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[Vierter Theil.]
Um die achte Abendstunde machte Frau Margarethe die Thür der kleinen Stube auf, in welcher ihr Mann arbeitete, und erstaunt blieb sie an der Schwelle stehen. –
Der fleißige Kanzellist, der sonst nicht aufhören konnte, seine Buchstaben zu malen, und die zierliche Fracturschrift mit besonderer Kunstfertigkeit zu bilden verstand, saß diesmal nicht an dem alten geschnörkelten Schreibpult, auch brannte das Licht mit einer langen Schnuppe melancholisch in sich hinein und ließ dem Mondschein freies Spiel, der durch die grünen, hellen Scheiben auf die Dielen fiel. –
Im ersten Augenblicke sah sie den Mann gar nicht, und, als sie ihn erblickte, wagte sie nicht ihn anzureden. Auf dem Binsenstuhle saß er, dicht am Fenster, die Hände auf das Bret gelegt, halb gefaltet, halb an sein Kinn gedrückt, und so starrte er den Himmel an, als sei da oben irgend Etwas und rede mit ihm, denn seine Lippen bewegten sich deutlich, ohne daß Worte zu hören waren.
Nach einigen Minuten trat die Frau leise näher und legte die Hand auf seine Schulter. Er zuckte heftig zusammen, dann hob er den Kopf schnell in die Höhe und schien freudig überrascht, als er sie sah.
»Du bist es, Margarethe,« sagte er, »o! schon gut, ich komme. Wo ist Elisabeth?«
»Sie hat das Abendbrot fertig,« versetzte die Frau.
»Und der Lieutenant?« fragte der Kanzellist rasch. »Ist der Lieutenant auch da?«
»Nein,« sagte Frau Margarethe mit sichtlichem Widerwillen. »Ich denke, er wird heute nicht kommen.«
Die hohe hagere Gestalt des Mannes richtete sich auf und ein Lächeln schlich über sein Gesicht.
»Gut,« sagte er, »so laßt uns essen, was Gott bescheert hat.«
Er that einen Schritt und nun konnte man sehen, daß er einen Stelzfuß hatte; auch würde jeder errathen haben, daß ein alter Soldat in diesem langen, geraden Körper stecke, der von den Jahren ungebeugt war. Mit beiden Armen umfaßte er seine Frau, und sagte in einem Tone, der zwischen Scherz und einer Art Mißtrauen schwankte:
»Warum siehst Du mich so böse an, Margarethe? Mein Pensum ist abgethan; alle die vermaledeiten Buchstaben sind gemacht und bis morgen haben meine armen, alten Finger Ruhe vor dem Gänsekiele, der mir jetzt oft schwerer wird, als ehemals mein Kurzgewehr.«
»Ach!« erwiderte die Frau klagend, »ist es nicht ein Unglück, daß Du nie die Zeit vergessen kannst, wo Du Soldat warst?«
»Kann der Reiter vergessen, daß er ein Roß hatte,« sagte der Kanzellist mürrisch, »kann ein Mädchen den Mann vergessen, den es liebte, oder ein Musikant die Noten?«
»Du sollst es aber vergessen,« erwiderte Margarethe. eifrig. »Ich weiß recht gut noch die Zeit, wo ich Dich kennen lernte. Du warst Sergeant gewesen.«
»Bis zum Freiberger Gefecht,« fiel der Kanzellist ein. »Den ganzen Krieg, wie ein tapferer Soldat des großen Königs gefochten, und in der letzten lumpigen Bataille verlangt der Satan noch den Fuß. Das ist mein Aerger.«
»Es hat auch sein Gutes,« sagte die Frau. »Denn dafür wurdest Du Kanzellist beim Kriegscollegium und hast nun Dein gutes Brot. Aber seit dieser Lieutenant uns ins Haus gekommen ist, ist der böse Feind eingezogen.«.
»Still!« flüsterte der Kanzellist erschrocken und hielt Margarethen den Mund zu. »Wenn er es hörte!«
»Mag er es doch hören,« erwiderte sie unerschrocken, wie Frauen sind, denen die Zunge auf dem rechten Fleck sitzt; »mag er es tausendmal hören, so hört er immer wieder die Wahrheit. Seit der Großsprecher Dich ausgewittert hat, und immer wieder die alten versauerten Geschichten von seinen und Deinen Heldenthaten auftischt, unser Abendbrot verschlingt und unser gutes Bier, Deinen Tabak raucht, bis man sich selbst nicht mehr sehen kann, und dabei schreit und lacht, daß man es zehn Häuser weit hört, seit der Zeit bist Du ganz und gar ein anderer Mensch geworden. Sonst warst Du freundlich und fleißig wie ein Seidenwurm, ich mußte Dir fast mit Gewalt die Feder aus der Hand nehmen; jetzt ist Dir alle Arbeit zuwider: Du sitzest und grübelst und bist ein Duckmäuser geworden, als hättest Du ein böses Gewissen.«
Eine sonderbare Empfindung von Bestürzung und Schrecken schien den Kanzellisten zu durchlaufen.
»Was weißt Du von meinem Gewissen, Weib?« schrie er so zornig, daß die Frau plötzlich verstummte. Dann ward er selbst still und die Röthe, welche sein alterndes Gesicht überzogen hatte, verschwand vor einer graugelben Färbung. »Schwatze nicht so dummes Zeug, Margarethe,« fuhr er besänftigter fort, »und bringe mich nicht auf. Ach! was sind die Frauen doch für häßliche Geschöpfe! Alles soll sein, wie sie es haben wollen; jeder Mensch soll ihnen gefallen und wenn er Andern gefällt, sind sie um so boshafter mit der bösen Zunge. Gönne mir doch meine Freude, wie ich Dir Alles gönnen möchte, was Du gern hast. Lieutenant Grabow ist mein alter Vorgesetzter; wir haben zusammen manchen heißen Tag erlebt, manchen blutigen,« sagte er mit hohler Stimme. »Nun sind wir beide älter geworden, und was können wir mehr, als sprechen von Dem, was wir waren.«
»Nein, Joseph,« rief sie eifrig, »das ist es nicht, ich weiß es, Du kannst den Lieutenant so wenig leiden wie ich. Ich seh' es ja noch, wie er zuerst bei uns hereintrat und Du weiß wurdest, wie eine Leiche. Das ist es nicht, aber Du fürchtest Dich vor ihm. Wie könntest Du auch den Menschen leiden,« sagte sie eifriger. »Du hast ein gutes, weiches Herz, Du liebst die ganze Welt und er haßt sie und flucht wie ein Schelm.«
In dem Augenblicke hörte man draußen eine rauhe Stimme.
»Sergeant, wo bist Du? Sergeant, ins Teufels Namen! steckt der Kerl schon wieder bei seinem Gänsekiele? Millionen Element! laßt mich nicht so lange warten.«
»Da ist er,« sagte der Kanzellist mit bebender Lippe, indem er sich an dem Tische fest hielt.
»Faß ein Herz,« flüsterte Margarethe; »sage ihm, Du danktest für seine Bekanntschaft, oder wenn Du nicht willst, so laß mich machen.«
Der Kanzellist riß die Frau mit einem krampfhaften Ruck zurück.
»Um Gottes Barmherzigkeit!« sagte er, »geh' nicht, es ist mein Unglück.«
Margarethe sah ihn erstaunt an.
»Der böse Feind hat es Dir angethan,« murmelte sie, »und ich glaube fast, er ist es selbst, der da draußen umherbrüllt.«
Jetzt schlug eine Hand fest auf die Thür, ein Kopf steckte sich herein und dann schob sich ein Körper nach, der in der That Frau Margarethens Besorgnisse rechtfertigen konnte, so ungeschlacht und abenteuerlich war er anzusehen.
Ein kleiner dreieckiger Hut, von einer verbogenen Silbertresse eingefaßt, saß auf einer alten Perrücke, die mit glänzend weißem Puder reich bedeckt war, und wo dieser aufhörte, begann ein Gesicht, roth aufgedunsen, und mit so wunderbar grotesken Zügen, als sei es eine Fastnachtsmaske. Eine riesenhafte bläulich glühende Nase, weit herabhängende Backen und kleine feurige Augen, die unter dicken weißen Brauen hervorblitzten, paßten seltsam zu dem großen Munde voll blinkender Zähne. Der hohe vorgebeugte Körper des Mannes war von einem blauen alten Reitermantel umhüllt, und die mächtige Hand, welche sich darunter hervorstreckte, trug ein Bambusrohr mit einem Elfenbeinknopfe, den er drohend gegen den Kanzellisten ausstreckte. Es war ein wunderliches Gemisch von Jugend und Alter, von Kraft und Schwäche in diesem Manne. Seine schnelle starke Sprache und sein feurig rollendes Auge zeugten von Lebendigkeit der Leidenschaften, sein hinfälliger Schritt von dem Gewicht der Jahre.
»Alter Sergeant,« sagte er, als er den Kanzellisten sah, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck von Spott und Mißtrauen an, »steckt hier mit der Frau zusammen und läßt den guten Freund draußen frieren und hungern.Vorwärts mit Euch, Frau Margarethe, seht nach dem Abendbrot. Hört, Spangenberg, mir ist heut zu Muthe, wie in der Nacht nach der Schlacht bei Torgau, so hungrig und durstig, so lustig und ingrimmig. Mit meinen Zähnen könnte ich die ganze Welt zerreißen, und wenn ich sie verschlungen hätte, wäre ich doch nicht satt.«
Dabei lachte er laut und schlug mit dem dicken spanischen Rohr auf den Tisch, daß die Federn des Kanzellisten davonstoben. Dann sah er sich um, blickte auf den blassen Mann, der mit weit offenen Augen ihn ansah, dann auf die Frau, welche leise eine Verwünschung murmelte, und nun schrie er mit seiner wilden gellenden Stimme:
»Seid Ihr noch nicht hinaus, Margarethe? Seid Ihr noch nicht in der Küche, Frau? Sol denn das arme Lischen ganz allein ihre Liederchen singen von dem Grafensohne, der nicht kommen will, um sie zu holen, und von den Schätzen im Berge Samsam, der sich doch niemals vor ihr aufthun wird. Was setzt Ihr dem Mädchen für vertrackte Geschichten in den Kopf?! Was laßt Ihr das kleine Ding lesen und schreiben lehren, damit sie Liebesbriefe zusammenschmieden kann; was werft Ihr das Geld zum Fenster hinaus für einen alten Kasten von Klavier, wo die Klimperei und Singerei nun vom Morgen bis in die Nacht geht?! Kochen, waschen, stricken, spinnen, das lehrt sie, aber ich rieche die angebrannte Suppe bis hierher, – und hütet Euch, Frau Margarethe, hütet Euch, daß Ihr nicht etwa den Nagel zu tief in ihren Kopf drückt. Es paßt nicht und es darf nicht sein, daß ein Graßhalm ein Eichbaum, oder ein Sperling eine Nachtigall werden möchte.«
Während seiner Rede, die halb spöttisch, halb strafend klang, hatte Margarethe alle Wuth in ihrer Brust gesammelt.
»Mit welchem Rechte,« schrie sie nun, »mischt sich denn der Herr Lieutenant in unsere Haus- und Wirthschaftsangelegenheiten? Was geht es Sie an, wie wir unser Kind erziehen? Ist es nicht genug, daß Sie täglich unser schlechtes Haus beehren mit Ihrer stolzen Gegenwart bis in die Nacht hinein, uns großmüthigst mit Ihren Heldenthaten zu unterhalten belieben, und dabei, was Gott uns bescheert hat, verzehren helfen? Es ist zu viel, Herr Lieutenant, mir ist es längst zu viel, und wenn Sie nichts dawider hätten, und wenn Sie's einer ehrlichen Frau nicht übel nehmen wollen« –
»Schweig still! Margarethe,« rief der Kanzellist drohend und schlug mit dem Holzbeine auf den Boden.
»Nein, ich will nicht schweigen, ich will durchaus nicht schweigen, bis alles heraus ist, was ich seit langer Zeit aufgespart habe,« schrie die erbitterte Frau.
»Nun denn,« sagte der Lieutenant, indem er sich behaglich niederließ, »o gebt eine Nachtmütze her, Sergeant, diese Schlacht wird vor morgen nicht beendet. Eine Frau in Wuth schnurrt wie ein Spinnrad, bis zuletzt der Faden reißt; und Margarethe, thut mir den Gefallen, holt Tabak, Pfeife und Bier, dann nehmt Euch Zeit und legt los.«
Seine unbeschreibliche Ruhe, die etwas Satanisches hatte, that alle Wirkung, welche er erwarten konnte. Frau Margarethe war so bestürzt in ihrer unmäßigen Wuth, daß sie die Sprache verlor. Sie stammelte noch einige Worte, dann nahm sie die Thür und warf sie hinter sich zu, daß die Wand zitterte.
Der alte Grabow brach in ein dröhnendes Lachen aus.
»Da sieht man, wie die Weiber sind,« sagte er; »mit nichts in der Welt kann man sie besser fassen, als mit Geduld und ein wenig Spott. Was wäre es geworden, wenn ich auf den Tisch geschlagen, und sie zu allen Teufeln gewünscht hätte? Bei Gottes Thron! meine Perrücke und meine Augen waren nicht einen Heller werth gewesen. Sie hätte mich zum Hause hinaus gewiesen und auf der Schwelle ein Kreuz gemacht, wie vor dem Gott sei bei uns. Statt dessen sitz' ich hier nun ganz behaglich und der böse Feind hat selbst Reißaus genommen vor ein paar Worten.«
»Margarethe ist ein gutes Weib,« erwiderte Spangenberg, der, verlegen, wie er war, doch etwas sagen wollte, »aber sie hat ihre Launen, wie alle Frauen.«
»Das liegt an den Männern,« rief der alte Offizier schnell, »weil sie die Püppchen verwöhnen und ihnen die Launen nicht austreiben.«
Der blasse Kanzellist lächelte trübsinnig.
»Sie sind niemals verheirathet gewesen,« meinte er, »und wissen nicht, was eine Frau für Künste kann, um ihren Willen zu behalten.«
»Also darum,« rief Grabow lachend, »weil ich das Joch noch nicht über meinen Nacken werfen ließ, weiß ich nicht, wie es thut, und welche Mittel man anwenden soll, um solch übermüthiges Geschöpfchen Mores zu lehren. O! mein guter Freund, da irrt Ihr ganz und gar. Was ich nicht selbst erfuhr, habe ich doch genau beobachtet an tausend und aber tausend Christenleuten. Ich habe die Ehe mit ihren Freuden und Leiden förmlich studirt; ganz heimlich, wie eine Spinne im Netze, meine Beobachtungen gemacht, und mich köstlich belustigt, wenn ich die Fliegen zappeln sah, und wie ihnen langsam, Tropfen für Tropfen, Blut, Muth und Kraft ausgesogen wurde, bis der Pantoffel ihnen den legten Rest Verstand zertrat.«
»Und dabei haben Sie sicher Respect bekommen vor allem Eheleben,« sagte der alte Kanzellist.
»Hört, Spangenberg,« erwiderte der Lieutenant ernsthaft, »wenn irgend etwas mir Lust gemacht hat, es noch jetzt zu versuchen, so seid Ihr es. – Ihr habt ein gutes Weib; wenn sie Launen hat, liegt es an Euch nur, weil Ihr, wie eine Memme, dazu schweigt, statt wie ich es Euch zeigte, sie mit Spott zu kirren. Frauen sind wie Uhren, jede will sorgsam täglich aufgezogen und mit Vorsicht behandelt werden. Versteht Ihr wohl; man muß, um glücklich zu leben und eine folgsame Frau zu haben, genau studiren, was man in jedem Falle zu thun hat. Was bei der Einen Leben gibt, bringt aber bei der Andern Tod, und somit ist das eine Kunst, eine schwere, große Kunst, die nicht Jeder begreifen kann.«
»Gehört es auch mit dazu,« sagte der Kanzellist, »daß Sie Margarethen so zornig machten?«
Der Alte schwieg ein Weilchen, indem er starr vor sich hinblickte.
»Hört, Sergeant,« sagte er dann, »Ihr wißt es vielleicht schon, daß bei mir niemals etwas ohne Plan und Absicht geschieht. Was ich auch Böses gethan haben mag im Leben, Gott ist mein Zeuge, es geschah nie aus Lust daran oder auch aus Uebermuth, ich that es immer, wohl überlegt, und weil es so sein mußte. Versteht Ihr, Mann, weil es so sein mußte.«
»Lassen Sie uns nicht von der Vergangenheit sprechen,« sagte Spangenberg leise und drückte die Hände vor sein Gesicht.
»Narr, der Ihr seid,« erwiderte der Alte spöttisch. »Gerechtigkeit! fürchtet Ihr die immer noch nach langen Jahren? Guter Freund, in dieser lumpigen Welt geht es sonderbar her. Das Menschenvolk hat sich Gesetze herausgeklügelt und schreit nun jedem Neugeborenen schon an der Wiege zu, das soll Dein Wegweiser zum Paradiese oder zum Galgen sein. Aber das Unrecht, das tief in den Herzen aufschreit, die Gewalt, die uns zertritt, die bittere Tyrannei, unter welcher Millionen seufzen, das nennen sie Recht, denn ihre Gesetze haben es geheiligt. Nun seid Ihr einmal herausgetreten aus dem Zauberkreise, habt selbst Recht und Gesetz gesprochen und die Ungerechtigkeit ein bischen ins Gleiche zu bringen versucht.«
»Ich bitte, Herr,« sagte Spangenberg zitternd, »schweigen Sie davon.«
»Nun ins Henkers Namen! was fürchtet Ihr denn?« rief Grabow ärgerlich. »Niemand auf der Welt weiß etwas davon als ich, und ich bin Euer Gefährte, der Euch nicht verrathen wird; Euer Freund, der es gut mit Euch meint.«
»Das Gewissen,« erwiderte der Kanzellist mit hohler Stimme; »wissen Sie, Herr, was das ist, das Gewissen? Wenn kein Mensch zu fürchten ist, kein Gesetz, kein Richter auf Erden, dann klopft es leise hier innen an und eine schreckliche Stimme ruft ohne Unterlaß: Gott sieht, Gott weiß Alles, er wird es rächen! – O! mein Heiland, es ist entsetzlich, immer den Vorwurf zu hören: du hast Böses gethan! immer fürchten zu müssen, es kommt doch einmal an den Tag. Dann Ehre und Reputation zu verlieren, in Schimpf und Schande, in Ketten und Gefängniß endlich den Tod zu leiden, und zuletzt, nach irdischem Gericht, das ewige, wo der Sünder die Strafe empfängt!«
Der alte Offizier verzog sein dunkelrothes Gesicht zu einem fatalen Lachen, das er mühsam unterdrückte.
»Gut,« sagte er dann, »laßt es vergessen sein, und eigentlich habt Ihr Recht, es könnte uns, trotz der langen Zeit, doch übel bekommen, wenn die Herren mit den langen Armen es herauskriegten. Seht, Spangenberg, darum schon sollte ich denken, mußten wir uns beide so innig wie möglich verbinden, und, so lange wir leben, eine Familie ausmachen, wo Einer nicht vom Andern lassen kann.«
Eine Art schauderndes Entsetzen schien den armen Kanzellisten bei diesem Vorschlage zu packen. Er stand kerzengerade auf seinem Stelzfuß und sagte dann stotternd:
»Zu viel Ehre für mich, hochgeborner Herr Lieutenant. Ich bin ein armer niedriger Mann, der wenig von der Welt versteht, und meiner Frau, Margarethe, wird auch damit nicht gedient sein, wenn ihre Wirthschaft sich vergrößerte.«
»Aha,« meinte Grabow spöttisch, »das ist der wahre Punkt. Frau Margarethe, die einen Zahn auf mich hat; aber seid ohne Sorgen, guter Freund, ich sage, dieser Vogel wird bald anders pfeifen. Ich habe ihr gezeigt, daß ich mich vor ihrer Zunge nicht fürchte, nun hat sie Respekt bekommen und nächstens wird sie ganz freundlich aussehen, wenn der alte Lieutenant hereintritt und sie Frau Mutter nennt. – Nun, was starrt Ihr mich an, Sergeant?« fuhr er fort und richtete sich auf. »Glaubt Ihr denn, daß ich ohne alle Absicht seit drei Monaten täglich in Euer Nest trete; daß ich ohne Absicht Euer Essen theile und Euern schlechten Tabak rauche? Hier steh' ich vor Euch, Sergeant, der Lieutenant Balthasar Grabow, ein alter Kriegskamerad, der Manches mit Euch erlebte und Manches weiß,« setzte er nachdrücklich hinzu. »Hier stehe ich und frage Euch, wollt Ihr mir Eure Tochter Elisabeth zur Frau geben, so will ich sie zu meinem Weibe nehmen und alle meine Ehren mit ihr theilen.«
Der Kanzellist hielt die Hände gefaltet; leise sagte er:
»Ich habe es geahnet. Eine Stimme in mir sprach es längst aus, so mußte es kommen. Kinder sollen büßen für der Eltern Schuld, so steht es in der Bibel. Ach! arme Elsbeth, ach! mein armes Kind! – Es geht nicht, es geht, weiß es Gott, nicht, Herr Lieutenant. Bedenken Sie den Unterschied, ich bitte Sie um Alles, was gut und recht ist, thun Sie uns diese Ehre nicht an.«
In dem häßlichen Gesicht des alten Mannes kämpfte der Zorn mit Spott und Stolz.
»Faßt Euch, Sergeant, faßt Euch,« sagte er mit einem grausamen Lachen, »oder wie? bin ich Euch etwa kein willkommener Schwiegersohn? Alle Teufel! was habt Ihr gegen mich? Ich bin ein Mann in den besten Jahren, der an der Seite einer jungen Frau wieder aufleben will, nach langer Einsamkeit; ich habe meinen Titel, meine Pension und ein paar Thaler Erspartes obenein. Ich bin nicht jung mehr, kein Milchsuppengesicht, kein Haselant, kein süßlicher Patron, aber ich bin ein Kerl, der immer weiß, was er will, und der nichts, scheut, um zum Ziele zu kommen. Merkt es Euch, Kanzellist, der nichts scheut, und wem ich nicht wohl will, der mag sich in Acht nehmen. Holla! wollen wir die alten Sünden aufdecken, soll ich reden, was ich zu reden weiß? – Aber ruhig, Sergeant, ruhig. Ich sehe, wie Ihr zittert, ich lese es Euch in den Augen, daß Ihr nichts dagegen habt, mir das flinke, junge Ding in die Arme zu geben und Euern Segen dazu, mein würdiger Schwiegervater. Schlagt ein, da, schlagt ein, und der Handel ist abgemacht.«
Es lag so viel Hohn in seinen Worten, daß der arme Kanzellist vor innerm Grimm bebte, und doch auch so viel Drohendes, Entsetzliches, daß er aus Furcht mechanisch die Hand ausstreckte, welche Grabow in seine nervige Rechte preßte.
»Machen Sie mit mir, was Sie wollen,« sagte er mit dumpfer Stimme, in der die Resignation der Verzweiflung lag, »aber zwingen kann ich mein Kind nicht. Es ist das einzige Gut, das ich auf Erden habe; es ist meine Seligkeit, an der ich mich anklammerte, seit ich sie zum ersten Male auf den Arm nahm. Ich kann sie nicht unglücklich sehen, Lieutenant Grabow; ich könnte es nicht aushalten, wenn sie mich mit den großen Augen ansähe, in welche Gott so viel Freude und Glück gelegt hat; und wenn ihre Thränen auf diese alte Hand fielen, sie würden durchbrennen, durch den Arm ins Herz und Kopf. Ich thäte etwas Entsetzliches.«
»Zwingen!« rief der Lieutenant, »ei Element! wer hat denn das von Euch verlangt, alter Mensch? Ich will keine erzwungene Frau, sage ich Euch. Sie soll selbst wollen, die schnippische Jungfer Elsbeth, und sie wird wollen, das seid versichert.«
»Was verlangen Sie denn also?« fragte Spangenberg sichtlich erleichtert.
»Ihr sollt nicht dagegen sein, meinen Absichten in nichts hinderlich. Wenn Elsbeth Euch fragt, sollt Ihr sprechen: Meinen Segen hast Du. Der Grabow ist alt, aber auf einem alten Stamme ist gut ruhen, und es ist ein gerechter, rechtschaffener Mann, ein Mann von Ehren, Würden und Mitteln, der Dich gut halten wird, wenn Du ihm eine treue sorgsame Hausfrau bist.«
Ein unwillkürliches Lächeln glitt durch das Gesicht des blassen Kanzellisten.
