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[Zweiter Theil.]
In einem schön geschmückten Zimmer stand ein junger Mann vor dem hohen Spiegel, den Hut auf dem Kopfe, einen kurzen Mantel malerisch über die Schulter geworfen, in der rechten Hand einen Spazierstock, wie ein Schwert erhoben, und in der Linken eine Rolle beschriebener Papiere, aus welcher er eifrig und mit lauter Stimme die weitläufig geschriebenen Verse las.
Es geht ganz entsetzlich schlecht, sagte er verdrießlich, ich kann mich in das Gemisch von Heldenthum und Sentimentalität gar nicht finden. Holperige Verse, Worte, an denen sich die Zunge verrenkt, Bombast, unerträglicher Schwulst und widerlicher Klingklang. Welcher Satan treibt die Großen dieser Erde jetzt dazu, das Scepter mit der Dichterfeder zu vertauschen? Gebt dem Könige, was des Königs ist; gut, aber laßt dafür die Poesie zufrieden. Die Pest auf allen Narrenkram der Zeit!
Sagt Shakspeare, mein theurer Freund, versetzte eine lachende Stimme, und zur Thür herein trat ein breitgeschulterter Mann, mit verlebtem Gesicht und stechenden beweglichen Augen. Aber Ihr macht Euch die Sache auch gar zu schwer. Was quält Ihr Euch ab, jedes Wort verstehen zu wollen, in jedem Worte Sinn zu finden, bei jedem Worte etwas zu denken, zu jedem Worte Betonung und Deutung zu suchen. Ha! merkt's Euch, wo Begriffe fehlen, da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein! sagt Goethe, und das war ein Mann, der die Welt und die Geschöpfe darin kannte. Fragt doch nicht, was die Großen dieser Erde wollen; sie wollen Alles, selbst des Gedankens Blässe sich ankränkeln, sagt Hamlet, denn Gedanken stehen jetzt gut im Course, und der gute Cours ist die große Sache der Welt. Aber Denken ist das Allerschlimmste, was ein unbefangener Mensch unternehmen kann, obwol es etwas Unwillkürliches ist, und jeder Mensch denken muß, er mag wollen oder nicht, wie Hegel sagt; allein es kommt ganz darauf an, wie man denkt, was man denkt, wozu, warum, worauf und woran man denkt. Ihr zum Beispiel, der Hofschauspieler, erster Liebhaber und Günstling aller Geschlechter, thut außerordentlich Unrecht, an etwas Anderes zu denken, als an gutes Memoriren Eurer Rollen, an eine sanfte Modulation Eures seit einiger Zeit etwas rauhen Organs, an pflichtgemäße Attitüden, an leidenschaftliche Beweglichkeit Eurer einnehmenden Züge, an alle Bravos Eurer Abgänge, an nöthige Freibillets, dienstwillige Freunde und hohe Gönner zur Verschönerung Eurer irdischen Laufbahn. Denn ich sage Euch, Clavigo, die Welt verzeiht schlechte Handlungen, aber keine Dummheiten; und eine Dummheit ist es unter andern, wenn der Schauspieler sich mit einer Rolle quält, in der nun einmal nichts ist, und den Dichter mit Füßen tritt, wenn dieser eine Excellenz oder gar eine Hoheit zufällig sein sollte.
Bin ich denn nur eine Maschine, verdammt zum Auswendiglernen? rief der junge Mann zürnend, und muß ich mein armes Gedächtniß martern, um Unsinn und Trivialitäten wiederzuplappern, vor denen ich erröthen möchte?
Ich sage Euch, Freund Hermann, erwiderte der Andere, und streckte sich behaglich der Länge nach auf das Sopha, ein Kerl, der philosophirt, ist wie ein Pferd auf dürrer Haide –
O, bringt mich nicht um, Rosenberg, mit Euren Citaten! rief Hermann. Ist das die Kunst, die schöne Dienerin der Poesie, sind wir so die Lehrer der Nationen, um das Höchste und Herrlichste zum Bewußtsein der Menschen zu bringen?
In einer halben Stunde ist große Probe, erwiderte Rosenberg gleichgültig. Es wird heut Abend sehr voll sein, alles ist verkauft. Der hohe Herr hat das ganze Parterre genommen und zwei Compagnien Leibgarde zum Klatschen kommandirt. Es wird ein Mordspektakel, Alles gerufen, ein ausgezeichneter Abend. Die Ringheim läßt Euch sagen, Ihr möchtet ein wenig früher kommen, sie wollte Euch dem Herrn vorstellen, der gewiß vorher noch auf der Bühne erscheint. Ein prächtiges Mädchen, die Ringheim, interessirt sich für Euch, Ihr müßt dankbar sein, seid ein wenig bescheiden, unterstützt ihre Abgänge; manus manum lavat; könnt Euer Glück machen. Ihr wißt, wie sie mit dem Herrn steht, aber Ihr seid ein Obenaus, ein Anfänger, habt poetische Grillen, kennt den Souffleurkasten noch nicht, und ärgert Euch, wenn dieser Freund und Tröster ein wenig zu laut mitspielt. Ach! – da fällt mir ein, wenn es geht, möchte sie Euch noch einen Augenblick sprechen. Nun laufet, was Ihr könnt, so kommt Ihr noch zur rechten Zeit, ich bleibe und schließe Euer Zimmer. Ich habe gut gefrühstückt mit einigen Verehrern meines geringen Talentes, aber Charakter muß man haben, der etwas verträgt. Es bildet ein Talent sich wol im Stillen, doch ein Charakter in der großen Welt, sagt Antonio, und darin hat sich der meine gebildet, also fort mit Eurem Talent.
Hermann eilte hinaus und hörte hinter sich das Lachen und die Citate seines Bekannten. Bald hatte er die Wohnung der Schauspielerin erreicht, das Kammermädchen öffnete die Thür, und vor ihm stand die schöne lächelnde Gestalt, welche so eben die letzte Hand an ihren Putz legte und ein Band köstlicher Perlen in die dunklen reichen Locken schlang.
Die Schauspielerin empfing den Besuch mit aller Zutraulichkeit und Freiheit, welche die künstlerische gemeinsame Stellung mit sich führt.
Setzen Sie sich, sagte sie, und während ich meine Locken ordne, lassen Sie uns plaudern. Man hat mich den ganzen Morgen über belästigt, nun habe ich Alle fortgeschickt, die Poeten, die Lobredner, die boshaften Journalisten, die Neuigkeitsträger und Enthusiasten, und ganz besonders die lästigen Courmacher. Lassen Sie uns einen Augenblick vertraulich reden und führen Sie mich dann zur Probe. Ich seh' es Ihnen an, Hermann, Sie halten nichts von dem neuen Stücke.
Es ist schlecht, sagte er.
Aber Sie werden es doch um des Himmelswillen nicht fallen lassen? erwiderte sie lebhaft.
Ich werde thun, was ich muß.
Mehr als das, rief die Schauspielerin, Sie müssen sich dafür begeistern. Ja, Sie müssen, fuhr sie bittend und befehlend fort, wenn – nun ja, wenn es wahr ist, daß meine arme Person einige Gnade vor Ihren Augen gefunden hat.
Sie reichte ihm die kleine weiße Hand, die er an seine Lippen zog, und als er das lächelnde Gesicht emporhob, blickte sie ihm so überredend süß in die Augen, daß alle trüben Gedanken schnell verschwunden waren.
Sie sind eine Zauberin, Charlotte, sagte er mit fast zitternder Stimme. Nun gut denn, ich will mich gern begeistern, schaffen Sie mir nur immer den Quell, wie er in diesem Augenblick mich lebendig umrauscht.
Denken Sie an mich, an das Glück der Zukunft, sagte sie leise. Sie kennen ja das laute Geheimniß, fuhr sie lächelnd fort, in welches sich das Mysterium des hohen Autors einhüllt. Er will nicht gekannt sein, und läßt es doch geschwätzig Jeden wissen, der es hören mag. Das sind die Thorheiten der Eitelkeit, aber wie wir auch heimlich darüber lachen mögen, dem Mächtigen gegenüber muß man stets ein Hofmann sein. Sie vor Allen müssen die Last dieses Tages tragen, doch der Lohn wird auch groß sein. Wenn Sie sich wacker halten, sind wir heut einen wichtigen Schritt näher zum Ziele. Ich habe manches Wörtchen zu Ihren Gunsten schon gesprochen, und denke, es soll nicht allzuschwer sein, den guten Contract auf Lebenszeit abzuschließen, wenn Sie nur wollen.
Und dann? sagte er mit heftiger Bewegung.
Nun und dann? erwiderte sie schalkhaft lächelnd; dann steht es ganz in Ihrem Belieben, glücklich zu werden und glücklich zu machen.
Er küßte die kleine Hand mit Leidenschaft; plötzlich aber richtete er sich auf, eine dunkle Glut färbte seine Wangen, der eine schnelle Blässe folgte.
Was fehlt Ihnen? sagte sie besorgt, Sie sind krank.
Am Herzen, erwiderte er leise. Ein schlimmer Vogel sang mir ein Lied, dessen Töne ich nicht vergessen kann. Schöne Künstlerinnen, hieß es, haben das Eigenthümliche, im Leben fortzusetzen, was sie auf der Bühne darstellen. Sie spielen mit Gefühlen und betrachten die Welt als ein Theater im Großen, wo man an jedem Abend ein anderes Stück aufführt. Man sagt Manches auch von Ihrer Wankelmüthigkeit, Charlotte?
Was sagt die Welt nicht! erwiderte sie lächelnd.
Von dem großen Kreise Ihrer Verehrer.
Kann eine Schauspielerin sich vor diesen Ueberlästigen schützen, mein Freund? Sie sind unabweisbar, wie die Fliegen, welche eine Zuckerschale umschwärmen. Man spielt mit dem Geschmeiß und schlägt gelegentlich Eins oder das Andere todt.
Von Ihrer innigen Verbindung mit einer hochstehenden Person, fuhr er mit scharfer Betonung fort.
Also eifersüchtig? versetzte sie lächelnd.
Der fürstliche Dichter, sagte Hermann mit finsterer Stirn, zeichnet Sie besonders aus.
Er ist allerdings mein treuer Anbeter, rief sie leicht erröthend, und ich habe die Ehre, Stunden lang hier den ganzen Reichthum seines Geistes bewundern zu können. Mein theurer Freund, ist es nicht der Klugheit gemäß, wenn ich selbst mit einiger Mühe mir einen dankbaren, gnädigen Beschützer erhalte? Wenn Sie wüßten, wie sanft er schwärmt, wie gern er mit seinen Huldigungen als Dichter zufrieden ist, und wie große Langeweile ich oft ertrage, Sie würden mich mehr bemitleiden als mir zürnen. Doch, warum vertheidige ich mich! sagte sie mit komischer Entrüstung, welche Rechte haben Sie denn, mein junger Herr, mich meiner Verbindungen wegen zur Rede zu stellen? Nun noch ein Wort im Ernst. Ich bin Ihnen von Herzen zugethan, aber das muß für jetzt ganz unter uns bleiben. Sie sind eifersüchtig, doch andere Leute würden es auch sein, und gewiß mit besserem Grunde. Erst den lebenslänglichen Contract für Sie, dann wollen wir ihnen die Augen öffnen, und bis dahin sein Sie vorsichtig. Vor dem bösen Vogel aber, der, wie ich glaube, Rosenberg heißt, hüten Sie sich, er ist ein arger Intriguant auf den Brettern wie im Leben, aber ich werde ihn anders pfeifen lehren.
Sie öffnete die Thür und trat hinaus; schmollend folgte Hermann.
Die Aufführung des neuen Stückes war glänzend gelungen. Mit Beifall überschüttet verneigten sich die Hervorgerufenen zwischen Blumen und Lorbeerkränzen zum letzten Male und der Vorhang fiel. Plötzlich trat aus einer Seitencoulisse ein Herr, vor dessen großem Stern schnell Alles zur Seite wich.
Er warf die suchenden Augen über die Gruppen der Umstehenden, und kaum sah er die schöne Schauspielerin an der Seite Hermanns, als er schnell auf sie zutrat.
Nehmen Sie alle meinen Dank, sagte er, für die Freude dieser gelungenen Darstellung; auch den besten Dank meiner Gemahlin. Vor Allen aber Sie, Mademoiselle, und Sie, Herr Hermann. Wäre der Dichter hier, er müßte entzückt über das tiefe Verständniß seines Werkes sein. In solchen Händen, in solcher echt künstlerischen Weise nur können die Schöpfungen der Poesie gedeihen.
Er lächelte und blickte im Kreise umher, wo Alles lächelte.
