sollen nicht richten, als harte Richter, denn wer weiß denn, ob wir morgen nicht selbst einen milden Spruch nöthig haben?
Sie hatte es gewiß zur Vertheidigung des Gefangenen gesagt, denn eine andere Stimme antwortete etwas darauf, mir aber festigte das Wort den Entschluß. Ich packte schnell zusammen, schickte Alles nach dem römischen Kaiser und trat dann selbst meinen Weg an. Auf der Treppe kam mir der Bruder entgegen, der mit einem Fuhrmann unterhandelte. Er erkannte mich nicht, wir grüßten uns flüchtig und ich war froh darüber, daß er mich ungehindert weiter ließ.
Als ich das Gasthaus erreichte, stand der Reisewagen schon vor der Thür, die Pferde angeschirrt und der Postillon daneben. Der alte Herr ging rund umher, die Räder und Federn betrachtend. Er grüßte mich mit etwas gezwungener Freundlichkeit und sagte dann, es sei abscheulich und unerhört, aber er habe drei Pferde nehmen müssen, wobei sein Blick deutlich genug sagte: Das dritte Deinetwegen, überflüssiger Patron.
Das dritte bezahle ich, erwiderte ich.
O! sagte er vergnügt, ich sehe nicht ein, warum. Vier Personen, drei Pferde, kommt doch nach strengem Gesellschaftsvertrag auf Jeden nur drei Viertel.
Rechnen Sie das letzte Viertel auf Ihre angenehme Gesellschaft, sagte ich, mich verbeugend.
Bitte recht sehr, erwiderte er und reichte mir als Freund die Hand, aber wenn Sie durchaus wollen, mögen Sie Ihren Willen haben.
In dem Augenblicke führte Moritz seine Braut herbei. Er begrüßte mich herzlich und überhäufte mich mit scherzhaften Vorwürfen meines Außenbleibens von gestern wegen und zog den Schluß daraus, daß den heiligsten Zusicherungen, ja selbst den Eidschwüren der Männer niemals zu trauen sei. So fuhren wir denn, eng eingepackt in dem Halbwagen, aber so lustig als möglich zum Thore hinaus. Moritz hatte sich an meine Seite gesetzt und bestrebte sich, wohlgelaunt zu sein oder doch zu scheinen, und in der That merkte man nicht, daß irgend ein Kummer sein Herz bedrücken könnte.
Es war ein freundlicher Morgen, der über dies weite, öde und eintönige Land fiel. In der Ferne zur Linken lagen die kahlen Berge der Eifel, an deren scharfen, weißen Kanten der Sonnenschein abprallte, und in wechselndem Schatten und Licht über Saatfelder, kleine Waldungen und unfruchtbare Haiden und Moore strich. Der alte Herr fand, daß man viel zu viel Rühmens vom Rheinlande mache und meinte, der Sand sei hier eben auch nicht theuer; darauf ließ er sich in weitläuftige Lobeserhebungen des Bodens in der Danziger Niederung ein und lachte verächtlich über die blauen Blusen der Landleute, die mit ihren zweirädrigen Karren an uns hinzogen, wobei er aber an seiner Tochter und an Moritz entschiedene Gegner fand, welche ihn schnell zum Schweigen brachten.
Es dauerte jedoch nicht lange, als die Verbündeten, wie es gewöhnlich nach dem Siege geht, selbst unter sich in Streit geriethen. Von der Bluse erhob sich das Gespräch zu den Männern, die sie trugen, und von diesen zu den Nationen, denen sie angehörten. Moritz vertheidigte die Belgier und seine Braut nahm sich der Holländer an; der alte Herr aber faßte frischen Muth und schlug sich sogleich auf die Seite seiner Tochter und schwor, daß die Belgier ein nichtsnutziges, liederliches Volk, die Holländer aber die ersten Kaufleute in der Welt seien, vor denen er immer Respect haben und die Mütze abziehen werde, und wer das nicht thue und dagegen von Völkerrechten und Freiheiten schwatze, der wisse nicht, was Ordnung und Geld für Werth habe.
Die kleine Festung Jülich, welche wir mitten in diesem Streite passirten, trug nicht wenig dazu bei, den holländischen Eifer des alten Herrn zu erhöhen. Die artigen Landhäuser und Gärten vor dem Thore, die zierlich geschnittenen Hecken und der Sinn für Reinlichkeit und Sorgfalt in der Benutzung jedes Plätzchens, der sich überall zeigte, berührten ihn aufs Angenehmste.
Das ist ein altes holländisches Land! rief er. So etwas ist in Belgien ganz unmöglich, es ist eine Freude, zu sehen, wie Alles sauber an seiner Stelle ist.