»Haben Sie auch alles recht bedacht, Lieutenant Grabow,« sagte er. »Elsbeth ist wie ein junges Füllen, übermüthig; ehe man's sich versieht, schlägt's vorn und hinten aus, und auf und davon.«
»Ich will ihr den Kappzaum schon anlegen,« erwiderte der Lieutenant lachend, »will ihr den Kopf in die Höhe richten, damit sie nicht mehr das schlechte Gesindel auf den Straßen als ihres Gleichen ansieht. – O! ich weiß wohl,« fuhr er leiser fort, »daß ihr Kopf schon voll Streiche steckt, die ausgetrieben werden müssen, wenns etwas werden soll mit uns. Da ist der Bengel, der Eberhard, warum habt Ihr dies pfeifende Vieh ins Haus gelockt, alter Sergeant? Macht Musik, ein armer Musikant. Ein Bettelgesicht, der keine Perrücke bezahlen kann, bindet das eigene Haar in einen Knoten, Mehl darauf gestreut, basta! Den Jungen müßt Ihr aus den vier Pfählen schaffen, oder halt! laßt es sein – ich werde ihn hinausschaffen, wenn es Zeit ist, werde ihn zum nützlichen Menschen umwandeln.«
Das hämische Lachen, das sein Gesicht so oft verzerrte, kam zurück und starr richtete er die kleinen stechenden Augen auf den Kanzellisten, als dieser sich zu entschuldigen suchte.
»Eberhard,« sagte er, »ist ein armer, herzlieber Mensch. Sie wissen es vielleicht nicht, sein Vater war Bürgermeister in einer kleinen Stadt und hinterließ viele Kinder. Der Stiefbruder des alten Bürgermeisters hatte meiner Großmutter Schwestertochter zur Frau, so sind wir verwandt. Da kam die arme Mutter hierher mit dem Eberhard, denn der Junge hatte von kleinauf die Musik im Kopf. Er pfiff im Polrock Schnurbesetzter zweireihiger Waffenrock, den es zu dieser Zeit auch als Kleidungsstück für kleine Jungen gab. schon Melodien auf den Rohrpfeifen und war von dem alten Hackebret nicht fortzubringen. So brachte sie ihn her zum Lernen bei der Stadtmusik und ich glaube wol, daß Manches aus ihm werden könnte, aber du lieber Gott! viele tüchtige Menschen sind schon untergegangen und werden untergehen, weil der Himmel ihnen wohl Verstand, aber kein Geld und keine Freunde gab. Nun studirt er wacker darauf los; der alte Herr Friedemann Bach hat seine Lust daran, wie er auf der Orgel in Sanct Marien Bescheid weiß, und wenn er so spricht mit Elsbeth von Diesem und Jenem, sogar von großen Herren in der edlen Musika, von einem gewissen General Baß, mit dem er sehr viel zu thun haben muß; so denke ich doch, der Junge wird sich noch hohe Gönner erwerben, denn sein Sinn strebt hoch, und wer ihn ansieht, muß ihm gut sein.«
»Er ist also nicht in Berlin geboren?« sagte der Lieutenant.
»Ja und nein,« meinte der Kanzellist lächelnd, »es ist eine sonderbare Geschichte damit.«
Hier wurde ihr Gespräch von einem leisen Pochen an der Thür unterbrochen und noch leiser steckte sich ein freundliches, tiefblondes Köpfchen herein, das die großen schelmischen blauen Augen demüthig auf und nieder schlug. Der Lieutenant, welcher der Thür zunächst stand, schien von dieser Holdseligkeit erfüllt zu sein; er lächelte und kopfnickte mit aller möglichen Anmuth, und dabei griff er mit der großen plumpen Hand um die Thürecke nach dem Arm der hübschen Dirne und zog die Sträubende ganz in das Zimmer.
»Guten Abend, hochachtbarer Herr Lieutenant,« sagte sie mit einem gewissen Anflug von schalkhafter Lustigkeit, die in den glänzenden Augen aufloderte, und welche ganz zu dem tiefen Knix paßte, mit welchem sie ihre schlanke Gestalt senkte. »Warum lassen Sie denn mich armes Kind heut Abend so lange auf Ihre merkwürdigen Historien warten? Und Sie, Herzvater,« fuhr sie fort, und reichte dem Kanzellisten beide Hände, indem sie sich kindlich an ihn schmiegte, »Sie sollen sogleich mit mir kommen. Die Milchsuppe steht auf dem Tisch, ich habe sie selbst bereitet und sie ist nicht angebrannt und räucherig, wie gewisse gottlose Menschen behaupten. Aber kalt ist sie geworden und die schönen Erdoffeln dazu, woran die Leute schuld sind, welche immer Andern den Appetit verderben, damit sie selbst das Beste und Meiste für sich behalten. Verstanden?«
Sie drohte dem Lieutenant mit dem Finger und drehte sich lustig auf dem hohen Hacken eines ihrer hohen Schuhe.
»Ja, wahrhaftig, Elsbeth,« rief der Lieutenant, »ich sah schon öfters das Füßchen und das Pantöffelchen, und lege auch ohne diese neue Probe einen Eid ab, daß wenige Mädchen so wenig Platz auf Gottes Erdboden brauchen, als meine kleine Wetterhexe hier. Bei allen Göttern der Schönheit, Du allerliebstes Elsbethchen; Dein Füßchen ist ganz gemacht nur in Sammet und Seide zu gehen, und in Portchaisen getragen zu werden. Pfui Teufel! wenn es anders kommen sollte. Heirathe einen Mann, der Dir's schaffen kann; keinen pauvren Schlingel von der Gasse, wo es ans Hungern geht und die zarten Finger Blasen bekommen.«
»Wer hat denn auch gesagt, daß ich das will,« erwiederte sie trotzig. »Reich muß er sein, der mich freien kommt. Ich will in Sammet und Seide gehen, ich bin nicht dazu gemacht, zu Fuß zu spazieren durch Dick und Dünn, und wenn der Herr Lieutenant etwa einen hübschen Freier wüßten –«
»Den weiß ich,« schrie Grabow in Ernst und Scherz sein Gesicht verziehend; »den weiß ich für Dich,« rief er noch einmal und schlug an seine Brust. »Was meinst Du, Hexchen, was denkst Du, Weibsbildchen, wer es ist?«
»Nun,« sagte sie ganz ernsthaft, »entweder ist es einer der drei Grafensöhne vom Rhein, die nach der schönen Lorelei vergebens fuhren, oder Aladin, der mich mit der Wunderlampe sucht, oder gar der Räuberhauptmann aus dem Berge Samsam, der mich zu seinen andern Schätzchen entführen will.«
»O! Du gottloses Mädchen,« rief der Lieutenant lachend, »daran denkst Du also auch schon. Es ist aber ein Lieblingsgedanke aller jungen Dirnen, sie möchten alle gern entführt sein. Einige sagen's laut, die Andern sprechen's heimlich und träumen davon, bis es wahr wird. Wenn ich's nun aber wäre, Du schlimmes Kind; ich, der Lieutenant Balthasar Grabow. – Ich bin zwar kein Graf und kein Räuberhauptmann, aber ein wohlgeborner Mann, der Dich zur gnädigen Frau erheben, Dir Sammet und Seide und Ehre geben kann, und Geld genug hat, alle die Wünsche wahr zu machen, welche Du des Nachts träumst.«
Elsbeth sah ihn starr mit den großen Augen an; plötzlich faßte sie seine Hand und sagte:
»Wer seid Ihr? Ihr müßt mehr als ein König, als ein Kaiser, Ihr müßt Gott selbst sein, wenn Ihr meine Wünsche zu Wahrheiten machen wollt. Ihr wißt nicht, daß die weit über alle Himmel reichen. Schafft mir den Grafensohn, schafft mir die Schätze aus dem Berge Samsam, dann fragt wieder an; jetzt aber kommt doch endlich zur Milchsuppe, die Mutter wartet und mich hungert.«
Damit sprang sie hinaus und ließ die Thür offen.
»Bleib,« rief der Lieutenant, »bleib, Lieschen, höre doch noch einen Augenblick. Das Hexchen ist pures Quecksilber.«
»Nun,« sagte der Kanzellist, der bis dahin ganz still geschwiegen hatte, »nun habt Ihr es doch gehört, Lieutenant Grabow.«
»Daß sie mich nehmen will,« erwiderte dieser leise lachend. »Hat tausend Narrenstreiche in dem kleinen Kopfe; aber so will ich meine Frau haben. Was soll ich mit einer, die den Kopf hängt und kein Wort über die Lippen bringt; die nach der Bibel verfährt: Eure Rede soll sein: ja, ja, oder nein, nein! und wie ein Jagdhund zum Gehorsam abgerichtet ist. Ich will sie selbst schon fassen und kirren, dies soll meine Lust an der Sache sein. Eine Frau soll sein, wie ein muthig Pferd, das Zaum und Gebiß und Sporn nicht leiden kann und doch tragen muß, so ist sie des Herrn Freude. Abgemacht ist abgemacht,« flüsterte er und drückte dem Kanzellisten die Hand, »und jetzt kommt zur kalten Milchsuppe.«
Der Tisch war richtig längst gedeckt und die Suppe dampfte nur noch ganz wenig, als sie in das Wohnzimmer traten; aber die lachenden Züge des Lieutenants verfinsterten sich sichtlich, als er neben Frau Margarethen den jungen Musikanten stehen sah, der seinen eifersüchtigen Zorn längst erweckt hatte. Verliebte in seinen Jahren kennen ihre schwachen Seiten viel zu gut, um nicht in jedem Jüngling einen hassenswerthen Nebenbuhler zu entdecken, und Lieutenant Grabow hatte es sich fest vorgenommen, was es auch gelten und kosten möge, diesem bettelhaften Tonkünstler die Saiten zu zerreißen.
Sein scharfer Blick hatte manche Vertraulichkeiten zwischen den beiden jungen Leuten bemerkt, und er setzte dies nicht auf Rechnung der Verwandtschaft und Jahregleichheit, sondern auf ein Liebesverständniß, das er nicht leiden mochte. Darum betrachtete er unter den buschigen weißen Augenbrauen hervor mit wahrem Haß das junge hübsche Gesicht und die schlanke Gestalt. Er lächelte verächtlich über das dürftige Kleid, maß ihn von oben bis unten und brummte dann zwischen den Zähnen einen Fluch über den dummen Jungen, der hier den Großsprecher machte.
Im nächsten Augenblick aber war er ganz freundlich und hörte zu, was Eberhard erzählte. Dieser schien in großer Aufregung zu sein. Seine Stimme war hell und voll, ein Lächeln schwebte um seine weichen Züge und verklärte seine Augen, sein Kopf saß stolz auf dem Nacken.
»Ja, wahrhaftig,« sagte er, »er hat mit mir gesprochen.«
»Wer?« fragte der Kanzellist.
»Der König, lieber Herr Vetter,« sagte der junge Mensch voll Freude.
»Haha!« rief der Lieutenant, »aber es ging Ihm doch nicht so, wie dem Bauer, der sich's auch rühmte, und es kam heraus, der König hatte gesagt: Lümmel, geh' er aus dem Wege!«
Margarethe hätte dem boshaften Lieutenant die Nägel zeigen mögen, Elsbeth sah ihn mit den hellen Augen lustig an und lachte laut, aber Eberhard that, als hörte er's nicht.
»Ich ging die Jakobsstraße hinauf,« fuhr er fort,;, mein Kästchen mit der Flöte unterm Arm, Er weiß ja, Herr Vetter, daß ich da einen Schüler habe, achtzehn Pfennige die Stunde. Wie ich am Kirchhof bin, kommt der alte Herr geritten, und wie's gewöhnlich ist, viele Menschen um ihn her. Ich stehe still, verbeuge mich und nehme mein Hütchen ab, da hält er sein großes Pferd gerade vor mir an und sieht mir ins Gesicht, daß ich die Augen niederschlagen muß. Es muß hier wo ein Durchgang sein? sagte er mit seiner klaren Stimme, da faß ich plötzlich ein Herz und spreche: Ja, Majestät, hier geradeüber geht es durch nach der Grünstraße, und wie ich das sage, schreien sie alle: Hier ist es, da gerade aus ist der Durchgang, kommen Sie, Majestät, wir wollen Sie führen. Da weist er mit seinem Krückstock auf mich und sagt: Zeig Er mir den Weg, mein Sohn. Ich gleich voran, und wie ich nun neben dem Pferde bin, sagte er: Was hat Er denn da unterm Arme? Eine Flöte, Majestät, sage ich. Ist Er ein Musikant? Möchte gern ein recht tüchtiger werden, sprach ich. Da sah er mich ganz freundlich an und sagte: Das ist eine edle Kunst, ich wünsche Ihm Glück dazu. Ist Er ein Berliner? Ich stockte ein klein wenig, aber dann sagte ich herzhaft: Ja, Majestät. Na, lerne Er was Ordentliches, spricht er weiter, so wird Er gut durch die Welt kommen. Ich dank' Ihm für seine Mühe; und damit lüftete er seinen Dreimaster und reitet davon. Ich stand wie festgenagelt eine lange Weile, dann lief ich, was ich konnte. Das Herz that mir ordentlich weh vor Lust, die Stunde konnte ich absolutement nicht geben.«
»Da kostet Dir also die Ehre, achtzehn Pfennige,« sagte Elsbeth lachend. »O! was bist Du für ein armer Narr, Eberhard. Mit mir sollte der König gesprochen haben, ich wollte es ihm anders geben. Majestät, hätte ich gesagt, es ist eine edle Kunst, die Musika, aber ich bin ein armer Knabe, hab' weder Freunde noch Gönner, noch Geld und Gut in der Welt, und wo Du nicht bist, Herr Jesu Christ, da wandelt die Kunst als ein Bettelmann umher. Darum, allerliebster Herr König, thut Eure milde Hand auf und helft einem jungen Künstler, es wird Euch nimmermehr leid thun, ich gelob's bei allen Geigen und Flöten!!«
Während der Zeit hatten sich alle niedergesetzt, und die Antwort Eberhard's ward durch das Gebet unterbrochen, das der Kanzellist sprach. Dann flüsterte er ihr aber halblaut zu, so dreist sie auch wäre, sollte sie doch wol solche kecke Worte lassen, wenn sie den alten Herrn ansähe.
Der Lieutenant dagegen rief:
»Geld soll er rausrücken? Ja, da kommt Ihr ihm schlecht, dem alten Tabaksspinner. Haben, nehmen, da ist er bei der Hand, aber geben, da kostet's Künste.«
Nun redeten sie Manches hin und her über den König, die Zeit und die Menschen. Der Kanzellist und Eberhard sagten viel Löbliches, der Lieutenant erzählte Geschichten und mischte seinen Groll hinein über die Ungerechtigkeit auf Erden; denn wenn Recht und Verdienst gälten, würde er nicht Lieutenant geblieben sein. Manches wußte er so natürlich und richtig darzustellen, daß Frau Margarethe ihm trotz ihres Grolles beipflichten mußte, besonders als er von der Regie Ursprünglich bezeichnete Regie eine indirekte Steuer im Wirtschaftssystem des Feudalismus. sprach, und wie kein Mensch seinen Kaffee sich billig brennen und kochen, seinen Tabak kaufen könne, wo und wie er wolle.
»Ist es nicht eine Schande,« sagte er. »Muß man hinlaufen nach der Accise Zu jener Zeit die obrigkeitliche Auflage auf Lebensmittel, umgangssprachlich auch der Ort, wo diese entrichtet wird. – Kaffee stand im Preußen Friedrichs II. unter staatlichem Monopol. Seit der Kaffee-Verordnung vom 21. Januar 1781 waren Kaffeerösten nur staatlichen Betrieben vorbehalten (was sogar für ein Denunziantentum von ›Kaffeschnüfflern‹ sorgte). Hinzu kam eine enorme Luxussteuer. All das führte zur Erweiterung eines die Staatsfinanzen massiv schädigenden Schmuggels, so dass der Nachfolger Friedrichs d. Gr. dieses Monopol wieder abschaffen musste. und seine Blechbüchsen mitbringen, muß stundenlang warten und schweres Geld bezahlen, um ein paar Kaffeebohnen von dem königlichen Kaufmanne einzuhandeln, der sich seine Preise selbst macht und uns sein schlechtes Zeug dafür aufzwingt. Was war es sonst für Kaffee und wie schnürt er uns jetzt die Gurgeln zu; und sonst das halbe Geld, jetzt noch einmal so viel; sonst roch er lieblich, wie Maiblumen, jetzt stinkt er wie Knoblauch. Pfui Teufel! und überall die französischen Musjes, die er ins Land geschleppt hat. Sind die Deutschen freilich zu gut dazu; aber solch verdammtes Gesindel ist überall in allen Winkeln und Ecken und thut, als sei es Herr im Lande.«
Zu alle Dem hatte die Frau Kanzellistin beifällig genickt und zuweilen geseufzt, zuweilen auch ein Wort hinzugefügt, was ihr Mann mit Unwillen hörte.
»Mag sein, wie es will,« sagte dieser endlich, »mir hat er Brot gegeben, ich bin sein Diener und habe so viel, um den Kaffee und Tabak zu bezahlen. Ueberhaupt aber ist bei allen Klagen doch gute Zeit im Lande. Tage werden kommen, wo keine Regie mehr ist, kein Tabaks- und Kaffeezwang, kein Zucker- und Seifmonopol, und die Frage bleibt's, ob arme Leute dann so gut ihr Brot finden, wie jetzt.«
»Hört, Sergeant,« schrie der Lieutenant, »Ihr seid ein Kerl, wie er sein muß im guten deutschen Lande, und es ist Jammer und Schade, daß nicht alle denken, wie Ihr. Aber Mancher,« sagte er, und blinzelte mit seinen kleinen Augen Frau Margarethen an, »weiß der Regie und ihren Spionen doch eine tüchtige Nase zu drehen, trinkt seinen guten billigen Kaffee und raucht sein gelbes Kraut ohne Stempel und Taxe.«
»Mag Jeder thun, was er Lust hat;« erwiderte der Kanzellist mürrisch, »ich achte meinen König und seine Gesetze. Was der thut, ist wohlgethan, und es ziemt und schickt sich schlecht, dagegen zu murren, oder gar Betrug zu machen. Jetzt raisonniren sie freilich, nennen ihn Tabaksspinner, Kaffeebrenner und mit mancherlei, noch viel ärgeren, sauberen Namen, und das weiß er Alles und lacht dazu. Aber Keiner wagt zu mucksen, und wartet nur, wenn er nicht mehr sein wird, mit den Nägeln werden sie ihn wieder ausgraben wollen.«
Der Lieutenant suchte, nachdem er noch einige Spöttereien über den Kanzellisten losgelassen hatte, dem Gespräch. eine andere Wendung zu geben, die in Frau Margarethens Augen nicht minder vortheilhaft für ihn war. Ueberhaupt war er heute liebenswürdiger, wie er es jemals gewesen, wenigstens kam es der Kanzellistin so vor, die ihm zum ersten Male mit Interesse zuhörte, denn Lieutenant Grabow sprach heute nicht von Schlachten, Paraden, Rekrutenfangen und überlisten, Feldwachten, Prügeleien mit Studenten oder Ueberfällen der Panduren; er schwor und fluchte auch nicht, er qualmte auch nicht so sehr mit der Pfeife und trank selbst manierlicher, wie es der Frau vorkam. Es beliebte ihm, ein Stück seines eigenen Lebens zum Besten zu geben, und das wußte er mit guter Art zu thun.
»Hätt's nicht geglaubt,« begann er, »daß ich in meinem Leben noch eine Reise, machen müßte, und doch wird's wol nächstens losgehen. Was sagt Ihr dazu, Frau Margarethe, wenn der ungebetene Gast Euch plötzlich den Gefallen erzeigt und nicht wieder kommt? Schlagt Euer Kreuz hinterher und bittet Gott, daß er sich den Hals bricht auf den wohleingerichteten bequemen Postwagen, die nach Preußen hinaufgehen.«
»Daß Gott erbarm,« erwiderte Margarethe lachend, »lieber Herr, ich wünsche Niemandem Böses, aber ein Postwagen nach Preußen ist sprichwörtlich in der Leute Mund, eine Buße für alle Sünden.«
»Es muß doch sein,« sagte. Grabow. »Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch eine Erbschaft machen würde. Ich bin aus Preußen gebürtig, ganz oben nach Lithauen zu, ging früh in die Welt und ließ mich umherstoßen, links und rechts. Nun, ich habe in meinem Leben Manches erfahren und bin dabei besser fortgekommen, wie Viele, die längst unterm Rasen liegen. Bin gesund wie ein Fisch, habe Würden und Ehren, eine Pension dazu, und hatte manche hübsche Gelegenheit, auch einen guten Thaler zu sparen. Habt wol gehört, Frau Margarethe,« flüsterte er lachend, »wie's so im Kriege beim Freicorps hergeht. Das Mein und Dein wechselt da, wie gestern und heute, und ein Narr, der's nicht zu benutzen versteht.«
Hier sah er über den Tisch den Kanzellisten scharf an, der unruhig auf seinem Stuhle hin und her rückte und die Augen auf den Teller heftete.
»Mit Einem Worte,« fuhr Grabow fort, »ich habe genug in die Milch zu brocken, ständ ich auch nicht so allein in der weiten Welt. Könnte wol meine Frau gut halten und meine Kinder dürften nicht hungern, jetzt aber fällt mir mehr zu, als ich erwartete. Mein Bruder hatte das Freigut bekommen in Preußen und war sein Leben über ein sparsamer Mann. Nun ist der todt, ich bin der einzige Erbe. Ist ein feines Gut, will's aber verkaufen, mag nicht in dem einsamen Lande da oben leben. Hier in der Stadt, das Geld genommen, ein hübsches Haus und freundliche Gesichter darin, das ist so mein Geschmack.«
»Nun,« sagte Frau Margarethe mit mehr Freundlichkeit, als es Grabow gewohnt war, »wo ein Haus ist und ein schmucker Mann, dem's in den Taschen klimpert, hat's an Kranz und Ring niemals gefehlt.«
Der Lieutenant sah eine Zeit lang ganz ernsthaft vor sich hin und schielte dann nach dem Fenster hinüber, wo Elsbeth mit Eberhard schon lange heimlich sprach.
»Es ist eitel Thorheit, daran zu denken, Frau Margarethe,« sagte er. »Ich bin kein sanftmüthiger Mann, ein alter Soldat, habe auch viele Launen, und was das Schlimmste ist, ich weiß, wie leicht so ein junges Weib einen alten Mann unter dem Pantoffel hat, und wie er nach ihrer Pfeife tanzen muß.«
»Männer müssen immer ein bischen nach den Frauen hören, werther Herr Lieutenant,« rief Margarethe lachend, »der da muß auch pariren und es geht ihm gut dabei.«
»Aber wo wäre wol Eine, die es so redlich meinte wie Ihr,« sagte Grabow, indem er aufstand. »Wie lange wird's noch mit mir, dann klopft der Sensenmann an und alles, was ich habe wäre dann freilich ihr Eigenthum. Da ist Elsbeth,« fuhr er lustig fort, »bei der habe ich schon angefragt, aber da soll ich Wunder thun und dann wiederkommen.«
Er sah sich nach den Beiden um, sie waren aber hinausgegangen, und eine dicke Falte legte sich auf Grabow's Stirn, die er mühsam wieder fortbrachte. Margarethe sagte nichts, der Kanzellist sah zum Fenster hinaus, ob Elsbeth etwa an der Thür stehe, der Lieutenant hing seinen Mantel um und leise zog er aus der tiefen Tasche einen großen Beutel mit Kaffeebohnen, den er der Kanzellistin in die Hand drückte.
»Nehmt,« sagte er, »ist für Euch bestimmt; Moccakaffee, bekommt ihn Niemand sonst, brennt ihn morgen früh, ganz heimlich.«
Margarethe schwankte einen Augenblick zwischen Furcht und Freude.
»Wenn er es nur nicht erfährt,« flüsterte sie und deutete auf ihren Mann, »oder ein Angeber gar.«
»Pah,« sagte der Lieutenant, »thut mir leid, wenn Ihr Furcht habt; aber solcher Kaffee ist eine Seltenheit.«
In dem Augenblicke machte der Kanzellist das Fenster zu, Margarethe steckte den Beutel unter die Schürze und escamotirte ihn in der nächsten Minute mit merkwürdiger Geschicklichkeit unter die Bettdecke. Die wirthschaftliche Sparsamkeit hatte über alle Bedenken gesiegt, denn das furchtsame Geschlecht der Frauen ist durch nichts leichter zu bewegen, Staat und Gesetze zu verhöhnen, als wo es sich um häusliche Interessen handelt. Es liegt in ihnen ein angeborener Haß gegen Zoll und Mauth, sie sind die Freundinnen aller Pascher und paschen selbst, wo und wie es geht.
Der Lieutenant nahm nun schnellen Abschied, was vielleicht auch deshalb geschah, da er draußen lautes Lachen und Elsbeth's fröhliche Stimme hörte. Als er die Thür aufmachte, stand sie an der Küche und Eberhard, vor ihr, hielt ihre Hand in den seinen.
»Du bist nicht klug,« sagte sie, »der alte Eisenfresser! zum Todtlachen wär's, wenn er sich verliebt hätte und zärtlich würde.«
»Wie Du nur darüber lachen kannst,« sagte Eberhard traurig.