Durchlauchtigster Herr, sagte die Schauspielerin, sich verneigend, nur wo das reine Gold wahrer Poesie eine Schöpfung durchdringt, die von Meisterhand geschaffen ist, wird es dem Schauspieler gelingen, alle Hörer mit sich fortzureißen. Wir sind einstimmig, selten diese Stufe wie heute erreicht zu haben. Herrn Hermann aber, der vor Allen begeistert von den tiefen Schönheiten des Gedichtes war, verdanken wir den Triumph des Tages.
Der Fürst blickte mit Wohlgefallen auf den jungen Künstler, welcher sich tief verneigte, und einige Worte murmelte, die Niemand verstand.
Nochmals meinen Dank, sagte er. Ich weiß, daß der wahre Künstler vor allen Dingen begeisterungsfähig sein und sich in die Schöpfung des Dichters hineinleben muß. Das thaten Sie, ich erkenne dies schöne Streben und wünsche Ihnen Glück. Sie, Mademoiselle, haben so viele Blumen und Kränze heute empfangen, nehmen Sie auch von mir ein Zeichen meiner Bewunderung Ihrer hohen Kunst.
Er wendete sich um, ein Herr im Hofkleide reichte ihm ein Bouquet strahlender Blumen, Blätter von fein getriebenem Golde, Knospen und Blüthen, in schimmernden Diamantentropfen und Rubinen, Sapphiren, Smaragden, den Farbenschmelz der Natur wiedergebend.
Nehmen Sie dies als eine Erinnerung dieses Abends, sagte er, als die Schauspielerin zögerte. Ich wünsche, daß es Ihnen so viele Freude mache, als Ihre hohe Kunst mich entzückt hat.
Nach einigen gnädigen Worten entfernte sich der Fürst, und der ganze neugierige und neidische Haufen umringte nun die Beglückte. Die Nahestehenden bewunderten das kostbare Geschenk, den fürstlichen Kunstfreund und die gefeierte Künstlerin. Die Andern lächelten hämisch, flüsterten sich Worte zu, blickten sich vielbedeutend an und trieben die ganze Zeichensprache der Verleumdung und Mißgunst.
Hermann stand von fern, und jeder Blick, jede zweideutige Bemerkung schnitt in seine Brust. Die Scherze seiner Kunstgenossen, in der Garderobe eifrig fortgesetzt, empörten ihn um so mehr, als Jeder sich hütete, offen zu sprechen, was er dachte, sondern seinen Hohn und Grimm unter einer Fülle flacher Witzeleien und übertriebener Lobeserhebungen zu verstecken suchte, deren lächerliche Seite von wiehernder Lust begleitet wurde.
Ich sage, meine Herren, rief Rosenberg, faltet die Hände und dankt dem Himmel, daß wir bei diesen schlechten Zeiten einen solchen Protector der edlen Kunst besitzen. Was wäre Quintus Roscius Quintus Roscius Gallus (um 126 – 62 v.u.Z.), römischer Schauspieler. Er wurde als Freigelassener geboren. Cicero nahm Unterricht bei ihm. Der Diktator Sulla schenkte ihm einen goldenen Ring, das Abzeichen des Ritterstandes, eine bemerkenswerte Auszeichnung für einen Schauspieler in Rom, wo diesem Beruf üblicherweise mit Verachtung begegnet wurde. Roscius häufte zu Lebzeiten ein enormes Vermögen an. ohne Cicero und Sylla gewesen; was würden wir sein ohne unsern erlauchten Beschützer! Welchen jammervollen Abend hätten wir erlebt, wenn es nicht Dichter von so mächtigen Talenten gäbe, die selbst das kälteste, empfindungsloseste Publicum zum Beifallsturme zwängen; ach! und was nützt aller Beifall ohne den edlen Tribut, welchen nur die Hoheit spenden kann. Das ist die wahre Anerkennung der Kunst, wenn man ihre Priester mit goldenen Blumen schmückt. Roscius erhielt ein Jahrgeld von Rom, heut aber wählen hohe Gönner zarte und ausdrucksvolle Diamanten und Perlen, damit die schönen Andenken unvergeßlicher Stunden bleibenden Werth erhalten. Ein Künstler darf nicht arm sein, Armuth tödtet das Leben und die Kunst, es ist die einzige Last, die schwerer wird, je mehr man daran trägt, sagt Jean Paul; und welchen künstlerischen Eifer, welche Hingebung erweckt das Gefühl, mit Diamantringen und goldenen Dosen, Uhren von Breguet Die Uhrenmanufaktur Montres Breguet, 1775 mit Sitz in Paris gegründet, heute im schweizerischen L'Abbaye ansässig und zur Swatch Group gehörend, präsentiert bis heute technische Spitzenprodukte im obersten Preissegment., Ketten oder gar Blumensträußen von Edelsteinen die schwierige Kunstbahn gepflastert zu sehen. Da nimmt man einen Anlauf, da scheut man kein Opfer, da ringt man und strebt und lebt in schönen Gefühlen und Empfindungen. Nacht muß es sein, wo Friedlands Sterne strahlen! – Aber die Sterne strahlen nächtlich für Jedermann, den Auserwählten nur schimmern sie auch bei Tage, und zum Teufel mit aller Mannheit, es ist keine Ehrlichkeit mehr in der Welt, sagt Falstaff. Daß ich ein Weib wäre, eine schöne üppige Dirne in feuerfarbener Seide. Die Kunst muß schon sein, weil sie göttlich ist, pfui! über alle häßliche Gesichter! Hört doch die Recensenten. Schöne Gestalt, höchst jugendliche Künstlerin, wenn sie kaum dreißig dieser erbärmlich kurzen Erdenjahre denken kann, und bewunderungswürdige Toilette vor allen Dingen. Das reizt, das ist die wahre Quintessenz, das ist die echte Kunst, und alles andere findet sich ganz von selbst
Hermann schlüpfte hinaus; er war tief verletzt und die milde Sommernacht konnte den Sturm seines Herzens nicht beruhigen. Ein unbestimmtes Gefühl drängte ihn zu der Wohnung der Schauspielerin, mit hastigen Schritten eilte er durch die Straßen. Sie hatte ihre schönen bedeutungsvollen Augen auf ihn geheftet, als sie ging; es war ein langer fragender Blick darin, er deutete diesen auf den Wunsch, ihn zu sehen, und mit zitternder Wonne rann das Begehren durch sein Blut.
Als er wenige Schritte noch von dem Hause war, stand er still und blickte zu den Fenstern hinauf. Sie bewohnte die ganze Reihe glänzender Zimmer, welche mit allem Luxus der Mode und des Genusses ausgestattet waren. Weiße faltige Vorhänge deckten die schönen Räume voll Glanz und Wohlgeruch, den er einzuathmen glaubte. Nur in dem letzten kleinen Gemache brannte Licht, und der schwebende Schatten war der Abdruck des wunderbaren Wesens, welches ihn erwartete.
Ungeduldig eilte er durch die Pforte, und noch hatte sein leiser Tritt die letzte Stufe der Treppe nicht erreicht, als die Thür geöffnet wurde, und das freundliche Kammermädchen, den Silberleuchter mit Wachskerzen in der Hand, ihm entgegentrat. Als sie ihn erblickte, stand sie betroffen still, die lächelnde Miene sank zusammen und mit fragenden Blicken vergalt sie seinen Gruß.
Mein Fräulein ist schon im Negligé, sagte sie mit dem echten naseweisen Tone einer vertrauten Zofe.
Melden Sie mich ihr, erwiderte Hermann. Nur einen Augenblick wünsche ich sie zu sehen.
Die Dirne entfernte sich und ließ ihn auf dem dunklen Flur.
Das Herz des jungen Mannes pochte, sein Verstand combinirte schnell den kleinen Vorgang. Mißtrauische Liebe ist scharfsichtig in ihren Schlüssen, und als das Mädchen wiederkehrte, las er in ihrer listigen Freundlichkeit die Bestätigung seines Verdachtes.
Mein Fräulein bedauert sehr, sagte sie, Sie heute nicht mehr empfangen zu können. Sie fühlt sich zu angegriffen und unwohl. Morgen um zwölf erwartet sie jedoch bestimmt die Ehre Ihres Besuchs.
Und darauf, sagte Hermann leise, als er die Straße erreicht hatte, wird sie jedenfalls vergebens warten. O, was war ich für ein Thor, einen Augenblick nur mich freudig dieser Raffinerie der Empfindungen hinzugeben. Rosenberg hat Recht, ich bin ein Anfänger in allen Dingen; ein Mensch, ganz dem Herzen unterworfen, und der Kopf muß leiden, was dies verbricht. Paßt man so für die Welt, darf man so ungewiß in dem Meere des Lebens schwimmen, um des ersten schlauen Räubers Beute zu werden?
Eine hohe Gestalt, in den Mantel gehüllt, ging rasch an ihm vorüber, und bestürzt blieb er stehen. Er konnte sehen, wie der Fremde, dessen Namen sein ahnungsvolles Herz aussprach, im Hause der Schauspielerin verschwand, und als er an der andern Seite der Häuserreihe langsam hinabging, erblickte er zwei Schatten hinter den Vorhängen.
Er preßte die Hand fest auf die klopfende Brust.
Dies also war des Pudels Kern, um mit Rosenberg zu sprechen, sagte er dann lächelnd; nun, die Heilung kommt schneller und sicherer als ich dachte. Wie war ich noch jetzt geneigt, meine Abweisung halb und halb als gerecht zu erklären, die Ermüdung, den Kopfschmerz für wahr zu halten, welche Stimme sprach in mir, daß es die Coquetterie der Liebe sei, welche sie hieß, mich fortzuweisen, damit ich durstiger nach ihren Blicken werde, heißer nach jeder kleinen Gewährung strebe, und nun – nun liegt Alles offen vor mir, und ich lache mich selbst aus, so närrisch geträumt zu haben.
Er ging fort über die Promenaden der Stadt nach der Seite des Stromes, wo Terrassen sich steil zu dem Ufer niedersenkten, und die alten Wälle zu heitern Spaziergängen mit duftenden Gebüschen, Bäumen, Blumenstücken und Ruhesitzen umgewandelt waren. Der letzte röthliche Wolkenschimmer verschwand, unten lagen Schiffe schwer und still, ihre schlanken Masten stiegen aus der murrenden Tiefe auf. Lichter blitzten da und dort aus den Landhäusern und die Sterne funkelten sanft auf die ruhende Welt und ihr Leid.
Der junge Mann hatte sich unter einen weitästigen Baum gesetzt, der ihn verbarg, und suchte aus dem Gewirre seiner Empfindungen zu festen Entschlüssen zu gelangen. Plötzlich hörte er nicht fern von sich eine leise Stimme, die wohllautend an sein Ohr drang, und eine weibliche Gestalt im weißen Gewande richtete sich am nächsten Baume auf.
Es ist schon spät, lieber Vater, sagte die sanfte Stimme, wir hätten den weiten Weg durch die Promenaden nicht nehmen sollen. Dein Zustand ängstigt mich sehr.
Nur einen Augenblick noch, mein Kind, erwiderte der Sitzende langsam. Es war ein heißer Tag, nun ist es kühl geworden und ich bin sehr ermüdet. Das ganze Leben ist so, mein Kind. Der heiße Tag erschöpft unsere Kräfte und der Abend findet uns müde und lebenssatt.
Er stand ächzend auf, seine Tochter unterstützte ihn hülfreich. Wie meine Glieder erstarrt sind, sagte der alte Mann, ich glaube, Du hattest Recht, Antonie, wir saßen zu lange; Du bist eine schwache Stütze:
Stütze Dich recht fest, mein lieber Vater, erwiderte sie ängstlich, ich will Dich ganz sicher führen. O, wenn wir nur erst die Straße erreicht hätten!
Hermann stand auf und nahte sich den Beiden.
Ihnen ist ein stärkerer Arm nöthig, mein Herr, sagte er; der Weg ist dunkel und glatt, erlauben Sie mir, Ihr Führer zu sein.
Die plötzliche Erscheinung des hülfreichen Unbekannten überraschte, aber seine Freundlichkeit war wohlthuend, seine Theilnahme erwünscht, und nach einigen schwachen Weigerungen der Höflichkeit stützte sich der alte Herr fest auf den kräftigen Führer, der ihn sorgsam die Stufen hinableitete. Bald waren die Straßen erreicht, und der Lichtschein der Laternen erlaubte der kleinen Gesellschaft, gegenseitig die Züge des neuen Bekannten zu mustern.
