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[Vierter Theil.]

Swinemünde und Rügen.

Eine Reiseskizze.


Es pochte heftig an die Thür.

»Wie so?!« rief ich schlaftrunken und richtete mich auf.

»Der Kaffee!« erwiderte eine feine Stimme, und ein kleiner, dünner, blondhaariger Bursche stürzte herein. »Guten Morgen,« sagte er.

»Was ist die Uhr?« fragte ich. Ich hatte vergessen die meine aufzuziehen.

»Da schlägt's,« versetzte er, »ich glaube, es ist fünf.«

»Um fünf fährt ja das Dampfboot.«

»Fahren Sie auch nach Swinemünde?«

»Allerdings.«

»O!« sagte er erstaunt und doch mit dem schlecht unterdrückten Lächeln der Bosheit, »so sind Sie vergessen worden. Unser Hausknecht ist sehr nachlässig.«

»Hol der Henker den Hausknecht und das ganze Haus!« rief ich, und sprang mit einem Satz aus dem Bett. »Was fang ich nun an?«

»Uebermorgen, nein, am Dienstag erst, fährt – es wieder. Aber es gibt auch wol mitunter Gelegenheit,« setzte er tröstend hinzu.

»Ich will nach Rügen,« sagte ich und blickte ihn durchbohrend an.

»Da müssen Sie acht Tage bleiben, bis zum nächsten Sonnabend.«

»Und umkommen!« rief ich wüthend. »Wer ersetzt mir den Schaden?«

Der Bursche zog heimlich lachend seine ungeheure Uhr aus der Tasche und hielt sie ans Ohr.

»Die steht auch schon wieder,« sagte er und sah sie betrübt an, »aber lange ist's noch nicht her und der große Zeiger steht auf vier. Es wird halb fünf geschlagen haben, mein Herr.«

»Meine Stiefeln!« rief ich, von neuer Hoffnung belebt.

Er sprang zur Thür hinaus, ich an die Kaffeetasse und Toilette. Die ganze Nacht hatte ich wenig geschlafen, trotz des harten Reisetages. Unten stampften Pferde, oben polterte es hin und her, und Thür an Thür mit mir hatte ein Künstlerpaar seinen Musensitz aufgeschlagen. Erst lachten sie und jubelten und schmausten, dann zankten sie sich, machten sich Vorwürfe und sprachen von Scheidung, bis es plötzlich zu ernsthaften Demonstrationen kam, die Dame einige herzbrechende Klagetöne ausstieß, denen Wirbel und Fluten von schmeichelhaften Redensarten folgten und Teller und Gläser, als Wurfgeschosse der ehelichen Schlacht, wie ich denke, verbraucht wurden.

Zum Schluß warf ich, wie Brennus Brennus, Heerführer der keltischen Senonen, der im frühen 4. Jh. v.u.Z. bis nach Rom vorstieß und die Stadt plünderte. Der Legende zufolge verhinderten die schnatternden Gänse der Juno einen heimlichen, nächtlichen Angriff der Gallier auf das Capitol. Ein Einfall der Veneter in Oberitalien und die siebenmonatige Belagerung des Kapitols bewogen die Kelten zum Rückzug, nicht ohne vorher mit dem römischen Konsulartribunen Quintus Sulpicius Longus ein Lösegeld von 1000 Pfund Gold ausgehandelt zu haben. Der Legende nach warfen die Römer bei der Auswägung dieses Lösegelds Brennus vor, falsche Gewichte zu benutzen. Daraufhin soll Brennus mit den Worten » vae victis« (Wehe den Besiegten) zusätzlich noch sein Schwert in die Waagschale geworfen haben, so dass diese nun noch mehr Gold zahlen mussten. den Degen, den Stiefelknecht gegen die Thür, ohne ein Wort zu sagen, und siehe da, die Wage der Liebe und Gerechtigkeit sank nicht, sie richtete sich auf. Der Stiefelknecht ward Friedensstifter, ein neues zärtliches Bündniß ward durch ihn errichtet. Der Lärm hörte auf, bald hörte ich ein leises Lachen, eine himmlische Versöhnung ward gefeiert und seufzend schlief ich ein, indem ich Schiller's: »Ehret die Frauen« vor mich hin murmelte.

»Die Stiefeln, mein Herr,« rief der Kellner. »Es ist richtig erst halb, aber Sie müssen eilen.«

Ich faßte die Gurte mit Leidenschaft und zog bis mir der Athem ausging. Doch eingekeilt in fürchterliche Enge taumelte ich hin und her, und ließ los.

»Sie haben keine Zeit zu verlieren!« schrie der Mensch. »Nehmen Sie die Seife, mein Herr.«

»Halt!« rief ich, »es sind nicht meine Stiefeln. Sie sind verwechselt.«

»Es steht Nummer Zwanzig auf der Sohle,« erwiderte er kaltblütig; »Sie bewohnen diese Nummer.«

»Es sind aber nicht die meinen.«

»Dann sind sie wirklich verwechselt. Unser Hausknecht ist sehr nachlässig.«

»Wo ist dieser Spitzbube von Hausknecht?«

»Mit den Sachen der Fremden schon fort nach dem Dampfboot.«

»Ich glaube, es soll Numero Dreißig heißen?«

»Numero Dreißig ist fort nach dem Dampfboot.«

»Gerechter Gott, mit meinen Stiefeln! Vielleicht Vierzig?«

»Vierzig ist der Oberamtmann mit den Stulpenstiefeln, mein Herr.«

»Funfzig denn meinetwegen; ja, ganz gewiß, Funfzig hat sie.«

»Da wohnen zwei Damen in Trauer, mein Herr,« erwiderte der Bursche lachend. »Das ist ganz und gar unmöglich, wie Sie einsehen werden.«

»Unmöglich!« schrie ich, »warum unmöglich? Damen in Trauer ist nichts unmöglich, besonders wenn sie jung und hübsch sind.«

»O! hübsch genug sind sie,« sagte er mit echter Kellnervertraulichkeit, »aber an den Stiefeln allein vergreifen die sich nicht.«

Ich riß in Verzweiflung meinen Fuß aus der Klemme und schleuderte den vermaledeiten Stiefel in den Winkel über den Ofen fort.

»Ein Königreich für ein Paar Stiefeln!« rief ich; »ich sehe nichts ein, als mein Elend. Gehen Sie, sehen Sie, schaffen Sie die Stiefeln, ich mache Sie verantwortlich.«

Im Augenblick, wo er davonlaufen wollte, kam ein anderer Mensch zur Thür herein und brachte die Gegenstände meiner Sehnsucht aus dem Vorderhause, wohin sie durch eine seltsame Verirrung gerathen waren.

Nun ging es über Hals und Kopf, und mit Reisesack, Regenschirm und Makintosh Mackintosh oder seltener Macintosh, ein gummierter und damit wasserdichter Regenmantel, 1823 in Großbritannien patentiert. beladen, eilte ich ein paar Minuten später die Straße hinunter, verirrte mich, ward zurechtgewiesen, und lief an der Ecke des Bollwerks einen jungen Mann fast um, der weit langsamer ging, als ich.

»Wir haben Zeit,« sagte er bei meiner Entschuldigung.

»Sie reisen auch?«

»Ich denke, ja,« erwiderte er.

»Aber es läutet zum Drittenmal!«

»Thut nichts.«

»Fünf Uhr vorbei,« sagte ich.

»Thut gar nichts.«

Ich bewunderte seine Zuversicht, die mich aufrichtete. Es war ein großer schlanker Mann mit einnehmendem, blassem Gesicht. Ein Stück Candidat, aus seinem schwarzen Kleide geschlossen, ohne Zweifel aus Pommern, seinem Phlegma zufolge – obgleich es nicht wahr ist, daß die Pommern phlegmatisch sind – aber sicher ein Mann von Welt und Erfahrung, mit dem sich gut reisen ließ.

»Das Dampfboot geht pünktlich?« fragte ich.

»Sehr pünktlich.«

»So bleiben wir ja jedenfalls zurück.«

»O, keineswegs! Es geht pünktlich, was wir so nennen. Da kommen punkt Fünf noch die Kisten und Kasten, und wenn die Brücke schon fortgenommen ist, erscheinen die Nachzügler und sie wird wieder aufgelegt. Wo es Geld zu verdienen gibt, ist man immer bereit, gefällig und nachsichtig zu sein. Es ist ein altes Volkssprüchwort: Was thut der Deutsche nicht alles fürs Geld!«

Ein Arbeiter rannte uns entgegen.

»Wollen Sie noch mit, meine Herren?« rief er. »Jetzt geht's los. Geben Sie mir Ihre Mäntel und Reisesäcke, oder Sie kommen zu spät.«

»Geben Sie,« sagte mein Begleiter. »Das ist ein echter Deutscher. Geben und nehmen sind die Brennpunkte seines Daseins. Er wird dafür, wie ein Held, den Paß besetzen und vertheidigen, bis wir erscheinen. Er ist bezahlt, das vergißt er nicht.«

Der Mann lief voran, wir drängten uns ihm nach durch ein Gewirr von Arbeitern, Hausknechten mit Handwagen und Menschen aller Klassen, die ihre Freunde und Angehörigen begleiteten. Das heisere Geschmetter des Dampfes übertönte das Geschrei umher, aber mein neuer Freund hatte Recht, denn mit der äußersten Tapferkeit vertheidigte unser Schildknappe die Brücke, und ließ sie nicht fortnehmen, bis wir glücklich an Bord waren, was er sich allerdings auch zum Verdienst anrechnete und ein vermehrtes Trinkgeld begehrte.

Endlich ward abgestoßen, die Räder peitschten das Wasser und die Kronprinzessin machte ein paar langsame Wendungen bis in die Mitte. Dann gingen wir an der schwarzen Dronning Maria vorüber, die auf ihrer letzten Fahrt von Kopenhagen den Kessel zersprengt hatte, und bald hatten wir die Werfte und Holzplätze hinter uns und liefen in den Windungen des Stromes fort, der seine zahlreichen Arme durch dies Wiesenland zum Haff schickte.

Inzwischen hatte sich die Verwirrung auf dem Schiff gelegt und die Gesellschaft sich eingerichtet. Schöne Damen waren zahlreich auf dem Hinterdeck versammelt, Freunde und Familien suchten sich zu vereinigen, Tische wurden aufgeschlagen und die Zeltstühle zusammengerückt zum mannichfachen Frühstück, mit welchem einige ziemlich schmutzige Aufwärterinnen und Schiffsjungen umherliefen. Am meisten bepackt war das Vorderdeck mit Kisten und Kasten und Russen, die von Berlin kamen, mit Geschenken beladen, um auf dem Kriegsdampfschiffe Herkules, das in Swinemünde sie erwartete, in das Land der wahren Freiheit und des gesunden Sinnes, wie das Berliner politische Wochenblatt ihr Vaterland nennt, zurückzukehren.

Der Wind war inzwischen scharf geworden, ich schlug mein Hauptquartier im Schutze des großen Mastes und eines Halbwagens auf, der quer auf das Deck gefahren war, ein Haus auf dem schwimmenden Hause, das eine ganze Schar fröhlich lärmender Kinder herbergte, die mit dem stolzen Bewußtsein ihres aristokratischen Vorrechts auf mich herabschauten.

Die Hügelkette zur Linken mit ihren Dörfern, einsamen Waldstrichen und kahlen Sandleisten war nicht ohne Reiz, und Frauendorf – wer ist in Stettin gewesen und hat es nicht rühmen hören?! – dies Eldorado des Stettiner Naturbewußtseins, sah von seiner Berghöhe freundlich zu uns herüber. Meerschiffe zogen an uns hin und wir überholten dagegen ein paar Briggs und Galeassen. Die kleinen Fischerboote flüchteten vor dem Wellenschlage des Dampfers dicht an die Ufer, deren Schilfränder heftig wogten, und die halbnackten Bursche und die Fischerweiber mit den weißen Mützen und Glanzhüten, die besten und berühmtesten Schimpferinnen Europas, sahen böse auf das rauchende Ungeheuer, das sie so unbarmherzig schaukelte und bespritzte.

»Armes Volk das,« sagte die Stimme meines Bekannten neben mir. »Ueberall der alberne Kampf des Alten und Neuen, der Schwäche gegen die Gewalt.«

»Ein ewiger Kampf,« erwiderte ich. »Alt und Neu, Sterben und Auferstehen, so geht die Welt fort.«

»Langsam genug,« unterbrach er mich, »langsam, wie dies plumpe, schlechte Schiff, vor dem sich Alles flüchtet.«

»Also doch gewaltig und neu.«

»Für Pommern,« sagte er, mit einem spöttischen Lächeln. »Während die übrige Christenheit in der neuen Kultur männlich aufreift, Dampfschiffe nach Amerika fahren, und unsere nächsten Nachbarn selbst, die Russen, Dänen und Schweden, in schönen starken Schiffen, die Meere durchkreuzen, liegen wir noch immer in der Kindheit und nehmen mit dem Abfall vorlieb, den man uns billig hinwirft. Ein einziges schlechtes, plumpes Fahrzeug, ein altes Segelschiff mit viel zu schwachen Maschinen, von unvortheilhafter Construction, bildet unsere ganze Dampfmarine auf dem ersten Strom des intelligenten preußischen Staates, und mühsam unterhält es die Verbindung mit dem Meere, seinen Küsten, Inseln und Ländern. Kein Aufschwung ohne Concurrenz, keine Concurrenz ohne Speculation, keine Speculation ohne Aussicht auf Gewinn. Von allen den unternehmenden Kaufleuten und Rhedern Stettins hat keiner den Muth diesen plumpen Gegner zu vernichten. Man lacht oder ärgert sich seit Jahren über die jammervolle Dampfschifffahrt, aber trotz alles Geschreies findet sich keine Abhülfe. Es fehlt uns am Gemeinsinn und bei aller Speculationslust an wahrem Geist dafür.«

»Alles wird sich ändern,« erwiderte ich, »wenn erst eine Eisenbahn Berlin auf vier Stunden an Stettin heranrückt, wenn Scharen lustiger Berliner nach Rügen gehen, um dort ein paar Tage vergnügt zu leben. Dann stellt sich das Bedürfniß ein, Zeit und Geld soll gespart werden, man will in einem Tage von Berlin nach Putbus versetzt sein, und statt dieses schmutzig schleichenden Schiffs werden bald schöne und schnelle hier fahren.«

»Möglich,« sagte der Fremde, »daß die Intelligenz auch hier bald eine hellere Leuchte anzündet, aber längst könnte es anders sein. Wäre die Verbindung billig und gut, so würden auch jetzt Viele fahren, die lieber zu Haus bleiben, weil sie niemals wissen können, ob sie ihr Ziel erreichen. Je langsamer und schlechter es aber geht, um so besser für den Capitain des Schiffes, der die Restauration besorgt, und am besten dabei fortkommt.«

In dem Augenblicke trat der Capitain zu uns heran und grüßte uns.

»Wann kommen wir nach Swinemünde?« fragte mein Begleiter.

»Um elf Uhr, oder um zwölf spätestens.«

»Sehr lange; sechs volle Stunden oder sieben.«

»Es sind zwölf Meilen,« erwiderte der Seemann, »und mein Schiff geht vorne zu tief. Die Russen und ihre schwere Bagage. Ich glaube, sie haben halb Deutschland in ihre Kasten gepackt.«

»Unmöglich,« sagte der Fremde, »das sitzt längst ganz und gar in einer russischen Westentasche. Werden wir heute nach Rügen kommen?«

Der Capitain machte ein bedenkliches Gesicht, indem er zu den weißen Windstreifen am Himmel aufsah.

»Ich denke wohl,« sagte er, wenn der Wind nicht stärker wird.«

»Das ist die Bedingung, wie immer,« erwiderte Jener lachend. »Sie sollten eine Flagge mit der Inschrift führen: ›Dies Dampfschiff fährt nur, wenn kein Wind weht,‹ um die außerordentliche Erfindung in ihrem schönsten Lichte zu zeigen.«

»Es ist ein festes, schönes Schiff,« sagte der Capitain etwas ärgerlich, »und den wollt' ich sehen, der mit ihm fortkäme, wenn es nur das Eine noch hätte, was ihm zufällig fehlt. Aber dafür kann es nicht, nein, durchaus kann es nicht dafür. Sehen Sie, wie hübsch es gebaut ist. Lang, breit, sicher. Es fahren viele englische Schiffe, die man so sehr rühmt, und sie sind nicht halb so gut, wie dies alte Schiff, das so sehr verspottet wird. Wenn es nur das Eine hätte, nur das Eine sollte es haben!«

»Was denn?« fragte ich.

»Noch einmal so starke Maschinen,« flüsterte er vertraulich. »Das ist das Einzige, das Allereinzige. Es ist zu groß, und diese sind zu schwach.«

Wir lachten Beide.

»Das kommt mir vor,« sagte mein Bekannter, »wie die Rede eines begeisterten Anhängers des Runkelrübenzuckers, welche ich neulich hörte. Die Feinheit, weiße Farbe, Härte, reine Krystallisation und tausend andere schöne Eigenschaften des vaterländischen Fabrikates, welches die indischen Zucker weit hinter sich ließ, wurden hoch gerühmt. ›Nur Eins,‹ sagte der Sprecher, ›nur Eins hat er nicht mit jenem gemein, aber was will das Eine gegen so viel Vortreffliches sagen?‹ ›Was ist es?‹ rief man von allen Seiten, begierig, diesen kleinen Mangel kennen zu lernen. ›Er ist nicht süß,‹ sagte der Mann etwas kleinlaut. Das Uebrige ging in dem allgemeinen Gelächter verloren.«

Der Capitain ging von uns, offenbar nicht sehr gut gelaunt über unsere Hartnäckigkeit, und mein Unbekannter fuhr fort:

»So sind sie alle; aber es liegt in der menschlichen Natur tief begründet. Der Reiter lobt und liebt sein Pferd, der Jäger sein Gewehr, der Seemann sein Schiff, und diese Liebe, so lächerlich blind sie oft ist, hat doch auch etwas Rührendes.«

»Das ist das rosenrothe Band,« fiel ich ein, »welches die Liebe überhaupt um die Augen ihrer Opfer bindet. Und welch ein Glück für die Menschheit! Welcher Verliebte hielte seine Erkorne nicht für die Allerschönste und Vollkommenste auf Erden; welcher glückliche Mann glaubt nicht die beste Frau zu besitzen und verlacht im Stillen die übrigen Glücklichen, mit denen er nicht tauschen möchte. So denkt Jeder das große Loos gezogen zu haben und wandert fröhlich mit seinem Kreuz gen Golgatha. Jedem Narren steht seine Kappe gut, sie drückt ihn erst, wenn sie ihm etwa abgerissen wird.«

Der junge Mann sah mich starr an und seine Lippen zuckten heftig zusammen.

»Sie haben Recht,« sagte er dann. »Närrische Welt, wo der Vernünftige der Leidende sein soll!«

Er ging nach dem Hinterdeck und ich konnte nicht umhin eine Betrachtung über ihn anzustellen, mit der ich noch nicht ganz fertig war, als er zurückkehrte.

Wir waren inzwischen ins Papenwasser Die 8 km lange Ausmündung des Dammschen Sees und der Oder in das Stettiner Haff. gefahren und vor uns dehnte sich das Haff aus, das seine hohen kurzen Wellen uns entgegenrollte. Dicht bei uns, auf der andern Seite des Mastes, war eine fröhliche Gesellschaft, die es sich wohl schmecken ließ in jeder Beziehung und dabei den hübschen jungen Damen von der Seekrankheit, die nun bald anrücken würde, fürchterliche Geschichten erzählte. Ein dicker Herr, der Doctor genannt wurde, hatte das meiste Ansehen und sprach mit so praktischer Erfahrung und Zuversicht, wie einer der sieben Weisen.

»Was ist Seekrankheit, meine Damen?« sagte er, »nichts weiter als eine Art Walzer oder Galopp, die der König des Lebens, der Magen, dem wir die tiefste Verehrung schuldig sind, wenn er uns ein guter Herr ist, mit seinen aufgeregten Insassen anstellt. Der alte lustige Bursche schwenkt Alles herum, was er fassen kann und wirft aus seinem Hause, was sich widersetzt. Will man Se. Majestät bei Laune erhalten, so ist durchaus nöthig, daß man ihm mit guter Speise und noch besserem Trunk zusetze, und so müde und voll mache, daß ihm die Tanzlust vergeht. Und dazu rathe ich Ihnen, meine schönen Damen, schmeicheln und streicheln Sie den Tyrannen. Sie wissen wol aus Erfahrung, daß die Schlimmsten so am leichtesten zu bändigen sind.«

Diese Rede des lustigen dicken Herren verfehlte ihre Wirkung nicht. Die Gläser klangen über das rauschende Meer hinaus und die frischen, von Lebenslust gerötheten Lippen spotteten jubelnd über die Wellen, wenn diese zuweilen an der Wand zerstäubend einen Schauer glänzender Tropfen aufs Deck schickten.

Es wurde sogar eins jener alten Lieder angestimmt, die längst untergegangen in der Hauptstadt, noch in den Provinzen fortleben, und während ich leise mitbrummte: »Wir sitzen so fröhlich beisammen und haben einander so lieb,« sah mein Nachbar durch sein kleines scharfes Fernrohr, musterte die Haffberge, mit glänzendem Sand und dunklem Fichtenwald bedeckt, die langen Wellenköpfe, welche uns immer schärfer trafen und ihre weißen Zähne zeigten, die Schiffe hinter uns, wie sie Segel setzten und schnell sich näherten, und die Möven, die in dichten Haufen auf den Wellen ruhten und aufflatterten.

»Sie werden nicht lange mehr singen,« sagte er dann lächelnd, »ich sehe es an den ängstlichen Blicken der armen hübschen Kinder, die so trostlos über die große Wasserfläche irren. Schweiß überzieht ihre Stirn, und bemerken Sie, wie die meisten gezwungen lachen, wie sie sich stark machen, um den Schwindel, den eklen Schmerz zu unterdrücken. Denn mit der Seekrankheit ist es sonderbar. Es ist eine schlimme, unerträgliche Pein, ein Zustand des Erbarmens, und doch wird man jedesmal ausgelacht. Wir haben Mitleid mit Dem, der den kleinsten Schmerz empfindet, warum verspotten wir dies weit größere Leiden?«

»Gewiß, weil es für eine Schwäche gehalten wird,« erwiderte ich, »weil wir wissen, daß diese Krankheit weder schädlich noch gefährlich ist, und weil ihre Symptome in der That oft zu lächerlichen Situationen führen.«

Indem ich dies sagte, ging eine merkwürdige Veränderung an dem fröhlichen Tische vor. Wir waren im höchsten Wellenschlage des Haffs, das Schiff legte sich merklich auf die eine Seite und richtete sich dann rasch wieder auf, indem es zugleich eine andere Bewegung nach vorn, in die Tiefe oder Höhe abwechselnd machte und mit donnerndem Schlage zuweilen in den Bogenschwall hinunter fiel. Die letzten Zeilen des alten Liedes: »Ach, wenn es doch immer so blieb« u. s. w. wurden mit schwachen Stimmen gesungen, gleich darauf aber entstand Verwirrung, die Gesichter der Damen waren todtenblaß, widerstandslos lagen sie in den stützenden Armen der Herren, welche sie schnell an die Schiffswand zogen, um Neptun und seinen Genossen alle längst erwartete und ihm zukommende Opfer nicht länger zu entziehen.

Nichts aber ist gefährlicher, als einem Seekranken Hülfe leisten. Kein Uebel ist ansteckender; vor unsern Augen hatten wir das Beispiel. Die zuerst lachten, wurden bald blaß und ängstlich, und die Helden, welche mit Aufopferung die Damen in die Cajüte retteten, schwankten bald selbst hinab. Der alte fröhliche Herr ging lange auf und ab und verfocht seinen Satz, dem Herrn des Lebens zu schmeicheln, mit Virtuosität. Zuletzt ließ er sich mit einigen Gefährten auf eine Bank nieder, schenkte tapfer aus der Portweinflasche ein, die er in der Hand schwenkte, und hielt dem Universalremedium eine Lobrede.

»Sie sind niemals seekrank gewesen?« fragte mein Begleiter.