Und steif und todt, sagte Moritz lachend. Die geraden, beschnittenen Hecken passen zu den schweigsamen, dickköpfigen, fetten Menschen, eben so wohl, wie die langen, steifen Röcke. Wie lustig und unternehmend sieht die flatternde Bluse aus, wie menschenfeindlich, gierig und gaunerhaft ein Kerl, der seinen Leichnam in ein festverknöpftes Kleid vergräbt, aus dem er, wie die Schildkröte, überall fest verpanzert gegen menschlich milde Empfindungen, den dürren, nickenden, ordnenden Hals steckt. Ich sah gestern erst solche Schurken, und ich will wetten –
Hier hielt er plötzlich inne, denn an uns vorbei fuhr der Eilwagen, in dessen Cabriolet gerade die Person saß, welche er in so gehässiger Weise erwähnen wollte. Das lange Gesicht des Geizigen schien sich in boshafter Freude zu verzerren, mit drohenden Blicken betrachtete er uns, als wisse er, daß man ihn verunglimpfe; im nächsten Augenblick war er verschwunden und Moritz rief:
Da ist das Gespenst wieder, wie es leibt und lebt. Hast Du ihn gesehen? Fahr zu, Postillon, wir wollen die nähere Bekanntschaft dieses Holländers machen.
Es ist doch merkwürdig, erwiderte Caroline ärgerlich lachend, was Sie den Streit lieben und immer Recht haben müssen. Die Leute auf der Landstraße sind nicht sicher dafür, und was mich betrifft, so scheinen Sie besonderes Vergnügen daran zu finden, mich bei Zeiten an Gehorsam und Schweigen zu gewöhnen.
Ich bemerke aber, sagte Moritz, daß, wenn Sie Recht hätten, meine Mühe schlechte Früchte brachte.
Immer besser, rief sie. Ich danke für die galante Wendung, indeß versichere ich Sie, daß Ihre Mühe immer vergebens sein wird, so lange ich eine Zunge habe.
Frauen, sagte ich, sind nach einem alten italienischen Sprüchwort ohne Zunge am gefährlichsten.
Warum? fragte sie.
Weil sie dann schweigen müssen, fiel Moritz ein.
In dieser Weise wurde das Gespräch zwischen Beiden fortgesetzt, und auf- und absteigend durch alle Grade jener kleinen Zänkereien geführt, die, bald scherzend gemeint, bald ernster gehandhabt, die mißlaunigen Stunden liebender Paare ausfüllen, für den Dritten aber oft sehr unangenehm werden. Der alte Herr schien daran gewöhnt und entschlief sehr bald, ich schloß wenigstens die Augen, hörte aber noch lange die wechselseitigen Vorwürfe, welche jetzt mit weniger Rücksicht gegeben und empfangen wurden und damit endeten, daß die junge Dame lebhaft erklärte: es thue ihr sehr leid, unvorsichtig und unbesonnen gewesen zu sein, aber noch sei nichts geschehen, was unwiderruflich wäre.
Moritz antwortete nicht und eine lange Zeit herrschte Schweigen. Leise schlug ich die Augen auf und ließ sie über die weiten Felder schweifen, ehe ich die Menschen in meiner Nähe betrachtete, die mir widerwärtige Empfindungen einflößten. Das wechselnde Grün der Saaten, die eingehegten Wiesen, die sanften Abhänge mit Bäumen besetzt, unter denen rothe Dächer von Pächterhäusern herüberschimmerten, bildeten einen eigenen Contrast mit dem Unfrieden, der in den Gesichtern Derer lag, welche zürnend sich nicht anblicken mochten. Moritz hatte den Kopf auf die Brust gesenkt, seine Stirn war in tiefe Falten gezogen, seine Lippen bewegten sich zuckend; die junge Dame hatte sich hingegen so tief als möglich in die Wagenecke zurückgezogen, ihr kleiner Mund war böse, herrschsüchtig verzogen, Eigensinn und Trotz lagerten sich auf der schmalen Stirn.
Welch eine Zukunft, sagte ich leise, welch Glück erwartet Dich, Du Armer, wenn alle Deine ehrgeizigen Wünsche sich erfüllen! In diesem Augenblick schien es mir als die schrecklichste Vergeltung, wenn Moritz diese Ehe schlösse, ja, es kam mir vor, als läse ich in seinen bleichen, düsteren Mienen eine Reue, die er vergebens zu bewältigen strebte.
Als ich mich umwendete, erwachte der alte Herr und seine ersten Worte waren neue Klagen über das verwünschte Reisen, von dem er nicht zu begreifen schwur, wie ein Mensch daran Gefallen finden könne.
Warum aber in aller Welt, sagte ich, reisen Sie denn?
Warum? erwiderte er. Hat Ihnen Moritz nichts davon gesagt?
Sehen Sie, fuhr er fort, als ich es verneinte, ich habe einen Bruder in England, den ich in dreißig Jahren nicht gesehen habe. Er hat sich vom Handel zurückgezogen, aber sein Geld kann er nicht ruhen lassen, und aus England will er nicht fort, wie oft wir's auch wünschten und wie oft er's auch versprach. Nun kam die Heirath da – er wies auf die Beiden – und die Kinder schrieben an ihn. Gut, sagte er, ich will meinen Neffen kennen lernen, und sehen, wie er mir gefällt. Kommt mir entgegen, in Aachen sollt Ihr mich finden, die Reise bezahle ich und die Ausstattung dazu, an Geld soll's überhaupt nicht fehlen, wenn sich alles sonst gut schickt.