»Und wie Du nur darüber ernsthaft sein kannst,« sprach sie dagegen. »Es ist gar zu lächerlich, diese Vogelscheuche als Bräutigam zu denken.«
Herr Grabow wußte nicht, was er denken sollte; galt das ihm, oder einem Andern? Aber die dunkle Ahnung, mit der sein Selbstgefühl stritt, erhöhte wenigstens den Zorn in ihm. Er schämte sich, gelauscht zu haben; die Thür riß er weit auf, schrie mit donnernder Stimme sein: »gute Nacht, alter Sergeant!« und sprengte die beiden Verschworenen aus einander.
»Nun, Herr Musikant,« sagte er so spaßhaft er konnte, »fort nach Haus, hier ist Feierabend für heute, begleite Er mich ein Stückchen. Er ist ein kluger junger Mensch, der mit dem Könige gesprochen hat, und dem ich gern auch guten Rath geben möchte.«
Eberhard nahm Abschied. Elsbeth aber reichte dem Lieutenant, der auch ihre Hand forderte, nur den kleinen Finger und sagte, ›die übrigen vier wären schon fort, er müsse sich mit dem einen begnügen.‹
»Das ist der Goldfinger, der Ringfinger,« erwiderte Grabow mit einem listigen Lachen, »ja, Elsbethchen, daran hab' ich auch genug. Bewahrst Du mir den nur, so will ich die übrigen vier wol auch bald bekommen.«
Er hielt den Finger mit Gewalt fest und wollte ihn küssen, als das übermüthige Mädchen Daumen und Zeigefinger zusammenbog und in demselben Augenblicke, wo seine Lippen die Fingerspitzen berührten, so unsanft seine Nase traf, daß er zurückflog und sie los ließ.
»Das nehmt für Eure losen Worte, böser Herr,« rief sie laut lachend, »womit Ihr mir solche hohe Ehren und Gedanken in den Kopf setzen wollt. Gute Nacht, mächtigster Herr Lieutenant, und Du Eberhard, denke daran, was ich gesagt habe.«
So sprang sie in die Stube zurück und der blasse Kanzellist mit dem Lichte in der Hand verzerrte sein Gesicht zu einem halb ängstlichen, halb triumphirenden Lächeln, als der Lieutenant mit einem Fluche die Perrücke zurecht schob, welche ihre stolze Haltung verloren hatte.
»Der Schelm,« sagte er halb laut, »Spaß ist Spaß, aber er soll bald sehen, daß Ernst Ernst haben will.«
So ging er fort.
Eberhard ging schweigend an seiner Seite, und dankte Gott, daß der Lieutenant nichts fragte, denn der unverhoffte Nasenstüber hatte ihn so lustig gestimmt, daß er ihm ins Gesicht gelacht hätte, wäre irgend seine Zunge gelöst worden. An der nächsten Ecke wollte er sich auf und davon machen und eben faßte er nach dem Hut, als Grabow, ihn anredete.
»Ich habe immer geglaubt,« sagte der Lieutenant, »daß Er ein Berliner wäre.«
»Ich bin auch einer,« meinte der Musikant.
»Das hat er zwar dem König heut auch gesagt,« fuhr der Lieutenant fort, »aber Er hat ihm was vorgelogen. Lüg' Er nicht, ich weiß es besser.«
»Oho!« rief der junge Mensch, »ich weiß es aber noch besser.«
»Laßt's ja nicht laut werden,« sagte Grabow. »Er ist groß und schlank, gäbe einen prächtigen Grenadier; dahinter sind sie her, ist ein seltenes Wild.«
»Ich fürchte mich nicht,« sagte Eberhard. »Wenn ich auch nicht hier geboren wurde, so ward, ich doch in der Stadt getauft, was eben so gut ist. Meine Mutter wollte ihre Niederkunft hier halten, wie es alle Mütter thun aus den Orten weit und breit, um ihre Kinder vor dem bunten Rocke zu schützen, weil Berlin einmal das Privilegium hat, daß keiner Soldat zu werden braucht. Sie war aber zu spät ausgefahren und so wurde ich freilich vor dem Thore geboren, aber gleich hereingebracht und getauft.«
»So steht's also,« murmelte Grabow vor sich hin. »Ich würd's aber doch keinem sagen,« fügte er laut hinzu.
Eberhard schien über diese Antwort ein wenig betroffen.
»Was hab ich denn zu fürchten?« sagte er zaghaft, aber Grabow antwortete nur mit seinem heiseren, spöttischen Lachen. Dann streckte er die Hand aus und sagte:
»Hört, Musikant, Euer Weg geht dort, und der meine hierhin. Lauft was Ihr könnt, junger Mensch, und hütet Euch, in meine Fährte zu gerathen. Wißt, es hat noch Niemandem gut gethan, der mit dem Grabow in Streit gerieth, oder ihm etwas nehmen wollte, was er für sich bestimmt hatte. Gute Nacht, Musikus; pfeif' Er sich Lieder auf seiner Pickelflöte, soviel Er will, aber flöte Er nicht der Elsbeth in die Ohren, und wenn Er vernünftig wäre, blieb Er fort aus dem Hause des Kanzellisten, denn was Er denkt, daraus kann doch niemals etwas werden. Verstanden?«
Er wickelte den flatternden Soldatenmantel fester um seinen breiten Körper, nickte drohend mit dem Kopfe und schritt dann um die Ecke.
Eberhard sandte ihm ein lautes Gelächter nach, das Grabow empfindlich sein mußte, denn einen Augenblick stand er still, als wollte er umkehren, und hob drohend den Arm mit dem dicken spanischen Rohr auf, gleich darauf besann er sich aber eines Bessern und eilte, so schnell er konnte, davon.
»Der alte Narr!« rief der junge Musiker. »Es ist also wahr, er hat seine Absichten auf Elsbeth. Gott steh' uns bei! Ist es möglich, dies seltsame rothäugige Geschöpf und das liebe, blanke Mädchen, wo Alles zu einem reinen Accorde stimmt. Pfui Teufel!« sagte er dann lachend und wischte sich die Stirn, »was sind das für Gedanken, Eberhard. Und wenn er so reich wäre, wie alle römische Kaiser und ein römischer Kaiser selbst, sie sagte doch nicht ja.«
Dann schlug er sich an den Kopf und rief:
»Welcher Satan plagte mich denn, daß ich mit dem boshaften Kerl so vertraulich werden konnte. Ach! was thuts,« meinte er dann lachend, »laß ihn boshaft sein, wie er will, die Elsbeth liebt mich und nimmt keinen Andern als mich – vorausgesetzt, daß ich Brot für eine Frau habe,« setzte er bedächtiger hinzu.
Während er nun in tiefen Gedanken über die Auslegung des Wörtchens Brot, an welcher schon so manche Liebe auf Erden zerschellte, und unter allen Hoffnungsträumen eines heißblütigen Jünglings seinen Weg verfolgte, schritt auch Grabow rüstig seiner entfernten Wohnung zu.
Diese lag in einer der schmalen Gassen der innern Stadt, in einem jener kleinen, hölzernen, vom Zahn der Zeit verrotteten und verkrümmten Häuser, wie sie jetzt kaum mehr in wenigen zerstreuten Exemplaren aufzufinden sind. Die Stufen von ausgetretenem Sandstein, in welchem sich tiefe Pfützen Regenwasser gesammelt hatten, führten an eine schmale Hausthür, deren dunkles Schnitzwerk und rostige Nagelköpfe, welche ihre Fläche schachbretförmig überdeckten, mehr als ein Jahrhundert zu verkünden schienen.
Zwischen einem Zierrath von Eisenblättern hing ein alter Klopfer, den Grabow, nachdem er vorsichtig den Regenlöchern ausgewichen war, leise bewegte und dann horchend sein Ohr an die Thür lehnte. Nach einiger Zeit erst that er einen stärkeren Schlag, und nun rauschte drinnen ein schnarrender Tritt, ein Riegel ward fortgezogen, und eine ziemlich alte Frau, eine Lampe in der Hand, öffnete das schwere Schloß.
Es war ein faltenreiches, merkwürdiges Gesicht, das beim Anblick des Lieutenants einen höchst lächerlichen Versuch machte, so viel Liebenswürdigkeit und Güte wie möglich in diese zerknitterten Züge zu bringen. Klein und behend, wie sie war, vermehrte die runde, bepuffte weiße Mütze auf ihrem Kopfe, das Sonderbare ihres Anblicks. Das Gesicht mit seinen abgemagerten Theilen sah gespensterhaft bleich und spitz zwischen den langen Haubenstrichen hervor, und katzenartig leuchteten ein Paar hellgrüne Augen mit verliebtem Schmachten und Schmollen dem Lieutenant entgegen.
Uebrigens lag in der Erscheinung dieser Frau eine gewisse Sauberkeit und zur Schau getragener Wohlstand. Ihr schwarzes Camisol war von Seide, das weiße Tuch darüber, das den Hals züchtig umhüllte, von Battist, und der weite Abstand ihrer Röcke zeigte, daß sie Fischbein bezahlen konnte. Dieser Schimmer des Wohlstandes und großer Sauberkeit ward auch auf der Hausflur sichtbar, die mit rothen Ziegeln ausgelegt, mit Sand bestreut und die Wände weiß getüncht, freundlicher aussah, als das Alter des Gebäudes es vermuthen ließ.
Die alte Dame machte einen tiefen Knix und ließ einen hörbaren Seufzer erschallen.
»Wie lange habe ich gewartet und mich abgeängstigt, daß Ihnen ein Unheil widerfahren sein könnte, werthester Herr Lieutenant,« sagte sie. »Es ist heute ja neun Uhr vorüber, so spät sind Sie noch niemals nach Haus gekommen. Ist das recht, eine Frau so in Furcht zu setzen? Kann ein ehrbarer Mann das verantworten? Wo stecken Sie denn alle Abende, du lieber Gott! und lassen mich immer mehr allein, statt Sie sonst so schöne Gespräche mit einer armen Wittwe pflogen, die ihr gerührtes Herz Ihnen aufschloß und einen Freund gefunden zu haben glaubte, der die Einsamkeit eines traurigen Wittwenlebens zu versüßen, von Gott gesandt schien. Nun aber sehe ich wohl ein,« fuhr sie fort, indem sie ihre heftige Stimme nach und nach in Rührung schmelzen ließ, »Treue muß man nicht bei den Männern suchen, ach! sie verdienen den Gram unserer Herzen nicht, und wie mein Seliger so oft sagte: Katharine, glaube mir, sie taugen alle nichts! So ist es in dieser bösen Welt.«
Als der Lieutenant diese und eine unerschöpfliche Reihe von Klagen und Aussprüchen des Seligen hörte, schien er große Lust zu haben, seinem Spotte freie Zügel zu lassen, indeß besann er sich, daß er Rücksichten zu nehmen hatte. Er wohnte bei der Wittwe äußerst billig, und indem er ihren Heirathshoffnungen von Zeit zu Zeit frisches Futter reichte, erhielt er dafür nicht allein irdische Speise in Hülle und Fülle, sondern auch auserwählte Leckereien nebst jeder möglichen Bequemlichkeit, die er wünschen konnte.
In diesem Hause, so alt und baufällig es aussah, hatte der Selige, der sein Lebelang mit Watten und Strümpfen handelte, ein gar nicht so geringes Vermögen zusammengeschachert, das seiner kinderlosen Wittwe einzig und allein zugefallen war. Und Frau Katharine wußte den Mammon zusammenzuhalten. Denn so verschwenderisch sie war, wenn es galt, dem herzlieben Herrn Lieutenant ein verdecktes Gerichtchen zu verschaffen, so hungrig sah es sonst in den festverschlossenen Schränken aus.
Täglich hörte Grabow den Zank über die Gefräßigkeit des kleinen Dienstmädchens, die, aus dem Waisenhause von der sparsamen Frau geholt, wie ein Schatten im Hause umherschlich, und mit dem Skelett einer Katze sich um den Preis der Magerkeit stritt; auch wußte er sehr wohl, daß Jedermann überzeugt war, der Selige sei den Hungertod gestorben, ein Schicksal, dem er sich keineswegs aussetzen wollte.
Aber er meinte auch diese mörderische Leidenschaft wol zur Vernunft zu bringen, und wäre die Anfechtung seines alten Fleisches für die blonde Tochter des Kanzellisten nicht dazwischen gekommen, er hätte die ehrbare Wittwe sicher glücklich gemacht. Damit war es nun aber ganz und gar vorbei, und wie die Liebe, wenn die Flamme, welche sie nährte, verraucht ist, einen immer stärkeren Widerwillen gegen den unglücklichen zärtlichen Gegenstand erzeugt, so brummte der Lieutenant auch einen schlimmen Fluch über die alte verliebte Närrin und schwor, daß es Zeit sei, sie sich vom Halse zu schaffen.
Er that das aber nur innerlich, sichtlich war er so mildfreundlich und traulich, als er konnte. Er schimpfte auf Geschäfte und alte Freunde, die ihn nicht loslassen wollten, seufzte über die verkehrte Welt und die schlechten Menschen darin, erzählte ein paar Zaubergeschichten von Betrügereien, deren Opfer er gewesen, und hatte in wenigen Minuten den Frieden schon so weit hergestellt, daß die Wittwe, als er über schwere Ermüdung, Frost und Kopfschmerz klagte, ihn nicht eher entlassen wollte, bis er ein Glas warmes Eierbier gegen Erkältung genossen hätte.
Der Lieutenant ließ es sich gefallen, und während er trank und die Frau ihn tröstete und erzählte, prüfte er noch einmal die Tassen von altem Porcellan, die silbernen Löffel und die mancherlei Vorzüge, welche sie vor der armen Elsbeth hatte, die nichts besaß als ihre blonden Flechten und den jungen Körper. Es war ein schwerer Seelenkampf, der um so stärker wüthete, als die Wittwe ihm zutraulich eröffnete, ein Prozeß mit einem blutarmen Verwandten sei entschieden, und eine hübsche Summe, welche sie sonst aus dem Nachlaß ihres Seligen zahlen müßte, verbleibe ihr nun auch. Das alte wurmstichige Haus werde sie zwar nie verlassen, da ahne Niemand so leicht, daß Geld und Gut darin sei, aber reichlich solle es darin hergehen und pflegen wolle sie ihre alten Tage.
Grabow hatte sich in ein stilles Entzücken versenkt, als er aber aufblickte, war alles vorbei. Der greise Kopf ihm gegenüber, wackelte auf dem schmalen gelben Halse, und Elsbeth – wie weiß und fein schwebte sie an ihm vorüber! Er stand auf und trotz der Bitten der Wittwe entfernte er sich so schnell er konnte. An der Thür fragte er, ob Dubois zu Haus sei, und da er sich überwand und der Wittwe die Hand küßte, verging ihr Aerger in einem süßen Lächeln.
»Der ausländische Mensch sitzt längst oben,« sagte sie, »aber der soll mir nächstens aus dem Hause.«
»Warum denn?« versetzte Grabow. »Ist ein Dummkopf zwar, aber ein guter Kerl.«
»Von der Regie!« rief die Wittwe, »das sind alles Spitzbuben. Und wenn Sie wüßten, wie er sitzt und mich ansieht und Gesichter schneidet.«
Sie legte beschämt die Hände vor die Augen, aus denen ein gewisser Stolz leuchtete.
»Pah!« meinte der Lieutenant lachend, indem er ihr die Hände fortzog, »verdenk's ihm nicht, wer könnte da gleichgiltig bleiben!«
»Pfui!« sagte Katharine kichernd, »warten Sie – Sie böser Mann.«
Sie gab ihm einen zärtlichen Schlag auf den Mund, indem sie an ihm emporhüpfte, aber Grabow ergriff die Flucht und hörte hinter sich noch ihre besorgten Rathschläge, sich ja warm zu halten und dergleichen, die er mit einigen schmachtenden Gegenwünschen erwiderte.
Als er die alte Treppe hinaufstieg faßte er seine Entschlüsse, und diese waren so verrätherischer Art, daß er die magere Katze, welche ihm miauend und störend in den Weg kam, im Ausbruch heftiger Bewegung mit dem Fuß die Stufen hinunterschleuderte. Dann wand er sich durch ein Labyrinth alter Schränke und Kisten des seligen Strumpfwebers, um fünf Ecken und Schornsteinwände, bis er an eine niedrige etwas, verborgene Thür gelangte, die er sofort mit einem kräftigen Druck auf das wankende Schloß öffnete.
Ein niedres berauchtes Zimmer that sich auf; eine Hexenküche von allerlei seltsamen altem Gerümpel, das bunt durcheinander stand und lag. Einer jener alten ungeheueren Oefen von schwarzen Kacheln mit eingebrannten Zierrathen, stand auf hohen geschnörkelten Füßen an der Hinterwand. Das Feuer brannte hell darin, aber es mußte doch kalt sein, denn vor der geöffneten Ofenthür saß in einem alten Lehnstuhle ein Mann, der sich in einen alten Pelz gewickelt hatte, dessen Kragen bis über die Ohren reichte. Sein langes schmales Gesicht, die hervorstehende Nase und sein Schädel mit der weißen Zipfelmütze, die kerzengerade emporstand, waren vom Feuerschein überglänzt. Hinter ihm auf der spitzen Ecke des hohen Stuhles hing seine Perrücke und die bewegliche Flamme spiegelte an den dunkeln Wänden hin, über den alten Hausrock und das Gardinenbett in der Ecke.
Als Grabow eintrat, sah der Mann einen Augenblick auf, dann wendete er gleichgiltig den Kopf zurück in die alte Stellung, streckte seine Füße mehr gegen das Feuer aus und blies aus der langen weißen Thonpfeife mit der Posenspitze Aus Posen, d. h. Federspulen, machte man gefärbte Aufsätze an Tonpfeifen. eine stärkere Dampfwolke, die ihn ganz in göttlichen Nimbus hüllte.
Grabow setzte sein Licht auf den Tisch, trat, ohne ein Wort zu sprechen, an das Fenster, holte aus der Ecke eine ähnliche Pfeife und Tabak, stopfte, zündete an, ergriff dann einen Stuhl, setzte diesen dem Andern gegenüber und begann nun mit derselben Schweigsamkeit und demselben Eifer zu rauchen.
Bald war das kleine Zimmer ganz mit Rauch angefüllt, Grabow hatte auch seinen Haarschmuck abgezogen und eine Nachtmütze aufgesetzt, die Flamme im Ofen brannte nieder, die rothen Kohlen wurden nur zuweilen von Windstößen frischer angefacht, welche durch Schlott und Röhre herabfuhren. Ein heller Schein durchbrach dann die Dämmerung, beleuchtete die Gesichter der Beiden, und erlaubte ihnen, sich gegenseitig zu betrachten, was sie mit dem Ausdruck der größten Ruhe und Gleichgiltigkeit thaten.
Die Lichter auf dem Tisch erloschen fast in ihren langen Schnuppen, draußen auf dem Gange sprach die alte Uhr mit Tick und Tack eintönig herein, die Katze miaute dazu, die kleinen grünen verblindeten Scheiben zitterten leise dazwischen in der Bleieinfassung, und schauderten über die kalten Regentropfen, welche Wind und Nacht ihnen zuwarfen.
Noch immer verharrten die Zwei in ihrer Stille, bis plötzlich der im Pelze eine Bewegung mit der Hand nach seinem Halse machte und mit fremdlautender Betonung sagte:
»Eine große Kälte heut hier.«
Hierauf folgte ein langes Schweigen. Die Uhr schlug draußen, die Katze schrie jämmerlich, der Regen flog hastig mit einem Windstoß über die Fenster hin. Der Mann schüttelte sich, sagte aber nichts, bis er nach einiger Zeit vor sich hinbrummte:
»Kalt, wie der Teufel hier.«
Nun richtete Grabow die Augen auf ihn, sah ihn lange an, schüttelte dann den Kopf und versank wieder in Nachdenken. Der Mann im Pelze sagte auch nichts, aber er begegnete den Blicken seines Gefährten. Endlich stieß er mit dem Fuße eine verlöschende Kohle in den Ofen zurück und flüsterte halblaut:
»Ist ein viel schlimmes Land, das Deutschland.«
Grabow ließ die Pfeife sinken, legte beide Hände auf die Seitenwände des Stuhls und betrachtete den Andern.
»Controleur von der Regie,« sagte er dann langsam, »seid ja heut verflucht gesprächig.«
Nun war es wieder still; beide rauchten, aber die Unterhaltung war eröffnet und wurde in langen Zwischenräumen fortgesetzt.
»Altes Haus, wird bald umstürzen,« sagte der Controleur.
»Könnt warm drin sitzen, so lange Ihr lebt.«
»Will fort.«
»Warum?«
»Bin krank hier.«
»Seid verliebt.«
» Diable vous porte!«
»Controleur von der Regie, habt ein Auge auf die hübsche Wittwe geworfen.«
»Monsieur Lieutenant!« rief der Controleur mit einem wilden Blicke und wickelte den Kopf aus dem Pelz, indem er die Flügel seiner großen Nase auf- und zuklappte. Grabow sah ihn ruhig an, der Controleur fiel wieder in den Stuhl zurück und hielt die Pfeife weit vor sich ausgestreckt.
»Hilft Euch nichts, Dubois,« sagte Grabow nach einer sehr langen Pause, »will mit Euch reden.«
Der Controleur sah ihn scharf an.
»Will Euch sagen,« flüsterte Grabow, »daß Euer Glück gemacht ist. Denkt, ich will die Wittwe haben, will sie aber nicht, hab' etwas anderes aufs Rohr genommen. Verstanden?«
Der Controleur nickte gravitätisch, aber in seinen Augen funkelte es, er sah den Lieutenant fragend an.
»Ich verschaffe sie Euch,« sagte Grabow, »Ihr müßt mir aber auch helfen.«
Der Controleur versuchte zu lachen und nieste wieder. Nun rückte Grabow dicht heran und sprach ganz heimlich mit ihm, Dinge, über welche Dubois so freundlich wurde, als er konnte.
»Also ein Mann, ein Wort,« sagte der Lieutenant, »und pünktlich.«
»Werde Alles machen,« versetzte der Controleur, »Alles gut. Morgen will ich früh gehen, schreib' den Namen und die Wohnung auf, soll schnell besorgt sein.«
Grabow nahm sein Licht und seine Perrücke, der Controleur war in seine alte Stellung gesunken. Er ging hinaus, ohne ihn zu stören. Seine Wohnung war auf der andern Seite des Hauses, sie war geräumiger, und selbst bequemer. Zuerst verriegelte er die Thür, dann zog er seinen Nachtmantel an, visitirte vorsichtig alle Winkel und schlich zuletzt in die. Kammer, wo er ein altes festes Pult aufschloß, leise die versteckten Fächer öffnete und mit wollustvoller Gier in dem Kasten umherwühlte. Wenn es wie Geld klang, hielt er schnell ein und sah umher, dann zählte er die Beutel und Päckchen, rechnete zusammen und sprang mit Entsetzen auf, als eine Maus mit einem Papier auf der Diele raschelte.
Endlich war er befriedigt, und wie er den Schlüssel zu sich steckte, sagte er:
»Ich brauche das Geld der alten Hexe nicht. Wahrhaftig, ich bin nicht geizig, die Elsbeth wird mir viel kosten und sie hat nichts, aber ich möchte sie doch nicht missen. Wenn's nur erst so weit wäre mit uns!«
Am nächsten Tage in der zehnten Morgenstunde war die Küche bei dem Kanzellisten vorsichtig verriegelt. Der Mann war nach dem Kriegscollegio. Elsbeth hatte einen weiten Gang thun müssen, so war denn Frau Margarethe allein an dem stattlichen Feuer, auf welchem sich langsam die Blechtrommel mit dem kostbaren Kaffee drehte.
Aber das Gewissen schlägt allen Sündern, den großen, wie den kleinen, so konnte es denn nicht fehlen, daß die Kanzellistin ängstlich bald rechts bald links sah, bald die Trommel festhielt und athemlos nach jedem Geräusch horchte, bald heimlich Stoßseufzer ausstieß über den Rauch und den bläulichen Duft, der sich verbreitete, endlich aber in allem Ernst wünschte, sie hätte sich nicht in solche Gefahr begeben. Wer jedoch darin ist, der muß durch. Sie hielt nicht ein, sondern betrieb ihr Geschäft nur um so eifriger; bald schwitzten und knallten die Bohnen, jetzt war er fertig, sie schüttete ihn aus in die große Schüssel, freute sich, wie blank und braun er war, und sagte eben leise: »Gott Lob und Dank! es ist vorbei; aber in meinem Leben stehe ich diese Angst nicht wieder aus,« als plötzlich mit starker Hand an die Thür gepocht wurde.
