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[Dritter Theil.]

Neffe und Nichte.


1.

An einem Gewitterabende, der einem sehr warmen Frühlingstage gefolgt war, schritten drei Personen in Eile über einen der großen Plätze Berlin's, wahrscheinlich um dem drohenden Regen zu entkommen. Ein stattlicher, ein wenig korpulenter Herr führte zwei schlanke Frauengestalten, deren helle Kleider und Strohhüte durch die Dunkelheit glänzten und dann und wann von dem phosphorischen Leuchten ganz überzittert wurden.

Da sind nun diese berühmten Eisenbahnen, sagte der Herr mit verächtlichem Grimme, das ist die Erfindung, mit welcher eine neue Zeit so entsetzlich prahlt: die Räume zusammenzurücken und statt der unsichern animalischen und aristokratischen Kräfte die gehorsamen demagogischen Geister heraufzubeschwören, die in den großen Reichen der starren Natur schlummern. Hörst Du, Aurelie, da schlägt es eben elf. Also länger als zwei Stunden von Potsdam gefahren. Es ist unerhört, ich werde einen Menschen, einen Schriftsteller, oder so etwas aufsuchen, der das in die Blätter bringen soll. Gütiger Gott, liebe Kinder, zieht mich nicht so gewaltig, fuhr er fort. Es regnet noch sehr lange nicht, und ich finde es ganz angenehm, langsam zu gehen.

Da ist er hinter uns! flüsterte die eine der Damen ängstlich.

Ein entsetzlich unverschämter Mensch! sagte die Andere, eben so leise, aber muthiger.

Es ist recht Schade, daß wir nicht Mondschein haben, fuhr der Herr fort. Der Baron Lanken hat mir gesagt, es gäbe nicht leicht einen großartigern Anblick, als diesen ungeheuren Platz voll Licht und schwerer Schatten zu sehen, wenn die stolzen Thürme und das Theater in der Mitte geisterhaft still und rein in den Himmel steigen. Der Baron ist freilich weit umhergewesen und einer von den geistreichen Vielwissern, die Alles ex profundo zu verstehen meinen; und so ein Stück Poet faselt sich leicht mancherlei vor. Wenn aber Mondschein wäre, konnte man auch die Gerüste betrachten an den Thürmen hier, die bis in die Spitze laufen; ein ganzer Wald steckt darin, der einmal grün und herrlich war und jetzt – aber Du zitterst ja, Aurelie, was gibt es denn?

Es kommt Jemand hinter uns her, ein Mann, sagte die junge Dame.

Der Herr wendete sich halb um und sagte lachend:

Nun, und was weiter?

Es ist derselbe Mensch, flüsterte Aurelie hastig, der mit uns auf der Pfaueninsel war.

Der uns überall durch die Gärten verfolgte.

Der sich unterstand uns anzureden.

Dessen Unbesonnenheit Sie so ärgerte.

Von dem die Eisenbahn uns erlöste, weil er kein Billet erhalten konnte und zurückbleiben mußte.

Der aber doch nachgekommen ist, sagte Liane.

Der Herr warf einen zornigen Blick auf den Menschen, welcher mit leisen, langsamen Schritten ihnen näher kam. Eben zuckte es hell vom Himmel nieder, und der Fremde ging dicht an dem Leichensteine hin, der, in der Mauer aufgerichtet, anzeigt, daß hier der weiland Bürger und Brauherr, Johann Christoph Süßmilch, der Auferstehung harre. Da der trotzige, dicke Herr stillstand und ihn starr betrachtete, schien er auf einen Augenblick auch zu stehen und fragend sich hinzubeugen. Dicht eingewickelt in einen dunklen Mantelkragen, und den Hut tief in die Augen gedrückt, konnte man ihn in der Geisterstunde leicht selbst für den verstorbenen Brauherrn halten, der seine Runde gemacht hat und so eben in sein Steingewölbe verschwinden will. Aber sein zorniger Gegner ließ ihm keine Zeit dazu.

Er trat zu ihm hin und sagte mit dem gemessensten Stolze:

Ich habe Ihnen heut schon mehrmals zu verstehen gegeben, junger Mann, daß Ihre Zudringlichkeit uns lästig ist. Wer gibt Ihnen das Recht, uns auch hier zu folgen? Ich bin dieser Anmaßung müde, wie dandyhaft sie auch sein mag; darum hüten Sie sich vor der ernstesten Abweisung, die unmittelbar erfolgen dürfte, wenn Sie sich nicht augenblicklich davonmachen.

Was soll das heißen, mein Herr? fragte der lange, schmale Fremde.

Es soll so viel heißen, erwiderte der dicke Mann noch zorniger, daß, wenn die Verbalermahnungen nicht anschlagen, ich gar nicht abgeneigt bin, einige Realerläuterungen hinzuzufügen.

Der Fremde trat mit stolzer Heftigkeit einen Schritt zurück und richtete seinen Kopf herausfordernd empor.

Mein Himmel! er ist es nicht, rief Aurelie.

Nein, er ist es nicht, sagte Liane fast lachend, und der dicke Herr stand, wie erstarrt, und sah seinen Gegner an, den ein erneuter Blitz hell überglänzte.

Ich darf erwarten, daß Ihr Irrthum Ihnen jetzt einleuchtet, sagte der Fremde mit seiner tiefen melodischen Stimme.

Er zog den Hut ein wenig vor den Damen und wollte weiter gehen.

Halt, mein Herr, einen Augenblick Geduld, rief der Ueberraschte ihm nach. Sie sollen nicht von uns scheiden, ohne unsere Entschuldigungen zu hören. Ich bin der General-Landschaftsrath von Wüstenberg, diese Damen sind meine Verwandtinnen und Mündel, ich bitte im Namen ihrer und meiner um Verzeihung für Alles.

Der Fremde verbeugte sich und sagte einige verbindliche Worte über die seltsame Weise, in welcher häufig ein erstes Begegnen erfolgt, dessen Rauheit später um so mehr den Weg zu ebnen pflegt, und Herr von Wüstenberg war über die feine, leichte Wendung und Fortschaffung des Peinlichen so erfreut, daß er inständig um die Ehre eines Besuches am nächsten Morgen bat, zum Beweise, daß er volle Vergeltung erhalten habe.

Der junge Mann begleitete die kleine Gesellschaft nun die wenigen Schritte, bis zu dem nahegelegenen Hotel, und empfahl sich an der Thür desselben. Der helle Lampenschein fiel hier auf sein Gesicht, und auch er richtete den flüchtig prüfenden Blick auf die noch immer verlegenen Damen. Man schien von allen Seiten nicht unzufrieden zu sein. Die beiden jungen, von braunen Locken umwallten Köpfchen waren zierlich und von freundlicher Schönheit, das etwas blasse, ernste Gesicht des Fremden aber hatte den vollen Adel männlicher Würde, sein hoher Körper eine stolze Haltung und seine großen dunkeln Augen einen seelenvollen fast schwermüthigen Blick.

Als er fort war, sagte der Landschaftsrath:

Ich hätte auch fragen können, wer er sei, aber ich habe gar nicht daran gedacht. Ihr bösen Kinder spielt mir da einen schönen Streich. Nun hinauf mit Euch, und wartet mit Eurem übermüthigen Lachen bis morgen. Wenn unser Unbekannter vor Euch steht, dann vertheidigt Euch damit.

 

Der junge Mann ging indeß die Straße hinauf den Linden zu und trat bei einem der Restaurants ein. Das ganze Zimmer war leer, bis auf vier Herren, die an einem der Tische laut sprechend beim Weine saßen. Einer von ihnen grüßte den Ankommenden, der höflich dankte und in eins der kleinen Nebenzimmer ging.

Wer ist denn das? sagte ein Anderer.

Graf Gilgenström, flüsterte der Erste.

Der so lange im Orient war? sagte ein Dritter neugierig.

Der Erste nickte.

Ist er reich?

Nicht reich. Ein paar Tausend Thaler, ein altes Schloß und einige Güter voll Schulden.

Gewöhnliche Geschichte. Was zum Henker reist er unter solchen Umständen? Will er schreiben, wie der Verstorbene?

Der Erste lächelte etwas albern.

Der schreiben? Nein, ohne Zweifel. Er soll unsinnig gelehrt sein, aber ich hörte es gestern erst, wie er gegen die Schreibwuth so vieler modernen Edelleute sprach, und es eine Entwürdigung nach allen Seiten nannte.

Also, Ultra-Tory? sagte der Eine lachend.

Durch und durch, jeder Zoll sollte ich meinen, erwiderte der Andere. Ich begreife nicht, welches Wunder ihn hierher führte.

Gilgenström hatte indeß im Nebenzimmer Platz genommen. Er konnte die andern Herren betrachten und hören. Der Eine, den er kannte, war ein Mann mit einem klugen verlebten Gesicht, von dem man tausend wunderliche Geschichten erzählte. Es war einer von den Menschen, welche die Zeit immer an dem rechten Ohrzipfel fassen, und wie Titus ausrufen: Wieder einen unnützen Tag verlebt! wenn sie nicht irgend einen Vortheil für sich zu Stande brachten. Es war ein Gehirn mit unerschöpflichen Plänen, ein Glücksritter und Abenteurer, der in seinem wechselvollen Leben den Wahlspruch festgehalten: »Besser betrügen als zu den Betrogenen gehören!« Dabei hatte er als Mann von Welt und Geist einen, wenn auch etwas anrüchigen Ruf, aber jedesfalls ein untadliges Vermögen, aus Würfeln und Karten, Liebesintriguen, literarischen und politischen Speculationen, Eisenbahnactien und Darlehnschaften herausgebracht.

Ein Anderer, ihm gegenüber, war ein Engländer oder Irländer, den Gilgenström in Rom oder Neapel gesehen hatte; ein jüngerer Sohn, wie sie sich zuweilen bis in den Norden des Continents verirren, und dort mit ihren drei oder vierhundert Pfunden, außer den Handschuhen und dem Eau de Cologne, für welche ihre Apanage in London eben hinreichen würde, ein Wanderleben in den Schnellposten und an den Wirthshaustischen Europa's bezahlen, das jeden Augenblick von irgend einem Gähnkrampfe beendet zu werden scheint.

Kapitain Ramsden hatte es übrigens nie der Mühe werth gehalten, irgend eine andere Sprache zu lernen, als die ihm Gott und Natur bestimmt hatten. Er radebrechte zu Zeiten ein unerklärbares Etwas, das er für Französisch hielt, und ein anderes, von welchem er sich fest einbildete, daß es Deutsch sei; gewöhnlich aber schwieg er ganz und Gilgenström erinnerte sich, von ihm eine Geschichte gehört zu haben, daß er einst mit einem Franzosen von Wien nach Paris gereist sei, der am dritten Tage in Verzweiflung erklärte: entweder solle er aussteigen, oder Antwort geben, oder sich schießen. Der Kapitain wählte das letzte, verwundete seinen Gegner und setzte die Reise sehr gemächlich und schweigsam allein fort.

Der Dritte war ein Offizier, der Graf genannt wurde. Er hatte ein gutmüthiges Gesicht und ein Bärtchen darin, weiße schöne Zähne und einen Mund, der ganz dafür gemacht schien, von den niedlichen Tänzerinnen der Oper Geschichten zu erzählen, was er soeben that, und schonungslose Liebesabenteuer zum Besten gab.

Der Vierte und Letzte endlich war ein junger Mann, ganz nobel, ganz modern. Das Haar schwarz glänzend, ungeheuer lang, an den Seiten festgekämmt, der Bart à la jeune France, die Kleider zierlich fein, die Aermel mit den langen Manschetten fast bis an den Ellenbogen kurz, das. Gesicht keck, ausdrucksvoll, voll Leidenschaft und einer gewissen unnahbaren Selbstverherrlichung, mit einem Worte also einer jener jungen Könige des Lebens, die den Augen gefallen, und nicht glauben, daß es je anders sein könne; die für jede That Muth, für jedes hübsche Gesicht ein Herz voll Liebe, für jede Thorheit eine Anerkennung haben, die je größer, je bewunderter ist.

Dieser schöne Unwiderstehliche hatte vier Stühle zu seiner bequemen Niederlassung in Beschlag genommen. Auf dem einen saß er, der andere herbergte seine Füße, auf dem dritten ruhte sein rechter Arm und der vierte tanzte auf einem Beine, indem die Fingerspitzen seiner Linken die Lehne in eine kreisende Bewegung setzten.

Der militairische Graf faßte endlich, als er aufhörte, Geschichten zu erzählen, den Rock und die gamaschenartig endenden Pantalons dieses jungen Gentlemans an, stocherte sich in den Zähnen und sagte etwas unverständlich:

Wo läßt Du denn jetzt arbeiten, Walther?

Bei Jury. Er ist der Einzige, der Ideen hier hat, versetzte der Unwiderstehliche nachlässig.

Der speculative Herr lächelte und drückte die Augen zusammen.

Hat er auch die Idee, seine Rechnungen zu quittiren? sagte er doppelsinnig witzig.

Ich bleibe nie einem Schneider schuldig, erwiderte Walther mit einem Blick vornehmer Verachtung. Man wird vernachlässigt, mit Gleichgültigkeit behandelt. Dergleichen Leute wissen vortrefflich, was sie dürfen; ich leihe lieber und lasse mich schinden, ehe ich mich darin Preis gebe.

Höchst noble Grundsätze, sagte der pfiffige Herr.

Ja, und sehen Sie, fuhr Walther spöttisch fort, dennoch bin ich kein Edelmann.

Sie sind der Repräsentant der modernen Aristokratie des Geldes, sagte der Erste. Was helfen vergilbte Pergamente, wenn die goldnen Zügel fehlen, mit denen man die Welt lenkt.

Noch sechs Monate, murmelte der junge Mann zwischen den Zähnen. Die Zeit wird auch vergehen.

Dann sind Sie mündig? fragte Jener.

Ja, Gott sei Dank! mündig, Herr von Fahnenberg, und ich werde nicht mehr nöthig haben, für dreihundert Thaler Bänder, oder Hasenfelle, oder trockne Pomeranzen statt Geld anzunehmen, die dann irgend ein Helfershelfer des ersten Schurken, der mich betrügt, um die Hälfte wiederverkauft.

Der speculative Fahnenberg schlug ein lautes Gelächter auf, in welches die andern bis auf den Engländer einstimmten, der den Zusammenhang nicht recht begriff und ganz einfältig, gutmüthig sagte:

Pomeranzen, damn! verdammt schon sein, morgen wollen wir essen alle auf und lachen.

Der gibt Ihnen freilich den besten Rath, sagte Fahnenberg. Wie können Sie so ärgerliche Gesichter machen, Walther? Ein Mann, wie Sie, der ein großes Vermögen zu erwarten hat, der obenein einen reichen Oheim besitzt, dessen Erbe er sein muß, was schadet das, wenn er für ein paar hundert Thaler Hasenfelle und trockene Pomeranzen bekommt, die er mit einigem Verlust zu Gelde macht? In späterer Zeit bleibt das ein kostbares Andenken; auch ich weiß davon zu erzählen. Auch ich mußte einst in Paris für einige tausend Francs Eisenstangen nebst einigen hundert Centnern schlechten Salpeter kaufen und obenein weigerten sich die Hallunken, mir den Plunder anders, als um ein Spottgeld abzunehmen. Aber das Glück war mit mir. In acht Tagen hatten sich die Kriegsaussichten geändert; Salpeter und Eisen stiegen weit über den Preis hinaus, für welchen ich beides gekauft hatte, und so legte ich den Grund zu dem kleinen Vermögen, das ich jetzt besitze.

Bravo, Fahnenberg! rief der junge Erbe, und dreifach gesegnet, wenn dies Vermögen gerade jetzt hohe Fluth genug hat, um mir fünfhundert Thaler zuzuwerfen.

Warum sagten Sie das nicht vorgestern, nicht gestern noch, erwiderte Jener mit Eifer. Heut bin ich außer Stande zu dienen.

Es ist recht ärgerlich, rief Walther lachend, daß ich immer entweder zu früh oder zu spät an die Thür meiner besten Freunde poche. Nun so will ich denn in Gottes Namen wieder einige Pomeranzen oder Mauersteine von dem ehrlichen Bendix einhandeln.

Der Kerl betrügt Sie zu toll, sagte der Speculant, lassen Sie mich machen, ich will Ihnen einen Andern schicken, der mir selbst zuweilen hilft. Es ist allerdings auch ein Gurgelabschneider, aber doch ein ehrlicher Kerl, und nobel in seiner Weise. Nehmen Sie tausend Thaler auf sechs Monate, so wird er funfzehn hundert wiederhaben wollen und es für vierzehn hundert thun. Aber baares Geld und pünktlich und verschwiegen wie das Grab. Ich will Sie empfehlen, Alles einleiten und abmachen so billig als möglich.

So senden Sie mir den Schuft morgen früh, sagte Walther, und sein schönes stolzes Gesicht drückte neben dem gleichgültigen Leichtsinn auch eine tiefe Verachtung aus, die auf den Speculanten zu fallen schien. –

Gilgenström, der fast vergessen von der munteren Gesellschaft Alles sah, nahm von diesem Augenblick einen weit größeren Antheil an dem reichen Erben und hörte aufmerksam auf das Gespräch.

Es ist doch sonderbar, sagte der Graf lachend, daß auch so reiche Leute, wie Walther, in steten Geldverlegenheiten sein können. Was zum Henker! soll es nun mit mir werden? Meine Schulden bilden einen so kunstvollen fabelhaften Bau, wie ich mir ungefähr den berühmten Porzellanthurm in Pecking vorstelle, und mein angestrengtestes Studium unausgesetzt geht dahin, immer neue Mittel ausfindig zu machen, damit er nicht einstürze. Den colossalen Gedanken, mich aller dieser Blutsauger zu entledigen, habe ich dagegen längst aufgegeben. Gegenwärtig giebt es nur drei Wege zum Paradiese für ein armes junges Blut: entweder eine Erbschaft, oder ein Lottogewinn, oder eine reiche Frau.

Fügen Sie einen einflußreichen Schwiegervater hinzu, sagte Fahnenberg, der zuweilen mehr hilft, als alles leidige Geld.

Und als fünften Fall, einen Freund, rief Walther lachend, der sobald er selbst etwas hat, die Verlegenheiten seines Freundes beseitigt.

Vortrefflich gesprochen, sagte der Graf; aber wie dankbar ich auch bin, eine Erbschaft, ein Gewinn oder eine reiche junge liebenswürdige Frau wäre mir lieber.

Vielleicht eine der reizenden Feen, für welche Walther heut schwärmt, sagte der Engländer mühsam.

Für die er heute durch ganz Potsdam gelaufen ist, schrie Fahnenberg, gegen Hitze und Staub gleichgültig, liebenswürdig bis zur Todesverachtung, harthörig gegen Grobheit; als Cicerone bei den Affen und Bären der Pfaueninsel, als bon enfant, zitternd vor Neugier unter den schrecklichen Japanesen in Sanssouci, und in Bewunderung der architectonischen Schönheiten des neuen Palais so außer sich, daß er darüber die lebendigen Schönheiten fast vergaß.

Spottet nur, sagte Walther selbst lachend, Ihr habt sie nicht gesehen. Zwei himmlische Kinder, die ich wiederfinden will, trotz aller Landjunker der Welt.

Und wenn Sie sie gefunden haben, was dann? sagte Fahnenberg.

Nun dann sollen sie mir nicht zum zweiten Male entgehen. Ich las in den dunkelblauen Augen etwas, das mich kühn machen könnte, aber die feurig schelmischen waren mir nicht minder zugethan.

Und für welche entscheiden Sie sich? fragte der Graf.

Ich liebe sie bis jetzt ganz gleich, erwiderte Walther lachend, allein erst muß ich sie haben. O, Aurelie, o Liane! ihr Wunderkinder, ein Königreich, wer Euch entdeckt, ein Königreich, wer Euch in meine Arme führt!

Gilgenström hatte seine Collation beendigt und trat in diesem Augenblick wieder herein, den Hut in der Hand und zum Gehen bereit. –

Ueber jene jungen Damen, welche Sie so eifrig suchen, sagte er, vermag ich Ihnen einige Kenntniß zu geben. Es sind die Verwandtinnen des Freiherrn von Wüstenberg, der heut die Ehre Ihrer Bekanntschaft hatte.

Walther war überrascht von dieser plötzlichen unerwarteten Aufklärung.

Vielleicht ist es ein Irrthum, sagte er, nicht ohne eine Anwandlung von Verlegenheit, dennoch aber bin ich Ihnen sehr dankbar.

Es ist gewiß, erwiderte Gilgenström lächelnd, ich habe die bestimmteste Ueberzeugung. Wollen Sie mir aber morgen früh Ihren Besuch schenken, so bin ich sehr gern bereit, Sie Ihren Wünschen näher zu führen.

Eine solche Einladung ward mit der bereits willigsten, obwohl verwunderten Zusage angenommen, und Gilgenström entfernte sich höflich grüßend. Es lag ein so stolzer, Achtung gebietender Ernst in seinem Wesen, daß eine unwillkührliche Pause seinem Abgange folgte, in welcher sich die sonst so übermüthigen Zungen gleichsam von dem Erstaunen erholten.

Ja, es gibt Glückskinder, sagte Fahnenberg endlich, Leute, die anfangen mögen, was sie wollen, es wird zum Besten ausschlagen. Stellt solchen vom Himmel Auserwählten, wohin ihr mögt, nie fällt sein Butterbrot auf die geschmierte Seite, und spränge er auch von einem Thurm, er schlägt einen andern todt und geht vergnügt und wohl nach Haus. Dieser Mensch verfolgt einen ganzen Tag lang eine Familie, welche durchaus nichts von ihm hören will und sich ihm endlich entzieht, vielleicht gerade zur rechten Zeit, weil die Geduld des edlen Freiherrn bis zur Nagelprobe erschöpft war. Und nun kommt auf seinen Ruf ein düsterer Zauberer, der ihm nicht allein alle Kunde gibt, sondern unter dessen schützendem Mantel er auch weiter dringt und siegreich streitet. Dieser Gilgenström, schroff und kalt, ein Held des Anstandes und der Moral, bietet dem jungen Schwelger seinen Beistand und seine Freundschaft. Nun sage Einer, man soll an kein Wunder glauben!

Die lustigen Freunde sprachen und lachten noch viel über dies seltsame Abenteuer. Jeder von ihnen war äußerst neugierig den Verlauf zu erfahren; Jeder wollte die beiden Zauberinnen kennen lernen, welche Walthern bezaubert hatten, und dieser war der Einzige, welcher nach und nach immer ernster wurde, sichtlich gezwungen nur in den Scherz einstimmte, und endlich ganz gegen seine Sitte zuerst von Allen den Hut ergriff und sich entfernte.


2.

Am nächsten Morgen trat er zur bestimmten Stunde in die Wohnung des Grafen Gilgenström, zu welchem ihn Neugierde eben so wohl, wie ein ungewisser, er wußte selbst nicht recht, ob freundlicher oder feindlicher Trieb zog. Die stille, ernste Gestalt und die besonnene Ruhe dieses jungen Mannes, der plötzlich ganz von ungefähr sein Leben berührte, hatte einen eigenthümlichen Eindruck auf ihn gemacht. Was er von Gilgenström gehört hatte, mußte Hochachtung erwecken. Dieser schien wenig älter, als er selbst und hatte schon den Ruf eines gelehrten, ungewöhnlichen Menschen, der Jahre lang auf merkwürdigen Reisen Erfahrungen gesammelt, und weil er den Flachköpfen Gelegenheit zum Spott gab, einen um so tieferen Kern besitzen mußte.

Walther fühlte sich geschmeichelt, daß Gilgenström ihm mit so vieler Freundschaft entgegenkam, und doch war es ihm unheimlich, daß eben er ihm bei einer Jugendthorheit weiter helfen wollte, obgleich er sich das kaum denken konnte. Walther schwankte zwischen allerlei Vorstellungen und konnte darüber nicht einig werden, bis er an der Klingel zog, der Diener des Grafen ihn anmeldete und einen Augenblick später in das große Zimmer treten ließ.

Er war in der Wohnung eines Mannes von Stande und eines Gelehrten. Der Luxus schimmerte aus eleganten Mobilien, die Gelehrsamkeit aus mehreren großen Schränken voll Bücher, und beide Eigenschaften mischten sich auf eine etwas wirre, seltsame Weise auf Tischen und Stühlen. Hier lagen Wappen mit Kupfern und schöne naturhistorische Werke, dort aber eine Fülle von kleinen, zierlichen Kunstsachen, Gegenstände der auserwählten Toilette und manche theure und kostbare Spielereien.

Ein Schreibtisch stand geöffnet, und offenbar war der Eigenthümer wenige Augenblicke früher entflohen, denn noch lag die goldene Feder voll Tinte bei buntverziertem Papiere, und dieser ganze kostbare Schreibapparat, von Silber und Rococoarbeit schien weit eher einer Dame zu eignen, als einem aus dem Sande der Wüste zurückkehrenden Gelehrten. Walther hatte Zeit, darüber nachzusinnen, und überall dergleichen Widersprüche zu entdecken, die theils auf rüstige, schaffende Kraft, theils auf weichliche Ueppigkeit deuteten. Ein wenig sonderbar schien es ihm auch, daß statt des Divans mehre weiche Seidenpolster auf dem Boden lagen, vor denen eine köstliche Decke ausgebreitet war. Auf den runden Kissen, welche dies türkische Ruhebett schlossen, lagen Bücher und eine echt türkische Pfeife, der Schibuck von Rosenholz mit edlen Steinen und Perlen besetzt und mit der breiten Bernsteinspitze, lehnte darüber.

Walther lächelte über diese orientalische Bequemlichkeit, und eben als er versuchte, wie behaglich es einem Pascha sein möge, der mit allem Ernst und aller Würde des Asiaten in diese weichen Kissen geschmiegt, die blauen Ringe des köstlichen Dampfes verfolgend, seine schönen Sklavinnen vor sich tanzen sieht, trat Gilgenström herein. Verwundert blickte er auf seinen bequemen Gast, der nicht rasch genug sich erheben konnte, als der Graf schon an seiner Seite war und mit Mühe einen Unwillen zu bekämpfen schien, der um den lächelnden Mund zuckte.

Walther versuchte eine Entschuldigung, die Gilgenström ohne etwas zu erwidern anhörte und dann auf einen eleganten Lehnstuhl deutete, der am Fenster stand. Der Graf war völlig und mit Sorgfalt gekleidet, und ganz das Bild eines vornehmen Mannes, dessen geschliffene Höflichkeit und Kälte, dem verzogenen und verwilderten Jüngling gegenüber, vom schlagendsten Contraste war.

Walthers natürliche Dreistigkeit und das Selbstvertrauen, welche das Leben ihm gab, erstarrte vor dem Blicke dieses großen, klaren Auges, das bis in seine Seele zu dringen schien, während sein eigenes wie von einem Zauberschilde geblendet, abprallte. Er fühlte in seiner Brust vielleicht denselben heftigen Unmuth erwachen, den ein der Zähmung unterworfenes Raubthier empfindet, ehe das Menschenauge seine niedere Natur ganz überwindet, nur war dieser Unmuth ein mehr bewußter, und das fruchtlose Ringen, sich dem Einfluß des bewältigenden, höheren Geistes zu entziehen, brachte schnelle stolze Gedanken hervor, die sich selbst bekämpften und verwirrten.

Nach einer kleinen Pause sagte Gilgenström:

Ich habe Sie gestern ersucht, mir einen Besuch zu schenken und bin Ihnen freundlich dafür verbunden. Sie begreifen wohl, daß es meine Absicht nicht sein kann, Sie mit den beiden Damen zusammenzuführen, denen Sie Ihre Aufmerksamkeit so ausschließlich widmeten. Der General-Landschaftsrath, Baron von Wüstenberg, ist überdies nicht ein Herr, der sich auf die Courtoisie eines jungen galanten Mannes aus der Residenz zu verstehen scheint, mag dieselbe auch noch so meisterhaft geübt werden.

Dieser Unmuth, erwiderte Walther lachend, den ich gestern allerdings in ihm erweckte und immer wieder in tausend Höflichkeiten erstickte, hatte so viel Possirliches, daß ich heute erst rechte Lust empfinde, mich ihm nochmals vorzustellen.

Gilgenström heftete den Blick ernster auf ihn, und indem er sich leicht verbeugte, sagte er:

Mindestens aber muß ich mir diese Ehre versagen, und gewiß wird es nicht Ihre Absicht sein, eines solchen Scherzes wegen die Bekanntschaft eines sehr würdigen Mannes und zweier liebenswürdigen Damen zu machen.

Walther empfand die Bitterkeit dieser Bemerkung. Ein flüchtiges Roth befiel seine Stirn und seine Abneigung gegen den stolzen überlegenen Gegner war im Wachsen.

In diesem Falle, erwiderte er, darf ich wohl hoffen, die wahre Ursache Ihrer gütigen Einladung zu erfahren.

Verzeihen Sie, Herr Walther, sagte Gilgenström, indem er den kalten Ton der Höflichkeit gegen einen merklich herzlicheren vertauschte, daß ich gestern keinen bessern Grund fand, Sie zu einem Besuche bei mir zu bewegen, als den, welchen ich wählte. Seit meiner frühsten Jugend, fuhr er lächelnd fort, habe ich, ohne den Lavater zu studiren, mich immer mit Physiognomik beschäftigt, und ich muß fest glauben, daß mir die Natur einige Bevorzugung ertheilt hat, denn selten habe ich mich über die verschiedenen Eigenschaften eines Menschen getäuscht, den ich einer Prüfung unterwarf.

O! sagte Walther, der für sein Leben gern die Kränkung, welche ihn noch immer verdroß, vergelten wollte, dann ist es wahrlich Jammer und Schade, daß Sie in unserer verdächtigenden Zeit nicht wenigstens Polizeiminister sind.

Der Graf lächelte noch höflicher und kälter und sagte dann:

Dies Beispiel wäre in der That einzig in meiner Familie, allein Sie verkennen, was ich meine. Ich frage nicht nach Organen oder Linien und Zügen, ich lese in den Gesichtern und diese sprechen zu mir eine geheimnißvolle Sprache, die sich nach und nach auflöst und endlich deutlich genug mir Manches enthüllt.

Eine eigenthümliche Erscheinung, die wie eine Geistergeschichte klingt, erwiderte Walther nicht ohne einen leisen Spott in der Betonung.

Gilgenström aber sagte mit dem größten Ernst:

Wir aufgeklärten Menschen des neunzehnten Jahrhunderts haben den Glauben überhaupt abgestreift, und suchen vergebens einen Ersatz in dem Skepticismus der modernen Philosophie. Lächeln Sie immerhin, mein lieber Herr Walther, und grübeln Sie, wenn Sie dafür Zeit haben, mit diesen jungen Philosophen nach dem Gotte, der im Menschen wohnt und der Alles geschaffen hat, Alles ordnet und alles weiß, und mit diesem unglücklichen Selbstvertrauen, dieser sogenannten Vernunft, Himmel und Erde zerstören möchte. Dennoch giebt es noch viele Dinge, von denen diese jungen Allwissenden sich nichts träumen lassen, und dazu rechne ich auch das unmittelbare Ahnen des Geistes vom Geiste, das Sie darum wohl eine Geistergeschichte nennen mögen.

Also das große Kapitel der Sympathien? sagte Walther.

Und der Antipathien, fügte Gilgenström hinzu. Gewiß herrscht zwischen den geistigen Elementen, welche die Körper beleben und beseelen, ein großer Zug der Gleichheit und Annäherung oder der Entfremdung, die so leicht in Liebe und Haß sich kund thun. Bei minder fein gebildeter organischer Thätigkeit mag die Trägheit, dies große Naturgesetz, zu mächtig sein, um höhere Erkenntniß zu gestatten, mir aber ist zum Beispiel das Verständniß so weit gegeben, daß ich genau empfinde, welche Wesen unter den vielen, denen wir auf Erden begegnen, gleichgültig vorüberziehen sollen, und welche, mehr oder minder stark, in die Kreise meines Lebens greifen.

Das ist sehr sonderbar, sagte Walther nachdenkend und ihn starr betrachtend.

Ich fühle sehr wohl, fuhr Gilgenström fort, ob diese Annäherung mir Freude oder Leid bereiten wird. Zu Zeiten selbst scheinen sich die Herzen der Menschen weit vor mir aufzuthun, und ich erkenne ihre Liebe und ihre Tücke, aber ich bin eine Kassandra gegen mich selbst; ich sehe die Wahrheit, und glaube ihr nicht. Zuweilen auch, und wie es im Leben hergeht, das uns gebietet, viele Gestalten zu dulden und Geselligkeit zu üben, wo wir es gern anders hätten, sind Personen lange Zeit meine sogenannten Freunde, und doch spricht keine Stimme für sie; Andere aber berühren mich einen Augenblick nur, doch er ist hinreichend, den tiefsten Eindruck auf mich zu machen. Zuweilen habe ich dann diese Menschen nie wieder gefunden, mit denen mich ein geheimnißvoller Trieb verbindet, die meisten aber haben treulich an meinen guten und bösen Tagen mit geholfen, und mich selten getäuscht.

Und ich? sagte Walther fragend und lachend.

Ich sah Sie gestern Abend zum ersten Male und jene Stimme, die ich so oft gehört, sagte mir, das ist auch Einer von denen, mit welchen dein Leben verknüpft ist. Es war kurz vorher, ehe Sie von den beiden Damen erzählten, die Sie in Potsdam begleiteten, und es berührte mich gewitterhaft, denn wenige Minuten früher hatte ich die Familie gesehen und war mit Ihnen verwechselt worden. Mit vieler Theilnahme hörte ich Ihre Gespräche, ich erfuhr dabei, daß eine augenblickliche Geldverlegenheit Sie beunruhige, und ich nahm mir vor, Sie zu bitten, von mir die Summe zu entnehmen, welche ich auf mehrere Monate entbehren kann.

Der junge Walther war von diesem großmüthigen Anerbieten überrascht und lebhaft gerührt. Er wußte nicht, was er mehr bewundern sollte; dies seltene Vertrauen, oder die feine Weise, mit welcher der Graf es bot. Denn jene spukhafte Einleitung war sicher nur erdacht worden, um sein Zartgefühl zu schonen.

In diesem Augenblick schmolz aller Unmuth von seinem Herzen, die fremde, stolze Erscheinung war ihm nahe getreten, er glaubte in den dunklen Augen das Gefühl einer edlen Zuneigung zu lesen, und in seiner jugendlichen Begeisterung hätte er gern die Arme um ihn geschlungen, wenn er sich nicht besonnen hätte, daß Gilgenström vielleicht denken könne, der unverhoffte Besitz jener Summe mache ihn so glücklich. Aber er konnte sich doch nicht enthalten, die Hand des Grafen zu erfassen und herzlich zu schütteln, obwohl er ein Widerstreben fühlte, und Gilgenström's zuckende Finger sich, so schnell als möglich, loszumachen strebten.

Bei Gott! sagte Walther, ohne die ernsten, fast zürnenden Mienen des Grafen zu beachten, es ist ein schönes, wohlthuendes Gefühl, einem Menschen in der Welt zu begegnen, der uns mit brüderlichem Dienst entgegenkommt. Wie oft habe ich voll Wehmuth und Aengstlichkeit danach gesucht, wie oft mir einen Freund und Vertrauten gewünscht, der mein ganzes Herz in Empfang nehmen könnte und mir dagegen das seine gäbe, und wie habe ich mich immer getäuscht. Ich fand sogenannte Freunde in Menge, Gefährten meiner Vergnügungen, Theilnehmer meiner Thorheiten, aber niemals Einen, der mehr gewollt und mehr erhalten hätte.

Und was konnten Sie auch Weiteres verlangen? sagte Gilgenström. Sie sind jung, Sie schwimmen in einem bunten, rauschenden Lebensstrome; kann in einem solchen von der heiligen Bedeutung der Freundschaft die Rede sein? Was aber überhaupt ist denn Freundschaft anders, als eine Verbindung zum Vergnügen, oder zu Lastern? Selten ist eine sittlich höchste Bedeutung darin zu finden, nur einzelnen Auserwählten mag dieses Glück zu Theil werden, denn diese edelste Schwärmerei der Seelen ahnen selbst nur Wenige, die Meisten bezweifeln sie.

Und Sie selbst, sagte Walther mit leidenschaftlichem Feuer, Sie glauben daran!

Nein, erwiderte Gilgenström mit kalter Entschiedenheit, indem er strafend seinen Gast anblickte. Ich bestreite die Möglichkeit nicht ganz, aber ich glaube nicht daran. Freundschaft in edler, höchster und selbstverleugnender Kraft ist das Product einer einfachen rohen Natürlichkeit, die das Alterthum wohl haben konnte, bei unserer Ausbildung aber müssen wir uns vereinsamen und mit Bekanntschaften begnügen. Wir finden bei den geistigen, socialen und politischen Abstufungen unseres Lebens zu viele Gegensätze, die sich nicht ausgleichen lassen. Es gibt nicht mehr zwei Menschen in der Welt, die über die vielen Streitpunkte gleiche Ansichten hätten. Kirche, Politik, Staat, Künste und Wissenschaften werfen uns auseinander, und unser Dasein ist viel zu complizirt geworden, unsere Neigungen, Wünsche und Leidenschaften viel zu abweichend, um zu einer so reinen Auflösung aller Differenzen zu gelangen, wie wahre Freundschaft dies verlangt. So also, um Ihnen die Wahrheit zu gestehen, Herr Walther, fuhr er fort, halte ich jene schwärmerische Freundschaft weder für zulässig noch für gut, wenn nicht etwa ein seltener Zufall Alles fügt: gleiche Lebenshoffnungen und Berechtigungen, Stand und Geburt, Vermögen und Neigungen, Fähigkeiten und Geistesrichtung zu gleicher, wissenschaftlicher Bildung, gleiche Gesinnung über Zeit und Verhältnisse, und da man dies Alles fast für unmöglich halten muß, so verzichtet man darauf, wenn auch mit einem schmerzlichen Seufzer.

Walther seufzte selbst, als Gilgenström die letzten Worte mit schwermüthigem Ausdrucke sprach. Das rasch aufglühende Feuer in seiner Brust war erstickt. Er wußte nun, daß dieser kalte kluge Mensch nie sein Freund sein konnte, und schnell wechselten die Empfindungen in ihm.

Ich erkenne die Wahrheit Ihrer Bemerkungen, sagte er, obwohl ich Einzelnes bestreiten könnte; aber Sie haben nur zu Recht: man muß sich vor allen Uebertreibungen seiner Forderungen, vor Schwärmereien, hüten. Ich neige mich in allen Dingen dazu, denn mein Blut ist heiß und der Augenblick hat viel Gewalt bei mir. Ich habe wenig mit dem bedächtigen Grübeln zu thun, niemals werde ich etwas erfinden, nie mich an Consequenzen binden, Grundsätze befolgen und mein Leben in die spanischen Stiefeln der Sitten und Gewohnheiten, der wunderlichen Schicklichkeitstheorie oder des Kastendünkels einschnüren. Vielleicht, fuhr er lächelnd fort, ist meine Erziehung daran Schuld. Ich habe nie meine Eltern gekannt.

Dann haben wir ein gleiches Schicksal, fiel Gilgenström ein.

Ich stand ganz verwaist in der Welt. Kein Bruder, kein Verwandter, kein Freund, an den sich meine Kindheit lehnte.

In der That, ich habe das alles selbst erfahren, sagte der Graf lebhafter, aber ich kann es nicht so tief beklagen. Es ist dem sentimentalen Zuge unseres Herzens allerdings ein schneidendes Weh, vereinsamt in der weiten, endlosen Welt zu stehen, und man nennt die verlassenen Wesen Unglückliche, weil sie der liebenden Herzen und Hände entbehren, die sie pflegen, bilden – und verbilden. Platon aber wußte schon, wie nachtheilig diese häusliche und verwandtschaftliche Erziehung auf die Menschen wirkt, die weiter geschritten wären, wenn es möglich sein könnte, jenen Einfluß aufzuheben. Er wollte die Kinder den Eltern nehmen und sie als Staats- und Welteigenthum entwickeln. Wir, die wir herangewachsen, einsam und elternlos, wir können dem Herrn der Welt, bei allem Leid, doch auch einen gewissen Dank nicht versagen. Früh lernt man denken und erkennen, früh unterscheiden. Man sieht das heitere Familienleben in andern Kreisen, wo jauchzende Kinder sich an die Eltern klammern und man geht und sinnt und weint. Aber die Einsamkeit reift die Geisteskräfte, das Leben, das rauh schon an unsere Wiege getreten ist, macht uns gewissermaßen auch zum Herkules; wir würgen die Schlangen, die sich leise um unsere edelsten Kräfte schlingen wollen. So fügt sich dann das Schicksal, denn wir selbst lernen uns fügen, und indem wir uns ihm unterordnen, erscheint es nicht mehr, wie eine wüste, vulkanische Masse, sondern klar und durchsichtig wird seine Schichtung. Da ordnen sich die Sätze und Grundsätze, das ganze Leben gewinnt eine feste helle Gestaltung, und wie es auch um uns wanken und weichen mag, wir behalten den sichern Blick und verlieren den rothen Faden nicht.

Walther hatte aufmerksam zugehört, als aber der Graf geendet hatte, konnte er ein Lächeln nicht zurückhalten, das Gilgenström zu kränken schien, denn er hatte mit sichtlicher Wärme und einer ungewohnten Hingebung gesprochen. Walther aber sagte:

Ja, so hat sich Ihr Leben gestaltet, weil Sie mit überwiegendem, still betrachtendem Geiste geboren wurden, mit mir aber war es völlig anders. Mein Vater war Banquier und machte eine Reise nach Italien mit seiner jungen Gattin. In Pisa starb er plötzlich. Angst und Schrecken warfen meine Mutter nieder, es erfolgte eine vorzeitige Geburt und drei Tage später begrub man mir beide Eltern in der fremden Erde. Ich war so schwach und klein, daß ich mehrere Wochen in einem Schächtelchen mit Baumwolle ausgefüttert lag und Niemand war zu meiner Hülfe vorhanden, als ein junger Taugenichts von Diener, der meine Eltern begleitet hatte. Eine mitleidige deutsche Familie nahm sich meiner an, die auch ein Söhnchen hatte, dessen Wärterin mich mit ernähren mußte, bis nach Wochen ein alter Buchhalter von meinem Oheim gesandt wurde, der mich in Empfang nahm und nach Deutschland führte. Mein Oheim, Chef eines großen Handelshauses, war ein unbeweibter, ältlicher Herr, der unter Courszetteln und Procentcalculationen keine Zeit für mich übrig hatte, als in jedem Vierteljahre ein Viertelstündchen, wo er regelmäßig in der Pension erschien und die Kosten meiner Erhaltung bezahlte. Lange Zeit zweifelte man, ob ich leben könne, denn ich litt an Zehrfiebern und Skropheln, die ein Jammerbild aus mir machten, und so lange dieser Zustand dauerte, schien mein Oheim allerdings eine Art von Rührung zu empfinden, denn es that ihm doch weh, daß die Familie mit ihm aussterben und sein Geld an Fremde fallen solle. Keine Kosten wurden gespart; als aber die Entscheidung vorüber war und ich kräftig aufwuchs, gab er nicht einen Pfennig mehr, als er mußte. Er verlangte obenein von mir alle die haushälterischen Tugenden, die ihn selbst zierten, und während ich studirte, oder vielmehr die Universität besuchte, wagte ich selten sein Haus zu betreten.

Vielleicht lag die Abneigung Ihres Oheims in der Wahl Ihrer Studien? sagte der Graf lächelnd.

O! nein, rief Walther leichtsinnig lachend, ich hätte wählen können, was ich wollte, ich würde den Gram und Zorn nicht versöhnt haben, den er über seine fehlgeschlagenen Hoffnungen empfand, mich zum Gehülfen und Compagnon dereinst zu erheben und sein Herz an meinem rechnenden Genie zu laben. Ich studirte übrigens, was jetzt alle Leute studiren, die eben nicht wissen, was sie studiren sollen, Jura und Cameralia Im 18. und 19. Jh. jene Wissenschaften, die den Kammerbeamten die notwendigen Kenntnisse für die Tätigkeit in der Verwaltung im absolutistischen Staat vermittelten., die modernen Humaniora, da ein ästhetischer Referendarius oder Assessor in unsern sozialen Verhältnissen eine stehende Figur geworden ist und ein merkwürdiges Verbindungsglied aller Thees und Soireen ausmacht. Das Schlimmste war jedoch, daß von Zeit zu Zeit sich einige meiner ungestümsten Gläubiger bei ihm meldeten, und das wird er mir nie ganz verzeihen. Schuldenmachen ist das gräßlichste Wort seines Lebensgesetzbuches, es steht über den fluchwürdigsten aller Verbrechen.

Die Tempelritter, sagte der Graf, nahmen keinen in ihren Bund, der nicht den feierlichsten Eid leisten konnte, daß er keine Schulden habe; denn wer Schulden hat, ist unfrei, sagten sie, und nicht würdig der edlen Weihe.

Mochten die guten Tempelritter gethan haben, was sie nicht lassen konnten, erwiderte Walther, den das Beispiel ärgerte, in welchem er einen Vorwurf zu erblicken glaubte; mich hat jedoch nichts im Leben so gerührt, als die tiefe Niedergeschlagenheit des alten Herrn, mit welcher er meine Schulden bezahlte. Ich schwor es mir zu, nicht etwa keine Schulden mehr zu machen, das war unmöglich, denn ich lebte in der großen Welt, und bedurfte des Geldes, aber ich gelobte mir feierlich, nie mehr die Klagen bis zu den Ohren meines Oheims dringen zu lassen und Alles zu opfern, um Zeit und Geld zu erkaufen.