Hermann blickte neugierig auf die zarte kleine Gestalt an seiner Seite, und begegnete zwei großen dunklen Augen, die mit sanfter dankender Freundlichkeit ihn anschauten. Ein schmuckloser Strohhut beschattete liebliche Züge, denen das Leben den sorglosen Reiz der Unschuld nicht getrübt hatte. Der Schmerz kindlicher Besorgniß lag ungekünstelt darin, und wie sie ängstlich den greisen Vater immer wieder nach seinem Befinden befragte und gute Antwort empfing, blitzte der schalkhafte Lebensmuth freudiger auf, und ihre Lippen strömten von Dank und guten Wünschen für den helfenden Unbekannten über.
Die ganze Steifheit und Müdigkeit ist verschwunden, sagte der alte Herr. Solch ein hinfälliger Körper ist wie eine langgebrauchte Maschine, die, abgenutzt, bei jedem kleinen Ungefähr still stehen will, und nur mit Vorsicht und Sorgfalt von Tag zu Tag erhalten werden kann. Du, mein Kind, bist der sorgsame Maschinenmeister, der immer helfend bei der Hand ist, und nur daran denkt, das ewige Gesetz der Vernichtung aufzuhalten. Ja, mein Herr, fuhr er mit Rührung fort, ein so gutes Kind ist ein seltener Schatz von Liebe und Treue. Gott hat mein Alter gesegnet mit ihrem zärtlichen Beistande, und das hilft manchen Kummer leichter machen.
Von den ältesten Zeiten an, erwiderte Hermann, ist die Kindesliebe ja auch als die Krone aller Liebe gepriesen worden. Der Segen der Eltern baut Häuser auf, wie die heilige Schrift sagt, und Legenden und Geschichten haben die erhabensten Züge dieser Liebe, als Beispiele der reinsten Jugend, uns aufbewahrt.
Der alte Mann stand plötzlich still und drückte die Hand des Fremden mit Heftigkeit.
Aber die Undankbaren, sagte er, die Pflichtvergessenen, die mit Fluch und Sünde Belasteten, deren Thaten aufgezeichnet stehen in dem großen Schuldbuche der Vergeltung, was wird auf Erden und in dem ewigen Jenseits ihr Loos sein?
Er legte die Hand an die hohe kahle Stirn; Hermann sah ihn erstaunt an.
Wir werden uns näher kennen lernen, fuhr er dann fort, ich wünsche und hoffe es, wenn Ihre Zeit es erlaubt, dann und wann einem einsamen alten Manne und einem jungen unerfahrenen Mädchen Ihre Gesellschaft zu schenken. Ich heiße Gerhard, ehemals königlicher Tribunalrath, jetzt ein friedlicher Bürger dieses kleinen Staates. Seit einigen Jahren habe ich mich hieher zurückgezogen, wo ich ganz in Abgezogenheit mir selbst lebe, und daher keine Hoffnung habe, Sie in geselligen Kreisen wiederzufinden. Hier aber wohne ich mit meiner Tochter, unseren Büchern und Blumen, in diesem Hause, das Ihnen gastfreundlich aufgethan ist.
Er deutete auf ein kleines geschmackvolles Haus, das hinter grünen Gittern von Blumen und Bäumen umgeben lag, und schien nach dieser Eröffnung eine Antwort abzuwarten.
Hermann war in Verlegenheit. Er wußte nicht, warum es ihm unmöglich war, seinen wahren Stand und Namen zu nennen; aber das Bekenntniß, daß er Schauspieler und Mitglied des Hoftheaters sei, hatte etwas Peinigendes und Schmerzliches, es wollte nicht über seine Lippen und doch war er gezwungen, eine Antwort zu geben.
Ich bin ein Fremder, sagte er, der erst seit kurzem hier verweilt.
Ein Mann, der plötzlich aus dem Baumwege trat und die Gitterthür öffnete, unterbrach seine verlegene Antwort.
Freund Eduard, sagte der Tribunalrath, wir haben Dich vergebens erwartet. Wo warst Du denn?
Sie werden erstaunen, mein theurer Vater, erwiderte der junge Mann mit gemessener, tiefer Stimme, ich war im Theater.
Der alte Herr machte eine ungestüme abwehrende Bewegung mit der Hand.
Kaum glaublich, sagte er, und Erstaunen und Unmuth lagen in seiner Stimme, Du im Theater! Die abgeschmackteste, verderblichste Lustbarkeit dieser Welt hätte Reiz für Dich?
Man stärkt die Wahrheit im Anschauen der Lüge, erwiderte Jener mit demselben leisen, langsamen Tone. Sie werden hören, was ich empfand.
Schenken Sie uns noch einige Augenblicke in unserer stillen Wohnung, sagte der Rath und ergriff Hermann's Hand von neuem.
Er führte ihn die Stufen hinauf und öffnete die Glasthüren des Salons. Es war ein schönes, einfach aber sorgsam geschmücktes Gemach. Blumen blühten an den Fenstern und standen duftend in langen Reihen auf Gestellen. Eine Astrallampe brannte auf einem Marmortische, der getäfelte Boden war mit bunten Matten belegt, mehrere werthvolle Oelgemälde, Christusbilder, Scenen der Bibel und der Leidensgeschichte, hingen in dunkeln Rahmen an den Wänden.
Als sie im Salon standen, zeigte der Tribunalrath auf seinen schwarzgekleideten Freund.
Mein Vetter, sagte er, der Domprediger Wilhelmi, und hoffentlich bald der Nachfolger seines zu früh verewigten Vaters, des Probstes und Oberconsistorialraths, des frommsten christlichen Mannes und meines unvergeßlichen Freundes. Und hier ein junger Fremder, dem ich heute den lebhaftesten Dank schulde, Herr –
Lobenstein, sagte Hermann schnell und verbeugte sich.
Der Prediger reichte Hermann mit steifer Höflichkeit die Hand und sprach in wohlgesetzten Worten seine Begrüßungen. Seine dürre Gestalt war ein wenig gebeugt, das lange blasse Gesicht mit dem gescheitelten Haar und großen starrblickenden Augen hatte etwas Unheimliches. Ein lauernder Blick und ein süßliches Lächeln belebte dann und wann diese kalten Züge, die augenblicklich, als schämten sie sich der Regung, zur vorigen Undurchdringlichkeit zurückkehrten.
Der Tribunalrath schien mit großer Achtung und Liebe an seinem geistlichen Verwandten zu hängen. Weitläufig sprach er von seinem Spaziergange, bedauerte das Ausbleiben Wilhelmi's, schilderte den Mißmuth, den er darüber empfunden, und erzählte dann den kleinen Unfall, seine Schwäche, die Angst seiner Tochter und die plötzliche Hülfe Hermann's.
Antonie hatte sich inzwischen entfernt, und jetzt erschien sie mit einer Dienerin, welche kühlende Erfrischungen trug. Die liebliche Gestalt des jungen Mädchens schien sich zu vervielfältigen in den kleinen Diensten, und die holde Freundlichkeit, mit welcher sie sich um den Vater bemühte, alles schaffte und ordnete, die Erzählung ergänzte und ihren Gästen die Limonade reichte, ließen Hermann nicht zu dem Entschlusse kommen, sich zu entfernen. Gedankenvoll saß er und hörte nur halb auf das Gespräch, welches die beiden Herren führten. Erst die Worte: Theater, Vorstellung, Sünde und Verworfenheit weckten ihn gleichsam und färbten seine Wangen, da er plötzlich empfand, daß auch er zu den Menschen gehörte, denen hier schonungslos der Stab gebrochen wurde.
Ich ging, sagte der blasse Prediger langsam, nach reifer Ueberlegung in dies Haus der weltlichen Lust. Man hatte es laut verkündigt, daß das neue Stück einen Verfasser habe, den zu ehren und zu lieben uns göttliche und irdische Gesetze gebieten. Vielleicht, so sagte ich mir, leuchtet der reine Sinn dennoch aus diesen trügerischen Gebilden. Die Hand Gottes regt sich hier wol, wo die Hoheit sich zu vergessen scheint, und sich herabläßt, ein Spiel mit Worten und Versen zu treiben. Die Tugend wird belohnt, das Böse bestraft, der Fromme und Gerechte triumphirt und das Laster empfängt den verdienten Lohn. Ich erinnerte mich der alten geistlichen Komödien, und gedachte der Zeit, wo wir selbst einst in frommer Begeisterung im Seminar, Saul, König Salomon, oder die Geburt des Lammes aufgeführt hatten. Endlich aber wollte ich sehen, wie der hohe Verfasser, der als Vorbild der Moral und Tugend gepriesen ist, hier der höchsten Sittlichkeit zu dienen trachtet.
Nun, und was fandest Du? sagte der Tribunalrath spöttisch.
Daß man gelogen hat, wenn man diesen Pfuhl niedriger Sinnenlust dem hohen Autor aufbürdet, versetzte der Prediger. Ich mag nicht wiederholen, was ich sah, es ekelt und graut mir, wenn ich daran denke. Die gemeinste Sinnlichkeit durchweht dies schändliche Spiel mit allen möglichen Lastern und Verbrechen, welche hier zur Schau getragen werden. Eine Buhlerin vergiftet ihren Gemahl, um den Ehebrecher neben sich auf den Thron zu setzen, und tödtet sich zuletzt selbst, weil dieser ihre Stieftochter liebt. Dies alles ist nun so rührend vorgetragen, daß die ganze Theilnahme sich zur Verbrecherin wendet, daß ihre Sünde und Schande im schönsten Lichte erscheint und Thränen der Bewunderung ihr nachfließen.
Wo soll auch der tragische Schmerz herkommen, sagte der Tribunalrath, und was sollten die Coulissenhelden anfangen, wenn das Verbrechen oder die Narrheit nicht die poetische Würze empfinge!
Es ist trübselig für ein frommes Gemüth, erwiderte der Prediger, diese Verblendeten, welche Hand und Mund der Verführung leihen, beweinen zu müssen. Ich habe sie heut wiedergesehen mit allem Flitterprunk angethan, mit bemalten Gesichtern, dem erheuchelten Schmerz, dem Lachen des Wahnsinns, dem Wiehern der Narrheit und Dummheit in den Zügen. Welche Entwürdigung der edelsten menschlichen Natur gehört dazu, sich zum Spiel für Sünden und Laster herzugeben, die Seelenzustände, welche Verzweiflung und Verbrechen erzeugen, künstlich nachzuahmen, und in Verstellung und schmäliger Verehrung aller List des Teufels den Beruf seines Lebens zu finden! Ein Schauspieler kann nie ein wahrer und guter Mensch sein. Er ist ein Diener des Bösen, das frißt und bohrt an Herz und Leber, bis diese schwarz und verdorben sind. Sein Spiel wird Natur, seine Täuschungen werden sein zweites Leben. Das Gemüth, welches keine frommen Regungen mehr empfindet, verwildert in einem wüsten Leben, was außerhalb desselben liegt, scheint schaal und nüchtern. Die Sünde verzehrt die Sünder in Völlerei und Liederlichkeit jeder Art, bis ein frühes Grab sie auf ewig aufnimmt, denn Finsterniß wird ihr Loos sein.
Der Tribunalrath hatte den letzten Theil dieser Rede mit sichtbarer Erschütterung gehört. Seine Stirn runzelte sich, er verschränkte die Arme und lehnte sich seufzend in das Sopha zurück.
Antonie betrachtete ihn mit kummervollen Blicken; dann wandte sie sich zu dem Strafprediger.
Es gibt wol Tausende, sagte sie mit ängstlicher Hast, welche seit langen Jahren und unter allen Völkern sich der Schauspielkunst widmen. Die Welt bewundert viele große Künstler, ehrt und schätzt sie, und sollten diese Alle so schreckliche Sünder sein, daß ihrem frühen Tode die ewige Finsterniß folgte?
Sie warf einen bittenden Blick auf Hermann, als erwarte sie Beistand von ihm.
Ob ewige Strafen die Künstler treffen werden, versetzte dieser lächelnd, weiß ich nicht, und wer könnte so vermessen sein, dies mit Ueberzeugung zu behaupten; daß jedoch nicht Alle frühen Tod fanden, kann ich betheuern, denn ich selbst kenne Schauspieler, hochbetagte, ehrwürdige Greise und Matronen, die glücklich im Kreise ihrer zahlreichen Kinder und Enkel leben, mit Herzen voll Liebe für die Menschen, voll Vertrauen zu dem Herrn der Welt.
Nennen Sie das vermessen, sagte der Prediger kalt, wenn man der anerkannten Sünde den Himmel abspricht?
