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[Fünfter Theil.]

Herz und Welt.


» Und nun, Du, mein väterlicher Freund,« rief der junge Gutsherr gerührt, indem er beide Arme um den alten Mann schlang, welcher ihn wehmüthig betrachtete, »nun laß mich vergessen, daß ich einen zärtlichen Vater verloren habe. Lange bin ich entfernt gewesen, Ihr wolltet es so. Ich sollte die Welt kennen lernen; und nun habe ich die Länder und die großen Städte gesehen, die man uns als das höchste Product der menschlichen Fortschritte preist, und was habe ich gefunden? Glück und Leid in etwas größerem Maßstabe wie hier, nichts Weiteres.«

»Dein Vater und wir alle hatten immer große Freude an Deinen verständigen Briefen,« erwiderte der alte Mann. »Wie Du in England warst und alle Fabriken durchforschtest; wie Du über die Vorzüge des Handelssystems schriebst und die Fortschritte nachwiesest, welche der Gutsbesitzer erringen könne, wenn er zugleich Fabrikant würde. Das erheiterte die letzten Tage meines unvergeßlichen Freundes.«

»Er starb und ließ uns allein,« sagte Georg seufzend.

»Gott segne ihn! rief er in seinen letzten Stunden noch, als er so sehnsüchtig war, Dich noch einmal zu sehen, und es doch nicht sein konnte. Georg ist mein Stolz, sagte er dann, und mit den Mitteln, welche ich ihm hinterlasse, wird er dem ganzen Lande ein Vorbild werden. Dann drückte er mir die Hand und sah mich in brünstig an. Steh ihm bei, sprach er, Du alter treuer Freund, Dir hinterlasse ich ihn. Dulde es nicht, daß er auf falschen Wegen gehe – und als er schon todt war, wie wir alle glaubten, schlug er noch einmal die müden, alten Augen auf und drinnen stand deutlich zu lesen: Dulde es nicht, alter Berthold, daß er auf falschen Wegen wandle!«

Mit zitternder Stimme sagte das der Greis und sein Gesicht war in stolzer Entschlossenheit erhoben und doch voll Schmerz. Georg trocknete seine Augen und Beide schwiegen lange, bis der junge Mann sagte:

»Es ist der Lauf unwandelbarer Bestimmungen des menschlichen Daseins, wir müssen die verlieren und begraben, die wir lieben. Daß wir dies erkennen und mit Fassung tragen, wie tief wir es auch empfinden, ist unserer Würde gemäß. Aber mein Vater soll sich nicht getäuscht haben; sein Sohn wird ihm Ehre machen, und das ist ja das höchste Glück der Eltern, in ihren Nachkommen ruhmvoll weiter zu leben. Du, lieber, alter Freund, wirst auch Dein Wort halten und mich nicht verlassen. Ich weiß auch, was Du meinem Vater warst. Treu habt Ihr beide zusammen ausgehalten und seit ich denken kann, habe ich Dich wie ein Sohn geliebt. Marie, Deine Tochter, war immer meine Schwester, und wenn ich zürnen konnte, wäre es, daß sie mich nicht empfangen hat. Wo ist sie? Warum kommt sie nicht? Sie ist krank, Berthold, und Du verschweigst es mir!«

»Sie ist gesund,« erwiderte der Vater, »Du sollst sie sogleich sehen, doch erst laß uns weiter sprechen.«

Er richtete seinen dürren hohen Körper militairisch grade auf und sein Gesicht nahm einen besondern Ernst an. Georg mußte ein Lächeln unterdrücken, als er ihn betrachtete, denn der alte Herr sah sehr wunderlich aus. Er hatte eine Uniform angezogen, die fadenscheinig, da und dort zerrissen und künstlich zusammengenäht, ein Bild der Unvollkommenheit aller Menschenwerke lieferte. Es war ein Rock, wie ihn die Armeechirurgen zur Zeit der Befreiungskriege trugen. Auf der Brust saß das Kreuz der Tapferen neben der Kriegsdenkmünze und einem andern Orden, aber das Kleid war seinem Eigner viel zu weit geworden. Es schlotterte hin und her. Der große Degen an seiner Seite sah durch die durchlöcherte Scheide und der dreieckige Hut, den er in der Hand hielt, war sichtlich eine Beute der Zeit und gefräßiger Insekten geworden.

»In meinem festlichen Kleide empfange ich Dich heut',« sagte Berthold mit feierlicher Stimme, »weil ich Dich ehren und mich der Lage erinnern will, wo ich es trug, wo es neu und ganz war. Am Tage der Schlacht auf dem Montmartre trug ich es, und siehst Du hier die dunkeln Flecke, Georg? Es ist Deines Vaters Blut! Auf meinen Armen trug ich ihn fort; es ist eine alte lange Geschichte, mein Kind, die ich nicht wiederholen will.«

»Er dankte Dir sein Leben,« sagte der junge Mann gerührt.

»Er sagte es und glaubte es auch,« erwiderte Berthold. »Als er geheilt war, sprach er: Mein Bruder, ich gehe nach Haus; ich habe genug für uns Beide, willst Du mit mir ziehn? Es war Friede und wir gingen. Da wurde es hier auf dem großen Gute ein rüstiges Schaffen und Leben. Der Krieg hatte so viel verwüstet, nun ging es an ein Wiederbauen, und ich half, wo ich konnte. Ich war wol in der Mitte der vierziger Jahre damals, aber ich war rüstig, lernte vom Landbau und wußte manchen guten Rath!«

»Du warst der eigentliche Gutsherr und Verwalter, der die Ordnung aufrecht hielt,« fiel Georg dankbar ein.

»Ich bin immer der Doctor und der weise Mann gewesen,« sprach Berthold lächelnd. »Von nah und fern kamen die armen Leute und holten sich Rath, denn wie es so auf dem Lande ist, in Krankheit sind die Menschen verlassen; einfältig sind sie überhaupt, und wer nicht fest auf Gott vertraut und nichts thut, der wirft sich Quacksalbern in die Arme und stirbt oft elend. Da war ich bald in hohem Ansehn und dies half auch Deines Vaters Bestrebungen fort, denn ich vermittelte alle seine Verbesserungen und Neuerungen, die das Landvolk so ungern sieht. Nun wurde gebaut, Schulen wurden angelegt, Dämme gemacht, die Wiesen und Felder reparirt, und in allen Kisten und Kasten mehrte sich der Wohlstand nach und nach, Anfangs aber machte es große Sorgen und Kosten. Da starb drüben in Lichterwalde der Amtsrath und hinterließ eine reiche, mannbare Tochter. Ich überlegte es mit Deinem Vater lange; zwei Nächte waren wir wach und eingeschlossen, am dritten Morgen fuhr ich hinüber und fragte an, ob Jungfer Lottchen bei uns als Hausfrau eingehen wolle? Dein Vater war ein schöner Mann; dreißig Jahr und ein schwarzer Schnurrbart thun viel bei einem Mädchen, obenein war er Lieutenant gewesen und hatte sein Kreuz wohl verdient. Wohlhabend war er auch, sein Vater, der Amtmann, hatte das große Gut gekauft, als Geld selten war, dann die beiden anderen hinterdrein, und somit sagte Lottchen, Deine Mutter, Georg, ein freudiges Ja, und ließ ein Paar adlige Herren sitzen, die mit einem Finger nach ihr und mit den andern neun nach ihrem Geldkasten langten.«

»Nun geschah es,« fuhr Berthold nach einer Pause fort, in welcher er sich mehrmals räusperte; »nun geschah es, daß im Hause des Amtsraths eine Anverwandte lebte, ein armes stilles Kind, die nichts hatte, als sich selbst. Ich werde nichts weiter sagen, aber sie kam mit Deiner Mutter hierher und wurde meine Frau.«

»Ich erinnere mich ihrer wohl,« sagte der junge Gutsherr. »Als meine Mutter gestorben war, hat sie mich ja geliebt und gepflegt, bis ich in die Stadt gethan wurde, und wenn ich zum Besuch herauskam, empfing sie mich voll Liebe wie ihr eigen Kind. Stundenlang konnte sie zusehen, wie ich mit Marien spielte und sie lieb hatte.«

»Das ist nun Alles vorbei,« sprach der alte Doctor heftig und schnell, als suche er seine Empfindungen zu verbergen. »Es war thöricht von ihr, aber sie war ein Weib, die ihr Kind über Alles liebte und dafür ist sie nun todt.«

Georg sah ihn erstaunt an, Berthold aber schien sich recht in Zorn zu reden und sprach mit derselben Heftigkeit weiter:

»Der Tod ist ewige Vergessenheit, Georg, aber auch die Lebendigen müssen vergessen. Menschen haben oft kindische Träume ihr Leben lang, und weinen und grämen sich, wie Kinder, wenn das Spielzeug zerbricht; darum ist es gut, es ihnen fortzunehmen, wenn es noch Zeit ist, und lieber mit dem scharfen Messer den gefährlichen Auswuchs wegzuschneiden, ehe er Saft und Kraft verzehren kann.«

»Was willst Du mir damit zu bedenken geben, mein väterlicher Freund?« sagte Georg sanft.

»Wenn ich es recht sagen soll, erwiderte der Alte, »so ist es ein Wink für Deine Vernunft, die sich darin spiegeln und an die Zukunft denken soll.«

»Meine Zukunft!« rief Georg lächelnd. »Nun, ich denke, wir wollen sie so friedlich, leicht und glückselig machen, wie es immer geht. Ich komme, wie die Taube aus Noa's Arche, nach langer Irrfahrt zurück und bringe ein Blatt vom Oelbaum mit. Ich will leben, wie meine Väter lebten, ein freier Mann auf meinem Eigenthume, an der Seite eines guten häuslichen Weibes, das mich liebt, im Kreise weniger Freunde und in kräftiger Thätigkeit des Bürgers, um mein irdisches Gut zu fördern.«

»Das heißt also,« sagte Berthold aufmerksam, »Du willst bald Dein Haus bestellen und Dich vermählen.«

»Ja, bald, wenn es sein kann; und Du scheinst gar nicht zu ahnen, alter Freund, was Du doch längst wissen solltest.«

»Ich hoffe,« sprach der Doctor mit erhöhter Stimme, »Du hast keine Wahl getroffen, ohne den Willen Deines Vaters zu vernehmen. Höre durch mich, was er Dir sagen läßt. Wenn Georg, sprach er, ein Weib nehmen will, so darf es keine sein, die arm oder unter seinem Stande ist. In der Welt will Alles steigen und das ist vernünftig, denn ausgezeichneten Menschen ist Ehrgeiz eine Lebensbedingung; danach bestimmt sich ihr Schicksal, und so nur gewinnen nachfolgende Geschlechter höhere und besondere Bedeutsamkeit in den großen Völkerfamilien. Durch welches Mittel aber ließe sich leichter und besser dieser wohltätige Ehrgeiz verfolgen, als durch Verbindung mit solchen Menschen, die von alten Zeiten einflußreich schon über den Anfängen der Erhebung stehen. Es gibt eine große dumpfe Masse, die, wie Wasser, in und durch einander fließt, ein Tropfen gleicht dem anderen, sie kommen und gehen unbeachtet, aber Manche wurzeln, wie Felsen im Meere, seit vielen Jahrhunderten und lenken die Schicksale der Menschen. Zu diesen muß man sich aufschwingen, zu ihnen, und die ihnen nahe stehen, muß man gehören wollen, und wie ein altes Gebäu neue junge Stützen braucht, so muß die Verschmelzung erfolgen, dort mit Namen und altem Ruhm, hier mit Geld und Gut, der neuen Macht auf Erden.«

Georg wollte den Doctor unterbrechen, dieser aber überschrie seine Worte und fuhr fort:

»Mein Sohn hat Geld und Gut, doch der alte Name und die einflußreichen Verbindungen fehlen ihm. Wenn er aber große Entwürfe fördern will, so ist ihm mächtige Fürsprache nöthig. Georg ist nun ehrgeizig und wird einsehen, daß ich Wahrheit rede; aber er ist auch jung und den Irrthümern des Herzens unterworfen. Darum sollst Du sorgen, alter Berthold, daß er nach meinem Willen thue. Er soll das Haus des Freiherrn von Bartenstein besuchen, dessen Bruder so hoch angesehen in der Residenz und nächstens wol Minister ist. Der Freiherr sitzt auf seinem verschuldeten Gute, aber er hat eine Tochter, und wenn Georg so verständig ist, wie ich denke, wird er sie heimführen.«

»In diesem Falle,« erwiderte der junge Gutsherr schnell, »muß ich, so leid es mir thut, dem Wunsche meines Vaters ungehorsam sein. Heut zu Tage herrscht das Gesetz, Familienverbindungen gelten vielleicht manches, aber sie gelten weniger als Talent oder eifriges tüchtiges Streben, und recht im Innern widersteht es mir, mich in eine hochmüthige Familie zu drängen, wo ich mir vielleicht eine schmerzliche Kränkung, in keinem Falle aber häusliches Glück hole. Nein, mein theurer Freund, anders, ganz anders ist es schon längst bei mir beschlossen, und lebte mein Vater noch, er würde mir beistimmen. Ich bedarf nur einer stillen, einfachen Lebensgefährtin nicht eines hochgeborenen Fräuleins; ich will ein Herz haben, nicht eine Hand, und wäre sie noch so klein und weiß. Mein Vater rechnete auf meinen Ehrgeiz, aber er vergaß meine Neigungen, die mit mir groß geworden sind, und welche ich unter allen wechselnden Verhältnissen treu bewahrt habe. Ich weiß es wohl, ich bin keiner von Denen, welche über ihre Gefühle den Kopf verlieren; denn mit dem vollsten Bewußtsein dessen, was ich thue, werde ich handeln. Niemand soll mir sagen, daß ich ein Thor oder ein Kind gewesen sei.«

Der alte Doctor war während er sprach unruhig im Zimmer auf und ab gegangen, aber sein Gesicht wurde immer heiterer und endlich stand er still, faltete die Hände mit Heftigkeit und sagte:

»Mein Gott, ich danke dir, daß du mich den rechten Weg gehen ließest! Wäre es noch möglich, wer weiß was geschähe, und ob ich nicht, wenn wir uns wiederfinden, mit gesenkten Augen vor ihn treten und um Gnade bitten müßte. Nun aber ist es gut so; ich habe gethan, wie ich mußte, wie ich es im Himmel und auf Erden vertreten kann. Nicht hart und grausam bin ich gewesen; gerecht und pflichtgetreu, nichts weiter!«

Dann stand er plötzlich vor Georg still und ergriff dessen Hand.

»Du heißblütiger junger Mensch,« sagte er, »einst wirst Du mir danken, wenn Du es auch jetzt nicht erkennst. Ich sehe in Dein Herz und lese Deine Wünsche, aber nie werden sie sich erfüllen, denn ich habe einen ewigen Riegel davor geschoben.«

Georg blickte ihn erschrocken fragend an.

»Du würdest so nicht so sprechen,« rief er, »wenn Du wüßtest, was ich forderte.«

»Du forderst Mariens Hand von mir?«

»Und Du darfst sie mir nicht verweigern,« sagte Georg. »Du hast uns in wachsender Neigung erzogen, ich liebe sie, Worte und Briefe haben es ihr tausendmal gesagt.«

»Diese Briefe habe ich gelesen,« versetzte Berthold, »sie bestärkten meinen Entschluß.«

»Welchen Entschluß?« rief der Gutsherr heftig.

»Meine Tochter zu verheirathen, ehe Deine Rückkehr vielleicht meinen festen Willen in Streit mit mir und Dir brächte.«

»Und Du hast es gethan?« rief Georg, und faßte seine Hände.

»Heut sind es acht Tage,« sprach der alte Mann mit fester tonloser Stimme. »Um Sonntage Trinitatis trat Marie mit dem Förster Bolzin an den Altar. Er ist ein wackerer Mann, den ich gern als meinen Sohn auf- und angenommen habe.«

»Ihr Unglück komme auf Dein graues Haar,« rief Georg mit leidenschaftlichem Schmerz. »Du hast sie gezwungen, Du hast sie elend gemacht wie mich.«

Berthold schritt durch das große Zimmer hin und her und hörte die heftigen Klagen des jungen Mannes lange an, ohne ein Wort zu erwidern. Endlich aber stand er vor ihm still und legte die Hand auf dessen Schulter.

»Du hast Gottes Rache auf mein graues Haar herabgerufen,« sagte er, »ich nehme es an; möge sie mich treffen, wenn ich Böses that; aber nun bezwinge Deinen Schmerz und zeige die Fassung für das Unabwendbare, wie es dem Manne ziemt.«

Dann ging er hinaus und nach wenigen Minuten trat ein junges Weib mit leisem Schritt herein und blieb furchtsam stehen, als sie Georg erblickte, der auf dem Ruhebett, den Kopf in beiden Händen verborgen, saß.

Bei ihrem leisen Seufzen schreckte er empor und plötzlich aufspringend streckte er ihr beide Hände entgegen.

»Marie! meine arme Marie!« rief er heftig, »müssen wir uns so wiedersehen. Sie haben Dich gezwungen, unglücklich gemacht, gewaltsam Gottes heilige Gebote zwischen uns geworfen, aber wenn Du Muth hast; Marie –«

Er sah sie prüfend an, sie weinte sanft und sah bittend zu ihm auf. Ihr glänzend braunes Haar lag in zierlichen Flechten, wie sonst, an Schläfen und Nacken, die großen hellen Augen und die frischen Farben ihres hübschen Gesichts waren ganz wie sie sonst waren, und ihr sauberer ländlicher Anzug mit dem vielbeknopften Mieder rief tausend alte Erinnerungen in ihm wach. Er umfaßte den schönen kräftigen Körper mit Innigkeit und drückte heiße Küsse auf ihre Lippen, die sie leise sträubend erwiderte. Plötzlich ließ er sie los, denn die Wahrheit fiel ihm ein, und Zorn und Schmerz verbanden sich mit schnell erwachten Zweifeln.

»Ist es keine Lüge,« rief er, »haben sie Dich an den Altar geschleppt, oder will man mich täuschen und soll ich es von Dir erfahren?«

»Ich bin verheirathet,« sagte Marie leise.

»Warum sagtest Du nicht nein!« rief Georg: »Warum sträubtest Du Dich nicht?«

Marie schwieg, aber ein höheres Roth flog durch ihr Gesicht. Sie schlug die Augen nieder.

»Dein Vater zwang Dich also,« sagte er finster.

»O! nein, nein!« erwiderte sie.

»Und Du,« sprach Georg vorwurfsvoll, »Du fügtest Dich freiwillig.«

»Er las die Briefe,« antwortete sie zögernd, »dann sprach er mit mir väterlich und sagte mir Vieles. Welche große Hoffnungen der alte Herr von seinem einzigen Sohne hegte, welche Sünde es sei, diese zu zerstören, und wie er niemals seinen Segen zu einer solchen Verbindung geben könne, die gar nicht zu meinen Ansprüchen passe. Das sah ich wohl ein,« fuhr sie demüthig fort. »Arm, von schlichtem Verstande, unbekannt mit der Welt, wie hätte ich wohl einem Manne genügt, der so reich und so klug ist. Nein, nein!« rief sie in Thränen ausbrechend, »Gottes reichster Segen sei mit Dir, mein liebster Georg! Ich bin als eine arme Magd geboren, und will es auch mein Leben über bleiben; aber wenn ich höre, daß Dir Glück und Ehre zufließen, dann will ich auf meinen Knieen den Himmel preisen, der unsere Wege geschieden hat. Und glaube nicht, daß ich unglücklich bin,« fuhr sie fort. »Der Mann, der mich wählte, hat lange um mich geworben, er liebt mich von Herzen, und Du wirst uns und meinen alten Vater nicht verstoßen.«

»O! Marie,« sagte Georg leise, »warum verstießest Du mich, warum wolltest Du nicht Alles mit mir theilen, was ich besitze?«

»Des Vaters Segen baut Häuser auf,« flüsterte sie zitternd, »aber sein Fluch bringt ewiges Verderben.«

Dann sah sie ihn liebevoll lange an und sagte mit sanfter Stimme:

»Leb' wohl, Georg, zum letzten Male nenn' ich Dich Du. Es hat nicht sein sollen, nicht sein können, das bedenke, und, wie ich hoffe glücklich zu werden, so wird sich auch für Dich Alles passen und schicken.«

Sie wischte die Thränen aus ihren Augen. Georg hielt ihre Rechte, aber sie zitterte heftig und sagte mit erlöschender Stimme:

»Gott wird mir Muth schenken in dieser letzten harten Minute. Ich höre meinen Vater und meinen Mann kommen, sie wollen uns nichts sparen, um die Herzen festzumachen.«

Bei diesen Worten versuchte sie zu lächeln und wendete den Kopf gegen die Thür, durch welche der alte Doctor mit dem Förster hereintrat. Bolzin war ein junger, hübscher Mann, dessen offenes Gesicht durch große ernstblickende Augen einen strengen und fast kühnen Ausdruck erhielt. Wie ihm Marie entgegen kam und ihn freundlich anlächelte, konnte man deutlich sehen, daß Kummer oder Mißmuth aus seinen Zügen verschwanden und seine Blicke voll besorgter Liebe sich auf ihre rothgeweinten Augen richteten. Marie führte ihn zu dem jungen Gutsherrn und sagte leise:

»Das ist mein Mann, gnädiger Herr. Sie werden sich seiner wohl kaum erinnern, aber er war schon mehrere Jahre im Dienste Ihres Herrn Vaters, der ihn werth gehalten hat.«

»Und dies,« erwiderte Georg, »ist nicht der einzige Grund, um sein Vertrauen auf mich zu vererben. Herr Bolzin, Marie ist von Jugend auf meine Schwester gewesen, ihr Vater mein zweiter Vater; machen Sie sie glücklich und ich werde immer Ihr Freund sein.«

»Gnädiger Herr,« erwiderte der junge Förster ehrfurchtsvoll, »in Liebe haben wir unsern Bund geschlossen, Marie soll niemals bereuen, daß sie mich wählte.«

Man sah es Georg an, wie schwer es ihm wurde, seine Empfindungen zu bemeistern, aber in wenigen Minuten, und nachdem der Doctor ihm zu Hülfe gekommen war, lief das Gespräch über wirthschaftliche Gegenstände hin und in kurzer Frist hatte der junge Gutsherr Festigkeit genug gewonnen, um auf die Heirath seiner Adoptivschwester selbst zurückzukehren, seine Glückwünsche auszusprechen und ihrem Manne eine Gehaltserhöhung, als sein erstes Geschenk, zuzusichern. Bald wußte er aber den Besuch zu entfernen, der ihm zur unermeßlichen Qual wurde, je länger er Marien beobachtete, die bei den verständigen, bescheidenen Antworten ihres Mannes eine Art von Genugthuung zu empfinden schien und ängstlich fragend und bittend auf Georg blickte, als wollte sie seine Verzeihung mit einem schmerzlichen Lächeln abkaufen.

Die jungen Leute gingen hinab, weil der Förster im Verein mit den Verwaltern des großen Guts einen festlichen Zug zur Ehre des heimgekehrten Herrn veranstaltet hatte, und während nun draußen die geputzten Landleute mit Musik und Kränzen und flatternden Bändern heranzogen, die Kinder unter Anführung des Schullehrers, eine schreckliche Cantate anstimmten und absangen, und endlich unter den Lebehochs und Hurras Georg aus dem Fenster eine Dankrede hielt, deren Schluß: daß nämlich auf seine Rechnung getanzt und geschmaust werden sollte, unendlichen Jubel hervorbrachte, ging der alte Doctor, den kleinen Hut auf dem Kopf und den Arm in die Seite gestemmt, mit stolzen Schritten auf und ab und betrachtete von Zeit zu Zeit mit funkelnden Augen seinen Zögling. Endlich konnte er es nicht länger ertragen, daß Georg schweigend und in tiefem Ernst auf die bunte Lust herabblickte, welche sich jetzt unter den alten Linden des Schloßhofes erhob.

»Ich gehe auch hinunter, um meinen Theil an der Freude zu haben, der Festgeber aber darf dabei am wenigsten fehlen. Laß die guten Menschen, die Dich alle lieben, nicht zu lange warten.«

»Willst Du mir durch diese Liebe etwa ersetzen, was Du mir genommen hast?« fragte Georg ihn finster anblickend, als er vor ihm stehen blieb.

»Ich habe meine Pflicht gethan,« erwiderte der alte Mann, »und glaubst Du etwa, junger Mensch, daß sie mir leicht geworden sei? Ich habe auch ein Herz, für mein Kind und für Dich, aber er, der auf uns herabsieht, sagte: Sieh zu, alter Berthold, daß er immer auf dem rechten Wege bleibt, und daran sollst auch Du denken, Georg.«

»Ich denke daran,« rief der Gutsherr, »Du sollst mich nicht mehr mahnen. Aber hätte Marie mich geliebt, hätte sie gehalten, was sie mir gelobte, Du hättest uns niemals trennen können.«

»Du siehst, wie die Mädchen sind,« sprach der Alte lächelnd. »Marie ist ein verständiges Kind, nun hat sie einen wackern Mann und ist nicht unglücklich.«

Georg wendete sich heftig um.

»Hat sie mich vergessen,« rief er, »ich kann es nicht, ich niemals. Aber ich danke Dir, Du bist ein guter Arzt, Du hast mir den ganzen bittern Trank mit einem Male gereicht, sterben werde ich nicht davon.«

Berthold zuckte mit einem leisen Lächeln die Schultern und sagte:

»Du bist noch herzlich krank, aber Du wirst gesund werden.«

»Du hast Recht,« erwiderte Georg, »ich werde diese Schwäche überwinden und meine Pflicht thun. Ich gehöre, dem Himmel sei Dank! nicht zu den Naturen, die in ihren Gefühlen untergehen. Meine Welt ist die reale, das wird mich mehr trösten als alle Worte. Es giebt hier genug zu thun und zu schaffen. Mein Vater hat mir Arbeit hinterlassen! ich werde Maschinen kommen lassen, Fabriken anlegen und im Geräusch eines thätigen, bewegten Lebens meine Ruhe wiederfinden.«

Der alte Mann gab theilnehmend seine Zustimmung, indeß seine Augen ganz voll Lustigkeit waren.

»Du wirst Ruhe finden und ein neues Leben beginnen,« sagte er.

Georg sah ihn finster an.

»Ich werde einsam sein und bleiben,« sagte er. »Du hast gethan, was Du mußtest; ich werde thun, was ich muß. Laß uns von: Allem schweigen.«

»Amen!« erwiderte Berthold, »und nun laß uns hinabgehen.«

Sie gingen und der junge Gutsherr ward sogleich von den freudigen Menschen umringt. Die alten Leute drängten sich herbei, brachten alle ihre Erinnerungen aus seinen Kinderjahren hervor und freuten sich, daß er seinem Vater so ähnlich sehe und auch gar nicht stolz sei, da er Allen die Hände reiche und freundlich mit ihnen rede. In dem Leben der Gutsherrn und ihrer Insassen besteht der alte patriarchalische Zug noch, der sie, auch ohne Zwang und Hörigkeit, verbindet. Der gütige Herr wird freiwillig verehrt; aber die Entwicklung der bürgerlichen Freiheit und der Gesetze haben ihnen schon so viel Rechte und Nachdenken gegeben, den Hochmüthigen weit mehr zu hassen, als zu fürchten. Georg aber grüßte seine Spielgenossen, sprach und scherzte mit Allen und behielt doch die zurückhaltende Würde, welche der Herr, dem Landvolk gegenüber, niemals aufgeben darf.

Dann begann der Tanz und er konnte es nicht abschlagen, den Reigen mit einer hübschen Dirne zu eröffnen. Vergebens aber sah er nach Marien umher, die er nirgend entdecken konnte. Den alten Doctor, der gravitätisch durch die Menge ging und dem man überall mit ungeheuchelter Ehrfurcht Platz machte, mochte er nicht fragen, und der Förster, den er zuletzt im Kreise der ländlichen Honoratioren erblickte, schien seine durchdringenden Blicke so beobachtend auf ihn zu heften, daß er davon abstand, sich ihm zu nähern.

Unbemerkt entwand er sich der Menge und ging durch den Park, den der Mond mit einem stillen Lichte zu erhellen begann. Die alten Bäume rauschten ihm ihr leises Willkommen zu, die Blumen und Halme nickten und wiegten in dem sanften Windeswehen und der Spiegel des kleinen Sees, den er so oft als Knabe mit Marien befahren, um Wasserlilien zu sammeln, schimmerte in dem blassen Gefunkel. Hohe Buchen hielten ihre Aeste weit über das Wasser ausgestreckt, und ergriffen von sehnsüchtigen und schmerzlichen Empfindungen warf sich Georg an einem der weißleuchtenden Stämme nieder zu überdenken, was ihm geschehen.

Das Rauschen der kleinen Wellen, die leise klingend im Sande verrollten, die wohlthuende tiefe Bläue und der Glanz des Himmels, das sanfte Athmen des Waldes und der Strom kühler reiner Luft, der über ihm hinzog, vereinte sich, um ihm höhere Kraft und Entschlossenheit zu geben.

»So ist es denn entschieden,« sagte er leise, »und von Allem, was ich wollte und hoffte, erfüllt sich nichts. Aber meine Entschlüsse sind gefaßt: Hier will ich ein geschäftiges und doch stilles Leben führen und kein Sklave eines Ehrgeizes sein, der mit seinen Ketten mich todtdrücken würde. Ich werde mich weder beugen noch schmiegen. Das formenvolle, kleinliche Treiben der Menschen ist mir verhaßt. Marie! werde glücklich, warum hattest Du keinen festeren Muth?«

In diesem Augenblick hörte er hinter sich auf dem Wege die Schritte und Stimmen zweier Männer und er erkannte sie sogleich. Der Eine war der Förster, der andere der Schullehrer des Dorfes. Der blasse junge Mensch mit frommen Augen und lang gescheiteltem und hinter die Ohren gekämmtem Haar, war ihm gleich aufgefallen, und man hatte ihm erzählt, daß er ein Vetter Bolzins sei, der aus dem Seminar auf seine Verwendung von dem alten Herrn angestellt wurde.

»Ich danke dem Herrn,« sagte der Lehrer, »daß ich von dem Taumelplatz, der Sünde mich entfernen kann, welcher mir ein Gräuel ist. Da feiern sie die Ankunft eines weltlichen Mannes mit Tanzen, Singen und Flötenspiel und bedenken nicht, daß der König der Könige nur empfangen werde mit Hosianna! Lob sei dir in der Höh! und das Volk ging in den Tempel und betete. Du aber hast das Alles angestiftet, Du bist doch noch immer der alte, sündige Mensch.«

»Du siehst,« erwiderte der Förster lachend, »daß ich auf dem Wege zur Bekehrung bin. Ich selbst tanze nicht und Marie ist still nach Haus gegangen.«

»Ein tugendvolles, gottgefälliges Weib ist der höchste Schatz auf Erden!« sagte der Lehrer im frommen Tone.