Lieber Vater, sagte Caroline, indem sie die Augen aufmachte, heute ist ja der Tag, der zwanzigste. Der Onkel muß sagen, daß wir pünktlich sind.
Im Gasthof zum Thürmchen, erwiderte der alte Herr. Wir werden sehen, wer zuerst da ist!
Caroline schlug ihrem Bräutigam auf die herabhängende Hand und rief:
Ist es möglich, daß man schlafen kann, wenn Alles lebt und spricht? Ich glaube, Sie wollen mich nicht sehen! Sie träumten vom Paradies und fürchteten sich, aus Ihrem Himmel zu fallen.
In der That, sagte er, ich träumte von einer andern, von einer bessern Zeit.
Vergangenheit oder Zukunft? fragte sie lächelnd.
Er blickte sie starr an. Von einer Zukunft voll Glück und Frieden, sagte er.
Diese Antwort beruhigte sie, und heiterer, freundlicher als bisher richteten sich mannichfache Gespräche auf viele Gegenstände, bei welchen Caroline nur Das auszusetzen hatte, daß Moritz einsilbig und zerstreut, wol immer noch nicht ganz aus seinen Träumen erwacht sei, was ihr Anlaß zu manchen witzigen und spöttischen Bemerkungen gab.
Endlich öffnete sich der liebliche Thalkessel vor uns, in welchem die alte Kaiserstadt liegt. Aus bläulichem Dampf und mildem Sonnenschein sah sie hervor mit ihren alten Thürmen und Zinnen, von grünen Höhen überragt, deren Waldleisten und duftige Abhänge sich leise in die Felder verlaufen, in Baumhecken, in Saaten und Gehege, die ein Rundgemälde bilden, welches das Auge mit Wohlgefallen bis an die fernsten Linien durchlaufen kann.
Bald merkten wir auch das Leben einer großen Stadt an den Karren und Fahrzeugen auf der Straße, welche kamen und gingen, an den rüstigen Menschen, die belastet mit den mannichfachen Früchten mühseligen Fleißes zu Markte zogen, um die Schwärme reicher Müßiggänger zu ernähren, und diese selbst endlich schön geputzt, in Ketten, Spangen und wehenden Federn, in bequemen Wagen, aus welchen sie uns neugierig musterten.
Hier war Caroline in ihrem Element, voller Aufmerksamkeit und Mittheilungslust. Sie kannte die verschiedenartigen Moden sehr gut, nannte sie bei ihren Kunstnamen, bewunderte das Neue, wünschte sich das Beste, hegte tausend Erwartungen von den Vergnügungen und Festen, denen sie entgegen ging, und versenkte sich in die Regungen ihrer Eitelkeit und Eigenliebe. Bald war es eine Dame, die sie mit stolzen lächelnden Blicken betrachtete, bald ein Reiter, den sie durch ihr Glas musterte. Von Diesem behauptete sie, daß er ein Franzose, von Jenem, daß er ein Russe sei, und plötzlich erröthete sie vor Vergnügen und Ueberraschung, als ein junger Herr dahergaloppirte, der sein Pferd zügelnd den Hut zog, sie begrüßte und in artigen Worten sich des Glückes freute, so unverhofft sie in Aachen zu sehen.
Der junge Herr war ein Officier, den sie in Berlin kennen gelernt, und der dagegen mittheilte, daß er seit einem Jahre am Rhein Garnison halte und seit drei Tagen hier im Bade sei, mehr der Zerstreuung, als des heilenden Wassers wegen. Nun ward er uns und wir ihm flüchtig vorgestellt, dann sagte er dem alten Herrn einige schmeichelhafte Worte, darauf folgte ein flüchtiges Gespräch über vergangene Zeiten, Erinnerungen an alte Bekannte, Betheuerungen, daß Aachen ein ungeheuer amüsanter Ort, die Gesellschaft jetzt in der Blüthe und aus allen Gegenden der Erde beisammen sei, und endlich erfolgte die Bitte, seine Aufwartung machen zu dürfen, die lächelnd gefordert und lächelnd bewilligt wurde. Hierauf grüßte der Herr mit dem höflichsten Anstande, ließ sein Pferd einige Sprünge machen, und schoß dann wie ein Pfeil davon, was ein stolzes Entzücken bei Carolinen erzeugte, besonders da ein Wagen voll Damen so eben herankam, die alles mit angesehen hatten.
Offenbar liefen die verschiedensten Gedanken in ihrem Köpfchen auf und ab, indem sie Moritz betrachtete, der so ernst und gleichgültig die Häuserreihen anstarrte, zwischen denen wir hinfuhren. Sie überließ sich Vergleichungen zwischen diesem finstern, streitsüchtigen Manne und der lächelnd höflichen Galanterie des jungen Ritters, dessen blitzende Augen voll kühner Entwürfe bittend und bewundernd an den ihren gehangen hatten. Eine böse Falte zog sich auf ihrer Stirn zusammen und verschwand, ein spottender, fast verächtlicher Blick glitt über den glücklichen Bräutigam hin, dann seufzte sie und wendete sich ab, um gar nichts mehr von ihm zu sehen, weil sie sich über seine Unbeweglichkeit bitterlich ärgerte.
