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[Zweiter Theil.]
Es hängt ein Wetter an den Bergen, sagte der alte Blawerpoult, indem er seine mächtige Nase zum Fenster hinaussteckte, und noch niemals ist der Sturm ausgeblieben, wenn die weiße Spitze da oben so röthlich funkelte. Dann horchte er wieder hinaus, wie es von der See dumpf herauf dröhnte und nun nickte er mit dem Kopfe und sprach vor sich hin. Das kenne ich wohl, murmelte er; der Wind stößt in die Klippen, dort jenseit der Bai hinter Whitehaven, das klingt dann fast wie Hornmusik, aber die bösen Hexen, da oben in dem Felsen, tanzen dazu, und immer noch ist ein Unglück geschehen, wenn's so war. Gott der Allmächtige beschirme die armen Menschen, welche jetzt auf den Wellen schaukeln, und die arme Stadt dort unten.
In dem Augenblick zerriß ein Windstoß den grauen Abendhimmel. Ein falbes Licht, dem ein glänzendes Sonnengefunkel folgte, fiel auf einige Augenblicke durch diesen Spalt, und aus den Meernebeln und den Rauchwolken ihrer dampfenden Essen wickelte sich die lebensvolle Handelsstadt los und stieg mit ihren Thürmen und hohen Waarenhäusern in den Himmel auf.
Das ist ein schöner Anblick, sagte der alte Mann und faltete die Hände, ein erhebender Anblick für jedes gute Herz in den drei Königreichen. Was war es sonst, als ich jung war, für ein kleines Nest, und nun ist es eine Stadt geworden, mit einem Mastenwalde im Hafen und mit Leuten, die es an Geld und Gut selbst mit den Herren in London aufnehmen.
Jetzt wandte er sich um, und als er sah, daß seine Frau hereintrat, that er wie ein guter Wirth bei drohender Gefahr. –
Mary, sagte er, halt Alles heut zusammen, alles wohl verschlossen. Krampt die Laden doppelt ein, verriegelt die Thüren an den Ställen und macht kein unnützes Feuer auf dem Herd. Der spitze Berg da hinten hat seine rothe Mütze aufgesetzt. Der Kerl sieht aus wie einer der verfluchten Monsieurs aus Paris, wie sie die Hausirer jetzt bei uns umhertragen; aber wollen's ihm wohl zeigen, daß wir uns nicht fürchten. Wo ist Molly?
Die Frau, welche ein echt schottisches Gesicht, starkknochig, mit beweglichen, schlauen, aber gutmüthigen Augen hatte, lächelte ihren Eheherrn an und indem sie seine Hand ergriff, sagte sie, so sanft sie konnte:
Molly ist in ihrer Kammer, sie weint.
Gieb wohl Acht, Mary, erwiderte er mit rauher Stimme. Halt sie kurz, sie ist eine Närrin!
Thomas Blawerpoult, versetzte die Frau eifriger, Dein Kind ist ein gutes Kind. Wo wäre ein Mädchen weit und breit, die es mit ihr aufnähme? Alle Arbeit fliegt, als wär es Spiel, von ihren Händen; auch hat sie in der Schule etwas gelernt und ein Gesicht vom lieben Herrgott bekommen, in das Jedermann gern hineinsieht.
Es soll aber nicht Jedermann gern hineinsehen, rief der närrische Alte. O, ihr Weiber! nichts vertheidigt Ihr besser, als Eure Eitelkeit! Ja, unterstützten die Mütter die Tochter nicht so sehr in der Sünde, so würde diese wohl einmal ausgerottet werden; aber jede hält ihr Kind für das schönste und beste, fördert Leichtsinn und Widerspruch, und somit ist's unmöglich. Die Welt wird immer schlechter.
Ist es denn Dein fester Wille, Thomas, sagte die Frau eindringlich, daß die arme Molly den Krämer aus Whitehaven heirathen soll?
Die gebeugte Gestalt Blawerpoult's richtete sich empor, sein hartes Gesicht wurde roth vor Zorn.
Bring mich nicht auf, Mary, sagte er, und legte die Faust so fest auf den Tisch, daß dieser zitterte. Was ich gesagt habe, hab' ich gesagt. Herr Willby ist auch kein Krämer, er ist ein Kaufmann, der seine Schiffe nach Lork schickt, und sogar aus dem Kanal, Gott weiß wie weit, in das unermeßliche Meer hinein. Aber dahinter steckt etwas, fuhr er fort, und ich merkte es längst. Da ist der Pachter von Kittigate, Ralf Sorton, der junge große Bengel, der nichts hat als seine verschuldete Pachtung, den möchte die Dirne lieber.
Und kannst Du's ihr verdenken, Blawerpoult, wenn es so wäre? versetzte die Frau. Ralf ist ein junger, fleißiger und hübscher Mann; Willby mit seinem langen englischen Gesicht, seinem dürren Leibe und seinen vierzig Jahren, eine Vogelscheuche. Kann der einem solchen Mädchen gefallen, wie unsere Molly ist? Ich habe mein Lebtage nicht einen Menschen gesehen, der so häßlich gierig aussähe. Er weiß auch recht gut, daß es so schlecht nicht mit uns steht, daß wir ein hübsches Sümmchen erspart haben, daß dies Freigut Dein ist, ohne Schulden, und Molly ist unser einziges Kind!
Einfältiges Zeug, rief Blawerpoult, wenn wir besser im Wohlstande sind als früher, wem verdanken wir's, als Master Willby? War er es nicht, der mir Antheil an dem großen Kohlenwerke und an dem Productenhandel nach Irland verschaffte?
Und damit lernte er kennen, was wir haben, der filzige Krämer, fiel Mary giftig ein. Es ist eine Schande, daß Du Dein einziges Kind um Geld und Gut verkaufen und unglücklich machen willst.
Blawerpoult blieb nicht ganz unempfindlich bei diesen Vorwürfen. Statt aufzufahren, wie es wohl zu erwarten war, saß er nachdenkend im Lehnstuhle, den Blick starr vor sich hingerichtet.
Unglücklich machen, murmelte er, der Herr bewahre mich! Was will die Närrin? Es ist ein tüchtiger Mann, ein Mann von Ansehen und hochgeachtet in der ganzen Stadt.
Davon wächst die Liebe nicht in einem jungen Herzen, fiel Mary ein.
Ruf sie her, ich will selbst mit ihr reden, sagte der Vater; ich will sehen, ob sie Vernunft annehmen will und kann. Es ist Zeit, Willby muß heut noch kommen.
Molly, rief die Frau zur Thür hinaus, und nach einigen Minuten trat ein schlank gewachsenes Mädchen mit einem klugen sanften Gesicht herein. Ihre wohlgebildeten Züge trugen das Gepräge einer Aufregung und Angst, welche sie vergebens hinter einer gewaltsamen Ruhe zu verstecken strebte. Ihre Lippen suchten zu lächeln und zuckten dabei, das freundliche Auge beobachtete abwechselnd schnell den strengen Vater und das theilnehmende Gesicht der Mutter.
Komm zu mir, Molly, sagte Blawerpoult, und faßte ihre Hand, die leise in der seinen zitterte. Du bist ein kluges, anstelliges Kind, fuhr er fort, als das Mädchen sich gesetzt hatte, immer bin ich mit Dir zufrieden gewesen und habe Dich gesegnet, als meine liebe einzige Tochter; so sei auch jetzt gut und klug, wo es sich um Deine Zukunft handelt. Willst Du?
Ich will, sagte Molly leise, aber Vater –
Hör' mich an, unterbrach sie Blawerpoult, und vor allen Dingen zeige auch Vertrauen zu mir. Ich habe Dich fromm und ehrbar erzogen. Gott sei gelobt! kein Makel ist an Dir. So sage mir denn aufrichtig, ob Dein Herz schon auf verbotenen Wegen wandelte; und ob Du, ohne daß wir etwas davon wissen, mit einem Manne ein heimliches Liebesverhältniß angeknüpft hast, wie es junge Dirnen wol thun.
Hier schlug Molly ihre Augen feurig auf, aber alle Röthe wich aus ihrem Gesicht, als sie die finstere Miene ihres Vaters sah.
Nein, nein! stammelte sie leise.
Es ist gut so, mein Kind, und ich hab' es erwartet. Nun höre, was ich sage. Herr Willby aus Whitehaven hat um Dich bei mir geworben, wie es Sitte ist. Willby ist ein reicher und guter Mann, darum habe ich »ja« gesagt. Du wirst mein Wort nicht zu Schanden werden lassen.
Vater, sagte sie mit heftiger aber halb erstickter Stimme, ich liebe ihn nicht, Du wirst Deine Molly nicht elend machen wollen.
Ich will mein Kind glücklich machen, erwiderte der alte Schotte kaltblütig, und wenn es ein kluges, gutes Kind ist, wird es folgsam sein. Willby ist freilich kein junges Bürschchen mehr mit braunen Locken und zweiunddreißig weißen Zähnen; dafür aber hat er wol für jeden Zahn, der ihm fehlt, ein paar tausend Pfund, dazu ein schönes Haus in der Stadt und manch Schiff auf dem Meere. Willst Du eine Närrin sein, gut, ich zwinge Dich nicht. Es soll von mir nicht heißen, ich habe Dich elend gemacht; aber bedenke wohl, was Du thust, bedenke, daß Willby mein Wort hat, daß ich niemals zu einem Andern mein Ja sagen werde. Willst Du nun?
Laß es mich bedenken, Vater! erwiderte sie.
Du lügst! rief Blawerpoult drohend, aber hüte Dich, ich sehe bis in Dein falsches Herz. Ralf Sorton, das merke Dir, nie wird er Dich in die Kirche führen!
Ich dachte nicht an ihn, sagte Molly zitternd.
So höre weiter. Zwölf Jahre sind es, als wir arm hieher kamen, Du warst zu jung, um viel davon zu wissen. Die Zeiten waren schlecht, der Pachtzins hoch, es ging uns traurig genug; da lernte ich Henry Willby kennen und er fand Gefallen an mir. Damals war er ein junger Kerl von sechs oder achtundzwanzig Jahren, aber ein tüchtiger Kerl, der die Zeit zu benutzen verstand. Er war auch arm gewesen und kannte die Schliche, um zu erwerben. Damit unterstützte er mich und mit blankem Gelde obenein. Er leistete Vorschub, als ich das Gut pachtete, als ich es kaufte, gab er ein Capital her; und für alle diese Freundschaft verlangte er nichts von mir, als ein paar Mal im Jahre nach Irland zu gehen und Vorräthe dort drüben aufzukaufen, aber auch das zu unserm beiderseitigen Vortheil.
Mary lachte heimlich und murmelte zwischen den Zähnen:
Wenn der Wolf das Schaaf fressen will, wirft er des Schäfers Hund einen Knochen zu. Der pfiffige Willby wußte wohl, daß er Deine Erfahrungen benutzen konnte.
Und weißt Du wohl, Du dummes Mädchen, fuhr Blawerpoult mit gedämpfter Stimme fort, daß Willby ein Mann ist, den man mit dreyßig, mit vierzigtausend Pfund nicht auskauft? Weißt Du wohl, daß er anklopfen könnte an des Mayors Thür in Whitehaven, an Häuser, wo die größten Messingplatten sitzen, und man würde ihn willkommen heißen.
Möchte er doch, seufzte Molly leise.
Und solch ein Mann verschmäht die reichen, schöngeputzten Damen, die sich die Augen nach ihm aussehen, und kommt zu uns, zu Dir, Molly. Ist das keine Ehre? Ist das kein Glück? Willst Du Deinem alten Vater die Freude nicht machen, Dich in dem großen, schönen Hause da unten zu sehen; und wie sie Alle staunen, wie sie sich alle ärgern, daß des alten Blawerpoult's Tochter sie ausgestochen hat? Molly, mein Kind, willst Du nun?
Da wurde draußen mit dem schweren Eisenklopfer an die Thür geschlagen.
Er ist es, rief der Alte, es ist Willby, nun sprich und sei vernünftig.
Gott erbarme sich meiner! sagte das arme Mädchen verzagend, und warf einen trostlosen Blick zum Himmel auf, der mit drohend dunklen Wettern ganz bedeckt war.
In dem Augenblick that sie einen lauten Schrei, denn durch die Scheiben starrte ein schreckliches Gesicht. Dunkelroth war es, ein struppiger Kopf mit wilden erbarmungslosen Zügen und großen, funkelnden Augen. Im nächsten Augenblick war es verschwunden.
Bist Du toll geworden? rief Blawerpoult zornig. Du sollst und mußt verständig sein. Da ist Willby!
Die Thür ging auf und ein Mann trat herein, der von der Magd, die ihm das Haus geöffnet hatte, begleitet wurde.
Guten Abend, Master Willby, rief Blawerpoult freudig; aber der Ton erstarb ihm, denn er sah einen Fremden vor sich, der von seinem erwünschten Eidam völlig verschieden war.
Der Unbekannte war mit einem weiten, dicken Ueberrock bekleidet, wie ihn Seeleute tragen, der seinen schlanken und fast zart gebauten Körper dicht umhüllte. Sein Gang war leicht, seine Brust hoch gewölbt, den Kopf trug er stolz auf seinen Schultern, und dieser Kopf selbst hatte in seinen weich und regelmäßig geformten Zügen etwas Zierliches und doch Keckes und wunderbar Kühnes. Als er den Hut abnahm, fiel sein braunes, dichtlockiges Haar, das gegen die Sitte der Zeit und der Seeleute insbesondere, in keinen Zopf zusammengeflochten war, über die Stirn und versteckte fast die schalkhaft blitzenden Augen. Ein anmuthiges Lächeln schwebte auf seinen Lippen, und dieser schöne Jüngling hätte leicht für ein vermummtes Weib gelten können, wenn seine kräftige starke Sprache nicht dagegen gezeugt hätte.
