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[Vierter Theil.]
Einige Jahre sind vergangen, als ich zur Jagdzeit das schöne Gut eines Landbesitzers besuchte, welchen ich kurz zuvor zufällig kennen gelernt und einen an sich geringen Dienst erwiesen hatte. Die Einladung erfolgte in der herzlichsten Weise und nie habe ich eine liebenswerthere Familie kennen gelernt. Der Hausherr war lange in Militairdiensten gewesen, er führte den Titel seines frühern oberen Ranges und noch jetzt hatte sein Körper die stolze feste Haltung, seine offenen männlichen Zuge den Ausdruck kriegerischer Kühnheit, der mit besonnenem Ernst und der Würde einer reifen Durchbildung wohlthuend vereint war.
Aus dem tapfern Krieger war nun ein ebenso wackerer Landmann geworden, denn das große Gut mit seinen Vorwerken und Wäldern, die viele Tausend Morgen einnahmen, befand sich in einem seltenen Culturzustande. Es regte sich Alles hier zum strebenden Fleiß und Fortschritt in jedem Zweige dieses weitläufigen Haushaltes, wo die Industrie seines Besitzers lebhaft auch durch den Beistand seiner Gattin unterstützt wurde.
So fein gebildet diese war, so verschmähte sie doch nicht, die ordnende Hand walten zu lassen, wo es Noth that, aber dies entzog sie nicht der edeln Geselligkeit und trat ihrer Neigung zu den schönen Genüssen des Lebens nicht in den Weg. Sie war eine Meisterin auf dem Clavier, sprach die neuen Sprachen der Gesellschaft vollkommen, kannte und liebte die Literatur und zeichnete und malte mit mehr Geschick und Geschmack, als dies sonst bei Damen üblich ist.
Wenigstens that sie das einst, denn mit einem sanft abweisenden Lächeln erklärte sie, daß die Zeit dafür ganz vorüber sei, da andere zeitraubende Künste jetzt geübt werden mußten. Sie umarmte dabei ihre jüngern Kinder, ihre Tochter, die sich an sie schmiegte, und den braunen, trotzigen Knaben, der sich an ihren Nacken klammerte. Zu diesem Bilde mütterlicher Liebe trat nun auch der Vater und mit Augen, die voll Glück und Zärtlichkeit strahlten, umarmte er sie Alle und faßte seinen Liebling, das übermüthige Mädchen, in seine Arme, die ihn mit ihren blonden vollen Locken ganz umschüttelte und bedeckte, bis er sie der Mutter in den Schoos legte.
Wie glücklich sind Sie, rief ich, gerührt von dieser einträchtigen Liebe, wie beneidenswerth ist Ihr Leben! Liebend und geliebt, geehrt, im Wohlstande, von frohen schönen Kindern umgeben – was fehlt hier noch an einem vollkommenen Menschenglück!
Er schlang den Arm um seine Gattin und küßte sie mit wahrhaft jugendlichem Feuer. Ja, meine Lucie, rief er, ich gehöre zu den Glücklichen, die das große Loos des Lebenslottos gezogen haben, und Dank Ihnen, mein Freund, daß Sie mich daran erinnern. Ein Leben ohne die bittere Noth der Armuth oder der ängstlichen Nahrungssorge ist schon eine hohe Vergünstigung auf unserer irdischen Laufbahn, und ich habe vier liebe wohlgesittete Kinder: mein ältester wackerer Sohn auf der Universität, mein zweiter auf der Schule, Alle wachsen und machen mir Freude, und hier meine Lucie, die Krone meines Glücks, für welchen Thron, für welche Schönheit und Jugend würde ich sie aufgeben!
Das schöne stille Gesicht der Dame, die im reiferen Alter noch den Reiz der Jugend behalten hatte, war ganz voll Liebe, und mit ihrer leisen, süßen Stimme sagte sie:
Du sprichst so frevelhaft von unserm Glück, daß ich immer denke, irgend eine böse Macht wird davon aufgeweckt und will es, zerstören.
Das kommt davon, erwiderte er, weil Dir alte Geschichten einfallen, aber der Mensch mag sein Glück wol rühmen; wenn er es im Kampf mit dem Leben errungen hat, dann beleidigt er die Schicksalsmächte nicht.
Sie sahen sich beide lächelnd an und hielten die Hände fest verschlungen, als erinnerten sie sich ferner Zeiten, bis sie endlich ganz still beisammen saßen und die Kinder sich zwischen sie drängten und kletterten.
Wir sprachen nun Manches über der Menschen Glück und Loos und endlich sagte er, mir zuwinkend:
Es fügt und schickt sich oft wunderbar im Leben, und wenn wir nachher den schönen Bau betrachten, fällt es uns gar nicht ein, zu fragen, wie mühsam und oft seltsam und gefährlich die Steine herbeigeschleppt und der Grund gelegt wurde. Da habe ich eine alte Geschichte aufgeschrieben, die sich einst mit Leuten zugetragen hat, welche ich genau kenne und immer sehr viel Antheil an ihrem Schicksal genommen habe. Vielleicht finden Sie auch ein Interesse daran, ich will sie Ihnen geben.
Am Abend steckte er mir wirklich eine kleine Rolle Papier heimlich in die Hand und flüsterte: Meine Frau darf es nicht sehen, sie hat mich gescholten und hat ihre Gründe dafür, aber lesen Sie, so viel Ihnen gefällt; und ich setzte mich nicht ohne Neugier in meinem Zimmer nieder und las das Folgende:
* * *
Im Frühjahr 1812 hielt ein Regiment des Rheinbundes eine Küstenstrecke der Nordsee besetzt und befand sich wohl dabei; denn während die gewaltigen Heeresmassen nah und fern vorüber dem Norden zuzogen, wo bald der große unglückliche Entscheidungskampf begann, hatten diese Soldaten einen leichten Dienst zu erfüllen und schwelgten an den gastlichen Tafeln ihrer Wirthe.
Keinem aber war das Glück günstiger gewesen, als einem jungen Hauptmann, welcher mit seiner Schar den Landsitz eines Edelmanns und die Höfe seiner Pächter besetzt hielt. Das Schloß des Barons, wie es allgemein genannt wurde, lag auf einer Erhöhung, welche trotz ihrer Unbedeutendheit doch dies weite Flachland beherrschte.
Ganz in der Ferne konnte man die Thürme einer großen Handelsstadt sehen, zur Linken dehnten sich Waldketten aus, die in mannichfachen Gewinden einen Höhenzug begleiteten, und näher heran lagen fruchtbare Felder, eingepolderte Wiesen, Obstgärten und viele zerstreute Meierhöfe, die mit ihren rothen Dächern und den kleinen befahnten Thürmchen darauf romantisch genug zwischen blühenden Hecken und Bäumen hervorschauten.
Von der Vortreppe des Landhauses aber sah man über die schimmernden Dünen fort in eine blaue unermeßliche Ferne, die abendlich von den rothen Sonnenstrahlen überglüht und von Segeln, wie von großen weißen Vögeln durchzogen, einen wunderbar herrlichen Anblick gewährte. Es war das Meer, dessen dumpfes Brausen oft bis ins Schloß drang, und obwol es fast eine Stunde entfernt war, schien es, über die Wipfel der alten Eichen und Buchen gesehen, als könne man die Hand hineintauchen.
Ein solcher Sonnenuntergang vereinte einst die Familie des Barons mit ihrem Gaste, der soeben ermüdet von einer Jagdpartie auf die zahllosen Scharen von wildem Geflügel zurückgekehrt war, das in diesen Marschgegenden alle die tiefen Weiher und Teiche dicht bedeckte. Der Capitain war ein höflicher junger Mann, dessen kriegerischer Anstand ganz zu seinem kräftigen Gliederbau paßte. Sein männlich gebräuntes Gesicht unterstützte seine Erzählungen von den blutigen Schlachten und Abenteuern, welchen er mit dem Regiment in Spanien beigewohnt, und dies Alles, wie seine ritterliche Sitte hatten ihn der Familie schneller nahe geführt, als es sonst wol der Fall gewesen wäre.
Als der Capitain die Terrasse heraufstieg, fand er den Baron allein. Der alte würdige Herr blickte gedankenvoll in die Sonnenscheibe, welche strahlenlos, roth und groß auf der Meerfläche zu ruhen schien. Sein stilles, mildes Gesicht war von dem Abendschein angehaucht; er stützte es in seine Hände und ließ sich dann und wann von einer ungeheuern Wolke aus seiner Pfeife ganz einhüllen. Unten im Park aber leuchteten die weißen Gewänder der Damen und der junge Offizier war soeben im Begriff, einen schweigenden Rückzug anzutreten, um den gefährlichern Feind muthig aufzusuchen, als der Baron in Folge eines Geräusches ihn erblickte.
Er reichte ihm die Hand, fragte nach dem Erfolg seiner Jagd und bat ihn, Platz zu nehmen, indem er lächelnd sagte, daß das leichtfüßige Wild, welches dort unten in den grünen Gehegen umherschwärme, nach einigen Minuten wol von selbst herbeikommen werde.
Sie sind fröhlich wie die sorglose Jugend, erwiderte der Capitain; aber fast scheint es mir, als machten Sie, mein bester Baron, heute ein besonders ernsthaftes Gesicht.
Sie haben mich, entgegnete der alte Herr, in einem jener Augenblicke überrascht, wo wir, von der Größe und der Gewalt der Natur ergriffen, eine schwermüthige Abrechnung mit uns selbst halten. Wie ich die Sonne so strahlen- und kraftlos ins Meer stürzen sehe, scheint es mir ein Bild meines eigenen Lebens. Ich wandelte meine Wege noch einmal, ich rechnete mein Glück zusammen und die Summe meiner Leiden und Thorheiten; ich verlor mich in tausend Betrachtungen und seufzte über die Unzulänglichkeit eines Daseins, das dem Greise am Rande seiner Tage wie ein flüchtiger Sommerfaden vorkommt, der an der Spitze eines Grashalms schwebt und vom ersten Windstoß in die Unendlichkeit der Vernichtung gerissen wird.
Sie sagen das, versetzte der Capitain lächelnd, Sie, ein Mann, der bis zum hohen Alter ein reines und schönes Menschenglück genoß? Wie soll dann ein armer Teufel sprechen, der vielleicht heut noch sterben muß, ohne die besten irdischen Güter je gekannt zu haben?
Dann vermißt er sie auch nicht, erwiderte der alte Herr, und, lieber junger Freund, glauben Sie mir, es ist auf Erden kein Glück rein, kein Gut ohne Sorge, keine Freude ohne ein Gefolge von Schmerzen, die als Zwillingsbrüder zusammen geboren werden. Ei ja, fuhr er lebhafter fort, nehmen Sie nur immer mein Leben als einen Maßstab des besten und Sie werden bald finden, wie es mit der Vollkommenheit beschaffen ist. Ich bin von der Wiege an vor vielen Menschen bevorzugt gewesen. Ich erbte ein schönes Vermögen; die Natur hatte mich mit einem wohlgestalteten, kräftigen Körper und der Himmel mit so vielem Verstande versehen, als nöthig war, mein Gut zu mehren und mir Achtung und Liebe zu erwerben. Ohne mich in die Unruhe der Welt zu stürzen, lernte ich alles kennen, was die Menschen anbeten, dann heirathete ich ein kluges, schönes Weib, ward so glücklich, wie man sein kann, und selbst im höhern Alter wurde ich noch vom Schicksal begünstigt, einen neuen Bund zu schließen, der ein edles geliebtes Wesen zu meiner Lebensgefährtin machte.
Und dennoch sind Sie nicht zufrieden? sagte der Capitain.
Ich habe Ihnen die Schattenseite nicht gezeigt, erwiderte der Baron. Mein Leben war unruhig; manche böse Zeit ängstigte uns; schwere Verluste trafen mich in meinem Vermögen, und was habe ich gelitten, als ich mein bestes Theil am Dasein, meine theuere Caroline, zu Grabe tragen mußte und mit zwei geliebten Kindern zweimal starb. Ja, sagte er, in sich gekehrt und leise seufzend, ich bin noch glücklicher als viele Andere; mir sind noch zwei geblieben, aber wie viele ängstliche Sorge bereiten sie mir. Vor Rudolf, meinem Sohn, muß ich in diesen schweren Zeiten doppelt fürchten, daß sein trotziger Sinn mich zum unglücklichsten Vater macht, und Lucie – er seufzte kummervoll und schwieg.
Fräulein Lucie, erwiderte der Capitain feurig, ist ein so großer Schatz von irdischem Glück, daß durch sie allein viele Leiden vergütet werden können. Nie ist mir so viel Schönheit, Güte und Liebenswürdigkeit mit so vielem Talent vereint erschienen. Welche Meisterschaft in der Musik, wie kunstvoll als Malerin, wie unerschöpflich an zarten und tiefen Gedanken.
Und Alles, Alles wollte ich hinwerfen, rief der Baron heftig bewegt, konnte ich diesem geliebten theuern Kinde das Einzige verschaffen, was eine grausame Macht ihm versagt hat. O! mein junger Freund, Sie kennen nicht die Angst eines Vaters, wenn er sein Kind leiden sieht; Sie wissen nicht, wie man einsam klagt, wie das Herz sich ganz voll Liebe und Erbarmen füllt, die über das unschuldige Wesen ausströmen wollen, das von der Natur verfolgt wird. … Ja, Sie haben Recht, sie ist eine himmlische Erscheinung, ganz Schönheit, ganz Güte und durchgeistigt von dem edelsten Leben; aber ach! ihr fehlt, was der Elendeste besitzt, was die Welt allein belebt, was dem Thier nicht versagt wurde, was sogar Wolke und Wind, Baum und Halm empfangen haben.
Der Capitain wagte keine Antwort auf diesen tiefen Vaterschmerz, und als er den Trost gefunden hatte, durfte er ihn nicht aussprechen, denn die Baronin, eine noch junge, lebendige und anmuthige Dame, kam lachend und scherzend, in Begleitung einer Verwandtin, die in der Familie lebte, aus dem Park herauf und rief schon von weitem dem jungen Offizier zu, daß sie käme, um lustige Jagdgeschichten zu hören.
Die Geschichten hier zu Lande, erwiderte dieser, sind in der That fast nie lustig, aber dennoch habe ich heute ein Abenteuer erlebt, das Sie vielleicht interessirt.
Fangen Sie an, sprach die schöne Frau, aber ich bitte, Capitain Gersheim, schmücken Sie Ihre Helden nicht allzu jagdmäßig aus.
Sie wissen, sagte der Capitain lächelnd, daß ich heute mit Baron Rudolf meine Jagd begann; bald aber sah ich mich von ihm verlassen und weiß in diesem Augenblicke noch nicht genau, was aus ihm geworden ist. Seine Hunde trennten sich auch von mir, sobald ich sie von der Leine ließ, und spürten ihrem Herrn durch unwegsames Bruchland nach, das ich nicht ohne Furcht und Vorsicht zu betreten wagte; denn der Boden rund umher zitterte und schwankte unter meinen Tritten, verrätherisch sproßten Schilfhalme zwischen dem dunkeln Moos auf und zuweilen versank mein Fuß in den aufquellenden Sumpf. Ich weiß aber, daß es hier ein Leichtes ist, vielleicht hundert Klafter tief hinabzufahren, um bis zum Auferstehungstage dort zu ruhen, und mitten in meinen Betrachtungen fiel mir ein, daß man vor wenigen Monaten hier in der Nähe tief im Torfe einen Mann gefunden hatte, der viele Hundert Jahre so gelegen haben mußte und nun als Mumie gezeigt wird. Dies schien mir ein so schändliches Schicksal, daß ich mehr Furcht davor empfand als vor den Schrecken der Schlachten.
Ich beschloß umzukehren, aber ich war zu weit gegangen; der elastische Boden hatte meine Schritte längst vertilgt; ein Versuch, durch das Schilf zu kommen, misglückte, ich brach ein, entging mit Mühe dem Schicksal, das ich vermeiden wollte, und stand nun lange auf einem erhöhten festern Punkte: rufend, fluchend, mein Gewehr abschießend und aufhorchend, ob keine Menschenstimme mir antworte. Aber nur die Rohrsperlinge stürzten blitzschnell mit ihrem höhnischen hellen Geschrei bei mir vorüber, das meine Thorheit verspottete; der scharfe Ton der Wasserhühner ließ sich rund aus dem Röhricht hören und eine Wolke von Federwild verschiedener Art stieg nach meinen Schüssen aus den Weihern auf.
Als ich scharf umherblickte, glaubte ich vor mir in den niedergetretenen Halmen eine Wegspur zu entdecken und mit verzweiflungsvollem Entschluß verfolgte ich diese Bahn. Es ging allerdings besser als ich dachte, aber ein Weg war es nicht. Immer tiefer gerieth ich in das Gewirr von Moor und kleinen Seen, das sich bis an die Hügelkette und zum Meere hinzieht; und um mein Unglück voll zu machen, bemerkte ich, daß ich den kleinen Vorrath meiner Patronen verloren hatte.
Ihr Abenteuer, sagte der Baron, hätte auch ohne dies tragisch genug enden können, da jährlich selbst Eingeborene in diesen Sümpfen auf immer verschwinden und die allergenaueste Kenntniß dazu gehört, sie so zu durchkreuzen, wie Sie es thaten.
Es ist ein alter frommer Spruch, erwiderte der Capitain, daß Gott mit dem Muthigen ist. Mit der Gefahr wächst die elastische Kraft, sie zu bekämpfen; ich empfahl dem Herrn meine Seele, und als ich sah, daß ich zwei, drei gefährliche Stellen glücklich passirt hatte, stellte sich die Hoffnung des Soldaten bei mir ein, welche manche tödtliche Stunde überdauerte, daß ich nämlich auch diesmal glücklich davonkommen würde.
Ich machte nun an den Weihern Halt, beobachtete die stillen Wasser, die wimmelnden Vogelscharen, welche diese bedeckten und so sicher vor aller Gefahr waren, daß sie mich gar nicht bemerkten. Dann ging ich langsam weiter immer in einer Richtung den fernen Waldhügeln zu und stand plötzlich still, als menschliche Stimmen mir ganz nahe laut wurden. Im ersten Augenblick wollte ich antworten und um Hülfe bitten, denn eben jetzt sank ich bis an den Leib fast in Wasser und Schlamm; in der nächsten Minute aber war ich heraus und stand auf einem festen Rande von Erde, der ein Becken bildete, das einen klaren, schönen Wasserspiegel enthielt.
Ich konnte es übersehen, es war eirund, als wäre es von Menschenhand abgestochen, mehrere Hundert Schritte lang und breit, von hohem Rohr eingefaßt, in welchem der Wind rauschte, und von einzelnen Sumpfweiden umgeben, die träumerisch hingebeugt über die Wasser ihre biegsamen, zahllosen grünen Finger hineintauchten. Am Himmel oben segelten glänzend weiße Wolken langsam hin, die Frühlingssonne zog den Duft aus dem frischen Waldgrün und den tausend schönen Wasserpflanzen und führte ihn über das ganze Land; dazu summten bunte Käfer und Vögel, die Lilien hatten ihre zarten Kelche zwischen dem großen Geblätter geöffnet und gelbe, liebliche Wasserblumen tauchten und schwankten nixenartig zwischen den kleinen Wellen auf und ab.
Wie ich aber mit meinem Gewehr das Rohr zur Seite bog, blieb ich ganz starr vor Erstaunen; denn was ich sah, war so sonderbar, daß ich meinte, es sei aus mir eine Art Robinson geworden, und ich habe nach überstandenem Schiffbruch eine jener glücklichen Inseln entdeckt, zu welchen der Mensch mit seiner Qual noch nicht gedrungen ist. Ein kleiner Nachen schwamm auf dem Wasser, aus einem gehöhlten Baumstamm gemacht, und wie in dem alten Bilde, wo Saturn den Liebesgott durch das Zeitmeer steuert, war auch hier ein sonderbar alter Kerl der Fährmann, welcher ein liebliches Wesen durch diesen See der Vergessenheit führte.
Ich wußte nicht, wohin ich mein Auge richten sollte. Der alte Mensch im Kittel, mit langem Bart und schneeweißem Haar, das auf seine Schultern herabfiel, war kaum weniger merkwürdig als das schöne Mädchen in der Spitze des kleinen Fahrzeuges. Ihr weißes Gewand glänzte in der Sonne, ihre reichen blonden Locken flatterten im Winde und auf der Stirn trug sie einen Kranz von Schilf und schönen Wasserblumen, der ihr ein wunderbar feenhaftes Ansehen gab. Auch ihre süße klingende Stimme hatte etwas Uebernatürliches, denn sie bezauberte alle die wilden flüchtigen Geschöpfe damit, welche das Wasser bedeckten, und schien sie zu zwingen, ihrer Herrscherin zu folgen, denn eine dichte Schar von Enten, Tauchern, Hühnern und Wassertauben folgte dem Fahrzeuge nach.
Sie sprach auch mit den Thieren vielerlei und schien sich mit ihnen zu unterhalten, indem sie dann und wann ihnen Brotstückchen hinstreute und die Hand nach ihnen ausstreckte.
Arme Geschöpfe, sagte sie, als der Nachen bei mir am Rohre hinfuhr, kommt alle zu mir, ich will euch schützen und lieben. O! wie herrlich ist es, beflügelt durch die ganze Welt zu schweifen, und ihr habt doch keinen Ort, weit und breit, wo ihr sicher wäret vor der Mordsucht der Menschen.
Der alte Kerl lachte dazu.
Oho! sagte er, was ist denn der Mensch an Mordsucht und Grausamkeit gegen seinen Gott? Wo thäte ein Mensch wol solche Dinge, wie der Schöpfer es seinen Wesen befohlen hat, wie die Schlupfwespe da zum Beispiel, die auf dem Weidenbaume die Raupe sucht, um ein Ei in ihren Rücken zu legen, welches das arme Thier dann langsam zerfrißt. Die Welt ist hart und grausam überall! Eins frißt das Andere auf und Gevatter Tod frißt Alles. Diese Vögel hier, fressen sie nicht viele tausend Fische und Insekten ohne einen einzigen Gewissensbiß? Was hält mich ab, daß ich nicht den Schalten nehme und das ganze gefräßige Gesindel todtschlage.
Thue es, sprach sie, als er das Ruder faßte; aber Du kannst es nicht.
Es wäre gerecht, erwiderte er, und ich hätte manch schönes Abendbrot, aber Ihr wißt es wol, ich kann es nicht. Sie kennen mich und vertrauen mir, da kann ich sie nicht betrügen. Hier habe ich nun wol dreißig Jahre mit ihnen gehaust. Manche ziehen fort, wenn der Winter kommt, und ich gebe ihnen bunte Fäden und Schilder mit frommen Sprüchen, als Gotteshülfe, mit auf die Reise; andere kommen heran und verlangen Schutz von mir, wenn Alles sie verlassen hat. Ich reiche ihnen, was ich habe; ich helfe ihnen, wie ich kann, und aus Dankbarkeit bringen sie mir dann ihre Kinderscharen und schreien mir die Ohren voll.
Siehst Du wol, sagte sie lachend und drohend, Du bist weit besser als Deine Reden, und der Mensch kann auch besser sein, als Gott, wenigstens als Dein Gott ist. Fahre weiter, guter Entenkönig!
Nun seid Ihr, schöne Prinzessin, aber auch dazu gekommen, fuhr der Alte fort, und habt Euch, wie eine schlimme Nixe, in mein Leben gedrängt. Ihr habt mir meine Ruhe genommen, Ihr und Euer Vater, der schwarze Fürst im Walde, und andere, die die Welt verschlingen möchten und allerlei verdammte Pläne aushecken, bei denen sie mich, wie ihren Knecht, brauchen. Aber das nicht allein; Ihr habt mir auch die Liebe meiner Unterthanen gestohlen, denn sie lieben Euch mehr als mich, und das alles muß ich sehen und muß Euch auf diesem Hexensee herumfahren und Ihr singt mir nicht einmal ein Liedchen dafür.
Da fing sie leise an zu singen und der alte Mann legte das Ruder fort und hörte andächtig entzückt auf die hellen Friedenstöne, welche lieblich auch bis zu mir drangen. Der Nachen glitt in der Strömung fort, wie von Geisterhand gezogen, und hinterher schwammen die Vögel ganz still, als wollten sie die Sängerin nicht stören. Endlich verschollen die Töne, ich sah das Fahrzeug in eine Rohrbucht einlaufen und ging festen Schrittes darauf zu.
Als ich nahe war, bellte ein Hund, ein kleiner dreibeiniger schwarzer Spitz, der hinter dem Rohr hervorsprang und sich schnell wieder zurückzog. Dann sah ich auf einem etwas höhern Platz eine Erdhütte, mit Schilf bedeckt, in der Bucht daneben lag der kleine Kahn, mit Blumen halb angefüllt, aber Niemand ließ sich blicken. Ich rief lauter und lauter, endlich trat ich in die Hütte und durchsuchte sie; es war aber nichts darin als ein ärmliches Lager und einige geringe Vorräthe. Nur zu gewiß war es, daß die Bewohner, als sie mich kommen hörten, in irgend einen Schlupfwinkel sich versteckten, und wie sollte ich nun den Rückweg finden, wie meine Neugier befriedigen, die aufs Höchste gestiegen war?
Als ich wieder heraustrat, saß der kleine Spitz an der Thür. Er sah mich mit seinen schwarzen Augen an, die unter den Zotteln auf seiner Stirn hervorfunkelten, wedelte freundlich und reichte mir sein einziges weißes Pfötchen, wie zum Grusse. Ich streichelte seinen Rücken, er ließ es geschehen; dann bellte er ganz leise und knurrte, indem er mich an mein Kleid faßte.
Plötzlich fiel mir ein Gedanke ein.
Willst du mich zu deinem Herrn führen? sagte ich.
Das kleine Geschöpf verdoppelte seinen Eifer, dann lief er einige Schritte, kehrte um, setzte sich vor mich hin und bellte von Neuem.
Nun, so komm! sagte ich, und sogleich sprang er voran und war trotz seines lahmen Fußes schnell zwischen dem Rohricht, wo er den Kopf heraussteckte, um zu sehen, ob ich auch folge.
Mit jedem Schritte aber wuchs mein Vertrauen zu dem wunderlichen Führer, der bald dicht vor mir blieb, wenn die Sumpfdecke unter uns schwankte, bald schneller lief, wenn der Grund fester wurde. Dann und wann bellte er in kurzen hellen Sätzen, und ich bin überzeugt, daß der Schelm damit seinem Herrn Signale gab.
So führte er mich in zahllosen Windungen durch die Sümpfe fort, während mein Verlangen immer höher stieg, die schöne Prinzessin wiederzufinden, die Bekanntschaft des Entenkönigs, ihres unterthänigen Knechts, und ihres erlauchten Vaters, des schwarzen Waldfürsten, zu machen.
Endlich traten wir aus dem Schilfe hervor und waren auf einer Wiesenfläche, wo alte Elsenbäume Hier wohl, nach dem Standort und den »gewaltigen Stubben« zu schließen, nicht die Elsbeere, aus der Gattung der Mehlbeeren, sondern die Erle (lat. Alnus), aus der Familie der Birkengewächse, im deutschsprachigen Raum auch als ›Eller‹ oder ›Else‹ geläufig. abgehauen waren, deren gewaltige Stubben aus dem Sumpfe ragten, so daß man gut von einem zum andern springen konnte. Mein verzauberter Beschützer lud mich sichtlich ein, diesen Versuch zu machen; er sprang über zwei oder drei der Wurzeln, kehrte dann zurück und bellte anhaltend und freudig.
Gut, gut! sagte ich, dort also liegt das Feenschloß, und ohne Aufenthalt begann ich meinen Weg, der beschwerlich genug war, denn ich mußte alle mögliche Kreuzsprünge machen, um vorwärts zu kommen. Erst nach einer Weile sah ich mich um und gerieth in gewaltigen Aerger, denn der kleine listige Patron hatte mich betrogen; er war fort, für immer verschwunden.
Ganz fern im Sumpfe hörte ich endlich sein Bellen, das mir wie Spott vorkam. Vergebens war mein Pfeifen und Rufen, es blieb nichts übrig, als weiter zu springen, und als ich nun auf festen Boden gelangt war, kam mir Alles um so romantischer und zauberischer, ja fast wie ein Traum vor.
Aus meinem Sinnen wurde ich durch das Rauschen des Meeres geweckt. Ich ging durch einen Waldstreif und befand mich hinter den Dünen. Als ich hinaufstieg, sah ich, daß ich mich wenigstens drei Stunden vom Schlosse befand, denn ich war am Eingange der großen Seebucht, wo jenseits der Wald auf schönen Hügeln und Vorgebirgen über das Meer hinaushängt und ein Gewirr von Schluchten, schwarzen Föhren und leuchtenden nackten Dünenwänden einen wahrhaft pittoresken Anblick gewährt.
Und Rudolf, sagte die Baronin hastig, wo war Rudolf?
Ich weiß es nicht, erwiderte der Capitain, Sie können aber denken, daß ich nicht in der besten Stimmung auf meinen ungetreuen Kameraden war; indeß glaube ich fast, ich sah ihn, denn als ich an der Bucht stand und hinüberblickte, gingen drei Gestalten über die Vorhügel, wo die alten einsamen Buchen stehen. Es war ein Weib im weißen, flatternden Kleide und zwei Männer, von Hunden begleitet. Ich bildete mir ein, es sei meine Prinzessin und ward um so zorniger, aber sie ließen mir nicht Zeit, Entschlüsse zu fassen, denn sie verschwanden zwischen den Waldsenkungen.
Sonderbar, sehr sonderbar! sagte die Baronin sinnend.
Aber sagen Sie mir, verehrte Frau, rief Gersheim eifrig, wer kann meine Unbekannte sein? Welche Feen und Zauberer bewohnen diese unwegsamen Sümpfe?
Der Baron schien auch mit Antheil die Erzählung gehört zu haben und es kam dem Capitain vor, als wechsle er einige Male bedeutsame Blicke mit seiner Gemahlin. Nun aber lachte er und sagte:
Wenn Sie nicht so lebhaft selbst gegen allen Traum protestirt hätten, so würde ich denken, der müde Jägersmann hätte unter irgend einem alten Wunderbaume, deren es hier manche gibt, sich von der Waldfeien bethören lassen. Eine Prinzessin, ein Entenkönig! was sind das für unerhörte Geschichten in diesem armen Lande.
Er lachte laut und die Damen stimmten so herzlich ein, daß der Capitain fast ernsthaft sagte, er verpfände sein Wort, daß er das Alles erlebt habe.
Merkwürdig ist es freilich, fügte er dann hinzu; wir bewachen die Küste so genau, ich bin immer umher auf der Straße, wäre mir nur einmal der alte Kerl vorgekommen, der sich doch rühmt, dreißig Jahre hier umherzuwandeln, ich würde ihn augenblicklich wiedererkannt haben. Sie aber müßten ihn doch gewiß kennen, und nun gar die Prinzessin mit den langen blonden Locken, die ist unter Tausenden herauszufinden!
Da irren Sie, erwiderte der Baron kaltblütig. Alle Pachtermädchen haben hier gelbes Haar und viele tragen wol auch weiße Kleider; überdies aber gibt es manchen alten Vagabond und Bettler in der Gegend, der seine Torfhütte in Winterszeit haben mag, um wie ein Dachs im Bau zu liegen.