Hôtel à la Tourelle! rief der alte Herr dem Postillon zu, und nun ging es schnell durch die Straßen, rechts und links um die Ecken, bis wir plötzlich vor dem Gasthause hielten.
Geschäftige Kellner sprangen herbei, und der höfliche Wirth trat selbst an den Wagenschlag, als er den alten Herrn fragen hörte, ob nicht etwa sein Bruder schon angekommen wäre.
Allerdings, sagte er lächelnd, der Herr hat die Zimmer schon bestellt, er erwartet Sie.
Ist es möglich, rief der Vater.
Mein Onkel! schrie Caroline; geschwind, Moritz, ich will die Erste sein. Sie sprang hinaus in ihres Bräutigams Arme, der sie beinahe fallen ließ, und einen neu zürnenden Blick dafür erhielt. Eilig ging es die Treppen hinauf; wir folgten in demselben Tempo.
Wo ist er, wo ist mein guter Onkel? rief die liebende Nichte.
Hier, sagte der Wirth und stieß die Thür auf.
Theuerster Onkel! schrie Caroline.
Liebster Bruder! rief der alte Herr und breitete beide Arme aus.
Moritz blieb wie festgebannt auf der Schwelle stehen. Da stand es mitten im Gemach, groß, dünn, gelb, festeingeknöpft, mit dem Regenschirm unter dem Arm, die Hände in den ungeheuren Taschen, das lange, abgemagerte Gesicht unter der schrecklichen Mütze versteckt; mit einem Worte, das reisende Gespenst aus Cöln. Die eine Hand zog er heraus und umarmte Carolinen, dann den alten Herrn, ohne sich zu rühren, dann richtete er seine Augen auf uns.
Wer ist das? fragte er.
Mein Verlobter, flüsterte die Braut.
Der? sagte er und streckte die Finger gegen Moritz aus. Der kann es nicht sein, fuhr er in demselben Tone fort und schüttelte den Kopf: Wir wollen das gleich abmachen. Holla, mein junger Herr, kennen Sie mich?!
Ich sah Sie gestern schon in Cöln, ohne Sie zu kennen, erwiderte Moritz in peinlicher Verlegenheit, darf aber wol auf Ihre Nachsicht rechnen, wenn irgend etwas Sie beleidigt haben sollte.
Aha! rief er, kommt es so heraus: die Vogelscheuche, der alte Narr, das schreckliche, belustigende Geschöpf! hier steht es nun und bedankt sich. Und was ich hörte, dort unten am Rhein, zufällig, als ich das Wasser betrachtete, darf das auch auf Verzeihung hoffen?
Mein Herr, sagte Moritz, Sie wissen nicht –
Ich weiß genug, versetzte der Alte, indem er mit seinem großen Kopfe langsam nickte. Sie werden meine Nichte nicht heirathen, wie, ober wollen Sie?
Sie haben diese Frage nicht zu entscheiden, versetzte Moritz stolz, indem er zu seiner Braut trat und deren Hand ergriff. Was Sie auch gehört haben, und welche Anwendung Sie davon machen, es kann nur dazu dienen, meine Erklärung um einige Tage zu beschleunigen.
O wirklich, sagte der große Mann spöttisch.
An Sie, Caroline, wende ich mich allein. Als ich Sie kennen und lieben lernte, löste ich ein Verhältniß, das ich in Jugendzeit geschlossen. Dieser Schritt, so vernünftig er war, hat böse Folgen für Die gehabt, welche er traf. Sie sank in Krankheit und Irrsinn; noch jetzt ist sie kaum hergestellt, ich habe sie gesehen. Entscheiden Sie nun. Können Sie den Mann noch lieben, der dies gethan?!
Halt! rief der Mann im gelben Rock, indem er plötzlich seine Unbeweglichkeit aufgab, beide Hände aus den Taschen zog und mit dem großen Schirm auf Moritz wies. Dieser Mann da, er verließ nach langen Jahren ein Weib, das voll treuer Liebe an ihm gehangen; er schwur ihr falsche Eide; er raubte ihr Jugend, Lebensglück, Gesundheit und Verstand, stieß sie von sich, als eine Andere ihm mehr gefiel, mehr Aussicht für seinen Ehrgeiz bot, und nun – ich spreche nichts mehr – meine Liebe – nun entscheide Du.
Er sagte das schnell und mit einiger Heftigkeit in fremdartiger Betonung, dann steckte er den Regenschirm wieder unter den Arm und drehte sich um.
Caroline trat einen Schritt zurück, indem sie ihre Hand von Moritz frei machte und einen stolzen, messenden Blick auf ihn warf.
Ich denke, sagte sie, nach einer solchen Eröffnung bedarf es keiner Antwort weiter.