»Niemals,« erwiderte er und biß in ein furchtbares Stück Schinken. »Ich habe große Reisen gemacht: es ist wirklich wahr, nach England, nach Amerika; bin in Stürmen gewesen, wo das Schiff gerade zu Kopf stand und wir bald die Engelein im Himmel, bald die Nixen auf dem Meergrunde in den Krystalhäusern sitzen sehen konnten, so fuhren wir auf und nieder: es ist wirklich wahr. Die Mannschaft war krank, der Capitain wurde krank, der Sand, den die Wellen mitbrachten, lag nachher auf dem Deck fußhoch und mußte weggeschippt werden; ich wurde nicht krank: es ist wirklich wahr. Ich saß im Mastkorb mit einem halben Dutzend alten guten Flaschen Portwein und einem allmächtigen Schinken dazu und befand mich unaussprechlich wohl, – wie zehntausend Säue: es ist wirklich wahr.«

»Merkwürdig,« rief der Andere.

»Aber Sie, mein Herr,« sagte der dicke Mann und betrachtete ihn, »Sie sehen gefährlich blaß und nüchtern aus. Ich wette, Sie haben den bösen Geist nicht beschworen. Nicht einmal mit einem paar Beefsteaks.«

»Ich esse niemals des Morgens.«

»Und nichts getrunken?!«.

»Ich trinke nie des Morgens.«

»Und Sie existiren noch?«

»Ich glaube, ja.«

»Aber es ist das letzte Stadium,« rief der Erfahrene. »Bemerken Sie, meine Herren, die blauen Ränder um die Augen, sehen Sie, wie die Stirn sich zusammenzieht, wie der Blick starr wird? Geschwind, nehmen Sie dies volle Glas feurigen heilenden Trankes.«

»Großen Dank,« sagte der junge Mann, ohne sich zu rühren.

In dem Augenblicke wurde das Schiff von einer jener hohen Wellen gefaßt, die, indem sie daran zersplittern, seinen Lauf aufzuhalten scheinen und es seitwärts in die Tiefe schleudern. Das ganze Deck ward überspült und die Kronprinzeß so hoch aufgehoben, daß das Backbordrad seine Bewegung ganz außer dem Wasser machte. Der Mann mit dem vollen Glase und der Flasche schien einen Augenblick noch das Gleichgewicht zu halten, dann stürzte die Bank und er mit ihr und seinen Genossen; der Wagen zerriß seine Stricke und rollte gegen die Verkleidung, Gepäck und Holzstücke fielen ihm nach und verschlimmerten die Lage der in Seewasser schwimmenden warmblütigen Amphibien.

Das dicke, rothe Gesicht des würdigen Wahrheitsfreundes ragte allein aus der Verwirrung; mit dem Rollen des Schiffes rollte es mit; Geschrei und Gelächter, Klagen und Verwünschungen, und die helfenden, grinsenden Seeleute, die Allen wieder auf die Beine halfen, vervollständigten dies malerische Bild.

Aber ach! welche Veränderung. Der nie von der Krankheit in den Tropenstürmen angefaßte Mann lag blaß in den Armen einer Therjacke, die seine unerschöpfliche Libation dankbar annahm und ihn fortschleppte. Noch hielt er den Rumpf der zersplitterten Medicinflasche krampfhaft in seiner Rechten, und seine lustigen Freunde, wo waren sie? Alle in demselben Elend, in einem Augenblick die Beute desselben schadenfrohen Gespenstes geworden, das seine verspottete Macht rächte, boten sie den kläglichsten Anblick.

Wie man sie fortführte, gerieth der Eine in eine tragikomische Verzweiflung: er hob Augen und Hände zum Himmel und schrie ganz kläglich und zornig:

»Das nennen sie nun ein Vergnügen, das soll eine Lustfahrt sein, das kostet noch obenein schweres Geld! O, du lieber Gott, was war ich für ein Dummkopf, warum bin ich denn nicht zu Hause geblieben, ja, warum bin ich nicht zu Haus geblieben?!«

Aber neue Wellen schaukelten das Schiff, überspritzten ihn höhnend und warfen ihn an die Wand, wo man ihm Hülfe leistete. Die Gesunden lachten ihm nach und die Russen vorn im Schiffe sangen dazu, denn soeben hatte man ihnen eine unermeßliche Masse von Butterschnitten und den geliebten aufklärenden Trank, Branntwein genannt, verabreicht. Ich machte eine Bemerkung darüber, die mein blasser Gefährte in seiner Weise beantwortete.

»Es ist wahr,« sagte er, »diese Menschen sind Wesen, welche vielleicht in vermehrter thierischer Abhängigkeit und in größerer Wechselwirkung zu den natürlichen Bedingnissen des Lebens stehen, als die germanischen und romanischen Völkerstämme; aber man ist allzugeneigt, ungerecht gegen sie zu sein. Wenn irgend ein Volksstamm auf Erden eine große Zukunft hat, so ist es der Slave. Welch eine Macht liegt hier in eines Menschen, eines Herrschers Hand, vor dem sich alles beugt! Ja, wenn es möglich ist, die Idee einer Universalmonarchie auszuführen, so kann sie nur von dorther kommen. Ein einiges großes Slavenreich, das halb Europa umfaßt, und wie weit ist man noch von der Verwirklichung?! Schon haben sich die ehrgeizigen Ideen in den Köpfen entzündet und werden heimlich genährt und gefördert; schon schreiben sie Bücher und beweisen, daß das Land bis zur Elbe, und zum Harz slavisches Eigenthum sei, in langen hundertjährigen Kämpfen von den Deutschen erobert, aber noch von den Resten der alten Brüder bewohnt, die des Tages der Befreiung sehnsüchtig warten; schon hat man den Slavismus erfunden, schon ist Polen zum Theil Rußland, und was jene unglücklichste, verbrecherischste und thörichtste That der Geschichte andern Mächten hinwarf, haßt diese weit mehr, als die Stammverwandten. Man hat den einzigen Wall zerstört, der die Flut von Europa abhalten konnte, einst wird man es in Sack und Asche beweinen.«

»Welche Befürchtungen sind das!« erwiderte ich lachend. »Auch wir werden einig sein und frei! Vierzig Millionen Deutsche schreiben der ganzen Welt Gesetze vor, und wann wäre es schon geschehen auf Erden, daß die Begeisterung der Freiheit im gerechten Kampfe für das Vaterland untergegangen wäre?!«

»Sie denken an Marathon und Salamis, an Roms Siege gegen Brennus, an die Zerstörung der Armada, an die hohen und unsterblichen Thaten der Niederländer, der Franzosen und vielleicht auch an Arminius und Deutschland,« sagte er; »aber erinnern Sie sich auch, wie Griechenland unterging und Karthago, wie Roms blutiges Schwert die tapfersten Völker unterjochte, wie unbesieglich die grausamen Spanier in Amerika dem Christengotte Millionen Leben schlachteten, wie Deutschland und alle kriegerischen Staaten Europas vor Napoleon's Genius sanken? Die Begeisterung opfert sich auf, aber sie siegt nie ohne den großen Feldherrn und die höhere taktische Kunst. Und welche höhere Kunst haben wir diesen sechzig Millionen Slaven entgegenzustellen, die nicht denken, ohne daß es befohlen wird, die des Herrn Willen unverbrüchlich vollziehen, wie die Sklaven des Serails, die, Maschinen gleich, an Fäden geleitet fechten und sich todtschlagen lassen, ohne Murren, ohne Klage, ihren Gott und ihren Czar fußfällig anbetend? Wenn sich ein Führer für sie findet, so gehört ihnen die Welt, wie sie den Griechen und Alexander gehörte, den Römern und Augustus – und sie werden ihn finden! Wir haben gesehen, was diese tapferen Männer vermochten, als der rohe Suwarow Alexander Wassiljewitsch Suworow (1730-1800), russischer Generalissimus und Stratege, der in zahlreichen Kriegen (Siebenjähriger Krieg, Feldzug gegen die polnische Konföderation, Russisch-Türkische Kriege, Kosciuszko-Aufstand und schließlich Zweiter Koalitionskrieg 1799) kämpfte. ihre rohen Tugenden begeisterte. Wir lächeln vergebens verächtlich über den Fanatismus, den Knechtssinn und die Herrschaft der Knute, verabscheuen die Verderbtheit der oberen Klassen, die Laster des Trunkes, die niederträchtige Demuth und Falschheit, die Bestechlichkeit des Beamtenheeres und was man sonst des Schlechten und Gemeinen findet; die fürchterliche Wahrheit aber rückt näher und näher, und während wir, von den neuen Ideen zerrissen, uns selbst hassen, verachten und zerfleischen möchten, steht dort der einige gewitterschwangere Koloß und weiß nichts von den Schmerzen, an denen wir leiden.«

»Sie scheinen also auch zu den Propheten zu gehören, welche uns die Republik oder die Knute im nächsten Jahrhundert prophezeihen?«

»Sehen Sie sie an,« erwiderte er, indem er auf einen der Russen deutete, der vor uns mit einem Offizier sprach. »Sehen Sie den großen, kräftigen Körper und den demüthigen Gehorsam dazu. Er hält die Mütze in seiner Hand und wagt nicht mit den Augenlidern zu zucken. Wenn der Mensch mit der Tresse dort sagte: Ivan, fort auf den Mast! er kletterte, bis ihm der Athem ausginge; spräche er: Wirf mir den Kerl dort über Bord! er fiele uns an mit dem Grimm eines Mörders oder Kettenhundes; und würfe er seinen Hut in die Wellen und schriee: Spring' hinein! Ivan wäre wie der Sturm über Bord und ohne schwimmen zu können, suchte er zu apportiren oder zu sterben. Und dieser unverbrüchliche Gehorsam geht fort durch alle Klassen; Jeder beugt sich und gehorcht.«

»Und sucht zu herrschen und zu betrügen,« fiel ich ein.

»Aber er gehorcht,« fuhr er fort, »und was ist mit einem solchen Volke zu beginnen!«

»Vom Stock regiert, von der vollen Schüssel und der Branntweinflasche zum höchsten Glück und zum Gesange aufgeregt, wie ein Thier, das fröhlich wiehert, wenn es die volle Krippe In der Vorlage »Grippe«; diese Schreibung ist für jene Zeit nicht nachweisbar, weshalb von einem Druckfehler auszugehen ist. findet, was kann Großes da erwachsen? Nimmermehr kann von einer Weltbeherrschung die Rede sein, wo der Geist dazu fehlt.«

»Nein,« sagte mein Gefährte lächelnd, »man thut auch darin den Russen zu viel. Sie haben Verstand genug erhalten, und wenn Sie ihre Gesänge verstehen könnten, Sie würden finden, daß viele darunter eine zärtliche Liebe für das Vaterland ausdrücken. Das eben hat der Russe und Pole mit dem Franzosen gemein. Er schwärmt für sein Vaterland, er begeistert sich dafür, er ist stolz, ein Russe zu sein; er weiß, daß er zu einem alten, großen und mächtigen, zu einem heiligen, gottgeliebten Volk gehört; er kann weinen und lachen in seiner unermeßlichen Liebe. Wir,« sagte er fast traurig, »wir schwärmen und faseln vom Frühling und seinen Blumen, von der Liebe zu Lottchen und. Hannchen, von Wald und Meer und Himmel, aber wenige unserer hunderttausend Lieder erheben das Vaterland, und wer singt sie? Was weiß unser Bauer vom Vaterlande?! Man würde es lächerlich finden, wenn er, wie dieser Russe hier, oder wie jeder französische Knecht, von seinem schönen, großen deutschen Vaterlande sänge: Wo ist des Deutschen Vaterland? ja, wo ist es!? Ein preußisches, sächsisches, baiersches, ein neununddreißigfaches Vaterland ist da, aber ach! kein deutsches!«

Wir schwiegen Beide. Die Wellen schlugen eintönig, die Möven flogen dicht um uns und die Russen schrieen schauderhaften Hexengesang.

»Es ist besser geworden, als es war,« sagte ich, »ein neuer Tag wird kommen.«

»Die Völker sind immer gut gewesen,« erwiderte er. »Das Verderben liegt in der grenzenlosen Dummheit der Einen, in Ehrgeiz und Ueberschätzung der Andern. Aber die Welt geht ihren richtigen Gang, es muß so sein; ein Thor, der sich darüber härmt: nichts ist daran zu ändern. Diese armen singenden Teufel sind zusammengeschleppt vom schwarzen und vom Eismeer, wie gern wären sie zu Haus in der Torfhütte und wälzten sich selig mit den Schweinen um die Wette. Der große Czar läßt sie fangen und treibt sie tausend Meilen weit fort übers Meer. Sie weinen, küssen seine Füße in Demuth, dann vergessen sie und tragen lustig Regen und Sonnenschein.«

»Das Menschenleben und Streben ist aber immer ein Zwang der Gewalt, mag diese heißen wie sie will: Kaiser, König, Gesetz, Noth! armselig bleibt es, so lange nicht eine höhere Gerechtigkeit die furchtbare Ungleichheit aufhebt, welche im freiesten Lande Götter und verhungernde Elende aus Einem Stamme wachsen läßt. Und wann wird diese kommen, wann wird es besser werden?!«

»In höchstens zehn Minuten,« sagte der Capitain, der uns näher trat. »Halten Sie es nur noch so lange aus, werther junger Herr, dann sind wir vor dem Wogenschwall geborgen und laufen in das schmale geschützte Fahrwasser.«

»Geborgen vor den Wogen!« erwiderte jener trübsinnig ihn anstarrend, »geschützt im sicheren Fahrwasser, wer kann das sagen, vor dem Untergange?«

»Untergang!« rief der Capitain lachend, »nun da kennen Sie die Kronprinzeß nicht. Es ist ein merkwürdiges Schiff an Festigkeit und Bauart.«

»Bis auf den einen Fehler, Capitain,« fiel ich ein, »und der hat sich auch diesmal bewährt, denn sehen Sie die große Brigg da, die wir im Papenwasser zurückließen, hat mit ihren paar Fetzen Leinwand uns richtig eingeholt und überholt.«

Ich deutete auf ein Schiff, das soeben, ohne viel Segel zu führen, an uns vorüberging. Der Capitain war in der That einen Augenblick verlegen, wie er diese Niederlage, die zu augenscheinlich war, bemänteln sollte.

»Lassen Sie ihn!« rief er dann plötzlich mit einer verächtlichen Bewegung gegen die Brigg, »wir sind doch eher in Swinemünde, als der da; denn von hier aus macht die Swine solche Krümmungen, daß er es wol bleiben lassen soll, mit uns zu fahren.«

Im Gefühle dieses Triumphes sprang er auf das Radgehäuse, und richtig ließ die Brigg, am Eingang der mäandrischen Windungen, ihren Anker fallen und wartete vermuthlich, daß das kleine flinke Dampfboot, der Regenbogen, welches die Schiffe hinauf- und hinabschleppt, bald auch für sie erlösend erscheinen möge.

Wir setzten nun unsern Weg fort und die Schrecken der Seereise waren vorüber. Die schmalen Arme, durch welche sich das Haff mit dem Meere verbindet, geben keinem Wellenschlage Raum. Die Krankheit wich daher von den Leidenden eben so schnell, wie sie diese überfallen hatte; ein wenig bleich und verstört kamen sie nach und nach alle zum Vorschein, und von kundigen Leuten wurde nun, der bunten, wieder auflebenden Gesellschaft jede Mühle, jedes Haus, Berg, Dorf, Flecken, ferne Städte, kurz, jeder Gegenstand genannt, der die immer vermehrte Annäherung an Swinemünde bezeichnete, das endlich in der Ferne sichtbar ward, wieder verschwand, sich von Neuem zeigte und zuletzt mit seiner Reihe freundlicher Häuser an der Wasserseite im Sonnenschein vor uns lag.

Auf dem breiteren Becken ankerten viele Kauffahrer zur Seereise fertig, am Bollwerk hinab lagen andere, um Ladung aufzunehmen oder zu lichten, und an der besten Stelle erblickten wir ein großes Dampfschiff, das mit Menschen dicht bedeckt war.

»Das ist der Herkules!« rief eine Stimme. »Gestern haben die russischen Offiziere einen großen glänzenden Ball am Bord gegeben.«

»Sie erwarten nur unsere berühmten Concertsänger, um in See zu stechen,« sagte ein Anderer, indem er spöttisch auf die Russen blickte, die sich im Vorschiff auf die Kisten gestellt hatten und ihren Gefährten die Mützen entgegenschwenkten.

»Wem haben sie den Ball gegeben?« fragte ein Dritter.

»Der Elite der Gesellschaft natürlich,« antwortete der Erste. »Man hatte diesen russischen Freunden dort auf Subscription ein Fest veranstaltet, wofür sie sich revanchirten.«

Jetzt machte das Schiff eine Wendung gegen den Hafendamm, und nun zeigte sich dieser dicht besetzt von dem größten Theil der Badegäste. Damen und Herren drängten sich, Jung und Alt lief eilig herbei, denn das Dampfschiff mit Rekruten für das Bad ist ein Ereigniß. Schon von fern erkannten und grüßten sich Freunde und längst Erwartete. Bewillkommnungssignale empfingen sie, ehe die Stimmen hörbar waren; da wurden Tücher geschwenkt und Hände winkten und schöne Augen suchten nach den Glücklichen.

Nun hielten wir, die Taue wurden ausgeworfen, jetzt fiel die Brücke und ein Gedräng von Außen und Innen hemmte die Bewegung. Jeder schrie nach seinen Effecten, die auf einander gestapelt lagen und durch einander geworfen wurden, dazu brach eine Schar gieriger Träger herein und vom Herkules eine Legion Matrosen, eine Art Pierrots, ganz in graue Leinwand gekleidet, die mit merkwürdiger Gewandtheit die schweren Kisten und Kasten hantierten und ans Land wälzten.

Ich hatte auch meinen Reisesack ergriffen, den dienstfertige Hände mir aber sofort wieder entwanden.

»Gut,« sagte ich, »nehmen Sie ihn in Verwahrung.«

»Sehen Sie sich vor!« schrie mir Jemand zu. Ich blickte zurück, ein ungeheurer Ballen und ein Dutzend Russen, die ihn kanteten, waren dicht an mir. Ich sprang zur Seite und kam mit einem leidlichen Fußtritt davon, der meine Zehen zerquetschte.

»Element!« schrie ich, »halt einen Augenblick!« aber sie verstanden mich nicht. Ich mußte warten, und hinter jenem kam ein zweiter, ein dritter, eine ganze Reihe. Mit einem Sprunge war ich endlich auf der andern Seite und fiel über ein paar Zeltstühle, zum Ergötzen der Russen, die mir ihre weißen Zähne zeigten. Dabei läutete die Schiffsglocke, der Dampf zischte, Menschen mit Koffern und Packen drängten sich, und als ich endlich wirklich am Lande war, sehe ich mich vergebens nach meinem irdischen Besitz um. Endlich erblicke ich den Mann mitten im Gewühl, beladen mit Gepäck.

»Wo sind meine Sachen?« fragte ich.

Er sah mich prüfend an.

»Ach, Sie sind der Herr mit dem bunten Sack und dem Regenschirm? Die hat meine Frau schon nach dem Gasthofe da unten gebracht.«

»Wer hieß Ihnen das? Ich will nach Rügen.«

»Nach Rügen!« sagte der Mann, »bleiben Sie lieber gleich hier, lieber Herr; das Dampfboot kommt heute doch nicht hin. Der Wind ist zu stark.«

»Es wird gar nicht abgehen,« sagte ein Anderer.

»Und Sie bekommen Ihr Geld nicht wieder, wenn Sie mitten in der Nacht umkehren müssen,« schrie ein Dritter.

»Es kann gar nicht fort, das ist ein Dampfboot für gut Wetter!« schrieen sie Alle und lachten.

»Ich rathe Ihnen auch zu bleiben,« sagte ein bedächtiger, alter Herr. »Vor acht Tagen hatten wir dieselbe Geschichte. Das Dampfboot kehrte um, Alle am Bord waren mehr todt als lebendig, und das Geld konnte nur mit Hülfe der Behörden zurück erlangt werden. Das Wetter ist auch nicht danach, um in Rügen Vergnügen zu erwarten.«

Nun zählte er mir viele Beweggründe auf, die meine Entschlüsse schwankender machten und immer damit endeten, daß es doch heute vergebene Mühe sei. Bleiben oder gehen! ich zählte es still an den Knöpfen ab und fand, daß Bleiben das Beste sei. In Swinemünde wollte ich ja überdies verweilen, ob früher oder später, aber zuletzt schien mir das Erste vortheilhafter, denn die Fahrt nach Rügen wurde eine Landpartie, statt einer Reise, die Beschwerden, welche man mir vorrechnete, waren ungleich leichter zu nehmen, als jetzt nach zwei schlaflosen Nächten.

Endlich entschied ein dritter überredender Freund, der König des Lebens, der grimmigste Gegner aller energischen Entschlüsse und ihr eifrigster Beförderer, wie es gerade kommt, der Hunger. Ich dachte daran, daß ich heute auch nicht sehr weit vom Erkranken gewesen, dann fiel mir das fürchterliche Beefsteak auf dem Dampfschiff ein, als einzige Erholung, und noch stand ich gesund auf dem festen Boden und vor mir lag das freundliche Gasthaus im Sonnenschein und winkte mit seinen einladenden Düften. In fünf Minuten war ich dort, und eine Viertelstunde später saß ich an der gutbesetzten Tafel in eifriger Unterhaltung mit einer trefflichen Steinbutte, eine Flasche Bordeaux vor mir und mannichfache Gespräche um mich her.

Die Glocke des Dampfboots läutete endlich hell herüber. Laß sie läuten, murmelte ich, und, ein zweiter Cortez, stieß ich mit Begeisterung Messer und Gabel in den Rest des Fisches, hob mein Glas in die Höhe und sagte mit heroischer Entschlossenheit:

»Ich bleibe hier!«

»Sie fahren wirklich!« rief einer der Essenden. »Sie läuten zum dritten Male.«

»Das Schiff ist ziemlich besetzt,« sagte ein Anderer am Fenster.

»Vor der Mole werden sie wol umkehren,« meinte ein Dritter.

»Das müssen wir sehen!« schrieen die Meisten, ergriffen die Hüte und eilten hinaus. Ich eilte mit, denn in diesem Augenblick fiel mir mein blasser Bekannter mit dem schwarzen Frack ein, der in den Abenteuern der letzten Stunde mir ganz aus Augen und Sinn gekommen war. Aber auf der Reise ist das Bekanntwerden immer nur die Geschichte eines Augenblicks, der ganz und auf immer in sein Nichts zurückfällt. Und unter allen flüchtigen Bekanntschaften ist die flüchtigste, die auf einem Dampfschiffe oder im Bade geschlossene. Die Freundschaft der Menschen, sagt der mißtrauische Addison, ist überhaupt nichts als ein Bündniß zum gemeinsamen Vergnügen oder zum Laster; und hier hat er wenigstens Recht. Noth und die Langeweile des Lebens treiben die Menschen zusammen; aber die im täglichen Umgange sich hier zu Lustbarkeiten vereinen, kennen sich zu Hause nicht mehr und gehen selbst ohne Gruß vorüber.

Es ist gar nicht so nahe, wenn man bis an einen der Molenköpfe gehen will. Man hat eine halbe Stunde beschwerlichen Weg, bald in tiefem Sande, bald über Stein und Gerölle, und endlich auf der Mole selbst, die, aus glatten Quadern aus dem Meergrunde aufgebaut, wol eine Viertelstunde weit hinausläuft. Aber der Weg war belebt von Leuten, die eben auch keinen weitern Zweck hatten, als das Dampfboot zu verfolgen.

Das Wasser war mit Schiffen und Booten bedeckt, die auf und ab kreuzten, ein Lootsenfahrzeug fuhr hinaus, einem großen Schiffe entgegen, das gegen Wind und Strömung ankämpfte, vom Lootsenthurme wehte die große Flagge, und einer jener unerschütterlichen Kämpfer mit den wilden Meereswellen, der ihnen manchen Raub abgetrotzt hatte, ein baumlanger dürrer alter Mann, ging, stolz in seiner blauen beankerten Jacke und seinem Nordwester auf dem grauen Haar, mit mir nach der Spitze.

»Der Wind ist scharf,« sagte ich.

»Hab' ihn oft schärfer gesehen,« erwiderte er mit einem Lächeln in seinen harten Zügen.

»Sie sind lange hier?« fragte ich.