Und so gingen Sie die gewöhnlichen Wege des jugendlichen Leichtsinns, sagte der Graf; Sie warfen sich Wucherern in die Hände und verschwendeten, was Sie empfingen, am Spieltisch in sogenannter guter Gesellschaft. Ich bedaure, Herr Walther, daß ich nicht reich genug bin, Sie von den freilich selbst verschuldeten Plagen zu erlösen, die angetragene Summe aber –

Ein Wort, wenn ich bitten darf! erwiderte Walther schnell, indem eine helle Röthe in sein hübsches Gesicht stieg. Würden Sie, im Fall Sie einst Geldes benöthigt wären, eben so bereitwillig meine Hülfe in Anspruch nehmen?

Ich leihe niemals Geld, sagte Gilgenström kalt lächelnd.

Wenn jedoch dringende Umstände es nöthig machten? fragte Walther.

Es kann sein, Herr Walther, erwiderte der Graf höflich, daß eben, weil viele Glieder meines Hauses einst dem Tempelorden angehörten, der Schwur keine Schulden zu machen, wunderbar fortgewirkt hat, denn in der That, ich bin ganz unfähig dazu.

Nehmen wir aber dennoch an, Sie wären in dringenden Nöthen dieser Art, ich wüßte es und böte Ihnen meine Hülfe an, würden Sie sie ausschlagen?

Ich sehe, sagte Gilgenström trocken, Sie wollen keine Entschuldigung gelten lassen, so thut es mir leid zu sagen, daß ich niemals Geld annehmen würde, auf das Versprechen hin, es wieder zu bezahlen; denn ich könnte mich täuschen und zum Lügner werden.

Ich erwartete eine solche Antwort, erwiderte Walther, indem er aufstand, und ich möchte sagen, es freut mich, Ihr gefälliges Darlehn nicht annehmen zu können, so sehr ich mich Ihnen auch verpflichtet fühle.

Gilgenström warf ihm einen scharfen Blick zu und zuckte leise mit den Schultern, aber er sagte nichts und ließ es geschehen, daß Walther sich nach einigen kalten Worten entfernte. Als er gegangen war, nahm er das Taschenbuch mit den Kassenanweisungen, welche er schon auf den Tisch gelegt hatte und warf es mit einer nachläßigen Bewegung in den Schreibtisch.

Dieser junge Leichtsinnige hat einen sehr sonderbaren Stolz, sagte er lächelnd, es ist der Stolz des Plebejers, der moderne Gleichheitstraum, der sich beleidigt findet, wenn er seine Anmaßung nicht anerkannt sieht, und leider, setzte er leiser hinzu, hat das Geld, wenn es uns die Zukunft röthet, die Menschen in allen Kreisen zu Götzendienern entwürdigt. Ein reicher Erbe! Das ist ein Zauberwort. Laßt solch Geschöpf baar an Allem sein, was zu lieben ist, es wird seine Rolle spielen. Es ist sehr verächtlich, sagte er, indem er den Hut nahm; in solcher Zeit muß man sich um so strenger verwahren.


3.

Der junge Walther war indeß mehre Straßen auf und nieder gegangen, um die zornige Erregtheit los zu werden.

Das ist ja ein heidnisch hochmüthiger Mensch, sagte er endlich. O! dieser verdammte Dünkel sitzt ihm in den Augenbrauen, in der Nasenspitze, in den Ohrenzipfeln, man kann ihn auf seinen langen Daumennägeln lesen.

Dann sagte er wieder:

Er ist nicht werth, daß ich mich ärgere, aber es freut mich, daß ich sein Geld nicht nahm und nicht nehmen konnte; mögen mich die Götter nie mehr mit ihm zusammenführen, aber eine andere Frage ist es, wo nehme ich Geld her? Adelheid's Geburtstag ist in einigen Tagen, und ich muß auf diesem Altare opfern; überdies gibt es tausend Dinge, wo es durchaus nöthig ist, sich dies unentbehrliche Tauschmittel zu verschaffen.

Plötzlich blieb er vor einem stattlichen Hause stehen und sah es verwundert an.

Ist es ein Wink der Vorsehung, sagte er lachend, so sei mir gegrüßt, o freundlicher Poseidon, der mein Schiff nach diesem Hafen führte. Da stehe ich unvermuthet ja vor dem Hause meines gestrengen Oheims und kein Mittel soll unversucht bleiben.

Er stand dicht an der Thür, wo das große Messingschild gleich einem heraldischen Wappen blitzte; aber die Züge und Linien verwebten sich nicht zu Helmen und Feldern, sondern sie zeigten nur in großer, gothischer Schrift die Worte: Anselm Walther und Compagnie. Mit einem unverkennbaren Schauder griff der junge Walther nach der Klingel, und als sei es das Medusenhaupt, schloß er die Augen vor der glänzenden Inschrift.

Der alte Hausdiener, welcher gleich darauf die Thür öffnete, beugte sich mit einer Art vertrauter Herzlichkeit vor dem Neffen seines Herrn und lief dann voran, so schnell er konnte, um das innere Heiligthum zu entriegeln.

Nur hier hinein, Herr Walther, sagte er, gehen Sie nicht durch's Comptoir, da gaffen Sie sonst Alle an, thun nichts und sprechen über Ihren Besuch. Hier hinein, der Herr Onkel ist schon fleißig auf und hat manchmal schon nach dem jungen Herrn gefragt. Es sind ja zwei Monate, daß Sie uns nicht besuchten.

Hat er von mir gesprochen? fragte Walther.

Gesprochen? erwiderte der alte Diener mit einem verwunderten Anstarren über das Ungeheure. Ach! gehen Sie doch, Herr Walther, das wissen Sie ja recht gut, daß der Herr Onkel niemals über dergleichen Dinge sprechen, die nicht zum Geschäft gehören, aber man merkt es ihm an, daß er über solche Geschäfte, wie Sie sind, auch zuweilen nachdenkt, wenn er ganz unruhig nach der Thür sieht.

Steht alles gut? fragte Walther leise.

Freilich gut! flüsterte der Alte ganz vergnügt, jetzt sollten Sie sehen, wie es bei uns hergeht! Die Spanier sind gestiegen um ein ganzes Stockwerk und die Dreiprocentigen, nein die drei und ein halb procentigen Pfandbriefe, das ist jetzt unsere größte Arbeit, daran verdienen wir schönes Geld. Und dann die Eisenbahnen, Herr Walther, das ist unser Vergnügen, wie da die Geschäfte gehen, und partout so, wie wir commandiren. Wenn sie steigen sollen, kaufen wir, und dann losgeschlagen und sie heruntergebracht, wenn es Zeit ist; hören Sie, Herr Walther, das ist um sich todt zu lachen. Wir haben jetzt wenigstens für ein paar Millionen auf alle Bahnen in Europa, sie mögen da sein oder nicht da sein, und wenn das Glück nur irgend gut ist, haben wir in sechs Monaten hunderttausend Thaler mehr in der Tasche.

Der alte Mensch schlug dabei höchst gravitätisch an sein eigenes leeres Kleid und sah in diesem Augenblick durchaus wie ein Millionär aus, so weltverachtend und seiner Sache gewiß.

Walther konnte ein Lachen nicht unterdrücken, dann reichte er dem Alten freundlich die Hand, denn er erinnerte sich, daß er heut schon von ihm etwas ehrenrührig gesprochen hatte. Heinrich war derselbe Diener, der Walthers Eltern nach Italien begleitet und die unglückliche Katastrophe seiner ersten Jugend gesehen hatte. Der Alte hatte immer eine besondere Zuneigung zu dem Kinde, von dem er viele Geschichten erzählte und welche Noth er ausgestanden habe, den jungen Herrn lebendig nach Deutschland zu bringen. Walther aber hatte die natürliche Zuneigung für ein Wesen, das ihn gepflegt, ihn mit einer Art närrischer Zärtlichkeit liebte, ihn aufsuchte, wenn er lange nicht sich sehen ließ, und sein Vertrauter von jeher in mancherlei Leid und Freude gewesen war.

Als Walther daher fragte, wie es denn heute da drinnen stehe? indem er auf die Thür zeigte, machte der alte Heinrich ein höchst komisches Gesicht. Er zog seine kleine Stirn in tausend Falten, daß das borstige graue Haar fast auf die Nasenwurzel herunterkam, und indem er den rechten Fuß wie ein Kranich in die Höhe zog, und den linken Zeigefinger in den Mund steckte, grinste er wie ein Affe und sagte dann leise:

O! Herr Je, da ist Sonntag heut. Ich sage Ihnen, Herr Leopold, es ist ein großer Festtag; so etwas ist noch nicht da gewesen, und wenigstens haben wir irgend einen unmenschlichen Schlag gemacht.

Was ist denn geschehen? sagte Walther lachend.

Ja, das weiß ich so eigentlich nicht, flüsterte Heinrich sehr niedergeschlagen, aber soviel ist gewiß, wenn die Welt heut oder morgen zufällig untergeht, ich werde mich nicht wundern. Der Herr Onkel bekam gestern einen Brief und gleich darauf klingelte er und sagte: Heinrich, sagte er, morgen werden wir Gäste haben, fünf oder sechs, es können aber auch wohl mehr werden. – Es ist wohl nicht möglich, sagte ich ganz erschrocken, morgen ist ja kein großer christlicher Festtag. – Das sagte ich so hin, wie ein dummer Mensch wohl thut, aber als der Herr Onkel mich so mit seinem rechten Geschäftsblick ansah, war ich still, machte einen tiefen Diener und sagte: Sehr wohl. Nun mußte Alles extra angeschafft werden, und oben sind die Zimmer aufgeräumt, so daß ich glaube, es kommt mindestens ein König an.

Vermuthlich ein Börsenkönig! sagte Walther spöttisch.

Nein, es ist etwas Großes, erwiderte der Alte mit Heftigkeit, denn Friedrich, unser Kassendiener –

In dem Augenblick öffnete sich die Thür, vor welcher beide standen und ein alter Herr steckte den weißgepuderten Kopf heraus, einen ernsthaften, klugen Kopf, der sonderbar auf dem Halse wackelte und nickte und mit seiner knarrenden Stimme sprach:

Sieh da, Leopold! Ei, das ist schön, daß Du da bist, da sparst Du mir ein Billet, mein Sohn, komm herein, und Du, alter Heinrich, mache daß Du auf Deinen Posten kommst, und laß Niemand zu mir, der mich nicht dringend zu sprechen hat, alter Schwätzer.

Der Onkel nahm die Hand seines Neffen und sagte lachend:

Da hat Dein alter Bundesgenosse Dir sicher schon erzählt, daß ich heute Gäste habe. Der alte Taugenichts wird Dich lieben bis an den Tod und seinen Herrn verrathen, so viel er kann; Schade nur, daß er so wenig weiß. Aber, mein Leopold, warum sehe ich Dich jetzt so selten? Eigentlich darf ich mich freilich nicht darüber wundern. Ich bin ein alter, einsamer Mann und Du ein lustiges, junges Blut, vielleicht ein allzu lustiges, aber doch ist es unrecht, mich so ganz zu vergessen.

Ich muß immer fürchten, Sie zu stören, lieber Onkel, sagte Leopold.

O! Lieber Freund, erwiderte der alte Herr, bleib mir mit diesen Redensarten fort. Stören! Nun wir wollen es gut sein lassen, aber, Leopold, wenn ich ein oder das andere Mal auch gesagt habe: Nun geh' mein Kind, lauf Deinen Vergnügungen nach, ich muß meinen Mühen und Sorgen nachlaufen – was meinst Du wohl, für wen ich arbeite und wache, für wen ich sinne und mich plage?

Hätte der junge Walther nicht den alten Kaufmann gut gekannt, so würde er sicherlich die einfache Antwort: Für mich! gegeben haben, aber er wußte zu wohl, daß dann eine umständliche Predigt, wie wenig er das verdiene, folgen würde. Er sagte also mit der ruchlosesten Gleichgültigkeit:

Es giebt zwei Klassen von Menschen auf der Welt, die eine glaubt, daß wir zum Arbeiten geschaffen sind, die andere hält dies für eine traurige Nothwendigkeit, und schickt sich mit mehr oder minderem Widerstreben nur darein, wenn sie muß. Die Erste betrachtet die Arbeit als ein Vergnügen und jedes Vergnügen als einen fluchwürdigen Müssiggang, die Andere hält den liebenswürdigen geistreichen Müssiggang für das Vorrecht edler Naturen und überläßt es den gewöhnlichen Menschen, sich an der angestrengtesten Arbeit zu erfreuen. Die eine Klasse genießt also die Lust den Acker zu bearbeiten und sich zu freuen, daß Saaten aufsprießen, während die andere von den Blumen und Früchten nascht und den Schaum des Lebens schlürft.

Hat je ein Mensch so etwas gehört! rief der alte Herr, dessen Gesicht sich vor Erstaunen und Aerger röthete, aber er hat nur zu Recht, das sind die Gedanken, mit welchen alle diese Lüstlinge und Schwelger das große Weltgebäude betrachten. Die Gemeinheit ist da, um zu arbeiten, sie aber thun es nur, wenn sie ruinirt sind an Leib und Seele und bankerot an Ehre, Ansehen und Vermögen. Du Bauer ackere dein Feld, du Handwerker plage dich, von früher Sonne bis zur Nacht, ihr Alle da, regt lustig eure Hände, ihr thut es für mich, dem die Arbeit verhaßt ist, der nicht dazu bestimmt und geboren wurde, denn mir gehört die Welt. Ich bin da, um den Schaum zu schlürfen, ihr Uebrigen seid glücklich bei den Trebern.

Sie ereifern sich ohne Noth, erwiderte Walther ruhig, ich hätte Sie nimmermehr für einen so ungestümen bekehrungssüchtigen Arbeitsmann gehalten.

Dieser Spott war dem alten Herrn zuviel.

O! Du Taugenichts, sagte er, wenn Dein alter Oheim nicht ein so unermüdlicher Arbeitsmann wäre, so könnte es leicht sein, daß Du es einst sein müßtest.

Aber ich würde es immer schlecht sein, versetzte Walther begütigend, und Sie sind es mit Virtuosität. Ihnen ist die Sorge Lust, die Arbeit ein Lebensquell. Was wollten Sie denn thun, wenn Sie nicht arbeiten könnten, wenn Sie nicht ferner halbe Nächte lang über diese oder jene Speculation grübeln sollten? Könnten Sie davon lassen, und dafür ein schönes Haus bewohnen, fahren, reiten, Theater und Concerte täglich besuchen, dem nachjagen, was die Welt nun einmal als Vergnügen betrachtet und liebt?

Der Himmel mag mich vor einer so thörichten, niederträchtigen Welt- und Lebensanschauung bewahren, sagte der alte Herr mit unverkennbarem Abscheu.

So haben Sie sich auch gar nicht über mich zu beklagen, versetzte Walther mit angenommenem Ernste. Jeder folge seinen Lebensanschauungen und achte bei Andern die verschiedene Ueberzeugung. Soll denn der Mensch ein Lastthier sein? Soll er nichts sinnen und trachten, als wo und wie er Geld erwerbe? An nichts glauben, als an eine abscheuliche Bestimmung zur Qual und Sorge, und nichts lieben und hoffen, als Arbeit und Gewinn?

Aber, Du unbesonnenes Kind, sagte der alte Mann ängstlich besorgt, hast Du denn nie daran gedacht, daß man ein nützlicher Mensch sein soll?

Diese spießbürgerliche Nützlichkeit, erwiderte Walther unwillkührlich lachend, wird leider grade so verblendet, einseitig gefordert, wie die Moral in der Kunst. Des Menschen Beruf ist es zu leben und in der Gesellschaft seine Stelle einzunehmen, die ihm gebührt; diese auszufüllen nach seinen natürlichen Anlagen, Fähigkeiten und Ansprüchen, ist seine Pflicht. Jeder soll sich mühen in seiner Weise; der Eine als Künstler und Kaufmann, der andere als Beschützer und Consument, und wozu wären denn die vielen Erfindungen des Luxus und der Vergnügungen, wenn es nicht Leute gäbe, die sie belohnten und förderten?! So treibt das große Weltenrad um, und da ich reich bin, und viel Geld besitze, da ich einen so vortrefflichen Oheim habe, der diese Vorräthe immer zu vergrößern strebt, so wäre ich, meiner Ansicht nach, ein ausgezeichneter Thor, wenn ich anders wäre, wie ich eben bin.

Der alte Herr Walther hielt sich den Kopf mit beiden Händen und sah seinen Neffen zornig zwar, aber auch voller Verwunderung und mit unterdrücktem Vergnügen an.

Streiten will ich nicht mit Dir, sagte er, diese Mühe wäre eine ganz vergebene; denn eher kröche ein Kameel durch ein Nadelöhr, ehe Du zur rechten Einsicht gelangtest. Es ist was Wahres in dem was Du sagst, und doch ist es grundfalsch; es hat seine Richtigkeit, wie ein wohl acceptirter und girirter Girieren: auf eine andere Person übertragen; in Umlauf setzen. Wechsel, und doch ist die Unterschrift nachgemacht und das Ganze erlogen. Ziehe Deine Bilanz nicht so leichtsinnig mit der allzeit fertigen Zunge; Dein Hauptbuch, wenn Du es genau ansiehst, hat viele unrichtige Zahlen. Du kannst die Neugierigen täuschen, aber es keiner strengen Prüfung unterwerfen. Dennoch, Leopold, dennoch, mein Kind, ist es ein Jammer, daß ein Kopf, der so schnell kombinirt und speculirt, nicht eine Lebensthätigkeit ergreifen will, wo das alles am rechten Orte wäre.

Ich hätte große Lust, sagte der Neffe mit einem verschlagenen Lächeln, Sie um ein kleines Capital anzugehen, und einige Geschäfte auf eigene Hand zu versuchen.

Der Banquier zog still die goldene Dose hervor, nahm eine gewaltige Prise und indem er die Achseln zuckte und den jungen Menschen durch dringend ansah, sagte er:

Ja, freilich, daran hatte ich nicht gedacht. Du brauchst Geld, Leopold, viel Geld verbrauchst Du, und was würdest Du erst für Bedürfnisse haben, wenn eine kleine Quittung an Deinen Cassirer hinreichte, um Deine Taschen für alle Verschwendungen oder Genüsse, wie Du es nennst, zu füllen. Nein, mein Kind, Du kannst nie ein Haus führen.

Aber ein Haus machen, rief der junge Walther fröhlich, diese Kunst sollen Sie mir nicht absprechen. Es gehört bei weitem mehr Geschmack dazu, Geld mit Anstand zu verthun, als geschickt es zu erwerben, und darum will ich Ihr Associé sein; wir wollen uns gegenseitig unterstützen und einen schönen Bund schließen.

Hier machte der alte Herr ein sehr verdrießliches Gesicht und sagte dann:

Du bist und bleibst der junge Leichtsinn, aber jedes Ding will seine Zeit haben und darf nicht übertrieben werden. Du bekommst monatlich zweihundert Thaler, das hat mancher Reichsgraf oder Prinz kaum, und dann und wann mache ich mir auch viele schwere Vorwürfe, Dich so zum Verschwenden zu ermuntern. Mehr aber gebe ich nicht, nicht einen Heller. Hier steht der Markstein meiner Liebe zu Dir, Alles kannst Du von mir haben, nur kein Geld. In sechs Monaten bist Du mündig und ich werde Dir dann nichts mehr zu sagen haben. Ich werde Dir mein Hauptbuch vorlegen, und Dir zeigen, was Dein ist. Dann wird es sich ausweisen, ob Du Deinem alten Oheim folgen und ihm vertrauen, oder Deinen eigenen Weg gehen willst, was ich nicht hindern kann. Aber, mein Kind, um Dich zur Einsicht zu bringen und vor dem Bettelstab zu schützen, gibt es nur einen Weg.

Wahrscheinlich den Weg ewiger Vormundschaft, sagte Walther, und gewiß, mein gütiger Oheim, ich will gern und immer Ihr dankbares Mündel sein.

Der alte Herr war fast von einer unwillkürlichen Rührung ergriffen, als der junge Schmeichler dabei seine beiden Hände an's Herz drückte und mit den glänzenden Augen ihn freundlich ansah. Er strich ihm die Locken von der Stirn und wischte dann schnell seine Hand ab.

Wie das alles duftet von Salben und Wohlgerüchen, sagte er, und dabei willst Du, junger Bösewicht, mein Mündel bleiben? Bist Du toll, mein guter Freund? Ich bin ein alter Mann, der bald zu seinen Vätern heimgehen wird, und müßte Dich mit Angst zurücklassen. Freilich bedarfst Du eines Vormundes, ja dessen bedarfst Du, aber es soll einer sein, der Aussicht hat, Dich mindestens so lange unter Curatel zu halten, bis Du ein alter verständiger Knabe geworden bist, – ein Vormund, dem Du gehorchst auf Wink und Wort, der Dich an einem Fädchen lenkt, das Du nicht siehst, dessen Regiment Du in Demuth verehrst und in Geduld seiner hohen Weisheit vertraust. Nun merkst Du noch nicht, wer es sein kann? fuhr er lachend fort. Ein Vormund mit blondem Haar und blauen Augen, mit Rosenwangen und Perlenzähnen, in Pantöffelchen und Unterrock ein größerer Held und strengerer Gebieter als der grämlichste alte Onkel.

Walther hatte sich Mühe gegeben, etwas ernsthaft und empfindlich auszusehen, nun aber verbeugte er sich spöttisch und sagte, daß nach einer solchen Eröffnung er wol glauben müsse, sein gütiger Oheim habe ihm schon den Vormund ausgesucht, und fast möchte er meinen, es sei Karoline die Haushälterin, von welcher der alte Herr sich, um das Glück des Neffen zu sichern, zu emanzipiren gedenke.

Spotte Du nur, sagte der Banquier, indem er etwas verlegen nach der Thür sah. Die alte Karoline ist ein Schatz, den ich Dir nicht abtreten kann und will, aber wohl Dir, wenn Du eine Aehnliche findest, welche alle ihre guten Eigenschaften besitzt.

Die Eigenschaften einer vortrefflichen Köchin, sagte Walther etwas verächtlich.

Einer würdigen Hausfrau, die gar nicht zu verachten sind, rief der alte Herr. Kurz und gut, ich rathe Dir, verliebe Dich, so schnell Du kannst, und nimm eine Frau, die einfach und häuslich Dich an Dein Haus zu fesseln versteht, dann erst wirst Du allen schlechten Müssiggang abthun, Du wirst Dich schämen, ein Mensch zu bleiben, der sein Dasein vergeudet, Du wirst Deine Würde der Frau gegenüber behaupten wollen und unter ihrer sanften Anleitung, setzte er schelmisch hinzu, thätig sein lernen.

Walther sah seinen Oheim prüfend an und schwieg; der alte Herr aber stand auf, knöpfte den Rock zu und sagte:

Bedenke das Alles, wenn es Zeit ist, sprechen wir weiter; jetzt aber gehe, denn ich habe viele Geschäfte, die Dich hier überflüssig machen, und halt! ja, das hatte ich fast vergessen: komm doch heut zum Mittag, um mein Gast zu sein.

Er wollte noch etwas hinzufügen, als ein sehr grämlicher alter Buchhalter an der Thür erschien, die in das innere Heiligthum des Comptoirs führte. Der Banquier richtete den Kopf nach ihm hin. Ist er schon da, Herr Simmers? sagte er.

Wartet schon seit einigen Minuten erwiderte der förmliche Mann, indem er bei der Verbeugung gegen Leopold die Feder vom Ohre nahm.

Geschwind, führen Sie ihn herein, sagte Herr Walther mit der ganzen weltklugen Miene des Kaufmanns, solche Besuche dürfen nicht warten, sie sind nicht daran gewöhnt, Herr Simmers, und Du Leopold, guten Morgen, guten Morgen, mein Kind, und komm nicht zu spät, um zwei Uhr wird gegessen.

Er öffnete dabei die Thür und schob den Neffen gerade in dem Augenblicke hinaus, wo auf der entgegengesetzten Seite ein Herr eintrat, von dem er nur den Backenbart sehen konnte, sammt der unnennbaren Seite eines blauen Frack's mit blanken Knöpfen, und dicht dabei den äußersten Zipfel eines Strohhutes, der über seine respectable Schulter ragte und offenbar einer Dame gehören mußte.

Zu einer andern Zeit würde der junge Walther gewiß einige Neugierde empfunden haben, wer der Besuch sei, dem alle diese Vorkehrungen galten, im Augenblick aber fühlte er sich gar nicht aufgelegt dazu. Die scherzhaften Worte des alten Herrn hatten ihn unheimlich berührt: er hatte ihm mit den grauen speculativen Augen bis mitten in die Brust gesehen, und Walther wußte nicht, was er davon denken sollte. Entweder hatte sein Oheim wirklich selbst irgend eine Schöne ausgewittert, die den Löwen bändigen sollte, oder er hatte gethan, was man im gewöhnlichen Leben auf den Busch schlagen nennt, und da saß freilich dann die Schlange schon unter dem Baum und spielte mit dem Apfel.

Walther hatte vor einigen Monaten eine Familie kennen gelernt, die mit seinem Oheim auch in einiger Verbindung durch die Geldgeschäfte stand, welche dieser mit einem Theile ihres bedeutenden Vermögens machte. Wie reiche Leute das gewöhnlich thun, indem sie ihrem Banquier nach dem Fallen und Steigen der Staatspapiere Käufe und Verkaufe nach seinem Rath thun lassen, so geschah es auch hier, und beide Theile befanden sich wohl dabei.

Herr Jacob Arnheim konnte von sich eben so wol sagen, daß er der Sohn seiner Tugenden und Verdienste sei, wie weiland der Präsident Janin. Funfzig volle Jahre hatte er diese gesammelt und als Zeugniß dafür trug er nun den ehrenvollen Titel eines Rentiers, als Paß und Sicherheitscharte gegen alle weitere, unnoble Anfechtungen. Denn zuweilen gab es doch schadenfrohes, nichtsnutziges, armes Gesindel, welches sich erinnern wollte, ihn vor dreißig oder vierzig Jahren als einen blutarmen Teufel gekannt zu haben, und Herr Arnheim hätte viel darum gegeben, hätte er diese Proletarier aus irgend einer Lethe tränken, oder ihnen doch wenigstens gerichtlich, wie zu spät gekommenen Gläubigern, ein ewiges Stillschweigen auferlegen können.

Das menschliche Gedächtniß ist jedoch in solchen Beziehungen ein wahres Gespensterbuch, in welchem tausend halb verschollene Geschichten stehen, die Blut und Leben von Neuem bekommen, sobald eine Schattengestalt vorüberzieht, die einst eine Rolle darin spielte. Herr Arnheim wußte auch als ein kluger Mann, daß solche Menschen sich gar nicht imponiren lassen, weder durch Milde noch durch Zorn, und deshalb wählte er einen dritten Weg, er that nämlich, als hätte er sie nie gekannt, und ging ihnen so weit aus dem Wege, als möglich. Er war ein geschwätziger, freundlicher alter Herr, ein Mann, der seine Zunge gewiß an der rechten Stelle hatte, und Augen, die Alles sahen; aber für solche vorweltliche Wesen, wie alte Bekannte waren, blieb er stumm, und sah und hörte nicht.

Daß er Geld hatte, viel Geld hatte, war sein Lieblingsgedanke, den er wahrscheinlich auch oft im Schlafe nicht vergaß, aber er war kein Geizhals gegen sich selbst. Er bezahlte eine prächtige Wohnung in der ersten Straße der Stadt, und ließ gern wissen und hören, daß er ein Mann sei, der sich vor nichts Theurem fürchte. Dennoch aber hatte er seine eigene Laune dabei, und gehörte jedesfalls zu der ungeheuren Mehrzahl derer, die mit dem Wahlspruch geboren werden: Nehmen sei dir immer seliger, als geben!

Der etwas alberne Ideenkreis dieses würdigen Rentiers hätte den jungen Walther gewiß niemals so weit berührt, daß er sich davon angezogen fühlen konnte, wenn nicht ein anderer hinzugekommen wäre, der leise Schlingen um seine Füße legte. Herr Arnheim, der eine natürliche Aversion gegen Hüte hatte, seitdem er seine Hutfabrik aufgegeben, empfand, wie er selbst sagte, dagegen nur eine wahre Freude auf Erden.

Als er dies zum ersten Male vor Leopold aussprach, lächelte dieser, denn er dachte an das Geld des Reichen, aber im Augenblick ging die Thür auf und eine jugendlich reizende Gestalt mit blonden langen Locken, blauen, schimmernd scharfen Augen und der zierlichsten Gesichtsbildung trat herein. Es lag soviel Ueppiges, Spöttisches und Anmaßendes in diesen runden bildsamen Zügen, so viel Keckes und Herausforderndes im Blick, und der Mund mit den süßen kleinen Lippen und frischen Zähnen war so liebenswerth fein gebildet, daß Leopold den alten Herrn um diese einzige Freude sogleich beneidete, und es gar nicht bemerkte, daß die Herzens- und Geistesbildung dieses feinen Kindes der des Körpers nicht ganz angemessen sei.

Das flackernd unstete Feuer ihres Auges hätte ihm sagen können, daß eine sehr ungezähmte Natürlichkeit in dieser schönen Hülle lebe, und jener kleine schadenfrohe Dämon, den man unter den verschiedenen Namen: Eitelkeit, Eigensinn, Laune, Coquetterie oder weibliche Verkehrtheit kennt, hier einen ausgezeichneten Palast bewohne. Ach! wenn man liebt, ist Alles schön und gut. Die Launen sind die kleinen Gewitter, die nach Donner und Blitz einen neuen reizenden Tag bringen, die Eitelkeit ist allerliebst, man hilft sie obenein ausbilden, durch nachgiebige Bewunderung; der Eigensinn ist zum Entzücken, die Coquetterie anbetungswürdig, und alle die weiblichen verführerischen Schwächen, sie reizen und entzünden nur eine stärkere Flamme.

Wie hätte aber ein so junger heißblütiger Narr diesen lockenden Herrlichkeiten widerstehen können! Bald entstand ein ziemlich vertrautes Treiben unter den Beiden, und die Eltern hatten gar nichts dagegen, daß Leopold oft in ihr Haus kam. Madame Arnheim war gerade so speculativ, wie Mütter es sind, wenn ein Anbeter die ersten Schritte bei ihrer Tochter thut. Sie wußte recht wohl, was dieser junge Mensch zu hoffen hatte, und der einzige Fehler, den Adelheid an ihm herausfand, als in einer examinirenden Minute die Mutter an ihr Herz klopfte, war der, daß er nicht von Adel sei.

Ich kann ihn recht gut leiden, sagte sie, aber es ist doch ärgerlich, daß er blos so bürgerlich ist.

Aber Adelheidchen, erwiderte die Mutter, es ist ein charmanter, hübscher Mensch, er hat Geld, und da dachte ich –

O! mein Gott, ja, Geld, er hat viel Geld, fiel sie ein, aber Geld habe ich ja auch, damit ist es nicht abgethan. Sehen Sie, die Auguste; ihr Vater war Brauer, oder vielmehr, er ist Brauer und sie hat den Baron geheirathet und wird Frau Baronin genannt!

Es war ein sehr armer Lieutenant, sagte der alte Herr leise.

Und die Jeanette, fuhr Adelheid fort. Sie war ein wenig alt geworden und eine Jüdin. Ich bitte Sie, liebe Mutter, eine Jüdin! und jetzt ist sie Gräfin!

Es war ein sehr verschuldeter Graf, sagte der alte Herr von neuem.

Und ich, Madame Walther! – Wie der Name fatal klingt! Wenn es doch noch nobel bürgerlich wäre: Madame Wildenstein, Madame Lilienbach, Madame Falkenau, so könnte man sich doch etwas dabei denken. Aber Walther! ich finde es lächerlich, wie man Walther heißen kann, und würde es nie ertragen können.

Nach einem solchen Gespräch schloß der alte Herr sein Töchterchen lächelnd in die Arme und sagte dann ganz leise:

I, Du Närrchen Du, ja, das hat ein hoffärtiges Herz, das kleine Ding, aber das ist recht so, so liebe ich's, und was ist denn Großes dabei? Gibt's denn nicht Rittergüter und Herrschaften genug, die man kaufen kann, wenn man Geld hat, und haben wir denn nicht Geld? Es ist eine Lumperei das, jetzt ist Alles zu haben, wenn man Geld hat und da verlaß Dich auf mich, ich schaffe Rath, das laß meine Sorge sein. Du sollst einen Namen haben, wie er noch nicht da gewesen ist. Wir wollen einen erfinden lassen; für Geld kann man Alles haben.

Für Adelheid war das eine gewaltige Tröstung, und seit diesem Augenblicke fühlte sie wirklich einige Zärtlichkeit für Leopold, der seinerseits aber ihr endlich viel zu wenig Ernst machte und ihre Ungeduld reizte. –

Es gibt zwei große Klassen von Männern. Die eine liebt und vergißt mit gleicher Schnelligkeit, das sind die Schmetterlinge, die von einer Blume selten gehalten werden; die andere ist mit blöden Augen geboren, sie muß Zeit haben, um nach und nach sehen zu lernen, aber dann sind ihre Blicke auch mit zauberischer Festigkeit auf den schönen Gegenstand geheftet. Ein kluges Mädchen wird wohl wissen, daß ein solcher Verliebter ein Fisch ist, der selten wieder aus dem Netze geht, und wenn er auch die Täuschungen erkennen sollte, doch gewöhnlich viel zu ehrlich und hoffnungsvoll ist, um nicht zu glauben, und dafür zu leiden.

Die erste Klasse aber muß schnell gefangen werden, wenn sie überhaupt gefangen werden soll, denn jede Minute kann die entscheidende sein. Es gibt dort einen Kulminationspunkt, bis zu dem jedes Opfer gebracht, jeder Fehler vergöttert wird; ist dieser aber überschritten, so folgt nach dem Rausch das Erwachen und der unangenehme Nachgeschmack, den man so schnell als möglich los zu werden und ganz zu vergessen strebt.

Der junge Walther hatte diesen Kulminationspunkt vielleicht schon überschritten, indem wir den Faden unserer Geschichte wieder aufnehmen. Seine Zuneigung zu dem hübschen Mädchen war ein Spiel geworden; er hatte angefangen zu prüfen, Vergleiche zu ziehen und sich ein wenig zu schämen. Wenn die Liebe auf diesen Punkt gekommen ist, so gibt es wechselnde Momente von Freude, Trost und Verzweiflung. Walther hatte eine Zeit lang die rauschenden Gesellschaften seiner Freunde gemieden und ihren Spott geduldig ertragen, denn er lebte in neuen Gefühlen, je mehr diese aber erkalteten, um so lieber trat er in die alten Fußtapfen und wenn man erst der Geliebten gegenüber tausend Entschuldigungen erfindet, um seine Abwesenheit zu bemänteln, so ist Amor sicher in voller Flucht.

Adelheid's mangelhafte wahre Bildung berührte ihn oft sehr unangenehm und widerwärtiger noch trat dies Gefühl durch die anspruchsvolle Weise hervor, mit welcher sie eine Bewunderung ihrer Vorzüge forderte. Die Eitelkeit wurde ihm nun lästig, die Selbstgefälligkeit auf äußere Dinge völlig fatal, und nach und nach sagte er sich selbst, daß diese schöne Puppe keine Idee von der Innerlichkeit eines Lebens habe, so wenig er dies auch selbst noch kennen mochte. Aber mitten in den Unbehaglichkeiten kam dann wieder ein versöhnender Sonnenstrahl, wie beim nahenden Winter zuweilen ein Tag kommt, der fast Sommer zu sein scheint, und dieser führte auf kurze Zeit einige neue Hoffnungsträume zurück.

Walther dachte freilich jetzt kaum mehr daran, aus dieser Liebelei, wie er es nun nannte, eine gesetzte und gesetzliche Liebe erwachsen zu sehen, wofür er in der ersten jungen Zeit mit Leidenschaft geschwärmt hatte. Damals aber hatte Adelheid tausend Gründe gehabt, spröde und voll eigensinniger Beharrlichkeit sich beleidigt zu zeigen, wenn aus dem zarten Anbeter ein etwas materieller denkender Mensch werden wollte; jetzt aber, wo er dem Himmel heimlich dankte, daß sie seine Thorheit nicht berücksichtigt hatte, wäre sie sehr geneigt gewesen, ihm die Gewährung zu gestatten.

Um so erschrockener war nun der junge Walther, daß sein Oheim in der stillen Klause wol etwas davon erfahren haben sollte. Die Anspielungen wurden ihm zur Gewißheit und je mehr er denken mußte, daß der speculative Banquier wol seine Bilanz gezogen haben könne, und genau wisse, wie viel die einzige Tochter des reichen Rentiers werth sei, um so widerspenstiger wurde sein Herz. Die alten Freunde und tausend junge Einflüsse hatten dies Herz verwandelt und verhärtet, und eben jetzt, wo zwei neue, anmuthige Gestalten ihm vorschwebten, war er gewiß nicht geneigt, Thorheiten durch eine größere Thorheit zu versöhnen.

So trat er verstimmt und doch mit aller Heiterkeit des gesellschaftlichen Zwanges in die Wohnung des Rentiers und als Freund in das Zimmer der Familie, die der Diener ohne Meldung öffnete. Adelheid's lautschallende Stimme war das erste, das er vernahm. Mit einem erstaunten Lächeln blieb er an der Thür stehen und warf seinen prüfenden Blick auf die vier vorhandenen Personen.

Der alte Herr Arnheim saß in seinem großen saffianenen Lehnstuhl, hielt die Beine so weit als möglich von sich gestreckt und in beiden Händen ein Bild im schönen Goldrahm. Seine Gattin, die kleine, runde Frau mit der rosa bebänderten Haube, lehnte sich etwas erschrocken an seine Seite und betrachtete bald das Bild, bald die Tochter, welche ganz zornig das Battisttuch um die Hand gewickelt hatte, es hin und her drehte und heftige Worte gegen ihren Vater und einen jungen Herrn sprach, der ein sehr ernsthaftes und tiefsinnendes Gesicht machte.

Es war ein langer, magerer Mensch, mit silberner Brille auf einer ausnehmend großen Habichtsnase. Grünblaue Augen blickten scharf unter den blitzenden Gläsern hervor, und theilten in gezwungener Demuth und Verehrung, dem ganzen Gesicht, das sonst nicht unangenehm war, etwas Verkniffenes, fast Jesuitisches mit. Walther kannte diesen Herrn schon, war ein Assessor, der Vetter irgend eines weitläufigen Vetters, ein Herr Seehausen, von dem der reiche Rentier häufig mit einem feinen Scherze behauptete, er sei eben so arm, wie er lang sei, worauf seine Frau gewöhnlich hinzufügte, er sei der stärkste Esser, den sie je gesehen habe, und da er so unermeßlich dünn sei, könne sie gar nicht begreifen, wo er es lasse. Mit einem Worte also, es war ein armer Verwandter.

Als Walther eintrat, warf Adelheid ihm einen drohenden Blick zu, denn er war in zwei Tagen nicht gekommen; dann aber erheiterte sich doch ihr Gesicht zu einem Lächeln, das gleich darauf ein übermüthiges Lachen wurde, und indem sie das Bild aus den Händen ihres Vaters nahm, lief sie zu Leopold und zeigte heftig mit dem Finger darauf.

Sehen Sie doch diese Sudelei, sagte sie, denken Sie sich nur, was passirt. Ich bin vor einigen Tagen bei dem Geheimrath Elsner zu Thee und Abendbrot, es ist eine sehr geistreiche Gesellschaft dort, es wird nur von Kunst gesprochen, Sie müssen sich einführen lassen. Unter anderm erzählte man, daß bei Sachs eine ausgezeichnete kleine Landschaft von Roqueplan Camille Roqueplan (1802-1855), französischer Maler und Lithograf; malte besonders Genrebilder aus der höheren Gesellschaft sowie Landschaften und Marinen. sei, und erschöpft sich in Lobpreisungen. Ich komme nach Haus und träume die Nacht davon, am Tage erzähle ich es meinem Vater, und meine gute Mutter findet es sehr hübsch, wenn wir auch einige Oelgemälde hätten, wie jetzt überall Sitte ist.

Ich habe mich darum ja auch in den Kunstverein aufnehmen lassen, Adelheidchen, fiel Herr Arnheim ein, und einen baaren Friedrichsd'or erlegt, wofür ich in der nächsten Ausspielung ein Bild gewinnen werde, wie eine Wand groß.

Und bis dahin, rief Adelheidchen mit einem merkwürdigen Aufwand von Spott, kauftest Du diesen Bettel. Du wirst gewinnen, o, ja! hahaha! gewinnen, es ist außerordentlich, man muß es wol glauben; glauben Sie es, Herr Seehausen?

Wer so große Glücksgüter schon besitzt, sagte der Assessor, sich verbeugend, hat, selbst nach den Aussprüchen der Bibel, immer die größten Aussichten noch mehr zu erhalten.

Schmeicheln erweicht jede Mädchenseele; Adelheid belohnte auch den armen Vetter mit einem sehr freundlichen Blick.

Aber denken Sie sich nur, sagte sie, was thut mein Papa? er geht hin und kauft mir dies Bild, dies barbarische Bild! Sehen Sie um Gotteswillen diese magere Kuh auf der Weide und diese Waldmühle. Was sagen Sie dazu?

Walther hatte das kleine Bild angesehen und fand es so übel nicht. Es war aus der Düsseldorfer Schule Das Konzept der Düsseldorfer Kunstakademie unter den ersten Akademiedirektoren Peter von Cornelius und Wilhelm von Schadow wies der Historienmalerei den höchsten Rang unter den Fächern zu. Es folgten die Bildnis- (d. h. die Akt- und Porträt-), die Genre- und schließlich die Landschaftsmalerei. Die stilistische Ausrichtung förderte die Nazarenerbewegung und den Klassizismus. von einem jungen talentvollen Anfänger, der so eben gelernt hatte, aus dem großen allgemeinen Farbentopfe dieser Schule kleine Landschaften mit feuriger Abendröthe zu malen. Der Assessor aber sagte, daß das jedenfalls die siebente Kuh des Königs Pharaonis sei und die Waldmühle so eben von der Abendröthe in Brand gesteckt würde, damit die Kuh ihr Futter finden könne.

Walther ärgerte sich über diese lächerliche Entstellung, die Adelheid laut belachte. Der alte Herr im Lehnstuhl aber erwiderte ganz gemüthlich:

Bild ist Bild, und wer bei mir glaubt, er hat es mit einem Narren zu thun, der ist betrogen, sage ich. Ich komme dahin und sehe mir die Dinger an. Das ganze Gewölbe hängt voll und an jedem steckt ein Zettel. Ich nehme mein Glas und lese: Watelet, hundertundzwanzig Friedrichsd'or, und eine Menge ganz abscheulicher anderer Namen, hundert Friedrichsd'or, hundert funfzig Friedrichsd'or, ein paar Schaafe ganz allein kosten so viel, daß man eine vollständige Heerde lebendiger Thiere der größten veredeltsten Gattung dafür kriegen kann mit Wolle und Fell. Ich sehe den Mann an, der da drin steht und sage: Ist das Spaß oder Ernst? Wie so Spaß? sagte er und sieht mich groß an, daß ich still sein muß, weil ich mich fürchte, daß ich mich blamire und das thue ich nicht gern, denn wenn man reich ist, thut man das nicht gern. Zeigen Sie mir doch die Landschaft von – die von dem Franzosen, von dem Menschen in Paris, sage ich – Ach! von Roqueplan, sagte er, hier ist sie, dabei zeigt er auf ein kleines, erbärmliches Stück in einem ganz schlechten Rahmen, der nicht halb so breit war, wie dieser hier. Ich nehme mein Glas, ja da steht es, Roqueplan und daneben: neunzig Stück Friedrichsd'or. Ich sehe es von allen Seiten an. Es ist eine alte Mühle, ein paar Bäume, eine Kuh frißt das Gras ab, ein bischen Wasser fällt über das grüne mühselige Rad und der Himmel sieht ganz düster aus, kaum sind ein paar Sonnenstrahlen da für neunzig Stück Friedrichsd'or. Himmel Element!

O! ich bitte Dich, Vater, rief Adelheidchen und hielt sich die Ohren zu.

Na, es ist gut, sagte der alte Herr gelassen, ich will nicht fluchen, aber was zu toll ist, ist zu toll. Neunzig Stück Friedrichsd'or für ein Bild drei Hände groß, wofür man ein Paar schöne Pferde bekommt, und ein ganzes Jahr Miethe hat, fünf Jahr Gesindelohn, Zinsen von elftausend Thalern Gold zu vier Procent, die man jetzt auch kaum mehr bekommen kann, und seit die Pfandbriefconvertirungen aufgekommen sind, wo sie nur drei ein halb Procent geben, wird es immer toller, da wären es gar – warte mal –

Aus diesem leidenschaftlichen Gedankengange ward er aber von der Stimme seiner Tochter zurückgerufen, die ihm einige heftige Worte über Geiz, einige über hohe Kunst, die man nicht mit Pferden und Zinsen vergleichen könne, und endlich den Vorwurf in's Gewissen rief, weshalb er denn nicht lieber gar nichts gekauft hätte, wenn ihm der Roqueplan zu theuer gewesen sei.