Verzeiht, Herr, sagte er, wenn ein Ermüdeter Euch beschwerlich wird. Ich ging vorüber, sah Licht hier, sah durch Euer Fenster Euch sitzen, und da ich ganz fremd hier bin, und Nacht und Sturm losgelassen sind: so nehme ich Eure Güte in Anspruch, um mir den rechten Weg nach Whitehaven hinabzuzeigen.
Sie haben eine kleine halbe Stunde, sagte Blawerpoult, aber es ist ein beschwerlicher Weg. Da Sie ermüdet sind, so setzen Sie sich, und wenn die Zeit Sie nicht drängt, so hoffe ich, wird bald Jemand hier sein, der dann mit Ihnen bis in die Stadt geht.
Der Fremde sagte ein Wort des Dankes, legte Ueberrock und Hut ab, und zeigte seinen jungen Körper nun in einer blauen, vielbeknopften Seemannsjacke, an der auf jeder Schulter ein silberner Anker gestickt war. Molly sah ihn prüfend an. Sollte dies dasselbe Gesicht sein, das mir so entsetzlich vorkam? sagte sie, und dann lächelte sie und dankte Gott, daß es nicht Willby war, sondern ein Mensch, dessen Anblick sie wunderbar ermuthigte.
Der junge Fremde hatte indeß in der ungezwungensten Weise Besitz von einem der großen Lehnstühle genommen. Aus der Seitentasche seines Kleides zog er Cigarren, die in einem feinen Strohgeflecht steckten, welches in den spanischen Colonien Westindiens gemacht wird. Dann schlug er Feuer mit Hülfe einer silbernen Zunderbüchse und bot auch seinem Wirth davon an, der es ablehnte und nachdenkend das frische Gesicht seines Gastes betrachtete, welchen er irgendwo schon gesehen haben wollte.
Da täuscht Ihr Euch, sagte dieser, ich war nie in diesen Gegenden.
Aber Ihr seid ein Schotte, Herr?
Woher merkt Ihr das? fragte der junge Mann lebhaft.
Ich hör' es an Eurer Sprache, sagte Blawerpoult mit vieler Selbstzufriedenheit, und Schotten erkennen sich überall auf der Erde. Seid willkommen, Landsmann, und Mary bring herein, was Du Gutes für uns hast. Bin ich doch auch über den Solway erst vor funfzehn Jahren in's englische Land gewandert; aber es läßt sich wohl darin leben. Es ist ein Land der Freiheit!
Ein Land der Knechtschaft! sagte der Fremde stolz.
Wie, Landsmann, erwiderte der Alte vorwurfsvoll, gehört Ihr auch zu den Leuten, wie es leider so manche jetzt gibt, die Alles tadeln und besser wissen, die es sogar mit den Verschwörern in Amerika halten, und Unruhen überall anzetteln wollen?
Und gehört Ihr auch zu den Schotten, erwiderte der Fremde lachend, die so ganz und gar Engländer geworden sind, daß es ihnen gar nicht mehr wehthut, den schottischen Namen immer mehr verschwinden zu sehen? Alles ist englisch geworden in und an euch, fuhr er fort; wo es Geld zu erwerben gibt, seid ihr da, und die alte schottische Freiheit kümmert euch keinen Pfifferling mehr, denn es läßt sich nichts damit verdienen. Darum kümmert ihr euch auch nicht um die Menschen jenseit des Meeres in den Colonien und um ihre Rechte, die mit Füßen getreten werden. Wie die gedrückt und gezwackt wurden, das ging euch nichts an, ja ihr fandet es recht und billig, denn euer Handel gewann dabei und eure Fabriken; als sie aber endlich die Waffen ergriffen und das Joch abschüttelten, da schrieet ihr: Greift und hängt die Verräther, die es wagen, Altenglands Freiheit anzutasten!
Herr, sagte Blawerpoult ganz ernsthaft, ich wollte nicht, daß Euch so ein Mann sprechen hörte, den ich bald aus der Stadt erwarte, und der Amt und Würde darin bekleidet. Ihr redet, als wäret Ihr selbst ein Amerikaner.
Ach Possen! versetzte der Fremde. Ich wollte Euch nur zeigen, wie es mit englischer Freiheit bestellt ist. Eine Freiheit ohne Gerechtigkeit ist selbstsüchtige Tyrannei, und gerade herausgesagt, Herr Blawerpoult, ich bin ein Schotte und liebe die Engländer nicht allzusehr.
Aber Ihr seid in ihrem Lande, fiel der Gutsherr nachdrücklich ein. Mancherlei ist in der letzten Zeit geschehen gegen Menschen, die so sprachen, wie Ihr.
Seht Ihr wohl, sagte der Unbekannte lachend, da gebt Ihr nun selbst ein Beispiel, wie es mit der englischen Freiheit bestellt ist. Aber ohne Sorge, Herr, ich komme aus London, und dort reden Menschen und Zeitungen ganz anders.
In London, erwiderte Blawerpoult, ja in London mag es wol angehen, so zu reden. Ich habe auch wol Blätter gelesen, wo Gott und Menschen zu Zeugen aufgerufen wurden, wie gräuliches Unrecht den armen Leuten in Amerika geschähe, wie man sie zwänge, Rebellen zu werden, und Lord North Frederick North, 2nd Earl of Guilford (1732-1792), von 1752 bis 1790 bekannt unter dem Höflichkeitstitel Lord North, war von 1770 bis 1782 Premierminister von Großbritannien und einer der Hauptakteure im Konflikt um die amerikanische Unabhängigkeit. mit dem ganzen Ministerium den Galgen verdiene und doch die Stricke dazu nicht werth sei. Das kann man in London wol sagen, aber hier ist es anders.
Wie, zum Teufel! sagte der Fremde, darf man in dem freien England selbst nicht mehr sprechen?
Versucht's, erwiderte der Alte, und Ihr werdet die Folgen schon spüren. Die Patrioten leiden es nicht und entweder werden Euch die Glieder zerschlagen, oder man klagt Euch gar an, schleppt Euch vor Gericht und in's Gefängniß, beschwört es, daß Ihr den König gelästert und die Religion verflucht habt, oder legt Zeugniß ab, daß Ihr irgend etwas stahlt, sei's ein Geldbeutel, den man Euch absichtlich in den Weg legte, oder ein Taschentuch, das man Euch finden ließ, kurz: der Strick für Euch findet sich, und Ihr seid gehängt, ehe Ihr's denkt, oder nach Botani-Bai Am 29. April 1770 wurde die Botany Bay Schauplatz der ersten Landung der Briten an der Ostküste Australiens durch James Cook. Die Anlandung deportierter britischer Strafgefangener ab 1788 erfolgte jedoch nicht in der Botany Bay, sondern in der nördlich gelegenen und später Port Jackson benannten Bucht. Gleichwohl blieb Botany Bay der Begriff für Strafdeportation nach Australien. geschleppt, oder wenigstens drei, vier Monate auf die Tretmühle gesperrt.
Und das nennt Ihr altenglische Freiheit? sagte der Unbekannte mit erneutem Lachen.
Hehe! sagte Blawerpoult und horchte zum Fenster hinaus, jetzt kommt der rechte Mann.
Man hörte den raschen, festen Tritt eines Mannes, der an der Thür stillstand.
Das ist er, so wahr ich lebe, das ist Willby!
Er ging hinaus, und der Fremde lehnte sich behaglich in den bequemen Lehnstuhl zurück.
Wer ist dieser Willby? sagte er.
Ein Kaufmann aus Whitehaven, erwiderte Molly leise.
Und ein Bräutigam dazu? flüsterte er.
Woher wissen Sie das, Herr? sagte sie erschrocken zitternd.
Ich hörte es am Fenster, und errieth, was ich nicht hörte. Er ist häßlich und alt?
Ach, ja!
Und Sie wollen ihn, schöne Molly?
Sie sah ihn bittend an und faltete die Hände.
Nein, nein! rief sie angsthaft.
Gut, wir wollen uns gegen ihn verschwören.
Heut noch soll ich ja! sagen, flüsterte sie seufzend und vertraulich.
Daraus wird nichts; ich duld' es nicht, versetzte der Fremde mit Zuversicht. Wie wäre es, wenn ich an seine Stelle träte? Wollen Sie mich, Molly?
Ach Herr! sagte sie ängstlich und vorwurfsvoll, wie können Sie so grausam scherzen.
Seien Sie still, murmelte er, sie kommen zurück; aber Vertrauen, Molly, und ich beschütze Sie.
Blawerpoult und Willby traten herein. Der letzte war in der That nicht geeignet, um einem hübschen Mädchen zu gefallen. Er war häßlich, hatte einen lauernden Blick und einen hochmüthigen Zug im Gesicht, den seine verliebte Freundlichkeit nicht ganz fortwischen konnte. Er begrüßte Molly mit einem plumpen Scherz über ihre Schönheit und reichte ihrer Mutter die Hand, als diese jetzt hereintrat, um den Tisch zu bestellen. Man sah es wohl, wie er selbst empfand, daß er ein vornehmer Gast in diesem Hause sei, und daß er verlange, man solle seine Herablassung auch zu würdigen wissen.
Sie kommen spät, Master Willby, sagte der Alte. Wir haben Sie längst Alle freundlich erwartet.
Viele Geschäfte, unendlich viele Geschäfte, erwiderte Willby mit einer unangenehmen quäkenden Stimme. Bekam noch spät Briefe von London, Papiere aller Art, Zeitungen und Nachrichten, die Aufsehen machen und lächerlich sind. Stellt Euch vor, schreiben da Leute aus Amerika, sichere Leute sonst, die verfluchten Rebellen hätten den Plan gemacht, Raubschiffe auszurüsten und nach Europa segeln zu lassen, um, wie sie sagen, England in England zu bekriegen, und rathen uns, auf der Hut zu sein.
Das würd' ich selbst rathen, sagte der Unbekannte.
Willby sah sich ärgerlich um und starrte den Sprecher an. Ist das der Mensch, von dem Ihr mir sagtet, Blawerpoult? fragte er.
Ja, Herr Willby. Es ist, wie ich denke, ein Seemann, der von London und Liverpool kommt, und seinen Weg nach Whitehaven sucht. Ist's nicht so, Herr?
Ja wol, Herr, sagte dieser. Ich war Steuermannsgehülfe auf einem Westindienfahrer, der abgelohnt hat, und suche nun meinen Weg zum Glück.
Wie nennt Ihr Euch? fragte Willby.
David, Herr.
Wenn Ihr Euch ausweisen könnt, David, sagte der Kaufmann hochmüthig, so könnte es sein, daß ich selbst Euch benutzen würde. Meldet Euch morgen bei mir, ich brauche Steuerleute für zwei meiner Schiffe.
Er beobachtete die Wirkung dieses Vorschlags, aber zu seinem Aerger und Erstaunen war sie sehr gering. David nickte nachlässig mit dem Kopfe, und indem er die Füße weit ausstreckte und sich behaglich zurücklegte, sagte er:
Danke, Sir, aber ich schwimme nicht gern in Nußschalen umher. Meine Füße können nur auf einem Roß stehen, das den Ocean pflügt.
Auch dafür kann Rath werden, sagte Willby stolz, wenn Ihr Kenntnisse danach habt, die Euer anmaßendes Wort rechtfertigen. Mein Schiff »die aufgehende Sonne« liegt im Außenhafen segelfertig nach Jamaica, ein vierhundertfunfzig Tonnenschiff, wo ein Steuermannsgehülfe gebraucht wird.
Liegen viel Schiffe in Whitehaven? fragte David mit einer spöttischen Betonung. So werd' ich sie morgen früh besehen, und das wählen, was mir am besten gefällt. Was aber die Raubschiffe betrifft, die aus Amerika kommen, so lacht man in London darüber, wie Ihr es thut. Mir scheint es jedoch, man sollte sich in Acht nehmen.
Was versteht Ihr davon? sagte Willby ärgerlich. Was wollen diese rebellischen Hunde uns in England thun?
Dasselbe, was die Engländer bisher in Amerika thaten, Städte plündern, Eure Häuser und Schiffe verbrennen, und Menschen fangen und fortführen.
Hier schlug der Kaufmann ein lautes Gelächter auf. Wenn Ihr nicht ein junger Mensch ohne alle Erfahrung wäret, sagte er, müßte man Euch strafen, daß Ihr solche schlechte Meinung von Eurem Vaterlande äußert. Wie? dies Raubgesindel, das jenseit des Meeres zu Paaren getrieben, bald genug seine Frechheit theuer bezahlen wird, sollte seine elenden Schiffe bis nach England senden, dessen Küsten und Häfen von der mächtigsten Kriegsmarine der Welt beschützt werden? Empfindet Ihr den Wahnsinn nicht, der in Euren Behauptungen liegt? Ihr wollt ein Seemann sein, junger Mensch? Wollt auf einem Westindienfahrer gedient haben? Ihr seht aus fast wie ein Mädchen, und Eure Hände so klein und weiß, sind wahrhaftig nicht danach gemacht, um Taue zu knüpfen und das Steuerrad zu drehen.
Guter Mann, sagte der junge Mensch lachend und ohne sich zu bewegen, nehmt mein Wort, Ihr sollt erfahren, daß ich ein Seemann bin; aber freilich habe ich noch nie auf einem so schmutzigen Handelsschiffe gedient, wo die Offiziere theerbesudelte Hände haben.
Gut, Herr, gut, murmelte Willby und betrachtete ihn drohend, ich will die Ruhe dieses Hauses nicht stören, obwohl ich Euch, als des Königs geschworner Friedensrichter, verpflichten könnte, Euch morgen in Whitehaven zu melden. Ein Seemann seid ihr nicht.
Willby setzte sich hierauf gleichgültig an den Tisch, drehte dem unverschämten jungen Menschen verächtlich den Rücken zu und sagte:
Was diese Amerikaner betrifft, so lassen sie es freilich nicht an Worten fehlen. Da haben sie eine Proklamation erlassen, worin sie fürchterlich toben, wie man sie als Gefangene in England behandle. Statt froh zu sein, daß man sie nicht gleich alle als Rebellen aufknüpft, sondern in die Pontons steckt, wo sie mit grobem Brot und Kohlstrünken ganz leidlich ernährt werden, klagen sie über Unmenschlichkeit, über Verletzung der Menschen- und Völkerrechte und anderen Unsinn; und drohen sogar mit Repressalien.