»Und Marie ist der Schatz aller Schätze!« rief Bolzin mit dem Ausdruck leidenschaftlicher Liebe. »Ich darf es ihr gar nicht merken lassen, wie ich ganz vernarrt bin, und wie mein Herz sich im Busen umgekehrt hat.«

»Was man sagte von einer Bekanntschaft mit dem jungen Herrn ist daher auch sicher eine Lüge!« flüsterte der Schullehrer.

»Keineswegs,« erwiderte Bolzin schnell, »es hat ganz seine Richtigkeit. Sie hat es mir selbst gesagt und hat mir die Briefe auch gezeigt, ehe wir sie alle verbrannten. Warum sollten sich die nicht lieben, die nebeneinander aufwuchsen? Das ist nun aber alles vorbei. Der alte Herr hatte die Heirath auf dem Sterbebett verboten, und wie solche Jugendbekanntschaften sind, heiße Liebe ist selten dahinter. Sie fiel mir um den Hals, küßte mich und sagte: So wahr mir Gott helfe, ich will Dein treues Weib sein! und wie ich in ihre Augen sah, wußte ich, daß sie es ehrlich meinte.«

»Weißt Du es auch ganz gewiß?« sagte der Lehrer leise.

»Jetzt wenigstens weiß ich es und meine Angst hat ein Ende; denn ich habe ihren Abschied von dem jungen Herrn gesehen. Sie hatte so viel Furcht, wie ich, vor dem Augenblick, wo sie vor ihn treten sollte, und sagte tausendmal: Wenn es doch nur erst vorbei wäre! Ich sah die Freude in ihren Augen, als ich hereintrat; nachher küßte sie mich und weinte, als wollte ihr das Herz zerbrechen, und dann rief sie: Nun ist alles gut, nun laß uns glücklich sein, wohl mir, daß diese Stunde vorüber ist.«

Der Schullehrer sagte:

»Ihr werdet glücklich werden, wenn Ihr den Weg der Gnade verfolgt und mit reuigem Herzen zu dem Erlöser.,fleht, daß er Eure Sünden vergebe, denn Ihr habt Beide zu bereuen. Heut bin ich bei dem Weibe in Lichterfelde gewesen.«

»Siehst Du, Vetter,« rief der Förster, »wenn etwas mein Herz beschwert, so ist es das! Ich habe thöricht und schlecht an ihr gehandelt, denn ich kann es nicht leugnen, ich habe ihr einst die Ehe und alle Ehre zugeschworen, und möchte gern gut machen, wie es geht. Daß sie hierher ziehen will mit dem schlechten Kerl, an den sie sich gehängt hat, ist mir gar nicht recht, denn ich müßte sie dann oft sehen. Biete ihr Geld, handle mit ihr, aber mache, daß sie mir nicht unter die Augen kommt.«

»Das ist Gottes Strafe auf Erden,« sagte der blasse Mensch, »daß der Richter da erwacht, wo kein irdischer Richter strafen kann. Mitten im Herzen ist ein Punkt, da steht ein Palast ganz von klaren Diamanten, durchsichtig funkelnd, und jede That wird da eingemeißelt auf ewig, und leuchtet Tag und Nacht. Erst lachen die Sünder, aber die Schrift brennt mit höllischen Flammen, die unermeßliche Qualen machen.«

»Du meinst das Gewissen und seine Pein,« sagte der Förster. »Aber was befreit davon?«.

»Nur der Glaube,« rief der Lehrer und streckte die Hände aus, »nur die Gnade, welche wie das Manna der Wüste herabträufelt und erquickt. Bete, bete und glaube, wenn Du Verzeihung erwerben willst.«

»Du bist ein Narr,« sagte Bolzin lachend, indem er ihn rüttelte. »Du brütest und hockst zu viel in Deinem kleinen Hause und steckst mit Deinen Träumereien an. Komm zu mir hinaus in den grünen Wald, sieh, wie ich mein Weib liebe, wie ich meine Kinder herzen und alles vergessen werde in meinem Glück. Und nun komm, es wird spät, wir wollen nach Haus gehen.«

Als sie fort waren, saß Georg noch lange und dachte über ihr Gespräch nach. Was er gehört hatte, verwundete seine Gefühle noch mehr, indem es ihn zu gleicher Zeit beruhigte.

Wenn es wahr wäre, sagte er sich selbst, daß sie diesen ehrlichen Burschen liebt, der in seiner Weise klug und tüchtig ist, und daß es nur darauf ankam, die böse Stunde meines Wiedersehens zu überwinden, so hätte ich wenig zu bereuen. Doch nein! Marie ist ein Weib, sie weiß ihre Empfindungen zu verbergen, und während sie um mich und ihr Unglück weint, glaubt er wohl, daß es ihm und seinem Glücke gilt.

Langsam kehrte er jetzt zu dem ländlichen Feste zurück, wo seine Gegenwart einen neuen Grad der Freude hervorrief, und war es die Unruhe seines Geistes, welche einen Ausweg suchte, oder die veränderte, zur Festigkeit gelangte Stimmung, er war fröhlicher und theilnehmender geworden. Lange theilte er die Lust seiner Gäste und spät erst verließ er sie, als der Doctor, der Alles wohl bemerkte und in der glücklichsten Laune war, das Zeichen zum Aufbruch gab.

 

Vom nächsten Morgen an aber begann der junge Gutsherr seine Thätigkeit bei den Verwaltungsgeschäften mit großem Eifer. Er untersuchte Alles, belebte den Fleiß seiner Arbeiter und die Aufmerksamkeit der Aufseher durch seine Gegenwart und zeigte durch seine Bemerkungen, wie durch die Einführung mancher neuer landwirthschaftlicher Verbesserungen, daß er nicht unnütz studirt habe und gereist sei.

Die Vergrößerung der Wirthschaftsgebäude, der Bau einer neuen Mühle, die Ueberrieselung der Wiesen, die Anpflanzungen in den Forsten und viele andere nützliche Dinge beschäftigten ihn den ganzen Sommer über, bis andere neue und große Projekte ihn ganz in Anspruch zu nehmen schienen. Da sollten die Brennereien vergrößert werden, um den Viehstand vermehren zu können, die Schafheerden wurden verbessert, an dem rasch strömenden Waldbach wollte er eine Papierfabrik erbauen und in der nahen großen Handelsstadt schloß er Uebereinkommen mit kundigen Leuten und Technikern, die zu ihm kommen und eine Rübenzuckerfabrik einrichten sollten.

Der alte Berthold ließ Alles geschehen und gab seinen guten Rath, wo und wie es gefordert wurde, ohne zu hemmen und zu hindern. Je mehr der junge Gutsherr auf seinem Eigenthum selbst schaltete und waltete, um so mehr zog sich der alte Mann von dem Ehrenposten seines Alter ego zurück, den er so lange ruhmvoll eingenommen hatte; aber es war ein freiwilliger freudiger Rückzug, der eigentlich kaum merklich war, denn, nach wie vor, sah man die hohe dürre Gestalt auf dem kleinen alten Pferde über die Felder stolpern, doch befahl er den Leuten nicht mehr, sondern sah Alles ruhig an, und nur wenn einer der Verwalter kopfschüttelnd oder spöttisch von all den neuen Einrichtungen sprach, schärfte er ihm nachdrücklich ein, daß er des Herrn Willen zu gehorchen und nicht daran zu kritteln habe.

In dieser stillen Thätigkeit verharrte der alte Berthold, aber sie war seinem Pflegesohn nützlicher, als dieser meinte. Es schien sein fester Plan zu sein, alle Last auf die jungen Schultern zu werfen, um zu prüfen, wie viel sie tragen könnten und mit welcher Ausdauer. Dahinter lauerten seine versteckten Plane und zuweilen ließ er seine großen, grauen Augen so forschend und listig lächelnd auf Georg fallen, wenn dieser erhitzt und ermüdet heimkehrte und mancherlei Verdruß und Fehlschlag ihn erwartete, als wollte er fragen: Bist Du denn noch nicht am Ziele, wo ich Dich haben will?

Von Marie und ihrem Mann war zwischen Beiden nicht die Rede. Berthold wanderte zwar oft hinaus nach dem Waldhause und brachte einen Gruß mit, aber Georg vermied jede weitere Frage. Der Förster kam in seinen Dienstgeschäften häufig, und der Gutsherr konnte nicht umhin, den verständigen Mann zu achten, der über Alles ein richtiges Wort zu sagen wußte und einen glücklichen Blick für jede mögliche Vervollkommnung der Forst- und Feldkultur hatte. Trotz dessen war er Georg eine widerwärtige Erscheinung; denn er war ein glücklicher Nebenbuhler, in dessen Nähe sein Herz noch immer fühlbar pochte. Nie sprach er von seiner Frau, aber Georg fühlte, daß er glücklich sein müsse, und lieber machte er den weitesten Umweg, ehe er sich entschloß, dem kleinen engen Hause zu nahen, um es mit eigenen Augen zu sehen.

 

So war der Herbst herangekommen, die Arbeiten des Landmannes wurden geringer, die Zeit der Muße und des Vergnügens mehrte sich, und die Jagd mit ihren blutigen Freuden half die Einsamkeit des Landlebens zerstreuen. Georg war von Natur wenig zu diesem grausamen Vergnügen geneigt, noch weit mehr fühlte er aber jetzt eine Abneigung gegen eine Lust, die so wenig geeignet war, den schwermüthigen Ernst zu verscheuchen, der seine Einsamkeit begleitete. Was er unternommen hatte, begann schon jetzt ihn zu drücken. Er fühlte die Leere seines Lebens, einen Ueberdruß an den Beschäftigungen und Entwürfen, der ihm zur bittersten Plage ward, und der Gedanke, in diesem Streben und Mühen alt zu werden, erregte ihm Grausen.

Je unwilliger er wurde und je mehr die Wirklichkeit mit seinen feurigen Empfindungen in Streit gerieth, um so genauer beobachtete ihn Berthold, der seit einiger Zeit viel gesprächiger und zuthulicher geworden war. Er schien Georgs Muth ermuntern zu wollen, wenn er mit ihm von den Erfolgen sprach, die seine Spekulationen in wenigen Jahren haben müßten, und je weniger er ihm verschwieg, welche spöttische Geschichten auf seine Kosten bei den Nachbarn cirkulirten, die den jungen Herrn bald als einen Thoren, bald als einen unwissenden durch Bücherweisheit verdrehten Menschen betrachteten, der sein väterliches Erbe in albernen Unternehmungen verzetteln würde, um so glänzender malte er dagegen die Beschämung dieser am Alten klebenden Lästerer aus.

»Freilich,« sagte er, »gehört Ausdauer dazu und eine unermüdliche Thätigkeit, aber wer hätte diese auch in dem Maße, als Du?! Niemand hat Dich besser erkannt als Dein Vater, wenn er mit seinem stolzen Lächeln sagte: der Georg wird sie Alle beschämen, der hat die rechte Energie des Ehrgeizes, der das Schwerste ein Spiel ist.«

Der junge Gutsherr antwortete nicht, er betrachtete die Modelle einiger Maschinen, die auf dem Tische standen und Berthold sagte lachend:

»Ich dagegen hätte kaum geglaubt, daß Du jemals großen Geschmack an solchen Dingen, wie diese da, haben würdest. Du warst ein wilder Knabe, der nirgend Ausdauer besaß; auch machtest Du sogar Verse, Deine Briefe waren phantastisch und nirgend wollte sich der praktische Geist zeigen, der nachher, wie durch ein Wunder, Dich ergriffen hat. Nun gibt es aber, wie Du weißt, zwei Klassen von Menschen, solche, die immer in der Luft und andere, die auf der festen Erde leben und diese, wie sie nun einmal ist, erkennen und benutzen. Jene sind die Phantasten und Poeten, diese halten es mit der Realität, und Du beweist es am besten, daß diese praktischen unermüdlich schaffenden Menschen glücklich in ihrer arbeitsamen, kühnen Ausdauer sind.«

»Ich frage nichts nach dem Urtheile meiner Nachbarn,« rief Georg.

»Sie urtheilen, wie sie es verstehen,« meinte Berthold, »und eigentlich kennen sie Dich auch gar nicht; Du hast die wenigsten besucht.«

»Weil ich mich langweile.«

»Richtig, es sind größtentheils einfache und eingebildete Menschen; aber leben und leben lassen ist ein altes Sprüchwort und dann heißt es weiter: Gott verleihe uns gute Nachbarn und dergleichen.«

»Die besten Nachbarn,« erwiderte Georg, »sind die, welche sich um uns gar nicht kümmern.«

»Auch sehr wahr,« lachte der Alte, »aber eben so unmöglich. Du bist ja ein Realist, folglich ein Menschenkenner und mußt das wissen. Aber,« fuhr er fort, als er den forschenden Blick seines jungen Freundes wahrnahm, »Du übertreibst es mit Deinem Nützlichkeitsprinzip und im Stillen habe ich mich schon mit manchen Sorgen darüber umhergeschlagen. Jeder Arbeiter hat seine Feierstunde, und der Herr selbst, als er die Welt schuf, ermattete und ruhte aus. Du aber ruhst niemals. Freilich wol gibt es Wesen, die in der Arbeit selbst die Ruhe und das Vergnügen finden, aber man muß es nicht übertreiben. Deine einzige Erholung ist still zu sitzen, um Bücher zu lesen oder zu schreiben, denn seit einiger Zeit liegt der Staub dicht auf Deinem Instrument. Du wendest Dich von allen Freuden der Welt und verkehrst ganz allein mit Deinen großartigen Entwürfen. Wie die Vögel singen, wie der Himmel blau und die Sonne goldig ist, scheinst Du gar nicht mehr zu wissen; in Deiner arbeitsamen Emsigkeit vergißt Du ganz, daß man auch für andere Zwecke leben kann.«

»Für wen?« murmelte Georg mit einer bittern Empfindung.

Berthold hatte es gehört.

»Ja, für wen?« rief er aus. »Es ist in der Natur ein geheimnißvoller Trieb für alles Kommende und Zukünftige. Der Baum sprießt auf, um Blüthen zu bringen, die Früchte in sich tragen; der Vogel baut sein Nest, weniger für sich selbst, als der Jungen wegen, und der Mensch erst recht, der denkt bei jedem Mühen, wie er dafür genießen will. Es gibt freilich auch Packesel der Menschheit,« fuhr er lachend fort, »die nichts können, als, mit gierigem Grübeln anderen Leuten den Weg bahnen; aber haben diese des Lebens Weisheit gefunden? Wie sagt der große Dichter, den Du so oft lieft: ›Tages Arbeit, Abends Gäste – saure Wochen, frohe Feste!‹ – aber wo sind die Feste und wo bleiben die Gäste? Dein Vater, mein Georg, das war ein heitrer alter Gesell, so recht vom herzlichen, tüchtigen Schlag. Er war auch manches Jahr allein in dem großen Hause, aber wie viele Pfropfen knallten an seiner gastlichen Tafel! Die alten Wände dröhnten oft vom Lachen und Singen, und an einem Tage, wie dieser heut ist, wäre er gewiß nicht daheim geblieben. Kommen die Menschen nicht zu mir, so will ich sie aufsuchen, rief er, und da ritt er hin auf dem dicken Rappen. O! sapperment! mir kommt das Wasser in die Augen, ich sehe ihn noch reiten.«

Der junge Gutsherr war so gerührt von der herzlichen Anhänglichkeit des alten Mannes, daß er leise seufzend seinen Kopf in beide Hände legte und das Verlangen tief empfand, seinen Kummer ihm mitzutheilen. Inzwischen aber hatte der Doctor seinen spitzen Hut aufgesetzt, seinen großen Stock ergriffen und eine Jagdtasche angehängt, in welcher allerlei Medicamente und Instrumente steckten.

»Leb' wohl,« sagte er, und reichte Georg die Hand.

»Wohin willst Du gehen?« fragte dieser.:

»Ich will meinen Antheil an dem Lebensglück mir holen und genießen,« erwiderte der Alte. »Grüble weiter, ich gehe auch arbeiten im Weinberge des Herrn!«

Er schlug dabei auf seine Jagdtasche und fuhr fort:

»Ich wollte, Du kämst einmal mit und sähest, daß meine Weisheit doch mehr anerkannt wird, als all Dein eitles irdisches Streben.«

Georg fand sich bereit und Beide gingen durch das große Dorf dem Walde zu; aber der alte Mann hatte bald überall anzusprechen und guten Rath zu ertheilen. Endlich trat er in eine der Wohnungen ein, dann in eine zweite, wo ein Mann erkrankt war, und zuletzt bat er seinen ungeduldigen Begleiter, vorauszugehen und ihn bei den Schonungen im Walde zu erwarten.

Der Tag war heiter, der leichte Wind trieb die ersten falben Blätter von den Bäumen. Die reine sonnige Luft, das wechselnde farbige Laub des Waldes, die Fäden der Läuferspinne, welche von allen Baumspitzen, wie weiße Sieges- und Friedensfahnen, flatterten, und die herbstliche Durchsichtigkeit des Himmels machten ein hübsches erfrischendes Bild. Aber Georg ging durch die Waldhügel, ohne darauf zu achten. Die Ruhe umher und die Milde eines schönen Tages machte ihm seine Vereinsamung noch schmerzlicher, denn das verdüsterte Gemüth richtet sich leichter am Kampfe der Natur, als an ihrem Frieden auf.

Als er die Höhen erstiegen hatte, stand er lange an den Grenzen des Gehölzes und sah über die weite Ebene hinaus. Die Felder lagen leer; fern am Horizont zogen sich Waldketten hin und aus dunklen Baumgruppen stiegen ein Paar Kirchthürme empor, deren Glockenruf sich mit dem leisen Gebimmel der Heerden vermischte. Scharen von Schwalben umschwirrten einen nahen Weiher und schienen sich zur Reise zu rüsten, und hoch oben zog ein Raubvogel seine Kreise.

»Das ist das Leben der Natur und das Menschenleben,« murmelte Georg seufzend. »Glücklich, der nicht mehr verlangt, als es geben kann; der in seiner Hütte nach arbeitsvollen Stunden den rechten Frieden findet.«

Dann betrachtete er die kleinen Vogel, wie sie sich jagten und wieder fanden und auf den schwankenden Halmen sich mit Schnabeln und Flügeln putzten.

»Er hat wol Recht, der alte Mann,« murmelte er; »die Vögel würden kein Nest bauen; was sollten sie damit, wenn sie einsam darin wohnen müßten?! O! wenn nur eine treue Seele mit mir wäre, mein Muth würde niemals wanken. Wie soll ich es vergessen, wie soll ich leben!«

Als er schwieg, entstand ein Geräusch in seiner Nähe. Um die Waldecke vom Felde her erschollen Menschenstimmen und der schnelle Hufschlag von Pferden. Zugleich setzte ein Hase über die letzten Streifen der Brachfelder, den zwei große graue Windhunde dicht verfolgten. Das geängstigte Thier aber hatte einen kleinen Vorsprung und als es auf dem Grase war, schlug es seinen letzten Haken, stürzte dann schnell zwischen die Sträuche der Schonung, erreichte den Wald und entkam seinen grimmigen Feinden, die ihm vergebens nachsprangen.

In dem Augenblick erschienen die Jäger. Ein junger schlanker Mann in grünem Rock und Jagdkappe, elegant gekleidet, die Hetzpeitsche in der Hand, sprengte an der Waldseite hin, und hinter ihm folgte eine Dame, nicht minder muthig auf einem großen, beschäumten Pferde. Ihre zarte Gestalt schien durch die Luft zu fliegen, Schleier und Locken ringten sich hinter ihr, vom Sonnenschein überblitzt, und ihr schönes geröthetes Gesicht war voll übermüthiger Lebenslust.

»Halt an! Richard,« rief sie, »Du verstehst Deine Waidmannskunst und Deine Hunde sind ausgezeichnete Hasenfänger. Ich sagte es gleich, er geht in den Wald; Du siehst, wie viel Du von mir lernen kannst.«

»Ich bin stolz darauf, Dein Schüler zu sein,« erwiderte der junge Mann, »aber diesmal trägst Du die Schuld. Er wäre uns nicht entkommen, wenn Du mir gefolgt wärst und wir ihn auf den Feldern gehalten hätten.«

»Gut, daß er fort ist,« sagte sie lachend. »Gab ich ihm Gelegenheit dazu, um so besser. Aber warum pfeifst Du Deinem Hunde, laß sie ihr Heil versuchen, so lange sie selbst wollen.«

»Die Heide ist fremdes Eigenthum.«

»Wem gehört sie?«

»Dem jungen Einsiedler in Blankenberg,« erwiderte Richard spottend.

»Ach, von dem die Cousine Hofmarschallin gestern sagte: Ich bin eigentlich sehr zufrieden, daß dieser Mensch uns nicht besucht hat. Die Ungeschliffenheit zeugt von seiner geringen Bildung, enfin! er ist der Sohn eines ehemaligen Pachters; was kann man da verlangen?!«

Sie ahmte dabei die scharf betonte, näselnde Aussprache der alten Dame nach, von der die Rede war und machte die Bewegung, als öffnete sie eine Dose, um zu schnupfen.

Richard lachte ausgelassen.

»Köstlich,« sagte er, »aber der ungeschliffene Nachbar verdient diese Talentprobe nicht.«

»Ihr Alle seid gegen ihn eingenommen,« erwiderte das Fräulein lebhaft, »und aus welchem Grunde?! Weil er so grob oder stolz ist, Euch nicht zu besuchen; also, weil er die Formen der Geselligkeit verschmäht und lieber zu Haus bleibt, als sich langweilen läßt; denn gerade heraus, Vetter Richard, Euer ganzes Leben und Treiben ist langweilig über die Maßen und ich begreife sehr wohl, warum er nicht kommt.«

»Wüßte er, welche geistvolle Fürsprecherin er gewonnen hat,« versetzte der Junker, »so ließe er sich vielleicht herab.«

»Ach, Possen!« erwiderte sie abwehrend, »aber was wißt Ihr denn von ihm? Die alten verständigen Herren sagen: Er treibt Narrheiten, die viel Geld kosten, das heißt, er baut und macht Neuerungen aller Art; die Damen beschweren sich, weil er sie oder ihre Töchter vernachlässigt; die jungen Herren ärgert er, weil er nicht mit ihnen jagt, raucht und trinkt, und so fallen sie denn Alle über ihn her und müssen doch gestehen, daß seine Güter reich und einträglich, alles in der besten Ordnung und seine Leute voll Lob für ihren Gebieter sind.«

»Ich kümmere mich wahrlich nicht um ihn,« sagte Richard, »mag er Papier und Zucker machen, so viel er will, und sein krämerhaftes Leben bis an sein seliges Ende führen. Nur Schade um die schönen Wälder, die voll Wild stecken, das Niemand schießen darf, überhaupt aber mußt Du doch bekennen, daß eine tüchtige Portion Narrheit dazu gehört, so zu leben, wie dieser da.«

»Guter Vetter,« rief die schöne Dame lachend, »es kommt darauf an, mit welchen Augen man das Leben und Treiben jedes Menschen prüft, um ihn alles Ernstes für einen Narren zu erklären. Man findet überall Stoff, der Eine am Anderen, und schwer zu entscheiden ist es, wer Recht hat. Wer weiß, welche Gründe dieser sonderbare Einsiedler hat? Vielleicht ist er häßlich?«

»Das soll er nicht sein.«

»Oder unglücklich verliebt?«

»Das wäre eher möglich. Er soll eine zärtliche Neigung für die Tochter des alten närrischen Menschen gehabt haben, der als Doctor, Verwalter und Factotum auf dem Gute lebt. Die ist zwar jetzt verheirathet, aber vielleicht schwärmt er nun für die handfeste Försterfrau, wie ehemals für die Oberpriesterin der milchgebenden Geschöpfe.«

»Außerordentlich witzig und doch Unsinn,« sagte die Dame lachend. »Das erfindet Deine böse Zunge. Daß er ein Thor ist, in meiner Weise, was ich einen Thoren nenne, gebe ich zu, dennoch aber scheint er mir ein zu intelligenter Kopf, um so gemein einer Bauerndirne nachzulaufen. Da kommen Deine Hunde mit lechzender Zunge, aber ohne Hasen,« fuhr sie fort, »kopple sie und laß uns eilen! Ich fühle wahrhaftig eine Art Sehnsucht nach dem originellen Nachbar. Noch vier Wochen oder gar fünf, ehe wir uns wieder in die Bälle, Conzerte, Theater, Soireen, und lebendigen Kreise der Hauptstadt stürzen können. Welche unermeßliche Zeit! welche Langeweile!«

Sie ritten langsam davon, quer über die Felder hin, dann rascher zwischen Wiesen und Weiden, die sie verbargen und im glänzenden Abendlichte wieder erscheinen ließen. Georg hatte sich tief hinter den Büschen versteckt gehalten, jetzt trat er hervor und verfolgte sie nachsinnend.

»Welche unermeßliche Zeit!« sagte er endlich lächelnd, »welche Langeweile! und fünf armselige Wochen! Ich aber, der ich ein ganzes Leben vor mir ausgebreitet sehe, todt und traurig, wie die Sahara, der ich mit Sorge über die Stunden nachdenke, welche sich, wie die Ringe an der Kette eines Gefangenen, ohne Anfang und Ende verschlingen und ein schreckliches Ganzes bilden, über das er nicht hinaus kann, für mich gibt es keine Erlösung.«

Dann schwieg er und sah die Reiter in einem Waldstrich verschwinden, hinter welchem ein hoher Thurm hervorragte.

»Dort drüben wohnt der Freiherr von Bartenstein,« sagte er, »und diese schöne Jägerin wäre also die Braut nach meines Vaters Wünschen. Hochmüthig, aber voll Lebendigkeit,« murmelte er vor sich hin, »und im Grunde wol in der That herablassend erfreut, wenn der Narr von Einsiedler ihr die lange unendliche Zeit verkürzen hülfe.«

Er lehnte sich an den hohen zitternden Birkenstamm und sah starr in die versinkende Sonne, als Berthold plötzlich seinen Arm faßte und ihn aufrüttelte.

»Wie,« sagte er lachend, »schickt sich das für einen Mann der That, so träumerisch, wie ein Verliebter, in die Sonne zu starren, mit sich selbst zu sprechen und allerlei närrische Gesichter dabei zu schneiden. Und was ging hier vor?« fuhr er fort und sah aufmerksam umher.»Der Boden ist von Pferden zerstampft und da – was liegt da!«

Er ging auf's Feld hinaus und hob mit seinem langen Stabe aus der Furche einen Handschuh auf, der nur der zierlichsten Hand passen konnte. Dann sah er Georg an und sagte:

»Ich möchte wetten, daß man, wie der Prinz in dem alten Mährchen ›Aschenbrödel,‹ zehn Meilen rings umher senden könnte, und doch nur eine Hand fände, die da hinein paßte. Die vornehmen Leute – es ist Narrheit, wenn sie sagen: unser Blut ist besser, denn Blut ist rother Saft von derselben Faser: Substanz in des Königs, wie in des Bettlers Adern, das muß ich wissen, denn ich bin der Doctor – aber was so die rechten und echten alten Geschlechter sind, die tragen ihren Gott gegebenen Adel in den schönen, starken Körpern und dem ganzen herrlichen Gliederbau mit sich umher. Und die da drüben,« er deutete auf den Thurm hinter dem Walde, »die haben ihn auch behalten, obwol die sonstige alte Herrlichkeit so ziemlich verschwunden ist.«

Er prüfte nun den Handschuh weiter und knüpfte in seiner Art Betrachtungen daran, wie er verloren worden sei.

»Das Fräulein ist eine Dame aus der Residenz,« sagte er, »die Alles gelernt hat. Nun wohnt sie hier seit ein paar Wochen und reitet mit ihrem Vetter, dem jungen Freiherrn, der auch seinen Theil an dem schmalen Erbe hat, und jagt wol gar mit seinen großen, grauen Hunden, ohne an das Halsbrechen zu denken. Die vornehmen Leute sind sonderbare Geschöpfe. Wenn ein rauher Wind weht oder einige Tropfen Regen fallen, gehen sie um keinen Preis einen Schritt; wenn es aber eine Lust gilt, mag sie noch so gefährlich sein, da sind sie allemal dabei. Es muß aber so sein,« fuhr er fort, »Alles schickt sich und paßt sich, wie es soll, das ist der Welt Lauf. Die Reichen schwelgen, damit die Armen leben, und der alte Herr da oben weiß es immer so zu machen, daß das Eine dem Andern weiter hilft, mag es wollen oder nicht.«

Dabei steckte er den Fund in seine Jagdtasche und meinte, ›nichts sei besser, seinen Wundbalsam aufzustreichen, als solch feines biegsames Leder, daß er gerade jetzt sehr nöthig habe, und als ein besonderes kostbares Geschenk betrachte.‹

Georg ging still neben ihm her, wie er aber den Handschuh aus der Tasche hervorblitzen sah, zog er ihn leise heraus und verbarg ihn. Er fühlte eine geheime Freude darüber und Berthold konnte von jetzt an nicht mehr über seine Schweigsamkeit klagen. Ganz von selbst kam er auf die Familie des Freiherrn und schien es mit Vergnügen zu hören, daß sein Vater, besonders in der letzten Zeit seines Lebens, sie einige Male besucht habe.

»Du weißt ja,« sagte Berthold dann, »was Dein Vater für geheime Pläne machte. Nun, Du hast darüber entschieden und ich will nicht sagen, wer Recht hatte; denn freilich ist es wahr, die da drüben sind hochmüthig genug, um Dich abzuweisen, aber Du hast weit Aergeres gethan.«

»Du weißt wohl, was Alles mich schwer bedrückte,« erwiderte Georg halblaut.