»Länger als diese Steine,« sagte er, und zeigte auf die Mole. »Damals war es schwerer als jetzt, mein junger Herr, ein Schiff hereinzubringen, wenn der Wind aus West oder Süd kam, und Mancher ist nicht wieder gekommen, der es versuchte.«

»Und Ihr müßt hinaus bei jedem Sturm?« rief ich.

»Wenn man uns ruft, kommen wir, das ist unser Ruhm, nicht zu verzagen, wenn Alles verzagt.«

»Und gibt es nicht Stunden, wo Euch der Muth verläßt, wo es unmöglich ist, zu helfen?«

»Nein,« sagte der Alte ruhig. »Mögen die Weiber schreien und die Kinder um den Vater, wir haben geschworen, alle Stunden bereit zu sein. Alles Leben steht in Gottes Hand, und die da im wilden Wasser nach Rettung schreien, haben Niemanden als ihn und uns.«

Solch ein Fanatismus des Glaubens gehört dazu, um ein Lootse zu sein; ein heroischer Muth, der Tod und Gefahr nicht kennt, oder die stumpfe Gier nach einem Gewinn, der doch so ärmlich ist. Da ist keiner, der nicht Freund oder Bruder, Vater oder Großvater verloren hätte; aber indem ich daran mit Schauder dachte, wie es möglich sei, mit solchem Bewußtsein denselben Weg zu gehen, fiel mir die Anekdote ein, wie irgend Einer einen Seemann fragte, wo sein Vater gestorben sei, sein Großvater, sein Urvater und als er hörte, daß sie Alle in den Wellen ihr Grab fanden, schrie er ihm zu: Unglücklicher, und Du wagst es, Dich dem gleichen Schicksal preiszugeben?! Der Matrose aber erwiderte ruhig: Wie starb Dein Vater? Nach einem langen glücklichen Leben in den Armen seiner Kinder und Enkel. Und Dein Großvater? Er war fast hundert Jahre alt, bis er sanft entschlief! Wie, schrie der Matrose, und Du Narr hast dennoch den Muth, zu warten, bis der Vernichter Dich alt und elend in Deinem Bett findet und Dich langsam erwürgt?

Das ist das Menschenleben. Eine Spanne länger oder kürzer, ein weiches Bett oder ein nasses salziges, das ist Erdenglück und Leid! Ach, das alte Lied, das Jean Paul immer zu Thränen rührte, das schwermüthige: »Hin ist hin, und todt ist todt!« es ist aller Dinge gleicher Anfang und Ende.

Wie wir hinauskamen und vor uns das Dampfschiff in dem Wellenschaume hinlief, glaubte ich meinen blassen Bekannten zu sehen, der am Mast stand und zu mir hinüberblickte. Ich schwenkte meinen Hut; er beantwortete mein Zeichen und streckte den Arm lang aus, als drohe er mir, daß ich ihn verlassen hätte.

»Ich werde ihn bald wiedersehen,« sagte ich.

Der Lootse merkte, was ich meinte.

»Der Dampfer wird diesmal schwerlich umkehren,« erwiderte er, der Wind ist ihm günstiger geworden in der letzten halben Stunde.«

»Wirklich!« rief ich, »dann thut es mir leid, daß ich zurückgeblieben bin.«

»Es setzt sein großes Segel und den Klüver,« fuhr er fort, »das hilft ihm an der Küste hin, und wenn es ihm nicht aus dem Greifswalder Botten zu stark weht, wird er um neun oder zehn Uhr in Putbus sein, eher nicht.«

Das war wieder ein kleiner Trost, und wie ich das Rollen des Schiffes sah und die Wellen hoch zu uns heraufsprützten, war es mir recht behaglich, nicht da mitzuschaukeln. Zuweilen schlugen die Wasser zu uns herauf, und ich fragte den alten Mann, ob sie bei Stürmen nicht über die Mole gingen?

»Das thun sie,« rief er lebhaft, »und es ist noch kein Monat her, als sie dort über die Ostermole so hoch schlugen, daß vom Leuchtthurm nichts zu sehen war. Der Wächter saß drei Tage ohne Brod in dem steinernen Kerker, den kein lebendiger Mensch erreichen konnte, und um ihn zitterte und wankte Alles, aber Abends brannte seine Leuchte, da wußten wir, daß er lebte und hungerte. Wenn Sie hinüberfahren, lieber Herr, können Sie noch die Felsenstücke sehen, die das Wasser losgerissen und fortgespült hat, als wären's Kinderbälle. Sie bessern's jetzt aus und haben einen ganzen Sommer damit zu thun, was damals in einem Tage verdorben wurde. Damals war es auch,« sagte er leiser, »wo der Prahm umschlug, den der Dampfbagger draußen gelassen hatte. Es war nicht weit vom Lande, wo er lag, und wir konnten das Geschrei wohl hören, aber kalt lief es Jedem über die Haut, wenn wir hinsahen. Da sprang der Commandeur ins große Boot und acht brave Burschen sprangen ihm nach; mein Sohn war auch dabei. Gott sei mit Dir, Georg! rief ich, eine Stimme schrie in meinem Herzen einen fürchterlichen Schrei und es läutete in meinen Ohren, da wußt' ich wohl, was es zu bedeuten hatte. Gott mit uns, Vater! schrie der Georg; grüß' mir Weib und Kinder! und ich nahm meinen Hut ab und betete und konnte kaum sehen, wie sie durch die Brandung arbeiteten. Jetzt sind sie da! schrieen sie Alle. Vivat! Hurrah! Sie legen sich an den Prahm. Da kam eine Welle, wie ein Drache schwarz, groß wie ein Berg, und oben den hohen weißen Kamm. Herr, mein Gott, erbarme Dich ihrer armen Seelen! rief ich und sank auf mein Knie. Als ich aufblickte, war Alles stumm und still. Das Boot war zerschmettert, der Prahm umgestürzt, die Lebendigen fortgespült und begraben. Ich habe den Georg nicht wieder gesehen.«

»Armer Mann!« sagte ich und drückte seine harte Hand.

»Es ist unser Beruf,« erwiderte er mit Stolz, »mein Sohn ist darin gestorben, als ein wackerer Lootse.«

Ich bewunderte in diesem Augenblick den alten Mann, der mir wie ein echter und rechter Held vorkam. Und seine Brust hatte keinen Orden; Niemand auf der Welt wußte etwas von seinen Gefahren, von seinen Thaten, seinem unerschütterlichen Muth zum Sterben. Seine alte blaue Jacke mit dem Flicken auf dem Herzen war Alles, was er erobert hatte in dem stürmischen Leben, nicht einmal – doch erwünschte auch nichts.

Die Armuth ist genügsam, weil sie das wunderbare Gewebe der Welt gar nicht kennt und nur den einen rothen Faden festhält und abspinnt, aus dem sich ihre irdische und ewige Seligkeit bildet. Das höchste Menschenglück dünkt dem Lootsen, zum Oberlootsen ernannt zu werden, und wie ich die Stranddörfer durchwanderte, wo ein grundehrlicher aber blutarmer Menschenschlag wohnt, von denen der bei weitem größte Theil wol nie einen Thaler als unbestrittenes Eigenthum besitzt, fragte ich einst einen der Fischer, der eben von einem guten Fang zurückkam, was er sich wol zu seinem Glücke wünsche? Der Mann sah mich eine Minute lang sehr nachdenkend an, dann fingen seine rauhen Züge an zu lächeln, und wie das Entzücken seine Augen belebte, sagte er mit stockender Stimme, als fürchte er sich vor dem ungeheuren Wunsch:

»Eine ganze Tonne – Salz!«

Nicht eine Tonne Gold, nein Salz, um seine Heringe einzupökeln. Nach solchem Beispiele begreift man erst recht die Anekdote aus dem letzten Kriege, wo zwanzig Mann Pommersche Landwehr in Frankreich in das Haus eines reichen Franzosen, als Exekution, gelegt wurden, mit dem Befehl, sich auftischen zu lassen, was Gott verlangt, und obenein den französischen Pisang Pisang nannte man damals in Deutschland abfällig die französischen Bauern statt » paysan«. rechtschaffen zu quälen. Um andern Tage fragt der Capitain, ob sie ihrem Auftrag Ehre gemacht haben; da lachen sie alle ganz teufelmäßig, machen Fäuste und sagen, der Monschiur wird an uns denken, so lange er lebt.

Was habt Ihr denn mit ihm gemacht? forschte der Hauptmann, der eine fürchterliche Geschichte vermuthete.

Oho! sagt der Sprecher, erst mußte er Bier bringen, ein ganzes Faß voll. –

Nun, und dann? –

Und dann Pfeifen und Taback. –

Und dann? –

Ja dann, jedem einen Fidibus, und die Pfeifen selbst anstecken. –

Und was weiter? –

Und vor jedem mußte er ein Talglicht anbrennen und mußte es putzen. –

Und dann? Ja dann, dann mußte er nochmals Bier bringen und jedem einen Schnaps. –

Aber zum Teufel! rief der Hauptmann, der Kerl war reich, Ihr solltet ihm was kosten; habt Ihr denn gar nichts weiter gefordert? –

Ja freilich, ja, Herr Hauptmann, sagte der Pommer nach einem langen Besinnen, zuletzt mußte er noch ein Bischen Bier bringen. –

Es ist möglich, daß die Geschichte wahr ist, aber sehr gutmüthig sind die Pommern eben nicht, und wieviel Komisches und Dummes man auch von ihnen erzählt, sie sind keinesweges Alle so, wie mein Fischer oder jene Landwehr von 1813. Auch den weichgeschaffenen Seelen, die vielleicht idyllische Gedanken bekommen möchten von der redlichen Einfalt und hohen Moral dieser armen Naturkinder, kann ich versichern, daß, was diese betrifft, es nirgend schlechter damit bestellt ist, als auf den Dörfern, wo die Sünder, je ärmer, je verwilderter sind.

Ein lustiger Bursch aus Greifswald erzählte mir, wie er mit einem Studentenschwarm vor Kurzem auf eines jener kleinen armen Eilande eingefallen sei, die sich längs der Küste hinziehen und deren Bewohner den größten Theil des Jahres von Fischen leben, ohne Brod zu sehen. Es waren aber junge Dirnen da, das Wetter war schön und die Mädchen gefällig. So ging die Lust bis zum Abend, und mein flotter Studio hatte ein Fischermädchen, die hübscheste, die zu haben war, eben in seinen Armen, als ein baumlanger Kerl plötzlich vor ihm stand, einen mächtigen Knittel in der Faust. Er war allein am Strande, das Mädchen lief davon, aber der Kerl blieb stehen.

Wer bist Du? sagte der Greifswalder, so trotzig er konnte.

Ich bin der Bräutigam des Mädchens da, die Sie eben losgelassen haben.

Auf diese Antwort sprang der Überraschte drei Schritt zurück und machte Anstalt, entweder sich wo möglich zu vertheidigen, oder was noch besser war, diesen schrecklichen Fäusten zu entkommen. Während er aber unschlüssig dastand, nahm der große Kerl plötzlich seinen Hut ab und sagte ganz demüthig:

Lieber Herr, es macht gar nichts aus, aber weil's meine Braut ist, könnten Sie mir wol auch ein paar Groschen zukommen lassen.

So ist es überall mit der Moralität bestellt, wo Armuth und Rohheit herrschen, und so und noch ärger ist es von jeher gewesen. Unsere frommen Männer, die über die Zeit und ihre Verderbniß seufzen und die sehnsüchtigen Augen nach rückwärts zum tugendvollen, gläubigen Mittelalter richten, bilden sich und Anderen freilich in hergebrachter Weise allerlei romantische Faselei von den alten Biederzeiten ein, wo noch Keuschheit Sitte war; aber wir sind hinlänglich aufgeklärt, um zu wissen, wie es in jenen rechtlosen rohen Feudalzeiten selbst mit der Frauentugend bestellt war, um uns auch in dieser Beziehung nichts mehr aufbinden zu lassen. Die größte Freiheit führt auch die größte Moral mit sich; Aberglauben, Dummheit und Knechtschaft haben die Menschen noch niemals glücklich und gut gemacht.

 

Während dessen das Dampfboot in der Ferne kleiner wurde, kam das große schöne, dreimastige Schiff, dem der Lootse entgegengefahren war, immer näher, und der alte Seemann hatte es schnell heraus, was es für ein Landsmann war und woher und wohin? Diese Menschen besitzen eine Art Instinkt, der sie dabei zu leiten scheint. Kaum konnte man die Umrisse erkennen, so sagte er mit vieler Zuversicht:

»Es ist ein Normann oder ein Däne;« dann sah er noch ein paar Minuten auf die hohen schlanken Masten, die sich am Horizont abzeichneten, und sagte: »Es ist ein Normann, der sicher aus dem Süden kommt und Citronen oder so etwas bringt. Ich möchte wetten, es ist die schöne Therese von Bergen.«

»Die schöne Therese,« erwiderte ich, »scheint ein sehr angenehmes Aeußere zu haben.«

»Ein leichtfertig Ding aus Tannenholz, wie sie alle sind,« erwiderte der Alte, »aber hübsch aufgetakelt geht sie rasch durchs Wasser.«

»So,« sagte ich lachend, »liebe ich die Theresen.«

»Nein, Herr,« fiel der Lootse ein, »da ist so eine englische Caroline oder Mary doch ein ander Wesen, die hat Rippen und Knochen wie Eisen; man weiß, was man hat, die läßt uns so leicht nicht sitzen, wenn's mit dem Sonnenschein vorbei ist. Da hier,« sagte er, und zeigte nach dem Bade hin, »hier hab' ich's im vorigen Jahre mit angesehen, was so ein rechtschaffenes Geschöpf aushalten kann. Ein Englishman war ausgelaufen mit einer vollen Ladung und mochte wol schon an der niedlichen Insel Eu herauf sein, als plötzlich ein Sturm aus Süd-Ost aufsprang und ihn zurücktrieb. Die Wellen gingen hoch und der Eingang in die Swine ist schmal. Es ist schon mehr als Einem so gegangen, daß er ihn verfehlte und auf den Strand geworfen wurde, und so ging es auch der schönen Mary, die gerade da auf das Herrenbad lossteuerte.«

»Gegen alle Badeordnung,« sagte ich.

»Gegen alle Menschenkunst,« sagte der Lootse, »denn keiner, der nicht rief: Sie ist verloren! und jeden Augenblick dachten wir, jetzt schlägt sie auf, jetzt sitzt sie und die Wellen werden ihr bald die hübschen Kleider ausziehen. Da kamen auch alle Badegäste und es war ein Geschrei und eine Angst, aber Niemand konnte helfen, nur hielten wir uns bereit, die Mannschaft, wo möglich, herauszuholen. Aber der Capitain am Bord war ein ganzer Mann, der that, was hundert Andere nicht gethan hätten. Denn die meisten hätten das Schiff auflaufen und verderben lassen und nur an die eigene Rettung gedacht; er aber zog an Segeln auf, was sein Schiff nur tragen konnte, und dann legte er es an den Wind, und als es schon mitten in der Brandung und dem Lande ganz nahe war, gelang es ihm wieder abzukommen. Die Wogen stürzten darüber hin, es lag oft so auf der Seite, daß wir alle glaubten, jetzt müßte es kentern; aber immer richtete es sich wieder auf, und Freudengeschrei und Bravorufen und Bewunderung begleiteten den kühnen Mann. Die Damen schwenkten Alle ihre Tücher und viele weinten vor Freuden, als das Schiff glücklich dort hinter Häringsdorf das Vorgebirge gewann und nun in das freie große Wasser hinausging. Sehen Sie, lieber Herr, so eine schöne Therese wäre da beim ersten Aufsitzen in Stücke gegangen, die Mary aber konnte Alles aushalten.«

»Und sie kam ganz glücklich davon?« fragte ich.

»Hier, ja,« erwiderte der alte Mann; »aber England hat sie doch nicht wieder gesehen. Es war ein großer Herr aus Berlin gerade hier, ein Prinz, der auch Alles mit angesehen hatte; der schrieb es an den Gesandten und der wieder an die Admiralität, was der wackere Seemann gethan hatte, und daß man ihn belohnen müßte. Die Belohnung war da, aber der sie haben sollte, kam niemals wieder, der lag in der tiefen See begraben, denn all sein wackeres Thun hatte nichts geholfen. Im Sunde ist das Schiff mit Mann und Maus untergegangen, und sehen Sie, Herr, ich hätt's vorhersagen wollen, es kommt nicht davon; denn wie es am Zollhause lag, den Tag, ehe es auslief, und ich stand und sah es an, da kracht es in allen seinen Masten und Fugen, und aus den Luken sprangen die Ratten und schwammen ans Land.«

»Das ist also ein sicheres Zeichen?« fragte ich, und er sah meinen Unglauben.

»Sie können's freilich nicht wissen, Herr!« rief er, »was in so einem Wesen steckt. Es ist nur von Holz und Eisen, aber es wohnt eine Seele darin, so gut, als wär es von Fleisch und Bein. Es ist ein ganz fertiges Geschöpf mit guten und bösen Eigenschaften und Launen, das man kennen lernen und lieben oder hassen kann. Ich habe es oft seufzen hören, wie wenn ein Sterbender klagt und stöhnt, ohne daß ein Windhauch einen Lappen bewegte; aber ich wußte dann, daß seine Stunde nahe war, und die Ratten wissen es besser, als die Menschen, denn in den Thieren wohnt eine Ahnung, die der Mensch, der zu klug geworden ist, nicht mehr versteht.«

In dem Augenblick kam das segelnde Schiff ganz nahe heran. Ein Boot, das an der Mole hinfuhr, und dessen Mannschaft meinen Naturphilosophen anrief, brachte mich um seine weiteren Bekenntnisse. Er sprang hinein, rief mir nur noch zu, daß er sich nicht getäuscht habe, dabei deutete er auf die Schiffsflagge, auf welcher deutlich: die schöne Therese von Bergen – zu lesen war. Dann ließ er mich allein und ich hatte Zeit, das hübsche Schauspiel zu sehen, wie das kleine flinke Dampfboot, der Regenbogen, jetzt den Strom herunterkam und bald darauf mit der schönen Therese und noch einer englischen Brigg im Schlepptau wieder umkehrte.

Langsam ging ich meinen Weg zurück und hielt erst ein, als ich am Herkules viele Menschen versammelt sah, die auf dem großen Schiffe neugierig umherspazierten, ohne daß die kerzengerade stehende Wache am Steuerrade etwas dagegen gehabt hätte.

Was sind die Russen für höfliche Leute! Wie sie freundlich sind, gefällig und sich schmiegen und biegen, natürlich nur gegen Wesen, die nicht etwa das besondere Glück genießen, unter ihrer väterlichen Obhut zu stehen, denn da ändert sich freilich diese einladende Außenseite, und der nationale Sittenprediger, der Stock oder Kantschu, wirkt mit überredendem Zauber auf diese stillen, gehorsamen, demüthigen Maschinen. Es scheint, daß die Russen, die, wie man sagt, im Allgemeinen gegen jeden Höheren unterwürfig oder klug, gegen jeden Untergebenen willkürlich brutal sind, jeden Fremden für einen Höheren ansehen, und vielleicht ist es auch das Gefühl für bessere Bildung und der Wunsch, die bösen Vorurtheile im Auslande zu Schanden zu machen, welche sie nöthigt, die liebenswürdige Seite herauszukehren.

Welch ein Unterschied zwischen diesen lächelnden geschmeidigen Flottenoffizieren und unsern einsilbigen Helden, die gewöhnlich, wie Falstaffs furchtbare Gegner, siebenfach in Steifleinen stecken und allen militairischen Aristokratismus des ersten Standes im Staate sich häufig sehr unliebenswürdig aufprägen. Aber es ist dennoch ein großer Unterschied zwischen beiden: der Unterschied der Bildung, des empfundenen Rechts, der unverstellten Aufrichtigkeit, und bei rauher Pflichtstrenge oder übel angebrachter Anmaßung, doch das Gesetz, die feste schützende Macht gegen den Einzelwillen.

Aber diese Russen, vor denen wir immer einen gewissen ahnungsvollen Schauer empfinden, sind doch auch sehr spaßhafte Leute. Nicht allein, daß sie immer lustig sind und singen und lachen können, wenn der Buckel noch heiß ist, oder daß sie uns traurig machen mit ihrem nachahmungswürdigen Gehorsam, der nach der biblischen Anweisung die Hand küßt, die ihn blutig schlägt; nein, auch die Staatsgesetze haben zuweilen eine Laune, die fast Humor wird.

Darunter ist besonders auch die Bestimmung zu verstehen, nach welcher die Juden, die das Unglück haben, von der Conscription Seinerzeit die Rekrutierung der gemusterten männlichen Bevölkerung eines Landes zum Wehr- oder Kriegsdienst auf Grund der Wehrpflicht, im Gegensatz zu der Anwerbung und dem Aufruf Freiwilliger; jedoch auch gebraucht für die zivile Dienstpflicht, im Zuge derer Zivilpersonen in Ausnahmesituationen zur bestimmten Tätigkeiten gezwungen werden konnten. getroffen zu werden, zur See dienen müssen. Man denke sich dies seltsame Schicksal eines Volkes, welches aus natürlichem Instinkt das flüssige Element haßt, und nun in den großen Kanonenschiffen eingepfercht, alles Entsetzen dieser Welt, Pulverknall und Wasser, zu tragen hat, ohne ausreißen zu können.

Ich fragte einen russischen Offizier darüber, der mir lachend sagte, man scheine von zwei Grundsätzen ausgegangen zu sein. Erstens eine eklatante Genugthuung für die nie abzubüßende Unthat der Kreuzigung zu nehmen, und dann aus der väterlichen Empfindung für eine ganze Klasse von Staatsangehörigen, die man dem nützlichen Experiment unterwerfe, ihnen die Furcht abzugewöhnen und sie zu der Heldenzeit der Makkabäer zurückzuführen.

»Glückt es Ihnen damit?« fragte ich.

»O, vortrefflich!« sagte er. »Entrinnen kann uns keiner, und dann« – hier machte er eine bedeutsame Bewegung – »haben wir Ermahnungen, denen Niemand so leicht widersteht.«

»Wenn es möglich wäre,« rief ich ihm zu, »daß eine Heldenzeit der Makkabäer über dies unglückliche Volk kommen könnte, wo sollten sie anfangen Rache zu nehmen?«

»Ich glaube bei uns,« sagte er ganz ernsthaft, »denn hier müssen sie Schweinefleisch essen und obenein eingepökeltes.«

»Abscheuliche Tyrannei!«

»Halt,« fuhr er fort, »da fällt mir ein, daß sie doch eher bei Ihnen beginnen werden. War es nicht der Vater des größten Ihrer Könige Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der »Soldatenkönig«, Vater Friedrichs II., des »Großen«., der sich den unvergleichlichen Spaß machte, zu befehlen, daß die Juden die Schweine kaufen mußten, die er auf seinen Jagden erlegte?«

»Allerdings,« sagte ich, »aber er zwang sie nicht auch, sie zu essen, und die Juden kauften zuletzt gern, weil sie billig kauften, und trieben einen hübschen Handel damit.«

»Sie schacherten mit Christi Blut!« rief der Russe lachend, »darum hat Gott gewollt, daß nichts zu gut und nichts zu schlecht für ihre Handelswuth sein soll. Ich glaube gewiß, sie haben zuletzt auch diesen Fürsten gesegnet; aber war es nicht Euer großer König selbst, der sie zwang, sein schlechtes Porzellan für schweres Geld zu kaufen, und der den berühmtesten Philosophen Moses Mendelssohn nicht von dem Kopfgelde und dem Titel Schutzjude befreien wollte?«

»So ist es,« sagte ich.

»Nun wohl,« erwiderte der Offizier mit einem sonderbaren Blick, »wie lange ist es her, daß Ihr mit Eurer Kultur so prahlen dürft? Und gibt es nicht noch in Deutschland Länder und Städte, wo Eure Bildung Euch nicht vor bittern und grausamen Vorurtheilen schützt? Was ist Rußland, das große Rußland, gegen Euch, und doch sind wir zuweilen weiter, als Ihr. Wir werden erwachen und schneller schreiten, als Ihr denkt.«

Seine Augen blitzten dabei feurig auf und gedankenvoll ging ich neben ihm das Verdeck hinunter, als ein Diener hastig aus dem Raum hervorsprang und etwas unsanft seine Schulter streifte. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er den Fuß und versetzte dem Erschrockenen einen so gewaltigen Stoß, daß er bis an die Verschanzung geschleudert wurde, wo er sich aufraffte, und, als sei gar nichts vorgefallen, schnell weiter lief.