Und nehmen Sie nun dazu die nöthige Portion Phantasie, fiel die Baronin schalkhaft ein, so ist die Prinzessin und der Entenkönig fertig.
Da kommt Rudolf, rief die arbeitsame Verwandte und hörte auf zu stricken. Vielleicht weiß der etwas mehr davon.
In dem Augenblicke erschienen zwei weiße schöne Hunde auf der Terrasse und fielen mit ihren ungeschickten Freudensprüngen über die Gesellschaft her; dicht hinter ihnen aber war ein großer junger Mann im Jagdkleide, und Hand in Hand mit ihm kam ein schönes Mädchen, das seine Mütze mit der Adlerfeder auf die dunkeln Locken gedrückt und seine Doppelflinte über die Schulter gehängt hatte.
Wie die zarte Gestalt so keck und anmuthig heranschritt, war es unmöglich, sie ohne Huldigung zu betrachten, denn schwerlich konnte man eine lieblichere Erscheinung denken. Ihr Körper war so vollendet in allen seinen Verhältnissen, kräftig und wellig schön und voll, das Gesicht so fein geformt, die Farbe rosig angehaucht, die Lippen mit den schimmernden weißen gleichen Zahnreihen so lächelnd gebildet und tiefblaue glänzende Augen standen groß und klar, gleich Sonnen, darüber, daß man wie in einem schönen Buche darin zu lesen meinte.
Der junge Baron aber rief schon von weitem:
Da ist der Capitain! Ich freue mich, Sie zu sehen, Herr Gersheim, und bitte um Entschuldigung, daß ich Sie verlassen habe. Ich entfernte mich von Ihnen und ging nach der Mühle hinab, weil ich dort einen Menschen sah, den ich sprechen wolle. Man hielt mich auf und als ich zurückkam, suchte ich Sie vergebens. Ich hörte Sie schießen, da ich aber nichts weiter vernahm, glaubte ich Sie auf dem Rückwege und machte nun noch einige Geschäfte in der Nähe ab.
So unvollkommen diese Entschuldigung war, wurde sie dennoch mit dem Anschein der Wahrheit gegeben. Der Capitain schien auch ganz damit zufrieden, er schüttelte die dargebotene Hand; seine lächelnden Blicke hingen indeß an dem schönen Mädchen, das aufmerksam die Erzählung anhörte, welche die Baronin von dem Abenteuer des Capitains gab. Ihr Gesicht drückte dabei eine merkwürdige Theilnahme und Beweglichkeit der Empfindungen aus.
Anfangs lächelte sie, dann sah sie ängstlich auf Gersheim, dann blickte sie Rudolf fragend an und schien in seinen Zügen lesen zu wollen, bis sie immer heiterer wurde zuletzt leise lachte, ihre Locken schnell um die Finger wickelte, den Kopf schüttelte und ihren Bruder schalkhaft zu bedrohen schien, dem sie eine Reihe blitzschnell gegebener Zeichen machte.
Lucie macht mir Vorwürfe, sagte Rudolf, und meint, daß ich vielleicht etwas über diese fürstlichen Personen wissen möge, aber ich kann versichern, daß ich nichts davon begreife. In dem Einen aber hat sie Recht und ich erkenne meine Schuld, denn sicher sind Sie großen Gefahren nur zufällig entgangen. Im Uebrigen muß ich meines Vaters Ansicht beistimmen. Einzelne vagabondirende Menschen haben immer dort Zuflucht gesucht und jetzt mag dies zuweilen mehr als je der Fall sein.
Warum jetzt? fragte Gersheim zerstreut.
Beantworten die Zeitumstände nicht genugsam Ihre Frage? Die Auflösung alter Verhältnisse, der Krieg, dies Küstenland, die Conscription, Alles wirkt wol ein, um Verfolgte in Schlupfwinkel zu jagen, und Sie, Capitain, wissen ja selbst, welche Noth der große Kaiser und seine Beamten mit ihren störrigen deutschen Unterthanen haben.
Wir wollen den alten Streit nicht aufs Neue beginnen, erwiderte Gersheim lächelnd. Sie denken von allen diesen ungeheuern Umwälzungen, wie Männer denken, welche davon hart betroffen wurden. Auch ich bin ein Deutscher, aber ich bin Soldat und verehre das Genie des wunderbaren Helden, der unerreicht über die Erde geht, dessen Stern noch nie erblich.
Der Nationen zum Schemel seiner Füße macht und für seinen Ruhm schlachtet, sagte Rudolf. Der die guten getreuen Deutschen nach Spanien und nach Rußland führt und seine Brüder und Vettern, wie sich selbst, mit den besten Fetzen des alten Kaisermantels bedeckt.
Lieber Freund, erwiderte der Capitain lächelnd, dieser alte Mantel war schon lange vorher ein wahrer Bettelrock geworden, von tausend Lappen zusammengeflickt. Was man auch sagen mag, wie gerecht und schwer viele Klagen sind, die ein besiegtes Volk gegen seinen Sieger zu machen hat, man darf nicht vergessen, was man verschuldete; und wie auch der Haß selbst das Gute verkennt, das man empfing, die Nachwelt wird billiger darüber richten.
Welches Gute? erwiderte der junge Baron spöttisch. Ich habe soeben einer Scene beigewohnt, wo man den Sohn aus den Armen seiner Eltern riß, um auf fernen Schlachtfeldern zu sterben, meinen Sie das? Oder glauben Sie, daß man es einst rühmen werde, wie man uns Sprache, Sitte, Gesetz und Eigenthum raubte; wie man wackere Männer zu Hunderten in Schande und Elend jagte, sie zu Dingen trieb, die man Verbrechen nannte; wie man unsern Wohlstand zerstört, unsern Handel vernichtet, uns zu Sklaven des unnahbaren Willens eines Mannes, eines Heroen, wie Sie sagen, gemacht hat?
Aber hat denn jener Heros nicht mehr gethan? erwiderte der Capitain. Und wenn er nur das eine Unglaubliche vollbracht hätte, die mehr als dreihundert kleinen Staaten, aus welchen unser unglückliches Vaterland bestand, bis auf siebenzehn zu vernichten, werden ihn die Enkel nicht darum schon einer Ehrensäule würdig halten? Aber er that mehr als das: er zermalmte mit seinen großen Sporenstiefeln, in deren blutigen Rädern immer noch genug revolutionaire Kraft vorhanden ist, die hunderttausend Vorurtheile der Geburt, des Herkommens, der Zwangsherrschaft des mittelalterlichen Unsinns. Er hat die Ketten zerbrochen und unsere Herren gezwungen, andere Saiten aufzuspannen, dem Menschen seinen Werth verschafft und Licht in dem deutschen Urwald, in dem alten faulen verdumpften Traumleben angesteckt. Ja, ich selbst bin ein Beispiel davon. Nicht meine Geburt, mein Degen hat mich zu dem gemacht, was ich bin, und was ich werden kann, verdanke ich ihm allein.
Dem alten Baron war dies streitende Gespräch, das sich im Schlosse oft wiederholte, sichtlich unangenehm. So gewiß er überzeugt war, daß sein Gast niemals ihm Schaden zufügen und sein Sohn einen gewissen Punkt nie überschreiten werde, so war doch der Gegenstand viel zu gefährlicher Art, um nicht alle Berührung zu vermeiden. Es war ihm daher ganz angenehm, als eine Unterbrechung erfolgte, welche Rudolf's Antwort abschnitt, denn plötzlich hörte man auf der Landstraße den Galopp mehrerer Pferde und laut rufende Stimmen.
Was gibt es da? rief der Capitain und stand schnell auf, als zu gleicher Zeit fast ein Diener herankam, dem ein Gensdarm auf dem Fuße folgte.
Mein Capitain, sagte der Kriegsmann, wir bedürfen Ihrer Hülfe. Man verachtet das Gesetz und den Willen des Kaisers. Wir hatten Befehl, uns des Sohnes eines Müllers zu bemächtigen, der der Conscription sich schon zweimal entzogen hatte. Wir fanden ihn glücklich, aber das Geschrei des alten Weibes, seiner Mutter, lockte eine Menge Menschen herbei, die Drohungen gegen uns ausstießen. Plötzlich erschien ein großer junger Mann, dem sie alle eine gewisse Ehrfurcht zollten, und ich sagte zu ihm:
Im Namen des Kaisers, mein Herr, befehlen Sie diesen Leuten, das Gesetz zu achten!
Der Herr ging darauf hinaus und sprach mit den Schelmen, die sich nun murrend und drohend entfernten; dann kam er zurück und sagte:
Sie haben gehorcht, aber ich traue ihnen nicht. Wenn ich Ihnen rathen soll, so bleiben Sie hier mit Ihrem Gefangenen, ich will den Commandeur der Strandwache von Ihrer mislichen Lage benachrichtigen.
Er ging, aber er kehrte nicht zurück, und zuletzt mußten wir uns doch zum Abzug entschließen.
Hier hob der Brigadier den Kopf auf und erkannte Rudolf, der ihm ganz nahe getreten war.
Wahrhaftig! das ist der Herr, rief er verwundert.
Allerdings, erwiderte der junge Baron, und der Capitain kann bezeugen, wie vergebens ich ihn stundenlang gesucht habe; bis ich glaubte, daß nun doch alle Hülfe zu spät komme.
Nein, mein Herr, sagte der Gensdarme, wir warteten leider zu lange. Erst als die Dunkelheit hereinbrach, zogen wir ab, den Gefangenen gebunden zwischen unsern Pferden und die heulende Hexe hinter uns drein. Eine Stunde lang ging Alles gut; das alte Weib war auch still geworden, denn wir gaben den Pferden die Sporen, ließen sie weit hinter uns zurück und sprachen dem Burschen Muth ein, der auch lustiger wurde, als die Stimme seiner Mutter nach und nach verscholl. Wir waren nun bei zwei kleinen Hügeln, zwischen denen ein Hohlweg durchführt, mit Ginsterbüschen und Haselnußstauden ist er dicht bewachsen, und wie wir recht in der Mitte sind, fällt ein Schuß hier, ein Schuß da. Ein wildes Geschrei erhebt sich, wol ein Dutzend Kerle springen auf beiden Seiten herab, ihre schrecklichen Prügel in den Fäusten, und ehe wir Beide, ich und mein Kamerad, die Säbel ziehen können, haben die Hiebe unsere Arme gelähmt, unsere Pferde bäumen sich, unser Gefangener ist zwischen uns hervorgerissen, und mit genauer Noth entgehen wir dem Tode.
Und Ihr schoßt nicht, Ihr verwundetet nicht Einen! rief der Capitain zornig.
Es war unmöglich, sagte der Gensdarme. Die Räuber schienen aus der Erde zu kommen und wieder darin zu verschwinden.
Und Ihr erkanntet keinen? fragte Gersheim.
Keinen genau, erwiderte jener, denn alle hatten die Gesichter und Köpfe mit Tüchern umbunden; aber ein großer, breitgeschulterter Mensch war sicher ihr Anführer, ein alter Kerl mit schneeweißem Haar, das lang auf seine Schultern fiel.
Euer Gefangener ist fort, sagte Gersheim, macht Euern Bericht dem Commandanten in der Stadt, ich werde Alles aufbieten, um den Entflohenen einzufangen.
Mein Capitain, erwiderte der Gensdarme, ich habe keine Furcht und vollziehe die Befehle meiner Obern; aber bedenken Sie auch, daß wir leicht die Stadt nicht erreichen können.
Es ist sehr traurig, sagte der alte Baron, als der Capitain schwieg, wie sehr die Unsicherheit in einem Lande zugenommen hat, wo man sonst niemals von Gewaltthaten hörte.
Und grausam morden sie die Wachen und einzelne Soldaten, fügte der ängstliche Gensdarme hinzu. Der General hat befohlen, keinen Posten mehr einzeln auszustellen, denn diese verschwinden über Nacht. Und wissen Sie, welche Niederträchtigkeit man entdeckt hat? Die Mörder sind gewöhnlich Fischer und Strandleute, ehemalige Schmuggler und Diebe, die jetzt nicht mehr betrügen können und vor Rachsucht schäumen. Sie kriechen an ihre Opfer, wie die Schlangen; plötzlich springen sie zu, werfen sie nieder, verstopfen ihnen den Mund, umwinden sie ganz mit Stricken und schleppen sie dann an ihr Boote, die sie aus dem Wasser gezogen und umgekehrt haben. Unter dem Kiel wird der Unglückliche befestigt; dann wird das Fahrzeug wieder aufgerichtet, schnell ins Wasser zurückgestoßen und dort verhaucht der letzte Seufzer des Ermordeten. Die Mörder fahren am Morgen ins Meer hinaus, dort schneiden sie den Leichnam los und alle Nachforschungen sind bis jetzt umsonst geblieben.
Alle schauderten und Rudolf sagte dumpf und leise:
Das ist die Rache des Unterdrückten, welche endlich zur grausamen thierischen Wuth wird.
Gersheim warf ihm einen finstern befehlenden Blick zu, dann gab er einem seiner Untergebenen einige leise Befehle, winkte dem Gensdarme, sich zu entfernen, und kehrte nun mit seiner frühern Höflichkeit zur Gesellschaft zurück, indem er lächelnd bemerkte, daß er sich bestreben wolle, die Reihe von unangenehmen Eindrücken vergessen zu machen.
In dieser Absicht näherte er sich der schönen Lucie, welche während all dieser Vorgänge sinnend still gesessen hatte. Jetzt erst blickte sie auf und sah ihn freundlich und doch mit einem Ausdruck geheimer Trauer an, die er unwillkürlich theilte. Die schmerzliche Klage des alten Barons fiel ihm ein, und während er in ihr liebevolles Gesicht schaute, preßte Wehmuth sein Herz zusammen, daß diese Lippen, ach! auf ewig schweigen mußten.
Zugleich aber empfand er auch jene geheimnißvolle Macht, die uns mit unwiderstehlicher Gewalt zu einem Wesen zieht, das uns liebt und unglücklich ist. Ihre Augen sprachen eine Sprache, welche lauter als Menschenworte in seiner Brust widerhallte; längst glitt ein geheimes Bangen und Entzücken durch seine Adern, wenn sie ihn anschaute und ihre Blicke wie bezaubernd auf ihm ruhten. Er glaubte sich nicht zu täuschen, und heute zum ersten Male erschrak er doch davor, zum ersten Male in diesem Augenblicke empfand er einen Widerstand, der sich nur langsam vor dem schönen Mitleid in seinem Herzen auflöste.
Als sie in den Salon des Schlosses eingetreten waren, beschäftigte sich die schöne Stumme vorzugsweise mit ihrem Freunde. Sie hörte fein und scharf, was so selten mit ihrem Mangel vereint ist, und es bedurfte daher ihrerseits nur Zeichen oder Fragen, welche sie schnell und zierlich auf kleine Papierstreifen schrieb, um ein lebhaftes Gespräch zu unterhalten, das sich besonders um die Erlebnisse des heutigen Tages drehte.
Nach mancherlei ernsten und scherzhaften Wendungen ihrer Unterhaltung, bei welcher es keinen weitern Theilnehmer gab, denn Rudolf, und die Baronin sprachen heimlich, indem sie auf der Terrasse auf und nieder gingen, und der alte Baron unterhielt sich mit der wirthschaftlichen Cousine, schrieb Lucie:
Es scheint mir, als haben Sie wegen mancher der Vorgänge von heute den Verdacht der Mitwissenschaft auf meinen Bruder geworfen?
Ich muß es eingestehen, erwiderte Gersheim.
Und glauben Sie, fuhr das Fräulein fort, daß eine strenge Untersuchung über die Flucht des Conscribirten erfolgen wird?
Ganz ohne Zweifel, sagte der Capitain.
Was werden Sie thun?
Meine Pflichten getreulich erfüllen.
Meinen Bruder anklagen?
Nur wenn ich Thatsachen finden sollte und wenn ich müßte.
O! ihr grausamen Männer, schrieb Lucie, was ist doch eure Pflicht und euer kaltes Muß!
Dann sah sie ihn betrübt lächelnd an und schüttelte leise den Kopf.
Nein, nein, fuhr sie fort, ich kenne Sie besser. Im Augenblick, wo der strenge Wille Ihre Lippen öffnete, würden diese wie von selbst verstummen.
Warum wollen wir eine so trübe und, wie ich hoffe, unmögliche Frage berühren? erwiderte er leise.
Weil mich eine Furcht plagt, verlegte Lucie; Furcht auch für Sie.
So lebhaft ist Ihr Antheil an meinem Schicksal, theuerste Lucie, flüsterte Gersheim.
Sie sah ihn mit einem großen feuchtschimmernden Blicke an.
Nicht hier, nicht jetzt, entgegnete sie, denn in wenigen Minuten wird Rudolf mit meiner Mutter hereintreten; aber morgen im Park will ich mit Ihnen reden. Ja, es ist möglich, daß ich Ihnen Eröffnungen machen und alle Ihre Fragen lösen kann; doch Eines versprechen Sie mir, meiden Sie jeden Streit mit Rudolf, fragen Sie ihn nicht weiter über jenes blonde Mädchen und den alten Mann.
Gern, erwiderte der Capitain, und ich denke kaum mehr an sie. Wer es auch sein mag, welches Interesse könnte ich daran nehmen, als das einer schnell vergessenen Neugier.
Er flüsterte dies leise und beugte sich auf das Papier, indem er ihre Hand in der seinen festhielt und seine Lippen auf die feinen zitternden Finger drückte. Dann sah er sie an; ihre großen Augen waren fest auf ihn geheftet und schimmerten sanft und freundlich. Sie warf einen furchtsamen Blick auf ihren Vater, dann nach der offenen Thür, zu welcher Rudolf hereinblickte, und legte den Finger schnell auf den Mund.
Sie gebieten mir zu schweigen, theuerste Lucie, sagte er, und wie viel, wie unaussprechlich viel, hätte ich Ihnen zu sagen.
Lächelnd nahm sie ein kleines Blatt und schrieb mit festen Zügen:
Was Sie mir sagen können und sagen wollen, weiß ich; aber bedenken Sie es wohl, mein theurer Freund, die arme Lucie hat keine Sprache, keine Stimme, die für sie zeugt, sie hat nichts als ein Herz, ein Herz allein.
Und dies ist mein! sagte er mit zitternder Hast und solcher Heftigkeit, daß die Baronin hereintrat.
Was ist es? fragte sie, was gehört Ihnen?
Nichts, nichts! erwiderte er lachend und so unbefangen als möglich, es war ein Streit zwischen uns um einen der Zettel.
Die Baronin sah ihn scharf an und dann auf Lucie, welche, ohne aufzublicken, ihre kleinen Briefschaften in Ordnung brachte.
Lieber Capitain, sagte sie, aller Besitz ist auf Erden unsicher, darum darf der Weise sich niemals täuschenden Hoffnungen hingeben.
Diese beziehungsvolle Anrede erschütterte jedoch den Capitain nicht. Er gab eine leichte Antwort und bald war ein belebtes Gespräch eröffnet, das noch lange fortwährte.
Erst als Gersheim allein in seinem Zimmer war, öffnete sich die ganze Glut seiner Empfindungen. Er warf sich in die Kissen des Ruhebettes, drückte die Hände auf seine Augen, vor denen Lucie lächelnd schwebte, und rief mit halb erstickter Stimme ihren Namen.
Sie liebt mich! sagte er, ja, ich wußte es längst, aber kaum wagte ich, mir es leise zu gestehen; und nun ist alles gethan, nun bedarf es kaum des Wortes mehr. O! Lucie, liebliches, theuerstes Wesen; o! gütiger Gott, könnte es möglich sein, darf ich mich einem solchen himmlischen Traume hingeben?
Lange Zeit lag er sinnend und entzückt von seinen Phantasien, nach und nach wurde er aber ruhiger und begann zu begreifen, daß viele Schwierigkeiten zu überwinden waren, um das reife Glück zu pflücken. Nicht allein war er mit dem Bruder im fortgesetzten Hader, obwol er wußte, daß ihre Achtung im Grunde gegenseitig sei, auch der alte Baron würde bei aller Freundschaft doch gewiß nicht so leicht geneigt sein, seine einzige Tochter einem Manne zu geben, der nichts hatte als seinen Degen, und diesen für einen bitter gehaßten Eroberer trug; ja, es kam ihm vor, als hätte die Baronin mit ihren gesuchten Phrasen über das Dein und Mein ein Attentat gegen den alten Namen dieser Familie gleich an der Wurzel abschneiden wollen, und obwol man zu jener Zeit nahe daran war, alle Geburtsvorurtheile dem Verdienst aufzuopfern, so sah er doch nur Schwierigkeiten und Zweifel, welche durch die Ungewißheit seiner Zukunft und durch den Krieg mit allen seinen raschen Wechseln nicht wenig vermehrt wurden.
Lange Stunden beschäftigten ihn diese Vorstellungen, endlich gerieth er in jenen Zustand zwischen Schlaf und Wachen, der ein so anziehendes Traumleben bildet. Luciens schöne Gestalt beugte sich über ihn und mit Angst und Freude hörte er sie sprechen. Dann war die Stimme aber plötzlich in einen andern Körper versetzt; es war das blonde Mädchen mit dem Schilfkranz, das über seinem Haupte die reichen Locken schüttelte und ihm drohend ins Gesicht sah.
Plötzlich richtete er sich auf; es war tief in der Nacht. Das Licht war längst erloschen und durch die herabgelassenen Jalousien fiel der Strahl des sinkenden Mondes in zahllosen Brechungen in das Zimmer. Die Stimme aber hörte er noch, nur war es ein Flüstern, das sich aus dem Park heraufstahl und seine Neugier erregte. So leise als möglich stand er auf und sah hinab. Unten waren dichte hohe Bäume, und das ungewisse Dämmerlicht erlaubte nicht, die Gestalten der Sprechenden zu erkennen. Diese gingen im Schatten auf und ab, standen zuweilen still, um eifriger zu reden, und setzten dann ihren Weg fort.
Als sie an der Biegung waren, wo das Mondlicht stärker herabfiel, wurden sie deutlicher. Die hohe schlanke Gestalt Rudolf's war nicht zu verkennen, neben ihm bewegte sich ein dunkler starker Körper, der Dritte aber war eine Dame und mit hochklopfendem Herzen glaubte Gersheim Lucien zu entdecken. Er hielt den Athem lauschend an, als sie jetzt dicht unter dem Fenster vorübergingen.
Sie erwarten ihn also bald? fragte Rudolf.
Er kann alle Tage erscheinen, erwiderte eine tiefe Stimme. Es ist daher durchaus nöthig, daß wir diese verdammten Wächter – hier entfernten sie sich weiter und Gersheim härte nur noch die Worte: nöthigenfalls ist das Wasser zur Flutzeit tief genug.
Als er noch über den Zusammenhang nachdachte, kehrten sie zurück.
Sollte man es glauben, sagte Rudolf, daß der Zufall so wunderliche Streiche spielen kann. Zehntausend Andere wären hundert Klafter tief hinabgefahren, er aber findet den einzigen möglichen Weg.
Und der alte Narr, fiel die rauhe Stimme ein, schaffte ihn aus dem Labyrinth, wo er gut für immer bleiben konnte.
Nein, erwiderte Rudolf lachend, hinaus mußte er, und wie der kleine Peter ihn anführte, das ist ungemein ergötzlich. Gitta sagte ganz recht: Ein Mann mit einem so schönen klugen Gesicht muß nicht auf eine so elende Art umkommen. Sie gab den Rath und Peter führte ihn aus.
Gersheim hatte mit der äußersten Anstrengung gehört, als von ihm die Rede war, aber er konnte die leise gemurmelte Frage des Unbekannten nicht verstehen.
Damit ist es nichts, versetzte Rudolf; er hat die schlechtesten Grundsätze und Entschlossenheit. Niemals dürfen wir das wagen.
So muß er auch als Feind ohne Schonung behandelt werden, erwiderte die tiefe Stimme.
Ich glaube, sagte der junge Baron, diese Stunde wird eher kommen, als wir denken.
Bis jetzt war Lucie eine völlig theilnahmlose Zuhörerin gewesen, nun aber wandte sie sich an ihren Bruder. Der Mond war so tief gesunken, daß er, zwischen den Stämmen der Bäume hervorleuchtend, die Gruppe der Sprechenden überzittern konnte. Der Capitain erkannte genau, wie lebhaft ihre Zeichensprache war.
Gewiß, meine Liebe, sagte Rudolf sanft, ich gebe Dir mein Wort, er hat nichts zu fürchten, so lange er sich nicht in unsere Sache mischt und gefährlich wird. Niemand kann eine gewaltsame That ohne Noth mehr hassen als ich. Er thut seine Schuldigkeit als Soldat, aber er macht nicht den Spion. Er ist ein Deutscher und trotz seiner Bewunderung für den blutigen Tyrannen und unserer ewigen Streite verflucht er in seinem Herzen gewiß manche der schändlichen Maßregeln, die uns den Fuß auf den Nacken setzen.
Lucie machte eine neue Einwendung, aber Rudolf legte den Arm um ihren Nacken und flüsterte lachend:
Sollte man nicht glauben, meine sanfte Lucie hege einen besondern Antheil für diesen fremden Soldaten? Laß mich doch scherzen, fuhr er fort, als sie sich abwendete, ich weiß wohl, daß er Dein Cavalier ist; ich weiß aber auch, daß Dein stolzes reines Herz nicht von einer so thörichten Leidenschaft getroffen werden kann.
Pfui Teufel! sagte die tiefe Stimme, ein Franzose, ein Franzosenfreund und Bewunderer! und wäre es sonst der bravste Mensch; mit eigenen Händen erwürgte ich mein Kind, wenn es Liebe zu einem solchen Schelm fassen könnte. Es ist spät, fuhr er dann fort: gute Nacht! Morgen wäre Gitta gekommen; wie die Sachen aber jetzt stehen, ist es besser, sie bleibt fort, bis der Patron hier mit seinen Soldknechten abgezogen ist, um in Rußland an Kosakenlanzen gespießt zu werden. Ah, bald hätte ich eine Neuigkeit vergessen: der Krieg hat angefangen, sie haben den Niemen überschritten und nun Glück auf den Weg; ich denke, diesmal wird der Bluthund seinen Lohn empfangen.
Sie gingen an der Seite des Schlosses hinab und kehrten nicht zurück. Lange stand der Capitain und zahllose Gedankenverbindungen durch kreuzten sich in ihm.
Wer war dieser wüthende Franzosenhasser? War es der Waldfürst und Gitta, seine Tochter, die blonde Prinzessin? In welchen Verbindungen stand das Haus des Barons mit ihnen, und welche geheime gefährliche Zwecke wurden hier verfolgt?
Was er über sich selbst gehört hatte, beunruhigte ihn nicht weniger. Der junge Baron gab ihm alles Lob, aber welche feindliche Abneigung sprach er gegen die Möglichkeit aus, daß Lucie Neigung für ihn fassen könnte. Er fand keinen Zusammenhang in manchen der abgerissenen Reden, die er gehört hatte, und doch waren sie so bedeutungsvoll, ja, selbst die Neuigkeit des Fremden, daß der Krieg begonnen habe und der Niemen überschritten sei, schien auf merkwürdigen Verbindungen zu beruhen, denn er so wenig, wie seine Obern, wußten bis jetzt etwas davon.
Voller Unruhe plagte er sich mit unzähligen Entwürfen, entschlief erst mit der Morgendämmerung und erwachte bald darauf von heftigem Klopfen an seiner Thür. Es waren mehrere militairische Meldungen seiner Untergebenen, die ihm berichteten, daß man die ganze Nacht vergebens überall umhergestreift sei, ohne die geringste Spur des entflohenen Conscribirten zu finden; auch den Kampfplatz im Hohlwege habe man genau untersucht, aber nichts gefunden, als einen großen Knopf, der der Meldung beigelegt war.
Der Capitain betrachtete den Fund ziemlich gleichgültig. Es war ein alter Metallknopf auf den ein Hirsch gegossen war. An dem Oehr hing ein Stückchen hellgrünes Tuch, das sich mit ausgerissen hatte und von feinerer Qualität zu sein schien, als es Pächter oder Förster gewöhnlich tragen.
Als Gersheim eben dabei war, seinen Obern einen Bericht des Vorganges zu schreiben, erhielt er durch eine Ordonnanz einen Brief aus der Stadt, vom commandirenden General unterzeichnet, der ihn zur angestrengten Thätigkeit aufforderte, den Flüchtling einzufangen und die Frevler, welche seine Befreiung bewirkt hätten, zu entdecken. Man müsse, so hieß es darin, endlich ein abschreckendes Beispiel geben und mit aller Strenge diese Gewaltthat gegen die Gesetze und ihre Diener ahnden, da leider die schlechten Gesinnungen der Strandbewohner sich täglich offener zeigten und unbekannte Emissaire eine künstliche Aufregung zu schaffen und zu erhalten wußten, welche in die schlimmsten und verabscheuungswürdigsten Excesse ausarte.
Diese Weisung war das Signal zum regen Diensteifer des jungen Capitains, der mit Hülfe einer Vergrößerung seiner Mannschaft und einer Abtheilung Cavalerie aus der Stadt in der ganzen Gegend genaue Nachforschungen anstellte. Jeder Pachthof wurde durchsucht, jede Hütte besetzt gehalten und manche Versuche gemacht, durch Bestechung sich Kenntniß zu verschaffen. Aber Haß gegen die Fremdherrschaft und Furcht vor Rache wirkten so gut zusammen, daß sich nicht Ein Verräther fand, obwol man annehmen konnte, daß Viele darum wissen mußten. Nirgend war eine Spur zu entdecken, nirgend fand sich ein Rock, zu welchem der abgerissene Knopf paßte, und am allerwenigsten fand sich ein Mädchen, die jener schönen Erscheinung geglichen hätte, oder ein Bettler mit weißem Haar und Bart.
Die Untersuchungen dehnten sich bis an die große Seebucht aus und Gersheim unternahm es sogar, als alle Mühe fehlschlug, in die Sümpfe zu dringen und seinen Weg aufzufinden. Aber so leicht es ihm beim ersten Male ward, so gefährlich erschien es jetzt. Nach fruchtlosen Versuchen mußte er umkehren und alle Landbewohner versicherten einstimmig, es sei unmöglich; denn hier, durch die Mitte des meilengroßen Moors sei noch nie ein Mensch gekommen.
So waren mehrere Tage vergangen, ehe der Capitain ins Schloß zurückkehrte. Als er die Wipfel der alten Bäume erblickte und die hohen Giebel der Gebäude aus den Morgennebeln auftauchten, verschwand aller Unmuth aus seinen Zügen. Er hatte Zeit gehabt, Manches zu bedenken, und seine Rechnung mit sich selbst gemacht; aber ein liebeempfängliches Herz läßt sich nicht gebieten, und wie er es auch eine Thorheit nannte, an Lucie zu denken und Kummer über eine edle Familie, Trauer über ein zärtliches Herz und Schmach über sich selbst zu bringen, Alles trat in eine schattenvolle Unbestimmtheit, als die Sonne so heiter den nahen schönen Landsitz beleuchtete.