»Nun ist es ja vorüber,« rief der Alte, »und Jeder muß wissen, welcher Weg zu seinem Glücke führt, Du hast ihn auch gefunden, nur muthig weiter. Ich habe nicht mehr mit Dir über Deine Zukunft gesprochen, Du hast es mir verwehrt. So strebe denn, und wenn Du müde bist, Georg, wenn Du sagst: alter Berthold, ich kann nicht weiter! dann laß uns sehen, wie wir die Rechnung ausgleichen.«

»Du meinst,« erwiderte Georg schnell, »ich könnte nicht mehr nachholen, was ich versäumte. Was hindert mich, morgen den Freiherrn zu besuchen?«

»Nichts,« sagte Berthold lächelnd, »oder Alles: Deine Grundsätze!«

Wie sie nach Haus zurückkamen, war ein Fremder eingetroffen, der von dem Handelshause zur Anlage der Fabrik engagirt war. Es war ein noch junger Mann, der sich rühmte, Industrieanstalten der verschiedensten Art ins Leben gerufen zu haben, und aus seinen Mappen eine Menge von Plänen und Zeichnungen hervorholte, aus welchen er Alles mit großer Deutlichkeit erklärte, Rechnungen und Bilancen zog und alle Vortheile scharfsinnig nachwies. Seine Lebendigkeit entbehrte der treffenden Gedanken nicht und seine Beredsamkeit war eben so enthusiastisch für die Entwickelungen der Fortschritte, welche dem Menschengeschlecht durch Fabriken und Dampfmaschinen kommen mußten, wie er es verstand, diese Fortschritte selbst zu schildern. Seine grauen stechenden Augen blitzten dabei vor Freude und der kleine gelenke Körper gerieth in eine leidenschaftliche Aufregung.

»Was ist die ganze Weltgeschichte mit allen ihren bisherigen Erscheinungen und Erfindungen werth, gegen Das, was die letzten dreißig oder vierzig Jahre gethan haben!« rief er endlich. »Was wußte man im heiligen römischen Reich von deutscher Industrie und deutschen Fabriken?! Wir waren so arm, unwissend und geplagt, wie unsere Urväter, die Longobarden und Semnonen, und hatten keine Ahnung, daß ein Volk nur dann frei und gleich, die Welt überhaupt nur dann glücklich sein könne, wenn alle ihre Kräfte geweckt werden, wenn Jeder arbeitet, denkt, erfindet, erwirbt, ohne gehindert zu sein, wenn das Talent alle Stufen ersteigen kann und die Industriellen die eigentliche Stütze der Staaten bilden.«

»Nun, dem Himmel sei Dank!« sagte Berthold und machte ihm eine tiefe Verbeugung, »daß ich endlich erfahre, von welcher Zeit an Welt- und Menschenglück und Freiheit datiren kann.«

»Lieber alter Herr,« versetzte der junge Mann, »spotten Sie, wie Sie wollen, aber bekennen Sie, daß nichts sich mit den Fortschritten der Gegenwart vergleichen läßt. Und woher sind diese gekommen? Durch Fabriken! Womit ist es allein möglich, diese anzulegen? Durch Maschinen! und was treibt die Maschinen? Der Dampf! Dampfwagen, Eisenbahnen, Dampfschiffe! nichts als Dampf; es ist das Jahrhundert des Dampfes und der Civilisation. Womit haben sich die guten Leute vor uns beschäftigt, diese erbarmungswerthen Unglücklichen, welche nie eine Dampfmaschine, das Edelste und Großartigste, was man sehen kann, erblickt haben? Sie haben albernes Zeug getrieben, sogenannte Wissenschaften und Künste, und der Menschheit die Köpfe verdreht. Das Volk blieb dumm und arm, die Herren tyrannisirten es, wie sie wollten, und weil sie nichts Besseres zu thun wußten, erfanden sie den Krieg und erwürgten sich. Es gibt nur eine wahre Wissenschaft, die darin besteht, die Menschen weiter zu führen und die Kräfte der Natur ihnen unterzuordnen. Chemie, Mathematik, Maschinenbau! Es gibt nur eine Kunst, die Kunst aller Künste, Aufklärung zu verbreiten, alles Uebrige ist mehr oder weniger Thorheit, die zur Ungleichheit, zur Unfreiheit, zum Laster und Müßiggang führt.«

»Aber,« fiel Berthold ein, »wir können doch nicht Alle handeln und Fabriken bauen. Soll denn die Welt ein großes Arbeitshaus sein, wo Jeder gierig danach trachtet, Geld und Gut zu erwerben?«

»Das ist der wahre und einzige Beruf aller Vernünftigen,« erwiderte der Techniker sehr ernsthaft, »und wohl denen, die das schöne Ziel erreichen. Es hängt und drängt sich alles zum Golde; das ist der große Magnet, der uns die Welt zu Füßen legt, und nichts ist lächerlicher, als Deklamationen dagegen. Was will Geburt, Rang, Titel, Orden und wie die hohlen anmaßlichen Ehren weiter heißen, wenn die reale Macht des Geldes fehlt! Habt Geld und das Andere kommt alles nach, wenn Ihr wollt!«

Hier wendete er sich zu Georg, der ganz still die Zeichnungen betrachtete und sagte:

»Ihretwegen, mein Herr, und Ihrer Grundsätze wegen, die mit den meinen so ganz zusammenstimmen, habe ich heute schon einen Streit ausgefochten. Dort drüben in dem Dorfe hinter dem Walde, das dem Freiherrn von Bartenstein gehört, hielt der Wagen an, der mich hierher brachte und nach meiner Gewohnheit lief ich umher und gerieth in den Park des Schlosses, wo der Gutsherr mir begegnete. Ein Wort gab das andere, und als er hörte, wer ich sei und was ich wolle, setzte er sich auf's ritterliche Pferd und schnitt ein verächtliches Gesicht. Ich kenne das aber wohl und wußte ihm zu dienen. Das ist ein junger Mann in meinem Sinn, sagte ich, unternehmungslustig und die Gelegenheit beim Zopf fassend, so zwingt man die bösen Geister. Hätten die alten Herren bei Zeiten daran gedacht, mit der Zeit fortzugehen, abzuschneiden, was verdorrt war, und nach Dem zu sehen, was ihnen ihre Väter, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, hinterlassen haben, so könnten sie Alle noch lange warm sitzen. Viele bedenken es jetzt wohl und suchen nachzuholen, aber bei den meisten ist es zu spät und somit müssen sie einem strebsameren Geschlecht Platz machen. Er brach das Gespräch ab und wahrscheinlich hatte ich den Nagel auf den Kopf getroffen, denn gleichsam um zu zeigen, daß er nicht zu jenen gehöre, führte er mich in seine Brennerei, wo es schlecht genug aussah. Dampf und Fortschritt! sagte ich, sonst ist es nichts. Legen Sie Dampfcylinder an, so wird es ganz anders kommen

Alles recht schön, sagte er vornehm lächelnd, aber was ist Dampf? Aufgelöstes Wasser! Doch das paßt für dies trübselige Jahrhundert, das dadurch allein weiter gebracht werden soll.

Nun fingen wir an zu streiten, und ich zeigte ihm, was reeller Nutzen sei: das Geld! und was leerer Hochmuth dagegen bedeute. Und der alte Herr nickte mit seinem verwünschten vornehmen Lächeln und sagte: Wir werden ja sehen, wie weit unser dampfsüchtiger Nachbar kommt.

So weit, mein Herr, rief ich, wie ein großer Industrieller kommen kann. Geben Sie Acht, was ich prophezeihe: Er wird Kaufmann, Fabrikant, Baron, Ordensritter, Minister werden, und da Alles an ihm Spekulant ist, so wird er eine Prinzessin heirathen, doch nur, wenn sie Geld hat, sonst aber die einzige Tochter eines Banquiers oder Finanziers, der ein Millionair ist.

Der Herr machte mir eine Verbeugung und entließ mich, indem er sein: ›Nun wir werden ja sehen!‹ wiederholte. Am Thore hätte ich aber beinahe mein Leben eingebüßt, denn eine junge Dame, der die Aristokratie auf der Stirn geschrieben stand, sprengte amazonenartig herein und lachte mich aus, als ich in dem tiefen Schmutz an der Schwelle ihres Hauses fast stecken blieb. Aber diese Aristokratie wird nicht lange mehr lachen,« rief er in lebhaft drohendem Ton; »nichts ist ihr ärgerer Todfeind als die Industrie, und diese hat ihr Grab fast fertig.«

So sprach er weiter zum inneren Mißbehagen des Gutsherrn, aber unter vieler Theilnahme des Doctors, der bald mit ihm in Streit gerieth, so daß Beide gegen einander schrieen und tobten, bald wieder in Eintracht die Kultur und ihre belebende Macht bewunderten. Endlich wurde zwischen ihnen verabredet, daß sie am nächsten Morgen alle Einrichtungen durchmustern wollten; und der alte Wein des verewigten Freundes, welcher reichlich vorhanden war, röthete die lange Nase des Doctors merklich. Dabei wurde er gesprächiger und lachlustiger, und als er von seinem Kriegsleben und Thaten zu erzählen begann, hielt es Georg für das Räthlichste, ihn der Geduld des jungen Helden der Industrie zu überlassen, der ihn immer starrer, schweigsamer und blasser anschaute.

Als er ganz allein in seinem Zimmer und gewiß war, unbelauscht zu sein, zog er den Handschuh hervor, legte ihn vor sich auf den Tisch und setzte sich nachdenkend vor ihm nieder. Seine aufgeregte Phantasie trieb ein langes träumerisches Spiel mit seinen Empfindungen und zauberte ihm die schöne Erscheinung und die feine weiße Hand, welche in der duftenden Hülle geruht hatte. Er versuchte, seine eigene Hand hineinzupressen, bewegte die kleinen Finger, drückte die glatte Fläche an seine Stirn und schleuderte endlich mit einem Gefühl der Beschämung das gefährliche Spielwerk von sich.

»Wie thöricht bin ich doch,« sagte er, »der geschwätzige Mensch hat nur zu Recht: die hochmüthige Aristokratie steht ihr auf der Stirn geschrieben, und welche Narrheit ist es, einen Augenblick an ein Mädchen zu denken, die im besten Falle nichts will, als einen Zeitvertreib, einen Gehülfen ihrer tollen Launen. O! Marie, wie anders, warst Du!«

Er warf sich auf sein Lager ohne Schlaf, denn immer sah er das Pferd und die Reiterin mit den flatternden Locken. Wie sie sich umblickte, trafen ihn ihre schönen, glänzenden Augen, und wie fest er auch die Wimpern zudrückte, er sah es doch und sah es immer wieder, und wenn er sich an Marien zu denken zwang, hörte er ihre klingende Stimme, welche die Worte wiederholte, die seine Wangen in der Nacht erglühen machten.

Als er erwachte, war es spät nach der Uhr des Landlebens und gern hörte er es, daß Berthold schon mit dem jungen Simmers, hinaus sei, um die Wasserkraft des Baches zu prüfen. Er ließ ein Pferd satteln und ritt gemächlich durch den kühlen, rauschenden Wald, wo im Thau sich die aufgehende Sonne spiegelte.

Plötzlich, er wußte nicht, wie es kam, sah er aus einem Kranz alter Buchen und Kastanien das Försterhaus vor sich, wie es blank und neu mit seinem rothen Ziegeldache daraus hervorsah. Mit einem schnellen Druck hielt er das Pferd an, gleich darauf aber ließ er es weiter gehen, denn Menschen standen hinter dem grünen Gitter; er konnte nicht zurück. Den großen, rüstigen Waidmann erkannte er zuerst, der an einem Tische saß und sein Frühmahl hielt, und neben ihm blätterte der blasse Schullehrer, sein Vetter, in einer Hauspostille, und wie die Hunde laut bellend auffuhren, sah er zornig auf den störenden Gast. Der Förster aber legte sogleich das Messer fort, nahm die Mütze ab und kam seinem Dienstherrn freudig entgehen.

»Wie freue ich mich,« sagte er, »daß wir endlich die Ehre haben, Sie bei uns zu sehen.«

Er faßte in die Zügel, um beim Absteigen behülflich zu sein, aber Georg, der ihm die Hand reichte, erwiderte, daß er nur einen Augenblick bleiben könne und sich den längern Besuch aufspare. Da aber der Förster bittend in ihn drang, ihrem Hause die Ehre des Eintritts nicht zu versagen, und er wohl die alte gute Sitte kannte, welche es als eine Beleidigung ansieht, wenn der Gast nicht über die Schwelle tritt und die Bewirthung annimmt, die man ihm nach der Väter Weise bietet, wollte er so eben doch sein Begehr erfüllen, als Marie an der Thür erschien und mit einem Freudenruf sich näherte. Gleich darauf lief eine dunkle Röthe über ihr ganzes Gesicht, sie lächelte verlegen, zog dann die Schürze, welche sie trug, an dem Zipfel auf, und als sie ihm die Hand bot, fühlte er sie leise zittern, wie damals, als sie von ihm schied. Ein schneller Blick sagte Georg, was sie so plötzlich bewegte; denn wie es in dem alten Liede heißt, das Mieder war zu eng, der Rock zu kurz geworden, und nun stand die werdende Mutter schamvoll ängstlich vor dem Manne, den sie geliebt und verlassen hatte.

Ein schmerzliches Lächeln zuckte um Georgs Mund, sein Herz schlug heftig und sein Gesicht ward bleicher, aber im nächsten Augenblick fühlte er eine Beruhigung, eine freudige Regung, die größer war, als sein Erbangen. Es fiel etwas von seinem Herzen ab, das in eine unermeßliche Tiefe sank, und aus dem Dunkel brach ein neuer Tag, eine neue Zukunft, eine Ferne, auf der ein Lebensfrühling auf- und abzog mit seinen tausend bunten Gestalten.

»Gib mir zu trinken, liebe Marie,« sagte er mit sanfter versöhnter Stimme, »und morgen oder nächstens komme ich wieder; dann wollen wir von Vergangenheit und Zukunft plaudern.«

Marie eilte mit einem freudig dankenden Blicke fort und der Gutsherr unterhielt sich mit den beiden Männern. Als er den Schullehrer fragte, welches Buch er da habe, erwiderte dieser mit feierlicher Würde:

»Es ist das Schatzkästlein für wahre Christen, mein werther Herr, welches eine rühmliche Ausnahme macht von den vielen leichtfertigen Schriften, die man jetzt als das Wort Gottes ausgibt. Wenn der sündige Mensch in sich gehen und bekehrt werden kann und will, so thut es dies unschätzbare Gottesbuch gewiß. Ich würde mich glücklich preisen, wenn ich es Ihnen nebst einigen andern Schriften ins Schloß schicken dürfte.«

Georg dankte lächelnd und sagte dann:

»Lieber Küster, ich bin so gut ein Sünder, als wir Alle, aber wenn ich ein Buch lesen will zum Lobe Dessen, der Alles schuf und richtete, so liegt ja rund umher vor mir aufgeschlagen das große Buch der Natur: der Himmel mit seinen Gestirnen und die Erde mit ihren Gebilden und Gestalten. Will ich aber Gedrucktes lesen, so ist es die Menschengeschichte, wo der heilige Geist sich auf jedem Blatt offenbart. Das gibt den Schwachen Stärkung, fest zu vertrauen, daß unsere Aeltern und Urältern nicht umsonst lebten, auch wir mit Weisheit in dem großen unerforschlichen Weltgetriebe geschaffen wurden, und das ist das beste Schatzkästlein für alle gute Christen.«

Der Förster nickte beifällig dazu, aber der junge Lehrer zuckte mit einem mitleidigen Lächeln die Schultern und seine Blicke drückten Verachtung und Zorn über diesen Frevel aus, den er vielleicht nicht einmal ganz verstand.

In dem Augenblick brachte Marie ein Glas mit Wasser; Georg nahm es und fuhr fort, sich mit ihr und ihrem Manne theilnehmend zu unterhalten, dann zeigte er den Weg hinab und fragte, ob nicht die Straße nach dem Gute des Freiherrn hier hinausführe. Als der Förster es bejahte, sah er Marien in das freundlich lächelnde Gesicht. Ihre Augen glänzten, als wären sie feucht geworden, und wie er mit einem schnellen Abschiedsworte fortsprengte und dann zurücksah, hielt sie ihren Mann mit beiden Armen umfaßt, das Gesicht an seine Brust gedrückt.

»Sonderbares Menschenleben!«, rief er in den einsamen Wald hinaus. »Gestern noch hätte mich der Gedanke daran elend gemacht, heute freut es mich, daß sie glücklich und geliebt ist, und Gottes Segen über sie!«

Erst als das Gut des Barons vor ihm lag, ritt er langsamer und war in Verlegenheit, wie er seinen Besuch einleiten und entschuldigen sollte.

»Ich will und muß ihnen zeigen, daß ich ein Anderer bin, als sie denken,« sagte er, »dann hängt es von mir ab, wiederzukommen und sobald soll es nicht geschehen.«

Der Weg führte an dem Garten des Schlosses hin, der, groß und verwildert, noch die Zeichen seines alten Glanzes trug. Einer der reichen Vorfahren des Freiherrn hatte ihn mit einer Mauer eingefaßt, die von geschnörkelten vergoldeten Eisengittern und Lauben durchbrochen war; und mit den künstlichen Springbrunnen, Zeichen, Tempeln und verwitterten Statuen, welche umgestürzt und unter Gras und Nesseln lagen, leicht mehr gekostet hatten, als sein Nachkomme überhaupt besaß. Wunderbar alte Bäume verschränkten ihre Riesenäste und bildeten dunkle schweigende Gänge, durch welche man in der Ferne das Schloß im hellen Tagesglanze sah. Ein leichter Wind trieb die Blätter ab und kräuselte sie auf dem grasbewachsenen Boden; Todtenstille lag auf dem Park, der wie ein heiliges Gehege nur den Manen und Schatten der alten Freiherren geweiht schien.

Plötzlich schrak der junge Reiter zusammen, als er einem der Eisengitter gegenüber, das den Blick auf die weite Landschaft gestattete, eine weibliche Gestalt erblickte, die lesend auf einer Bank saß. Beim Tritt des Pferdes hob sie den Kopf und Georg erkannte sie. Sie erwiderte seinen Gruß, sah ihn lebhaft an und sagte freundlich:

»Wollen Sie zu uns?«

»Da ich vermuthen muß, daß der Garten zum Schloß gehört, ja!« erwiderte Georg.

»So fremd sind Sie hier?« fragte sie erstaunt. »Sie kommen also weit her?«

»O nein!« entgegnete er lächelnd.

»Dann sind Sie Herr Warburg, unser böser Nachbar,« rief sie schnell, »und Sie kommen uns zu besuchen?«

»Mich zu entschuldigen und Verzeihung zu erwerben.«

»Sonderbar!« sagte sie und sah ihn prüfend an, indem sie dicht an das Gitter trat.

»Soll dies der Anfang meiner Strafe sein,« Versetzte Georg; »so protestire ich, bis Sie mich gehört haben.«

»Wenn es der Anfang von irgend Etwas sein soll,« rief das Fräulein, »so kann es nur auf eine recht innige und dauernde Vergebung und Verständigung deuten. Wie ich hier saß, dachte ich an Sie; ja, mein Herr,« rief sie herausfordernd, »ich will es gestehen, was ich dachte. Hier ist es einsam, jeder Zweig, den der Wind knickt, gibt Stoff zur Unterhaltung, um so mehr wird ein junger Herr interessant, der sich nirgend sehen läßt und den Leuten auf Meilen in der Kunde ein Räthsel bleibt.«

»Ich hatte einen Vater zu beklagen,« sagte Georg leise, »und dann –«

»Entschuldigen Sie sich nicht, nein! zu Niemandem,« rief sie mit einer gewissen Heftigkeit, »am wenigsten zu mir. Sie kommen, nachdem Sie uns gezeigt haben, ich bedarf Euer nicht, ich kann allenfalls in einer Nußschale leben, die zufällig übrig bleibt, wenn die Welt einmal vernichtet wird, und das gefällt mir, weil es einen Charakter ausspricht, wenn mir dieser auch selbst nicht behagen sollte.«

Dabei sah sie ihn mit ihren großen, beweglichen Augen schelmisch an und fuhr dann fort:

»Hier saß ich nun und sann, ob es ein Mittel gebe, Ihre Einsiedlerschaft aufzuheben, als irgend ein wohlthätiges Wesen meinen Wunsch erfüllt und Sie plötzlich zu uns geführt hat.«

»Möge dies wohlthätige Wesen,« erwiderte er in demselben leichten Ton, »auch mir so gnädig sein, und mich immer in Ihre Nähe versetzen, wenn meine Gedanken dahin streben.«

»Dann würde ich Sie wahrscheinlich nie wieder sehen,« rief sie lachend und drohend.

»Ich vermuthe vielmehr, daß ich mich nie entfernte.«

»Also auch galant!« sagte das Fräulein. »Gut denn, so gebe ich Ihnen wenigstens vorläufig die Erlaubniß, über das Gitter hier zu springen und mich zu begleiten. Der Park ist groß, dann müssen Sie um den See und durchs ganze Dorf, um zu uns zu gelangen. Hier haben Sie es ganz nahe und dieselbe gütige Fee, welche sich unser angenommen hat, sendet uns dort auch einen Diener in Gestalt eines Bauern, der Ihr Pferd wohlbehalten zu Stall und Krippe leiten wird.«

Ein junger Mensch, der vom Felde kam, war auf ihren Wink sogleich bereit, und Georg stand in der nächsten Minute vor dem Fräulein.

»Eine Begrüßung vom Pferde herab,« sagte sie, indem sie ihn freundlich betrachtete, »ist eine flüchtige, unbestimmte Erscheinung. Erst Aug' in Auge und die Füße auf festem Boden lernt man sich kennen. Ich heiße Sie im Namen meines Vaters, willkommen, Herr Warburg.«

Georg küßte die kleine Hand, die sie ihm reichte, dann gingen sie langsam dem Schlosse zu. Sie sprach mit großer Lebendigkeit und jenem naiven Vertrauen, das einen so wunderbaren eigenthümlichen Reiz Denen verleiht, wo es als innerste Natur erscheint. So trug sie fast ganz die Kosten der Unterhaltung und während ihre zarte Gestalt über den Rasenweg in leichten kleinen Schritten schwebte, erzählte sie von den Tagen, wo dieser große Garten der Tummelplatz ihrer Spiele war und von ihrem jetzigen Leben in den glänzenden Salons ihres Oheims, des Präsidenten. Dazwischen that sie tausend Fragen über Georgs Geschick und schien mit dem größten Antheil seine Antworten zu hören.

So waren sie dem alten Herrenhause oder Schlosse nahe gekommen, das mit seiner langen niedrigen Hinterfront in den Garten hinabstieg. Auf der Steintreppe zwischen Feigenbäumen und einer kümmerlichen Orangerie, saß der Baron und schien behaglich sich vom milden Sonnenschein erwärmen zu lassen.

Der höfliche alte Herr erhob sich sogleich, als er den Fremden kommen sah, und seine Tochter führte diesen dicht heran und sagte mit triumphirendem Tone:

»Wer ist es, lieber Papa? Wen räthst Du, wer heut unser werther Gast ist?«

Gleich darauf aber nannte sie Georgs Namen und der alte Herr reichte ihn freundlich die Hand zum Gruß und beschwichtigte seine Entschuldigungen.

»Ich kann es Ihnen gar nicht so sehr verargen,« sagte er, »wenn Sie mich in meinem einsamen Sitz nicht früher aufsuchten. Ich bin alt und dies wilde Kind, meine Sabine, bringt nur jetzt auf wenige Monate ihre Unbeständigkeit und ihre Launen zu mir heraus.«

»Um so mehr freut es mich,« fiel das Fräulein ein, »daß Herr Warburg unser Haus bei seinem Besuch nicht ganz leer findet, da wir unsern Vetter Richard, den Sohn meines Oheims, des Präsidenten, und unsere gnädigste Cousine, die Hofmarschallin mit ihrem Fräulein Tochter vorstellen können, mit denen sich von alter und neuer Zeit reden läßt, die uns Pferde und Jagden und Hofgeschichten auftischen, oder Whist, Picket und grande Patience spielen, so lange es uns beliebt.«

Der Freiherr legte ihr die Hand auf den Mund und indem er sie in seine Arme zog, küßte er ihre Stirn mit der entzücktesten Vaterfreude.

»Ich hoffe,« sagte er, »Herr Warburg wird Dich kennen lernen und erfahren, daß nicht allein das Mündchen auf dem rechten Fleck sitzt. Nun, mein Kind, zeig' uns auch Deine liebenswürdige Seite; befiehl nach der alten guten Sitte, daß man den Ehrentrunk herbeibringt, und sieh nebenher, wo Richard, die Cousine und Amalie sind.«

Als sie fort war, zog er seinen Gast zu sich nieder auf die weichen Polster und begann zu fragen und von dem verewigten Gutsherrn zu sprechen, den er außerordentlich lobte. Der Freiherr war überhaupt einer von den gutmüthigen und völlig grundsatzlosen Menschen, die überall mit den Wortführern einstimmen und gelegentlich die allerentgegengesetztesten Meinungen und Urtheile äußern, wie gerade der Wind weht. Er hatte tapfer mitgespottet über den unbesonnenen Projektenmacher und Spekulanten, nun dieser aber bei ihm saß, hörte er aufmerksam und beifällig, was Georg sagte, und bedauerte, daß er zu alt wäre, um die Fortschritte der Kultur selbst noch zu fördern.

Mitten in seinen Gesprächen aber unterbrach er sich, um auf Sabine zurückzukommen und von ihr zu reden, was er immer that, wenn es geschehen konnte, denn seine väterliche Liebe ward dadurch eben so geschmeichelt als seine Eitelkeit.

»Sie kommt noch nicht zurück,« sagte er und horchte in den Saal hinein. »Es ist ein sonderbares, wunderbares Kind, aber sie war immer so von Jugend auf: immer eigenwillig und voller Einfälle, über die man sich todt lachen könnte; und so ist sie eigentlich noch. Wir verleben die Winter im Hause meines Bruders, des Präsidenten – nächstens wird er wol eine andere Rangstufe einnehmen;« fügte er lächelnd ein – »und Sabine ist in der That der Mittelpunkt eines glänzenden Kreises. Sie macht die Honneurs, denn mein Bruder hat nur den einen Sohn, Richard, Sie werden ihn kennen lernen, er war bis vor Kurzem Offizier, wird aber nun die diplomatische Laufbahn beginnen, zu der er sich vorbereitet.«

»Durch Hasenhetzen,« sagte Georg leise für sich.

»Aber auch dort,« fuhr der Baron fort, »will Sabine die gewöhnlichen Schranken zuweilen nicht beachten, welche man in der Welt doch oft streng ziehen muß. Sie werden es, werther Herr Warburg, dieser Lebendigkeit verzeihen, welche ihr Natur ist. Ihr Witz, ihr Humor, ihre glühende Phantasie verachten Formen und Fesseln, aber dennoch – es ist unendlich wunderbar! entzückt sie Alle, bezaubert sie Alle. Sie erregt selbst große Theilnahme bei Hofe. Es ist kein Ball, wo die Prinzen sie nicht zu ihrer Tänzerin machen, und neulich sprach der hohe Herr, der König, sogar äußerst gnädig und lange mit ihr. Sabine hätte Hofdame werden können, ich kann mein Ehrenwort geben, daß es von ihr abhing, aber denken Sie, sie wollte nicht, denn das seltsame Kind hat ganz sonderbare Gedanken von Unabhängigkeit. Es sind Schwärmereien, Hirngespinnste, allein, wenn man sie reden hört, reißt sie uns wider Willen hin. Und welche Talente: Sprachkenntnisse, Musik, Gesang – sie soll uns nachher italienisch singen – man versteht es allerdings nicht, aber wie klingt es! Ach da kommt sie, und Richard und die beiden Damen.«

Die kleine Gesellschaft trat in den Salon und das Verlangen des Barons nach seiner Tochter trieb ihn, ihr entgegen zu gehen. Georg folgte natürlich und der alte Herr stellte ihn den Damen und dann seinem Neffen vor, der eifrig mit dem Fräulein sprach und lachte, den Hut auf dem Kopf und beide Hände in den Taschen hatte, was, wie er nachher erklärte, eine neue völlig fashionable Mode sei, auch müsse man die Füße, wo möglich, auf einen Stuhl legen, was der junge Finanzminister zuerst mit Glück eingeführt habe, aber nun zum bon ton durchaus nöthig sei. Für jetzt begnügte er sich, als Georg ihm genannt wurde, den Hut zu rucken und wieder aufzusetzen, indem er eine kleine Neigung des Körpers versuchte und einen prüfenden Blick auf den Einsiedler warf. Die Hofmarschallin betrachtete ihn dagegen mit feindlich stolzer Kälte und das hochblonde Fräulein Amalie schien ihn gar nicht sehen zu wollen, so ausschließlich bewunderte sie die edle Haltung des jungen Diplomaten.

Dennoch fand bald eine gewisse Ausgleichung der Differenzen statt, als Sabine unablässig den jungen Nachbar ins Gespräch zog und dieser, ohne sich an die geringschätzende. Gleichgültigkeit, welche ihm begegnete, zu kehren, sich ganz natürlich seinen Empfindungen und seinen angeborenen und erlernten Vorzügen überließ, unter denen es nicht der geringste war, daß er mit leichter Beweglichkeit und Selbstvertrauen alle Fäden der Unterhaltung anzuknüpfen wußte. Seine Reisen und Erfahrungen befähigten ihn, von Manchem zu sprechen, und da er gut erzählte, ward er gern gehört, außer von Richard, der eben jene fashionable Stellung auf zwei oder drei Stühlen einnahm, sich mit seinen Stiefeln beschäftigte und mit sichtlichem Widerwillen bemerkte, wie der unbedeutende Mensch im Werthe stieg.

Der alte Freiherr hatte indeß mit der Wirthschafterin eine Verschwörung angesponnen, die auf nichts Geringeres hinausging, als dem bürgerlichen jungen Nachbar ein Erstaunen über die gastfreie Herrlichkeit seiner Tafel abzunöthigen. Ehe die Leiden der Kriege und die veränderte Stellung des Staates zum Aderbau und zu den großen Grundbesitzern diese mit Hülfe der größtmöglichsten Verschwendung herabbrachte, hatte das alte Schloß oftmals von glänzenden Festen widerhallt; was aber im Großen, nicht mehr auszuführen war, durfte wenigstens im Kleinen nicht fehlen, und noch immer setzte der Baron einen Stolz darein, bei seiner Anwesenheit zur Sommerzeit durch eine reich besetzte Tafel und einen Luxus, der seine geringen Mittel überstieg, seinen Gästen zu imponiren und von sich reden zu machen.

Zwei Diener in reicher Uniform und Richards Jäger mit dem breiten Bandelier mußten den Tisch bestellen; aus dem Eiskeller wurden große Körbe hereingebracht, in welche eine zahlreiche Batterie von Flaschen gestellt wurde; das ganze Silberzeug des alten Herrn stand und lag auf den Nebentischen, und nichts wurde versäumt, um Georg die höchste Meinung von der herrschenden Pracht und dem Ueberflusse des alten Hauses beizubringen.