Eine Wuth überlief mich, die ich kaum bemeistern konnte. Er schien meine Gedanken zu errathen und sagte mit einem wegwerfenden Lächeln:

»Sie wissen nicht, wie man diese da behandeln muß, um von ihnen geachtet zu werden! Wie lange ist es, daß man bei Euch den Stock abschaffte und die Spießruthen und Hiebe, wobei die Soldaten sich nachher für die gnädige Strafe bedanken mußten, und wie habe ich kürzlich noch in Östreich und in andern deutschen Staaten die Prügelbänke und die Profoße gesehen. Wir prügeln auch, und was ist Rußland gegen Eure Kultur!«

Mit diesem Spott, dem man die giftige Freude anhörte, denn aufrichtiger Haß ist ja unser Loos nach Westen, wie nach Norden, brach er unser Gespräch ab und zeigte mir die verschiedenen Anordnungen des Festes, welches hier kürzlich gegeben war, und die sinnreiche Art, wie man blitzende wunderschöne Kronleuchter aus Lehm und Bajonetten verfertigt hatte. Dann sagte er viel von der Freundlichkeit der deutschen Damen, die alles Fremde so schmachtend verehren und lieben, lobte sie als unermüdliche Tänzerinnen, und rühmte zugleich den Patriotismus der edlen Herren vom Adel, welche ihnen Feste gaben und dadurch zeigten, wie sehr das russische Bündniß die Beistimmung der Edelsten und Besten in Deutschland hat.

Dabei führte er mich umher und ließ mich Alles sehen, was hier sehenswerth war. Das große Schiff mit seinen prächtigen Cajüten und doppelten Räumen bot alle Bequemlichkeiten, selbst für seine zahlreiche Besatzung, die mannigfach beschäftigt, einen hübschen Anblick geboten hätte, wenn die grauen Kittel ihnen nicht fast den Anstrich einer Gesellschaft von Züchtlingen gegeben hätte. Ich steckte die Nase auch in die großen Schlaf- und Eßsäle, zog sie aber schnell wieder zurück, und fand in der Verschiedenheit der Gerüche vielleicht den einzigen Unterschied zwischen diesem russischen und einem englischen Kriegsdampfschiffe, das ich vor einiger Zeit besucht hatte, wenn denn überhaupt die Wahrheit des alten Sprichwortes nicht zu bestreiten ist, daß man einen Russen weit eher riechen, als sehen kann.

Die schönen Salons und die Gemächer für die kaiserliche Familie, wenn diese am Bord des Herkules ihre Reisen macht, waren neu dekorirt, und obwol sie nicht den blendenden Luxus hatten, der auf der Ischora Die Ischora (1826) war das erste bewaffnete russische Dampfschiff. herrscht, so waren sie doch sehr prächtig. Mein höflicher Führer erklärte mir Alles, und da unsere Unterredung theils französisch, theils seinerseits in gebrochenem Deutsch geführt wurde, so war es komisch genug, als er mir auch »der Apartement für das kleine Mamsel Kaiser« zeigte und allerlei hinzufügte, was »das Kaiser und der Madame Kaiser« während der verschiedenen Überfahrten gethan, gesprochen und sich gnädig erwiesen hatten.

Endlich ging ich, und mit einer kleinen Spazierfahrt auf einem Boote, über die Molen hinaus in das bewegte blaue Wasser, war mein erster Tag beschlossen. – Das Dampfboot kehrte nicht zurück, glücklich aber spät war es nach Putbus gekommen, und nun begann das gewöhnliche eintönige Badeleben, das hier in manchem Betracht noch miserabler ist, als anderswo.

Aus Sand und Fichtenwäldern läßt sich überhaupt kein Paradies schaffen, Swinemünde aber liegt so recht in dem dürren dürftigen Landstreif, den das Haff und das Meer umschließen. Der kleine Ort selbst hat von der Wasserseite sein bestes Kleid an; ungepflasterte Straßen, voll enger kleiner Häuser, bilden die Kehrseite; den besten, ja vielleicht den einzigen Reiz gibt der Strom mit seinen Schiffen, seiner Lebendigkeit und die tiefblaue Fläche des Meeres, wenn sie über die Dünenkamme plötzlich schimmernd vor uns liegt.

Lange Stunden kann ich sitzen und immer wieder in diese Unendlichkeit hinaussehen, immer wieder in die zerstäubenden Wellen schauen, auf die weißen fernen Segel, oder in die leise zerfließenden Ringe, wie sie langsam über den flachen Sand rollen. Ein schöner Punkt ist Häringsdorf mit seinen Buchen und seinem Bade, mitten in der grünen Waldeinsamkeit. Ein schauderhafter Weg durch den Sand führt hinüber, der nur erträglich wird, wenn man das Keuchen der armen Pferde, die uns ziehen, und die traurige Umgebung bei fröhlicher Unterhaltung vergißt. Eine Schaar junger Damen war von der Partie, die wir gemeinsam machten, und die hübschen Häuser, der Baumschatten und der schöne Blick von der Höhe herab auf das Meer riefen die Überzeugung hervor, wieviel schöner es hier, als in dem langweiligen Swinemünde sei.

»Und warum ist es nicht mehr besucht?« fragte ich eine, trotz ihrer Jugend, erfahrne Nachbarin, welche mehre Sommer schon hier gewohnt hatte.

»Weil es zu langweilig ist,« sagte sie.

»Aber Swinemünde!« rief ich.

»Ist auch langweilig zum Sterben, und doch ein köstlicher unterhaltender Ort. Wir haben doch wenigstens ein großes Gesellschaftshaus, Tanz, Ball, Abwechselung, Spazierfahrten nach verschiedenen sandigen Himmelsgegenden, und wenn der Ton unserer Exklusiven uns nicht gefällt, so thut das nichts zur Sache, sie gefallen uns auch nicht und wir finden Ersatz. In Swinemünde ist die Demokratie wenigstens mitherrschend und der Ort selbst mit seinen armen Fischern, Schiffern, Matrosen und Berlinern unterstützt diesen gemeinen Anstrich und macht die guten Bestrebungen immer wieder zu Schanden; Häringsdorf ist der Zufluchtsort einer nobleren Rasse, die sich absondert und immer wieder absondert, bis jeder allein kerzengerade auf seinem Thron sitzt und gähnend sagt: Es ist doch ungeheuer hübsch hier. Sehen Sie, das ist der Grund, warum Häringsdorf nicht aufkommen kann, trotz seiner hübschen Häuser, seiner größeren Theuerung und seiner schönen Lage und Aussicht. Wer irgend einen Abscheu vor Langerweile im Busen trägt und einmal hier gewesen ist, schlägt sein Kreuz und spricht: Ich komme nicht wieder.«

»Aber wer krank ist und Heilung sucht?«

Sie sah mich schelmisch an und sagte dann:

»Sind wir nicht alle krank?! Wer fühlte das nicht, den die Ärzte ins Bad schicken, um mit Hülfe der Zerstreuungen und des Vergnügens gesund zu werden! Diese thun es, das Wasser ist eine Nebensache.«

Ich dankte für die gütige Belehrung, der ich völlig beistimmen mußte, und glaube nun auch meinerseits, daß in Häringsdorf Niemand gesund werden kann. Am Abend war im Gesellschafthause in Swinemüde Ball, und die großen schönen Säle dieses geschmackvollen Gebäudes widerhallten von einer Musik, an welche freilich kein kritischer und künstlerischer Maßstab zu legen war, die aber in allen nach dem Rhythmus zuckenden Herzen und Beinen doch das ganze wonnige Gefühl der Tanzlust hervorzaubern mußte, denn sie schwenkten sich tapfer und unverdrossen, während nicht weit davon für andere schöne Genüsse gesorgt war, selbst für die, welche aus den verhängnißvollen zwei und funfzig Zauberblättern entspringen.

Bald erblickte ich meine schöne Demokratin, die im weißen Kleide mit Leidenschaft und fliegenden Locken auf und ab galopirte und mir einen beredten Blick zuwarf, in welchem deutlich zu lesen war: Ich habe jedenfalls Recht! Nach dem Tanz kam sie selbst und sagte mir leise:

»Ich habe Ihnen ein Geheimniß mitzutheilen.«

»Ohne Zweifel von unermeßlicher Wichtigkeit,« erwiderte ich in demselben Tone.

»Kann ich auf Sie zählen?« fuhr sie fort.

»Bis in den Tod!« sagte ich, und hob die Finger zum Schwur.

»So hören Sie.«

»Ich höre.«

»Es handelt sich um eine Verschwörung.«

»Entsetzlich!«

»Verlieren Sie den Muth?«

»So ziemlich.«

»So können Sie zurücktreten. Noch ist es Zeit.«

»Für mich nicht mehr!« rief ich, und blickte sie an. »Ich bin verloren.«

»Um so besser,« sagte sie. »Sie werden begeistert sein.«

»Ich fühle eine Armee in meiner Faust.«

»Die ist nicht nöthig.«

»Wer ist der Unglückliche, der sterben muß?!«

»Die Langeweile.«

»Gut!«

»Der Kastengeist.«

»Sehr gut!«

»Die aristokratische Clique.«

»Vortrefflich!«

»Wir wollen ihnen zeigen, daß wir sie nicht fürchten. Wir werden sie demüthigen, ihren Hochmuth in den Staub stürzen.«

»Aber Sie werden sie nicht überzeugen.«

»Thut nichts, wir werden siegen.«

»Und nichts ändern.«

»Mein weiser Herr,« sagte sie, »wissen Sie nicht, daß es bei allen Verschwörungen eigentlich darauf ankommt, die Verhältnisse umzustürzen und sich an die Stelle der übermüthigen herrschenden Kaste zu setzen? Wir fechten für Gleichheit und Freiheit, wir wollen eine Baderepublik und haben den Monarchisten Rache geschworen. Wer sich uns fügt, gut, der theile unsere Volksrechte, wer dies nicht will, der packe sich, oder gehe unter.«

»Nun kommt das tragische Verhängniß,« sagte ich.

»Sehen Sie dort hinauf in das obere Ende des Salons,« fuhr die Verschwörerin fort. »Der Platz ist ganz von der sogenannten feinen Welt besetzt, die sich dort zusammendrücken und wie in einem Castell verschanzen. Uns übrigen, verstehen Sie wohl, die übrigen, das heißt, was als Rest, nach Abzug der eigentlichen Menschheit, bleibt, vergönnt man großmüthig den unteren schlechtesten Raum.«

»Wer sind diese noblen Elemente?« sagte ich.

»Ja, wer sind sie;« erwiderte sie. »Sprößlinge des edlen Blutes aus dem tapfern Volke der Brennen Die Brennen waren die slawischen Bewohner der späteren Mark Brandenburg; in dichterischer Sprache bedeutet die Bezeichnung auch so viel wie ›Preußen‹., historische Blätter kahlgerupfter Stammbäume, geistreiche Landfräulein aus Pommern, junge hochblonde Fashionables mit etwas dummen Gesichtern, aber merkwürdigem Witz, einige Landjunker mit Titelchen, Bändchen und Sternchen, die sie nicht abnehmen, auch wenn sie zu Haus die Kornsäcke und Schafe mustern, endlich eine kleine Anzahl gleichfalls betitelter und bebänderter Herren aus dem Staatshaushalt der Monarchie, die nach und nach würdig befunden werden, in die goldenen Thore des Paradieses der Ebenbürtigkeit einzugehen, zum Schluß ein paar Kinder des Stammes Abraham, die Moses und die Propheten, Rittergüter und Unverschämtheit genug besitzen, sich gewaltsam in diesen Kreis zu drängen, der sie offen und heimlich verspottet.«

»Und Sie,« sagte ich, lachend über diese boshafte Beschreibung, »Was wollen Sie gegen dieses furchtbare Bündniß thun?«

»Merken Sie auf,« versetzte sie. »Wir wollen uns gewaltsam ihres Castells bemächtigen und sie schmachvoll vertreiben.«

»Bei Gott! kühn ausgesonnen,« rief ich;»aber wie?«

»Sehen Sie, dort ist es schon gelungen,« sagte sie, voll Entzücken in die kleinen Hände schlagend; »bemerken Sie das Staunen, den Zorn, die Wuth. Es ist köstlich, überaus köstlich!«

Es war in der That ein lächerlicher Anblick. Am oberen Ende des Saales hatten sich die Honoratioren der Badegesellschaft vereint und saßen in langen Reihen mit dem behaglichen Gefühl, daß Niemand, der nicht hierher gehöre, es wagen könne, sich zwischen sie zu drängen. Aber so ist es mit aller allzugroßen Sicherheit. Mitten in die unbestrittenste Herrschaft drängt sich plötzlich das Gespenst der neuen Ideen. Kaum waren ein paar Stühle leer und ihre sonst so glücklichen Besitzer wandelten sorglos im Saale oder in den Nebenzimmern, als plötzlich Andere, oder wie mir später ein sehr erzürnter Herr sagte: Ungehörige! sich der Sitze bemächtigten.

Man sah mit Erstaunen, mit Entrüstung und Abscheu auf diese Eindringlinge; aber nichts hilft besser durchs Leben als eine freche Stirn. Zum grenzenlosen Ärger der so gerecht Betheiligten blieben diese schamlosen Wesen völlig unbefangen und ließen die noblen, mit wohlerworbenen Rechten ausgerüsteten Eigenthümer sehen und gehen, wo und wie sie wollten. Natürlich kam es zu einigen kleinen Scenen, aber: »Sei im Besitze und Du bist im Recht!« sagte unser großer Dichter »Sei im Besitze und du wohnst im Recht, / Und heilig wird's die Menge dir bewahren.« (Friedrich Schiller: Wallensteins Tod 1799. 1. Akt, 4. Auftritt), und wer vermöchte diese ewige Wahrheit zu läugnen.

Es kam nun so weit, daß der helle Haufe der Verschwornen sich immer dichter in den oberen Theil des Saales, drängte, den Platz zum Tanz und die Aussicht den Sitzenden versperrte; aber dieser philisterhafte Rangstreit hatte für mich doch bald allen Reiz verloren. Es lag etwas Entwürdigendes auch in diesem Neid, und die Rohheit, welche sich beimischte, gab dem Hochmuthe gegenüber an Albernheit nichts nach.

Ich machte mich davon und blickte nur einen Augenblick in das kleine Zimmer, wo der Zufall und die Könige ihre heiligen Rechte behaupteten. Das Gold klang und die Stücke rollten. Ein Mann mit martialischem Gesicht hielt beide Hände voll Kassenscheine und stopfte sie, tausendfach zerknittert, in die Brusttasche seines Kleides. Da trat ein alter Herr mit grauem Haar zu ihm heran und sprach, leise, er wollte eine Anleihe machen, weiter spielen und – weiter verlieren.

»Baron,« sagte der alte Herr, »auf mein Wort, morgen zahle ich zurück.«

»O, gewiß! ich zweifle durchaus nicht.«

»Ich habe in diesen Tagen verloren,« fiel der Andre lächelnd ein.

»Sie können das,« rief der jüngere, »ein Mann wie Sie, von Ihren Revenuen. Wie haben Sie Ihre Güter verbessert! Die Separation Hier die Flurbereinigung im 18. und 19. Jh. in Deutschland. war nicht unvortheilhaft für Sie. Alles gekauft zu billigen Preisen, keine Bauern mehr, nur Tagelöhner, die ganz abhängig sind und arm wie die Mäuse. So möchte ich es auch machen.«!

»Gut,« sagte der alte Herr geschmeichelt, »wir wollen morgen davon reden. Aber ich habe wirklich Unglück gehabt.«

»Wie viel haben Sie verloren?«

»Kleinigkeit! Tausend Thaler vielleicht, aber es genirt mich jetzt.«

»Wie viel befehlen Sie?«

»Zwei- oder Dreihundert, es ist genug für diese Bêtise,« sagte der alte Herr. »Würde man mehr in solchem kleinen Spiel wagen, man könnte wirklich übler Laune werden und sich die Badeluft verderben.«

Ich ließ sie stehen und zählen, und ging über den grünen Vorplatz am Wasser hinunter, wo Nacht und Mondschein ihre wechselnden Schatten und Lichter über Land und Schiffe streuten. Die Tanzmusik schallte mir nach, die übermüthigen Worte des alten Herrn hallten in meinen Ohren. Endlich blieb ich an einem der starken Pfähle stehen, um welche die Taue der Schiffe beim Landen geschlungen werden.

Wenige Stunden vorher war ich hier Zeuge einer schrecklichen Scene gewesen. Ein Mann, der einem Schiffe beim Absegeln behülflich war, verwickelte sich in das Tau desselben, das losgelassen sich um seinen Fuß schlang, diesen an den Pfahl preßte und mit unwiderstehlicher Gewalt brach und zermalmte. Der Unglückliche war Vater einer großen Familie und so eben als Lootse angenommen worden. Wie sie ihn aufhoben, stieß er einen Schrei der Verzweiflung aus. Er erinnerte sich, daß er alle seine Hoffnungen mit einem Male verloren hatte, und wie er seine harten Hände faltete und Thränen über sein blasses Gesicht liefen, sagte er zitternd: »Gott erbarme sich meines armen Weibes und meiner Kinder!« Dann machte ihn der Schmerz ohnmächtig.

Nun war Alles ruhig und schön; der Mond allein sah auf die dunklen Flecke am Boden, der das Blut eingesogen hatte. Morgen waren sie ganz verwischt, und wer erinnert sich noch des armen Mannes und seiner Leiden?! Die große Menschenfamilie kümmert sich ja nicht lange um das Größte und Schwerste. Wieviel des edelsten Blutes hat die Erde getrunken und wie leicht ist es vergessen worden!

Plötzlich hörte ich eine bittende Stimme. Wie ich aufsah, stand ein kleines Mädchen neben mir und hielt mir ein Körbchen hin, in welchem ein paar kleine geräucherte Aale lagen.

»Ich habe keinen Hunger,« sagte ich.

»Uns hungert so sehr,« erwiderte sie leise.

Die Klage über Hunger rührt die Menschen noch am meisten, sie weckt die thierische Verwandtschaft und erweicht selbst harte Herzen zuweilen.

»Gut,« sagte ich, »iß die Fische auf. Ich bezahle sie.«

Sie sah mich erschrocken an.

»Ich darf nicht,« sagte sie, »aber kaufen Sie mit die Aale ab, lieber Herr.«

Ich gab ihr das Geld; aber erst nach einer dringenden Aufforderung ließ sie sich bewegen, von dem einen Thiere, ein Stück abzubeißen.

»Und das ist alles, was Du zu verkaufen hast?« sagte ich.

»Vater hat nicht mehr gefangen,« erwiderte sie. »Er hat kein Glück, sie beißen nicht bei ihm.«

Überall walten die guten und bösen Sterne.

»Das kommt daher,« sagte ich, »weil er gut ist. Nur die Bösen haben Glück.«

»Das Kind schwieg still und wollte davon.

Hast Du Geschwister?«, fragte ich.

»Drei, lieber Herr, und eine Mutter.«

»Und Ihr habt wirklich Alle Hunger?«

»Mutter will Brod kaufen, wenn ich wieder komme.«

»Dann geh schnell.«

Sie lief davon; ich folgte und sah sie in ein niederes Haus schlüpfen. Als ich vorüberging, hörte ich eine rauhe Stimme und durch die erblindeten Fenster konnte ich einen Mann an dem Holztisch sitzen sehen, vor dem meine kleine Verkäuferin stand, die das Geld hingezählt hatte, und ihr Abenteuer erzählte. Der Fischer mit den aufgestreiften Armen und dem wüsten rohen Gesicht hielt das Kind an der Schulter und deutete auf den angebissenen Aal.

»Du lügst,« schrie er und stieß einen gemeinen Fluch aus, »Du hast ihn mutwillig angefressen; ich will Dich schlagen, so lange ich einen Arm rühren kann.«

Indem er dies sagte, hob er die Hand zum Schlage auf und stieß das Branntweinglas um, das vor ihm stand. Natürlich wurde sein Zorn dadurch befördert, und da es überhaupt so Sitte ist, daß die Kinder geprügelt werden, wenn die Eltern unvorsichtig sind, so schlug er die arme Kleine mit der Faust ins Gesicht, daß sie rückwärts taumelte, wo sie von der Mutter einen andern Denkzettel auf den Hinterkopf erhielt und in den Winkel gestoßen wurde, worauf beide ihr andeuteten, wenn sie nicht sofort ganz still wäre, würde sie grausame Schläge erhalten. Das ist die glorreiche christliche Erziehung der Menschen, denen der Himmel liebende Eltern aus der großen arbeitenden Volksklasse zutheilte, die noch immer verlassen und verachtet lebt und stirbt.

Während der Fischer den Aal jetzt mit seinem Messer bearbeitete und wie der Löwe theilte, indem er dem einen der beiden übrigen Kinder den angebissenen Kopf und dem anderen den Schwanz gab, schwur er, daß die unnütze Canaille hinter dem Ofen hungern sollte, bis sie stürbe. Gleich darauf aber brach er in ein rohes Gelächter aus, als sein Sohn mit dem Aalschwanz den Branntwein vom Tisch aufwischte und vergnügt zum Munde leitete.

»Das wird ein ganzer Kerl werden!« schrie er, »und hol uns noch einen Schluck, Mutter. Einmal lebt der Mensch nur, und dabei vergehn am besten die Sorgen.«

Die Frau stimmte bei, statt Brod Branntwein zu kaufen, das arme Kind wurde hinter dem Ofen hervorgeholt und eilig ging ich davon. Was hätte ich ändern können?! Ja, die Sorgen vergehen diesen Proletariern durch das Gift, das sie dumm und elend macht; aber hütet euch wohl, daß sie nicht einmal erwachen, ihren Antheil vom Glück der Erde fordern, und die Anwartschaft auf den Himmel, der ihnen allein Ersatz für alle Entbehrungen und Leiden geben soll, euch zerrissen vor die Füße werfen. »Herr! bewahre mich vor Armuth, damit ich nicht schlecht werde!« war schon Hiobs Gebet; aber ach! jene glücklichen Zeiten sind längst vorüber, wo die Zahl der Armen gering und ihre Noth leicht zu stillen war.

 

Als ich am nächsten Morgen nach dem Bade hinausging, sah ich lauter freudige Gesichter.

»Nun heute!« schrieen sich Fremde und Bekannte zu.

»Ja, prächtig!« riefen die andern zurück.

»Es ist eine Lust,« sagte ein dicker Herr, ich war so leicht, wie eine Feder.«

»Ein Wunder also,« fiel ich ein.

»Allerdings eine Art Wunder.«

»Wieso?« sagte ich. »Wir sind aufgeklärt.«

»Aufgeklärt!« erwiderte er sehr ernsthaft. »Ich bin ein Patriot, ich hasse die Aufklärung. Man weiß, was das zu sagen hat; lauter Schufterei.«

»Nach Belieben,« sagte ich, »so bleibt's beim Alten. Aber ein Wunder, ist jedenfalls zu neu, um es zu kennen.«

»Kennen Sie es nicht?«

»Gewiß nicht.«

»Merken Sie es nicht?«

»Nein.«

»Wissen Sie, woher der Wind kommt?«

»Der Bibel nach, die doch unser einziger Leiter sein soll, weiß das Niemand.«

»Ach, Possen!« sagte der dicke Herr, »der Wind ist Ost, Süd-Ost zu Oft. Merken Sie nun?«

»In der That, ich merke nichts.«

Er sah mich ganz erstaunt an und sagte dann mit eindringlicher Stimme, indem er mich beim Arm ergriff und schüttelte, als wollte er mich wecken:

»Wir haben Wellenschlag,«

»So!«

»Starken Wellenschlag!«

»Ist es möglich!«

»Es ist nicht allein möglich,« rief er ganz gerührt, »es ist sogar gewiß. Wenn Sie meinen Körper sehen sollten, ich bin von oben bis unten geschunden.«

»Ums Himmelswillen! Wovon?«

»Wellenschlag!« sagte er lächelnd. »Wellenschlag, Freundchen! Ich wurde an die Treppe geworfen. Schadet gar nichts! Es ist prachtvoll; ich will nur Kampherspiritus kaufen und mich reiben lassen, dann noch einmal hinein.«

So hinkte er fort, ich lachte ihm nach. Als ich aber aufs Bad kam, fand ich alles von demselben Enthusiasmus erfüllt. Ein scharfer Ostwind trieb die Meerwellen weit auf die Düne, und die Bademeister ermahnten Jeden, sich an den Tauen festzuhalten und nicht über das erste Reef hinaus zu gehen.