Vor Schreck ließ Margarethe den Blechlöffel fallen, mit dem sie den Kaffee rührte; sie zitterte an allen Gliedern, ihre ganze Zukunft, das Aufsehen, die Strafe, vor Allem aber der Zorn ihres Mannes trat mit größerem Entsetzen vor ihre Seele, als mancher Verbrecher die Criminalrichter an seine Thür klopfen hört. Sie wollte das arge Geschenk verbergen oder vernichten, als das Pochen sich heftiger wiederholte und eine heisere, fremde Stimme draußen sagte:
»Aufgemacht, aufgemacht! nicht geleugnet; im Namen des Königs, aufgemacht!«
Bei diesen schrecklichen Worten ließ Margarethe die Schüssel fallen, die in Stücken zertrümmert, den ganzen Inhalt über den Boden verbreitete.
»O! Jesus,« sagte sie, die Hände faltend, »es ist ein Kaffeeriecher, ich bin verloren.«
Dieser spaßhafte Name, der für uns so viel Lächerliches hat, war damals aber ein überaus gefürchteter. Die Regie hielt Aufpasser mit wohleingerichteten Nasen, welche in allen Straßen umherspazierten, und wo der penetrante Duft frischgebrannten Kaffees ihnen zuflog, da brachen sie in die Häuser immer dem Dufte nach und überraschten die Strafbaren, welche bedeutende Buße zahlen mußten.
»Wollt Ihr den Augenblick öffnen?« rief die Stimme draußen nun mit erhöhter Wildheit.
Da überkam Frau Margarethen der Stoicismus der Verzweiflung, sie schob den Riegel zurück, und vor ihr stand der Controleur Dubois, der mit einem grimmigen Lächeln die Kaffeepflanzung auf dem Boden beschaute, mit der einen Hand drohte und mit der andern ein ungeheuer großes Stück Papier aus seiner Brusttasche zog.
»Gnädiger Gott!« rief die arme Frau, »haben Sie doch Erbarmen, lieber Herr, ich schwör es Ihnen, es ist das erste Mal in meinem Leben und soll auch das letzte sein.«
»Nichts Erbarmen,« erwiderte der Franzose sehr gleichmüthig. »Wie heißt Sie?«
»Ich will ja bezahlen, was es macht,« sagte Margarethe, und suchte sich an seinen Arm zu klammern; »ach, allerliebster Herr Controleur, ich will noch mehr geben, aber lassen Sie Ihre Papiere stecken, und daß es mein Mann nicht erfährt, er ist ja in des Königs Diensten.«
»In des Königs Diensten?« rief der Controleur. »Gut, ist um so schlimmer, muß noch mehr bestraft werden, muß abgesetzt werden, schlechter Diener.«
Diese unverhoffte Vermehrung ihrer Leiden brachte die arme Frau völlig außer sich. Sie brach in heftiges Weinen aus, rang die Hände, und war nach einigen eben so fruchtlosen Versuchen, das Gemüth des Kaffeeriechers zu erweichen, im Begriff, halb ohnmächtig zu seinen Füßen zu sinken, als plötzlich Grabow hereintrat.
»Was zum Teufel gibt es hier?« sagte er mit seiner polternden Heftigkeit. »Was habt Ihr mit der Frau vor, Herr Franzos von der Regie?«
Statt aller Antwort wies Dubois auf die Kaffeebohnen.
Grabow lachte laut auf.
»Ist das Eure ganze Verzweiflung, Frau Margarethe,« schrie er. »Mohren Element! darum vergießt keine Thränen und ringt Euch die Hände wund. Hört, Ihr da, Controleur von der Regie, holt Euer verdammtes Papier heraus und schreibt auf. Der Kaffee da ist mein, ich gab ihn der Frau zu brennen; ich, Balthasar Grabow, Lieutenant auf Pension, ich bin für Alles verantwortlich, bezahle die Strafe, und nun laßt mir die gute Frau in Ruhe, Franzos.«
»Nehmt Euch in Acht, Herr,« sagte der Controleur aufgebracht, »wenn Ihr mich beleidigt, wird es Euch schlecht bekommen.«
»Vorwärts Mann,« schrie der Lieutenant dagegen, und zeigte ihm den dicken Stock, »meinen Namen wißt Ihr und nun fort mit Euch!«
Der Controleur schrieb und drohte abwechselnd, aber Grabow lachte ihn aus und als Dubois fertig war und ging, warf er die Thür kräftig hinter ihm zu.
»Hinaus mit dem Schelm,« sagte er, »muß ihn der Teufel plagen und Euch überraschen. Aber grämt Euch nicht, Frau, Alles ist abgemacht. Sucht die Kaffeebohnen auf und kauft eine neue Schüssel, die ich bezahlen will, so wahr ich ein ehrlicher Kerl bin.«
»O, mein werther Herr!« rief die arme Frau entzückt, »wie soll ich Ihnen danken.«
Sie wollte ihm in ihrem Entzücken die Hand küssen, aber Grabow faßte sie um und drückte einen herzhaften Kuß auf ihre Lippen.
»Ihr sollt meine gute Freundin sein, liebe Frau Margarethe,« sagte er, »und den alten Grabow nicht schelten, der es herzlich gut mit Euch und Allen hier meint.«
Er half nun, so viel er konnte, den Kaffee auflesen und die Trümmern fortbringen, weil der Sergeant, wie er ihn nannte, eine feine Nase habe und doch nichts riechen dürfe. Das Bücken ward ihm sauer und Margarethe wehrte ihm so viel sie konnte, aber er wollte sich so jugendlich als möglich zeigen, und lachte heimlich auch dabei über seine wohlfeile Heldenthat, die sie zu rühmen nicht aufhören konnte.
Endlich war Alles abgethan, Margarethens Angst hatte sich in Freude aufgelöst, und als nun Grabow bei ihr in der Stube saß, wußte sie, in Anerkennung seiner Verdienste, kaum, mit welcher Auszeichnung sie ihn behandeln und bewirthen sollte. Der Lieutenant schlug jedoch standhaft Alles aus. Niemand, sagte er, solle wissen, daß er hier gewesen sei, Zufall habe ihn hergeführt, zu Haus sei es einsam und verdrießlich, und nach diesem Eingange wußte er geschickt das Gespräch dahin zu bringen, wo er es gestern gelassen hatte.
»Ich würde noch einmal jung werden,« sagte er endlich nach vielem Hin- und Herreden, »wenn ich immer so mit meinen Freunden leben könnte. Was hilft mir mein Geld und Gut, ich habe kein Wesen auf der Welt, mit dem ich es theilen könnte.«
»Darum, lieber Herr Lieutenant,« erwiderte Margarethe, »müssen Sie eine Frau nehmen, die es brav mit Ihnen meint; dazu ist der Mensch niemals zu alt auf Erden.«
Das war es, was Grabow wollte.
»Hört mich an, Frau Margarethe,« sagte er und ergriff ihre Hand. »Ich habe zwölf volle Tausend gespart, dann das Gütchen in Preußen und meine Pension. Eine Frau zu nehmen, ist mir oft schon eingefallen, ich könnte sie in Ehren und Würden bringen, aber ich habe noch immer keine gefunden, zu der ich das rechte Herz hätte. Jetzt ist mir aber geworden, wonach ich so lange suchte, Ihr werdet wol wissen, wen ich meine?«
Seit gestern Abend hatte Margarethe daran gedacht, und während der Nacht manche Möglichkeit abgewogen. Oftmals, schon früher, hatte sie den Lieutenant beobachtet, wenn er mit Elsbeth sprach, aber was sie anfangs abscheulich und lächerlich gefunden hatte, war ihr seit wenigen Stunden in ganz anderm Lichte erschienen. Er war zwar ein Mann, wie ihn wenige junge Mädchen wünschen, alt und häßlich, von heftiger Gemüthsart und unheimlichen, frechen Sitten; aber er konnte auch verständig sein, er hatte einen Rang, er hatte Geld, Elsbeth war arm, und wenn der alte Mann todt war, gehörte ihr Alles.
So speculiren Mütter oft, die ihre Kinder zärtlich lieben. Die Liebe gerade ist es, welche sie treibt, verständig zu handeln, wie sie es nennen, und ein Glück nicht von der Hand zu weisen, um die kindische Leidenschaft eines jungen unerfahrnen Herzens, das der bessern Einsicht nicht fähig ist.
Frau Margarethe hatte es in der Nacht gar nicht so unannehmbar gefunden, wenn Elsbeth Frau Lieutenantin würde. Träume fügen sich zu Träumen. Sie hatte mit mütterlicher Freude daran gedacht, wie schön es wäre, eine gut versorgte, wohlhabende Tochter zu besitzen, die hinter großen, hellen Fenstern im bequemen Polsterstuhle eine Reihe Zimmer hinabschauen könnte, in denen Sauberkeit und Reichthum walteten. Ueber so etwas vergißt manches Mutterkind das Herzleid.
Elsbeth's leichter Sinn schien ihr ganz dazu gemacht, andere Dinge aufzuwiegen, zudem, sagte sie sich, ist ihr Herz noch frei, denn Eberhard ist ja ein armer Knabe, der doch an nichts Ernstliches denken kann. Sie mit ihrem lustigen Wesen wird den Gram auch leicht überstehen. Rang und Reichthum, was gibt es Schöneres in der Welt! Den alten Mann wird sie schon gehorsam machen, und dann kann sie herrlich und in Freuden leben.
Alle diese Gedanken gingen ihr nun wieder durch den Kopf. Sie war ganz umgewandelt. Der Lieutenant schien ihr der Mann gar nicht mehr, den sie gestern noch gehaßt hatte. Gewiß hatte er bei aller Rauhheit doch ein gutes weiches Herz, das hatte er ja so eben bewiesen; er würde die Elsbeth auf den Händen tragen, gewiß, das würde er, und wie sie ihn ansah, kam er ihr auch gar nicht so häßlich vor. Seine hohe Gestalt hatte etwas Würdiges;, es war ein gesetzter, ernster Mann, und welche Vortheile für eine arme Familie brachte er mit sich! Ihre Eitelkeit spreizte sich. Ein solcher Mann konnte wol wo anders anklopfen. Hübsche Mädchen, die alte Männer heirathen, hat es von jeher genug in der Welt gegeben, viel stolzere Mütter würden ihn nicht abweisen. Frau Margarethe erwiderte daher mit innerem freudigen Lächeln:
»Ich kann es mir wohl denken, werther Herr, wen Sie meinen.«
»Nun, und was sagt Ihr dazu?« rief Grabow.
»Viel zu große Ehre, für uns arme Leute. Ach! mein Gott, was sollte die Welt denken, wenn Elsbeth so hoch hinaus wollte.«
»Laßt sie denken, was sie will,«, sagte der Lieutenant, »nichts ist schlechter und ungerechter, als die Meinung der Menschen. Ihr allein; gute Frau Margarethe, sollt darüber entscheiden. Wollt Ihr mir Elsbeth zur Frau geben?«
»Ich? – ja, ich will gewiß,« sprach sie zögernd, »aber mein Mann und – und –«
»Und Elsbeth,« fiel Grabow ein; »freilich wol, da wird mein Glück zertrümmern, wenn Ihr nicht meine gütige Fürsprecherin seid. Ich meine es ehrlich und recht mit ihr; ich will sie halten wie mein Kind und meine liebste Freundin zugleich. Ich weiß wohl,« sagte er traurig, »wie wenig ich ihr gefallen kann; aber sie muß es recht bedenken, daß ich es vorhabe, sie auch glücklich zu machen, so viel ich vermag. Was Euern Mann betrifft, so hab' ich schon mit ihm gesprochen. Er ist mir nicht entgegen, aber er sagt, wie Ihr sagt; er kann sein Kind nicht zwingen, und das will ich auch nicht, Gott soll uns behüten; wenn sie mich nicht mag, so habe ich nichts gesprochen.«
Nun trat eine Pause ein, nach welcher Margarethe mit vieler Entschlossenheit sagte:
»Ich werde mit ihr reden, wie eine Mutter reden muß, die das Glück ihres Kindes will. Elsbeth ist immer ein folgsames gutes Kind gewesen.«
»Fromm und ehrbar erzogen,« fiel der Lieutenant mit Salbung ein. »Wer Vater und Mutter ehrt und ihrem Willen folgt, dem wird es wohlgehen auf Erden.«
Dieser heilige Spruch fiel auf keinen schlechten Boden. Er entzündete Margarethens Bewußtsein.
»Ich bin überzeugt,« sagte sie mit Thränen in den Augen, »daß mein Kind hören wird, was ich und ihr Vater sprechen. Sie muß Gottes Finger erkennen, daß ein so würdiger Mann sie zur Frau begehrt, und ich denke – Lassen Sie mich nur machen, lieber Herr, es soll sich Alles bald fügen und schicken.«
»Und das sollt Ihr niemals bereuen, Frau Mutter,« rief Grabow freudig. »Ich will Euch Alle in den Stand setzen, ein gutes Leben zu führen, und ein Testament will ich gleich machen, daß Elsbeth meine einzige Erbin ist.«
Hier schwieg er und legte den Finger auf den Mund, denn er hörte draußen die Stimme des Mädchens, das er begehrte, und fröhliche Worte und Lachen, mit welchem die Thür aufging. Elsbeth trat rasch herein und Grabow machte plötzlich ein ernstes Gesicht, als er den verhaßten Musikanten dicht hinterher kommen sah.
»Gott steh' uns bei!« rief das übermüthige Mädchen, »da ist der Herr Lieutenant wirklich, wie er leibt und lebt. Ich habe meine Wette verloren!«
»Wie, Jungfer,« sagte Grabow, »habt Ihr auf mich gewettet?«
»Wenn Sie's nicht übel nehmen, ja, mein werther Herr,« erwiderte sie lachend. »Den Eberhard traf ich auf der Straße, der hatte Sie hier einpassiren sehen und sagte mir's. Es ist nicht möglich, sagte ich. Es ist gewiß, sagte er. Nun erzählte er mir sonderbare Geschichten, da lachte ich noch mehr. Du hast heut wieder mit dem König geredet, sagte ich, und bist in eine Art von Wahnsinn gefallen. Nein, sagte er, ich sehe nur allzurichtig. Gut, sagte ich, willst Du wetten, es ist nicht wahr? Ja, sagte er; ich will wetten, es ist wahr. Da wetteten wir, und es ist wirklich wahr.«
Sie sah den alten Liebhaber dabei mit so hellen spottenden Augen an und hielt Eberhard's Hand so fest in der ihren, als sie vor ihm stand, als wollte sie sagen: Nun weiß ich wirklich, alter Thor, daß es wahr ist, was ich nicht glauben konnte; aber hier steht der, den ich liebe, und ich will ihn nimmermehr von der Hand lassen.
Ehe der Lieutenant etwas erwidern konnte, war Margarethe sehr erzürnt dazwischen getreten. Ungestüm trennte sie die beiden jungen Leute und ruckte Elsbeth's Arm heftig, zur Strafe.
»Was sind das für alberne Streiche, Du unbesonnenes Mädchen,« rief sie. »Hast Du nicht bessere Sitte gelernt? und Er, Vetter Eberhard, könnte auch etwas Gescheidteres vornehmen, als in den Frühstunden auf den Straßen umherlaufen, um zu sehen, wer hier aus- und einpassirt. Wenn er einmal sein Brot in der Welt essen will, so nütz' er die Zeit und lern' er was Rechtes, bis jetzt sieht es nicht danach aus.«
»Aber Frau Muhme,« sagte Eberhard leise und roth vor Scham und Zorn, »ich habe so strenge Worte nicht verdient.«
»Mehr hat er verdient,« fiel Margarethe eifrig ein. »Ich habe es längst schon gemerkt, wie er mit der Elsbeth zusammen Narrenstreiche treibt. Das soll aufhören, sage ich Ihm, Er hat hier nichts zu suchen.«
Eberhard nahm schweigend seinen Hut. Die Zornröthe in seinem Gesicht hatte einer tiefen Blässe Raum gegeben, seine Augen suchten kummervoll Elsbeth's Blicke, die um so heiterer und inniger glänzten. Plötzlich machte sie sich von der Hand ihrer Mutter los, schlang beide Arme um ihn und zog ihn nach der Thür.
»Komm fort, Eberhard,« sagte sie lachend, »hier wollen sie Dich nicht haben. Wenn man Dich aber aus dem Hause wirft, so will ich es thun und kein Anderer.«
»Willst Du hier bleiben, Elsbeth,« rief Margarethe.
Die Tochter stand still und sah die Mutter fragend an. »Was ist denn geschehen?« sagte sie. »Es ist nicht Dein Ernst, liebste Mutter!«
»Den Augenblick kommst Du hierher,« rief Margarethe.
»So geh denn, guter Eberhard, und komm am Abend wieder. Die Mutter meint es so böse nicht, mein Vater liebt Dich, wie seinen Sohn, das weißt Du, und Elsbeth ist Deine beste Freundin für alle Zeit.«
»Wenn er vernünftig ist, mag er wieder: kommen,« sagte Margarethe beruhigter, »aber die Narretheien müssen aufhören, ich leide es partout nicht mehr.«
»Was gibt es denn hier?« fragte der Kanzellist, der hereintrat, und dessen schweren Gang mit dem Stelzfuß nur der Lieutenant gehört zu haben schien, denn er war aufgestanden und zu seiner Beschützerin getreten, der er leise etwas zuflüsterte.
Margarethe schwieg und Grabow sagte:
»Der Musikant da läuft auf den Straßen umher Deiner Tochter nach, Sergeant. Bringt das Kind in der Leute Gerede, das will die Mutter nicht leiden und hat ein gutes Recht dazu. Nun hat sie ihm etwas scharf eingeheizt, war aber so böse nicht gemeint. Er hat mich verspottet, junger Mensch,« fuhr er fort und wendete sich zu Eberhard, »das vergeb' ich Ihm, aber denke Er daran, was ich Ihm gesagt habe.«
»Ich habe daran gedacht,« erwiderte Eberhard mit steigendem Muthe, »und was ich weiß und dachte, habe ich meiner Muhme mitgetheilt. Wenn es wie Spott klang, so ist die Schuld nicht mein.«
»Was hat Er denn Weises ausgedacht,« rief Grabow.
»Wenn Sie es wissen wollen, so mögen Sie's hören. Ich sagte meiner Muhme, daß Sie in alten Tagen den Hochzeitsrock anziehen und um sie werben wollten, das hät ich deutlich genug gemerkt. Sie lachte mich aus, aber es ist wahr.«
»Und wenn es wahr wäre,« sagte Grabow mit großer Ruhe, »was hat Er damit zu schaffen? Hier stehen die Eltern und dort das Mädchen, deren Sache ist es. Wenn Vater und Mutter ja sagen, wenn Elsbeth deren Willen folgt, wie Gott es den guten Kindern befohlen hat, damit sie gesegnet seien, welchen Einspruch kann Er machen? Wer ist Er, Musje Musikant, daß Er ein Recht hätte, in solche hochwichtige Sache einzusprechen, wo Verständige zu Rathe sitzen? Er ist ein junger, unbesonnener Mensch, der nichts ist und nichts hat. Kaum hat er die Knabenschuhe ausgetreten, Welt und Menschenschicksale kennt Er nur dem Namen nach. Kann Er etwa Ansprüche machen, seine Muhme zu ehelichen? Womit? Wovon? Wo sind Seine Mittel, selbst wenn man Seine große Jugend nicht berücksichtigte – wo sind Seine Aussichten auf eine Zukunft, die Ihn und Sein Weib vor Hunger schützte? Junger Mensch, lerne Er erkennen, daß Er auf schlimmen Wegen wandelt. Geh' Er in sich, bete Er und arbeite. Viele Jahre werden vergehen, ehe er im Stande ist, ernsthaft daran zu denken, sich Sein Haus zu bauen und ein Weib zu nehmen. Will Er Unglück über eine Familie bringen, die Ihm nur Gutes gethan hat? Will Er das Lebensglück eines guten Mädchens zerstören und Fluch über Sein Haupt bringen?«
Eberhard sah ihn mit brennenden Augen an. Was der alte Mann sagte, enthielt so viel Wahrheit, und doch war es eitel Lug und Trug, das fühlte er. Er ballte die Fäuste heftig zusammen, dann faßte er Elsbeth's Hand und sagte mit erstickter Stimme:
»Ich liebe sie aus ganzer Seele; Gott wird uns helfen.«
Es lag etwas Heiliges in dieser Fülle glühender Leidenschaft, die sich dem Vernünftigen widersetzt. Der arme Eberhard! er hatte nichts als seine Liebe, die unter den Menschen ohne Geld und Gut, als eine Thorheit verdammt wird und verdammt werden muß.
»Er liebt sie also?« sagte Grabow mit noch größerer Ruhe, »und wagt es, das laut zu sagen. Wer hat Ihm geheißen, sich dergleichen Narrheiten in den Kopf zu regen? Sieht Er denn nicht ein, daß alle vernünftige Leute Ihn auslachen müssen? Aber ehrlich ist es von Ihm, das zu gestehen, damit der Wahnsinn Ihm ausgetrieben werde, und redliche Eltern ihr Kind schützen können.«
»Und darum,« fiel Margarethe zornig ein, »ist es am besten, Er geht seinen Weg für sich und meidet unser Haus. Was will Er denn mit Seiner sogenannten Liebe, die Er so unverschämt eingesteht? Er ist ein Kind und die Elsbeth auch, da thut die Zuchtruthe noth, um Vernunft hineinzubringen.«
»Ruhig, werthe Frau,« sagte Grabow lachend, »der junge Mensch wird wol zur Besinnung kommen. In seinen Jahren ist es ganz verzeihlich, zu lieben und verliebt zu sein, man muß nur nicht gleich bis ans Heirathen hinaufgehen. Die Herzen sind in diesem Lebensalter wie weiches Wachs; jedes hübsche Gesichtchen drückt sich darin ab und ein paar Wochen lang glaubt man wol, nicht leben zu können, wenn es ans Scheiden geht. Aber solche Wunden heilen schnell, neue Liebe blüht auf, vergessen ist vergessen, und die Zeit kommt auch, wo er lachen wird, daß er so närrisch war, wie heut.«
Ein heißer, verzweiflungsvoller Zorn glühte in Eberhard. Er fühlte die hinterlistige Schlauheit in Grabow's Worten. Seine Liebe wollte er verdächtigen, Elsbeth selbst sollte den Glauben verlieren, es sollte nichts sein, als ein nettes kindisches Spiel, das über ein anderes vergessen würde. Er ergriff die Hand des blassen Kanzellisten, der schweigend neben ihm stand, und drückte sie mit Innigkeit an seine Brust.
»Vetter,« sagte er, »Sie waren mir Wohlthäter und Vater, ja, Sie haben mich immer geliebt, und Elsbeth ist Ihr einziges, liebes Kind; wollen Sie das dem alten schlechten Manne dort hinwerfen, wie ein Lamm dem Wolfe hingeworfen wird?«
»Recht so,« schrie Grabow dazwischen und seine Augen funkelten auf den Kanzellisten. »Der Bursche kann ein Poet werden. Werft das Lamm dem Wolfe hin, damit er den Hirten nicht zerreißt.«
»Sehen Sie ihn an, Vetter,« fuhr Eberhard fort. »Ach! er hat Recht, ich bin jung und arm, und meine heiße Liebe zu Elsbeth hat nur Hoffnungen, die in Gottes Hand liegen, aber wir sind ja beide jung, und braucht es denn vieles Gutes, um glücklich und zufrieden zu sein? Paßt er denn etwa besser zu Elsbeth? Soll ihr junges frisches Leben auf ewig verderben; wollt Ihr das Herz Eures Kindes brechen? Bosheit und Rohheit liegen in seinem Gesicht. Gott hat ihn vor Vielen gezeichnet; er rühmt sich selbst seiner schlechten Streiche und hat gewiß Manches begangen, was der Himmel noch strafen wird.«
»Schweig still!« schrie hier der Kanzellist mit wilder Stimme, und heftig stieß er Eberhard's Hand zurück. »Fort! hinaus, ich will nichts hören! Hinaus mit Dir, Du verdienst meine Liebe nicht!«
Da war der Muth und der Zorn des Jünglings gebrochen. Er starrte seinen Verwandten an, der todtenbleich, stieren Blickes vor ihm stand; dann füllten sich seine großen Augen ganz mit Thränen; er streckte die Hand gegen Elsbeth aus und flüsterte ein leises Lebewohl!
»So muß ein Vater thun, der sein Kind liebt,« rief Grabow mit schlecht verhehltem Spott.»Geht, junger Mensch, ich vergebe Euch, was Ihr gegen mich sagtet. Es wäre unwürdig, wollte ich von einem halb Tollen mich beleidigt fühlen; geht, vielleicht habt Ihr Gelegenheit, bald vernünftig zu werden.«
Elsbeth hatte ganz ruhig gestanden. Es war kein Schmerz in ihrem Gesicht, ihre Augen leuchteten freundlich, sie beobachtete Alles, bald mit größerer Lebendigkeit, bald mit sinnendem Nachdenken; kaum hätte man glauben sollen, daß sie, die stille Zuschauerin, eigentlich die meist Betheiligte sei. Erst als Eberhard die Hand gegen sie ausstreckte und Verzweiflung aus allen seinen Zügen sprach, verließ sie die stumme Rolle. Sie faßte mit ihren beiden Händen die seine und schaute ihn so trostvoll und liebend an, daß eine wundersame Freudigkeit über ihn kam. Die dunkelblauen Augen strahlten ein Feuer aus, das ihn ganz durchwärmte und ihre feine, klingende Stimme rauschte durch Ihr und Herz muthbringend und zum Kampfe herausfordernd.