O! versetzte er mit einer gewissen Pfiffigkeit, indem er die Augen ganz klein machte und den Finger an die Nase legte, ich verstehe auch, was Ton und Mode: ist, mein Kind, und will nicht dahinter zurückbleiben. Ich will auch meine Bilder haben, denn das sieht allerdings recht hübsch aus, wenn die Wände so schön bunt sind, und Schiffe und Wasser und Wiesen und Thiere Einen ansehen, wenn man kommt, als wollten sie sagen: guten Morgen, Herr Arnheim. Du sprichst ja auch den ganzen Tag davon, wenn man reich sei, müsse man Bilder kaufen, aber ich will mich nicht anführen lassen, will kein Esel sein, und viele Tausende von Thalern etwa für ein paar Dutzend solcher Creaturen geben. Wie ich nun ganz erschrocken bin über die neunzig Friedrichsd'or, da sehe ich daneben dies Bild hier, da ist auch eine Kuh darauf, da ist eine alte Mühle, da sind Bäume und Gras und Wasser, Luft und Wolken, und obenein blauer Himmel und eine ganz ausgezeichnete Abendröthe, die das andere durchaus nicht hat. Nun lese ich den Namen und daneben steht: Neun Friedrichsd'or; blos das einzige zig fort, aber mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich lachte ordentlich, und wie ich die beiden Bilder messe, ist das hier eine gute Hand breit länger und der Rahmen weit schöner. Ich sehe hin und her und dies gefällt mir immer besser. Mit dem Rahmen? sage ich, und der Mann sagt ganz freundlich: Ja. Nun, sage ich, ich bitte Sie doch, wie ist das möglich, wie können die beiden Bilder so verschieden im Preise sein? Da zuckt er die Achseln und sagt: Das kommt blos auf Liebhaberei an, und, wie Alles auf der Welt, auf den Namen. Dies Bild ist von einem jungen Manne, der erst berühmt werden soll, jene von den berühmtesten Künstlern unserer Zeit, darin liegt der ganze Unterschied, es ist bei allen Dingen so in der Welt. Mir gefällt aber der junge Mensch eben so gut, sage ich. – Mir auch, sagt er – Und ich denke, eine Mühle ist eine Mühle und eine Kuh ist eine Kuh. – Vollkommen richtig, sagt er – Und das hier ist weit hübscher und bunter, sage ich. Weit mehr theure Farbe hier, als da, sagt er. Kurios doch diese Welt, sage ich, ich werde aber kein Thor sein, ich nehme das wohlfeile mit der theuren Farbe. Darauf waren wir sehr vergnügt, ich gab meine neun Friedrichsd'or, nahm meine Mühle, und was sagen Sie nun, Herr Walther, hab' ich nicht Recht, was?

Vollkommen recht, erwiderte Leopold lachend; denn, wenn auch ein bedeutender Unterschied zwischen den Künstlern und ihren Werken obwaltet, so wird Liebhaberei und Namen doch meist mehr bezahlt, als gut ist. Diese Franzosen vor Allen wissen Geld von den deutschen Barbaren zu ziehen und unsere fremdländische Thorheit nach allen Richtungen auszubeuten. Wackere deutsche Künstler seufzen darunter, und der unbescheidenste unter ihnen ist gegen den mittelmäßigsten Franzosen ein wahrer Lump an Bescheidenheit. Sie haben daher das vaterländische, wohlfeile Talent unterstützt und obenein ein ganz artiges Bildchen erstanden.

Adelheid sah den armen Verwandten an und lachte dann laut.

Da sind wir schon angekommen, sagte sie spöttisch, es findet sich doch für Alles ein Ritter in der Welt, selbst für diesen jämmerlichen Maler. Die französische Kunst aber – ja, wie wurde beim Geheimrath doch von der letzten Ausstellung gesprochen, wo die französischen Bilder Alles todt schlugen, diese traurige deutsche Pinselei, das hätten Sie hören sollen? Herr Seehausen, Sie sind ja auch ein Kunstkenner, nicht wahr, Sie lieben auch die Franzosen, als die ersten Meister?

Frankreich, erwiderte der geschmeidige Vetter, nennt sich das schöne Frankreich; das Volk, die große Nation; Paris, die Hauptstadt der Welt, und wer könnte nach allen den Zugeständnissen und Erfahrungen zweifeln, daß die Geschichte der Zeit sowol, wie die Geschmacks- und Kunstrichtungen dort ihre Ausgangspunkte nehmen.

Es ist ein wahres Glück, daß wir ein französisches Theater haben, sagte Adelheid mit vieler Wegwerfung. Diese schlechte deutsche Bühne, miserable Comödianten, sinnlose Stücke, Tragödien mit obligatem Gewinsel und gräßlichen Theatereffecten!

Sie besuchen es gewiß sehr selten, sagte der Vetter.

Gott bewahre mich! Ich bin mit meinen Freundinnen übereingekommen, nichts zu hören, als Opern und diese allein besuche ich. Die französische Bühne ersetzt mir alles.

Die Vaudevilles und kleinen leichtfertigen Comödien, sagte Walther lächelnd.

Es liegt in jedem ein Stück Leben, ein Stück Wahrheit, sagte Adelheid, man lernt die Welt verstehen und – fügte sie mit vieler Bedeutsamkeit hinzu – lernt sich emancipiren!

Walther erwiderte lachend:

Was will das heißen, mein schönes Fräulein? Wie, auch Sie denken an Emancipation. Was verstehen Sie denn von der Sache?

Adelheid drehte sich unwillig um und sagte:

Diese strengen Herren freilich wollen davon nichts hören, aber dann möge man uns auch ganz als Sklaven behandeln und kein Buch erlauben, kein Französisch lernen lassen. Emancipation ist die Gleichheit der Geschlechter, die feste Willenskraft, sich nicht unterzuordnen, nicht die Bande zu tragen, mit denen man uns ankettet, sondern frei in die Welt zu treten, die uns so gut gehört, wie diesen übermüthigen Herren.

Also eigentlich die Erlaubniß, ungestört dem eigenen Köpfchen zu folgen? sagte Walther.:

Die Erlaubniß, versetzte Adelheid schnell, nach unseren Ueberzeugungen frei zu sein, unsere Rechte zu wahren, unsere Liebe und Zuneigung nicht willenlos zu verschenken, nach Grundsätzen zu handeln, nicht die Dienerin eines strengen oder unbesonnenen Gatten zu werden, und mit Freiheit uns in allen Kreisen des Lebens zu bewegen. Verstehen Sie mich nun, Herr Walther?

Du lieber Gott! rief der alte Herr Arnheim mit der zärtlichsten Begeisterung und schlug die Hände zusammen. Wenn ich nur wüßte, wo das Mädchen alle diese Gedanken herbekäme. Ist es nicht was ganz Außerordentliches, Herr Walther? Was sagen Sie, Herr Seehausen? Von mir hat sie es nicht, nein! ich kann einen Eid leisten, und von meiner Frau hat sie es auch nicht, wir sind immer simple Menschen gewesen.

Aber Jacob, sagte die kleine dicke Frau in stolzester Mutterfreude, was hat das auch gekostet! In der Pension so lange, jährlich dreihundert Thaler, und Privatunterricht, der Franzose und der Italiener und der schwarze Maler und der Singlehrer, das kostet ja noch immer zu. Und dann die Tanzstunden. Wenn ich an die Schuhe denke, die da zerrissen wurden, Du mein Gott! wenn sie nun nicht einmal Gedanken haben sollte! – Adelheidchen, spiele doch ein bischen auf dem Flügel den neuen Walzer.

Adelheidchen aber war nicht ohne eine brennende Röthe der Scham an ein Fenster getreten, von wo aus sie ihrer Mutter einen Blick zuwarf, welcher der alten Frau das Wort in den Lippen zerbrach. Es ist ein furchtbares Unglück, wenn Kinder sich ihrer Eltern schämen, sei es gerecht oder ungerecht, aus Eitelkeit oder aus Erkenntniß ihrer Schwächen und Mängel, der Sünden wegen oder des gekränkten Hochmuthes. Die Tochter war den Eltern weit überlegen und empfand das Lächerliche sehr wohl, ohne es durch die eigene edlere Erscheinung versöhnen zu können.

Bildung verrückt die Gesetze der Natur und die ungezähmte, natürliche Heftigkeit, mit welcher hier die Tochter alle Ehrfurcht abwarf und den Eltern Schweigen gebot, war für Walther theils belustigend, theils aber auch eine neue empfindliche Erinnerung seiner eigenen Verirrungen. Am besten und verständigsten benahm sich der arme Vetter, denn als Herr Arnheim in einer Aufwallung seiner väterlichen Herrlichkeit einige Worte zu erwidern wagte, wußte er ihn mit wenigen Redensarten so von seinem Unrecht zu überzeugen, daß er ganz verstummte.

I, du meine Güte, rief der Rentier, was sage ich denn? Ich sage ja das Allerbeste; die ganze Welt weiß es, daß sie meine einzige Freude ist, und wenn sie ein Wort sagt, und es liegt ihr so am Herzen, die kleine Landschaft da, von dem Menschen, dem Franzosen, wie er heißt – zu haben, in Gottes Namen! Neunzig Louisd'or kosten das Leben nicht, und ich bin kein Mann, der Einem eine Freude verdirbt.

Er dachte wahrscheinlich daran, daß er erst vor einigen Stunden einem armen Verwandten ein ganz kleines Darlehn abgeschlagen hatte, denn er setzte hinzu:

Vorausgesetzt, daß es nützlich und gut ist.

Bei diesen Worten erheiterte sich Adelheidchens Gesicht zu einer himmlischen Freundlichkeit. Sie warf das Taschentuch fort, hüpfte auf ihren Vater zu, legte seinen alten Kopf in ihre weißen Arme und bedeckte ihn mit Küssen.

O! liebes, liebes Väterchen, rief sie, das willst Du thun?! O! tausend, tausend Dank. Ja, Du liebst Dein armes Adelheidchen; wie wird der Geheimrath erstaunen, wir müssen nächstens einen Thee geben, und Ihnen, Herr Seehausen, Ihnen danke ich es. Ich habe wohl gehört, wie Sie dem guten Papa heimlich sagten, jetzt müsse er das Bild kaufen, es sei eine neue geistige Anregung für mich und meine Kenntnisse; aber mit Ihnen, Herr Walther, werde ich noch heut Zeit haben zu schmollen und zu schelten. Sie sind doch auch bei Ihrem Oheim zu Tisch geladen?

Walther bestätigte dies, indem ein verlegener Ausdruck sein Gesicht veränderte und diese Verwandlung entging dem scharfen Auge der jungen Dame nicht. Was sie in diesem Moment vermuthete, ging, wie ein Blitz, durch ihre Seele und färbte ihre Wangen mit glühendem Roth. Sie warf einen zärtlichen Blick auf Leopold, und ließ dann die langen seidenen Schleier der Wimpern beschämt von der Aussicht in ihr Herz fallen.

Glücklicher Weise kamen jetzt aber mehrere junge Damen, und Leopold behielt Zeit sich zu sammeln und endlich zu entfernen. Als er ging, begleitete ihn ein freundlicher Wink und die Ermahnung, nicht zu spät zu kommen, was er Vater und Mutter sowol, wie Adelheidchen insbesondere feierlich zusagen mußte, die ihm überdies zuflüsterte, keiner von ihnen begriffe, was es mit dieser Einladung zu sagen habe und sie fürchte sich vor allen Ueberraschungen.

In diesem Augenblicke war sie so schön und liebenswürdig, daß Walther ihre weißen Fingerspitzen küßte und nichts sagte; als er aber auf der Straße war; lachte er plötzlich so laut, daß die Vorübergehenden ihn ansahen und ihre Glossen machten. Er lief schnell davon und schwor sich zu, wenn eine Ueberraschung Statt fände, sich nicht selbst überraschen zu lassen.

Plötzlich traf er auf den jungen Offizier, den Grafen, der ihn einlud, ein paar Fensterpromenaden bei berühmten Schönheiten zu machen, bei einer Schauspielerin, die er grüßte, einer Sängerin, mit der er zweimal gesprochen hatte, und einer Tänzerin, die er zuweilen besuchte. Mitten in dem lebhaftesten Gespräch über Theater, Champagner, ein neues Pferd, eine Entenjagd, und ob die Damen wol sichtbar sein würden, riß er sich los und lief mit eiligen Schritten einer jungen leichten Gestalt nach, die dem Schauspielhause zuging, nachdem er seinem Freunde zugerufen hatte, daß es die reizendste Figurantin des Ballets sei.

Walther kam näher und hörte nur ein Bruchstück ihres Gespräches.

Guten Morgen, mein schönes Fräulein!

Guten Morgen, Herr Graf!

Schon ausgegangen?

O, ja.

Einkäufe gemacht, wie ich sehe.

Kleinigkeiten.

Ich auch Einkäufe gemacht.

Sie?

Auf Ehre!

Was denn, wenn ich fragen darf?

Ja, was Sie alles wissen wollen. Reizende Armbänder, neue Sommermoden. Haben Sie schon die neuen Sammttücher gesehen?

Ach! ich armes Kind, wer schenkt mir so etwas?!

Sie sind süperb! Warten Sie nur, Sie – Sie kleine Fee – wie das Alles glänzt. Welcher zärtliche Millionair liegt zu Ihren Füßen?

Ach keiner, gehen Sie doch, ich Millionair! ach Gott!

Schwören Sie!

Keiner! Was denken Sie?

Auf Seele?

Auf Seele!

Wollen Sie meine Einkäufe sehen, kleine Fee?

Wenn sie hübsch sind, aber –

Wann?

Die Probe kann lange dauern, um vier, aber –

Göttliches Mädchen, ich komme gewiß.

Walther ging lachend die Straße hinab. Er kannte das zu Genüge. Endlich kam der Graf athemlos hinterher.

Liebster Leopold, sagte er, wie stehts mit Deinen Geldern?

Herzlich schlecht, aber ich denke eine Anleihe zu machen.

Wann?

So bald als möglich.

Ach, die tausend Thaler von Fahnenbergs Agenten.

Ich will nur fünf hundert.

Nimm tausend, Herzensmensch, und gieb mir dreihundert davon.

Um sie mit dem göttlichen Mädchen zu verschwenden, sagte Walther.

Seit wann bist Du denn ein Moralist geworden? rief der Offizier. Das Leben ist ein so verwünscht langweiliges Geschenk, das wir obenein unfreiwillig erhalten; man kann es nur durch Genuß erträglich machen, und wenn mein Onkel stirbt –

So giebst Du mir Alles zurück.

Bei dem Barte meines Urahns!

Sobald ich das Geld habe, sollst Du Deinen Theil empfangen, sagte Walther lachend. Gehe hin, erobere ein Herz für ein Sammttuch, Du kaufst es wohlfeil, darum wird es Dich bald gereuen.

Er ging und traf in seiner Wohnung einen sehr fein gekleideten Herrn, der ihn erwartete. Blendend weiße Wäsche und ein fast vornehm kluges Gesicht gaben der schlanken Gestalt etwas sehr angenehmes. Er nannte seinen Namen und Charakter, der eine gewisse Achtung voraussetzte, und der junge Walther war ein wenig erstaunt, denn er wußte nicht, was er mit einem solchen Manne zu thun haben sollte. Er bat den Fremden, sich nieder zu lassen, indem er zugleich um die Ursache der Ehre seines Besuches fragte, was dieser nicht ohne ein leichtes Lächeln hörte.

Ich sah Herrn von Fahnenberg heut, sagte er, der auf meinem Bureau ansprach, um mir eine gewisse Eröffnung zu machen, die mich nun zu Ihnen führt.

O, ganz recht, sagte Walther und starrte den Herrn dann wieder an, Fahnenberg sagte mir von einem – von einem Geschäftsfreunde, der zuweilen aus der Noth hilft.

Das heißt, erwiderte der Geschäftsfreund mit einem verbindlichen Lächeln, ich verstehe mich zuweilen dazu, Freunden zu dienen, und Menschen aufzusuchen, die eigentlich nicht verdienten, aufgesucht zu sein. Wollte Gott, ich wäre selbst reich, sagte er mit einem Seufzer.

Jedesfalls um Ihren Freunden großmüthig beizustehen, fiel Walther ein.

Ich habe das Herz dazu, erwiderte der feine Mann mit erschütternder Innigkeit der Stimme, darum glauben Sie wol, wie weh es mir thut, wenn ich dem Laster helfen soll. Aber die Welt ist hart, man darf in ihr niemals davon träumen, wie sie wol sein könnte, sondern sie ganz einfach nehmen, wie sie ist. .

Eine ganz vortreffliche Moral, sagte Walther.

Es ist mein Morgen- und Abendgebet, flüsterte der fremde Herr etwas spöttisch, indem er seine große goldene Dose hervorzog, und Walthern eine Prise bot, die dieser ablehnte. Um danach zu handeln, lassen Sie uns zur Sache kommen. Sie wünschen ein Darlehn von tausend Thalern auf ein Jahr?

Höchstens auf sechs Monate, fiel Walther ein.

Der Mann, von welchem ich Geld für Sie bekommen kann, sagte der Geschäftsfreund sehr höflich, leiht nur jährlich und unter so harten Bedingungen, daß ich Niemandem rathen will, sie anzunehmen, der nicht muß. Ueberhaupt, mein Herr Walther, fuhr er im herzlichsten Tone fort, ist es Ihnen möglich, so greifen Sie nicht nach diesem Auswege, sich Wucherern in die Arme zu werfen. Es ist ein entsetzliches Gesindel, ohne Ehre, ohne Menschlichkeit, und wie Viele sind auf diesem Wege nicht elend geworden.

Der ehrenwerthe Mann machte hiebei ein so frommes und doch so unermeßlich heuchlerisches Gesicht, seine Augen suchten in Walthers Zügen umher, nach einem Zeichen seiner Gedanken lauschend, und seine schnellen Lippen drückten sich so gaunerisch rechnend zusammen, daß der junge Verschwender einen entsetzlichen Ekel empfand. Seine Stirn zog sich in eine tiefe Falte, und mit stolzerem Tone sagte er:

Lassen wir das, mein Herr, über dergleichen Bedenken bin ich längst hinaus. Ich bin kein Neuling und kenne die Welt mehr, als zu gut, so jung ich auch in Ihren erfahrenen Augen sein mag. Nennen Sie also die Bedingungen.

Ich zahle Ihnen tausend Thaler, erwiderte Jener nun eben so kalt, und empfange von Ihnen einen Schuldschein, in welchem Sie bekennen, sechzehnhundert erhalten zu haben, die Sie mit Ihrem Ehrenworte versprechen, binnen zwölf Monaten zu bezahlen.

Sechshundert Thaler! sagte Walther. Sechzig Procent also.

Der Staat bewilligt gesetzlich allerdings nur fünf und nennt das Mehr Wucher, versetzte der Mann mit einem spöttischen Lachen. Ich könnte Ihnen jedoch leicht beweisen, wie falsch diese ganze Gesetzlichkeit ist. Mit welchem Rechte will man mich zwingen, einen Zinsfuß zu halten bei meinem Hazardspiel? Haben Sie die nöthige Sicherheit: liegende Gründe, werthvolle Documente, die ein gehöriges Pfand bilden, so ist Geld vollauf zu erhalten; allein Sie geben nichts, als Ihr Wort, mir mein Darlehn zu erstatten. Sie sind minorenn, und sterben Sie heut, so ist mein Geld verloren; leben Sie aber auch, und wollen bei Ihrer Mündigkeit nicht zahlen, so muß ich schweigen, oder wollen Sie recht großmüthig handeln, so geben Sie das Darlehn zurück und ziehen die Zinsen ab. Ein Kapital in dieser Weise auszuleihen, ist also ein Hazard, bei dem man mindestens doch den Einsatz gewinnen sollte; was weniger ist, muß man billig nennen.

Und Sie wollen mir Ihr Geld unter so billigen Bedingungen anvertrauen? fragte Walther lachend.

Mein Geld? rief der geschäftige Herr, gleichfalls lachend, nein, ganz gewiß nicht. Ich hoffe, Sie scherzen. Ich sage Ihnen ganz offen, mein Geld würde ich niemals zu solchen Speculationen anzulegen wagen. Ich rede nur die Sprache der Wucherer, mit welcher diese ihr Gewerbe vertheidigen, und man muß billig sein und sagen, daß sie, bei aller Vorsicht, doch so häufig betrogen werden, daß der anscheinend ungeheure Gewinn sich sehr herabstimmt. Meine Stellung führt mich häufig mit solchen Leuten zusammen; ich kenne ihre Schändlichkeit durch und durch, ich verachte sie, und doch sind sie wieder ein nothwendiges Uebel und von keinem Gesetz zu tödten. Wollen Sie nun, mein Herr Walther, so setzen Sie sich und schreiben drei Zeilen, hier ist das Geld.

Er zog eine Brieftasche heraus und legte schnell zehn Bankscheine auf den Tisch, indem er sie sorgsam anfaßte und umwendete; ein sehr gewöhnliches Mittel der Wucherer, schwankende Gemüther zu verlocken und zu blenden.

Bei Walther war dies jedoch unnöthig. Er setzte sich, schrieb und reichte dann die Schrift dem höflichen Manne, der einen einzigen Blick hineinwarf, sie zusammenfaltete, und statt seines Geldes, das er dem neuen Besitzer zuschob, in die Brieftasche steckte. Mit der größten Ruhe fuhr er dann fort, über Witterung und Wohnungen zu sprechen, von einer Reise nach Italien, die er zu unternehmen gedächte, und nach einigen Scherzen über die Theuerung eines fashionablen Lebens, empfahl er sich mit der höflichen Bitte, Walther möge ihn besuchen, seine Wohnung sehen, die beiläufig gesagt, achthundert Thaler jährlich koste, und ihm monatlich einen Abend in seinem Familienkreise schenken, wo er angenehme Gesellschaft finden werde.

Als er fort war, stand der junge Walther noch lange und betrachtete die Scheine, welche vor ihm auf dem Tische lagen. Zum ersten Male schien es ihm, als hafte ein Fluch daran, als lägen Thränen des Elends und des Jammers glänzend auf der dunklen Schrift. Zum ersten Male kam es ihm auch vor, als sei sein eigenes Leben ein Gewimmel von Thorheiten, die ihm weh thaten.

Ein dumpfes Bangen erfüllte seine Brust. An diesem einen Tage hatte er Manches erlebt. Er erinnerte sich der stolzen Blicke Gilgenströms, die ihm zu sagen schienen: Du bist doch nichts, als ein gewöhnlicher Modegeck, gehörtest Du wirklich auch durch Geburt zu den Exclusiven, zu denen Du Dich drängst, die Dich aber im Stillen verspotten, indem sie Dich benutzen; und dann trat die strenge alte Gestalt seines Oheims gebeugt von Schmerzen vor ihn hin. Wehmüthige Liebe und Reue faßten ihn an.

Endlich packte er drei der Scheine ein und sandte seinen Diener damit zu seinem Freunde, dem Grafen. Er that es mit einer freudigen Lust, mit einer Art Verachtung gegen Geld und Menschen, die aus dem Gefühle entsprang, daß er sich doch besser wußte, als Viele. Dann sah er nach der Uhr und fand, daß er eilen müsse, um nach des Banquiers Willen recht früh zu erscheinen.


4.

In dem alten Hause, das freilich ein schönes und bequemes Haus war, nur daß seit Jahren wenig Sorgfalt darauf verwendet wurde, war diesmal die große Flügelthür geöffnet, welche die Treppe nach dem obern Geschoß absperrte, und nicht ohne Lächeln bemerkte Leopold den alten Heinrich, der den Fußteppich im Schweiße seines Angesichts mit gelben Messingstangen befestigte. Alles war neu geputzt und sauber, selbst der alte Mensch, der eine steife Livree mit Silbertressen angezogen hatte. Als Leopold bei ihm vorübersprang, sagte er:

Gut, daß Sie da sind, Sie sind der Erste von den zehntausend Thebanern, die wir erwarten. Sie wissen doch, daß der Herr alle die Thebaner nennt, die was von uns haben wollen, und seit einer halben Stunde hat er schon nach Ihnen gefragt.

Leopold hörte nur flüchtig die Worte und trat erstaunt in die geöffneten Gemächer, die er lange nicht gesehen hatte, denn der alte Herr hatte sich seinem Comptoir gegenüber eingerichtet und zwar in wenigen Zimmern. Hier oben hatten Walthers Eltern einst gewohnt, das wußte er, und mit Rührung sah er, wie wohl noch Alles erhalten war. Es war ihm in langen Jahren niemals eingefallen, sich diese Zimmer öffnen zu lassen. Als Kind nur hatte er sie gesehen, später dachte er sie zerfallen und vergilbt, und nun empfand er plötzlich einen Zorn gegen sich selbst und eine Anklage, die ihm vor kurzer Zeit wol sehr lächerlich gewesen wäre.

Er hatte seiner verstorbenen Eltern selten gedacht und noch heut von ihnen gesprochen, ohne lebendigen Schmerz zu empfinden. Er hatte sie nicht gekannt, nicht einmal ein Bild war vorhanden, das ihm die theuren Züge aufbewahrt hätte, aber mit einem leisen Schauer legte er die Hand auf den schweren Drücker der Thür, denn wie oft wol hatte die Mutterhand ihn berührt, wie oft hatte ihr leichter Fuß über den schönen, alten Teppich gestreift, der den Boden bedeckte.

Walther war wie in einer fremden, neuen Welt, die ihn wunderbar anstarrte und ihn fast zu Thränen rührte. Prächtige Gobelintapeten, reich, schwer und theuer, bedeckten die Wände, alte Geräthe von Gediegenheit und Werth standen an den Wänden, und überall sah man, daß seit vielen Jahren hier nichts geändert, aber alles zum Besten erhalten war.

Der junge Mensch ging langsam durch mehrere Zimmer, und sah mit neugieriger Lust in dem halbrunden Saal die hohen Spiegelwände mit Goldleisten eingefaßt und von goldenen posaunenden Engeln an zeltartigen Deckengewölben gehalten, Dinge, die der Rococogeschmack wieder neu gemacht hat, welche aber hier an einzelnen abgestoßenen Ecken und Stückchen ihre Ehrwürdigkeit offenbarten. Mitten darin war eine Tafel für zwanzig Personen servirt und mit Silber und Goldgeräth an Aufsätzen, Nothwendigem und Ueberflüssigem, so überladen, daß man einsehen mußte, der Besitzer wolle, wie eine eitle Dame, einmal zeigen, daß er es habe.

Indem Leopold in der Thür stehend, die Couverte überzählte, bemerkte er erst seinen Oheim, der vor einem der großen Spiegel höchst lächerliche Gesichter schnitt, sich verbeugte, die Hand ausstreckte, den Kopf schüttelte, vor sich hin murmelte und die tollsten Possen zu treiben schien. Was er sprach, konnte der junge Walther nicht verstehen, aber nach dem Blinzeln, Lächeln und Schmunzeln seiner Augen und Lippen, mußten es ganz entzückende Dinge sein.

Plötzlich drehte er sich um, da er im Spiegel die Gestalt seines Neffen erblickte, und schien sich fast ein wenig zu schämen, als er den verwunderten Spott in Leopolds Gesicht bemerkte.

Da bist Du ja endlich, sagte er, so rauh wie möglich, und was giebt's denn zu lachen, junger Mensch?

Mit wem unterhielten Sie sich so angelegentlich? erwiderte Walther.

Die großen, grauen Augen des Banquiers sahen ihn durchdringend an.

Mit wem? sagte er. Mit Schattenbildern, mit luftigen Phantomen, mein Sohn, mit der Vergangenheit, der einzigen treuen Freundin, welche uns nicht vergißt und verläßt. Ein alter Mensch muß sich hüten, allein zu sein, mein Kind, die Zukunft ist nicht mehr für ihn von dieser Welt, die Gegenwart schlägt an ein erfahrungsvolles, abgenutztes Leben, an geringe Freuden und alternde, knarrende Glieder, darum flieht man so gern in die Vergangenheit zurück, wo Alles noch von Jugendglück und Hoffnungen verschönt war.

Sie dachten sich also die Welt vor vierzig Jahren? Den jungen verliebten Herrn Walther mit Stutzperücke und Stulpenstiefeln? versetzte Leopold.

Der Banquier warf einen Blick auf diese Stiefeln und Perücke, die er noch trug, und sagte dann sehr feierlich:

Ich habe nie meine Meinungen, wie Kleider, wechseln können, und meine Kleider nie den Meinungen unterworfen. Das war eine schöne und edle Tracht, mein Kind; nicht wie der heutige Firlefanz ungeschlachter und unschöner Moden. Und so waren auch die Menschen, sie waren besser, denn sie waren einfacher, treuer.

Und dummer, sagte der junge Walther halblaut.

Dummer! rief der – Banquier, der es doch gehört hatte, ergrimmt. Ja, so nennt Ihr Alles, was nicht in Euren Kram paßt. Die Ehrlichkeit ist dumm, die Treue albern, die Tugend lächerlich, und nur das Laster, wenn es pfiffig, oder wie Ihr es nennt, geistvoll ist, das ist die Weisheit, die Ihr verehrt. O, Du mein Gott! schrie er und stampfte mit dem Fuße; muß ich das Alles an meines Bruders einzigem Sohne erleben! Abgefallen von der Sitte seiner Väter, ein Thor, ein Pomadenhengst, ja, das ist der richtige, schöne alte Ausdruck für alle diese Herrchen und Närrchen, für diese aufgeblasenen Exclusiven, die da denken, Gott der Herr habe weiter nichts zu thun gehabt, als die Welt voll Pöbel und Arbeitsknechte für sie zu bereiten.

Hier hielt er inne, sah seinen Neffen streng an und sagte mit der frühern würdigen Feierlichkeit:

Und nun frage ich Dich, Leopold, willst Du heirathen oder nicht?

Nein, sagte Walther ganz ruhig.

Gut, erwiderte der alte Herr mit vieler Entschlossenheit, so heirathe ich.

Sie? rief Walther lachend. O! –

Der Banquier zog die Weste straff und warf den Kopf in die Höhe. Ich hoffe, Du hast nichts dagegen, sagte er.

Nicht im geringsten, erwiderte Leopold. Vorausgesetzt, daß es Ihre Constitution erlaubt und die Haushälterin, Fräulein Caroline, setzte er ganz leise hinzu.

Undankbarer Mensch! rief der alte Herr. Ich werde Dich bestrafen, wie Du es verdienst. Mein Vermögen soll nicht in Deine Hände fallen.

Ich glaube wahrhaftig, sagte Walther, ohne auf diese gewöhnliche Phrase einzugehen, Sie übten vorher schon im Spiegel die Bräutigamsrede ein, und drückten im Geiste die holde Braut an Ihr schwärmerisches Herz.

Bei diesen Worten verdüsterte sich die Stirn des alten Herrn und sein Auge schoß einen feurigen Blick auf den unverschämten jungen Menschen. Dann wendete er sich fort, und deckte die Hand auf sein Gesicht.

Du bist doch schlechter, als ich dachte, sagte er nach einer kleinen Pause, Du kannst mich alten Mann in der That verspotten. Ich stand vor diesem Spiegel still und betrachtete meine versunkene Gestalt, meine eingefallenen Züge. Einst hatte ich auch hier gestanden, und damals war ich jung, blühend und mein Herz schlug heiß. Ich sah sinnend in dies Glas, und in ihm spiegelte sich ein holdes Gesicht, das mir gegenüber saß. Da fragte ich mich, darfst Du es wagen, Dich mit diesem reizenden, jungen Geschöpf zu verbinden? Und ich musterte meine männlichen Vorzüge, dachte an mein Gold und lächelte. Aber, mein guter Freund, fuhr er leise fort, ich gehörte immer zu denen, die in der Liebe zu spät kommen. Ein anderer verstand es besser, Frauenherzen zu gewinnen. Er war bei weitem nicht so reich, wie ich, aber er kannte das leichte gefällige Formenwesen, er hatte einen Titel, – und in eben diesem Spiegel sah ich mit düsterem Blick ihr seelenvolles Lächeln, als sie den Kranz im Haare trug und nichts von meinen Schmerzen ahnete. Früh sind sie dann Alle von mir geschieden, und haben mich allein zurückgelassen mit meinen Träumen von Vergangenheit, mit meinen Sorgen und Mühen, die ein arbeitsvolles Leben gab. Diese Wohnung aber habe ich immer werth gehalten, und wie ich nun heut wieder vor dies Glas trat, trat auch mein ganzes Leben mit mir hin und fiel mich an, fast wie ein hungriges Raubthier, das Blut von mir fordert. Ich sah deutlich, was ich geworden war, und es kam in meine alten Augen ein Weh, und in dem stumpfen Herzen rief eine Stimme: Verloren! auf ewig verloren! Ein Greis, einsam, dem Grabe zugewelkt, ohne Weib, ohne Kind! Ein einsamer, alter Mensch, das ist ein fürchterliches Wort. Der Spiegel zeigt mir das Gespenst meines Daseins; ich dachte an Dich, mein Leopold, Du solltest mir Alles ersetzen, und Du – Du bist ein so großer Thor, daß nichts Dich bessern kann.

Ich glaube, sagte der junge Walther sinnend und sanft, indem er die Arme mit Herzlichkeit um seinen Oheim schlang und seinen Kopf auf dessen Schultern legte, jetzt eben hat meine Besserung begonnen.

So höre mich an, guter Freund, sprach der alte Herr, und sei hübsch folgsam. Weißt Du denn, was heut hier geschehen soll?

Nein, sagte Walther, wenn nicht gegessen werden soll, so weiß ich nichts.

Gegessen und tapfer getrunken und angestoßen, wenn Du willst.

Da bin ich immer dabei, meinte Leopold.

Und angestoßen auf das junge Brautpaar! fuhr der Banquier fort.

Eine leichte Blässe überzog das Gesicht des jungen Walthers. Um des Himmels willen, bester Onkel, rief er, keine Uebereilung. Sie führen eine gewaltsame Scene herbei, deren Folgen uns schwer treffen würden. Sie wissen nicht, daß man in der Welt tausendmal lieben und liebeln und doch nie ernstlich an eine ewige Verbindung denken kann. So ist mein Verhältniß zu Adelheid, die schön und reich ist, aber meine Lebensgefährtin nie sein kann.

Adelheid! rief der Banquier erstaunt. Was Adelheid! die Tochter des alten Arnheim, mit der hast Du auch einen Liebesroman angesponnen? Das ist eine kleine Thörin, die so recht zu Dir paßt, aber es handelt sich hier um eine Andere, die Du erst kennen lernen sollst. Ich habe Dir gesagt, fuhr er fort, daß es ein Weib einst gab, die ich gern mein genannt hätte, wenn nicht ein Anderer mir zuvorgekommen wäre. Nun ist er todt, dieser glückliche Nebenbuhler, und auch sie ist hinüber, aber sie hat zwei Töchter hinterlassen, und da wünschte ich denn, daß Du glücklicher wärest, als ich. Sieh, fuhr er lebhaft fort, es weiß Niemand etwas davon, als ich und ein Verwandter, der mich heut mit den beiden Damen besuchte; gerade als Du gingst. Schöne, liebe Mädchen, die freilich wenig Vermögen haben, aber Schätze an Liebenswürdigkeit. Wenn ich einen Fehler wüßte, so wäre es der, daß leider ihre Geburt sie Dir nicht gleich stellt.

Mein Gott, was sind sie denn? rief Walther erschrocken.

Sie sind von Adel, sagte der Banquier seufzend, ein Fehler, der sich durch nichts gut machen läßt. Solche Heirathen tragen einen Keim in sich, der häufig schlechte Früchte bringt. Aber das laß Dich nur nicht hindern, mein Sohn; ich habe meine Bedenklichkeiten überwunden, und Dir werden sie nicht schwer werden; Du wirst nicht daran denken, wenn Du sie siehst und – da sind sie selbst, rief er und eilte der Thür zu.

Diese hatte sich jedoch schon geöffnet und eine unbeschreibliche Verwirrung, und doch zugleich eine eben so große Freude, ergriffen Leopold, als der General-Landschaftsrath von Wüstenberg mit seinen beiden Nichten vor ihnen stand. Der große Edelmann war nicht weniger erschrocken, Aureliens Wangen färbten sich mit dem tiefsten Roth, während Liane einen stolzen, strengen und doch ein wenig schelmischen Blick auf ihn warf.

Im nächsten Augenblick war jedoch die Fassung des Mannes von Welt, der fatale Momente zu überwinden weiß, bei dem jungen Walther zurückgekehrt, und indem er die Hand des Barons ergriff, wußte er mit einer feinen Wendung es als eine wunderbare Fügung darzustellen, die ihn schon einen Tag früher angetrieben, die Bekanntschaft der liebenswerthen Familie zu suchen.

Der Landschaftsrath besaß dagegen gerade Verstand genug, um einzusehen, daß so wenig Erwähnung, wie möglich, von dieser Bekanntschaft gemacht werden müsse. Er ließ es daher ganz dabei bewenden, überhörte auch die Frage des Banquiers über das Wo und Wie? und stellte den jungen, so vielfach heftig ausgescholtenen Freund den Damen vor, indem er lachend erklärte, daß er nun durchaus kein Hinderniß sehe, diese Fügungen in aller Bequemlichkeit fortzusetzen.

Welch ein schöner Wink für Leopold, der durch alle diese Zufälligkeiten und Irrthümer zu der Gewißheit eines guten Ausganges um so mehr sich berechtigt glaubte, da, was er wenige Stunden früher als eine abgethane Unmöglichkeit genommen, und sich dafür mit tausend Fatalitäten bedroht sah, jetzt plötzlich, wie unter den Zauberhänden eines Chemikers, aufgelöst, nur Glück und gute Hoffnungen verhieß. Unwillkürlich fiel ihm Fahnenberg ein, der es vorausgesehen, daß er zu den Menschen gehöre, denen das Butterbrot nie auf die bestrichene Seite fällt. Er hatte das schon Gilgenströms wegen geäußert, was aber mußte nun sein Ausspruch sein, da statt der Bekanntschaft, die er höchstens erwarten durfte, plötzlich ihm Hand und Herz dieser lieblichen Naturkinder angetragen war.

Mitten in seinen ersten entzückten Gesprächen, in welchen er jede mögliche Liebenswürdigkeit zu entfalten suchte, öffnete sich die Thür von neuem, und die Familie Arnheim trat ein. Adelheidchen im glänzendsten und gewähltesten Schmuck, zu denen die beiden ländlichen einfachen Baronessen sonderbar abstachen. Die weißen Kleider waren nicht einmal modern, und von Goldschmuck fand sich wenig oder gar nichts vor. Aurelie schien diesen Unterschied wol zu fassen, sie erröthete und lächelte, als Adelheids Blick musternd über sie hin flog; Lianens tief dunkelblaue Augen aber begegneten der fremden Neugier mit einer kalten Vornehmheit, die sie verstummen machte.

Nun kamen auch die übrigen Gäste und Leopold konnte nicht umhin, lebhaft mit Adelheid zu reden, die sich an seiner Seite fest nistelte, und von unzähligen Dingen in der buntesten Unordnung sprach. Zuweilen richtete sie auch das Wort an die jungen Damen, und kaum hatte sie erfahren, daß es Fremde wären, als sie die neugierigsten Fragen that, welche durch die einsilbigen Antworten nicht entmuthigt wurden. Mit Ruhmredigkeit sprach sie dann von dem Aufenthalt in der Hauptstadt, von den Sehenswürdigkeiten, von Moden und Sitten, Bällen und Concerten, von Kunst und den Sonntagspredigten berühmter Kanzelredner, und ganz besonders fand sie an Aurelien eine freundliche duldsame Zuhörerin, während Liane sich bald fortwendete und leise vor sich hin murmelnd sagte:

Geschwätzig und widerlich bis zur Unerträglichkeit!

Wie sie dann in der Ferne stand, beobachtete sie genau die Ungeduld Walthers, und mit einem leisen Vergnügen sah sie, daß er eine Gelegenheit benutzte, den kleinen Kreis, welcher sich um die erzählende und laut lachende Wortführerin gebildet hatte, zu verlassen, die es nicht bemerkte, da einige höchst begeisterungsfähige Herren vom Handelsstande sie genugsam bewunderten.

Die Gesellschaft war auch in diesem Augenblick vollzählig und bestand größtentheils aus ältlichen Herren von der Börse, aus einem Geheimrath mit zwei Töchtern, die seit sechs oder acht Jahren den zwanzigsten Geburtstag mit der heldenmüthigsten Unerschrockenheit feierten, aus zwei entfernten alten Verwandtinnen, welche sich gerade ebenso sehr wunderten, hierher gebeten zu sein, wie sämmtliche übrige Gäste, und endlich aus den uns bekannten Personen.

Daß Heinrich in der perlblauen Livree die Thüren des Speisesaals nun öffnen würde, schien der junge Walther wol berechnet zu haben. Er stand in diesem Augenblicke an Lianens Seite, und hörte ihre Antwort auf seine leise Frage, ob seine erste ungestüme Erscheinung auch volle Vergebung gefunden habe.

Wie sie den ernsten Blick ihm zuwandte, fühlte er sein Herz klopfen. Sie sagte nichts Geistreiches, nichts Gesuchtes. Sie gestand ihm, daß es ihr recht mißfallen habe, diese sonderbare Artigkeit; allein sie habe sich schnell damit ausgesöhnt. Nur als sie bemerkt hätte, daß die dreiste Zuversichtlichkeit zugleich einen gewissen Spott in den geschliffenen Formen enthalte, einen Spott gegen die Leute aus der Provinz, da sei ihr Zorn entbrannt und einen Theil davon empfinde sie noch.

In dem Getümmel des Rufs zur Tafel sagte Walther:

So will ich ihn denn tragen diesen Zorn, und meine Aufgabe soll sein, ihn zu versöhnen und umzuwandeln. –

Die letzten Worte: In Liebe! verschwieg er, aber sie strahlten aus seinen Blicken. Zum ersten Male jedoch fand er sich dem ruhigsten Ernste gegenüber, der wie Unempfindlichkeit ausgesehen hätte, wenn das dunkle, schöne Auge nicht zugleich eine seelenvolle Tiefe des Gemüths ausdrückte. Der Blick, welcher dem seinen begegnete, schien ihm zu sagen: Lerne mich nur erst kennen, guter Freund, und Du wirst schon sehen, daß es nicht so leicht ist, mich umzustimmen; am wenigsten durch Schmeicheleien.

Die Gäste waren bald sehr froh gelaunt, denn nicht allein war es ein glänzendes und gewähltes Diner, sondern es fand sich auch, daß der alte Herr seinen besten Keller geöffnet hatte. Das ist in einem Kreise, wo Männer die Hauptzahl bilden, immer ein wohlaufgenommenes Zeichen der Gastlichkeit, dem man Ehre machen muß, und bald fehlte es nicht an den nöthigen Beweisen.

Adelheid allein schmollte; aber sie verbarg es ziemlich geschickt und hatte es so einzurichten gewußt, daß sie neben dem ungetreuen Anbeter saß, den sie nun halblaut alle ihre Rache empfinden ließ. Unaufhörlich hatte sie ihn zu stören, wenn er mit Lianen zu sprechen versuchte, und ohne eine Antwort abzuwarten, warf sie diese selbst dazwischen und gab die lustigsten Geschichten zum Besten. Eine Empfindung von Eifersucht schien sie zu beherrschen, und halb unbewußt, aber sicher mit einem dunklen Instinkte des Richtigen, wählte sie einen Weg, der die schweigende stolze Nebenbuhlerin am leichtesten verlegen konnte.

Sie sprach mit Leopold in der vertrautesten Weise, flüsterte ihm gleichgültige Bemerkungen zu, indem sie lachte und sich zu ihm beugte, und erzählte dann plötzlich Lianen, daß Leopold seit sechs Monaten sie fast täglich sehe und sie mit ihm den innigsten Freundschaftsbund geschlossen habe. Sie hob hierbei das Champagnerglas, und der junge Walther mußte mit geheimem Aerger auf wahre Freundschaft anstoßen, nachdem er vergebens versucht hatte, durch eine witzige Bemerkung das Allzuviel von sich abzuwenden.

Aber seine Peinigerin war damit nicht zufrieden. Sie kramte das ganze Papageiengeschwätz aus, das sie erlernt hatte; stellte Walther gleichsam als ihren Lehrer und Führer dar, und verirrte sich nach vielen angeschlagenen Kapiteln zu dem der Liebe, wo sie mit mancherlei halb verhüllten Anspielungen über den Zwang der Ehe höchst lehrreich und albern redete. Liane hatte fast ganz schweigend zugehört, und die Unterhaltung von den Umsitzenden tragen lassen; auch Walther war in seinem Herzen ernstlich empört über diese unerschöpfliche Schwatzhaftigkeit, die er doch zu einer andern Zeit vielleicht recht liebenswerth gehalten hätte. Denn drollig war es anzusehen, wie das reizende junge Mädchen mit sprühenden lebensvollen Augen und gerötheten Wangen von der Freiheit der Welt sprach, und der Entwürdigung und Entsittlichung der Frauen unter dem Druck einer Obergewalt, die sie auf keinen Fall anzuerkennen behauptete.

Die plumpe Weise, in welcher einige Herren opponirten und der Beistand der Geheimrathstöchter, die mit dünnen Stimmen gellend einfielen; die Bewunderung des alten Rentiers, der am andern Ende der Tafel bat, aufmerksam zu sein und zu hören, was Adelheidchen sagte, die Bücher über solche Dinge schreiben könne, wie das lächelnde Schweigen mehrerer Anderen und die dunkle Röthe auf Aureliens Wangen, Alles bot ein sehr sonderbares etwas anstandloses und unnobles Quodlibet.

Liane saß ohne alle Verlegenheit neben der Sprecherin, die sie so starr ansah, als wolle sie sich ihre Züge für immer einprägen, und dann blickte sie wieder auf Leopold so durchdringend, daß dieser ihre Gedanken sehr wohl errieth, die ungefähr lauteten: Welche Meinung soll ich von Dir fassen, wenn Du der Freund und Vertraute dieses Mädchens bist, die nichts von Sitte und Weiblichkeit weiß? Ich beklage Dich, aber Du wirst mir ewig fern bleiben.

Walther beugte sich fast kummervoll zu ihr hin und sagte leise:

Sie langweilen sich?