Die alte, schöne legende vom Pharisäer und Zöllner wiederholt sich täglich in der Welt, versetzte der junge Mann gereizt. Es sind ja nicht die Schauspieler allein, welche die düstere Frömmigkeit den ewigen Flammen überliefert. Die ganze Kunst, jede heitere Anschauung des Lebens, die edle Poesie, die Lust der Welt, welche den Menschen gegeben ist, um sie mit den Schmerzen zu versöhnen, wird gar zu gern als Sünde betrachtet und verketzert. Und was wäre diese Erde ohne den belebenden Strahl der Kunst und Wissenschaft, der in Jahrhunderten sich immer heller aus der alten Nacht hervorringt? Das Gute und Rechte wird dadurch allein herrschend gemacht, und das Schöne gestaltet das Leben göttlicher.
Man sollte nach dieser feurigen Lobrede Sie fast selbst für einen Künstler halten, sagte der Prediger aufstehend.
Nehmen Sie mich dafür, erwiderte Hermann; ich würde diesen Namen nur ablehnen, weil die hohe Bedeutung des Wortes mich beschämen könnte.
Wilhelmi betrachtete ihn mit durchdringendem Blicke.
Es ist spät, sagte er, aber vielleicht sehen wir uns bald wieder und können bei größerer Muße unsern Streit weiter führen.
Der alte Herr saß noch immer in tiefen Gedanken. Als der Prediger ihm die Hand reichte, ergriff er diese mit plötzlicher Lebendigkeit.
Ja, Du hast Recht, sagte er, ein Schauspieler muß ein böser Mensch sein, ich will nichts mit ihnen zu thun haben, mit Keinem, und wenn es der größte Künstler wäre.
Die beiden heimlich grollenden Gegner gingen langsam die Straße hinab. Hermann dachte an die leisen Abschiedsworte Antoniens, und den Wunsch des Tribunalraths, recht bald seinen Besuch zu erneuern; er dachte aber auch mit steigendem Unwillen an den Mann an seiner Seite, der, wie es schien, der tägliche Gast dieser Familie sei, und endlich bangte ihm bei dem Gedanken, daß er, wie ein echter Schauspieler, seine neuen Bekannten getäuscht habe, und was mußte die Folge sein, wenn sie seinen wahren Stand und Namen erfuhren?
Aus diesem Sinnen weckten ihn von Zeit zu Zeit die Fragen Wilhelmi's, der von gleichgültigen Dingen, vom Wetter und der Stadt, und endlich von seinem Aufenthalte sprach.
Werden Sie noch lange hier verweilen? sagte er.
Mein Aufenthalt ist unbestimmt, versetzte Hermann.
Aber jedenfalls hoffe ich, Sie recht oft bei meinen Verwandten zu sehen. Es ist eine liebenswürdige Familie von echt christlichem frommen Sinne.
Der Tribunalrath hat nur die eine Tochter?
Es ist jetzt sein einziges Kind, erwiderte Wilhelmi.
Eine Erbin also? sagte Hermann. Herr Gerlach scheint ein vermögender Mann.
Ich frage nicht nach den weltlichen Gütern, versetzte der Prediger in seinem langsamen näselnden Tone; ich sehe nur die unschuldige Blume, welche im Garten des Herrn blüht, und freue mich des Tages, wo der Gärtner ihre Pflege mir übertragen wird.
Das heißt vielleicht in einfacher Sprache, rief Hermann, Sie gedenken sich mit dem schönen lieblichen Mädchen zu vermählen?
Ein christliches Ehebündniß zu schließen, erwiderte Wilhelmi, sobald sie in drei Monaten ihr achtzehntes Jahr erreicht hat.
Und Sie sind mit dem Fräulein verlobt? fragte der Schauspieler hastig.
Ich habe sie seit vier Jahren erzogen, erwiderte Wilhelmi, unterrichtet in jeder Wissenschaft, welche ihr nützlich sein konnte, und das Unkraut sorgsam aus ihrem Wege entfernt. Mein würdiger Verwandter ist in dem Gedanken beruhigt, an meiner Hand sie in diesem trüben Erdenleben zurückzulassen, wenn Gott ihn abruft, und meine christlich geliebte Braut ist mit meinem Denken und Handeln zu wohl vertraut, um nicht die Fügungen des Himmels zu segnen und sich glücklich zu fühlen.
Ein heftiger Zorn über diesen Egoismus ergriff Hermann. In diesem Augenblicke sah er in dem armen Kinde nur ein unerfahrenes Opfer, das die schlechte Ueberzeugung ihres Vaters und Heuchelei zur Schlachtbank führte. Ein Gefühl der Angst, der Sorge, der lebendigen Theilnahme regte sich, es waren die Vorboten einer zärtlichen Theilnahme, welche plötzlich in sein Herz zog.
Ich in Ihrer Stelle, sagte er nach einigem Schweigen, würde besorgt sein um diesen Schatz und zaghafter, ihn mir anzueignen.
Ich verstehe Sie nicht, erwiderte Wilhelmi.
So jung, schön und reich wird mancher liebenswürdige Mann von glänzender Erscheinung sich zu dieser Blume drängen, fuhr Hermann lachend fort. Das Fräulein hat die Frische der Jugend, Augen, in welchen die Welt und ihre Freuden glänzen, ihr ganzes Wesen athmet gleichsam die Lust, sich zu dem bunten Wechsel der Gestaltungen zu drängen, und gefährlich scheint es mir, selbst wenn es Ihnen gelingt, sie als Frau heimzuführen, sie vor allen Wünschen zu bewahren und in der geistlichen Abgeschiedenheit Ihres Hauses ganz glücklich zu machen.
Der Prediger erwiderte nichts. Er stand an einem Hause still und sagte ruhig:
Hier wohne ich. Gute Nacht, Herr Lobenstein. Sie sind ein Kind der Welt und sehen daher Alles weltlich und eitel, weil Sie es nicht anders sehen können. Doch noch Eins. Waren Sie vielleicht auch heute im Theater? Ihre letzten Worte klangen fast wie ein Paar Zeilen des Dramas. Sind Sie ein Poet?
Ich würde mich hüten, es zu gestehen! rief der Schauspieler, da es eine so schlechte Empfehlung bei Ihnen wäre.
Ihre Stimme hat auch große Aehnlichkeit mit einer, die ich schon gehört habe. Nun gute Nacht, vielleicht besinne ich mich und finde unsere ältere Bekanntschaft heraus.
Mit einem leisen Fluche ging Hermann weiter. Sein Weg führte vor der Wohnung Charlottens vorbei. Noch schimmerte das Licht durch das verhängte Fenster. Er wandte düster das Auge fort. Seine erregte Phantasie rief die schöne Künstlerin mit dem begünstigten Geliebten vor ihm auf, aber die zarte Antonie drängte sich zwischen ihn und seinen Zorn. Er seufzte und lächelte, und eilte rascher fort, bis er sein Zimmer erreichte. Als er an das Fenster trat, ging ein Mann im Schatten der Häuser hin und blieb einen Augenblick ihm gegenüber stehen. Nach den Umrissen der Gestalt schien es Wilhelmi zu sein.
Der Hund ist auf meiner Spur, sagte er lachend, wohlan denn, ich will nicht mit ihm kämpfen. Was schiert mich die Welt, und dies kleine blonde Mädchen, die Erde hat genug hübsche Gesichter und schlanke Gestalten auch für mich.
Am nächsten Morgen empfing er ein Billet auf duftendem glacirten Papier mit einem Amor geschlossen. Es war von Charlotten, die ihn einlud, einer wichtigen Mittheilung wegen recht bald zu erscheinen.
Wie lebhaft bedauerte ich, Sie gestern entbehren zu müssen, schlossen die Zeilen, allein ich war beunruhigt, heftig erregt und von der Migräne geplagt, wichtige Gründe, um selbst den liebsten Freunden sich zu verschließen. Noch Eins. Es ist Rücksprache genommen mit verschiedenen literarischen Subjecten, ich erwarte vier oder fünf Recensionen für eben so viele Journale, wir wollen sie zusammen redigiren, lesen und lachen, kommen Sie nur bald.
Hermann warf dies Papier zerknittert in eine Ecke.
Ich werde nicht kommen, sagte er und suchte den Boten an der Thür. Aber dieser war fort und nach einigen Minuten kamen mit der ruhigen Ueberlegung auch neue Wünsche und Hoffnungen.
Ich will sie beschämen, sagte er zu sich selbst; ich möchte hören, ob sie mir gegenüber die Lüge behaupten kann; wo nicht, was die schöne Schlange von neuem erfindet.
Eine Stunde später trat er in das Zimmer der Schauspielerin, und als sie im reizenden Negligé vom Sopha aus ihn an ihre Seite winkte, verschwand die finstere Wolke auf seiner Stirn. Er küßte die weiße Hand, hörte ihre Klagen geduldig an und lächelte bei den Entschuldigungen, die seiner Eitelkeit schmeichelten. So sind die Grundsätze der meisten Männer einem schönen Mädchen gegenüber, deren Leichtsinn man nicht glaubt, an deren wahrer Liebe man zweifelt, deren reizende Erscheinung jedoch selbst die Ueberzeugung der Täuschung besiegt.
Die Schauspielerin warf einen lächelnden Blick auf die Verwandlung seiner Züge.
Ich habe noch einen Grund, den Göttern zu danken, daß ich meine Empfindungen bezwang und Sie gehen hieß, sagte sie.
Der Unmuth kehrte in Hermann's Mienen zurück.
Ich war diesem Hause noch nahe genug, versetzte er, um den Besuch eintreten zu sehen, und als das Ungefähr mich spät hier vorbeiführte, bemerkte ich das Licht in Ihrem Zimmer.
Das Ungefähr? versetzte sie drohend. O! Sie Undankbarer, für wen denn habe ich unter den heftigsten Kopfschmerzen Gesundheit und Zeit geopfert, als für Sie! Ich benutzte mein geringes Ueberredungstalent, dem hohen Autor zu beweisen, daß nur ein Künstler wie Sie, seinen Gestalten die rechte Weihe geben könnte, daß man Sie um jeden Preis für immer hier festhalten müsse, und empfing nach manchen Verhandlungen endlich das Versprechen, daß Ihnen noch heute glänzende Anerbietungen gemacht werden sollen. Der Intendant wird Sie in einer Stunde rufen lassen; dreitausend Thaler sind Ihnen sicher und die heiterste, sorgenfreieste Zukunft Ihnen bereitet zu haben, verdiene ich dafür wol diesen finstern Blick?
Hermann küßte seufzend ihre Hand.
Viel zu viel für mich, sagte er traurig. Diese große Summe drückt mich, ich weiß, daß ich einen langen Weg zum Werden und Vollenden vor mir habe, daß ich diese Anerkennung nicht verdiene. Mit Wenigerem wollte ich zufrieden sein, wenn ich wüßte, daß dies Herz, Ihr Herz, Charlotte, mir dafür einzig und allein gehörte.
Das Herz einer Schauspielerin! rief sie mit der unnachahmlichen Coquetterie, welche so natürlich und reizend war; und Sie, ein erster Held und Liebhaber, bitten darum, statt es im Sturm zu erobern. Ihr Männer seid gar wunderliche Geschöpfe. Ein Mädchen liebt immer treu und wahr; so lange es der Mann versteht, diese Liebe zu fesseln. Was heißt ewig bei dem Spiele der Empfindungen? Alles wird alt in der Welt, mein Freund; darum sucht Euch doch jung und neu zu erhalten, edel und gewaltig in Wort und That. Werft den Egoismus der Eifersucht von Euch, nichts erkaltet schneller die heißeste Liebe, als die mißtrauische Reizbarkeit kleiner Seelen. Die Kraft der Liebe besteht in dem stolzen Selbstbewußtsein des eignen Werthes; man zweifelt nicht, so lange man dies besitzt; das Unwürdige entfernt man und vergißt es. Ja, ich liebe Sie, Hermann, und wünsche, Sie lieben mich auch. Wir können glücklich sein, mein theurer Freund, wir werden es, aber wir dürfen nicht, wie tollgewordene Kinder, uns einem ermattenden Sinnenrausche überlassen. Unser Glück erfordert kluge Ueberlegung, Benutzung der Mittel, welche uns geboten sind, Vorsicht, unser Ansehen zu befestigen, und Nachsicht gegen Dinge, fügte sie langsam hinzu, welche die prüde Alltäglichkeit gewöhnlich, wie sie es versteht, mit lächerlichem Zorne mißhandelt.