»Geh fort, mein guter Eberhard,« sagte sie, »wenn sie Dich auch Alle verstoßen, ich bleibe doch Deine liebste Freundin, so lange ich lebe. Du kannst Dein Leben für mich lassen, das weiß ich, und denke nur nicht, ich könnte Dich vergessen. Ich bin aber kein Lamm, das sich so ohne weiteres dem Wolfe vorwerfen läßt, darin hast Du Unrecht. Ich bin eine Soldatentochter; ein folgsames Kind, das gehorsam Gottes Gebote ehrt, aber das Herz habe ich auch auf dem rechten Fleck und ich zittere nicht. Jetzt geh, Eberhard, und gedenke mein, bis der Vater zu Dir schickt und Du wieder kommen darfst.«
Sie öffnete die Thür und schob ihn sanft hinaus, indem sie ihm zulächelte. Als sie dann das Schloß zugedrückt hatte, ging sie unbefangen auf ihre Mutter zu, küßte ihre Hand und sagte:
»Sei nicht böse, liebste Mutter, ich habe ja nichts gethan, was unrecht wäre. Und Sie,« fuhr sie dann fort und betrachtete lachend den Lieutenant, »Sie haben wirklich die Absicht, mich zu Ihrer Frau zu nehmen?«
»Das ist ein närrisches Mädchen,« erwiderte Grabow, halb zu ihr, halb zu der Mutter gewendet; »sagt sie das nicht in einem Tone, als wäre es ihr so gleichgültig, wie dem Kaiser von Fetz und Marocco?«
»Es ist mir auch gleichgültig!« rief Elsbeth lustig; »ich wundere mich nur, wie Sie so viel Muth besitzen können, werther Herr. Sehen Sie mich doch nur an, und dann sagen Sie, wie es werden soll mit uns in Zukunft? Ich bin eine Art Kobold, lieber Herr, mit dem es nicht gut thut, wenn sich ein ehrbarer, achtbarer Mann damit einlassen will, ihn zu fangen. Habt Ihr die Historie gehört vom Währwolf, wie er Nachts sein Menschenkleid abwirft und das Wolfsfell anzieht, und wie er dann mit seinen weißen Zähnen und langen Krallen Alles zerreißt? Seht, so ein Währwolf bin ich, und seht Euch Krallen und Zähne wohl an, mein würdiger Herr.«
»Elsbeth,« rief die ärgerliche Mutter, und zog ihre Hände heftig zurück, »Du bist närrisch und ungezogen. Nehmen Sie's doch ja nicht übel, hochgeehrtester Herr Grabow.«
»Ich was!« schrie dieser lachend, »das hört sich ja Alles ganz allerliebst an. Du liebes, kleines, närrisches Zuckerpüppchen willst ein Währwolf sein, willst mir die Krallen zeigen, willst mich beißen? O! mein Herzchen, hast Du nicht gehört, daß es kluge anstellige Jäger gibt, die Zaubersprüche verstehen und sich weder vor Kobolden noch Währwölfen fürchten? Sei Du ein Währwolf, ich bin solch Jägersmann, und so wollen wir beide versuchen, wie weit wir mit einander auskommen und wer den Andern am meisten liebt und am schnellsten versöhnt.«
Elsbeth richtete das hellfunkelnde Auge auf ihn und er sah sie mit den blinzelnden, stechenden Blitzen auch lange an, bis sie in ein lautes Gelächter ausbrach. Sie faßte ihren Vater an, legte den Arm um seinen Leib und schaute in sein blasses, kummervolles Gesicht.
»Herzvater,« sprach sie leise, »sagen Sie es mir, muß ich den Mann dort zu meinem Eheliebsten nehmen?«
Der Kanzellist blickte mit seinen todten, kalten Augen auf sie hin und dann drang eine jähe Röthe in sein Gesicht. Er beugte sich über sein Kind, ein grausamer Schmerz zuckte um seine Lippen und in dem schnellen Funkeln seiner Augen, das er auf den Lieutenant warf, lag eine Wuth, welche an Verzweiflung gränzte.
»Wenn Du wolltest, meine gute Elsbeth,« sagte er ängstlich bittend, »Dein Vater würde Dich segnen.«
Elsbeth stand eine Minute lang still sinnend vor ihm.
»Es ist sonderbar,« sagte sie, »wie eine einzige stille Nacht die Herzen der Menschen umwandeln kann. Zwingen sollt Ihr mich nicht und fluchen auch nicht; nein wahrhaftig, ich bin Euer Kind und will gehorchen, wenn ich soll. Aber Ihr, lieber Herr, hütet Euch, ich habe Euch gewarnt. Eine Stimme in mir sagt mir so eben, es werde Euer Unglück sein, daß Eure weißen Haare durchaus meine blonden begehren, und es kann wahr werden, ehe Ihr's denkt.«
Sie lachte dabei und drohte mit dem Finger, indem sie in ihre Kammer ging. Die Mutter schalt laut und wollte ihr Benehmen entschuldigen, aber Grabow beschwichtigte sie mit der Versicherung, daß dieser trotzige, kecke Sinn der Dirne ihm gerade am meisten gefalle. Dann sprach er lange noch und laut, damit Elsbeth auch Alles höre, von seiner schnellen Werbung, wie es ihn freue, daß seine Braut ihr Jawort so willig gegeben habe, und mit tausend Aussichten für die Zukunft, vergaß er nicht, sein Geld weitläufig zu berechnen.
Als er ging, war Alles in Richtigkeit. Die Mutter besonders schien recht glücklich zu sein; der Kanzellist aber war ernst nachsinnend. Er wußte sich nicht recht, weder in seine Frau noch in sein Kind zu finden, allein es beruhigte ihn außerordentlich, daß er beide so vergnügt, vernünftig sah, und Freude fand, wo er Abscheu erwartet hatte. Als der Lieutenant von seiner Braut Abschied nehmen wollte, war die Kammer verriegelt, Elsbeth antwortete auch nicht; sie lachte aber laut bei seinen schönen Worten. Die Mutter schalt von Neuem.
Einige Wochen vergingen, und man verständigte sich immer mehr. Grabow zeigte sich im besten Lichte, wie er nur immer vermochte, als einen klugen berechnenden Mann, der, nachdem der Bolzen geschmiedet und abgeschossen war, nichts übereilen wollte. Viele seiner Untugenden legte er ab, weil Elsbeth damit spotten konnte. Seine Manieren waren gesitteter geworden, seine Reden wußte er so einzurichten, daß sie der Mutter immer gefielen, und selbst dem Kanzellisten wußte er den Trübsinn oft fortzubringen.
Er wußte auch recht gut, daß alternde Männer viel gewinnen, wenn sie ihr Aeußeres sauber halten und Wohlstand in allen Dingen zeigen. Darum erschien er in den nächsten Tagen im stattlichen neuen Kleide mit Silberborten, dessen tiefe Tasche gewöhnlich ein kleines Geschenk für Mutter oder Tochter enthielt. Frau Margarethen's Hochmuth wurde dadurch immer mehr angeregt. Sie sprach schon von der Zeit, wo sie bessere Kleider tragen müsse, und für ihre kleine Wohnung, welche sonst von ihr so gelobt und geliebt ward, hatte sie nur verdrießliche Anspielungen.
Die Tochter nahm dagegen die Geschenke des alten Herrn mit vermehrter Lustigkeit und spaßhaftem Danke an. Mit ihren strahlenden Augen betrachtete sie die Gaben und dann schaute sie wieder auf den Bräutigam und warf sie bei Seite.
»Hast Du denn gar keine Demuth und keinen Dank in Deinem kindischen Herzen für alle diese Freundlichkeit?« sagte die Mutter.
»Vielen Dank,« erwiderte sie lachend. Es fällt mir eine Geschichte dabei ein. Ein Herr hatte ein wildes Täubchen gekauft und brachte ihm alle Tage frisches, schönes Futter, aber das Täubchen saß traurig und der Herr schalt sehr. Undankbares Thier, sagte er, siehst du nicht, wie ich dir wohlthue? Ach! rief das Täubchen und warum thut ihr's? Damit ich besser schmecke, wenn ihr mich schlachtet.«
»Aber Du böse Dirne!« rief die Mutter, »schämst Du Dich nicht, solche dumme Geschichten zu erzählen?«
»Sollst mein Täubchen auch sein,« sagte der Lieutenant, vor Liebe ganz roth, und hielt ihre kleinen Hände fest, die er küßte; »aber schlachten will ich Dich nicht, Du gottloses Geschöpfchen, obwol ich Dich vor lauter Zärtlichkeit aufessen könnte. Mein Täubchen sollst Du bleiben, ich will Dich pflegen und herzen, und das Schönste, Beste soll nicht gut genug für Dich sein.«
Da riß sich das übermüthige schlanke Mädchen von ihm los und sagte:
»Meine Geschichte ist noch nicht aus. Das Täubchen sah, es half nichts, es mußte sterben, warum sollte es also nicht lustig sein, so lange es konnte? Es nahm und aß und lachte, denn es war eine Lachtaube, und der Herr freute sich darüber, und wie sie so zahm war, gab er ihr größere Freiheit und blickte sie mit immer größerer Gier an, denn die Stunde des Todes war nahe, und im Gedanken sah er sie schon gebraten vor sich liegen. Endlich schlich er leise hin, holte das Messer und plötzlich griff er nach ihr. Aber das Fenster war offen, das Täubchen flog hinaus, draußen stand ein alter Baum im Garten, da saß ihr Liebster unter dem grünen Geblätter und hatte traurig gegirrt, so lange sie gefangen war. Nun lachten sie beide ausgelassen laut und husch, husch! flogen sie fort.«
Wie sie das gesagt hatte, drehte sie sich auf dem Absatze ihrer Pantöffelchen um, lachte so ausgelassen, wie sie von der Taube erzählte, und klappte schnell aus dem Zimmer.
Der Lieutenant hatte sich Das, was sie sprach, wohl zu Herzen genommen. Er hing den Kopf mit den finster drohenden Augen und seine Ohren zogen sich auf und ab, er konnte sie sonderbar bewegen. Frau Margarethe sah nicht ohne Grauen in sein Gesicht. Er sah wie ein boshafter alter Affe aus und sie fühlte fast Mitleid mit ihrem Kinde. Es lief ein Zittern durch ihren Körper; sie hatte wohl gehört, daß draußen etwas leise an die Laden geschlagen, dann war Elsbeth hinausgegangen, die Küchenthür hatte geknarrt; sie wußte recht gut, wer draußen war, aber sie sagte nichts.
Mit ihrem Manne hatte sie gar nicht gesprochen, alles hatte sich gemacht, wie von selbst. Sie schämte sich auch, mit ihm zu reden, da ihr Sinn sich so schnell gewandelt hatte, und dem Kanzellisten schien es lieb zu sein. Nur einmal, als der Lieutenant neulich den Verlobungstag festsetzte, und der war morgen, und sie Freudenthränen weinte vor einigen Vettern und Gevattern, und Elsbeth so still lächelte und sich den Kuß des Lieutenants zum ersten Male gefallen ließ, da hatte er sie angesehen, mit dem stieren, unheimlichen Blicke, in welchem ein schrecklicher Vorwurf lag.
»Weib,« stand darin zu lesen, »um Deinen Hochmuth verkaufst Du ihr junges Leben. Gott erbarme sich ihrer! ich kann nicht helfen.«
In der Nacht lag er tief seufzend und zitternd, aber sie hatte nicht gewagt; ihn zu fragen; sie fürchtete sich.
Grabow hob jetzt den Kopf empor und sagte mit seinem häßlichen, falschen Grinsen:
»Elsbeth rumort da draußen in der Küche umher, ich höre sie sprechen und lachen, wie sie immer thut. Das wird ein lustiger Ehestand werden mit uns; aber ich glaube fast, der Bengel, der Eberhard, hat so lange draußen aufgepaßt, bis er sie richtig ausgewittert hat, und nun flüstern sie da zusammen.«
Die Mutter ward unruhig und verlegen unmuthig, aber sie suchte es dem erwählten Schwiegersohne auszureden.
»Ich habe den thörichten Burschen nicht wieder gesehen,« sagte sie, »und gewiß wagt er es auch nicht, sich blicken zu lassen; aber wenn ich wüßte, daß er wirklich so viel Frechheit besäße –«
»Laßt ihn immerhin,« fiel Grabow lachend ein, und zog sie zurück, als sie aufstehen wollte. »Draußen ist er, denn mein Ohr ist nicht zu täuschen, das ist jung geblieben in dem alten Körper; aber laßt ihn nur Abschied nehmen, es wird das letzte Mal sein, denn morgen ist ja unsere Verlobung.«
Nach einem Weilchen stand er dann auf und ging. Als er hinaustrat, bemerkte er wohl, wie Eberhard leise vor ihm hinschlüpfte und in dem Abenddunkel verschwand. Grabow stieß mit seinem großen Stock auf das Pflaster und sagte dann ingrimmig und leise:
»Ich muß mit dem Jungen ein Ende machen, er will es nicht anders. Fort muß er, weit hinaus, da oben hinauf ins schlesische Gebirge, oder sonst wohin, da wird er schon mürbe gemacht werden und die Liebesgedanken vergessen, der fatale Schelm. Und Du, mein Püppchen, Du sollst mir auch Deine Taubengeschichte nicht umsonst erzählt haben. Lache Du nur, wer zuletzt lacht, lacht am besten. Daß der alte Grabow ein Narr wäre und Dir den Galan ließe! Der muß fort, und dann will ich schon einen Ort suchen, um meinen Schatz zu verbergen.«
An diesem Abend kam er spät nach Haus. Die Wittwe sah mürrisch aus der kleinen Stube hervor und nöthigte ihn nicht hereinzutreten; aber Grabow machte sich nichts daraus, denn die Zeit war ganz nahe, wo die heirathslustige Frau doch seine ganze Untreue erfahren mußte; darum, je schneller je besser.
Er nahm sein Licht und stampfte die morschen Stufen der Treppe so fürchterlich hinauf, daß die Wittwe dafür dem verhungerten Dienstmädchen eine Maulschelle gab, weil sie behauptete, ihre Unordnung sei Schuld daran. Die Katze machte diesmal einen so weiten Bogen, daß der Lieutenant vergebens nach ihr stieß, und so gelangte er denn an die Thür des Controleurs, wo er voller Verwunderung stehen blieb.
Er hörte, wie der Eigenthümer mit lebhaften Schritten drinnen auf und ab ging; vorsichtig öffnete er das Schloß und fast hätte er laut geschrieen – Dubois war noch in seiner vollen Amtstracht. Der Ofen war ohne Feuer, das Holz lag umher, das Licht brannte tief nieder; es war eine grimmige Kälte, aber der frostige Franzose schien gar nichts davon zu empfinden.
Er hielt seine Hände auf der Brust gekreuzt, aber sein Kopf lag fast im Nacken, und die lange, frostblaue Nase starrte wie ein Spieß gegen die Decke auf.
Grabow trat langsam bis in die Mitte des Gemachs. Der Controleur schien ihn gar nicht zu bemerken; er setzte seinen Spaziergang fort, indem er ihn fast streifte, worüber der Lieutenant immer stärker den Kopf schüttelte. Endlich streckte er den Arm aus und hielt den Nachtwandler fest.
»Controleur von der Regie,«, sagte er, »seid Ihr mondsichtig geworden oder toll?«
Dubois klappte seinen Kopf auf die rechte Stelle, zog dann eine finstere Falte über der rothen Nase und ließ seine kleinen Augen giftig funkeln. So starrte er den Lieutenant an und deutete dann majestätisch auf den Sessel an dem kalten Ofen.
»Dank Euch herzlich,« murmelte Grabow; »ist eine grausame Kälte in dem Hundeloch; müßt einen Feuerklumpen in der Seele haben, wenn sie nicht friert. Aber Controleur von der Regie, weiß wohl, seid toll vor Liebe, und gratulir' Euch dazu.«
Wie er das gesagt hatte, stand der kleine Franzose plötzlich still und schoß im nächsten Augenblicke, wie eine abgebrannte Rakete, aus dem Winkel in gerader Linie auf den Lieutenant los. Seine Hände waren geballt, seine Nasenlöcher bliesen sich auf und klappten zusammen, das ganze Gesicht pustete sich roth und der kleine dürre Kerl sah fast wie ein Truthahn aus, der ausgespreizt kollernd gegen das glänzende Gesicht des alten Grabow auffliegen wollte. Als er aber dicht an ihm war, stand er still, reckte die Fäuste und die Nase empor und sagte dann:
»Monsieur Lieutenant, geh fort, schnell, da hinaus, ich nicht gestört sein will hier. Bon jour, mein Herr!«
Dabei machte er einen tiefen Diener und ein grimmiges Gesicht, indem er nach der Thür zeigte.
»Was, Kanonen Teufel!« schrie Grabow, was soll das heißen? Controleur von der Regie, habt Ihr die fünf Sinne alle verloren?«
»Nichts verloren,« sagte Dubois noch grimmiger. »Aber Ihr seid ein falscher Mann, Ihr. Habe gut gehört, wie Ihr habt von mir gesprochen. Ich ein Dummkopf, ein Landläufer? Wart, wart! geh hinaus, fort, da hinaus.«
Er war in der äußersten Wuth, welche Grabow sehr zu belustigen schien.
»Aha!« sagte er halb für sich, »es ist eine Verschwörung gegen mich losgebrochen. Die Wittwe hat ihm erzählt und er hat der Wittwe gebeichtet. Nun weiß sie Alles und da hat mir der kleine französische Cujon den größten Dienst gethan. Gute Nacht, Controleur von der Regie. Nehmt die gute Frau Katharine, ich gönne sie Euch von Herzen; gebt aber wohl Acht, Mann, daß Ihr so wohlbeleibt und munter aushaltet unter ihrer Herrschaft.«
Er machte sich nach diesem Spotte schnell davon, denn der französische Controleur schien nicht übel Lust zu haben, den Leuchter aus seiner Hand ihm an den Kopf zu werfen.
Am nächsten Morgen brach der Verlobungstag an. Grabow erschien in einer neuen Uniform bei dem Kanzellisten, den Degen an der Seite und von einem alten Kameraden begleitet, der nicht minder verdorben an Leib und Seele war, als er selbst. Beide waren jedoch hohe und ehrenvolle Gäste, und Frau Margarethe war außer sich vor Entzücken, als der andere Invalide Herr Elsbeth die Hand küßte und gnädige Frau zu ihr sagte. Dann wurde sie roth und ärgerte sich bis zum Zittern, als das alberne Mädchen dazu lachte und leichtfertig sagte, noch wäre sie es nicht, und vom Becher zum Munde sei ein weiter Weg.
Sie konnte auch gar nicht begreifen, wie der Kanzellist so entsetzlich finster aussah, wie seine Augen angstvoll und krampfhaft umherrollten und die schmalen blauen Lippen verzweifelnd lächelten und zu lachen versuchten. Elsbeth war so schön und sah nicht im geringsten traurig aus. Ihr schlanker, hoher Körper war ganz in schwere Seide gehüllt, zahllose blonde Loden umringelten den weißen Hals und fielen auf den faltigen, blendend weißen Kragen. Grabow war auch ganz voll Lust bei ihrem Anblick und flüsterte viel mit seinem alten Kameraden, dem Kapitän, der dann laut und roh lachte.
Endlich zog er aber zwei goldene Ringe hervor, denn ein Wagen hielt an der Thür, aus dem ein geistlicher Herr stieg, und dann stand er auf, räusperte sich und sprach:
»Meine lieben Freunde alle, hier stelle ich ihnen meine geliebte Braut, die ehr- und tugendsame Jungfer Elisabeth Spangenberg vor, mit der ich mich heut vor Ihren Augen und Zeugenschaft feierlich verloben will.«
Nun begann der geistliche Herr eine Rede, Grabow hielt dabei Elsbeth's Hand in der seinen und beide standen vor einem weißbedeckten Tisch, den man als Hausaltar eingerichtet hatte. Das junge Mädchen lächelte still vor sich hin, aber es war doch ein anderes Lachen, wie ihr gewöhnliches. Ein wehmüthiger Ernst ruhte dabei auf ihrer Stirn, ihre Wangen brannten heiß und in den Augen schimmerten Zorn und Stolz.
Als der Priester die Ringe forderte, um sie den Verlobten an die Finger zu stecken, machte sie sich frei von dem Bräutigam und trat einen Schritt zur Seite auf ihren Vater zu. Sie nahm seine kalte Hand und küßte sie, man sah es ihr an, wie sie sich bezwang. Sie wollte ihm ins Auge sehen, aber er schlug es nieder, seine Knie schienen zu schlottern, er seufzte leise. Elsbeth sagte kein Wort, sanft ließ sie seine Hand wieder los, trat an den Platz zurück und streckte fast ungeduldig den Finger aus, um den Ring zu empfangen.
Wie Alles vorbei war, hielt sie die Hand vor die Stirn und rieb diese heftig, als wollte sie einen bösen Traum fortwischen, oder eine Thräne verbergen, die ein paar menschenfreundliche Muhmen, welche, wie sie sagten, Elsbeth über alles liebten, doch bemerkt haben wollten und sie boshaft die ganze Zeit über darauf ansahen. Aber ihr Mitleid und ihre geheime Schadenfreude fand leider viele Anfechtungen und ward irre geleitet, Elsbeth's blaue Augen flimmerten und blitzten bald wieder, sie war so freudig neckisch, wie noch nie, und die ganze Versammlung war einstimmig in dem Lobe ihrer Schönheit und Liebenswürdigkeit.
Grabow allein zürnte mit ihr. Er hatte sein neues Recht benutzt, das schöne Mädchen in seine Arme genommen und geküßt und wieder geküßt, und sie hatte es still und geduldig gelitten. Aber als seine Lippen sie berührten, fühlte er keine Erwiederung; sein Auge, so nah dem ihren, konnte wie durch einen Spiegel, in ihre tiefste Seele hinabblicken. Ein unaussprechlicher Hohn schimmerte ihn an und ein Abscheu, der sich mit der schadenfrohen Begier mischte, ihn zu verspotten. Seltsamer Weise aber waren ihre weichen Züge dabei ganz freundlich, ein Ausdruck sicherer Ruhe schien jene verborgenen Empfindungen Lügen zu strafen, und diese doppelte Falschheit machte ihn wild und furchtsam zugleich.
Endlich setzte er sich in eine Ecke des Zimmers und sprach leise mit ihr.
»Nun, mein liebes, theures Bräutchen,« sagte er, und versuchte eine Zärtlichkeit, »nun bist Du ganz mein, nun kann Dich Niemand mehr nehmen, auch der Narr von Musikant nicht mehr, der seine Abendbesuche wol in Zukunft lassen wird.«
»Meint Ihr, mein würdigster Herr Bräutigam?« erwiderte sie spöttisch. »Nein, im Gegentheil, ich denke den armen Knaben nun recht oft zu sehen, denn jetzt werdet Ihr doch nicht mehr eifersüchtig sein?«
»Eifersüchtig,« sprach Grabow, »ist die gekränkte Liebe, nicht die glückliche. Zeige mir, daß Du mich liebst, und es kann wol sein, daß ich dem Narren noch Gutes thue.«
Sie sah ihn mit durchdringenden Augen an, als wollte sie errathen, was er dachte.
»Lieben,« sagte sie dann, lachend, »Euch lieben? Ihr wißt nicht, was Ihr sprecht. Ihr habt, Gott weiß es durch welche Mittel, meine Eltern bethört, und ich halte Euch nun selbst für einen Kobold oder Hexenmeister. Weil Ihr mehr gekonnt als der Zauberer mit seiner Wunderlampe, so habe ich mich nicht widersetzt; was sollte ich thun, da Ihr Fluch und Schande über mich bringen wolltet? Nun habt Ihr mich, weil ich mußte, aber Ihr habt mich auch nicht. Alles kommt mir wie ein Traum, wie ein Scherz vor, aus dem Tag und Ernst mich wol erlösen werden.«
»Kind,« sagte Grabow mit einem finstern höhnischen Blicke, »für den Scherz ist die Sache zu ernsthaft, und für den Ernst scheinst Du mir wahrlich zu spaßhaft gelaunt. Hast Du keine Liebe, um so schlimmer für Dich, dann hast Du freventlich leichtsinnig gelogen. Ich bin aber der Mann nicht, der sich narren und foppen läßt von einem Weibsbilde. Alt bin ich, aber was ich will, will ich. Vor dem Priester hast Du Dein Ja gesprochen, davon erlöst Dich Keiner. Jeder unbändige Sinn ist zu brechen, ich breche ihn. Du bist mein.«
Wie er das sprach und sie unheimlich düster anstarrte, ward sie plötzlich bleich. Vor ihrem innern Auge that sich eine unermeßliche Wüste der Zukunft auf, ihre Seele zitterte davor, ein furchtbarer Schmerz leuchtete in ihren Blicken. Nach wenigen Minuten aber leuchteten die Augen wieder hell, und da sie sah, daß Andere sie beobachteten, faßte sie des Bräutigams Hände, neigte, sich zu seinem Ohr und sagte leise:
»Ihr kennt mich gar nicht, lieber alter Herr, sonst würdet Ihr mir nicht drohen. Es kommt mir äußerst spaßhaft vor, Euch als meinen Bräutigam zu sehen, und vor Euren zornigen Blicken fürchte ich mich ganz und gar nicht. Denkt nur nicht daran, mich zu erschrecken, dadurch macht Ihr mich lustiger. Ich habe Euch gesagt, nehmt mich nicht, ich bin ein Kobold, das werdet Ihr empfinden.«
Sie drohte ihm schalkhaft mit dem Finger und er fing und küßte diesen.