Der graugestreifte zerrissene Himmel mit seinen schnellen bleichen Sonnenblitzen, das Pfeifen und Stoßen des Windes, die unabsehbaren Reihen weißköpfiger Wogen, die sich immer wieder auf- und abwälzten, im wirbelnden Tanz sich zurückzogen und dann von Neuem mit größerer Gewalt bis an die Pfähle emporsprützten, auf welchen das Badehaus steht; dazu die Menge der Badenden, die an den Tauen hingen, wie angespießte Braten, und bei jeder Welle vom Boden losgetrennt wurden; das Geschrei und Gelächter, wenn Einer sich fortspülen ließ, die Hülfe, welche ihm geleistet ward, Alles ergötzte ungemein und ließ lebhaft bedauern, daß es nicht immer so sei.

Aber darin liegt eben der Nachtheil aller Ostseebäder. Bei den vorherrschenden Westwinden ist starker Wellenschlag, den nur heftiger Ostwind bringen kann, selten, und der ohnedies geringe Salzgehalt dieses Binnenmeeres wird besonders in Swinemünde durch die Oderausströmungen noch mehr verdünnt. In Häringsdorf ist dieser letzte Übelstand weniger bemerklich; am meisten aber würde das neu angelegte Bad Mistrei, vier Meilen von Swinemünde, zu empfehlen sein, wo, weil es vorspringend am Meere liegt, der Wellenschlag viel besser sein soll.

Es fehlte. auch an lustigen Vorfällen und kleinen Abenteuern nicht. Hier gab es einen Hinkenden, der, wie der dicke Herr, gegen Treppen oder Pfähle geschleudert war; dort war eine Welle Einem, der sich umdrehte, als sie im Anmarsch war, in den offenen Mund gefahren, und vom Salzwasser schmerzten die Augen, während er heftig spie; da hatten Zwei carambolirt und waren Beide, umgestürzt worden.

Tragisch aber war das Schicksal eines kleinen eleganten Herrn, der es immer der schadenfrohen Menschheit zu verbergen gewußt hatte, daß der Zahn der Zeit ihn beim Schopf gefaßt und diesen, nach einem wahrscheinlich fürchterlichen Kampfe mit sämmtlichen Haarwuchspommaden der Welt, mit Stumpf und Stiel ausgerissen hatte. Eine unverschämte Welle nahm ihm die Badekappe, und die lockige Perrücke flog von seinem Haupte auf dem Gipfel eines Wogenschwalls davon, der mit ihr sein frevelhaftes Spiel trieb. Ein Mensch, der wie ein gerupfter Vogel aussieht, hat immer etwas Komisches, wenn es aber so plötzlich kommt, wie hier, daß man scalpirt und dem allgemeinen Hohne preisgegeben wird, auch nicht den Muth hat, sein Schicksal zu belachen, sondern in Verzweiflung und Schaam fieberhafte Anstrengungen zur Rettung macht, so wird man natürlich nur um so besser ausgelacht.

Armer junger Mann! er war der Einzige, der den Wellenschlag verwünschte, und er machte sich davon, so schneller konnte. Wenigstens aber ist es ihm sicher nicht so schlimm gegangen, wie einst einem meiner Freunde in Erfurt, der sich mit einem schönen und reichen Mädchen verlobt hatte. Die Hochzeit war an der Thür, und Braut und Bräutigam schwärmten in Glückseligkeit, als ein fürchterlicher Augenblick dies auf ewig geschlossene und tausendmal beschworene Bündniß zerstörte. Es war auf einem Balle, wo der junge Regierungsrath mit seinem Haupte sich in einen Gardinenhalter verwickelte und plötzlich zum allgemeinen Entsetzen glatt, wie Sokrates, vor der Gesellschaft stand.

In diesem Augenblick hörte man nur einen herzzerreißenden Schrei und sah ein schönes blasses Mädchen ohnmächtig in die Arme ihrer Freundinnen sinken. Der unglückliche Regierungsrath wußte sich aber weder zu rathen, noch zu regieren. Er faßte zwar die nichtswürdige Perrücke, stülpte sie jedoch verkehrt auf und merkte es nicht einmal sogleich, bis ein nicht zu stillendes Gelächter den ruhigen Mann in den äußersten Grad von Wuth versetzte.

Einen der ausgezeichnetsten Lacher, einen Offizier, hätte er dafür am andern Tage beinahe todtgeschossen, und hätte er es nur gethan, vielleicht würden die Haare auf den Zähnen ihm in den Augen seiner Braut die des Kopfes ersetzt haben; denn nichts macht uns ja den Augen der Damen interessanter, als ein Duell, und so ein blutgieriger Bösewicht, der, mir nichts dir nichts, an jedem Finger wenigstens Einen gespießt hat, ist für das romantische Herz eines echten deutschen Mädchens, sicherlich ein Gegenstand des Entzückens.

Aber die schöne Braut verzieh es ihm nie, daß er ausgelacht war und eine leere Stelle besaß. Der ewige Bund war und blieb zerrissen, und er erlebte den Ärger, daß sie den tapfern schnurrbärtigen Offizier heirathete, der ihn am meisten verlacht hatte und längst sein Nebenbuhler war.

Dies Alles passirte dem jungen Herrn aus Berlin sicher nicht, denn am nächsten Nachmittag saß er auf dem Golm Der Golm (69 m) ist die höchste Erhebung auf der Insel Usedom. an der Seite einer niedlichen Blondine, der er Manches vertraut haben mußte, sogar, wie ich denke, sein Abenteuer von gestern, denn sie sahen mich an und lachten Beide; da lachte ich mit und fragte dreist, wie es ihm bekommen sei?

Was den Golm anbelangt, so ist dies, der hübscheste unter den wenigen erträglichen Punkten, wohin die Badegäste in Swinemünde ihre Nachmittagsfahrten richten. Es ist eine grüne Höhe mitten im Walde, auf der ein Jagdhäuschen steht, das eine Kaffeewirthschaft zur Badezeit aufgenommen hat. Von dem Altane gibt es weite liebliche Aussichten. Zur Linken Swinemünde, wol eine Meile weit, und dahinter das blaue unermeßliche Meer, zur Rechten die Haffberge und die breiten Wasser, die gar nicht unschön von Wald und glänzenden Sandstreifen eingefaßt sind. Gerade hinunter gibt es ein Gewimmel von Wald und Wiesen, von Dörfern und einzelnen Höfen, zwischen welchen die Swine sich in zahllosen Bogen windet. Was jenseit liegt ist die Insel Wollin, und ganz in der Ferne kann man selbst die Hauptstadt dieses Fischer- und Schifferlandes erkennen.

Es waren viele Gäste auf dem Golm und mit Mühe konnte ich Kaffee und ein Plätzchen erlangen, das ich endlich zwei schwarzgekleideten Damen verdankte. Die Eine war jung, mit muthwilligen Augen und frischen Lippen, die Andere ernst und auf der Höhe des Lebens. Mutter und Tochter, wie ich denke. Es gibt gewisse sympathetische Erkennungszeichen, die beim ersten Begegnen zu uns in einer Sprache reden, die selten täuscht. Freund oder Feind?! ruft uns der erste prüfende Blick zu, und nun beginnt die Komödie der Neigungen und Abneigungen zwischen dem Haufen gleichgültiger Erscheinungen.

Das helle Auge der schwarzen Dame sagte mir: »Warum setzest Du Dich nicht zu uns?« und einen Augenblick darauf saß ich; unsere Bekanntschaft war gemacht. Ich zog mein Glas heraus, mit dessen Hülfe wir gemeinsam die fernen Punkte musterten und kritisirten. Wie sie nach Swinemünde hinunter sah, nickte sie den Häusern zu und sagte:

»Ich sehe Alles deutlich. Die Welt sieht immer schöner aus, wenn man sie nicht mit dem bloßen Auge betrachtet, und sogar unser Nachbar, der da aus seinem Fenster schaut und uns nicht begleiten wollte, hat einen romantischen Anstrich.«

»Also ein böser Nachbar und dergleichen,« sagte ich.

»O, nein!« erwiderte sie schnell, »ein sehr lieber, würdiger, dienstfertiger, ganz wie ihn der Katechismus für gute Christen empfiehlt; aber jeder Zoll ein Kaufmann, der, um einen Brief zu schreiben, mir und allen irdischen und himmlischen Heiligen treulos wird.«

Die Mutter mischte sich hinein, als sie eben fortfahren wollte; denn Mütter können es niemals leiden, wenn so mystische Worte über einen Nachbar und dergleichen gewechselt werden, der ihrer Meinung nach unschädlich ist, oder sein soll.

»Es ist ein alter werther Bekannter,« erklärte sie und prüfte meinen nachsinnenden Blick, »der mit uns von Stettin herunter kam.«

»Und ein ausgezeichnet ordentlicher Herr,« fügte die Tochter hinzu, »der in seinem Leben gewiß noch niemals etwas vergessen oder vertauscht hat. Am wenigstens, seine Stiefeln«

»Ach!« rief ich lachend und verbeugte mich; »die beiden schwarzen Damen aus Numero Funfzig.«

»Gerathen, sagte sie; »die gekommen sind, um die verwegene Numero Zwanzig zur Rechenschaft zu ziehen.«

»Aber Auguste!« fiel die Mutter besänftigend ein, und dann sagte sie: »Wir wohnten Ihnen gegenüber, belustigten uns sehr, hörten Alles und –«

»Und sahen Sie endlich gestiefelt ausziehen,« setzte die Tochter hinzu, »worauf ich ein Kreuz schlug und einen Spruch that, daß Sie für Ihre argen Beschuldigungen büßen, oder wenigstens umkehren sollten.«

»Sie sehen;« erwiderte ich, »daß Sie wirklich zu den Heiligen gehören, deren Fluch selbst zu Segen wird. Ich gelangte nicht nach Rügen, aber nur – um Sie wieder zu finden.«

»Und vielleicht, um morgen unser Reisegefährte zu sein?« sagte sie schalkhaft, und als ich dies betheuerte, fuhr sie fort: »das soll Ihre Strafe sein.«

Ich dankte für die gnädige Strafe, und nun entwarfen wir unseren gemeinsamen Operationsplan unter Gesprächen, deren Abschweifungen zuweilen von der Mutter unterbrochen wurden. Aber trotz der einlenkenden Bemerkungen der ernsten Frau ließ sich die Laune und natürliche Unbefangenheit der jungen Dame nicht irre machen. Wir verspotteten gemeinsam das Bad und die Badegesellschaft, Ton, herrschende Sitte und die Narrheiten des buntscheckigen Haufens, und sie sagte mir leise:

»Wir werden gute Kameraden sein und brav zusammenhalten! Es gibt Menschen, mit denen man sein ganzes Leben über dicht zusammenrücken kann und es will nicht von der Stelle. Man peitscht und stachelt die müden Pferde nach allen Seiten, aber aus dem tiefen Sand, ist nicht herauszukommen; bei Anderen geht Sinn und Herz weit auf, so wie wir sie entdecken. Man fährt auf der Eisenbahn der Gedanken als lustiger Passagier, und die ganze grüne bunte Welt schwirrt um die Köpfe.«

»Und nichts bleibt darin zurück,« sagte ich.

»Sie sah mich an und sagte dann:

»Das ist der richtige Verlauf, so muß es sein; wehe Dem, der nicht vergessen kann!«

Später machten wir einen Spaziergang durch den Wald am Fuße des Berges, und hier vertheilte sie den Inhalt ihrer kleinen Börse an den Haufen armer Kinder, welche die Besucher nicht wenig mit ihren Tellern voll kleiner Muscheln und Schnecken belästigen, die sie feil bieten. Sie warf die Geldstücke einzeln ihnen zu, und lachte ausgelassen, wie die halbnackte, gierige Schaar sich darum mühte und balgte.

»Ich möchte recht reich sein,« rief sie, »um ganze Haufen Geld unter das Volk zu schleudern, daß es ohne Ansehn von Rang, Stand, Geschlecht und Alter herbeistürzte und sich um die Beute zerfleischte.«

»Ihr Wunsch ist, wenigstens halb erfüllt,« erwiderte ich, »wenn Sie die Welt betrachten.«

»Ums Himmelswillen!« rief sie dagegen; »geben Sie unschuldigen Worten und Wünschen keine welthistorische Auslegung. Was ist es für ein Unglück jetzt mit unsern ernsthaften jungen Herren! Lachen Sie nicht, sagt der Eine, es zeugt von geringem Verstand; weinen Sie nicht, ruft der Andere, es ist die jämmerliche Schwäche einer kleinen Seele; gefühlvoll! meint ein Dritter, wer kann gefühlvoll sein, ohne ausgelacht zu werden; das ist ganz aus der Mode. Nun kommen die blassen Heiligen und murmeln uns zu: Alle Freude ist Sünde; bete und weine, und die Weltverbesserer lachen boshaft und flüstern: Lerne erkennen, wie albern Alles seit sechstausend Jahren herging, verachte die alte Sitte und Satzung, mache Dich frei von der bewußtlosen Knechtschaft.«

»Und Sie?« sagte ich.

Sie bückte sich und pflückte eine Waldblume.

»Sind diese Blätter nicht gelb?« fragte sie.

»Ganz und gar.«, .

»Warum sind sie nicht roth und blau? Verwandeln Sie sie schnell.«

»Es ist ihre Bestimmung, gelb zu sein.«

»Nun, so laßt die Blumen blühen nach ihrer ewigen Bestimmung, ihr künstlichen Gärtner;« sagte sie lachend; »ihr werdet, was weiß oder roth ist, niemals gelb und grün machen.«

Die Mutter kam zurück; wir fuhren zusammen nach Swinemünde im lebhaften Gespräch, und waren zur Stelle, ohne daß ich erfahren hatte, wer meine neuen Bekannten waren. Wie sie an dem Wohnhause ausstiegen, kam ein Herr herbei, der die Damen empfing und sich in seinen Reden als den vermißten Kaufmann par excellence ankündigte.

Ich habe die Menschen mit spitzen Nasen und unbeweglichen Gesichtern niemals leiden mögen. Dieser war obenein lang und mager, mit fehlerhaftem Gebiß, graublauen scharfen Augen, die er mit auffallender Freudigkeit dem schönen jungen Mädchen zuwandte. Ich war vollkommen überzeugt, daß eine spekulative Idee sich vor ihm ausmalte, und daß das süße Lächeln seines farblosen Gesichts von einer schnellen Berechnung hervorgezaubert wurde.

Er entschuldigte und beklagte seine Abwesenheit, und als ich mich der Dame mit dem Wunsche empfahl, sie morgen wieder zu sehen, begleitete er mich und erzählte mir freiwillig, was ich zu wissen wünschte. Ich hörte, daß die Dame seit zwei Monaten Witwe, Gutsbesitzerin, reich und das Fräulein ihr einziges Kind sei.

»Sie ist sehr schön!« sagte ich.

»Passirt,« erwiderte er, und sah mich von der Seite an.

»Liebenswürdig in hohem Grabe.«. .

»Meinen Sie?«

»Voller Bildung und Geist.«

»Zu geistreich, fürcht' ich.«

»Und reich! Welche Fülle von vortrefflichen Eigenschaften.«

»Für Viele die beste von allen,« sagte er mit einem scharfen Seitenblick auf mich.

»Eine gute Partie,« murmelte ich.

Das war ihm zu viel.

»Hm,« sagte er, »nicht alles ist Gold; merken Sie, es ist ein altes gutes Sprichwort, und dann es wäre auch nicht für Jeden rathsam, sich etwas in den Kopf zu setzen.«

»O!« erwiderte ich lachend, »der meine ist sicher. Sehen Sie hier, – ich deutete auf den Ring am Finger, »ich bin verlobt.«

Er war sichtlich erheitert, aber er erwiderte nichts, denn er wandte sogleich das Gesicht nach dem Hafen und murmelte etwas vor sich hin, indem er das Dampfboot betrachtete. Er rechnete Zahlen zusammen, nickte mit dem Kopfe, machte einige heftige Zeichen und wendete sich dann wieder freundlicher zu mir um, indem er sagte:

»Ich habe es noch nicht gewagt, in Ehesachen zu spekuliren.«

»Ich hätte Sie für unternehmender gehalten;« erwiderte ich.

»Unternehmend genug,« rief er, »aber so ein Handel um ein Frauenzimmer ist gefährlicher, als eine Mehlspekulation nach Rio.«

»Es kann Einem bei beiden etwas weiß gemacht werden,« sagte ich.

»Man kann Kapital und Zinsen verlieren, werther Herr,« meinte er darauf, und sah mich an, »aber ich habe bisher genug mit anderen Übeln gekämpft. Ein Kaufmann in Stettin muß sicherer bei seinen Geschäften gehen, als sonst wo auf der Erde.«

»Warum das?« fragte ich.

»Es ist völlig klar,« sagte er, »wir haben mit allen Schrecken zu kämpfen, um unser Brod zu essen. Mit der Natur, mit den Menschen und am ärgsten mit den sogenannten Gesetzen. Überall auf der Erde ist zwar der Kaufmann die Kuh, die gemolken wird zu ihres Herrn Freude, denn der Handel wird von Steuern und Zöllen gezwickt und gezwackt, wie ein Verbrecher von glühenden Zangen; bei uns aber setzt man wenigstens doppelte Euter voraus. Schmale Straßen führen in unser Binnenmeer, das sechs Monate im Jahre von Eis und Stürmen ganz versperrt wird, und viele Wochen lang hofft der Kaufmann oft vergebens auf die Ankunft seiner Waaren, bis die günstige Zeit um ist, denn Alles hängt von Wind und Wetter, wir von den Zufälligkeiten derselben ab. Hat nun das Schiff den Hafen erreicht, so kostet es wieder viel Zeit und Geld, um den seichten gekrümmten Strom hinaufzukommen, wir müssen lichten und umpacken lassen, und danken dem Himmel noch dafür, daß wir für theure Zahlung jetzt ein Dampfboot miethen können, welches uns endlich die Waare vors Haus bringt, während in Hamburg, Bremen und andern Orten die Schiffe stolz und sicher bis an die Packhäuser fahren. Statt uns nun die Leiden zu erleichtern, züchtigt man uns zwiefach mit Steuern und Zöllen. Der Sundzoll,« sagte er ingrimmig, »das ist unser Sargnagel, die willkürlichste Plünderung, welche kaum im Mittelalter denkbar war, wird in unserer erleuchteten Zeit noch immer ausgeübt, und die mächtigsten Reiche der Erde lassen sich diese Bedrückungen von armen kleinen Seekönigen geduldig gefallen.«

»Die Politik der Cabinette, die Bedingungen der Gegenseitigkeit, Verträge und legitime Rechte machen es nöthig,« erwiderte ich. »Wovon soll der König von Dänemark seine Einkünfte beziehen?«

»Was geht das mich an?« rief er heftig. »Jeder soll für sich sorgen, ach! uns wie gut wäre für uns gesorgt, ohne diesen Raubzoll. Wie könnten wir mit der ganzen Welt concurriren; das Pfund Kaffee wäre sechs Pfennige billiger als über Hamburg – genau genommen, fünf sieben achtel – der Twist billiger, der Reis billiger und unsere Eisenbahn, die zu gar nichts helfen wird, als ein paar hundert oder tausend unnütze Menschen nach Swinemünde und Rügen zu schaffen, wo sie uns die Steinbutten theuer machen, wie würde sie dann eine Goldader bis in das Herz Deutschlands sein!«

Ich unterbrach seine Klagen, indem ich behauptete, daß auch hier, wie in so vielen andern Dingen nur die Presse und die Oeffentlichkeit helfen könnten; aber er lachte verächtlich dazu.

»Ja, was den Handel betrifft,« rief er, »da muß Freiheit sein und Oeffentlichkeit, was aber sonst diesen Namen trägt, ist Sache der Müßiggänger, der Zeitungsschreiber und so dergleichen, um Unruhe und neumodische Verkehrtheiten in die Welt zu bringen. Was soll das ganze Geschwätz von unnützen Theorien und Gedankenfabrikation, was sich da Philosophie und dergleichen nennt, und mit der Anmaßung des sogenannten Geistes auf die schlechte Materie sieht. Ich sage Ihnen, Herr, das materielle Wohl, das ist auf dieser Erde doch immer die Hauptsache, und wird es bleiben, so lange die Welt steht. Darin liegen alle Keime der Bildung, das wahre Glück, Freiheit und Fortschritt der Menschen. Das Praktische, Herr, das ist in allen Dingen das Rechte.«

Es gibt eine gewisse Klasse von Menschen, die mit nichts auf der Welt einverstanden sind, als mit Dem, was sie selbst gemacht haben, und zu diesen gehörte mein Freund mit der spitzen Nase jedenfalls, denn unverdrossen fuhr er fort, mir zu erläutern, wie Alles durchaus anders ein müßte, wenn es nach seiner Ansicht praktisch und gut heißen sollte. Er klagte wechselweis die Menschen und den Staat an; die Menschen, weil sie allesammt Thoren, Dummköpfe, Phantasten, Kinder ohne Nachdenken, oder eigennützige, ehrgeizige Schelme wären; den Staat, weil er in den Händen eines Heeres von Beamten und Schreibern sich schwerfällig nach unfruchtbaren Theorien bewegte, und hinter den Schreibepulten der Bureaus hervor die lebendige Welt betrachte und regiere.

Wie ich ihm einwarf, was Großes und Gutes geschehen sei, wie der Zollverband den Handel frei gemacht und uns ein großes Vaterland wiedergegeben habe, ja, wie auch namentlich Stettin und die Oder gepflegt und berücksichtigt worden sei, wie man es beim Sundzoll durch Rückzahlung begünstigt, wie der Strom mit großen Kosten vertieft, die Molen gebaut, und die Dampfbagger, welche vor uns soeben zurückkehrten, unausgesetzt zur Vervollkommnung beitrügen, war er mit tausend Einwürfen bei der Hand.

»Ich sage nicht,« rief er, »daß der Staat nichts für uns that, gewiß, wir können ihm dankbar sein, aber was ist unterlassen worden? Daß man den Handel erleichtert, den Strom verbessert hat, ist für den Staat selbst auch ein Quell vermehrten Einkommens, aber man hätte ganz andere Resultate gewinnen können. Wer fragt uns, wenn Handelsverträge, Schifffahrtsverträge geschlossen werden? obwol man dabei vor allen Dingen den Kaufmann fragen sollte. England und Rußland verschließen uns ihre Häfen, Colonien und Grenzen. Jeder fühlt sich berufen, uns zu überlisten oder auszuschließen, wir sind dagegen froh, wenn wir ja einmal einen kleinen Vortheil davontragen, den man uns großmüthig hinwirft. England führt aus allen Häfen der Welt Waaren und Güter bei uns ein, wir preisen es als ein grausames Glück, daß es uns nun gestattet ist, aus deutschen Häfen deutsche Producte nach England zu bringen. Ist das eine Gegenseitigkeit, eine Gerechtigkeit?!«

So fuhr er noch lange fort, mir die Leiden des deutschen Handels auszumalen, und ich war froh, als wir am Wege hingehend endlich das schöne Gesellschaftshaus erblickten, wo eine fröhliche Gesellschaft einströmte.

»Ein prächtiges Gebäude,« sagte ich, ihn unterbrechend.

»Wo man auch, wie überall, die Rechnung ohne den Wirth gemacht hat,« erwiderte er sogleich mit demselben Grimme. »Das Haus steht da und die Langeweile wohnt darin und der Dünkel; aber wie sieht es rund umher aus? Was ist für das Bad gethan, für die Wege und Straßen, für alle übrigen Verschönerungen? Nichts; gar nichts! Ueberall der wüste Flugsand, nicht einmal die Straßen hat man gepflastert. Das alte Haus war gut genug und für das schwere Geld hätte man manches Bessere anlegen und thun können, was man jetzt mit dem trübseligen Achselzucken: Wir haben kein Geld! bleiben läßt!«

»Gott befohlen, mein Herr!« sagte ich und setzte meinen Hut auf. »Der Abend ist schön, ich will über den Strom fahren und drüben vor dem Kaffeehause den Mond aus dem Meere steigen sehen. Ich hoffe, daß Sie nichts gegen ihn einzuwenden haben.«

Er sah mich nicht ohne Verachtung an.