Bei diesen Worten erhielt das sanfte Gesicht des Steuermann's einen wilden, drohenden Ausdruck.
Bei Gott! sagte er, Ihr, der Ihr diese Unmenschlichkeit in Schutz nehmt, wäret werth, selbst das Elend jener Unglücklichen zu empfinden. Ihr seid gewohnt, Euch an den reich besetzten Tisch zu setzen, und seht schon jetzt lüstern, nach den guten Speisen umher. Schlimm genug für Euch selbst, daß Ihr, als Engländer, die Schmach Eures Vaterlandes nicht empfindet, daß Ihr über die nichtswürdige Behandlung der armen Gefangenen, die Eure nächsten Blutsverwandten sind, frohlocken könnt.
Vertheidigt sie nur, rief Willby, das ist die Art aller unruhigen Köpfe, und Ihr, Herr, scheint mir ein besonderer Freund der Rebellen zu sein. Was es aber für Gesindel ist, geht aus einer Nachricht hervor, die auch heut erst angekommen ist. Sie haben im Congreß, wie sie ihr Mord und Brandcomplott nennen, einen berüchtigten Seeräuber, ein blutiges Ungeheuer in ihre Dienste genommen. Der schwärmt nun mit seinen Raubschiffen umher, versenkt Gut und Mannschaft aller Nationen, verbrennt, plündert und mordet, spießt und würgt, was er bekommen kann. Nun, Herr, wie? wollt Ihr das auch vertheidigen?
Jeder vertheidigt sich, wie er kann, sagte dieser. Aber ein Seeräuber ist meist lange nicht so schlimm, als es gesittete feine Engländer sind, die Söhne Eurer Lords und Herren, die nobeln Sprößlinge Eurer Aristokratie, welche Eure Fregatten und Schiffe befehligen und ärger als Seeräuber nach Beute gehen, plündern und zerstören, morden und brennen. Hättet Ihr gesehen, Herr, wie es in Wyoming herging, wie da die Söhne Altenglands Kinder auf ihre Bajonette spießten, Weiber schändeten, die sie dann mordeten, und mit ihren barbarischen Bundesgenossen, den rothen Indianern, um die Wette scalpirten, raubten, und die unmenschlichsten Grausamkeiten begingen, ich glaube zu Eurer Ehre, Ihr würdet eine andere Sprache führen.
Habt Ihr es denn gesehen? erwiderte der Kaufmann spöttisch.
Nein, aber ich habe es gelesen und Menschen gesprochen, die Augenzeugen waren.
Und die natürlich tüchtig logen, um England zu beschimpfen, sagte Willby. Aber wäre es auch so, wie sie behaupten, so ist es doch immer in Amerika, im Lande der verdammten Rebellen, fuhr er fort, indem er sein Messer nahm und tief in den saftigen Schinken fuhr, den Mary so eben auftrug; da ist's recht und lange nicht genug, denn sonst hätten sich die Uebelthäter wol unterworfen.
Ein Seeräuber! rief Blawerpoult, wie heißt er?
Willby schlug ein Blatt auf und sagte:
Hier steht's! Paul Jones John Paul Jones (1747-1792), Freiheitskämpfer schottischer Abkunft im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg; Jones gilt als Seeheld, US-amerikanischer Nationalheld und wird als einer der »Väter« der US Navy angesehen. Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges brachte er vor der Küste Englands und Schottlands britische Schiffe auf. Der historische Hintergrund dieser Novelle: Jones unternahm am 10. April 1778 von Brest aus auf eigene Faust einen Streifzug gegen die nördlichen britischen Küsten und kaperte die britische Sloop Drake. heißt der Kerl.
Paul Jones, murmelte Blawerpoult.
Hier ist er beschrieben, fuhr Willby fort. Es ist ein junger Kerl, von Geburt soll er ein Schotte sein.
Ein Schotte?! rief der Alte. Wär' es möglich!
Er ist groß, von der grimmigsten Entschlossenheit und hat eine furchtbare Körperstärke. Man hat gesehen, wie er mit Dreien zugleich focht und sie sämmtlich todt niederstreckte. Alle Versuche, seiner habhaft zu werden, sind immer gescheitert, obgleich ein Preis auf seinen Kopf gesetzt war und die besten Männer sich darum bemühten. Er schickte sie mit blutigen Köpfen nach Haus, oder wußte sich ihnen zu entziehen, denn er ist so tapfer wie schlau. Sein Schiff ist noch nie eingeholt worden, so wunderbar schnell segelt es, und wie wild und blutdürstig auch die Mörderbande ist, die er auf seinem Decke hat, so wagt doch keiner, Paul Jones mit einer Miene zu widersprechen, denn sie zittern Alle, wenn er sie ansieht.
Das muß ein gräßlicher Mensch sein, rief Mary und faltete die Hände.
In Whitehaven ist ein Bootsmann, der in seine Hände gefallen war, sagte Willby, dieser hat uns den Höllenhund beschrieben. Sein Gesicht ist fast gar nicht zu sehen vor einem wilden Bart, aus dem nur die Augen hervorfunkeln und eine große fürchterliche Nase. Von Natur ist er ein Riese, keine Kugel, sagen sie, kann ihm was anhaben, obwol das dummes Zeug ist; aber jeden Morgen trinkt er Blut und brüllt danach wie ein Vieh.
Gott erbarme sich, rief Mary, die leise mit ihrem Manne gesprochen hatte; nein Blawerpoult, das kann er nimmermehr sein.
Wer? fragte Willby.
Ach! es ist nur ein Reden, sagte die Frau. Seht, Master Willby, als wir noch in Arbeyland John Paul Jones ist in Arbigland geboren. Sein Vater John Paul war Gärtner. wohnten, gab's da einen Gärtner, Ned Paul, den sie auch Paul Jones nannten, und welcher oft zu meinem Alten kam. Er hatte einen Knaben, John Paul mit Namen, einen wilden, übermüthigen Burschen, aber gut und freundlich, so recht aus Herzensgrund. Wo es einen Streich auszuführen gab, war auch John Paul dabei; Böses aber hat er nie gethan, nein, Böses wird er auch nie thun, der arme John, und eine schwere Sünde wär's, wollte man glauben, er sei ein Räuber und Mörder geworden. Er konnte nie sehen, daß Jemandem Unrecht geschah. So arm er war, half er doch dem Nothleidenden, und die Schwachen schützte er mit seinen geringen Kräften. Da ist die Molly, wie oft hat er sie auf seinen Händen getragen, geherzt und geküßt, mit dem kleinen Mädchen Stunden lang geschwatzt und sie seine Braut genannt. Jones ward auch vom Unglück heimgesucht, und der Junge wollte durchaus kein Gärtner werden; er wollte auf's Meer hinaus, fort in die weite Welt. Der Vater mochte freilich nichts davon wissen, aber Blawerpoult redete so lange zu, bis es endlich doch geschah. Am letzten Tage, als er ging, war er noch bei uns. Wir küßten und regneten ihn Alle, und wie er das Mädchen da in seine Arme nahm, die weinte und ihn nicht loslassen wollte, sagte er: Wart, mein Mollchen, Dein John Paul kommt wieder, wenn er groß und reich geworden ist, und dann sollst Du seine Frau werden. Armer Sohn! er ist niemals wiedergekommen.
Sie war bis zu Thränen gerührt, vielleicht auch durch den Anblick ihrer Tochter, die bleich, mit starren Augen ihr gegenüber saß und den jungen Fremden betrachtete, der eifrig aß und trank und keinerlei Theilnahme äußerte. Erst jetzt sah er auf, und sagte gleichgültig:
Was ist denn aus dem alten Gärtner geworden?
Todt, todt! erwiderte Blawerpoult. Als ich vor zwei Jahren in Arbeyland war, habe ich das Grab des ehrlichen Ned besucht und mich mancher guten Stunde erinnert.
Willby hatte inzwischen sein Papier wieder nachgesehen.
Dachte ich's doch, rief er, da steht es: der blutgierige Bösewicht soll eines Gärtners Sohn sein, der in Arbeyland am Solway lebte und starb. Eine Schande für die vereinigten Reiche, daß ein solches Ungeheuer das Licht der Welt in ihnen erblickte. Auf seinen Kopf ist jetzt der Preis von tausend Pfund gesetzt.
Ich sage dennoch, es ist nicht wahr, rief Mary eifrig, er kann kein schlechter Mensch geworden sein.
Ihr kennt die Menschen nicht, Frau, erwiderte der Kaufmann, überdies sagt Ihr ja selbst, daß der Junge immer ein Taugenichts gewesen ist.
Wenigstens war er ein wilder Patron, der leicht seinen Weg in falscher Richtung zum Galgen gefunden haben kann, murmelte Blawerpoult.
Ich hätte große Lust mir dies Geld zu verdienen, rief der Steuermann und schlug auf den Tisch.
Willby und Blawerpoult lachten zugleich, und der erste deutete lachend auf die Flasche mit Wacholderbranntwein, aus welcher der junge Mensch ein paar tüchtige Züge gethan hatte.
Ihr seht nicht darnach aus, guter Freund, sagte Willby, und könnt eher hübsche Dirnen fangen, als Seeräuber. Aber man muß wenigstens den guten Willen anerkennen, und bei Gott! so arm ich bin, ich gäbe selbst tausend Pfund, könnt ich den Bluthund einmal in Whitehaven sehen.
Nun, Herr, erwiderte David, wenn wirklich Paul Jones, des Gärtners Sohn und jener Kühne Seeräuber ein und derselbe ist, so könntet Ihr wol noch Gelegenheit dazu haben. Er hat, wie Frau Mary sagt, die schöne Molly seine Braut genannt und versprochen, sie zu holen; Paul Jones aber ist nicht der Mann, so etwas jemals zu vergessen, und wie nun, wenn er käme und sie sich fortholte?
So lang es Büttel und Henker in England gibt, wird das nicht geschehen, erwiderte Willby; aber viel wollte ich darum geben, wenn Blawerpoult niemals mit diesem Schurken in Berührung gekommen wäre.
Ich kann's nicht glauben, sagte der alte Mann, nein, gewiß, ich kann's nimmermehr glauben. Paul war ein Bürschchen von schlanken Gliedern, schwächlich fast zu nennen, so daß er zum Seedienst kaum tauglich schien, und es mußte ein Wunder geschehen sein, wenn der ein solcher Riese von Seeräuber geworden wäre, vor dem alle die wilden Mörder zittern. Nein, wenn's hoch gekommen ist, wäre er so ein Mann geworden, wie der Steuermann da, aber vor Jahren hieß es ja schon, er läge, wie so mancher tüchtige Bursche, tief unten im Meere.
In dem Augenblicke wurde wieder draußen so heftig und anhaltend geklopft, daß die Hunde im Hofe fürchterlichen Lärm machten. Dann wurde die Thür geöffnet und eine kräftige Stimme fragte nach Blawerpoult.
Ist er zu Haus, so will ich ihn sprechen, sagte der Mann, ich muß ihn sprechen, seiner selbst wegen; mag bei ihm sein, wer da will.
Und so trat ein junger, rüstiger Mensch, eine echt cumberländische, markige Gestalt, herein, und beachtete nicht die zürnende Falte auf des alten Landwirths Stirn.
Wie ich auch zur ungelegenen Zeit kommen mag, Herr Blawerpoult, sagte er hastig, ich kann's nicht ändern. Ich komme, Euch zu warnen, zu helfen, wenn es Noth thut. Ich kam von Whitehaven an der See herauf, als es noch nicht Nacht war, und sah ganz fern ein großes Schiff auf dem Wasser schwimmen, das gegen die Küste herankreuzte.
Nun, wahrhaftig Herr, was geht mich Euer großes Schiff an? rief Blawerpoult ärgerlich lachend. Ist das Eure ganze athemlose Neuigkeit?
O! hört nur weiter. Das Schiff kam näher und ich konnte an seinen hohen Masten und seinen Schanzen sehen, daß es ein Kriegsschiff war, das eine große englische Flagge führte. Es setzte ein Boot aus, ganz voll Leute. Mitten durch die Brandung ging's, und hinter den Felsen verschwanden sie. Gut, dachte ich, die Wagehälse konnten auch wohl damit warten, an's Land zu kommen, bis sie in Whitehaven Anker warfen, und damit machte ich mich davon.
Ich würde Euch sehr dankbar gewesen sein, wenn Ihr gerade nach Haus gegangen wäret, Herr Ralf Sorton, sagte der Landwirth höhnisch.
Ich hatte noch mancherlei zu schaffen, erwiderte Ralf verlegen, so kam es, daß ich später hier vorbeiging. Mit Verwunderung sah ich drei Kerle, Matrosen waren's, hier am Fenster stehen und horchen. Ich schlich mich näher und hörte sie sprechen und sich berathschlagen; dann gingen sie weiter.
Blawerpoult stand langsam von seinem Platze auf und stützte sich auf den Tisch. Seine grauen Augen blitzten vor Zorn und plötzlich schlug er mit der Faust auf und sagte:
Herr Ralf Sorton, Jeder fege vor seiner Thür und kümmere sich nicht um des Nachbars Henne. Mögt Ihr gesehen und gehört haben, was Ihr wollt; ich durchschaue Euer Treiben wohl. Ihr wollt Euch gewaltsam in mein Haus drängen und meine Absichten durchkreuzen, aber Ihr sollt Zeuge sein, wie ich mein Wort erfülle. Hier ist Herr Willby aus Whitehaven, ein wackrer, ehrenhafter Mann, der um meine Molly wirbt. Das ist ein Schwiegersohn nach meinem Sinne. Ich habe mein Wort gegeben, und jetzt spitzt Eure Ohren, Herr, und hört, wie Molly Ja sagt.