Sie wendete sich zu ihrem Vater, der mit dem Arm die Luft durchsägte und mit Heftigkeit rief:
Das ist ja eine saubere Geschichte! Darum bis über den Rhein zu reisen? Darum alle die Kosten und Mühen haben? Es ist aus, geradezu, es wird nimmermehr etwas daraus!
Ich danke Ihnen, sagte Moritz, indem er sich verbeugte, ich erwartete dies und habe mich über nichts zu beklagen. Leben Sie wohl, Caroline, werden Sie glücklich!
Er verbeugte sich und ging hinaus. Alle standen stumm, bis die verlassene Braut sich in die Arme ihres Vaters warf und bitterlich zu weinen begann. Der alte Herr tröstete sie, indem er Schimpf- und Schmähworte auf den schlechten Menschen hervorstieß; der englische Onkel ging dabei mit großen Schritten auf und nieder, und murmelte Vieles still vor sich hin, wobei er dann und wann scharf auftrat und endlich vor mir stehen blieb, der ich die Arme gekreuzt am Fenster stand und über die beste Art und Weise nachdachte, mich zu empfehlen.
Ah Sie, mein Herr, sagte er trocken, Sie werden ein anderes Zimmer bedürfen. Dies ist mein und der Platz ist beschränkt.
In der That, ja, erwiderte ich, und mit Vergnügen gebe ich ihn auf.
Guten Tag, Herr, guten Tag! rief er und rückte seine Mütze.
Sehr wohl, sagte ich, guten Tag.
Nein, warten Sie, schrie der Kaufmann und entfernte seine Tochter von der väterlichen Brust. Erst bitte ich um den Betrag des dritten Pferdes.
Zahlen Sie! sagte das Gespenst und deutete mit dem Regenschirm befehlend auf mich.
Lachend zog ich die Börse und zahlte, dann entließ mich die Familie mit sichtlich feindlicher Gesinnung.
Mitgefangen, mitgehangen! murmelte ich, als ich draußen war, wer gibt hier Etwas auf meine Unschuld?
Ich! sagte ein Kellner höflich, ich wollte bitten, dort ist Ihr Zimmer.
So ging der erste Tag hin, Moritz ließ sich nicht sehen. Ich wußte, daß er im Nebenhause wohnte, aber ich mochte ihn nicht aufsuchen, und er kam nicht. Im folgenden Tage sah ich die Familie auf der Promenade. Der englische Oheim hatte zwar auch jetzt einen großen, gespensterhaft engen, gelben Rock an, der seinen Körper trotz der Julihitze eng eingeklammert hatte, aber er war von besserer Farbe und sein Haupt mit einem Hute bedeckt; neben ihm trabte keuchend der kleine, dicke Bruder, und hinterher folgte Caroline lachend im vertrauten Gespräch, am Arm des jungen Herrn, der mit der Linken sein Bärtchen drehte und sich in der gentilsten Weise zu ihr niederbeugte.
Das ist der beste Trost, sagte ich lachend, und wie überraschend schnell ist es gekommen!
Wie ich vorüberging, kannten sie mich natürlich nicht, nur Caroline warf mir einen verächtlichen Blick zu und verzog den hübschen Mund.
Am Abend war ich im Redoutensaale. Er war gefüllt, man tanzte und die volle, schmetternde Musik drang in den tief dunklen Nachthimmel hinaus, an dem es wetterleuchtend zuckte. Und endlich mischten sich die Donnerschläge in die Fanfaren, die glühenden Strahlen leuchteten dazu an den Fenstern hin, es rauschte und brauste und übertönte den Takt der Instrumente; aber sie tanzten nur eifriger und wilder an mir vorüber. Carolinens dunkle Locken flatterten über den erhitzten Busen, ihr Tänzer umfaßte feuriger den schlanken Leib, sie lächelte ihm zu, stolz und glücklich.
Da trat ich in den Salon, wo die Roulette sich drehte. Der große Tisch war dicht umdrängt; der eintönige Ruf des Banquiers, das Klingen des Geldes, das Klappern der Harkenstöcke des Croupiers unterbrach allein die Stille. Indem ich das Spiel betrachtete und die Menschen, welche in gespannter Erwartung die Glückskugel verfolgten, fiel mein Auge auf Moritz. Er stand mir gegenüber, seine Hand voll Gold, das er in bedeutenden Summen hinwarf. Verlierend, gewinnend und wieder verlierend, schien es lange zu schwanken, ob Glück, ob Unglück ihn begleiteten. Einmal mehrte sich sein Gewinn so sehr, daß er den Ueberfluß vor sich in den Hut warf, aber da in keinem Spiel große Summen so schnell gewonnen und verloren werden können, so war bald genug der Vortheil eingebüßt und Schlag auf Schlag trat jetzt der Gegensatz ein. Die gespannten Mienen des Spielers preßten sich krampfhaft zusammen, seine Augen blickten ungewiß und ängstlich umher, sein Gesicht war bleich und finster. Als das Letzte verloren war, sah er dem Stock, der es fortzog, mit einem Lächeln nach. Da entdeckte er mich und im nächsten Augenblick war er bei mir.