Was kann ich mir vorwerfen, sagte er sich selbst. Inniges Mitgefühl und eine gewiß edle Theilnahme haben mich für dies anmuthige arme Kind gestimmt; sie theilt diese Empfindungen, ist es möglich, da kalt zu bleiben? Was ist aber bis jetzt zwischen uns geschehen, was nicht leicht und glücklich ausgeglichen werden könnte? Es ist bei Andeutungen geblieben, die gefügig sich deuten lassen; und ich muß und will sie deuten, mit aller Verständigkeit. Mein Schicksal, die stolze Familie, die geheimen Verbindungen dieses Bruders, Vieles wirkt dagegen und muß mich schrecken, denn in welche feindliche Bewegung kann es mich versetzen!
Hier schwieg er lange und dann sagte er ganz leise:
Wie schön und reizend aber Lucie auch ist, würde dies Mitleid stichhaltig sein in meiner Liebe; würde ihr Geist immer zu meinem Herzen sprechen können, ohne Worte; würde mein Leben glücklich sein an der Seite einer ewig Stummen?!
Er seufzte, indem er dies langsam mehr dachte, als aussprach; dann aber erheiterte sich sein Blick und er rief mit Lebhaftigkeit:
Was soll ich mich den trübseligen Gedanken preisgeben! Ist es nicht genug, daß mein General mir finstere Gesichter macht, weil ich nichts entdecken konnte, und muß ich nicht vielleicht dem Himmel danken, daß alles verborgen blieb? Lucie, Du theures Kind, nein! Du sollst nicht weinen, die reinste, edelste Liebe wird schützend mit Dir sein; aber die Leidenschaften wollen wir bekämpfen und Dein hoher Verstand, Dein reiner Sinn wird den meinen beherrschen.
Er war an der Pforte des Parkes und gab sein Pferd dem Diener, der in einiger Entfernung hinter ihm war. Dann öffnete er den Schlag und ging durch die hohen kühlen Baumwege, welche der frische Seewind, Sonnenschein und Blätterschatten wechselnd durchzogen.
Plötzlich stand er still und sah den Weg über die Wiese hinab, welche aus dem Park nach einem Erlengehölz und dem Moore zu führte. Hier an der Grenze der Baumgruppen stand eine alte Marmorstatue, wie sie die Gärten des vorigen Jahrhunderts schmückten; daneben war eine Bank und auf dieser saß eine Dame, deren reiche blonde Locken unter dem Strohhut vorquollen. Sie wendete sich um und es war keine Täuschung! Die kühnen und edeln Züge ihres Gesichts, die leuchtend großen, blauen Augen gehörten der wunderbaren Unbekannten. Erstaunt und doch aufs freudigste überrascht, nahte er sich ihr, als sie aufstand und mit langsamen Schritten den Weg hinabging.
In einem Augenblick war der Capitain an ihrer Seite. Sie betrachtete ihn lächelnd und erwiderte seinen Gruß ohne Verlegenheit.
Warum, sagte er, entfliehen Sie, meine schöne Unbekannte, vor einem Manne, der um so mehr eilt, Ihnen endlich seinen Dank zu bringen.
Ich fliehe nicht, erwiderte sie; ich folge meiner Pflicht, die mich forttreibt. Womit aber hätte ich Ihren Dank verdient?
Wie, sagte Gersheim lebhaft, waren Sie es nicht, die mein Leben beschützte, als ich in den Sümpfen verirrt war? Sah ich nicht, wie vor diesen schönen Augen wilde Thiere sanft wurden und der alte grimmige Charon es nicht wagte, sich ihren Befehlen zu widersetzen?
Sie sah ihn ernsthaft prüfend an. Sie wollen mich verspotten, mein Herr, erwiderte sie; ich weiß von allen diesen schönen Geschichten nichts.
Und Sie, rief er feuriger, wollen grausam meine Augen, meine lebhaften Erinnerungen und Empfindungen Lügen strafen; doch Sie täuschen mich nicht. Welche Ursachen Sie auch bewegen, sich mir verborgen zu halten – ich dringe nicht weiter in Sie, aber erklären Sie es für keine Täuschung, was als Wahrheit nur allzu lebendig ist.
Ich kenne Ihr Abenteuer nicht, mein Herr, erwiderte sie mit einem schalkhaften Lächeln; ich zähme keine wilden Thiere und weiß von keinem Charon, aber ich verberge mich auch nicht.
Und doch war es mir unmöglich, Sie zu finden, sagte Gersheim.
Weil Sie gewiß nicht am rechten Orte suchten, versetzte sie spöttisch lächelnd.
Und in welchem Zauberpalaste wäre die schöne Prinzessin zu finden? rief er mit bedeutungsvollem Tone.
In meines Vaters einsamen Hause, erwiderte die Unbekannte.
Aber wo, wo steht der Thron Sr. Majestät?
Nicht in der Luft, nicht im Meeresgrund, versetzte sie lachend. Es ist ein festes, schönes Haus, doch suchen Sie es nicht, mein Herr Capitain, Drachen liegen an der Thür und wer nicht reines Herzens ist, dem kann Uebles widerfahren.
Ich fürchte nichts, erwiderte er in demselben scherzenden Tone, und hier schwöre ich –
Halten Sie ein, Herr Ritter, rief sie rasch; doch wollen Sie einen Schwur leisten, so sei es der, nie nach mir und meinem Hause zu forschen.
Und warum verbannen Sie mich?
Zu unserer Beider Bestem, erwiderte sie mit einer Art treuherziger Aufrichtigkeit.
Die Tochter eines Pachters sind Sie nicht.
So glauben Sie denn, ich sei eine jener Waldfeien und Nixen, die in grünen Hainen und in Meeresgrotten wohnen! Glauben Sie, ich sei eine Prinzessin im Königsschloß, es ist immer besser, als ein unnützes gefährliches Forschen!
Und doch werde ich niemals ablassen.
Dann wird es betrübt werden, für Sie, für mich, für uns Alle.
Und so viel liebenswürdige Schönheit, rief der Capitain, indem er ihre Hand ergriff, will unter dem Schein von Gefahr mich auf immer von sich entfernen? Bin ich nicht der Befehlshaber an diesem Küstenstrich? Wer will es wagen, sich meiner Gerichtsbarkeit zu entziehen!
Sie waren bis an den breiten tiefen Graben des Parkes gekommen, über den an dieser Stelle ein leichtes Bret als Brücke lag. Mit wunderbarer Behendigkeit lief sie über die schmale Planke und schleuderte sie durch einen Stoß ins Wasser.
Ich, sagte sie, ich bin frei! lernen Sie es auch sein, Capitain Gersheim. Ist es recht von einem wackern Manne, fremde Götzen anzubeten, welche die heimischen Götter zerstören? Bedenken Sie wohl, was Sie thun; wir sehen uns wieder. Aber suchen Sie mich nicht, es ist vergebens, Sie können und werden mich nicht finden, und glauben Sie mir, es ist gut so, aber ich will Ihnen erscheinen, wenn es Noth thut. Und Lucie, wo ist ein schönerer Stern an Gottes Himmel! Arme theure Lucie, welch ein Glück, von Dir geliebt zu sein!
Bei diesen Worten hob sie den kleinen Strauß von frischen Blumen in ihrer Hand wie zum Gruße, lächelnd und drohend, gegen Gersheim auf, warf ihn dann durch die Luft, daß er zu seinen Füßen fiel, und eilte mit der flüchtigsten Schnelle über den Wiesenplan und durch das Erlenwäldchen davon.
Gersheim starrte ihr willenlos nach. Bald wollte er einen gewagten Sprung thun und ihr nacheilen, bald sah er die Blumen an, die er aufgehoben hatte, und bedachte ihre Worte und deren tändelnden und ernsten Sinn. Wie ein neckender Kobold kam ihm dies Mädchen vor, deren luftig weißer Schatten in der Ferne verschwebte, und er grollte zuletzt über die leichtfertige anmaßende Weise, mit der sie ihn behandelt hatte.
Lucie, sagte er nach einem tiefen Schweigen; ja, sie hat Recht, es ist ein Stern, ein Engel des Himmels; sie weiß nichts von den Fragen des Hasses, ihr ganzes Wesen athmet Frieden und Versöhnung, welch ein Glück, von ihr geliebt zu sein!
Da rauschte es leise unter den Bäumen und wie er sich überrascht umwandte, stand Lucie selbst ihm gegenüber. Mit der einen Hand hielt sie die alte Marmorstatue umfaßt, die andere streckte sie dem Freunde entgegen; ihre Augen ruhten leuchtend groß und klar auf ihm. In diesem Augenblicke hatte Gersheim alle seine Vorsätze vergessen; er ergriff ihre zierliche Hand, die er zärtlich küßte, und führte sie zu dem Ruheplatze, wo er eine Zeitlang neben ihr saß, fast ohne zu sprechen, indem er in ihren schönen lächelnden Zügen Verständigung suchte.
Wie habe ich mich nach diesem Wiedersehen gesehnt, sagte er dann. Ich mußte fort, ohne Ihnen Lebewohl zu sagen, und dies peinigte mich doppelt. Wenn du niemals wiederkehrtest, rief eine Stimme in mir; wenn eine plötzliche Botschaft dich nun in die weite ferne Welt triebe? Dieser Gedanke ergriff mich, ich zählte die Minuten, ich rechnete und da bin ich nun, ein Glücklicher! Weiß ich es, wie lange?
Lucie antwortete ihm mit einem sanften Neigen ihres Kopfes, den sie langsam schüttelte; dann legte sie die Hand aufs Herz und sah ihn mit unaussprechlicher Freudigkeit an.
Sie theilten meinen Kummer, theure Freundin? sagte er.
Sie reichte ihm beide Hände.
Ja gewiß, wenn ich scheiden muß, fern und auf lange Zeit, Lucie; wenn mein Geschick mich vielleicht früh abruft und auf ewig! auch dann werden Sie den fremden Mann nicht vergessen.
Sie blickte erschrocken und prüfend zu ihm auf.
Es ist mein Loos, sagte er traurig, es kann heut noch fallen. Ein Soldat darf kein festes Haus bauen, kein Herz erwerben, keiner Hoffnung nachhängen. Er darf nicht lieben, Lucie, denn wenn das Leben solchen süßen Reiz für ihn hat, macht er den Tod gierig nach seiner Beute.
Lucie deutete auf die Stelle, wo Gersheim gestanden hatte, dann hob sie die Hand, wie zum Schwure, auf und drohte ihm lächelnd.
Sie wissen, was ich hier entzückt ausrief! sagte er, indem er ihre Hand an seine Brust preßte. Lucie, lieben Sie mich?
Sie nickte ihm leise zu und sah ihn fest an; ihr Auge ward immer strahlender und heller, dann stand sie auf und deutete auf das blaue unermeßliche Gewölbe des Himmels; sie breitete die Arme aus und plötzlich ließ sie sie sinken. Ein schmerzliches Zucken lief durch ihre Züge, aber im nächsten Augenblick war es vorüber und nun nahm sie ein Blatt aus ihrem Taschenbuche und schrieb einige Worte, die sie ihm reichte.
Das war es, schrieb sie, was ich Ihnen schon vor einigen Tagen sagen wollte. Sie lieben mich, Gersheim, und dies Gefühl entzückt mich. Warum soll ich leugnen, was Sie längst verstanden haben? Aber unsere Liebe wird von Gott und Menschen gemisbilligt. Von Gott, der mich zum Entsagen bestimmt hat; von den Menschen, die nach ihrer Weise das Leben und Lieben messen.
Ist Liebe nicht mächtiger als menschlicher Wille? rief er; kann sie nicht selbst die Grausamkeit der Natur bezwingen?
Nein, erwiderte sie. Was ich soll, ist mir streng vorgezeichnet. Ich muß andere Wege gehen als die meisten. Mein Dasein ist einem Pflanzenleben vergleichbar, mein Lieben auf Erden muß ein ruhiges Empfinden sein.
Und warum? entgegnete er, von Schmerz und Wehmuth ergriffen. Weil diesem edeln Geiste die Laute versagt sind, welche die Albernheit so oft misbraucht? Schlägt nicht hier ein feurig empfindendes Herz, strömt der reiche Lebensquell nicht aus diesen Augen, hat die Natur nicht verschwenderisch ersetzt, was sie versagte? Lucie, wenn Sie mich lieben, können Sie aufhören, dies zu thun? Können Sie, grausamer als Gott, den menschlich schönen Zweck des Lebens von sich stoßen, um dem Wahne nachzuhängen, er sei nicht für Sie bestimmt? Welches Glück der Erde gebührte Ihnen nicht; wer müßte nicht, von so viel Güte und Schönheit ergriffen, Sie immer lieben, heilig verehren und es versuchen, trotz aller Vorurtheile der Menschen, Sie zu erwerben?
Sie hörte ihn freudig bewegt, plötzlich wurde ihr Gesicht blaß; sie sah den kleinen Strauß an, den er zu ihren Füßen geworfen hatte, und dann erwiderte sie:
Ich werde Ihnen immer angehören, mein theuerster Freund, und nichts wird jemals fähig sein, meine Empfindungen zu verwirren. Aber wären jene Vorurtheile der Menschen auch nicht, welche Sie erwähnen; stände einer Verbindung mit Ihnen nirgend ein Hinderniß entgegen, ich würde sie nicht annehmen können. Mein edler geliebter Freund, misverstehen Sie mich nicht. Werden Sie glücklich, ganz glücklich; aber ein Theil Ihrer höchsten Liebe soll immer mein sein. Fassen Sie nun diese Entscheidung auf, wie Sie Ihnen den besten Trost gewährt. Glauben Sie, daß das Leben uns trennte, daß das Schicksal drohend zwischen uns trat, vergessen Sie diese schmerzlich süße Stunde selbst; aber erhalten Sie, was ewig und unvergänglich ist!
So reicht diese Liebe mir beim Eintritt in ihr Paradies schon den Scheidebrief entgegen, sagte Gersheim nach einer langen Pause, während er Lucie schmerzlich betrachtete. Statt des edeln Besitzes geben Sie mir eine Anwartschaft auf die Ewigkeit, und indem Sie mir das höchste Glück verkündigen, zeigen Sie, daß es Täuschung war. Das ist nicht recht, Lucie! Ist es wahr, muß es sein? Würden Sie niemals mich erwählen, auch wenn kein Hinderniß uns trennte?
Nein, erwiderte sie.
Gersheim sah still vor sich nieder.
Dann ist es gut so, sagte er; ja gewiß, es ist verständig, was Sie wollen. Die ruhige Freundschaft tritt in ihr volles Recht, und wenn ich einst zurückdenke an diese Stunde, wird sie mir leichter zu tragen sein. So lassen Sie uns denn einen harmlosen Frieden schließen, meine schöne Freundin, an welchem die Leidenschaften keinen Theil haben.
Lucie gab ihm die Hand, die er fest in der seinen hielt; sie lächelte ihm zu, als wolle sie Muth in sein Herz bringen, dann warf sie einen langen liebevollen Blick auf ihn und plötzlich stand sie auf und eilte in den Park.
Es ist geschehen, sagte Gersheim, sie selbst hat es gethan, nicht ich. Welch ein Zauber knüpft sich an sie, wo waren alle meine Entschlüsse?
Indem er aufstand, sah er den jungen Baron den großen Weg herabkommen und sich ihm nähern. Rudolf begrüßte ihn freundlich und nach einigen raschen Fragen über den Erfolg seines Streifzuges äußerte er:
Ich hätte es Ihnen allerdings vorhersagen können, daß Ihre Mühe ganz umsonst sein würde, denn was kann bei einer Untersuchung herauskommen, der man sich so schnell entziehen kann! Nicht allein die Beschaffenheit des Landes setzt Schwierigkeiten entgegen, auch das Meer ist ein Zufluchtsort, und wer ganz sicher sein will, geht in die Haiden oder über die große Seebucht in das angrenzende Herzogthum. Dort ist zwar auch Eifer genug, die Missethäter zu fangen und auszuliefern, aber wo Zwei jagen, bleibt der Fuchs zuweilen ungeschossen; und im Grunde, was hat man davon, arme Leute aufzuhängen, die nichts thaten als ihre Haut vertheidigten!
Das Gesetz ist ein unnahbarer Tyrann, erwiderte der Capitain.
Sagen Sie lieber, es wäre Gott selbst, wenn nicht so oft Tyrannen es machten, rief Rudolf. Aber war es nicht meine Schwester, mit der Sie sprachen? fuhr er in ruhigerem Tone fort.
Gersheim bejahte diese Frage und fügte hinzu, daß er sie im Park angetroffen habe.
Das seltsame Mädchen scheint nirgend Ruhe zu haben, sagte der Baron, und doch wüßte ich kein Wesen auf Erden, dem Unruhe und Unklarheit entfernter wäre als ihr. Es gibt Menschen, die mit einer guten Hand geboren sind und denen eine gewisse segnende Kraft beiwohnt, sie mögen anfangen, was sie wollen, wie es Andere gibt, die das Beste und Sicherste sogleich verderben. Von der ersten Art ist Lucie. In allen Dingen weiß sie Rath, aus tausend Wegen trifft sie den richtigen, und wo sie erscheint und sich einmischt, kommt das Glück.
Dafür, erwiderte Gersheim, muß auch jeder in Liebe sich ihr neigen.
Nicht Jeder, sagte Rudolf, denn es gibt Stiefmütter auf Erden.
Als der Capitain ihn fragend ansah, fuhr er lachend fort:
Sie müssen mich recht verstehen. Meine Stiefmutter, Frau Karoline, die lebhafte reizbare Dame, hat manche wunderliche Laune. Im Grunde ist sie verständig und gut, und mein Vater kann es wirklich nicht genug preisen, daß er einen solchen wirthschaftlichen Schatz gewonnen hat. Indeß die Zeiten vergehen. Wir Beide sind groß geworden; meines Vaters weißes Haar und die Launen seiner Frau sind gewachsen. Wäre Lucie nicht die Sanftmuth selbst und mein Vater ein Mann des Friedens, es würde manchmal kleine Scenen geben, aber wer kann dem Zauber ihres Auges und ihres Unglücks widerstehen!
Niemand, Niemand auf Erden! rief der Capitain tief bewegt, auch ich habe dies ganz empfunden.
Rudolf wurde plötzlich ernsthaft und machte ein sehr stolzes Gesicht.
Ihr Antheil ist lebhaft, mein Herr Capitain, sagte er dann lächelnd; ich denke jedoch, daß wir demselben eine allgemeine Deutung geben.
Und wer könnte mich zur Rechenschaft ziehen, erwiderte Gersheim, zwischen Unmuth und Besänftigung seiner Gefühle schwankend, wenn ich meine höchste Verehrung Ihrer Schwester widmete?
Warum wollen wir um ein Unmögliches streiten, sagte Rudolf. Daß Sie, mein Capitain, eine Verehrung für Lucie haben, ist uns gewiß sehr schmeichelhaft, doch halte ich Sie viel zu sehr für einen Mann im wahren Sinne des Worts, um daraus eine fruchtlose Leidenschaft werden zu lassen.
Ohne Zweifel, versetzte Gersheim, regt sich bei diesem »fruchtlos!« der Sinn des Edelmanns, die ganze Reihe der Vorurtheile, welche vom Sohn zum Enkel vererbt, und das Palladium jener Ehre, die auf vermodertem Pergament gemalt ist.
O! keineswegs, erwiderte Rudolf, ich denke ganz wie Sie darüber.
Oder zweifeln Sie daran, sagte Gersheim, daß Fräulein Lucie ein Herz für immer fesseln kann?
Sie ist stumm, sagte Rudolf; aber ihr Wesen ist so ganz Harmonie des Guten und Schönen, daß man die Sprache kaum vermißt. Sie wird glücklich machen und glücklich sein, Gott schenke ihr ein treues Herz, das sie versteht.
So sind meine Gründe erschöpft.
Für mich gibt es nur einen, aber er genügt.
Ich errathe ihn vielleicht, erwiderte der Capitain und sein Gesicht färbte sich dunkler, aber ich will ihn nicht wissen, denn es ist eine Beleidigung, die ich nicht hören darf. Doch beruhigen Sie sich. Fräulein Lucie ist mir sehr theuer und hätten unsere Herzen sich gefunden, weder die Reihe Ihrer Ahnen, noch meine ungewisse Zukunft, am wenigsten aber unsere entgegengesetzte politische Meinung würde mich zur Entsagung bewegen können. Dem ist aber nicht so, ich kann es betheuern.
Der junge Baron blickte mit ungläubigem Erstaunen zu ihm empor. Es ist kaum nöthig zu versichern, Capitain, sagte er, daß ich Sie nicht beleidigen wollte.
Ich zweifle nicht daran, erwiderte Gersheim lächelnd; aber Vertrauen um Vertrauen, erfahren Sie, daß eine ganz andere Flamme sich in meinem Herzen entzündet hat.
Vortrefflich! rief Rudolf. Ist es etwa unsere wirthschaftliche Cousine?
Sie rathen schlecht, sagte Gersheim.
Wie! Capitain, fuhr der Baron scherzend fort, sollten etwa gar verbotene Reize Sie gerührt haben? Bei meines Vaters weißem Haar! schweigen Sie.
Haben Sie nie davon gehört, versetzte Gersheim, daß die Liebe größere und wunderbarere Schnelle hat als ein Sonnenstrahl, daß, ohne den Gegenstand gesehen zu haben, sie oft schon die Herzen ergreift? So schlimm ist es nicht mit mir, ich habe ihn gesehen. Sie erinnern sich meiner blonden Unbekannten.
Die Prinzessin vom Sumpfe, rief Rudolf lachend. Glück zu! tapferer Capitain, machen Sie eine neue Ritterfahrt, sie aufzufinden.
Ich glaube sie nicht weit zu suchen, sagte Gersheim. Sie war hier, ich habe sie gesprochen und diesen Strauß als ein Andenken bis zum Wiedersehen erhalten.
Dann muß es wirklich eine Zauberin sein, entgegnete der Baron mit dem Anschein der Verwunderung; hier im Park am hellen Tage. Und sie verschwand natürlich, wie es die Unsterblichen zu machen pflegen!
Sie verschwand und versprach mir wieder zu erscheinen, wenn es Zeit sei.
Sehr gut, sagte Rudolf, aber trauen Sie solchen Hexenversprechungen nicht.
Sie haben keine Ahnung, wer es sein kann? fragte der Capitain.
Nicht die geringste, erwiderte der Baron ganz unbefangen. Ich halte mich fern von allen Abenteuern, fahrenden Prinzessinnen und Gespenstern.
Und ich hatte von frühester Jugend an die größte Lust, ihre Bekanntschaft zu machen. Nie aber habe ich von einem so schönen, reizenden Geschöpf selbst nur geträumt.
Hüten Sie sich, aus diesen Träumen unsanft zu erwachen, erwiderte der Baron schnell.
Warum? sagte Gersheim. Ich glaube der Wahrheit nahe zu sein.
Wie Sie wollen, versetzte Rudolf spöttisch, aber hüten Sie sich dennoch; auch Gespenster und Prinzessinnen haben ihre Verehrer, Freunde, Verwandte, die dem verwegenen Liebhaber gefährlich werden können. Aber suchen Sie, mein Capitain, fuhr er lachend fort, suchen Sie tüchtig, vielleicht finden Sie mehr und anderes, als Sie erwarteten.
Sie waren an den Stufen der Terrasse, wo die Baronin, die wirthschaftliche Cousine und einige Damen und Herren, welche soeben zum Besuch aus der Stadt gekommen waren, sie erwarteten. In einer schönen Laube war das Frühstück aufgetragen, und nachdem man den Capitain freundlich begrüßt hatte, eröffneten sich die verschiedenartigsten Gespräche, welche bald die Noth der Zeiten, Politik und Krieg, bald Ernten und Viehzucht, bald Moden und Gesellschaften zum Gegenstande hatten.
Dann kam der alte Baron, der einen Morgenritt durch seine Felder gemacht, und brachte einen jungen Seeoffizier mit, der einen der Küstenwächter befehligte. Die Kanonierschaluppe war in Gesellschaft einer andern nicht weit vom Lande vor Anker gegangen. Deutlich konnte man an ihrem hohen Mast die Flagge mit dem kaiserlichen Adler sehen, und der junge hübsche Mann wußte allerlei von kleinen Abenteuern, Gefechten mit Schmugglern und den englischen Kreuzern zu erzählen, die nicht selten längs der Küste hinstrichen und die Pascher unterstützten. Das Romantische hat immer Reiz und alle, besonders die Damen, härten ihm aufmerksam zu.
Vor allen, sagte er, macht uns ein Kutter zu schaffen, ein wahrhafter Teufelskerl, der seit langer Zeit sein Handwerk treibt, ohne daß es geglückt wäre, ihm nur zu nahen. Sind wir oben in den Buchten, so erscheint er plötzlich an einer ganz andern Stelle, und wie viele Mühe man sich auch gegeben hat, sichere Kundschaft über ihn einzuziehen, es scheint, daß man immer absichtlich getäuscht wurde.
Man bewacht die Küste doch so streng, sagte Rudolf lachend, daß es kaum glaublich scheint, er könne ungestraft lange das Schmuggelhandwerk treiben.
Es ist unmöglich, eine Küste zu bewachen, erwiderte der Offizier, wo das Gesindel so viel Verbindungen mit den Bewohnern hat, wie hier. Man sollte das einsehen, aber man überschüttet uns mit Vorwürfen, mit Befehlen, die wir nicht ausführen können, und hetzt uns so unfruchtbar umher wie die armen Landratten.
Dieser letzte Ausdruck erregte ein Gelächter auf Kosten des Capitains, der jedoch den entschuldigenden Handdruck des Seemanns gutmüthig erwiderte.
Wir verstehen uns, sagte dieser, und verzeihen uns unsern Aerger. Gestern erst hat man uns wieder fortgejagt, um alle Winkel hier durchzusuchen, und unglücklicherweise bilden sich die Herren, welche des Nachts auf Daunenkissen träumen, nun gar Gott weiß welche fürchterliche Geschichten ein. Da soll der verwünschte Engländer noch ganz andere Dinge zwischen seinen Planken haben: Pulverfässer, Verschwörungen, Spione, gefährliche Verbindungen mit den Flüchtlingen aus Hessen, Hannover, Braunschweig, Preußen; Agenten eines Bundes, der geheimnißvoll durch ganz Deutschland geht, und was weiß ich, welche andere schändliche Narrheiten, um ehrlichen Leuten das Leben sauer zu machen. Nun, wir werden suchen, sagte er sehr ruhig; dann werden wir gerade so klug nach Hause fahren, wie wir gekommen sind, und einige Achselzucken und hochtrabende Redensarten in Empfang nehmen. Hol der Henker! murmelte er zwischen den Zähnen, alle diese ausländischen Commissaire, Commissionen und Directoren; deutsch wird doch deutsch bleiben, so lange die Welt steht!
Rudolf drückte ihm dafür lebhaft die Hand und beide junge Männer schienen gegenseitiges Wohlgefallen zu empfinden. Nun erzählte der Baron nicht ohne Unmuth, wie er eben erfahren habe, daß eine neue Steuererhöhung angesagt sei und mit welcher ungewohnten Strenge man in dem ausgesogenen Lande, die Executionen vollstrecke, während ein Nahrungszweig nach dem andern absterbe.
Ein Anderer brachte es zur Sprache, daß man ohne Weiteres die Viehheerden oft bis zur Hälfte wegnehme, um sie der großen Armee zum Unterhalt nachzutreiben, die Commissaire aber den jammernden Menschen nach Gefallen ein Geringes vergütigten. Dabei fiel manch lautes und halblautes Wort über die Landplage dieser Commissaire und den Troß gieriger Beamten, die alle in Deutschland reich werden wollten.
Gersheim blieb seinem Charakter und der Würde seiner Stellung treu, indem er den Kaiser vertheidigte.
Seine Anordnungen sind weise und gerecht, sagte er, aber das Alles sind die Folgen der Kriege, zu welchen er gezwungen wird. Es ist unmöglich, die Schar der Blutegel zu vertilgen, die freilich nicht genug verachtet und verdammt werden können. Länder und Heere, Bürger und Soldaten werden in gleicher Weise von ihnen ausgesogen und vergebens sind die Beispiele der Strafgerichte, welche der Kaiser ergehen läßt.
So verwickelte er sich in einen Streit, der lebhaft geführt wurde und, wie alle Streite dieser Art, damit endete, daß Jeder Recht behielt und endlich alle schwiegen; die Einen aus Furcht, zu weit zu gehen, die Andern aus Mismuth über Verhältnisse, die sie im Herzen ebenso sehr verwünschten und doch verehren mußten.
Die Damen, denen solche Gespräche immer ein Greuel sind, waren auch diesmal bald davon gelangweilt und Luciens Erscheinung ward glücklich benutzt, um eine bessere Unterhaltung zu beginnen. Das schöne Mädchen war mit Sträußen und Kränzen ganz bepackt, die sie nun mit den liebenswürdigsten Manieren ihren Freunden anbot. Was sie nicht sagen konnte, drückte das lebhafte Mienenspiel natürlich und vollendet aus. Diesem lächelte sie zu, Jenem machte sie eine steife komische Verbeugung; hier drückte sie tändelnd einer Freundin den Kranz in die Locken, dort legte sie das Sträußchen an ihr Herz, küßte es und reichte es dann einem alten würdevollen Herrn. Der Mutter band sie eine Blumenkette um und dem alten Baron, der mit wahrhaft entzückten Liebesblicken das schalkhafte Kind verfolgte, steckte sie ein dickes Bräutigamsbouquet vor, dann schlang sie die Arme um seinen Nacken und er ließ sie nicht wieder los, bis seine Augen ganz voll Freudenthränen waren.
Als sie zu Gersheim kam, war es ihm fast unmöglich, ihr Lächeln zu erwidern. Er glaubte einen fast unmerklichen Flor über das dunkle klare Auge ausgespannt zu sehen, und ein ungeheurer Schmerz dehnte plötzlich sein Herz aus, als wollte es zerbrechen. Lucie reichte ihm eine Wasserlilie und eine gelbe Blume, die sie beide an ihr Gürtelband gesteckt hatte, und sie begleitete diese Gabe mit einem Blick, dessen rührend bittende Gewalt, ihn erschütterte. Zürnst Du mir noch? schien er zu sagen, ah! Du weißt nicht, wie tief es mich betrübt. Wie verloren in seinen Empfindungen hielt er ihre Hand mit den Blumen fest, und mit einer scherzend drohenden Anstrengung machte sich Lucie frei und eilte weiter.
Am entzücktesten war der ehrliche Seeoffizier, der in eine Art erstarrter Bewunderung gefallen war und die leichte schwebende Gestalt, welche von allen mit Liebkosungen überhäuft wurde, mit starren Augen verfolgte. Er suchte sich dem Capitain zu nähern und benutzte endlich einen Spaziergang in den Park, um seinem Herzen Luft zu machen.
Wie beneidenswerth sind Sie, sagte er, hier wohnen zu können, im Umgange mit dieser wackern Familie und eines so reizenden Mädchens.
Das leider stumm ist, erwiderte Gersheim.