»Mein Täubchen,« sagte er dann freudig leise, »Du weißt noch gar nicht, was der Grabow für ein Kerl ist. Bist Du ihm gut, so wirst Du ein Leben führen, wie keine Edeldame; willst Du ihm Streiche machen, so glaube mir, er setzt Dein Köpfchen zurecht.«
»Hört,« erwiderte sie noch lustiger. »Gottes Auge wacht über alle Menschen, daran glaubt Ihr freilich nicht. In meiner Brust hat er aber besondere Kraft und Gläubigkeit gelegt. Seht, ich würde sicher meiner Eltern Gebot erfüllen und mit Euch an den Altar treten, im festen Vertrauen, daß doch seine Hülfe nahe sei. Und diese wird er mir senden, mein lieber Bräutigam. Ich bin wach und gerüstet dazu alle Zeit; ich bin so ohne Sagen, daß ich immer lachen muß über all Eure vergebene Mühe, und bitt Euch, bewahrt Euch selbst vor Schaden, denn ich suche immer umher nach den rechten Mitteln, ich finde sie sicher, und dann seid Ihr verloren.«
»Sucht nur fleißig danach, mein herziges, liebes Bräutchen,« rief der Alte laut lachend und küßte ganz närrisch ihre kleinen Hände. »Ihr macht mich glücklich, theuerste Elsbeth, denn das müssen die echten Liebesmittel sein.«
»Hat man je so etwas erlebt,« flüsterte eine Muhme der andern zu; »die Thräne von vorhin war wol gar eine Freudenthräne. Sie ist ganz schamlos vor Liebe zu dem alten häßlichen Menschen.«
»Weil er Geld und Gut hat,« sagte die andere, »und einen Titel für ihr Gesichtchen, an dem eigentlich doch auch nichts ist. Es ist Heuchelei, aber sie war von jeher hoffährtig. Wie sie verliebt zusammen flüstern und lachen. Pfui! es ist nicht anzusehen von ehrbaren Jungfern. Laß uns gehen.«
Und bald gingen sie Alle, selbst der Bräutigam. Grabow war nach und nach stiller geworden, besonders seit beim Verlobungsmahle Elsbeth's Uebermuth immer höher stieg. Nun wußte er, worüber sie lachte, sie verhöhnte seine Mühe, seine Zuneigung, sie gab sich nicht das Ansehn, ihn zu verachten oder zu hassen, sie verspottete ihn. Er konnte sich nicht in diesen Zwiespalt von Sonderbarkeiten finden. Wäre sie böse gewesen, zornig, gleichgültig, das alles hatte er vorher berechnet, aber der bittere übermüthige Spott fraß grimmig in seiner Brust und verkehrte fast die Liebe in Rache. Eins nur stand fest: Er wollte sie haben und Gott selbst nicht ausliefern. Wie er ihren Stolz brechen, wie er ihre Thränen erpressen, ihren übermüthigen Sinn hinsterben sehen wollte in kleinlicher Verzagtheit, das zu denken, gewährte ihm Erheiterung.
Aber früh brach er auf, die Gäste folgten; und wie sie fort waren, riß Elsbeth die Blumen aus dem Haar, sie warf das Seidenkleid fort, den Spitzenkragen dazu und den Ring schleuderte sie verächtlich in einen Kasten. Die Mutter sprach einige zürnende Worte, aber die Tochter sah sie streng und scharf an, daß sie roth wurde und die Augen niederschlug.
»O! mein Kind,« sagte sie leise und fast weinend, »Gott ist mein Zeuge, nur zu Deiner Ehre und Glückseligkeit habe ich Alles fügen helfen.«
»Mutter,« versetzte sie ruhig, ich will glauben, was Du sagst, obwol schon viele Mütter wie Du sprachen, wenn sie Elend über ihr Kind brachten. Ihr habt mich fortgestoßen in mein Glück, nun so laßt es denn wachsen und wundert Euch nicht, wenn die Frucht anders schmeckt als die Blüthe.«
Die Mutter wollte etwas erwidern, als an die Thür geklopft wurde und die alte Frau hereintrat, bei welcher, wie sie wußten, Eberhard wohnte. Sie sah erschrocken aus und rang die Hände mit schmerzlichem Ausruf, ehe sie sprechen konnte. Erst nach einiger Zeit fing sie an zu erzählen, wie in der Mittagsstunde ein Offizier und zwei Corporale in ihr Haus gekommen seien, wie sie nach dem jungen Menschen, dem Eberhard, gefragt hätten. Darauf wären sie in seine Stube gegangen und hätten laut und heftig mit ihm gesprochen.
»Da haben wir einen hübschen Vogel erwischt,« hatte der Lieutenant lachend gesagt, »leugnen hilft Ihm gar nichts, ein Berliner ist Er nicht, das wissen wir besser und wollen es Ihm beweisen. Vorwärts, angezogen und keine Umstände. Er ist Soldat und für die Betrügerei soll er seinen verdienten Lohn erhalten.«
»Das arme junge Blut,« fuhr die Frau weinend fort; »wie er aussah, als sie ihn fortschleppten, die rohen, lasterhaften Soldaten, die seinen Schmerz verlachten, das ist nicht auszusprechen. Ich schrie laut und schimpfte auch wol, da faßten sie mich an meine kraftlosen Arme und stießen mich, wie einen Ball, in die Stube hinein. Aber das gute fromme Kind hatte mich so rührend angesehen, daß ich ihn gleich verstand, was er wollte. Ich sollte zu Euch gehen, Euch sein Leid klagen, ob Ihr ihm nicht helfen könntet.«
»Wie können wir helfen, wir armen Leute,« sagte Margarethe betrübt. »O! der arme gute Eberhard, mein Leben gäbe ich her, wenn wir ihn loskriegen könnten. Jetzt fällt mir etwas ein,« rief sie plötzlich, »Grabow wird ihm helfen, der muß ihm helfen, der gute, liebe, wohlthätige Mann, er weiß gewiß einen Weg«
»Weil er den Weg wußte, den Unschuldigen zu verderben,« sagte Elsbeth mit dumpfer Stimme, »aber nun ist es auch um ihn geschehen; nun will ich den alten Heuchler auch zu Schanden machen.«
Margarethe blickte erstaunt zu ihr auf, sie erschrak vor ihr. Das große Mädchen stand ganz verwandelt. Die Ruhe und der Spott waren von ihr gewichen, ihr Auge glühte und blitzte, die reichen blonden Flechten und Locken, aus denen sie Kranz und Blumen gerissen hatte, ringelten wie Schlangen auf dem glänzenden Halse und dem jungen wogenden Busen. Sie stieß die reichen Kleider ganz von sich, und in dem knapp anschließenden Röckchen sah die hohe stolze Gestalt fast wie die blauäugig schöne und doch so furchtbare Kriegsgöttin der Alten aus. Die weißen Arme hielt sie zürnend aufgehoben, ganz still, nachsinnend, mehrere Minuten, während die Frauen weiter klagten, dann ging sie plötzlich hinaus.
Sie öffnete die Thür in dem kleinen Zimmer ihres Vaters mit schneller starker Hand. Der alte Mann saß in der tiefen Ecke am Fenster, ohne sich zu bewegen. Sein hageres Gesicht war starr aufgerichtet, durch die kleinen Scheiben fiel das Abendlicht herein; mit seinem warmen rothen Schimmer zitterte es tröstend auf den kummervollen Zügen hin und her, und verlieh den Augen des Greises einen wunderbaren Glanz.
Elsbeth war tief ergriffen davon. Das weißliche Haar des Vaters leuchtete wie Flammen- oder Heiligenschimmer; sein Gesicht war voll Angst und Schmerzen, sein Blick flehend und verzweiflungsvoll zu den kleinen rothschimmernden Wolken gerichtet und die krampfhaft gerungenen Hände fest in einander gepreßt. Ein grausamer Kampf der Seele malte sich in seinen verwilderten Zügen, die schreckliche Ueberzeugung, daß seine Gebete vergebens seien, daß kein Gott sich seiner Leiden erbarme.
Elsbeth kniete an seiner Seite und wie ihre warmen Hände seine kalten Finger umfaßten und zu lösen suchten, sah er auf sie nieder ohne Zeichen der Verwunderung mit derselben trostlosen Resignation.
»Warum bist Du hier,« sagte er, und Seufzer erstickten seine Stimme, die mühsam Worte fand, »kommst Du, mein einziges Kind, um Deinem Vater zu fluchen?«
Hier schüttelte er seinen großen Körper, als laufe Frost darüber hin. Sein Kopf mit den halbgeschlossenen Augen sank stumm und müde auf seine Brust. In der nächsten Zeit aber richtete er sich stolzer empor; eine zornige Begeisterung schien ihn zu ergreifen. Der einfache Mann fand plötzlich die Beredsamkeit eines unglücklichen sündigen Geschöpfes, das, nachdem es vergebens im Himmel und auf Erden nach dem Erlöser gesucht hat, sich der Energie eines unvermeidlichen Geschickes überläßt.
»Fluche mir,« sagte er, »Du wirst dadurch nichts ändern. Segen und Fluch der Menschen sind leerer Schall, ein Hohngelächter für die bösen Geister. Glaube an Gott, mein Kind, Du bist fromm, ja glaube, daß es ein Wesen gibt, das sich der Guten erbarmt, Du hast den Trost nöthig, aber glaube nicht, daß Gott ein Ohr hat für den Sünder. Steht es nicht in der Bibel,« rief er, und seine schmetternde rauhe Stimme sank zum Flüstern herab, »sagen es nicht alle Orte, schreien es nicht die Thiere aus, wie die Menschen, daß dem Reuigen vergeben sein soll? Es ist nicht wahr, ihm wird nie verziehen! Gib ein Haar Deines Hauptes dem Teufel und er läßt Dich nicht los, Du bist ihm auf ewig verfallen. Und wärst Du es allein,« fuhr er langsamer fort, »wäre es Dein verfluchter sündiger Leib, Du könntest Dein Verbrechen sühnen, Du könntest empfangen, was Du verdientest und in Frieden sterben. Aber die Sünde ist ein ewig dürstendes Ungeheuer, Gott rächt die Thaten bis ins zweite und dritte Glied, er läßt die Unschuldigen büßen, was ihre Väter und Urväter verbrochen. O Elsbeth! Ach! mein armes herzliebstes Kind, da kniest Du vor mir in dem rothen Sonnenmantel, wie ein wahres Gottesbild, so heilig, jung und schön. Kann Gott Dich verderben lassen?! O! Erbarmen, Erbarmen! Kann es ein gnädiges, allmächtiges Wesen geben und es hat kein Mitleid mit Dir und mir?!«
Elsbeth hatte sich leise aufgerichtet und nun schlang sie die Arme um seinen grauen Kopf, drückte ihn an ihren jungen Busen und sah mit den hellen Augen ihn so lange zärtlich an, bis die Thränen heiß und in reichen Quellen auf ihn niederflossen. Wie ein Engel stand sie über ihn hingelehnt, und unter ihren Küssen und Friedensworten schmolz der Schmerz von seinem Herzen.
Er faßte sie mit seinen beiden Armen, dann begann er zu weinen und ihre Küsse zu erwidern, und mit zitternder Stimme sagte er:
»Nein, Gott hat mich nicht verlassen. Er hat Dich mir gegeben, Du liebes Kind. Ich will die Schmerzen besiegen und die Schande, Du sollst dem Teufel nicht angehören, der mich zur schrecklichen Sünde verleitet hat.«
»Nein, Vater;« sagte Elsbeth, »Gott verläßt Keinen, der ihn nicht verläßt, und nimmer hat der böse Feind Macht über uns, wenn wir nicht wollen. Ich fürchte mich nicht, Vater; ich bin so muthig, wie ein König; es ist, als spräche eine höhere Stimme, daß ich Dir Vergebung und Versöhnung verkündigen soll.«
Sie setzte sich auf die kleine Bank zu seinen Füßen, sah voll Ruhe zu ihm auf und küßte seine Hände.
»Ich nenne Dich nun Du,« sagte sie, »obwol ich es sonst nie gethan, denn Du sollst mir vertrauen, was Du noch Niemandem anvertraut hast. Ich bin das beste Stück von Deinem Herzen und Deinem Leben, mein Vater. Die heiße Liebe zu Deinem Kinde leuchtet überall hervor, mein Glück und meine Freude waren immer Deine Sorge, wie kannst Du mich also nun dem bösen schlechten Menschen hinwerfen und mich elend machen für alle Zeit? Ich habe wohl gesehen, wie er Dich mit einem Geheimnisse plagt und zwingt, und wie Du davor zitterst. Der böse alte Wicht lacht dazu, er verlacht Deinen Gram, er selbst fürchtet nichts, und darum ist es sicher, daß mit der Schlechtigkeit die Lüge verbunden ist. Ich habe geschwiegen bis jetzt, denn ich war überzeugt, es müsse etwas geschehen, das mich befreite, indem es ihn verdürbe, das ist nun Alles auch gekommen, und nun mußt Du reden, liebster Vater, nun mußt Du mir entdecken, womit er Dich plagt, dann wirst Du auch erlöst sein.«
Sie sagte das mit so vieler Innigkeit und Ueberzeugung, daß ein Gefühl des Glaubens das düstere Gemüth des Alten durchdrang. Sein bleiches Gesicht war plötzlich von einer jähen Röthe überzogen worden, seine Augen irrten umher, bald bittend, bald verwirrt und voll Bestürzung und Schrecken.
Elsbeth sah ihn sanft und voll Liebe an.
»Du armer Vater,« sagte sie, »was mußt Du gelitten haben?! Ach! öffne doch Dein gequältes Herz. Deiner Elsbeth; die so voll von heißer Begier ist, Dein Leid mit Dir zu theilen. – Rede, liebster Vater, der Trost der Mittheilung an ein liebendes tröstendes Wesen ist ja schon ein Himmelsglück.«
»Und wenn ich nun bekennen müßte,« sagte er mit leiser, schwankender Stimme, »daß ich ein elender, verworfener Mensch bin, ein Verbrecher, der den Tod verdient, ein Dieb, o, Jesus! ein Mörder!«
Elsbeth blickte ihn traurig aber fest an.
»Ich kann's nicht glauben,« sagte sie, »wenn es aber auch wahr wäre, so hat der Grabow es sicher angestiftet, und Deine Schuld ist gering, denn wie konntest Du mit Deinem einfachen redlichen Gemüth ein so großes Verbrechen begehen?!«
»Ich war nicht immer so, wie ich jetzt bin,« sprach der Kanzellist nach einer Pause, in der er sich zu besinnen schien, ob er sein angsterfülltes Herz öffnen sollte – »ich war ein rascher wilder Kerl, der das Blut nicht fürchtete. Gott ist mein Zeuge! ich habe keine Grausamkeit begangen, aber ich war ein Soldat des großen Friedrich's, und ich war stolz, wie ein alter Grenadier sein kann, der den Schwerin Kurt Christoph von Schwerin, (1684-1757), preußischer Generalfeldmarschall unter Friedrich dem Großen. Er kämpfte in den Schlesischen Kriegen und fiel in der Schlacht bei Prag 1757. Schwerin gehört zu den bedeutendsten Feldherren seiner Zeit. vom Schlachtfelde tragen half. Es half aber alles nichts,« fuhr er fort und ballte die Fäuste: »Sei ehrlich, wie Du willst, Dein Leben lang, trage, den Kopf hoch in Deinem Stolz und fürchte Dich vor dem Teufel nicht, einmal kommt gewiß eine Minute, wo er Dich anpackt, Du weißt nicht wie; und je stolzer Du bist, je sicherer hat er Dich. Hast oft wol schon von der grausamen Schlacht von Torgau Die Schlacht bei Torgau am 3. November 1760 war die letzte große Schlacht des Siebenjährigen Krieges. Preußen siegte, verlor aber ein Viertel seiner gesamten Armee. gehört;« sagte er, als Elsbeth nichts erwiderte, »da war's, da faßte er mich. Wir hatten gefochten den ganzen Tag, und wie die Nacht kam, es war eine bitter kalte Nacht, wußte Niemand, wer gewonnen hatte. Alles war in Verwirrung durch einander in dem großen Walde; unter Panduren und ungarischen Husaren lief ich umher, und Keiner that dem Andern ein Leid. Was ging uns der Krieg der Könige an; wir schüttelten uns die blutigen Hände und schworen gute Freunde zu sein diese Nacht über, und sicher neben einander zu schlafen. Ich lag an einem Feuer unter lauter undeutschem Volke und versuchte zu schlafen. Da stand eine große Gestalt vor mir, in einen Mantel eingewickelt, das war der Grabow. Wir redeten ein paar Worte, dann hieß er mich aufstehen und ihn begleiten. Ich hätte wol nein sagen können, denn Subordination hatte aufgehört, aber ich that's doch, obgleich ich den Lieutenant niemals leiden mochte; das war aber der Teufel, der hatte meine Haare schon gefaßt, denn leugnen kann ich's nicht, er flüsterte mir zu: Komm mit, Kerl, wenn Du die Tasche voll Geld haben willst; und wie er das sagte, regte sich die Lust, eine Gier lief durch meine Adern, ich faßte mein Kurzgewehr und stand auf.
Nun führte er mich tief in den Wald hinein und redete leise mit mir. Was er sagte, soll meine Zunge nicht wiederholen, aber seine Worte gingen wie Feuer durch mein Gehirn, und zuletzt war ich gar nicht mehr, wie ich sonst war. Es flimmerte vor meinen Augen, wie lauter Gold, ich sah nichts mehr als die blanken Stücke, die schweren Säcke voll, und der Versucher hatte sein Spiel gewonnen. Es war dunkel und kalt. In der Ferne brannten Dörfer und Häuser, zahllose Wachtfeuer schimmerten durch die kahlen Bäume, deren Wipfel und Aeste von den Kugeln zerschmettert waren. Wo wir aber gingen, war kaum ein falber Dämmerschein, der sich mit dem zitternden Licht der Wintersterne vermischte. Zuweilen strauchelten wir und fielen über Leichen, denn wir waren auf dem Schlachtfelde und ich kannte den Ort wieder, wo wir an der Waldleiste zuletzt gefochten und uns dann zerstreut hatten. Endlich waren wir in einem dichten Fichtengehölz, wo ein Weg sich zwischen sandigen hohen Waldrändern fortzog. Es war so finster, daß Grabow mich an der Hand führte. Plötzlich stand, er still, das Gehölz öffnete sich vor uns zu einer kleinen Heidefläche, auf der ich Pferde schnauben hörte. Oben rauschte der Wind und jagte die Nachtwolken vor sich her. Ich erkannte die dunkeln Umrisse eines Wagens, zu dem wir näher schlichen. Es ist unsere Regimentskasse, sagte er leise und kein lebendiges Wesen ist hier; Du bist ein Kerl, der einen guten Fang verdient. Ein Narr, der das Glück nicht benutzte und in dummer Ehrlichkeit etwa dem Könige wiedergäbe, was jetzt nicht mehr sein ist. Drauf und dran! Sprenge das Schloß mit Deinem Bajonnet, dann wollen wir uns ein gutes Plätzchen suchen und den Bettel einpflügen in Gottes Erde, bis es Zeit ist, reich zu werden. In dem Augenblicke stand er still und preßte meine Hand fest, indem er auf den Wagen deutete. Ein her Schein zog am Himmel auf, der winternächtige Mond kam gelb und dunstig über die fernen hohen Bäume, und sah uns an. Es rieselte nebelgrau durch das öde Waldplätzchen, und nun sah ich zwei halbtodte Pferde auf dem Boden liegen, den Wagen mit eingesunkenen Rädern an einen Graben gelehnt, und vorn an dem Gegitter eine Menschengestalt, die den Kopf, wie schlafend, auf die Brust senkte. Der Mantel war ihm von der einen Schulter gefallen, der Kragen und die silbernen Achselschnüre schimmerten; da erkannte ich das Gesicht auch: es war unser Capitain! Grabow sprach nicht, aber er drückte meine Hand mit eiserner Gewalt. Ich sah ihn an. Hohe und grimmige Entschlossenheit standen in seinen Mienen. Er hatte manches Leid zu rächen. Er war ein tapferer Soldat, aber er diente ohne Beförderung schon lange, denn beim Militair ist es so: wer nicht weiß den hohen Vorgesetzten zu schmeicheln, oder wem nicht besondere Rücksichten und Zufälle günstig sind, der wird nicht weit kommen. Und Grabow war ein wilder leidenschaftlicher Mann, und obenein einer, der da glaubte, weit eher berufen zu sein, hoch zu steigen, wie die meisten von Denen, welche oben standen. Das ließ er merken, und sie vergaben es ihm nimmermehr. Den Capitain hatten sie ihm auch vorgeschoben. Er war roh und tyrannisch, wie die meisten in jener Zeit; nicht besser und nicht schlechter, die Zeit brachte es mit sich. Mancher, den er strafen ließ, hätte wol diesen Augenblick zur Rache gewünscht, und wie nun Grabow auf ihn deutete, so starr und ingrimmig, da murmelte eine Stimme leise in meinem Ohr ein schreckliches Wort, das lief durch meinen Kopf, durch mein Herz, durch alle meine Gebeine, laut und immer lauter, bis es ein Löwengebrüll war, und ich nichts mehr hörte. Ich weiß nicht, ob es Grabow mir zuflüsterte, ob es der Wind rauschte, ob der Mond es aussprach, oder der Teufel in meinem Herzen, aber im nächsten Augenblicke war es geschehen. Mein Bajonnet senkte sich, ich lief gegen den Wagen, meine Füße schienen den Boden nicht zu berühren. Mitten durch die Brust fuhr der Stahl, durch und durch. Der Mantel fiel nieder, kein Schrei wurde gehört. Er machte auch keine Bewegung, der Tod war schneller als alles Leben in ihm. Dann glitt der Körper über die Deichsel des Wagens. Mit einem Ruck riß ich das verkrümmte Bajonnet heraus. Nun fiel der Kopf über den Nacken hin. Die Augen waren offen – Der Mond schien kalt und klar hinein – sie starrten mich an – sie riefen Rache und Verderben auf mich – allbarmherziger Gott! sie haben es erfüllt in jeder Stunde. Wie ich stand und den Todten anstarrte, faßte mich Grabow und schüttelte meinen Arm. Unglücklicher! sprach er mit leiser, fester Stimme, was hast Du gethan? Er ist todt, sagte ich. Es starb mancher gute Mensch hier. Mancher, erwiderte er, der besser war wie dieser und Niemandem Leid that auf Erden; aber er war Dein Offizier, und wäre die Nacht nicht so finster, ich würde schwören können, Du habest ihn ermordet. Ermordet! das Wort machte mich schaudern. Mörder! schrie es in mir, mein Muth sank zusammen, ich zitterte. Fürchte nichts, sagte Grabow kalt, ich bin Dein Freund. Was ist ein Menschenleben mehr oder weniger hier auf dem großen Mordfelde? Trügst Du einen weißen Rock, wärst Du ein Oesterreicher, man belohnte und belobte Dich um diese tapfere That. Siehst Du, Narr, sagte er dumpf und schüttelte mich, das ist die Gerechtigkeit der Welt, die Moral dieser verständigen Bestien und ihrer Lenker. Wie er in seiner Weise heiser lachte und mich mit den kleinen, brennenden Augen anstarrte, kam er mir zum ersten Male, wie der Teufel vor, der mich versucht hatte. Fasse die Beine des Todten, sagte er, und wirf ihn bei Seite, er hindert uns. Ich versuchte seinem Befehle nachzukommen, aber meine Hand erstarrte, ich zog sie zurück. Machen Sie mit mir, was Sie wollen, murmelte ich, ich kann nicht weiter helfen. Er stieß mich zurück. Memme! sagte er, ich hatte Dich für einen andern Kerl gehalten. Gib mir Dein Bajonnet. Er nahm es sich selbst und beugte sich zu dem Liegenden nieder. Ich sah, wie er ihn mit Ruhe untersuchte. Er ist kalt, murmelte er, und indem er das schreckliche Wort aussprach, hob er die Leiche auf, daß sie gerade vor ihm stand. Aber er war zu schwach, obwol er, als ein Mann von großer Kraft bekannt war. Der Erstochene fiel aus seinen Armen, er schien auf mich zuzuschreiten, seine Hände nach mir auszustrecken, und von jäher Furcht gefaßt, sprang ich ins Gebüsch und lief athemlos den Feuern in der Ferne zu. An einem kleinen Graben strauchelte ich und hörte mit neuem Entsetzen das heisere Lachen durch den Wald voll Blut und Leichen schallen. Schreckliche Gestalten tanzten vor meinen Augen; entsetzliche Töne marterten mich, ich meinte, der Ermordete käme durch die mondlichten Baumstämme und riefe seinen Mörder. In meiner Angst rannte ich gegen einen Baum und stürzte ermattet von Anstrengung, Seelen- und Körperleiden zu Boden. Lange lag ich, dann raffte ich mich auf und schlich mit erstarrten, gelähmten Gliedern an das Feuer der Kroaten. Mein Gewissen marterte mich mit tausend schrecklichen Vorstellungen der Entdeckung meiner That, tausend Pläne zur Flucht und List gingen durch mein Gehirn. Endlich schlief ich ein und erwachte durch das Schütteln einer starken Hand. Er war es, er stand vor mir, so ruhig, als sei nichts geschehen. Es war Tag und in demselben Augenblick hörten wir in der Ferne das Siegesschießen unserer Kanonen. Korporal Spangenberg, sagte er, nehmt Eure Waffen und transportirt diese gefangenen Oesterreicher in unser Lager. Der König hat die Schlacht gewonnen. Er sprach wahr, und willig ließen sich die zahlreichen Gefangenen von uns fortführen, weil es unser Accord so war, den sie zu halten hatten. Als wir weiter zogen, rief er mich bei Seite. Hört Korporal, sagte er, ich träumte heute Nacht von einer gefüllten Regimentskasse. Ich sprengte das Schloß mit einem Bajonnet, das ich dann fortgeworfen habe, weil es krumm und voll Blut war, aber ich hatte mich sehr getäuscht. Eine geringe Summe war die ganze Beute; schlechtes Kupfer von den beliebten Berliner Thalern, mit denen uns der große Monarch gnädigst bezahlt, zum Glück aber auch ein Päckchen Dukaten. Als ich am Morgen aufwachte, lag wirklich ein solches Päckchen bei mir. Ein Oesterreicher mag es verloren haben, ich will es aber nicht allein behalten und mit Euch theilen. Er reichte mir eine ziemlich schwere Rolle hin, ich wendete mich ab. Ich wußte wohl, daß er mich bei alledem betrog; denn die Regimentskasse enthielt zehntausend Thaler, das hatte ich kurz vor der Schlacht erfahren. Dummkopf! sagte er, ich befehle ihm, das zu nehmen, und dann faßte er meine Hand und fuhr leise fort: Kein Wort mehr davon. Sei Er ein Mann, streich Er diese Nacht auf ewig aus seinem Gedächtniß; ich habe Alles vergessen, weiß nichts mehr. Aber ist denn das möglich für den Sünder?!« rief der Kanzellist und ließ seufzend den Kopf sinken. »Daß man nicht vergessen kann, das ist ja das Entsetzliche. Mitten in Freude und Lust steigen die blassen Schatten der Vergangenheit auf, und wenn der Schmerz uns plagt und die Leiden der Erde uns heimsuchen, dann erwacht die geheimnißvolle Stimme und schmettert die entsetzliche Anklage in unsere Brust, wie die Trompeten des ewigen Gerichts.«
Hier schwieg er, und sagte dann nach einer Weile mit erlöschender Stimme:
»Nun weißt Du Alles, nun urtheile über Deinen Vater, nun frage Dich, ob uns zu helfen ist!«
Da stand Elsbeth auf, voll Kraft und Freudigkeit.