Leihe mir Geld, sagte er und drückte meine Hand. Ich gab ihm, was ich hatte.
Er trat von Neuem an den Tisch. Von Neuem kam das Glück, wie ein kurzer Sonnenschein und flog vorüber. Ich hatte mich fortgewandt, weil ich nicht sehen mochte, was mir gewiß schien. Nach wenigen Minuten kam er und gab mir die leere Börse.
Es ist genug, sagte er mit Ruhe, ich war ein Thor, wie kann eine Hand, wie die meine, Glück haben. Ich bin müde, laß uns gehen.
Warum spielst Du? sagte ich vorwurfsvoll.
Warum? erwiderte er. Es war eine seltsame Grille. Ich wollte ein Testament machen, etwas hinterlassen an Gütern dieser Erde. Ich glaubte, sagte er düster und leise, daß ein Sterbender Glück haben müsse.
In diesem Augenblick kam ein Mann hinter uns die Treppe herab und legte die Hand auf Moritz Arm. Er hatte einen Mantel umgeschlagen, den er zurückfallen ließ. Moritz bebte zurück, es war Mariens Bruder.
Du hast meinen Brief erhalten? fragte er.
Ich habe ihn erhalten.
Morgen also. Um fünf Uhr. In dem Wäldchen, wo das alte heidnische Grabmal ist. Kennst Du es?
Ich kenne es.
Gute Nacht, sagte der Officier, indem er an uns vorüberging.
Wir folgten langsam. Es regnete fein auf uns nieder, die Straßen waren finster; Moritz hielt mich an der Hand fest, als fürchte er, daß ich ihn allein lasse.
Erst als wir in der Nähe unseres Gasthofes waren, blieb er plötzlich stehen und sagte:
Da schlägt es Mitternacht! Ich werde es nie mehr hören und soll doch in ewiger Nacht begraben sein. Fünf kurze Stunden Leben; es ist seltsam, das zu denken. Ich träumte einst von Thaten, von Ruhm, von ewigem Leben, und nun fünf kurze Stunden, dann endet Alles, alles!
Liegt es nicht in Deiner Macht, erwiderte ich, diesen schrecklichen Ausweg abzuwenden?
Nein, sagte er, es gibt keinen.
Du kannst umkehren, Du bist frei.
Niemals, niemals!
Wer da fehlt, kann bereuen, vergüten!
Ich bereue nicht, rief er mit Heftigkeit. Vergüten, versöhnen! mit meinem Leben; bereuen nicht. Ich that, was ich mußte!
Als ich schwieg, sagte er sanft:
Halte noch fünf kurze Stunden mit mir aus. Ich habe Dich in zwei Tagen nicht gesehen, um Dich nicht zu betrüben oder zu erzürnen. Jetzt ist die Zeit da, Du versagst mir den letzten Dienst nicht; nicht wahr, Du begleitest mich?
Ich werde Dich nicht verlassen in solcher Noth.
Habe Dank! rief er, und nun gute Nacht! Komm zu mir, wenn Du früher erwachst.
Unruhig warf ich mich auf das Sopha, und blieb ohne Schlaf, traurigen Gedanken überlassen. Die feste Entschlossenheit des unglücklichen Freundes, sein unverhüllter Wille, zu sterben, seine Ruhe und sein verzweiflungsvoller Muth, wie die Hartnäckigkeit, nach innerer Ueberzeugung recht gehandelt zu haben, Alles erschütterte, ängstigte und empörte mein Gemüth. Ich machte viele Pläne, das Schreckliche zu verhüten, und doch fand ich keinen, den ich ausführen konnte. So hassenswerth und verwerflich gewöhnlich der Zweikampf ist, so mußte ich mir doch sagen, daß hier, wo der Richter auf Erden schwieg, die Gesetze der Ehre um so lauter ihre Stimme erhoben, daß der Bruder eine heilige Pflicht habe, eine hingemordete Schwester zu rächen, an einem Manne zu rächen, der laut behauptete, nichts bereuen zu können und zu wollen, weil er gethan, was er mußte.
Endlich brach der Morgen an. Als ich nach der Uhr sah, schlug es vier. Ich sprang auf und machte mich bereit.
Was geschehen soll, muß geschehen, sagte ich. Jeder Schmiedet sein Schicksal und trägt die Schuld seiner Thaten.
Ich schlüpfte die Treppe hinab und trat in sein Zimmer. Er stand schon angekleidet und lehnte sich auf das Schreibpult, indem er mir den Rücken zuwendete. In der einen Hand hielt er Etwas, das er so eben an seine Lippen drückte und küßte. Seine Augen waren erhoben; er sah in die duftige Bläue des Morgens hinaus, in das goldene Licht, das den Himmel füllte und von den Kreuzen der Gottestempel herabzitterte. Als ich ein Geräusch machte, wendete er sich um und suchte seine feuchten Augen zu verbergen, indem er die Goldkapsel, welche er in der Hand hielt, an der Brust verbarg.