Ist es möglich, rief der Seemann, das empfinden Sie? Ich habe immer geglaubt, man könne sich beim Anblick solcher Unglücklichen eines gewissen Grauens nicht erwehren, und ich habe einen Matrosen gekannt, dem eine Kugel durch den Mund gegangen war, was Einem alle Stummen auf ewig verleiden konnte. Aber nimmermehr hätte ich geahnet, daß es ein Wesen dieser Art geben könnte, bei dessen Anblick man fast über ihren Fehler entzückt wäre. Ich wenigstens meine nicht, daß sie reizender würde, wenn sie spräche; ja vielleicht wäre eine quäkende, elende, dünne oder pfeifende Stimme gerade das graue Haar in ihrer vollendeten Schönheit. Sie spricht ja mit Augen, Mienen und allen Gliedern; da ist kein Fallreepband an dem ganzen flinken Schiffchen, das nicht mitredete und eine edle Harmonie zeigte. O, Capitain! schämen Sie sich, wie können Sie so ernsthaft aussehen und weitersteuern, ohne über Hals und Kopf Anker zu werfen. Ich für mein Theil könnte mein Lebelang hier im Hafen liegen und, Gott verzeih's mir! nichts weiter thun, als sie ansehen; vom Top zum Kiel, es ist Alles vollkommen.
Gersheim unterbrach ihn nicht. Ein wohlthuendes, und doch bitteres Gefühl erfüllte ihn; er hörte ihr Lob mit geheimer Freude und empfand dabei den Kummer eines Verlassenen. Diese Stimmung genoß er, so lange er konnte, bald aber kam die Gesellschaft herbei und der Commandeur des Küstenwächters suchte sich, soviel als möglich, bei Lucien auszuzeichnen, indem er ihr allerlei entsetzliche und lustige Geschichten erzählte, welche sie alle geduldig anhörte.
So kam der Mittag heran und als Lucie mit derselben schweigsamen Liebenswürdigkeit die Tischnachbarin des Seemanns war, schwor er, nie einen glücklichern Tag erlebt zu haben. Die Zeit beendet jedoch alles Leid und Glück auf Erden, und so zwang sie auch zuletzt den jungen Commandanten, an den Rückzug zu denken.
Seit ein paar Stunden wartete gewiß schon das Boot, das ihn an Bord bringen sollte; immer aber zögerte er noch, denn bald hatte Lucie etwas zu fragen, bald nahm Rudolf seinen Arm, um ihm etwas zu zeigen, und Gersheim bemerkte wohl, daß es dem jungen Baron darum zu thun schien, die volle Freundschaft dieses treuherzigen Seemanns zu erwerben. Er konnte sich mancherlei Gedanken nicht erwehren und einige Male schien es ihm, als sei er selbst der Gegenstand ihrer geheimen Gespräche, denn der im Verbergen von Heimlichkeiten ungeübte Offizier sah starr und kopfschüttelnd nach ihm hin.
Um so geschickter versteckte der Capitain seine Beobachtungen. Er hörte mit ungetheilter Aufmerksamkeit eine lange Geschichte der Damen aus der Stadt über einen Ball beim General und einen Streit beim Präsidenten des Gerichtshofes, flüsterte mit der wirthschaftlichen Cousine, die ihm vertraute, daß der größte Theil der Hühner jetzt nicht lege, führte dann ein pikantes Gespräch mit der Baronin, welche ihm Spötteleien über einige ihrer Gäste ins Ohr sagte und sich über Rudolf's kaltes und träumerisches Wesen beklagte, und hatte doch Zeit genug, jeder Bewegung Luciens zu folgen, selbst eine gewisse Unterhaltung in der Ferne mit ihr anzuknüpfen und jene beiden Verschwörer nicht aus den Augen zu lassen, von denen er sich mit steigender Unruhe sagte, daß sie Böses gegen ihn im Schilde führten.
Als der Commandant endlich ging, nahm er Gelegenheit, ihm seine Begleitung anzubieten, und dies hinderte wahrscheinlich Rudolf mitzugehen. Die beiden Offiziere empfahlen sich der Gesellschaft; der jüngere Theil derselben geleitete sie durch den Park, auch Lucie schloß sich ihnen an, aber sie war stiller als bisher, und schien bald ihren Bruder, bald Gersheim zu beobachten, von dem sie endlich mit einem zürnenden Ausdruck Abschied nahm, daß er die Gesellschaft verlasse.
Der Capitain schützte Pflichten vor und der Commandant bewunderte seinen Heroismus dafür.
Wenn sie mir sagte, ich solle bleiben, rief er, bei Gott! ich wüßte nicht, ob ich das Deck meiner Schaluppe je wieder beträte.
Wer weiß, was geschieht, erwiderte Gersheim lächelnd.
Nun, ganz unmöglich ist es nicht, erwiderte der Seemann. Ich bin nicht ohne Vermögen, habe gute Aussichten, meine Familie gehört zu den besten und stolz ist der Baron nicht. Der Bruder ist mein Freund geworden, ein verdammt prächtiger Junge, und voller Glut, Leben und Verstand. Was er sagt, hat Hand und Fuß, und fast sollte ich meinen, er stände mir bei, wenn es zum Gefecht käme und ans Entern ginge.
Ich meine es auch, sagte Gersheim trocken.
Und was glauben Sie, Capitain, fuhr der Commandant lebhaft fort, meinen Sie, daß noch Niemand dies Deck erobert hat?
Ich glaube, daß es sehr schwer ist und scharf vertheidigt wird, versetzte dieser, in die seemännische Redeweise eingehend.
Ah was! rief der Commandant, nachdem er einen Augenblick nachgedacht und einen Blick auf seine eigene hübsche Gestalt geworfen hatte. Einem muthigen Herzen ist alles möglich, und dann – wie zum Teufel! bedenken müssen Sie doch, daß es ein Fahrzeug ist, das ganz still durch sein Fahrwasser geht. So etwas gefällt nicht Jedermann. Sie zum Beispiel, Capitain, ich denke: Sie möchten weit lieber ein Linienschiff, das mit allen Beisatzsegeln steuert und seine Geschützluken gar nicht zumacht.
Gersheim konnte sich des Lachens nicht erwehren; ehe er aber antworten konnte, rollte der dumpfe Donner eines Kanonenschusses vom Meere herüber, bei dessen Schalle der Commandant plötzlich andere Gedanken bekam.
Was ist das? rief er. Ein Signal für mich; es muß etwas geschehen sein, lassen Sie uns eilen.
Und nun folgten eine Reihe von Möglichkeiten, untermischt von kräftigen Seemannsflüchen über den Sand, über die Küste, über den Wind und über die Albernheit der Behörden, welche gewiß neue Befehle gesandt hatten, bis sie endlich die Dünen erreichten, auf welchen ein Posten in einer leeren Strandbatterie aufgestellt war.
Ein Blick auf das Meer überzeugte Beide, daß der Commandant ziemlich richtig gerathen hatte, wenn er neue Befehle als Ursache des Lärms vermuthete. Ein großes Boot mit einer Regierungsflagge hatte sich an einen der Küstenwächter gelegt, der andere hatte seine Anker schon gelichtet. Er steuerte südwärts dem hohen Meere zu, und ungeduldig wartend standen die Matrosen in dem Ruderschlupp, um ihren trägen Capitain an Bord zu bringen.
Dieser übersah kaum, was vorging, als er zugleich mit der ausgestreckten Hand auf einen ganz fernen, wie am Himmel schwebenden Punkt zeigte.
Der Henker hole sie alle! rief er, aber diesmal haben sie vielleicht Recht. Ich will verdammt sein, wenn das nicht unser alter Freund, der Kutter, ist, der dort so still steht, als wäre er in die Wolken aufgeflogen. Aber heute so wenig, wie jemals, werden wir dies boshafte Geschöpf mit unsern eisernen Stacheln festhalten.
Hierauf zerquetschte er dem Capitain in aller Herzlichkeit die Finger und sprang die Düne hinunter.
Grüßen Sie meine schöne Schutzpatronin, rief er zurück, und sollte ich diesen Engländer nehmen, so ist es gewiß, daß mir die kleine zierliche Fregatte auch nicht entgehen wird.
In den Ruderschlägen verhallten seine letzten Worte. Gersheim setzte sich auf die Brüstung der Schanze und sah ihm träumerisch nach.
Du wärest nicht der erste rohe, beschränkte, aber muthige Mann, sagte er, der ein schönes Weib errungen hätte, um welches Klügere und Bessere warben. Was hier Liebe und Gegenliebe erzeugt, erweckt dort Ekel und Verachtung. Und ist Lucie aus anderm Stoff wie alle Weiber auf Erden?
Ein gewisses Pharisäerthum mischte sich in seine Betrachtungen. Er verglich sich im Stillen mit dem jungen Seemann, und dennoch hatte sie erklärt, kein anderes Gefühl als Freundschaft für ihn zu empfinden!
Endlich lachte er über die Zuversicht des tapfern Commandeurs, der, kaum am Bord, seine Anker hob, alle Segel beisetzte und seinem Gefährten folgte, der ihm weit voraus war, während das Regierungsboot seinen Weg an der Küste nach der Stadt zurücknahm. Es war ein schönes Schauspiel, die beiden Schaluppen zu sehen, welche ihre großen weißen Flügel ausdehnten und die vorspringende Landspitze, welche sie versteckte, rasch umfuhren.
Das ferne Segel auf der Höhe näherte sich indeß sehr langsam. Man sah wohl, daß es einem Fahrzeuge gehörte, welches aus unbekannten Gründen hin und her kreuzte, zuweilen fast ganz verschwand und dann größer wurde, um seinen Weg zurückzumachen. Offenbar wünschten die Küstenwächter, sich dem verdächtigen Schiffe möglichst unschuldig zu nähern, um ihre Jagd zu beginnen, und da dieselbe dem Anscheine nach wol gelingen konnte, da der Wind günstig vom Lande wehte und da der Fremde keine Lust bezeigte, die Flucht zu ergreifen, er vielmehr sichtlich jetzt den Schaluppen entgegenkam, erwachte die Begierde in dem Capitain, vielleicht dem Schauspiel eines Gefechts beizuwohnen.
Er eilte daher rasch über die Dünen hin, immer die drei Schiffe vor sich, und sein Antheil wuchs, als die Küstenwächter jetzt wendeten und ihren Curs so zu steuern begannen, daß der Fremde zwischen ihnen war und entweder sich eilig entfernen oder ihnen begegnen mußte. Er schien das Letzte vorzuziehen, denn sein Mast und seine Spieren wurden größer, jetzt konnte man seinen Rumpf gut erkennen und er schien es zeigen zu wollen, daß er ein guter Segler sei, denn plötzlich nahm er scharf seinen Wind und fuhr nun, ohne weiter zu wenden, gegen die Küste herauf. Bald war er den Kriegsschaluppen nahe und als er plötzlich eine große rothe Flagge entfaltete, fuhr eine Dampfsäule von einem der Küstenwächter auf, der ein halbes Dutzend anderer schnell folgten.
Nun begann die Jagd. Der Kutter schlüpfte zwischen den beiden Verfolgern hin und schien ihrer zu spotten, denn er segelte ganz in ihrem Curs. Mit halbem Wind ging er die Küste hinab ihnen immer voran, aber außer dem Bereich ihrer langen dreißigpfündigen Geschütze, deren Donner er, mehr zum Scherz wie ernstlich gemeint, durch das Abfeuern einiger kleinen Kanonen vermehrte. Die Jagd ging schnell und zog Gersheim immer weiter fort, bis er endlich dicht an der großen Seebucht und auf dem Platze stand, den er schon einmal betreten hatte. Hier konnte er sehen, wie das fremde Schiff wendete und, seine Verfolger hinter sich herlockend, um die waldige Spitze des Vorgebirges verschwand.
Unzufrieden mit diesem Erfolg seines langen Weges heftete er seine Blicke auf die nahen Sümpfe, wo er vor kurzer Zeit mehr noch getäuscht wurde, und lebhafter als je erinnerte er sich seines Abenteuers, über welches er so viel Spott erduldet hatte, als er plötzlich eine menschliche Stimme zu hören glaubte. Durch das leise Rauschen des Windes vernahm er die Töne, obwol es eine zeitlang zweifelhaft blieb, woher sie kamen.
Vorsichtig näherte er sich dem Rande der Düne und zu seinem lebhaften Erstaunen sah er unten in einer Spalte des festen Bodens, wohlgefällig im Sonnenschein ausgestreckt, die sonderbare Gestalt des alten Bettlers, den er so lange vergebens gesucht hatte. Sein verwitterter, zersetzter Mantel diente ihm als Sitz und der hagere Körper steckte in einem alten röthlichen Matrosenwamms von wasserdichtem Seegeltuch. Sein merkwürdiger Kopf voll dichtem greisen Haar und der lange silberglänzende Bart, den Sonnenschein und die wilde Decke von Land und Meer noch seltsamer und ehrwürdiger machten, gaben ihm das Ansehen eines jener fabelhaften Geschöpfe, die aus der Tiefe zuweilen emporsteigen sollen, um sich im Sonnenglanz zu erquicken.
Aber zwischen seinen nackten mächtigen Beinen saß ein Attribut der Erde und ihrer Bewohner, ihr treuester und gemishandeltster Freund, Diener und Gefährte: ein Hund, jener kleine zottige verständige Führer; um aber jeden Zweifel an seine Sterblichkeit zu verscheuchen, hielt der alte Bettler in den Händen echt irdische Speise, die er mit Lust zermalmte. Ein ungeheures Stück Brot, ein ebenso reichlicher Vorrath an geräuchertem Fleisch nebst ein paar Zwiebeln waren die Hauptbestandtheile seines Mahles, und während er schnitt und aß, sprach er erbaulich zu dem kleinen Thiere vor ihm, das auf den Hinterfüßen saß, dann und wann sein Theil vom Mahle empfing und seinen Herrn aufmerksam mit den klugen schiefen Wendungen seines Köpfchens anstarrte.
Du siehst, Peter, sagte der Alte, wie einfältig und gewaltthätig die Menschen sind. Wie schlecht es sich aber mit ihnen umgehen läßt, hast du, armer kleiner Freund, ja selbst erfahren, denn sie haben dir dein Bein zerschlagen, weil dich hungerte und du ihnen einen Abfall ihres Tisches nahmst. Ich theile mit dir, fuhr er dann, dem Hunde zunickend, fort; es geht bei uns Zug um Zug, und wenn dich hungert, bist du es nicht allein.
Das Thier streckte die Pfötchen aus und wedelte seinem Herrn zu.
Und warum thun sie das Alles? fuhr dieser fort. Warum leben sie, nicht friedlich zusammen, wie wir, Peter? Weil es Narren, sind! Sie jagen sich durchs Leben, beißend und kläffend, bedrücken sich, morden sich und hörst du wol, wie die Erde dazu nicht groß genug für sie ist! Hörst du wol, wie sie durch die Wellen fahren, um sich todt zu schlagen, weil einer ihrer großen Herren es so will und die Uebrigen alle demüthig gehorchen, wie du mir gehorchst, Peter.
Der Hund heulte leise und drehte den Kopf, nach dem Meere.
Laß es gut sein, Peterchen; rief der alte Bettler lachend, gräme Dich nicht, Niemand kann es ändern. Blätter und Menschen fallen ins Grab, ob so, ob so, es ist am Ende Alles einerlei. Aengstige dich auch nicht um den muntern Hirsch da, der sich mit den schlechten Jägern einen Spaß macht. Ich sage dir, Peter, er wird sie abschütteln wie die kleinen Strohfliegen im Rohr und du kennst ihn ja, es schadet ihm nichts. Peter knurrte lauter, indem er den Bettler unruhig anblickte.
Und dem Leben, mein kleiner Patron, fuhr dieser fort, siehst du, dem geht es wie dem Stück Fleisch hier. Täglich schneidet man seine Portion ab und zehrt davon, rascher oder langsamer, so lange es eben reicht, bis der Knochen bleibt, der mühsam abgeschabt wird, wie ich es nun thue, und endlich ist er dein!
Er warf bei diesen Worten dem Hunde die Reste zu, aber Peter reckte den Kopf in die Höhe und stieß ein klägliches Geheul und Gebell aus, denn er witterte die Nähe eines Fremden, vielleicht eines Feindes.
Wer da? rief der Bettler mit rauher Stimme, indem er sich halb aufrichtete.
Der Capitain sprang die steile Düne hinab und stand im nächsten Augenblick vor ihm.
Was thust Du hier? sagte er.
Nichts! erwiderte der Alte gleichmüthig, in dem er den Fremden mit seinen hellen scharfen Augen betrachtete.
Gersheim in seinem militairischen grauen Rock, ohne Begleiter, ohne Waffe und ohne ein weiteres Zeichen seines Ranges, schien ihm weder ein Gegenstand der Furcht noch der besondern Beachtung, denn während er sprach, zog er eine kleine Pfeife hervor, schlug Feuer und setzte den Tabak in Brand.
Und das, sagte der Capitain, scheint mir Deine gewöhnliche Beschäftigung zu sein.
Wißt Ihr eine bessere für mich, Herr? fragte der Bettler.
Aber Du weißt, daß müßige Umhertreiber in die Arbeitshäuser kommen.
Schleppt mich hin, wenn Ihr wollt; ich habe siebzig Jahre in Freiheit gelebt.
Gersheim deutete jetzt auf den Hund, der seine Füße umschnopperte, und sagte:
Jetzt erkenne ich Dich wieder. Du bist der seltsame Kauz, der mitten in den Sümpfen bei den Wasserthieren wohnt.
Ich wohne da und dort, Herr, bald bei den Menschen, bald bei den Thieren, die mir noch niemals etwas zu leide thaten.
Du ziehst die Thiere vor, erwiderte Gersheim, weil Du den Menschen unnütz bist.
Sagt das nicht, Herr Offizier, rief der Bettler mit einem Ausdruck der Schlauheit in seinen harten Zügen. Der alte Adam ist nützlicher und lieber gesehen in diesem Lande als Mancher, der sich Gott weiß wie hoch und nöthig dünkt.
Da will man Botschaft haben von einem entfernten Freunde, gleich läuft der alte Bettler zwei, drei harte Stunden; da ist ein Vieh erkrankt, und man holt ihn herbei, denn er weiß gute Sprüche; oder gar ein Mensch hat sich gelegt, da kennt er manche Blätter und Wurzeln und kocht Tränke und Salben. Und sie holen nicht Apotheker und Doctor, sie geben auch dem alten Adam nichts als ein: Gott dank es Euch! Nur zuweilen fodert er Brot und Fleisch für sich und seinen Peter; aber klopft er an die Thür und sagt: Seid gegrüßt, der Adam ist da! so heißt es: Herein mit Euch, streckt die Füße unter den Tisch und nehmt das Messer in die Hand, so lange Ihr wollt.
Gersheim fühlte sich gerührt von diesem treuherzigen Selbstlobe.
Wie kommt es aber, sagte er, daß ich nichts von Dir bei den Pachtern hörte?
Weil sie ihren alten Freund nicht fangen lassen wollten, erwiderte der Bettler lachend, und weil ich in der letzten Zeit fast immer dort war – er deutete mit der Hand nach dem Waldstrich jenseit der Bucht.
Dann sollte wol, sagte der Capitain, die blonde Dame, die Prinzessin, welche Du auf den Seen umherfährst, auch dort drüben wohnen?
Was fragt Ihr mich nach Prinzessinnen und Damen, rief der Alte. Was hätten auch solche Leute mit einem alten Bettler zu schaffen?
So sollst Du mir nicht entkommen, erwiderte Gersheim. Ich will wissen, wer dies Mädchen ist, und will Dich belohnen; aber ich werde Dich festhalten und zwingen, wenn Du Dich weigerst.
Man hat mir berichtet, fuhr der Capitain fort, als der Bettler stumm die Achseln zuckte, daß bei der Befreiung des Burschen an den Hügeln ein alter Mann mit weißem Haar den Anführer der Bande machte. Solltest Du dafür erkannt werden, so würde Dein Schicksal nicht zu ändern sein.
Ihr meint Eure Militaircommissionen, Herr Offizier, rief der Bettler mit einem verächtlichen Ausdruck, indem er Gersheim prüfend betrachtete; aber wahrhaftig, es ist nicht darum, wenn ich Euch mehr sage, als Euch vielleicht gut ist. Nun ja, ich kenne eine Dame, die zuweilen in meine arme Hütte tritt, um mir ein Almosen zu reichen, und die so schön ist, wie ein Engel, oder wie eine Prinzessin in alten Geschichten.
Wer ist sie?
Was weiß ich von ihrem Namen, erwiderte Adam; ich habe nie danach gefragt.
Aber ihren Vater kennst Du doch?
Daß er da drüben in Walde wohnt, weiß ich, entgegnete der Alte und deutete vor sich hin über die Bucht hinaus. Gersheim folgte seiner ausgestreckten Hand und glaubte zwischen den Schluchten der bewaldeten Hügel eine kleine Spitze, wie die Fahne eines Thürmchens, zu entdecken.
Dort also, sagte er. Es scheint ein Haus da zu stehen, nicht weit vom Strande.
Der Bettler nickte schweigend.
Wie weit ist es?
Wenn Ihr wissen wollt, wie es sich da lebt, Herr Offizier, so könntet Ihr keine bessere Zeit wählen. Seht in die Bucht hinein: die tiefe Ebbe ist da und alles Wasser hat sich verlaufen. Ihr würdet harte Stunden haben, wolltet Ihr rund herum in dem Dünensande fortgehen, nun aber könnt Ihr leicht quer hinüber. Kaum werden Eure Sohlen naß, und da drüben am Vorgebirge möchte ich wol selbst stehen, schon des Kutters und der beiden Kanonierschaluppen wegen, die sich da in dem breiten Wasser jagen.
Und die schöne Dame, die Dich besuchte? sagte Gersheim.
Nun, ich wollte schwören, Ihr findet sie dort, oder kommt wenigstens zu sichern Nachrichten.
Der Capitain maß die Entfernung, welche eine Stunde zu betragen schien, dann warf er einen prüfenden Blick auf die Sonne, die sich merklich dem Westen zuneigte; und schien unentschlossen, ob er es wagen sollte. Der Weg durch das trockene Becken der Bucht war einladend, der feste Meersand bildete einen bequemen Uebergang, nur hin und wieder waren Lachen zurückgeblieben und der Boden des Meeres, von bunten Muscheln und Seethieren überdeckt, hatte einen eigenen Reiz, darüber hinzugehen.
Er ging ein Stück am Rande der Bucht hinunter und bewunderte, wie mächtig hier Ebbe und Flut einwirkten, denn bis an die Spitze des Vorgebirges hatte sich das Wasser zurückgezogen. Als er zurückkehrte, war der Bettler verschwunden, und ohne weiteres Bedenken ging er mit schnellen Schritten über den Meerboden hin. Bald hatte er auch eine tüchtige Strecke zurückgelegt, aber sein Pfad war nicht so bequem als es anfangs schien; denn die Unebenheiten, die Lachen, die Masse des Seeschlamms, die angespülten abgerissenen Wasserpflanzen, Trümmer der verschiedensten Dinge und die Haufen von glitzernden Schalthieren und wunderbaren Geschöpfen, die sich regten und wanden und deren abenteuerliche Gestalten seine Aufmerksamkeit und seinen Abscheu in Anspruch nahmen, hinderten ihn überall.
Bei den Versuchen, diesen Hindernissen zu entkommen, bemerkte er kaum, wie der Abend schnell hereinbrach. Ein glühend rother Sonnenglanz bedeckte auf einige Minuten die Bucht und warf sein brennendes Licht über die waldigen Berge. In der Ferne that sich eine Schlucht auf und zeigte das geheimnißvolle Haus und den Thurm mit dem hohen Fahnenknopfe; plötzlich aber löste sich die dunkle Wand am südlichen Himmel und überdeckte und löschte das Licht. Wie ein schwerer Vorhang senkte sie sich auf das Meer, das dumpf rauschend sich zu nähern schien. Ein feiner Nebel, der mit jedem Augenblick dichter wurde, wälzte sich über den ängstlichen Wanderer hin und schloß ihn von allen Seiten ein.
Erschrocken stand er zuweilen still und horchte in den Abend hinaus; dann rief er laut, weil es ihm schien, als nahe Jemand, aber der Wind verwehte seine Stimme schnell und vorsichtig eilte er weiter, ohne zu wissen, ob er den geraden Weg verfolge.
Plötzlich schien es ihm, als würden seine Füße in den nassen Boden hinuntergezogen und ein unabsehbarer Wasserspiegel dehnte sich vor ihm aus. Er wich zurück, wo es fester war, und strengte sich an, das Dunkel zu durchsehen, indem er wiederholt laut um Hülfe rief.
Diesmal war es in der That eine Menschenstimme, die ihm antwortete.
Hierher, hierher! rief man ihm zu.
Er eilte vorwärts, und wie er näher kam, gewahrte er zwei Männergestalten.
Wer, zum Teufel! geht hier mitten in der Bucht? rief der Eine schon von weitem.
Ein Verirrter, sagte der Capitain.
Ein Verwirrter, würde ich eher gerathen haben, erwiderte der Mann rauh. Habt Ihr ein Leben zu viel, Freund, um zu dieser Stunde hier zu sein, wenn Ihr nicht genau wißt, was Ihr thut? Ihr seid auf dem Wege, dem Tod in den Rachen zu laufen. Fühlt Ihr das Wasser nicht unter Euern Füßen? Die Flut kommt zurück; in einer halben Stunde ist sie hier mannstief, in einer Stunde schlägt sie zehn Fuß hoch an die Ufer.
Wohin soll ich gehen? fragte Gersheim.
Wer seid Ihr? erwiderte der Fremde, und plötzlich erkannte der Capitain die Stimme, welche demselben Mann gehören mußte, den er im Garten des Schlosses im Gespräch mit Rudolf und Lucien erblickte.
Ich bin ein Offizier des Regiments an der Küste, sagte er.
Seid Ihr der Capitain etwa, der dort im Schlosse sein Quartier hat? fragte der Mann herausfodernd.
Derselbe, versetzte Gersheim.
Nun, bei Gott! rief Jener, so wollte ich, ich hätte Euch gelassen, wo Ihr wart.
Und was bewegt Sie zu dieser feindseligen Brutalität?
Daß Ihr ein Deutscher seid, schrie der Fremde; einer jener elenden Helfershelfer der Tyrannei, einer der Menschen, die sich ein Vergnügen daraus machen, Unglück und Schande über ihr Vaterland und ihre Landsleute zu bringen, und dann obenein damit prahlen, daß sie ihre Pflicht erfüllen, um ein Kettchen oder Kreuzchen davonzutragen.
Wer Ihr auch sein mögt, rief Gersheim empört, Ihr handelt unedel, einen Schutzlosen und Hülfsbedürftigen zu beschimpfen; Ihr sollt mir Rechenschaft geben. Wer seid Ihr?
Kind, Kind! sagte der Mann dumpf lachend, dort geht Euer Weg, wo der weiße Wolkenstreif steht. Macht, daß Ihr fortkommt, schlagt ein Kreuz über Eure Sünden und bessert Euch, wenn Ihr es vermögt.
In dem Augenblick that der Begleiter des Fremden, welcher inzwischen, ohne sich an das Gespräch zu kehren, weiter gegangen war, einen gellenden Pfiff.
Geduld, Geduld! rief der Mann, ich komme sogleich. Geht rasch, Herr, wenn Euch das Leben lieb ist, und lohnt meine Milde, indem Ihr Leute nicht länger verfolgt, die Euch nichts thaten und besser sind als Ihr.
Nach dieser letzten Beleidigung ging er schnell seinem Gefährten nach und nach wenigen Augenblicken war er verschwunden.
Gersheim hielt sich nicht mit Zorn und Betrachtungen auf, er folgte vielmehr der Anweisung seines groben Beschützers in möglichster Eile und bald genug empfand er, wie wahr derselbe gesprochen hatte. Die Flut war schneller als er, mit furchtbarer Gewalt stürzte sie in die Bucht und nur mit der äußersten Anstrengung, erschöpft und durchnäßt, gelang es ihm, die Dünen zu erreichen.
Todtmüde warf er sich auf den harten Boden und lange blieb er hier sich selbst überlassen, nachsinnend, welchen Weg er einschlagen, oder wie und wo er die Nacht zubringen könne, als er plötzlich in der Ferne das Bellen eines Hundes hörte. Dieser Ton überraschte und ermunterte ihn um so mehr, da er sicher war, daß die scharfe winselnde Stimme Niemandem anders als seinem kleinen Freunde Peter gehören könne.
Er stieg auf die Höhe der Düne und sah umher, aber die Gegend war ihm völlig unbekannt. Als die Flut ihn bedrängte, war er von seiner anfänglichen Richtung abgewichen, weil es ihm schien, daß er einen längern Weg vor sich habe; nun aber fand er sich auf einer öden Haide, den Waldstrichen nahe, ohne Spur des Menschenlebens. So schnell er konnte, folgte er dem Gebell des Hundes, aber es war keine so leichte Sache, in Nacht und Busch einen Weg zu finden. Zuweilen näherte er sich dem Meere und hörte das Brausen der Flut, die schäumend an die Dünen schlug, dann ging er die Waldhügel hinauf und glaubte Menschenstimmen sich ganz nahe, aber immer fand er sich getäuscht.
Endlich, nachdem er fast alle Hoffnung aufgegeben hatte und einen steilen Hügel hinanstieg, sah er plötzlich in der Tiefe zu seinen Füßen ein Licht, und nicht ohne Verwunderung erkannte er das gefährliche Waldschloß. Vorsichtig stieg er von der Bergwand nieder und ging unter den prachtvollen alten Buchen hin, die am Abhange eine Art verwilderten Park zu bilden schienen. Tiefe Ruhe herrschte hier unten, oben brauste es im Walde, aber der Wind zog über die Schlucht hin und die Wolken, welche schnell vorüberjagten, ließen dann und wann das Mondlicht halb umschleiert hereinfallen und den alten Bau schwach erhellen.
Als Gersheim dem Thore gegenüber war, sah er, daß das Licht, welches er früher erblickt hatte, von dem kleinen Thurme kam. Ein Fenster desselben war erhellt und der Schein der Flamme gegen das Meer gerichtet. Leise faßte er an das starke Bohlenthor, es war innen verriegelt; und so stand er unschlüssig, ob er Einlaß in ein Haus begehren solle, das so unheimlich war, wie sein Besitzer, den er nun zu kennen glaubte.
Das Gemurmel naher Stimmen störte ihn auf, und wie er an der Seite des Gebäudes hinschlich, stand er plötzlich vor einem erleuchteten Fenster. Der Epheu, welcher dicht die Mauer bedeckte und sich um die Eisenstäbe der Oeffnung schlang, erlaubte ihm, völlig geschützt, hineinzusehen, und mit wachsender Theilnahme musterte er das hohe, große Gemach und die Menschen darin.
Die Decke war gewölbt und wurde von einem Pfeiler getragen, Jagdscenen waren auf alten Tapeten gemalt, die zerrissen die Wände bedeckten; Waffen und Hirschgeweihe bildeten Trophäen daran. Der ungeheure Tisch in der Mitte war ein Werk alter Zeit, und hohe Polsterstühle standen daran umher, auf welchen zwei Personen saßen, die Gersheim nicht ohne lebhafte Bewegung betrachten konnte.
Der junge große Mann, welcher eine Hand seiner Nachbarin vertraulich in die seine gelegt hatte und mit ihren Locken spielte, war Rudolf, die andere war die schöne blonde Unbekannte und in dem großen Lehnstuhle an der andern Seite des Tisches ruhte ein Mann mit ernstem, stolzem Gesicht, der, noch ehe er sprach, von dem Capitain unfehlbar als sein rauher Wegweiser wiedererkannt wurde. Auf einem niedern Polster im Hintergrunde erblickte Gersheim auch den alten Bettler, der, an die Thürpfoste gelehnt, zu schlafen schien. Sein Gesicht war von dem langen weißen Haar ganz bedeckt, und vor ihm saß der kleine Hund, der seinen Herrn aufmerksam betrachtete.