Ich bin an diese Gastmähler wenig gewohnt, erwiderte sie. Es pflegt bei uns stiller zu sein.

Und besser ist es, wo die ländliche Stille Einfachheit gebietet.

Lieben Sie denn die Einfachheit und die ländliche Stille? fragte Liane lächelnd.

Ich könnte es betheuern, erwiderte Walther, aber um wahr zu sein: ich habe sie noch nie kennen gelernt; doch fühle ich zuweilen eine Sehnsucht danach.

Sie thun Unrecht, sagte sie.

Sie behaupten das? rief Leopold erstaunt.

Ja, sagte sie, weil ich Einsamkeit und Einfachheit kenne. Es gibt Naturen, die nichts weiter thun können, als den Pflug ergreifen. Der strebsame Geist aber kann nur in rascheren, wechselnden Bahnen Ruhe finden.

Sie lieben die Natur nicht, sagte Leopold scherzend. Der Kulturgeist findet seine Opfer überall.

Was wissen Sie denn von Natur im märkischen Sande, erwiderte sie spottend. Natur kann man nur empfinden in dem Reich der Berge und Wälder, wo der lebendige Gottesathem, kühl und herrlich, von Wipfeln und Gipfeln in ein gefühlvolles Herz dringt.

Walther benutzte diese Gelegenheit zu zeigen, daß er zu den gefühlvollen Herzen gehöre. Er schilderte mit poetischer Begeisterung seine Lust an Naturschönheiten, und behauptete, daß kein guter Mensch empfindungslos dabei sein könne. Zugleich vertheidigte er auch die arme, vielgescholtene Mark, von der man nichts zu erzählen wisse, als von ihrem Götterfluche, dem Sande, und doch sei sie häufig schöner, als so manche gepriesene Gegend. Er nannte dabei mehre Punkte und beschrieb den mehr idyllischen, als romantischen Charakter derselben, so malerisch, daß Liane mit theilnehmender Freude zuhörte.

Sie kämpfen tapfer, sagte sie, und ich möchte wissen, was poetisch, was wahr daran ist. Vielleicht habe ich nächstens aber selbst Gelegenheit, das Eine oder das Andere dieser märkischen Eldorados selbst zu sehen.

Vor allen Dingen, rief hier Adelheid, die ihren Streit beendet hatte und zuhörte, müssen Sie die Kranichberge besuchen, das Rüdersdorfer Kalkgebirge, das ist großartig; ganz schweizermäßig. Wir haben dort einen Sommeraufenthalt ganz in der Nähe und fahren oft hinaus.

Liane beachtete diesen Einspruch nicht und sagte zu Leopold:

Und nun fragen Sie die Menschen, welche mitten in den erhabensten Naturschönheiten wohnen, ob sie etwas von diesen empfinden. Sie sind abgestumpft, oder vielmehr nie dazu erwacht, und überlassen die Schwämerei dafür den Schaaren ihrer Gäste, welche zu benutzen und zu prellen, ihr einziger Gedanke ist. Ich war vor zwei Jahren mit meinem gütigen Oheim dort in Tyrol und in der Schweiz. Ich hatte so viel von Sennen und Sennhütten gehört, von den Firnen und den Menschen darauf, die hoch oben über den Blitzen leben, ein freies, kühnes Titanengeschlecht. Was ich fand, fuhr sie lächelnd fort, zerstörte aber meine Träume gänzlich. Uns scheint das Hirten- und Jägerleben voll Heiterkeit und Lust, der gebildeten Natur ist es jedoch gleichsam ein Anfang der Menschwerdung. Eine Versöhnung mit der Lebenseinfalt aber, die uns allein durch patriarchalische Tugenden kommen könnte, bleibt aus, denn die Laster, welche Jahrtausende ausheckten, sind alle reichlich auch auf diese Naturkinder übergegangen, ohne daß sie moderne Tugenden, die Strebsamkeit des Geistes, seine Freiheit, die Kraft der Intelligenz, Kunst und Wissenschaft, empfangen hätten.

Adelheid hatte einigen Respect bekommen, als sie hörte, das Fräulein aus der Provinz sei schon so weit umher gewesen. Sie wagte daher etwas schüchtern die Bemerkung, daß freilich die Natur immer hinter der Kunst zurückbliebe, eine zu künstliche Welt aber und die Künstlichkeit der Menschen, die sich gar nicht mehr getrauten natürlich zu sein, die Natur selbst um ihre ursprünglichen Rechte gebracht und zur Kunst gemacht hätte.

Oder zum Kunststück, erwiderte Liane. Ursprünglichkeit ist freilich nur noch in den starren Gebilden. Der Mensch hat angenommen, was der Geist gestaltet und ist sein Product geworden. Aber Eines sollten wir uns natürlich bewahren, fuhr sie fort: das Herz! – Bei aller Kunst kann es natürlich empfinden, Schönes, Großes und Gutes, denn es ist ein erhabener Tempel der Natur und Kunst zugleich, die Schmelzstätte von beiden, und wer das an der rechten Stelle trägt, der wird die Natur nicht über Erlerntes vergessen, den Menschen nicht in der Künstelei verlieren.

In diesem Augenblick endete das Mahl. Die Gesellschaft erhob sich und Walther fühlte sich sehr erregt. Dies sonderbare Mädchen sprach mit einer Verständigkeit und Ruhe, die ihn erschütterte, und doch zuweilen unheimlich anhauchte. Alles was sie sagte, selbst in gewöhnlichen Dingen, klang ihm fremd, und doch war es so einfach. Die hohe, schlanke Gestalt war so lieblich bei diesem Ernste, so kindlich mild bei der Stille; Alles war so natürlich und doch so Achtung gebietend. Als Walther sie sinnend betrachtete, fiel ihm Gilgenström ein, und wie ein elektrisches Feuer zuckte es durch seine Nerven. Bild um Bild und Zug um Zug trat vor seine Seele. Ja, das war ein Abglanz seines stolzen Ernstes, seiner ruhigen Kälte; milder und schöner nur, veredelt in reiner, weiblicher Formenschönheit und danach auch geistig gestaltet. Ein Schmerz, den er nie empfunden hatte, fiel ihn an, es war die Eifersucht, dies brennend tödtliche Leiden.

Jetzt näherte sich Liane mit ihrer Schwester, und diese erzählte ihm das Abenteuer, das sie gestern noch in der Stadt erlebt. Nun erst begriff Leopold, wie Gilgenström, vom Zufalle begünstigt, alles wissen konnte und mit Aufmerksamkeit fragte er, ob sie ihn heut schon wieder gesehen hätten?

Leider nein, erwiderte Liane, aber er hat es versprochen und ich freue mich darauf. Wir haben ihm Manches gut zu machen; er scheint ein Mann von ungewöhnlicher Bildung zu sein.

Das ist er ohne Zweifel, sagte Leopold. Er ist als Gelehrter bekannt.

Sie kennen ihn also?. fragte Liane mit sichtlicher Theilnahme.

Ich sprach ihn gestern noch, erwiderte er. Es ist Graf Gilgenström.

Der Reisende im Orient?

Derselbe, erwiderte Walther.

Dann, sagte Liane mit leichtem Erröthen, wollen wir doch auch den bösen Zufall preisen, der uns einen so ausgezeichneten Mann auf unsern Weg führt. –

Und ich, fügte Aurelie hinzu, ich bereue und schäme mich am meisten. Ich war es eigentlich, die Alles anzettelte, denn ich fürchtete – hier blickte sie schalkhaft auf Leopold, der wohl verstand, was sie sagen wollte.

Sie fürchteten einen Uebermüthigen, sagte er, der heut nun beschämt vor Ihnen steht und recht grausam bestraft wird.

Nein, nein, rief sie gutmüthig besorgt, Sie müssen uns auch heut noch besuchen, und wenn Graf Gilgenström kommt, wollen wir zusammen recht tüchtig lachen und den Scherz dann vergessen.

Der Landschaftsrath hatte dies gehört und verstärkte diese freundliche Einladung durch seinen Beifall. Er war seit einiger Zeit mit dem alten Banquier in dem Nebenzimmer auf und abgegangen, während der Kaffee servirt ward, und beide hatten lebhaft verhandelt, sich die Hände gedrückt, leise gesprochen und laut gelacht, indem sie von Zeit zu Zeit in den Salon auf die jungen Leute blickten, und dann wieder ihre Bemerkungen machten.

Die Familie Arnheim saß indeß mit den Geheimrathstöchtern zusammen und Alle sprachen leiser und lauter von dem Reichthum des alten Herrn, von der erstaunlichen Menge Silbergeschirr, von den theuren Weinen und dem echten Moccakaffee, in den großen alt und bunt bemalten und vergoldeten Tassen. Der schlaue Rentier saß und zählte an den Fingern ab, was das wol gekostet haben mochte, die Mutter verfiel zuweilen in ein dumpfes Schweigen, das aber jedesmal mit einem freundlichen Grinsen und einem stolzen Kopfnicken endete, weil der Schlußgedanke immer der war, daß das alles bald ihrem lieben Kinde gehören werde.

Adelheidchen dagegen mäkelte an den sonderbaren alten Formen der Geräthe und der furchtbaren Schwere des Geschirrs, indem sie laut mit einem gefälligen Triumphe bemerkte, wenn es ihr gehörte, so müßte Alles anders werden, wobei sie verständlich genug, halb verschämt, halb prophetisch lächelte, daß jeder merken konnte, es werde ihr gehören, und dann würde es anders sein.

Die Geheimrathstöchter dachten daran, daß eine solche Freundin etwas werth sei, und die älteste nahm eine günstige Gelegenheit wahr, drückte Adelheidchen die Hand und flüsterte ihr sichernd einen Glückwunsch in das Ohr, während die jüngere ihr in's andere sprach. Adelheidchen verneigte sich lachend, und sah auf Leopold hin, der ernst und schweigend vor den beiden Fräulein stand.

Dann sagte sie:

Es ist unerträglich, wie der arme Walther sich langweilen muß, was soll er aber wol mit den jungen Damen aus der Provinz anfangen?

Dabei sah sie sehr höhnisch aus und zuckte mit einer geringschätzigen Lippenbewegung die Schulter, ein Beispiel, das außerordentliche Wirkung that, denn nun war die Scheidegrenze niedergeworfen, und ein merkwürdiges Kreuzfeuer von anzüglichen Bemerkungen über die beiden Baronessen eröffnet. Die Folge dieser Verschwörung war eine innige Freundschaft, eine dringende Einladung und vorläufige Bitte zum nahen Geburtstagsfeste Adelheids, das, wie diese bemerkte, trotz der Kunst des Lebens und aller überspannten Bemerkungen dieser ländlichen Philosophin, mitten in der Natur gefeiert werden solle.

Laura, die älteste Geheimrathstochter, fragte nun sehr süß lispelnd, wie vielmal der Lenz die Erde mit Blumen geschmückt habe, seit ihre holde Freundin darauf umherwandle? Adelheid erwiderte, daß sie neunzehn zähle, und sich fürchte, zwanzig zu werden, denn damit kämen die gesetzten Zeiten; Laura aber, die es auf der Zunge hatte, zu rufen: O! mein Gott, da bin ich ja ein ganzes Jahr älter als Sie! blieb hinter dem Gott stecken, denn sie sah so eben in Adelheids blühendfrisches Gesichtchen und fürchtete sich vor dem dreist spottenden Auge und der scharfen Zunge. Sie setzte daher lieber hinzu:

Das hätte ich nie geglaubt, ich hätte Sie höchstens für sechzehn oder siebenzehn gehalten.

Adelheid bedankte sich für diese Schmeichelei, indem sie nochmals betheuerte, leider schon neunzehn zu sein; Laura aber benutzte einen freien Augenblick und sagte zu ihrer Schwester:

Ihrer Unreifheit nach hätte ich elf oder zwölf Jahre rathen sollen; aber wir wollen sehen, wie sie sich anläßt, ob sie unsere Freundschaft verdient.

Nun brach die Gesellschaft auf. Der Landschaftsrath rief nach dem Wagen und Walther führte Lianen selbst hinunter, wobei er nochmals die Einladung empfing, recht bald seinen Besuch zu machen. Aureliens blaues Auge lachte ihn an; Liane aber sagte:

Ja, kommen Sie, und wenn es Ihnen nicht zu große Mühe macht, besuchen Sie mit uns die Museen und Galerien, und sein Sie der gütige Cicerone armer, unwissender Mädchen.

Dabei blickte sie ihn an und das tiefglühende Feuer ihrer Augen loderte hell auf. –

Er stand noch, als der Wagen fortrollte, sein Oheim mußte ihn aufrütteln.

Nun, was sagst Du, mein Kind? flüsterte er. Nicht wahr, schönes Fleisch?

Walther hatte dies Wort oft gebraucht; jetzt empörte es ihn und mit wahrem Zorne sagte er:

Wie können Sie so an der edelsten Liebenswürdigkeit freveln, der Sie doch besondern Antheil an diesen reizenden Wesen nehmen.

So ist es recht, mein Freund, rief der alte Herr, jetzt bist Du auf einem vortrefflichen Wege, und höre, Leopold! wenn Du Dein Geld brauchen solltest, Du darfst es nur meinem Kassirer sagen, und wenn Du besondere Auslagen hast – ein junger Mensch muß nobel sein gegen Damen, er muß zeigen, daß Geld nicht sein Gott ist – so kommt es mir auf hundert, auf zweihundert Thaler nicht an, sie stehen Dir zu Diensten. Natürlich nur, wenn Du sie brauchst, aber ich bin Dir nicht im Wege, ich bin kein Geizhals, das wirst Du in sechs Monaten sehen.

Dieser Schluß reizte Walther zum Lachen; plötzlich aber ergriff er beide Hände seines Oheims und sagte leise:

Sie wollen mich nicht aus der Vormundschaft losgeben, weil Sie meine Unbesonnenheiten fürchten, aber gern will ich auf ewig der Gefangene eines solchen himmlischen Hüters sein.

Der alte Herr machte ein sehr sonderbares, höhnisches Gesicht, sagte aber nichts, sondern deutete seinem Neffen an, daß er die Honneurs bei dem Reste der Gesellschaft zu machen habe, die sich zum Abzuge anschickte.

Als Leopold mit freudigen Mienen in den Saal trat, lachte ihm Adelheid entgegen, und indem sie ihn in der lustigsten Laune mit den Handschuhen auf die Finger schlug, beklagte sie ihn, daß er sich so schmerzhaft gelangweilt habe, und behauptete, daß sie nur aus diesem Grunde ihm Verzeihung gewähren könne und wolle, für die Unart, so ungenießbar gewesen zu sein.

Walther hatte in Lianens Abschiedsblick einen neuen sprudelnden Lebensmuth gefunden; es machte ihm Vergnügen, diesen Glauben in Adelheid zu bestärken und lachend stimmte er in die spöttischen Bemerkungen, welche sie nicht zurückhalten konnte. Was hätte es ihm auch geholfen, die Entfernten vertheidigen zu wollen? Er wußte, daß sie es nicht bedurften und heimlich war es ein besonderer Reiz für ihn, die Geliebte schmähen zu hören, ja, sie selbst zu schmähen, während ihr Bild mit Entzücken vor seinen Augen stand.

Endlich standen sie Alle auf und mit zahllosen, witzigen Artigkeiten belebte Leopold bis zum letzten Augenblicke die Unterhaltung. Er war so voller Scherz und Lust, daß Adelheidchen und die Geheimrathstöchter gar nicht aus dem Lachen kamen und Laura in vollem Ernste ihre unreife Freundin zu beneiden anfing, was sie ihr heimlich sagte, worauf Adelheid einen zärtlichen Blick auf Leopold abschoß und dann sehr laut lachte.

Der junge Walther wollte nun wissen, was das zu bedeuten habe und Adelheid sagte es Philippinen, der zweiten Geheimrathstochter, in's Ohr, die nun in den allerhöchsten Discanttönen einstimmte. Hierdurch wurde Leopold und die andern Anwesenden angesteckt, Alle lachten von Herzen und bis zu Thränen, der Eine über den Anderen, Niemand wußte warum und Alle versicherten, es sei ein ganz köstlicher Nachmittag.

Die Damen schworen indeß, Niemand sollte erfahren, weshalb sie gelacht hätten, was Laura mit den ängstlichsten Bitten forderte, und endlich trennten sich alle voller Vergnügen und mit den zärtlichsten, seligsten Hoffnungen.

 

Als sie gegangen waren, saß Leopold noch lange allein in dem Zimmer; nur zuweilen stand er auf, legte die Hände auf sein glühendes Gesicht und murmelte leise Worte vor sich hin, die wie Schwüre klangen.

Nein, rief er endlich, ich will diesem wüsten Leben entsagen, diese schale Gemeinheit widerte mich längst an, aber ich konnte ihr nicht entkommen; und weil ich ein Held war, ein Anführer in allen Dingen und Künsten, die von der Thorheit bewundert, von der Vernunft verachtet wurden, glaubte ich besser zu sein, als Jene, die ich selbst verspottete. Nun habe ich mein Lebensziel entdeckt; ein Erlöser ist mir geboren worden, und was es auch kosten mag, ich will seiner würdig werden.

Er dachte dann lange über die Wege nach, die er einschlagen müsse, und wenn er sich in zahllosen Träumereien erging, traf er immer wieder mit Gilgenström zusammen, der ihm bald ein Vorbild, bald ein rechter Gegenstand des Hasses schien.

Dieser Mensch, rief er endlich mit Heftigkeit, man wird es sehen, er wird alle meine Pläne durchkreuzen, und wenn ich je in der Welt verlassen und elend bin, so habe ich es ihm zu danken. Doch nur heran, umsonst soll er es nicht thun, umsonst soll ja nichts geschehen auf Erden.

Der alte Heinrich trat in diesem Augenblicke herein und sagte ganz kläglich:

Ja, das steht freilich geschrieben und mein Grundsatz ist es auch, aber wenn nur die verdammten Zwei- und Viergroschenstücke nicht auf Erden wären, oder wenn sie wenigstens nicht in Berlin wären.

Walther konnte sich der Lustigkeit nicht enthalten, als der alte schlaue Mensch hiebei die Hand aufmachte, in welcher er eine Menge Geld hielt. Er grinste den jungen Herrn listig an und streckte ihm die Hand mit dem Gelde entgegen.

Was soll denn das heißen? fragte Leopold.

Sehen Sie wohl, lieber Herr? sagte Heinrich. Lauter kleine Münzen, und was hat uns das Essen für schweres Geld gekostet, und der Wein, Herr Gott, der Wein! ja, da kommen Sie schön an, die alten, dicken Herren verstehen ihn zu trinken. Es ist Alles rein aus und Mamsell Caroline ist hinter den vollen Flaschen her, wie ein Commissionair hinter den ledigen Diensten, da ist auch nicht eine unsichtbar zu machen. Nun hat man sich gequält und ist höflich gewesen den ganzen Tag, hat gearbeitet wie ein Türke und wird belohnt wie ein guter Christ, mit vielen Hoffnungen und wenigem Gelde. Wenn's aber keine Viergroschenstücke gäbe, so müßte Jeder doch wenigstens ein Achtgroschenstück geben, und diese Ungewohnheit haben jetzt nur noch wenige wohlthätige Seelen, ein Zufall, der außerordentlich stört.

Der junge Walther verstand sehr gut, was der listige, trotz aller Kunst der Dame Caroline ein wenig berauschte, Alte wollte, der eine sehr bewegliche Pantomime des Geldzählens machte, indem er die Stücke von einer Hand in die andere rollen ließ. Er gab ihm daher reichlich und Heinrich betrachtete ihn dafür mit dem zärtlichsten Grinsen, indem er schwor, daß er es seinem jungen Herrn angesehen habe, wie dieser eine Hand lang war, daß Großmuth seine erste Tugend sein würde.


5.

In den nächsten Tagen war Leopold ungemein thätig, die Bekanntschaft, zu welcher er sich Bahn gebrochen, so viel als möglich zu cultiviren. Bald brachte er es auch mit seiner geschmeidigen, höflichen Feinheit so weit, das Fremde und Zwangvolle ganz zu entfernen, und beide schöne Schwestern schenkten ihm das Vertrauen eines Freundes. Der Landschaftsrath aber mochte dagegen immer noch einen kleinen Hinterhalt haben. Mit scharfbeobachtenden Blicken und Fragen fühlte er an seinem Wesen, Thun und Treiben umher, und schien ihm nicht recht zu trauen.

Der gerade, ein wenig stolze und keineswegs zu geistvolle Mann, fand heimlich Manches zu tadeln an dem jungen Herrn. Die flüchtige Geschmeidigkeit that ihm nicht wohl; die Zierlichkeit der äußern Erscheinung nannte er Ziererei; die kleinen Narrheiten der Mode und Sitten waren ihm Fehler, die aus dem Gemüth des Menschen selbst entsprangen, und ganz im Geheim wurde der Widerwille, den er empfand, durch den Umstand verstärkt, daß dieser junge Mensch, der so gedreht und gedrechselt, die feinsten Salonmanieren repräsentirte, im Grunde ein Hauch, ein Nichts, ein Mensch ohne Namen und Familie sei.

Walther war reich, das wußte er, sehr reich, und seine Nichten besaßen ein geringes Vermögen, aber doch wünschte er mit jedem Tage mehr, sie möchten sich gegen eine Verbindung sträuben, die er nur gut geheißen hatte vergangener Zeiten und einiger persönlichen Verhältnisse wegen. Denn nicht allein stand er selbst mit dem Banquier in vortheilhaften Geschäftsverbindungen, sondern dieser hatte auch auf dem hochverschuldeten Gute der beiden Schwestern ein namhaftes Capital, daß zu berücksichtigen war.

Einem tüchtigen, ernsten Charakter, voll praktischer Verständigkeit, würde er aber doch alles Glück gewünscht und das Fehlende übersehen haben; allein dies wäre auch nicht so scharf hervorgetreten, wenn nicht unglücklicher Weise der schroffste Gegensatz sich unmittelbar an seine Seite gestellt hätte. Dieser Feind war Gilgenström, welcher eben so sehr die Liebe und Bewunderung des Barons gewann, wie Walthers neidischer Gram in seiner Nähe wuchs.

Der Graf war ganz der vollendet vornehme Mann. Als er zuerst mit Walther bei der Familie zusammentraf, schien er einen Augenblick überrascht und dann erfreut über das Eintreffen seiner Ahnungen, denn er lächelte Walther an und schien zu sagen: Sehen Sie wohl, wir müssen uns doch wieder begegnen, ich wußte es. Dann aber, als wäre es sein strenger Vorsatz, diese Berührungen so zart als möglich zu halten, wußte er einen so scharfen Grenzstein der Annäherung zu setzen, daß, hätte Walther auch diese versucht, er gewiß davor zurückgewichen wäre.

Der junge grollende Mensch kam ihm jedoch in seiner Abneigung entgegen. Seltsame Empfindungen faßten ihn wechselnd. Er hätte wol viel darum gegeben, wenn er ihn lieben durfte, denn er achtete ihn, doch weil er dies nicht von Gilgenström hoffen konnte, haßte er ihn mit jener Art von Haß, der nur der Milde bedarf, um zur Liebe zu werden. Nun aber fürchtete er ihn auch und beneidete ihn.

Die wunderbare Sicherheit, mit welcher Gilgenström in diesen Kreis trat, die Art, wie er dem Baron in den belehrendsten Gesprächen den Schatz seiner Kenntnisse zeigte, wie er in Landwirthschaft ebenso tief erfahren war, wie in Staats- und Geldwirthschaft, wo er die schwierigsten Fragen mit der gründlichsten Klarheit erörterte, und wie er leicht dann zu Künsten und Wissenschaften überging, oder mit Geist und Geschmack den geringfügigsten, alltäglichsten Dingen, Reiz zu geben verstand, das alles war gleich überraschend und anziehend.

Rechnete endlich Walther gar dazu den Werth seiner Persönlichkeit, das blasse feine Gesicht mit den sinnend melancholischen Augen, die Beredtsamkeit, welche von seinen Lippen strömte, die edle, etwas gebeugte Gestalt, die Würde, welche in jeder Bewegung lag, und der stolze Grafentitel, der in jeder Miene zu lesen war, so zitterte er vor Kummer, denn tief empfand er, daß er zurückstehen mußte. Er fühlte sich gedrückt von dieser Erscheinung; der kecke Muth, den er sonst nie verlor, verschwand, und nur Lianens tröstende Blicke, die zu ahnen schienen, was in seinem Herzen vorging, vermochten es, daß er die Nähe dieses Menschen äußerlich geduldig ertrug.

Als der erste Eindruck überwunden war, regte sich freilich sein Stolz zu einem Kampfe, aber nun trat ein anderer Umstand ein, der die niederschlagenden Gefühle erneuerte. Man besuchte die Museen und alle Schaustätten der Künste gemeinsam, und Walther mit seiner leichten, allgemeinen Weltbildung hatte sich geschmeichelt, hier einen gewissen Triumph zu feiern. Er hatte sich vorbereitet dazu, und war mehrere Tage allein an den Orten gewesen, um zum Voraus mit Allem wohl bekannt zu sein.

Mit Anstrengung studirte er förmlich die Kataloge im Schweiße seines Angesichts, und verwünschte heimlich die trockene Unfruchtbarkeit einer Mühe, an der er keinen Geschmack fand. Es fehlte ihm nicht an einem ästhetischen Bewußtsein; er hatte natürliches Gefühl für das wahrhafte Schöne, und verstand zu sehen; allein was will das sagen, wenn diese Anfänge nicht von Studien und einer heiteren, liebenden Kraft gestärkt werden, auch das Wissenschaftliche zu überwinden und einen reichen Geist auch mit reichen Kenntnissen zu vereinen.

Eine Zeit lang machte er mit Glück den Cicerone bei Gemälden und Antiken, denn sein vortreffliches Gedächtniß ersetzte das mangelhafte Wissen, bald aber befand er sich in Verlegenheit, und er wußte selbst kaum, wie es kam, aber Gilgenström war, ehe er es dachte, in sein Amt getreten und sprach mit meisterhafter Kenntniß von den drei großen griechischen Kunstperioden, von einzelnen ausgezeichneten Werken, die er betrachtete und erklärte, von der Eigenthümlichkeit dieses oder jenes Meisters, von ihren Lebensschicksalen, vom Verfall und Wiedererwachen der Künste bis in die neueste Zeit.

Ein furchtbares Namen- und Zahlengedächtniß unterstützte seine Rede mit mathematischer Gewißheit; so ging es von Saal zu Saal, und immer blieb er sich seiner Kenntnisse und Belehrungen gleich gewiß. Er kannte alle Malerschulen, ihre Stifter und Häupter, ebenso genau, wie die Sammlungen, welche ihre Werke besaßen und seine weiten Reisen sowol, wie seine Gelehrsamkeit, setzten ihn in den Stand, Vergleichungen anzustellen und Orte anzugeben, wo die Vorzüge, welche er an den Meistern und Dingen lobte, am besten zu finden seien. Alles aber war so einfach und natürlich, mit solcher bescheidenen Ruhe gesagt, als könne es nicht anders, sein.

Was Walther empfand, war weit mehr ein brennender Schmerz über seine Unwissenheit und Demüthigung, als Haß gegen den, der sie ihm zufügte. Er fühlte sich vernichtet, in einer Lähmung seiner Seele, in einer Reue, die ihn beklemmte, erniedrigt vor sich selbst und tief beschämt, an Jahren gleich mit jenem hochgearteten Menschen, und doch so weit unter ihm zu sein.

Feurige Gemüther lodern immer in Ehrgeiz auf, wenn ihre Eitelkeit gekränkt wird; bei sanguinischen Naturen ist dies jedoch ein Strohfeuer, und nur die wahre Energie ist im Stande, in Revolutionen einen neuen Staat zu gründen.

Stumm brütend stand Walther im ägyptischen Museum an der Stelle, wo die Reste der Tochter eines Isispriesters bewahrt werden, und blickte starr auf den halbzertrümmerten Kopf. Er ließ die Anderen weiter gehen, zu Grabsteinen, Mausoleen, Mumien und Hieroglyphen, und hörte die Stimme des Aufsehers und die Erläuterungen des Grafen, der auch hier seine Kenntnisse bewährte, dumpf durcheinanderschallen. Leise faßte er den braunen Mumienkopf an, und die viel tausendjährigen Bänder und Binden, welche Hände gewebt und gelegt hatten, von welchen Niemand zu erzählen weiß. Ein Schauder durchdrang ihn, das furchtbare Gefühl der Vernichtung und doch eine dumpfe Freude, daß der Tod Alles auslösche, alle Schwache und alle Stärke, und dem ausgetrockneten Gehirn nichts übrig bleibe von dem mühsam Erlernten und Erlebten.

Wie er dies dachte, hörte er Lianens Stimme neben sich fragen, worüber er sinne? Er sah sie an und begegnete einem sanften Auge, das ihn kummervoll und doch muthig prüfte. Lächelnd griff er ihre Hand und deutete auf das morsche Gebein.

Ich dachte mir, sagte er, wenn plötzlich alle diese Wesen erwachten, die leeren Augenhöhlen sich füllten und die Steinlippen Sprache gewännen, was sie dann wol ihren Erklärern antworten würden, auf die zahllosen gelehrten Hypothesen? Ich glaube, ihre erste Lebensäußerung würde ein allgemeines Hohngelächter sein.

Eher vielleicht, erwiderte Liane sanft und vorwurfsvoll, würden sie betrübt sein, wie ihr Weltleben, wo sie einst so groß und gewaltig waren, so ganz erlöschen konnte, daß ihre todten Leiber, und was sie wunderbar bauten und schafften, uns nun so unerklärbar anstarren. Und müßten nicht Thränen ihr erstes Zeichen sein, daß ihr Vaterland, aller Macht und Herrlichkeit entkleidet, einst der Garten der Kultur und Schauplatz eines großen Völkerlebens halb unter dem Sande der Wüste begraben liegt, halb von Barbaren barbarisch beherrscht wird?

Meinen Sie denn, sagte Walther spöttisch, daß das Menschenleben sich noch im Tode um ein Stück Erde bekümmern soll, wohin die Geburt uns setzte? Vaterland und Nachruhm, das sind hohe Namen, aber wehe Denen, die dafür schwärmen! Fragen Sie diese Todten, was sie davon wissen. Ich für meinen Theil, fuhr er mit einem leichtfertigen Trotze fort, lache über die wunderbare Mühe der Menschen, sich für solche Dinge zu begeistern. Dieser Anblick hier straft sie Lügen. Die Todten sagen uns: Lebt für das Leben, die Zukunft laßt den kommenden Geschlechtern, und die Vergangenheit gehört uns. Sehen Sie hier diesen schönen, kleinen Arm, diese Hand mit den reizend feinen Fingern. Es ist kein Körper dazu, er ist wol längst in Staub zermalmt, begraben in der Wüste, von Barbaren in Atome zerschmettert und zum Dung der Felder verwendet, dem Satrapen die Steuer zu zahlen. Ist das der Ausgang menschlicher Kräfte und Schönheit? Nichts ist geblieben, als diese Hand. Wem gehört sie? Vielleicht war es ein Wesen, so schön und liebreich, wie Sie, Liane; vielleicht war sie von hohem Sinne, von Frömmigkeit und heiterer Lebens- und Liebeslust. Diese feinen Finger pflückten die blauen Passionsblumen, sie wanden Kränze daraus für die Götter und den Geliebten ihrer Seele, und, als sie starb, weinten Volk und Priester und beteten zu ihrem Schatten. Und wo sind die Völker, die da lebten und verblühten, wo sind die Märtyrer, die für hohe Wahrheit am Kreuze und in Flammen starben, wo sind die Weisen und die Tyrannen? – Von Allen hat uns die Geschichte dürre Bücher hinterlassen, ein Blatt, ein Name, für ein ganzes, langes Leben voll Leiden, und was will denn diese Weltgeschichte von dreitausend Jahren kaum? Werden ihre Namen ewig leben? O! wenn hunderttausend Erdenjahre zerronnen sind, ein einziger Pendelschlag der großen Weltenuhr, werden sie Alle schlafen, und auch auf ewig vergessen sein, wie die Proletarier, die sie verachteten und die glücklicher waren, als sie. Und nützt es denn, fuhr er leiser und sanfter fort, zu wissen, was einst geschehen ist? Ist es so etwas Großes, tausend Bücher gelesen zu haben, und zu lernen, um bewundert zu sein? – Hier, hier – er klopfte an den Mumienkopf – sage uns, du weiser Priester des Osiris, wie lauteten die Geheimnisse deines Gottes? Wie hast du daran in langen Nächten gefastet und gebetet und geweint, ehe sie sich dir erschlossen, und was hat es dir gefrommt vom Volke in der spannelangen Zeit, die man Leben nennt, angestaunt zu werden? O, liebe Liane! sagte er dann plötzlich sehr weich und fast zu Thränen gerührt, Sie werden fürchten, daß ich närrisch geworden bin, aber es ist eigentlich Alles nur eine Apologie meiner bisherigen Grundsätze, die ich gern auch Weisheit nennen, oder doch wenigstens in Ihren Augen ein wenig rechtfertigen und erheben möchte.

Glauben Sie das nöthig zu haben? sagte Liane.

O! gewiß, erwiderte er, denn seit ich Sie sah, erscheint mir Manches ganz verändert; ich möchte den Meinungen aller Menschen Trotz bieten: nur den Ihren nicht. Gilgenström hat mir gezeigt, wie lückenhaft ich in Kenntnissen neben ihm stehe, wie seine vornehme kalte Verständigkeit zu allen Verhältnissen besser paßt, als mein heißes, thörichtes Blut; aber, Liane, in Einem kann er mich nicht übertreffen, in der glühenden, heiligen Verehrung für Sie.

Spricht nicht auch jetzt dies heiße Blut? sagte sie, und entzog ihm die Hand. Wer dürfte so kühn sein, den Worten eines Mannes zu glauben, der nichts von Vergangenheit und Zukunft hören will!

Die Zukunft meines Lebens, sagte Walther heftig, o! wie gern legte ich sie in Ihre Hände. Der stolze Mann dort braucht keinen Schutzgeist, der liebend ihm nahe ist, mit dessen Hülfe er erst ein Ganzes und Einiges wird. Ich aber bedarf eines solchen treuen Freundes, Liane. Es ist ein Bekenntniß meiner Schwäche, und doch spreche ich es aus, denn um so reiner ist meine Liebe.

Liebe, versetzte Liane, wie seltsam klingt es an diesem Orte, und wie wunderlich ist der Traum, den Sie träumen. Er wird verwehen, wie nach Ihren Grundsätzen Alles in der Welt verweht. Ob früher, ob später, endlich wird die Nichtigkeit hervortreten und Vergessenheit Alles zudecken.

Walther legte seine Hand auf den Mumienarm und rief mit Heftigkeit:

Vielleicht vor dreitausend Jahren, hat einst die Hand eines Mannes hier geruht, um dir ewige Liebe zu schwören, so nimm denn auch jetzt den Schwur, daß ich dir angehören will, wenn mich die verwirft, die mir allein Leben und Liebe geben kann.

Wie phantastisch und wie kindisch, erwiderte Liane halb erzürnt lächelnd, indem sie schnell die Hand entfernte. Habe ich gesagt, daß ich Sie hasse? Sagte ich schon, daß ich ein gutes, treues Herz verschmähe, wenn es mir in Wahrheit geboten wird?

O! meine theure Liane, rief Walther leise. Ich Glücklicher! Sie lieben Gilgenström nicht.

Halten Sie mich für fähig, versetzte sie, so schnell zu verschleudern, was ich Liebe nenne? Unsere Freunde kommen zurück, lassen Sie uns gehen, fuhr sie fort, allein wir haben zuviel gesagt, um nicht Alles zu sagen. Der Baron und meine Schwester werden heut Gesellschaft besuchen, ich werde zurückbleiben. Kommen Sie um sieben Uhr zu mir, aber ruhig, gefaßt und mit dem Ernste eines Mannes.

Beide gingen nun zu dem Grabmal des ägyptischen Admirals, das soeben von dem Führer erklärt wurde. Walther zeigte sich plötzlich ganz umgewandelt. Seine witzige Laune war zurückgekehrt, und die drolligen Scherze, welche er erfand, wirkten auf Alle, nur nicht auf Gilgenström und den Aufseher, die eine Profanirung der ehrwürdigen Alterthümer darin erblickten. Der Eine grollte aus Mißbehagen an dem unwissenden Uebermuth, der Andere aus Diensteifer und schuldiger Beamtenpflicht.

Der meiste Beifall ward ihm dagegen wol von Aurelien gezollt, deren blaue, lustige Augen ihm gar sehr freudig und schelmisch dankten. Aurelie war ermüdet und gelangweilt. Ermüdet von diesem Umherwandern, das jeder sehr wohl kennt, der Museen besucht, wo die Anstrengung des Auges sich so wunderbar allen Gliedern, und besonders den Füßen mittheilt; gelangweilt von einer Aufstapelung unförmlicher und zum Theil ekelhafter Alterthümer, die für ein junges, lebensfrohes Herz nach fünf Minuten allen Werth verlieren. –

Sie verehrte zwar den jungen, gelehrten Erklärer mit der schönen Bewunderung, welche eine zarte Weiblichkeit gewöhnlich für den Mann empfindet, der ihr als eine höhere Gestaltung entgegentritt, allein im Grunde genommen fand sie sich weit mehr zu Walther geneigt, der ihr gleicher und menschlicher erschien. Ihr unbefangenes Geplauder und der freudige Seufzer, als sie aus dem dumpfigen Hause in den Weg von wunderbar schönen, alten Bäumen traten, blieb auch von Walther nicht unbeachtet, welcher bald mit ihr scherzte und lachte, und dem sie vielerlei erzählte von den Parkanlagen und dem Gute des Barons und von den Weihern und Seen, den blauen Kuppen der Gebirge, und dem alten gespenstervollen Jagdschlosse, das, mitten in Wald und Berg, ihr Eigenthum sei.

Liane ging während dessen still neben beiden und unterstützte die Plaudereien kaum mit einzelnen Worten. Als sie draußen am Gartenthore in den Wagen stieg, gab sie ihrem Vertrauten ein bedeutungsvolles Zeichen, und erwiderte leise den leisen Druck seiner Hand. Walther verabschiedete sich dann und sah nun ohne alle Eifersucht, daß Gilgenström allein die Geliebte begleitete. Er empfand eine Sicherheit, die ihn glücklich und leicht machte.

Liane konnte nicht lügen; ihr helles großes Auge sagte mehr, als alle Schwüre; er würde ihr vertraut haben, auf lange Zeit über Land und Meer geschieden, wenn sie ihm gesagt hätte: Geh', ich werde Dich immer lieben! Und dies seltene, starke Wesen hatte ihn eingeladen, ihr ganzes Vertrauen auszutauschen: wie glücklich, wie befriedigt fühlte er sich, und mit welchem geheimen Spotte sah er dem blassen Grafen nach!

Als er die Promenade hinunterging, fühlte er sich plötzlich von Fahnenberg und dem Kapitain Ramsdon angehalten, die ihn als ihren Gefangenen erklärten und schworen, ihn einer Welt in Waffen nicht wieder auszuliefern. Es regnete Spott auf Leopold, der durchaus beichten sollte, was geschehen sei, und feierlich als ein Verräther ausgerufen wurde, der Venus und Bacchus Abbitte thun müsse, wenn er von der Acht und Oberacht loszusprechen sei. Die Herren waren in der fröhlichsten Weinlaune, und warteten nur auf den Offizier, der ihnen davongelaufen war, einer artigen Taille zur Liebe, um eine Spazierfahrt zu machen.

Als sie hörten, daß Leopold aus dem ägyptischen Museum komme, geriethen sie außer sich vor Lachen. Fahnenberg behauptete, er röche noch nach eingemachten Ibissen und Ichneumons, der Kapitain stotterte etwas von Mumien, die schlechte Menschen wären, schickte dann ein: damn their fathers and greatfathers! hinterher und setzte zum Schluß noch einen halbverschluckten ungeheuren französischen Kraftspruch darauf; der Lieutenant aber, der so eben anlangte, sprang zurück und rief: drei Jahrtausende wehten ihn an. Nach diesem geistreichen Intermezzo ward Leopold, als Geißel seiner Besserung, weitergeschleppt, bis er versprechen mußte, nicht zu desertiren, und seinen schönen Freundinnen, über welche man eine umständliche Erklärung aller Abenteuer verlangte, einige Stunden zu entsagen.

Je gewisser sich nun Walther vornahm, diesen Genossen leichtfertiger Abenteurer nichts zu entdecken, um so mehr war er gezwungen, Geschichten zu ihrer Befriedigung zu erfinden, und sich eine Reihe von Heldenthaten anzudichten, welche ihm die glücklichsten Aussichten verhießen. Mitten in seinen Beschreibungen der schönen Schwestern, die er nun in der That, wie ein Verliebter, ausmalte, faßte ihn jedoch Fahnenberg beim Arm und sagte:

Hören Sie doch, Walther, da hinter uns kommt eine der Mumien her, die, wie Pygmalions Geschöpf aus Elfenbein, von Ihrer heutigen Liebesglut im Museum erweckt worden ist.

Und nun hörte auch der junge Begeisterte ein vernehmliches Zischen und seinen Namen rufen. Als er umblickte, sah er den alten Rentier keuchend herankommen, der um so vertraulicher that, als ein Mensch in der Nähe war, der ihn früher gekannt hatte, und weil er seinen zukünftigen Schwiegersohn in Gesellschaft erblickte, die er für vornehm halten mußte. Mit aller Familiarität nannte er Walthern: Bester Freund, und machte ihm einige liebevolle Vorwürfe, in zwei Tagen wieder nicht bei ihnen gewesen zu sein, worüber Adelheidchen ihn ausschelten würde. Uebrigens fände er zu Hause auch ein Billet von dem ungezogenen Balge, wie er es nannte, und dann entdeckte er noch im Vertrauen, morgen wäre der Geburtstag seines lieben Püppchens, und eben hätte er die neunzig Louisdor hingetragen für den Roqueplan. Es sei aber eine unerhörte Nichtswürdigkeit, daß der Händler durchaus Friedrichsd'ore haben wolle, woran Niemand Schuld wäre, als der Kaiser von Rußland, der aus Odessa jetzt soviel Getreide nach England führen lasse, daß die englischen Lord's befohlen hätten, in Deutschland neue leichte Goldstücke auf Speculation zu schlagen, um das russische Getreide abzuhalten, der Kornbill wegen.

Das sagte er mit großer Wichtigkeit und hielt Walther noch so lange fest, bis er ihm eine Hand voll Kirschen angeboten hatte, die er aus der Tiefe seiner Tasche zog, welche er aber sehr vergnügt selbst zu essen anfing, als sie ausgeschlagen wurden, worauf er noch hinterher rief, Leopold möchte ja nicht zu spät kommen, denn die Landpartie würde um acht Uhr angetreten, und der Wagen wäre schon bestellt, ein Kremser mit vier Pferden. Als Walther nichts mehr hörte, sagte er:

Er kostet fünf Thaler acht Groschen ohne Chausseegeld und am Ende gar noch einen Portschein, das wäre aber eine abscheuliche Thier- und Menschenquälerei und im Centralblatt für den Handel würde es für eine Postbosheit gegen die allgemein vergnügliche Menschenwürde schon längst erklärt.

Darauf ging er fort und schnippte die Kirschkerne nach den Kindern und Hunden, die ihm begegneten, denn es war ein lustiger, alter Mann, wenn er vergnügt war. Als er aber einen Menschen kommen sah, der ihn schon einmal vergebens beredet hatte, mit ihm ein Geschäft in Pfandscheinen aus zweiter Hand zu machen, wovor er aber noch zu rechter Zeit gewarnt wurde, hörte er auf zu essen, steckte die beiden letzten übrigen Kirschen wieder in die Tasche, und kam glücklicherweise gerade nach Haus, als Madame Arnheim nach der Uhr sah und dann zu Adelheidchen sagte: Wenn Dein Vater noch fünf Minuten länger bleibt, so werden die Schaumklößchen zu lauter Muß, – ein Schicksal, das ihnen nun vollständig erspart wurde.

 

Walther war inzwischen der Gegenstand neuer Spottreden über diesen noblen neuen, mumienhaften Freund geworden, und so gut er sich auch sonst seiner Gegner zu erwehren wußte, war er doch heute viel zu zerstreut und im Grunde zu froh gelaunt dazu. Man setzte sich nun in den wartenden Wagen und vergaß endlich bei einem picanten Diner den speciellen Gegenstand, um zu allgemeinen Gesichtspunkten überzugehen.

Harfenistinnen aus Böhmen ließen anfragen, ob es ihnen gestattet werde, Tafelmusik zu veranstalten. Bald traten drei artige Mädchen in das Zimmer, die ganz besonders dem Kapitain gefielen, der mit ihnen ein geographisches Gespräch eröffnete, indem er fragte, ob Böhmen nicht an die Türkei gränze und ob dort auch die Sitte des Harems herrsche?

Fahnenberg gab ihm lachend die Erlaubniß, diese einzuführen, wenn sie etwa noch nicht vorhanden sein sollte, und der Lieutenant fand, daß die drei musikalisch böhmischen Genien an Gemüth und Barmherzigkeit ächte Pragerinnen seien, wo es bekanntlich die meisten Heiligen und die meisten Samariterinnen gibt.

Nun wurde viel gelacht, gescherzt und gespielt. Die artigen Mädchen sangen dazu österreichische Volkslieder und unterhielten sich während dessen doch dabei mit den zudringlichen Zuhörern; Fahnenberg aber zog Leopold an seine Seite und fragte, ob Alles zu seiner Zufriedenheit abgethan sei.