»Sei getrost,« sprach sie, »uns muß geholfen werden; ja, uns wird geholfen werden. Nur nicht müßig die Hände in den Schooß gelegt, jetzt gilt es mit dem Bösen zu streiten.«
»Wo willst Du hin, Elsbeth,« rief der Kanzellist, als sie rasch fortging.
»Laß mich gehen,« versetzte sie, »es wird Alles gut werden.«
Nun eilte sie in ihre Kammer, zog ihre reinlichen, ärmlichen Kleider an, band das Mäntelchen um und die Capote, und schlüpfte dann durch die Küche auf die Straße, ohne daß die Mutter es merkte.
Es war kalt, die tiefe Dämmerung wollte in Nacht übergehen. Elsbeth glühte über und über, ihr Herz zitterte vor leisem Bangen und tiefer Wehmuth. Was sie gehört hatte, schnitt wie mit scharfen Messern in ihre Brust. Ihr Vater ein Mörder, ein Verbrecher, über dessen schuldigem Haupte das Beil des Henkers schwebte! Sie schauderte vor Entsetzen, aber ihr Kopf war klar und hell. Er sagte ihr, es müsse anders sein und sich anders wenden; er stellte ihr jeden Falls den armen gutmüthigen Mann als den Verführten, den Grabow aber als den eigentlichen Verbrecher dar. Nur wußte sie selbst nicht recht, was zu thun sei. Sie wollte mit dem Lieutenant sprechen, ihm sagen, was sie wußte, ihm drohen, wenn er drohte, und der Vorsehung das Weitere übergeben.
Mit diesen Gedanken erreichte sie das Haus, wo er wohnte. Er hatte es so oft beschrieben mit allen seinen Einrichtungen, daß Elsbeth gut Bescheid wußte, und doch zitterte sie vor dem Wagstück, das die unbescholtene Ehre einer Braut selbst verletzen konnte. Der Himmel begünstigte aber sichtlich ihr Unternehmen, denn die Thür, sonst immer verriegelt, war nur angelehnt. Leise trat sie ein, verstohlen schlich sie die Treppe hinauf und angstvoll stand sie oben still, als sie die rauhe Stimme ihres Verlobten hörte. Wie das große Mädchen sich an der Thür emporrichtete, entdeckte sie einen Spalt oben an der Einfügung. Nun trat sie auf einen Kasten und sah in die Stube. Grabow saß mit seinem Freunde, dem Capitain, an dem Tische in ungeheuern alten Lehnstühlen behaglich ausgestreckt. Jeder hatte ein Glas vor sich und mehrere Flaschen standen, voll und geleert, umher. So tranken sie und rauchten dazu, und der Capitain stieß an auf das Wohl der schönen Elsbeth, wozu Grabow in seiner Weise lachte.
»Ihr habt gut lachen, Freund,« sagte der Capitain spottend, »denn wenn Ihr gleich eine Partie macht, die eben nicht standesmäßig genannt werden kann, so ist es doch ein schönes, junges und wirthschaftliches Weib, das tausend vortreffliche Tugenden besitzt. Aber hütet Euch wohl, daß es Sonnenschein bleibt,« fuhr er fort, »daß Euch die Nasen nicht Ellenlang gedreht werden, und nehmt Euern Kopf in Acht, alter Freund Grabow, daß er nicht Auswüchse bekommt.«
»Seid ohne Sorge, Herr Bruder,« sprach der Lieutenant mit wohlgefälliger Ruhe. »Zu den leichtsinnigen Weibern gehört meine Elsbeth nicht. Sie hat ein verständiges Gemüth trotz ihrer lustigen Sinnesart, und würde die unverschämten Gimpel gut abführen. Daß sie mich nicht gerade liebt, weiß ich, aber einem Andern wird sie auch so bald ihr Herz nicht hingeben. Da war ein Mensch, eine Art Musikant, dem hab' ich den Liebestanz aufgespielt, sie werden Beide lange daran denken. Und meint Ihr denn,« fuhr er fort, »ich würde mein Schätzchen hier den Blicken aller Maulaffen preisgeben? Lernt den Grabow kennen, Herr Bruder! Sobald Hochzeit gewesen ist, zieh' ich nach Preußen auf mein Gut in Litthauen, da gibt's für eine Hausfrau zu thun, aber weder Liebhaber noch Musikanten oder Komödien und schlechte Bücher.«
»Das ist ein verdammter Tausch!« schrie der Capitain lachend. »Wölfe und Bären in den Einöden, statt der bunten Herrlichkeiten, die Ihr dem Volke vorgespiegelt habt. Laßt es sie ja nicht hören, sie nimmt Euch sonst nicht.«
»Sie muß,« sagte Grabow, »auch wenn ich's sagte.«
»So könnt Ihr besondere Künste,« sprach der Andere. »Möchte wohl wissen, wie es möglich war, die Alten und die Dirne so fest zu machen.«
»Habt Ihr nie gehört, Freund,« erwiderte Grabow verächtlich, nachdem er sein großes Glas geleert hatte, »was die Menschen zwingt, ihren Willen anderer, klügerer Menschen Willen unterzuordnen? Ihre Dummheit! Seht das Getreibe der Welt an; es herrschen in ihr die Stärksten und die Klügsten, die Einen durch Macht, die Andern durch List. Es gibt zwei Klassen von Wesen: die Weisen und die Masse der Thoren, welche kindisch glauben, was ihren stumpfen Sinnen gelehrt wird. Der Weise macht sich seine Gesetze, der Thor findet sie fertig und zittert davor, wie das Kind vor der Ruthe. Kann man diese Narren dahin bringen, die Gebote der Mächtigen zu kränken, so hat man ein Seil für sie, das nie reißt.«
»Und an solchem Narrenseil führt Ihr sicher den alten Corporal,« sagte der Capitain.
»Das ist ein echter und rechter Narr,« erwiderte Grabow. »Voll eingebildeter Ehre, auf guten Namen, Ruf und Amt, voll Furcht vor den Menschen und ihren Strafen, voll Entsetzen vor Gott und seinem Gericht. Der alberne Patron! Wenn er wüßte, wie wenig er die alle zu fürchten hätte, er würde plötzlich der glücklichste Kerl.«
»Solch Bettelvolk,« sagte der Capitain, »schreit immer am meisten über Ruf und Ehre, Gesetz und Gott. Es ist eine Schande, daß sie so etwas denken dürfen. Aber wie habt Ihr ihn denn eigentlich gekirrt?«
Grabow warf einen Blick überall umher, als ahne er die Nähe eines Verräthers, dann beugte er sich zu seinem Genossen und sprach eine Zeit lang mit so leiser gedämpfter Stimme, daß Elsbeth kein Wort verstehen konnte. Eine fieberhafte Glut strömte durch ihren Körper, in Verzweiflung preßte sie das Ohr an den Spalt, und doch hörte sie nur unzusammenhängende Laute. Sie wollte hinabspringen, mitten in das Zimmer hinein, und Rechenschaft fordern; Klugheit hielt sie im entscheidenden Augenblicke zurück, und das laute Gelächter des Capitains brachte sie völlig zur Besinnung.
»Das ist ein verteufelter Streich!« rief der alte dicke Herr; »aber der Himmelelementer! hätte doch wenigstens ein paar hundert Stück Hiebe verdient, obgleich ich nicht weiß, ob ich nicht gelacht hätte, wie Ihr.«
»Seine Strafe hat er,« sagte Grabow, »denn das Gewissen setzt ihm zu, Tag und Nacht. Nun, seht, welch ein elendes Ding das Gewissen ist! Den Unschuldigen quält es mit Höllenpein, und kein Gott sagt ihm, Deine Leiden sind umsonst. Es ist ein Hirngespinnst, wie all der Tand Hirngespinnst ist, den die Pfaffen erfunden haben. Aber Dummheit muß in der Welt sein, wo käme sonst der Edelsinn, die Tugend und Rechtschaffenheit der Menschen her?«
»Laßt uns anstoßen!« schrie der Capitain: »Es lebe die Dummheit! sie verschafft Euch altem, gichtbrüchigen Menschen das schönste Mädchen!«
Elsbeth lehnte noch lange den heißen Kopf an die kalte Mauer. Gestalten und Bilder schossen, Blitzen gleich, vor ihr auf und ab. Plötzlich aber kam ein Entschluß. Sie eilte leise aus dem Hause, ungesehen; denn erst, als die Thüre ins Schloß fiel, kam Frau Katharine aus der Stube und zankte die Magd aus, daß das Haus offen gewesen und der Wind es zugeworfen habe.
Sie kam nach Hause, verschloß sich in ihre Kammer, und kam erst am andern Morgen, aber ganz froh und heiter zum Vorschein. Den blassen Vater küßte sie und drückte seine Hände bedeutungsvoll, dann hörte die Mutter ihre helle Stimme aus der Küche schallen und ein Liedchen singen. Sie lachte mit der Nachbarin, und leise sprach Frau Margarethe:
»Guter Gott! entweder ist ein Wunder geschehen und sie liebt den alten Mann wirklich, dessen rothe Nase doch gestern gar zu abscheulich aussah, oder sie will verrückt werden. Ach! ich arme elende Frau!«
Wenige Stunden später schlüpfte Elsbeth aus dem Hause. Beflügelt leicht, als werde sie verfolgt, eilte sie durch die Straßen. Sie hatte ihren besten bürgerlichen Sonntagsstaat an. Das Mützchen, mit Flittern gestickt, saß zierlich und doch ehrbar auf den blonden Flechten, die steifen Röcke gaben dem kräftigen, großen Mädchen etwas Madonnenhaftes und im Auge lag eine Entschlossenheit, welche das ganze Gesicht überstrahlte.
Langsamer ging sie erst, als sie die Lindenpromenade erreicht hatte. Nun stand sie zuweilen still und sah sich um, als erwarte sie Jemand, dann sprach sie vor sich hin und ging zögernd weiter. Plötzlich hörte sie ein Geschrei und alles Blut strömte in ihr Gesicht; ihre Augen funkelten, so schnell sie konnte, lief sie dem Thore zu.
Da kam ein Reiter auf einem hohen weißen Pferde die Straße herab. Ein kleiner, alter Herr, ein wenig nach vorn gebeugt, drei aufgerollte Loden an jeder Seite des Kopfes, der größer schien als er zu diesem Körper paßte, und mit wunderbar markigen und eckigen Zügen ausgestattet war. Mit seinen großen, hellen Augen sah er überall umher, und schien auch alles wohl zu bemerken, denn einige Male hielt er sein Pferd an und fragte Vorübergehende nach Dingen, auf welche er seinen Krückstock richtete. Von Zeit zu Zeit lüftete er auch den kleinen dreieckigen Hut, um die ehrerbietigen Grüße der Bürger zu erwidern, und dann blickte er mit wohl zu erkennender Lust und Güte auf den Schwarm von Kindern, der ihn und sein großes Pferd umgab.
Einige dieser kleinen Buben hielten sich an den Steigbügeln fest, Andere faßten das Pferd an dem Schweif, ließen sich mitziehen und zupften ihm wol gar ein paar Haare aus. Die übrigen geizten sichtlich um die Ehre, dem edlen Reiter so nahe als möglich zu sein; sie tanzten und sprangen vorauf, und schrieen, und ließen ihn hoch leben. Der alte Herr sah sich dann zuweilen um, besonders wenn sie es am Pferdeschweife zu arg trieben, und indem er seinen Krückstock und seine Stimme erhob, die aber gar nicht zürnend klang, rief er: »Jungens, macht mir den Schimmel nicht scheu!« eine Warnung, die mit Gehorsam für einen Augenblick und mit neuem Freudengeschrei begleitet ward.
Einige Male hielt der Herr auch an, um Leuten aus den untern Ständen, oder in fremder, ländlicher Tracht Bittschriften abzunehmen, welche er mit Würde empfing und freundlich ernst mit ihren Ueberreichern redete. Es war ein merkwürdiger Anblick, wie er immer weiter zog, ohne einen Diener, in der Mitte jubelnder Kinder; ein Anblick, der für unsere Zeit unmöglich geworden ist, dessen wenige Greise sich kaum noch, wie einer Fabel erinnern.
Plötzlich drängte sich Elsbeth an seinen Weg und hielt in den aufgehobenen Händen ein Papier.
Der Herr hielt sein Pferd wieder an und winkte ihr näher.
»Was, will Sie?« sagte er.
»Hülfe und Gerechtigkeit, allergnädigster König!« erwiderte Elsbeth muthig.
»Wer ist Sie?« fragte der König im strengen Tone
»Eines Soldaten Tochter, Majestät.« Sie nannte ihren Namen.
»Wer hat Ihr denn was gethan?« sagte der König und blickte freundlich herunter.
»Es steht Alles hier geschrieben,« erwiderte Elsbeth und machte einen tiefen Knix, indem sie dem Monarchen ihre Bittschrift hinreichte.
»Gut,« erwiderte der hohe Herr, indem er diese einstecken wollte, ich werde es genau durchlesen.«
»Ach! Majestät,« rief Elsbeth bittend und faltete die Hände, wenn Sie es doch jetzt thäten, jetzt gleich.«
Die ernsten Züge des großen Königs ließen ein halb verstecktes Lächeln zu. Er wies auf den Haufen der Kinder und sagte:
»Ja, wenn die Jungens es mir erlauben, will ich's thun.«
Elsbeth stellte sich abwehrend dicht heran und rief:
»Kinder, ihr müßt jetzt ruhig sein, der König will es haben und ich befehle es euch!!!«
Damit trieb sie die Knaben zurück, schlug einigen derb auf die Finger und der König sah lächelnd herunter und sprach:
»Sie ist ein guter Alliirter, so wird's gehen.«
Er durchflog den Brief, aber nach einigen Augenblicken wurde er sehr ernst. Seine blauen Augen waren voll Zorn, der auch in seiner Stimme lag.
»Ihr soll Recht werden,« sagte er, »ich will die Sache untersuchen; hat Sie aber gelogen und will Leute von Distinction verleumden, so marschirt Sie in's Spinnhaus.«
»Ich habe nicht gelogen, gnädigster König,«. sagte Elsbeth mit dem Stolz eines guten Gewissens; »ich fürchte mich nicht.«
Der König sah sie mit seinem eigenthümlich scharfen Blicke an.
»Gut für Sie,« sagte er; »geh' Sie jetzt nach Hause und schweige Sie still bis morgen.«
So ritt der hohe Herr fort mit seiner Escorte, welche sogleich das alte Spiel begann. Elsbeth aber war so voll Freude, daß die hellen Thränen ohne Halt aus ihren Augen stürzten. Viele Menschen hatten sich gesammelt und fragten neugierig, was sie denn hätte, der König sei ja bitterböse, und wenn sie klug wäre, sollte sie ja nicht bis morgen warten, sondern so weit laufen, als sie immer könnte. Sie riß sich aber los, eilte durch die Straßen und erreichte ihre Wohnung, eben als Grabow eintreten wollte.
Eine sonderbare Umwandlung war in ihr vorgegangen. So lange sie, nach verständiger Leute Ansicht, den hämischen Alten verabscheuen und hassen sollte, hatte sie ihn verlacht; jetzt, wo die Erlösung ihr nahe war, verabscheute sie ihn so sehr, und eine schreckliche Furcht schlich so lähmend durch ihre Glieder, daß sie sich an der Thür festhalten mußte und ihr Körper wie vom Fieber zitterte.
Grabow hatte ihre Hand gefaßt und sah ihr prüfend ins Gesicht. Er kannte die Menschen, und wußte, was in ihr vorging, als sie mit gewaltsamer Hast sich frei zu machen suchte.
»Was ist denn das?« sagte er. »Ist die Liebe meiner schönen Elsbeth schon so groß, geworden, daß sie sich mit mir necken und böse thun will? Warte, Du loser Schelm, ich soll nun auch wol um so zärtlicher sein, das willst Du.«
Er sah dabei so boshaft aus, wie ein Affe, und Elsbeth schauderte vor Entsetzen, daß dies alte, böse Geschöpf, das ihr recht eigentlich wie ein Teufel vorkam, sie auch elend machen könne, wie ihren Vater. Im nächsten Augenblick kehrte jedoch ihr Muth zurück. Sie sah ein, daß sie nichts verderben dürfe, denn nun galt es, den Listigen zu überlisten.
»Wie,« sagte sie in ihrer gewohnten Weise, »habt Ihr noch immer den tollen Gedanken, mich zu heirathen, alter Lieutenant?«
»Mehr als je, mein süßes Herz;« versetzte Grabow. »Sind wir nicht verlobt?«
»Und »
»Nicht im Geringsten;« erwiderte er.
»Gut, wir werden sehen, ich lache über Euch mit jedem Augenblicke mehr.«
»Und ich,« sagte Grabow, »werde lachen, wenn Ihr aufgehört habt, mein Püppchen.«
»Ihr habt den armen Eberhard den Soldaten verkauft. Wollt Ihr ihn frei machen?«
»Was geht mich der Bengel an? aber wenn auch, ich machte ihn gewiß nicht frei.«
»Gewiß nicht?«
»Ganz gewiß nicht. Laßt ihn pfeifen, den Musikanten. Dort ist er an seinem Platze. Komm, Elsbeth, Du blondes Närrchen, mach' keine bösen Augen, komm herein und in meinen Arm.«
»Nein,« sagte: sie entschlossen. »Thut mir einen andern Gefallen.«
»Jeden, wenn ich kann.«
»Befreit mich heut von Eurer Gegenwart, mein schöner Bräutigam!«
»Und morgen,« sagte er spottend, »was bekomme ich morgen?«
»Wenn morgen so ist, wie heut,« erwiderte sie ernsthaft, »so nehmt mich hin auf immer. Dann sollt Ihr keine Klage mehr hören, keinen Widerstand finden, nicht einmal lachen will ich. Ich will Eure Magd dann sein, schleppt mich zum Altar und wohin Ihr wollt.«
Grabow schwieg einen Augenblick und dachte nach, was sie vorhaben könnte. Er ahnte irgend eine Tücke, aber er wußte sie nicht zu finden.
»Gut,« sagte er langsam überlegend, »der Henker weiß, welche neue Schelmerei unter den blonden Flechten steckt, aber es mag darum sein. Morgen also, und dann keine Possen mehr.«
Elsbeth nickte ihm zu, sprechen konnte sie nicht. Grabow musterte sie nochmals, dann schüttelte er den Kopf, drohte mit dem Finger und drehte sich kurz um.
»Halte Wort,« sagte er, »ich werde das meine halten.«
Das starke Mädchen war so voller Bangen, daß sie den Schweiß von der Stirn strich und erst nach einem Weilchen die Treppe hinaufsteigen konnte. Die Mutter saß am Fenster und las eifrig in einem alten Gebetbuche. Man sah ihr auch die innere Angst und die Reue an, welche über sie gekommen war. Sie fragte nicht, wo Elsbeth herkomme; von dem Buche sah sie schnell auf, legte es verwirrt bei Seite und wischte heimlich die Augen. So ging es den ganzen Tag fort.
Oft sah Margarethe ihre Tochter betrübt an und wollte mit ihr sprechen; aber Elsbeth vermied es. Sie zwang sich dazu, so heiter als möglich zu sein, allein die krampfhafte Luftigkeit wollte doch nicht ausreichen. Dann fiel sie wieder in langes, banges Sinnen, wie es werden würde, was der König thun werde; gütiger Himmel! ob nicht etwa das Kind den Vater verrathen und dem peinlichen Gericht überliefert hätte! Wenn draußen Geräusch war und es klopfte an der Thür, so glaubte sie schon, die Schergen seien da; aber es waren ganz gewöhnliche Besuche, und je länger die Ruhe währte, desto hoffnungsvoller wurde Elsbeth. Der hohe Herr hatte ihr ja Recht und Schutz versprochen, sie hatte ihm Alles vertraut und Gottes Stimme in ihrem Herzen hatte ihn ihr als den einzigen Helfer und Schirmherrn genannt. Da wurde es Friede in ihr und Freude. Sie ging zu dem blassen, abgehärmten Vater, küßte sein graues Haar und flüsterte ihm mit prophetischer Ueberzeugung zu, daß nun alles gut werden würde.
Die ganze Nacht lag sie ohne Schlaf; das Blut strömte durch die jungen Adern, als wollte sie es zersprengen; vor den offenen Augen trieben die Phantome bald ein lustiges, bald ein so arges Spiel, daß sie laut weinte. Der König jagte sie mit dem fürchterlichen Krückstock fort, und draußen standen rohe Menschen, die sie anpackten und ins Spinnhaus führten. An ihrem Vater rasselten Ketten, er sagte:
»Das hat mir mein einziges Kind gethan, die bringt mich in den schrecklichen Tod, und ihre Mutter wird in den Straßen betteln und im Jammer sterben.«.
Grabow aber starrte sie boshaft an. Sein Kopf mit der schrecklichen rothen Nase wurde immer häßlicher und größer; er kam immer näher und die kleinen Augen funkelten wie glühende Kohlen darin, bis sie um Erbarmen laut aufschrie. Da war der Spuk vorbei.