Was gibt dem Leben Reiz, fuhr sie dann lächelnd fort und legte die Hand auf seinen Mund, als die Macht, allen Anfeindungen Trotz zu bieten, den Neid zu verachten, und – das merken Sie sich, mein theurer Freund – vor allen Dingen die Zeit der Blüthe und die Thorheit der Menschen zu benützen. Man muß der Ameise gleichen, die Schätze zusammenträgt, und erst wenn man gesammelt hat, kann man im Besitz des süßen Saftes dreist die Schalen fortwerfen. Verstehen Sie mich?
Nicht so ganz, versetzte er finster.
Aber Sie lieben mich doch? sagte sie und reichte ihm beide Hände.
O! Zauberin, nur zu sehr! rief Hermann mit Leidenschaft.
Nun so lassen Sie mich sorgen. Gehen Sie jetzt nach Haus. Der Intendant wird Sie erwarten. Dreitausend Thaler! ein schönes Wort! Alle Staats- und Geheimräthe ärgern sich närrisch über den hohen Ehrensold der Kunst, seit ein gewisser Börne es in die Welt schrie, daß man statt einer Sängerin zwei Minister und ein halbes Dutzend anderer nützlicher Menschen ernähren könnte. Wir verlachen die thörichten Gedanken eines alten Bösewichts von Revolutionär. Gold und Macht, zwei schöne Sterne der Kunst! Vertrauen Sie diesen und mir, und fort mit der kindischen Eifersucht, mein Herz gehört Ihnen allein.
Es war so, wie das kluge, schöne Mädchen es gesagt hatte. Der vortheilhafte Contract ward ihm in der nächsten Stunde vorgelegt, er unterschrieb und war für Lebenszeit gebunden.
Mehrere Wochen vergingen ihm heiter. Er empfing die Glückwünsche seiner Gefährten, deren Neid er in ihren Zügen las, und empfand die Wahrheit in den Worten seiner Geliebten, daß es entzückend sei, ihn verachten zu können. Jeden Morgen schrieb Charlotte ihm zärtliche Billette, jeden Mittag eilte er zu ihr und mit den Schmeicheleien ihrer Liebe empfing er Maßregeln der Klugheit, Andeutungen, ihre Verbindung geheim zu halten, Anspielungen auf ihre Verhältnisse, die ihn verletzten, und welche sie doch so überzeugend zu entschuldigen wußte, daß er immer von Neuem ihr halb und halb Recht gab und sich beruhigte.
Trotz der Vorsorge war jedoch das Gerücht eines zärtlichen Verhältnisses nicht ausgeblieben und mit steigendem Verdrusse bemerkte er die lauernden höhnischen Gesichter um sich, hörte er einzelne verletzende Bemerkungen, welche seiner Geliebten galten, und sein reizbares Herz verwundeten.
Die Qualen der Eifersucht und der verletzten Ehre peinigten ihn, wenn er stundenlang vor ihrer Thür, die er nach ihrem ausdrücklichen Willen nicht ohne Erlaubniß überschreiten durfte, auf und abging, und endlich bis zur Wuth entflammt, seinen mächtigen Nebenbuhler hineinschlüpfen sah. Er wußte es, sie hatte ihm nichts verhehlt. Er kannte dies Verhältniß, er war ihr Mitschuldiger geworden, und ihre Schwüre konnten ihn nicht beruhigen. Aber er vermochte es nicht, die Bande zu zerreißen. Zu jung und thöricht liebend, waren am nächsten Tage ihre Klagen und Bitten hinreichend, ihn von Neuem zu fesseln; und erst entfernt von ihr, trat der vorwurfsvolle Schmerz ihn wieder an.
So saß er eines Abends auf derselben Bank auf der Terrasse, wo er den beiden Verlassenen Hülfe geleistet und erinnerte sich mit Verdruß, daß er sie nicht wiedergesehen habe, als Rosenberg auf ihn zukam. Der sarkastische Schauspieler stand still und zog den Hut mit großer Unterthänigkeit.
Ich beuge mein Haupt vor dem Lieblinge der Musen und Grazien, sagte er spöttisch. Es ist eine eigene Sache mit dem Mikrokosmus im Menschen; die vollen Eimer steigen auf, die leeren durstig nieder zu dem unerschöpflichen Borne. Ihr studirt tüchtig darauf los, Freund, was gehen und nicht gehen mag, und ich sage Euch, Ihr werdet Erfahrungen machen im Reiche der Magie.
Was schwatzt Ihr da? sagte Hermann mürrisch.
Die Menschen verhöhnen, was sie nicht verstehen, fuhr Rosenberg lustig fort, aber ich verstehe es und sage, Ihr thut ganz Recht. Ihr macht einen Meisterstreich, daß ihr die Ringheim liebt und seid größer als Alexander und Cäsar, wenn Ihr sie heirathet. Was hatten die beiden Tollköpfe davon, daß sie die Welt erobern wollten? Sie starben früh unter bitteren Qualen durch Gift und Dolch. Was werdet Ihr erlangen? Ein langes Leben voll Freuden und Genüsse, Ehre und Reichthümer; und was thut Ihr dafür? Nichts, als Ihr drückt ein Auge zu, oder gelegentlich beide, und was ist reizender als die selige Blindheit. Ja, Ihr könnt philosophisch sagen, die ganze Welt sei blind in den größten Dingen, was nütze es also in kleinen sehend zu sein!
Ihr wählt die Zeit sehr schlecht, wenn Ihr mich beleidigen wollt, rief Hermann mit funkelnden Augen und stand auf.
Was fällt Euch denn ein? rief Rosenberg und zog ihn auf die Bank zurück. Laßt Eure Nase nicht roth werden vor Zorn, wenn ein theilnehmender Freund Euch Glück wünscht. Ist das eine Art, Gratulationen zu empfangen? O, mein Herr Sausewind, wenn einer von uns zornig sein wollte, so wäre an mir die Reihe. Ihr habt mit Hülfe einer schönen Fee den besten Anker für Euer Schiff geworfen, dafür aber das meine flott gemacht und aus dem Hafen geblasen. Glückliche Reise, sagt Ihr, und ich wünsche Euch ein Gleiches; aber nehmt Euch in Acht, Ihr mit Eurer empfindsamen, sanguinischen Natur seid kein Mann für eine Frau von Verstand und Welt.
Man hat Euch also den Contract gekündigt? fragte Hermann betroffen.
In bester Form, versetzte Rosenberg lachend, und zwar in Folge meiner aufopfernden Freundschaft für Euch, mein wackrer Freund, der Ihr so gütig waret, einige zufällige Aeußerungen der schönen Fee zu überbringen.
Das ist Verläumdung! rief Hermann.
Mag sein, erwiderte Rosenberg, daß dann eine herrliche Rede, die ich einst über den Werth der Diamantblumen und hohen Gönner hielt, mir den Gnadenstoß versetzte. Ich schüttele den Staub von meinen Füßen und lasse Euch Braut und Zukunft. Ihr wißt vielleicht nicht, fuhr er fort, daß ich einst Euer Vorgänger war, und um ein Haar den Preis errang. Es gibt Augenblicke, wo das bestconservirte Mädchen sich gern zur Frau machen möchte, Charlotte ist ein Engel, wenn sie calculirt, denn auf Erden hat sie ihres Gleichen nicht. Sie zog die Bilanz und fand, daß es nicht übel wäre, einen nachsichtigen klugen Mann in's Schlepptau zu nehmen. Ich verstand den leisen Wink, bald rechneten wir beide und, bei dieser sinkenden Sonne! mein Stern ging hell auf, als Ihr höchst unerfreulich an dem Horizont erschienet. Sei es nun, daß sie glaubte, ich verstehe das Rechnen allzugut, sei es, daß Euer glattes junges Gesichtchen mehr Gefallen erregte, genug sie ging, wie manche Frau, dem klugen Einfalle nach, Euch erziehen, durch Dankbarkeit fesseln, und ihre etwas abgestorbenen Empfindungen durch ein ungestümes. Liebesfeuer erfrischen zu wollen. Ich bin ein Unbequemer geworden, dessen man sich natürlich entledigt; Ihr aber verdankt ihr nun Alles, was Ihr seid, Eure Bescheidenheit muß Euch das sagen. Ihr werdet verständig werden und Einsehen haben, und Victoria! es leben die klugen Weiber! Ihr werdet dagegen nicht am Schlüsselloche zu horchen wagen, wenn ein vornehmer Freund Eure berühmte Frau beehrt.
Hermann hob das glühende Gesicht empor, um eine rasche Antwort zu geben, als er den Prediger erblickte, der langsam vorüberschritt. Wilhelmi warf einen festen Blick auf ihn, er blieb stehen und grüßte.
Antonie und der Vater haben Sie seit langen Tagen vergebens erwartet, Herr Lobenstein, sagte er freundlich. Es ist nicht recht von Ihnen, sich so lange der dankbaren Freundschaft zu entziehen.
Geschäfte hinderten mich, erwiderte Hermann verwirrt; allein ich war im Begriff, heut noch einen Besuch zu machen.
So sehe ich Sie später, fuhr der Prediger fort. Gott grüße Sie, Herr Lobenstein.
Als er gegangen war, brach Rosenberg in ein tolles Gelächter aus.
Vortrefflich! rief er, auf meinen Knien muß ich Euch um Verzeihung bitten, für diese schmäliche Verkennung. Das nenne ich mir einen Anfang zur glücklichsten Harmonie Eurer Ehe. Ja, würdiger Mann, heirathet Charlotten, Ihr habt den größten Beruf dazu. O! sie wird nachsichtig sein, wenn Ihr es nur sein wollet. Lobenstein ist ein poetischer Name, und Ihr, der allbekannte Schauspieler, beginnt eine Liebesintrigue mit irgend einer leichtgläubigen bürgerlichen Einfalt, während Ihr die Hand nach dem theuern Schatze ausstreckt? Ich fange an, Euch zu verehren.
Vergebens versuchte Hermann eine wahrhafte Erklärung.
Welcher Narr, rief Rosenberg, vergräbt sich denn in diesem Neste, um von der Welt nichts zu wissen. O! alter Maulwurf, es ist recht, wenn Dich der Tag betrügt. Ich muß Euch begleiten, ich muß sehen, ob Euch die Erde verschlingt, ob dieser Einsiedler noch einen Namen hat. Wie heißt denn der alte Narr?
Hermann war schweigend neben ihm fortgegangen.
Dort ist das Haus, sagte er, Ihr habt ein Recht, mich zu beschämen, meine Schwäche verdient es; doch diese Zeit ist um.
Und ich wette darauf, sagte Rosenberg, als er ihm nachsah, daß eine klägliche Geschichte dabei herauskommt. O! noch ist Deine Zeit nicht um, mein Kind, wir müssen es bedenken, wie Du, als nackter Hänfling aus dem warmen Neste geworfen, nach und nach zur Klugheit geleitet wirst!
Die Abendröthe goß ihr glühendes Roth über den Garten voll hoher Waldbäume, als Hermann durch das grüne Gitter hineintrat. Er blickte in den offenen Salon, die alte Magd räumte darin auf und benachrichtigte ihn, ihre Herrschaft sei in der großen Laube. So ging er denn zwischen Blumenstücken fort, und durch kreuzte den kleinen Park, der ihn zuletzt zu einem Hügel leitete, auf welchem Lindenbäume sich zu einem Tempel wölbten.
Von Weitem schon sah er Antonien auf einer der Bänke sitzen; leise stieg er den Weg hinauf. Sie richtete das Auge unverwandt zu der goldenen fast strahlenlosen Welt, die rein und groß hinter der fernen Hügelkette verschwand. Hermann blieb leise athmend hinter Antonien stehen, und warf einen bewundernden Blick auf das schöne Panorama. Die fruchtbare Landschaft mit dem hellen Strome, die Weinberge, Gärten und Häuser lagen vor ihm im Schimmer des Glücks und Friedens, und dicht an seiner Seite saß die zarte Gestalt voll Leben und Jugendlust, die Hände gefaltet, den frommen Blick in Andacht und Liebe versenkt.
Woran dachte sie? Welcher Schmerz, welche Sehnsucht brachte die Thräne in ihre Wimpern, die er glänzend niederfallen sah? In diesem Augenblicke regten sich tausend Fäden seines eigenen Lebens; er gab den Seufzer zurück, der leise zu ihm empordrang, und plötzlich wendete sich Antonie zu ihm, eine dunkle Gluth bedeckte ihre Stirn, aber Freude sprach aus ihren Blicken.
O, wie lange haben wir Sie erwartet! sagte sie vorwurfsvoll.
Und jetzt, erwiderte er, empfangen Sie mich mit Thränen!