Der junge Leichtsinnige hatte nicht wieder an seine Schuld gedacht, er dankte jetzt erst und warf einige Aeußerungen über die Verwunderung hin, welche er über die Art und Weise des Wucherers empfunden hatte.

Nicht wahr, sagte Fahnenberg, es ist ein nobler Kerl? Natürlich muß er, seiner Sicherheit wegen, die gewöhnlichen Ausreden brauchen, daß er selbst das Geld nicht besitze und so weiter, allein im Uebrigen schenkt er klaren Wein ein. Er sagt: ich bin kein Blutsauger, kein Wucherer, sondern ein Spieler, der ebensowohl gewinnen als verlieren kann. Und ganz gewiß ist es, daß er Sie nie mahnen wird, wenn Sie nicht von selbst bezahlen.

Er sagte mir Aehnliches, erwiderte Leopold, er kann jedoch sicher sein, daß ich den Pakt halte.

Den Sie mit dem Bösen geschlossen haben, rief Fahnenberg lachend. Aber hat er Sie nicht eingeladen?

Ja, und zwar recht dringend.

Gehen Sie nicht hin, sagte der Warner.

Ich fühle auch keine Neigung dazu, mich mit solchen Elenden einzulassen, erwiderte Leopold.

O! was das betrifft, versetzte Fahnenberg, so finden Sie dort oft eine glänzende Gesellschaft und ein Souper, wie es nicht leicht anzutreffen sein möchte. Zuweilen freilich auch nach Mitternacht ein Spielchen, wo es scharf hergeht und Mancher in der Morgendämmrung sehr verdüstert nach Haus schleicht; aber, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu, ein Mann wie Sie, der Glück in allen Dingen hat, darf die Hölle selbst nicht fürchten.

Er betrachtete hiebei Leopold mit seinen scharfen, kleinen Augen, nicht ohne einen Ausdruck von herausforderndem Spott und sagte dann:

Wir wollen einmal zusammen hingehen und Moitié machen, vielleicht gelingt es, den Fuchs zu fassen, daß er Haut und Haar lassen muß, und dann bitten Sie sich den Schuldschein aus für sein eigenes Geld. Ein ganz kostbarer Spaß.

Er lachte unmäßig und Leopold sah nach der Uhr. Das Diner hatte sich so verzögert und die Scherze mit den böhmischen Musen wollten so gar kein Ende nehmen, daß er ganz in der Stille an Aufbruch dachte. Zudem schrie der Lieutenant so eben nach neuem Champagner und beschäftigte sich damit, einen der entliehenen Hundertthalerscheine, wahrscheinlich den letzten, in die Luft zu pusten und schwebend zu erhalten. Als Walther sich fortschlich, merkte er aber die Absicht, warf die Thür zu und setzte einen Schimpf darauf, wer ginge.

Ich werde Deinem Beispiele nicht folgen können, erwiderte Leopold, Du weißt, daß ich gehen muß und will.

Bleib doch hier, sagte der Lieutenant, vertraulich mit ihm ringend und mit etwas schwerer Zunge. Ich meine es gut mit Dir, Du verschmachtest ja doch bei den spröden Mädchen, die alle geheirathet sein wollen, sowie man sie ansieht. Aber ich habe heut Abend eine kleine Gesellschaft in der Sommerwohnung meiner Angebeteten.

Das Sammettuch hat also gesiegt? fragte Leopold.

Es sind schon größere Siege um geringere Dinge erfochten worden, rief der Offizier; aber gestern habe ich eine Sommerwohnung gemiethet, heimlich, schön und still, merkwürdig comfortable und dort meine menus plaisirs eingerichtet. Heut sind verschiedene Freundinnen dort, lauter anspruchslose, allerliebste Kinder, die nur für den Augenblick leben und lieben, wie der Mensch es soll. Da wollen wir Alle hin und die Harfenistinnen nehmen wir auch mit, und – hier wendete er sich ab und schrie nach Champagner, während Leopold Fahnenberg bat, ihn festzuhalten und später zu beschützen; dann warf er noch einen Blick auf den Kapitain, der ganz seelenvergnügt auf seinem Stuhle so saß, daß sein Körper fast eine gerade Linie bildete, bis auf ein Bein, das quer über einem kleinen Tisch lag. Die Daumen hatte er in den Achselhöhlen seiner Weste, der Mund war so lachend verzogen, daß er die beiden Reihen langer, schneeweißer Zähne zeigte, dabei sagte er, wie gewöhnlich, nichts, sah aber die eine der Musen, und zwar die älteste und häßlichste, unverwandt und mit dem äußersten Grad des Wohlgefallens an, dessen er jedesfalls fähig war.


6.

Der Abend dämmerte fast, als Walther nach einem kurzen Besuche in seiner Wohnung mit klopfendem Herzen sich auf dem Wege zu Lianen befand. Auf seinem Tische hatte er richtig Adelheid's Billet gefunden. Es war französisch geschrieben und enthielt in den ersten zwei Zeilen sieben Fehler, auch war der Sinn etwas verwirrt, aus dem Ganzen ging jedoch hervor, daß Leopold hiemit zu einer Landparthie nach dem berühmten Lusthause am Woltersdorfer See eingeladen wurde, um im Kreise froher Genossen und an der Seite der hoffnungsvollen Schreiberin glücklich zu sein. Unten war noch ein Vers aus einem bekannten Liede, auf dem Neufchateller See zu singen, hinzugefügt, dessen Refrain:

O! ma patrie, o mon bonheur,
toujours chérie tu reverras mon coeur!

doppelt unterstrichen war und ganz in der Ecke stand sehr zierlich, vôtre fidèle Adelaide, woran Leopold nicht ohne Lachen dachte.

Endlich stand er an der Thür und öffnete diese geräuschlos. Liane war allein, sie stand von ihrem Sitze am Fenster auf, wo sie sinnend gesessen hatte, und indem sie mit sanfter Freundlichkeit ihm entgegenkam, und ihm beide Hände reichte; führte sie ihn zu dem Sopha, nahm den Hut aus seiner Hand, und blieb dann vor ihm stehen.

So will ich es haben, sagte sie. Sie sollen mich sitzend hören, ich will vor Ihnen stehen.

Sie hüllte sich nun in ihr großes, weißes Tuch, schien sich einen Augenblick zu bedenken und begann dann leise zu ihm zu sprechen.

Mein Oheim und Vormund, sagte sie, hat mir nicht verborgen, daß unsere Bekanntschaft, wenn es sich fügt, keine flüchtige sein, sondern sich zu einer zärtlichen Freundschaft gestalten soll, welche die Herzen, oder doch die Hände auf ewig verbindet. Ich weiß auch, fuhr sie fort, daß meine verewigte Mutter einst bestimmt war, ein solches Bündniß mit Ihrem Oheim zu schließen, wenn nicht die Liebe zu einem andern Manne, zu meinem Vater, dies gehindert hätte. Meine Mutter hat oft in spätern Jahren den Wunsch Ihres Oheim getheilt, daß sein Neffe mit einer ihrer Töchter glücklicher sein möge. Es finden sich Briefe darüber, denn die Zärtlichkeit, oder Anhänglichkeit Ihres gütigen Verwandten war nicht ganz erloschen, und meine arme Mutter hatte sich immer einen treuen Freund bewahrt. Nun haben wir uns fast seltsam gefunden, und dann haben Sie mir gesagt, daß ich Ihnen nicht gleichgültig sei.

Leopold nahm ihre Hand, die er an seine Lippen drückte.

Nicht gleichgültig! sagte er; das ist ein kalter matter Ausdruck für meine Gefühle. Die Kreise der großen Welt haben mir viele holde Erscheinungen entgegengeführt, aber nie, Liane, empfand ich das reine Verlangen, sie auf ewig zu besitzen. Ich habe oft den Reiz der Anmuth bevorzugter Wesen anerkannt, ich habe Träume gehabt und Wünsche, aber wie schnell waren sie zerstäubt, und wie ganz anders war es auch. Es ist mir, als begehre ich nur Ihre Seele, als genügte es mir, immer Ihre Hand zu halten, immer Ihre süße Stimme zu hören, in diese Augen zu sehen, aus denen mir neues Leben aufgeht. Das, theure Liane, ist die Liebe, die mich an Sie fesselt. Vom ersten Augenblicke an fühlte ich das wunderbare Verlangen, Ihnen Alles zu gestehen; ich fühlte mich erhoben und durchgeistigt, empfand meine Fehler und Mängel, empfand, daß ich streben müsse, um Ihrer ganz werth zu sein, betrübte mich allein, Ihnen zu mißfallen, und schwärme nun im Glück der Zukunft, seit Ihr Wort mich hoffen läßt.

Sanft flehend sah er zu ihr auf. Er war schön in diesem Augenblick. Seine dunklen Loden fielen über die weiße hohe Stirn, Liebe und eine reine Hingebung sprachen aus den leidenschaftlich bewegten Zügen. Liane konnte nicht ganz diesem Eindruck widerstehen, und wie er plötzlich vor ihr niedersank, ihre Hände mit zahllosen Küssen bedeckte und Liebesworte und Schwüre stammelte, verstummte die letzte Strenge ihres Herzens. In heißer Aufwallung faßte sie seine Hände mit den ihren, und sah ihn groß und lange an, bis plötzlich ihre Augen feucht wurden, und nun schlang sie die Arme um seinen Kopf und Nacken, und wie er ihren Kuß empfand, aufspringend sie küßte und an sein Herz schloß, sagte sie mit Heftigkeit:

Ja, ich will Dein sein, wenn Du fühlst, wie Du sagst, und ich glaube daran, Niemand soll Dich von mir trennen.

Nach einigen Minuten war sie ruhig und nachsinnend geworden. Beide hatten sich auf das Sopha gesetzt, ihre Hände waren vereint, ihre Blicke verkündeten den Herzensbund, und still lächelnd hörte sie, was Leopold von ihrer Zukunft sprach. Er erklärte ihr, daß sein Vermögen so bedeutend sei, daß er leicht alle Wünsche befriedigen könne, die eine junge schöne Frau in der großen Welt zu machen habe. Ein glänzendes Haus, aller Luxus der Vergnügungen, alle Reize und Genüsse des Lebens, und wie es sein ganzes Sinnen nur sein solle, sie mit Glück zu umgeben.

Mein lieber Freund, sagte sie dann, ich glaube, Sie haben schon bemerkt, daß ich mich wenig nach dem lauten Geräusch eines solchen Glückes sehne. Ich habe von Gott ein stilles Herz bekommen, und ein genügsames; ein Gemüth, das wenig vom äußern Scheine bewegt wird, und sich weit mehr zu einem innern, ruhevollen Frieden drängt. Ich verschmähe den Reichthum nicht, o, nein! es ist etwas Göttliches und Großes darum; er kann Segen verbreiten, und der Himmel bewahre uns vor Armuth, denn Armuth ist wahres, tiefes Elend, das den Menschen erniedrigt, weil es seine edelsten Kräfte verzehrt, und, wie schon Hiob sagt, ihn schlecht macht. Aber was höher steht, als reich sein, als die bunten Feste, die köstlichen Dinge, ist das erhabene Glück, das aus dem Bewußtsein entspringt, die Bevorzugung auch zu verdienen. Ich bin einfach erzogen, lieber Leopold, in Einsamkeit, unter mancherlei Ungemach groß geworden, und kann nicht mit den Kenntnissen glänzen, welche die große Welt verlangt. Sie langweilt mich, wie ich sie langweilen würde, somit sind wir quitt, und ich baue mir mein Glück in einer andern Sphäre. In dem Herzen eines geliebten Wesens, sagte sie leise, das denkt und fühlt, wie ich, im Kreise treuer Freunde, im auserwählten Umgange der Edelsten und Besten. Das, lieber Freund, ist das hohe Glück des Reichthums, daß er diese zu sich herziehen kann, daß er sein Leben auszuschmücken, seine Tage zwischen Arbeit und den schönsten Freuden zu theilen vermag. Und lieben Sie denn diesen lauten, bunten Troß so sehr, daß Sie ihn haben müssen?

Mir, sagte Leopold, war es von jeher ein Spielwerk, ein Zeitvertreib, weil ich nichts Besseres zu thun wußte. Aber wie oft habe ich das Schaale und Leere erkannt, und wie freue ich mich, daß meine theure Liane auch hierin meinen Wünschen begegnet. Ich habe schon den Gedanken gefaßt, mit einem Theil meines Vermögens Güter zu kaufen, wohin wir uns ganz zurückziehen, und ein inneres schönes Leben führen wollen.

Er sah sie an, als hoffe er ihre gewisse Zustimmung, allein sie schüttelte lächelnd den Kopf.

Nein, sagte sie, das dürfen Sie nicht, zum Landmann sind Sie nicht bestimmt. Wer ein buntes Leben führte, kann sich nur übersättigt zurückziehen und ich hoffe, daß Sie das nicht sind. Bald würde die Langeweile drückend werden, die Sehnsucht würde dann kommen, und Alles zerstören, selbst unsere Liebe. Betheuern Sie nichts, fuhr sie fort; ich kenne die Welt nur aus Büchern und meinen stillen Beobachtungen, aber ich kenne sie dennoch. Ich will Ihnen Alles sagen, Leopold, was ich denke und empfinde. Sie sind ein guter, schöner und feuriger Charakter, der des Edelsten fähig ist, aber Sie haben den Schmerz und den Ernst des Lebens noch nicht empfunden. Ihre Erziehung hat, wie Sie selbst sagen, die Zähigkeit des Wollens und des Willens nicht herausgelockt, und wie viele und mannigfache Bildung Sie sich auch erwarben, es ist nichts Einiges und Ganzes geworden. O! Leopold, erröthen Sie nicht, Sie haben mir selbst das Recht gegeben, Ihnen das zu sagen; Sie haben sich selbst angeklagt und Wahrheit, heilige Wahrheit ist Pflicht gegen den, den man liebt.

Ich weiß wohl, erwiderte er, daß man Ursache haben kann, mich anzuklagen, daß Manches anders sein konnte, aber die Zukunft liegt vor uns.

Und diese, sagte Liane, wird alle die edlen Keime ausbilden. Das, lieber Leopold, glaube ich von Ihnen. Im Faust ist eine wunderbar tief empfundene Stelle, wo es heißt: Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen! Das soll auch Ihr Wahlspruch sein, und wenn Sie mich lieben, wie Sie sagen, wenn mein armer Besitz Sie beglücken kann, wenn mein Lächeln, mein Beifall, meine Bewunderung und innige Verehrung Reiz für Sie haben, so wissen Sie denn, daß mein Leben bis zur letzten Stunde, mein Herz bis zum letzten Schlage Ihnen gehören soll, dem Manne, der alle Guten und Besten dieser Welt zum würdigen Beifall und zur Liebe zwingt.

Ihre edle Erregtheit electrisirte gleichsam den jungen Walther. Er warf sich mit Leidenschaft zu ihren Füßen und schwor mit seiner Liebe ihr auch ein frisches und kräftiges Erfassen des Lebens. In seinem Kopfe schimmerten dann tausendfache bunte Plane. Er wollte seinem Oheim folgen und ein thätiges Mitglied des großen Banquiergeschäftes werden, oder er wollte mit erneuter Anstrengung seine Studien fortsetzen, um in den Staatsdienst zu treten, oder Fabriken anlegen und industrielle Unternehmungen fördern.

Liane sagte endlich nach mancherlei Entwürfen:

Darüber lassen Sie uns ruhiger werden. Als Gelehrter, als Staatsdiener, als Industrieller, Künstler oder Banquier, überall kann man, wie ich meine, in das fortschreitende Leben mächtig eingreifen und tüchtig und ganz werden, was man ist. Man muß sich nur nicht absondern, fuhr sie fort, nicht von hochmüthigen Ansichten beherrscht sein, und an Vorurtheilen seine edlen Eigenschaften, wie ein Schiff an Felsen, zerschmettern lassen; das ist in seiner Art eben so nachtheilig und betrübter, als wenn man die Hände in den Schooß legt und ein dolce far niente treibt, oder das Leben als ein liebenswürdiges Possenspiel betrachtet.

Sie sah dabei so lächelnd auf Leopold, daß dieser sehr wohl wußte, wer bei diesem Vergleich betheiligt war. Er schlang den Arm um das schöne Mädchen und sagte:

So darf ich also wenigstens auf Gilgenström nicht eifersüchtig sein?

Es ist eine sehr edle, herrliche Gestaltung, versetzte sie, doch für mich eben auch abstoßend und erkaltend. Sein Charakter ist so fest und spröde, wie Glas; er zerbricht eher, als er sich beugen läßt, und ein ganz besonderes Feuer kann ihn nur schmelzen. Das aber liegt nicht in mir und überdies hasse ich die Vorurtheile, von denen er leider befangen ist. Er ist von sehr alter Familie, allein fast unbegreiflich bleibt es, wie ein Mann von so hochgeartetem Talent und tiefer Wissenschaft so kindisch kleinlich an sogenannter Standesehre hängen kann.

Es ist eine der lächerlichen Narrheiten, rief Leopold mit hervorbrechendem Spott, die dem weisen Manne um so häßlicher stehen.

Sein Sie nicht zu ungerecht, erwiderte Liane. Es ist eine der Zeitkrankheiten, wie ein alter vortrefflicher Freund es nennt, dem ich vieles verdanke, was ich weiß und in mir festgestellt habe. Dieser alte Freund ist der Baron Lanken, ein hochverehrter Greis mit dem trefflichsten Herzen, der Helfer, Rathgeber und Beichtvater unserer ganzen Gegend. Gilgenström ist krank an seinen Empfindungen. Er sieht bedroht, was er für heilig und ewig hält, und stellt sich in seiner edlen, furchtlosen Festigkeit kühn dem Zeitendrange entgegen. Wäre es anders, er würde weit milder sein, jetzt aber gilt es, zu zeigen, daß es noch Ritter in der Welt gibt. Sein hochgeartetes Herz leidet selbst dabei, gewiß, es muß leiden, und doch fordern seine Grundsätze die Bezwingung. Er ist tief verständig und gelehrt, aber er will nichts thun, um nicht dem Zeitgeiste zu fröhnen. Es ist ein Verlust für den Staat, daß solche Köpfe feiern, allein er grollt auch diesem, weil er nach seiner Meinung nichts in der rechten Ordnung sieht.

Leopold hatte eine leichtfertige Antwort bei der Hand.

Er sollte sich den anatomischen Messern unserer berühmten Chirurgen übergeben, sagte er, die das Mittelalterige herauspräpariren könnten, und das Schielende durchschneiden.

Liane blickte ihn strafend an. Sie hatte mit einer Wärme gesprochen, die sie nun erst recht empfand.

Der große Chirurg, sagte sie, wird die Zeit sein und schmerzhaft muß die Operation werden. Aber das Böseste bleibt, fuhr sie fort, daß sein Wesen so ansteckend ist, wenigstens für meinen Oheim. Er wandelt ihn ganz um mit seinen Bemerkungen über die Adelsreinheit, und mein halb plebejisches Blut fühlt sich dadurch mannichfach verletzt.

Wie, rief Leopold erschrocken, sollte der Baron mir entgegen sein, könnte er seine Verabredungen mit meinem Oheim –

Diese würden ihn nicht binden können, fiel Liane ein; denn wie ehrenwerth fest auch Herr von Wüstenberg gegebene Zusicherungen hält, so ist dies doch ein zu besonderer Fall, um allgemeine Verabredungen als bündig zu betrachten. Ich merke es oft, wie es steht, fuhr sie fort, und Sie selbst haben dazu beigetragen.

Ich gefalle ihm nicht, weil er nicht vergessen kann, wie ich ihm zuerst entgegentrat, sagte Leopold.

Gewiß trägt auch dies die Schuld, allein weit mehr, daß diesen Leichtsinn kein Wappen entschuldigt.

So habe ich viel zu fürchten, rief der junge Walther ganz erschrocken.

Nichts! sagte sie lächelnd. Vertrauen Sie sich selbst und mir. Mein Oheim weiß wohl, daß ich einen Willen habe und er liebt mich. Die Grillen, welche er faßte, werden verschwinden und die Zukunft wird ihn ganz gewiß zufrieden stellen.

Das soll sie gewiß, sagte Walther mit Energie. O, liebe Liane! ich will an Ihrer Hand in ein neues Leben treten, und es beginnen, indem ich mich selbst besiege.

Es war halb dunkel geworden in dem Zimmer. Rothes Abendgewölk, das über den Himmel flog, ließ einen leichten, rosigen Schein hereinflattern. Inniger zog er die schöne Gestalt in seine Arme, die leise ihren Kopf an seine Schultern lehnte und die warme weiche Hand auf seine Stirn deckte. Ein unermeßlich seliges Gefühl rann zitternd durch seine Adern, in glühender Liebeslust drückte er sie an sein hochklopfendes Herz und flüsterte die süßesten Worte, indem er ihre langen Locken küßte. Seine stürmischen Empfindungen fanden einen schwachen Widerstand; dann in einem langen innigen Kuß eine feurige Erwiederung, im nächsten Augenblick aber machte sie sich sanft frei, löste die Hand, die sie festhalten wollte und mit langsamen Schritten ging sie dem Fenster zu und betrachtete stumm den Zug der Wolken.

Ein tiefes Schweigen herrschte zwischen Beiden. Endlich stand Walther auf, und indem er an ihre Seite trat, sagte er:

Sie zürnen mir, liebe Liane.

Der Abendschein röthete das liebliche stolze Gesicht, in welchem ein Ernst schimmerte, der im nächsten Moment jedoch ganz versöhnende Milde ward.

Ich zürne nicht, sagte sie, mein Herz ist auch schuldig und liebebedürftig, und diesem Gefühl muß man die Seele ganz und allein öffnen. Halten Sie das Glück auf, mein theurer Leopold! Es sind die Augenblicke des edelsten höchsten Aufstrebens eines Menschenlebens, es rückt uns Gott näher, der uns in seinen Himmel ruft.

Mit dem Ausdruck einer innigen Freude sah sie entzückt hinauf in die strahlenden Wolken, und dann in das Gesicht ihres Freundes, dem sie beide Hände reichte. Dann ging sie, zog die Klingel und rief nach Licht in dem Augenblick, wo ein Diener erschien, der es brachte, und nun sagte sie zu Leopold, der fast verlegen noch immer am Fenster stand:

Sie sollen nicht gehen, bis Aurelie und der Oheim wiederkommen, und den Abend noch ganz mit uns verleben, denn morgen werden wir einen Gutsbesitzer besuchen, der meinem Oheim befreundet und ein außerordentlicher Landwirth ist, von dem sich Vieles lernen läßt.

Jetzt fiel es Walther erst ein, daß er auch zu einem Feste geladen sei. Er erzählte es, fügte aber hinzu, daß er nicht hingehen, sondern morgen in der Frühe ein artiges Geschenk, das er schon eingekauft, mit einer Entschuldigung übers senden wolle. Liane sagte jedoch:

Sie sollen mir gehorsam sein und ich wünsche es, gerade weil heut ein Tag des Erkennens war. Sie werden wenig Vergnügen haben, allein Sie dürfen das der Uebrigen nicht stören, sie nicht an solchen Tagen empfinden lassen, daß Sie sich zurückziehen wollen. Ueberdies ist die Gegend ja Ihr märkisches Paradies, von dem Sie soviel zu erzählen wissen und vielleicht haben Sie mir neue romantische Abenteuer zu berichten.

Ich werde einen trüben, sehnsuchtsvollen Tag verleben, sagte Walther.

So will ich Sie zu erheitern suchen, erwiderte Liane, und wer weiß denn, was morgen geschieht?

Sie setzte sich an das Instrument, welches im Zimmer stand, und obwohl es schlecht und ein wenig verstimmt war, überwog bald die Anmuth und Vollendung ihres Spieles diese bösen Zuthaten. Endlich sagte sie lächelnd:

Jetzt mögen Sie auch wissen, daß ich selbst nach Unsterblichkeit ringe. Ich habe manche kleine Lieder gedichtet und Aurelie hat nicht eher geruht, bis ich auch Töne dazu fand, das sollen Sie hören. Nun spielte sie und sang einige einfache Lieder, welche zart und innig die edelsten Regungen einer schönen Seele malten.

Natur und Freude und Lebensglück wurden darin verherrlicht; ihre kunstlose aber silberhell klingende Stimme war so lieblich, so mächtig anregend und selbst gewaltig, daß Walthers Entzücken sich immer höher steigerte. Er verlebte eine schöne Stunde, in welcher die Musik nur dann und wann unterbrochen wurde von Lianens Scherzen und Erzählungen, was die Vergangenheit ihr gewesen, und wie die Zukunft sich gestalten könne.

Ich bin die Aelteste, sagte sie, und mein Schwesterchen ist ein so furchtsam willenloses Kind, daß ich immer für zwei denken und schaffen muß. So habe ich mich erzogen und sie auch, die sich an mich lehnte und mich dadurch um so kräftiger machte. Aurelie aber hat, wie der Oheim sagt, dafür weiches Gemüth für uns beide erhalten, ich die größere Besonnenheit, aber nie ist ein liebenswürdigeres Herz auf Erden gewesen.

Und wie sie dies sprach, öffnete sich die Thür und Aurelie trat herein, die sich mit der Freude eines von der Mutter getrennten Kindes in die Arme ihrer Schwester warf und dann nicht minder freundlich Walther begrüßte. Sie hatte viel zu erzählen von der Gesellschaft, wo sie sich befunden und that dies so gutmüthig drollig, mit Lebendigkeit und Scherz, daß ihre heitere Stimmung auch die Andern und selbst den Baron ergriff, der bald darauf aus seinem Zimmer eintrat.

Herr von Wüstenberg blieb jedoch nicht lange in der guten Laune, sondern nahm vielmehr, als besänne er sich auf Etwas, einen steifen pretiösen Ton gegen Walther an. Mit Absicht führte er das Gespräch auf Familienverbindungen und nannte eine Reihe edler Namen als Verwandte her, Liane aber bildete einen Gegenbau und indem sie Walther einen Wink gab, dem Baron nicht zu widersprechen, verwickelte sie ihn bald in solche Widersprüche über wahren Adel und die Macht des Geldes, moderne Industrie und altes Junkerthum, daß er endlich eingestehen mußte, die Welt und die Verhältnisse hätten sich allerdings so sehr verändert, daß der bloße traditionelle Name nichts thue, wenn die Tüchtigkeit und Fähigkeit ihn nicht unterstütze. Er sagte dies jedoch widerstrebend und mit offenbarem Widerwillen, den er nur zurückhielt aus Rücksicht gegen den Gast.

Aurelie hatte dies Gespräch längst langweilig gefunden, sie hatte einen Bogen Papier ergriffen, Federn und Tinte lagen und standen auf dem Tisch und nun schrieb sie Fragen auf kleine Zettel, die sie Walthern zuschob, der sogleich antworten mußte, und beide entwickelten eine lebhafte Correspondenz, die Leopold nur von Zeit zu Zeit unterbrach, um an dem ernsten Gespräch Theil zu nehmen, oder Aurelie, um leise über die Antworten zu lachen, die sie erhielt, oder böse Gesichtchen zu machen, zu drohen und dann mit heimlichem neuem Entzücken von vorn anzufangen. Zuletzt nahm Liane auch Theil an diesem Spiel, aber es wurde weit ernster unter ihrer Hand, die Alles geistreich feiner leitete.

Endlich war es spät, der Baron gähnte sehr laut und als Walther ging, reichte ihm Liane bedeutsam die Hand, Aurelie aber schlug lustig in die andere, indem sie ihm sagte, sie wüßte noch mehre solcher Spiele und ganz verwickelte Fragen, die ihn nächstens in Verlegenheit setzen sollten.


7.

Nach einer unruhigen Nacht sandte Walther in der Frühe seinen Diener zu dem Rentier, der seine Antwort auf die Einladung brachte und mit einem zierlich ausstudirten Glückwunsch, den er ebenfalls französisch an Adelheid schrieb, ihr ein sehr geschmackvolles Präsent, einen Goldschmuck, überlieferte. Mündlich ließ Walther sagen, daß ein nothwendiges Geschäft ihn leider abhielt, sogleich von der Parthie zu sein, daß er aber in einer Stunde zu Pferde folgen und die Gesellschaft gewiß noch einholen würde.

Leopold wollte um keinen Preis sich auf dem zwölfsitzigen Wagen der Gefahr preisgeben, von einem Bekannten bemerkt zu werden, und Herr Arnheim, dem noch zwei Eingeladene abgesagt hatten, ging mit eingeklemmter Lippe, sehr verdrießlich umher und berechnete, daß er wenigstens einen Gulden erspart haben könnte, wenn er das gewußt und einen Neunsitzigen genommen hätte. Nach einigem Nachdenken heiterte sich jedoch sein Gesicht wieder auf, weil er daran dachte, daß die Pferde sich nicht so sehr anstrengen, folglich auch wohl nicht so viel fressen würden, zwei Menschen weniger am Tisch aber auch den Gulden reichlich wieder einbrächten, und so packte er eine Flasche Wein heimlich wieder aus, legte vier Milchbrödchen in seinen Sekretair und empfing dann die Gäste mit den vergnüglichsten Scherzen.

Die Geheimrathstöchter kamen zuerst und Laura weinte Thränen der Liebe und Freundschaft, wie sie sagte, dem Geburtstage zu Ehren. Philippine aber überreichte dem Geburtstagskinde ein schön gearbeitetes Kissen, woran sie und ihre Schwester, nach ihrer Erzählung, Tag und Nacht gestickt hatten. Dann kam noch eine junge Freundin, die ein elegantes Etui und einen ungeheuren Blumentopf, an welchem jenes gleichsam als seltene Frucht baumelte, verehrte, und endlich erschienen zwei Herren, ein Familienfähnrich von der Artillerie, der nichts schenkte, sondern nur einen tiefen Diener machte, und ein junger, wohlhabender Kaufmann, der sehr witzig war, und diese üble Gewohnheit auch hier nicht lassen konnte. Er zog nämlich ein großes Stück Schweizerkäse aus der Tasche und hielt eine Anrede, in welcher er mit vielen Pointen und Wortverdrehungen gratulirte und sein Geschenk als einen Beitrag zum Vergnügen des heutigen Tages betrachtet wissen wollte.

Adelheidchen war sehr ärgerlich und schickte sich schon an, den Bedienten zu rufen, dies alberne Geschenk in die Küche zu tragen, als sie bemerkte, daß es eine schöne Atrappe sei, die in ihrer Hand sich aufthat und ein prächtiges Spitzengewebe enthielt. Nun war alles voller Lachen und Lust und mitten darin kam der arme Vetter, der nichts brachte, als einen kleinen Blumenstrauß, aber umgewickelt war ein Gedicht, ein Akrostichon auf den Namen Adelaide, das er ihr nun auch, auf himmelblauer Seide gedruckt, überreichte.

Adelheids Augen nahmen einen verklärten Glanz an. Ein Gedicht, gemacht auf ihren Namen, sie der Gegenstand von acht gereimten Zeilen, dieser Triumph war zu groß, um nicht ohne tiefe Rührung empfunden zu werden. Es wurde laut vorgelesen, Philippine fand es göttlich, Laura lächelte durch Thränen, wie es zuweilen in Romanen berichtet wird, die kleine Freundin fand es allerliebst, und Madam Arnheim, die jedem Gaste eine Tasse Chocolade und ein Stück Königskuchen reichte, wendete dem armen Vetter eine zweite Tasse zu und gab ein zerbrochenes Kuchenstück obenein.

Herr Arnheim drückte ihm indeß die Hand und sagte, es sei weit schöner als: »Ueb' immer Treu und Redlichkeit,« oder »Nun ruhen alle Wälder,« welches die beiden einzigen Lieder waren, die er kannte. Adelheid endlich ergriff des Dichters Hand und sagte mit Pathos: Lieber Vetter Seehausen, das vergesse ich Ihnen nie!

Wir übergehen nun alle Vorbereitungen, das Aufpacken der Quantitäten von Lebensbedarf in die Flaschenfutter, was nicht ohne einige sehr komische Scenen abging, indem Herr Arnheim durchaus das Eßbare vom Kutscher möglichst entfernt wissen wollte und so lange ein gerechtes Mißtrauen hegte, bis man sich entschloß, da doch Platz genug vorhanden sei, die Hausjungfer neben den Bedienten zu setzen, und so eine gegenseitige Controlle einzuführen.

Endlich war alles bereit und der bequeme Wagen, bespannt mit muthigen und eleganten Pferden, rollte rasch davon. Zur größten Freude des alten Herrn hielt er auch nicht an der Post an, weil der Kutscher mit spöttischem Lächeln meinte, es sei Alles herrschaftlich an ihm, ein Schein sei nicht nöthig, worauf es denn rasch, durch ein Gewirr von Gartenstraßen, im östlichen Stadttheile weiterging und bald die breite Pappelallee der Chaussee rechts und links rauschte. Die Gesellschaft war sehr fröhlich, besonders durch den witzigen Kaufmann, der seine Waaren überall austheilte und durch und durch ein lustiger Vogel war, der Keinen verschonte, obwohl es in aller Höflichkeit geschah.

Adelheid allein war zerstreut und lachte selten mit, denn sie sah immer zurück, ob Leopold denn noch nicht erscheinen würde. Sie hatte zwar über Vieles zu zürnen, aber daß er zu Pferde nachkommen wolle, war ihr doch sehr angenehm, und somit eigentlich ihr das Pferd noch lieber, als der Reiter. Es war gewiß ein sehr schönes, stolzes Pferd, und daß ihr Erwählter ein so ritterlich edles Thier besaß, und an ihrer Seite einhersprengen sollte, war ein Triumph, den sie mit Herzklopfen erwartete.

Fünf oder sechs Dörfer waren aber schon hinter den Rädern geblieben, Adelheidchens Augen wurden immer finsterer und eine tödtliche Rachsucht bemächtigte sich so eben ihrer Seele, als in der Ferne eine Staubwolke aufflog.

Da kommt er! da kommt Walther! rief sie; aber ehe die Gesellschaft umblicken konnte, bog der Wagen von der Chaussee ab in einen Tannenwald und zum größten Aerger Adelheid's ward der heranjagende Reiter den Blicken verborgen.

Wenn man sagt, ein Wagen bog in den gesegneten Fluren der Mark von der Chaussee ab in einen Tannenwald, so hat das keine so allgemein gleichgültige Bedeutung, als es scheint. Es drückt vielmehr einen eben so völlig veränderten Zustand aus, als wollte man sagen: Die Seele ward frei und entfloh dem Körper; oder: ein Neger ward von einem Dämon plötzlich nach Kamtschatka gebracht, wo er sogleich erfror, oder: ein Schlitten fuhr vom schneebedeckten Atlas in die Wüste Sahara u. s. w. Die gütige Natur hat dafür gesorgt, diesem Boden eine wunderbare Anziehungskraft zu ertheilen, und da man nicht weiß, daß jemals eine Auswanderung hier statt hatte, sondern immer nur Einwanderungen erfolgten, so muß man dies nothwendig, wie ich denke, dem merkwürdigen Sande zuschreiben, der keinen fortläßt, wen er einmal hat.

Es gehört hier zu den Freuden der Landpartien, daß die, welche das Recht erkauft haben, sich ziehen zu lassen, gewöhnlich aussteigen und zuweilen selbst die Dienste der Rosse übernehmen müssen. Diesmal war es jedoch minder arg. Langsam arbeiteten die schäumenden Thiere durch den Sand und über Wurzeln, die hülfreich den Weg durchkreuzten, und eine wohlthätige, wenn auch etwas halsbrechende Abwechselung von Berg und Thal bewirkten.

Sie waren jedoch nicht weit gekommen, als der schnelle Galopp eines Pferdes dicht hinter ihnen gehört wurde. Es war Leopold in der That, der mit schönem Anstande im Sattel saß, und den nun ein allgemeiner Freudenruf begrüßte. Adelheid selbst ließ ihr Tuch, als Liebes- und Friedensfahne wehen, und warf dann einen stolzen Blick auf ihre Freundinnen, als Leopold an ihrer Seite war und mit vielen Entschuldigungen seine Grüße und Wünsche begleitete.

Vorläufig gab es Manches zu fragen und zu beantworten, zu hören und zu erzählen, was namentlich von Adelheidchen mit einer erstaunlichen Zungenschnelligkeit geschah, von den Geheimrathstöchtern aber in einer Art Wettkampf unterstützt und von dem witzigen Kaufmanne zuweilen mit einem überraschenden Wortspiele unterbrochen wurde, so daß Leopold im Stillen dem Himmel dankte, als der Weg besser wurde, und der rascher rollende Wagen ihm erlaubte seinem muthigen Pferde die Zügel zu lassen und bis an einen Wendepunkt des Weges voranzusprengen.

Hier öffnete sich das Land. Eichwald bekränzte die Höhen und unten lagen schöne, blaue Wasserspiegel, die in den Sonnenstrahlen heraufblitzten. Liebliches Wiesengrün zog an dem Gelände hin, leichte Wellen schlugen an die Binsenfelder, wo Schaaren von schreienden Vögeln, Wasserhühnern und Tauchenten ihr fröhliches Spiel trieben. Höher hinauf an den Berglehnen gingen Heerden von bunten Kühen, die ländliche Schalmei und das leise Gebimmel der Glocken tönte herüber.

Nun kam die Gesellschaft heran und Adelheid deutete auf ein kleines weißleuchtendes Haus an einer Seebucht. Zwischen alten Bäumen hervorblickend ward es als das Ziel der Wallfahrt und Beginn der ländlichen Herrlichkeiten bezeichnet. Bald ward es auch erreicht und da man die Familie erwartete, waren alle Anstalten zu ihrem Empfange getroffen. Ein alter Fischer vom See stand schon mit seinen gefüllten Netzen zur Auswahl da, und alle Damen nahmen an diesen Fischwirren und Krebshändeln den lebhaftesten Antheil, wobei sich von beiden Seiten eine merkwürdige diplomatische Feinheit im Schließen von Verträgen, in Beredtsamkeit und logischer Ueberredungskunst entwickelte, bis endlich der Fischer, der immer bei denselben Betheuerungen verblieb, doch vollständig siegte, weil er die Fische und folglich auch die Macht besaß.

An den Binsen aber lag eine Gondel mit einer schönen weißen Flagge und einem schwarzen Adler darin, dahin gingen die Herren und Adelheid mit Laura folgten. Der witzige Kaufmann, der zuerst an Bord sprang und behauptete, dies wäre die Gondel, welche der Venus sonst als Muschel gehört habe und die heute wieder in ihr altes Recht treten sollte, bewies im nächsten Augenblicke, daß er wenigstens nicht als Schwan dabei zu gebrauchen sei, denn bei einem kühnen Sprunge verlor er das Gleichgewicht und fiel ins Wasser, das über ihm zusammenschlug.

Es war jedoch nicht tief und er wurde überdies sogleich herausgezogen, worauf er unter dem schadenfrohen Gelächter der Damen, das gar nicht aufhören wollte, sagte, er wäre dem Schicksal äußerst dankbar, denn dies Bad erspare ihm Zeit und Geld. Schnell lief er in das Haus und in kurzer Zeit, während die übrige Gesellschaft auf den Bergen und am Ufer lustwandelte und anmuthige Gespräche führte, kam er in der ländlichen Sonntagstracht des Hausmeiers wieder zum Vorschein, was von neuem außerordentlich belacht und bewitzelt wurde.

Der Held der Unterhaltung aber war nun der unbesoldete Assessor geworden, der unter einer alten Buche, die träumerisch von einem Hügel über den See hinaushing, den Damen aus zwei Taschenbüchern neue Gedichte vorlas, wobei Laura bald den Himmel, bald das Wasser betrachtete und laut seufzte; Adelheid aber kleine Kränze aus Grashalmen flocht, die Leopold halten und sich etwas dabei denken mußte, was, wenn sie sich auflösten, vom Schicksal erfüllt werden würde.

Philippine sah indessen den Fähnrich an, der sich eifrig damit beschäftigte, ein Stück Kuchen, das er in der Tasche hatte, zu vertilgen; die kleine Freundin endlich lachte über den Kaufmann, der wunderliche Gesichter schnitt und endlich behauptete, diese Gedichte oder die Wasserluft hätten einen Anflug vom kalten Fieber.

Nun wurden allerlei geistvolle Spiele vorgeschlagen. Alle bildeten einen Kreis und der Kaufmann in der Mitte gab Stellungen an, die von der ganzen Gesellschaft schnell nachgeahmt werden mußten. Wer dagegen fehlte, mußte ein Pfand geben und diese wurden später wieder ausgelöst, wobei es an verschiedenen peinlichen Situationen und an Küssen nicht fehlte. Die Damen sträubten sich zwar, aber man berief sich mit Glück auf Pfandrecht, und Landpartienfreiheit, so daß Laura die einzige blieb, die eine unüberwindliche Abneigung zeigte und sich malerisch reizend sträubte, was ihr aber nichts half.

Diese Intermezzos belustigten Leopold sehr, der sich sonst keinesweges von diesen Gefährten angezogen fühlte, aber bis auf den Assessor, der einen heimlichen Groll gegen ihn gefaßt zu haben schien, waren es harmlose Menschen, die, jeder in seiner Weise, mit ihren Mängeln und Schwächen ganz wohl neben einander bestehen konnten. Der Assessor war sehr unterthänig gegen Adelheidchen, die er oft starr ansah und dann sich wegwendete, wobei er jedesmal einen feindlich kalten Blick auf Leopold schleuderte.

Der junge Walther bemerkte dies sehr wohl, er merkte auch die Ursache, daß der arme Vetter wohl eifersüchtig auf einen Besitz sein möge, den er ihm gerne abgetreten hätte, aber es doch nicht sagen konnte. Ueberdies schätzte er diesen Vetter, von dem er wußte, daß es ein in seinem Fache ganz achtungswerther junger Mann sei, der sich auch viele allgemeine Bildung erworben hatte und dem nur der Gedanke gleich einem bösen Geier an der Leber nagte, der kränkende Gedanke, daß er arm sei und darum unbeachtet leben und sterben müsse.

Während dessen war im Hause Alles thätig gewesen, um das Mittagsessen zu bestellen, und grade als Laura zum fünften Male vorgeschlagen hatte, jetzt den Dritten abzuschlagen, wobei sie mit einer gewissen rührenden Resignation sagte, daß sie zuerst Fanchon sein wollte, schrie Herr Arnheim von unten herauf, daß die Suppe auf dem Tisch stehe. Jetzt ging es dem Hause zu, wobei, merkwürdiger Weise, der Fähnrich zuerst gesprächig und sogar artig wurde, indem er Philippinchen den Arm bot, und da gerade ein Schuß im Walde fiel, erzählte er ihr, um sie zu unterhalten, der See wäre doch nicht so breit, daß eine Kanonenkugel nicht herüberkommen und Unglück anrichten könnte, worauf der witzige Kaufmann mit lautem Geschrei davonlief, weil es eine Kanone gewesen sein könnte, die ein Jäger in den Gründen da drüben zur Entenjagd benutzte.

So liefen denn Alle unter Gelächter davon, und nun ging es ans Essen und Trinken, dies gewöhnliche Hauptvergnügen der Landpartien, weil Alles besser schmeckt und massenhafter gefördert wird. Herr Arnheim bewährte es aber auch wirklich, daß, mochte die Welt sagen, was sie wolle, er bei gewissen Gelegenheiten kein Knicker sei, denn Alles war reichlich und selbst verschwenderisch vorhanden, und sogar Champagner durfte nicht fehlen, um die nöthigen Toaste auszubringen, die der witzige Kaufmann, in lächerlichen Reimen unerschöpflich, immer wiederholte, und der arme Vetter mit vielem Anstande an Adelheid richtete.

Leopold wählte auch zierliche Worte und Laura erhob ihr Glas und rief:

Der Regenbogen hat nicht so viele Perlen, die goldene Sonne und alle Sterne nicht so viele Glorienstrahlen, als Ihr Leben, meine theuerste Adelheid, Tage zählen soll, die ein geliebtes Wesen – hier wurde ihr Auge naß und sie konnte nicht weiter sprechen – in Glück verwandeln möge, sagte sie leise.

Adelheidchen erröthete heftig, aber Alle riefen: Sie lebe hoch! und Herr Arnheim wollte so eben etwas sagen, als er mit dem Ellenbogen die halbvolle Champagnerflasche umstieß, die zu Boden stürzte und zerbrach, worauf er schwieg, was in der allgemeinen Aufregung nicht weiter bemerkt wurde. Dem Bedienten warf er jedoch einen fürchterlichen Blick zu, und schwor sich heimlich, der sollte sie bezahlen, denn er hätte sie fortnehmen können, als er gesehen habe, sein Herr würde mit dem Arm gegenstoßen, nur aufpassen müsse er, dafür sei er da.

Als das Diner endlich vorüber war, ward eine Art Siesta gehalten, welche für den Rentier und seine Gattin in den gewöhnlichen, festen, gesunden Mittagsschlaf überging. Die Damen lagerten sich unter den Bäumen, bis der Kaffee kam, die Herren suchten sie zu unterhalten, der Fähnrich angelte, der Vetter sagte Adelheidchen einige heimliche Schmeicheleien und Leopold saß sinnend und dachte an Lianen. Endlich wurde die Gondel bestiegen und eine Wasserfahrt auf dem See gemacht, als die Hitze milder zu werden begann.

Es war die höchste Zeit zur Abwechselung zu greifen, denn die Langeweile stellte sich gewaltig ein und mit ihr kamen die elegischen Träume, die sentimentalen und ärgerlichen Empfindungen in den Herzen der Damen zum Vorschein. Adelheidchen fing an sich über Leopold zu ergrimmen, der so stumm und kalt war, wie die schöne Tochter des Wendenherzogs, die nach der alten Sage jeden Freier in diesem See ersäufen ließ und endlich alle ihre goldenen Schätze und sich selbst in seiner Tiefe begrub. Laura lächelte nicht mehr über den witzigen Kaufmann, Philippine ärgerte sich über den angelnden Fähnrich, den sie sich lieber als Fisch wünschte, und der Assessor sah gar nicht, daß die kleine Freundin ihn oft recht mitleidig betrachtete, dann aber ein Lachen schwer unterdrückte, als sie bemerkte, daß seine beiden Rockschöße auf dem Wasser schwammen.