Da bist Du, sagte er, ich danke Dir aus vollem Herzen; aber ehe wir gehen, muß ich Dich zu meinem Testamentsexekutor machen. Meine Sachen sind gepackt, hier ist das volle Verzeichniß und deren Anwendung. Du wirst sie verkaufen lassen und mein Darlehn von gestern dadurch zurückerhalten. Mein Geld und Gut ist aus, fuhr er lächelnd fort, aber ich bedarf ihrer auch nicht mehr. Nur diese Briefe – er nahm zwei von dem Schreibtisch – wirst Du befördern. An meine Mutter und – und – an Marien, sagte er mit Anstrengung, und nun bin ich fertig – laß uns gehen.
Wir gingen rasch dem Thore zu; auf die Landstraße hinaus, fast ohne zu sprechen. Lind und herrlich fiel der Morgen auf das Thal. Die Regennacht hatte Alles jung und frisch gemacht; es regte sich in Halm und Blume, im schwirrenden Käfer und im singenden Vogel der neue Ruf zum Leben, und hinter uns erwachte es in der Stadt, vor uns kam es geschäftig von den Bergen herab. Männer und Weiber, singend und rufend; beladene, schnaubende Thiere. Alles war fröhlich aufgewacht, und hier ging ein Mann zum Tode, kräftiger, in seiner Jugendblüthe zur längern Dauer ausgerüstet, als die meisten der Lebendigen.
Moritz mußte wol auch etwas von Dem empfinden, was ich dachte, denn seine Blicke schweiften rund umher, seine Lippen zuckten spöttisch, und wie er die Frankenburg sah, die zur Seite im hellen Morgenschein lag, blieb er einen Augenblick stehen.
Das alte Mauer- und Thurmwerk, sagte er, dauert Jahrtausende. Da ist noch das Fenster, wo der alte Kaiser Karl sein liebeheißes Töchterchen belauschte. Das Fenster, ja; der leere, hohle Raum. Aber wo ist der Kaiser, wo die blauäugige Emma?! Glaube mir, rief er mit einer wegwerfenden Handbewegung, das Menschenleben ist ein so verächtliches Geschenk, daß, wer es plötzlich wegwirft, nichts daran verliert. Was nützt es mit seinen namenlosen Leiden und Schmerzen, was nützt es selbst mit seiner reichsten Huld?! Ueber Nacht vielleicht schon beginnt der lange, finstere, entsetzliche Kampf mit dem Gespenste Tod; das Nagen, Brennen und Erwürgen; eine Schlange, die sich langsam um unsere Brust windet. Und wenn es hoch kommt, das Alter, das freudlose, gebückte, schleichende, wo man vergessen und verhöhnt in seinen Schwächen endlich in die wartende Grube fällt. Fort, fort damit! Hat es nicht etwas Edles, Herrliches, so jung und voller Kraft sich in sein Grab zu legen?
In dem Augenblick erhob er sein Auge und erblickte seinen Gegner, der unter den Bäumen an dem seltsamen alten Mauerwerk stand.
Da sind sie schon, sagte er, und da steht ein Wagen an der Straße. Dort kommt auch ein zweiter und dritter Mann dazu. Ein Zeuge und ein Wundarzt, gut, sie haben für Alles gesorgt.
Wir näherten und begrüßten uns höflich. Einen Augenblick zog Moritz die Stirn finster zusammen, als er in dem Begleiter seines Gegners den jungen Officier erkannte, der Carolinens Gunst so schnell erworben hatte, dann aber sagte er leise lächelnd:
Sonderbares Geschick; der Eine will mein Leben, weil ich ein Mädchen verließ, der Andere hilft ihm dabei, um bei der Zweiten in meine Stelle zu treten.
Der junge Mann näherte sich uns und machte mir die Mittheilung, daß eine passende Stelle ein Streckchen weiter von der Straße zu finden sei, wo sich zwischen Büschen die Spuren der alten Römerstraße hinziehen, welche einst hier die entfernten Castra verband. Langsam, unter gleichgültig gewechselten Worten, erreichten wir den Platz, und alle nöthigen Vorbereitungen waren in den nächsten Minuten getroffen. Die dritte Person, der Wundarzt, legte sein Besteck auf einen großen Stein und beschäftigte sich mit seinen Sonden, Nadeln und Binden. Mariens Bruder warf den Rock ab, langsam folgte Moritz seinem Beispiele, und während dieser Zeit maßen wir Arm in Arm, zehn Schritt, bezeichneten die Plätze, luden die Mordgewehre und trafen alle die schrecklichen Vorbereitungen, welche einem Zweikampfe vorangehen müssen.
Beide Kämpfer standen sich gegenüber und Beide richteten zugleich einen ernsten Blick auf sich. Es schien, als kämpfe der Beleidigte mit streitenden Empfindungen, aber streng, fest und stolz ruhte sein Auge auf seinem Gegner, der ihn sinnend betrachtete.