Um Gottes willen! haltet ein, schrie Ralf und hielt ihn bei der Hand fest, die er nach Molly ausstreckte, hier ist keine Zeit, um an Verlobung zu denken. Ich sage Euch, man hat Böses im Sinne mit Euch, Euer Haus ist umringt von Gesindel, und dieser da, dieser junge, unverschämte Bursche, der so höhnisch lachen kann, muß ihr Anführer sein, so unschuldig er auch aussieht. Einer der Kerle fluchte einen fürchterlichen Fluch. Wie lange sitzt der Kapitain nun schon bei dem englischen Hundevolk, murmelte er, mir juckt das Messer in der Hand, um ihnen Allen die Hälse abzuschneiden. Nehmt diesen Burschen fest, schließt die Laden, löscht die Lichte aus und haltet ihn als Geissel fest.
Mit diesem Ausrufe sprang er auf David los und packte ihn beim Kragen.
Was wollt Ihr? sagte dieser ruhig; seid Ihr toll geworden? Was habe ich mit Eurem englischen Kriegsschiff zu thun? Glaubt Ihr aber gar, ich sei dessen Kapitain, so ist's doch unmöglich, daß ich hier plündern und morden will. Wir sind nicht in Amerika.
Laßt ihn los, rief Blawerpoult; was unterfangt Ihr Euch. Es ist eine Narrheit, eine Erfindung! Seit Menschengedenken ist in Cumberland keine Räuberbande gewesen.
Aber wenn's ein Seeräuber wäre? sagte Ralf und betrachtete den Gefangenen in seiner riesenhaften Faust.
Sieht der Bursche wie ein Seeräuber aus? erwiderte der Landmann. Laßt ihn los, Ihr werdet ihn erwürgen.
Nein, haltet ihn fest, sagte Willby nachdenkend und ängstlich. Heut Nachmittag ging die Sage in Whitehaven, eine Fischerbarke sei von einem fremden Schiffe angehalten worden. Niemand wußte, ob es wahr sei, ja, man lachte darüber, denn wer sollte es wagen, hier im Kanal zu plündern? Ein englisches Kriegsschiff ist aber an der ganzen Küste nicht, das weiß ich gewiß. Kapitain Plunkett hat es mir selbst gesagt, daß Sr. Majestät Schiff, der Enterich, die Vierundzwanzig-Kanonenfregatte, in Whitehaven das einzige sei. Wenn nun der Bursche hier wirklich ein Seemann ist; wenn Ralf Sorton ein großes Schiff gesehen hat, das Mannschaft an's Land setzte; wenn hier Gesindel ums Haus schleicht: so ist es doch möglich, daß dieser zu ihm gehört und Schiffsschreiber oder Proviantmeister bei der Räuberbande ist; obwol ich es auch nicht glauben kann; obwol es eine unerhörte Frechheit wäre und obwol es unzweifelhaft ist, daß sie morgen schon gefangen und gehangen würden. Sagt, Herr, fuhr er mit Würde fort, und als Magistratsperson ermahne ich Euch zur Wahrheit, wißt Ihr etwas von dem Allen, und seid Ihr in irgend einer Verbindung mit ihnen?
Für's Erste, erwiderte David, und sah Ralf an, bitte ich Euch, Eure Hand von meinem Kragen und Hals zu nehmen. Ihr fangt an, mir lästig zu werden und weh zu thun.
Der Blick, mit welchem er den Pächter betrachtete, und der feste Ton seiner Sprache, hatten etwas so wunderbar Ueberzeugendes, daß Ralf's Finger wie von selbst losgingen.
Was Sie nun betrifft, Herr Willby, so bin ich Ihnen als Magistratsperson sichere Wahrheit schuldig, die Ihnen werden soll. Allerdings gehöre ich zu dem Kriegsschiff, das heut Abend auf der Höhe von Whitehaven erschienen ist, und ebensowohl zu dem Schiffsvolk, das dieser junge Mann durch die Brandung fahren sah. Ich ging hier vorüber und wollte nach Whitehaven, zufällig sah ich zum Fenster herein, erblickte eine Scene, die mich interessirte, trat näher und ward so wohl aufgenommen, daß ich noch hier bin.
Welche Stelle bekleiden Sie auf dem Schiff? fragte Willby so trotzig als möglich.
Darüber habe ich keine Rechenschaft zu geben.
Wie heißt es?
Es ist der Jäger, ein zwanzig Kanonenschiff.
Ich habe noch nie den Namen gehört.
Das macht, sagte David, weil es kein englisches Kriegsschiff ist.
Kein englisches! rief Willby. Wem gehört es denn?
Den freien Staaten Amerika's, versetzte David unbefangen.
Der Kaufmann von Whitehaven stand sprachlos auf, und sein Gesicht zeigte einen merkwürdigen Contrast von Schrecken und Unglauben. Er suchte in den Zügen des lustigen jungen Burschen zu lesen, daß dieser mit ihm scherze, und während er darüber zornig werden wollte, durchschlich ein Grauen sein Herz, daß es doch wahr sein könnte, denn ein sonderbares Gefühl jagte ihm Furcht vor dem kindischen Menschen ein.
Ein Amerikaner! ein Pirat! sagte er endlich. Haben Sie auch bedacht, mein Herr, daß ein solches Gerücht verbreiten schon ein Vergehen ist, und daß – ja, und daß ich nicht der Mann bin, mit dem man seinen Scherz treiben darf?
Ich scherze auch durchaus nicht, erwiderte David, und warf seine Cigarre fort, indem er aufstand. Ich sage es noch einmal: der Jäger, das Kriegsschiff der Republik Amerika, ist in diesen Meeren erschienen, um Vergeltung für die zahllosen Raub- und Mordthaten zu üben, welche die Engländer bei uns vollbringen. Wie, Ihr Herren, findet Ihr es nicht gerecht, daß wir auch einmal zu Euch kommen, da Ihr uns so oft besucht? Reden Sie, Herr Willby, ist es nicht gerecht?
Der Kaufmann nahm allen Muth zusammen.
Wenn es wahr ist, daß Ihr ein Rebell seid, stotterte er, so – so verhafte ich Euch!
Ja gewiß, es ist wahr, rief David; und so gewiß der Morgen kommen wird, so gewiß wird mit dem ersten Sonnenstrahl Whitehaven und alle seine Schiffe in Flammen stehen.
Mordbrenner! schrie Willby mit fürchterlicher Stimme, denn er dachte an sein Haus, seine Schiffe und sein Geld. Ralf Sorton steht mir bei, ihn zu verhaften.
Ihr seid toll, sagte David ruhig. Dies Haus ist von der Mannschaft des Jägers umringt, und wer es wagte, mich festzuhalten, würde überdies sehen, daß ich nicht so leicht zu fangen bin.
Bei diesen Worten schleuderte er Ralf's Hand, der des Kaufmanns Aufforderung Folge geleistet und seinen Kragen von Neuem gepackt hatte, ohne große Anstrengung zurück; als aber der Pächter einen neuen Anlauf nahm, zog er schnell ein Pistol aus seinem Rock und hielt es ihm entgegen.
Thut noch einen Schritt, sagte er, und ich strecke Euch todt zu Boden, obgleich ich es nicht möchte, denn ich führe keinen Krieg mit Wehrlosen.
Gnade, Gnade! schrie Molly, und drängte Ralf zurück. Um Gotteswillen rührt ihn nicht an, er wird uns nichts zu Leide thun.
Mann, sagte Blawerpoult, der noch immer nicht wußte, was er glauben sollte; wollt Ihr Fluch und Sünde auf Euer Haupt laden, und seid Ihr ein vom Gesetz verfolgter Bösewicht, so nehmt, was wir besitzen, aber vergießt nicht unschuldig Blut.
Herr Blawerpoult, erwiderte David lächelnd und reichte ihm die Hand hin, weder ein Bösewicht, noch ein Sünder steht vor Euch. Um der alten Freundschaft willen, und um mein Wort zu halten, bin ich zu Euch gekommen.
Blawerpoult sah ihn ernst an.
Wer seid Ihr Herr? fragte er ahnungsvoll.
Fragt Molly, fragt Eure Hausfrau, erwiderte David. Ich glaube, sie haben mich Beide schon erkannt.
Paul Jones! rief Blawerpoult mit Heftigkeit. Gottes Barmherzigkeit! Wäre es möglich, Ihr – Ihr! der kleine John Paul, des ehrlichen Neds Sohn – der Sohn meines alten Freundes – ein Schotte! und seine Hand ist gegen sein Vaterland aufgehoben – er kommt – er ist –
Kein Räuber! rief Paul Jones mit Nachdruck. Bei Gott! ich fühle mich freier und mein Gewissen reiner, als alle Eure Lords der Admiralität. Ich bin ein Bürger der Vereinigten Staaten, der Kapitain eines ihrer Kriegsschiffe, ein Sohn der neuen Freiheit.
Armer alter Ned! murmelte Blawerpoult. Was würdest Du sagen, wenn Du Deinen Sohn sähest?
Er würde mich segnen, sagte der Republikaner stolz, segnen, daß ich gegen Tyrannei und Unrecht gekämpft habe, daß sie einen Preis auf meinen Kopf setzten. Räuber, Rebellen! O! sie nennen jeden so, der es wagt, die Ketten zu zerbrechen; das ist ein altes Lied, das schon seit vielen hundert Jahren gesungen wird. Als Schotte schon hasse ich diese Südländer, aber was kümmert mich meine Geburt? Ich bin ein Amerikaner! Mit Leib und Seele gehöre ich meinem neuen Vaterlande; ja, ich will meinen Namen verdienen, ich will ihn so berühmt machen, daß man in London die Kinder damit zu Bett jagt.
Er sprach das lachend und lustig, und doch mit solcher Kraft, daß Niemand etwas zu erwidern wagte. Plötzlich wendete er sich zu den beiden Frauen und faßte ihre Hände mit der mildesten Freundlichkeit.
Mary Blawerpoult, sagte er, ja Ihr seid es, Euer gutes Gesicht hat sich nicht geändert. Oft habt Ihr dem armen Paul ein Butterbrod geschnitten, wenn ihn hungerte, oft habt Ihr ihn getröstet, wenn er traurig war, daß er keine Mutter auf Erden habe. Und Du, Molly, die ich so oft in meinen Armen hielt, die mir nachweinte, als ich ging, der ich versprach, wieder zu kommen, wenn ich groß und reich geworden sei – da bin ich, Molly, und ich denke, Herr Willby hat nichts dagegen, wenn ich mein Wort wahr mache.
O, Herr, Herr! sagte Molly furchtsam und blickte dann auf Ralf Sorton, der seinerseits nach dem Fenster sah, wo mehrere wilde Gesichter hereinschauten.
Willby hatte sich leise in den Hintergrund nach der Thür begeben und schien die Absicht zu haben, unbemerkt davon zu schlüpfen, als Paul Jones sich nach ihm umsah.
Sein Sie nicht thöricht, sagte er, meine Leute umringen dies Haus, entkommen sollen und dürfen Sie nicht. Sie sind mein Gefangener, Herr, mit mehr Recht als ich vorher der Ihre, aber Ihr Leben ist sicher. Setzen Sie jedoch den Fuß vor die Thür, so kann ich Ihr Schicksal nicht ändern.
Und was verlangen Sie von mir? sagte der Kaufmann zitternd.
Darüber, erwiderte Jones, wollen wir nachher berathschlagen. Mein alter Freund, sagte er dann zu dem schweigenden Blawerpoult, ich habe eine Bitte, die Ihr mir nicht abschlagen dürft: Ihr müßt mich am Bord des Jägers besuchen, der dicht unter dem Vorgebirge vor Anker gegangen ist und den Morgen erwartet. Hier kann ich Euch nach diesen Vorgängen nicht lassen. Nicht aus Furcht vor Verrath allein, auch Eurer eigenen Sicherheit wegen.
Wollt Ihr uns etwa nach Amerika schleppen, Paul, oder gar in die Sklaverei? sagte Blawerpoult ängstlich; wollt Ihr einen alten Freund Eures Vaters verderben?
Eher mich selbst, sagte Jones feierlich. Ich schwöre Euch, Ihr sollt morgen frei sein, Mary und Molly, Euer Hausgesinde und Ralf Sorton dazu sollen Euch begleiten.
Und wenn ich nicht will? murmelte Ralf trotzig.
Nicht wollt! sagte der Kapitain lächelnd. Ihr scherzt, Master Sorton, noch hat kein Mensch gesagt: ich will nicht! wenn Paul Jones befahl: Ihr sollt! Geht und thut es der guten Gesellschaft wegen, wenn Ihr mir es auch abschlagen möchtet.
Und nun trat er zum Fenster, öffnete es und sagte:
Kommt herein, David! worauf im nächsten Augenblick ein sechs Fuß hoher Bootsmann, dasselbe wildbehaarte Gesicht, welches Molly an den Scheiben sah, im Zimmer stand und sich kerzengerade vor seinem Befehlshaber aufrichtete.
Diese Leute, sprach Jones, sollen an Bord des Jägers. Kein Haar soll ihnen verlegt werden; sie sollen in meinem Zimmer bleiben, bis ich selbst komme.
Sollen sie alle mit, Kapitain? sagte David.
Bis auf diesen Herrn, der uns den Weg durch Whitehaven zu den Forts zeigen soll, erwiderte Jones, indem er auf den zitternden Kaufmann wies.
Dann vorwärts, marsch! sagte David.
O! Paul Jones, rief Mary, die bisher ganz ruhig gewesen war, ist das der Lohn Eurer Dankbarkeit?
Paul Jones! rief Blawerpoult, was haben wir gethan, daß Du uns aus der sichern Wohnung auf's Meer schleppst, wo wir umkommen können?
Der Republikaner hatte Molly's Hand gefaßt und sagte leise:
Du bist ruhig, Molly, Du vertraust Deinem Freunde, glaube ihm, er will Dich glücklich machen, und Gott segne Dich!