Der Freiherr beobachtete den Eindruck und sah mit geheimem Vergnügen, wie sein Gast oft starr auf die vielen Anstalten sah, aber er ahnte nicht, wie wenig Georg an diese dachte. Der Empfang in diesem Hause und der Antheil, welchen die schöne Tochter desselben ihm sichtlich widmete, brachten sein Blut und seine Gedanken in eine fieberhafte Regsamkeit. Je länger er in ihre hellglänzenden Augen sah, um so heftiger empfand er die Schläge seines Herzens und eine schmerzhafte und freudige Verwirrung, die wachsend seine Empfindungen beherrschte.

Bald gab er sich schnellen und stolzen Träumen hin; bald sanken diese vor einem Erbangen zusammen, das plötzlich Alles umstürzte, was er hoffte. Er dachte an seines Vaters Wort und Befehl, an Bertholds prophetische Aussprüche; er fühlte zum ersten Male mit Freude, daß er reich sei, daß der Zauber des Goldes ihn vielleicht mehr unterstütze, als Alles, und dann schauderte er doch wieder vor der förmlichen Höflichkeit des alten Herrn, vor der übermüthigen Anmaßung seines Neffen und der hochmüthigen Verkehrtheit dieser gnädigen Cousine Hofmarschallin. Es kam ihm ganz unmöglich vor, daß Verwandtschaftsbande jemals ihn zum Gliede einer so stolzen, dem Throne nahestehenden Familie machen konnten; wenn aber Sabinens muthiges Auge ihn anschaute, fühlte er neue Hoffnungen, die doch schnell wieder in dem Gedanken untergingen, welche eitle Thorheit es sei, an die Neigung eines so schönen, hochgearteten Mädchens zu ihm zu glauben, der er seit wenigen Stunden erst genaht war.

Aus diesem Kampfe ging er endlich doch mit neuem Vertrauen hervor, als bei dem langen und für das Landleben in der That kostbaren Diner, Sabine seine Nachbarin war, und oft Gelegenheit fand, ihm zu zeigen, daß sie mit ihm in geheimem Bündnisse stehe. Auf ihrem Anlaß äußerte er sein Erstaunen über die glänzenden Einrichtungen und erfreute den Baron durch seine Schmeicheleien. Auch die Hofmarschallin, welcher er mit der feinsten Höflichkeit und Unterthänigkeit begegnete, war so erkenntlich, ihrer Tochter zuzuflüstern, daß der junge Mensch doch einige Tournüre besitze, und als er nach einem vorwurfsvollen Gespräche mit Richard über die Jagd, welche er so sehr vernachlässigte, diesen ersuchte, seine Forsten zu beschießen, wie es ihm beliebe, faßte der junge Edelmann selbst eine Art dankbarer Neigung, die sich dadurch äußerte, daß er mit ihm anstieß und mit einer Betheuerung lächelnd bedauerte, nicht früher gewußt zu haben, daß unter der Maske eines Einsiedlers ein so liebenswerther Charakter sich verberge.

So wurde die Tafel unter allgemeiner Fröhlichkeit ausgedehnt und die Schatten verlängerten sich, ehe Georg an Rückkehr dachte. Der große Park gab Anlaß, ihn zu durchwandern, die Grotten und Tempel aufzusuchen, die Fische in den schilfbedeckten Teichen zu füttern, wo sie ungestört alt wurden, und die gewundenen Hügel hinauf und hinabzuklimmen, was Gelegenheit zu manchem Scherz und Wettlauf brachte.

Endlich blieb Georg an dem Gitter stehen, das er zuerst übersprungen hatte und schien die Frage zu erwarten, welche Sabine an ihn über sein Nachdenken richtete.

»Was ich denke?« sagte er lächelnd. »Ich frage mich selbst, wie oft es mir vergönnt sein wird, diesen Weg zu kommen, und beklage es weit mehr als Ihr Vetter, nicht gewußt zu haben, welche Güter dies alte Schloß besitzt.«

»Ich denke,« erwiderte Sabine, indem sie ihn freundlich anblickte, »nun wir uns kennen lernen, wird der Eine nach dem Andern eine Sehnsucht empfinden, die uns wieder vereint und es nicht duldet, daß Sie sich in Ihrer Burg verschanzen.«

»Und wenn Sie gehen und mich allein zurücklassen?«

»Was hindert Sie, mich zu begleiten?« rief sie. »Reich, jung, zur Lebensluft gestimmt, wer wollte da im Schnee und Eis der erstarrten Natur leben? Das ist das Glück der höheren Entwickelung, durch Kunst zu ersetzen, was die starre Ursprünglichkeit versagt, und dann von allem, was die schaffende Kraft entdeckt, wie ein Schmetterling, den süßesten Blumenstaub abzuküssen.«

»Im Genuß zu schwelgen,« sagte Georg lächelnd.

»In den schönen Empfindungen, daß es uns vergönnt ist, über dem dunklen Staube ein kurzes Menschenleben zu führen; in reiner Freudigkeit dem Edelsten und Höchsten ergeben, ohne den herben Beigeschmack des harten, mühseligen Erdenlooses. Lassen Sie uns abbrechen,« fuhr sie fort, »da kommt Richard mit zwei andern Menschen, die uns langweilen, ärgern und doch nicht verstehen würden; aber geben Sie mir bald Gelegenheit, dies Gespräch neu anzuknüpfen. Gewiß, Sie kommen wieder; denken Sie immer daran: Sabine erwartet Sie und will, daß Sie bald kommen!«

Wie ihre Hand in der seinen ruhte, fühlte er ihren sanften Druck und ihr schönes Auge führte die Sprache noch einen Augenblick weiter. Dann gingen sie Beide schweigend den Nahenden entgegen und die Hofmarschallin gab eine lange Geschichte zum besten, von irgend einem deutschen Hofe, wo man die noble Sitte noch beibehalten habe, an Courtagen nur französisch zu sprechen, während ihre deutschblonde Tochter mit Richard viel zu lachen und zu flüstern hatte, was sicher Dinge von großer Wichtigkeit betraf, denn Beide sahen oft dabei nach Sabine hinüber.

Im Schlosse empfahl sich Georg bald. Sein Pferd wurde vorgeführt und der Freiherr versprach auch, hinüber nach Blankenberg zu kommen; doch sei er jetzt von gichtischen Unfällen heimgesucht und bitte inständigst dagegen um Erneuerung des Besuchs. Richard wollte am nächsten Tage schon die Jagd benutzen und dann bei dem Gutsherrn einsprechen; die Damen empfahlen sich und Sabine lächelte ihm zu, als er aus dem wappenvollen Portale sprengte.

 

Glücklich in seinen Hoffnungen durchschnitt er die Felder und erreichte mit dem Abenddunkel sein väterliches Haus, wo er Berthold und den jungen Simmers im besten Gespräch und Streit antraf.

Der junge Techniker hatte die verschiedenen Anlagen genau betrachtet und wenig nach seinem Sinne gefunden. Er tadelte die Apparate und vorhandenen Maschinen, tadelte die Art und Weise ihrer Anwendung, und was die neuen Fabriken betraf, so war ihm nichts recht, nicht einmal die Plätze, wo sie angelegt werden sollten. Man hatte dazu einen schönen Raum bei dem Hauptgute gewählt, er behauptete aber, sie müßten bei einem entfernten Vorwerke erbaut werden, wo nicht allein ganz nahe ein unermeßliches Feuerungsmaterial aus den Wiesen zu stechen sei, sondern wo auch gewiß einmal eine Chaussee oder gar eine Eisenbahn vorüberführen würde.

Dieses Lieblingsthema verfocht er nun mit allem Feuer und je mehr er behauptete, daß die Welt sich in diesem großen Jahrhundert völlig umkehren, zahllose Städte versinken und verarmen, andere sich erheben und die Kultur der neuen Welt sich an den Eisenbahnlinien aufhäufen werde, die als Strahlen derselben sich um große, glorreiche Mittelpunkte der Industrie und des Fortschritts ordnen würden, Welthauptstädte, in welchen der Sitz aller Macht und Größe, auf Erden zu finden sei: je hartnäckiger focht der Doctor diese Theorien an. Er wollte es nicht leiden, daß die Zeit, auf welche Simmers mit einem mitleidigen Lächeln blickte, nichts sei, die Zeit der Freiheitskriege und seiner Jugend, wo die Menschen alle von ganz anderem tüchtigern Schrot und Korn gewesen seien, als jetzt mit allen ihren hochmüthigen Künsten.

Ein Paar Verwalter und der Amtsschreiber nahmen auch keinen geringen Antheil an diesem wichtigen Streite, und während die Erstern sich zur Partei des alten, würdigen Mannes hielten und behaupteten, daß es immer schlechter auf Erden herginge und hergehen müsse – weil die Maschinen die Menschen überflüssig machten und ihr Brod verschlängen, Alles billiger werde, von Röcken, Stiefeln u. s. w. wollten sie nichts sagen, das möchte hingehen und wäre sogar recht löblich, aber das Getreide auch, das so viel Mühe mache und das Gehalt der Oekonomen dazu – trat der Schreiber auf Seite des Technikers und verfocht mit Nachdruck die neuen Theorien.

Alle rauchten dabei aus kurzen weißen Pfeifen und hatten eine große Bowle Punsch vor sich, der sie fleißig zusprachen. Dann und wann, wenn der kleine Schreiber oder der Doctor ein starkes Argument für ihre Ansichten vortrugen, brachen sie in ein wildes, jubelndes Lachen aus und stießen die Gläser zusammen, indem sie ihren jungen Herrn hoch leben ließen, der ein so würdiger Liebhaber der Kultur sei.

»Hat man je so etwas erlebt,« schrie der Doctor endlich, »da schwatzen sie und erfinden lauter ausländisches, schlechtes, fatales Zeug, das den biedern deutschen Mann anwidert: Kultur, Industrie, Intelligenz, Konkurrenz! Himmel Schwenzelenz! wollt Ihr uns etwa zu Franzosen machen? Habt Ihr keine deutschen Namen dafür, so ist Alles doch nur windige, neuausgeheckte Lüge, die der biedere deutsche Mann verachtet. Fort mit Eurem neumodischen Kram! bei uns bleibt's beim Alten. Deutsche Männer wollen wir sein und alles Fremde ausrotten mit unserer angestammten ehrlichen Biederkeit und angeborenen Einfalt.«

Hier sprang Simmers auf den Tisch, schwang die leere Bowle und hielt eine Rede:

»Hochwürdige Herren,« schrie er, »was ist Industrie, was will Industrie, was bezweckt die Menschheit damit?! Industrie, meine Herren, ist keine Gottheit von heut und gestern, denn schon im Paradiese wohnte sie und half unter dem Namen: Erkenntniß, Adam und Eva aus dem Stande der Unschuld zu einem Gürtel von Feigenblättern. Seit dieser Zeit – und es ist etwas lange her – ist die gute Dame über die ganze Erde gewandelt und zu allen Zeiten ziemlich schlecht behandelt worden, obwol sie ganz übernatürlich wohlthätig war, den undankbaren Menschen unzählige Dinge gab, sie statt mit Feigenblättern und Thierfellen, mit Wollen- und Seidengewändern bekleidete und endlich sogar Kattun machen lehrte, was ihnen nützlicher war, als alle Gold- und Perlenarbeit. Aber die Industrie ist unsere liebendste beste Mutter, welche – es ist unanständig zu sagen, aber ein großer Dichter hat es zuerst gethan – die ganze Welt beleckt, und das ist ihr eigentlicher Zweck, meine hochzuverehrenden Herren, das will sie, daß alle ihre Kinder, die Menschen, blank und rein und wohlanständig, gemächlich und behaglich, glücklich und zufrieden, das Leben genießen sollen. So ist sie Ursache und Wirkung in einer ewigen Kette, und wohl uns, wenn wir sie recht verstehen, recht begreifen, wenn wir ihre Winke benutzen, sammeln, erwerben, wo und wie es geht, und uns ihrem Dienste weihen, als kluge Priester! denn wahrlich, ich sage Euch, die Welt, wie sie ist, ist so gestaltet, daß die Klugen das Fett bilden und die Dummen die Suppe. Wollt Ihr oben schwimmen, so regt Hände, Augen und alle gelenken Sinne, und seht ja zu« – hier bekam der Tisch einen so heftigen Stoß, daß der Redner mitten im Worte plötzlich vorn über schoß, die Bowle aus seiner Hand flog und in tausend Stücke zerschellte, er selbst aber einen üblen Fall gethan haben würde, wenn ihn der alte Berthold nicht aufgefangen hätte, der ihn zärtlich in seine langen Arme schloß und an sein Herz drückte.

»Zögling der Kultur, Ritter der Industrie!« schrie er dabei, »verzeiht, daß ich in meiner Freude so grob anstieß, aber Ihr entzückt mein altes Herz mit Eurer modernen Weisheit. Jetzt weiß ich erst, wo das alles hinaus will, und was man mit Kultur und Industrie werden und erlangen kann. Man muß die Welt zu benutzen verstehen und die Suppe zu essen wissen, so lange sie warm ist.«

Simmers erwiderte seine Umarmung; sein anfänglicher Unmuth war verschwunden. Er lachte ausgelassen und sah den alten Mann listig an.

»Die Welt,« sagte er, »ist ein Patient, dem immer zur Ader gelassen werden kann. Bei Denen, die es verstehen – und Sie sind ja ein Doctor – wird das Blut zu Gold, Ordenssternen, Macht und Reichthum. Aber mein Kopf ist wüst, Ihr habt mir doch weh gethan mit Eurer Kulturzärtlichkeit, darum laßt uns zu Bett gehen und morgen weiter reden.«

 

Am nächsten Tage ganz in der Frühe war er aber schon bei Georg, dem er mit großer Klarheit Alles berichtete, was er gefunden hatte, ihm seine Pläne vorlegte und ihn aufforderte, vielleicht erst den Rath anderer fachverständiger Männer zu hören und selbst zu prüfen, ehe er sich entschiede. Wäre dies aber einmal geschehen, dann auch mit aller Energie die Fabrikanlagen zu betreiben und keine Kosten zu scheuen, um ein großartiges Unternehmen zu gründen.

Was er anführte, war überaus verständig, aber wäre es auch dies nicht gewesen, der junge Gutsbesitzer hätte schwerlich die Mängel eingesehen, denn nichts widerte ihn in diesem Augenblicke mehr an, als die Einsicht von Zeichnungen, die Beschreibung von Maschinen und die Berechnung von Vortheilen. Er starrte auf die Bogen voll Zahlen und Entwürfen und sagte dann:

»Sie haben vollkommen Recht, Herr Simmers, Ihrer Einsicht soll Alles überlassen bleiben, ich habe das größte Vertrauen zu Ihnen. Treffen Sie alle nöthigen Einrichtungen, setzen Sie sich mit den Mechanikern und Baumeistern in Verbindung, schließen Sie die Kontrakte, und was die Geldmittel betrifft, so werde ich sogleich meinem Banquier schreiben, alle Zahlungen zu leisten.«

Simmers dankte für das Vertrauen und Georg konnte es endlich nicht vermeiden, seinen Bitten, ihn zu begleiten, nachzugeben; aber bei allen den Unterhandlungen, Vermessungen und Vorarbeiten, welche nun geschahen, war er nur mit seinem Körper gegenwärtig und antwortete mechanisch auf die an ihn gerichteten Fragen, größtentheils ohne den Sinn zu fassen, und so schnell als möglich entfernte er sich, um auf einsamen Spazierritten von den Waldgrenzen aus nach dem fernen Thurm hinüber zu sehen.

An einem der nächsten Tage besuchte ihn der junge Baron, der voller Freude über den Wildreichthum und sein Jagdglück war und nicht begreifen konnte, wie Georg diese ausgezeichnete Jagd so unverantwortlich vernachlässigen könne.

»Bei meiner Ehre,« sagte der junge Edelmann, ich bin ein Glied des Jagdklubbs – Sie sehen es an meinem grün und schwarzen Rock – und jage daher häufig mit hohen Herren in königlichen Wäldern, aber wir haben dort nicht diesen Wildstand und einen so trefflich bestandenen Forst.«

Georg unterbrach diese Lobpreisungen, indem er nach Sabine und dem alten Baron fragte, und der junge Edelmann erinnerte sich erst jetzt seiner Aufträge.

»Meine Cousine,« sagte er lachend, »wollte mich eigentlich begleiten, und schon hatte sie den Federhut aufgesetzt und zerhieb ungeduldig die Luft mit der Reitpeitsche, weil das Pferd nicht schnell genug erschien, als sie beide fortwarf und zu Hause blieb. Welche Scrupel und Zweifel plötzlich über sie kamen, weiß ich nicht, aber sie ist eben so launenvoll, wie sie schön ist, und tyrannisirt natürlich die ganze Welt und sich selbst.«

»Sie hätten sie durch Vorstellungen bewegen sollen,« erwiderte Georg.

»Werther Freund,« rief der Baron, »diese naive Antwort verzeiht man Ihnen, weil Sie ein Einsiedler sind. Haben Sie jemals gehört, daß ein launenvolles Mädchen durch Vorstellungen zur Aenderung ihres Willens bewegt werden konnte? Was aber meine Cousine betrifft, so wäre keine Thorheit auf Erden größer, als die, ihr widersprechen zu wollen, um sie zu überzeugen.«

Georg sah ihn so befremdet und fast erschrocken an, daß der Baron laut lachte.

»Sie vermuthen eine Art neckischen übermüthigen Kobold in dieser schönen Hülle,« sagte er, »und Sie haben sich nicht getäuscht, dennoch aber ist es das reizendste, pikanteste, originellste Wesen, das sich denken läßt. Mit der größten Unerschrockenheit werde ich ihr meine Hand reichen.«

»Sie?!« sagte Georg.

»Ich,« erwiderte Richard mit selbstvergnüglicher Seelenruhe. »Unsere Eltern wünschen es,« fuhr er nachlässig fort und untersuchte den Hahn seines Gewehrs, »der Dispens wird auch zu erlangen sein, mein Vater interessirt sich dafür und die ganze Masse der Garçons der Gesellschaft wird mich teufelmäßig beneiden. Es kommt nur darauf an, daß ich erst meine Carriere in Ordnung bringe, ein Jahr oder so etwas zu einer Legation gehe und dann Stellung gewinne.«

Er sprach Vieles, was Georg kaum mehr hörte, denn Zorn und Schmerz rangen in seiner Brust, und nur mit Mühe war es ihm möglich, seine Empfindungen zu verbergen. Richard dagegen war ungemein freundlich und gesprächig, und schied erst nachdem er mehrere Stunden sich, wie er es nannte, zum Entzücken unterhalten hatte. Beim Abschiede erst fiel ihm noch etwas ein.

»Ich denke, wir sehen Sie morgen bei uns,« sagte er, »Sabine hat es mir ganz besonders aufgetragen, Ihnen zu bemerken, daß Sie erwartet werden und wir Alle bitten darum.« –

Nun gingen die beiden jungen Männer durch das große Gut, und bald gesellten sich Berthold und der Techniker zu ihnen, welche heut die besten und innigsten Freunde waren. Es wurde viel von den industriellen Anlagen gesprochen, und was Simmers von den großen zu erwartenden Vortheilen erklärte, machte den geheimen Neid und das Erstaunen Richards eben so rege, wie die Erläuterungen des alten Herrn, der mit ganz besonderem Eifer den Ertrag dieser schönen Güter ihm vorrechnete und andere sichere Andeutungen über die reiche Hinterlassenschaft seines verewigten Freundes gab.

Er schien zu erreichen, was er vielleicht bezweckte, denn der Baron war von einem Gefühl vermehrter Hochachtung dadurch ergriffen, und als er sich empfahl, wiederholte er mit Herzlichkeit den Wunsch, ihn morgen wieder zu sehen.

»Und Du wirst kommen,«, sagte der Doctor ganz vergnügt auf dem Rückwege, nachdem sie lange schweigend nebeneinander gegangen waren, und plötzlich stand er still, ergriff die Hand seines Pflegesohnes und sagte langsam:

»Wie nun, mein Kind, wenn der alte Berthold nicht immer die Stimme gehört hätte, die in seinem Herzen widerhallte?«

»Und wandle ich denn auf dem rechten Wege?« erwiderte Georg mit Heftigkeit. »Ich bin mir selbst untreu geworden, mein Leben, und was ich als wahr und heilig verehrte, die Grundsätze, auf welche ich baute: Alles ist zerschellt an einer fürchterlichen Macht, der ich plötzlich verfallen bin. Und wenn nun diese mich verläßt, wenn ich aus falschen Träumen erwache, wenn ich nicht vorwärts kann und nicht zurück, o! Du weißt nicht, alter Freund, was ich zu hoffen, was zu fürchten habe.«

»Ich weiß,« sagte Berthold mit Ruhe, »aber Du wirst morgen bei ihnen fein, und dann laß uns sehen.«

 

Die ängstlichen Zweifel, mit welchen Georg kämpfte, erhöhten seine Ungeduld, und in fast fieberhafter Aufregung verlebte er den folgenden Tag, bis er sich entschloß, der Einladung zu folgen. Ein herbstlich scharfer Wind wehte ihm entgegen und kühlte seine glühende Stirn, die von tausend schnellen Gedanken schmerzte. Als er das Gitter erreichte, hielt er das Pferd an, in dem er nach allen Seiten suchend umherblickte. Es war ihm, als müsse er sie hier finden, und plötzlich trat sie hinter der alten Marmorgruppe hervor, schöner als je, von Erwartung und Freude belebt, denn aus dem feuchten Glanz ihrer großen Augen schimmerte das nahe Glück.

»Ich wußte es wohl,« sagte sie, »hier würden Sie mich suchen, hier mußte ich Sie erwarten; aber diesmal sollen Sie keinen verwegenen Sprung wagen, denn ich habe den Schlüssel zum Pförtchen mitgebracht, und dort wartet schon unser alter Gärtner, der sich des Rosses bemächtigen soll, während ich den Reiter festhalte.«

Sie öffnete die Thür und bald gingen sie durch die Baumwege allein. Georg konnte den Blick kaum von der feinen zarten Gestalt abwenden, die schweigend neben ihm ging und mit dem Gertchen in der Hand nach den dicht fallenden Blättern schlug, die herbstlich von den alten Bäumen rieselten. Sabine schien bewegt und unruhig, denn bald blitzte sie nach dem Schlosse hin, bald zu den ziehenden Wolken, und ihre Locken flatterten im Winde über das erglühende Gesicht. Von Zeit zu Zeit nur richtete sie eine Frage an Georg; die er befangen erwiderte.

»Mein Vetter,« sagte sie endlich, »hat mir viel von Ihnen erzählt, von Ihren Gütern, von Ihren Unternehmungen, von dem alten wunderlichen Menschen, der Ihres Vaters Freund war, und mit einer Art neidischer Sehnsucht von Ihren Hasen und Hirschen und Schätzen.«.

»Dann,« erwiderte Georg, »haben wir Neid und Sehnsucht gegenseitig empfunden.«

»Sehnsucht nach Richards Schätzen?!« rief sie mit einem spöttischen Lächeln.

»Nach einem Schatz, der größer ist, als Alles, was Könige, besitzen und Zauberer oder Drachen jemals bewacht haben.«

Sie sah ihn mit einem forschenden ernsten Blicke an, und die Röthe des Unmuths bedeckte ihre Stirn.

»Ich errathe es,« sagte sie dann, »weil ich die unermeßliche Eitelkeit dieses edlen Herrn kenne. Ja, gewiß! ich könnte Ihnen fast Wort für Wort wiedersagen, das er von mir sprach; aber Geduld, mein Vetter, wir sind noch nicht so weit! Er setzte den Hut auf,« fuhr sie fort und verschränkte die Arme, »dann zupfte er seine Manschetten und sagte mit einem Achselzucken: ›Ich werde sie zu meiner Gemahlin machen, unsere Väter wünschen es, und eigentlich ist es um dies schmale Erbtheil unserer Familie, das sich so ohne Theilung erhält.‹ That er das nicht, reden Sie, sagte er nicht so?«

»Ungefähr dasselbe.«

»Und Sie,« sagte Sabine mit Heftigkeit, »was glauben Sie?«

»Ich zweifelte, und doch –«.

»Und wie – doch …«

»Doch wollte mein Herz verbluten.«

Sie sah ihn fest und vorwurfsvoll an.

»So schnell!« sagte sie, »und doch so leichtgläubig schwankend.«

Georg hatte ihre Hand ergriffen und der ganze Stolz seines Lebens drängte sich in seinem Herzen zusammen.

»Ich frage nicht, ob Sie mich hören wollen,« sagte er, »Sie sollen und müssen es. Eine unerklärliche Gewalt zieht mich zu Ihnen, Sabine, und vergebens ist die Stimme der Vernunft, die mich warnen will; obwohl ich weiß, welche Kluft, welche Vorurtheile uns trennen. Sie im Geräusch des glänzenden Lebens erzogen, ich in stillen Kreisen aufgewachsen; ich fühle und empfinde Alles und doch stehe ich hier und kämpfe um einen Preis, nach dem so viele glänzende Ritter vergebens ringen. Es mag eine Thorheit sein, Sie mögen es aussprechen, ich werde nicht klagen, aber Sie müssen es hören: Ich liebe Sie, Sabine, und nun antworten Sie mir mit einem Worte, das schnell entscheidet.«

Sabine hielt seine leise zitternde Hand fest und ihre schönen Augen drangen beruhigend und neu entzündend in seine heiße Brust.

»Sie haben mich überrascht,« sagte sie, »und doch wußte ich es; aber Sie haben wie ein Mann gesprochen, mit Würde, und nun sollen Sie auch mich hören, ich will Ihnen in Originalität meiner Erklärung nichts schuldig bleiben. In Romanen,« sagte sie lächelnd, »sinken die Liebenden sich an die wonneerfüllten Herzen und rufen leise, selig weinend, ihr Ewig! ohne an ein Erwachen zu denken. Wir aber wollen uns klar in die Augen sehen und prüfen, ob es möglich ist, das Lebensglück für uns festzuhalten. Warum,« fuhr sie fort, »soll ich es leugnen, daß auch in mir ein reges lebendiges Gefühl für Sie erwacht ist. In den großen Weltkreisen sind die Männer, die uns umschwärmen, Schmetterlinge; denen leicht der bunte Staub von den Flügeln fällt, und welche dann oft grau, ärmlich, lächerlich erscheinen. Sie, Georg, zogen mich an durch Ihre Einsamkeit, dann sah ich Sie und fand ein starkes, herzliches Gemüth, dem ich mit Vertrauen mich zeigte, wie ich bin, und mit Freude an gleichen Regungen bemerkte, daß wir uns verstanden. Aber genügt das zu unserm Glücke in unauflöslicher Verbindung, können wir damit den Widerstand besiegen, der sich uns entgegenstellt? Ist zärtliche Neigung und Liebe; welche ich empfinde, genug, um alles Widerstrebende zu lösen?«

»Was soll, was kann ich thun?!« rief Georg mit Entzücken.

»Wohin wollen Sie mich führen,« sagte Sabine, »wenn ich Ihre Gattin bin? Auf das einsame Herrenhaus in Blankenberg, wo es Jahr aus Jahr ein mit Räderwerken und Maschinen rasselt und man über wirthschaftliche Verbesserungen sinnt? Ich bin nicht dafür erzogen, Georg, es wäre Thorheit! Keine Liebe könnte mir ersetzen, was ich verlor, und mich vor Unglück schützen.: Und Sie selbst,« fuhr sie fort, »dürfen und sollen nicht in dieser schrecklichen Geschäftigkeit verderben. Kann ein Mann von Geist die groben eintönigen Arbeiten des Landmanns leiten und lieben, mit den Thieren zur Thierheit hinabsteigen und der Natur sein Leben und Streben abringen? Oder ist es so wonniglich unter den Wechselfällen des Handels und gewerblicher Thätigkeit, in Sorgen und Mühen alt zu werden? Es gibt Kreise von Wesen, Georg, die diametralisch in und durch einander ringen und die zahllosen Ketten bilden, aus deren Gliedern der ganze große Menschenbau zusammengesetzt ist. Es findet und paßt sich darin, was passen muß, aber wie es Grundsteine gibt und untergeordnetes Gebälk und luftige schöne Gold- und Marmorsäle, so gibt es auch Menschen, die den Mörtel, andere, die das edle Metall bilden. Laß Die das Feld bauen, die nichts Besseres thun können, laß die Gewinngier erfinderisch sein; aber wer beglückt ward, die Herrlichkeiten des Lebens genießen zu können, der liebe die schönen Genien der Freude, der Kunst, des Geschmacks, und werfe sich in den funkelnden Strom der Lust und des edlen Genusses, der ihn frei und glücklich macht; denn nur die sind wahrhaft frei auf Erden, die nichts von den drückenden Fesseln ihrer irdischen Gebrechlichkeit empfinden.«

»Ist es nur das,« sagte Georg, »so begegnen sich unsere Empfindungen. Ich bin reich genug, um alle Ihre Wünsche zu erfüllen, und wenn ein Lebensglück ganz rein und frei von Mängeln zu schaffen ist, so will ich es für Sie erringen.«

Mit einer schnellen Bewegung legte Sabine beide Hände in die seinen; ihre Blicke funkelten im Glück und stolzer Freude.

»Nun will ich es nicht mehr verbergen,« rief sie, »was vom ersten Augenblick an mich durchzuckte. Ja, ich liebe Sie, Georg, und hier zerbreche ich die Schranken, welche uns trennen könnten, ich will die Ihre sein, ewig, ewig!«

Georg war vor ihr niedergesunken und küßte inbrünstig ihre Hände, indem er tausend Liebesschwüre und zärtliche Namen sprach. Rund umher brauste der alte Wald, als erwachten darin die zornigen Geister der alten Barone, der kleine See warf Wellen gegen sie auf, der Schwan kam mit ausgespreitzten Flügeln zischend heran und die Trauerweiden am Ufer, unter denen sie standen, schüttelten seufzend und drohend ihre grünen zahllosen Finger.

»Sie sollen uns nicht trennen,« sagte Sabine heftig; »ich kenne sie, ich kenne ihren Spott, ihre Albernheit und ihre Ohnmacht. Mein Vater ist uns entgegen, doch er ist auch gut und würde sich belehren lassen, aber dieser Richard und diese alte verrostete Hofmarschallin üben einen traurigen Einfluß. Was fragt man nach der Erbärmlichkeit solcher Weisheitslehren! aber ich will vor sie hintreten, wenn es Zeit ist, und vergelten.«

»Ich will mit Ihrem Vater offen reden, meine geliebte Sabine,« sagte Georg.