Haben Sie nie geweint, versetzte sie lebhaft, wenn Sie einsam unter Bäumen und Blumen saßen, wenn die Welt zu Ihren Füßen ruhte und die Sonne so gewaltig und so still Abschied nahm? Ich meine, jeder Mensch muß die göttliche Ahnung dieser sanften Freude und Trauer fühlen. Man denkt an Vergangenes und Zukünftiges, die ganze Seele thut sich auf, Gedanken und Träume springen aus ihren dunklen Thoren; man weint um unerreichtes Glück und trauert um nie gekannte Schmerzen.
Sie haben die Welt noch wenig kennen gelernt, sagte Hermann, wenn Sie von allen Menschen diese Empfindung beim Anblicke der sinkenden Sonne erwarten.
Ich mag auch nicht, versetzte sie mit unruhiger Hast. Das große Treiben hat wenig Reiz für mich. Ein einsames Leben, geringe Freuden, wenige Freunde, einfache Genüsse genügen mir.
Eine Hütte, und ein Herz, sagte Hermann bewegt.
Eine brennende Röthe flog über ihr Gesicht.
Ja, das ist das reinste Glück der Welt, fuhr er mit steigender Empfindung fort, das Höchste, was ein Mensch erreichen mag. Sicherheit gegen Mangel, eine Brust voll freudigen Muthes, dem Schicksal die Stirn zu bieten, Kräftigkeit an Leib und Geist, um Arbeit und Mühen, die Last des Tages zu tragen, eine Seele, empfänglich für die tröstenden edlen Genüsse der Wissenschaft und Kunst, und ein treues Herz voll Liebe.
So meine ich es nicht ganz, erwiderte Antonie beängstigt. Was Sie malen, ist kein stilles Leben, keine Abgeschiedenheit, es ist doch die Welt mit ihren Freuden, die ich nicht kenne, nicht kennen lernen will.
Weil Sie diese nicht kennen, sagte Hermann, ist es gefährlich für Sie, sie zu verwerfen. Die Welt gehört den Menschen und wehe Dem, der sich gewaltsam davon trennen will. Die geheime Sehnsucht straft und foltert ein Herz, das ursprünglich dafür geschaffen wurde, und Sie, Antonie, Sie haben den Beruf vom Himmel erhalten, in der Welt glücklich zu werden, zu lieben und geliebt zu sein.
Mit Heftigkeit ergriff er die zitternde Hand und fühlte den krampfhaften Druck. Er beugte sich und küßte sie, dann begegneten sich ihre Augen, ein Strom von Leidenschaft glühte darin. Plötzlich stand sie auf, bleich und erschrocken, wie entsetzt vor sich selbst.
Mein Vater, sagte sie, o! ich kann nicht, ich darf nicht. Dort kommt er, lassen Sie mich, ich muß allein sein.
Sie eilte aus der Laube fort und verschwand zwischen dem Gebüsch, während der alte Herr mit freundlichem Gesicht und im schnellen Schritte den Hauptweg herankam.
Arme Antonie, murmelte Hermann. Wenn sie mich liebte, und ich, ich sehe keinen Weg zum Heil.
Der Tribunalrath empfing den Besuch mit vieler Herzlichkeit. Er war fröhlich und zutraulich und seine strengen, eckigen Züge trugen heut den Ausdruck einer alles versöhnenden Milde. Redselig zog er den Gast mit sich fort, führte ihn in seinem Besitzthum umher und endlich dem Hause zu in den Salon, wo er ihn neben sich auf den Ehrenplatz setzte.
Ich gewinne Sie mit jedem Augenblick lieber, sagte der Tribunalrath und drückte ihm herzlich die Hand, denn wunderbarer Weise öffnet sich Ihnen mein ganzes Vertrauen, was ich, ehrlich gestanden, wenigen Menschen und am wenigsten jungen Herren Ihres Alters schenken möchte. Aber auf Ihrer Stirn, Herr Lobenstein, steht dafür auch mit deutlicher Schrift geschrieben, daß Sie gut und brav und jeder Täuschung unfähig sind, und so lobe ich es mir, wenn die Hand Gottes deutlich sagt: hier wohnt kein Arg und Falsch, jeder Zoll ist ein wackerer Mann.
Sie haben keinen Sohn? sagte Hermann erröthend über die Vorwürfe seines Gewissens.
Der Tribunalrath blickte starr vor sich hin.
Ich habe keinen, sagte er dann mit zorniger Heftigkeit. Sie berühren unbewußt die verstimmteste Saite meines Lebens, mein junger Freund, aber ich bin so beglückt heute, und mein Vertrauen zu Ihnen ist so groß, daß ich Ihnen wol mein ganzes Herz ausschütten könnte. Ich hatte einst einen Sohn, aber Kinder können eben so wohl der Segen wie der Fluch ihrer Eltern sein. Mein Sohn war einer der sogenannten brillanten Köpfe; die leider gewöhnlich auch eben so leichtsinnig sind, und keine ihrer schlechten Neigungen zu besiegen wissen. Ich erlebte Unglück an ihm, das mich tief beugte. So lange ich konnte, hielt meine Strenge ihn in Schranken, und mit redlichem Eifer suchte ich Zucht und Glauben in ihm zu erwecken, aber die Schwäche der Mutter verdarb meine Absichten. Auf der Universität reihte sich Leichtsinn an Leichtsinn, Schulden, schlimme Streiche und endlich schlechte. Ich entzog ihm alle Unterstützung, bedrohte ihn mit meinem Fluche und mein Herz wandte sich ganz von dem Verlorenen, je mehr der Unfriede durch ihn in meinem Hause wuchs. Er lief in die Welt und verschwand auf lange. Seine Mutter grämte sich zu Tode. Als der Sarg auf der Bahre stand, erschien ein Mensch in Lumpen gekleidet und warf sich weinend über die Leiche. Ich trat zu ihm hin, eine Ahnung sagte mir, wer er sei. Verworfener! rief ich, hörst Du die Posaunen des Weltgerichts, die Dir zurufen, daß Du sie ermordet hast? Er schlug das lange Haar aus dem verhungerten Gesichte und starrte mich an. Heuchle weiter, alter Mann, rief er, bete mit Deinen frommen Brüdern, klage mich an, fluche mir, wie Du es gethan, Du wirst Deine Fehler und Sünden nicht abwaschen. Alle wirst Du verderben, die Du zu lieben glaubst, Dein finsteres Gemüth weiß nichts von wahrer Liebe. Fort mit Dir, rief ich, und stieß ihn zurück, hinaus, Landstreicher! Du hast weder Mutter noch Vater hier.
Er lachte laut und sah mich trotzig an. Einen Vater, rief er, habe ich nie gehabt. Lebwohl, tröste Dich mit Singen und Beten und vergiß mich, wie ich Dich vergesse. Er eilte davon und ich habe den Elenden nie wieder gesehen, sagte der Rath nach einer Pause, in welcher er die Aufregung seiner Gefühle zu bezwingen suchte. Dieser Auftritt aber am Sarge meiner Gattin ward ein Quell neuer Qualen. Die Welt nimmt stets Partei für den Gottlosen, und man überhäufte mich mit Schmach. Mein Trost war mein frommer Glaube an Gott; ich wandte mich zu ihm, zur Einsamkeit und zum Gebet. Ich nahm meine Entlassung und floh endlich ganz aus einer Gegend, wo ich so viel Unglück erfahren, hierher, in die Arme meines Freundes Wilhelmi, der, eingegangen nun zum ewigen Heile, mir seinen Sohn als ein theures Erbtheil hinterließ.
Und nie erfuhren Sie etwas von Ihrem unglücklichen Kinde? sagte Hermann erschüttert.
Nichts, sagte der Tribunalrath mit zorniger Hast, und Gott behüte, daß ich je wieder etwas von ihm höre. Gerüchten nach soll er Komödiant geworden sein, das ist der würdige Beruf aller auf ewig Verlorenen, die sich in Sünde und Schande verlieren. Lassen Sie uns ganz von ihm schweigen, ich habe keinen Sohn, aber eine Tochter, die mir bald einen andern zuführen wird.
Mit glühendem Gesicht sah Hermann zu ihm auf.
Ja, fuhr der Rath freudig fort, Sie dürfen es auch wissen, mein junger Freund. Vor einer Stunde haben wir hier die Verlobung gefeiert. Dort oben in der Lindenlaube im Angesichte Gottes und seines ewigen Himmels legte ich Antoniens Hand in die meines neuen Sohnes, Eduard Wilhelmi's. Gläubige Frömmigkeit und wahre Liebe vereinte dies Paar schon seit Jahren; nun ist mein höchster Wunsch erfüllt, ich sehe das Glück meines einzigen Kindes gesichert an der Hand eines würdigen Mannes, eines wahren Dieners des Herrn, und ich kann in Frieden sterben.
Er sprach noch lange von dem Glücke seiner alten Tage, und wie im Traume hörte Hermann die Worte an sein Ohr schlagen. Nun war ihm Alles klar: die schwermüthige Trauer Antoniens, ihre Thränen, der Trost des stillen Lebens, den sie gewaltsam festzuhalten suchte, um ein widerspenstiges Herz zu besiegen. Seine Brust drohte zu zerspringen unter der Last; er wollte reden, aussprechen, was er mühsam verbarg, und doch wagte er es nicht, denn zu gut wußte er, wie wenig es helfen konnte.
Noch rang er mit seinen Entschlüssen, als der Prediger die Thür öffnete und Antonien hereinführte.
Da sind sie ja Beide, rief Gerlach freudig, Braut und Bräutigam. Unser junger Freund weiß Alles, und bei der Hochzeit muß er der Brautführer sein.
Wilhelmi warf einen frommen Blick zum Himmel, dann umarmte und küßte er die zitternde Antonie. Ich habe mir Ruhe nach dem schönen Augenblicke gesucht, welcher dies fromme Herz mir ewig verband, sagte er. Am Grabe meines Vaters habe ich mir Segen erfleht und kehre nun gestärkt zu meinen Lieben zurück. Ja, meine geliebte Antonie, wir werden mit dem Beistande des Herrn glücklich sein.
Seine Augen ruhten auf Hermann, der mit Mühe seine Bewegung bezwang, und leise eilige Glückwünsche sprach.
Ein kalter Hohn schien des Predigers Gesicht zu beleben, als er er ihm dankte.
Leider, sagte er, behandelt diese sündenvolle Welt selbst das heilige Sakrament der Ehe nur zu oft mit dem ganzen Leichtsinn der tiefen Verderbniß, welche sich krebsartig in alle Verhältnisse eingefressen hat. Es ist ein Vertrag um Gut und Geld, oder um Macht und Ansehen, und den zeitlichen Vortheilen opfert man Alles, selbst Glauben und Ehre; oder es ist eine Lockung sinnlicher Lust, aus der das Unheil erwächst. Ich aber schließe dies heilige Bündniß mit einem reinen gottgefälligen Herzen, welches keine irdische Eitelkeit kennt, und auch Antonie liebt nicht den sündigen Leib, sondern die Seele, welche zur Tugend strebt.
Peinliche Stunden vergingen. Hermann hätte öfter im Kampfe mit sich selbst aufspringen und ihnen zurufen mögen: Nennt mich nicht Freund, ich betrog Euch, ich gehöre zu den Verworfenen, welche Ihr verdammt, aber ein ärgerer Komödiant ist jener dort, der dies arme Kind verderben, der Dir, alter Mann, Deine letzte Hoffnung zerbrechen wird. Antonie, still und leidend, saß ihm gegenüber; eine unbeschreiblich sanfte Trauer umschleierte ihre klaren Augen, und nur zuweilen begegnete ihm ein Blick, der schmerzliche Ergebung aussprach.
Endlich ging er und verlebte eine kummervolle Nacht. Wie ein Nebel sank es vor seinen Augen. Sein Verhältniß mit der Schauspielerin trat plötzlich vor ihn hin. War er es nicht, den Wilhelmi meinte, als er von Bündnissen sprach, denen man Ehre und Glauben opferte? Bündnisse, die Sünde und Laster gebären? Hier die verschlagene Coquette, dort die unschuldige Seelenreinheit eines Wesens, in deren Blicken er Kummer und Liebe las. Sein Kopf erhitzte sich bis zum fieberhaften Wahnsinn. Tolle hoffnungslose Pläne hielten ihn wach, aber mit Entsetzen und Ekel dachte er an den Morgen, der ihn zu Charlotten führen sollte.
Ich muß diese Bande zerreißen, rief er endlich; ich will fort, gleichviel wohin, nur fort, oder ich werde toll.
Ohne Zweifel seid Ihr jetzt auf dem besten Wege dazu, sagte die scharfe Stimme Rosenbergs hinter ihm.