Der obere Flügel des Fensters war geöffnet und Gersheim verfolgte mit Aufmerksamkeit die sanften wohlklingenden Worte, welche die junge Dame aus einem großen Buche las. Es war die Geschichte des heiligen Bischofs von Karthago, Cyprianus, der durch Galerius Maximus, den Proconsul in Afrika zur Zeit des Kaisers Galienus, den Märtyrertod erlitt. Mit großer Andacht schien der ältliche Herr die Leiden des frommen Bischofs zu hören, während Rudolf ungeduldige Blicke auf die Blätter, auf die schöne Leserin und dann und wann auf die rasch ziehenden Wolken des Himmels warf.
Auch Gersheim sah und hörte Alles mit steigender Verwunderung. Was hatte die Frömmigkeit mit diesen verdächtigen Menschen zu schaffen? Wer waren sie, die hier, im öden Walde verborgen, der herrschenden Ordnung zu entrinnen suchten, die sie sicher zu fürchten hatten?
So hat doch von je an die Gewalt mit Hülfe der sogenannten Gesetze das wahre Recht unterdrückt, rief plötzlich der Mann im Lehnstuhl, denn immer hat man die Menschen zwingen wollen, den Götzen zu opfern, und an Märtyrern hat es zu keiner Zeit gefehlt.
Das ist ein schöner Beweis für die Menschen, erwiderte das junge Mädchen. Sie sind nicht schlechter geworden, lieber Vater, wie Du so oft sagst, wenn sie noch für Wahrheit und Recht sterben können.
Besser ist es, fiel Rudolf ein, wenn Gefahren uns umringen, diese durch Klugheit abzuwenden, als sie unbedacht zu vermehren.
Du willst mich tadeln wegen meines Streites mit dem Offizier, erwiderte der Mann, und Du hast Recht. Daß unsere Freunde fortgetrieben wurden, hatte mich mit heftigem Zorn erfüllt. Welche Nachrichten hätten wir erhalten können, was war nicht zu vermuthen und zu hoffen, und wie ungewiß ist nun Alles?
Um so vorsichtiger müssen wir sein, entgegnete Rudolf.
Aber welcher Zufall bringt diesen Mann in unsern Weg? begann jener wieder. Was sucht er hier umher? War es nicht besser, ihn auf immer zum Schweigen zu bringen?
Vielleicht! versetzte Rudolf nach einer Pause; aber dann hätte man es thun, nicht nur damit drohen müssen. Es ist ein entschlossener willenskräftiger Mensch, dessen Nachforschungen uns übel bekommen können.
Mag er sich hüten, rief der Mann drohend; unsere gute Sache soll er uns nicht verderben.
Ich glaube, daß er mich nicht erkannt hat, sagte Rudolf lächelnd; auch habe ich eine gewisse Hoffnung, daß seine Nachstellungen nicht sehr ernstlich sein werden.
Den wird Niemand fangen, begann der Bettler. Aus den Sümpfen kam er gesund, und wie ich ihn heute in die Bucht schickte, dachte ich: Geh', Nacht und Flut kommen schnell, und wenn Du diesmal glücklich wiederkommst, wirst Du lange leben auf Erden.
Du hast ihn hinübergeschickt, alter Narr? rief der Hausherr.
Weil er mich festhalten wollte, sagte der Bettler lustig, weil er nach dem Waldkönig fragte und weil er noch einen besondern Grund hatte, die Gegend kennen zu lernen.
Das heißt, weil er wie ein echter Don Quichote einer Prinzessin oder Fee mit blondem Haar und blauen Augen nachläuft, fiel Rudolf ein, die ihm mehrmals erschienen ist und ihren hohen Schutz zugesagt hat.
Und ich hoffe, diese Prinzessin wird ihr Wort halten, erwiderte die junge Dame lächelnd.
Vielleicht auch nicht, versetzte Rudolf rasch, denn wer weiß, ob das romantische Herz des irrenden Ritters nicht jetzt schon von den kalten Meernixen verzehrt wird.
In dem Augenblick richtete sich der kleine Peter auf, streckte seine Nase in die Höhe und fing leise an zu knurren.
Da irrt Ihr, sagte Adam mit einem schnellen Blick nach dem Fenster, er ist entkommen; aber hörtet Ihr nichts? Es ist eine Bootmannspfeife und Peter bellt nicht umsonst. Unsere Freunde sind in der Bucht.
Man pochte stark an dem Thore; mehrere Männer kamen in der Schlucht herauf und folgten einem Führer, der eine Laterne trug.
Der Hausherr sprang aus dem Lehnstuhl und riß das Fenster auf. Gersheim warf sich schnell an der Mauer nieder.
Oeffnet und führt sie herein, rief er. Gütiger Gott! wenn ich mich nicht täusche, so ist er es selbst und dann muß es entschieden sein, mögen ihre Kaiser und Könige auch tausend Todesurtheile über uns sprechen.
In heftiger Bewegung eilte er zur Thür; Rudolf war schon hinaus und der Bettler schlich mit dem Hunde hinterher, als die junge Dame ihn zurückrief.
Weißt Du gewiß, sagte sie leise, daß er dem Wasser entgangen ist?
Ganz gewiß, erwiderte Adam; ich habe ihn gesehen.
Sie folgte seinem schlauen Winke und erblickte eine Gestalt am Fenster. Ohne Zögern eilte sie hin und öffnete es.
Sie sind es, Capitain Gersheim? sagte sie.
Der Verirrte ergriff ihre Hand. Mein guter Stern hat mich hergeführt, flüsterte er; ich fand Sie wieder, ehe ich es glaubte.
Preisen Sie diesen Stern nicht, rief sie und umklammerte mit ihren beiden Händen fest die seine. Ein Ruf von mir und es ist um Sie geschehen.
Was wollen Sie thun? sagte er sanft und leise.
Nein, nein! erwiderte sie stolz, indem sie ihn losließ, Sie sollen wie ein freier Mann handeln. Eilen Sie fort, fliehen Sie schnell von hier, aber schwören Sie, Alles zu vergessen, was Sie sahen; schwören Sie, dies Haus und seine Bewohner nicht zu kennen, oder gehen Sie hin und verderben Sie Die, welche es leicht auf immer hindern konnten.
Nie werde ich dies edle Vertrauen täuschen, sagte Gersheim. Ich schwöre gern, was Sie fodern, nur vergessen kann ich nicht.
Sie kommen zurück, murmelte Gitta; aber fort, fort! Sie dürfen hier nicht bleiben, nichts hören, nichts sehen, wenn wir uns wiederfinden wollen.
Sie schloß das Fenster in dem Augenblicke, wo ihr Vater und Rudolf in Begleitung eines andern Mannes hereintraten, dessen kräftige herrische Gestalt die Achtung zu gebieten schien, welche ihm erzeigt wurde. Ein kurzer dunkler Mantel lag auf seinen Schultern und bedeckte ein schwarzes Kleid; kühn saß die Mütze auf seinem breiten Kopfe, ein Gesicht mit kraftvollen offenen Zügen beschattend, denen man es ansah, daß des Lebens wandelbare Schicksale sich vorzeitig darauf eingeprägt hatten. Diese Strenge ward jedoch durch helle freundliche Augen gemildert und durch die redliche Güte, welche sie ausstrahlten.
Als er hereintrat, warf er den Mantel ab und ergriff die Hand seines Wirthes.
Nun, da bin ich, sagte er; aber man hat es uns sauer gemacht, hier einzusprechen. Das ist ein gutes Zeichen; ich bin daran gewöhnt, mich durchzuschlagen, und selten vom Glück dabei verlassen worden.
Sie nennen Glück, mein gnädiger Herr, entgegnete der alte Mann, was Talent und Verdienst heißen müßte.
Still, still! rief der Fremde lächelnd. Ich bin ein Handelsmann; ich bringe mich und meine Waaren hierher, da meine Freunde mir geschrieben haben, es könnte sein, daß wir gute Geschäfte machten. Nun will ich selbst sehen und hören, ob ich willkommen bin.
Mit Sehnsucht erwartet und mit der treuesten Liebe empfangen, erwiderte der Waldbewohner.
Und wie sieht es aus im heiligen deutschen Reich? sprach der Herr wieder. O! Ihr lieben Freunde, wenn man so lange fort ist von den Wäldern, den grünen Bergen und ihren herzlichen, liebevollen Menschen, dann fühlt man erst das heiße Brennen der Sehnsucht in allen Eingeweiden. Dann geht es an ein Bangen und Schmerzen; Kummer und Heimweh plagen Nacht und Tag und man möchte sein armselig Leben tausendmal hinwerfen, um eine Stunde glücklich zu sein.
Das Glück wird wiederkommen, sagte Rudolf, wenn wir es festzuhalten wissen.
Recht, mein junger Freund, versetzte der Fremde, und das laßt uns wohl erwägen, ehe wir den Handel beginnen. Ich bin ein so kühner Wagehals wie Einer, setze Gut und Blut gern und willig daran, aber es muß auch eine Aussicht auf Gewinn sein. Ihr habt mir mancherlei geschrieben, es war viel Wahres darin; nun laßt mich sehen, was wir thun können, kurz und bestimmt, wie ich es liebe.
Sie setzten sich um den Tisch und die Tochter des Waldherrn hatte indeß häusliche Sorge für die Gäste getragen. Ein Wildpastete ward auf den Tisch gesetzt, alte bestaubte Flaschen wurden herbeigeholt, in den Gläsern funkelte der helle Wein und der lechzende, ermüdete Verirrte draußen sah mit einer Art Tantalusverzweiflung zu, wie das köstliche Mahl denen da drin mundete.
Dabei sprachen sie mancherlei, was er gar nicht oder nur halb verstand. Bald schien es in der That, als sei von einem Handel die Rede, von Schmuggelwaaren, mit denen der Kutter angefüllt sei und die man schnell ans Land schaffen wolle; bald hatten die Worte einen versteckten Sinn, hinter denen manches Gefährliche lauern konnte. Der Fremde selbst wurde so hochachtungsvoll behandelt wie ein sehr vornehmer Herr, aber er wollte nichts davon wissen und versicherte mehrmals, er wollte das Geschäft so still und unbekannt, als möglich, betreiben.
Aber als ein deutscher Mann wußte er mit Glas und Messer umzugehen. Die Flaschen wurden leer, die Pastete schrumpfte zusammen, dafür belebten sich die Gespräche. Der Fremde kreuzte endlich die Arme und hörte lange schweigend zu, was man ihm leise vorzurechnen schien. Papiere und Briefe wurden geholt und gelesen, Fragen gethan und die Antworten bezweifelt, bis er endlich mit seiner tiefen Stimme sagte:
Eigentlich wollte ich wenige Stunden nur bei Euch bleiben, meine Freunde, bis die Ebbe unser kleines Fahrzeug wieder aufs hohe Meer hinaustreiben würde. Ich wollte mich überzeugen, was zu hoffen sei, um die Zukunft danach zu berechnen; jetzt schwanke ich jedoch, ob nicht ein Versuch zu wagen sei, der uns zeigt, wie weit wir gekommen sind. Wenn es Alles so ist, wie Ihr behauptet, wenn unsere Freunde im Lande und dort in der Stadt so thätig waren, und namentlich auch darauf zu rechnen ist, daß wir Tüchtigkeit und Theilnahme selbst bei Denen finden, die unsere Wächter sein sollen, so möchte ich wohl zusehen, ob das Glück festzuhalten sei.
Da wurde plötzlich das Gespräch unterbrochen. Ein Geschrei vom Meere her begleitete seine letzten Worte und eine rothe Rakete stieg hell in den Himmel auf. Gleich darauf fielen Schüsse, Lichter funkelten auf dem Wasser, und als wolle der Himmel auch dazu beitragen, besser erkennen zu lassen, was vorgehe, so brach der Mondschein hell aus einem wolkenleeren Spalt und beleuchtete den kleinen Kutter, der von den Küstenwächtern überrascht war.
Einige Augenblicke lang schienen die Menschen in dem alten Gebäude von dem Unerwarteten so überrascht zu sein, daß sie ganz still an dem Fenster das Schicksal ihres Bundesgenossen anschauten. Deutlich konnten sie sehen, wie die Boote der Kriegsschaluppen, mit Mannschaft dicht besetzt, auf das Schmuggelfahrzeug losfuhren, wie dies versuchte, seine Segel zu gebrauchen, aber in der nächsten Minute die Mannschaft, um nach der Küste zu entfliehen, sich in ein Boot warf, das mit Schüssen geängstigt, eingeholt und um gestürzt wurde. Das Geschrei der Versinkenden, der wilde Lärm der Sieger, die rothen Blitze und der Donner der Kanonen, die auf den treibenden Kutter gerichtet waren, der Jubel endlich, mit dem sie auf sein Deck sprangen – Alles folgte sich überraschend schnell.
Sie haben ihn wirklich, den schlanken Hirsch, rief der Waldbewohner endlich mit schmerzlicher Verachtung; ist es möglich, diesen ungeschlachten, tölpelhaften Gesellen mußte es gelingen! Aber sie kommen, sie verfolgen ihren Sieg und nur zu gewiß ist es, daß wir dies alte gute Haus für immer verlassen oder uns darin begraben müssen.
Laßt das Haus stehen, wo es steht, sagte der Bettler, der bisher in seinem Winkel gesessen hatte, Ihr werdet doch die wilden, nach Blut und Beute schreienden Matrosen nicht aufhalten, und was habt Ihr davon, Herr, wenn Ihr darin begraben liegt? Dahinter rauscht und ruft der grüne, tiefe Wald und ich weiß manch hübsches Plätzchen, das fester und sicherer ist als diese alten Mauern. Nehmt mit, was nothwendig ist; wir haben alle gute Schultern, das Andere werft den schreienden Raben hin. Da ist Anton, der Müller, der weiß, was laufen und tragen heißt, und der große fremde Herr da sieht auch aus, als hätte er eben nicht sonderliche Lust, hier stehen zu bleiben.
Der Fremde hatte ruhig in die Ferne hinausgesehen und Alles genau betrachtet.
So wunderlich ist es mit unsern Vorsätzen, sagte er. Vor wenigen Minuten noch war ich zweifelhaft, was geschehen müsse, und plötzlich weiß ich es gewiß, denn es bleibt keine Wahl. Aber der alte Mensch da hat Recht; ich empfinde gar keine Lust, diese rohe Bande hier zu erwarten. Es ist ein widerlicher Gedanke, unbekannt, ohne Zweck und Ziel, um Mitternacht erschlagen und in die Wellen geworfen zu werden. Ein solches Loos habe ich oft gefürchtet; nun weiß ich aber, es wird mein Ende nicht sein. Wenn ich im Kampfe fallen soll, so sei es in großer, kühner Feldschlacht, ihm gegenüber, der der größte und tapferste der Menschen ist; mit ihm um den Sieg ringend, der eine Welt erwirbt oder verlieren läßt. O! ich bitte Euch, meine Freunde, der Gedanke ist so erbärmlich, daß er mich feig machen könnte. Laßt uns nehmen, was zu nehmen ist, und laßt uns gehen.
Dieser Ausspruch war das Signal des Rückzuges. Eilig rafften die Flüchtlinge zusammen, was ihnen kostbar schien. Ein Diener des Fremden, der alte Bettler und ein rüstiger junger Kerl, der Müller, wie ihn Adam genannt hatte, beluden sich mit dem Schwersten, die Uebrigen halfen; auch der Fremde nahm Theil an ihrer Last und eben stiegen sie im Walddunkel den Hügel hinan, als die Boote landeten und eine bewaffnete Schar mit Fackeln rasch die Schlucht heraufkam und das verlassene Haus nach allen Seiten umstellte.
Wie sie weit fort waren, hörten sie noch das Geschrei und dann röthete sich der Himmel von einer Feuersbrunst, von der sie wohl wußten, was sie zu bedeuten hatte.
Der Mann, dessen Eigenthum es gewesen war, blickte mit Kummer darauf zurück.
Ich habe mehr verloren, sagte er, und mein Obdach war Wald und Himmel; aber ich hatte es doch lieb, das kleine düstre Haus, das mir so lange Schutz gewährte. Mancherlei Andenken belebten meinen Muth darin. Edle deutsche Herren wohnten hier, deren letzte Spur jetzt von dem Gesindel geschändet wird, das leider auch deutsche Namen trägt.
Rudolf tröstete den betrübten Mann.
Wir würden doch die alte Ruine nicht lange mehr gebraucht haben, sagte er. Man wird ein Suchen anstellen und nichts finden, aber die Aufregung wird größer und jetzt gilt es, jeden Umstand zu benutzen. Wer weiß, wie wir den Markt, der in dem großen Flecken, dort hinter der Haide, auf nächste Woche fällt, anwenden können, wenn wir thätig sind. Was unsern verehrten Gast betrifft, so ist meines Vaters Haus wol der beste Platz für ihn und mit meinem Leben verbürge ich mich dort für seine Sicherheit.
Die Männer gingen weiter und bemerkten es in ihrer Hast kaum, daß Gitta zurückgeblieben war, langsamer stieg sie den Hügel hinan, und als sie das Geräusch eines Nahenden hörte, blieb sie stehen.
Sie sind es, Capitain Gersheim? sagte sie; ich ahnte Ihre Nähe und wartete.
Gütiger Himmel! erwiderte er, wie gefährlich und hülflos ist Ihre Lage. Ich wage nicht, zu vermuthen, wodurch es kam; ich darf Ihnen selbst meinen Beistand nicht anbieten, nicht fragen, wohin Sie Ihre Schritte lenken. Ja, Sie haben Recht! ich muß vergessen, daß ich Sie gesehen, denn morgen, vielleicht in wenigen Stunden schon zwingt mich mein Schicksal, Sie zu verfolgen.
Und doch werden Sie immer mein Freund sein, versetzte sie lächelnd. Das Menschenleben und Treiben will Sie zwingen, aber die mitleidsvolle Stimme in Ihnen ist mächtiger. Wenn plötzlich dieser einsame Wald umstürzte, wenn das falbe Mondlicht so durchsichtig glänzend würde, daß die großen besternten Herren da unten in der Stadt uns Beide sehen könnten, wie wir hier voll Zuversicht neben einander gehen, würde da Gottes und der Wahrheit Gebot nicht mächtiger sprechen als alle Menschenworte?
Welt und Gott! erwiderte Gersheim seufzend, wo vermitteln sich die Gewalten, welche das Leben regieren?
In der freien Menschenbrust, sagte Gitta stolz; in der erhabenen Macht des Geistes, der ungebeugt das Wahrhaftige und Edle liebt. Das ist ein großer heiliger Orden, auch Sie gehören dazu, und bald wird die Stunde schlagen, wo Sie nicht länger widerstehen können, sich zu befreien. Ich habe Sie eher gekannt, als Sie mich sahen, fuhr sie lächelnd fort, denn Lucie ist meine Freundin, und glauben Sie nicht, empfinden Sie nicht, daß Ihr Schicksal fest mit dem unsern verknüpft ist; daß eine unsichtbare Macht Sie herführte und all Ihr Muth nicht ausreicht, einem Glücke zu entsagen, das das edelste schönste Herz Ihnen bietet? Und hier trennen sich unsere Wege, aber wir finden uns wieder. Dort kommt Rudolf, der mich sucht. Gehen Sie hier gerade hinab, so werden Sie in einer Stunde Menschen treffen. Gute Nacht, Capitain Gersheim!
So eilte sie den Hügel hinunter und Rudolf entgegen, der soeben heraufstieg; Beide kehrten um und Gersheim sah ihnen lange nach. Dann ging er in der bezeichneten Richtung fort; Alles war wie ein Traum vor seiner Seele. Nach einer Stunde gelangte er auf einen Weg und dieser führte ihn in ein Pachthaus an dem großen Moor, wo er nach tüchtigem Pochen eingelassen ward. Man gewährte ihm gern, warum er bat, und bald fiel er in tiefen Schlaf, aus dem er erst am Morgen erwachte, als sein Wirth mit der Neuigkeit hereintrat, daß das Schießen in der Nacht von der großen Bucht gekommen sei, wo die Strandwächter einen englischen Kutter genommen hätten. Auch wäre ein Meierhaus im Walde dabei in Feuer aufgegangen, da die Schmuggler sich dort über die Maßen gewehrt hätten, bis sie alle verbrannt wären.
Der Pachter hatte ein so einfältiges Gesicht, daß Gersheim einige rasche Fragen über das Haus und seine Bewohner that, aber er konnte nichts Bestimmtes erfahren. Der Mann zuckte die Achseln und meinte, jenseit der Bucht gehöre das Land eigentlich dem Herzog und der werde Geschrei genug erheben über die That, wenn es ihm auch nichts hülfe. Das alte Gebäude sei ein Jagdschloß gewesen und eine kleine Meierei gehöre dazu. Wer da wohne, wie wisse er es? Denn heutzutage sei ja Niemand sicher, zu behalten, was er habe.
Hier besann er sich, ob er auch nicht zu viel gesagt habe, und brach dann mistrauisch ab.
Es ist ein schöner Morgen, Herr Offizier, sprach er, und wenn Sie mein Pferd nehmen und es bei meinem Vetter auf dem Vorwerke abgeben wollen, können Sie in zwei Stunden im Schlosse sein.
Der wackere Mann hatte die Zeit, welche sein Rappe brauchte, gut berechnet. Das Thier ging seinen Paß durch Wiese und Moor, ohne auf die Ungeduld des Reiters und dessen Fersenstöße besondere Rücksicht zu nehmen, und nach richtigen zwei Stunden war Gersheim auf der Terrasse.
Sie war verlassen heute, Niemand empfing ihn und so konnte er unbemerkt in den schönen Gartensaal treten, aus welchem ihm Musik entgegentönte. Lucie saß am Flügel und überließ sich ihren Phantasien, denen sie ihr ganzes innerstes Leben einhauchte. Oft schon hatte der Capitain diese Sprache der Töne bewundert, in welcher das stumme Kind mit Gott und sich zu reden verstand, und nie war ihm früher die Ahnung aufgegangen, welch ein heiliges, tiefes Leben aus bewegter Seele in diese elenden Fäden und Tasten ausströmen könne.
Er hörte ihr mit immer wachsender Wehmuth und Liebe zu. Das schien ihm die eigentliche Stimme ihres Blumenlebens zu sein, diese sanften Klagen, diese leisen, hingehauchten Akkorde, die Stimme der Freude neben dem edeln Schmerz und dann und wann ein dumpfer Ton der Trauer, ein Grabgeläute, eine stürmische Regung um Unerreichtes und ewig Versagtes, das sich schnell in Preis und Wohllaut, in Trost und Hoffnung auflöste.
Die Abenteuer dieser Nacht und Gitta's prophetische Worte, die immer wieder in seiner Brust erklangen, füllten ihn mit Schmerz und Sehnsucht. Betäubt von widerstreitenden Gefühlen, lehnte er sich an die Wand und bedeckte seine brennende Stirn.
Da sah sie den Schatten seiner Bewegung und plötzlich wendete sie den Kopf und erblickte ihn. Die leuchtend großen Augen waren ganz voll Glück. Sie stand auf und machte eine schnelle Bewegung, dann war sie ruhig und reichte ihm beide Hände, indem sie lächelnd zu ihm aufsah.
Gersheim las in ihren Blicken, was sie nicht aussprechen konnte.
Sie sind besorgt gewesen, meine theure Freundin, sagte er und preßte ihre Hand an seine Lippen; Sie hatten ein Recht dazu. Wüßten Sie, welche sonderbaren Abenteuer ich erlebte, Sie würden meine Unvorsichtigkeit noch mehr anklagen.
Lucie drohte ihm, dann aber deutete sie durch eine schnelle Reihe von Zeichen an, daß sie Alles wisse.
Und wer hat es Ihnen gesagt? rief er überrascht.
Sie deutete auf den Himmel, dann machte sie mit den Fingern eine flatternde Bewegung und legte die Hand an ihr Gesicht, indem sie die Augen schloß.
Ein Engel brachte die Botschaft, sagte er lächelnd, und ich glaube, theure Lucie, dieser Engel erzählte Ihnen noch weit mehr von Dingen, die ich nicht weiß. Wollen Sie mir nichts davon mittheilen?
Sie machte ein verneinendes Zeichen, indem sie einen besorgten Blick durch den Saal that.
Was fürchten Sie, fuhr Gersheim fort, glauben Sie, daß uns Jemand belauscht?
Sie legte den Finger schnell auf den Mund, indem sie leicht die Schulter bewegte. Dann strich sie die Locken von ihrer Stirn, die von der hastigen Bewegung darauf gefallen waren, und sah ihn angstvoll und zärtlich an.
Welche Deutung soll ich Ihrer Mittheilung geben? sagte er. Droht mir Gefahr?
Sie nickte ihm schnell zu, indem sie mit der Hand die Bewegung des Schweigens machte.
Ich fürchte sie nicht, sagte er mit gedämpfter Stimme.
Lucie deutete auf sich und eine heftige Unruhe lief durch ihre sanften Züge. Dann ergriff sie seinen Arm und sah ihn stolz und fragend an.
Was soll ich thun? sagte er zögernd.
Sie deutete mit der Hand in die Ferne und ließ sie dann langsam sinken, indem sie die Augen niederschlug und ihn schnell und fragend wieder anblickte.
Fort soll ich! sagte er düster; Sie wollen, daß ich Sie ganz verlasse? In dieser Nacht sind mir manche schreckliche und schmerzliche Gedanken, wie Gespenster einer Zukunft, erschienen, die mich warnen will, ehe sie sich erfüllt. Sorgen Sie nicht, fuhr er fort, als Lucie bedeutungsvoll den Finger aufhob; da Sie Alles wissen, so ist es Ihnen auch bekannt, daß ich Schweigen und Vergessen gelobt habe. Ja, ich möchte weit gehen, weiter, als die Welt reicht, um jede Erinnerung zu verlieren; denn könnte ich die Stunde überdauern, Lucie, wo das Unglück hereinbrechen wird, über Sie, über Euch Alle, die ich liebe? Der alte werthe Mann, die gütige Baronin, Rudolf und selbst das seltsame Mädchen, Alle elend verloren, Schmach und Tod preisgegeben. Und doch kann ich nicht fort, Lucie, wie es hier auch brennt in meinem Herzen, wie ich seine Thorheit auch empfinde, wie Sie selbst es verworfen haben.
Hier faßte sie seinen Arm von Neuem und sah ihn mit einem heißen Blick der Liebe und doch mit entsagendem Ernst an. Sie breitete die Hände aus und legte sie dann beide auf ihr Herz; plötzlich, von der Heftigkeit ihrer Gefühle überrascht, trat sie zurück, deutete auf sein Kleid, daß er es fortwerfen möge, dann auf die Thür, welche nach Rudolf's Wohnung führte, und legte seine Hand in die ihre, indem sie fragend fest ihre Augen auf ihn richtete.
Ich begreife, erwiderte der Capitain mit Bitterkeit. Es könnte sein, daß man zu verborgenen Zwecken Hülfsgenossen sucht, und daß man diesen einen Preis bietet, der so hoch und köstlich ist, daß er Heilige verführen könnte. O! Lucie, welche furchtbare und sinnverwirrende Zweifel bringen Sie über mich!
Sie hielt ihn fest und sah ihn mit den klaren, stillen, angsterfüllten Augen an.
Was ich thun werde, sagte er in hoher Aufregung. Kann ich es wissen, kann ich eine Antwort geben? Mein Leben in seiner edelsten Bedeutung hängt an der Spitze eines Schwertes, das meine Brust ewig durchbohrt, mag ich vorwärts oder rückwärts gehen. Entsagen und so Unersetzliches verlieren? Wie kann ein Mensch wählen zwischen Liebe und Ehre, ohne für immer elend zu werden? Wählen Sie, Lucie, wenn Sie können, wählen Sie für mich.
Sie ließ seine Hand los und wandte sich traurig von ihm ab.
Fast betäubt sah er sie an, dann folterten ihn Schmerz und getäuschte Hoffnungen.
Ich konnte es vermuthen, murmelte er; dieser Entschluß war schnell gefunden.
Da richtete sie sich höher auf, Thränen glänzten in ihren Augen; nie war sie schöner gewesen, nie hochgearteter. Bleich, wie eine Todte, stand sie vor ihm, ohne Regung, bis nach und nach ein sanftes Lächeln ihre Züge erhellte und der stumme Mund zu sagen schien:
Armer Freund, ahnst Du nicht, wie ich liebe und leide?
Lucie! rief er mit verzweiflungsvoller Heftigkeit, muß es sein, muß es wirklich so sein? und dann sagte er dumpf und leise: Sie haben wohlgethan, mag kommen, was kommen muß!
Sie lehnte sich an ihn und nickte ihm ernst zu. Ihre Augen sprachen Alles aus, was sie nicht sagen konnte, und überwältigt von dem heißen Drange, rief Gersheim:
Zwei Seelen wohnen in meiner Brust, Lucie, die einen beständigen Kampf darin führen. Die eine reißt mich von Ihnen, die andere führt mich sehnsüchtiger zurück. Sie wollen mich vor mich selbst bewahren, Sie wollen mich stolz und in Ehren erhalten, und ich gehe, ich will Ihnen gehorchen.
Plötzlich richtete Lucie sich auf und horchte nach der Thür, dann reichte sie ihm die Hand und schien zu sagen: Wolan, sei stark! Schnell entfernte sie sich, als Jemand das Schloß berührte.
Es war Rudolf, der frohgestimmt hereintrat und den Capitain herzlich begrüßte. Er bat ihn, mit ihm unter den Orangenbäumen zu sitzen, und erzählte ihm im Gehen von den Küstenwächtern und dem Schmuggler, was Beide ganz anders wußten. Nach einigem Hin- und Herreden brach er ab und fragte, ob nicht Lucie soeben aus dem Salon gegangen sei, und als Gersheim dies bejahte, drohte er ihm lächelnd.
Die Sache ist ernsthafter, als man glauben sollte, sagte er, und wenn Sie mir nicht gesagt hätten, Capitain, daß Sie der blonden unfindsamen Fürstentochter nachstellten, so würden sich meine Bedenken erneuen.
Sie würden meine alten Erwiderungen hören, versetzte Gersheim.
Der junge Baron lachte.
Ich weiß nicht, was mich bewegt, sagte er, diesen ernsthaft gesprochenen Worten nicht zu viel zu glauben; aber das weiß ich, daß Lucie noch niemals einem Manne sich so freundlich gezeigt hat. Ich liebe meine Schwester mit eifersüchtiger Liebe und mache meine Bemerkungen darum mit scharfem Blicke.
Gersheim schwieg einen Augenblick, dann sagte er:
Ich kann Sie ganz beruhigen. Ich bin im Begriff, Ihr gastliches Haus zu verlassen, und denke es so zu ordnen, daß ich dem Heere nach Rußland folgen kann.
Rudolf beobachtete ihn genau, als wolle er errathen, was in ihm vorging.
Sie wollen gehen, um auf fremder Erde zu sterben, sagte er; ist das der Entschluß eines deutschen Mannes? Für wen wollen Sie Ihr Blut vergießen? Warum am Leben verzweifeln, das Ihnen eine schöne Zukunft bietet? Was Sie auch sagen mögen, Capitain, ich bin entschlossen, mit Gewalt mich in Ihr Vertrauen zu drängen und Ihnen das meine zu öffnen. Unsere Ueberzeugungen sind nicht so verschieden, als es scheint; die Hand aufs Herz! Gersheim, Sie fühlen, was ich und Tausende mit mir empfinden.