»Nein,« erwiderte sie mit Bestimmtheit, »nicht mit meinem Vater, mit meinem Oheim, dem Präsidenten. Unter allen Menschen kennt er mich am besten und unter allen schätze ich ihn am höchsten. Er ist klug und welterfahren.«

Nun sprachen sie lange über Das, was gethan werden sollte, aber von Zeit zu Zeit gingen die prüfenden Betrachtungen in einem heißen Liebesleben unter. Sabine strich ihm mit den kleinen Händen das weiche, geschmeidige Haar von der Stirn, und sagte dann, ihm lachend zunickend:

»Du wirst gut und folgsam sein, mich immer lieben und an mich glauben, das fühle ich an dem seidenen feinen Haar, wenn es auch nicht so aus den klaren Augen sprühte.«

Und Georg küßte ihre Lippen und preßte ihre Hand an sein Herz. Er hätte sie erdrücken mögen in seinen starken Armen, so hielt er sie fest, von Luft und Glück gedankenlos in den Liebesstrom geworfen, der ihn fortriß.

Endlich sagte sie:

»Nun müssen wir ruhig sein und still überlegen, Die zu täuschen, welche uns täuschen möchten. In der nächsten Woche reise ich nach der Residenz, das werde ich einzurichten wissen. Mein Oheim hat geschrieben und ihm will ich Alles sagen. Sie folgen mir nach, ich führe Sie zu ihm, und beschützt er uns, so wagt Niemand eine Einrede.«

»Und wenn er uns nicht beschützt?« flüsterte Georg.«

»Dann,« sagte Sabine mit einem stolzen flammenden Blick, »beschützen wir uns selbst; was wollen sie thun, wenn wir fest beharren? Es steht in Büchern,« fuhr sie spöttisch fort, »und kommt wol auch im Leben vor, daß Kinder von schlechten Eltern gezwungen werden, einem Ungeliebten, ja Verhaßten sich zu opfern; aber es geschieht ihnen recht, denn die Schwäche muß gestraft werden. Unglück muß Denen folgen, die wie ein Thier sich verkaufen lassen.«

Georg verstummte mit einem leisen Seufzer, denn er dachte an Marie, und hörte still, was Sabine über die Nothwendigkeit sagte, Niemanden wissen zu lassen, was sie beschlossen; ja, daß es nöthig sei, zurückhaltender und fremder zu scheinen, als bisher. Sie schmückte die Täuschung und Verwunderung der Cousine, Richards und des Vaters mit Lebendigkeit aus und rief lachend, daß schon darum die Enthaltsamkeit sich vergüte, selbst wenn sie keine Nothwendigkeit wäre.

»Und sogleich können wir sie üben,« fuhr sie fort, »denn dort kommt mein Vater mit den theuren Verwandten. Adieu! mein Georg, leb' wohl! mein Liebling, und nun mein Herr Warburg – ich hoffe, bald mein Herr von Warburg! – lassen Sie uns gehen.«

Die Stunden, welche nun Georg im Schlosse verlebte, gehörten zu den seltsamsten. Er war in einem Taumel der Freude und Hoffnungen und sollte diesen unter einer kalten Gemessenheit verbergen, was er nicht vermochte. Um seinen Empfindungen einen Ausweg zu verschaffen und Sabinens erinnernden Winken nachzukommen, wandte er alle seine Aufmerksamkeit der Hofmarschallin und ihrer blonden Tochter zu, die wirklich nach und nach vor dieser Hingebung zu schmelzen begann und eine herablassende Erkenntlichkeit zeigte.

Je mehr aber das Gespräch schnell und belebt zwischen ihnen wurde, um so kälter und spröder wandte sich Sabine ab, und gab zuweilen so stolze. scharfe Antworten, indem sie zugleich eine so merkliche Vernachlässigung der Form gegen Georg zeigte, daß die Cousine sehr gedankenvoll den Kopf schüttelte. Heimlich vergütete sie mit einem einzigen Blicke Alles, und Georg hatte Gelegenheit, das Bruchstück eines Gesprächs der alten Dame mit dem Baron zu hören, in welchem er selbst eine Rolle spielte.

Sie gingen vor dem Salon auf und ab, während er hinter einem aufgestellten Schirm Blumen betrachtete, und er konnte gut verstehen, wie die Dame sich nach der wahrscheinlichen Grüße seines Vermögens erkundigte, das ganz nach ihren Wünschen auszufallen schien.

»In der That,« sagte sie, »es ist ein höchst gebildeter liebenswürdiger Mann, nur Schade, sehr Schade!« –

»Was Schade?« sagte der Baron.

»Daß er nicht von Familie ist. Es wäre eine vortheilhafte Partie.«

»Pah!« erwiderte der alte Herr, »er ist reich; das überwindet viel.«

»Aber er kann mit allem Gelde sich keine Familie schaffen,« sagte die Hofmarschallin, »und in unserer Zeit thut es um so mehr noth, die Anmaßung dieser reichen Gemeinheit von uns abzuwehren.«

Der Baron schwieg ein Weilchen, dann sagte er leise:

»Hören Sie, liebe Cousine, wir aber können mit all unsern Stammbäumen und Ahnen kein Rittergut kaufen.«

»Hier ist von Verbindungen die Rede,« versetzte die Hofmarschallin stolz, »und würden Sie ihm bei seinem reichen Besitzthume Sabinens Hand bewilligen?«

»Ich? nein!« rief der alte Herr, »weil ich Gründe habe, weil meine Tochter – mein Neffe – nun Sie wissen ja selbst; aber sonst – ja sonst – mein Himmel, es ist ein reicher schöner junger Mann! was kann man mehr wollen, wenn man im Embarras jetziger Zeit Töchter hat.«

Leise schlich Georg davon, um nichts mehr zu hören, aber die Hofmarschallin wurde von jetzt an weit freundlicher und das hochblonde Fräulein lächelte ihm zu und schlug verschämt die Augen nieder, wenn er sie ansah.

Sabine hatte alles bemerkt, und wie Georg gehen wollte, flüsterte sie ihm ins Ohr, daß er eine gefährliche Eroberung gemacht habe und lachte dann über die gelungene Täuschung, denn die Hofmarschallin hatte sie alles Ernstes ermahnt, ihre bösen Launen und ihre Abneigung gegen den jungen: Warburg besser zu verbergen.

»Ich komme, ehe ich reise,« flüsterte sie ihm zu, »gedenke mein!«

 

Und diese Worte begleiteten ihn. Er hörte sie Tagelang und durchlebte unzählige Male die schönen unvergeßlichen Minuten in Sabinens Armen. Zuletzt kam ihm alles wie ein böser Traum vor, und mit ungeheurer Angst dachte er nach, ob es auch wirklich wahr sei.

»Wie war es nur möglich,« rief er, »wie kam es, so jäh überraschend, ein Himmelsblitz, dessen Feuer alles Irdische zerbrach. Wie hatte ich den unbegreiflichen Muth, ihr meine Liebe zu gestehen. Aber das ist das Wunder der Liebe, daß sie den Furchtsamen zum Helden und den Helden oft zum zagenden Schäfer macht.«

Georg ging umher mit seligen Empfindungen und strahlenden Augen. Die ganze Welt war anders geworden, in einer einzigen Nacht. Die Blumen blühten schöner, die Bäume, der Himmel, der Sonnenschein: Alles regte ihn an und weckte sein Herz; und die Menschen, o! er hätte keinem ein rauhes Wort sagen können, er liebte sie alle und hätte weinen mögen vor innerer, fast gedankenloser Freudigkeit.

Nachdem er in Hoffnung, Angst und zärtlicher Erwartung ein Paar Tage umhergegangen war, Alles gutheißend, was der Baumeister that, und dem alten Berthold entzückt die Hände drückend, wenn dieser sprach und rieth, erschien endlich die glückliche Stunde, welche Sabine angesagt hatte. Der Baron, die Hofmarschallin und Amalie saßen in dem Jagdwagen, den Richard lenkte; Sabine aber auf ihrem muthigen Pferde sprengte voran, und Georg, der die schöne Erscheinung zuerst erblickte, riß sich, zitternd vor Liebe und Bewunderung, los von Berthold, der mit ihm am Fenster stand und lächelnd ihn ausforschte.

»Da ist sie, meine Sabine!« rief er, »und nun weißt Du Alles, nun richte.«

Wie er sie vom Pferde hob, streiften ihre Lippen seine Wangen und erglühend sagte sie:

»Mein Georg! wie hab' ich mich gebangt, wie schwer wird es mir, meine Rolle durchzuführen! Aber nur eine kleine Geduld noch und alles wird gut. Morgen reise ich, einen Tag später folgst Du mir; eile, ja eile! denn ich sterbe vor Sehnsucht und Verlangen.«

Ehe er antworten konnte, kamen die Uebrigen und nun war es den Liebenden lange nicht möglich, sich unbeachtet zu nähern, was ihnen durch die freundliche Aufmerksamkeit der Damen gegen ihren jungen Wirth noch schwieriger gemacht wurde. Georg mußte sie umherführen durch Haus und Hof und manch belobendes Wort ward ihm zu Theil für die schöne Ordnung, welche man so selten in einem einsamen Herrenhaushalt träfe. Als die Hofmarschallin diese Bemerkung machte, blickte Georg das Fräulein lächelnd an, das blutroth das Gesicht fortwandte und zu Sabinen eilte, welche in den Weinlauben des Gartens langsam weiter ging

»Ich weiß nicht,« sagte sie, anscheinend sehr zornig, »was die Mama für wunderliche Dinge thut, die mich in entsetzliche Verlegenheit bringen. Anspielungen, welche den jungen Warburg vermuthen lassen können, man bezwecke eine Verbindung.«

»Verbindung, mit wem?« sagte Sabine zerstreut.

»Mein Gott! mit mir,« erwiderte sie leise, »und das mag er sich nicht einbilden. Es wäre mir schrecklich, wenn er etwa ernstlich daran dächte.«

»Er würde also einen Korb bekommen?«

»Du fragst sehr wunderlich. Ich glaube nicht, daß ich anders handeln könnte. Warburg! das ist ein sehr gewöhnlich klingender Name, und Georg! wie kann man Georg heißen?!«

»Der Ritter, der den Drachen durchstach, hieß auch Georg.«

»Aber er war von gutem altem Adel,« rief Amalie mit Feuer, »und wie gräßlich muß es sein, plötzlich so bürgerlich zu werden. Nein, niemals könnte ich mich dazu verstehen.«

»Gut« sagte Sabine ruhig, »ich werde es ihm sagen.«

»Um des Himmels willen, nein!« rief das Fräulein, und klammerte sich fest an sie; »ich kenne Deinen Haß gegen ihn. Du willst ihn quälen und sollst es wenigstens nicht um meinetwillen. Wenn er es thut, so werde ich – oder vielmehr meine Mutter – gewiß entscheiden, wie es nöthig ist.«

Sabine küßte sie und sagte:

»Du bist eine kleine Thörin. Warburg ist schön, gut und reich; käme er zu mir, ich sagte nicht nein.«

»Wahrhaftig,« rief das Fräulein, »das thätest Du?! Nun, dann weiß ich freilich nicht, ob man unter gewissen Bedingungen, und wenn er recht erkennte, welche Opfer man ihm brächte, nicht auch ja sagte.«

»Thue das,« erwiderte Sabine lachend, »aber ach! Amalie, ich fürchte, er wird nicht kommen.«

Nun erschienen sie Alle, und auch der alte Berthold hatte sich ihnen beigesellt, der in seiner Uniform und den Degen an der Seite, wie immer an großen Gallatagen, sich herausgeputzt hatte und eine gar wunderliche Erscheinung war. Georg stellte ihn dem Baron und der Gesellschaft, als den treuesten, ältesten Freund vor, den er besitze, und der große hagere Mann verbeugte sich mit steifen halb militairischen Grüßen, indem er seine flüchtige Bekanntschaft mit dem Freiherrn erneute.

Die jungen Damen konnten schwer ihren Spott über den sonderbaren alten Mann unterdrücken, der mit seinen langen dürren Armen und Beinen gelenkig umherschlenkerte und seinen Degen höchst gravitätisch trug. Wiewohl er ganz verständig sprach und that und seinen hellen Augen nichts zu entgehen schien, waren seine Manieren doch alle so ungewöhnlich und sein Aeußeres so abschreckend, daß Sabine einen Widerwillen nicht verbergen konnte, als er sich ihr näherte. Sein Gesicht wurde, je freundlicher es aussah, je häßlicher, und die Art, wie er sich ausdrückte, um der jungen Dame seine Zuneigung zu beweisen, erhöhte ihren Widerwillen so sehr, daß sie nach wenigen Worten sich abwandte und mit Georg weiter ging.

»Wie ist es möglich,« sagte sie, »wie kannst Du dies abscheuliche alte Geschöpf täglich und stündlich um Dich dulden! Ein Caliban, den ich vertreiben will, wenn ich als Uriel in dies Haus ziehe, denn das mußt Du mir versprechen, und gut, daß ich es mit eigenen Augen sehe. Er sieht Dich an mit der zärtlichen Koketterie einer veralteten Geliebten und behandelt Dich in seinem Reden und Thun noch wie sein Kind, mit jener unverschämten Vertraulichkeit, die Gewohnheit und Alter in niedrigen Seelen erzeugen.«

Was Georg auch erwidern mochte, und wie sehr er die trefflichen Eigenschaften seines alten Freundes rühmte, er verstärkte dadurch nur die Abneigung, welche sich im Laufe des Tages noch mehrmals mit solcher Entschiedenheit gegen den alten freundlichen Mann kehrte, daß dieser keine Annäherung mehr wagte.

Die kleine Gesellschaft vergnügte sich indeß sehr wohl, und die alte Wirthschafterin war entzückt, endlich eine Gelegenheit zu finden, ihre Küchenkünste zu üben, welche seit dem Tode des alten Herrn gänzlich geschwiegen hatten.

Der Baron trieb endlich zum Aufbruch, nachdem Georg durch seine gastlich reich besetzte Tafel und die gediegene Menge und Schwere seines Silbergeräths die Hofmarschallin in eine stumme und heimliche Berechnung versenkt hatte. Richard hatte inzwischen die junge Cousine sehr angenehm von den inneren Einrichtungen eines Fuchsbaues unterhalten, während diese den einfach geschmückten Saal betrachtete, und ihre besondere Gedanken dabei hatte, wie es sein sollte, wenn sie hier wohnte, und der Baron sprach mit Georg über die Reise seiner Tochter, welche ihren Oheim durchaus zu sehen wünsche, und der er in wenigen Tagen folgen werde.

»Und nun scheiden wir Alle zufrieden als Ihre dankbaren Gäste,« sagte er, »und hoffen, daß wir uns bald wieder finden.«

Diesen Augenblick hielt Georg für günstig, indem er so dreist als möglich erklärte, daß es wohl sein könne, er selbst müsse in wichtigen Angelegenheiten nächstens die Hauptstadt besuchen, wo er gewiß den Baron zu sehen hoffe. So schieden sie, und wie Georg die Zügel an Sabinens Pferd ordnete, drückte sie ihm leise die Hand und sagte lächelnd:

»Leb' wohl, mein Ritter Georg, fürchte die Drachen und Ungeheuer nicht, und folge mir nach, sobald Du kannst.«

Als sie fort waren, hatte der junge Gutsherr eine lange Besprechung mit dem alten Freunde, der sinnend in dem Zimmer auf- und abging und ihn erwartete. Georg glaubte Sabine entschuldigen zu müssen, aber Berthold sagte lächelnd:

»Es ist ein hochfahrend stolzes Gemüth in ihr, das ist ganz in der Ordnung. Sie kann den alten redseligen Gesellen nicht leiden, der Dein Herz mit ihr theilen will, das spricht ja eben für ihre Liebe zu Dir, und ich freue mich so recht innerlich, daß sie so grob zu mir war. Und wenn sie sagte: hinaus mit dem alten Menschen da! ich nähme den Hut ab und antwortete: Sogleich, und Gott segne Dich dafür, Du schönes gutes Kind! Nur ohne Furcht, Georg! ja, ich sehe, Du bist auf dem rechten Wege, und meine alten Augen werden den Tag erleben, wo das stolze schöne Weib hier mit Dir einzieht, und dann ist Alles erfüllt für den alten Berthold.«

Als Georg ihm nun entdeckte, was zwischen ihnen verabredet, war er ganz voller Freude und Theilnahme, und Niemand betrieb die Anstalten zur Reise eifriger, als er. Die Verwaltung des Gutes, welche er so lange geführt hatte, blieb in seinen Händen; der junge Simmers ward an ihn gewiesen mit all seinen Vorschlägen und Forderungen, bis zur Rückkehr des Gutsherrn, die in der kürzesten Zeit verheißen ward, und ganz in der Frühe des zweiten Morgens fuhr die alte Reisechaise seines Vaters mit ihm nach dem nächsten Orte, wo Postpferde zu nehmen waren.

Mit steigender Erwartung näherte sich Georg der Hauptstadt, in welcher sich sein Geschick entscheiden sollte. Jede zurückgelegte Meile machte ihn bestürzter und ungewisser, und mit wahrer Herzensangst sah er endlich die zahlreichen Thürme in dem Morgennebel vor sich aufsteigen. Seine Studien über das, was er sagen und thun wolle, waren unendlich; tausend Vorstellungen wirrten sich in seinem Kopfe und wurden verworfen, um neuen nicht haltbaren Platz zu machen, bis zuletzt die Ueberreizung ihm eine Art von Resignation gab, nach den Umständen zu handeln und fest zu vertrauen.

Das Hotel, in welchem er absteigen wollte, war Sabinen bekannt, und mit hoffendem Entzücken nahm er dem Aufwärter ein Billet ab, das vor einer Stunde schon für ihn abgegeben war. Sabine hatte mit ihren zierlichen Zügen nur einige Worte darin geschrieben:

 

»Alles ist gut, mein theurer Freund. Komm um elf Uhr pünktlich in das Haus meines Oheims, er will Dich selbst sehen und sprechen, empfangen wird Dich

Deine Sabine.«

 

So waren denn die Zweifel gelöst und in zärtlichem Liebesfeuer drückte Georg die theuern Worte an seine Lippen. Immer las er sie wieder, ihm schwindelte vor dem schnell erreichten Glück, aber die ängstlichen Besorgnisse gingen vor der Ueberzeugung unter, die kühn aus Sabinens Brief in sein Herz drang. Rasch und mit Sorgfalt kleidete er sich an, und, zum ersten Male vielleicht, glaubte er einen gewissen Glanz seines Reichthums zeigen zu müssen. Seine Busennadel und der blinkende große Ring an seinem Finger waren von bedeutendem Werth, Erbtheile seines Vaters, der hierin allein verschwenderisch gewesen war, und wie er vor den Spiegel trat und sich musterte, fand er, daß er wenigstens mit den meisten jungen Leuten den Vergleich aushalten könne.

Endlich war er in dem glänzenden Hotel, dessen ganzes Mittelgeschoß der Präsident bewohnte. Unten befanden sich die Bureaux seines Verwaltungszweiges; viele geschäftige Personen liefen umher und ein reich gallonirter Portier zog eine große Klingel, auf deren Schall ein modernisirter Bediente erschien, der, als er, den Namen des Angemeldeten hörte, plötzlich viel höflicher ward, die große, bunt ausgelegte Glasthür weit öffnete und den keck aufschreitenden Georg über die polirte Treppe und die schönen darüber gedeckten Teppiche führte.

Welche glänzend meublirte Zimmerreihe, welche Pracht und Auswahl im feinsten Luxus thaten sich vor Georg auf! Er empfand mit einem Male, daß er in der Wohnung eines mächtigen, gewiß auch reichen Mannes stehe, und lächelte darüber, daß Sabine, an ein so auserwähltes Leben gewohnt, Monate lang in den düsteren verfallenen Hallen ihres väterlichen Schlosses wohnen konnte. Hier begriff er erst, wie sehr sie über Langeweile klagen mußte, und indem er die kostbaren Gemälde an den Wänden betrachtete und darüber nachdachte, was sie ihm vom Genuß des Lebens, von Künsten und jenem glücklichen Epicuräismus, der im eigenen Schwelgen das arbeitsame Talent weiter treibt, gesagt hatte, hörte er das Rauschen eines Gewandes, und plötzlich umschlangen ihn zwei weiche Arme, zwei Liebessterne sahen ihn strahlend an, zwei Lippen flüsterten:

»Mein Georg!« und Alles war vergessen, denn wie schön war sie! Ihre langen reichen Locken fielen über einen blitzenden Gold- und Steinkamm weich und duftig in den weißen Nacken, und die edle Gestalt, von schwerer faltenvoller Seide umflossen und doch daraus leicht hervorgehoben, hatte einen idealen Reiz.

»Komm,« sagte sie und zog ihn gegen die Flügelthür, »mein Oheim erwartet Dich. Er weiß Alles, und was er nicht billigt, das duldet er, weil er meine Gründe und Geständnisse hat.«

Sie ging rasch durch den Salon, pochte an eine zweite Thür, öffnete diese und trat mit Georg herein, den sie an der Hand fest hielt. Es war ein elegantes Empfangzimmer, in dessen Mitte der Präsident stand. Seine hohe würdevolle Gestalt wurde durch den schwarzen Anzug gehoben, auf dessen Brust ein großer Stern glänzte. Grauweißes dichtes Haar bildete zu den feurigen dunklen Augen einen bezeichnenden Contrast, und sein scharf geschnittenes Gesicht drückte Ernst, Feinheit und Klugheit aus.

»Hier ist er, mein Oheim,« sagte Sabine: »Georg Warburg, den ich erwartete, den ich liebe, und der mit mir unsere Vereinigung von Deiner Güte hofft.«

»Mit so wenigen Worten sagst und forderst Du Vieles und Alles,« erwiderte der Präsident lächelnd, indem er seinen scharfen, prüfenden Blick über Georg hingleiten ließ; »aber ich sollte meinen, die Verbindung zwischen zwei so jungen und widerstrebenden Staaten sei jedesfalls ein sehr vorsichtiges und schwieriges Geschäft.«

Mit diesen Worten näherte er sich lächelnd dem jungen Fremden und reichte ihm die Hand, indem er ihn willkommen hieß.

»Ich habe Ihren Vater auch gekannt, Herr Warburg,« fuhr er dann fort, »und weiß sehr wohl, welche Verdienste sich der würdige Mann in schwerer Zeit erworben hat.«

»O, theuerster Oheim!« rief Sabine ungeduldig, »um des Himmels willen lassen Sie jetzt den wackeren, alten Mann in seinem Schlummer, wo ich vor Erwartung zittere und Georg nicht minder ungeduldig ist, mit mir zu Ihren Füßen zu fallen und gesegnet aufzustehen.«

Der Präsident strich lächelnd mit dem Finger über ihre Lippe; und indem er sie in seinen Arm zog, sprach er mit Georg weiter.

»Ich erinnere mich nicht,« sagte er, »daß Ihr Herr Vater jemals vom Staate irgend seine Belohnung verlangte.«

»Mein Vater glaubte nur gethan zu haben, was Pflicht und Ehre geboten.«

»Wenn Jeder so bescheiden wäre,« erwiderte der Staatsmann lächelnd, »so würde es besser mit uns stehen. Da aber Welt und Menschen so gestaltet sind, daß das wenigste Verdienst gewöhnlich die größten Ansprüche erhebt, so ist es nicht recht, wenn Diejenigen sich verbergen und dem Andrange Platz machen, welche am ehesten zum Fordern berufen wären.«

Georg sah fragend zu ihm auf.

»Sie verstehen mich,« sagte der Präsident, »und da es sich so zu fügen scheint, daß Sie, mein werther Herr Warburg, mir und meiner Familie näher treten, so dächte ich, es wäre wol Eines oder das Andere, was Sie zu wünschen hätten.«

»Ich gestehe,« erwiderte Georg verlegen, »ich weiß in der That nichts, warum ich bitten sollte. Ich bin unabhängig, reich, vielleicht reicher selbst, als Sie glauben, und wüßte aus den Staatsmitteln nichts, was ich fordern könnte.«

»Was Geld betrifft,« sagte der Präsident lachend, »so hat das auch gute Wege, denn, lieber junger Freund, Alles ist von einem so großen, mächtigen Wesen eher zu erlangen, als die Speise, die es allein lebendig erhält, aber gibt es nicht noch andere Dinge?«

Er nahm eine ernste Miene an und fuhr dann fort:

»Der Staat hat viele Kreise seiner Bürger, die wie Stufen zu dem höchsten Sitze der Macht leiten. So ist es seit grauen Zeiten gewesen. Ausgezeichnete Menschen und Geschlechter winden sich aus der Allgemeinheit, und so bildet und baut sich das fort, bis da und dort Einer das höchste Erdenloos erreicht. Wir haben erst in neuester Zeit gesehen, daß es wol möglich ist, in dem Raum eines kurzen Lebens das Größte zu erreichen; um aber fest zu bauen, muß man langsam vorwärts schreiten. Anspielung auf Napoleon, der schließlich stürzte. Meine Familie hat seit vielen Jahrhunderten Glanz und Ruhm errungen und bewahrt, Sie wollen sich uns anschließen, einen alten Namen mit dem Ihren verbinden, Sie wollen und wünschen, daß Sabinens Vater und ich selbst werthen Entwürfen entsagen; welchen Ersatz können Sie uns geben?«

Georg zögerte mit seiner Antwort, denn nun wußte er wohl, was der Präsident bezweckte, und ein Gefühl des Unmuths und der Scham bedrängte ihn. Was er sagen konnte, daß er hoch ehre, was aus historisch alter Begründung hervorgegangen, das aber in der Zeiten Lauf, seiner Meinung nach, nun ganz überflüssig und hemmend sogar für das allgemeine Wohl geworden sei, sobald es mit besonderer Berechtigung auftrete, das durfte er nicht. Sabine aber sagte:

»Ich will Dir mit drei Worten erklären, lieber Georg, womit mein Oheim über Berg und Thal heranschleicht. Dein Vater hatte wie ein tapferer Mann gefochten, Du bist reich und ein großer Grundbesitzer, darum sollst Du den Adel nachsuchen, der Dir nicht verweigert wird, und was ich auch vielleicht in Deinen Augen dagegen lese, Du thust es um meinetwegen.«

Sie reichte ihm die Hand hin, und Georg gelobte gern das zu thun, was der Präsident für nöthig finden würde.

Nun entwickelte sich die Unterhaltung leichter. Der Oheim schien ein Wohlgefallen an dem jungen Mann zu finden, dessen allgemeine Bildung er hin und wieder prüfte und aus seinen Antworten neue Fragen bildete. Endlich sagte er lächelnd:

»So will ich denn nicht länger widerstreben, sondern mich bereit erklären, vermittelnd aufzutreten, nur darf die Vollendung nicht zu früh gefordert werden. Besuchen Sie mein Haus, lieber Warburg, ich betrachte Sie von heut' an als ein Mitglied unseres Kreises; nähern Sie sich hier ungestört meiner Nichte, gleichen Sie ganz Ihre Empfindungen aus, und nichts soll uns hindern, so den Weg zu finden, der am sichersten zu einer schönen Vereinigung führt.«

Er sagte dies mit bedächtiger Ruhe und einem beobachtenden Blick, den er auf Beide warf. Seine Erklärung war unbestimmt und doch umfaßte sie Alles, und was er weiter sprach über die Verhältnisse der Gesellschaft und seiner eigenen besonderen Stellung, über die Weise, wie er mit seinem Bruder berathen und seinem eigenen Sohne Richard es eröffnen werde, daß Sabine ihn verschmähe, war eine Mischung von hohem Ernst und Feinheit der Andeutungen, wie von scherzenden Bemerkungen, hinter denen sich doch wieder Manches versteckte.

»Ich muß Sie entlassen,« sagte er endlich, »weil mich dringende Geschäfte rufen, aber Sie bleiben und leisten Sabinen Gesellschaft, indem ich Sie bitte, unser Gast zu sein. Ich meine,« fuhr er dann fort, »ich habe Ihnen eine schwere Strafe auferlegt,« und nun wandte er sich zu Sabinen und fragte lächelnd, ob er es so recht gemacht habe.

Das schöne Mädchen schlang leidenschaftlich die Arme um ihn, und wie sie ihn küßte, rief sie:

»Ich wußte es wohl, es konnte nicht anders sein, Du mußtest meine Wahl billigen, die nach meinem Sinne schön und in dem Deinen verständig ist.«

»Noch Eins!« rief der Präsident drohend, und lächelnd, als sie an der Thür waren: »kein voreiliger Uebermuth, ehe wir die Schritte billigen;« und zu Georg sagte er: »In wenigen Tagen wollen wir das Gesuch um Ihr Diplom entwerfen, ich hoffe wohl auf seine schnelle. Berücksichtigung.«

Sabine führte ihren Freund durch das ganze schöne Haus, und endlich in den großen Garten, wo sie lange, mit ihm auf und nieder ging in entzückender Vertraulichkeit und Gespräch.

 

Einige Tage später ging durch eben diese Laubgehege der Präsident und sein Bruder, mit welchem er gleich nach seiner Ankunft ein langes und geheimes Gespräch geführt hatte. Der alte Freiherr schien sehr zornig und betrübt, während sein Bruder nichts von seiner ernsten Ruhe verlor.