Hermann sah sich um, der Schauspieler stand an der Thür, den Hut auf dem Kopfe, die Hände in den Taschen und mit den listigen Augen ihn musternd.
Fort, hinaus in die Welt, dreitausend Thaler und die Braut im Stiche lassen, fuhr er fort. Ihr seid schon toll, würdiger Freund, o! welche große Seele ist hier zerstört, hilf ihm, allgütiger Himmel! Was hat die süße Ophelia Euch angethan, Freund? Hat sie Euren wahren Kern entdeckt, oder ist der alte Maulwurf zwischen Euch und die schönen Augen seiner Tochter gefahren?
Wenn Ihr mir helfen wolltet, Rosenberg, rief Hermann bittend.
Den Himmel betrügen oder die Hölle! schrie der Schauspieler, ich bin Euer Freund; wir harmoniren zusammen, wie Romeo und Mercutio, und sind vortreffliche Musikanten.
Ich muß fort, schnell, noch heut, verschafft mir die Mittel.
Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht ist mit seiner Qual, sagte Rosenberg, aber Menschen sind eben überall und darum ist auch an allen Orten Qual. Zum Henker mit Eurem Jammergesicht, heirathet wie ein guter Staatsbürger, liebt und genießt wie ein Franzos, und laßt die Welt gehen, wie sie eben geht.
Ich kann mich mit Charlotten niemals verbinden, rief Hermann heftig. Mit offenen Augen mich in's Verderben stürzen, geht über meinen Kopf.
Steht es so? sagte Rosenberg nachdenkend. Wollt Ihr etwa, wie ein heißblütiger Narr, mit der Andern auf und davon gehen?
Hermann wandte sich unwillig ab.
Nichts will ich, rief er, als frei sein.
Und darum wollt Ihr fortlaufen, wie ein Thor? Gibt es denn nicht tausend Mittel und Wege, Euch ehrenvoll aus der Schlinge zu ziehen? He, was sagt ihr, wenn ich Euch in wenigen Tagen die ehrenvolle Erlaubniß dazu, und ein Reisegeld von vier oder fünftausend Thalern verschaffe?
Hermann sah ihn zweifelhaft an und schüttelte den Kopf.
Schwört, daß es Euch Ernst ist! rief der Schauspieler, dann laßt uns handeln.
Wenn es möglich wäre, ich verspreche Euch –
Einen solennen Abschiedsschmaus, der vollkommen hinreichend ist, schrie Rosenberg lachend, so setzt Euch und schreibt!
Hermann nahm die Feder, und Rosenberg dictirte ihm einen Brief an Charlotten voll inniger Liebesbetheuerungen in den überschwenglichsten Ausdrücken.
Sehnsüchtig erwarte ich die Stunde, hieß es zum Schluß, wo ich zu Ihren Füßen Ihnen sagen kann, was ich empfinde, Ihre gütigen Worte haben mir Muth gegeben, diese Gefühle, welche mich verzehren, zu gestehen, in Ihren schönen Augen glaubte ich eine Theilnahme zu lesen, die mich mit Entzücken erfüllt. Doch fliehen will ich und zu vergessen suchen, wenn Ihr Herz nicht ganz und allein mir gehört. Bedenken Sie das wohl, theuerste Charlotte, ach! ich liebe Sie so sehr, daß jedes Sonnenstäubchen mir Herzklopfen macht, weil es ungestraft Sie berühren darf.
Und jetzt siegelt und macht die Aufschrift, sagte Rosenberg, und meinen Kopf zum Pfande, dieser zärtliche Brief verschafft Euch Alles, was Ihr wünscht.
Und nun? sagte Hermann.
Rosenberg riß lachend das Siegel auf und steckte den Brief in die Tasche.
Jetzt, sagte er, habt Ihr nichts zu thun, als heute krank zu sein, Euer Zimmer zu hüten und ein paar duftende Billets zu beantworten, die Euch von drüben kommen werden. Dann geht Ihr morgen zur bestimmten Stunde zu ihr hin, das Weitere wird sich von selbst finden, nur bleibt Eurem Vorsatze treu, Nachmittag bringe ich Euch Instructionen.
Er pfiff ein Liedchen und ging.
Mag geschehen, was da will! rief Hermann erröthend, ich ahne dieses Briefes Bestimmung, aber gleichviel, wodurch mir geholfen wird.
Am nächsten Morgen trat er mit Herzklopfen in das Vorgemach Charlottens. Er öffnete leise die Thür, sie saß auf dem Sopha, den Kopf in die Hand gestützt, eine sanfte Trauer umwölkte die schönen Augen.
Setzen Sie sich zu mir, mein Freund, sagte sie, wir haben wichtige Dinge zu verhandeln. Ich dachte an Sie und bin von Herzen betrübt, in Kummer und Zweifel. Manches zeigt sich dann schwer, was Anfangs so leicht schien. Ich frage mich; kann ich den Mann meiner Liebe auch glücklich machen?
Ich vertraue ganz dieser Liebe, erwiderte er zärtlich.
Ich fürchte so Vieles, erwiderte Charlotte seufzend. Mein theurer Freund, das Leben führt uns oft in bedrängte, beklagenswerthe Lagen. Man geräth in Irrthümer und erkennt zu spät die Wahrheit. Wir müssen uns prüfen, Beide fest und lange prüfen, ehe wir wählen. Ich stehe ziemlich allein in der Welt und bin doch vielfach gebunden. Sie sind kaum auf den bunten Markt getreten und jung, sehr jung, tausend Wege liegen vor Ihnen, das Glück hat so viele Kränze für Sie.
Welche dunkle Deutung liegt in Ihren Worten, theuerste Charlotte? versetzte er.
Ich mache mir Vorwürfe, Sie vielleicht durch eine Leidenschaft von einem bessern Glücke abzuziehen, erwiderte sie leise, und zweifle wirklich, ob Sie, mit mir verbunden, den Frieden finden, welchen Sie verdienen. Unsere Charaktere sind so verschieden, unsere Lebensansichten begegnen sich so wenig.
Alles werde ich thun, um Ihren Wünschen Folge zu leisten! rief er mit Leidenschaft ihre Hand ergreifend.
Das dürfen Sie nicht und können Sie nicht, erwiderte sie. Der Mann muß seinen Grundsätzen folgen, die Frau sich diesen anschmiegen. Solche Aenderungen, von Leidenschaft hervorgerufen, sind kurz und trügerisch. Dann bricht das Unheil herein, die Vorwürfe, der Streit. Ich, mein Freund, so gern ich möchte, kann Manches nicht aufgeben, Verhältnisse nicht lösen, welche leicht verkannt werden und verletzend wirken könnten, und sagten Sie mir nicht selbst oft, daß ohne dies mein Besitz Ihnen niemals genügen könnte?
Hermann schwieg mit dunkelgeröthetem Gesicht. Gern wäre er aufgesprungen und hätte freudig mit einem Worte sich frei gemacht, aber der Rath seines Helfers hielt ihn zurück.
Sie wünschen, sagte er mit scheinbarer Verzweiflung, ein voreiliges Versprechen zu lösen; doch haben Sie auch bedacht, wie schmerzlich ich leide?
Und leide ich weniger? versetzte sie vorwurfsvoll. Nein, mein Freund, wir dürfen hier nicht bleiben, wo wir täglich den Schmerz erneuen.
Ich würde gehen, wenn es möglich wäre, versetzte Hermann düster.
Ihr bindender Contract, erwiderte sie lebhaft. Er muß gelös't werden, Sie müssen volle Entschädigung erhalten. Fordern Sie. O, mein Freund, wenn Sie wüßten, welche Kämpfe ich bestand. Man würde vielleicht nicht abgeneigt sein, mich vermählt zu sehen, doch müßte meine Wahl sich manchen Bedingungen unterwerfen. So lassen Sie mich denn mit mir allein, fuhr sie hastig fort, ich bin nicht unglücklich, gewiß nicht. Sehen Sie doch, wie Alles um mich reich geschmückt ist! Sagen Sie mir kein Lebewohl, denken Sie meiner lieben Sie mich, wenn Sie können, und wenn wir ruhiger sind, sehen wir uns wieder.
Sie bedeckte mit beiden Händen das Gesicht und ging rasch in ein Nebengemach. Hermann entfernte sich traurig und vorwurfsvoll.
Als er in sein Zimmer trat, streckte sich Rosenberg behaglich auf dem Sopha.
Welches Unglück verkünden Eure Mienen, La Hire! Der zitatfreudige Rosenberg bezieht sich hier auf Schillers »Jungfrau von Orleans«, ohne dass eine konkrete Verszeile wiedergegeben würde. rief er und richtete sich auf. Mann, Ihr seht aus, als müßte morgen Hochzeit sein.
Ich bin frei, erwiderte Hermann, aber betrübt über die Mittel, welche ich wählte, und kummervoll über den Schmerz, den sie empfindet.
Rosenberg lachte laut auf und warf sich in die Kissen zurück.
Es ist doch Schade, sagte er, als er Hermann's Erzählung gehört hatte, daß Ihr nicht ein Paar geworden seid. Man hätte vortreffliche Betrachtungen machen können, was eine kluge Frau aus einem empfindsamen Schwärmer herausbilden kann. Es ist eine der weisesten Einrichtungen der Natur, daß jeder gute Mann die beste Frau zu haben glaubt, und selten Einer mit dem Andern tauschen möchte. Was Charlotten betrifft, mein trauernder Ajax, so mäßigt Euren Gram. Stellt Euch vor, gestern fand ein hoher Herr zufällig einen Brief, der ihm sichere Andeutungen lieferte, seine Geliebte gehe damit um, einem jungen Hitzkopfe die Hand zu reichen. Der hohe Herr hat Rücksichten zu nehmen; es wäre ihm ganz erwünscht, wenn ein verständiger Mann dem zarten Verhältniß seinen Namen liehe, und besonders jetzt, wo gewisse Umstände dies doppelt wünschenswerth machen. Einem solchen verständigen Manne würden sich vortreffliche Aussichten bieten, ein bequemes, gesichertes Leben voll Freuden und Genüsse. Von jenem jungen Menschen war jedoch die nöthige Einsicht durchaus nicht zu erwarten. Der hohe Herr zürnte sehr, befahl der zärtlichen Dame, dies umpassende Verhältniß sofort zu lösen, und nur ihre Schwüre, daß es ihr niemals Ernst gewesen, daß sie mit seiner verliebten Thorheit nur gespielt habe, besänftigten seinen Zorn. Heute in aller Frühe erhielt ich den Befehl, bei ihr zu erscheinen. Mein theurer Freund, sagte sie mit ihrer süßen Stimme, ich vertraue Ihnen ganz. Wir müssen den Unbesonnenen entfernen, Sie werden mir einen unendlichen Dienst leisten, wenn Sie ihn bewegen, mich und diesen Ort zu verlassen, vor allen Dingen mir meine Briefe zurückzuschaffen, damit er nicht etwa später aus Rachsucht –
Genug, rief Hermann mit dem tiefsten Unwillen und eilte an seinen Schreibtisch. Hier sind diese Briefe, ich danke Euch, Rosenberg, nie werde ich Eure Freundschaft vergessen, und sagt ihr, nie würde mein Mund, um meiner selbst willen, jemals bekennen, welch ein Thor ich war.
Rosenberg steckte das Päckchen lächelnd ein.
Ihr seid noch sehr weit davon, weise zu werden und die Welt zu kennen, sagte er, sonst gäbt Ihr nicht so leicht auf, was Euch nützen kann. Aber ich liebe Euch darum. Einst war ich auch ein Narr aller Tugenden, meine Seele dürstete nach Dem, was die Menschen edel und groß nennen, und somit machte ich einen dummen Streich nach dem andern. Lief in die Welt hinaus, fügte mich den Lehren nicht, hielt es für besser, Amboß als Hammer zu sein, zerriß theure Bande, ward mit Schmach und Schimpf bedeckt, gestoßen und betrogen, bis ich einsehen lernte, klug müsse Der sein und alle Dinge recht zu benutzen verstehen, der seinen Zweck erreichen will. Das merkt Euch, Freund, diese Lehre nehmt mit auf den Weg. Benutzt die Umstände und die Menschen, wie es geht, so wird es Euch auch wohl gehen und Ihr lange leben auf Erden. Und was wollt Ihr nun beginnen?
Fort von hier, so schnell als möglich! rief Hermann.
Damit könnt Ihr heute noch zu Stande sein, sagte Rosenberg. Der Intendant läßt Euch durch mich sagen, daß Euch der einjährige Betrag Eurer Gage gegen Lösung des Contractes zu Diensten steht. Aber handelt und man gibt auch mehr.
Es ist mehr als zuviel, sagte Hermann.