Ohne ein Wort zu sprechen, ging er hinaus und öffnete die Thür, durch welche nach wenigen Augenblicken ein Schwarm von so schrecklichen Gesellen hereindrang, daß Allen Der Muth verging.
Pistolen in den Gürteln, und mit Beilen und Enterpiken bewaffnet, erschienen diese Matrosen der Republik in der That als ein Haufen Gesindel der schlimmsten Art, denn in vielen Gesichtern war das Galgenzeichen deutlich genug zu lesen. Trunk, Raubsucht, Mord und die gleichgiltige Frechheit des Lasters hatten sich ihnen aufgedrückt. Es war ein Gemisch des Auswurfs aller Nationen; Menschen, die vom Gesetz verfolgt, von wilden Leidenschaften gestachelt, von erbarmungsloser Lust zum Bösen getrieben, keinen Ausweg mehr sahen, schaarten sich unter dem Banner der Freiheit und fochten mit unbezwinglicher Tapferkeit für diese, indem sie doch nur von Empfindungen der Habgier und Rachsucht getrieben, Paul Jones Glück und Namen folgten.
Beim Anblick der Messer und Beile, und der Mörderhände, welche sie schwangen, sank Molly mit einem Angstgeschrei in die Arme ihrer Mutter, welche zitternd die Hände zu ihrem Schutz aufhob. Blawerpoult zog sie beide zu sich hin und Ralf Sorton stellte sich mit geballten Fäusten vor sie hin; Willby aber fiel todtenbleich in den Stuhl zurück und bat um Gnade.
Wo ist der Bursche, den der Kapitain verlangt? sagte ein Kerl, der eine kleine silberne Pfeife trug.
Dort liegt er, Oberbootsmann, erwiderte David.
Mit einem Griff hob er den jammernden Kaufmann auf und schleuderte ihn seinen Gefährten zu, welche ihn schnell hinausstießen.
Nun fort, rief er dann, und winselt nicht lange.
Freund, rief Blawerpoult bittend, sollte es nicht möglich sein, uns hier zu lassen? Sollten nicht funfzig, nein hundert Pfund, hundert baare blanke Souverains, hinreichen, Euer Herz zu erweichen?
Der unerschütterliche David reckte seine Fäuste aus und sein verwettertes Gesicht wurde noch weit häßlicher.
Wenn der Kapitain nicht gesagt hätte: kein Haar soll auf ihren Köpfen gekrümmt werden, schrie er, so solltet Ihr's büßen. Macht keine Umstände; Ihr wißt nicht, was es heißt, wenn Paul Jones befiehlt. Schließt Euer Haus, Mann, und kommt; auf dem Jäger wird's Euch besser gefallen als in dem kleinen, räuchrigen Neste hier.
Blawerpoult sah wohl ein, daß er folgen müsse. Er schloß, was zu schließen war, und unter tausend schweren Seufzern folgte die ganze gefangene Familie David und vier handfesten Seeleuten, welche sie mit ihren Waffen umringten, über die dunkle Haide.
Und Ihr, Bursche, sagte David und faßte Ralf an, der sich sträubte, wollt Ihr leben bleiben, so folgt geduldig.
Wär's nicht anderer Leute wegen, murmelte Ralf, und hätte ich nur drei meiner Freunde hier, ich wollte Euch zeigen, wie man in England mit Räubern umgeht.
.Was seid Ihr für ein unvernünftig Volk, erwiderte David ruhig; Großsprecher und Prahler, während das Beil auf Eurem Nacken liegt. Verdammt sei Euer England! Sprecht ein Wort noch, so soll es Euer letztes sein.
O! Ralf Sorton, sagte Molly leise, schweigt um meinetwillen.
Wir stehen in Gottes Hand, murmelte Blawerpoult. Mag geschehen, was da will! Paul Jones ist ein Spitzbube geworden, aber seines Vaters alten Freund wird er doch nicht ermorden.
Rasch gingen sie dem Vorgebirge zu und stiegen zum Strande hinab. Nacht und Wind waren im Bunde. Auf der See brauste es hohl, der Sturm fuhr in Stößen darüber hin, und wenn ein Sternenblick die ungewisse Ferne durchzitterte, konnte man die schaumbedeckten Wogen erkennen, welche den ganzen Kanal durchrollten. Nur unter dem Schutz der Felsenküste war das Meer ruhiger; leise schwankten hier drei stolze hohe Maste und die dunkeln Umrisse eines Schiffes, von dem ein einsames Licht herüberleuchtete.
Als sie über die scharfen Kiesel und durch den Schaum der See gingen, richteten sich zwei Gestalten unter einem Vorsprunge auf. Der Eine pfiff leise, David antwortete. Dann kamen sie näher und sprachen heimlich zusammen, bis der Steuermann plötzlich Molly faßte und auf den Arm hob wie ein Kind. Zu gleicher Zeit wurde ihre Mutter von einem andern gepackt; beide Frauen stießen einen jammernden Schrei aus.
Habt Erbarmen, schrie Mary, warum wollt Ihr uns ermorden?
Dummes Zeug, brummte David, wer will Euer Leben? In's Boot sollt Ihr getragen werden, das dort hinter dem Steine liegt, die Andern mögen sich die Füße naß machen.
So wurden sie eingeschifft und bald schlugen die langen Ruder geräuschlos in's Meer.
Paul Jones hatte mit dem zitternden Willby den Weg nach Whitehaven genommen. Es war spät geworden, die Stadt lag ruhig schlafend und ahnte die Gefahr nicht, welche der kühne Mann ihr bereitete. Von den Matrosen des Jägers war Niemand zu sehen, sie waren zerstreut und schlichen unter Anführung eines kundigen Mannes den Forts am Hafen zu, wo sie im Versteck ihren Anführer erwarten sollten. Paul Jones hatte sich an des Kaufmanns Arm gehängt, wie ein Freund, und pfiff bald ein Liedchen vor sich hin, bald erzählte er von seiner und Molly's Jugend und von einem Gedichte, das er dreizehn Jahr alt, auf das niedliche Kind gemacht hätte, und dessen Verse er noch wußte.
Sehen Sie, Herr Willby, fuhr er dann fort, es war schon damals ein romantisches Talent in mir. Ich saß an der See, sah die weißen Segel am Horizont auftauchen und verschwinden und hörte das Gebrüll der Wogen mit Entzücken. Dann träumte ich mich hinaus auf ein Schiff mit scharfgeschnittenem Rumpf und bemalten Stückpforten. Ich war der Kapitain, der kaltblütig seine Befehle gab unter Kugeln und Gefahren, der seine Mannschaft ermunterte im Kampfe mit den Elementen, der, mit dem Enterbeil in der Hand, der Erste auf das feindliche Deck sprang und alles vor sich niederschmetterte. Ich war ein armer Junge in einer zerrissenen Jacke; aber ich vergaß das Alles und meine entflammte Phantasie machte mich zum Seehelden und Dichter. Denn wenn ich zu Haus weinend unter den blühenden Holunderbüschen in meines Vaters Garten saß, faßten mich plötzlich die Geister der Königin Mab In Shakespeares »Romeo und Julia« spricht Mercutio über Queen Mab, die Hebamme der Elfen; sie wird beschrieben als ein winziges Wesen, das ihren Wagen in die Nasen und Gehirne schlafender Menschen fährt, um in ihnen das Erlebnis von Wunscherfüllungsträume zu erzwingen. Die Figur ist später literarisch immer wieder neu gestaltet worden; so erschien 1813 Percy Bysshe Shelleys Gedicht » Queen Mab; A Philosophical Poem«, das durch einen revolutionären Inhalt gekennzeichnet ist und das als Hauptangriffsziel die etablierte Religion, politische Tyrannei, die zerstörerischen Kräfte von Krieg und Handel, und die Perversion der menschlichen Liebe durch die Beschränkungen der Ehe wählt. und führten mich in ihr Wunderland. Molly wurde dann eine Prinzessin, die ich befreite; das liebe feine Kind trug eine funkelnde Krone, und ich schwur mir tausendmal, sie sollte mein Weib werden, mußte ich auch mit allen Riesen und Zwergen kämpfen. Nun komme ich wieder, und ein wunderbarer Zufall führt mich zu Blawerpoult, den ich immer noch in Schottland dachte. Ich sehe Molly weinen, ich höre, daß sie heirathen soll, ich höre auch, daß sie den Bräutigam nicht mag, der ihr aufgedrängt wird.
Guter Gott! sagte Willby hastig, wenn Ihr Zorn sich darum gegen mich erhoben hat, Kapitain, so will ich Eid und Urkunde geben, daß ich Molly entsage.
Nein, das ist es nicht, versetzte Jones lachend, obwol ich Ihnen allerdings ein: Schämt Euch, Herr! zurufen möchte. Das Mädchen ist so jung und schön, und Sie sind gewiß ein würdiger, aber weder junger noch hübscher Mann, Herr Willby. Molly ist überdies ein Landmädchen, still erzogen, ohne städtische Bildung, was würden also die jungen Damen in Whitehaven sagen? Sie ist zwar allerliebst, ein Gesichtchen von Milch und Blut, aber darf ein Kaufmann darnach sehen?
Blawerpoult, sagte Willby entschuldigend, ist auch ein Mann von Vermögen.
Ah so! erwiderte Jones lachend, ich verstehe; das lockte Sie also auch. Sie sind ein kluger Mann, Herr Willby, aber diesmal ist Ihre Speculation falsch. Sie dürfen allerdings das Mädchen nicht heirathen, denn ich habe ältere Ansprüche und nehme Ihre Zusicherung an.
Ich will sie nicht wieder anblicken, stöhnte der Kaufmann; aber Kapitain, um Gottes Barmherzigkeit! was wollen Sie mit mir thun?
Nicht so laut, lieber Herr Willby, erwiderte der Republikaner. Wenn Sie verständig sind, so gebe ich Ihnen mein Wort, ich denke, wir scheiden als gute Freunde. Kommen Sie, führen Sie mich in Ihr Haus, wir wollen unser Geschäft schnell machen, dann begleiten Sie mich ein wenig, um Ihr erhitztes Blut abzukühlen, und morgen sind Sie frei, und können mich, so viel es Ihnen beliebt, Räuber und Mordbrenner heißen; obwol ein Mann wie Sie mehr Einsehen haben, und wohl anerkennen müßte, mehr als Ihre kleinliche unfähige Regierung, daß jeder gemißhandelte Mensch, jedes tyrannisirte Volk das Recht hat, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, und wenn ich Whitehaven verbrenne, ich nur einen kleinen Theil der Schuld abtrage, welche England zu fordern hat.
Der Kaufmann seufzte und schwieg; Paul Jones aber sagte lustig:
Sie sind ein eingefleischter Feind unserer jungen Freiheit, ich hasse eben so heiß dies schmutzige England, wir wollen uns also keine Vorwürfe machen. Jeder handle nach seinem Sinn und seiner Macht. Aber merken Sie sich auch, Herr Willby, ich bin allein, und was gäbe Ihnen der Magistrat von Whitehaven, wenn er morgen einen Courier nach London an den Staatsrath schicken könnte, mit der Jubelbotschaft: Wir haben den schändlichen Räuber Paul Jones gefangen, baut einen Galgen für das blutige Ungeheuer! Sehen Sie mich an, Herr; ich bin zwar allein, aber ich denke so frank und frei hinauszugehen, wie ich hineingekommen bin. Er zog die rechte Hand aus seinem großen Rock und zeigte dem Kaufmann ein Pistol und ein scharfes Messer. Bei dem geringsten Schein einer Verrätherei, sagte er leise, sitzt dieser Stahl in Ihrem Körper. Was dann weiter wird, weiß ich zwar nicht, aber verlassen Sie sich darauf, Paul Jones wird von diesen Krämern nimmermehr gefangen.
Willby stammelte einen Eid, daß er kein Wort reden würde, und beide gingen langsam durch die Straßen. Der Kapitain fragte nach allen Einrichtungen, nach den Besatzungen der Forts, nach der Anzahl ihrer Kanonen, nach dem Kriegsschiffe im Hafen und manchen andern Dingen.
Als sie um eine Ecke bogen, kam ein großer Mann ihnen entgegen. Er trug einen blauen Rock mit goldener Schnur auf den Schultern und rief mit seiner tiefen Stimme dem Kaufmann eine gute Nacht zu.
So spät noch auf, Herr Willby? sagte er, und man merkte es ihm an, daß er aus guter Gesellschaft kam. Was zum Teufel, Herr! Gehören Sie auch zu den nachtschwärmenden Gesellen? Nehmen Sie sich in Acht! In wenigen Tagen geht ein Preßgang durch Whitehaven, und es wäre in der That eine böse Geschichte, wenn Sie in die Hände der Matrosen vom Enterich geriethen.
Ein Preßgang, stammelte Willby verlegen, was soll der Preßgang hier, Kapitain Plunkett?
Was er anderwärts soll, Herr Willby, erwiderte der Kapitain. Sr. britischen Majestät Schiffen Matrosen schaffen.
Braucht der Enterich Matrosen? fragte Jones.
O, damn! nein, erwiderte Plunkett, der hat seine hundertdreißig tüchtige Bursche am Bord, und das ist genug für ihn hier im Kanal; aber in einigen Tagen erwarten wir ein Paar Fregatten als Verstärkung, die nur halbe Mannschaft haben. Die verdammten tollen Gerüchte, daß die Rebellen in Philadelphia einige ihrer Raubschiffe in die europäischen Meere schicken wollen, vielleicht gar den Paul Jones, den ärgsten ihrer Piraten, setzen die Köpfe in Furcht.
Paul Jones! rief der Republikaner lachend, indem er Willby's Arm festpackte, das ist ein verteufelter Bursche, der freilich alles zittern macht.
Die Feigen und die alten Weiber beiderlei Geschlechts, ja! sagte. Plunkett verächtlich; aber laßt den Räuber kommen. Haben wir ihn einmal hier, so soll er nie wieder Menschen Furcht einjagen und Gott gebe es, daß er mir in die Hände geräth.