»Du betrachtest diese Angelegenheit,« sagte er, nachdem er die heftigen Bemerkungen lange angehört hatte, »aus einem ganz falschen Gesichtspunkte und machst mir Vorwürfe über meine Bereitwilligkeit, den unerhörten Forderungen der kleinen Thörin so schnell nachgegeben zu haben, was ich doch noch gar nicht that. Der Winter ist an der Thür, der junge Warburg ist ein angenehmer Mann und sein häufiger Besuch durchaus keine eigentliche Concession, welche nicht in der geselligen Form wäre.«

»Wie ist es aber möglich,« rief der alte Herr, »daß Sabine, die eine so reiche Wahl in der Gesellschaft treffen kann, gerade diesen einfachen, scheuen, unbekannten Mann wählen konnte und in kurzer Zeit ein Verständniß sich anknüpfte?«

»Du kennst die Frauen nicht,« erwiderte der Präsident, »und am wenigsten scheinst Du Deine Tochter zu kennen. Glaubst Du, daß sie diesen niedern Freier liebt? Nein, gewiß nicht. Aber es reizt ihren Eigensinn, es schmeichelt ihrem Stolz, es weckt ihre Capricen, daß die angestaunte Schönheit plötzlich eine solche Wahl treffen kann. Vertraue doch meiner Herzens- und Menschenkenntniß. Der Winter ist lang genug, um ein so rasch entstandenes Feuer abzukühlen, und ich vermuthe fast, er geht nicht zu Ende, und beide Theile sind froh, so wohlfeil davon zu kommen. Gib daher immerhin Deine Einwilligung unter gewissen Bedingungen; sage, wie ich: Lernt Euch kennen, aber keine voreilige Erklärung, keine Uebereilung!«

»Wenn sich aber doch Deine Vermuthungen täuschen, und Sabine überdies durch diese unwillkommene Bekanntschaft, wie ich fürchten muß, den Augen oder vielmehr den Zungen zu thun gäbe?«

»Was diese betrifft,« sagte der Oheim mit seinem kalten Lächeln, so verstummen sie von selbst, wenn der arme Tropf, abgewiesen für immer, verschwindet. Sollte aber, wider alles Vermuthen, die Thorheit nichts an Stärke verlieren, oder besondere Fälle eintreten; nun, so mögen wir uns darein ergeben. Denn Eines wiegt dabei das Andere auf,« fuhr er bedächtig fort, »und was Sabine als Grund geltend machte, war vernünftig gedacht, ich muß es sagen. Wir müssen uns gestehen, es gibt nicht viele wirklich glänzende Partien, wenigstens solche, die Sabinens Ehrgeiz und Verschwendung genügten. Sie braucht viel, sehr viel. – Mein Haus ist eine Art Tempel der Moden, des Luxus, des Geschmacks, aber das ist theuer, sehr theuer. Trotz meiner Einkünfte bin ich in manchen Verlegenheiten, und ihre Erklärung, daß sie lieber einen reichen Mann wähle, der obenein jung und hübsch sei und sie bis zur Narrheit liebt, als einen nur bemittelten von Familie, oder einen alten Herrn, der beide Vorzüge vereint, ist mir völlig einleuchtend. Was sie von Warburgs Bildung und Talenten sagt, ist freilich eine bloße Zugabe, aber doch nicht zu übersehen. Wir leben in Zeiten, wo Manches sich geändert hat und weiter ändern wird, das muß man beachten. Richard wird sich trösten und wo möglich eine gute Partie machen. Er soll zur Gesandtschaft, um sich zu zerstreuen, und Bäder besuchen. Warburg aber hat wirklich ein großes Vermögen, ich habe mich erkundigt, nicht allein die Güter, sondern auch baare Kapitalien; und was Namen, Titel und dergleichen betrifft, so kennst Du ja die Wege des Lebens – in zwei- oder dreihundert Jahren, dieser erbärmlich kurzen Zeit, wird sein Stammbaum sehr alt und sehr groß sein.«

Auf diese Weise war der Freiherr getröstet, und als nun Sabine und Georg herbeikamen, war er, wie immer, der zärtliche, nachgiebige Vater und benahm sich ungeschickter in Ertheilung seines Segens, als der Präsident es vorgeschrieben hatte.

 

Bald begann nun ein regeres Leben, und die Annäherung des jungen Mannes an das spröde Fräulein von Bartenstein war in kurzer Zeit ein Gegenstand der Beobachtung, des Spottes und aller gesellschaftlichen Grausamkeit. Viele Geschichten wurden erfunden, um diese sonderbare Komödie, wie man es nannte, zu rechtfertigen; man verfolgte mit unermüdlicher Consequenz die Lebensgeschichte Georgs, und als die Hofmarschallin endlich auch in der Residenz erschien und, von getäuschten Hoffnungen erzürnt, mittheilte, was sie wußte und nicht wußte, war Alles verrathen. Man wußte nun, daß dieser Herr Warburg zwar reich, aber sein Vater ein Amtmann und sein Großvater gar ein bloßer Bauer gewesen war; auch konnte man nicht undeutlich vermuthen, daß dieser verwegene Mensch sich erdreistet hatte, seine Blicke Anfangs zu dem hochblonden Fräulein zu erheben, und erst, als er mit gebührender Verachtung abgewiesen ward, sich zu Sabinen verirrte, die aus grenzenloser Eitelkeit, Laune und Gefallsucht ihn nun, als ihren Sklaven, mit sich führte.

Dennoch wurde Warburg aber in allen den glänzenden Kreisen nicht ungern gesehen. Die Leidenschaft, welche ihn ganz beherrschte, hatte seinem Gesichte einen interessanten Reiz verliehen: die frische Färbung war fast verschwunden und jene edle Blässe bedeckte seine Züge, die, durchsichtig rein, eine äußerste Anspannung der Nerventhätigkeit vermuthen läßt. Seine sanften großen Augen hatten dabei den echt melancholischen Ausdruck, Sorgen, Hoffnungen und Erwartung hielten sie wechselnd erregt oder hinbrütend abgespannt, und wie gewaltsam er sich auch an Sabinens Seite in dies Meer von Zerstreuungen stürzte, wie er in schönen, seligen Minuten und Stunden sich ganz und unaussprechlich glücklich nannte, dennoch gab es auch einsame Augenblicke, wo er aus schweren Träumen erwachte, und sein wildklopfendes Herz, sein schmerzendes Bewußtsein, wie ein schreiendes Kind, mit schönen Liedern und Bildern wieder in den Schlaf sang.

Er fühlte eine drückende, beängstigende Atmosphäre um sich, in der er nicht zu leben gewohnt war, in der er niemals leben könne, wie er es oft sich heimlich sagte. Er hatte nicht den leichtfertigen Muth dazu, nicht den Sinn für ein heiteres Nichtsthun, in welchem so viel Geschäftigkeit für den dafür Geborenen liegt, und doch war es ihm völlig unmöglich, an eine ernste Angelegenheit zu denken. Oft erhielt er Briefe von seinen Gütern, von dem alten Freunde, dessen lange gerade Schriftzüge wie medicinische Gewichtszeichen neben einander standen, während der Inhalt jenen bittern Pillen glich, die man vergoldet, um sie dem Kranken einzugeben.

Berthold war unzufrieden mit Allem, nur nicht mit Georgs Aufenthalt in der Residenz. Er klagte über den begonnenen, nun ruhenden Bau, über den Techniker, der im Winter jetzt oft reise, um Maschinen und Fabriken zu besichtigen, meist aber die Gegend durchstreife und Bekanntschaften mit allerlei wüsten Menschen, dafür aber auch mit den frommen Sectirern geschlossen habe, die in der Nachbarschaft und selbst auf Georgs Gütern, unter Einfluß eines Predigers in der Nähe und des kleinen, blassen Schullehrers, ihr Wesen trieben. Simmers bete zuweilen mit und verhöhne sie dann, und nun folgten einige Worte von dunklem Sinn, die ungefähr ausdrückten, daß Niemand glauben könne, wie leicht es sei, daß das stärkste Gemüth von dem Fanatismus ergriffen werde, der auch um ihn und was er liebe herumschleiche.

Georg warf den Brief fort und unterzeichnete dann seufzend die Rechnungen und Quittungen, welche man ihm mitsandte, ohne sie weiter anzusehen. Einige Male kam auch der junge Simmers selbst und stattete Bericht ab über den Fortgang des Unternehmens nebst Allem, was er für das Frühjahr vorbereite, indem er nach seiner Weise sich mit übermenschlichem Enthusiasmus über die Erfolge verbreitete. Georg hörte ihn aber jetzt weniger an, als je, und dennoch wünschte er mit einer Art Sehnsucht, daß seine Entwürfe sich erfüllen möchten, denn je mehr er in Sabinens Nähe war, je feuriger er sie liebte, um so heftiger wünschte er unermeßlich reich zu sein, damit er jeden ihrer Wünsche befriedigen könne.

Er fand es auch ganz in der Ordnung, daß das schöne Mädchen das Kostbarste und Gewählteste begehrte, und nach dem alten Gesetz der Verliebten hätte er gern Alles hingeworfen, um sich dafür ihren Liebesdank zu erkaufen. Aber außer einem reichen Brillantschmuck zum Christfeste wußte er keine Gelegenheit, sie zu beschenken, und Sabine selbst lehnte es ab, indem sie ihn lächelnd bat, zu sparen, denn bald werde die Stunde nahen, wo sie fordern würde, und nun rechnete sie ihm mit steigendem Vergnügen vor, welcher Glanz sie umgeben, welchen Haushalt sie führen und wie sie Alles zu beschämen und zu verdunkeln denke.

»Glaubst Du nicht,« sagte sie, »daß ich sehr wohl weiß, wie der alberne Hohn uns achselzuckend nachflüstert? Gut, ich will sie Alle verstummen lassen, diese hohlen, ausgeputzten Gestalten. Starr sollen sie werden, wie jene Salzsäulen der Bibel, indem sie zurück oder vorwärts blicken. Ich, eine Plebejerin, ja, das will ich sein, und dennoch will ich sie demüthigen, bis sie in Neid und Verehrung sich vor mir tiefer beugen, als vor dem größten Götzen ihres Dunkels.«

In solchen Gesprächen war sie so schön und unwiderstehlich reizend, daß Georg nur mit Entzücken an den Augenblick dachte, wo Sabine ihm ganz gehören würde; und leicht war es daher, ihn zu raschen Entschlüssen zu bringen. Einer der größten Paläste, der einer fürstlichen Familie gehörte, war mit den gesammten reichen Einrichtungen zu verkaufen; Sabine wollte es, Georg bezahlte die beträchtliche Kaufsumme, und es reizte die Eitelkeit des Fräuleins nicht wenig, als einige Tage später ein hoher Herr dem Käufer Anerbietungen machen ließ, ihm gegen einen ansehnlich höheren Kaufpreis das Besitzthum zu überlassen, und abgewiesen wurde. Sie war ganz närrisch in ihrer stolzen Freude, und sagte:

»So bist Du auch ein König, frei; muthig auf Deinem Willen beharrend; so wagst Du mehr, als je einer von Denen gewagt hätte, die sich edel nennen und nicht wissen, wie tief genug sie sich bücken sollen vor dem Mächtigen, und so wollen wir weiter gehen; das ist der Weg, der sie Alle unterwirft.«

Georg hatte auch die schönen Pferde und Wagen des Fürsten mitgekauft; jetzt hielt er mehrere Diener, aber je glänzender er im öffentlichen Leben erschien, je düsterer und verstimmter empfand er die Einsamkeit, und selbst Sabinens Lob begleitete ihn nicht immer. Daß sie ihn liebte, bezweifelte er nicht; aber was der scharf beobachtende Blick des Präsidenten vorhergesagt hatte, trat ein, und die Unbeständigkeit jener raschen Flamme schien sich immer deutlicher zu zeigen.

Im Anfang hatte der junge Mann viel zu reden gegeben, und dann und wann gab er es immer wieder, aber die Gewohnheit trat hinzu, man wunderte sich nicht mehr, nahm als gewiß, was zweifelhaft und sonderbar erschienen war, und Sabine bemerkte selbst, daß sie nicht so wie früher die Königin der Bewunderung und der Feste sei. Lange Zeit rang ihr Stolz und die Zuneigung zu Georg mit der verletzten Eitelkeit, dann gab sie sich Betrachtungen und heftigen Empfindungen hin, wie sehr diese Alle es noch büßen sollten; endlich aber trat eine Kälte ein, die unter dem Vorwande der Beobachtung aller Gesellschaftsformen deutlich genug zeigte, daß Mißmuth oder Uebersättigung an dem Spielwerke ihren reizbaren und wankelmüthigen Sinn abwendeten.

Aber auch Georg hatte Zeit gefunden, einige dauernde Betrachtungen über seinen Zustand zu machen. Von Natur mit einem starken und klaren Begriffsvermögen ausgerüstet, fühlte er wohl, an welchem gefährlichen Scheidepunkte er stehe. Es war eine glückliche Mischung von Thatkraft und Hingebung an idealer Schwärmerei in seinem Charakter, die zwischen den starren Consequenzen einer bloßen Verstandesrichtung und den empfindsamen Träumen jugendlicher Ueberspanntheit die Wage hielt. Aber er liebte die schöne, edle Gestalt, diesen springenden, blitzenden Geist mit dem äußersten Grade der Hingebung; er erkannte wohl, was verkehrt daran und Thorheit war, allein er hatte nicht den Muth, es auszusprechen; ja, daß er es wagte, einzelne kleine Andeutungen zu machen, hatte vielleicht nicht wenig beigetragen, Sabinens Unmuth zu erhöhen.

So saß er nachdenkend und seufzend in seinem Zimmer, als Richard hereintrat, der während des ganzen Winters eine gewisse zärtliche Zuneigung zu ihm ununterbrochen bewahrt hatte, und mit der glücklichsten Unbefangenheit niemals von den Verhältnissen seines Nebenbuhlers zu seiner Cousine etwas erwähnte. Er hatte dagegen bei dem jungen Emporkömmling die Rolle eines Beschützers übernommen, und nicht treuer kann eine Henne das Küchlein unter ihrem Flügel hüten, als Richard sein Amt verwaltete, indem er Georg in alle Licht- und Schattenseiten des fashionablen Lebens praktisch einweihete.

Gesellschaften, Bälle, Jagden, Feste aller Art mußte der Gequälte, er mochte wollen oder nicht, ausführen helfen, und er that es nur, weil auch Sabine es gern sah, aber in der jüngsten Zeit hatte er sich merklich zurückgezogen, so viel es immer ging, und nun sah er mit einer unmuthigen Empfindung den großen Richard kommen, der nach der neuesten Löwenmanier ihm zunickte, sich auf drei Stühle niederließ, dann den Hut abnahm, mit einer kleinen Spiegelkammbürste sein Haar in Ordnung brachte, und endlich, nachdem er einige Zeit seine Stiefel und Handschuhe beobachtet hatte, im nachlässigen Tone sagte:

»Es wird jetzt verteufelt ennuyant hier und darum – Du wirst es schon gehört haben – adieu mon compagnon

»Du willst fort?« erwiderte Georg.

Richard holte seinen Zahnstocher hervor und trat vor dem Spiegel.

»Morgen früh,« sagte« er nachlässig. »Ich gehe zur Gesandtschaft nach Brüssel, mein Papa hat das Alles so abgemacht, aber im Mai – haben wir nicht April jetzt? ja Mai, nein im Juni, werde ich die Taunusbäder besuchen; man kann da sehr brauchbare Bekanntschaften machen. Grand Dieu! Bäder und Bälle, wie soll man in der noblen Societät sonst noch zu einer Frau kommen! Da gibt es aber Familien, wo es sich der Mühe lohnt, einige Anstrengungen zu machen. Wenn's nichts ist, komme ich bald wieder, und, mögen sie sagen, was sie wollen, ich trockne Amaliens Thränen und setze mich zum einzigen Erben der Hofmarschallin ein, was allerdings nicht Peru's Schätze sein werden.«

Halb belustigt und doch geärgert, sagte Georg:

»Wie kannst Du mit dieser leichten, immer geldbedürftigen Lebensansicht Dir eine freudige Zukunft bauen wollen. Du kommst mir vor, wie ein Hausirer, der durchs Land zieht und sein Herz ellenweis abmißt zum beliebigen Spottpreis für alle Welt.«

»Bis ich die Rechte finde, die den ganzen Rest gegen baare Zahlung nimmt,« rief Richard lachend. »Aber wie zum Henker! glaubst Du, daß alle Leute verliebte Thoren sein sollen, wie Du? Ich habe niemals über Dein Verhältniß zu Sabinen gesprochen,« fuhr er fort, »weil ich, als ein höflicher Mann, nicht stören wollte, und trotz meiner etwas leichtsinnigen Prahlereien, die ich, so aufrichtig ich kann, bereue, niemals Neigung genug für sie fühlte, mich ernstlich um dies Wespennest voll Eigensinn und Laune zu bemühen; aber ich habe große Lust, Dir beim Abschiede einige gute Lehren zu geben. Sabine steht zu Dir ganz in demselben Verhältniß, wie ich zu meinen zukünftigen Eroberungen in Ems oder Wiesbaden treten werde. Du bist reich – beiläufig gesagt, werde ich bei Dir noch eine kleine Reiseanleihe contrahiren – und Sabine hätte im Grunde bescheidene Ansprüche zu machen, was ihr Vermögen betrifft. Sie braucht aber ungeheuer viel, sie will glänzen, gefallen, Alles übertreffen, und dazu wird Dein Vermögen vortrefflich sein.«

Georg fühlte eine brennende Röthe fein Gesicht bedecken; er schwieg jedoch und Richard fuhr gleichmüthig fort:

»Was Du an Gold opferst, erhältst Du ersetzt durch eine reizende, geistvolle, von Tausenden erwünschte und unerrungene Frau, die Dir überdies einen edlen Namen und einflußreiche Verwandte gibt. Ich muß Dir bekennen, daß mein Vater noch immer geglaubt hat, Sabine würde in ihrer flatterhaften Weise Dich aufgeben, was eine Thorheit mehr gewesen wäre zur Masse ihrer Thorheiten, darum hat er auch Deine Adelserhebung noch nicht eingeleitet; aber nun ist es geschehen, und ich denke, wenn Ihr zum Sommer Eure Vermählung feiert, bin ich dabei und gehöre vielleicht zu einem zweiten Paar.«

»Vielleicht auch nicht,« erwiderte Georg stolz, »denn wenn ich denken könnte, daß Sabine – doch nein,« sagte er, sich beruhigend, indem er Richard anblickte, als wollte er sagen: Dich platter Bursch konnte man wol so abweisen. »Sabine liebt mich, und nie werde ich glauben, daß dieses elende Metall allein Reiz für sie hat.«

»Nun wohl,« sagte Richard, sich lachend ausstreckend, »selig sind, die da glauben, aber ich möchte Dir doch nicht rathen, daß Du plötzlich arm würdest, und dann im vollen Ernst es gefaßt: Was ist Liebe? Was verstehst Du darunter? Unmöglich kannst Du meinen, daß Liebe in der Gesellschaft etwas anderes bedeuten kann, als ein Wohl-leiden-mögen, das sich mit den Nützlichkeits- und Schicklichkeitsfragen zuletzt zu einem herzhaften Entschluß verbindet. Ich bin kein Handwerker, der mit seiner Frau bis zum Grabe einen Bund auf Tag und Nacht schließt, und, gleichsam zusammengekettet, mit ihr durchs Leben geht. Wir beobachten die Dehors und gefallen uns, so lange es uns eben auch gefällt, dann liegen die Berührungspunkte so fern wir selbst wollen. Glaubst Du also, Sabine müsse Dich anders lieben, glaubst Du, Du seist ihre einzige, ausschließliche, erste und letzte Neigung, so – doch was schwatze ich da,« rief er, »so närrisch wirst Du nicht sein. Leb' wohl, Georg, heut Abend ist bei meinem Vater Gesellschaft, komm und laß uns fröhlich sein; ums Himmels willen sei nicht ernsthaft – das verträgt Sabine am wenigsten.«

»Das verträgt sie am wenigsten, den Ernst des Lebens,« sagte Georg, als Richard gegangen war, »und wenn es wahr wäre, was er sagt, ich müßte verzweifeln!«

Aber wie schnell verwehten seine Betrachtungen, als er nach einem Kampfe mit sich selbst in den glänzenden Sälen des Präsidenten erschien und Sabine ihm entgegen kam und freundlich fragte, ob er krank sei.

»Ich habe wirklich kaum bemerkt,« sagte sie, »daß Deine Farbe verschwunden ist; man hat mich aufmerksam gemacht, wie interessant diese Blässe sei, und nun finde ich es wirklich so. Armer Freund Georg, gut ist es, daß der Frühling da ist; Du mußt hinaus in die gesundmachende Luft.«

»Mit Dir,« erwiderte er leise und innig.

»Mit mir,« sagte sie. »O! ich bin auch ermüdet von diesem Einerlei und sehne mich fort.«

»Und wann, meine geliebte Sabine, willst Du mir folgen und mein sein?«

»Wir wollen nach Italien gehen?« sagte sie rasch. »Eine italienische Reise und durch den Orient. Es muß köstlich sein!«

»Gewiß,« murmelte er schmerzlich in sich hinein.

»Nun laß uns sehen,« fuhr sie lebhaft fort. »Wir, lieber Georg, wissen doch längst, wie es mit uns kommen soll und muß; es fehlt nur, daß wir der trägen Menge sagen, was sie etwa noch nicht errathen hat. Sprich nächstens denn mit meinem Vater, und dann wollen wir an unserer Ausstattung und Einrichtung arbeiten.«

Mehrere Herbeitretende störten hier das Gespräch, das allgemein wurde und bald den Charakter der gewöhnlichen Salonunterhaltung annahm, deren Inhalt aus tausend nichtssagenden Redensarten und der schalsten Oberflächlichkeit aller gesellschaftlichen Beziehungen und Höflichkeiten zusammengesetzt ist, wenn nicht irgend ein ungewöhnlicher Mensch Geist, Witz und Laune darüber ausschüttet.

Da nun aber diese Erde von weit mehr gewöhnlichen, als ausgezeichneten Menschen bewohnt wird, so ist dies, allerdings ein etwas seltener Fall; immer bleibt es jedoch eine Aufgabe, die besonderes Talent erfordert oder lange erlernt werden muß, um mit vielen Worten eben nichts zu sagen, überall höflich und und geschmeidig ein Gespräch anzuknüpfen, Beifall zu erreichen, den Damen zu gefallen, Nebenbuhler zu verdunkeln, – kurz ein angenehmer Gesellschafter zu sein und nicht selbst dabei die tödtlichste Langeweile zu empfinden.

Georg mit seinem unruhvollen Herzen und seiner Unerzogenheit in diesen Kreisen fühlte alle Qualen seines Zustandes und mit steigendem Zorne sah er, wie Sabine mitten in dem Gewühl stand, das sie umgaukelte, wie sie die Schmeicheleien lächelnd hörte, die Blicke der Bewunderung, welche sie trafen, wohlgefällig einsaugte und in ihrer lebhaften, geistvollen Weise anregte und zum Wetteifer hinriß. Mehrere hohe Fremde waren zugegen, auch Künstler, Gelehrte und ausgezeichnete Männer, welche nach und nach alle an ihrem Triumphwagen zogen, bezaubert vor so vielen Reizen sich beugten und sich um die Ehre drängten, ihr Tänzer, ihr Tischnachbar oder doch von ihr angeredet zu sein.

Georg lehnte sinnend an einem Fenster, als ein, als besonders geistreich bekannter Mann, mit einem anderen einen Augenblick vor ihm stehen blieb.

»Allerdings,« sagte dieser, »sie ist schön wie ein Engel und anbetungswürdig; aber, lieber Freund, dennoch gehört sie zu den Wesen, die man sehen, bewundern, lieben vielleicht, aber nicht besitzen mag. Leichtsinnig, verschroben und verbildet, verschwenderisch und gefallsüchtig, immer bedacht, etwas zu ersinnen, was diesen bunten Haufen neidisch oder eifersüchtig macht, kann ein solches Weib mit aller Schönheit und allem Talent beglücken? Da hat sie einem armen Teufel von bürgerlichen Gutsbesitzer den Kopf verdreht, den sie vielleicht wirklich heirathet, aber um keinen Preis möchte ich an seiner Stelle sein. Sie wird sein Vermögen vergeuden, und wenn er ein Bettler geworden ist, ihn laufen lassen. Da haben Sie ein Beispiel unserer modernen Erziehung. Jammer und Schade, daß so viel Edles und Schönes untergehen muß.«

Sie gingen weiter und im furchtbaren Gemüthszustande, wie vom Fieber ergriffen, trat Georg hervor. Er eilte durch den Saal und wollte, hinaus, als der alte Freiherr ihn aufhielt und ihm zuflüsterte, daß sein Bruder vor einigen Tagen schon die Bitte um Adelsverleihung eingeleitet habe, worauf eine baldige Antwort zu hoffen sei. Mit einer gewissen theilnehmenden Innigkeit drückte er ihm dann die Hand und sagte:

»So wird denn der Tag bald kommen, wo Sie meinen größten, liebsten Schatz empfangen, und wohl kann ich mir denken, wie entzückt Ihr Herz schlagen muß und warum Ihre Hand jetzt in der meinen zittert. Aber bezwingen Sie diese Furcht, lieber Warburg, wir Alle achten und schätzen Sie, und Sabine, – nur, wenn die Sie nicht so sehr und wahrhaft liebte, würde dann wol Alles möglich gewesen sein?«

Er sagte dies mit einem Tone, der wohl ausdrückte, wie sehr Warburg dankbar sein müsse, und deutete dann auf die Reihen der Tanzenden.

»Wie sie dahin schwebt,« flüsterte er voll Entzücken, »wer kann sich mit ihr vergleichen? Keine reicht ihr das Wasser und Sie können wol vor Freuden beben. Ja, wenn das nicht Glück heißt, so« –

Hier sah er sich um, aber Georg war fort und der alte Herr war sehr erzürnt über einen Menschen, der so wenig gute Sitte habe. Georg aber eilte nach Haus und fast zwei Wochen lang war er von Fieberanfällen heimgesucht, die seine Stimmung hervorrief. Während dieser Zeit erkundigte sich die befreundete Familie mit Antheil, der Freiherr kam selbst, der Präsident sandte seine Diener und zwei Briefe Sabinens fragten und bedauerten so theilnehmend, daß er fast neue Hoffnungen gefaßt hätte.

Aber er hörte auch von Besuchenden, wie fröhlich sie auf mehreren Festen gewesen sei, und man bemerkte spottend, daß sie eine neue starke Hinneigung für einen jungen Herrn gezeigt habe, der anerkannt in dem Rufe stand, zwar hohen Rang und Reichthum, aber um so weniger geistige Gaben zu besitzen und mitten in Borneo geboren zu sein schiene, wie einer der Spötter behauptete.

Dies befestigte Georgs Entschluß. Lange durchwachte Nächte hatten ihn hervorgerufen; es war das Ergebniß der Vernunft, die mühsam mächtiger ward mit jedem Schritt, und endlich über die Schwäche seines Herzens siegte. Er wollte mit Sabinen sprechen, er wollte Entscheidung, Gewißheit; ja, er fühlte zulegt ein brennendes Verlangen nach der schmerzlichen Stunde, wo er reden wollte und handeln.

Endlich kam sie. Er trat zu Sabinen herein, gerade, als sie zu einem Balle geschmückt, wunderbar reizend war. Aber sein Auge blieb kalt und ernst, und selbst, als sie mit Besorgniß nach seiner Herstellung fragte, änderte sich seine starre Traurigkeit nicht.

»Du kommst,« sagte sie endlich, verletzt von dieser Theilnahmlosigkeit, »um eine böse Nachricht zu hören, die mein Oheim brachte. Man hat es nicht gut gedeutet, daß wir den Verkauf des Palastes verweigert haben und scheint einige Schwierigkeiten gegen Dein Adelsgesuch zu erheben.«

»Um so besser für mich,« erwiderte er.

»Was soll das heißen?« rief Sabine und schlug mit dem Handschuh scherzend auf seine Lippen. »Ich will keinen Ritter ohne Helm und Wappen.«

»Und wenn nun die Wahl gestellt wurde zwischen Wappen und Ritter?«

»Ich wählte das Wappen,« rief sie lachend.

»Ohne Zweifel wahr,« sagte Georg; »so wahr, wie die Auslegung unserer Liebe denjenigen ist, die da meinen, sie bestände in Laune, in Luft nach Verschwendung, in der Sucht nach Sonderbarkeit.«

»Wer sagt das?« rief Sabine heftiger.

»Die Welt,« erwiderte er.

»Und Du?«

»Ich gebe zu, daß sie sich nicht ganz täuschen mag, wenn ich meine Erfahrungen zusammenstelle.«

»Welche Erfahrungen, mein Herr?« entgegnete sie stolz, ihm nahe tretend.

»Diejenigen Erfahrungen,« sagte Georg ruhig, »welche ohne große Mühe sich aus der Beobachtung ergeben.«

»Das ist freimüthig genug!« rief Sabine, und eine dunkle Röthe flog über ihr schönes, zorniges Gesicht.

»Wir sind auf der Stelle,«, erwiderte Georg mit vermehrter Kälte, »wo eine Erklärung zwischen uns erfolgen muß. Welche Laune war es, Sabine, die Sie zwang, meine Thorheiten zu begünstigen, die Sie grausam antrieb, den Funken in meiner Brust zur verzehrenden Flamme zu machen. Sie haben mich nie geliebt, Sie fühlen auch nicht, in welche sinnverwirrende Angst und Freude Sie mich gestürzt, wie glücklich und elend Sie mich gemacht haben. Ja, die Welt hat Recht, ich war ein Spielwerk in Ihrer Hand; ich liebte Dich, o! gütiger Gott! ich liebe Dich noch mit blinder, vernichtender Leidenschaft und weiß doch, was ich Dir war und bin.«

»Du bist nur ungerecht gegen Dich und mich,« sagte sie halb begütigt durch sein Bekenntniß.

»Als ich Dich zuerst sah,« fuhr er fort, »erschien mir ein Wesen, das ich oft in meinen Träumen erblickt und niemals gefunden hatte. Ich habe Dir nicht verhehlt, was mein Vater sterbend mir wünschte und wie ich mich sträubte, weil ich ein Herz voll Liebe und Hingebung ohne den anmaßenden, flitterhaften Tand des sogenannten höhern Lebens suchte. Endlich kam ich, und es ging mir wie dem Fischer in dem alten Liede. Meine Sinne waren verwirrt und geblendet, ich zagte und doch ward ich willenlos hingerissen, denn Deine Erscheinung, Dein hochgearteter Sinn, Dein rasches, kühnes Denken, die Gewalt und Glut Deiner Empfindungen stellten Dich hoch über alle, die ich je gesehen.«

»Und nun?« sagte Sabine stolz lächelnd.

»Nun ist der bunte Schimmer abgefallen, und ich erkenne die volle Wahrheit.«

»Von dem beschränkten Standpunkte Deiner Gewohnheiten,« fiel sie ein.

»Möglich, daß dies allein den Unterschied hervorruft,« entgegnete er, »aber ich werde ihn niemals verlassen. Du suchst das Glück in der schimmernden Oberfläche der Genüsse, in Spielen mit dem Leben, und verlierst darüber das ernste, tiefe Verständniß. Kann die Bewunderung der Thoren uns über die Verachtung der Verständigen trösten?«

»Verachtung!« rief sie mit Heftigkeit. »Es ist genug, völlig genug.«

»Um uns zu trennen!« sagte Georg finster. »O! wäre es nur ein Wort, es wäre nichts; aber ich bin gekommen, um Abschied zu nehmen, weil Du Thaten zwischen uns geworfen hast. Ich klage Dich nicht an, daß Du mir Liebe logst, denn schöne Wesen, wie Du, nehmen, den Augenblick für ein ganzes Leben, werfen sich ihm hin und glauben daran, bis der neue Augenblick neue Zerstreuung fordert. Ja, das ist das rechte Wort dafür. Befriedigung der Launen und keine Frage nach dem Opfer, wenn es der Eitelkeit genug gethan hat.«

Sabine glühte bei diesen Worten, ihre funkelnden Augen hefteten sich fest auf den kühnen Sprecher, der sie schmerzlich still betrachtete. Ein Zittern schüttelte und krampfte ihre kleinen Finger und ihre Lippen suchten vergebens zu antworten. Niemals hatte sie solche Sprache gehört. Die Welt war so dienstbar allen ihren Wünschen, und dieser Mensch, den sie zu sich emporgehoben, der so unterthänig schmeichelnd bisher keinen leisen Widerspruch gewagt hatte, er stand jetzt zürnend stolz vor ihr, als ihr Ankläger und Richter.