Nun kehrte sich alles um und wurde freudig. Eine junge, blühende Gestalt trieb den häßlichen Kopf zurück. Elsbeth glaubte, es sei ein Engel, aber wie sie vor ihm niedersinken wollte, erkannte sie ihn. Es war Eberhard, der sie fest umarmt hielt, und der große König, kam auf seinem hohen Pferde freundlich geritten und nickte ihnen zu. Da verschwanden alle Schergen und Ketten.
In dem Augenblicke wachte sie auf. Sie wußte nicht recht, war es das Rauschen und Klirren ihrer Flucht vor den Ketten im Traume, oder pochte es draußen in Wahrheit. Der erste Dämmerschein fiel in ihre Kammer. Es klopfte heftiger und eine barsche Stimme rief nach dem Kanzellisten; da sprang Elsbeth aus dem Bett. Sie warf mit fieberhafter Eile die Kleider über, dann rief sie:
»Der Helfer kommt, das ist die rechte Stunde!«
Und nun eilte sie hinaus nach der Thür, gerade als Vater und Mutter auch bestürzt herauskamen und ängstlich fragten, was es gebe?
Das flinke Mädchen hatte aber schon geöffnet, und herein trat ein baumlanger Mensch in glänzender Uniform. Es war ein Kammerhusar des Königs.
»Ist Er der Kanzellist Spangenberg?« fragte der blanke, stolze Königsdiener.
»Der bin ich,« sagte dieser demüthig.
»So zieh Er sich rasch an, und Frau und Tochter auch. Ihr müßt alle mit.«
»Wohin denn?« rief der Kanzellist bestürzt.
»Zum König ins Schloß. Ohne Umstände, vorwärts!«
Der Kanzellist sah wie ein Gespenst aus.
»Zum König!« stammelte er und faltete die Hände.
»Ach, gnädigster Herr!« schrie Margarethe, »was haben wir armen Leute denn verbrochen!?«
»Verbrochen?« sagte der Kammerhusar. »Ja, wenn Ihr kein gutes Gewissen habt, wird's Euch schlecht gehen; aber sonst ist gerade kein Verbrechen nöthig, um zum König gerufen zu werden.«
»Ach, wir armen Leute!« rief die Frau weinend, »nun sind wir verloren! Ich bin aber an Allem schuld, die Beiden hier wissen gar nichts davon. Ich habe den Kaffee heimlich gebrannt, und wenn der König uns bestrafen will –«
Hier schlug der Kammerhusar ein dröhnendes Gelächter auf.
»Ihr albernes Weib,« sagte er, »denkt Ihr denn, der König wird sich um solche Lappalien bekümmern? Solch armes Volk denkt immer gleich an Böses, wenn ein großer Herr es der Ehre würdigt, mit ihm zu sprechen. Wer weiß, Frau, wie viel Gutes Euch heut noch geschieht.«
»Nun, wenn er nichts von dem Kaffee weiß,« rief Margarethe beherzt, »so mag es kommen, wie es will.«
»Ja, mag es kommen, wie es will,« murmelte der Kanzellist. »Mag er mich richten lassen, es ist besser so.«
»Muthig, Vater!« sagte Elsbeth, »dem großen König wollen wir vertrauen. Er ist gerecht und gütig; Du hast ja für ihn und seinen Thron gekämpft, manches Jahr, das wird er auch bedenken und ein gnädiger Richter sein.«
Der Kanzellist ergriff diesen Gedanken mit wunderbarer Kraft. Er zog sich eilig an, trieb sein Weib an und war in kurzer Zeit fertig. Unten stand ein Wagen, in welchen sie Alle stiegen, und ehe sie es dachten, waren sie im Schlosse.
Der Kammerhusar ging voran, die breite Steintreppe hinauf; schweigend folgte die bange Familie durch die Schildwachen und durch ein Gemach, wo Pagen, Adjutanten, gepuderte Herren mit Papieren in den Händen und Andere in blitzenden Kleidern umherstanden und leise sprachen. Die Herren sahen die Ankömmlinge neugierig an und Margarethe hätte gern jedem einen Knix gemacht, womit sie so eben begann, als sie bemerkte, daß es weiter ging.
Sie wurden nun in ein zweites großes Zimmer geführt, und hier waren nur wenige sehr ernsthafte alte Männer; geradeaus aber standen die Flügelthüren geöffnet, dort ging es in ein kleineres Gemach, aus welchem eine laute, scharfe Stimme erscholl, und ein kleiner Herr, der im Anziehen begriffen schien, ging hin und her dabei und sprach mit einem andern, welcher ehrerbietig vor ihm stand. Auf einem Schreibpult, dessen weißer Atlasüberzug mit vielen Tintenflecken überstreut und zur Hälfte mit Papieren bedeckt war, brannten vier Wachskerzen auf silbernen Doppelleuchtern und bezeugten die frühe Thätigkeit des gewaltigen Geistes, der sich berufen fühlte, nicht allein seinem Volke ein Selbstherrscher, sondern der Schutzherr Europas zu sein.
Und dieser große Monarch, zu dem die Welt mit Ehrfurcht und Bewunderung aufblickte, ging hier ganz unscheinbar auf und nieder. Er hatte sein Morgenkleid abgelegt und war in Hemdärmeln, aber er trug die berühmten rothfuchsigen, hohen Stiefeln, welche niemals geglänzt oder geschmiert werden durften. Seine weiten Unterkleider von schwarzem Sammet waren keineswegs neu, und die silberbroschirte weiße Atlasweste nebst der faltigen Hemdkrause zeigten zahlreiche gelbe Flecke vom Gebrauch des Spaniol.
Während er umherging und sprach, goß ein Kammerdiener Wasser auf ein Tuch, das der König in der Hand hielt und mit demselben sich dann Gesicht und Hände überstrich. Dann und wann warf er den Blick durch die Flügelthüren in das große Gemach; seine hellen blauen Augen hatten ihr durchdringendes Feuer auch im hohen Alter behalten, und obwol sein Körper im ersten Augenblick gebrechlich erschien, so sah man doch bald, daß er noch Lebenskraft genug besaß, die der Geist dieses großen Mannes ihm in höherer Potenz mittheilte, als der ursprüngliche Organismus ahnen ließ.
Die Blicke der armen bestürzten Familie waren ängstlich auf alle diese fremden Gestaltungen eines ihnen gänzlich unbekannten Lebens gerichtet. Elsbeth allein dachte etwas ruhiger und weiter. Ihr Auge hing mit Bewunderung an dem mächtigen Herrscher; sie suchte seine Größe, welche ihr durch so viele Thaten und Sagen, freilich nur unvollkommen, bekannt war, mit seiner Erscheinung in ihrer kindlichen Weise zu vermitteln.
Der königliche Greis, mit seinen Eigenthümlichkeiten als Mensch, kam ihr um so erhabener vor, mitten unter den großen, gliederstarken, geputzten Leuten. Sie hatte eine bewußte Ahnung davon, wie ein Wink dieser kleinen, schwachen Finger Glück oder Leid über viele Tausende bringen konnte, und wie diese Gott gleiche Macht, von allen Leidenschaften getrennt, ein Strom von Segen werden müsse. Das durchzuckte die Gedanken des verständigen Mädchens so stark, daß sie fast sich und ihr Schicksal auf einen Augenblick dabei vergaß.
Die Gestalt des Monarchen wuchs riesengroß über alle die hohen Diener, sein altes weißes Haupt mit den leuchtenden Augen war so wunderbar gewaltig anzuschauen, daß sie die ihren wegwenden mußte, und kaum unterdrückte sie einen leisen Schrei, als sie an der andern Seite der Thür, wo sie selbst stand, den Eberhard sah, wie er leibte und lebte.
Der junge Mensch trug zwar einen Soldatenrock, aber er sah munter und gefaßt aus. Er lächelte ihr zu, legte die Finger auf den Mund, winkte ihr, als sie ihm näher treten wollte, und stand dann wieder steif, wie eine Kerze. Unter dem Arm hatte er ein Kästchen und in der andern Hand eine Rolle Papier, auf welche beide Gegenstände er verstohlen deutete, ohne daß Elsbeth recht verstehen konnte, was er eigentlich meine. Nun aber glühte und jubelte der Gedanke in ihrer Brust, daß Alles sich zum Guten wenden werde und müsse.
Da war der Eberhard ja, der dem König den Weg gezeigt, mit dem er freundlich gesprochen hatte. Sie hatte ja auch Alles in ihrer Bittschrift deutlich geschrieben, wie er fleißig und gescheidt sei, und der hohe Herr hatte sich seiner erbarmt, darum war er hier. Jetzt war alle Furcht verschwunden, die Liebe fachte den Muth an. Sie konnte die Zeit nicht erwarten, wo es losgehen würde mit dem Verhör, und horchte athemlos auf die helle Stimme im Cabinet.
»Und somit, mein lieber Cabinetsminister von Zedlitz,« sagte der König, »müßt Ihr vor allen Dingen dafür sorgen, gute Schulmeister zu erziehen. So lange die schlecht sind, helfen alle meine Edicte nichts. Die Menschen müssen in der Welt zum Guten getrieben werden, von selbst thun sie nichts, ihr Urprinzip ist die Trägheit. Wahre Aufklärung und Besserung, wenn sie irgend kommen kann, kommt aber durch Zerstörung der Vorurtheile. Man muß die Geister frei machen und zum Lichte der Wissenschaften führen. Latein sollen sie in allen Schulen lernen, das gibt Anschauungen und Vergleiche. Das Alterthum war viel toleranter, und in Manchem weiter, als wir. Logik soll auch getrieben werden, da lernen sie reden und ordnen ihr Denken. Es ist ein Unglück, daß es in den meisten Gehirnen so wüst aussieht, daß die Menschen sich keine Rechenschaft von ihrem Treiben geben können. Aber kurze Lehrbücher, kein Wust, der Auszug von Christian Wolf's Werken.«
Der Minister machte hier eine leise Bemerkung, wahrscheinlich, daß es an Lehrern der Philosophie ganz besonders fehle.
»Das ist Eure Sache!« rief der König lebhaft; »dafür seid Ihr Minister. Und darauf soll ganz besonders geachtet werden, daß nicht etwa die Theologen in die Philosophie pfuschen. Wenn die Theologen der Menschheit darin Lehrer sein wollen, so ist das gerade so, als wollte ein Advocat meinen Offizieren in den Kriegswissenschaften Unterricht geben.«
Dann ging er auf und nieder und stand wieder still.
»Besser machen, mein lieber Zedlitz,« sagte er und seine strengen Züge nahmen einen Ausdruck der Verachtung an, »werden wir die Menschen freilich wol mit aller unserer Weisheit nicht. Narren und Thoren werden sie sein, und stehlen, betrügen und lügen, so lange die Welt steht, aber die Aufklärung kann es doch vielleicht einmal dahin bringen, daß sie sich nicht morden und wie wilde Bestien zerfleischen.«
In diesem Augenblicke schien der König, sich auf etwas zu besinnen. Er ließ sich einen großen blauen Rock reichen, auf welchem der Stern des Adlerordens befestigt war, faßte ein Papier, das auf seinem Schreibtische lag und trat bis an die Schwelle des Vorzimmers.
Von hier aus sah er die Wartenden an. Frau Margarethe machte einen Knix bis an die Erde, der Kanzellist war mehr todt wie lebendig, Eberhard stellte sich noch gerader, Elsbeth aber schien Alles vergessen zu haben. Sie sah mit hoffender Begeisterung den König an, als wollte sie sagen: Da bin ich, ohne Furcht!
So blieb es wol eine Minute, dann sagte der König:
»Er ist der Kanzellist Spangenberg, der vormals Sergeant unter meinen Truppen war?«
»Ja, mein allergnädigster König,« erwiderte der Kanzellist zitternd.
»Wo hat er seinen Fuß gelassen?«
»Bei Freiberg, Majestät!«
»Er hat nach der Torgauer Schlacht eine Regimentskasse plündern helfen?«
Der Kanzellist wankte vor Schreck, aber mit dem Muth der Verzweiflung sagte er:
»Es ist leider wahr, Majestät. Ich habe zweihundert Stück Dukaten davon bekommen; nichts angezeigt, nichts wiedergegeben.«
»Da wäre Er ein rechter Esel gewesen!« rief der König und ein seltsames Lächeln lief durch seine Züge.
»Ach! Majestät,« stammelte der blasse Kanzellist, die Hände faltend, »ich bin noch ein weit fürchterlicherer Sünder und Verbrecher.«
Der König wendete sich, ohne auf diese Beichte einzugehen, von ihm ab und zu dem jungen Soldaten.
»Aha,« sagte er mit jenem Ausdruck gewinnender Güte, der unwiderstehlich die Herzen bezauberte, »Du bist es. Du hast mir einmal den richtigen Weg gezeigt, nun wird sich die Sache umkehren.«
Er that einige Fragen über Eberhard's Herkommen und Verhältnisse, dann sagte er:
»Kannst Du vom Blatte blasen?«
»Ja, Majestät!«
Der König deutete auf ein Notenpult in der Ecke.
»Dort liegt etwas,« sagte er, »versuche Deine Kunst.«
Mit klopfendem Herzen nahm der junge Mensch die Flöte; seine Finger zitterten, wie sein Herz; da sah er Elsbeth an, sie lächelte ihm zu; er wußte wohl, daß es entscheidend sei, was er thäte, und muthig schlug er die verhängnißvollen Blätter auf. Es war eins der zahlreichen Flötenconcerte von Quanz, welche dieser für den König allein schrieb und die niemals vervielfältigt wurden. Eberhard begann stockend, bald wurden seine Töne rein und bestimmt; die für jene Zeit äußerst schwierigen Passagen rundeten sich leicht, voll und graziös; nur ein paar Male kämpfte er mit den Hindernissen und mitten in einem solchen winkte ihm der König, aufzuhören.
Der arme Eberhard. Er suchte in dem undurchdringlichen Gesicht des Monarchen, ob alle seine Fehler entdeckt seien. Thränen füllten seine Augen und leise stockend sagte er: »Es ist auch gar zu schwer für das erste Mal.«
Der König schien aber gar nicht darauf zu achten. Er kehrte ihm den Rücken zu und sagte zu dem Pagen an der Thür:
»Die beiden Offiziere sollen hereinkommen.«
Der hohe Herr blieb in der Mitte des Zimmers stehen, und als Elsbeth dem scharfen Blicke folgte, den er auf den Eingang richtete, sah sie mit Freude und Schrecken zugleich den Lieutenant Grabow und seinen Freund, den Capitain, hereintreten.
»Näher!« sagte der König und deutete vor sich hin auf den Boden.
Grabow war sichtlich in großer Bestürzung. Der König musterte ihn einen Augenblick, dann sprach er zu dem Capitain:
»Er war vorgestern bei der Verlobung seines Freundes da, und dann hat er mit ihm bis in die Nacht hinein getrunken. Dabei ist die Rede gewesen von einem großen Verbrechen, das der Mann dort nach der Schlacht bei Torgau an seinem Capitain verübt haben soll. Es ist aber Lug und Trug, ich weiß es, und befehle Ihm hier, laut zu sagen, was er Ihm anvertraut hat.«
»Majestät,« erwiderte der Capitain, der nicht minder verwirrt und erschrocken war, als Grabow, »der Lieutenant sagte mir nur, der Hauptmann sei längst todt und steif gewesen, als der Sergeant. mit dem Bajonnet nach ihm gestochen habe. Er habe es ihm aber nicht gesagt, um ihn für seine That durch die Angst zu bestrafen.«
»Um ihn in alten Tagen um seine Tochter zu betrügen!« rief der König mit scharfer Stimme. Hier ließ er sein Auge mit so drohendem Ernst auf dem Sünder ruhen, daß dieser erbebte.
Der König wandte sich um und sprach zu Eberhard:
»Er hat gute Anlagen zum Musiker, aber als Soldat kann ich ihn nicht brauchen. Mach' Er, daß er die Uniform vom Leibe zieht und geh' er dann zu Benda Franz Benda (1709-1786), böhmischer Violinist, Komponist und Kapellmeister; 1771 wurde er in Berlin als Konzertmeister ernannt. Nach dem Tod von Quantz, dem deutschen Flötisten, Flötenbauer, Komponisten und Flötenlehrer Friedrichs des Großen, wurde er 1773 dessen Nachfolger als erster Berater des Königs in musikalischen Angelegenheiten. Beide Posten hatte Benda bis zu seinem Tod inne.. Sag' Er, ich schickte Ihn und glaubte, Er könnte bei der Capelle gebraucht werden.«
Und nun kehrte der Monarch sich wie: der zu Grabow und hob die Hand drohend auf:
»Hör' Er mich an!« sprach er mit seiner lauten, hellen Stimme. »Was Anno 1760 vorgefallen ist, will ich nicht weiter untersuchen; aber das Mädchen hier wird Er nicht heirathen, die kann einen Menschen nicht gebrauchen, wie Ihn. Er hat sich aber mit ihr verlobt, also muß Er ihr Abstandsgeld geben. Er zahlt Ihr zehntausend Thaler mit den Zinsen von 1760 an. Er merkt wohl, was ich sage. Ich werde Leute mitschicken, die das Geld an sich nehmen, dann kann Er gehen. Mein Offizier ist Er nicht mehr, und Pension bekommt Er keinen Pfennig weiter. Wenn Er ein Gut in Preußen geerbt hat, so kann Er sich dahin scheren, da kann Er sterben.«
Bei diesen Worten wies der König nach der Thür, zugleich drehte er sich um, ging in sein Cabinet und ließ die Theilnehmer dieser Scene voll Jubel, Dank, Bestürzung und wüthendem Zorn zurück.
Der Kanzellist wußte gar nicht, wie ihm geschehen war. Eine ungeheure Last von Gewissensangst und Kummer war von seiner Brust gefallen. Ganz starr sah er dem König nach, dann faltete er die Hände, seine Augen, aus welchen die Thränen unaufhaltsam brachen, leuchteten doch vor Entzücken. Er umarmte Margarethen, Elsbeth und Eberhard, der diese so fest hielt, als könnte der grimmige alte Mensch in der Ecke dort ihr doch noch ein Leid anthun, und sagte dann, den Ort vergessend, wo er war, ganz laut:
»Gott vergeb's dem Schelm, der mich um so viele schöne Jahre meines Lebens betrog, Glück und Seligkeit und mein einziges Kind dazu forderte. Es mag wol auch eine Himmelsstrafe gewesen sein; aber könnt ich nur einmal noch meinen großen König sehen und ihm auf den Knieen für seine Gnade und Hülfe danken.«
»Wart' Er nur, Herr Vetter,« flüsterte Eberhard;»wenn ich erst in der Capelle bin, da gibt es wol Gelegenheit, den lieben Herrn zu sehen und ihm zu danken. Und daß Er's weiß, Herr Vetter, die Elsbeth laß ich nicht, die ist mein, die hat der König mir auch gegeben. Das sah ich in seinen hellen Augen, wie er mich ansah, und dann meine herzliebe Muhme.«
Der Kanzellist nickte ihm ganz selig zu, er drückte seine Hände, und wahrscheinlich hätte das königliche Vorzimmer eine förmliche Versprechung erlebt, wenn der lange Kammerhusar nicht der Sache ein Ende gemacht hätte.
Er sagte den entzückten Leuten ganz ohne Umstände, sie möchten jetzt machen, daß sie fortkämen, hier gebe es mehr zu thun, und dabei machte er die Thür weit auf, ein Zeichen, das sie ganz richtig deuteten und rasch durch eine lange Reihe reich decorirter Herren davongingen.
Grabow hatte kein Wort gesprochen, er wußte, daß es unnütz war, und faßte seine Entschlüsse ganz in der Stille. Als er hinausging, wies der große Mensch auf zwei wartende Personen, die eine war ein Offizier, die andere ein Regimentsauditeur.
»Diese beiden Herren,« sagte er, »werden Sie begleiten und das Geld in Empfang nehmen.«
»Ich hoffe,« sagte der Auditeur, »Sie machen keine Umstände, Herr Lieutenant, denn nöthigenfalls sind wir beauftragt, mit Gewalt zu nehmen, was wir finden, Sie selbst aber in sicheren Gewahrsam zu bringen.«
»Ist nicht im Geringsten nöthig,« sagte Grabow sehr freundlich.
Sie gingen in seine Wohnung, ohne Zögerung öffnete er das alte Pult und holte aus allen Kästen das nöthige Geld hervor, dessen Zinsen der Auditeur pünktlich berechnete und ihn dann eine Quittung darüber ausstellte, worauf sie sich ganz höflich empfahlen.
Als sie fort waren ging er lange ingrimmig umher.
»Welche Gesetze,« sagte er endlich zornig, »regieren denn die Welt, wenn langjährige Klugheit und die beste Berechnung von solchen Tölpeln überlistet werden können? Welcher Satan hat mich verrathen? Wie heißt der schlaue, unbekannte Feind, der eines Königs Allmacht auf mich hetzte!? Sollte es Elsbeth sein, dies unbesonnene, unwissende, alberne Geschöpf!?«
Er ging heftiger umher.
»Die Geschichte ist aus!« rief er; »ich bin der Betrogene, und kann und werde mich nicht beklagen! Ich könnte allen diesen Dummköpfen mit dem kältesten Blute den Hals umdrehen, aber ich werde mich hüten, auch nur den Finger auszustrecken. Meine Kasten sind leer, was ich viele Jahre sorgsam bewachte, ist nun ihr ohne Mühe; ich habe es für sie gestohlen und gespart, ihren Vater für sie in jener blutigen Nacht zur raschen That getrieben. Welche seltsame Verwickelung! Wie nun, alter Grabow, wenn alles so gefügt wäre, wenn alles so kommen mußte!? Welche neue Narrheit!« rief er nach einer Minute voll Nachdenkens. »Mag das blonde junge Weib den pfeifenden Jungen heirathen, und alle Plagen einer glücklichen, gesegneten Ehe über sie kommen. Ich werde als ein kluger Mann sehen, was für mich unter diesen Umständen zu thun ist. Kann's die Elsbeth nicht sein, bleibt mir Frau Katharine, denn den kleinen Franzosen werf ich doch noch aus dem Sattel.«
Er überlegte sich das einen Augenblick, zog dann sein neues Verlobungskleid an, nahm Hut und Degen und stolperte die Treppe hinunter. Leise klopfte er an die Thür der Wittwe, und als beim zweiten Male nicht geöffnet wurde, riß er sie auf, denn er hörte sprechen darin. Aber welche Scene erblickte er. Der Controleur von der Regie lag auf den Knien vor der huldreichen Frau, die sich im malerischen Anschauen über ihn hinbeugte und Thränen der Rührung weinte.
Bei der unverhofften Störung sprang der Controleur wüthend auf, die zornige Wittwe war jedoch noch schneller als er. Wie ein Sturmwind flog sie auf den Lieutenant los und schrie mit ihrem gellenden Organe:
»Gut, daß Sie kommen, würdiger Herr Grabow; obgleich es eine Unverschämtheit ist, so mir nichts dir nichts in anderer Leute Zimmer zu treten; aber, wie gesagt, gut, daß Sie kommen, da habe ich gleich das Vergnügen, Ihnen hier meinen Bräutigam, den Herrn Obercontroleur Dubois, vorzustellen.«
Grabow verbeugte sich und sagte mit vieler frommer Salbung:
»Gratulire von Herzen! Ein würdigeres Paar konnte Gott niemals vereinen.«
Die Wittwe wurde aber dadurch noch wüthender, denn er schien sich gar nicht zu ärgern
»Und daß Sie es wissen, mein Herr!« schrie sie, »es wird mir lieb sein, wenn Sie recht bald mein Haus von Dero werther Gegenwart befreien.«
»Morgen, hochverehrte Frau!« versetzte Grabow ruhig. »Ich reise nach Preußen, wohin mich der König mit besonderen geheimen Aufträgen schickt, welche ich dort zu vollziehen denke. So kam ich um Abschied zu nehmen.«
Mit feierlicher Würdigkeit verbeugte er sich und sicherte dadurch wenigstens seinen letzten Tag in diesem Hause vor allem Spott. Frau Katharine war äußerst bestürzt. Als Abgesandter Sr. Majestät hatte Grabow sogar das Vergnügen, den Kummer und Aerger der Wittwe beobachten zu können und noch lange nachher erzählte diese oft seufzend, wenn sie gewollt hätte, könnte sie nun längst Generalin oder Gesandtin sein und eine andere Rolle spielen, als eben jetzt, wobei sie nicht verfehlte, die schlechte Zeit zu beklagen und ihrem Manne, dem schweigsamen Obercontroleur, ein Butterbrot weniger zu geben.
Grabow vollzog in der That die geheimen Aufträge des Königs sehr bald. Die Menschen meidend und gemieden von ihnen, starb er nach einiger Zeit, eben als er von seinem Freunde, dem Capitain, Nachricht erhalten hatte, Elsbeth habe richtig den Musikanten geheirathet, der in der Capelle angestellt sei.