Das könnte wohl sein, Kapitain Plunkett, und schneller als Sie denken, erwiderte Jones mit herausforderndem Trotze.
Wie meint Ihr das? sagte der Engländer aufmerksam. Was wißt Ihr davon, wer seid Ihr?
Ich bin erster Steuermann auf Herrn Willby's Briggschiff: »die aufgehende Sonne,« erwiderte Jones demüthig; was ich aber Euer Gnaden von dem Paul Jones sagte, so denke ich nur, wenn Raubschiffe England angreifen wollten, so müßte es hier im Kanal geschehen, wo der Handel keinen Schutz hat und wo man leider bisher allzusicher war.
Hm! sagte Plunkett, und betrachtete ihn aufmerksam, Euer Wort, ist ein verständiges Wort, junger Mensch. Ihr gefallt mir und trotz Eurer Jugend und Eures schwächlichen Baues glaube ich, daß Ihr ein wackerer Seemann seid. Wollt Ihr Dienste nehmen auf Sr. Majestät Schiff unter meinem Befehl, so könntet Ihr leicht als Steuermannsgehülfe eingeschrieben werden und weiter steigen.
Ich will's mir überlegen, Euer Gnaden, sagte Jones, und wenn Herr Willby nichts dagegen hat, so denke ich morgen am Bord des Enterichs mich Ihnen vorzustellen.
Gut, erwiderte Plunkett gut gelaunt, kommt und wir wollen den Paul Jones, vor dem Ihr solche Furcht habt, zusammen fangen. Ihr sollt sehen, daß der Kerl, wie ein grimmiger Riese er auch sein mag, doch vom Enterich aufgefressen wird, gleich einer Steckmuschel.
So ging er die Straße hinab und Jones sprach lachend:
Ich sage Ihnen, Herr Willby, morgen, ehe die Sonne untergeht, werde ich am Bord des Enterich sein und Kapitain Plunkett meine Dienste anbieten.
Hier ist mein Haus! erwiderte Willby niedergeschlagen. Treten Sie ein, Kapitain!
Als er den großen Klopfer rührte, erschien eine junge, hübsche Magd, die schlaftrunken vom Feuersitze aufgetaumelt war, und sichtlich über das späte Ausbleiben ihres Herrn schmollte. Sie leuchtete den fremden Gast verwundert an und schien große Lust zu haben zu fragen, was er hier wolle?
Oeffne das obere Zimmer, Poll, sagte Willby, mache Feuer an und bringe uns, was Du hast.
Nur keine Umstände, Herr Willby, fiel Jones höflich ein. Nein, lassen Sie das hübsche Kind, das ermüdet von des Tages Arbeit ist, ruhig in's Bett gehen. Führen Sie mich in Ihr Wohnzimmer, in Ihr Comptoir. Sie wissen wohl, meine Zeit ist gemessen und unser Geschäft bald abgemacht.
Aber Kapitain, erwiderte Willby zitternd vor Angst, ich wollte, daß Poll – ich möchte nicht so allein ohne –
Wie, Herr Willby, rief Jones lachend, soll die niedliche Poll uns Gesellschaft leisten? Seht, wie sie roth wird, Herr. Sie will nicht und sie hat Recht; aber, wie gesagt, laßt sie gehen, und wollen Sie mich bewirthen, so laßt es ein Glas Sekt, Claret oder Portwein sein.
Es stehen zwei große Flaschen unten in Ihrem Zimmer, Herr, sagte Poll mit ärgerlicher Stimme, und gute Nacht, Herr, mit Ihrer Erlaubniß.
Sie lief davon und warf die Thür hinter sich zu, während Jones die an der andern Seite öffnete und Willby hineinzog, der in seinem steigenden Entsetzen vor der Frechheit dieses Räubers endlich die Energie der Verzweiflung fand.
Hier sind wir nun, Herr, sagte er, und was Sie thun wollen, thun Sie schnell. Wollen Sie mich morden oder ausplündern, so zögern Sie nicht länger.
Wie, Herr Willby, erwiederte Jones, trauen Sie meinen Worten so wenig?! Sie sind sicherer in meiner Gesellschaft, wie in Abrahams Schooß, wenn Sie halten, was Sie versprochen.
Und was soll ich thun? murmelte Willby.
Für's Erste, sagte Jones, indem er sich behaglich in das weiche Sopha des Kaufmanns streckte, geben Sie die Flasche dort her und Gläser und lassen Sie uns auf gute Freundschaft und gutes Geschäft anstoßen.
Willby gehorchte widerstrebend und heimlich sprach er einen schrecklichen Fluch, als er das Glas auf Jones Wohl leerte: Gott möge ihm die Gnade verleihen, diesem Schurken Alles reichlich zu vergelten.
Nun sehen Sie mich an, Willby, sagte der Räuberkapitain, sehen Sie mich fest und behaglich an, so lange es angeht, damit Sie nicht umsonst dafür zahlen. Dann bitte ich mir tausend Pfund baar und richtig aus.
Wie so, Kapitain? stammelte der Kaufmann erschrocken.
O thut doch nicht, als hättet Ihr Euer eignes feierliches Gelöbniß vergessen, rief Jones lachend. – Hier bin ich; ich bin der Paul Jones, auf dessen Kopf diese schäbigen Wucherer in London einen Preis gesetzt haben; derselbe Paul Jones, Herr Willby, für den Sie gern tausend Pfund zahlen wollten, wenn Sie ihn einmal in Whitehaven sehen könnten. Nun merkt meine Großmuth! Nicht allein in Whitehaven, nein, unter Ihrem eignen Dache ist er, an Ihrer Seite, entzückt von der Ehre, mit Ihnen ein Glas zu leeren, und doch fordert er nicht mehr als die verheißenen tausend Pfund. Es ist ein kostbarer Spaß! Lachen Sie, Herr Willby, lacht von Herzen, Mann!
Willby war aber der Mann nicht, tausend Pfund freudig hinzugeben, und den Spaß, der ihm allzu kostbar war, obenein zu belachen. Er versuchte mit leiser Stimme viele bewegliche Gründe vorzustellen, aber Jones unterbrach ihn mit übermüthigem Gespött.
Schämen Sie sich, Herr, sagte er, tausend Pfund sind für Sie eine Kleinigkeit und obenein muß doch Jeder sein Wort halten; wie ich das meine, so Sie das Ihre. Ueberdies, was werden Sie sagen, wenn ich damit nicht zufrieden bin, wenn ich vielmehr noch tausend Pfund von Ihnen erbitte, als Unterstützung für die armen amerikanischen Gefangenen, deren Sie so freundlich gedachten.
Bei diesem Vorschlage wurde Willby starr vor Entsetzen.
Sie wollen mit mir scherzen, Kapitain Jones, sagte er endlich und versuchte zu lächeln.
Bei Gott! Ich war nie ernsthafter, erwiderte Jones und verbeugte sich höflich.
Dann, ja dann wollen Sie mich zu Grunde richten! stammelte der Kaufmann.
Nicht im Entferntesten, lieber Herr Willby, sagte der Kapitain noch höflicher. Sie sind ein reicher Mann, Sie werden meine Bitte gewiß nicht abschlagen.
Und was fordern Sie dann weiter von mir?! rief Willby mit den Zähnen klappernd.
Nicht einen Pfennig weiter! bei meiner Ehre! beruhigen Sie sich.
Guter Gott! es ist eine schwere große Summe! seufzte der Kaufmann; eine allmächtige Summe! Zweitausend Pfund! auch wenn ich wollte, ich habe sie nicht, nicht baar.
Ich nehme Banknoten, erwiderte der unerschütterliche Jones gleichmüthig, und nun geben Sie mir Ihre Hand, Herr Willby. Sie sind ein verdammt guter Kerl, meinen Dank für Ihre Güte. Was, zum Teufel! was zittern Sie noch? Unser Geschäft ist abgethan; Gott segne Ihre Augen, und erleuchte Ihre Seele! Holen Sie das Geld und schreiben Sie mir einen Schein, daß Sie das arme Mädchen da draußen, die Molly Blawerpoult, niemals begehren.
Willby leistete keinen Widerstand mehr. Er öffnete sein Comptoir, das an sein Wohngemach stieß; Jones begleitete ihn aber und hielt sich dicht an seiner Seite. Mit zitternder Hand schrieb er den Schein, daß er Molly entsage und ihrem Vater das geleistete Versprechen zurückgebe; dann öffnete er zögernd den eisernen Geldkasten, offenbar in der gräßlichsten Angst, daß die darin enthaltenen Summen den Piraten zu größeren Forderungen reizen würden. Aber Jones sah gleichgültig auf die Goldrollen und Papiere; mit freundlichem Dank nahm er die Banknoten hin, steckte sie ein, schüttelte dem Geber nochmals die Hand und kehrte dann mit ihm in das Zimmer zurück, wo er seinen Sitz wieder einnahm und zu Willby's unaussprechlicher Pein weiter trank, lachte, scherzte und Geschichten erzählte, bis die beiden großen Flaschen ganz leer waren.
Endlich zog er seine Uhr, einen schönen Schiffschronometer, hervor und stand auf.
Es ist bald drei Uhr, sagte er; wie angenehm mir die Zeit in Ihrer erheiternden Gesellschaft vergangen ist, Herr Willby! Morgen in einer müßigen Stunde werde ich ein Gedicht darauf machen, denn Sie müssen wissen, daß ich immer noch ein Poet bin und ich hätte Ihnen wohl einige meiner Abenteuer, in Verse gebracht, vorlesen können. Aber es ist besser so, Sie erleben es selbst. Kommen Sie, Herr!
Wie, rief Willby, von neuem Entsetzen erfüllt, ist meine Noth noch nicht zu Ende?
Als ein höflicher Wirth müssen Sie mich begleiten, sagte Jones; auch kann ich Sie nicht zurücklassen. Sie würden die Stadt wach schreien und uns Beide in große Verlegenheit bringen.
Alle Protestationen und Bitten des Kaufmanns wurden kaltblütig zurückgewiesen, aber nicht eher verstand sich Willby zum schweigenden Gehorsam, bis sein fröhlich lachender Gast die eine Hand in die Tasche steckte und mit der andern die seine wie mit einer eisernen Klammer zusammenpreßte.
Herr Willby, sagte er, Sie begreifen wohl, daß die Sache bei aller Lustigkeit auch ihre verteufelt ernsthafte Seite hat. Sie werden mich nicht zwingen, diese herauszukehren, nachdem wir so gute Freunde geworden sind.
Nein, nein! stammelte Willby, aber – was soll aus mir, und – allmächtiger Gott! was soll aus dieser armen Stadt werden?
Nur Herz gefaßt, Herr, fiel Jones lachend ein, ich schwöre es nochmals: wenn alle Häscher Englands mit Euch wären, Ihr könntet nicht besser bewahrt sein.
So gingen sie durch die nächtigen Straßen endlich dem Hafen zu, wo Alles noch in tiefem Frieden schlief. Der Himmel war noch immer von Wolken bedeckt, die einzelne Tropfen herabschickten, und am östlichen Rande verkündete ein schwacher Schimmer den herannahenden Morgen, dessen erster Nebelschein in dem Gegitter des tausendfach gekreuzten Takelwerks der Schiffe und zwischen den hohen schlanken Masten zu schweben schien.
Jones nahm seinen Weg nach dem östlichen Fort, wo er einen freien Blick auf das Meer hatte, aber er murmelte einen wilden Fluch und stampfte wüthend auf, als er weder die Boote des Jägers noch diesen selbst hier fand. Ganz in der äußersten Ferne glaubte sein scharfes Auge die hohen Segel eines Schiffes zu erkennen, allein die Nacht lag noch zu tief und der Wind, der in diesem Augenblick wieder scharf vom Lande wehte, war jeder schnellen Annäherung entgegen.
Wir werden die rechte Stunde versäumen, sagte er vor sich hin, und derselbe böse Geist, welcher dies stolze England schon so oft beschirmt hat, wird auch diesmal sein liebstes Kind nicht verlassen. Aber was ist das? fuhr er fort und deutete auf das Meer hinaus, wo er Ruderschlag hörte.
Das, sagte Willby, indem er Jones' ausgestreckter Hand folgte, ist Sr. Majestät Schiff, der Enterich, welcher am Ausgange des Hafens liegt.
O! das faule Thier! erwiderte Jones lustig; es ahnet nicht, wie nahe die Hand ist, die ihm die Federn rupft, er hört die Messer nicht, welche dicht an seinem Schnabel hinstreichen. Gebt Acht! Herr, gebt Acht! Da sind die Jäger und es ist um ihn geschehen!
Indem er sprach, landeten drei Boote, welche Jones' leises Anrufen eben so leise erwiderten, und am Strand herab schlich eine dunkle Gestalt, die sich als einer der Matrosen zu erkennen gab, welche die Nacht über versteckt gelegen hatten.
Wo sind Deine Schiffsmaten? sagte Jones zu diesem.
Im westlichen Fort, Herr, erwiderte der Mann. Es ist nicht einmal Wache dort. Sobald hier das Licht brennt, vernageln sie die Kanonen, es sind zwanzig.
Und hier? sagte Jones auf das östliche Fort deutend.
Wir haben es auch untersucht, fuhr der Matrose fort. Es ist kein Mann darin, der uns hindern wird. Die ganze Wache hat sich vor dem Unwetter dort unten in das Häuschen geflüchtet und schnarcht, daß man es hier hören kann. Ihr dürft nur hinaufsteigen und die Arbeit verrichten. Fünfundzwanzig Vierzigpfünder liegen in der Batterie auf den Lafetten.
Gut, wo ist David?
Hier, Herr! sagte der Hochbootsmann.
Ihr habt die Theertonnen in Bereitschaft?
Ja, Herr!
So sucht Euch die Schiffe aus, welche am festesten zwischen den andern liegen und zündet an, so schnell als möglich. Wo ist der Jäger?