»Sie gehören also auch zu den Personen,« sagte er, »die bei dem blassen Gezitter auf dem großen Wasser, beim röthlichen Scheine der Wolken und den Nebeln und Sternfunkeln sich etwas Besonderes denken können?«

»Zuweilen geschieht es mir wol,« erwiderte ich.

»Was ist denn das Meer weiter als ein großer Teich,« fuhr er lachend fort, »dessen Rand man nicht sieht! Im Grunde ist es nichts, als ein vielfach vergrößertes Waschbecken; rothe Wolken sind Dünste, hinter denen ein Licht scheint, und den Mond ließe ich mir allenfalls gefallen, wenn er ein paar hundert Mal größer und heller wäre, um der schönen Therese deutlich vorzuleuchten, wenn sie vom Regenbogen durchs Haff gezogen wird. So wie er aber ist, ist eine gute Laterne eigentlich bei weitem vorzuziehen.«

Ich verließ den praktischen Mann, nahm ein Boot und ließ mich ins Meer hinausfahren. Das kleine Fahrzeug sank zwischen den Wellen auf und ab; ich streckte mich auf seinem Boden aus und sah die Sterne still und glänzend aus den Nebeln treten. Die Nacht träufelte auf mich nieder und hing sich in den Höhlungen der Wogen fest, die draußen an die dünnen Breter schlugen und Einlaß foderten. Alles Leben war fern. Zuweilen in die Tiefe geschleudert, schienen drohende dunkle Hände sich aus den Wasserbergen zu strecken und über uns zusammenzuschlagen; wieder auf die Gipfel getragen, glänzten Lichter und das tröstende bewegliche Feuer des Leuchtthurms. Dann schimmerten die Reihen weißgezähnter Wellen und schienen Funken zu sprühen.

Der Fährmann am Steuer saß schweigsam und sein alter Gehülfe mit dem greisen Haar stierte müde in das Gebraus. Plötzlich glühte es ganz fern im Osten an einer kleinen Stelle. Ein röthlicher Schimmer flog über das unermeßliche flatternde Kleid der See und huschte durch seine zahllosen Falten. Und immer heller glühte es auf, immer feuriger, bis Wellenschaum und Himmel- und Wolkenrand in Rosen und Morgenröthe lagen. Nun sprangen lichte Strahlen zum Himmel und von ihm wieder in die Fluth; eine Götterhand schien sie zu zähmen, ihre glänzenden Finger legten sich leise beruhigend auf die Tiefe. Und jetzt zerriß der feurige Kreis und verschwand in dem lichten Bogen, der langsam aus den Wellen stieg, als werde er von ihnen geschaukelt und getragen. Mit jedem Steigen des Bootes sah ich ihn größer und heller, mit jedem Sinken erblickte ich den lichtgefüllten Himmel und das silberrauschende Meer.

Welche Pracht, welche Herrlichkeit! Die Sterne schienen sich zu neigen, Wind und Wogen sprachen sanft, Flügelschlag des großen Geistes kühlte meine heiße Stirn und machte mich demüthig. Erst wie der Herr der Nacht ganz aufgestanden war aus dem feuchten Bett und in den blauen Aether fortzog, hörte ich auf die Mahnung des Bootmanns, und unser weißes Segel wandte sich dem Leuchtthurm zu.

 

Am nächsten Tage kam das Dampfboot zur Fahrt nach Rügen zeitiger als ich dachte, und fast hätte ich es zum zweiten Male versäumt. Es war ein Drängen danach, denn der Tag war schön. Wind genug um zu empfinden, daß man vom Meere geschaukelt werde, aber sonnige Luft und blauer Himmel. Wie ich am Bord war und den Späherblick des honigsammelnden Einnehmers mit einem Zweithalerstück abgelenkt hatte, sah ich auch die Damen und ihren Cerberus, den Herrn mit der spitzen Nase, die mich freundlich begrüßten.

Wenige Augenblicke darauf ließen wir Land und Sorgen hinter uns, und nachdem ich, glücklicher als Andere, einen der Zeltstühle erbeutet hatte, gehörte ich zu dem kleinen Kreise, der auf dem Hinterdeck am Kaffeetisch saß und lustig Welt und Menschen an sich vorüberziehen ließ. Was die Welt betraf, so war diese nicht eben allzu reich und bunt ausgestattet. Das Dampfboot entfernt sich freilich niemals so weit vom Lande, um es aus dem Gesicht zu verlieren, aber die kahlen Sandberge der pommerschen Küste können nicht dafür entschädigen, und Mancher wünschte vielleicht, wie ich, daß er lieber den seltenen Anblick einer endlosen Wasserwüste genossen hätte.

Bald aber zeigt man uns die Stakelberge, an deren Fuß Vineta versunken liegen soll, von welchem jetzt eben die Reste eines Schiffes, das hier scheiterte, schwarz und warnend nach uns hinschauen. Weit ins Meer hinein entdeckt man die Umrisse der Eue, des lieblichen fruchtbaren Eilandes, das nichts von Herrenschlössern und Freiheitsstreit weiß, dann strömt das Meer und das Dampfschiff mit uns in den Greifswalder Botten, und ganz in der Ferne wird die Peenemündung durch eine Handelsflotte bezeichnet, die hier Anker geworfen hat und günstige Fahrt erwartet.

Von dem flachen Eilande Ruden, das wenige Fuß aus dem Meere aufsteigt, kommt uns ein Lootse entgegen mitten durch die hohen Wellen, die ein starker Wind in den Busen treibt. Wie kühn und gefährlich ist das Leben und Gewerbe dieser Männer, wie groß ihr Muth und ihre Geschicklichkeit! Das kleine Boot fliegt blitzschnell heran, die Leine ist gefangen, die ihm zugeworfen wird, und in der nächsten Minute steht er schon am Steuer.

Auf dem Ruden ist alles kahl und öde, kein Baum wächst da, kein Kraut gedeiht, kein Gras. Das Meer führt den salzigen Staub darüber hin, und abgeschnitten von aller Welt theilt Niemand den traurigen Aufenthalt der kühnen Seemänner in den armen kleinen Hütten. Merkwürdig ist es, daß diese Sandscholle Brunnen und gutes süßes Wasser darin hat, als wollte die Natur, daß hier ein Wachtposten der Menschheit aufgestellt sei.

Was die Menschen anbetrifft, mit denen unser Boot gefüllt war, so habe ich im Grunde nicht viel davon bemerkt. Ein Stückchen Bureaukratie und ein aristokratisches Eckchen findet sich aber überall. Jene, vielleicht von der wohlfeilsten Sorte der Hof- und Geheimräthe, diese, sicher vom reinsten Vollblut, wenn auch nicht mit leiblichen Gütern allzu schwer ausgestattet, saßen dicht beim Steuerrade, als wollten sie auch hier ihr Vorrecht, möglichst nahe an der lenkenden Maschine zu sein, nicht aufgeben, und ihr hülfreich beispringen, wenn sie etwa abweichen sollte.

Ein Herr von markiger Gestalt mit einem Kreuzchen auf der Brust, möglicher Weise auch einer von Denen, die, wie der berühmte Don Ranudo, sich den Orden beim Zubettgehen aufs Hemde heften möchten, damit der Nachtwächter, im Fall Feuer entstehen sollte, ihn Herr Ritter und Ew. Gnaden anrede, ließ sich bisweilen herab, bis aufs Mitteldeck zu kommen. Dort saß aber eine Gesellschaft Studenten, die allerlei Burschenlieder sangen und Rothwein dazu tranken, daher kehrte er immer wieder um, nachdem er ihnen einen strafenden Blick zugeschleudert hatte, und sagte einer alten Dame etwas ins Ohr, welche dann die Achseln zuckte, verächtlich zornig lächelte und mit merkwürdiger Bravour betheuerte, wenn sie verheirathet wäre und zufällig Töchter hätte, würde sie sofort aussteigen.

Sie fangen aber ganz schön, die jungen Musensöhne, von der Frau Wirthin und ihrem Töchterlein, und manche andere gute, wohlbekannte Lieder, die ich leise mitbrummte. Und wol hatte es etwas romantisch Anregendes, im Abendwind und rothem Sonnenlicht durch das Meer zu fahren, wo Wein- und Liebesgesänge vom grünen Rhein in dem dumpfen Rauschen und Brausen der baltischen Wogen starben.

Ich ging mit meiner schönen Nachbarin lange auf und ab in dem schwankenden Schiff, sie stützte sich auf meinen Arm, und am Bugspriet sahen wir die Sonne in den grauen Kreis hinabsinken, der über der fernen Küste lag. Die hohen, nackten Klippen und Wände auf der Halbinsel Mönchsgut auf Rügen waren von dem rothen Lichte angeglüht, ihre einzelnen, grünbewaldeten Spitzen standen wie lichte Kronen darauf, und unten lag Wellenschaum und schwarzes Meer.

Meine Begleiterin hatte ein offenes Auge für die schnellkommenden, wechselnden und verschwindenden Schönheiten eines Sonnenuntergangs. Nur das poetische Gemüth wird von den Wundern der Natur ergriffen und hingerissen. Der fromme Glaube erkennt die Offenbarung Gottes, die Seele des Künstlers aber zittert in dem heiligen Zauber der Schönheit, die er athmet und einsaugt. Wenn das Schiff mit uns in den Wellenschwall niederschlug und ihn zerstäubte, funkelten und spritzten die zahllosen Tropfen zu uns empor, brennend rothes Sonnenlicht übergoß uns Alle, das Meer und Land; dann lief es plötzlich dunkel über die Wellen bin, ziehende Wolken warfen schwere Schatten darauf.

Ich freute mich, wie stark das schöne Mädchen war, die zum ersten Male im Leben auf dem Meere schaukelte, wie die Krankheit, welche nach und nach einen Theil der Seefahrer und fast sämmtliche Damen ergriff, spurlos an ihr vorüberging; ich freute mich noch mehr, wie leicht und fröhlich und wie innig und gemüthvoll sie Welt und Leben anschaute, wie ihr dunkles Auge, bald spottend, bald ernst und klug und immer natürlich die Regungen ihrer Seele wiedergab, und sich geistiger belebte, je mehr unsere Gespräche die gewöhnlichen Formen der Unterhaltung verließen.

Die Mutter saß bei dem Herrn mit der spitzen Nase, der dann und wann uns scharf beobachtete, wenn wir kamen und gingen, aber doch sitzen blieb, weil er es für gefährlicher halten mochte, uns auf den schwankenden Boden zu folgen, als mich, der ich sichtlich in seinem Vertrauen gestiegen war.

Wie wir an dem Maschinenraum standen und auf die arbeitenden Kolben herabsahen, sagte sie:

»Es ist viel Geist in solchem Wesen und doch eine ungeheuere Eintönigkeit. Nur so lange man es nicht kennt, haben diese Stampfen, Schrauben, Räder und ihre Schwingungen etwas Wunderbares. Weiß man aber erst, wie Eins in das Andere greift und nicht anders kann, wie ein Druck alles in Bewegung setzt, wie es sich immer wiederholt und wiederholen muß, so kann man eben nichts mehr davon bewundern, als den ersten Gedanken, der es erfand.«

»Und wo,« erwiderte ich, »bewunderten wir nicht überhaupt den Erfinder immer mehr, als sein Werk? Gehen wir gleich auf das Höchste alles Geschaffenen, auf den Menschen; ist der Gedanke, der ihn erfand, nicht das Beste an der ganzen Schöpfung?«

Sie drohte lächelnd und sagte:

»Ich habe es Ihnen längst angemerkt, Sie gehören auch zu den Malcontenten, denen nichts gut gemacht ist auf Erden, und das wäre recht lustig anzusehen für andere gesunde Leute, wenn es nicht gar zu störend und ansteckend wäre.«

»Mein gnädiges Fräulein,« sagte ich und machte ihr eine tiefe Verbeugung, die sich unwillkürlich fast über die Maßen ausdehnte, da das Schiff eben ganz entsetzlich schwankte, »nehmen Sie meinen Dank, daß Sie Einen, den Sie für zeitverpestet halten, in Ihrer holdseligen Nähe dulden; allein, aufrichtig gestanden, ich habe nie zu Denen gehört, welche über diese vortreffliche Welt einen besonderen Schmerz empfunden, oder gar einen Seufzer ausgestoßen hätten. Ich habe vielmehr pflichtschuldigst gelacht, so oft sich eine Gelegenheit darbot, und mir die Menschen, meine Brüder, von jeder möglichen Couleur, immer als Wesen vorgestellt, die, wie diese Maschine hier, ihre vorgeschriebenen Pumpenstöße in jeder Stunde thun, so lange sie Wasser und Feuer genug haben. So erhält sich die vernünftige Welt und schreitet auf den Wegen der Cultur löblich weiter, läßt ihre Aufklärung in allen Zeitungen loben, schafft und empfindet in voller Gemüthlichkeit, und wird, je älter sie wird, je weiser und geistreicher.«

»Richtig,« sagte sie, »und doch quält man sich, eine Art Zuchthaus des Geistes für uns zu errichten. Licht! Licht her! schreit man an allen Ecken, und es ist recht komisch zu sehen, wie sie Alle ihre Leuchten in die Höhe halten und es immer finsterer dabei wird. Welche babylonische Verwirrung! da schreien die Einen: Stürmt den Himmel! und sie treten ein paar Regenwürmer glücklich todt, die Andern entsetzen sich darüber, rufen Zeter über die Gottlosen und fodern die Posaunen von Jericho, denn das Weltgericht ist da. O! steinigt, steinigt die Klugen und Ueberklugen!«

»Das ist die Geschichte vom gläsernen Esel,« erwiderte ich, »der, nachdem er ein Blatt von einer Zauberpflanze gefressen hatte, das ihn durchsichtig machte, alle andere Esel verachtete, bis diese ausschlugen, seinen Bauch zersplitterten und nun erstaunt sahen, daß es eigentlich gar nicht nöthig war, weil der gläserne Esel im Innern immer noch derselbe alte Esel war, wie früher. Was wollen Sie also?«

»Dumm bleiben!« sagte sie mit vielem Ernst.

»Das ist fromm und demüthig gedacht,«versetzte ich, »und könnte vielleicht eine der gläubigen Gesellschaften in B. bewegen, Sie zur Vorsteherin zu wählen.«

»Ich verachte den Spott der Gottlosen,« rief sie lachend; »aber wissen Sie, daß ich die feindlichen, zerstörenden Richtungen der Zeit genauer kennen lernte und manchen guten Kampf bestanden habe? Ich bin einst fromm und ein andermal klug gewesen,« fuhr sie mit liebenswürdiger Schalkhaftigkeit fort. »In meiner Eltern Hause lebte lange ein Mann, den ich schwärmerisch verehrte. Er war mein Lehrer und mein Freund, der innigste Vertraute aller meiner Gedanken und Empfindungen, mein Beichtvater, der Vermittler zwischen Gott, Welt und mir. Als er ein geistliches Amt in der Nähe erhalten hatte, war ich untröstlich, daß ich ihn missen sollte, und nur der Gedanke, daß viele Irrende durch ihn errettet, viele Verlorene den Weg der Gnade mit seiner Hülfe finden sollten, richtete mich auf: Das that er auch zu meiner unaussprechlichen Freude. Mehrere Familien wurden durch ihn bekehrt, und manche meiner Freundinnen verdammten die Luft der Welt und die Götzen der Eitelkeit im Bunde mit mir und ihm. Mein Abscheu vor Tanz, Spiel und Allem, was mir als Sünde verboten war, betrübte jedoch meine Eltern sehr, wie denn überhaupt sich auch nicht wenige Stimmen gegen unsern frommen Führer erhoben, der von Haß und Spott verfolgt, selbst bei dem Bischof der Provinz verklagt und sein Treiben als eben so gefährlich für das Familienglück, wie die Gesetze des Staates beleidigend, dargestellt wurde. Für uns erhob diese Anklage unsern Heiligen höher, und der Bischof beschützte seine Richtung, denn selbst für den bekannt gewordenen Versuch einer Teufelsaustreibung bei einer Dame durch übermäßige gemeinsame Gebete, erhielt er nur einen Verweis, dem das Lob seines Glaubenseifers als Zucker dick aufgestreut war. Mein Vater aber wählte einen andern Weg, mich abtrünnig zu machen, denn plötzlich stellte sich in unserm Hause ein entfernter Verwandter ein, der, von Universität und Reisen zurückgekehrt, eine Zeit lang bei uns wohnen und mich beiher unterrichten wollte.«

»Und dieser Unterricht war erfolgreich,« sagte ich. »Als irgend ein berühmter Weiser die Frage, welches das gefährlichste Geschöpf sei, mit der Antwort abthat: Unter den wilden ist es der Verleumder, unter den zahmen der Schmeichler, hätte er hinzufügen müssen, unter den giftigen ein schöner liebenswürdiger Cousin.«

»Sie irren dennoch,« erwiderte sie, »denn er war weder schön noch liebenswürdig, aber er war ein Mann von durchdringendem, gebietendem Verstande und in der That giftig an Spott und Weltverachtung. Als ich ihn zuerst sah zitterte ich unwillkürlich. Eine ungeheuere Glut und Angst drängte sich in mein Herz, das zu zerreißen drohte, und lange dauerte es, ehe ich eine Art Vertrauen zu ihm fassen konnte. Aber wenn ich meinte, jetzt könne ich ihn wirklich lieb haben, stieß er mich plötzlich durch ein kaltes, höhnendes Wort weit zurück, und dachte ich, nun mußt und willst du ihn auf ewig hassen, dann wand sich ein rother Faden unwillkürlich wieder um mein gekränktes Herz, und seine sanfte Stimme, sein schwermüthiges Lächeln reichten hin, mich zu versöhnen. Er hatte sein geringes Vermögen fast ganz seinen Studien geopfert, mit dem Rest hatte er an einer Universität zu lehren begonnen, allein plötzlich ward er entfernt und zur Rechenschaft gezogen, jener längstvergessenen Studentengeschichten wegen, die soviel Unheil über glückliche Familien verbreitet und manches Lebensglück zerstört haben. Bis die Versöhnung mit dem Staate erfolgen würde, lebte er nun bei uns, und ich lernte viel von ihm an Sprachen und Wissenschaften, mehr noch an Selbsterkenntniß. Ueber meine religiöse Richtung sprach er nie mit mir, ja er vermied selbst jeden Anlaß dazu; aber wenn ich mich ausschließen wollte von gemeinsamen Vergnügungen, betrachtete er mich mit einem seiner kalten, höhnischen und durchdringenden Blicke, die mich empörten und mit Unruhe und Schaam erfüllten. Ich fühlte ein brennendes Verlangen, mich zu vertheidigen, aber nach den ersten Worten schon erstarrte ich vor seinem Lächeln. Einmal aber, als ich fest entschlossen war, ihm zu beweisen, auf wie guten Wegen ich, auf wie falschen er wandle, hörte er mich ruhig an, und sagte dann mit seiner tiefen, grollenden Stimme: Sie haben Dich unfrei gemacht, meine arme Cousine, aber Du bist doch stärker, als diese verdumpfende Knechtschaft. Du hast so schöne, klare, stille Augen; lerne sehen. Lehre es mich, Vetter Eduard, sagte ich leise. Da fuhr ein Strahl aus seinen großen Augen auf mich und lächelnd sagte er: Ich will. Bald darauf kam mein geistlicher Hort Der Begriff kann nicht nur einen Ort, sondern auch eine Person bezeichnen, die Betreuung und Schutz gewährt., und jetzt suchte Eduard Streit mit ihm, den er mit glänzender Beredtsamkeit und Wissen, mit philosophischer Tiefe und schlagender Dialektik führte. Je zorniger und glaubenswüthiger der Geistliche ward, um so kälter und klarer zeigte sich sein Gegner, bis jener uns mit einem der gewöhnlichen Bibelsprüche verließ, in welchen Fluch und Strafe über die ewig Verdammten ausgeschüttet wird.

Von diesem Tage an war es, um mich geschehen,« fuhr sie lächelnd fort. »Die Welt erschien mir in anderem Lichte; ich gerieth nach und nach, mitten in das Feldlager der geistig Exclusiven und lernte die Formen verachten, den Inhalt verspotten, die Zustände des Lebens, die Träger der Gesellschaft, als die alte Nacht der Dummheit, des Aberglaubens, des Unrechts und der Vorurtheile betrachten. Meine Seele war bewegt und erhoben, ich kam zum Denken und Anschauen, las viele Schriften, schwärmte für alle Emancipation, auch für die meine, stritt mit allen, suchte alle Vergnügungen auf, die ich früher haßte, verlachte das weiblich-scheue Zurückgezogene, und erwarb mir Tadel, Haß und Spott mehr noch als auf meiner ersten Bahn. Am schlimmsten aber war es, daß ich mit meinem Vetter auch zerfiel. Ich war eine Schwärmerin für die Resultate, welche er aus kalter Vernunft und Wissenschaft gewonnen hatte, und bald wurde unser Streit lebhafter. Ich wollte Hingebung, und er hatte kein Herz, kein warmes, rollendes Blut. Das ganze Leben war ihm eine Gedankenfabrik, die Nothwendigkeit beherrschte jeden zu heftigen Pulsschlag, Theilnahme, Aufregung in Freude oder Schmerz, Augenblicke, wo das heiße Blut triumphirt, schien er nicht zu kennen; er spottete über das zärtliche, weichliche Zerschmelzen der Empfindungen, über die thörichten Schwachheiten der Menschen, über Alles was das Leben gibt und nimmt. Seine alte Mutter starb und er hatte keine Thräne, er sprach mit einer Ruhe darüber, die mich empörte. Ich schalt ihn schwer.

Und wenn Du mich liebtest? sagte ich.

Liebe ich Dich nicht, Auguste?! erwiderte er langsam und ausdrucksvoll.

Und wenn ich stürbe, rief ich.

Ich würde Dich begraben, sagte er, und still und lange trauern.

Du würdest mich vergessen, sprach ich heftig.

So weit es nothwendig und natürlich ist, gewiß.

Dann würdest Du ein anderes Bündniß schließen.

Wahrscheinlich wol, erwiderte er mit Ruhe.

Und glücklich sein!

So weit neue Liebe und eine treue verständige Gefährtin beglücken können. Ich würde es gewiß versuchen.

Schändlicher Egoist! rief ich empört.

Siehst Du wohl, sagte er, und sah mich mit seinen stolzen, spottenden Augen an, wie schwer es ist, die Wahrheit des Lebens zu ertragen, und wie gern die Lüge in der bunten Schlangenhaut sich an unserm Herzen wärmt. Ich hätte Dir sagen können, was die Millionen stumpfsinniger Wesen sagen, die in ihrer elenden Berauschung von Liebe und Schmerz die Ewigkeit heraufschwören und ihre Seligkeit jammervollen Eiden verpfänden, welche sie morgen schon bereit sind, zu brechen. Du bist ein Weib und schwach, zwei Dinge, welche die Täuschung lieben.

Wie ich bis zur Erbitterung mich erhitzte, kam mein Vater herein, und dies gab Gelegenheit zu einer jener verwandtschaftlichen Scenen, in welchen Vorwürfe und gute Lehren mit Stolz und Entschiedenheit abgewiesen werden. Mein Vater war ein schlichter Biedermann, der, wie er es aussprach, sich längst vorgenommen hatte, dem jungen Herrn gründlich die Wahrheit zu sagen. Das that er denn auch so lange, bis Eduard, dem hier alles vorgehalten wurde, was er auf seinem Lebenswege verschüttet und verfahren, weil er nicht that, wie andere Leute thun, stumm hinausging. Um andern Morgen war er davon gegangen und mit Hülfe meines Vaters und meiner eignen reuigen Betrachtungen bin ich zur einfältigen Anschauung des Lebens zurückgekehrt, zu Freude und Kummer, zu Hoffnung und Glauben.«

»Und dieser Vater?« fragte ich.