Der Capitain machte eine abwehrende Bewegung, Rudolf aber ließ ihm keine Zeit zur Erwiderung.
In Zeiten wie die unsern, sagte er nachdrücklich, müssen sich die Guten und Besten fest verbinden, um wach und gerüstet zu sein. Was will die Geburt und ihre Vorzüge sagen, wenn der hohe Sinn für Recht und Tugend fehlt? Da ist der wahre Adel, wo man edel denkt und handelt; und welches Mädchen würde nicht dem Kämpfer für Freiheit und Vaterland die Hand reichen, welche Familie im Lande sich nicht hochgeehrt fühlen durch eine solche Verwandtschaft? Gersheim, ich könnte, wenn ich listig handeln wollte, manchen Schlangenweg gehen, um zum Ziele zu gelangen; allein ich verachte das, weil ich Sie hochschätze, und will offen und redlich zu Ihnen sprechen.
Sprechen Sie, was ich hören darf, erwiderte der Capitain.
Was die höchste Ehre gebietet, sagte der Baron. Es handelt sich darum, ob Sie mit entschlossenen Männern in einen Bund treten wollen, dessen Zweck Sie ahnen können.
Reden Sie nicht weiter von so unbesonnenen Plänen, die Sie verderben müssen, erwiderte Gersheim schnell und bittend.
Unbesonnene Pläne? sagte Rudolf stolz.
Nichts Anderes und mehr als das, fuhr der Capitain fort. Ist es nicht ein schweres Verbrechen, ein Land und ein armes Volk unter das Henkerbeil zu treiben? Ich kenne die Männer nicht, welche die Leidenschaft so ganz verblendet, daß die Vernunft keine Stimme mehr hat, ich will sie nicht kennen; wenn aber die Weltherrschaft des gewaltigen Mannes einst zusammenstürzen soll, so muß ein anderer Gegner erscheinen als ein Haufen Bauern und Gesindel.
Diese Bauern, mein Herr, rief Rudolf zornig, dies Gesindel hat mehr als einmal unbezwingliche Heere vernichtet und seine Freiheit behauptet. Der Mann ist unwürdig, der sein Vaterland und sein Volk verachtet und es unterdrücken hilft..
Sie wollen mich beleidigen, sagte Gersheim.
Ich erwidere nur Ihre ungemessenen Ausdrücke.
Die ich allein gegen Fanatismus und Thorheit richte.
Und ich gegen Knechtssinn und Feigheit! rief Rudolf mit unverhehltem Haß.
Gersheim fuhr mit der Hand nach dem Ort, wo der Degen hängen sollte, und beide Männer waren auf dem Punkt, wo Thaten an die Stelle der Worte treten, als die Thür plötzlich aufging und ein großer starkgebauter Mann hereintrat. Ein breitgekrämpter Hut, unter welchem das rothbraune, struppige Haar einer Perrücke hervorfiel, beschattete seine Züge, die von einem langen schwarzen Pflaster an der linken Seite des Gesichts noch mehr verborgen und entstellt wurden. Ein Oberrock mit Schnüren und hohe Stiefel mit Sporen gaben ihm etwas Reiterartiges und Entschiedenes, zu welchem auch sein ganzes Wesen paßte. Als er zu sprechen begann, war Gersheim ohne allen Zweifel, daß es der Passagier des Kutters sei, und er hatte Mühe, diese Entdeckung ohne sichtliche Theilnahme zu verbergen.
Gibt es Streit hier, meine Herren? rief der Fremde mit seiner tiefklingenden Stimme, indem er lächelnd näher trat. Erhitzte Gesichter, drohende Blicke! Ich bin ein Mann des Friedens und rathe immer zum gütigen Vergleich.
Sie wissen nicht, worum es sich handelt, Herr Wüstenkamp, sagte Rudolf mit einem musternden, verlegenen Blick auf den Fremden.
Meiner Treu! erwiderte dieser, ich habe etwas davon gehört; ganz unwillkürlich, als ich dort an der Thür stand; aber früge man, was meine Meinung sei, ich müßte sagen, sie haben Unrecht alle Beide, die hitzigen jungen Herren.
Und was ist denn Ihre weise Meinung, alter, würdiger Herr? fragte der junge Baron lächelnd.
Meine Meinung ist ganz einfach die, man soll nicht anderer Leute Thun und Lassen mit dem Zollstock messen, den man sich selbst gemacht hat, erwiderte der Fremde nachdrücklich. Da sagt der Eine verächtlich: Was will das Bauer- und Bettelvolk gegen einen Welteroberer, der Hunderttausende von Bajonetten und begeisterten Menschen zu seinem Dienst hat; und wer so spricht, weiß nicht, daß, wo so viel Zorn und Begeisterung dagegen ist, es oft nur eines kleinen Anstoßes bedarf und die reife Frucht fällt vom Baume. Aber statt das wohl zu bedenken, stellt sich der Andere hin und schreit von Tyrannei und Freiheit! Das ist jedoch eine falsche, ungerechte Beschuldigung, eine rechte und echte Tyrannei, die alle Ueberzeugung und Freiheit aufhebt. Wer verblendet ist, wird dadurch doch nicht sehend, und wer sieht, läßt sich nicht dadurch verblenden. Ja, es kann wol auch sein, daß ein wackeres deutsches Herz, welches über manche Leiden im Vaterlande im Geheimen die größten Schmerzen fühlt, doch mit den Fremden ist, weil es denkt: endlich muß das Glück des goldenen Zeitalters kommen und der merkwürdige Mann, der die Welt lenkt und so vieles vermag, wird auch das vermögen. Da gibt es Leute, die sagen: wie sah es bei uns aus und wie ist es jetzt! Wenn er nicht mehr ist, der uns freilich auch manches Leid zufügt, wird es sicher statt vorwärts wieder rückwärts gehen, gerade ins Mittelalter hinein, ins Pfaffen- und Junkerthum. Sie wissen aber nicht, daß das nicht mehr möglich ist, weil eine neue Zeit gekommen. Andere wissen das wohl, aber sie denken: habt ihr einen Esel schon mehr Säcke schleppen sehen, als er tragen konnte? Er beißt und stößt, wirft sich nieder und wälzt sich, da hilft kein Prügel. Nun gut, laßt uns warten, bis der alte ehrliche deutsche Esel so weit ist, dann wollen wir helfen. Noch Andere gibt es endlich, und zu denen gehöre ich, liebe junge Herren, die sagen: Leben und leben lassen! Zieht uns das Fell nur nicht ganz über die Ohren, und wir schützen die weise von Gott eingesetzte Obrigkeit und legen den Maßstab unsers beschränkten Verstandes nicht an ihre Befehle. Handel und Wandel muß sein; nehmt uns Sitte und Sprache, legt die Hand an alles Ehrwürdige und Verehrte, macht uns zu Franzosen, wenn Ihr könnt, aber beraubt uns nicht und laßt uns nicht verhungern.
Wer ist der Herr? sagte der Capitain zu Rudolf.
Meinen Namen? hochgeschätzter Mann, rief der Fremde. Ich heiße Wüstenkamp und bin ein Roßhändler; ein in dieser Zeit nahrhaftes und nicht zu verachtendes Brot, denn der Krieg braucht nicht allein Menschen, sondern auch das edelste unter den Thieren muß für den Ruhm der großen Nation streiten und siegen.
Sie sind noch nicht lange hier? fragte Gersheim bedeutungsvoll.
Seit gestern, mein Herr Offizier. Ich habe mein Hauptquartier in dem Flecken dort hinter den Haiden aufgeschlagen, wo nächstens der große Landesmarkt gehalten wird. Da denke ich meinen Schlag zu thun und bis dahin sehe ich zu, wie es bei Bauer und Edelmann aussieht. Von Edelleuten gibt es freilich nur einzelne noch hier, die aus den uralten Zeiten der Häuptlinge übrig geblieben sind, dem Bauer gehört das Land weit und breit; aber so wenig ich ein Freund der stolzen adeligen Herren bin, wie man sie da und dort je ärmer je anmaßender findet, so wohl thut es mir, hier zu sehen, wie die paar Familien noch immer des Volkes treueste Freunde und Helfer sind und als seine Schirmherren, ohne allen Haß und Neid geliebt und geehrt werden.
Weil in diesem Lande immer nur freie Männer wohnten, sagte Rudolf, und der Adel hier niemals Abhängigkeit oder gar Knechtschaft über seine Mitbürger brachte.
So muß es auch sein, erwiderte der Fremde lebhaft, und so mußte es in ganz Deutschland werden.
Sie reisen also durch das ganze Land? fragte Gersheim.
Das will ich meinen, entgegnete der Roßtäuscher. Ich komme jetzt aus dem Norden, und was ist da für ein sonderbares Leben aufgewacht! Man kennt das alte ehrwürdige Deutschland gar nicht wieder. Anfangs ließen sie wol die Flügel hängen, denn viel Ruhm und Ehre lag begraben, aber nun gilt es, die Scharten auszuwetzen, und ganz wunderlich ging es mir zu Herzen, wie ich alles so jung und neu und begeistert sah. Freiheit und Deutschland! ist da ihr Feldgeschrei, keine Geburt gilt mehr etwas, sie sprechen nur von Talent, Geist, Kenntnissen, geben Gesetze, die alle alten Banden abstreifen, und stiften Schulen und Universitäten. Ja, die Jugend ist kaum zu bändigen in ihrem Eifer, sich für die neuen, verwünschten Ideen von Vaterland und Freiheit zu opfern, und wenn es einmal zu etwas kommen sollte, werden wir wunderbare Dinge erleben.
Gersheim war ergriffen von dieser Schilderung, die ihn lebhaft rührte; aber er bezwang seine Empfindungen und schwieg, während der Fremde noch Manches in seiner Weise hinzufügte. Plötzlich wendete er sich nach der Terrasse, wo der alte Baron soeben mit dem Commandanten des Wachtschiffes erschien, und mit einem lauten, freudigen Gruß zog er ehrerbietig seinen Hut vor dem alten Edelmann. Dieser starrte ihn einen Augenblick ganz erschrocken an, dann nahm er die Hand, die ihm der große Mann entgegenstreckte, und suchte sich zu fassen.
Mein Herr Baron, rief der Pferdehändler lachend, Sie scheinen sich kaum eines alten unterthänigen Bekannten zu erinnern. Ich bin Wüstenkamp, der Roßtäuscher, der sich erlaubt, Ihnen seinen Besuch zu machen, und mit Ihnen einen Handel schließen möchte.
Wahr, sehr wahr! erwiderte der alte Herr, sein Sie willkommen, Herr Wüstenkamp. Verzeihen Sie meine Unruhe, aber wer ängstigte sich nicht bei dem Lärm im Lande. Ein Fahrzeug ist genommen worden gestern in der Nacht, und statt gewöhnlicher Schmuggelwaaren fand man ganze Kisten Waffen darin, auch Fässer voll Pulver, Kugeln, kurz Kriegsmunition im Ueberfluß.
Hat man die Mannschaft des schurkischen Piraten nicht auch gefangen, rief der Pferdehändler hastig. Es wäre mir eine große Freude, sie hängen oder todtschießen zu sehen.
Zwei schwer Verwundete nur; sagte der Seeoffizier, die Uebrigen sind ertrunken. Sie waren beschäftigt, die Ladung ans Land zu bringen, als wir sie überraschten.
Und nicht einmal die Helfershelfer hat man erwischt?
Nein, entgegnete der Seemann kurz. Möglich, daß sie in dem alten Neste verbrannten, das die Matrosen ansteckten.
Das wird nun Gelegenheit geben, die ganze Küste mit einem noch weit dichtern Cordon zu umziehen, sagte der Baron, und wehe Denen, die man entdeckt.
Viel Leute hat man nicht zu verwenden, erwiderte der Seemann, höchstens ein paar Compagnien aus der Stadt; aber die Furcht vor Unruhen ist allgemein, und seit ich die Ladung des Kutters gesehen habe, kommt es mir selbst vor, als sorge man nicht umsonst; denn er ist oft schon zwischen hier und England unterwegs gewesen.
Der Seemann gab nun eine weitläufige Schilderung des ganzen Hergangs, den er lebhaft beschrieb, und nichts mehr bedauerte, als daß das Fahrzeug, statt Kugeln und Waffen, nicht Shawls und Modeartikel geladen habe. Dann reichte er Gersheim die Hand und sagte leise:
Uebrigens habe ich den Kutter genommen und Sie wissen, was ich daraus folgerte. Jetzt glaub' ich fest daran, daß ich unter der rothen Flagge der Frau Venus eine glückliche Fahrt machen werde.
Und wo ist der Kutter geblieben? fragte Rudolf.
An der Küste heraufgefahren und wahrscheinlich jetzt im Hafen, wo er Jubel genug erregen wird.
Ich hoffe, sagte der Roßtäuscher, daß sich der Bursche tüchtig gewehrt hat, denn ich hörte ein scharfes langes Schießen in der Nacht. Es muß ein fürchterliches Gefecht gewesen sein und wird Ihnen ohne Zweifel das Kreuz der Ehrenlegion und Beförderung eintragen.
Er sah dabei den Seemann lächelnd und scharf an, der nicht ohne Verlegenheit versicherte, daß es heiß genug hergegangen sei, ehe das englische Volk überwältigt worden.
So ist es recht, schrie der Fremde, so muß es Allen gehen, die sich dem großen Kaiser widersetzen. Wir wollen seine getreuen Unterthanen sein und Deutschland um uns und in uns mit Stumpf und Stiel ausrotten.
Wer ist der Patron? fragte der Schiffslieutenant ärgerlich, als der Roßhändler den alten Baron beim Arm nahm und unter den Bäumen fortführte.
Ein sonderbarer Kauz, erwiderte Rudolf, der seine guten Gesinnungen nicht verhehlt.
Es ist wunderlich mit den menschlichen Gesichtern, sagte der Offizier. Man täuscht sich oft, ich habe aber einen eigenen Blick dafür, gleich zu wissen, wie es steht. Der Mensch mit seiner struppigen Perrücke, seinem Knochenschaden und dem Pflaster darauf war mir auf der Stelle durch und durch bekannt. Nehmt Euch ja in Acht, fuhr er leise fort, es ist kein Zweifel, er ist ein Agent der geheimen Polizei, die sie in der Stadt jetzt errichtet haben.
Wol möglich, versetzte Rudolf ernsthaft, aber zuweilen kommt es mir so vor, als fällt er aus seiner Rolle und verspottet den großen Kaiser und sein Reich.
Das ist ja eben seine eigentliche Rolle, erwiderte der Lieutenant eifrig. Er will Sie verlocken, mit ihm einzustimmen, und dann hat er Sie gefangen. Warnen Sie alle vor ihm.
Die beiden Herren kamen jetzt zurück und der Fremde sagte ziemlich laut:
Es hat sich Alles schrecklich erfüllt, aber man fühlt jetzt der Zeiten Schmach und Schande in der Hütte wie im Palast, und das gibt Hoffnung. Was hat man noch zu verlieren, wo die übermüthige fremde Soldatenherrschaft Gut und Leben so frech an: tastet?
Hören Sie wol, flüsterte der Seemann, wie der Teufelskerl den alten würdigen Baron bearbeitet? Hätte ich ihn, wo ich ihn haben wollte, er sollte seine Streiche nie mehr machen.
Rudolf beruhigte ihn mit der Klugheit seines Vaters und wirklich sahen Beide, wie der Baron lebhaft sprach, verneinender und selbst heftige Bewegungen machte und indem er die Hände des Fremden ergriff, bald diesen um etwas dringend zu bitten schien, bald auf Land und Meer deutete.
Ich weiß nicht, was Ihr Vater mit dem Patron für große Umstände macht, sagte der Seemann. Wagte er bei mir solche Anträge, ich ließe ihn von der großen Raa ins Wasser springen; aber freilich ist es besser, man wirft solche Gesellen höflich zur Thür hinaus.
Wir werden weiter darüber sprechen, rief der Roßhändler laut, und ich hoffe, Sie dann besser gestimmt zu finden, lassen wir jetzt den ganzen Handel. Da kommt Ihre Gemahlin und auch der tapfere Capitain kehrt zu uns zurück.
Die Baronin und ihre Verwandte traten aus dem Hause und der Baron führte ihr seinen Gast entgegen, den sie mit einer Verbeugung empfing, nachdem ihr Gemahl ihr einige Worte zugeflüstert hatte.
Der Seeoffizier ärgerte sich nicht wenig über diese Herablassung, wie über die Frechheit des Pferdehändlers, der ihre Hand küßte und eine Art höfische Galanterie ausübte, welche bei aller Ungezwungenheit doch keineswegs tölpelhaft zu nennen war. Auch war der Fremde anmaßend gesprächig, wie es sich gar nicht für ihn in einer Gesellschaft schickte, die doch weit über seinen Rang war. Er erzählte von seinen Reisen und manchen hohen Personen, die er gesehen und gekannt haben wollte, allerlei lustige Geschichten, so daß ihn Alle mit Vergnügen anhörten.
Gersheim war auch wieder herbeigekommen und Lucie hatte sich ebenfalls eingestellt, die von dem seltsamen Gaste mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt wurde und sich in ihrer Weise lange mit ihm beschäftigte. Er war ganz entzückt von der anmuthigen Huld ihres Wesens und ward es noch mehr, als sie in dem großen Salon sich unaufgefodert an das Instrument setzte und die Melodien einiger Märsche und Kriegslieder spielte, die im Munde des Volkes waren. Der stattliche Herr setzte sich in den Lehnstuhl, schlug die Arme über einander und brummte, wie es schien, in Erinnerungen verloren, die Worte mit, bis er plötzlich mit seiner klaren, starken Stimme rief:
So habe ich es oft gehört und gesungen an heißen Tagen, und die alten Lieder wachen wieder auf, sie werden wiederkommen und mit uns zum Kampfe gehen. Tausend Dank dafür, herzallerliebstes Kind, und einen Kuß auf Deine frischen Lippen.
Er hätte es sicher wahr gemacht, aber der Seeoffizier hielt ihn am Arme fest und sah ihn grimmig an.
Hört, Herr Roßhändler, sagte er, laßt das bleiben; ich glaube im Namen der jungen Dame und ihrer verehrten Eltern Euch die Lebensart der guten Gesellschaft anempfehlen zu dürfen. Müßt Ihr aber durchaus Jemanden umarmen, so will ich es übernehmen und Euch, so kräftig ich kann, an meine Brust drücken.
Die Gesellschaft schien mehr erschrocken, als zum Lachen über diese derbe Zurechtweisung geneigt zu sein, die ganz unverhofft kam. Herr Wüstenkamp jedoch beugte sein Haupt und sagte demüthig:
Lassen Sie meinen Arm los, Herr Offizier, Sie hätten wol nicht so arg zudrücken sollen, aber Sie haben vollkommen Recht. Ich bin ein zerstreuter Mann, der zuweilen vergißt, was er nicht vergessen sollte, auch war es durchaus nicht böse gemeint, aber ich bitte um Gnade und Verzeihung.
Er reichte dabei der jungen Dame die Hand und sagte:
Spielen Sie mir die alten Lieder nicht noch einmal vorzeitig auf, sonst weiß ich nicht, was geschieht, trotz aller Seeoffiziere und aller guten Lebensart, von der ich freilich wenig gelernt habe.
Lucie beugte sich lächelnd, dann stand sie plötzlich auf und öffnete einen Wandschrank, der ihre Bücher und Zeichenmappen verwahrte. Hastig blätterte sie darin, schrieb dann ein paar Worte unter eines der Blätter und hielt es dem Fremden hin, der einen Blick darauf warf und sehr erfreut rief:
Vortrefflich! ich bin entzückt und beschämt. Wie mild strafen Sie einen armen Mann, um so gütig zu vergeben.
Schnell packte Lucie die Mappe wieder zusammen und nun sprachen sie vielerlei, aber doch wollte keine rechte Stimmung in die Gesellschaft kommen. Der Lieutenant haßte den Agenten der Polizei immer heftiger, je mehr er sah, daß dieser seine unverschämte Bewunderung Luciens fortsetzte; diese selbst aber wechselte oft bedeutungsvolle Blicke mit ihrem Bruder und dem Capitain.
Der alte Baron war schweigsam ernst, nachdem er mit seiner Gemahlin lange heimlich gesprochen hatte, und diese schien, so gesprächig und freundlich sie sonst war, von einer entsetzlichen Angst heimgesucht zu sein. Bald rief sie Rudolf zu sich hinaus, mit welchem sie leise Unterredungen hielt, bald beobachtete sie mit scheuen Blicken alle Gesichter und wechselte die Farbe, wenn der Roßhändler sie anredete.
Endlich erschien die wirthschaftliche Verwandte, die einzige ganz unbefangene Person, und hinter ihr folgte ein Diener, der die Thüren des anstoßenden Salons öffnete, wo die Tafel gedeckt war. Einen Augenblick schien es, als wolle der freche Polizeiagent der Baronin den Arm bieten und vorangehen, aber er trat lächelnd zurück, als er das drohende Gesicht des Lieutenants bemerkte, und dieser genoß einen wahren Triumph, als er sah, wie selbst die Cousine ihn stehen ließ.
Ganz bescheiden nahm der Agent den untersten Platz ein, aber Niemand wußte, wie es zuging, dennoch wurde er bald wieder der Mittelpunkt des Gesprächs, das er allein zu beleben verstand. Erstaunlich war es dabei, was dieser sonderbare Mann alles wußte und kannte. Daß er ein Pferdehändler sei, konnte Niemand bezweifeln, der ihn über die verschiedenen Racen und ihre Kennzeichen, über Gestüte und Wettrennen reden hörte; allein mit derselben Verständigkeit sprach er von vielen andern Dingen, und was das Soldatenwesen der ganzen Welt anbelangte, da wußte er aufs Gründlichste Bescheid.
Selbst der schweigsame Capitain, der seine Verdüsterung nicht verbergen konnte und von Zeit zu Zeit den Fremden durchdringend betrachtete, nahm endlich lebhaften Antheil an seinem belehrenden Gespräch über die Waffenfähigkeit der Völker, und bedauerte es, als Wüstenkamp plötzlich abbrach und mit treuherziger Unbefangenheit versicherte, daß solche Dinge und sein schlichtes Urtheil sich freilich nicht zusammen schickten.
Je mehr Gersheim das Wesen dieses Unbekannten, seine Gestalt, Rede und alle Umstände seines Erscheinens erwog, um so merkwürdigere, gefährliche Entdeckungen glaubte er zu machen. Er betrachtete ihn, so aufmerksam er konnte, und dies erhöhte wieder die Unruhe der Baronin, welche von Zeit zu Zeit ihn fast flehend anblickte. Der fröhliche Roßhändler aber schien dies Alles nicht zu bemerken und ganz unbefangen sich seiner Laune, den Genüssen der Tafel und dem alten Weine des Barons zu überlassen.
So vergingen mehre Stunden, bis endlich die Gesellschaft sich erhob, und der Fremde, welcher mit seinem Wirth lange schon über die schöne Besitzung und ihren Ertrag gesprochen hatte, entfernte sich endlich mit diesem und Rudolf, um die wirthschaftlichen Einrichtungen zu betrachten. Lucie mit ihrer Mutter und dem Offizier begleitete sie hinaus und die Verwandte trieb die Dienerschaft an, so daß Gersheim sich unbemerkt zurückziehen konnte.
Als er allein war, blieb er in dem Gartensaal stehen und scheu umherblickend, wie im Begriff, eine böse That zu thun, ging er leise zu dem Wandschranke, den er zu öffnen verstand. Mit rascher Hand hatte er die Mappe ergriffen und so genau war der Blick gewesen, mit welchem er das Blatt beobachtet hatte, daß er es sogleich wiederfand. Er starrte auf die Skizze eines Brustbildes, von dem ihm eine dunkle Ahnung sagte, daß es der Fremde selbst sein müsse, obwol er jünger und ganz anders aussah. Es war dasselbe stolze, ernste Gesicht, das sich so ungefügig hier zur Demuth und Verstellung zwang. Ein Zug unbeugsamen Trotzes lief darüber hin und auf der offenen Redlichkeit der hohen Stirn lag auch die Strenge des Soldaten und die Hoheit, welche nur zu befehlen gewohnt ist. Lucie hatte mit ihren feinen Zügen darunter geschrieben: »Ein Held bedarf der Verzeihung nicht. Er ist so kühn wie vorsichtig!«
Noch hielt er das Blatt in der Hand, als er Jemand nahen hörte, und eilig warf er die Mappe in den Schrank und schlug die Thür desselben zu, als die Baronin hereintrat. Sie schien nicht zu bemerken, was er gethan, denn sie sah erhitzt und so verstört aus, daß Gersheim theilnehmend fragte, was geschehen sei.
Ich muß mit Ihnen sprechen, sagte sie leise zitternd. Vielleicht ist es das Schlimmste, was geschehen kann, aber hier muß ein Ausweg gefunden werden, oder Alles stürzt mit uns zusammen. Lieber Capitain, Sie sind gewiß unser Freund; ja, ich weiß mehr, ich weiß, wie theuer Ihnen Lucie ist; lassen Sie diese nicht verderben! Und Rudolf, er ist Ihr Freund, trotz seiner Widersprüche und Streite; Sie wissen nicht, wie er über Ihre Stellung und Zukunft zu uns und unserer Familie noch heute gesprochen hat. Wir Alle sind Ihnen so herzlich zugethan, Sie gehören ja schon jetzt zu uns, Sie werden und müssen helfen.
Gersheim sprach der geängstigten Frau Muth ein und erklärte sich zu jedem Beistande bereit.
Lassen Sie uns in die Luft hinaus, sagte sie, es erstickt mich hier und man darf uns nicht hören.
Schweigend folgte der Capitain. Auch er fühlte sich beklommen und unterbrach das Nachsinnen der Baronin nicht, welche ungewiß zu überlegen schien, was sie thun solle.
Kennen Sie den Fremden? sagte sie endlich hastig und leise.
Ihren Gast, den Roßhändler? erwiderte der Capitain. Nein!
O! es ist ein gefährlicher Gast, flüsterte sie seufzend; wäre er niemals in unser Haus getreten!
Wenn er Ihnen so unangenehm ist, sagte Gersheim, würde es doch nicht schwer sein, ihn zu entfernen.
Schwerer als Sie meinen, rief sie, angstvoll die Hände ringend. Sie wissen nicht, welche Gewalt er besitzt.
Jedenfalls nur eine eingebildete Gewalt, erwiderte der Capitain.
Alle sind mit ihm im Bunde, fuhr sie fort, und Lucie selbst, obwol sie so ängstlich dabei ist wie ich, aber es besser verbirgt und auf die Klugheit ihres Vaters und Bruders baut. So sind sie Alle gegen mich. Ich stehe fremd und allein, Niemand liebt mich, selbst der Baron wendet sich von mir, nur über Lucie schüttet er alle seine Zärtlichkeit aus, als ob diese Reue helfen könne.
Reue, worüber? fragte Gersheim aufmerksam.
Ach! was sage ich, rief die Baronin bestürzt; aber es ist nur allzu wahr. Mögen Sie es wissen, daß Lucie ein Opfer der Eitelkeit ihrer Mutter ist. Gesegneten Leibes sah diese einst ein wunderschönes Bild, das dem Baron gehörte, und ein heftiges Verlangen faßte sie, daß ihr Kind so schön werden möge wie jenes. Sie bat so lange, bis der nachgiebige Mann ihr das Bild gab, und betrachtete es ganze Stunden und Tage lang. Lucie ist nun wirklich schön wie das unglückliche Bild, aber auch stumm wie dies. Ihre Sprachorgane sind völlig wohlgebildet, die Ärzte begreifen nicht, warum sie nicht sprechen kann, aber sie vermag keinen Laut hervorzustoßen. Nun grämt sich der alte Vater und meint, er habe wol Schuld an ihrem harten Schicksal. Was aber Rudolf betrifft, da sehen wir die Schwäche erst recht. Rudolf ist vom besten Herzen, aber er beherrscht seinen Vater, wie er Alle beherrscht, die ihm nahe stehen. Ich bin ihm gewiß nicht feindlich gesinnt, ja ich ängstige mich vielleicht viel zu sehr um sein Wohl und seine Zukunft, doch es ist nöthig, daß man ihm entgegentritt. O! bester Capitain, kann ich mich Ihnen ganz vertrauen, wollen Sie Alles hören und treu bewahren, was ich weiß?
Nein, erwiderte Gersheim mit Nachdruck, überlassen Sie es mir, das Geheimniß zu errathen, meine Beobachtungen zu deuten, wie ich will, unwissend zu bleiben oder zu scheinen. Wüßte ich, was ich nicht wissen darf, so könnte ich leicht gezwungen sein, zu handeln, wo ich schweigen möchte; aber gern und willig bin ich in Ihrem Bunde, um Gefahren zu hintertreiben, welche Ihnen und Ihrer Familie drohen.
Ich verstehe Sie, erwiderte die Baronin, und ehre Ihre Gründe, aber wie ist es möglich, das Böse zu hintertreiben!
Sie ging sinnend an seiner Seite den Gang hinab; plötzlich ergriff sie seine Hand und sagte lebhaft:
Ja, das ist das einzige Mittel: hören Sie mich an, Capitain. Rudolf unterhält eine Bekanntschaft mit einer Familie, welche einst reich und angesehen im Lande war. Bei der neuen Ordnung der Dinge wurde sie verfolgt, geächtet, entfloh nach England, kehrte von dort aber vor einiger Zeit wieder zurück und fand im nahen Herzogthum Zuflucht. Diese Menschen sind es, welche ihn mit ihrem Haß erfüllen, ihn zur Triebfeder ihrer Pläne machen und es sicher auch bewirkten, daß dieser schreckliche Gast, dieser Roßhändler, wie er sich selbst nennt, hier erschien. Rudolf muß von ihnen befreit werden, dann vermögen sie nichts weiter. Ich bitte, ich beschwöre Sie, helfen, retten Sie ihn
Wie wäre es möglich, hier entscheidend einzugreifen? sagte Gersheim, bestürzt über Das, was er gehört hatte.
Mit Güte oder Gewalt muß es geschehen, erwiderte die Baronin heftig. Klagen Sie ihn an, bewirken Sie, daß er festgenommen und aufbewahrt wird, wie so viele Andere. Es ist besser, daß er eine Zeit lang die Freiheit entbehrt, als daß er für immer in unwürdigen Ketten liegt.
Gersheim sah die Baronin erstaunt an. Eine hohe Röthe bedeckte ihr Gesicht.
Lassen Sie mich nachdenken, sagte er, ob nicht andere, sanftere Mittel hier wirksamer sind.
Nur schnell, schnell! erwiderte sie, das allein kann helfen. Ich verlasse Sie, um zu dem Baron zurückzukehren, zu warnen und zu bitten. Wenn aber meine Stimme fruchtlos verhallt, dann rufe ich Sie, dann sollen und müssen Sie alles wissen.