In einer halben Stunde muß er hier unter dem Fort liegen.
Um Gottes Barmherzigkeit! schrie Willby außer sich, habt Mitleid mit der armen Stadt.
Thomas! sagte Jones kaltblütig, nimm Dein Beil zur Hand, und wenn der Bursche da noch einen Schrei thut, so strecke ihn nieder.
Der Matrose packte den Kaufmann, Jones hielt ihn an der andern Hand.
Fort! sagte er, zündet die Lichte an. Das eine Boot bleibt mit seiner Mannschaft hier, die andern hinein in den Hafen und nehmt die Mannschaft aus dem Westfort auf.
Seine Befehle wurden augenblicklich vollzogen; gleich darauf stieg er selbst mit einigen seiner Seeleute in das Festungswerk und verfolgte mit den Augen das Boot, wo ein kleines blaues Licht brannte. Plötzlich sah er es nicht mehr; es war in Regen und Wind erloschen.
Himmel und Hölle! rief er, das Licht ist aus, wartet hier, keinen Schlag, ehe ich wiederkomme.
Er sprang von der Böschungsmauer und lief den Hafendamm hinunter. Leise wie ein Schatten schlüpfte er an den Häusern hin, und schon war das Grau des Morgens da, schon flogen röthliche Wolken über den Himmel. Er sah das Boot nicht weit vom Ufer, Niemand wußte, was zu beginnen sei.
Boot hohi! rief er mit seiner lauten Stimme, die sie Alle kannten; aber selbst diese furchtlosen Menschen bebten bei seiner Kühnheit. Sie landeten schnell.
Wo sind die Lichte? sagte er.
Ein Matrose reichte sie hin. Er riß sie ihm aus der Hand und sprang den Weg hinauf in das Häuschen eines Wächters, wo ein Weib soeben Feuer gemacht hatte, dessen Schein durch das niedere Fenster leuchtete.
Gute Frau, sagte er freundlich, erschreckt nicht; der verdammte Nachtwind hat das Licht in meiner Barke ausgelöscht, und wo soll der Thee für einen armen Seemann herkommen?
Bleibt, sagte die Frau, und trinkt mit meinem Mann, er muß gleich von seiner Runde kommen.
Nein, nein! erwiderte Jones, und umfaßte lachend ihren schlanken Leib, er würde eifersüchtig werden, wenn er mich so allein bei seiner schönen Mary fände.
Die junge Frau lachte und zündete die Lichte an.
Gute Verrichtung denn, sagte sie, und laßt das Feuer nicht ausgehen.
Es wäre Schade, flüsterte Jones zärtlich, obwol ich gerne wiederkäme.
So eilte er hinaus und gab die Lichte den Bootsleuten.
Eilt! sagte er, in wenigen Minuten muß Alles geschehen sein, oder es ist für immer zu spät.
Die Frau des Wächters hatte ihm nachgesehen und stand sinnend vor der Thür, wo sie das Boot abstoßen und den jungen hübschen Seemann am Damm fortlaufen sah.
Es ist doch sonderbar, murmelte sie, er geht davon und dort fahren die Lichter hin zwischen den Schiffen, und jetzt halten sie unter der großen Brigg, die dem Herrn Willby gehört. Ich kenne die ganze Mannschaft, und der junge Mensch gehört nicht dazu. Aber, was ist das? schrie sie auf, das ist Feuer, wahrhaftig Feuer! Zur Hülfe! Zur Hülfe! Sie brennen das Schiff an.
In dem Augenblick erschien ihr Mann, der Wächter, und stieß in sein Horn, und wie der erste Ton erschallte, kamen mehrere Menschen, Hülfe schreiend, das Bollwerk herabgelaufen. Das Gerücht in der Stadt von fremden Raubschiffen und verruchten Piraten fand plötzlich eine schreckliche Bestätigung. Der ganze Haufen brüllte:
Räuber! Mordbrenner! Wo sind sie? Dort im Fort! Sie vernageln die Kanonen! Fangt sie, helft und rettet!
Ganz Whitehaven schien plötzlich erwacht zu sein. Die Mannschaft vieler Schiffe sprang halbnackt in ihre Boote; das brennende Theerfaß ward abgeschnitten und in's Meer geworfen, die andern Schiffe eben so schnell aus der verderblichen Nähe entfernt, und da plötzlich der Wind fast aufhörte und viele Hände thätig waren, ward der Brand glücklich gelöscht.
Nun drangen ganze Schaaren Volk und Soldaten, Matrosen und Weiber aus den Gassen der Stadt und über dem furchtbaren und verwirrten Geschrei dieser Masse, die noch immer nicht recht wußte, was geschehen war und nicht glauben konnte und wollte, was man ihr erzählte, ging der Morgen auf und die Sonne brach siegend durch die Wolken.
Da sah man ein Paar Barken draußen am Hafen, und wie eine Kompagnie Soldaten nach dem östlichen Fort eilte, sprang der letzte Mann aus dem Bollwerk und in das wartende Boot, das sogleich vom Lande stieß.
Die Soldaten schossen darauf, aber die Boote waren schon zu weit hinaus. Man sah nur, wie die wilden Gesellen ihre Beile schwangen, und hörte ihr Jubelgeschrei; dann kam ein großes Schiff mit dem leichten Winde um die Spitze, und wie es vor dem Hafen vorüberfuhr, zog es eine roth und weißgestreifte Flagge auf und in dem Winkel oben glänzten im blauen Felde eilf silberne Sterne.
Da fluchten und wütheten alle die tapferen Engländer sehr über diese verwegenen Rebellen. Die Kanoniere liefen an ihre Kanonen, aber ach! sie waren wirklich alle vernagelt, bis auf drei, die konnten keinen großen Schaden thun.
Kapitain Plunkett aber fuhr an Bord des Enterich, und die Bootsmannspfeife ertönte, die Trommel rasselte, das Verdeck wurde zum Gefecht klar gemacht, und viele angesehene Männer kamen: der Mayor und der Stadtrath, auch viele schöne Damen, und Kapitain Plunkett lachte und grüßte Alle, denn er war ein sehr höflicher Mann und lud sie ein, am Bord zu bleiben, wenn sie wollten, und dem Gefecht mit beizuwohnen, denn das schwor er: Ehe sechs Stunden hingingen, sollte der verdammte Räuber und das ganze Gesindel gefangen und Altenglands Ehre gerächt sein.
Sein Vorschlag wurde auch von mehrern beherzten Bürgern angenommen, den Andern aber schien er doch etwas gefährlich, obgleich sie nicht zweifelten, daß sie noch heut den Räuber sehen würden.
So war der volle Tag da. Der Enterich hatte sich hinausgelegt in's Meer und alle seine Vorbereitungen dort vollendet. Auf den Hügeln umher war eine unabsehbare Menschenmenge versammelt und sah nach dem Piraten, der ganz langsam gegen die Insel Man hinabschwamm, zuweilen wendete, als erwarte er seinen Verfolger, zuweilen seine Segel vermehrte, um seine Schnelle zu beweisen, und sie dann wieder einzog und seine ungeheure Sternenflagge recht zu Hohn und Schmach in der vollen Sonne zeigte.
Eine ungemeine Sauberkeit und Ordnung war am Bord des großen Schiffes, dessen zahlreiche Mannschaft theils in voller Thätigkeit bei den Manövern des Schiffs war, theils die Decke aufräumte, bei den Kanonen und Munitionskisten sich beschäftigte, Waffen herbeitrug, die am großen Mast niedergelegt und rund umher geordnet wurden, oder die obern Stengen herabnahm und die Segel beschlug. Die Offiziere waren vollauf beschäftigt, die verschiedenen Arbeiten zu leiten, und Alle erwarteten den Kapitain, der in den innern Räumen seine Untersuchung des Schiffs begonnen hatte.
Endlich erschien er auf dem Deck, und nachdem er die Augen aufmerksam und lange auf jeden einzelnen Gegenstand gerichtet, jedes Tau geprüft und jedes Segel gemustert hatte, lief ein Lächeln der Zufriedenheit durch seine heitern Züge. Die Mannschaft hatte aufgehört zu arbeiten, sie stand zu Haufen in den Gangwegen und betrachtete ihrerseits den jungen Kapitain. Die wilden Gesellen sahen mit Lust auf seine Gestalt und in sein blitzendes Auge, das Sieg verkündigte; selbst sein reiches, blau mit Gold gesticktes Kleid, die großen Epaulettes darauf, sein Federhut und das kurze, breite Schwert mit dem Goldgriff, das er trug, machten ihnen um so mehr Freude, da sie in ihren düsterrothen Teerjacken und im Kreise so rauher, wettergebräunter und mißgestalteter Menschen, durch einen solchen glänzenden Anführer sich geehrt fühlten.
Die wunderbare Macht, welche Paul Jones ausübte, war aber recht sichtbar, als er unter sie trat. Man hätte denken sollen, daß solche Wesen in der That nur Achtung oder Furcht vor einem finstern blutigen Riesen hätten haben können, zu welchem die Gerüchte Jones machten, aber sie beugten sich vor seiner Schönheit weit tiefer, denn sie wußten, daß hinter diesem feinen lächelnden Gesicht und in den kleinen Händen der Geist und die Kraft eines Riesen wohnten, daß diese blühend zierliche Gestalt viele Thaten vollbracht hatte, die nur ein wunderkühner Held und ein Liebling des Glücks ausführen kann, und so war es die geheimnißvolle Macht des Genius, vor dem sich alle diese trotzigen Männer beugten.
Wie Paul Jones durch die Reihen schritt, ein Lächeln auf seinen Lippen und in den großen Augen ein unwiderstehliches Etwas, das Glauben und Empfindung in die starrsten Herzen brachte; wie er hier ein Wort sprach, dort ein Lob spendete, da einen Befehl ertheilte, an dem man sah, er wisse und kenne Alles, besser und genauer, als der Erfahrenste unter ihnen, und wie er dann auf die Küste deutete und sagte: das Nest haben wir ihnen freilich nicht verbrannt, aber alle Mäuse sind aus den Löchern gekrochen, um zuzusehen, wie die Katze bestraft wird; doch ich seh's Euch an, Ihr werdet Eure Krallen gut gebrauchen und heut zum Nachttisch Entenbraten essen! Da war ein Jubel und Lachen auf dem ganzen Schiff, und die Hurrah's! und Hussa's!, mit denen man das englische Kriegsschiff begrüßte, das so eben ganz in der Ferne sichtbar ward, schallten weit über die Wellen.
Paul Jones aber sandte seinen Steward in die Kajüte hinab und ließ seine Gäste bitten, heraufzukommen, und einen Andern schickte er in die Gewehrkammer, um den gefangenen Kaufmann zu holen. Gleich darauf erschienen sie Alle: der alte Blawerpoult, seine Hausfrau, Molly und Ralf Sorton, ängstlich über ihre Zukunft, obwohl man sie mit vieler Aufmerksamkeit behandelt und köstlich bewirthet hatte. Herr Willby aber war äußerst niedergeschlagen über sein Schicksal und voll unterdrückter Wuth.
Der Kapitain faßte sogleich des alten Schotten Hand, schüttelte sie herzlich und sagte:
Vergebt mir, Herr Blawerpoult, wenn ich Euch einen unruhigen, unbehaglichen Tag gemacht habe. Wie ich mich aber einmal in Eure Angelegenheit gemischt hatte, konnte ich nicht anders thun, als ich that, und ich war so voll Freude, Euch unverhofft zu finden, daß ich's nicht lassen konnte.
Gut, Sir, gut, Herr Jones, erwiderte Blawerpoult, das Geschehene ist nicht zu ändern, so sagen die Menschen mit Recht, und es ist unnütz, darum zu streiten; aber nun, was wollt Ihr jetzt mit uns armen Leuten machen?
Das soll von Euch abhängen, Blawerpoult, rief der Kapitain lebhaft. Ihr war't meines Vaters alter Freund, Ihr habt mich lieb gehabt, als ich ein Kind war, und wißt, was ich Molly oft gelobt habe: wiederzukommen und sie zur Frau zu nehmen, wenn sie mich will.
Molly, sagte der alte Mann ernsthaft, ist einem ehrenwerthen Manne zugesagt, der, wie ich fürchte, auch manche Leiden ertragen hat.
Den aber Molly nicht will, versetzte Jones, und der ihr entsagt hat. Ist es nicht so, Herr Willby? freiwillig und gänzlich entsagt.
Ja, sagte Willby grollend, und ich wollte von Herzen, ich hätte sie Alle nimmermehr gesehen.
Jones hatte Molly's Hand ergriffen und fühlte sie zittern.
Nun, meine Molly, sagte er, welche Hoffnungen habe ich mir zu machen?
Keine! wenn sie mein Kind sein will, rief Blawerpoult heftig. Wie kann sie einem Manne angehören, der sein Vaterland bekriegt, der noch heute nur durch Gottes allmächtige Weisheit gehindert ward, ein schreckliches Verbrechen zu begehen.
Thörichter alter Mann! sagte Paul Jones sanft, laß es die da nicht hören, was Du sagst; aber in Deiner Weise hast Du nur zu Recht.
Dann nahm er wieder Molly's Hand und sah sie lange an.
Ja wohl, sagte er, ich empfinde es, Du hast mich vergessen, Molly, und Deinem alten Spielgefährten die Liebe nicht bewahrt, wie Du ihm als Kind versprachst. Du weißt nichts mehr davon und zitterst vor seiner blutigen Hand.
Er legte diese einen Augenblick auf seine Stirn und schien im tiefen Ernst nachzusinnen.
Ich möchte wieder unter dem Hollunder sitzen, sagte er leise, das Kind auf meinem Schoos, träumend und weinend über die ferne, bunte, herrliche Welt. So pflanze Du Deine Blumen, Molly, und lebe Dein stilles Leben fort; Paul Jones wird weiter gehen, er wird nirgend Ruhe finden, denn in ihm stürmt es, und wohl hast Du Recht, theile sein Schicksal nicht, es ist rauh, wechselvoll und kann in der nächsten Stunde schon blutig enden.