Die Gondel strich indessen unter leichten Ruderschlägen an den buschigen Ufern und im Schatten der Berghöhen hin. Die milde Luft fächelte über den See und bewegte ihn leicht. Ein heiteres Gefühl der Ruhe drang in die Herzen, der Unmuth verlor sich, und als man endlich in einer kleinen Bucht landete, liefen Alle in den Wald, schreiend und lachend, um nach einem lustigen Vorschlage, schwarze Waldbeeren zu suchen, die hier im Ueberflusse wuchsen.

Adelheid allein ward von Leopold unterstützt und beide gingen langsam die steile Berghöhe hinauf. Die Nachmittagssonne fiel heiß in den Fichtenwald und brannte heftig, wo der Luftzug aufhörte.

Da oben ist es schön und licht, sagte Adelheid und deutete auf den Gipfel der Kranichberge, die vor ihnen lagen. Ich habe es herzlich satt, dies Vergnügen in der dürren Heide, lassen Sie uns hinauf, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht, setzte sie etwas empfindlicher hinzu.

Wissen Sie nicht, erwiderte Leopold scherzend, daß wir erst heut fünf Kränze gebunden haben, die jedesmal zutreffend, sich zu einem verbanden? Ein sicheres Zeichen, daß wir vom Himmel zu einer dauernden Freundschaft bestimmt sind.

Das war ein hoffnungsvoller Anfang, der Adelheids Wangen wieder röthete, und ihr Auge mit einem so zärtlichen Blick füllte, daß Leopold erschrak. Er empfand, daß er zu viel gesagt habe, und indem er einlenken und von Freundschaft in einer bestimmten Bedeutung reden wollte, verwirrte er sich noch mehr, denn er dachte zugleich an Liane und sprach mit einem so heißen Gefühl von einer edlen und höchsten Freundschaft auf Erden, daß Adelheid, seine Hand drückend, ihm lächelnd und drohend zu schweigen befahl.

Beide hatten nun, um auf den Gang zu kommen, der bequem zum Gipfel führte, eine kleine aber steile Höhe zu ersteigen, welche durch die abgestorbenen Nadeln der Fichten sehr schlüpfrig war. So geschah es, daß Adelheid, fast am Rand der Mühseligkeiten, strauchelte und mit einem Schrei in Leopold's Arme fiel, der sie festhielt, und sich selbst an einen Baum stützte. Das schöne Mädchen lag in seinen Armen, indem sie die ihren um seinen Nacken schlang. Ihre Locken flatterten im leichten Winde und mit den blauen, kühnen Augen starrte sie ihn schelmisch an, indem ein Zug neckischer Liebe und Ergebung ihr hübsches Gesicht füllte.

Dieser Augenblick war zu verführerisch, um ihn nicht zu benutzen. Leopold drückte einen feurigen Kuß auf die auffordernden Lippen, und obwohl er gleich darauf dies lachend nur als ein Pfand- und Waldrecht deutete, Adelheid aber sich scheltend frei machte und ihr Taschentuch zu einem leichten Schlag benutzte, so war doch in Beiden der Strom ihrer Empfindungen heiß und durstig aufgeregt.

Sie gingen Hand in Hand zu dem Gipfel und setzten sich auf die Bank unter den frischlaubigen Linden, die man hier zum Andenken gepflanzt hat, daß Preußens schöne Königin öfters diesen reizenden Punkt besuchte. Die Sonne war im Sinken, und kam und verschwand hinter einzeln ziehendem Gewölk, das langsam mit drohenden dunklen Kernen und helleuchtenden Rändern herauf geführt wurde. Auf dem unermeßlichen Gesichtskreis des Himmels arbeitete die Natur an einzelnen Gewittern, Erfrischungen, die sie aus dem dunstigen Boden lockte, um sie ihm wieder zu geben. Hellgraue Dünste stiegen aus den fernen tiefen Wiesenflächen und schienen in den matten Sonnenstrahlen selbst Strahlen zu werden. Dort aber blitzte es nieder mit voller Gewalt auf die Wasserspiegel und in einem seltenen Gewirr von Streiflicht, schweren Schatten und zauberischen Wechseln von beiden, lag das ganze Land aufgerollt.

Der eigenthümliche Charakter dieses Theils der deutschen Ebene ist vielleicht von keinem Punkte aus so zu überblicken, als von diesem höchsten Berge der Mark. Zehn Meilen in der Runde lagen die schwarzen Fichtenwälder zu den Füßen der beiden schweigsamen Beschauer. Dort brachen die hellgrünen blumenvollen Wiesen hervor, hier glänzte eine langgedehnte Sandfläche, wie eine Klippe im Meere. Durch die schweigsamen Wälder lief die Kette der großen Seen, die bis zum Spreewalde hinaufreicht und die Arme des Flußes, der in tausend Windungen sie mit seinen Silberfäden zusammenstickt, bewegten sich funkelnd durch das ferne Land.

Eine fast zahllose Menge von kleinen Städten und Dörfern, von Mühlen, Wehren und Höfen lag vor ihnen ausgestreut, aber vergebens fragten sie sich gegenseitig nach den Namen und lachten über ihre Unerfahrenheit. Vor einigen hundert Jahren würde sie jeder gekannt haben, denn einigen war selbst eine Rolle in der Geschichte der Marken zugetheilt. Jetzt dagegen haben sie freilich ihre Bedeutung verloren, die ganz auf die großen Werkstätten der Industrie und des Völkerlebens übergegangen ist und nun sind sie die Wohnorte friedlicher Kleinbürger, deren stilles Leben keinen Schutz der Mauern und Thürme mehr bedarf, welche in ihrem Verfalle die einzigen Ueberreste einer untergegangenen Welt sind.

In weiterer Ferne lagerte die Hauptstadt, immer mächtiger und gewaltiger; Adelheid aber wollte sogar die beiden Thürme des Schlosses auf der Pfaueninsel erkennen und die Thürme von Potsdam, und Leopold blickte auf die kahlen Bergrücken im Osten, die reiche Kalksteinbrüche enthalten, und mit ihren jähen nackten Kuppen etwas Oedes und Wildes, einen wahren Bergcharakter haben. Stille Dörfer lagen in der Ferne, mitten unter den weißleuchtenden Hängebirken und grünen lieblichen Matten. Heerdegeläute war tief im Walde umher, fernrufende Menschenstimmen, auf dem Wasser weiße schlagende Segel, fortziehende Schiffe und Nachen und Schwäne, und dies leise Geflüster der Linden über ihren Häuptern, die summenden Insekten und Käfer, die reine goldene Luft, welche wollüstig weich an ihre heißen Wangen fächelte, Alles regte die Empfindungen auf.

Adelheid hatte sich an Walthers Schultern gelehnt, sie war sehr schweigsam und schien in Gedanken versunken. Leopold sprach leise mit ihr von den Schönheiten der Gegend, von den Wundern der Natur, die immerdar den Mosesstab in der Hand halte, und mitten in der Wüste an die vertrocknete Brust schlage, um einen neuen Lebensquell zu wecken.

Wie verrufen hat man diese Gegenden, sagte er, indem er an Liane dachte, und wie schön sind sie mit ihren Wäldern, Hügeln und Wasserspiegeln, die viele Meilen groß und breit sind, wie sie in Deutschland nicht wieder gefunden werden.

Indem er Adelheid anblickte, bemerkte er, daß sie betrübt war, und als er sie fragte, erwiderte sie:

Ich habe mehr zu denken, als an diese alltägliche Natur, die heut so ist, wie sie gestern war, und in hundert tausend Jahren wohl noch so sein wird. Mich kümmert weit mehr jetzt, was mich selbst betrifft, und ich zürne, aufrichtig gesagt, Ihnen, ja Ihnen, Herr Walther, denn gewiß, ich hätte an meinem Geburtstage größere Freundlichkeit von Ihnen erwartet.

Und welches Vergehens bin ich denn angeklagt, theure Adelheid? fragte Leopold, der das schmollende Gesichtchen sehr interessant fand.

Sie haben mir ein reiches schönes Geschenk gemacht, versetzte sie, aber ich habe Ihnen keinen Dank dafür gesagt. Gold! will ich denn Gold? Vor einiger Zeit, als wir von Gedichten redeten und ich Sie mit Ihrer Poetengabe neckte, sagten Sie da nicht, daß ich an meinem Geburtstage eine Probe erhalten würde, und haben Sie Ihr Wort gehalten? Ich glaubte, fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort, indem sie die Blätter der kleinen Halme zerpflückte, daß ich ein besonderes Plätzchen in der Freundschaft einnähme, welche Sie so reizend beschrieben, aber ich habe mich getäuscht und das betrübt mich. Sehen Sie, mein Vetter Seehausen hat mir nichts gegeben, als ein kleines Gedicht, aber ich achte es höher, als alles Gold. Es ist wohlfeil, mit Gold einen Freund abzufinden, statt ihm zu zeigen, daß man sich für ihn begeistern kann.

Leopold erinnerte sich allerdings dieser Zusage, an welche er nicht wieder gedacht hatte; die kleine schmollende Freundin war aber so schön in diesem Augenblick, daß er unmöglich eine Entschuldigung ersinnen konnte. Zufällig trug er in seiner Brieftafel einige Zeilen bei sich, die er jüngst in einem Journale gefunden, und da sie ihm gefallen, abgeschrieben hatte. Es war ein kleines Gedicht, das die Reize einer jungen Schönen und die Wünsche ihres Anbeters beschrieb.

Ohne ein Wort zu sagen, nahm er das Blättchen heraus und reichte es ihr hin. Sie las es mit Entzücken, ihre Augen funkelten in einer Zuneigung, die wohl nie so warm und innig gewesen, als in diesem Augenblick, und still ließ sie es geschehen, daß er seinen Arm von Neuem um den schönen Leib legte und in einem jähen Rausche sie heftig küßte.

So vergingen einige Minuten als ein Geräusch in der Nähe sie aufschreckte, und nicht ohne Bestürzung sah Walther durch das Geblätter eine weibliche Gestalt den gewundenen Weg hastig hinabsteigen. Er wußte nicht, warum ihn dieser Anblick so heftig bewegte. Er konnte das Gesicht nicht sehen, nur das weiße Kleid, den Strohhut, die hohe schlanke Gestalt. Es war eine Fremde. Sicher hatte sie den Gipfel ersteigen wollen und war ganz nahe daran umgekehrt, als sie die vertraute Gruppe unter den Linden sah.

In diesem Augenblick kam ihm ein furchtbarer Gedanke, der den Sünder zittern machte. Es konnte Liane sein, und diese Möglichkeit war vernichtend. Wie Blitze liefen die Fäden des ganzen Gewebes durch seinen Kopf, und fast electrisch bewegt, sprang er auf.

Was thun Sie denn? sagte Adelheid, ihn verwundert anblickend.

Sehen Sie die Dame nicht? erwiderte er. Sie ist umgekehrt.

Wer kann es denn sein? versetzte sie. Es ist sonderbar, umzukehren, als hätte sie etwas hier zu fürchten.

Lassen Sie uns hinabgehen, sagte Leopold, dem der Boden unter den Füßen brannte, ich bin begierig zu wissen, wer es ist.

Diese Neugier kränkte Adelheid's Stolz und ihr Eigensinn, oder ihre Eifersucht erwachte.

Das ist schön, sagte sie in einer Weise, die Scherz sein sollte, aber bitteren Ernst ausdrückte, o, geschwind! eilen Sie doch, verlassen Sie mich, o! ich komme schon nach, ich finde den Weg, nun eilen Sie doch! die schöne Unbekannte könnte Ihnen entkommen.

Leopold blieb und sagte mit dem tiefsten Ingrimm im Herzen und einem heitern Lächeln:

Mein Wunsch war nur, Ihnen ein kleines Fest gelöster Neugier zu bereiten.

So eben kamen die übrigen Glieder der Gesellschaft von einer Seitenhöhe und riefen den Verlorenen zu, daß man sie überall gesucht habe. Man scherzte über die Verirrung, nur der Assessor nahm einen düsteren, unheildrohenden Blick unter seiner Brille an. Adelheid aber hielt das Blatt mit dem Gedicht ihm vor und sagte:

Sie sollen wissen, mein tapferer Vetter, daß Ihr hübsches Gedicht nicht das einzige ist, das wir an diesem festlichen Tage empfingen. Ihm stellt sich ein anderes entgegen, und wir wollen einen Gerichtshof ernennen, der über den Sieger sein Urtheil fällen soll.

Sie gab hierbei dem grimmigen Assessor das Blatt und bat ihn, es laut zu lesen, gewiß für einen unglücklichen Nebenbuhler eine schwierige Aufgabe, deren Höhe derselbe auch ganz empfand; denn schon zog seine Stirn eine tiefe Falte, und er wollte das grausame Verlangen ablehnen, als plötzlich eine unermeßliche Schadenfreude in seine grauen Augen trat. Nun las er das Ganze mit fester Stimme und einem ganz besonderen Lächeln, als aber Alle Lob und Entzücken ausdrückten und Laura so eben eine Thräne hervorlockte, indem sie an das Glück dachte, eine Nachtigall zu sein, die auch in dem Liede vorkam, sagte er:

Es ist doch sonderbar, wie ähnlich sich oft Gedichte sein können. Ich las vor wenigen Tagen in einem der Tagesblätter eins, das mit Bruno unterzeichnet war und, wie ich denken sollte, diesem zwillingsbrüderlich ähnlich sah.

Er warf hierbei einen so spottenden Blick auf Leopold, daß dieser beinahe die Fassung verloren hätte, aber es war ihm im Grunde ziemlich gleichgültig, wie es kam und kommen mochte. Er zuckte daher die Schultern und meinte mit einem Lächeln, vielleicht träfe auch hier das alte Sprüchwort ein, daß schöne Geister sich begegneten, worauf er lachend die Stufen hinuntereilte und zu einer Wette aufrief, wer der Erste am Wirthshause sein würde.

Was der junge Walther eigentlich wollte, wußte zwar Niemand, aber fast Alle liefen ihm nach, ohne ihn erreichen zu können, denn er flog mit fieberhafter Eile den sandigen Weg hinab, gerade als ein Wagen über die Brücke am Gasthause rollte und im Walde verschwand. Nur Adelheid war zurückgeblieben, die das Gedicht in ihrer Hand fast zerquetschte und mit einer furchtbaren Ruhe zu dem hülfreichen Vetter sagte:

Verschaffen Sie mir das Gedicht, Seehausen, aber morgen, so bald als möglich, und ich will Ihnen ewig dankbar sein.

Hinten am Hause fand sich die Gesellschaft wieder zusammen, und da Leopold doch nicht das Herz hatte, den Wirth über die Fremden zu befragen, bestieg man die Gondel wieder und ruderte durch den abendlichen See, wobei der witzige Kaufmann auf einem Flageolet Frühes Holzblasinstrument aus der Gruppe der Schnabelflöten und nah verwandt mit der Blockflöte; das Wort wird damals aber auch zur Bezeichnung einer »kleinen Flöte« schlechthin verwendet. Musik machte und Laura zuletzt ein Lied sang, worin sehr oft Luna, Silberwellen und Phöbus letzter Pfeil vorkam, bis sie zuletzt in Rührung schwieg und sanfte Blicke umherwarf.

Die Gesellschaft war jedoch, man wußte selbst nicht warum, verstimmt, vornehmlich aber wol, weil Adelheid kein Wort sprach und Leopold, halb abgewendet, seine Hand tief im Wasser nachschleifen ließ, bis der Fähnrich sagte, daß das sehr gefährlich sei, weil es hier große Hechte gäbe, die leicht zuschnappen könnten, wovon er ein schauderhaftes Beispiel erzählte, worüber die Damen äußerst ängstlich wurden, und Leopold baten, die Hand herauszunehmen. Nur Adelheid schwieg und sah so rachsüchtig auf die Hand, als wäre sie selbst der Hecht, der jene wirklich schon abgebissen.

Endlich war man am Ufer, wo Herr Arnheim hin- und herlief und schon von weitem rief und winkte.

Als die Gondel landete, beschwerte er sich sehr über das Langebleiben und behauptete, das Abendessen sei nun völlig verdorben. So eilte denn Alles in das Haus, aber Scherz und Lust waren verbraucht, und es schien sich jeder zu sehnen, sobald wie möglich davon zu kommen. Adelheid schützte heftige Kopfschmerzen vor und da sie mit unverkennbarer Verachtung sich von Leopold abwendete, auch mit ihren Freundinnen Einiges heimlich sprach, und drohend, den Zeigefinger schüttelte, so entstand eine Art Verschwörung gegen den Unglücklichen. Er mußte eine Reihe sehr anzüglicher Anspielungen hören, und der witzige Kaufmann, der sogleich ein Bundesgenosse geworden war, kletterte auf eine Weide und declamirte von dort die Fabel von der Dohle, die sich mit fremden Federn schmückt und schmählich gerupft wird, worauf Laura erröthete, die kleine Freundin die Augen niederschlug, Philippine lächelte und Adelheidchen laut lachte.

Leopold ließ Alles über sich ergehen und lachte noch lauter als Adelheid, was deren Zorn sehr vermehrte. Endlich kam der Wagen und das Einzige von Bedeutung, das auf dem Wege vorfiel, war, daß Madame Arnheim Adelheidchen fragte, ob Walther sich nicht erklärt habe? worauf die Tochter mit zitternder Stimme erwiderte, erklärt habe er sich freilich, so gut wie erklärt, denn er habe ihr seine Liebe gestanden, sie aber habe gezögert, weil sie eine Ahnung habe, und sollte diese eintreffen, so würde sie lieber in den tiefsten See springen, als solchem gewissenlosen Menschen angehören.

So kam man endlich in die Stadt, wo Leopold sich mit den freundlichsten Grüßen empfahl und sein müdes Pferd noch zuletzt den ganzen Unmuth seiner Seele empfinden ließ.

Auf seinem Zimmer warf er sich auf das Ruhebett, ohne gerade ruhiger zu werden, denn tausend wüste Gedanken peinigten ihn, alle aber concentrirten sich in dem Gefühl seines Unrechts, und der Furcht, von Lianen gesehen worden zu sein. Er faßte ihre letzten Worte zusammen, mit welchen er von ihr gegangen war. Es war ihm fast gewiß, sie hatte ihn überraschen wollen, und ihn in den Armen einer andern gefunden. Konnte sie solchen frevelhaften Leichtsinn ihm verzeihen? Hatte sie ihm nicht mit edlem Stolze gesagt: Wer wahrhaft liebt, dessen Herz hat nicht Raum für Zwei? Eine Nebenbuhlerin fürchten, heißt an dem eigenen Werthe zweifeln.


8.

Wie es nun gewöhnlich mit den Menschen geht, daß sie die eigene Schuld gar zu gern auf zufällige Dinge schieben, so geschah es auch hier, denn der junge Walther verdammte die Landpartien, alle Rentierstöchter, alle Verirrungen, alles Ausgleiten, alle Berge, alle Lindenbäume, und schlief endlich ein.

Am Morgen fand er beim Erwachen auf seinem Tische ein Billet und mit dem größten Herzklopfen griff er danach. Nachdem er mehrmals es berührt und die Hand wieder zurückgezogen hatte, wagte er die Aufschrift zu betrachten und erkannte nun, sehr erleichtert, die Schriftzüge seines Oheims. Er wurde in kaufmännisch kurzer Weise eingeladen, sich um elf Uhr bei dem alten Herrn einzufinden, und da er nur eine Stunde noch übrig hatte, kleidete er sich rasch und trat mit dem Glockenschlage in das Haus.

Vergebens aber sah er sich nach seinem alten Vertrauten um. Der grämliche Comptoirdiener öffnete, so hastig er konnte, die Thür nach dem Obergeschoß und mit Verwunderung und sonderlichen Ahnungen sah Walther, daß alle festlichen Anstalten hier wiederum stattfanden. Als er in die Zimmer trat, traf er auf eine kleine Anzahl von Herren, denen Heinrich im Galakleide auf silbernen Platten Erfrischungen reichte, mit einigem Zittern aber gewahrte er seinen Oheim, den Baron und die Damen, neben welchen Graf Gilgenström im Gespräch stand. Der alte Herr Walther war sehr feierlich in einem schwarzen Kleide, in Schuhen und einer merkwürdig hohen weißen Halsbinde, in welcher sein langer, schmaler Kopf, wie von Schnüren steif gehalten und leise hin- und hergezogen wurde.

Walther allein war in dieser Gesellschaft ein Gast, der kein hochzeitlich Kleid anhatte und schon darum vielleicht kam ihm der alte Bibelspruch in's Gedächtniß, daß er hinausgestoßen werden würde, wo Heulen und Zähnklappen sei. Der Oheim bemerkte das auch sehr mißfällig, allein Walther entschuldigte sich, daß er nichts von einer Gesellschaft gewußt habe, und er vergaß ganz die Sorge und Ueberraschung, als Liane mit der holdesten Freundlichkeit ihm entgegenkam, die unbefangene Aurelie ihn mit Anmuth grüßte und auch der Baron und seine Begleiter heiter erschienen.

Nach wenigen gewechselten Reden rief der Banquier seinen Neffen zu sich, mit dem er einige Minuten sehr angelegentlich sprach, Leopold wechselte die Farbe und drückte feurig die Hand seines Oheims, indem er seine Augen zärtlich und um Vergebung bittend auf Lianen ruhen ließ. Hierauf winkte der alte Herr Walther dem Baron und führte die Familie in den anstoßenden Salon. Hier räusperte er sich und blickte nach den zurückgebliebenen Herren im Zimmer, dann in den Spiegel und begann nun eine leise feierliche Rede, die, nach mancherlei Wendungen auf Vergangenheit und Zukunft, den Zielpunkt einer Werbung für seinen Neffen zu erreichen strebte.

Leopold blickte ängstlich Lianen an, welche in edler Ruhe sanft lächelnd sich auf ihre Schwester lehnte, deren blühendes Gesichtchen vom hellsten Roth bedeckt war. Sie schien ein wenig zu zittern und hielt sich fest, indem sie die Augen furchtsam erhob. Der junge Walther aber konnte das stürmische Gefühl kaum mehr bezwingen und als der alte Herr eine Pause machte, eilte er auf Lianen zu, beugte sich vor ihr nieder und sagte:

Hier bin ich, meine theuerste Freundin. Ich kann den Augenblick nicht erwarten, es nicht länger tragen. Entscheiden Sie denn über mein Schicksal, sprechen Sie es aus, ob ich ein Glück hoffen darf, dessen Ahnung mich gewaltig ergreift.

Sie beugte sich zu ihm nieder und reichte ihm beide Hände.

Ich habe diesen Antrag, der mich ehrt, vorhergesehen, sagte sie, und unsere Gespräche vor einigen Tagen führten unsere Herzen sich näher. Aber obwohl ich hoffen durfte, an der Seite eines so edlen Mannes ein schönes und friedenvolles Leben zu genießen, so finden sich doch noch manche trübe Stellen. Die Grundbestimmungen unserer Gemüther sind allzu verschieden, wie sollten es nicht auch die Anschauungsweisen und Handlungen sein? Ich sage nicht, mein theuerster Freund, daß wir ohne eine Sympathie der Empfindungen sein werden, daß nicht eine Ausgleichung erfolgen könnte, aber natürlich gegeben ist sie uns nicht, sie muß künstlich und mühevoll errungen werden. Allzuwenig haben wir auch bis jetzt danach gestrebt. Wir kennen uns kaum zwei Wochen, und darum lassen Sie uns Zeit dazu. Wir stehen beide noch im ersten Sommer unsers Lebens, übereilen wir nichts, lernen wir uns ganz kennen. Finden Sie dann, nach einer reifen Prüfung, mich Ihrer noch würdig, bin ich mit meinen Ueberzeugungen ganz einig, Sie glücklich machen zu können, und mein Leben vor tiefem Leid zu bewahren, dann, Herr Walther, will ich frohen Muthes die Ihre sein, und Ihnen diese Hand reichen, die ich Ihnen jetzt als Ihre Freundin gebe. –

Leopold war bleich geworden, und langsam führte er die schöne Hand an seine Lippen.

Liane! sagte er, indem er sie mit sich fortführte, wie grausam strafen Sie mich, welche Hoffnungen haben Sie vernichtet!

Um neue und schönere zu erwecken, erwiderte sie; um Sie, wenn ein schwaches Weib es vermag, einst ganz glücklich zu sehen.

Und so wollen Sie von mir scheiden? sagte er mit leidenschaftlichem Schmerz; zerrissen und vernichtet wollen Sie mich zurücklassen? Woher diese Aenderungen der Gesinnungen, theure Liane! O! gestehen Sie es, Sie waren gestern in meiner Nähe und – verdammen mich!

Ich habe nur mit mir selbst eine reife Prüfung angestellt, erwiderte sie, seiner Frage ausweichend, und gefunden, daß wir Zeit haben müssen, die Herzen zu ordnen, damit die Köpfe ihr Recht behalten. Nichts aber ist in mir verändert; meine Zuneigung ist durch nichts gestört, meine treue Freundschaft findet kein Hinderniß. O! sein Sie nicht so traurig, es thut mir innig weh, lassen Sie uns vereint an unserm Glücke bauen. Morgen gehen wir fort und begleiten den Oheim nach Aachen, da sein Arzt ihn dorthin in's Bad schickt. Kommen Sie uns nach, wenn Sie können und wollen, ich lade Sie ein dazu.

Sie sprach mit einer Rührung, die sie vergebens verbergen wollte. Leopold hielt ihre Hand in der seinen, langsam ließ er Finger nach Finger los und endlich sagte er leise:

So wird sich alles trennen, so werde ich Sie verlieren, Liane, und mein Herz wird öde sein, wie es war, aber unglücklicher. O! daß man nicht sterben kann, mitten in Jugend und Liebe!

Nein, leben Sie, erwiderte Liane weich, leben Sie der edlen Liebe in allem Guten und Schönen, das ist herrlicher und größer. Vor Ihnen liegt ein reiches, volles Liebesleben, lieber Walther, und wer es versteht, die geheimnißvollen Blumen recht zu pflücken, der kann sie frisch blühend erhalten lange, lange Jahre.

Während dessen hatte der erstaunte und ärgerliche Banquier in einiger Entfernung ein halb lautes Gespräch mit dem Baron gehalten, in welchem er sich bitter darüber beklagte, daß man ihn, und wie es ihm scheine, auch seinen Neffen getäuscht habe. Statt der Verlobung, zu der die Zeugen nun dort neugierig warteten und halb und halb schon wußten, warum es sich handle, würde die Trennung ausgesprochen.

Vergebens entschuldigte sich der Baron, daß er von dem Entschlusse seiner Nichte ganz und gar nichts gewußt habe, zugleich aber sah man wohl, daß er unter einem angenommenen Scheine der Bestürzung die Freude kaum verbergen konnte, diese Verbindung wenigstens vorläufig vereitelt zu sehen. Es konnte nicht fehlen, daß einige stärkere Bemerkungen des alten Herrn Walther höflich stolze Antworten erhielten, und der Baron unter dem Beistande des Grafen, welchen er in das Gespräch verwickelte, endlich erklärte, daß er es ganz angemessen fände, wenn man sich reiflich prüfe und zögere.

So folgte Wort auf Wort und der Banquier legte die seinen so wenig auf die Wage, indem er über Vorurtheile und Vermögensumstände so anzüglich sprach, daß der Baron ihn kurzweg fragte, ob er vielleicht gesonnen sei, den Geschwistern und ihm selbst die Capitalien zu entziehen?

Ich denke zwar nicht daran, erwiderte der alte Herr eben so kurz, allein wenn ich es thäte, würden Sie, wie ich glaube, wohl erfahren, daß Geld jetzt schwer zu haben ist.

In diesem Falle sagte Gilgenström ruhig, würde ich für den Ersatz stehen.

Der Banquier sah den Unberufenen mit dem unverkennbarsten Verdruß an, und nur die Gesetze der Höflichkeit hielten ihn ab, eine starke Antwort zu geben. Er musterte auch seine Züge mit finsterem Blicke und fand sie unbeschreiblich widerwärtig.

So mögen denn, sagte er endlich, indem er sich zu beherrschen und zu lächeln versuchte, die Zeiten darüber entscheiden. Lassen Sie uns davon abbrechen und allerseits denken, es sei ein Traum oder ein Scherz gewesen. Versuchen Sie dagegen meinen Madeira, fügte er hinzu, es ist ein excellenter alter Wein.

In dieser scherzhaften Wendung ging es besser, als man glaubte. Jeder schien sich Mühe zu geben die peinlichen Minuten zu versöhnen, und Liane selbst war so freundlich und liebend demüthig gegen den alten Herrn, daß er ihr endlich leise klagte, er würde es ihr nicht eher vergeben, was sie ihm gethan, bis sie doch seine liebe Tochter würde. Liane versprach es ihm eben so leise, als aber endlich der Abschied mit erzwungener Eintracht genommen war, und er allein mit Leopold blieb, brach die ganze Gewalt seines Unwillens los. Er machte seinem Neffen Vorwürfe, diese stolze, kalte Natur nicht besser beurtheilt zu haben, und hielt eine lange heftige Rede über Alles und Alle.

Das Schlimmste, was ich immer sagte, sprach er am Schluß, ist, daß sie von Adel sind. Ich sah den Hochmuthsteufel in den Augen des alten Barons ganz höllenmäßig triumphiren, sah, wie ihm die Hörner zur Perücke herauswuchsen, und er sich kaum bändigen konnte vor Lust. Und dieser Teufel ist ansteckend; er hat auch die Kinder schon ergriffen, wenigstens diese superkluge Liane, denn solche nüchternen Weiber, das sind die schlimmsten, sie können darüber vernünfteln und Alles gerecht finden.

Sie thun dem theuren Mädchen ganz Unrecht, sagte Walther.

Ich kenne sie besser, diese Menschen, fuhr der Banquier noch zorniger fort. Der Nagel im Kopf geht nicht heraus, wie viele Schmiedezangen auch anfassen seit einem halben Jahrhundert. Der Widerwärtigste von Allen aber war mir der Patron, den sie Graf nannten, und als Zeugen, glaube ich, uns zum Hohne mitbrachten. Das ist ein ächtes Gesicht voll Förmlichkeiten, voll Anmaßung und Kastenstolz. Ein Gesicht zum Erfrieren eingerichtet, den Dünkel in jedem Athemzuge. Dem Himmel sei Dank, daß er fort ist, und nie, womöglich, soll er wieder in meine Nähe kommen, denn vom ersten Augenblicke an, fühlte ich einen ordentlichen Grimm gegen diese aufgeblasene Natur.

Als Leopold dann immer noch leidend still saß und kaum auf die Worte zu hören schien, sagte er mit theilnehmender Rührung:

Du armer junger Mensch, da kömmt nun das Herzweh zum ersten Male und findet Dich unvorbereitet. Aber Kopf empor, und wie ein Mann gehandelt. Leopold, die Welt ist hart, entweder wir lernen ihre Leiden besiegen, oder wir werden von den rollenden Rädern zermalmt und sind schnell vergessen. Schlag es Dir aus dem Sinn, noch kann ja das Uebel nicht so tief gewurzelt haben, und wenn es sein kann, mein Kind, vergiß die ganze Familie, und reise ihnen nicht nach, denn sonst ist Alles verloren.

Es ist meine letzte Hoffnung, sagte Walther. O! lieber Oheim, Sie wissen ja auch, daß oft ein Augenblick über ein Lebensgeschick zu Gericht sitzt und für immer entscheidet. Es mag thöricht sein, aber wo soll ich denn Kraft finden? Sie hat mir doch den Glauben gelassen, es könne sich noch Alles fügen, und sie ist wahrhaft, sie kann nicht täuschen.

Was der alte Herr Walther dagegen Böses sagte, schnitt um so tiefer in Leopold's Brust, da er einerseits fühlte, der Oheim sei im Recht, und er ihm doch nicht erklären wollte, was er selbst herbeigezogen habe. Er ging darum, sobald er konnte, und versprach dem Banquier, nichts ohne dessen Wissen zu unternehmen.

Als er nach Haus kam, nachdem er ruhlos mehre Stunden umhergewandert und die Wohnung der Geliebten von fern umkreist hatte, fand er ein Billet von Adelheid: Es war nichts darin, als die Abschrift des Gedichtes von seiner Hand und das gedruckte Original. Eingewickelt aber zwischen den Blättern lag eine Visitencharte mit Goldrand und der deutlichen Schrift:

Als Verlobte empfehlen sich:
Adelheid Arnheim, Gustav Seehausen.

Trotz seines tiefen Kummers konnte sich Leopold eines freudigen Lächelns nicht enthalten.

So ist denn, sagte er, meine Thorheit doch zu etwas nütze gewesen. Ich schöpfe neuen Athem, denn wenigstens von dieser Seite werde ich frei und in Lianens Augen gerechtfertigt sein.

Um diese freudige Regung zu erhöhen, brachte sein Diener ihm so eben einen andern Brief, auf welchem er die zarten, weiblichen Züge ihrer Schrift erkannte. Hastig erbrach er ihn; er hatte sich nicht getäuscht, er empfing einen neuen Trost. Liane sagte ihm ein Lebewohl mit der Hoffnung, ihn recht bald wiederzusehen. Der Brief war voll lebendiger Gefühle und einer wehmuthsvollen Zärtlichkeit, welche ihn beglückte. Er solle nicht mehr kommen, schrieb sie ihm, gewisser Ursachen wegen, welche jetzt nicht angeregt werden dürften, und um den Schmerz der Trennung nicht zu erhöhen. Zugleich nahm sie ihm das Versprechen ab, die Stadt nicht zu verlassen, bis er einen Brief empfinge, der ihn von Allem, was zu thun sei, benachrichtigen werde.

Aurelie hatte darunter geschrieben:

 

»Liane ist eine Tyrannin, aber ach! darum eben muß man ihr gehorchen. Ich hätte Ihnen so vieles zu sagen, und möchte Sie nur noch einmal sprechen, aber sie will es durchaus nicht und leidet doch sichtbar selbst dabei. So leben Sie denn wohl, mein theurer Freund, aber bald werden wir Sie wiedersehen, ja, wir müssen Sie wiedersehen, allen Onkeln und Grafen zum Trotz. Es wird sehr langweilig sein, und ich bin so gerne fröhlich und werde nie vergessen, wie viel wir zusammen gelacht haben. Diese Zeiten müssen wiederkehren und Sie mit ihnen zu Ihrer dankbaren

Aurelie.«

 

O! Du liebes, gutherziges Kind, sagte er entzückt und küßte die Schriftzüge. Ach! wärst Du an ihrer Stelle, Du würdest mir verzeihen und mich nicht verlassen. –

Nun dachte er an das frische, fröhliche Gesichtchen, so schüchtern und doch so neckisch, so furchtsam und doch so keck und voll tausend kleiner Streiche, und dann wieder trat das ernste, charakterschöne Bild Lianens hervor und verdrängte die kleine Schwärmerin.

In der grausamsten Unruhe verließ er erst mit dem Abend sein Zimmer, nachdem er in einem endlosen Briefe noch einmal allen seinen Kummer, seine Hoffnungen und Schwüre ergossen hatte. Er vertraute ihn dem Portier des Hotels, wo sie wohnte, zur schnellsten Abgabe und dann stand er lange und starrte unverwandt nach dem Fenster hinauf, wo Lichter hin und her flackerten und man wahrscheinlich mit dem Einpacken beschäftigt war.

Mitten in seinen Träumen berührte eine Hand seine Schulter und eine lachende Stimme fragte, ob er etwa damit umginge, eine neue Himmelsleiter zu erfinden, um in Rahels Kämmerchen zu steigen? Es war Fahnenberg und Niemand in der Welt konnte Leopold unangenehmer sein, als dieser scharfblickende Mensch und sein Spott. Schon aus Furcht hätte er nicht zu widersprechen gewagt, als jener ihm vorschlug, heut dem Wucherer ins Haus zu rücken und ein Spielchen zu machen.

Der junge Walther hatte nicht die geringste Anlage zum Spiel erhalten, er fand es abgeschmackt, seine Zeit und sein Geld so zu vergeuden, heut aber war er in fieberhafter Spannung und Unruhe. Er hätte nicht gewußt, was zu beginnen sei, um die Zeit zu tödten, die ihn hungrig anfiel. Das Wagniß des Glücks schien ihm die rechte Waffe und so hing er sich zusagend an Fahnenberg's Arm, der ihn mit heimlichem Triumph fortzog.

Bald traten sie in die schöne Wohnung des hülfreichen Herrn, und fanden einen kleinen aber ziemlich gewählten Kreis, den Leopold nicht hier vermuthet hätte. Der Wirth war von den liebenswürdigsten Manieren; er begrüßte den jungen Walther als einen längst erwarteten Freund und dieser konnte nicht umhin den feinen Weltton und die Kenntnisse zu bewundern, welche er hier entdeckte. Größtentheils bestand die Gesellschaft aus Herren, einige Damen jedoch, von Schönheit und Anmuth, gaben der Unterhaltung Interesse und Vielseitigkeit.

Man hörte hier alle Neuigkeiten des Tages mit den Tändeleien und Flachheiten des gewöhnlichen Gesellschafttons vermischt, nicht minder aber auch ein Stück pikanter chronique scandaleuse, wie sie eine große Stadt immer neu gebiert. Dazu kamen politische, finanzielle und belehrende Fragen, die zum Theil mit Einsicht und Kenntniß verhandelt wurden. Nach einem glänzenden Souper, wo nichts gespart war, was den Gaumen des Feinschmeckers in Entzücken versetzen konnte, entfernte sich dann ein Theil der Gesellschaft, vor den Rückbleibenden aber öffnete sich das Allerheiligste. Ein grüner Tisch, ein Goldhaufen und zierliche Blätter waren die Embleme des geheimen Kultus dieser Gottheit.

Bald hörte man nichts als das eintönige: gagne! perd! des Oberpriesters und den Klang der goldenen Musik. Leopold war bald einer der ersten und hitzigsten Verfolger des gewagten Vergnügens. Der freundliche Wirth hatte ihm gesagt: Wir machen noch ein Gesellschaftsspielchen, natürlich ganz in den erlaubten, gesetzlichen Regeln, unseren Umständen angemessen und weit entfernt, ein Hazard zu heißen; zugleich war Fahnenberg gekommen und hatte ihm Geld angeboten, wenn er nicht damit versehen sei. Leopold. hatte inzwischen, was nöthig war, und so launenhaft und seltsam ist das, was man Glück nennt: er war bereit zum Verlieren, er wünschte es sogar und spielte wie ein Rasender, aber je mehr er sich anstrengte, um so entschiedener war der Gewinn, und als er aufhörte: »Ein Narr des Glücks«! wie er heimlich sagte, indem er an Lianen dachte, hatte er alle Taschen voll Gold und einen schönen Vorrath an gültigen Papieren.

Mit dem lächelndsten Gesicht gratulirte ihm der speculative Banquier, und indem er gar nicht zu bedenken schien, daß er selbst der Verlierende sei, flüsterte er ihm zu, daß er einen so glücklichen Spieler selten gesehen habe, und sich freuen würde, ihn recht bald wieder bei sich zu sehen. Fahnenberg aber, der ihn begleitete, war ganz außer sich über diesen Liebling des wankelmüthigsten Weibes auf Erden, und mit einer Art Begeisterung und Aerger rief er:

Wunderbar vertheilt die Gaben ohne Billigkeit das Glück! und nichts auf Erden wünschte ich mir als diese angeborne göttliche Huld Ihnen mit Güte oder Gewalt abnehmen zu können. Glauben Sie mir, es giebt auch darin zwei merkwürdige Klassen von Menschen: entschieden glückliche und ebenso erstaunungswerthe Wunder von Unglück. Zwischen beiden liegt dann der große breitgetretene Haufe, der in keinem Dinge etwas ist, und in allen ein Gemisch von farbloser Mittelmäßigkeit, bald dies bald das überwiegend. Wer fragt nach dieser gemeinen Menge? Nur jene beiden Klassen sind interessant. Wer sein Leben gelebt hat in der Welt, wird bald auch diese Bemerkung gemacht haben. Es ist kein Zufall; denn welcher Zufall wäre es wohl, der so entschieden sich an die Thaten hängte, und das Gute in Böses, das Böse in Gutes verwandeln kann? Es giebt Geister in der Welt, Genien, denen Gewalt über uns gegeben ist, welche stärker oder schwächer sind, gleich menschlichen Wesen. Das nennt man Glück! Glück ist mehr als Zufall, es liegt eine Bestimmung darin. In großen und kleinen Begebenheiten zeigt es sich; es macht sich schon bei der Geburt bemerkbar, wenn der erste Löffel voll Brei vielleicht zu heiß ist, oder zu kalt.

Leopold lachte, aber Fahnenberg fuhr ganz ernsthaft fort:

Sie sind zwar reich, Walther, allein dennoch, wäre ich an Ihrer Stelle, in wenigen Jahren würde ich ein fürstliches Vermögen besitzen, und dann allerdings aufhören, was jeder Spieler muß, wenn er nicht elend enden will; denn immer wird neues Glück geboren und das seine stumpft sich ab. Wenn Sie methodisch lernen wollen, was Sie jetzt, wie ein ungezähmter Falke treiben, so sind zwei Jahre hinreichend. Bedenken Sie das, und morgen reisen wir durch Europa, um überall: va banque! zu sagen.

Walther stand an seiner Thür und reichte ihm zum Abschiede die Hand.

Ich danke Ihnen für den Falkenvergleich, sagte er, aber ein Raubvogel will ich nie werden. Gute Nacht!

Fahnenberg ging weiter und leise sagte er:

Junger Thor, Du weißt nicht, daß die Kunst stets die Natur besiegt. Willst Du nicht lernen und mein Schüler sein, nun gut, so mache Erfahrungen. Bald wirst Du zu den Gerupften gehören.


9.

Leopold führte eine Zeit lang ein wildes Leben, um sich zu zerstreuen, wie er sagte, aber welchen Ausschweifungen er sich auch überließ, sein Organismus war so glücklich zusammengefügt, daß nach kurzem Reiz der Ueberdruß und eine bessere Einsicht sich geltend machten. Von der Familie Arnheim hatte er nur gehört, daß, als der Assessor an jenem Morgen Adelheid das Gedicht brachte, sie es las und dann mit Heftigkeit sagte:

Vetter, ist es wahr, lieben Sie mich?

Auf die Antwort des beglückten Assessors reichte sie ihm die Hand und sagte:

Hier ist eine Visitencharte, schreiben Sie unsere Namen als Verlobte, alles Andere überlassen Sie mir.

Hier wagte der Assessor zu gestehen, daß er eigentlich selbst jener Bruno sei, und das Gedicht nur ihre Schönheit verherrlichen sollte. Dies Geständniß rührte Adelheidchen zu Thränen und nach zwei Tagen, besonders auch, da Leopold gar nichts von Reue und Entschuldigung hören ließ, bestätigten die Eltern den Bund der Liebe.

Herr Arnheim gab seiner Tochter dabei das Wort, er würde seinem Schwiegersohn ein Gut kaufen. Alles Andere werde sich finden, er wisse, was Geld heiße. Die Mutter aber ermahnte Adelheidchen heimlich, vor allen Dingen ihrem Bräutigam das viele Essen abzugewöhnen, sonst sei es ein charmanter und unterthäniger Mensch, der ein sehr guter, gehorsamer Ehemann und mit der Zeit Rath und endlich gewiß Geheimrath werden würde. Frau Geheimräthin zu heißen, sei doch aber übrigens auch gar nicht zu verachten.

Walther kümmerte sich nun nicht weiter darum; indem er ihnen jeden möglichen Segen wünschte, glaubte er genug gethan zu haben, denn ganz konnte er den Unmuth nicht los werden, der ihn bei der Erinnerung an jene unheilvolle Landparthie ergriff. Je länger Liane zögerte, ihm den verheißenen Brief zu senden, um so größer ward die Unruhe, die ihn verzehrte, und welche der alte Banquier mit seinem Spott über den adlichen Hochmuth, den jeder Besuch seines Neffen neu hervorrief, nicht zu besänftigen vermochte.

Von Neuem eilte er dann rauschenden und zuweilen leichtsinnigen Vergnügungen zu, schwärmte mit dem jungen Offizier, seinem Freunde, in Gesellschaften umher, oder ward von Fahnenberg in die Hölle geführt, wo das Glück, das er Anfangs gehabt, ihm zu Zeiten zwar den Rücken wendete, im Allgemeinen aber ihm doch so treu blieb, daß sein Gewinn nicht unbedeutend war; oder er ritt und fuhr mit Capitain Ramsdon und ergötzte sich an dem echt englischen Phlegma und den wunderlichen Einfällen dieses Mannes, mit welchem er seltsame Wetten machte und boxen lernte.

Eines Tages, wo er ermüdet und überekelt von diesem Treiben in seinem Zimmer ausgestreckt lag, ward die Thür geöffnet und mit Erstaunen sah er Graf Gilgenström vor sich. Dieselbe Höflichkeit, dieselbe kalte Ruhe hüllte diesen unnahbaren Charakter ein und dieselbe wunderbare Zu- und Abneigung schien sogleich in ihm zu erwachen. Nach einer ersten Freundlichkeit der Empfindungen zeigte sich Leopolds grollende Entfremdung in der abgemessensten Förmlichkeit.

Ich habe Ihnen einen Brief zu übergeben, sagte der Graf, und hoffe, er wird Ihnen Vergnügen machen.