Sie entfernte sich und ließ den Capitain in rathloser Ungewißheit zurück. Langsam ging er den Baumweg hinunter, ohne einen Entschluß zu fassen. Er wünschte ihn nicht fassen zu dürfen und stimmte den Klagen der Baronin bei, in deren Seele er einen tiefen verstohlenen Blick gethan zu haben glaubte. Daß jene unheimliche Familie es sei, die Schmach und Noth über sie und Lucie bringe, regte ihn zornig auf und dieser Unmuth erhöhte sich, als er aufblickte und nicht fern von sich auf der Bank unter der Statue Gitta sitzen sah, die Lucie zärtlich umarmt hielt und ihm freundlich winkte, näher zu kommen.
Diesmal erschien die Unbekannte in der schwerfälligen Tracht eines Landmädchens, aber sie verlieh ihr neuen Reiz. Unter dem groben Strohhut quollen die reichen Flechten hervor und an der Seite steckte ein Strauß von frischen Feldblumen. Die bunten kurzen Röcke und das Mieder mit vielen blanken Knöpfen schien die hohe, schlanke Gestalt noch zierlicher zu machen und gaben ihr zugleich etwas Kühnes und Freies.
Wir sprachen von Ihnen, Capitain, sagte sie nach einem freundlichen, unbefangenen Gruße, denn ich erzählte Lucien, wie gute Freunde wir eigentlich ganz von Ungefähr in Nacht und Wald geworden sind. Dabei bekämpfte ich auch alle Zweifel in Luciens erschrockenem Herzen, ob Sie in Wahrheit gehen und uns verlassen könnten.
Und welchen Entschluß gaben Sie mir? erwiderte Gersheim.
Den tüchtigsten und männlichsten: zu bleiben; selbst wenn ein gewisses junges, thörichtes Mädchen Sie anscheinend äußerst muthig und entschlossen gebeten hätte, dies Haus und Land für immer zu verlassen.
Sie warf einen muthwilligen Blick auf Lucie, welche sie mit gesenkten Augen umarmt hielt, und fuhr dann schalkhaft fort:
Capitain Gersheim ist ein viel zu großer Menschenkenner, um nicht zu wissen, wie es mit manchen Bitten dieser Art gemeint ist, aber hier ist e, ganz leicht einzusehen, was meine arme Freundin zu diesem schweren Entschluß führte. Er war ehrlich gemeint, aber ganz unausführbar. Herr Gersheim wird alle meine Prophezeiungen rechtfertigen.
Ich bewundere dies schöne Vertrauen, erwiderte er mit steigendem Verdruß, obgleich ich es nicht gutheißen kann.
Dann, rief sie schnell, thäte es mir leid um Ihretwegen; aber ich sagte es Ihnen schon früher, es ist nicht wahr, wozu Sie sich selbst überreden. Sie wissen es nur nicht und müssen die Stunde erwarten, wo die Gnade zum Durchbruch kommt.
Der Spott in ihren Worten beleidigte den Capitain. Diesen klaren, scharfen Augen gegenüber fühlte er sich verletzt und Luciens Gegenwart, die ganz still und fast theilnahmlos es anhörte, vermehrte seinen Unmuth.
Gern würde ich den Scherz aufnehmen und weiterführen, erwiderte er, wenn der Ernst nicht so nahe und so ernsthaft wäre.
Und wer sagt Ihnen denn, versetzte sie lachend und sich verbeugend, daß ich es wagen könnte, mit einem so tapfern und gestrengen Ritter zu scherzen?
Lassen Sie uns die Maske ablegen, rief der Capitain, wie vortrefflich sie Ihnen auch steht. Sie erscheinen in Wald und Feld und endlich in diesem Schlosse so geheimnißvoll, daß es nöthig wird, eine Erklärung zu wünschen, wenn nicht zu fodern.
Die Unbekannte machte eine linkische Verbeugung, wie ein Landmädchen, zupfte an ihrer Schürze und sagte:
Sie sehen ja wol, wer ich bin, gestrenger Herr Capitain.
Diese spaßhafte Laune soll Ihnen nicht helfen, erwiderte Gersheim; Sie nennen mich Ihren Freund, nun wohlan, erlauben Sie mir auch, daß ich es sein darf. Was ich weiß, ist genug, um mich aufs Äußerste besorgt zu machen, daß Ihnen und Allen hier große Gefahr droht. Sie müssen fort, Sie müssen dies Haus, dies Land verlassen, ehe es vielleicht unmöglich ist.
In Wahrheit, erwiderte sie, das klingt ernsthaft genug, aber ich habe Lust, allen Gefahren Trotz zu bieten. Ich habe ein Recht, hier zu sein.
Nicht ohne den Willen des Barons, versetzte Gersheim rasch, und dieser wünscht gewiß nicht, in Ihr Schicksal verflochten zu werden.
Was wissen Sie von meinem Schicksal? fragte sie rasch.
Mehr als Sie denken, rief der Capitain nachdrücklich und drohend. Warum wollen Sie mich zwingen, es Ihnen zu beweisen?
Da haben Sie die Bestätigung meiner Rede, sagte sie sanft, und trat ihm näher, indem sie ihn stolz und ruhig ansah. Eine Verbannte, Verfolgte steht vor Ihnen, eine gefährliche Verbrecherin und Sie wagen es nicht, sie zu ergreifen und den Henkern zu überliefern. Können Sie Herz und Sinn so verdüstern und verschließen, mit einem starren Gefühl für Pflicht Gottes höchste Mahnungen verachten? Sichtlich hat er Sie zu uns geführt und Ihnen Ihren Platz angewiesen. Er war mit Ihnen in Gefahren, er führte Sie in dies Haus, offenbarte Ihnen unsere Geheimnisse und ließ Sie Lucien finden und mich. Ja, auch mich, Ihre Freundin, die mit Rudolf seit langer Zeit schon daran denkt, wie Sie mit uns vereint glücklich sein können.
Wie sie die letzten Worte sprach und die Hände bittend auf seinen Arm legte, hörten sie den Knall mehrer Schüsse und rauhe verworrene Stimmen. Gleich darauf sprang ein Mann durch die Gebüsche. Er war athemlos, bleich und blutig. Sein graues Haar hing über sein Gesicht, in der Hand hielt er ein abgeschossenes Pistol. Er strauchelte und fiel in die Arme seiner Tochter, die einen wilden Schrei der Angst ausstieß.
Rette dich! fort! rief der Flüchtling, laß uns einen Versteck suchen. Die Gensdarmen erkannten mich; ich bin verwundet, aber noch ist nichts verloren. Ich schoß den Schurken nieder und bin frei!
In dem Augenblick bemerkte Gersheim, daß der grüne Rock des Waldbewohners mit denselben Knöpfen besetzt war, von welchen er das abgerissene Exemplar verwahrte.
Man wollte Sie mit Recht verhaften, rief er. Sie sind es, der den Angriff auf die Gensdarmen im Hohlwege leitete, und jetzt nach einer neuen blutigen That sollen Sie nicht von der Stelle.
Kommt heran! rief der Greis und faßte das Pistol verkehrt. Seid Ihr es nicht, dem ich aus der Flut half? Das ist der Dank aller dieser Elenden, denn wer sein Volk verräth, kann keine Treue im Herzen haben!
Halt ihn zurück, Lucie, rief die Unbekannte. Sie kommen! und schnell führte sie den Verwundeten über den Graben, stürzte das Bret hinunter und eilte mit ihm über das Wiesengelände.
Halt! rief Gersheim und suchte sich von Lucien zu befreien, die beide Arme fest um ihn geschlungen hatte. Sie zwingen mich zur Gewalt; hierher, meine Freunde, hierher!
Gersheim faßte ihre schwachen Arme mit Heftigkeit, aber er bedurfte aller Kraft, um nach einem anhaltenden Ringen ihre Finger zu öffnen. Luciens bleiches Gesicht drückte Entschlossenheit und flehende Bitte, Zorn und angstvolle Liebe im schnellen Wechsel aus. Thränen des Schmerzes und der Furcht stürzten aus ihren Augen. Sie öffnete den Mund und versuchte in dieser furchtbaren Angst einen Laut auszustoßen, aber nur eine dunkle Röthe des Erstickens bedeckte ihr Gesicht. Die ohnmächtige Schwäche theilte sich dem ganzen Körper mit; noch einmal wollte sie ihn halten, aber gerade als die Douanen und Gensdarmen herbeirannten, riß er sich los und von der Heftigkeit des Stoßes zurückgeschleudert, stürzte sie besinnungslos an der zerbrochenen bemoosten Statue der Liebesgöttin nieder.
Entbrannt von Zorn warf der Capitain keinen Blick auf die Ohnmächtige. Dort hinaus! rief er, mir nach, wir holen den Mörder noch ein.
Mit einem kühnen Sprunge war er über den Graben. – Ein paar Andere folgten, die Übrigen stellten die Brücke schnell wieder her, und nun liefen sie über das Gras und durch das Erlenholz, wo sie auf einem Fußpfade den Sümpfen nahe, die beiden Flüchtlinge vor sich erblickten.
Der große Mann schwankte sichtlich und schien kaum im Stande, seinen Weg fortzusetzen. Er stützte sich auf seine Begleiterin, die bei jedem Schritt der nahenden Verfolger ihn zur größern Eile trieb. Die Entfernung zwischen ihnen war nicht mehr so bedeutend, sie verringerte sich mehr und mehr, und bald war es möglich, sie mit Schüssen zu erreichen. Mehre der Soldaten riefen ihnen zu, stillzustehen, und spannten ihre Gewehre, aber jetzt machten auch die beiden Verfolgten eine letzte Anstrengung.
Die dunkeln Rohrwälder rauschten ihnen entgegen, schwankende Halme und Weidensträuche verbargen dann und wann ihre Gestalten und plötzlich kam, von einer gütigen Macht gesandt, ein gespensterhafter Helfer, der seinen schleppenden braunrothen Nebelmantel um ihre geängstigten Glieder legte und sie verbarg. Vor der Sonne schwebte ein Dunst, der sie immer dichter umzog und auslöschte. Plötzlich fuhr ein kalter Windstoß über das Land und sonderbare Wolken eines bräunlichen, branstigen Nebels zogen schnell mit ihm über das weite Moorland, das bald ganz darin verborgen lag.
Heerrauch! rief der alte Gensdarm ergrimmt, verdammt sei er! er hilft beiden Verräthern; ich sehe sie kaum mehr. Soll er uns entkommen, der uns so viel Leid gethan hat?
Und plötzlich erhob er seinen Carabiner, zielte und schoß. Der Nebel schien sich vor der Erschütterung zu spalten; deutlich sah man die Beiden und wie das Mädchen taumelte, sich zu halten suchte und dann zu Boden stürzte.
Sie ist getroffen! schrie der Gensdarm, nun haben wir sie; – schnell heran, mein Capitain!
Aber Gersheim fühlte sich gelähmt. Ein Schmerz, als sei er selbst getroffen, durch: bohrte ihn. Er hielt sich an einen Weidenbusch, um nicht niederzusinken, und sah mit starrem Blick, wie der Vater in Verzweiflung sein Kind aufraffte und, selbst zum Tode wund, die Todte forttrug. Hinter ihm schlug der Heerrauch zusammen und verbarg ihn den jubelnden Verfolgern.
Gersheim hörte das Geschrei, die Flüche und Schüsse der erbitterten Menschen, jede Kugel konnte sie noch einmal durchbohren. Er raffte sich auf und eilte den Soldaten nach, aber er fand die meisten am Rande eines tiefen Sumpfgrabens und bei der Blutspur, welche sie bis dahin verfolgten. Es war ihr Blut, das auf seinen Befehl vergossen war. Er fühlte sich von einer Traurigkeit ergriffen, die ihn beugte und zu Thränen rührte, und als er alle entfernt hatte, um nachzuspüren, setzte er sich nieder und tauchte die Finger in den heiligen Quell eines edeln und schönen Lebens.
Verflucht sei die Gewalt, welche solche Opfer fodert, sagte er heftig, hier schwöre ich sie ab! Zu spät für dies unglückliche Mädchen, aber nicht zu spät für mich selbst. Ich will frei werden von diesen verhaßten Banden des Ehrgeizes und denen der Natur und der höchsten Empfindungen folgen, die ich leider zu lange verkannt habe.
Die Soldaten kamen mürrisch zurück, sie hatten die Flüchtlinge nicht entdecken können, aber sie trösteten sich mit der Beruhigung, daß Beide ihr gutes Theil empfangen hätten, und nur der Heerrauch, für den Niemand könne, den glücklichen Erfolg vereitelt habe.
Als sie in dem Erlenholz waren, kam der Schiffslieutenant ihnen entgegen, der einen Brief in der Hand hielt und Gersheim bei Seite zog.
Freund Capitain, sagte er, es geht eine starke Kühlte über das Wasser; ich meine, der volle Sturm ist da, ehe wir es merken, und darum schlagt Eure Reffe, geiet ein und stauet Euer loses Zeug bei Zeiten.
Wo ist Lucie? fragte Gersheim
Das arme Kind ist gefallen, erwiderte der Seemann, und hat ein paar kleine Lecke am Vordertopp bekommen, die in einigen Tagen ausgebessert sein werden. Doch hier ist etwas viel Schlimmeres, fuhr er fort und schlug mit der Hand auf das Papier, aber verdammt will ich sein, wenn ich Feuer commandire.
Gersheim nahm das Schreiben und las einen Befehl des Commandanten, die Familie des Barons vorläufig unter genaue Aufsicht zu stellen, bis eine Commission zur Untersuchung der Vorfälle an der Küste zusammenberufen sei. Man habe Agenten abgeschickt, welche sich zur Zeit einfinden würden, ganz vorzüglich aber sollten die Wachen, Douanen und Gensdarmen aufmerksam auf einen Mann sein, der höchst wahrscheinlich vom Bord des genommenen Kutters ans Land entkommen wäre. Dann folgte die muthmaßliche Beschreibung desselben und plötzlich schüttelte der Schiffslieutenant die Schulter des Capitains und sprach mit gedämpfter Stimme:
Was habe ich gesagt? Gleich angesehen habe ichs ihm, daß er es ist. Ich bin so froh, wie ein Kind, daß wir ihn hier haben.
Sie wußten es also, erwiderte Gersheim bestürzt und unentschlossen. Auch ich ahnte es, ja ich hatte Gewißheit; aber was wollen Sie thun? Können wir, dürfen wir ihn verrathen? Gibt es nicht ein Gefühl in Ihrer Brust, das für den unglücklichen Mann spricht?
Auch nicht die leiseste Ahnung eines Gefühls, entgegnete der Seemann kaltblütig. Ich wünschte nur, ich könnte ihn in Ketten und Banden sehen.
Das wird nie geschehen, sagte Gersheim entschlossen, und soll und darf nicht geschehen. Ich kann nicht glauben, daß Sie ihn ohne innere Regung Menschen überliefern wollen, die mit Freuden ein ebenso blutiges Urtheil fällen würden, wie über so manche andere wackere und erlauchte Männer. Was Sie auch thun wollen, ich werde es, wie ich es vermag, zu hindern suchen.
Der Seemann sah ihn ganz verwirrt und zornig an.
Capitain, sagte er endlich, ich schätze Sie hoch; Jeder von uns muß thun, was er soll, aber geradeheraus! daß Sie diesen fremden Blutsaugern das Wort reden, ist eine sonderbare Leidenschaft für einen Deutschen. Da sehen Sie, fuhr er fort und deutete auf die Terrasse, wo der Roßhändler mit dem Hausherrn im eifrigen Gespräch umherging, da geht der höllische Agent und sucht den alten werthen Mann zu beschwatzen, während er ihm schon die Schlinge um den Hals gelegt hat. Meinetwegen beschützen Sie ihn, aber ich freue mich, daß ich den Patron auf der Stelle erkannte, und will nichts weiter, als ihm dies Papier geben und ihm sagen: Hier nimm es und vollende dein Werk.
Ja, rief Gersheim hastig, geben Sie ihm das Papier auf der Stelle und sagen Sie ihm, er möge daraus sehen, daß er mit der äußersten Vorsicht jeden seiner Schritte erwägen, am besten aber Alles lassen und sich schnell entfernen möge.
So höre ich Sie gern, erwiderte der Offizier und schüttelte ihm die Hand. Ich will mit ihm sprechen und vielleicht geht er wirklich, ohne Unheil anzurichten.
Rasch lief er den Weg hinauf und näherte sich den beiden Redenden. Eine Zeit lang blieb er hinter dem Busch stehen und wünschte das Ende ihres Gesprächs abzuwarten, indem er nicht ohne Neugier den bald leisen, bald lautern Reden einen großen Theil ihres Inhalts ablauschte. Was er jedoch zusammenhängend davon verstand, lief darauf hinaus, daß der Baron dem Fremden dringende Vorstellungen über ein Unternehmen machte, welches jener nur spärlich und nachsinnend vertheidigte, dann und wann aber mit spöttischen und heftigen Bemerkungen über die Verderbtheit der Zeit und der Menschen dazwischenfuhr. Seinen ruhigen stolzen Zügen war eine besondere Festigkeit des Willens aufgeprägt und das Feuer seiner großen Augen schien von hohen Entschlüssen zu leuchten.
Es mag wahr sein, lieber alter Freund, sagte er, indem er die Hand des Barons drückte, aber soll uns denn das elende leibliche Gut mehr gelten als der heilige hohe Gedanke, der allein das Erhabene vollbringen kann? Hätte ich so gedacht, ich säße noch auf dem Erbe meiner Väter und hätte den blutigen Tyrannen mit Kniebeugen versöhnt. Das habe ich nicht gethan; ich bin mit stolzem Nacken gegangen als ein freier Mann und komme wieder, weil Ihr mich gerufen habt.
Der Himmel ist mein Zeuge, fiel der Baron feierlich ein, daß ich nichts davon gewußt habe.
Gut, erwiderte der Fremde, Sie sind bedächtig und weise, wie Ihre reifen Erfahrungen dies bedingen, überdies aber haben Sie an Ihrer Gemahlin eine kluge verständige Gefährtin. Leugnen Sie es nicht, fuhr er lächelnd fort, ich habe die Besorgniß wol bemerkt, welche Ihnen mein Besuch verursacht. Es bedarf keiner Entschuldigung. Gefahren begleiten mich und könnten leicht meinen Freunden Verderben bringen.
Der Baron schien sehr niedergeschlagen und mit sich selbst in Streit zu sein. Beide sprachen noch eine Zeit lang, dann sagte er mit steigender Angst:
Bei meinem grauen Haar beschwöre ich Sie, stürzen Sie nicht blind in einen Abgrund, sparen Sie Ihr theures Leben, rauben Sie mir nicht den Sohn und vielen andern Vätern vielleicht die Söhne, um unser Elend nur schwerer zu machen.
Der Fremde schien erschüttert von dieser flehenden Bitte; er hielt die Hand des Barons fest und sah ihn mitleidig an.
Schon ist Blut geflossen und mein Gemüth voll Kummer und bitterer Sorge, fuhr der alte Mann fort. Welche Nachrichten wird uns Rudolf bringen, der den Unglücklichen nachgeeilt ist? Welche Schicksale und Leiden bereiten sich uns vor? Schon ist er und wir Alle so stark im Verdacht, daß eine strenge Untersuchung kaum abzuwenden ist, daß ich eilen muß, meinen Sohn zu entfernen, ehe das Schlimmste erfolgt, und ach! ich sehe Alles nahen, ich sehe ihn todt, verstümmelt oder gefangen schmachvoll enden und Alle, Alle! auch Sie selbst, in dasselbe Verderben gerissen.
Beruhigen Sie sich, erwiderte der Fremde tröstend, ich denke nichts zu unternehmen, was einen so traurigen gewissen Ausgang hätte. Für jetzt verlasse ich Ihr Haus, aber eine meiner dringendsten Sorgen wird es sein, Ihre Erfahrungen zu prüfen und danach zu handeln.
Bei diesen Worten waren sie dem Orte nahe gekommen, wo der Seemann stand, und dieser hörte den Roßhändler deutlich sagen:
Die Gefahr ist niemals so groß, wenn man ihr furchtlos ins Gesicht sieht. Vertrauen Sie mir, lieber alter Herr, und lassen Sie uns mit der Hoffnung scheiden, daß sich alles zum Besten wendet. Ich will den Damen ein schnelles Lebewohl sagen, befehlen Sie, daß mir ein Pferd bereit gehalten wird.
Der Baron wendete sich schweigend ab und der Roßhändler wollte ihm folgen, als der Seeoffizier aus der Laube hervortrat und ihn aufhielt.
Auf ein Wort, mein Herr, sagte er mit finsterer Stirn.
Wüstenkamp musterte ihn aufmerksam, dann steckte er die Hand langsam in die Tasche seines Kleides, als suche er dort etwas, und machte eine tiefe demüthige Verbeugung, indem er sich nach dem Befehle des Herrn Offiziers erkundigte.
Hören Sie auf mit den Possen und der Verstellung, sagte dieser unfreundlich. Sie sind längst erkannt von mir und bedürfen der Schliche nicht mehr.
Erkannt? erwiderte der Roßhändler. Gut, und nun?
Nehmen Sie dies Papier, lesen Sie, fuhr der Seemann fort.
Der Fremde warf einen schnellen Blick hinein, dann trat er stolz zurück und sagte:
So leicht wird es nicht gehen, ihn zu fangen.
Das ist Ihre Sache! rief der Offizier heftig. Will man uns etwa zumuthen, Spione der Polizei zu sein? Ihr Amt ist es, Sie haben sich dazu verkauft, und wie ich sah und hörte, haben Sie gut vorgearbeitet, um sich in das Vertrauen des alten guten Edelmanns zu schleichen. Nun, Herr, was starren Sie mich so sonderbar an, als begriffen Sie mich nicht, fuhr er zornig fort. Nehmen Sie diesen Befehl, verhaften Sie den Baron und seine Familie und suchen Sie den Flüchtling, der hier beschrieben wird, zu fassen; vielleicht kennen Sie ihn, wissen schon seinen Aufenthalt?
Sicher weiß ich mehr von ihm, erwiderte der Fremde lächelnd, als irgend Einer.
So machen Sie Ihr Meisterstück, Herr Agent, und möge Ihnen aller Lohn werden, den Sie verdienen. Was mich betrifft, fuhr er fort, so habe ich Ihnen nichts weiter zu offenbaren, Capitain Gersheim aber läßt Ihnen rathen, dies Blatt genau zu lesen und so schnell als möglich Ihrer Wege zu gehen, ohne hier weiteres Unheil anzurichten.
Die Theilnahme an der Familie machte den schlichten Seemann jetzt unwillkürlich beredt, und indem er den Agenten dringend bat, mild und schonend zu sein, drohte er ihm zugleich mit der Wuth aller Landleute, die den alten guten Herrn kindlich liebten, und gab ihm ein treues Bild von der Stimmung im Lande, bei welchem er seinen eigenen Unmuth nicht verhehlte.
Der Fremde hörte Alles aufmerksam an, dann sagte er:
Ich danke Ihnen, mein Herr, für Ihr Vertrauen. Ich werde diese würdige Familie nicht weiter ängstigen, aber augenblicklich den Flüchtling aufsuchen und ihn wo möglich entfernen. Sagen Sie das dem Capitain, bringen Sie ihm meinen Dank; sagen Sie ihm auch, daß ich alles wohl benutzen würde, und leben Sie wohl, mein Herr Offizier, ich denke, wir sehen uns wieder.
Das ist ein sonderbarer Mensch, murmelte der Seemann, indem er ihm nachblickte. Er hat ein Wesen wie ein rechter Ehrenmann, aber das lernen diese verdorbenen Seelen, damit verlocken sie die Leichtgläubigen und, beim Himmel! beinahe wäre es mir auch so gegangen, wenn ich keine Menschenkenntniß hätte.
Nach wenigen Minuten ritt der Fremde in Begleitung eines Dieners davon, in welchem Gersheim, der sie den Weg herabkommen sah, den pfiffigen Müllerburschen erkennen wollte, obwol er sich das Gesicht entstellt hatte. Sie schlugen einen Weg nach dem Innern des Landes ein und bald verschwanden sie hinter den Hecken.
Von diesem Tage an war der gesellige Verband fast gänzlich aufgelöst, in welchem Gersheim zu der Familie des Barons gestanden hatte. Der Seeoffizier kehrte an Bord seiner Schaluppe zurück, um nichts mehr von den traurigen Verhältnissen zu hören, denn schon am nächsten Morgen erschien ein Generaladjutant mit einem Commando, um den jungen Baron gefangen nach der Stadt zu führen. Aber Rudolf war nicht wiedergekehrt und wurde nun mit fruchtlosem Eifer verfolgt, während man den alten Herrn mit einiger Schonung behandelte, da man dessen Anhang im Lande wohl kannte.
Der General kam nach einigen Tagen selbst und hatte eine lange. Unterredung mit ihm, in welcher er mit vieler Klugheit dem Edelmann sein Bedauern ausdrückte, daß einer der verdienstvollsten Bürger und Unterthanen des Kaisers durch die unbedachten Handlungen seines Sohnes in Verdacht gerathen konnte, die Unruhe einiger weniger verbrecherischer Köpfe zu begünstigen. Er gab ihm unter der Hand den Rath, entweder diesen Unbesonnenen zu entfernen oder ihn zum Dienst im Heere des Kaisers zu stellen, in welchem Fall er ihm volle Verzeihung zusichern wolle.
Von dem gelandeten und verfolgten Flüchtling war wenig die Rede, nur nebenher bemerkte der General, daß man vermuthen müsse, einige fremde Unheilstifter seien im Lande, um dessen friedliche und glückliche Bürger aufzuwiegeln, indeß würden sie der wachsamen Gerechtigkeit sicher nicht entgehen. Zum Schluß sprach er dann von den neuen großen Siegen des Kaisers in Rußland und schien die Warnung daran zu knüpfen, den Gerüchten keinen Glauben beizumessen, welche damals schon Niederlagen der Franzosen verkündigten.
Während man so anscheinend Milde und Versöhnlichkeit walten ließ, empfing Gersheim sein vollgemessenes Theil harter Vorwürfe und strenger Aufträge. Es wurde ihm zur Pflicht gemacht, Alles anzuwenden, um die begangenen Fehler zu vergüten, den jungen Baron zu verhaften und ganz besonders auch den Fremden zu fangen, der eine lebhafte Unruhe erregt hatte, da man aus den verworrenen Geständnissen der beiden Matrosen eine Person von Bedeutung in ihm vermuthete. Er erhielt den Auftrag, das Schloß aufs Genaueste zu überwachen, und je unumwundener er seine Abneigung gegen diesen Polizeidienst zeigte, um so drohender verlangte man seinen Eifer und übergab seinem Oberbefehl die verstärkte Mannschaft der Küstenbewachung und die zahlreichen Gensdarmen.
Mit den Geschäften und Sorgen verringerten sich nothwendig auch die freien Stunden, welche er sonst der Familie gewidmet hatte, aber er empfand es auch schmerzlich, daß man ihn mit Mistrauen betrachtete; während er doch auch darüber erfreut war, denn wohin hätte Vertrauen geführt? Man schien zu wissen, wie genau man beobachtet werde, und mit jedem Tage zogen sich Alle mehr von dem Freunde zurück, der ihnen noch vor kurzem so lieb und werth war.
Am schmerzlichsten war es ihm, daß Lucie ihn aufgegeben hatte, daß sie ihn vermied, ihm keine Gelegenheit bot, wie er eifrig auch suchte, sich ihr zu nähern, um ihre Vergebung zu erbitten. Ihre kleinen Wundenmaale an Arm und Gesicht machten ihm die heftigsten Schmerzen über seine rohe Heftigkeit; aber seine flehenden Blicke blieben unerwidert, seine stumme Sprache bewirkte keine Änderungen ihrer ruhigen sanften Züge; und nun erst empfand Gersheim alle Qualen einer Leidenschaft, die er vergebens zu besiegen glaubte.
Der alte Baron war oder stellte sich unwohl, um den unbequemen Gast ganz los zu sein, und seine sonst so muntere Gemahlin ging grollend umher, nachdem sie einmal ihrem Ärger Luft gemacht hatte, indem sie dem Capitain unumwunden erklärte, daß er der eigentliche Urheber alles Unglücks sei, was ganz vermieden wäre, wenn er Rudolf sofort festgenommen hätte.
So verging eine Woche, als Gersheim spät von einer Revision über die Dünen zurückkehrte und an der Seebucht hinabritt, wo plötzlich das laute Gebell eines Hundes ihn an seinen Freund Peter erinnerte. Als er nach dem Meere hinabschaute, sah er wirklich den alten Bettler, der eine Strecke ins Wasser gewatet war und mit Leuten in einem Fischerboote redete. Endlich zog der Alte ein Papier aus seinem Kleide, das er den Männern gab und ihnen allerlei einschärfte, indem er auf das hohe Meer hinausdeutete, wo mehre Segel sichtbar waren. Die im Boote nahmen den Brief hin und gleich darauf stießen sie ihr Fahrzeug ab, spannten das Segel und fuhren fort. Der alte Adam aber schrie ihnen nach:
Holla, Julin, du hast auch tüchtige Fäuste und ihr Alle, kommt mit euern Messern und Bootshaken zur Mahlzeit; morgen auf dem großen Markt, wer weiß, was sich da Alles kaufen läßt.
Dann wendete er sich zu seinem Hunde und sagte:
Was meinst du wol, Peter, was sie kaufen werden? Sonst waren die lustigen Bursche da freilich immer bei der Hand, um ihr Geld für bunte Schürzen, Glasperlen und Bänder hinzuwerfen, Alles für die Herzliebste und eine lustige Nacht. Siehst du aber wol, Peter, wie die Sonne blutroth untergeht? Was sie morgen hinwerfen, das bezahlt keine Welt mit allen ihren Schätzen, nicht das schönste Weib und das höchste Schloß im Lande. Aber, Peter, das dumme Menschenvolk will es nicht anders, wir beide sind klüger und mischen uns nicht in ihren Streit als zu guten Dingen; das wissen Die, die da hinfahren, und nun komm, ehe es Nacht wird.
Er ging quer in die Bucht hinein und Gersheim ließ ihn ruhig ziehen, obwol es ihn drängte, mehr zu wissen, als er gehört hatte. Als er nach Haus kam, befremdete es ihn nicht, einen Befehl zu finden, der ihm gebot, mit einem starken Commando den Markt in dem großen Flecken zu überwachen. Es wäre möglich, schrieb man ihm, daß man dort einige der Unruhestifter erwischen könne, und hier hänge es von seinem Eifer ab, vielleicht seinem Vaterlande und dem Kaiser wichtige Dienste zu leisten, welche ihm den Weg zu Ehren und Belohnungen bahnen könnten.
Und nicht umsonst, sagte er sich selbst, soll dies gesprochen sein. Ja, ich denke meinem Vaterlande einen Dienst zu leisten, der größer ist, als sie glauben; dem ich mich willig opfere.
Er gab seine Befehle und in der Frühe des nächsten Tages zog er mit seiner Schar einem allgemeinen Sammelplatze zu, wo sich nach und nach die kleinen Trupps der Soldaten vereinten und dann auf mannichfachen Wegen zerstreut sich dem Marktflecken näherten, wo die große Masse der Landleute und Fischer längst zusammengeströmt war. Nur eine geringe Abtheilung des Militairs hatte den Ort besetzt, die übrigen lagerten in einem nahen Gehölz im Versteck und erwarteten die Befehle ihres Anführers, der allein dem Flecken zuging und sich ihm von einer Seite näherte, wo auf einer mäßigen Höhe die Ruinen eines Schlosses lagen. Seine starken Mauern waren gewaltsam zerstört und von Feuer geschwärzt, die hohen Fenster zerbrochen, das Dach abgetragen und der verwilderte Garten allein ließ die alten Bäume in gewohnter Weise grünen und blühen.