Sie faßte an den schwarzen Schleier ihres Hutes und sagte mit einem schmerzlichen Lächeln:

»Seit drei Monaten weht die Trauerfahne von den Thürmen und noch immer läuten die Grabesglocken.«

Wie sie das sagte, kam der Herr mit der spitzen Nase heftig angeschossen, denn er stolperte über einen Absatz und fiel gegen eine der Klüverschoten, von der er abprallend in meine Arme sank.

»Es ist allerdings eine der schlechtesten Speculationen,« rief er, und hielt seinen Hut im Winde mit der Hand fest, »daß es Inseln gibt, die man nur mittels einer Wasserfahrt erreichen kann; aber es ist amüsant, ungeheuer amüsant, wenn man nämlich lebendig davon gekommen ist.«

»Und hoffentlich haben wir diese angenehme Aussicht,« sagte das Fräulein.

»O, ganz gewiß!« erwiderte er mit seinem liebenswürdigsten Lächeln, »wenn man in Ihrer Gesellschaft ist. Aber da sind schon die kleinen buschigen Eilande,« fuhr er fort; ich kenne sie, obwol ich in acht Jahren nicht hier gewesen bin; da liegt Putbus auch, da oben die weißen Häuser, und vor uns ist die Brücke, die der vortreffliche Fürst, ein wirklich speculativer Herr, mit großen Kosten weit ins Meer hinein bauen ließ.«

»Damit die Badegäste nicht gar mit einem Bade empfangen werden,« sagte ich.

»Ein allerliebster Ort, das Putbus,« fuhr er fort; »werden morgen Abend Zeit haben, es zu sehen. Ein schönes Schloß mit herrlichen Aussichten, Salons, wo geschmaust, getanzt und nebenher auch ein Spielchen gemacht wird, Theater mit lebendigen Comödianten, und vortreffliche Gasthäuser, ganz vortreffliche, wo wir Steinbutten essen wollen.«

»Aber die Stadt scheint weit von der See zu sein.«

»Ein halbes Stündchen, aber Wagen sind immer da, um zu fahren, oder man macht seinen Morgenspaziergang, was die halbe Kur ist, und unten steht ein vortreffliches Badehaus; hat viel gekostet, sehr viel gekostet, das Alles.«

»Und gewiß ein sehr ruhiges Bad,« sagte ich, und blickte in den Busen, wo das Meer trotz des Windes ganz still war.

»Sie meinen den Wellenschlag!« rief der alte Herr mit Verachtung, »von dem man jetzt so viel faselt. Nein, der ist, Gott sei Dank! hier niemals. Das nennen sie gesund,« fuhr er grimmig lachend fort, »wenn man von den Wellen fortgespült, geschunden und zerschlagen davonkriecht, aber es ist eitel moderne Thorheit unserer Doctoren. Seewasser ist salzig überall, ob es windig ist oder nicht, und hier setzt man sich keinen Erkältungen aus. Und was für ein Land voller Romantik und Kreide, ich sage Ihnen, ich möchte nur die Kreide haben, sie ist besser als die dänische.«

»Ich möchte den Rugard haben mit seinem Königsschloß und die Herthaburg,« sagte Auguste, »und eine Zauberruthe dazu, die alle die alten Runengräber sprengte.«

»Wenigstens sollen Sie alles sehen,« sagte der gefällige Mann, »und das ist jedenfalls besser, als wenn das alte abscheuliche Heidenvolk aufwachte und uns zum Auferstehungsfeste seinen Götzen schlachtete.«

Das Fräulein wendete sich lächelnd zu ihm.

»Glauben Sie etwa,« sagte sie lebhaft, »daß man in unserer aufgeklärten Zeit nicht noch immer zahllose Opfer den Götzen schlachtet? Man muß sich tapfer wehren, um den bösen Feinden zu entkommen.«

Sie ging ihrer Mutter entgegen, und der alte Herr machte ein entzücktes Gesicht.

»Es ist ein merkwürdiges Mädchen,« sagte er, und knipp in meinen Arm, »es ist eine Klugheit, eine Berechnung in ihrem Wesen, die das Facit gleich weg hat, beim ersten Blick auf die Rechnung.«

»Merken Sie das jetzt?« sagte ich.

»Sie merkt es,« erwiderte er leise; »es ist ein wahres Vergnügen, wie sie durch die Blume redet. Im Vertrauen, werther Freund, ich habe mit der Mutter gesprochen, und die Sache hin und her gewendet in meiner Weise.«

»Welche Sache?«

»Ach, scherzen Sie nicht!« rief er, »Sie wissen, ich interessire mich sehr für diese Familie, lasse meine Geschäfte im Stich und fahre nach Rügen, wie ein junger Narr, der nichts Besseres zu thun hat.«

»Also Opfer um Opfer. Was meinte die Mutter?«

»Sie wünschte ihrem Kinde einen wackern Mann, eine glückliche Versorgung. Merken Sie wol,« sagte er, mißtrauisch mich anblickend, »eine glückliche Versorgung!«

»Das kluge Wort einer Mutter, die Zweck und Ziel der Ehe begreift,« erwiderte ich.

»So etwas schließt Bewerbungen aus, die nicht reell sind,« fuhr er stolzer fort. »Reellität ist die Grundlage bei jedem Geschäft; aber vor allen Dingen bei der Schließung einer solchen Gesellschaftsverbindung, da muß das Hauptbuch genau stimmen. Ich habe es ihr aufgeschlagen,« fuhr er flüsternd fort; »es standen Zahlen darin, die ihr gefielen; und wenn Alles gut geht,« schrie er, denn der Dampf begann laut zu schmettern und das Schiff langsam an die Brücke zu gehen, »so mache ich die Rückreise als Bräutigam.«

»Gratulire!« schrie ich meinerseits, »und wenn es irgend in meinen Kräften steht, Ihnen dabei hinderlich zu sein, so soll es jedenfalls geschehen.«

»Danke, danke!« sagte et und schüttelte meine Hand, weil er bis auf das »hinderlich sein« Alles verstanden hatte und zu seinen Gunsten auslegte.

»Bleiben Sie bei den Damen,« fuhr er fort, »ich werde einen Wagen besorgen. Bin ganz ungeheuer lustig heut. Das ist Rügen, merkwürdige Insel; Reisen machen ist doch ein einziges Vergnügen; wollen uns königlich amüsiren – man muß aber die Leute hier kennen, prellen die Fremden, als wären wir alle Engländer, werde aber pfiffig sein.«

Bei diesen Worten verließ er mich und sprang mit Entschlossenheit auf die Brücke.

Nun gab es reichliche Verwirrung. Koffer, Nachtsäcke, Kisten und Kasten waren in den Raum gepackt, und wurden, Stück für Stück, hervorgewunden. Und welch Getümmel um das irdische Gut! Jeder wollte das Seine haben, als guter Preuße, der das suum cuique mit auf die Welt bringt. Die Säcke und Koffer wurden verkannt, von drei, vier Seiten zugleich reclamirt; manche fielen in den Raum zurück, und plötzlich löschte eine Hutschachtel, die erst dem Matrosen unten an den Kopf sprang und von dem harten Schädel abprallte, die einzige Leuchte aus. Geschrei von allen Seiten und Schmeicheleien über die ausgezeichnete Ordnung.

»Männeken,« rief ein echtes Berliner Naturkind, »dampfender Seejüngling da unten, bleiben Sie in dem Kasten und warten Sie einen Augenblick, es wird eben eine Lampe angestochen, die keiner so leicht auspust.«

Und bei dem Gelächter seiner Genossen trat der Mond über die Berge und beleuchtete den Kranz der weißen schönen Häuser am Ring zu Putbus und zwischen den hohen Waldbäumen des Parks die Zinnen des Fürstenschlosses, an denen der letzte Schimmer des Abendlichtes noch hing.

Der Seemann aber ließ sich durch die Finsterniß nicht abschrecken, er brachte seine Fracht, trotz derselben, sämmtlich herauf, und nach manchem Mißlingen hatten wir unsere verschiedenen Effecten endlich beisammen und schritten nun durch eine Menge bereitwilliger menschlicher Lastthiere, die auf der Brücke von einem Gensdarmen in Respekt gehalten wurden.

Wo gäbe es keine Armen und keine Gensdarmen?! Es ist nicht bloßer Zufall, daß sich das reimt; das Eine ist des Andern wegen geschaffen, denn nähmst du Flügel der Morgenröthe und führest an das äußerste Ende der Meere, du würdest beide dort finden. Uebrigens bin ich fest überzeugt, daß der Mythus vom Engel, welcher unsere Stammeltern aus dem Paradiese getrieben hat, eigentlich nichts weiter bedeuten soll, als die Einführung des ersten Gensdarmen auf Erden, wodurch auch der göttliche Ursprung dieser wohlthätigen Erfindung klar bewiesen ist.

Während ich diese gelehrte Hypothese meiner Nachbarin mittheilte, hatte sich ein ganz kleines, unscheinbares, höckeriges Wesen mit unwiderstehlicher Gewalt meines Reisesackes bemächtigt. Ich erinnerte mich, daß diese östlichen Eilande ja eigentlich das wahre Vaterland der Gnomen und Wichtelmännchen seien, und wie er so neben uns im Mondschein dahin schlüpfte und springend unserm eiligen Lauf folgte, fiel mir ein, daß er eben so wohl ganz und plötzlich verschwinden könne. Ich sah mich um, aber er keuchte so ängstlich, daß ich schon aus diesem Grunde den leichten Sack mit anfassen wollte.

»O, bitte, lieber Herr!« flüsterte er ganz leise, und setzte den Sack mit einem kühnen Schwung auf seinen Höcker.

»Wunderbares Geschöpf,« sagte ich, »wo bist Du her?«

»Hier unten wohne ich,« erwiderte er und ich weiß nicht, zeigte er in die Tiefe des Wassers oder in einen Winkel des Strandes, wo Hütten standen. »Ich habe keine Eltern.«

»Wie alt bist Du?«

»Sehr alt schon, lieber Herr!«

»Was thust Du denn?«

»Ich führe die Fremden zuweilen.«

»In die Sümpfe!« rief ich.

»O, nein, gewiß nicht!« betheuerte der Zwerg. »Ich kenne das Land genau, auch die Runengräber in den Wäldern, die tiefen Kreidebrüche und Spalten, und weiß manche schöne Geschichte, die wol vor tausend und tausend Jahren geschehen ist.«

Ich sah ihn wieder an, der Mond beleuchtete sein Gesicht, das seltsam alt und häßlich war.

»Kannst Du denn Berge besteigen und laufen, armes Geschöpf?« sagte ich.

»O ja, mein lieber Herr!« rief er freudig und lief drei Schritte vor uns hin, dann sagte er schwerathmend: »Sonst konnt' ich es besser, aber ich weiß nicht, wie es ist, es will nicht mehr so fort, und es muß doch sein, ja es muß doch sein!« wiederholte er mit muthig und traurig klingender Stimme.

Meine Begleiterin nahm ihm in plötzlicher Bewegung den Reisesack vom Rücken und gab ihm dafür, wie ich vermuthe, mehr Geld in die Hand, als er seit langer Zeit gesehen hatte.

»O! o!« rief er bittend, und dann stand er mit ausgestrecktem Arm ganz still, bis sie ihn sanft bei Seite schob.

»Geh fort! geh!« rief sie, »da sind ja die Wagen, und hier steht unser merkantilischer Freund, der uns erwartet.«

Es war wirklich der Herr mit der spitzen Nase, der nachdenkend auf den letzten Bohlen des Brückendammes stand.

»Wo ist der Wagen?« fragte ich.

»Verdammtes Volk!« rief er verächtlich; »aber schon gut.«

»Wie so?« sagte ich verwundert.

»Jetzt ist es Zeit;« versetzte er, und riß mich mit sich fort. »Sie haben hier das Dampfboot nicht mehr erwartet, weil Wind war, wissen schon, daß es dann umkehrt, und so sind viele Wagen wieder nach Haus gefahren. Die Uebrigen sind unverschämt, so lange sie denken, man braucht sie. Darum habe ich gewartet, bis Alle ihre Ladung haben; nun aber,« sagte er mit dem Vergnügen eines Kaufmanns, der den Vogel in der Hand hat, »nun wollen wir uns einen zu funfzig Procent kaufen.«

»Einen Rippenbrecher!« sagte ich, und sah mit scheuem Blicke auf das halbe Dutzend Kaleschwagen, die fest auf den Achsen standen.

»Oho!« rief der hartnäckige Mann, »denken Sie etwa, man kann auf englischen Federn durch diese Insel fahren? Und obenein mitten in der Nacht.«

»Nun gut; ich hoffe, wir kommen lebendig nach Putbus.«

»Was Putbus!« sagte er. »Sie wollen Stubbenkammer sehen und das übrige romantische dumme Zeug, die Entenpfütze, die sie Herthasee nennen u. s. w. Wenn das Ihre Absicht ist, und die Damen sind ja ganz versessen darauf, so müssen wir sogleich fort und die Nacht durch fahren, um zur Mittagstafel wieder hier zu sein. Montag früh um vier Uhr geht das Dampfboot zurück, das bedenken Sie.«

»Welche Nichtswürdigkeit, vergnügungslustige Leute, wie Jagdhunde, auf die schöne Natur zu hetzen!«

»Die Menschen machen's überall so,« sagte er ingrimmig. »Laufen ohne Ruhe und Rast durchs Leben, wie durch die Welt, und was finden sie?! Könnten's zu Hause weit besser haben, aber der böse Feind reitet sie Alle über Stock und Block; es ist keine Reellität in der Welt, betrügen will der Eine den Andern, und was das Schlimmste ist, sie betrügen sich selbst am meisten. Nun, thut nichts, wollen uns ungeheuer amüsiren!« rief er laut, denn die Damen kamen uns nahe.

Nun handelte er um einen Wagen und nach ein paar Minuten hatte er ihn.

»Pah!« sagte er voller Freude, zu dem armen Teufel, dem er einen ganzen Thaler abgezogen, »vier leichte Personen, federleicht, zwei Damen da, wiegen keinen halben Centner, ist eine Schande für die großen Pferde, werden erfrieren in der Nacht, bei Mondschein und Kälte.«

»Es ist ja nur ein Pferd vor!« rief das Fräulein lachend.

»I bewahre,« erwiderte der Junge und zeigte mit der Peitsche vor sich hier ist ja das andere, es ist nur ein bischen kleiner. Aber einen halben Thaler noch, lieber Herr.«

»Aufsteigen, geschwind aufsteigen!« schrie der Kaufmann, und hob die Mutter auf den Tritt. »Haben den Handel abgeschlossen, fährst Du aber gut, wirst Du es nicht bereuen.«

Nach ein paar Minuten ging es fort, wir richteten uns ein, lachten zusammen und hatten bald alle Calamitäten vergessen. Der alte schlechte Korbwagen schwankte hin und her, und das abenteuerliche Gespann davor bewegte sich gemüthlich im Sande fort. Ein merkwürdig großer Fuchs und ein ganz kleines schwarzes Pferd zogen uns durch das Land der Feen und Riesen. Der Fuchs war aber ein Lungenpfeifer, der bei jedem Schritt erbarmungswürdig musicirte und der kleine Schwarze, ein echter Krippensetzer, brummte den Baß dazu.

Der Wagen hatte drei Bänke, die in Riemen hingen; vorn saß der Junge, der den Fuhrmann vorstellte, und ein großer Futtersack, dem eine wichtige Rolle aufgespart war; dann füllten der Kaufmann und die Mutter die zweite Bank und auf den Hinterachsen hielt ich in meinen Armen ihre schöne, muthwillige Tochter.

Zu meiner Rechtfertigung muß ich behaupten, daß es unmöglich war, den Arm anders zu lassen, als eben über die Rücklehne ausgestreckt. Der Sitz war so schmal, wir saßen eng und dicht beisammen und ganz Unrecht hatte unser Freund mit der spitzen Nase nicht, wenn er in Mondschein und Kälte selbst die Pferde schaudern ließ. Der Wind blies kalt über das weite offene Land, und je tiefer sich Auguste in den Mantel hüllte um so eher fühlte ich mich berufen, ihr die wärmste Stelle an meinem Herzen auszusuchen. Ihre Hand ruhte in der meinen und ihr Köpfchen geduldig an meiner Schulter; so hörten wir die historisch-geographisch-ethnographische Vorlesung des gelehrten Handelsherrn.

»Rügen,« sagte er zu der aufmerksamen Mutter, »soll einmal von einem Heidenvolke bewohnt worden sein, ob es Deutsche waren oder nicht, ist eigentlich völlig gleichgültig, sie haben aber natürlich darüber dicke Bücher geschrieben; genug, – es gab hier, wie überall, rohe wilde Menschen, die weder von Gott noch von Gottes Sohn etwas wußten, sondern allerlei dick- und dünnköpfige Götter hatten, denen sie Opfer brachten, was jetzt ganz außer Gebrauch gekommen ist. Nebenher beteten sie Sonne, Mond und Erde an, und dies letzte ist gewiß das Vernünftigste, denn die Mutter Erde bringt ja Alles hervor, um zu leben und Handel zu treiben, was offenbar die Grundbestimmung des Menschen ist. Die Opfersteine liegen nun überall umher, wenigstens sagen die Alterthumsforscher so, obwol die Dinger größtentheils aussehen, wie ganz gewöhnliche große Feldsteine. Hören Sie, es geht aber nichts über so einen Alterthumsnarren; unter allen Narren der Welt steht er mit obenan. Ich bin hier mit einem gereist in meiner Jugend, d. h.« sagte er sich verbessernd, »vor acht oder zehn Jahren, der stand alle zehn Schritte still und hob einen Stein oder einen Scherben auf, von dem er ganz entzückt behauptete und beschwor, darin hätte ein alter Rugianer einst seine Suppe gekocht. Bei Bergen auf dem Rugard wurde er mir beinahe toll. Einen ganzen Tag grub er und suchte nach den Fundamenten des Königsschlosses; ich lasse mich aber aufhängen, wenn da jemals ein Schloß gestanden hat. In dem Dinge kann kein ordentliches Haus stehen, und eine schöne Aussicht ist das Ganze. Was helfen aber die Aussichten, wenn die Einsicht mangelt, und dazu kommen die Wenigsten. Endlich schleppte ich meinen Alterthümler fort und nun kamen wir an eine kleine Pyramide mit Nesseln und Unkraut bedeckt. Wie er die sah, war er gleich ganz besessen. Ha! ehrwürdiger Rest einer untergegangenen Heldenzeit, schrie er, ich bewundere dich. Hier liegt Radegast begraben! rief er mir mit Begeisterung zu, der fabelhafte König der Rugier, welcher göttlich verehrt wurde. Da kroch ein Mensch aus dem Busch hervor und sagte: Ne, nehmen Sie's nicht übel, lieber Herr, hier liegen die todten Franzosen und Schweden, die im Jahre 1813 im Lazareth von Bergen gestorben sind. Es war sonst ganz schön, das kleine Denkmal, aber die verfluchten Jungen haben Alles verruinirt.«

»Schläfst Du auch nicht, Auguste?« rief die Mutter.

»Ich höre und amüsire mich sehr!« erwiderte sie laut lachend.

»Ja, wir wollen uns ungeheuer amüsiren!« rief der Kaufmann und drehte sich zu uns um. Er glaubte Augustens Hand unter dem Mantel zu fassen und küßte die meine mit wahrer Inbrunst. Je heftiger sie lachte, um so entzückter wurde er, endlich ließ er sogar einige Worte von seliger Nacht und unermeßlichem Glücke fallen, indem er meine Finger drückte und ein feuriger Gegendruck ihn auf den Gipfel aller Seligkeit führte, bis die Mutter ihn bat fortzufahren.

»Nun, sehen Sie,« sagte er, »Rügen ist, wie alle Inseln sind, rund mit Wasser umgeben, aber einst war es gewiß keine Insel, sondern ein Stück vom guten biedern Pommerlande, das muß wahr sein. Stürme und große Meerfluten haben es arg aus einander gerissen, die Küsten zersägt und zersetzt, die großen Meerbuchten, die Bodden eingespült, vom großen Stück viele kleine Stücke losgerissen; und wie viel Kreide dabei umgekommen ist,« sagte er seufzend, »können Sie wol denken. Man muß aber nicht denken,« fuhr er lachend fort, »Rügen sei durch und durch lauter Romantik. Du lieber Gott, es ist zum Theil ein armes, flaches Moor- und Haideland, trübselig, sandig, unfruchtbar, voll Jammer und Noth, man mag es ansehen, wie man will, aber auch voll schöner fruchtbarer Thäler, Wiesen und Felder, die glücklichen Menschen gehören. Je mehr nach Westen, je flacher, sandreicher und kahler; nach Osten zu liegen die großen Buchwälder, und dort sind auch fast allein alle die Naturschönheiten, denen wir zusteuern.«

Wir waren inzwischen durch einige Dörfer gefahren, deren Bewohner längst im tiefen Schlafe lagen, und fanden, was unser Freund sagte, bestätigt; denn bald umwogten uns fruchtbare Kornfelder und der feste Weg war von Obstbäumen eingefaßt, bald war es wieder die öde, dürre Haide voll tiefem Sand, und endlich als wir auf der schmalen Landzunge am Prorer Wiek hinfuhren, rollte der Wagen über die vom Meere ausgeworfenen Gerölle hin, und jenseits am Jasmunder Bodden lagen die kahlen Bergwände im Mondlicht; oben rauschte der Wald auf der Prora, unten die Welle und unser Fuchs pfiff mit dem Wind um die Wette.

»Nun kommen wir in das blaue Ländchen nach Jasmund hinüber,« sagte der Handelsherr; »so wird es genannt, weil es sich immer fast in blaue Nebel hüllt, und das ist auch schon poetisch.«

»Und wie es scheint,« sagte ich, »wohnen hier die freien Leute nach alter Sitte weniger in Dörfern beisammen, als in Gehöften und Meierhöfen.«

»Die Welt ist voll Herren und Knechte, singt der Reiter in Wallensteins Lager,« erwiderte der Kaufmann, »und Rügen ist auch ein Stück Welt. Ein großer Theil gehört dem Fürsten Malte in Putbus, auch gibt es andere Schlösser hier, adelige Sippen und Herren in Herrenhäusern; aber dennoch, Sie haben Recht, viele Meierhöfe, welche oft seit Jahrhunderten in den Familien blieben, haben eine wohlhabende Klasse kleiner Grundeigenthümer gebildet, die ihre Güter in Werth halten und den Boden statt nach Alterthümern nach Korn und Geld umwühlen.«

»So kehrt sich Alles um in der Welt!« rief ich pathetisch in den Buchwald hinein, der uns aufgenommen hatte und schallend Antwort gab.

»Alles?« sagte er, indem er nach uns hinschielte, »daran zweifle ich.«

In dem Augenblick fiel der Wagen in ein vom Regen ausgewaschenes Loch, schwankte rechts und links bis zum Umfallen, knackte in allen Fugen und ruckte dann so gewaltig hinten über, daß die Vorderbank und ihr Inhalt auf uns zurückfiel. Die Mutter schrie laut, der Kaufmann streckte die Füße in die Höhe. Auguste half und lachte, ich aber lag am Boden, denn an unserer Bank war der morsche Tragriemen gerissen und ich in die tiefste Tiefe des Wagens gefahren, wo ich, bedeckt vom Körper meiner schönen Nachbarin, eigentlich gar keine Lust hatte, sobald wieder aufzustehen.

Alles aber nimmt ein Ende in dieser Welt, folglich auch unsere Noth. Die Bank ward aufgerichtet, unter unseren Sitz mit vieler Mühe der Futtersack geschoben, der den Riem ersetzte und wenigstens in so weit mich wieder ins Gleichgewicht brachte, daß ich mit dem besten Rechte der Selbsterhaltung mich an meiner Nachbarin festhalten und im möglichst kleinsten Raum neben ihr selbstständig bestehen konnte.

So ging es denn weiter durch den Wald, aber immer gab es etwas zu bessern und zu lachen, bald rutschte der Sack, bald die Bank und wir, und alles suchte neue Stützpunkte. Die Straße ward erst vor Jahren hier durchgehauen, als der König Stubbenkammer besuchte, darum heißt sie auch Königsweg. Schnurgerade läuft sie über die Hügel und rings umher rauschten die alten Buchen. Große moosbewachsene Steine liegen am Wege. Oft glaubten wir in den einzelnen Mondblitzen seltsame Schatten darauf zu entdecken, die verschwanden, wenn wir näher kamen, Waldwiesen und Schluchten thaten sich auf, hier tiefes Dunkel dort Silberthau, der auf die stillen Blumen und Gräser zu rieseln schien. Die weißen Stämme glänzten von nah und fern, und ihre Kronen wiegten sich im reinsten Lichte. Die Nacht in ihrem gestickten flatternden Mantel und den feinen Schnüren von Wolkenfädchen und Säumen daran, zog über uns hin.