Ich glaube, wir sind bereit, sagte der Sekundant.
Die Waffe in der Hand trat ich zwischen Beide.
Noch einen Augenblick, sagte ich. Dies blutige Werk soll nicht geschehen, ohne einen letzten Versuch zur Sühne. Bedenken Sie, daß Sie einst Freunde waren; bedenken Sie auch, daß, was hier erfolgen mag, es niemals Ersatz bietet für verübtes Unrecht. Gibt es kein Mittel, zu einem besseren Ziele zu gelangen?
Mein Herr, erwiderte der junge Soldat, indem er seine Mütze zornig ins Gesicht rückte, fragen Sie sich, welches Mittel es geben kann, eine sterbende, betrogene Schwester zu neuem Leben zu erwecken. Fragen Sie den Mann, der sie dahin brachte, ob er einen Weg weiß, der das versühnt?
Nein, sagte Moritz, es gibt keinen.
Den einen gibt es, rief sein Gegner mit rachedürstendem Blick. Nimm das Pistol, Du oder ich, keine Worte mehr.
Moritz drückte mir die Hand, dann trat er auf seinen Platz. Sie schossen zusammen, es war, als hörte man einen Schuß fallen. Beide standen fest, als der Dampf zur Seite trieb, und blickten sich schweigend an. Wie ich näher lief, ließ Moritz das Pistol fallen, dann schwankte er und plötzlich sank er regungslos in meinen Arm.
Ich legte ihn auf den Rasen nieder; Blut quoll aus seiner Brust. Der Wundarzt entfernte die Hand, welche er fest darauf preßte. Bleich und düster sah sein glücklicher Gegner unsern Bemühungen zu.
Ist keine Hülfe möglich? fragte er mit gepreßter Stimme.
Fort mit Dir, rief sein Freund, und zog ihn am Arm zurück. In drei Stunden mußt Du in Belgien sein. Er ist todt.
Nein, sagte der Wundarzt leise, er lebt. Was haben wir hier? Ein Medaillon mit einem Bildnisse, das hat die Kugel getroffen, zerschmettert ihm in die Brust gedrückt, dann hat sie ihren Weg an den Rippen hin genommen. Er lebt und wird wieder aufkommen, aber er wird lange zu leiden haben.
Bei diesen Worten reichte er dem heftig Bewegten das zerbrochene, blutige Bild seiner Schwester.
Marie! rief er, und preßte es zwischen seinen Fingern zusammen, Du mußtest ihn erhalten, und er – er trug Dein Bild und verließ Dich!
Er kniete an Moritz Seite nieder, unterstützte ihn und hielt ihn noch in seinen Armen, als dieser die Augen aufschlug.
Mein Bruder, sagte er leise, bist Du versöhnt?
Warum zwangst Du mich! rief dieser schmerzlich; warum sagtest Du nicht: Sieh hier, ich trage Mariens Bild noch jetzt, ich will bereuen.
Konnte ich das, durfte ich es? Nein, noch jetzt sage ich laut: es mußte so sein!
Nein, nein! erwiderte der junge Mann, ihn angstvoll, liebevoll anblickend; aber jetzt, Du wirst leben, wir werden versöhnt sein.
Du und Marie, wir Alle! Versöhnung, Verzeihung! sagte der Verwundete heftig bewegt. O, wie danke ich Dir für diesen Trost!
Soll ich Dich zu ihr bringen, willst Du sie sehen? fragte der Bruder leise.
Ja, führe mich zu ihr, rief Moritz und versuchte aufzustehen, sie wird gerecht und gütig meine Schuld richten.
Langsam führten wir ihn zum Wagen, und Niemand unterstützte ihn sorgfältiger und liebender, als Der, welcher wenige Minuten vorher so begierig nach seinem Blute war. Er hielt seine Hände in den seinen und sprach zu ihm trost- und hoffnungsvoll. So ist der Mensch: ein Spiel seiner Leidenschaften, von der Minute getrieben und ihr verfallen.
Jetzt hielten wir an dem Hause; Moritz hatte sich erholt; die Aufregung, der Gedanke an Das, was er wollte, machten ihn stark. Nur leise stützte er sich auf meinen Arm und folgte dem Voraneilenden. Plötzlich blieb dieser in der geöffneten Thür stehen.
Zurück! rief er, und hielt uns auf, es ist zu spät!
Mit furchtbarer Gewalt stieß ihn Moritz zurück. Da lag sie ausgestreckt vor ihm, kalt und todt –
Marie! schrie er, und stürzte an dem Bett nieder. Du kannst nicht von mir scheiden, ohne mich zu hören, ohne Vergebung, ohne Versöhnung!
Da schlug sie die Augen nochmals auf. Sie erkannte ihn, ein mattes, freudiges Zucken lief über ihr Gesicht, jetzt hob sie plötzlich beide Arme und streckte sie nach ihm aus. Er drückte sie an sein Herz, ihre Lippen flüsterten leise seinen Namen, dann sank ihr Kopf matt auf seine Schulter – sie war todt.