Gersheim war an diesem Tage schwermüthiger, als je. Es kam ihm vor, als müsse eine nahe Entscheidung plötzlich auf sein Leben fallen und dies zerschmettern oder ganz erneuen. Eine Angst peinigte ihn, die aus der Ungewißheit der nächsten Zukunft, aus seinen Entwürfen und Hoffnungen entsprang, welche sich mit aller Furcht prophetischer Ahnungen verbanden.
Vergebens hatte er noch heut in der Frühe versucht, Lucien zu finden, nach deren Versöhnung sein ganzes Herz dürstete. Er hatte sie im Park bemerkt, wie sie mit einem Manne dort auf und ab ging. Ob es der Baron war, ob Rudolf, er konnte und wollte es nicht entdecken; aber er wartete geduldig, bis sie zurückkam, und hielt sie plötzlich auf, indem er ihre Hand berührte und sie bat, ihn zu hören. Aber sie hörte ihn nicht. Mit einem flüchtigen Gruße und einem traurig sanften Blicke ihrer seelenvollen Augen, der ihm zu sagen schien: wecke doch nicht die alten Schmerzen! eilte sie vorüber und seufzend breitete er die Arme aus und ließ sie langsam sinken, ihr Name erstarb leise auf seinen Lippen.
Sie schienen ihn Alle zu fliehen, und heute noch mehr als sonst; Herr und Knecht musterte ihn mistrauisch und zog sich vor ihm zurück. Und was hatte er ihnen gethan? Er liebte sie mehr als je und war entschlossen, ihr Freund zu bleiben. Hierher war er gekommen, um ihnen zu dienen und zu helfen; aber unruhiger klopfte sein Herz, wenn er an das unglückliche Mädchen dachte, die mit ihrem Blute ihren Glauben bezahlte.
Und war es möglich, dem Engel der Rache das Schwert aus der Hand zu winden? Seit jenem Tage war der Haß des Landvolkes auf einen so hohen Grad gestiegen, daß ohne Verschwörung Alle zu den Verschworenen gehörten. Es bedurfte nur eines Anlasses, um die verborgene Flamme zum Brande aufzurühren und wer war ihr Opfer, wen verzehrte sie zuerst?
Im tiefen Sinnen ging Gersheim durch das Gemäuer, über den öden Schloßhof, durch lange, hallende Gänge, die vom freundlichen Sonnenlicht erhellt wurden. Er beugte sich über die Mauerbrüstung und sah hinab in die Straßen, wo der Markt des bunten Menschenlebens sich lustig vor ihm aufthat. Hier knallten die Gewehre der Pachter und Jäger, um den Vogel abzuschießen, für dessen Scepter und Krone silbernes Wirthschaftsgeräth zu gewinnen war; dort würfelten die jungen Bursche und Mädchen um blankes Zinn und süßen Kuchen.
Weiterhin waren Tanzplätze, wo fröhliche Paare sich schwenkten; Verliebte jagten sich scherzend durch die Bäume und Hecken, Andere hatten sich gelagert und schmausten, zechten und lachten, daß es bis in das wüste Schloß heraufdröhnte. Übermüthige Gesellen mit Sträußern und Bändern neckten die Dirnen, und das frische junge Blut fühlte sich so recht mitten im Lebensgenuß glücklich und froh. Es klapperte und würfelte, trompetete und paukte und Alles war voll Lust und Herrlichkeit und jauchzte in den blauen Himmel hinein, als wäre kein Schmerz auf Erden.
Die tiefe Ruhe in der Ruine, die wilden Brombeer- und Epheuranken, welche sich liebend um diese Zerstörung schmiegten, als wollten sie mit ihrem üppigen Grün das Grauen zudecken, und dort das leichtsinnige Leben, das bald vielleicht in Jammer und Tod auslöschen sollte, bildeten einen sonderbaren Gegensatz. Mit widerwilligem Herzen trat Gersheim zurück, um seinen Weg zu suchen; als er aber eine Thür öffnete, blieb er erstaunt und lautlos an ihrer Schwelle stehen.
Ein hohes dunkles Gewölbe lag vor ihm. Von Pfeilern getragen und in kühnen Spitzbogen gebaut, behauptete es in seiner Zerstörung noch die ernste Hoheit eines Gottestempels. Zertrümmerte Betstühle, Chor und Orgel, zerschmetterte Steinbilder und Wappenschilde, Altäre und Leichensteine an den Mauern: aufgerichtet, zeigten alte, längst zerfallene Herrlichkeit. Gersheim aber sah von Allem nichts; sein Auge ruhte unverwandt auf dem Altar, vor dem ein einsamer Lichtstrahl auf einen schwarzen schmucklosen Sarg und auf ein Weib fiel, das kniend an ihm betete. Daneben war eine Gruft geöffnet und Alles schien bereit, den stillen Bewohner für immer aufzunehmen.
Ein Grauen überfiel den Capitain. Das lustige Singen und Lachen drang bis in dies Haus des Todes und die leisen, klagenden Worte der schwarzen Beterin stiegen an den dunkeln Wänden auf und hallten dumpf davon zurück.
Plötzlich wendete sie den Kopf, der mit einem Schleier umwunden war, und erblickte den Lauschenden. Es war ein schmerzliches stummes Erkennen, bis die Freude über das Unerwartete Gersheim gänzlich überwältigt hatte.
Gitta! rief er, Sie leben! so hat meine Hoffnung nicht gelogen!
Sie blickte ihn ruhig an und reichte ihm die Hand.
Ich lebe, sagte sie, aber er – er hat mich für immer verlassen. Zum Tode wund trug er mich fort und nicht eher fehlte ihm die Kraft, bis ich in der Hütte am See lag, wo der alte Mann uns verband und pflegte und die wilden Vögel, milder als die Menschen, welche uns verfolgen, unsere friedlichen Gefährten waren.
Und er, erwiderte Gersheim leise, indem er auf den Sarg deutete, warum mußte er in Verfolgung leben und sterben, verlassen selbst in diesem zerstörten finstern Gottestempel!
Er ruht in seinem Hause, rief sie mit starker, stolzer Stimme, er ist frei! Von diesen Wänden blicken seine Ahnen auf ihren letzten Sprossen, in dieser Gruft schläft er bei seinen Vätern, diese zerstörten Hallen werden über ihn zusammenstürzen. Er konnte sich nicht demüthigen, so lange er lebte; sein Herz war voll Leidenschaft und voll Haß gegen die, welche uns Alles nahmen, weil wir es wagten, nicht das Knie zu beugen vor ihrer rechtlosen Gewalt; aber doch war er mild und gütig von Gott geschaffen, er haßte das Unrecht, er konnte den Wurm nicht leiden sehen und half selbst Denen, die ihn verdarben.
Bei diesen Worten heftete sie einen langen vorwurfsvollen Blick auf Gersheim, gleich darauf aber sagte sie mit schwermüthiger Milde:
Lassen Sie uns schweigen! Blind treibt der Augenblick die Menschen; die sich lieben sollen, zerfleischen sich und klagen dann vergebens um ihre Thaten. Warum aber sind Sie gekommen? fuhr sie fort, als er schwieg. Sind Sie ein Werkzeug der Gewalt, welche die blutige Meute auf uns loslassen will, oder ist der Augenblick erschienen, der Sie frei macht, und wollen Sie mit uns diesen Todten rächen, dessen Blut seine Mörder theuer bezahlen sollen!
Mit wilder Begeisterung hielt sie ihn fest, ihre Augen flammten vor Zorn und Schmerz, indem sie bald auf den Sarg, bald auf Gersheim blickte.
Ich kam, sagte dieser sanft, um Unglück und Blut zu verhüten; ich kam als Freund, als Ihr Freund, Gitta, um mit meinen Freunden zu reden. Ich muß den Fremden sprechen, der unter dem Namen Wüstenkamp den Baron besucht hat.
Um kluge Rathschläge zu ertheilen also, erwiderte sie verächtlich, um den Unschlüssigen Furcht, den Feigen Verzweiflung einzujagen.
In diesem Augenblick fiel ein langer Schatten in die Halle und der schallende Fußtritt eines Mannes übertönte ihre letzten Worte. In der nächsten Minute stand er vor den Beiden, es war Rudolf. Im Jagdkleide, den breiten Hirschfänger an der Seite, betrachtete er den Capitain mit finstern, rachsüchtigen Blicken.
Baron Rudolf, sagte Gersheim und streckte ihm die Hand entgegen, bei Allem, was heilig ist! ich bin als wahrer Freund gekommen.
Verräther! rief dieser, indem er die Hand heftig zurückstieß; ich will Ihre Verbrechen nicht aufzählen. Falschheit und Lüge überall; in der Freundschaft, in der Neigung des Herzens sogar zu einem der edelsten, vollkommensten Wesen, zu Lucien, deren Liebe Sie zu gewinnen wußten, um sie dann roh und boshaft zu mishandeln. Ein Diener der Tyrannei, der aus angeborner Gier nach Menschenweh Unglück stiftet, wo er kann, und bei alle Dem feige ist bis zur Lüge. Du bist hier erschienen, Mensch, fuhr er dann mit jener kalten Entschlossenheit fort, die zur That reif ist, weil Deine Knechte dort in Wald und Busch lauern, um auf Deinen Wink über uns herzufallen; aber wisse, Dein Schicksal führte Dich zur Leiche eines deiner Opfer; du bist erschienen, um nicht wieder fortzugehen!
Er riß den Hirschfänger aus der Scheide und trat auf Gersheim zu, der ruhig vor ihm stand. Gitta lehnte sich auf den Sarg, still und erwartungsvoll, als gelte es ein Gottesurtheil.
Wollt Ihr mich ermorden! rief der Capitain heftig, aber ohne eine Bewegung zur Abwehr zu machen.
Ich will, sagte Rudolf mit fester Stimme. Tretet zurück, zieht den Degen und vertheidigt Euer Leben.
Nein, erwiderte Gersheim, Sie sollen mich hören, ich will nicht wie ein Rasender handeln.
So stirb! schrie der Baron und faßte den Hirschfänger, um ihn zu durchbohren. Ihre Stimmen dröhnten wild und verworren von den hohen Mauern der Kapelle zurück.
Halt ein, Wahnsinniger!, rief Gersheim und suchte seinen Arm zu packen; allein sein Gegner war von größerer Kraft. Er drängte ihn an den Altar, der Capitain strauchelte und fiel auf die geweihten Stufen unter dem verstümmelten Bilde des Heilandes nieder und nach einem augenblicklichen Ringen war Rudolf's Hand mit dem tödtlichen Messer frei und gezückt, als ein plötzlicher, unerwarteter Stoß ihn zur Seite warf.
Ein Weib in der Tracht einer Bäuerin war hinter dem Pfeiler hervorgesprungen und warf sich nun halb über den zu Boden gestreckten Mann, dessen Kopf sie mit ihrem Arm bedeckte. Flehend wendete sie sich gegen den erstaunten und leidenschaftlichen Sieger. Ihre zarten, geisterbleichen Züge bebten in Liebe und Entsetzen; ihr langes glänzendes Haar hatte sich aufgelöst und rollte über Nacken und Rücken und ihre abwehrende Hand, die sie drohend erhoben hatte, wurde durch den Ausdruck der Verzweiflung und des furchtbarsten Schmerzes unterstützt, den ihre Augen ausstrahlten.
Lucie! schrie Rudolf, indem er von Neuem das Messer aufhob, zurück von diesem Elenden, der den Tod leiden muß, den er verdient hat!
Sie warf sich ihm entgegen und umklammerte seine Füße. Athemlose Todesangst durchflog den zitternden Körper; die schönen Augen traten blutig groß hervor, eine dunkle Röthe der Erstickung färbte das ganze Gesicht. Plötzlich richtete sie sich auf, faßte mit beiden Händen krampfhaft Rudolf's Kleid, sah starr in sein zorniges Gesicht, und den Kopf im Nacken, als suche sie bei Gott Hülfe, stieß sie einen gellenden Schrei aus und sank ohnmächtig zurück in Gersheim's Arme.
Einen Augenblick schien Rudolf schwankend, dann fiel das Jagdmesser aus seiner Hand. Weiche und freudige Empfindungen strömten in seine Brust und nun kniete er bei Lucien nieder, drückte ihre Hände an sein Herz, küßte ihre bleichen Lippen und rief mit unermeßlicher Liebe und Wonne:
Meine Lucie, meine theure, theure Schwester! Das Band ihrer Zunge ist gelöst, ihre unendliche Liebe hat es zersprengt! Gott will es, Gersheim, ja, wir sollen uns lieben, wir sollen als Brüder durchs Leben gehen, und hier ist meine Hand, laß uns treu zu einander halten. Liebe sie, meine Lucie, in Noth und Tod; wie sie Dich liebt, kannst Du kein Verräther sein! Es war Irrthum, Wahnsinn, der mich reizte und antrieb. Ich glaube Dir, Du kamst, um mit uns zu sein.
Gersheim reichte ihm fast willenlos die Hand, denn sein ganzes Leben und Denken hing an dem lieblichen Geschöpf, das ohne Regung auf den Stufen des Altars und in seinem Arm lag. Er küßte ihre blassen Lippen, seine Thränen fielen heiß auf ihr Gesicht; plötzlich öffnete sie die Augen und ein unbeschreibliches Entzücken verklärte ihre Züge. Da thaten sich ihre Lippen auf:
Mein Freund, mein Bruder! sagte sie kaum hörbar, leise und stammelnd, und jetzt von Glück und Liebe trunken, schlang sie den einen Arm um Gersheim, den andern um Rudolf und weinte laut.
Mehre Menschen traten hastig in die Kapelle; der erste unter ihnen war der Fremde, dem der alte Adam folgte.
Auf, meine Freunde! rief er laut, wir sind umringt und verrathen, nur schnelle Entschlossenheit kann uns helfen.
Jetzt sah er Gersheim und die Andern.
Was ist geschehen? fragte er erstaunt.
Ein Wunder! erwiderte Gitta ernst, denn zum Leben ist erweckt, was ewig todt schien.
In wenigen Minuten erfuhr er Alles.
Eine Schwester habe ich neu gewonnen, rief Rudolf begeistert, und einen Freund, der mit uns leben und sterben wird.
Der Fremde schüttelte leise den Kopf, indem er den Capitain freundlich anblickte.
Ihr fodert von einem Manne von Ehre, was sein Gesicht mit Scham füllt, sagte er. Die erste Tugend des Soldaten ist Gehorsam, unverbrüchlicher Gehorsam. Mag sein Herz auch bluten und zerreißen, er erfüllt seine Pflicht. Was er thun konnte, hat er gethan, und dafür, mein tapferer Kamerad, nehmt meinen Dank; aber, was Ihr auch beschlossen habt, es ist unnütz, denn Eure Macht ist aus.
Gnädigster Herr, erwiderte der Capitain, ehrfurchtsvoll sich verneigend, ich kann und will nicht dulden, daß ein so großer Held in einem Winkel der Erde untergehen, oder in die Hände seiner Feinde gerathen soll. Ich beschwöre Sie, geben Sie ein Unternehmen auf, das in diesem Augenblick, wo die Siege des Kaisers die Welt, zitternder als je, zu seinen Füßen legen, ohne Aussicht ist.
Es ist schon aufgegeben, sagte der Fremde mit einem schwachen Lächeln. Sie haben nur zu Recht, es muß Größeres geschehen, ehe Deutschland erwacht; wir müssen geduldig sein und warten. Ihre Hülfe aber kommt zu spät, sprach er weiter, denn hier berichtet uns ein guter Freund, daß der General selbst mit einer Reiterschar bei Ihren Leuten im Walde eingetroffen ist und alle Wege besetzt hält.
Dann fürchte ich selbst, es ist alles zu spät, rief Gersheim erblassend.
Ich nicht, erwiderte der Fremde rasch, und nun wendete er sich zu dem Bettler und sagte: Mein Freund Adam, erzähle uns Alles.
Nun, sagte der Bettler, wir wußten seit, mehren Stunden, daß Soldaten im Anzuge waren, aber wir ließen uns nichts merken, und ich allein mit dem kleinen Peter hier, wir gingen hinaus, um sie uns zu besehen. Wir saßen in den Büschen und zählten die Gewehre, um ungefähr zu wissen, wie viel es wären, da fängt Peter an zu knurren und spitzt die Ohren, was so viel heißt, als: Paß' auf, es kommt Jemand! Und richtig hörte ich bald darauf ein Gestampfe von Pferden und dann kamen Reiter, wol an die Hundert, und mehre Offiziere mit vielem Gold auf den Achseln. Ein alter Herr mit einem rothen grimmigen Gesicht fragte nach dem Capitain Gersheim und dann sagte er: Ich habe sichere Nachricht, daß sie Alle da unten im Neste stecken und wir die Vögel sämmtlich fangen werden. Führt den Mann her, der uns genaue Nachricht gegeben hat. Da wurde ein Kerl vorgeführt, den ich gut kannte, denn so wahr ich lebe, es war Franz, der Müller, dem wir von den Gensdarmen geholfen hatten. Um wieder ohne Noth in seiner Mühle zu wohnen, verrieth der Spitzbube Alles und schwor, er wolle die Soldaten führen, daß Keiner ihnen entgehen solle, besonders auch der fremde Herr nicht. Sobald der Capitain zurück ist, sagte nun der alte Herr, wollen wir hinein; laßt die Dragoner und Gensdarmen sich vertheilen und alle Wege sperren. Da hatte ich genug und kroch davon, immer dem Peter nach, der mich schon längst gezupft hatte und, seinen Schwanz eingeklemmt, auf dem Bauch fortrutschte, weil das kluge Geschöpf wol wußte, wie es uns Beiden gehen würde, wenn man uns entdecke.
Und was ist nun zu thun? fragte der Fremde.
Als Männer mit Ehren zu sterben, sagte Rudolf.
Gott bewahre, lieber Herr, erwiderte der alte Bettler, ihm zuwinkend. Sehen Sie den Peter hier, der ist so muthig wie ein Löwe, aber er ist auch klug dabei, und sieht er, es geht nicht, so läuft er davon. Ein gewisser edler Herr gab mir gestern ein Briefchen für den Capitain der englischen Kriegsbrigg, die seit einigen Tagen hier umherkreuzt und die Küstenwächter verjagt hat. Meine guten Freunde, die Fischer, haben es richtig abgegeben und vor einer Stunde kam Julin und sagte, die Brigg läge vor dem Vorgebirge und halte ihre Boote in der Bucht bereit.
Und das ist mein Entschluß, fiel der Fremde mit seiner mächtigen Stimme ein, wir müssen diesmal den Kampfplatz, ohne Kampf verlassen und es wie der muthige, kluge Peter machen. Kannst du uns auf dem kürzesten Wege zu der Bucht bringen, Adam?
Ich kann, sagte der alte Mann.
So laßt uns schnell hier ein letztes Werk der Liebe an diesem edeln Todten verrichten, ehe wir an das Leben denken, fuhr der edle Herr fort. Ein einziges Opfer unserer Thaten, aber ach! ich verlor den treusten, ergebensten Freund, und Sie, Gitta, den liebevollsten Vater. Welch großer, unersetzlicher Verlust!
Er starb für seinen Glauben und für mich! rief Gitta mit stolzer, fester Stimme. Sie kniete, an dem Sarge nieder, küßte ihn und betete leise, während man rasch die Anstalten machte, den Todten zu versenken.
Als es geschehen war und unter den Gebeten der Anwesenden sich das schwere Gitter schloß, erhob sich Gitta mit wunderbarer Kraft.
Er schläft den Schlaf der Gerechten, sagte sie, und nun habe ich nur Dich, mein Rudolf, Dich, dessen edle, hochgeartete Seele mein ist. Nimm mich auf, gern und willig überliefere ich mich, führe mich, wohin du willst.
Zum Altar, zum ewigen Bunde! rief Rudolf, sie umarmend.
Zuerst nach England und in mein Haus, fiel der Fremde ein, aber, bei Gott und meiner Ehre! ich will wenigstens einen Kriegsgefangenen mit mir nehmen. Capitain Gersheim, es ist keine Schande für einen wackern Krieger, vor der Übermacht das Gewehr zu strecken. Hier sind zehn Streiter gegen Sie. Geben Sie Ihren Degen, Herr, Sie sind mein Gefangener! Sie sollen und dürfen nicht mehr in den Reihen unserer Feinde sein, mit Gewalt reiße ich Sie heraus.
Hierbei trat er auf den Capitain zu, und indem er die eine Hand auf dessen Waffe legte, reichte er ihm freundlich die andere hin.
Ja, zieh mit uns, mein Freund, mein Bruder! rief Rudolf, und Lucie richtete sich auf und lächelte ihm zu, indem sie sich sanft an ihn lehnte. Da sank er vor ihr nieder, seine Küsse bedeckten ihre Hände und in heißer Liebe rief er:
Ewig, ewig will ich dein Gefangener sein!
So verging eine selige, stille Minute, dann nahm Lucie den Degen, reichte ihn dem Fremden und sagte mit schwacher, zitternder Stimme, die ein neues Entzücken über Alle brachte:
Er hat überwunden, er ist mein!
Jetzt lief der alte Bettler keuchend herbei. Sie kommen, rief er, und wem es darum zu thun, nichts mit ihnen zu schaffen zu haben, der folge schnell.
Das war das Zeichen zur Flucht. In einer kleinen Höhlung, die der Regen ausgewaschen hatte, stiegen sie von der Ruine und erreichten unentdeckt die Rohrwälder, als die Soldaten in den Flecken drangen. Ohne Aufenthalt verfolgten sie ihren Weg, und wie leicht wurde es jetzt dem glücklichen Gersheim. Bald unterstützte er Lucie, bald bebte er vor Freude über die unvollkommenen Laute ihrer leisen, süßen Sprache, dann trug er sie auf seinen Armen über die gefährlichen Stellen und endlich waren sie Alle an der Bucht, der alte Adam mit der Leuchte voran und ganz vorn an der Spitze der kleine Peter, der plötzlich den Kopf hob, seine Füße feststemmte und laut knurrte und bellte. Im Augenblick sah man in der Ferne Lichtschein an den Dünen heraufkommen und hörte das Gestampf von Pferden.
So wahr ich lebe! rief der alte Bettler grimmig, indem er seine Laterne an einen langen Stock steckte und über das Meer hinausleuchtete, der pfiffige Franz, der spitzbübische Müllerknecht, hat errathen, wo der Fuchs seinen Bau hat, und da bringt er die Jäger schon, die Gensdarmen mit den verdammten blanken Helmen. Wenn die Boote nicht da sind, ehe fünf Minuten vergehen, müssen wir in die feste Burg des alten Entenkönigs zurückfliehen und eine Belagerung aushalten.
Indem er sprach, war Ruderschlag auf der Bucht. Adam that einen gellenden Matrosenschrei, der erwidert wurde, und nun schwenkte der alte Kerl seine Stange mit der Leuchte und jubelte, wie ein Besessener.
Mein altes Herz wäre mitten entzwei geborsten vor Grimm, schrie er, wenn das schlechte Volk uns überrumpelt hätte; die müssen aber früh aufstehen, die eher kommen wollen als Peter und ich.
Jetzt landeten zwei stark bemannte Boote, ein Seeoffizier sprang ans Ufer und begrüßte achtungsvoll den Fremden. Während er mit ihm redete und in wenigen Worten Auskunft über die Kriegsbrigg gab, deren Capitain sie erwarte, sah Lucie angstvoll auf Gersheim und ihren Bruder.
Du begleitest uns, sagte Rudolf, es ist nicht anders möglich, denn welche Gefahren würden Dich bedrohen!
Und hier, sagte Gitta, indem sie Luciens und Gersheim's Hände zusammenlegte, hast Du den Mann, dem das Weib folgen soll über Land und Meer.
Jetzt erschienen die Reiter auf der Dünenhöhe und entdeckten die Boote.
Schnell, schnell! rief der Fremde. Tragen Sie die Frauen hinein und fort.
Rudolf und Gersheim hoben die leichte Last auf ihre Arme und wateten an das rettende Fahrzeug.
Und Du, mein alter Freund Adam, sagte der edle Herr, indem er dem Bettler die Hand reichte, laß Dein einsames Sumpfleben, fasse Deinen Peter am Fell und komm.
Statt der Antwort löschte der Bettler sein Licht aus und sagte dann leise:
Ach, lieber Herr, der Peter und ich, wir können nur dort unten leben; was wollten auch die Thiere und Menschen anfangen, wenn wir ihnen fehlten? Kümmert Euch nicht um mich, ich will ihnen schon entgehen, aber fort, Herr, fort! Dort kommen die behelmten Diebe und jeder ehrliche Mann geht ihnen aus dem Wege.
Er schlich mit seinem Hunde unter der Sandwand hin, als die Gensdarmen soeben ihre Carabiner auf die schnellrudernden Boote abbrannten; aber sie entkamen ohne Folgen und bald legten sie an der Brigg an, welche sogleich die Küste verließ.
Hier war das Manuscript zu Ende und zugleich erlosch mein Licht. Unruhig träumte ich die ganze Nacht von allen den bunten abenteuerlichen Gestalten, und am frühen Morgen, als mich die Jagdhörner weckten, glaubte ich noch Gitta's und Luciens Stimme zu hören. Ich sprang auf und eilte in das Wohngemach, wo mein gütiger Wirth mir völlig gerüstet und scheltend über meine unwaidmännische Trägheit entgegenkam.
Sie sind Schuld daran, rief ich, Ihre Geschichte hat mich zum Träumer gemacht. Aber Sie sind es selbst, Sie sind dieser unentschlossene, verrätherische Capitain, und hier kommt die arme, entsagende Lucie, die ihr Leben und Lieben dem undankbaren Manne opfern konnte.
Meine theure, geliebte Lucie, erwiderte er, indem er sie umarmte, ich bin noch immer dankbar ohne Maß für mein unverdientes Glück. Aber lassen Sie uns gehen, fuhr er lachend fort, sie hört es nicht gern, wenn ich sie rühme, und was kann ich Anderes thun!
Lucie schloß mit der Hand seinen Mund.
Ich habe gescholten, sagte sie, daß er Ihnen das Manuscript doch gegeben hat. Er hat alles darin viel zu sehr ausgeschmückt, und namentlich was mich betrifft, wie ein schlechter Maler geschmeichelt und gelogen.
Als wir auf der grünen Haide waren, sagte ich:
Sie müssen mir das Ende Ihrer Abenteuer erzählen, wenn es mir genügen soll. Sie landeten glücklich in London.
In Portsmouth, erwiderte er, und drei Monate darauf war ich mit Lucien auf immer verbunden. Briefe benachrichtigten die Eltern bald auf geheimen Wegen von Allem, und unser gütiger Beschützer verließ uns nicht. Bald kam die Zeit, die er erwartete, und treu habe ich an seiner Seite gefochten, bis die mörderische Kugel ihn traf, wie er es so oft geahnet, ja, wie er es gewünscht hatte: im großen Freiheitskampfe in einer Schlacht, welche um den Besitz Europas gefochten wurde und gegen den größten Helden des Jahrtausends!
Als er nach Deutschland zurückkehrte, begleitete ich ihn und eilte dann mit Lucien zum Schlosse ihres Vaters. Sie trug ihr Kind auf den Armen und flog durch den Park die Terrasse hinauf, daß ich kaum folgen konnte. Da saß der alte Baron in der Laube, wie an jenem Tage, wo meine Geschichte beginnt, schwermüthig sinnend und in die sinkende Sonne schauend. Er war mit seinen silberweißen Haaren noch ehrwürdiger als sonst, ein rüstiger, schöner Greis, und als nun Lucie mit dem Kinde zu seinen Füßen sank und mit ihrer zärtlichen Stimme: Mein Vater, mein einziger, geliebter Vater! rief, da gab es einen Auftritt, den ich nicht beschreiben kann.
Obwol er wußte, wie wunderbar Lucie geheilt war, so hatte er sich doch die Wahrheit nicht denken können, wie sie war, und nun versetzte ihn diese in ein nie geahnetes Entzücken. Sie sollte sprechen und immer wieder sprechen; er konnte sich nicht satt hören an den langsamen, sanften Lauten, und dann drückte er Mutter und Kind an sein Herz und weinte seine Freude aus, die ihn tödten wollte.
Auch die Baronin empfing uns mit liebevollster Herzlichkeit. Das Schicksal hatte Regungen gewaltsam zerrissen, welche vielleicht in der Brust der einsamen, an einen alternden Gatten gefesselten Frau eine gefährliche Wendung genommen hätten. Sie hatte nicht ändern können, was sie leidenschaftlich abwenden wollte; nun hatte sie still überwunden und vergeben, denn als Rudolf zurückkehrte, war Alles voll Liebe und Freude.
Und Gitta? sagte ich.
Wir waren an einem Tage vermählt worden, fuhr er fort. Gitta wohnt jetzt noch mit ihrer Schwiegermutter vereint, die vielleicht nicht selten Gelegenheit hat, den kräftigen, hochgearteten Geist dieser Frau zu sänftigen, dafür aber mit wahrer Kindesliebe von Allen geliebt wird.
Und der alte, sonderbare Bettler? fragte ich weiter.
Ich kann Ihnen nur sagen, erwiderte der Gutsherr lächelnd, daß bis vor wenigen Jahren der Greis dann und wann ins Schloß kam und mit Gitta, die er so hoch und zärtlich verehrte, von alten Zeiten redete, wobei sie sich immer Prinzessin und Entenkönig nannten. Auch ging sie zuweilen zu ihm, ließ sich auf dem kleinen See umherrudern und sang ihm Lieder, die er nie ohne Thränen hörte. Wenn von dem kleinen Peter die Rede war, den er längst begraben hatte, ward er sehr traurig und behauptete, es sei eigentlich gar kein Hund gewesen, sondern irgend ein wohlthätiges übermenschliches Wesen, das bestimmt ward, rein einsames Dasein zu vergüten. Endlich blieb er aus und alle Versuche, ihn aufzufinden, waren vergebens. Vermuthlich liegt er im Sumpfe begraben, denn lange klagte er schon, daß, seit Peter nicht mehr da sei, er die rechten Wege gar nicht mehr finden könnte.
Um Ihnen endlich alles zu sagen, fuhr er dann nach einer Pause fort, so mögen Sie auch wissen, daß der gutmüthige Seeoffizier sich, da Lucie ihm entgangen war, mit der wirthschaftlichen Cousine verehelichte. In der großen Handelsstadt führt er nun als reicher Schiffsherr ein erbauliches Leben und täglich dankt er dem Himmel für seine Menschenkenntniß, durch welche er diesen Edelstein einer Frau gefunden habe, welche alle Räume des großen Hauses mehrt und füllt.
Wir waren auf dem Reviere, wo uns die Gesellschaft erwartete. Die Jagd begann, aber es wollte mir heute nichts glücken. Dreimal hinter einander fehlte ich und wurde, wie gebräuchlich, ausgelacht. Um so freudiger und tröstender empfing mich Lucie bei der Heimkehr, und wie viele schöne Tage sind mir seitdem im Kreise dieser edeln Freunde vergangen!