»Das sind die Folgen, die schweren, gerechten Folgen,« sagte sie mit Hoheit, »daß ich es unternahm, den gemeinen Sinn auf das Höhere zu lenken.«

»Den gemeinen Sinn!« erwiderte er dumpf in sich hinein. »Ja, so nennen sie das Menschenleben, wenn es seinen Frieden im stillen, einfachen Walten, in Liebe, Glauben und Treue sucht!«

Und dann richtete er sich stolz auf und sagte:

»So nehmen Sie denn zurück, Sabine, was Sie mich lehrten; ich will es zu vergessen suchen. Möge nie die Stunde kommen, wo Sie erwachen und bereuen, wo dies schale, leere Treiben, alle Ihre eitle Freuden in ein Nichts versinken, das Sie mit hohlen Augen anstarrt. Mögen Sie nie ein Herz voll Liebe, ein Leben mit seinen Schmerzen und Freuden suchen; oder, allgütiger Himmel! mögen Sie es finden, besser, hochgearteter, als das meine. Gott segne Sie, Gott segne Sie ewig!«

Er stürzte hinaus, und stumm stand sie, die Hand ausgestreckt, auf welche er seine Abschiedsküsse gedrückt hatte.

»Georg!« rief sie dann mit Heftigkeit und eilte zum Fenster: »Georg! höre mich!«

Der Wagen rollte über das Pflaster davon, er war mit Postpferden bespannt; er fuhr in die Welt hinaus, zu einer ewigen Trennung, und als der letzte Ton verschollen war, drückte sie die Hände auf die brennende Stirn und sagte leise:

»So laß uns sehen, Georg, ob wir vergessen können, und ob es denn wirklich wahr ist, was Du von mir sagst!«

 

Warburg hatte den Weg nach seinen Gütern eingeschlagen und er näherte sich ihnen, als, am nächsten Tage die Sonne schon zu sinken begann. In eine Ecke seines Wagens gedrückt, brütete er über neue Lebenspläne und überwand mit schmerzlicher Anstrengung die Unfälle seines Kummers. Die milde Frühlingsluft, die neu grünenden Felder und Wälder, der junge Lebensathem der Natur, der mit ihm zog, schienen seine Leiden zu vermehren. Bald machte er sich leise Vorwürfe, zu rasch gehandelt zu haben, bald hörte er die ernste Stimme in sich, welche ihm Recht gab, und dann zitterte er vor der öden Zukunft, und die unermeßliche Kluft, welche zwischen ihm und jedem neuen Glücke aufgerissen schien, schauerte ihn mit Verzweiflung an, bis Thränen und krampfhaftes Schluchzen, das er kaum zu stillen vermochte, seinen Schmerz erleichterten.

»Fort, fort!« sagte er leise; »es ist vollbracht, diese Schwäche muß besiegt werden. Kann ich weinen und klagen um eine Unwürdige! Welches Loos hätte mir ihre Liebe, ihr Besitz gebracht?«

Dann erinnerte er sich der Worte des verständigen Unbekannten: »Sie wird ihn zum Bettler machen und dann verlassen;« und mit Unmuth dachte er an die vielen Verschwendungen, denen er sich überlassen hatte. Erst als die Waldränder seiner Forsten vor ihm lagen, wachte er aus seinem trüben Sinnen auf, und ein tröstendes Entzücken ergriff ihn, als er das rothe Dach des Forsthauses zwischen den alten Bäumen her: vorschimmern sah.

»Marie!« rief er leise und streckte die Hände verlangend aus, »treues, verlorenes Herz, zu dir laß mich fliehen, dir meinen Kummer klagen. Die Menschen haben uns getrennt, aber doch gehörst du mir an, und nie, nie will ich wieder von dir lassen!«

Er ließ den Wagen langsam fahren und ging voran nach dem Hause. Der letzte rothe Sonnenschein glühte durch die kleinen Fenster, als er hineintrat, leise die Thür öffnete und die er suchte auf ihren Knien, mit gefalteten Händen über eine Wiege gebeugt, vor sich sah. War es das Weib, das er geliebt hatte?! Ihre Züge waren grob und rauh, ihr Gesicht aufgedunsen, das Haar, einst so schön und glänzend, hing verworren um ihren Nacken. Ihre einfache Kleidung, die großen, von wirthschaftlicher Arbeit rothen Finger – Alles widerte ihn an und stumm blieb er an der Schwelle stehen.

Da schlug sie die großen Augen auf und erkannte ihn. Sie stieß einen Schrei aus; Thränen flossen über ihr Gesicht, das in Schmerz sich entstellte, und mit gerungenen Händen fiel sie über die kleine Wiege.

»Georg! o, Georg!« rief sie, »Du kommst zu spät, Du kennst meine Leiden nicht und kannst sie nicht ermessen!«

Er trat näher heran; da lag ein Kind stumm und still darin und über sein kleines, blasses Gesicht lief der Abendsonnenstrahl und konnte es nicht aufwecken.

»Es ist Dein Kind, Marie?« sagte er.

»Mein einziges, mein liebstes Gut auf Erden,« rief sie verzweifelnd. »O! mein Himmel! erbarme Dich meiner Schmerzen. Dies kleine Haus war ganz voll Zufriedenheit und Liebe, und nun ist Alles, Alles dahin!«

»Wo ist Dein Mann?« sagte er.

»Der arme Bolzin,« erwiderte sie weinend, »ach! wüßte ich nur, wo Schmerz und Wahnsinn fast ihn hingetrieben haben. Wir waren so glücklich; er liebte mich, wie sein eigen Leben, und ich – ich vergalt es ihm, wie ich konnte. Böse Menschen haben ihn mit sich selbst in Streit gebracht. Sein Vater, der fromme Schulmeister, verrückte ihm immer mehr den Kopf. Er hat ein weiches, gutes Herz, und nun das Kind gestorben ist, hat seine Ruhe ganz ein Ende. Wie es todt war, warf er sich hier nieder, ganz wie eine Leiche blaß, und zitternd vor Angst schrie er mit seiner wilden, klagenden Stimme: Unschuldiges Lamm! bist du gestorben um die Sünden deines Vaters?! Ja, ich bin ein ewig verfluchter Sünder und muß büßen im Staube; Herr erbarme dich mein, erbarme dich meiner Sünden! Und wie ich ihn trösten wollte, riß er mich an seine Seite nieder und rief mir zu, zu beten und zum Erlöser zu flehen, daß der Fluch von ihm genommen werde, von ihm, der so gut und rechtschaffen ist! Dann lief er hinaus, und hier bin ich nun allein mit dem lieben, todten Engel, der mir nicht mehr gehören soll.«

Nun erwachte ihr ganzer Schmerz wieder. Sie nahm das Kind in ihren Arm, sprach mit ihm und küßte es, ohne auf Georg zu hören, der endlich, erschüttert von ihrem Unglück und ihrer Liebe, ihr tröstende Worte sagte, die sie theilnahmlos annahm und es kaum zu hören schien, als er sich entfernte.

Mißmuthig und getäuscht verfolgte er seinen Weg. Nun empfand er es schon, daß er einem andern Lebenskreise angehöre, daß Marie, auch ohne ihre Liebe und ihr Unglück, ihm nichts mehr sein könne, daß ein Irrthum seiner Jugend und Unerfahrenheit ihn zu ihr geführt, daß Herzensgüte und die einfachen Tugenden eines unverdorbenen Gemüths nicht ausreichen, als Ersatz für die Forderungen höherer Ansprüche.

Wie er an das Dorf kam, war es Abend geworden und unerkannt ging er am Wege hin, als er plötzlich aus dem Hause des Schulmeisters singende und kreischende Stimmen hörte. Er bog den Epheu von dem Fenster und sah hinein.

Das kleine, düstere Gemach war von einem einsam traurigen Lichte erhellt. An der Wand stand ein Tisch mit einem weißen Tuche überdeckt, ein kleines, schwarzes Krucifix mit dem goldenen Bilde des Gekreuzigten war darauf gestellt und im Halbkreis davor knieten mehrere Männer und Weiber, die eines jener anklagenden, den Menschen entwürdigenden Lieder sangen, welche der Fanatismus zur Ehre Gottes und zum Beweise der eigenen Nichtswürdigkeit mit so vieler Inbrunst und unlauterer Phantasie ersonnen hat.

Der blasse Schulmeister war der Vorsänger, und dann und wann falteten Alle die Hände und rangen sie mit Angst und Schmerzen, indem sie sie zu dem Jesuskinde ausstreckten, und vereinten ihre Stimmen in dem Gnadenruf: O! Herr Jesus, erbarme dich mein! erbarme dich mein! was sich immer von Neuem wiederholte. Ganz im Hintergrunde aber kniete Bolzin. Seine Arme hingen schlaff und gefaltet über seine Knie, seine Lippen bewegten sich leise und sein Gesicht, das auf der Brust fest niederlag, hob sich dann und wann, wie aus einem schweren Kampfe, verzweiflungsvoll auf.

Georg konnte einen so entmuthigenden Anblick nicht lange ertragen. Einen Augenblick wollte er hineindringen und diese Schwärmer scheltend verjagen, aber sein eigener Zustand war wenig geeignet, sich in die Gewissensfragen Anderer zu mischen. Traurig blickte er auf die Verirrten und sagte dann:

»Wohl ihnen, wenn sie Trost in solcher Täuschung finden, wenn ihre Schmerzen dadurch gelindert werden. Wer lindert die, die meine Eingeweide fast verbrennen!«

So eben kam sein Wagen; er warf sich hinein und fuhr nach dem Gute, wo man völlig unvorbereitet auf seine unerwartete Erscheinung war. Der junge Simmers kam ihm zuerst entgegen, denn, als der Wagen hielt, schien er zu glauben, irgend ein Besuch aus der Nachbarschaft sei erschienen, und ziemlich verwundert und verlegen sah er sich dem düsteren Herrn gegenüber, der, ohne ihn viel zu beachten, die Treppe hinaufstieg und das Zimmer öffnete, wo Berthold, unter vielen Schriften und Rechnungen arbeitend saß.

»Was ich auch meinen alten Kopf quäle,« rief dieser, »sie haben es fein angelegt. Ich kann die falschen Zahlen nicht finden, und doch müssen sie da sein.«

»Ich habe sie gefunden, alter Freund, die Rechnungsfehler des Lebens,« erwiderte Georg. »Du trugst die Summen zusammen, aber das Facit war falsch. Da bin ich nun, müd' und matt von meiner Pilgerreise. Kannst Du mir noch ersetzen, was ich verloren habe?«

Berthold war mit einem Freudenruf aufgestanden und hielt den Klagenden in seinen Armen fest; als er aber sein blasses, verstörtes Gesicht sah, schien er auch die Hoffnung zu verlieren.

»Kommst Du so geschlagen und gekreuzigt zurück?« sagte er; »nun so schüttet sich denn alles Unglück zugleich über mich aus. Marie gehört auch nicht zu den Fröhlichen und hier im Hause treiben sie üble Wirthschaft, weil die Katze alt und blind wird und der gefräßigen Mäuse zu viele sind.«

Plötzlich aber richtete er sich auf und sagte:

»Alter Berthold, Kopf in die Höh, wir haben noch nichts verloren, denn wir leben noch, und nun bist Du in Deinem Eigenthume. Laß mich hören, mein Kind Georg, und wenn es ist, wie Du sagst, wollen wir vergessen, was nicht zu ändern ist, und – neue Kartenhäuser bauen.«

Er versuchte dabei ein freundliches Gesicht zu machen, aber es wurde ihm sauer und je länger Georg erzählte, um so trübselig stiller hörte er zu.

»So verkehrt ist die Welt,« sagte er endlich, »und so elend und verderbt sind die Wesen darin, daß sie gar nicht mehr wissen, wie Gott sie schuf und wollte. Alles ist verkünstelt und verbildet und darum verkrüppelt. Aber das ist kein Fehler von neuer Zeit; sechstausend Jahre haben dazu gehört, ein Geschlecht hat es dem andern überliefert, und nun ist alles so geschieden und getrennt, als wäre die große Menschenfamilie aus den verschiedensten Stoffen zusammengesetzt, die, wie in einer chemischen Retorte, sich auflösen und zerstören mußten. Ja, der fatale, pfiffige Schelm, der Simmers, hat auch Recht mit seinen Vergleichen von Denen, welche die ewig gepeitschte Wassermasse sind, oder die Heerde, welche man zur Schlachtbank führt, während die Klugen das Fleisch essen. Und zu diesen wollen auch wir gehören, mein Georg,« fuhr er fort, »das schöne, herrliche, verzogene Kind soll sehen, daß wir uns nicht fürchten. Mag sie gehen, wenn sie den bösen Geist nicht bannen kann, hier haben wir andere wichtigere Dinge zu thun, als einem eigensinnigen Mädchen nachzuhängen. Es ist ganz gut,« rief er freudig, d«aß Du so kurz angebunden warst, gleich, wie ein rechter Raufbold, auf und davon gelaufen, ohne weiter zu hören, denn hier gibt es viel für Dich zu thun.«

Nun machte er dem jungen Gutsherrn eine weitläuftige Schilderung über das, was geschehen war, über Simmer's Bauten und Anordnungen, die er lobte, aber doch auch viele Andeutungen einfließen ließ, daß nicht alles so sei, wie es sein sollte.

»Du wirst nun selbst alle seine Anschläge und Rechnungen prüfen;« sagte er, »solche Thätigkeit ist das beste Heilmittel, und Deine Industrie wird der seinigen wol den rechten Weg weisen.«

Georg hatte alles still angehört.

»Ich habe Marie gesehen,« erwiderte er leise.

»Davon laß uns schweigen,« rief der alte Mann heftig; »das ist eine traurige Geschichte, die ich in tiefster Brust mit mir herumtrage und von der ich mehr weiß, als Alle.«

Nun ging er auf und ab, vor sich hin sprechend und seufzend. Sein großer, gebeugter Körper zitterte, zuweilen legte er die Hand auf seine Augen, bis er sich endlich stolz aufrichtete.

»Es ist nicht wahr,« rief er feierlich, »die Rache Gottes wird mich nicht treffen! Ich stehe vor seinem Angesichte und zittre nicht. Was ich that, war wohlgethan. Nein, Georg, Du bist auf rechten Wegen gewandelt und ein Quell von Ruhe fließt durch mein Herz. Deines Vaters Stimme ruft mir zu: Alter Berthold, ich danke Dir!«

Georg warf sich in seine Arme und drückte sein heißes Gesicht an das weiße Haar des Greises.

»Ich danke Dir mit ihm, du treuer Vater,« sagte er, »Du hast mir hohes, unvergeßliches Glück bereitet; auch mein Schmerz hat seine Seligkeit!«

 

Am nächsten Tage war er mit Berthold's Hülfe in voller Thätigkeit, seine Angelegenheiten zu ordnen. Er fand Alles verwirrter und verwickelter, als er es sich vorgestellt hatte, und die langweilige, ermüdende Beschäftigung, aus dieser Masse von Briefen, Anträgen, Rechnungen und Lieferungen zu einer Uebersicht des Ganzen zu gelangen, war um so peinlicher für ihn, da seine Gedanken trotz alles Bemühens immer von Neuem zu den fernen, verlornen Gütern irrten. So viel aber ward ihm gewiß, daß ein bedeutender Theil seines Vermögens, theils, durch ihn selbst, in Folge seiner verschwenderischen Ankäufe und Ausgaben, theils durch die Bauten, welche weit mehr kosteten, als sie berechnet waren, zersplittert und verloren sei.

Es fehlte auch nicht an Warnungen gegen die Erfolge. Neue Handelsverträge des Staates und eine höher Besteuerung hatten in jüngster Zeit gerade diese Industriezweige herabgedrückt; manche ähnliche Unternehmungen wurden eingestellt oder waren ganz zu Grunde gegangen, und überall hatten sich schlimme Gerüchte verbreitet, daß der leichtsinnige junge Gutsherr, der in der Residenz fürstlichen Aufwand gemacht und große Summen verschwendet habe, schwerlich im Stande sein werde, seine gedankenlosen Unternehmungen zu beenden.

Solche leere Gerüchte stiften oft das wirkliche Unheil, und so trafen bald Briefe von dem großen Handelshause ein, das alle Zahlungen bisher geleistet und die Wechsel des reichen Grundbesitzers honorirt hatte, nach welchen nicht allein das Kapital in ihren Händen verausgabt, sondern auch ein bedeutender Rückstand für sie blieb, um dessen schnelle Deckung sie höflich aber bestimmt ersuchten.

Unter so schwierigen Umständen vergingen sorgenvolle. Wochen. Es mußte Rath und Hülfe geschafft werden. Georg beauftragte einen Agenten in der Stadt, das Haus dort um jeden Preis zu verkaufen, welches er vor Kurzem noch mit bedeutendem Gewinn nicht fortgeben mochte, da er in weniger Zeit auch den Rest der Kaufsumme zu zahlen hatte. Die Antwort, welche er empfing, war niederschlagend. Der vornehme Herr, welcher sich darum bemüht hatte, wollte nichts mehr davon wissen; ein anderer Käufer hatte sich nicht gefunden und jedenfalls war alles verloren, was Georg als Anzahlung gegeben.

Das Alles beängstigte sein Gemüth. Er sollte die Güter mit Schulden belasten, die seines Vaters strebender Fleiß ihm frei hinterlassen; das verwundete seinen Stolz aufs tiefste. Sicher hatte man ihn, den Unwissenden, Nachlässigen, getäuscht und betrogen, und nun sollte er, ein Gegenstand des Spottes und Hohns seiner klugen Nachbarn, Alles erfüllen, was sie ihm prophezeit hätten.

Der alte, getreue Berthold theilte diese Sorgen, aber mit weit größerer, fester Zuversicht.

»Alle Güter rund umher haben ihre Schulden,« sagte er, »und was thut's, Du gebrauchst darum Deine Einkünfte noch nicht auf. Die Zeiten werden besser werden, Käufer für den ausgeputzten Steinhaufen in der Stadt werden sich schon finden, auch ohne den spitzbübischen Agenten, denn da hilft die Eitelkeit der Menschen, und nur hier im Hause muß es anders werden, denn wenn ich es auch noch nicht ergründen kann, dennoch denke ich, dem Ritter der Industrie auf der Spur zu sein, und ihm zu zeigen, daß wir auch zu Denen gehören, die oben schwimmen.«

Solche Reden erweckten und nährten den Verdacht, daß Simmers bei dem unbegrenzten Vertrauen, welches Georg ihm geschenkt, seinen Vortheil wahrgenommen habe. Häufig war er in Geschäften gereist, hatte An- und Verkäufe besorgt, alle Contracte geschlossen und ganz besonders auch große Holzvorräthe aus den Forsten Kaufleuten überliefert, welche nun nachlässige und geringe Zahlung leisteten.

Aller Verdacht verschwand jedoch, wenn man ihn sprechen hörte und den Eifer sah, mit welchem er sein Verfahren rechtfertigte. Er hatte Alles gethan, was ein tüchtiger Geschäftsführer thun konnte; auch waren sämmtliche Einrichtungen trefflich, seine Beaufsichtigung der Arbeiter musterhaft, seine Nachweise unantastbar und in der besten Ordnung, und die überredende Redlichkeit seines Gesichts im Einklang mit der Gründlichkeit seiner Urtheile. Sein sichtlicher Kummer über die ungünstigen Verhältnisse wurde nur durch die Hoffnungen auf den endlichen glücklichen Erfolg gehoben, und unerschöpflich in seinen Combinationen, wußte er immer wieder neue Gründe für das Gelingen anzuführen.

Georg war in seinen Händen; er war die leitende Gewalt, er allein besaß das nöthige Geschick, das Angefangene zu vollenden, und immer blieb es zweifelhaft, ob man einen so fähigen Mann, selbst wenn sich einige Unredlichkeiten vorfanden, entlassen, oder sie, seiner guten Eigenschaften wegen, nicht bemerken sollte.

Eine Veränderung aber war mit Simmers selbst vorgegangen. Er war nicht mehr der unbefangene, übermäßig lebendige Mensch, sondern hatte ein bedächtiges Wesen angenommen. Seine klaren Blicke beobachteten Alles still und scharf, zuweilen aber schien er ganz feierlich ernst und nachsinnend zu sein, bis er sanft lächelnd umherblickte und dann gewöhnlich einige moralische Sentenzen über die Unvollkommenheit alles Strebens auf Erden aussprach. Berthold wußte wohl, daß Simmers auch zuweilen die Betstunden des Schullehrers besuchte; Anfangs zum Scherz, dann mit einem gewissen Antheil und endlich aus einer in ihm erwachten sonderbaren Neigung zu dieser mystischen Verehrung.

Er war ein Vertrauter des blassen Lehrers geworden und Beiden schloß sich wieder der Förster an, was Berthold besonders mit Kummer erfüllte, als er seinen raschen, kräftigen Schwiegersohn nach und nach sichtlich, wie er sagte, in die Stricke des Bösen fallen sah. Milde Vorstellungen bewirkten, daß Bolzin dem alten beobachtenden Manne immer mehr auswich und zuletzt eine völlige Scheu empfand, ihm zu begegnen.

Das einsame Forsthaus ward daher auch selten von Berthold besucht, denn als er sah, wie Marie ihren Gatten bittend vertheidigte und selbst doch vor Summer weinte, ohne zu klagen, blieb er fort und war auch nach dem Tode des Kindes nur einmal gekommen, um Trost zu bringen. Er hatte aber Simmers und den Schulmeister angetroffen, die die verlassenen Aeltern in ihrer Weise auf die Gnade Gottes wiesen, und was er sagte von ihrer Jugend, und wie der kräftige an Seele und Leib gesunde Mensch die irdischen Schicksale, als unzertrennlich von unserem Loose betrachten, Vertrauen zu sich fassen und auf neue Freude, auf muntere Kinder, die das Verlorene ersetzen, hoffen müsse, das war nicht gut aufgenommen worden.

Nun ging der alte Mann im Abendscheine an den Waldsäumen hin und sah zuweilen in das Thal hinunter, wo er ganz in der Ferne den häuslichen Heerd seines einzigen Kindes erblicken konnte. Nie war er so bedrückt gewesen als eben heute, und doch sah er freudig in den blauen Frühlingshimmel, an dem die Lerchen unsichtbar singend schwebten. Und die saftig grünen Saaten rauschten ihm Hoffnung ins Herz, die Fruchtbäume an den Feldmarken träufelten den Schnee ihrer Blüthen auf sein graues Haar.

Da sah er den Abendstern, der immer heller funkelnd aus der schönen Dämmerung trat, und mit lauter Stimme sagte er:

»War es nicht hier an derselben Stelle, wo Georg Sabine zum ersten Male sah? Ich wußte es, daß sie hierher bis an den Forst kommen würde, ich hatte gute Kundschaft und damals, als die Sterne an den Himmel traten, hob ich die Hände zu ihnen auf und rief Gottes Segen über das Gelingen. Nun steh' ich hier, einsam, und da unten grämt er sein junges Leben ab, ich kann es kaum länger ansehen; sie aber hat in eitler Hoffart das getreuste Herz vergessen. Alter Berthold, geht es mit deinem Muthe zu Ende? Nein,« rief er dann, »ich wandle auf rechten Wegen und wer da ausharrt, dem soll geholfen werden!«

Da rauschte es in den Büschen; eine weiche kleine Hand legte sich auf seine Schulter, und wie er sich umwendete, stand Sabine vor ihm. Ihr schönes Gesicht war weit milder und stiller, als früher, blasser war es, und die Locken schmiegten sich daran, wie ein duftiger, weicher Schleier. Sie hob den Finger auf und sagte lächelnd:

»So schlimm denken Sie von mir, alter Herr?!«

Dann aber gab sie ihm beide Hände und rief:

»Ich will mich auch nicht vertheidigen, nicht anklagen; was geschehen ist, kann nicht durch Worte geändert werden. Ich komme reuig und versöhnend zwar, aber nicht demüthig und hier verkündigt sich mir schon, daß eine gute Macht mich begleitet. Ich höre eine Stimme und finde einen Freund, der mir entgegenruft, daß er es war, der mir zuerst meinen ungetreuen Ritter Georg zuführte.«

Berthold war gar nicht verwundert über das plötzliche Erscheinen des Fräuleins. Er schien nur ganz entzückt zu sein über ihre Schönheit und Milde.

»Ich wußte es wohl,« sagte er mit vielem Stolz, »so mußte es kommen, und daß ich Sie nun sehe, war mir lange schon fast eine Gewißheit.«

»Lieber alter Freund,« erwiderte Sabine lächelnd, »glauben Sie mir, es hätte auch ganz anders geschehen können. Lange habe ich mit meinem trotzigen Herzen gekämpft und ihm mühsam den Sieg abgerungen. Heute langte ich auf unserem Besitzthum an, morgen wird mein Vater und mein Oheim kommen. Ich benutzte die Stunden und auf den einsamen Plätzen, wo ich mit Georg von ewigem Glück träumte, erwachten alle Erinnerungen und Gefühle meiner und seiner Schuld. Er hat sich von mir gewaltsam und hart getrennt, mich zum Gespött der Gesellschaft gemacht, die ich freilich genugsam kenne, um mich zu trösten, aber ich bin auch zur Erkenntniß dadurch gelangt, was er mir war, und nun höre ich mit Freude seinen Schmerz und seine Einsamkeit. Es ist die Genugthuung der Liebe,« fuhr sie fort, »die Probe, daß das geheimnißvolle Band erst recht gewachsen und stark geworden ist, nachdem wir es zerrissen wähnten. Ich fuhr nach dem Forst hinüber, dort unten an der Mühle ließ ich den Wagen und ging die Hügel hinauf. Wie es Ihnen dünkte, ich müsse kommen, so war es mir, ich müsse ihn hier finden; dann wollte ich vor ihn treten und meine Hand ohne Wort ihm reichen – statt seiner nun fand ich einen unerwarteten getreuen Freund, der meine übermüthigen Kränkungen von früher durch sein Bekenntniß beschämt.«

»Daß Sie das aussprechen können, mein Kind,« sagte Berthold gerührt, »ist ein großes Geschenk für uns Alle. Ich bin ein alter Mann, der Heimkehr ganz nahe, denn ich habe nun bald meinen Auftrag erfüllt. Ja, Georg wird glücklich sein, mein kummervolles und freudiges Hoffen war nicht umsonst, und auch über Sie ist die Bekehrung und Erlösung gekommen.«

Wie sie weiter gingen, hielt Berthold eine liebevolle Strafrede über ihre Sünden, die sie schweigend und lächelnd anhörte; und dann sagte er:

»Der da unten, der Georg ist auch immer ein thörichter Mensch gewesen. Mit allen Trieben zum Guten hat er doch Nichts vollbracht, weil ihm die Beständigkeit mangelte. Ein wankelmüthiger Mann ist aber dasselbe, was ein eitles Mädchen ist: Neigungen und Entschlüsse entstehen und erkalten schnell. Er hat viel studirt und gereist, aber sich selbst hat er nie kennen gelernt. So hat er sich immer für einen wer weiß wie großen Mann der Realität halten können, ohne zu wissen, daß er nur davon träumte. Streiche, wie ein Poet, hat er auch von Jugend auf gemacht, und als er gar plötzlich sich verliebte, nicht, wie sein Vater wollte, als ein bedächtiger, die Zukunft und ihre Vortheile berechnender Mann, sondern wie ein junger Narr, der die ganze Erde verpuffen möchte, um der Geliebten zu gefallen, da gab es immer kläglichere Geschichtchen.«

»Ich habe von allem gehört,« sagte Sabine, »auch von seiner ersten Liebe.«

»Der ich das gerechte Ziel steckte,« fiel der alte Mann mit zorniger Gewalt ein. »Marie liebte längst den flinken Jägersmann, sie war glücklich und vernünftiger, als der Realist, der Gottes Rache über mich wünschte.«

Plötzlich aber ward er ernst und sagte leise:

»Und doch wünschte ich, er hätte es nicht gethan, denn wohl ist es Gottes Strafe zu nennen, was jetzt dort unter dem sonst so friedlichen Dache vorgeht. Wer kann da helfen, wer kann die Augen der Blinden öffnen und ihnen zeigen, wie sie betrügen und Betrogene sind.«

»Vielleicht kann ich es,« sagte Sabine.

Berthold sah sie ungläubig und unmuthig an.

»Die Glaubensschwärmerei,« versetzte er, »ist nicht immer eine Frucht der Schwäche. Ich habe sie aufwachsen sehen mit ihrer wilden, zerstörenden Begeisterung. Hier ergreift sie den zitternden Sünder, der Rettung in ihr sucht; dort ist sie eine Folge der Entnervung oder tief eingewurzelt in glühender Sehnsucht nach dem Ewigen und Höchsten. Faulheit und Dummheit hängen sich ihr an, denn sie verheißt ihnen ewige Güter und beschimpft die irdischen Schätze und Freuden, so lange wir sie nicht haben; aber mit den wahren Schwärmern verbinden sich die Heuchler auch und hier,« sagte er dumpf und zeigte auf das Forsthaus, dem sie nahe gekommen waren, »hier finden Sie eine Auswahl, die keine Ermahnung bessert.«

Die Laden vor den Fenstern waren geschlossen. Innen brannte Licht und durch einen breiten Spalt konnten die Beiden, als sie nahe herantraten, deutlich alles sehen, was drinnen vorging. Der Schullehrer, Simmers und der Förster saßen um den Tisch, auf dem mehrere Papiere lagen, die wie Rechnungen aussahen, oben auf aber war ein großer, beschriebener Bogen, aus welchem der blasse Lehrer so eben etwas vorgelesen hatte. Simmers hatte sein kluges Gesicht in ehrbare Mienen gelegt, die Hände hielt er vor sich gefaltet, seine Augen waren fest auf einen Punkt gerichtet und sein Haar, das er sonst immer frei und hoch trug, war nach beiden Seiten lang herabgekämmt. Der Förster hatte die Arme über seine Brust gekreuzt, sein Kopf sank darauf hin und nur dann und wann hob er ihn auf und sah schnell und ängstlich nach der Thür des Nebengemachs, wo Marie sich bei häuslichen Arbeiten befand.