Plötzlich hob er den Kopf wieder auf und lächelte:
Fürchte Dich nicht, sagte er, Du weißt wohl, daß ich nur Dein Glück wünsche, und ich will den Cours steuern, wo wir es finden. Herr Blawerpoult, fuhr er fort, hier stehen nun zwei unglückliche Liebhaber; aber ich habe geschworen, Molly soll nicht ohne Mann aus meinem Hause gehen; so muß ich denn der Brautwerber sein. Hier ist Master Ralf Sorton, ein junger, tüchtiger Mann, den ich achte und den Molly liebt. Kein finster Gesicht, Herr, und bedenkt es wohl; es thäte mir leid, Euch aufzuhalten, denn dort kommt ein Bursche mit vollen Segeln herauf, der uns bald eine ernste Brautrede halten wird. Molly's Ausstattung übernehme ich. Hier sind zweitausend Pfund, um ihre Wirthschaft einzurichten.
Er zog Willby's Banknoten aus der Tasche, der halblaut und seufzend murmelte: Ja, ich kenne sie wohl, heut Nacht noch waren sie mein, es war mein Eigenthum!
Blawerpoult bedachte sich einen Augenblick und legte dann Molly's und Ralf's Hände zusammen.
Im Namen des Himmels! sagte er, Ihr sollt sie haben, Ralf, nehmt sie hin, aber gebt mir dafür die verwünschten Banknoten.
Jones steckte sie Molly zu und Ralf, der kaum wußte, wie ihm geschah, drückte sie in seiner Freude wie Abfall zusammen und in Blawerpoult's Finger.
Herr Willby, sagte dieser mit schottischem Stolze, nehmen Sie Ihr Geld zurück, Herr, es soll nicht von Thomas Blawerpoult gesagt werden, er habe mit Ihrem Verlust Molly's Hochzeit ausgerichtet.
Der Kaufmann steckte die Papiere schnell ein und drückte dem Alten dankbar die Hände.
Ich hoffe nicht, sagte er, daß unsere Freundschaft irgend eine Abnahme erlitten hat, und was Molly betrifft –
So habt Ihr hier die schriftliche Erklärung Master Willby's, daß er ihr entsagt, mein wackerer Blawerpoult, fiel Jones lachend ein und reichte diesem die Bescheinigung.
So will ich, da sie meine Frau nicht werden mag, doch immer ihr Freund sein, sagte Willby großmüthig zu gleicher Zeit.
Freude und Friede waren nun völlig hergestellt. Jones ließ ein prächtiges Mahl auftischen und nahm den zärtlichen Dank seines Schützlings und ihres Bräutigams an, mit denen er, wie mit ihren Eltern, ganz unbefangen und lustig über alte Geschichten plauderte. Wein wurde reichlich getrunken, dann nahm der Kapitain seine Guitarre und sang, wie er es Willby versprochen hatte, alle seine Jugendlieder, die selbst Mary's und des alten Schotten Herz aufregten, in dessen grauen Augen zuletzt Thränen glänzten. Endlich holte Jones allerlei Geschenke und für Molly einen schönen Schmuck aus Gold und Korallen herbei, den er ihr umhängte, und sie bat, immer seiner in Liebe zu gedenken.
Molly legte ihre Arme um seine Schultern, und ihre großen, sanften Augen waren ganz naß.
Paul Jones! sagte sie, ich werde Dich nie vergessen, aber könntest Du doch bei uns in den grünen Bergen wohnen.
Ist es nicht möglich, Paul?! rief Blawerpoult gerührt, und dann nachdenkend über Alles, was geschehen war, sagte er seufzend: Nein, nein! aber Gott segne Dich, Du Sohn meines alten Ned, Gott segne Dich.
Wenn sie Dich Alle verfolgen, rief Mary, so komm zu uns, wir wollen Dich verbergen; wie sie Dir auch fluchen, wir segnen Dich!
Jones war von den Beweisen dieser Liebe so gerührt, daß er nicht antworten konnte. Er hörte kaum auf Willby, der halblaut sagte, er könne wohl eine Bittschrift um Verzeihung bis in's Parlament bringen. Er schüttelte leise mit dem Kopf, lächelte und wurde dann plötzlich ernst, als der erste Lieutenant in den Salon that.
Wie weit noch? fragte er.
Zwei Meilen, Sir, erwiderte dieser.
So ist es Zeit, sagte Jones. Meine Freunde, fuhr er dann fort, der Augenblick unseres Scheidens ist gekommen. Ich habe eine Fischerbarke angehalten, sie wird Euch nach der Insel Man bringen, dort könnt Ihr Zeugen des Kampfes sein, der uns bevorsteht.
Ach! Jones, rief Blawerpoult kläglich, ich fürchte, wir sehen Euch zu bald in Whitehaven wieder.
Seid ohne Sorge, versetzte der Republikaner, aber wenn Ihr den Jäger mit seiner Prise fortziehen seht, kann ich leicht doch nicht mehr zu Denen gehören, die sich freuen. Wenn Ihr nach dem Gefecht eine schwarze Flagge erblickt, so betet für meine arme Seele, seht Ihr aber diese Sterne, so sendet mir Eure Grüße nach.
Nun führte er sie rasch auf das Deck, wo die Mannschaft nachlässig und scherzend umhersaß, und den nahen Feind betrachtete. Dieser schwamm langsam und stolz heran, wahrscheinlich um den fünf großen Booten, die ihn begleiteten und voll geputzter Leute waren, welche den Räuber fangen sehen wollten, Zeit zu lassen, ihm nahe zu bleiben. Der Wind trug den Schall der Trommeln von dem Schiffe herbei, die Sonne blitzte auf seine großen metallenen blankgeputzten Kanonen, jeden Augenblick konnten diese eine Frage thun.
Fort, fort! meine Freunde, rief Jones scherzend, ich sehe es dem Burschen an, er hat seine Mäuler weit aufgesperrt und es wird einige Mühe kosten, sie zu stopfen.
Die Lebewohl, welche der Kapitain empfing, vermischten sich mit Molly's und Mary's Thränen; er entzog sich dem Abschiede rasch. In wenigen Minuten waren Alle in der Fischerbarke, deren Mannschaft, reich beschenkt für ihren Dienst, den braven amerikanischen Herren, die armer Leute Freund waren, ein Hurrah brachten, dann aber so schnell als möglich sich von dem gefährlichen Schiff entfernten.
Und nun, sagte Paul Jones, indem er seinen Freunden den letzten Gruß zugewinkt hatte, nun habe ich Lust, keine Minute länger zu zögern, denn die Sonne ist im Sinken.
Indem er nach dem Enterich hinübersah, hauchte ein frischer Wind in dessen Segel, daß er schnell heranschoß. In diesem Augenblick war das Verdeck des Jägers völlig verwandelt: Einige wenige schrillende Signale reichten hin, die lachenden und müßigen Gruppen seiner Besatzung aufzulösen. Die Kanoniere standen bei ihren Stücken, hinter der Schanzverkleidung ordnete sich eine dichte Schaar von Schützen, von denen die kühnsten und besten die Mastkörbe besetzten; jedes Segel, jedes Tau war in der Hand, der es bestimmt war; Niemanden gab es an diesem Bord, der nicht voll Kampflust und Siegeshoffnung glühte.
Der Jäger zog langsame Furchen durch das Meer und ließ seinem Gegner, der in seinem Kielwasser war, alle Zeit, ihn einzuholen; plötzlich aber wendete er dicht unter der Insel Man und gab dem Enterich selbst den Vortheil des Windes.
Geben Sie Acht, meine Herren, sagte Kapitain Plunkett, die Bestie, wer es nun auch sein mag: ob ein Amerikaner, ob Jones selbst, ist viel ungeschickter, als ich anfangs meinte. Wahrscheinlich haben sie den Muth verloren und werden uns die Arbeit leicht machen, was mir sehr leid thun sollte.
Ich denke, Sir, erwiderte der alte Lieutenant des Enterich, wir werden Arbeit genug haben. Das Schiff scheint stark besetzt zu sein, seine Wände hängen voll Volk und alles ist teufelmäßig gut in Ordnung.
Schiff ohi! rief Kapitain Plunkett in diesem Augenblick.
Was gibts? antwortete Jones.
Was ist das für ein Schiff? fragte Plunkett.
Könnt Ihr die Flagge nicht sehen? rief Jones zurück. Es ist das amerikanische Schiff der Jäger.
Wer commandirt an Bord? schrie der englische Kapitain.
Kapitain John Paul Jones! rief es wieder. Kommt näher, die Sonne geht schnell; ehe es Nacht wird, muß Alles ausgeglichen sein. Wir erwarten Euch längst.
Dieser Antwort folgte eine tiefe Stille, aber der Enterich rauschte auf Pistolenschußweite heran und Plunkett rief:
Verdammt sei Eure Räuberfahne. Im Namen Sr. Majestät fordere ich Euch auf, Euch zu ergeben!
Bei dem letzten Worte fuhr eine Rauchsäule vom Jäger auf; die Splitter des Fockmastes flogen über das Vorderdeck des Enterich.
Feuer! rief Plunkett. Die ganze Breitseite des Schiffs entlud sich, und nun begann der Kampf, der in den Annalen der amerikanischen Marine einen so merkwürdigen Platz einnimmt.
Bald hüllte der dichte Pulverdampf beide Schiffe ein und ließ die Zuschauer in der ängstlichsten Erwartung. Zuweilen glaubten sie, jetzt sei es geschehen, jetzt habe der Räuber seine Flagge gesenkt, aber dann wickelte sie sich aus dem Rauch hervor und flatterte stolzer, als je. Nun wurde aus dem Siegesgeschrei ein Wehklagen, als man die englische Flagge nicht mehr erblickte. Sie war abgeschossen; doch der Muth erhob sich und neue Hurrahs! erschollen, als eine zweite mitten im Kampfe aufgezogen wurde.
Plötzlich fuhr der Wind scharf über die Wellen und nun lagen die Schiffe frei vor aller Augen. Aber ach! eine böse Macht schien dies gewollt zu haben, um den Stolz der Zuschauer recht zu demüthigen. Wie sah das schöne Schiff aus, das noch vor einer Stunde so blank und kühn durch die Wellen fuhr! Sein gelb bemalter Rumpf war wie ein Sieb durchlöchert. Seine Raaen und Masten zersplittert, die Vorder- und Topsegel heruntergeschossen, das Mars- und Besansegel flatterte zerfetzt im Winde, alles Tau- und Takelwerk war von den Kugeln zerrissen; und Bord an Bord mit ihm lag der schwarze Räuber, der weit besser erhalten aussah, denn außer einem Paar abgeschossenen Segelstangen und seinem zersplitterten Bugspriet fehlte ihm nichts. In dem Augenblicke sank die Flagge Altenglands, und wenige Minuten später wehten die Sterne an ihrer Stelle.
Nun drang ein wildes Jubelgeschrei über die Wellen, und die Zuschauer in den Barken und auf den Hügeln an der Küste, starrten lautlos auf das entsetzliche Schauspiel, das sie nicht begreifen konnten. Ein englisches Schiff, größer und stärker als sein Gegner, hatte dicht an Altenglands Küste seine Flagge gestrichen! Endlich brach die Masse in Thränen, Flüche und Verwünschungen aus, dann faßte sie eine unerhörte Angst. Feuer wurde angezündet längs des ganzen Kanals, überall trommelte man die Milizen zusammen, denn überall sah man einer Landung entgegen.
Als Paul Jones, die Enterpike in der Hand, an Bord des Engländers sprang und laut »Gnade!« rief, sah er mitten im Blut Kapitain Plunkett liegen. Eine Gewehrkugel war ihm durch Kopf und Hals gegangen. So hielt ihn der alte Lieutenant des Enterich in seinen Armen, obgleich er selbst schwer verwundet war. Jones beugte sich zu ihm nieder und rief nach dem Arzt, als Plunkett sich erholte und wunderbarer Weise sogleich den Mann von gestern Nacht erkannte.
Was wollt Ihr, Steuermann, sagte er mühsam, Ihr kommt zu spät, bei Gott! es ist aus mit mir.
Ich halte mein Wort, Kapitain Plunkett, erwiderte Jones, ich stelle mich Euch am Bord des Enterich vor.
Plunkett sah ihn mit seinen sterbenden Augen an und richtete sich auf:
Paul Jones! rief er plötzlich, und hob die Hand wie zum Schlage empor, aber sie sank langsam nieder, und der Körper fiel zurück. Er war todt.
Wenige Minuten später sahen Blawerpoult und seine Freunde, die auf der Landspitze der Insel Man standen, am Besanmast des Jägers einen kleinen Knäuel emporsteigen, der plötzlich sich entfaltete, und die große Flagge der Union wurde.
Er lebt, rief der alte Mann mit der herzlichsten Freude, und da fährt er hin, der Teufelskerl, mit dem schönen großen Schiffe! Ach! wenn es nicht ein Schotte und obenein der Sohn meines alten Freundes wäre, ich könnte darüber weinen.
Aber Vater, sagte Molly, was wäre aus ihm geworden, wenn sie ihn gefangen hätten?
Blawerpoult legte nachdenkend die Finger an seinen Hals.
Sie hätten ihn aufgehängt, sagte er leise, und ich hätt's nimmermehr überwunden.
Gott segne und erhalte ihn! rief Mary. Er hat uns Allen wohlgethan, mögen sie ihm fluchen, ich kann nur beten für den armen John Paul.
Und wie sie die Hände faltete und Blawerpoult sein Käppchen abnahm, fing der Abend an zu glühen. Die rothe Sonne übergoß das Meer, die Schiffe aber zogen friedlich neben einander hin, ganz in Gold gebadet und mit Purpursegeln bedeckt, bis sie in der Nacht verschwanden.
Am 8. Mai 1778 landete der Jäger und seine Prise in Brest. Paul Jones Name flog durch Europa, er war der Held seiner Zeit geworden.