Er zog hierbei ein kleines Schreiben hervor und reichte es Leopold, der sogleich Lianens Züge erkannte. Als er es fortlegte, sagte Gilgenström:

Ich bitte, lesen Sie den Inhalt, ich glaube, er wird zu unserm ferneren Gespräch nöthig sein.

Lianens Schreiben war eine ruhig heitere Uebersicht ihrer Reise, und ihres Aufenthalts in Aachen mit vielen Hindeutungen auf Hoffnungen der Zukunft, und allgemeinen Reflexionen über ihre Umgebungen. Endlich fügte sie hinzu, daß sie soeben von ihrem Oheim erfahren, Graf Gilgenström werde auch kommen, und glücklich würde es sie machen, wenn Leopold mit dem Grafen vereint nach Aachen reisen wolle. Aurelie hatte darunter geschrieben:

 

Kommen Sie, wie Sie wollen, ob mit ob ohne den Grafen, aber kommen Sie nur zu Ihrer tief betrübten, ganz verlangweilten

Aurelie.

 

Gilgenström bot nun dem jungen Walther mit der feinsten Höflichkeit an, ihm das Vergnügen seiner Gesellschaft zu schenken und einen Platz in seinem Wagen anzunehmen. Eine unmuthige Regung war in Leopold, und nur der Gedanke an Lianens Wunsch bestimmte ihn, es nicht sogleich auszuschlagen. Um aber doch etwas zu thun, machte er den Einwand, daß er einen Bedienten mitzunehmen habe, was Gilgenström jedoch höflich beseitigte, indem er sagte, daß sein großer englischer Wagen für zahlreiche Dienerschaft eingerichtet sei.

So blieb kein Vorwand, man traf alle Abrede zu einer schnellen Reise am nächsten Tage und Leopold ging zu seinem Oheim, dem er seine Absicht eröffnete. Zwar war der alte Herr eifrig dagegen und schalt es eine doppelte Thorheit, einem Menschen, wie diesem abgeschmackten Grafen, Verbindlichkeiten schuldig zu werden, und einem spröden Fräulein nachzulaufen, indeß konnte er sich doch nicht überwinden, seinem Neffen, trotz der Gefühle seines Hasses, eine Summe zur Reise zu bewilligen, und meinte zuletzt, solche hochmüthige Patrone würden am besten bestraft, wenn man sie benutze, übrigens aber wäre das Ganze ein Unsinn, denn er wolle die größte Wette machen, der junge, verliebte Thor käme doch ohne Frau nach Haus.

Leopold hielt ihm beim Wort und bedung sich eine glänzende Einrichtung auf des Oheims Kosten aus, dem er endlich nach seiner Art so viel schmeichelte, daß Herr Walther ganz gerührt wurde und dem Neffen gestand: dieser wäre bei allen seinen Fehlern doch seine einzige Freude noch auf dieser Welt.

So schieden sie, Leopold aber hatte sich von seinem Oheim den alten Heinrich, als Reisebegleiter, ausgebeten, da er so eben seinen Diener entlassen hatte, der St. Simonistische Gedanken über völlige Gleichheit der Güter zu eifrig studirte. Alle waren mit dieser Anordnung sehr zufrieden, ganz besonders aber der alte Heinrich selbst, der Freudenthränen vergoß und schwor, nun solle Leopold ihn auch nimmermehr wieder loswerden.

 

Am nächsten Morgen fuhren die beiden Widersacher dem schönen Rheine zu und so schnell hatte sich alles geordnet, daß Leopold fast keinen seiner Bekannten benachrichtigen konnte, die er mit einem heimlichen Vergnügen über ihre Täuschung und mit vieler Gleichgültigkeit zurückließ. –

Wir übergehen die Reise mit ihren kleinen Vorfällen, welche nur dazu beitrug, die gegenseitige sonderbare Stellung der beiden jungen Männer zu befestigen. Zu manchen Zeiten schien es, als vermehre sich ihre Zuneigung und würde bald einen Punkt erreichen, der eine innere Annäherung bedingte, dann aber trat irgend eine neue Erkältung zwischen sie und riß die trennende Kluft ihrer Gesinnungen um so weiter auf.

Die Rheinlande mit ihrer größeren Entwickelung der Lebensfrüchte in Thätigkeiten, der Völkerverkehr auf dem schönen Strome, das rege Schaffen an den Eisenbahnen, und viele andere Dinge gaben eben so viele streitige Punkte. Was Leopold als einen Fortschritt erkannte, erschien dem Grafen als Verschlechterung und Verflachung der Sitten und des Rechtes, und wenn er auch zugeben mußte, daß das große gemeinsam fortrollende Weltleben dies Alles herbeigeführt habe, so beklagte er doch um so inniger, daß die rechte ordnende Hand den Strom nicht leite, und, wie er sagte, man von allen Seiten der Gewalt des Schlechten leider zuviel nachgegeben hätte. Hier trat dann gewöhnlich die Verstimmung ein; denn Walther bestritt diese Behauptungen mit Eifer, und fand ein boshaftes Vergnügen darin, Vorurtheile anzugreifen, welche Gilgenström als heilig verehrte und mit dem größten Aufwande von Scharfsinn und Kenntnissen vertheidigte.

Beide waren endlich wohl froh, als die alte Kaiserstadt in dem grünen Thale auftauchte, und doch war ihnen mitten im Zürnen ein Wohlgefallen gekommen, das aus dem Streite entsprang. Gilgenström hatte manches Schätzenswerthe an Walther gefunden, Gutmüthigkeit und eine Offenheit der Seele, die ihn rührte, Verstand, Geist und ein zerstreutes, doch nicht unbedeutendes Wissen, das ihm an einem Jüngling gefiel, der wie ein Geck gelebt hatte.

Ueberdies verband sie die Aehnlichkeit ihres Schicksals, denn auch er war in einem fremden Lande, in Südfrankreich geboren worden, auch er war früh verwaist, und wenn er sich etwa pharisäisch sagte, daß er Gott danke, besser geworden zu sein, als dieser da; so war er heimlich sehr geneigt, dies Alles nur auf Rechnung des edlen Blutes in ihm und der mahnenden Stimme zu setzen, welche aus der langen Reihe seiner Ahnen ihm erscholl.

Walther dagegen behauptete, daß Gilgenström ein vortrefflicher Mensch sein könnte: trotz seiner abstoßenden Kälte, voll Herzensgüte; trotz seiner Eisrinde innen voll Kraft und Mark, aber leider verderbe die Thorheit, ein echter Graf und Ritter zu sein, alles Schöne und Liebenswerthe, und mache ihn zu einem Automaten abgestorbener Ideen. Nur die Achtung vor dem großen Wissen dieses seltsamen Mannes und seine ruhige Würde, welche sehr wohl eine feine Grenze zwischen dem Erlaubten und Lächerlichen zu ziehen wußte, die er nie überschritt, hinderte Leopold an gewagten Erklärungen; denn wenn er es versuchte, einen spottenden Ton anzunehmen, führte die kühlste Höflichkeit und eine unwiderstehliche Art der Ablehnung durch ein zerstreutes Schweigen, ihn schnell wieder davon zurück.

Als sie in Aachen einfuhren, sagte Gilgenström lächelnd:

Es ist mir, als würden wir einst mit freundlicheren Gesinnungen uns verstehen lernen und ausgleichen, geehrter Herr Walther; bis dahin aber müssen wir auf unserer Hut sein, damit wir nicht, statt uns zu nähern, uns immer weiter entfernen. Ich wünsche Ihnen Glück zu einer schönen Zukunft, und hoffe, diese soll Ihnen noch manche Verständigung über schwebende Lebensfragen gewähren.

An Lianens Seite, erwiderte Leopold, würde gewiß größere Ruhe und Friede in mein Herz ziehen, aber ach! noch ist es nicht so weit. Ich fürchte den Baron, und manche schlimme Ahnung kann ich nur halb besiegen. Sie, Herr Graf, Sie haben, wie ich weiß, eine gewichtige Stimme bei dem alten Herrn, Sie sollten mein Verbündeter sein, ich bitte Sie, helfen Sie mein Glück gründen.

Gilgenström sah einen Augenblick noch ernster und bleicher, als gewöhnlich aus, dann aber schlich das alte häßliche Lächeln in seine Züge, und mit Freundlichkeit erwiderte er:

Sie werden mir nicht zürnen, werther Herr Walther, wenn ich meinen Grundsätzen nach nichts in einer so zarten Angelegenheit thun kann. Hier können Herr von Wüstenberg und sein Fräulein Nichte nur selbst entscheiden. Die fremde Hand ist in so heiligen Familiensachen stets eine unberufene, und wer kann in der Zukunft lesen, wer möchte sagen wollen: ich habe die Lösung so herbeigeführt?!

Wie er es immer that, wenn irgend ein Gegenstand vergessen werden sollte, begann er plötzlich ein ganz verändertes Gespräch, das über eine Grasblume am Wege anfing und mit den Kaiserkrönungen in Aachen und der Bedeutung dieser alten Stadt, als Grenzwacht des äußersten Westens, endete.

Leopold war immer über eine solche, das Angeregte negirende Weise aufgebracht, heut aber ganz besonders, und so konnte er sich wenigstens nicht versagen, seinem Aerger in einigen starken Repliken Luft zu machen, als Gilgenström die Belgier und Franzosen mit aristokratischer Fackel beleuchtete. Der Graf lächelte sehr fein dazu, und schwieg mit der vornehmen Verachtung, deren Schleier so oft die krampfhafte Unruhe bedeckt, und glücklicherweise war in diesem Augenblicke das Ziel erreicht.

Eben als man sich eingerichtet hatte in dem überfüllten Gasthause, kam einer der Kellner mit einer Karte herauf, die den Namen des Barons trug und seine Wohnung in der Theaterstraße angab, jener schönen Straße, die nach Burtscheid hinausführt. Die Karte war schon seit zwei Tagen abgegeben worden, und kaum war die nöthige Toilette vollendet, als die beiden Reisenden von dem gleichen Wunsche beseelt schienen, die Damen womöglich zu überraschen.

Bald waren sie auf der Promenade, wo diese Stunde in den Pavillons die gewählteste Gesellschaft vereinte, und fast zu gleicher Zeit erblickten sie den Baron in der Mitte zwischen den schönen Nichten. In demselben Augenblick wurden auch sie gesehen, und wunderbar verschieden wirkte ihre Erscheinung. Liane verlor das feine Roth ihrer Wangen und ein unnennbar sanftes und liebevolles Lächeln umschwebte ihre Lippen; Aureliens Augen aber glänzten, gleich hellen Sonnen. Kaum unterdrückte sie einen lauten Schrei, aber aufspringen mußte sie und den Nahenden entgegeneilen, während das Gesichtchen wie Scharlach brannte.

Was den Baron betrifft, so konnte man von ihm sagen, er hatte einen Januskopf, dessen eine Seite frühlingsartig lachte, während die andere sehr winterhaft frostig aussah. Er wechselte die Mienen mit bewundernswerther Kunst. Dem Grafen zeigte er das Frühlingsgesicht, Leopold den Winter voll förmlicher Steifheit, und so sah das Ganze fast aus, wie ein Maskenscherz, nur daß ein bitterer Ernst dahinter lauerte; denn es zeigte sich bald, daß er gar nichts von der nahen Ankunft des jungen Walther gewußt habe.

Nach den ersten Begrüßungen wurde eine Promenade nach Burtscheid hinaus angetreten, um zugleich den bewunderungswerthen Viaduct der Eisenbahn anzustaunen, und aus dem Quell zu trinken, der aus dem Felsen zuerst dem großen Karl entgegensprudelte. Und, o! wie vieles hatte Leopold zu sagen; wie heißdurstiger noch hingen seine Augen an der schönen Gestalt, die grazienhaft leicht an ihm hinschwebte und seine leise geflüsterten Fragen mit liebenden Blicken und Worten erwiderte.

Bald aber war es ihm unmöglich, diese schöne, sehnsuchtsvolle Verständigung fortzusetzen, denn wie ein neckischer Kobold drängte sich Aurelie zwischen beide, und meinte, daß sie auch ihr Recht an dem Freunde bewahren wolle. Nun nahmen die Gespräche eine allgemeine Wendung und Aurelie ermittelte glücklich durch ihre naive Weise jeden Zusammenstoß der Empfindungen, so daß der friedlichste und harmloseste Verkehr der Geselligkeit sich über Alle verbreitete. Niemand mochte und konnte seinen besondern Gedanken nachhängen, denn sie verwickelte Jeden in den Kreis der ihrigen und wußte soviel von der Vergangenheit, Erlebtes und Erdachtes, in zahllosen Farben und Schattirungen darzustellen, daß Bild zu Bild sich fügte, und Alle ihr Scherflein bringen mußten.

Ganz besonders aber war auch hier Leopold ihr treuster Kamerad, der die gute Laune theilte und bei aller Sorge doch am vergnügtesten aussah. Sie nahm ihn endlich bei der Hand und sagte leise:

Warum haben Sie denn den gelehrten, hochgebornen Herrn mitgebracht, der niemals herzhaft lachen kann?

Ich habe nicht ihn, sondern er hat mich mitgebracht, wie Sie wissen, versetzte Leopold.

O! freilich, rief sie. Liane wollte es so haben, ich begreife es aber nicht. Sie will Sie beide bekehren, fuhr sie leise lachend fort; Sie sollen ernsthaft werden, wie Gilgenström, er munter wie Sie. Aber kann man Mohren weiß waschen? Kann ich wie Liane sein, so klug verständig? und sehen Sie nur, wie sie dort nun neben dem Herrn Grafen des heiligen römischen Reichs geht. Es kommt mir vor, als sei sie in den wenigen Minuten schon wieder um einen ganzen Fuß ernsthafter geworden. Sind denn die Menschen toll, daß sie glauben, man müsse so nüchtern ruhig sein als möglich? Ich bin nur gut, wenn ich mich freuen, wenn ich recht lustig lachen kann, und Sie auch; nicht wahr, Sie auch?

Leopold gab ihr seine volle Zustimmung; nicht ohne Unruhe aber sah er auf Lianen, die mit Gilgenström und dem Baron lebhaft sprechend ihnen voranschritt. Er wußte selbst nicht, warum es ihm vorkam, als ruhe ihr Blick mit einer Innigkeit auf Gilgenström, die ihn empörte. Eine wild eifersüchtige Wuth floß in sein Herz, und dann lächelte er über das Kindische dieses Gedankens. Er drängte sich näher an die Sprechenden und indem er Aurelien erzählen ließ, hörte er doch nichts davon, sondern nur auf das, was Jene sagten, und dann ärgerte er sich heimlich, als er den Inhalt verstand.

Es war von den Nationalitäten der Völker die Rede, und Aachen konnte allerdings zu Beobachtungen Stoff geben, da es eine wahre Mustercharte aller Nationen herbergte: Sarmaten und Spanier; die blonden, langweiligen Söhne Albions; zahlreiche bewegliche Franzosen und Deutsche aus den neun und dreißig Staaten, demüthig und verhöhnt überall in der Welt, am meisten aber im eigenen Hause.

Hätten Witz und Laune die Sprache geführt, so konnten scharfsinnige und lustige Vergleichungen nicht fehlen, allein dem Baron war es vorzüglich darum zu thun, es ganz außerordentlich schön zu finden, daß auch hier die noble Gesellschaft aller Völker sich ausscheide und sich zu benehmen wisse. Der Graf machte einige Bemerkungen, die darauf hinausliefen, man möge nicht glauben, daß in Frankreich, dem sogenannten Lande der Freiheit, der Adel, trotz aller zerschmelzenden Vermischung, sein Bewußtsein ganz verloren habe, nur sei leider die alte strenge Würdigkeit von ihm gewichen und Geld und Talent übe eine nebenbuhlerische Gewalt.

Liane aber hörte fast nur zu, indem sie die beiden Redenden mit ihren glänzenden großen Augen anlächelte. Nach einem Weilchen wandte sie sich ab und ging zu Leopold, mit dem sie langsam nachfolgte, und jetzt endlich konnten beide zuerst sich über Vieles erklären.

Der junge Walther schilderte ihr in seiner heftig erglühenden Art alle Leiden, welche er ertragen hatte, und indem er ihre Grausamkeit von Neuem anklagte, gab er sich auch der Hoffnung hin, daß diese nun für ihn beendet sein würde.

Liane erwiderte lächelnd:

Ein alter Dichter sagt: auf Reisen lernt der Mensch sich kennen und die Welt. Wohlan denn, lieber Walther, auch ich empfand die Sehnsucht, Sie bei uns zu sehen. Sie wissen, daß ich Ihnen zugethan bin, recht von Herzen, und so wird sich denn Alles ordnen und fügen, wie wir es wünschen.

Leopold's Augen glänzten im Glück, und wie er Lianens Hand faßte und ihren sanften Gegendruck empfand, jauchzte sein Herz, denn die Zukunft that sich vor ihm, wie eine schöne, blüthenvolle Landschaft, auf. Ein leises und herzliches Gespräch ward nun geführt, in welchem Liane endlich ein besonderes Kapitel über die leichtfertige Anschauung des Lebens hielt, und den Mann, wie er sein müsse, zeichnete.

Schweigend hörte der junge Walther, was sie sprach, und wieder ergriff ihn eine sonderbare Regung. Was Liane so genau ausmalte, paßte weit mehr auf Gilgenström, als auf ihn, und obwohl sie gleich darauf einen heftigen Tadel über Eigenschaften aussprach, die dem Grafen auch eigen waren, so bildete er sich darum um so fester ein, sie denke dabei doch nur an diesen. Dann aber mußte er wieder ihr tiefes Gemüth und die edle Reinheit ihres Charakters bewundern, und wenn sie ihn mit den hellen Augen ansah, die bis in seine Seele drangen, war Alles vergessen, und er schwor sich von Neuem, so gut zu sein, wie sie es wünsche.

Inzwischen waren die Herren voraus und konnten ihr Gespräch ungestört führen, das bald von dem Baron auf den Gegenstand geleitet wurde, der ihn am meisten beschäftigte.

Es freut mich nicht im Geringsten, den jungen Walther hier zu sehen, sagte er mit gefalteter Stirn, und niemals hätte ich geglaubt, Sie, lieber Graf, würden ihn uns mitbringen.

Ich ward von Fräulein Liane dringend ersucht, seine Bekanntschaft auf der Reise zu erneuern, erwiderte Gilgenström.

Welch ein versteckter Charakter! rief der Baron. Nicht ein Wort hat sie bis jetzt von diesem Menschen gesprochen. Ich dankte im Stillen Gott, daß er halb und halb vergessen sei, und nun muß ich mich angeführt sehen. Nie aber ist mir diese Heirath widerwärtiger vorgekommen, als jetzt, und leider muß ich glauben, sie liebt ihn wirklich. Rathen Sie, lieber Graf, was ist zu thun? Soll ich, darf ich meine Einwilligung geben?

Gilgenström sagte leise:

Ich kann hier keinen Rath ertheilen.

Aber Sie kennen ja alle Verhältnisse, fuhr der Baron eifriger fort, und ich darf es nicht läugnen, Ihrer Freundschaft, Ihrer Belehrung verdanke ich meine jüngste bessere Einsicht. Mein Bruder hatte freilich auch die Thorheit begangen, eine Bürgerliche zu nehmen, soll ich nun seine Tochter eine andere Mißheirath schließen lassen? Soll eine Wüstenberg in einen Wechselladen hinabsteigen? –

Er sagte das Letztere mit einer für jeden Andern fast komischen Verzweiflung.

Gilgenström schwieg und erst nach einer Pause erwiderte er:

Wenn ich einmal rathen soll, so hüten Sie sich, Herr Baron, ein Wort der Mißbilligung zu äußern, wie gerecht es auch immer sein mag. So weit ich den starken stolzen Charakter Ihrer Nichte kenne, würde der Widerspruch nur dazu dienen, ihr Wollen fester zu machen. Es ist zu spät, wenn sie wahrhaft liebt. Ueberlassen Sie daher die Entwickelung sich selbst, und möge Gottes Segen mit ihr sein.

So kalt er dies sagte, so schien er doch besonders tief dabei zu empfinden, denn auf seiner blassen Stirn bildete sich eine leichte Röthe. Der Baron sprach zwar noch Manches her und hin, dennoch aber gab er dem Grafen zuletzt Recht.

Man kehrte um; Aurelie, die am heißen Quell stehen geblieben war, und mit dem Invaliden gesprochen hatte, der dort den Schwefeltrank reicht, kam eilig hinterher, und nun verlebte man den Tag heiter, der mit einer Lustpartie nach dem freundlichen Cornelmünster schloß.

So vergingen auch die nächsten Tage und Wochen, die von kleinen Ausflügen nach den nahen Vergnügungsorten und selbst über die Gränzen derselben hinaus nach dem romantischen Spaa sich erstreckten. Hier war Alles noch weit lebendiger, und was dem Baron sehr gefiel, vornehmer, als in Aachen. Die steilen Thäler der Ardennen hatten viele der reichsten und mächtigen Familien Europa's aufgenommen. Eben erwartete man auch den König, und die Freude der Einwohner und der Behörden hatte die Stadt mit Blumenketten und frischem Laube geschmückt.

Den schönen alten Bäumen hatte man die Aeste abgehauen, und zwischen den felsigen Boden eingeklemmt, damit ein grüner Baumweg den König empfange. Der Baron fand diese Verwüstung barbarisch, und sein einziger Trost bestand darin, daß sie einem Könige galten; Gilgenström, der seine Gesinnungen auch diesmal nicht ganz verbergen konnte, bemerkte lächelnd, daß es gut sei, wenn wenigstens die Ehrfurcht sich noch an den Bäumen geltend mache, da die Menschen hier leider sie am meisten vergessen hätten, worauf sich ein lebhafter Streit zwischen Leopold und ihm entspann, der, wie gewöhnlich, mit einer Art Vermittelung endete, die durch Liane bewirkt wurde, welche beiden Theilen Recht und Unrecht gab.

Solche Streite waren in der letzten Zeit sehr häufig geworden, und wurden gewöhnlich mit vieler Erbitterung zwischen dem jungen Walther und dem Baron geführt, während der Graf sich bald hinter dem vornehmen Schweigen zurückzog. Vergebens warnte Liane ihren Schützling oft mit halben Worten und tadelte wohl auch die extremen Meinungen, welche er, meist aus Lust am Widerspruch, verfocht, allein sie fand in diesen Sachen zuweilen selbst einen grollenden Gegner, der ihr die Vorwürfe wiedergab, und sich mit Bitterkeit beklagte, allzusehr höre sie auf Gilgenström, dessen Grundsätze ihn immer empören würden, und ihr Herz erkalte an diesem herzlosen, stolzen Mann.

Als Liane auch jetzt ihn mit mißbilligenden Blicken betrachtete, blieb er zurück, heimlich die Zähne knirschend und ließ die Gesellschaft vorausgehen. Man war in den terrassirten Gärten, welche sich an dem Berge hinaufziehen, an dessen Abhange Spaa erbaut ist. Leopold lehnte sich an einen Baum, und betrachtete mit verstörten Mienen die Stadt und das Thal, als Aurelie plötzlich bei ihm stand. Sie sah ihn mit den freundlichen blauen Augen fast mitleidig an, und ohne gerade über den Vorfall zu sprechen, sagte sie:

Ich bin auch zurückgeblieben, denn dieser steife Graf ist zwar ein geistvoller und gelehrter Mann, es kommt mir aber immer vor, als sehe er mich mit seiner Protektormiene als ein sehr untergeordnetes Wesen an, und dafür möchte ich ihn auslachen, wenn ich nur dürfte. Lachen Sie auch, mein lieber Freund.

O! liebe Aurelie, sagte Leopold, welch ein schönes, freundliches Herz besitzen Sie! Liane ist streng gegen mich; ihr Tadel schmerzt mich weit mehr, als Gilgenström's thörichte Eigenliebe, die ich sonst belachen würde, wie Sie es thun.

Liane ist gut, sagte Aurelie leise, sie kann Niemanden kränken, am wenigsten Sie.

Sie ist ein Engel an Verstand und Herzensgüte, erwiderte Walther mit Leidenschaft; aber Alles ist anders an mir, als es ihrem Wunsche nach sein sollte, und ich kann doch nun einmal nicht mehr so ganz aus meiner Haut fahren und mich verwandeln. Ich weiß wohl, daß ich die Schuld trage, fuhr er fort. Wenn Liane fern ist, empfinde ich es am besten, aber Gilgenström – hier schwieg er still und indem er Aureliens Hand ergriff, sagte er: Es wird schon besser werden, gewiß, es muß besser werden, wenn ich auch niemals wie er werden kann. Wir wollen ihn vergessen, theure Aurelie, und uns vorläufig an dieser reizenden wilden Natur erfreuen, wenn die Menschen uns ärgern.

Sie gingen nun den Laubengängen der schönen Promenade de sept heures zu und ergötzten sich ebensowol über die grotesken Felsen und Berge, die kahl und zersplittert in die Stadt hineinschauten, mit ihrem rothen Kleide von Eisenocker und den schwarzen Waldleisten, gleich Halskragen, über welchen die dünnen Felsennasen heraussahen, wie über das Gewimmel auf der Promenade und um die Quelle le Pouhon, mit dem sonderbaren Denkstein Peters des Großen, wo die vier schönen Straßen der neuen Stadt aus- und einlaufen.

Aurelie, so schien es, wollte ihren betrübten Freund auf jeden Fall erheitern, und dies gelang ihr auch; denn bald sah man beide scherzend sich Lianen nahen, welche am Ende des Weges mit dem Grafen auf dem höchsten freisten Punkte stand, während der Baron sich mit einem aufgefundenen Bekannten beschäftigte. Der Wind blies aus der Thalschlucht herauf und wie eine düstere Wolke die Stadt und fast die ganze Gegend einhüllte, stand Liane im Sonnenglanze, leuchtend, gleich einer der alten Velleden, jener heiligen, prophetischen Jungfrauen der Belgen, die einst in diesen Bergen wohnten. Gilgenström sagte dies leise zu ihr. Ihr blauer, scherpenartiger Shawl flatterte in den Lüften, und die hohe, weiße Gestalt auf dem Steine nahm sich in ihrer antiken Ruhe und Schönheit in der That fast wie eine Heilige aus.

Als sie Leopold in der Ferne erblickte, wandte sie sich zu dem Grafen und sagte:

Ich habe die Zeit hingehen lassen, ohne Ihnen für ihre freundliche Güte zu danken, und ohne Ihr gereiftes Urtheil zu fordern. Ich weiß, Sie haben Walther lange beobachtet, ich weiß auch, daß Sie ein Wohlwollen für ihn empfinden, das er gewiß verdient. Ich stehe im Begriff ihm meine Hand zu reichen; glauben Sie, daß unsere Charaktere, die so ungleich sind, die nöthige Harmonie erringen werden?

Ich bin kein Prophet, erwiderte Gilgenström lächelnd.

Aber ich hoffe, Sie sind mein Freund, versetzte Liane, und diesem gilt meine Frage.

Da Sie den jungen Walther lieben, sagte der Graf nach einer Pause, so wird die Aussöhnung gewiß erfolgen. Er ist, wie ich ihn kenne, einer von den herzlichen Menschen, die mit der Zeit wohl durchschauen, wo sie fehlen, die das Rechte und Gute wollen, und danach streben, von ihren Leidenschaften und ihrem Leichtsinn aber lange daran gehindert werden, die That dem Willen gleich zu machen. So werden Sie denn eine Zukunft voll Regen und Sonnenschein haben, wie ich denke. Sie, meine edle Liane, werden von der Strenge Ihrer Forderungen nachlassen, er wird zu Ihnen emporsteigen, und so wird zuletzt sich eine Vermittelung bilden.

Glauben Sie, sagte Liane stolzer, daß dieser Weg der Alltäglichkeit, dies Versinken in das Loos des großen Haufens mir genügen kann?

Gilgenström sah ernst und kummervoll zu ihr empor.

Wenn es Ihnen nicht genügt, Liane, sprach er, dann wehe Ihnen! Wenn Ihr hoher Sinn sich nicht zu beugen versteht, dann wird das Unglück über Sie kommen mit Tantalusqualen. Es giebt keine andere Vermittelung, denn jener junger Mann der Gesellschaft, des Geldes, der Vergnügungen, versteht Sie nicht. Seine Lust ist das flache Leben, sein Sinn hängt an dem bunten Wechsel. Er wird ihm nie entsagen können; er ist so geboren, sein Blut, seine Empfindungen sind dafür bestimmt. Umwandeln kann selbst Gott einen Menschen nicht ganz durch den Arm des Schicksals; die Liebe vermag es nur auf Tage und Jahre. Und bedenken Sie auch, fuhr er fort, welche Opfer Sie zu bringen haben. Ihr Oheim ist nicht unversöhnlich, aber wenn Sie Unglück träfe, wie würde er leiden – und wie Ihre Freunde! setzte er leise hinzu. Ihre Geburt selbst –

Nein, sagte Liane mit einer edlen Erhebung, indem ihr Gesicht sich röthete, sprechen Sie das nicht aus, was Sie sagen wollen; hier, lieber Graf, beginnt das einzige Vorurtheil, das mich tief betrübt, wenn ich es von Ihnen höre. Sie haben ein reiches schönes Leben gelebt, und was nützt es? Sie haben Schätze von Kenntnissen gesammelt, welchen Vortheil ziehen Welt und Menschen davon? Gott hat Ihnen einen Geist gegeben, so hochstrebend und tiefgestaltig, daß er ein Segen werden könnte für ein ganzes Volk, und grollend über Zustände, die aus der Geschichte reiften, verbergen Sie sich. Wer steht denn höher, der Leichtsinnige und Strebende, der mit seinen schwachen Kräften bessert, wo er kann, oder der reiche Geist, der, wie eine Schnecke, in sein Haus kriecht und sich darin absperrt? Unglück prophezeihen Sie mir, Graf Gilgenström; wollte der Himmel, ich könnte Ihnen dafür das beste, reinste Glück voraussagen! Aber Ihr einsames Herz wird nach und nach ganz öde werden, ganz liebeleer, ganz erfüllt von Vorurtheilen. Sie werden durch die Welt wandeln, wie ein Wesen, das kaum zu den irdischen zu rechnen ist, und wenn die letzte Stunde kommt, wenn der Abend da ist und die schwere, lange Nacht, wenn Sie zurückblicken auf die Tage Ihrer Kraft und Jugend: werden dann nicht die Blitze der Erkenntniß das Dunkel spalten, Thränen und Reue, ach! zu späte Reue, die edelste Brust erfüllen, die zum Glück und zur Freude geboren war?!

Gilgenström hatte sich stolz aufgerichtet und mit dem Tone der stärksten Ueberzeugung sagte er:

Beklagen Sie mich nicht, ich bin in meinem Wollen und Streben ein durchaus fertiger Mensch, der niemals das Opfer eines Zweifels, oder einer schwachmüthigen Reue werden kann. Meine Grundsätze sind keine Vorurtheile, wie Sie meinen, sie sind mein innerstes Sein, das Fundament meines Lebens. Was ich als wahr erkannte, wird mir kein Sturm des Schicksals rauben. Ich habe Kraft, ihm zu widerstehen; ich bin kein Baum, der gebeugt wird. Und was ich als Opfer bringe, fuhr er nach einer Pause fort, indem er sein schwermüthiges Auge auf Lianen richtete, es wird keinem Götzen geschlachtet. Meine liebe Freundin, ich habe auch ein Herz; es ist voll Blut und Wunden und meine Dornenkrone trage ich und mein Kreuz nach Golgatha, ohne ein erlösendes Zeichen zurückzulassen. Aber Trost und Stärke fließen mir aus dem Bewußtsein des Guten und Rechten und der heiligen Weihe, die mich umgiebt.

Er ließ ihre Hand los und trat an den Rand der Terrasse, indem er scheinbar ruhig die Gegend betrachtete, denn so eben kamen der Baron, Aurelie und Leopold.

Liane aber sagte leise:

O! mein Gott, sende einen Deiner Blitze, der seine Fesseln zerschmelzen kann!

 

Seit diesem Tage war aber eine kleine Veränderung in der Gesellschaft vorgegangen. Gilgenström schien schwermüthiger geworden zu sein, und manches von seiner kalten Strenge verloren zu haben; Liane aber stand oft in Gedanken befangen, und wenn sich ihre Augen trafen, wandten sie sich beide hastig fort.

Leopold bot dagegen Alles auf, um Lianen zu gefallen, sogar durch eine Umwandlung seiner äußeren Erscheinung. Die Kettchen, Knöpfchen, Stöckchen und Bärtchen verschwanden in wenigen Tagen, Eines nach dem Andern, und aus dem geschniegelten Modehelden, wie ihn der Baron nannte, ward ein ganz einfacher Mensch, der sich gar nicht mehr bestrebte, die Augen der Menge auf sich zu ziehen.

Er vernachlässigte aber auch Aurelien, die darüber ein Gesicht voll Lachen und Weinen zeigte, und ganz ungewöhnlich reizbar war, bis Leopold endlich im geheimen Gram und eifersüchtiger Glut sich aus Rache mit Aurelien wieder fast zärtlich beschäftigte, denn Liane schien alle seine Bemühungen mit todten Augen zu betrachten.

Endlich sollte Spaa verlassen werden und viele schöne Pläne wurden nun gemacht über die Art der Rückreise von Aachen. Man wollte den Rhein hinauf, dann das Neckarthal besuchen und über Stuttgart, München und Dresden endlich auf den Gütern des Grafen Gilgenström eine kurze Rast halten. Dann sollte dieser den Baron und die Damen weiter begleiten und alle wollten zum Winter wieder in Berlin sein.

Leopold und seiner Verbindung wurde von dem Baron dabei gar nicht erwähnt, der sich nun einmal vorgenommen hatte, diese so lange als möglich zu ignoriren, aber bei vorkommenden Fällen entschieden zu handeln.

Wenn dieser junge Herr nobles Blut in den Adern hätte, sagte er mehr als einmal, so würde er freilich anders handeln; indeß freut es mich doch, daß er einen Schein von Vernünftigkeit angenommen hat. Sollte Liane auf ihrem Willen bestehen, so werde ich gewiß jeden möglichen Grund dagegen haben, und wenn es irgend geht, so – das sagte er ganz leise – soll sie Gräfin Gilgenström werden.

Der Baron hatte nämlich nach mancherlei kleinen Prüfungen den Schluß gezogen, der Graf sei gegen Lianen nicht so gleichgültig, wie er gerne scheinen wollte, und doch wagte er sich nicht recht mit dem Gedanken hervor, denn Gilgenström hatte bei der ersten, entferntesten Anspielung erklärt, daß er wahrscheinlich unvermählt leben und sterben würde, jedesfalls aber könne er nur eine Verbindung schließen, bei welcher bedeutende Glücksgüter die ebenmäßige Geburt begleiteten. Er hatte dies so unbefangen, als möglich gesagt, ein paar Bemerkungen hinzugefügt, daß sein Vermögen nur eben hinreiche, seinem Stande und seinen Ansichten nach zu leben, und dann das Gespräch abgebrochen, durch welches die Aussichten des Barons allerdings wenig Nahrung empfingen.


10.

Am Tage vor der Abreise machte die kleine Gesellschaft noch einen Ausflug nach dem wunderbar schönen, alten Schlosse Franchimont, das den ganzen eigenthümlichen Reiz der Ardennen trägt. Die Straße dahin bildet ein tiefes Thal von der wechselndsten romantischen Gebirgsnatur. Bald sind es sonderbar gestaltete Felsen, bald nackte senkrechte Wände, bald schöne Berge mit dem herrlichsten Wald besetzt.

Aurelie mit dem lebendigen Sinne für Schönheiten der Natur begabt, konnte sich nicht satt sehen an diesem regen Wechsel, und als endlich der hohe isolirte Felsen zum Vorschein kam, auf seiner Stirn stolz aufsteigend das Schloß und das Städtchen Theux zu seinen Füßen, war sie aus dem Wagen, und erklomm die steile Höhe fast gemsenartig. Ihr Beispiel mußte zur Nachfolge reizen, nur der Baron blieb zurück, und bald vereinte man sich auf der Höhe und freute sich der entzückenden Fernsichten. Von diesem hohen Punkte aus ward ein großer Theil des Gebirges überblickt.

Die zackigen und zerrissenen Basalte, die verwitterten Kalksteinwände, die hellschimmernden Brüche, die fernen, rauchenden Eisenwerke, deren blaue Säulen über die Bergkuppen aufstiegen, und alle die schroffen Gegensätze der wildesten Rauheit und der üppigen saftigen Fruchtbarkeit, welche in den Ardennen so überraschend sind, faßten sich in einem seltenen Rahmen zusammen. Mitten unter Felsengewirr und Waldschluchten öffneten sich kleine zauberhafte Thäler von Bächen und Quellen bewässert, und mit Grün bedeckt, wie es kaum wieder gesehen wird. An diesen steilen Abhängen hingen Hütten, große Kühe gingen und kletterten in der fetten Weide und gehegte Plätze waren mit schönen Bäumen besetzt. Oben funkelte die Sonne in ungetrübter Herrlichkeit und ihre Blitze leuchteten und verriethen die Bergwasser, die halb verborgen brausten und da und dort von dem blanken Gestein sprangen.

Liane blieb bald mit Gilgenström zurück, Leopold aber, der den ganzen Tag über sehr ernst und einsilbig gewesen war, folgte Aurelien, welche muthwillig über die alten Gemäuer sprang und in die steilen Tiefen schaute. Der Strohhut hing mit gelösten Bändern auf ihrem Kopfe, übermüthig auf die Seite geschoben, dazu hatte sie einen langen Stecken aufgerafft, mit dem sie überall umherstörte und nach den Echos schrie, die nicht kommen wollten.

In ihrer Laune trieb sie unerschöpfliche Possen, und eben rief sie Leopold zu, daß sie als Burgfrau von Franchimont ihn zu ihrem Ritter erkläre, und ihm dies Schwert, nämlich den Stecken, zum Kampf für sie überreiche, als ein plötzlicher Windstoß ihr den Hut nahm und ihn gegen die steile Wand trieb.

Retten Sie meinen Hut, tapferer Ritter! rief sie dem lachenden Walther zu, der sogleich die Jagd begann, und den Flüchtling vergebens zu haschen suchte. Der krause Wind drehte und wälzte ihn weiter, er trat und haschte zwei, dreimal nach den Bändern; jetzt war er dicht am Rande. Leopold machte einen letzten, verzweifelten Versuch; plötzlich trat er auf einen losen Stein, dieser gab nach, er strauchelte, fiel, und hielt sich im Fallen an einen wilden Busch von Holunder und Kreuzdorn, der aus dem Spalt des Felsens wucherte. Halb schwebend über dem Abgrund, an dem gebeugten ächzenden Busch hängend, war er einige Augenblicke lang in einer furchtbaren Lage. Schwindelnd flogen seine Blicke in die Tiefe und dann hinauf, wo er den jammervollen Schrei Aureliens hörte.

Bleich, wie eine Todte stand sie am Rande, dann aber von dem Muthe der Verzweiflung getrieben, warf sie sich auf den Boden und faßte den Kragen seines Rockes, indem sie mit der einen Hand den Stamm des Busches ergriff und mit unglaublicher Stärke den Körper des geliebten Freundes nach sich zog. Seine Füße faßten eine Fuge in den Felsenge: schieben, er richtete sich empor und stark, wie er war, stand er im nächsten Augenblicke auf dem festen Boden, in demselben Augenblicke, wo Aurelie, kraftlos und ohne Sprache, in seine Arme sank.

Aber es war die Freude nur, die dem Entsetzen folgte, welche sie betäubte. Nach einer Minute hatte sie sich erholt und aufgelöst in Glück, mit Zittern und Thränen schlang sie die Arme um seinen Hals und weinte laut.

Mein Freund! – o Leopold! o lieber, theurer Walther! rief sie, allbarmherziger Gott! furchtbarer Gedanke! ich hätte es nicht überlebt. Nein, gewiß, man hätte uns beide dort unten zerschmettert aufgenommen und in ein Grab gelegt.

Sie sah ihn mit den flehenden Augen, voll todesmuthiger Zärtlichkeit an und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Leopold zitterte und glühte; eine Nacht fiel plötzlich von seinen Augen, ein schönes, liebeverkündendes, liebeforderndes Weib stand vor ihm; o! wie hatte er nicht erkannt, was er ihr längst war, und sie ihm.

Doch plötzlich schauderte er zurück vor diesem heißen Blicke. Seine Lippen, die von ihrem Kusse brannten, wurden bleich; seine Hände sanken herab, er wagte es nicht, sie anzublicken. Erst nach einer langen, schweigenden Pause, schlug er die Augen auf. Aurelie lehnte an der Mauer, sie war bleich, wie er, das rechte Bewußtsein war auch ihr aufgegangen. Kein Wort wurde von beiden gesprochen, ihr tiefer Seufzer sagte Alles.

Nach einigen Minuten hörten sie die Stimme des Barons und Lianens. Walther legte den Finger auf den Mund, ihre Blicke begegneten sich, und das glühende Roth einer Schuld, die unverschuldet sie getroffen, bedeckte ihre Wangen. Als der Baron kam, war Walther so eben mit dem Stecken beschäftigt, Aureliens Hut aufzufischen; den eine Brombeerranke: festhielt, nur Liane bemerkte die Thränenspur auf ihrer Schwester Wangen und sah kummervoll in ihre erschrockenen Augen.

Heiter verging dann der Tag, nur stiller als sonst und fast wehmüthig. Aureliens Schweigsamkeit fiel selbst dem Baron auf, und um seine Aufmerksamkeit abzulenken, versuchte sie lustig zu sein, was aber schlecht gelang. Sinnend betrachtete sie Walther immer von Neuem, und wechselte oft die Farbe, denn ihre lebhafte Phantasie konnte den schrecklichen Augenblick noch immer nicht vergessen.

Am Abend, als sie schieden, reichte sie Leopold die Hand. Sie wollte gleichgültig thun, aber ach! in demselben Augenblick überkam sie alles und an ihrem Zittern und halb erstickten Worten wußte Walther, sie würde ihn immer lieben.

 

In Aachen wurden nun bei der Rückkehr alle Anstalten getroffen, die Abreise zu beschleunigen. Als wäre ein Geist der Unruhe über alle gekommen, so trieb und wünschte jeder den Augenblick herbei, und nur Liane war, wie immer, ruhig, ein Gleichklang ihrer Gefühle, Alles geschäftig ordnend und belebend.

In der Unruhe der Reisevorbereitungen schien man es kaum zu bemerken, oder doch zu entschuldigen, daß Gilgenström sowohl, wie der junge Walther, sich selten blicken ließen. Bei Beiden war die Ueberzeugung gekommen, daß die nöthige Ruhe gewonnen werden müsse, und Walther bemerkte sehr wohl, daß der Graf, mit dem er in einem Hause wohnte, nicht verreist sei, wie er vorgegeben, sondern mehre Tage sich ganz in seinem Zimmer abgesperrt hatte. Er konnte ihn sogar sehen, wie er auf seinem Divanlager, das er auch im Reisewagen mit sich geführt hatte, ausgestreckt ruhte, in persische Decken gehüllt, die lange türkische Pfeife mit dem Bernsteinknopfe vor sich, finstere magische Rauchwolken verbreitend, und von Büchern und Schriften umringt, die er nicht las, aber melancholisch darauf hinstarrte.

Leopold dagegen wurde von einer innern Gluth ruhlos umhergetrieben, und das war auch ein besonderes Zeichen dieser beiden so entgegengesetzten Charaktere. Der Eine suchte in tiefster Einsamkeit den Frieden, der Andere griff in alle Adern der lauten Welt, um seine Empfindungen darin abzustumpfen.

Am letzten Abend ging er durch die düstern Gassen, als plötzlich sein Name genannt wurde und Fahnenberg vor ihm stand, der ihn sogleich mit Vorwürfen überschüttete, die alten Freunde so schmählich verlassen und vergessen zu haben. Walther vertheidigte sich, so gut es ging, gewiß aber war es ihm nicht ganz unangenehm, den lustigen, witzigen Gesellschafter gefunden zu haben, der ihn am Arm ergriff und mit sich fortführte.

Ihre Abenteuer, sagte Fahnenberg, brauche ich nicht zu hören, man hat sie mir schon alle erzählt. Sie sind rasend verliebt in das hübsche Mädchen, die sich Liane nennt, und merken nicht, daß Sie dabei eine schlechte Rolle spielen und Ihre ganze Freiheit schon verloren haben. Gütiger Gott! wie sehen Sie denn aus, fuhr er fort, und betrachtete ihn lachend bei einer Laterne. Wo ist das Bärtchen, wo sind die gelockten und glattgestrichenen Haare, wo sind die Zeichen der Herrschaft im Reiche der Mode und des Geschmacks, wo Sie einst König waren? Hören Sie, Walther, fuhr er mit bedauerndem Tone fort, wir wollen nicht davon sprechen, denn Ihr Gesicht glüht, und ich sehe es Ihnen an, eine neue Zeit blüht im Stillen auf, aber eine goldene Regel hätten Sie immer behalten sollen: Eine Frau, die sich weiser und kluger dünkt als wir, und uns erziehen will, tauscht die Rolle mit uns, und wird uns niemals wahrhaft lieben, weil ihr die Achtung fehlt.

Sie sind unverschämt, Fahnenberg, rief Walther verlegen und empört.