»Ich empfinde immer die rechte Freude des Herrn,« sagte Simmers mit Salbung, »wenn ich nach Beendigung der weltlichen Arbeiten mit so Gott ergebenen Männern von dem Ewigen reden kann. O! meine Brüder, was ist doch alles Streben auf Erden für eitler Tand, und wie sollen wir doch nur immer daran denken, unser zeitliches Gut zu opfern, zu darben und zu entbehren, um die ewigen Güter zu erlangen.«

»Mein Bruder,« erwiderte der Schullehrer, »mein Entzücken ist unermeßlich, wenn ich daran denke, daß ich es war, der Ihr Herz der wahren Erkenntniß öffnete. Es jubeln die Engel aller Orten, aber nie erschallen ihre Drometen lauter durch alle Himmel, als wenn es gelungen ist, dem bösen Feinde ein verlornes Lamm zu nehmen.«

»Weißt Du es denn gewiß,« murmelte Bolzin traurig, »ob Alles dadurch vergeben ist? Ob die Gnade uns nicht verschmäht, wie sehr wir auch danach ringen; ob nicht der Sünder doch ewig verloren ist, wie sehr er auch bereuen mag?«

»Wisse, Mensch!« schrie der blasse Lehrer und stand auf, »es kann Niemandem vergeben werden, der nicht glaubet. Noch wohnt in Deinem Herzen der Zweifel, noch kannst Du nicht auf Deine Knie fallen und zum Herrn rufen, ganz in Zerknirschung aufgelöst.«

»Noch wohnen weltliche Gedanken in Ihrer Brust, mein Bruder,« sagte Simmers und faßte tröstend seine Hand. »Der Verlust Ihres Kindes hat Sie mißmuthig und in Ihrer Reue wankend gemacht. Wir wollen beten, daß der Versucher von Ihnen entfliehe, denn alles kommt und geschieht durch den Willen, der Alles thut und schickt auf Erden. Ihm sollen wir auch freudig opfern, nicht zagen und nicht schrecken, alle weltlichen Rücksichten vergessen, wo wir seine Gebote erfüllen sollen.«

»Wen sollen wir mehr lieben, als den göttlichen Herrn, der für uns gestorben ist!« schrie der Lehrer.

»Kein Gebot geht über das seine!« rief Simmers, »die Gebote der Menschen müssen wir verachten.«

»Erkennen Sie nun die drei Hauptgattungen?« sagte Berthold draußen seufzend: »der Heuchler, der Schwärmer und der Sünder. Der Spitzbube da, der Industrieritter weiß sicher, was er will und ist weder verrückt noch dumm; der verhungerte Schulmeister ist weniger dumm, als verrückt, aber der arme Narr da, mit dem blassen verzweifelnden Gesicht, ist leider der elendeste von Allen, denn er ist wirklich dumm und toll.«

»Und was brachte ihn zu solchen Verirrungen?« sagte Sabine.

»Reue über seinen Leichtsinn!« erwiderte Berthold mit Ernst. »Er schwor einer leichtgläubigen Dirne sich zu und verließ sie dann. Nun flucht sie ihm in ihrem Elende, und obwol es ein schlechtes, thörichtes Geschöpf ist, so macht es ihm doch schweren Kummer, denn er war ein guter Mensch. Anfangs lachte er wol auch darüber, aber nach und nach erwacht das Gewissen. Mit jedem Tage steigert sich die Qual, und wenn das Unglück kommt und über uns hereinstürzt, dann wehe Denen, die nicht reines Herzens sind! Da hilft kein Thron und kein Marmorschloß. Das blasse Gespenst setzt sich an das goldene Lager und keine Wachen helfen, keine weisen Männer, keine kühlen Tränke. Ich habe gesehen, wie die zitternde Reue kommt, wie nach dem wilden, übermüthigen Taumel sich die Furcht vor der Strafe einfindet, wie Menschen, die nichts glaubten, nichts fürchteten und in Sünden und Schanden lebten, dann, von der Angst ergriffen, gut machen wollten, was sie gethan, und in Schwärmerei und Wahnsinn verfielen.«

Sabine lehnte sich an das Gitter und sah lange in den stillen Abendhimmel auf, dann drückte sie Berthold lebhaft die Hand.

»Wahr,« sagte sie, »aber ich bedarf dieser strafenden Moral nicht, alter Herr; auch ohne diese weiß ich, wie und wo ich fehlte, und meine Besserung ist gekommen, ohne daß ich alt und furchtsam geworden bin.«

Nun hörten sie auf das Gespräch, das sich von Neuem drinnen erhoben hatte und das bald ihre Aufmerksamkeit fesselte. Simmers sprach von den Bauten und dem Benehmen des Gutsherrn gegen ihn.

»Es ist kein Zweifel,« sagte er zulegt, »man hat diesem jungen Herrn Mißtrauen gegen mich beigebracht, worüber ich so bekümmert bin, daß ich es vorziehen werde, nächstens den Staub von meinen Füßen zu schütteln und meinen Stab weiter zu setzen. Arm bin ich gekommen, arm werde ich gehen, denn meine kleinen Ersparnisse habe ich, wie Ihr ja wißt, frommen und heiligen Zwecken geweiht. Hier,« fuhr er fort und deutete auf die Liste, »hier steht es geschrieben, was ich Alles gethan habe und noch thun werde. Wir haben für die Bekehrung der Heiden gesammelt, und dazu hat uns besonders unser Bruder Bolzin unterstützt, indem er uns von dem Ueberflusse an Holz, welches Gott hier wachsen läßt, reichliche Gaben zukommen ließ, die ich verkaufen konnte.«

»Ich bitte Euch, schweigt,« flüsterte der Förster ängstlich.

»Dafür,« sagte der Lehrer, »wird ihm vergeben werden, denn er that es zum Heile der Welt.«

»O! sicherlich,« erwiderte Simmers, »es gibt ein höheres Recht als das gewöhnliche; der Himmel weiß seinen Lämmern immer zu helfen und es steht geschrieben: Hartherzig sind die Reichen, darum seht zu, wie ihr sie zum Wohlthun bekehrt! Nun hat unser Bruder das Amt eines Almoseniers übernommen und wer kann uns etwas anhaben?! Unsere Rechnungen sind ganz in der besten Ordnung. Unterzeichnet hier die letzten, lieber Bolzin, dann mag unser Beitrag geschlossen sein, der diesmal für die armen verfolgten Christen in Syrien bestimmt ist. Ich hoffe, Ihr habt ihre Qualen gelesen und wie fromme Männer damit umgehen, Jerusalem wieder zu erobern und einen Kreuzzug zu machen, diesmal aber nicht mit dem Schwerte in der Hand, was sehr unchristlich wäre, sondern mit der Schreibfeder in der Rechten und dem Schatzkästlein für Gläubige in der Linken.«

»Ich habe es gelesen,« rief der Lehrer, »und mein Herz erstarrte davor. Ueberall werde ich umherwandern und für den heiligen Zweck sammeln.«

»Sammelt so viel ihr könnt,« sagte der Techniker seufzend, »und dann überantwortet mir den Mammon, daß er in meiner Hand zum Segen werde.«

Plötzlich fuhr Bolzin auf und warf einen scheuen Blick auf die Fenster.

»Was war das?« sagte er; »war das seine Stimme? Nehmt was ich habe, aber mein Gewissen läßt sich nicht betäuben.«

»Und wenn er hereinträte und forderte Rechenschaft,« sagte der Lehrer stolz, »so würdest Du sprechen: ›Ja, ich gab von Deinem Ueberflusse, Deiner selbst willen am Tage des Gerichts.‹«

»Um Tage des Gerichts?«, murmelte Bolzin schmerzlich, »wann wird es kommen?«

»Liebe Freunde,« sagte Simmers, spöttisch lächelnd, »macht Euch keine unnütze Sorgen, Alles hat seine Zeit und kommt, wenn es muß, aber der ist der Auserwählte des Herrn, der mit Prophetengabe zur richtigen Stunde das Richtige thut. Fallen und Schlingen hat der böse Feind nur für die dummen Teufel gelegt, solche erleuchtete Männer, wie Ihr, haben nichts davon zu fürchten. Aber es gibt Leute, die in jeder Tasche eine Uhr haben und doch niemals wissen, was die Glocke geschlagen hat. Solch ein unglückliches Wesen ist der junge Herr Warburg, und recht von Herzen leid thut es mir, daß ich es sagen muß, aber wie er da umherläuft, ohne Rast und Ruh, ohne Besonnenheit und Einsicht, könnten gute Menschen und Christen ihm sagen, der letzte Heller sei verloren, und er glaubte es aufs Wort, wenn er nicht den alten spitzfindigen Haus- und Feldscherer bei sich hätte. Der kann aber auch nie finden, was er sucht. Er hat kein Pflaster für seines Herrn Wunden, was er weiß, hilft nichts, und was helfen kann, hat er nicht zu geben.«

»Spitzbube,« sagte der Doctor draußen leise, die Faust ballend, »was Dir hülfe, hätte ich wohl: Einen tüchtigen Strick und einen festen Nagel!«

»Man sagt,« murmelte der Lehrer, »der junge Herr sei ganz verstört und tiefsinnig geworden über seine Verluste, und sein sündhaftes Leben in dem großen Lasterpfuhle der Hauptstadt lasse ihm keine Ruhe.«

»Liebe Brüder,« erwiderte der Techniker; »es gibt überhaupt nichts Elenderes in der ganzen Schöpfung, als den sogenannten Herrn derselben. Dieser junge Mensch, der dort in seinem schönen Hause klagt und verzweifelt, liegt ganz unter dem schweren Bann der ärgsten Narrheiten dieser Welt.«

»Weil er nicht glaubt und bereut!« rief der Lehrer.

»Richtig!« fiel Simmers ein, indem er mühsam den Spott zu unterdrücken schien. »O! meine Freunde, könnte er nicht in dies Haus kommen, wo so viel zu trösten ist, in diese trostvolle, himmlische Gesellschaft, die ihm nach einigen gerechten Vorwürfen durch ihre Liebe alle die schlechten, irdischen Leidenschaften ersetzen würden? Ja, wir wären gewiß entschlossen und ganz besonders ich, uns seiner anzunehmen und zu erleichtern, wie es Recht und Pflicht ist bei Allen, die zu schwer beladen und leider zu schwach sind, ihre Last zu tragen. Aber glauben Sie mir, nicht seine Verluste drücken diesen weltlich gesinnten Mann nieder, auch sind diese nicht so bedeutend, denn wenn er mit Verstand und einsichtsvoller Thätigkeit verfährt, die er wol zu Zeiten besitzt, so werden seine Unternehmungen ihm bald Alles ersetzen. Aber der Herr hat ihn geschlagen, daß sein Herz noch immer an dem leichtsinnigen Mädchen hängt, die den heidnischen Namen Sabine nicht umsonst führt.«

Hier warf der Förster einen schnellen, scharfen Blick auf ihn und auf seine Frau, welche soeben hereintrat.

»So ist es also die fleischliche Sünde, die ihn zur Verzweiflung bringt,« rief der Lehrer jammervoll. »Ja, das sind die elenden Geschöpfe, die eines schönen Leibes willen Gott verlassen, um zu dem Moloch zu beten, den man Weib nennt. Nun ist auch der letzte Funke von Mitleid mit ihm in mir erloschen, nun mag er verderben, und wer da glaubet, sorge nicht weiter um ihn; denn was ich gehört habe von dieser Sünderin, ist das Schlimmste, was man sagen kann. Sie hört die Worte der Verkündigung nicht, aber zu Roß und Wagen jagt sie durch das Land am Sabbath; in Saus und Braus lebt sie dahin, ohne an Gott und Zukunft zu denken, und wie die unheilige Egypterin schwelgt sie in Eitelkeit und Festen und schmückt und salbt ihren Körper, um den Augen der Andern zu gefallen und zu reizen. Solche Wesen sind die echten Dienerinnen des bösen Feindes, die uns verlocken und ewig verderben, denn in ihnen wohnt weder Mitleid noch Abscheu, noch Einfalt, noch Sitte und Redlichkeit.«

Plötzlich schlug Sabine mit der Hand an das Fenster und rief:

»Du lügst, Schelm! Mitleid habe ich gewiß mit Dir, Abscheu genug vor Euch und Eurem schändlichen Treiben, einfältig bist Du für uns Alle, was aber gute Sitte und Redlichkeit betrifft, so denke ich Euch darin Unterricht zu geben.«

Im nächsten Augenblick öffnete sie rasch die Thür, trat in den kleinen Vorflur und von dort in das Zimmer, ehe sich die Gläubigen noch von dem ersten Schrecken erholen konnten. Die schöne zürnende Gestalt trat wie ein strafender Engel unter sie, und dem Schulmeister, welcher sie zuerst erkannte und allen fanatischen Muth zusammenraffte, um sie salbungsvoll anzureden, blieb das Wort aus, als sie mit ihren großen, dunklen Augen ihn herrisch ansah und mit dem Finger auf ihn deutete.

Berthold war auch hereingetreten und gegen diesen wendete sie sich um und sagte mit einem verächtlichen Lächeln auf die Drei:

»Ich finde Ihre Eintheilung doch nicht ganz richtig, Herr Berthold, der albernste Bursche ist dieser hier, der mich beschimpfte und mein ganzes Geschlecht. Den untersuchen Sie mir auf Grund Ihrer Wissenschaft, dann wollen wir ihn ins Narrenhaus stecken, wohin er gehört, der Beklagenswertheste ist dieser arme, wackere Mann, Ihr Schwiegersohn, den sein Unglück und ein menschliches Vergehen, das gutzumachen ich ihm beistehen will, in die Hände dieser Himmelsstürmer führte; der Vernünftigste aber ist der Industrieritter da, der Geschäfte damit machte und die Dummheit zu benutzen verstand.«

Simmers machte einen tiefen Diener und indem er sein Haar wieder in die Höh' strich, beobachtete er die spaßhafte junge Dame und schien zu überlegen, welchen Vortheil er aus dieser Anrede für sich ziehen könnte. Sabine ließ ihn jedoch in keiner zu langen Ungewißheit. Sie betrachtete ihn einige Augenblicke und sagte dann:

»Sie nennen sich Simmers?«

»Seit achtundzwanzig Jahren,« erwiderte er mit vermehrtem Muth.

»Früher waren Sie Werkführer einer großen, wohlbekannten Maschinenbauanstalt,« fuhr Sabine weiter fort, »ehe Sie nach jener Handelsstadt kamen, wo Sie, bei mehreren Fabrikanlagen gebraucht, durch Ihre Geschicklichkeit bekannt wurden. Wissen Sie auch noch, warum man Sie von jener großen Anstalt aus Ihrer vortheilhaften Stellung ganz in der Stille entließ?«

Simmers starrte bleich und verwirrt sie an.

»Ich will es Ihnen sagen,« rief sie lächelnd. »Sie hatten, ganz consequent in Ihren Grundsätzen, sich zu liebevoll Derer angenommen, die, Ihrer Meinung nach, zu schwer beladen waren. Diese löblichen Grundsätze haben Sie niemals verleugnet; wie Sie dieselben hier ausübten, liegt mit allen Beweisen vor uns. Sie verkauften Holz zum Besten der Heidenbekehrung und sammelten für unglückliche Christen in Syrien. Welche Mittel Sie benutzten, um sonst redliche Männer irre zu leiten, wie es mit den Kontracten und Lieferungen stand, ist auch ziemlich erwiesen, denn mein Oheim, der Präsident, hat, als wir Nachricht von den Verlegenheiten erhielten, in welchen sich Herr Warburg befand, genaue Nachforschungen anstellen lassen.«

»Gnädigstes Fräulein,« rief Simmers mit großer Lebendigkeit, »mag man mich anklagen, verabscheuen oder verurtheilen, wie man will, ich kann behaupten, nie eine Lüge gesagt zu haben. Was ich that, bekannte ich immer frei heraus und überließ den Menschen die beliebige Deutung. Es ist wahr, ich verkaufte Holz für die Heidenbekehrung, aber bin ich denn nicht ein großer Sünder und Heide? Auch sammelte ich für arme Christen in Syrien, denn es war mein fester Vorsatz, dahin zu gehen und dem merkwürdigen, alle Industrie und Kultur so hoch schätzenden Pascha meine Dienste anzutragen. Was die Mittel betrifft, so heiligte diese der Zweck. Meine Geschäfte habe ich stets aufs redlichste erfüllt, aber meine Grundsätze lasse ich nicht antasten. Sehe Jeder, wo er bleibe! das ist das erste Nothwendigkeitsgesetz auf Erden, und ist es einem hellen, intelligenten Kopf zu verargen, wenn er rund um sich Wesen entdeckt, die tief unter ihm stehen und leider! vom Glück begünstigt sind, daß er sie zu dienstbaren Geistern macht, um sich selbst aus dem irdischen Jammer zu erheben?!«

»Ich höre die beredte Vertheidigung eines Ritters der Industrie,« sagte Sabine lächelnd, »aber mein Oheim, der morgen hier eintrifft, würde doch manche Gründe dagegen anführen. Mein Rath wäre daher, Alles zu schlichten, ehe er kommt, und nachdem Sie gesehen haben, daß es doch auch Leute gibt, die darauf halten, daß jeder seine Last selbst trage, den Undankbaren Alles wieder aufzubürden, was Sie so gütig ihnen abnahmen.«

»Habe ich mich denn jemals geweigert?« rief Simmers. »Ich kann aufs genaueste nachweisen, was etwa, zu den besten Zwecken, von mir zurückgehalten wurde, und will man mein System nicht anerkennen, nun, wohlan! so bin ich gern bereit, dem würdigen, alten Herrn Berthold alle Aufschlüsse zu geben.«

»Und ich denke,« sagte dieser, »daß ich Ihrem ungetreuen Gedächtnisse alle Hülfe geben kann, da ich ganz in der Stille meine Beweise gesammelt habe und hier finde ich wol Das, was mir noch etwa fehlt.«

Bei diesen Worten bemächtigte er sich der Papiere auf dem Tische und des großen Taschenbuches des Technikers, der ganz ruhig blieb und zu lächeln schien, als der Schulmeister mit frommem Eifer das räudige Schaf auf immer aus der Herde stieß.

»Dieser da,« sagte Sabine, »ist so wenig zu bessern als Ihr selbst, darum schweigt und packt Euch von hier. Sie, Herr Berthold, lassen die guten Vorsätze bei Herrn Simmers nicht erkalten, und nun leben Sie wohl! Bolzin, Sie sehen, wohin Sie das Gaukelspiel führte: zur Selbstqual, zum Selbstbetrug und zur Pflichtverletzung! Wir wollen Beide unsere Fehler gut machen durch die rechte Frömmigkeit, die in der Freude zum Leben und Lieben liegt. Da steht ein Wesen, deren Herz fast gebrochen ist durch Ihr unheimliches Thun. Lieben Sie sie, lieben Sie diese arme, gute Marie, die so viel geopfert hat, um Ihnen zu gehören. Ich will gehen und sorgen, neuen Frieden, Glück und Freude über uns Alle zu verbreiten.«

So ging sie schnell hinaus und überließ es den Bleibenden, ihren Frieden zu schließen; doch im Zurückblicken sah sie wohl, wie Marie ihren reuigen, beschämten Gatten umfaßt hielt, der sein Gesicht an dem ihren verbarg.

Sabine wollte Georg sehen und sprechen, ehe irgend ein Anderer ihm sagen konnte, daß sie ihm nahe sei. So ging sie auch den stillen Wald ganz allein mit immer kühnerem, festem Willen. Was die Menschen denken mochten, kümmerte sie gar nicht, sie wußte, daß sie im Rechte war, und immer stärker ward der Drang nach Liebe und Versöhnung mit dem Einzigen, den sie verschmäht hatte.

Endlich trat sie von der Waldhöhe in den Garten seines Hauses. Zu ihren Füßen lag das Dorf in dem blassen Mondnebel, ganz müde und still. Die Bäume und Büsche streckten sich darüber aus und hüllten es in ihren Frieden und Schatten, und der schlanke Thurm, der allein über dies arme Menschenleben in den Himmel aufstieg, hielt das blitzende Kreuz des Christengottes darüber ausgestreckt.

Nun ging sie langsam durch die Gänge. Leise rauschte es in den hohen Wipfeln, der süße Duft des Flieders und des Jasmins stieg aus den stillen Bosquets und Laubenwegen. Der kleine See flüsterte mit Schilf und Blumen und durch die tiefe, heilige Ruhe rief und lockte die Nachtigal allen Schmerz und alle Sehnsucht wach.

Plötzlich stand Sabine an den letzten Büschen still und mit hochklopfendem Herzen sah sie einen Mann langsam am See herabkommen und sich nähern. Es war Georg. Er hatte die Arme gekreuzt und schien leiser und lauter mit sich selbst zu sprechen. Zuweilen stand er still und bot sein Gesicht dem ziehenden Lüftchen oder er hob das Auge zum Monde auf, der jetzt hell über den Wald kam, und still ging er weiter, nachdem er lange hineingeschaut hatte.

»In allen Wipfeln ist Ruh?!« sagte er und lehnte sich an einen der Bäume, der dicht an Sabinens Versteck stand; »auch ich werde sie finden. Strom der Vergessenheit, was ist noch nicht in deinen schwarzen Wellen versunken? Fragt morgen nach dieser Blume, nach Jahren nach diesem Baum, und in hundert, in tausend Jahren! Armseliges Geschöpf, dein Gott heißt Zeit, der Augenblick hat dich geschaffen; dein Glück und Schmerz ist auf ewig gestillt in einer einzigen schnell verwehten Minute!«

Da richtete er sich stolzer auf und umfaßte mit starker Hand den Baum.

»Dann wärst du, was ich bin,« sagte er, »aber glückseliger, weil du fühllos bist. Ich werde diese Schwäche besiegen, ich bin berechtigt zu diesem Kampfe und wenn das Verlorene nie ersetzt wird, wenn ich nicht vergessen kann? Ich will es! ich muß es!« rief er betheuernd, »ich muß dich vergessen lernen, Sabine; leb' wohl, leb' ewig wohl!«

Er hatte aus seinem Kleide ein Medaillon mit ihrem Bilde gezogen, das sie einst in schöner Stunde ihm gegeben hatte. Noch trug er es an der Goldschnur auf seiner Brust und jetzt bedeckte er es mit seinen Küssen und rief mit leiser Stimme ihren Namen, bis er endlich mit einem heftigen Druck die Schnur zerriß und es in der Hand zusammenballte.

»So lange ich dich besitze,« sagte er, »fühlte ich die brennende Qual in mir, und nun ich dich opfern will, ist es mir, als wüthe ich gegen mein eigen Leben. Und doch muß es sein, Sabine. Hier entsage ich noch einmal, verfolge mich nicht mehr, geh, sei glücklich – leb' wohl – leb' ewig wohl!«

Noch einmal betrachtete er das Bild, dann drückte er es still an sein Herz und an seine Lippen; leise seufzend sank sein Kopf in die Hand, bis er sich mit Anstrengung erhob und rasch die Hand zum Wurf erhebend das Bild weit in den See hinauswarf.

In diesem Augenblicke hörte er hinter sich einen leisen Ruf, und auf der scharfen Grenze des Schattens stand Sabine, ganz umflossen vom Mondglanze, still und unbeweglich, bis sie mit ihrer hellen Stimme sagte:

»Schwöre nicht, Georg, ich verfolge Dich, weil Du mich verfolgt hast und kann nicht von Dir lassen. Willst Du vergessen, so vergiß mit mir in einem neuen schönern Bunde, wie wir Beide fehlten.«

Mit langsamen Schritten ging sie zu ihm und reichte ihm ihre Hände hin, die er sprachlos in den seinen hielt, bis er plötzlich, wie erwachend, mit einem Schrei der Freude sie umfaßte, ihr Name auf seinen Lippen in ihren Küssen zerfloß und ein unermeßliches, ungebändigtes Entzücken ihn fast tödten wollte.

Lange konnten sie das arme Wort nicht aussprechen, um auch zu hören, was sie tief empfanden. Alles war Versöhnung und Liebe in ihnen, und wie oft sie auch in feuchten, glänzenden Blicken sich betrachteten und zu reden begannen, die stumme und beredtere Sprache der Herzen schloß immer wieder ihre Lippen.

»Schwöre! ja schwöre!« rief Georg endlich, »daß diese Seligkeit nicht enden, daß Du nie mich wieder verlassen willst.«

Sie richtete sich lächelnd auf und deutete auf den See.

»Dort unten in der Tiefe,« sagte sie, »liegt die alte Sabine, die eitle, unbeständige, die Du auf ewig von Dir geworfen hast. An Deiner Seite aber ist eine andere und sie schwört, treu mit Dir das Glück und Leid eines Erdenlebens zu theilen. Laß uns mit einem festen Zauber das falsche Bild da unten zurückhalten, daß es nie wieder aufsteigen kann!«

»Mit meiner heißen, unendlichen Liebe zu Dir!« rief Georg.

»Und meiner innern Bekehrung,«, fügte sie leise hinzu.»Du hattest mir gesagt, was sie mir Alle verschwiegen, und nun ich allein, verlassen, verhöhnt war, schlug sich mein Schuldbuch immer größer vor mir auf. Bald dachte ich, es könnte nicht sein, Du müßtest kommen, aber dann sah ich, daß Du nicht durftest, bis mich Wehmuth, Reue, Liebe und Sehnsucht ergriffen, die mich endlich ganz demüthig und einsichtig machten.«

»Um so stolzer und schöner,« sagte Georg zärtlich, »wollen wir uns Beide wieder aufrichten.«

»Und Du bedarfst auch meiner,« rief Sabine lebhaft. »O! hochmüthiger Mann, das sollst Du mir bekennen. Nur wenn ich bei Dir bin, wirst Du Dein Haus zu bauen wissen, dann wird sich alle Deine Kraft zum Segen regen, denn Du gehörst nicht zu den armen Wesen, die von dunklen, untergeordneten Trieben zur That bewegt werden. Du bedarfst der Liebe zum Leben und zum Streben, wie Gottes Welt der Sonne bedarf. Und diese will ich Dir geben; mein Herz, mein Sinnen und Denken, mein ganzes Dasein soll Dein auf ewig sein!«

So ruhten sie im duftigen Schatten der Nacht ganz berauscht vom Liebesglück und über ihnen sangen Nachtigallen das Brautlied, dann kam der alte Berthold mit eiligen Schritten am See herab, und wie er sie sitzen sah, Brust an Brust, trat er dicht zu ihnen hin und nahm Georgs Hand. Er hatte sein Ehrenkleid angezogen, den Degen festgesteckt und das dreieckige Hütchen fehlte auch nicht. Ganz feierlich sah er auf die Beiden und sagte dann:

»Mein Kind Georg, hier stehe ich nun, Dir Rechenschaft zu geben und ihm, in dessen Auftrag ich handelte. Gottes Rache hast Du auf mich herabgerufen, ich habe es mit großem Schmerz ertragen, aber ich fürchte mich nicht. Nun greife in Dein Herz, junger Mensch, und sieh, was Dein Fluch war; nun richte Deine Augen zum Himmel auf und preise Den, der dem alten Berthold Kraft verlieh, standhaft auszuharren und zu handeln.«

Georg schlang gerührt die Arme um ihn und küßte sein zitterndes Gesicht; aber Sabine mit ihrer lieblichen Heftigkeit klammerte sich fest um seinen Hals und rief drohend:

»Alter, ehrwürdiger Freund, es war freilich ein mißliches Experiment, bei dem man stark im Glauben und Vertrauen sein mußte. Aber um so dankbarer sind wir nun, da es gerathen ist. So nehmen Sie auch mich als Tochter auf und an, und alle Liebe und Segen über Sie!«

Der Greis hielt das schöne Mädchen mit Stolz und seliger Freude in seinen Armen und dann richtete er sich empor und sagte:

»Ich habe ihn den rechten Weg geführt, nun lege ich mein Amt nieder, schütze Du sie, mein Herr und Meister!«


Drei Jahre später lebte der reiche Gutsbesitzer und Fabrikherr mit seiner schönen Frau in der Residenz, wo er als Mitglied der ständischen Kammer durch seine Kenntnisse und Talente schnell einen weit berühmten Namen erworben hatte. Auf seinen Gütern waltete noch immer der alte Berthold, und der vormalige Förster Bolzin, der gänzlich geheilt zu seiner praktischen Redlichkeit und Thätigkeit zurückgekehrt war und mit Frau und Kind in der glücklichsten Zufriedenheit lebte, leitete die Oberaufsicht des Ganzen.

In dem Augenblick, wo Sabine ihren Knaben aus den Händen der Wärterin nahm, trat Richard und seine Gemahlin, die blonde Cousine, herein, welche er nach vergeblichen zweijährigen Bemühungen in Bädern und auf Bällen vor Kurzem heimgeführt hatte.

»Weißt Du schon,« sagte Richard und drehte den Hut auf seinem Kopfe herum, indem er mit der andern Hand sein Haar lockte, »Dein Mann, Warburg, ist ein merkwürdiger Mensch!«

»Was soll ich wissen,« sagte Sabine lächelnd und mit leuchtenden Blicken.

»Er ist zum Präsidenten der Kammer ernannt worden!« rief die Cousine »und da ist er.«

Georg trat herein, gerechter, edler Stolz und Liebe strahlten aus seinen Augen; dann kamen fast zugleich der Oheim, der seit einem Jahr Minister war, und der alte Baron. Alle waren freudig bewegt und der Minister umarmte den jungen Präsidenten und nannte ihn zum ersten Male: »Mein lieber Neffe!«. Georg aber küßte Sabine, die lange und zärtlich stumm in feine Augen: sah und dann leise sagte:

»So habe ich Dich auf die Bahn der Ehre und des Ruhms getrieben, mein Georg, so ist es doch wahr, daß Du zu Höherem bestimmt bist, als Feld und Wald zu bestellen oder Dampfmaschinen zu heizen. Aber das sind die Mittel zum Zweck. Erwerbe, wer steigen will! Besitze weltliche Güter, wenn Deine geistigen Schätze nützen sollen! Was hat uns nun so glücklich gemacht?«

»Deine Liebe und Weisheit,« sagte Georg scherzend.

»Nein,« rief sie und zupfte ihn lächelnd: »die Lüge, die in Schmerzen zur Wahrheit wird!«


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