Auguste hatte den Arm fest um mich geschlungen, den Kopf hoch im Nacken sah sie die Sterne gehen. Dazwischen berechnete der Kaufmann, was der Wald wol werth sei, wenn er umgeschlagen und nützlich verwendet werde, und wie die großen Steine, die Hünengräber und Opferaltäre wol besser zum Chausseebau dienen könnten, als hier zu verwittern, damit friedliche Leute ohne alles Halsbrechen Romantik genießen mögen.

Die Stöße von Wurzeln und in Löchern, die wir von Zeit zu Zeit empfingen, unterbrachen seine realistischen Beobachtungen und erhöhten seinen Zorn.

»Ist es nicht ein Wunder, wenn wir ganze Glieder behalten,« schrie er endlich, »und müßte nicht der Staat einschreiten, um seine Bürger zu beschützen? Wollt ihr, daß Menschen toll genug sein dürfen, in Nacht und Nebel hierher zu laufen, daß Bücher geschrieben werden, die dazu einladen, und schlechte Dampfschiffe uns viel später als sie sollten auf diese merkwürdige Insel auswerfen, mit dem Befehl in vierundzwanzig Stunden Alles genossen zu haben, so sorgt wenigstens dafür, daß Wege und Wagen unser Leben nicht bedrohen. Und was haben wir davon? Nichts als eine schöne Aussicht, ein Stück Kreide, ein paar hunderttausend Male höher und dicker als zum Schreiben nöthig ist und einige alte Steine. Ich frage, ob man sich nicht schämt, wenn man recht darüber nachdenkt?«

»Ich schäme mich gar nicht,« sagte meine Nachbarin sehr ernsthaft, »aber ich beklage es, daß Sie so viel Reue über eine Lustfahrt empfinden, zu welcher wir Sie bestimmten.«

»Mein Gott!« erwiderte er betroffen, »ich amüsire mich ja ungeheuer, wenn wir nur erst da wären. Theuerstes Fräulein, wo könnte ich denn in der Welt lieber sein? Und wenn ich Angst empfinde, ist es nur Ihretwegen, und wegen Ihrer verehrten Frau Mutter,« setzte er vorsichtig hinzu.

»Großmüthiger Freund,« rief sie und überließ ihm die freie Hand, »diese Selbstgeißelung vergesse ich Ihnen nie; aber dort ist Licht, Menschenstimmen und Hahnengeschrei.«

»So ist's mit aller Noth vorbei!« rief er aufjubelnd, »denn das ist das Schweizerhäuschen voll Leidens-, wollte sagen Freudensgefährten.«

Wir fuhren den Weg hinauf und hielten unter den alten Bäumen im letzten Mondschimmer vor dem Gasthause auf Stubbenkammer. Fünf andere Wagen waren schon hier aufgefahren, und vom kleinen Balkon an der Seite kam soeben ein ganzer Schwarm der Gäste. Alle schrieen durch einander, wir konnten nur die Worte verstehen: Feuerwerk, Kohlen, der verwünschte Mond, prächtig, da kommen die schwarzen Wolken! und einige andere sonderbare Ausrufungen, bis ein großer höflicher Mann deutlich sagte:

»Noch einige Minuten Geduld, meine verehrten Herrschaften; sowie der Mond unter dem Wolkenkreis ist, haben wir gerade noch die nöthige Zeit, denn die Sonne geht erst in einer Stunde auf.«

»Was gibt es denn in der Finsterniß?« fragte ich.

»Ein Festmahl für empfindsame Seelen,« antwortete eine Stimme, die mir bekannt schien.

»Der Wirth,« sagte ein anderer, »wird glühende Kohlen an dem Kreidefelsen hinunterschütten, auch soll unten Feuerwerk angezündet werden, was einen wunderschönen Anblick gewährt.«

»Lassen Sie uns gehen,« flüsterte mir Auguste zu, »ich will es sehen, ehe sie mit einem Kohlenbecken dem Himmel ins Handwerk pfuschen.«

Der Dämmerschein zeigte uns den Weg und plötzlich traten wir hinaus auf den Königsstuhl. Man ahnet nicht die Nähe des Meeres, noch weniger, daß es vier- oder fünfhundert Fuß unter uns rauscht; das ist die Überraschung. Unten lag es dunkel auf der Fluth und diese grollte leise herauf. Die Felsenwände stiegen aus dem Schatten empor, unheimliche Riesen, die in ihren grauschimmernden Gewindern sich verworren umschlingen. Die ausgestreckten zackigen Arme glänzten heller und schienen auf den Meerspiegel zu deuten, den der Mond in sinkend gelblichem Glanz auf unermeßlicher Ferne überstrahlte. Der Abgrund zu unseren Füßen und das ganze ungewisse Bild in Nacht- und Sternschein, ein fernes Segel, das geisterhaft am Horizont schwebte, machte einen tieferen Eindruck, als läge es im Tagesglanze. Diese einzige Stubbenkammer und sie ganz allein ist es werth, daß man nach Rügen reist.

Auguste hatte sich auf die Bank gesetzt und lehnte über die Brüstung, indem sie den Stimmen des Windes, des Waldes und Meeres horchte, die wechselnd auf und ab zogen.

»Wer hat vor uns auf diesen Steinen geruht, von dieser Klippe unter dem Rauschen der heiligen alten Buchen in die Sturmnacht ausgeschaut?« fragte sie endlich leise.

»Priester und Fürsten!« erwiderte ich. »Und wo sind ihre langen Züge, wo sind Hertha's Altäre, wo die Helden, die Völkerschaaren, die mit ihren Göttern hier ewige Bündnisse schlossen?! Alles ist längst Staub und Lug und Trug geworden, und doch mögen kaum zwanzig Generationen begraben sein. Himmel, Meer und Wind strömen unverändert fort, das seelenlose Element weiß nichts von Anfang und Ende, nur der Mensch mit dem warmen Herzen wechselt und irrt weiter, und was er als Weisheit, Glück und Liebe verehrte, wird zum Spott seiner Enkel.«

»Und darum,« sagte sie freudig, »liegt ja seine Göttlichkeit in ihm, in seinem Leben auf Erden und in seinem Herzen mit allem Träumen und Lieben. Die da tief unten schlafen, haben ihren Weg wohl vollbracht; sie glaubten und liebten, was sie erkannten und theuer hielten; haßten, was ihnen hassenswerth schien, und das war es, was sie sollten. Gott ist Mensch geworden, damit die Menschen göttlicher werden. Irrthümer fallen ab, ewige Wahrheiten werden errungen; aber wehe uns, wenn einst das Herz mit seinem Bangen und Irren verloren ginge, wenn der Mensch nicht mehr lieben und hassen könnte.«

Ein Seufzer schien aus der Tiefe vor uns aufzusteigen, und mit einer raschen Bewegung lehnte sie sich weit, über die Tiefe.

»Hörten Sie es?« sagte sie. »Was war das?«

»Ohne Zweifel eine verlorene Seele,« sagte ich, »die niemals irrte und glaubte.«

»Nein,« rief sie laut, »glauben Sie mir, es ist ein büßender Geist, der keine Ruhe findet, weil er kein Herz besaß.«

Jetzt wurden unsere Namen gerufen, und als wir antworteten, kam die Mutter mit ihrem Begleiter, der uns längst suchte.

»Nun wird's losgehen,« sagte der Kaufmann, »es sieht ganz allerliebst aus, das Feuerwerk, und, was das Beste ist, es kostet nichts. Der respektable Mann, der Wirth, rechnet die Erleuchtung der Klippe zu seiner Lokalität; ich denke: aber,« setzte er leise hinzu, »er bringt es ganz heimlich auf die Rechnung, denn –«

Hier schwieg er, weil die ganze Gesellschaft herbeikam und einen Mann umringte, der einen Haufen glimmende Kohlen und Strohbündel trug. Jeder suchte sich einen Standpunkt auf dem Plateau, und nun flogen die brennenden Kränze und Kohlen in die Tiefe und beleuchteten magisch die glänzenden Kreidespitzen und Wände, die grünen Büsche in der Schlucht und immer tiefer rollend und fallend den ganzen Felsen und die Wellen, über deren Dunkelheit sie einen Kreis von Licht warfen. Das Beifallgeschrei und die Ausrufungen der Bewunderung schwiegen aber, als es unten am Fuß der Felsen aufglänzte und ein rubinrothes Feuer zwischen den ungeheuern Kiesellagern die Felsen und das Meer umsäumte. Das wunderschöne Licht malte sich in allen Abstufungen an der fünfhundert Fuß hohen senkrechten Klippe; matt schimmernd hing es an den halbentwurzelten Bäumen, die sich oben über den Grat beugten, und heller aufzuckend lief es an den Wänden hin und prallte auf das Meer zurück. Wir sahen noch hin, bis es erloschen war. In dem letzten Strahle wandte ich mich um und erblickte meine Begleiterin, die ganz abgewendet und fern stehend den Königsstuhl betrachtete.

»Mein Himmel!« sagte der Kaufmann, »ich glaube, Sie haben gar nichts gesehen.«

»Alles,« erwiderte sie; »und mehr als Sie, liebwerther Freund. Dort beleuchtete der Feuerschein nur den nackten Fels, hier oben aber saß ein Geisterkönig ganz starr und still, sein blasses, Gesicht glühte in jungem Leben, und seine Augen sahen mich so schmerzlich und liebevoll an, daß ich zu ihm hinauf wollte; da erlosch das Licht und er verschwand.«

»Ach, Possen!« rief der alte Herr. »Die Geister und Könige sind selten geworden, und ich dächte,« sagte er leise, »wir blieben bei Augen und Gliedern, die nicht verschwinden, wenn der Morgen kommt.«

Sie nahm seinen Arm und sagte, daß sie es versuchen wolle, ob er eine gute Stütze sei, was ihn ganz glücklich machte. So gingen sie Beide voraus, ich folgte mit der Mutter, und diese theilte mir leise ihre Verwunderung über Augustens redselige Fröhlichkeit mit, welche laut durch die Nacht schalte.

»Ich freue mich,« sagte sie, »daß sie unsern würdigen Freund so glücklich zu erheitern weiß, und doch wünschte ich, sie wäre weniger muthwillig mit dem guten, verständigen Mann.«

»Madame,« erwiderte ich, »es gibt so weise Menschen in dieser Welt, so wunderbar organisirte Wesen, daß niemals ein Rechnungsfehler ihnen eine Calkulation verdirbt. Das Gewagteste geräth, sie mögen es bei Tag oder Nacht beschließen; sie hören das Gras wachsen und wissen auf tausend Meilen, wo Cours und Conjuncturen am günstigsten sind. In der Nähe aber geht es ihnen, wie manchen andern scharfsichtigen Geschöpfen, sie können im hellen Sonnenschein nicht sehen, was andern gewöhnlichen Menschen eine Kleinigkeit ist, und stoßen aller Orten und Ecken an. So müssen sie denn operirt werden mit Schaden und Schmerzen, damit sie Gott lassen, was Gottes und dem Könige, was des Königs ist.«

»Haben Sie ihn denn auch gesehen?« fiel sie ängstlich ein. »Das eben beängstigt und betrübt mich. Es ist eine Thorheit, es kann nicht sein. Es ist mein einziges Kind; gütiger Himmel! ich will nur ihr Glück, und will es auch nicht hindern, wenn sie durchaus nicht anders kann. Aber es sind Einbildungen, Phantasien – oder wissen Sie es gewiß?«

»Ich weiß nichts,« sagte ich verwundert. »Was meinen Sie, werthe Frau, was kann ich wissen?«

»Wohin geht es denn dort?« rief die Mutter den Voreilenden zu. »Da drüben steht ja das Haus.«

»Wir gehen nach dem Herthasee,« sagte Auguste, indem wir näher kamen. »Die Nacht ist zu schön für unsere romantische Herzen, um bei der nüchternen Gesellschaft im engen Raume zu sitzen und Albernheiten zu hören.«

»Aber welche Qual und Langeweile für unseren Freund,« erwiderte die Mutter heimlich lächelnd. »Der Herthasee ist ja nichts als eine Entenpfütze, die Burg ein etwas vergrößerter Maulwurfshügel.«

»Nein, nein!« rief der Kaufmann, »ich amüsire mich ungeheuer, ich bin auch ganz romantisch gestimmt. Es ist großartig in der Nacht zu sehen. Der Opferstein mit der Blutrinne liegt in der Mitte des hohen Walls, der kleine schweigsame See davor und die ungeheure Buche – ich weiß zwar nicht, ob die Priester dort tanzten, ehe die Mysterien begannen – aber so viel ist gewiß, es ist ein alter schöner Baum. Kommen Sie nur nach, ich führe Sie, auch sind ein paar Leute mit Fackeln voran und der graue Streif dahinten wird uns bald eine rothe, schöne Sonnenleuchte anstecken.«

Wir gingen nun weiter den Hügel hinab und dann zur Rechten an dem Burgwall der Götter hin. Plötzlich sahen wir die Fackeln und vor uns lag der runde See von Schilf eingefaßt, das sich flüsternd über sein schwarzes Wasser beugte. Schöne Männerstimmen sangen drüben Max Schenkendorf's edles Lied von der Freiheit »Freiheit, die ich meine«, 1813 unter dem Eindruck der Befreiungskriege geschrieben, wurde von Max von Schenkendorf 1815 veröffentlicht. Am bekanntesten ist die Vertonung von Karl August Groos, die 1818 entstand und 1825 im Druck erschien. Das Lied wurde in der Restaurationsära des Biedermeier vor allem idealistisch-innerlich verstanden – »gehalten und innig« lautet die Vortragsangabe zum Erstdruck der Melodie.; die heiligen Töne flogen mit dem rothen Licht über das Wasser hin, ein Geister-, ein Priestergesang unserer Zeit, und der Wald rauschte dazu, die letzten Sterne glänzten hell auf, die alten Sterne der Nacht, die in dem jungen Lichte verblaßten, das ahnungsvoll über den Himmel zog. Da standen wir in dem Grauen an dem Wallthor, und die Männer mit den Fackeln kamen singend heran. Es waren die Studenten vom Dampfschiff. Sie beleuchteten den bemoosten Opferstein und die Rinne, durch welche das Blut so oft geflossen.

»Schlachtbank des Aberglaubens,« rief der Eine, »wann wird die letzte fallen?!« und rings hallte das Echo wider.

Die Morgennebel stiegen aus dem Meere und hüllten uns ein, über dem kleinen See ballten sich sonderbare Gestalten. Hertha's weiße Pferde Hertha ist die Hauptgöttin der alten Germanen. Als germanische Stammgöttin verehrte man sie in heiligen Hainen wie dem auf Rügen, inmitten dessen ihr See liegt. Zur Begehung ihres Kultes fuhren die Priester ihr Bild in einem verdeckten Wagen, vor den zwei junge Kühe (bei Mügge »weiße Pferde«) gespannt waren, durch das Land; alle Arbeit ruhte, das Geräusch der Waffen verstummte, und mit festlichem Pomp wurde überall die Göttin begrüßt und gefeiert. und die Priesterschaar hielten den Umzug, dann rauschte das dunkle Wasser auf und verschlang sie alle.

»Das ist also die Herthaburg,« sagte die Mutter. »Hat man nie die Spur eines Tempels entdeckt?«

»Nichts ist geblieben, als die Sage,« erwiderte ich. »Wo aber konnte die große Mutter Erde besser angebetet werden, als hier an der Grenzmark ihres Reiches. Deutschlands Völker, so sagt man, schickten Boten zu dem Frühlingsfeste, dann fuhr die Göttin dreimal um ihre Burg, und gefangene Krieger, Sklaven, die ihr heiliges Bild gewaschen, wurden dort ihr geopfert und ertränkt.«

Wir starrten Alle hinab zu dem Steine, auf welchem die jungen Männer sich gelagert hatten und singend und jubelnd mit Flaschen und Gläsern klapperten.

»Lassen Sie uns gehen,« rief die Mutter, »es ist ein fürchterlicher Ort. Welche entsetzliche Umkehrung! ein Opferstein wird zur Tafel eines Bacchanals.«

»Welche ewige Gerechtigkeit!« sagte Auguste.

»Wir wollen wenigstens wärmer frühstücken,« meinte der Kaufmann und schüttelte sich; »ich habe das Beste bestellt. Es wird wirklich kalt hier, ein gutes Mahl hat auch seine romantische Seite.«

»Die Sonne geht auf,« sagte Auguste, und wehrte ihn ab.

»Ich denke;« flüsterte er vernehmlich und lächelnd, indem er ihre Hand ergriff, »sie ist mir schon aufgegangen.«

»Dort oben!« rief sie und deutete auf den höchsten Punkt des Burgwalls, indem sie den schmalen Weg hinauflief.

»Und ich folge Ihnen durch's ganze Leben,« schrie er entzückt und stieg hinterher.

»Halten Sie ein!« sagte die alte Dame ängstlich. »Werther Freund, hören Sie mich; Auguste, ich befehle Dir umzukehren. O, eilen Sie nach!« rief sie mir zu, »ich muß es verhüten.«

Ich wußte nicht warum, aber ich lief vorwärts, und traf den keuchenden Herrn, wie er so eben die schmalen Stufen hinaufstieg, die auf den kleinen freien Punkt führen. Auf der letzten Stufe blieb er stehen und schien zur Salzsäule zu erstarren. Ich hörte das Flattern eines Gewandes, einen Schrei des Glücks, und nun erblickte ich zwei Menschen vor mir, die sich fest umarmt hielten und die ganze Welt vergessen hatten. Was sahen sie aber auch davon? Dunkle Baumgipfel wiegten und schwankten unten, das Meer in seiner Tiefe lüftete den blau dämmernden Schimmer, und oben schlug der Himmel die jungen rothen Augen auf und umschloß mit einem glühenden Strahl die Beiden.

Plötzlich hob der Mann das Gesicht auf. Wie er mich erblickte, streckte er mir die Hand entgegen, und überrascht erkannte ich meinen blassen Reisegefährten vom Dampfboot.

»So finden wir uns von Neuem,« sagte er lächelnd, »und hier auf dem hohen Priestersitze feiere ich ein Bündniß der Liebe und Freundschaft.«

»Sagte ich es nicht,« rief Auguste, indem sie ihn zärtlich anblickte, »daß eine büßende, liebebedürftige Seele hier umherseufze, und daß ich sie erlösen müsse? Ja, Eduard, ich habe Dich erlöst und von Neuem gefesselt; nun sollst Du ewig mein Gefangener sein.«

»Und an diesem alten Zauberorte,« erwiderte er, und küßte sie mit Liebesfeuer, schwöre ich zu der neuen Göttin, zu Deinem Dienst!«

»Wie wunderbar!« rief ich, als sie Zeit fanden, mich zu hören.

»Wie natürlich!« sagte Auguste lachend. »Ich sah ihn schon in der Nacht beim Feuerwerk, dann schlich er hinter uns her, und als wir dort standen, stieg er an der steilen Seite hinauf; da dachte ich, es sei Zeit ihn aufzusuchen. Übrigens aber,« flüsterte sie ganz leise, »wußte ich, daß er auf Rügen war, und hatte manche Hoffnung in der Stille mir aufgebaut.«

Bei ihren letzten Worten hörten wir Geräusch, und da stand die Mutter mit unwilligem ernsten Gesicht. Doch Auguste faßte ihre beiden Hände, und wie sie an ihren Lippen hing, sagte sie nichts als:»Mutter, Mutter!« Aber diese kleinen Worte waren von so magischer Wirkung, daß nach einer Minute Alles versöhnt und vergessen war, und die Sonne mit ihrem lieblichen Morgenlicht wol nicht leicht glücklichere Menschen beschienen hat.

Nun erst fragte man nach dem alten Herrn. Der war jedoch verschwunden, und die Mutter schien bekümmert

»O, laß mich nur machen!« rief Auguste, »ich will ihn so lange bitten, bis ich ihn versöhnt habe, und ist auch die eine Spekulation fehlgeschlagen, will ich ihn mit anderen reelleren trösten.«

Wir gingen nun nach dem Hause; aber wir fanden ihn nicht. Ein Wagen mit Gästen war schon fortgefahren.

»Der Herr hat einen leeren Platz darin genommen,« sagte der Wirth, »er läßt sich Ihnen empfehlen und wird Sie in Putbus wiederfinden.«

»Um so besser,« sagte Auguste; »er wird sich trösten, uns verkümmert er den schönen Tag nicht.«

Und es war ein schöner Tag. Ein sonnenvoller Himmel lag auf Rügen, milde Luft und Blüthen umwehten uns. Aber es ist ein altes Sprüchwort, daß verliebte Leute ungenießbarer sind, als Nüsse im August. Sie hörten in Sagard nichts von dem berühmten Wirth und den äußerst merkwürdigen Erklärungen seines noch berühmteren Naturalienkabinets; sie wollten in Bergen den Rugard nicht sehen, und in Putbus, an der Mittagstafel im Salon, blieben sie sogar ganz steif sitzen, als der erlauchte Fürst und seine schöne Gemahlin sich erhoben und alle Welt mit den Stühlen scharrte. Beiläufig gesagt, setzten sich die übrigen auch wieder hin, denn die Berliner Gäste haben sich gegen den früher herrschenden Hofton empört, daß, wenn Sr. Hoheit beliebte die Tafel aufzuheben, alle Welt, die hier aß und ihren Thaler fürs Couvert bezahlte, zum Vergnügen des Restaurateurs, satt sein mußte, par ordre de mufti. Spaziergänge in dem schönen Park des Fürsten, und Theater am Abend in dem hübschen Hause, ein schauerliches Ritter- und Räuberstück, füllten den Rest des Tages. Dann gab es einen Ball, und mitten im Tanze flüsterte mir Auguste zu: sie blieben acht Tage hier, die Mutter hätte den Bitten nachgegeben, und wenn ich ihnen Gesellschaft leisten wollte –

»Mein schönes Fräulein,« sagte ich, tief Athem holend, »ich glaube, daß Sie die zehn Gebote gut gelernt haben, aber man muß auch nicht Eins gelegentlich vergessen.«

»Welches?« sagte sie.

»Das achte!« erwiderte ich.

»So reisen Sie glücklich,« flüsterte sie lachend, »aber in spätestens zwei Monaten tanzen wir wieder; ich mit dem Kranz.«

»Zum letzten Male!« sagte ich

Spät nahm ich Abschied, und glücklicher, als in Stettin, war ich bei guter Zeit am Bord des Dampfschiffes.

»Das nennen sie ein Vergnügen,« sagte eine klägliche Stimme, die einem blassen, kleinen Menschen gehörte »Am Sonnabend seekrank, die Nacht gefahren, um in Stubbenkammer die Sonne aufgehen zu sehen, die gar nicht ordentlich aufging, dann wieder gefahren; und welche Wege, welche Wagen! Die nächste Nacht getanzt, wieder in ein Dampfschiff gepackt und so seekrank nach Haus geschleift. Das nennen sie die Natur genießen!«

Ich wandte mich lachend fort; Unrecht hatte er nicht: es ist zu beklagen, daß noch immer keine Mittel zur bessern Communikation mit Stettin vorhanden sind.

Plötzlich stand ich vor dem Herrn mit der spitzen Nase, die noch spitzer und weißer wurde, als er mich erblickte. Wir hatten ihn in Putbus nicht wieder finden können, er hatte sich gut versteckt gehalten.

»Es war eine amüsante Reise,« sagte ich.

»Ungeheuer amüsant,« rief er, und schielte mich durchbohrend an.

»Freilich,« sagte ich bedauernd, »Ihnen kam sie theuer.«

»Vierzehn Thaler fünf Groschen,« murmelte er; »aber thut nichts, thut gar nichts; ich habe Erfahrungen gemacht, die mehr werth sind, und verachte alle falsche Freunde.«

So ging er fort, indem er mich wegwerfend betrachtete. Fröhlich landeten wir Mittags in Swinemünde, denn die See war glatt, wie ein Spiegel, und alle Fährlichkeiten vergessen.


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