Darin haben Sie Recht, fuhr dieser ganz ruhig fort, aber ich bin wahrhaft, und das empfinden Sie. Wollen Sie die jammervolle Stelle eines gehorsamen Mannes annehmen, so heirathen Sie diese Liane, aber ich sage es Ihnen vorher, lange währt es nicht, und Sie werden zum Spott, oder Sie laufen davon. Jetzt lassen Sie uns in den Redoutensaal gehen; ich will Sie nicht untergehen lassen, Walther, und Sie werden es mir einst danken. Sträuben Sie sich nicht, stehen Sie eine Nacht einmal wieder am grünen Tisch und der alte Muth wird wiederkehren. Und wissen Sie, wen Sie dort finden? fuhr er fort. Kapitain Ramsdon, und wen führt er mit sich? – Erinnern Sie sich des Tages, wo wir die drei böhmischen Harfenistinnen Concert machen ließen? Ramsdon ist musikalisch geworden, so gut, wie König Midas. Er hat die alte Person zum Chef seiner Herzenskapelle ernannt, aber ich glaube, sie macht ihm jetzt schon zuweilen Musik, daß ihm die Ohren klingen. Lange dauert es nicht mehr und der glückliche Bund ist gelöst, so gut wie der Ihre.

Er sprach so komisch über die verschiedenen Abenteuer des Engländers und die Eigenschaften seiner Schönen, daß Leopold fast gegen seinen Willen folgte, heimlich sich aber vornahm, wenige Minuten zu bleiben und gewiß nicht zu spielen.

Als sie in den Redoutensaal traten, fanden sie richtig den braven Capitain an der Roulette, und neben ihm eine Dame im wehenden Federhut, die eifrig pointirte und regelmäßig verlor, was ihr sehr ärgerlich zu sein schien. Ramsdon streckte Walthern beide Hände mit einem Grinsen entgegen und nickte dann auffallend schnell mit dem Kopfe, sagte aber blos:

My dear, steckt Eure Hand in Eure Tasche und holt Geld heraus, bezahlt Eure Wette. Wißt es, ich habe dreißigmal um den Opernplatz gehinkt. Ihr wart fort, damn! Warum gingt Ihr, aber Fahnenberg ist Zeuge, ich habe gewonnen, bezahlt, Sir – der Capitain hatte lange nicht soviel gesprochen und schwieg ganz erstaunt über sich selbst.

Leopold hatte zehn Louisd'or zu bezahlen, die er dem Capitain lachend einhändigte, welcher sie sogleich seiner Freundin überlieferte, die sie zwei Minuten später von der Harke des Croupiers sich wieder entrissen sah. Nach wenigen Minuten erwachte die Lust zum Spiel, die so unwiderstehlich beim Zuschauer wirkt, auch in Leopold. Er erinnerte sich wohl seines Vorsatzes, und daß vor wenigen Tagen erst Liane mit dem tiefsten Abscheu von dieser Leidenschaft geredet hatte, aber Fahnenberg's leise Worte wurzelten in ihm, und trieben ihn an, frei zu sein.

In zehn Minuten hatte er nichts mehr, aber Fahnenberg gab ihm die volle Geldbörse. Hundert Louisd'or waren verloren und die leidenschaftliche Wuth des Spielers, der keine Opfer mehr scheut, glühte in seinen Augen. Er suchte den Gefährten und Mittel zum Spiel, als er plötzlich an der Thür den Baron und Lianen erblickte, die aus dem großen Saale hereingetreten waren und dem Ausgange zuschritten. Hatte Liane ihn bemerkt, er wußte es nicht. Sie sah bleich und leidend aus, und in diesem Augenblicke fühlte Walther, daß Fahnenberg gelogen hatte. Nicht Scham vor Lianen war es, es war das lebendige Gefühl, das die Guten von den Schlechten trennt, welches seine Verachtung gegen ihn kehrte. Er ging rasch hinaus. An der Thür kam Fahnenberg und hielt ihn fest.

Wohin? sagte er; hier ist Geld, laßt uns weiter spielen.

Morgen, erwiderte Walther dumpf und heftig, fort da! lassen Sie mich, ich bleibe Ihr Schuldner, Fahnenberg.

Ich hoffe, sagte dieser spöttisch, als Walther die Treppe hinabsprang, wir gleichen noch unsere Rechnung aus, und statt der vernunftvollen Frau wird ein vernünftiger Vormund, wie ich, Dein Begleiter.


11.

Wir verfolgen die Reise nicht, welche am nächsten Tage von der kleinen Gesellschaft angetreten wurde. Leopold fand durch des alten Heinrichs Fürsorge Alles bereit, als er am Morgen, wenige Stunden vor der Abfahrt, verstört nach Hause kam. Die ganze Nacht war er ruhelos umhergestrichen, und endlich hatte er unter einem Baum auf dem Lousberge gesessen und die milde Sommernacht durchträumt, bis die Sonne ihr rothes Morgenfeuer in seine halbgeschlossenen Augen warf, und ihn weckte.

In der erhabenen Stille der Natur ging ihm das Herz auf. Seine feuchten Blicke begrüßten das junge Licht; er streckte die Arme zu den kleinen goldenen Wolken empor; Gottes Athem wehte ihn mild und tröstend an. Sein lang gepeinigtes Gemüth empfand die Einwirkung eines höheren Friedens, sein wirrer Sinn vermochte Entschlüsse auszubilden, und er schwor mit inbrünstiger Energie die Irrthümer seiner Jugend ab.

So fand er sich mit Gilgenström zusammen, dessen Wagen er wieder theilen sollte, und schweigsam fuhren Beide den öden Weg nach Köln. Hier fanden sie den Baron und seine Nichten. Die schöne Rheinfahrt bis Mannheim ward gemeinsam gemacht, und dann die Weiterreise nach dem beschlossenen Plan gefördert, so daß sie im September von Dresden aus, wo eine längere Rast gehalten wurde, nach den Gütern des Grafen aufbrachen.

Mit Niemanden aber war in dieser kurzen Zeit eine größere Veränderung vorgegangen, als mit dem jungen Walther, der aus einem lebensfrohen, allzuübermüthigen Jüngling ein Mann von fast schwermüthigem Ernste geworden war. Dann und wann wie ein Schwan, dem man die Flügel gebrochen, um ihn zahm zu machen, versuchte er, sich wieder empor zu raffen auf die alte lustige Bahn, aber es blieb ein bloßer Anlauf; die frische Natürlichkeit fehlte und der Ernst wurde zuweilen Trübsinn, der sich kaum beherrschen ließ.

Eine fast ähnliche Erscheinung bot Aurelie dar. Sie ließ das Köpfchen hängen, und das Auge, das zur Lust und zum Lachen nur bestimmt schien, ward häufig in Thränen angetroffen. Eine Sentimentalität, welche ihr früher, trotz der Weichheit ihres Herzens, ganz unbekannt war, hatte sich krankhaft festgesetzt. Die unbedeutendsten Dinge konnten sie am tiefsten berühren, und zuweilen waren diese Zufälle von fast krampfhafter Wirkung. Sorgsam suchte sie es zu verbergen, am sorgsamsten vor Lianen, die mit der innigsten Liebe um sie sorgte; aber so sonderbar war das Gemüth der armen Kranken: bald empfand sie Abscheu vor der geliebten Schwester und floh, wenn diese nahete, bald weinte sie in ihren Armen und klammerte sich sprachlos, lautschluchzend an ihre Brust.

Gegen Leopold war Lianens Freundschaft immer gleich geblieben, und doch hatte auch ihr Umgang vielfache Veränderungen erfahren. Sonst hatte Walther jede vertraute Minute benutzt, um von seiner Liebe zu sprechen, jetzt saß er stundenlang an ihrer Seite, schweigsam, zuweilen lächelnd, dann zerstreut aufblickend und sich gewaltsam bezwingend, oder er sah sie starr und traurig an, wenn sie sprach. So ging er auch an ihrer Seite, wenn Gilgenström sie begleitete und mit einer Art von Aengstlichkeit schien er hier zu beobachten, was er wohl entdecken könne.

Endlich reiste man ab, mitten in diesen Wirren, die der Baron noch durch Andeutungen vermehrte, in welchen es sich immer klarer zeigte, daß er seiner Nichte die Heirath nicht gestatten würde; denn er hielt lange Reden über Blutreinheit und Stammbäume, und warf seine drohenden Blicke und Worte Leopold hin, der aber davon, zu seinem größten Verdrusse, fast gar keine Notiz nahm.

Die Reise ward mehre Tage durch die gebirgige Landschaft fortgesetzt und am letzten nahm der Graf Courierpferde, um einen Vorsprung zu gewinnen und sein Schloß für die Ankunft der Gäste bereit zu halten. Der Wagen rollte nun mit doppelter Eile durch die Berge, endlich aber öffnete sich ein liebliches Thal und an waldbekränzten Höhen lehnte sich der Herrensitz des alten Dynastenstammes, stattlich und mittelalterlich anzuschauen. Ein Weg von schönen Bäumen führte am Walde hin, und hier genoß man eine amphitheatralische Aussicht über den ganzen Besitz, den der Graf mit ungewöhnlicher Redseligkeit seinem Reisegefährten schilderte.

Gilgenström war lebhaft ergriffen. Er war sehr lange nicht hier gewesen und seine Augen suchten rund umher nach den Erinnerungen seines vergangenen Lebens. Er zeigte Leopold Alles, sprach von der Freude, so liebe Gäste recht lange festzuhalten, und kam dabei vielmals wieder auf Liane zurück, die den grünen hohen Walddom und das schlanke Hochwild darin so liebte.

Leopold hörte ihn, wie aus Träumen erwachend, an und sagte dann verwundert:

Sie lieben also Lianen, Graf Gilgenström?

Eine hohe Röthe überflog Gilgenström's Gesicht.

Sie haben vielleicht ein Recht, so zu fragen, sagte er, obgleich ich diese Frage, wie sie gethan wird, eigentlich nicht begreife. Wenn ich sie liebte, was nützte es dann den Schmerz zu wecken, da ich sie nie besitzen werde.

Und Liane? sagte Walther düster.

Klagen Sie sie nicht an, rief Gilgenström, lassen Sie die eifersüchtige, erfinderische Verleumdung diesen Engel nicht berühren. Ja, wenn ein Weib ist auf Erden, die diesen Namen verdient, so ist sie es. So rein, so hoch, so ganz die edelste Form eines Wesens, dessen geistiger Werth mich wunderbar gerührt hat.

Liane liebt Sie, sagte Walther eintönig und ihn ernst anblickend.

Langsam erwiderte Gilgenström:

Und wenn es wahr wäre, was Sie behaupten, es dürfte Sie nicht erschrecken. Wenn sie mich liebt, so ist es eine Neigung, die still und heimlich aufgeblüht, nichts gemein hat mit dem, was die Welt Liebe nennt. Sie wird erlöschen und eine reine, schöne Freundschaft sein, der Stolz meines Lebens.

Und haben Sie nie daran gedacht, daß diese Freundschaft zu einer innigen Verbindung führen kann? fragte Walther.

Sie wollen durchaus meine Beichte hören, erwiderte der Graf. Eine kurze Zeit lang war der Zauber dieses reizenden Wesens allerdings zu groß für mich. Bald aber war überwunden, was sein mußte; ich begriff, daß sie nie die Meinige werden konnte.

Sie gedachten meiner früheren Ansprüche, sagte Walther leise, und empfanden das Beschränkende.

In der That, nein! erwiderte der Graf stolz lächelnd; ich wäre als Ihr Nebenbuhler in die Schranken getreten, wenn – hier machte er eine Pause und fuhr dann fort: Meine Grundsätze sind Ihnen bekannt, Herr Walther. Ich ehre und achte jeden Menschen in seiner Weise, wie es in dem großen Gesellschaftsbande paßt, allein es gibt Dinge, die ewig sind, wie die Gesetze der Natur, und von welchen man nur lassen kann, um der Verwirrung, gleich der wilden Fluth, den Eingang zu gestatten, die das alte Haus zurückführt. Was mühsam Jahrhunderte erbauten, darf nicht leichtsinnig preisgegeben werden. Edle Stämme, die sich aus der Masse erheben, müssen Wehre um sich bauen, damit sie nicht in der Masse von Neuem verschwinden und frei bleiben von jedem Makel. Ich kann mich irren in meinen Ansichten, aber wenn das menschliche Geschlecht nicht wieder in Barbarei versinken soll, so müssen wir uns wappnen und kein Opfer scheuen, was es auch koste. Liane kann mir nicht gehören. Ihr Urgroßvater war Geheimrath und empfing den Adel für Dienste dem Fürsten geleistet; der meine wurzelt in Zeiten, die außer dem Bereich der Geschichte liegen, und dann ihre Mutter – er hielt inne und sagte: Sie begreifen nun Alles, auch daß mir keine Hoffnung geblieben ist.

Ich beklage Sie, sagte Walther, beide Hände vor sein Gesicht drückend, und mich, setzte er leise hinzu.

Jetzt bog der Wagen um die letzte Waldspitze und das Schloß lag vor ihnen. Alles war mit Sorgfalt geordnet, Fahnen wehten von den Thürmen, plötzlich erscholl Musik und Vivatgeschrei, die ganze Dorfschaft und die gräflichen Beamten empfingen den Herrn am Schloßhofe, wo eine Ehrenpforte den Eingang bildete. Gilgenström stieg aus und begrüßte Alle sehr freundlich. Einigen alten Leuten reichte er die Hand, die Frauen und Mädchen beschenkte er, und als er in's Haus gegangen war, flossen Thränen und Segenssprüche erschollen für den gütigen, gnädigen Herrn, der arme Bauern wie Seinesgleichen behandelte.

Der Graf führte Leopold an der Hand die hohe Steintreppe hinauf und Beide traten in den Ahnensaal, wo die alten Barone des Hauses Gilgenström in Helmen und Kapuzen, oder in Mänteln mit dem rothen Kreuz besteckt an den Wänden prangten. Unter manchen der alten Bilder hingen noch ihre Rüstungen und Waffen und neben ihnen die Tochter stolzer Geschlechter, welche einst ihr Ehebett theilten. Der Graf ging langsam an den Wänden hin. Seine Augen waren stolz und ernst auf die gewaltigen Vorfahren gerichtet, deren Namen und Thaten er Leopold nannte. Dann blieb er in der Mitte stehen und sagte:

Blicken Sie umher, lieber Walther; sechshundert Jahre fast sehen auf uns nieder. Sie sehen an diesen Wänden vergebens nach einer dunklen Stelle; nie hat ein Gilgenström vergessen, was er seinem Geschlecht und der Geschichte schuldig war. Ich werde nicht der Erste sein.

Und glauben Sie, sagte Walther finster lächelnd, daß das, was sie Reinheit des Adels nennen, die Würde der Menschheit erhält? Glauben Sie wirklich, daß der Enkel Herz und Leben, die heiligsten Gefühle, für die Wappenfelder seiner Ahnen opfern müsse? daß die Tugenden und großen Thaten von der Erhaltung des edlen Stammes abhängen? Geschlechter blühen auf und sterben, und die Helden und großen Männer wurden öfter in der Hütte geboren, als in der Nähe der Throne. Nein, Graf Gilgenström, Ihr Glaube ist ein Frevel an Gott und Geschichte, ein Hochmuth, der Ihren freien Geist umwuchert. Was stellen Sie sich einer Zeit entgegen, die diese Schranken längst gebrochen hat, was nützen solche Götzenopfer in einem Jahrhundert, wo die Macht des Geldes und des Talents das Schwert zum Fechten geworden ist, wo ich morgen eine Baronie besitzen und ihren Namen führen kann?!

Können Sie auch, sagte Gilgenström sehr ernst, das Jahrtausend voll ruhmwürdiger Ahnen erkaufen? Nein, es ist kein Vorurtheil, es liegt eine tiefe heilige Wahrheit hier verborgen, alle Ehrfurcht und alle Liebe der Menschen wurzelt darin. Es ist der Fortbau der Geschichte, große Pflichten sind uns auferlegt von unseren Vätern, wir müssen sie hoch halten, höher als Liebesglück, heiliger als das kurze Leben. Sie mögen das nicht erkennen, Herr Walther, fuhr er stolzer fort, als er ihn lächeln sah, Sie wissen nichts von Ihrer Väter dunklem und stillem Leben, doch bevorzugte Geschlechter begreifen die Welt anders. Ihnen ist es angeboren, darüber zu lächeln, für mich ist es die höchste Wahrheit, das Herz meines ganzen Daseins.

Als Walther eben eine heftige Antwort geben wollte, that sich die Thür auf und ein bejahrter Diener trat herein.

O! mein alter Konrad, sagte Gilgenström und wendete sich mit Herzlichkeit zu ihm, so sehe ich Dich gesund und froh wieder, Du alter treuer Mensch, wie geht es Dir, und wo ist Margarethe?

Der alte Mann mit dem gepuderten Kopfe und dem langen schmalen Gesicht, in welchem eine große rothe Nase die einzige Merkwürdigkeit war, beugte sich bis auf den Boden fast und sagte:

Mein gnädigster Herr Graf, ich befinde mich wohl genug, aber Margarethe –

Ist sie krank, sagte Gilgenström mit sichtlicher Theilnahme?

Sehr krank, erwiderte der alte Hausmeier. Gestern schon hat sie das heilige Mahl empfangen; es ist ein wahres Wunder, daß sie noch lebt, aber man meint, sie könne nicht sterben, bis sie den gnädigen Herrn noch einmal gesehen habe.

Gilgenström deckte die Hand über die Augen, um seine Rührung zu unterdrücken und sagte dann, gleichsam entschuldigend:

Es ist meine Wärterin, die treue Pflegerin meiner Jugend. Sie hat meiner Mutter von Kindheit an gedient, meine Eltern begraben helfen, und als ich nach dem Testamente meines Vaters mit dem zwanzigsten Jahre mündig erklärt ward, setzte ich sie hier als Schaffnerin ein. Nun komme ich aus fernen Ländern zurück und komme nur, um Abschied von ihr zu nehmen. Sie werden mir verzeihen, wenn ich Sie verlasse.

Er ging und Konrad, der alte Diener, führte ihn den großen Corridor hinab und stand dann an einer Thür des Seitenflügels still.

Wir haben sie hierher gebracht, sagte er; sie verlangte durchaus in die Zimmer der verstorbenen gnädigen Frau Gräfin gebettet zu werden, und da es auch eine Sterbende war, so dachten wir –

Bleib zurück! sagte Gilgenström ihn unterbrechend, und leise trat er in das hohe große Gemach. Alte Tapeten in Goldrahmen bedeckten die Wände; düster, staubig und verwirrt war es überall. Die schweren Vorhänge waren niedergelassen, nichts regte sich, nur aus dem Bett in der Nische erscholl das leise Röcheln und die schnellen Athemzüge der Kranken.

Gilgenström setzte sich und betrachtete die abgezehrten Züge. Die arme Frau hatte ihn zärtlich geliebt, und heimlich hatte er, der Einsame, sich auch auf den Augenblick gefreut, wo sein Anblick diese Liebe wieder erwecken würde. Nun lag sie vor ihm, ein Bild schwerer Leiden, der letzte Hauch eines erlöschenden Lebens; kaum eine Minute noch zwischen Sein und Gewesen. Er stützte seinen Kopf auf die hohe Lehne des alten Stuhles und machte einen vergeblichen Versuch, ob es möglich sei, diesen letzten Schlaf noch einen Augenblick zu verscheuchen. Endlich rief er ihren Namen drei-, viermal lauter und lauter. Ein Schauder lief über ihre Haut, dann faßten die Finger krampfhaft in die Decke und röchelnd, leise und abgebrochen fing sie an zu reden:

Ich komme, meine gnädigste Frau Gräfin, ich komme – sogleich – wo ist das Kind, Margarethe? Hier meine gnädigste Gräfin – o! wie klein und jammervoll, wie krank und abgezehrt! – armer Knabe, mein armer Knabe! Es ist ein Zehrfieber, meine gnädigste Frau. Nimm den Anderen, Margarethe, nimm! nimm, geschwind! er hat keine Eltern, er kann sterben, o! Margarethe – wir müssen ein Kind haben ein starkes, gesundes Kind – es wird ein Graf, mein Gemahl soll nicht trauern – unser Name, unser alter Name – er darf nicht untergehen – o! Jesus, erbarme Dich der Sünde. – Schwöre Margarethe, schwöre! – nie darf mein Gemahl es erfahren, nie ein Mensch auf der Welt, was wir thun. Fort, fort, man kommt – Da ist Heinrich – gieb es her, gieb es mir, dort nimm das Kind, ziehe die Beiden fort, nimm die Wickelbänder ab, vertausche die Mützchen – er wird es nicht merken – er kann es nicht merken – jetzt! jetzt!

In dem Augenblick öffnete Leopold leise die Thür. Der Graf hatte sich mit beiden Händen an den Stuhl geklammert, sein Körper war weit vorgebeugt, sein Gesicht todtenbleich, seine Augen weit hervorquellend, auf die Sterbende gerichtet.

Vergeben Sie, sagte Leopold sanft, ich komme, um Ihnen zu sagen, daß der Bote da ist, den wir auf der Station zurückließen. Unsere Freunde sind in kurzer Zeit hier.

Plötzlich richtete sich die alte Frau geisterhaft in dem Bette auf. Die eingesunkenen Augen öffneten sich weit, eine unsägliche Angst, Freude, Verzweiflung und Entzücken strahlte daraus hervor; die dürren Arme hoben sich und schlugen wie betend zusammen.

Da ist er! schrie sie, barmherziger Himmel! ich sehe seine Züge, das ist seines Vaters Stimme. Meine gnädigste Frau, wir haben ihn wieder, kommt, kommt Alle herein, hier ist Ihr Kind, o Gott! Deine Gnade' ist groß!

Mit einem leisen Seufzer sank sie zurück und Leopold sagte tief erschüttert:

Die letzten irdischen Träume sind verweht. Sie ist todt.

Bei diesen Worten sprang Gilgenström auf und faßte gewaltsam die Hände der Alten:

Margarethe, schrie er mit Donnerstimme, wache auf, noch einmal gieb mir Nachricht! –

Aber der Körper fiel schwer zurück und Gilgenström sank, wie vernichtet, an dem Bette nieder.

Leopold wollte nach der Thür und Hülfe herbeirufen, als der Graf sich erhob und ihn festhielt. Der furchtbare Kampf seiner Seele malte sich in seinen zuckenden Nerven und Muskeln. Er nahm Leopolds Hand, führte ihn an das Bett der Todten und erzählte ihm Alles, was er. gehört. –

Wenn ich nun, sagte er dann, diese letzten Bekenntnisse mit dem zusammenhalte, was ich von Ihnen erfuhr, so steigt mir die Ahnung einer furchtbaren Wahrheit auf: so wäre es möglich, daß diese Seele nicht entfliehen konnte, ehe das Verbrechen enthüllt war; daß die Macht, welche Vieles so seltsam fügt und zuläßt, uns auf dem Lebenswege zusammenführte, um die Sünden unserer Eltern zu büßen.

Wie mögen Sie den Fieberphantasien einer Sterbenden so viel vertrauen, sagte Leopold. Ueberdies sind Sie ja auch im südlichen Frankreich geboren worden.

So sagte man mir freilich, erwiderte der Graf beängstigt, allein, meine Mutter war auch in Italien, und leicht könnte es sein, daß man mich absichtlich täuschte.

Plötzlich schien die Hoffnung ihm einen neuen Strahl zu senden.

Sie haben ja den alten Diener noch, der Ihre Eltern nach Italien begleitete, sagte er. Er muß es wissen, er muß den Namen der deutschen Familie kennen, die sich Ihrer annahm, und diese Frau – mit Ungestüm zog er die Klingel und nach einigen Minuten trat Heinrich herein.

Gilgenström führte ihn an das Lager der Todten. –

Kannst Du Dich erinnern, diese Frau je gesehen zu haben? fragte er mit bebender Stimme. Der Alte, der gar nicht wußte, was das bedeuten solle, starrte sie an und sagte:

Nein!

Wie hieß die Familie in Pisa, die sich Deines Herrn annahm, als seine Eltern so plötzlich starben?

Heinrich zuckte die Achseln und sagte:

Ich habe mich oft selbst darauf besonnen, denn als wir nach Deutschland zurückkamen, fragte der alte Herr auch danach. Ich hatte ihn wohl mehrmals gehört, aber es war ein schwerer Name, ganz polnisch klang er, und nun habe ich ihn völlig vergessen.

Der Graf nannte ihm einige Namen, die in seiner Familie vorkamen und Heinrich sagte einmal, das wird er sein, aber bei einem zweiten und dritten meinte er eben dasselbe, indem er entschuldigend hinzufügte, er sei damals ein junger, lustiger Mensch gewesen, der sich wenig darum bekümmert hätte.

Und die Wärterin und Dienerin der Gräfin würdest Du auch nicht wiedererkennen?

Es ist lange her, erwiderte Heinrich, und hübsch war sie nicht, aber das ist Alles, was ich weiß.

Der Graf warf einen Blick auf die Todte und seine eigene Leichenfarbe kehrte zurück. Leopold deutete auf die Thür und Heinrich ging schnell hinaus, denn Alles kam ihm hier unheimlich vor.

O, teuflisch! entsetzlich! rief er und schlug die Hände über seiner Stirn zusammen. Sie haben in dem fremden Lande dem leichtsinnigen Diener ohne Mühe einen andern Namen aufbürden können, um jede Spur zu verwischen. Verloren! mein ganzes Leben verloren, zerstört auf immer!

Nein, Gilgenström, erwiderte Walther, tief gerührt über den unaussprechlichen Schmerz in diesen stolzen Zügen und in eigener heftiger Bewegung. Nicht die Sünden der Eltern sollen wir tragen, sondern erlösen und bessern will uns eine gütige Vorsehung. Lassen Sie uns ganz und auf ewig vergessen, was verworren und unerklärt hier ruht. Kein Lebendiger kann Zeugniß geben, und wollte selbst die menschliche Gewalt und das menschliche Gesetz hier einschreiten, wer vermöchte Recht und Unrecht zu sprechen? – Ich denke, der Himmel hat mich dahin gestellt, wo ich bin; ich glaube fest daran, der zu sein, für den die Welt mich erkennt, und was Sie auch thun mögen, ich biete Ihnen Trotz, nie gebe ich meinen Oheim, die liebgewonnenen Kreise meines Lebens, mein ganzes Sein und Wesen auf. Mag geschehen sein, was da will, es soll und muß bleiben, wie es ist. Und nun reichen Sie mir die Hand, Gilgenström. Immer war in mir ein Zug brüderlicher Liebe und Zuneigung, nichts zwischen uns konnte ihn ganz ersticken, so öffnen Sie nun Ihr einsames Herz, lassen Sie uns Freunde, lassen Sie uns Brüder sein, Gilgenström! –

Als er die Arme öffnete, sank Gilgenström fast mechanisch hinein, und lange ruhte er so auf Walthers Schulter, tief athmend und seufzend, bis er ihm die Hand drückte und sich stumm entfernte. Langsam folgte Leopold. Er ging in den Park hinab, wo er in schwer zu schildernder Aufregung durch die alten Baumwege lief und von der Höhe des Bergzuges über das Land hinausschaute. Er fühlte sich besser, seit er so kühn die Kreise durchbrochen hatte, welche das Schicksal für ihn wob.

Eine leise Stimme flüsterte ihm zu, daß er wol der wahre Erbe dieser Güter sei und ihm der Grafentitel gebühre, aber eben darum fühlte er sich größer, als Gilgenström, weil es ihm kein Opfer war, diesen Träumen zu entsagen. Er stellte sich auch vor, wie ganz unmöglich es seinem Oheim werden mußte, diesen Neffen, der ihm von Anfang an so sehr zuwider war, als den rechten anzuerkennen, und wie er immer mehr begriff, daß Gilgenström's stolzes Herz gebrochen werden mußte, wenn er die hohe Stellung zur Welt aufgeben sollte, da empfand er eine fast heilige Freude, die edelste Vergeltung.

Er setzte sich unter eine Eiche, welche gewiß vielen seiner Väter Schirm und Schatten verliehen hatte, und mit den verworrensten buntesten Gedanken und Bildern kam auch der Schmerz seiner Liebe, aber er trug ihn, wie ein Mann. Liane war ein so edles Wesen, daß er in ihrem Besitz nicht unglücklich sein konnte. Er zählte mit berechnender Verständigkeit alle ihre Vorzüge auf und suchte nach der alten Begeisterung, die freilich durch Aureliens sanfte Gestalt, welche gewaltsam sich dazwischen drängte, viel verlor. Zürnend über sich selbst, saß er von tausend Zweifeln befangen und in Ahnungen versenkt, die seine Brust fester und fester zusammenschnürten.

Eltern, Verwandte, Freunde! rief er endlich, Alles ist in ewiger Ungewißheit mir entrissen und nur meine eigene Kraft vermag mir die eingestürzten Tempel wieder zu bauen. Zu Dir, Liane, führte mich das Schicksal; o! meine arme Aurelie, wir werden Vieles tragen müssen, aber es muß sein, die Brücken hinter mir sind abgebrochen, der Himmel mag entscheiden zwischen uns.

Indem er mit fester Stimme diese Worte sprach und aufstand, sah er den Reisewagen des Barons auf der Straße heranrollen und schnell eilte er in's Schloß, um Gilgenström davon zu benachrichtigen. Er öffnete die Thür des Ahnensaales und fand den Grafen, der still an einem Fenster lehnte und die alten Bilder betrachtete. Als er Walther hereintreten sah, zuckte eine nie gekannte tiefe Rührung durch sein Gesicht, dann breitete er die Arme aus, Thränen füllten seine Augen und strömten über seine Wangen, und mit den leisen Worten: Mein Bruder, mein geliebter Bruder! hielt er ihn krampfhaft fest umschlungen. Liebend fanden sich ihre Herzen, als sie, Auge in Auge, die edelsten Flammen der Freundschaft brennen sahen, und so ging die Thür plötzlich auf und Liane trat mit Aurelien herein.

Leopold war so heftig erregt und begeistert, wie ein Grieche, der eben in den olympischen Spielen gesiegt, und seinem Waffenbruder ewige Liebe geschworen hat. Er riß sich aus Gilgenström's Armen und faßte Lianens Hand, die er küßte; einen Augenblick nur vermochte er nicht zu sprechen. Dann erglühten seine Wangen, und seine heißen Blicke hefteten sich auf das schöne erstaunte Mädchen.

Ich habe meinen Freund endlich gefunden, sagte er, und nun Liane entscheiden auch Sie über mich und mein Glück. –

Liane ergriff mit einem sanften Lächeln Aureliens Hand.

Entscheiden Sie selbst, Walther, sagte sie, hier sind wir beide, fragen Sie Ihr Herz und wählen Sie die Braut.

O, meine Schwester! rief Aurelie zitternd, und verbarg ihr Gesicht an Lianens Brust.

Walther stand von Glück und Zweifeln durchzuckt, von Schmerz und Freude zu gleicher Zeit angefallen, und bittend, beschämt und ungewiß starrte er Lianen an.

Ist es Ihnen nicht zur unumstößlichen Gewißheit geworden, Walther, sagte diese, daß Aurelie Sie weit glücklicher machen wird, als ich es kann? Was zögern Sie, wenn Sie das empfinden? Hier erwartet Sie ein treues, liebendes Herz, das meine hat längst sich darauf beschränkt, Ihre Freundin zu sein.

Sie legte Leopold's Hand leise in die ihrer Schwester. Da ging die Liebe gewaltig und siegreich in den Herzen auf; Aurelie sah Walther zu ihren Füßen; sie fühlte seine Küsse, und plötzlich war sie in seinen Armen, selig weinend und leise seinen Namen rufend.

Still wendete sich Liane ab und ihr feucht schimmernder Blick begegnete Gilgenström's Blicken. Sie schauten sich beide prüfend und gleichsam verwundert an. Ein edles Feuer brannte in Lianens Augen, eine göttliche Erhebung des vollbrachten schönen Werkes glänzte darin. Aureliens irdisches Glück, der Jubel ihrer Liebe, fanden hier einen geistigen Wiederschein freudiger Genugthuung und sinnenden Kummers um die eigenen verhehlten Schmerzen.

Gilgenström aber war innig gerührt. Er las in Lianens Zügen, und, was er längst geahnet und gewußt hatte, erfüllte ihn jetzt plötzlich mit Entzücken. Er nahm Lianens Hände und sah schweigend in ihr sanft erröthendes Gesicht.

Ein tief Reuiger steht vor Ihnen, meine schöne Freundin, sagte er, darf er auf Vergebung hoffen? Liane, können Sie sich entschließen, einem Manne zu leben, der thöricht genug war, bis vor wenigen Stunden die Stimme des Herzens dem unterzuordnen, was er seine Grundsätze nannte? Ein eitler Traum wollte mein Lebensglück auf immer zerstören, eine seltsame Fügung erweckte mich zur rechten Zeit, und da bin ich nun, theuerste Liane, beschämt, verwirrt, aber voll liebender Verehrung für Sie. Wollen Sie die Erdentage mit mir theilen, in Glück und Weh mein sein; ja, mein auf ewig?!

Seine Stimme zitterte bei diesen Worten, und als Liane in seinen Armen ihm leise zuflüsterte: O! Gilgenström, unsere Liebe ist nicht ein Kind dieses Augenblicks, darum wird sie uns auch nie verlassen! da preßte er sie mit heißer Zärtlichkeit an seine Brust, der letzte Rest der kalten Scheidewand fiel von ihm ab, und ihre Lippen glühten unter dem Brautkuß.

In diesem Augenblick trat der Baron herein und als er Lianen in Gilgenström's Armen fand, übersah er es fast, daß auch Leopold und Aurelie herbeikamen und seinen Segen verlangten. Es war ein zu großes Entzücken für ihn, seinen geheimen Wunsch erfüllt zu sehen, und von Lianen, als von seiner Nichte, der Gräfin Gilgenström sprechen zu können.

Nach allen Erläuterungen machte er zwar ein etwas ernstes Gesicht gegen das andere Brautpaar, als aber der Graf selbst Walther umarmte, ihn Freund, Bruder und Schwager nannte, und Aurelie mit dem lieben, zärtlichen Gesichtchen sich an seinen Hals hing, da konnte er freilich nicht widerstehen. Was der stolze Graf gut hieß, das mochte ihm auch wol recht sein, und im Grunde war er ein gutmüthiger Mann, der nur durch eben den Einfluß, welcher ihn jetzt bestimmte, sich gegen seine natürlichen Ueberzeugungen verhärtet hatte.


12.

Schöne, glückliche Tage und Wochen waren vergangen, ehe der vielmals fest bestimmte Entschluß, nach der Hauptstadt zu reisen, ausgeführt wurde. Endlich ward die Fahrt angetreten, aber auf einem weiten Umwege, denn der Baron bestand darauf, erst einen Besuch auf seinen eigenen Gütern zu machen. Hier gab es Vieles zu schaffen und zu thun. Der Baron ordnete die vormundschaftlichen Verhältnisse und zeigte den beiden Freiern mit ängstlicher Genauigkeit, was sie an Mitgift zu erwarten hätten. Es war nicht bedeutend, allein der Besuch selbst auf dem Gute, das sehr schön im Gebirge lag, gab Gelegenheit, daß Herr von Wüstenberg sich ganz mit Walther aussöhnte.

Er bemerkte nämlich, daß der junge Mann, in dem er noch immer gern den Leichtsinnigen erblickte, ganz gescheute Ansichten über den Landbau und dergleichen hatte, wozu Walther eigentlich weiter nichts beitrug, als daß er den Ansichten des Barons beipflichtete. Aber er war äußerst erfreut, als er hörte, daß Walther selbst das Gut übernehmen, es durch Ankauf eines nahe liegenden größeren Besitzes vermehren und den besten Theil des Jahres mit Aurelien hier wohnen wolle.

Nun fand sich auch der väterliche Freund der Schwestern, der alte Baron Lanken, hier ein, vor welchem Herr von Wüstenberg, trotz dessen, daß er ihn heimlich einen Poeten nannte, die größte Achtung hegte; und als dieser liebenswürdige Greis ihm versicherte, daß Walther ein Mann von Herz, Geist und Kenntnissen sei, ein Neffe oder Sohn, wie er ihn sich selbst wünschen möchte, so war der letzte Zweifel gehoben. Bald entdeckte auch der Landschaftsrath selbst so viele gute Eigenschaften an Leopold, daß er ihn herzlich lieb gewann, und als man die Reise nach Berlin antrat, war er vollkommen mit ihm ausgesöhnt.

Der alte Herr Walther war inzwischen seit längerer Zeit fast ganz ohne Nachricht von seinem Neffen geblieben. Er wußte nur, daß dieser mit der Familie Wüstenberg nach der Heimath gereist sei und schon gab er sich mancherlei Vermuthungen und schweren Sorgen über Leopold's Treiben hin, als er plötzlich einen Brief empfing, der ihm sagte, daß dieser in den nächsten Tagen bei ihm eintreffen werde. Das Schreiben war zugleich aber so spaßhaft und mit tausend dunkeln Winken und Anspielungen versehen, daß der alte Herr wol merken konnte, alle seine Sorgen seien höchst überflüssig. Endlich aber am Schlusse, sprang er ganz vergnügt vom Schreibfessel auf, denn da las er es mit deutlicher Schrift, alle seine Wünsche seien erfüllt, Leopold bringe die Braut mit, als einen reichen von Gott ihm bestimmten Schatz, und hoffe, daß dieser liebliche Vormund künftig sogar eine gewisse Herrschaft auch über den gestrengen bisherigen ausüben würde.

Nun war eine wunderbare Rührigkeit in dem alten Herrn erwacht. Er erinnerte sich seines Versprechens, die Ausstattung des Hauswesens des jungen Paares zu tragen, sehr wohl, auch wenn Leopold nicht scherzhaft darauf hingedeutet hätte, und ohne Geld zu schonen, ließ er das obere Geschoß so glänzend ausrüsten und so reich mit allen Gegenständen der Mode und des Luxus versehen, daß man denken konnte, auch mit ihm sei eine gänzliche Umwandlung erfolgt. Die Freude hatte sein altes Herz erwärmt und alle Bedenklichkeiten ausgetrieben. Er ordnete und schaffte Alles selbst und nichts genügte ihm bei dem Gedanken, daß seine Kinder bald hier wohnen und ein heiteres schönes Leben führen sollten, wo so lange Einsamkeit und Schweigen geherrscht hatten.

An einem schönen Morgen führte Walther Aurelien die Straße herauf; der Baron, Liane und Gilgenström folgten langsamer, um den ersten Erklärungen Zeit zu lassen. Schon war Walther dicht in der Nähe des Hauses, als ein Vorübergehender grüßend seinen Namen nannte, und er den Assessor Seehausen vor sich sah, der sehr freundlich that. Walther erkundigte sich nach Adelheid und ihren Eltern, worauf der Assessor ihm sagte, daß alle sich wohl befänden, Adelheid aber seit zwei Wochen seine Frau sei.

Walther wünschte ihm von Herzen Glück, indem er ihm zugleich Aurelien als seine künftige Gattin nannte. Mit wahrer Freude drückte ihm Seehausen die Hand.

Es macht mich glücklich, sagte er, das zu hören. So haben Sie mir denn gewiß vergeben, daß ich einst auf Ihre Kosten eine kleine Intrigue spielte?

O! vollkommen, erwiderte Leopold lächelnd.

Und wir freuen uns aufrichtig gegenseitig unseres Glück's? fragte der Assessor.

Meine Wünsche können nicht reiner sein, versetzte Leopold. Aber –

Ich weiß, was Sie sagen wollen, fiel der Assessor ein, allein ich denke, manche der frühern kleinen Schwächen meiner lieben Adelheid werden sich ganz geben, wenn sie fortfährt mit der Liebe auch die Achtung immer höher zu verbinden, welche sie für mich empfindet.

Er warf hierbei einen klugen, scharfen Blick durch seine Brillengläser auf Aurelien und sagte leise zu Leopold:

Solchen kleinen, eigensinnigen Frauen muß, man freilich mit der gehörigen Consequenz entgegentreten.

Er empfahl sich und Leopold vergaß ihn schnell, als er den weißen Kopf seines Oheims am Fenster erblickte. Das hagere, ehrwürdige Gesicht war so voll Liebe und Freude, daß es ganz verklärt herunternickte und aller Ernst des Geschäftsmanns, wie die Schwerkraft der Jahre selbst, waren vergessen, denn mit jugendlicher Hast kam er dem jungen Paare schon an der Treppe entgegen. Walther warf sich an seines Oheims Brust und dieser hielt den Kopf des. ungestümen Neffen zwischen seinen Händen, den er drückte und küßte und ihn zärtlich betrachtete. Nach einigen Augenblicken aber rief er:

Wo ist denn nun die Braut, Du bekehrter Sünder; wo ist die Heilige, der das fromme Werk gelungen ist?

Hier ist sie, rief Leopold, indem er Aurelien umarmte und den erstaunten Oheim mit der andern Hand festhielt.

Was Lianens hoher Ernst des Lebens nicht vermochte, das gelang dieser süßen, immer fröhlichen Kindlichkeit des Herzens. Die Liebe hat mich erzogen und zur Erkenntniß geführt, mein guter Oheim. Ich empfinde nun alle meine Fehler, aber ich bin darüber hinausgereift, und will glücklich machen, um es zu sein.

Als der alte Herr sich von seinem ersten Erstaunen erholt hatte, war es ihm eigentlich viel lieber, daß es Aurelie war, als Liane, und wenn er Alles überlegte, fand er auch, daß die jungen Herzen weit besser zusammenpaßten, als jene. Mit väterlicher Freude und Rührung schloß er das liebliche Mädchen an seine Brust, segnete sie als seine Tochter, und war so entzückt von ihrer natürlichen Liebenswürdigkeit, daß er völlig überzeugt war, Leopold könnte gar nicht anders handeln, wie er gethan.

Mit etwas finsteren Blicken sah er dagegen seine Freude durch den Eintritt der übrigen Gesellschaft und besonders des Grafen unterbrochen, dessen Verbindung mit Lianen er mit bedauernden Blicken auf die schöne Braut anhörte. Aber wie Alles sich fügt, wenn der rechte Wille die Kräfte ordnet, so dauerte es gar nicht lange, und Gilgenström war ausgesöhnt mit dem Banquier. Er legte es recht darauf an, sich die Zuneigung des alten Herrn zu verschaffen, der dafür gegen Leopold behauptete, er habe sich sehr in diesem Grafen geirrt, denn es sei doch eigentlich, wenn man ihn näher kenne, ein vortrefflicher, tiefverständiger, junger Mann, den er äußerst hochachte, ja vielleicht lieben könnte, wenn er nicht einen fatalen Zug im Gesicht hätte, ein so starres durchbohrendes Auge nämlich, als wolle er, Gott weiß, welche Geheimnisse ihm erforschen.

An demselben Nachmittage noch traf Leopold auf Fahnenberg, der ihn mit einigen spöttischen Worten empfing. Nach ein paar gewechselten Reden sagte jener:

Ich hoffe, wir haben gegenseitig Neuigkeiten zu hören. Der Graf, unser kriegerischer Freund hat seinen Oheim beerbt, seine Schulden bezahlt, und wenn Sie einige Minuten eher hier waren, hätten Sie ihn in seiner neuen Equipage sehen können. Er fährt jetzt bei den Fenstern vorüber, wo er früher zu Fuß grüßte. Was den Capitain Ramsdon betrifft, so hat er vor einigen Tagen bei unserm speculativen Freund ziemlich alles verloren, was er besaß. Wir spielten Ecartée, und nun ist er schnell, ich weiß nicht wohin, zu einem Verwandten gereist, um sich ein halbes Jahr ernähren zu lassen, dann wird er sich erholt haben und wiederkehren; Sie aber, mein Freund, ich sehe es Ihnen an, Sie sind erlöst.

Ein ganz Seliger, sagte Leopold.

Frei von dieser Liane, die Sie mit ihren Fesseln erdrückt hatte?

Ganz frei!

Nun, so hüten Sie sich, je wieder die Götter zu versuchen. Ueberlassen Sie die Ehe den Schwachköpfen, die der Himmel dafür geboren werden ließ. Männer wie wir, denen das Leben gehört, müssen sich mit der freien Liebe begnügen. Haben Sie nichts zu thun, so lassen Sie uns heut bei dem speculativen Freund soupiren.

Ich danke, sagte Walther mit einem zweideutigen Lächeln, ich bin heut mündig geworden.

Also die Erbschaft angetreten, rief Fahnenberg mit leuchtenden Augen. Nun ich denke, Sie sind mit der Verwaltung Ihres Oheims zufrieden?

Ich finde mich weit reicher, als ich vermuthen konnte, versetzte Leopold, und dabei fällt mir ein, daß ich noch in Ihrer Schuld bin, und meinem Gönner aus der Hölle Kapital und Zinsen zu entrichten habe. Besuchen Sie mich morgen, lieber Freund, und wenn es Ihnen möglich ist, ersuchen Sie auch den bewußten Herrn, zu kommen.

Fahnenberg sagte lächelnd:

Wir werden nicht fehlen, und heimlich rieb er sich die Stirn und flüsterte in seinem Herzen: Es müßte doch sehr sonderbar zugehen, wenn wir diesem leichtsinnigen glücklichen Erben mit der Zeit nicht auch einige nachdenkliche Stunden bereiten sollten, auf daß er zur höheren Einsicht gelangen möge.

Am nächsten Morgen erschienen die beiden Herren und nach vielen lustigen Gesprächen, nachdem sie ihr Geld empfangen hatten und eben in Leopold drangen, heut einer glänzenden Abendgesellschaft beizuwohnen, hörte dieser scharf in das Nebenzimmer und sagte dann:

Heut, meine Herren, o! so gern ich möchte, so interessant mir Ihre Gesellschaft ist, allein heut ist es unmöglich, denn ich feire heut meine Verlobung und hier – er faßte Aureliens Hand, welche soeben mit Lianen und dem Grafen hereintrat, – hier habe ich die Ehre, Ihnen meine Braut vorzustellen.


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