Ihr wollt nicht weise sein, erwiderte der Schauspieler ärgerlich; so überlaßt mir die Sache. Aber wie steht es denn mit dem einsamen Liebchen im Gartenhause, wollt Ihr die auch verlassen?
Ich habe verloren, was ich nie besaß, sagte Hermann.
Recht poetisch! rief Rosenberg. Ihr seid ein Narr des Glücks so gut wie Romeo. Wer wird verzweifeln, wenn etwa ein unbequemer Paris erscheint? Geht und sprecht mit ihr, Herr von Lobenstein. Ihr habt morgen vier oder fünftausend Thaler in der Tasche, damit lassen sich größere Wunder thun, als etwa einen Schlaftrunk kaufen. Seid gescheidt, meine Hülfe soll Euch nicht fehlen, und wie Ariel bin ich zu Euren Diensten, wenn Ihr winkt.
Es war Alles so, wie Rosenberg gesagt hatte. Am nächsten Tage ward der Contract gelöst und fünftausend Thaler an Hermann gezahlt, der gern das Versprechen leistete, so bald als möglich sich zu entfernen. Der intriguante Schauspieler machte bei allen diesen Dingen den Vermittler, und lachend zeigte er ihm an, daß seine eigene uneigennützige Aufopferung für's Erste wenigstens mit einer mehrjährigen Erneuerung seiner Verhältnisse und bedeutender Vermehrung seines Gehaltes belohnt worden sei.
So schlägt man oft zwei Fliegen mit einem Schlage, sagte er; die größte Kunst dabei ist, alle Theile völlig zufrieden zu stellen, und sich im schönsten Lichte eines wahren Menschenfreundes zu zeigen. Aber so muß man diese Geschöpfe behandeln, sie wollen es nicht besser. Gebt wohl Acht, theurer Freund, Ihr werdet nächstens mehr hören, denn es gibt Dinge im Himmel und auf Erden, Horazio, von welchen Ihr Euch nichts träumen laßt.
Hermann hatte seine Abreise geordnet. Lange schwankte er, ob er Antonien und ihren Vater noch einmal wiedersehen sollte, und doch verlangte ihm danach. Eine sehnsüchtige Hoffnung war in ihm wach geblieben. Es that ihm wohl, von seinen Freunden scheiden zu können, ehe diese seine Täuschung entdeckten, er konnte von ihnen gehen und ihre Liebe mit sich nehmen, sein Andenken war ein reines und edles.
Mit dem Abendscheine trat er in die Laube und fand Antonien allein. Eine hohe Röthe färbte ihre Wangen. Sie stand auf und trat ihm entgegen, er führte sie sanft zurück.
Wenige Minuten nur, sagte er leise, wird es mir noch vergönnt sein, Sie zu sehen; dann legt sich eine ernste lange Trennung zwischen uns, und wenn ich Sie einst wiederfinde, Antonie, wenn nach Jahren vielleicht mein Fuß diesen Ort betritt, werden Sie sich des flüchtig Bekannten kaum mehr erinnern.
Ihre Hand zitterte in der seinen, sie sah ihn mit einem innigen Blicke an.
Sie wollen fort, flüsterte sie, es muß so sein, es ist gut so, doch vergessen werde ich Sie nie.
Und können Sie glücklich werden? rief Hermann mit steigender Gewalt. Sehen Sie den Abgrund nicht, der vor Ihnen aufgethan ist? Nicht ich, o! ich fühle es, ich weiß, was mich von Ihnen trennt, aber er mit seiner heuchelnden Frömmelei, er darf Sie nicht besitzen.
Im Namen des Himmels! rief Antonie weinend und faßte seinen Arm, schweigen Sie. Soll mein Vater sterben vor Gram? Kein Opfer ist mir zu theuer.
Lassen Sie mich mit Ihrem Vater sprechen, sagte Hermann, lassen Sie mich ihm sagen, was meine Theilnahme gebietet. O! Antonie, dürfte ich für mich sprechen, dürfte ich ihm sagen, was ich empfinde und was ich mühsam Ihnen nur halb verhehlen kann.
Er preßte ihre Hand an seine Lippen. Widerstandslos duldete sie es, daß sein Arm sie umfing, daß seine Wange die ihre berührte.
In diesem Augenblicke drang die heftig scheltende Stimme des Tribunalraths zu ihnen. Aus dem Weingange dicht an der Laube kamen die drohenden Worte. Mit einem Schrei flog Antonie aus den Armen des Ueberraschten. Er erblickte den alten Herrn, der Rosenberg den Gang herauf in die Laube zog, langsam schritt Wilhelmi hinterher.
Was willst Du hier, Du Elender! rief der Tribunalrath. Hast Du nicht genug Schande auf mich gebracht? Verfolgst Du mich bis in diesen Winkel der Erde, wo ich täglich zu Gott bete, Dich niemals wieder zu sehen?
Wenn es Sie beruhigen kann, daß ich keinesweges diese Absicht hatte, sagte Rosenberg kalt, so versichere ich, daß ich nicht ahnte, Sie hier zu finden.
Wahrscheinlich, sagte der Prediger kalt, und deutete auf den erblaßten Nebenbuhler, suchte der Herr nur seinen Freund dort, den Schauspieler Hermann.
Sind Sie das? rief der Rath empört, Sie mit dieser offenen Stirne, mit diesem Auge, das nur Wahrheit zu sprechen schien. O! mein Gott, strafe Du das Laster.
Amen, sagte Rosenberg. Also auf meine Schwester dort hattet Ihr Euer Auge geworfen, mein armer verworfener Kamerad? Ja, wenn Ihr beten und heucheln könntet, sie würde Euch nicht entgangen sein.
Fort mit dem Gesindel, rief der Tribunalrath in äußerster Wuth; ihre Nähe ist schon ein Verbrechen.
Noch einen Augenblick nur, sagte der Schauspieler. Niemand weiß, daß ich die Ehre oder das Unglück hatte, einst Ihr Sohn zu sein, und Niemand soll es auch erfahren. Ich habe es Ihnen prophezeit am Sarge meiner theuern Mutter, des einzigen menschlichen Wesens, das mich auf Erden liebte, Sie werden Alles verderben, was Ihnen gehört. Ihre Härte hat vergebens versucht, mich unglücklich zu machen, ich lebe, und wie ich denke, außerordentlich glücklich, aber nun opfern Sie, wie Abraham, Ihr einziges Kind dem schwarzen Gesellen dort. Beten Sie eifrig, daß der Zorn sich versöhne, daß Ihr graues Haupt nicht mit Jammer zur Grube fahre. Und nun fort, Freund Hermann, oder man schlägt die Sünder todt.
Leben Sie wohl, auf ewig, Antonie! rief Hermann und streckte die Hand nach ihr aus.
Sie wandte sich ab und warf sich an die Brust ihres Vaters.
Kein Mitleid für den verdammten Sünder, rief Rosenberg und zog ihn fort; meine Pferde schaudern, Du bist mein!
Sechs Jahre waren vergangen, Hermann war gereift, er war ein großer Künstler geworden, dessen Genius selbst der Neid nicht anzutasten wagte, als er bei einer Reise die Residenz wieder berührte. Im Gasthause traf er bald einen alten Freund, der ihm tausend Dinge zu erzählen wußte.
Am besten von Allen, sagte dieser, hat es Rosenberg geglückt. Sie wissen vielleicht, er heirathete die Ringheim. Nun, er hat zwei Kinder, fuhr er mit bedeutungsvollem Lachen fort, allerliebste, hocharistokratische Gesichter. Vor einigen Jahren gingen sie ganz von der Bühne ab und Rosenberg kaufte eine Domaine, die gerade ganz zufällig veräußert wurde. Er war von je ein speculativer Kopf, glückliche Geschäfte vermehrten seinen Reichthum und vor kurzem ist er sogar geadelt worden. Er hat ein Haus in der Stadt, lebt im Winter hier auf großem Fuße, und beutet die Lust des Lebens nach allen Seiten aus.
Hermann blickte zum Fenster hinaus; eine entsetzliche dürre, lange Gestalt im schwarzen Kleide schritt vorüber.
Ist das nicht, rief er erröthend und deutete mit dem Finger auf den Gehenden –
Der Consistorialrath und erster Hof- und Domprediger Wilhelmi, versetzte der Andere; das Haupt und die Seele aller frommen Bestrebungen, dem leidigen Zeitgeiste entgegenzuarbeiten. Doch die Frommsten haben leider die meisten Anfechtungen der Sünde, und so hochverehrt von allen wahren Gläubigen dieser würdige Mann und seine donnernden Predigten sind, dennoch behaupten die Spötter, daß es auch bei ihm nach dem alten Spruche heiße: Richtet Euch nach meinen Worten, nicht nach meinen Werken! Denn seine Thür soll den Dürftigen und Bittenden immer verschlossen sein.
Er ist verheirathet, wie ich glaube, unterbrach Hermann den Schwätzer mit ängstlicher Hast.
Zum zweiten Male, erwiderte dieser gleichgültig. Seine erste Frau war schon wie ein Engel, und obenein reich an irdischen Gütern. Solch frommer Mann hat immer Glück; kaum hatte er sie, so versetzte sie Gott in sein Paradies; man sagt jedoch allgemein, sie habe das viele Beten und Fasten im Hause ihres heiligen Eheherrn nicht vertragen können und sei aus Langerweile gestorben. Nun, fuhr er lachend fort, ohne das todtenbleiche Gesicht seines Nachbars zu bemerken, gewiß ist es, die heitern Züge des reizenden Gesichtchens wurden bald bleich und hager, und als ein Jahr verronnen war, lag sie kalt und still auf der Todtenbahre, wie es in dem alten Liede heißt. Vielleicht hatte das arme, junge Herz ein geheimes Liebesweh; man sagte so etwas, obwohl nichts weiter zu Tage gekommen ist. Ihr alter Vater hatte nur eben noch Zeit, ein goldenes Kreuz auf den Hügel setzen zu lassen und ein Testament zu machen, das den frommen Schwiegersohn zu seinem einzigen Erben ernannte, dann sargte man ihn in die dunkle Kammer, dicht bei dem Kinde, wo er jeden Tag gesessen und geseufzt hatte. Die reiche Erbschaft fiel dem heiligen Manne zu, der darüber noch zehn Mal frömmer und geiziger geworden ist, dann bald wieder heirathete, und diesmal Eine, die wiederum noch viel frömmer und geiziger als er selbst sein soll. So führen nun die beiden verwandten Seelen eine erbauliche Musterwirthschaft, in welcher man binnen kurzem das Geheimniß erlernen kann, zur lebendigen Mumie auszudörren und endlich ganz unsichtbar zu werden.
Hier lachte der Freund wohlgefällig über den eigenen Witz; düster sah Hermann vor sich nieder, und mit gewaltsamer Hast führte er das Gespräch auf andere Gegenstände.
In abendlicher Stille ging er dann hinaus in die Stadt der Todten. Langsam schritt er durch die Reihen der Hügel, welche die erinnerungsvolle Liebe der Lebendigen mit Blumen und Kränzen schmückt von Geschlecht zu Geschlecht. Da stand das strahlende Kreuz vor ihm, da las er die weitleuchtende Inschrift, ihren Namen und den frommen Spruch der Verheißung, daß sie eingegangen sei zum ewigen Heile. Oben glühte der goldene Schmetterling im letzten rothen Sonnenlichte, der Wind bewegte die Rosen- und Jasminbüsche, der Athem der Verwesung ward von Duft und Blüthen überdeckt.
Dürfte ich Dich hier suchen, rief er mit zitternder Stimme und seine Thränen sanken auf den Hügel, wenn die Menschen wären nach Gottes Ebenbilde?
Ein langer Schatten flog über das Grab. Hermann schreckte auf, Rosenberg stand ihm gegenüber und sprang im nächsten Augenblicke über den Hügel fort in seine Arme.
Hier muß man Euch suchen, mein schwermüthiger Prinz, rief er, am Grabe der armen Ophelia, die, wie Ihr glaubt, für Euch gestorben ist? Aber ich sage Euch, stillt Euren Kummer, es war eine ganz gewöhnliche Brustentzündung, die sie in das Land der Seligen abrief. Macht kein böses Gesicht, Freund, fuhr er fort, als Hermann unwillig ihn anblickte, ich habe nichts dagegen, wenn Ihr trauert, und komme auch wohl zuweilen hieher, um einige Augenblicke der Vergänglichkeit aller irdischen Träume und Qualen zu weihen, und nebenbei den Todtengräber für die Pflege dieser Gräber zu bezahlen, deren Bewohner nichts von mir wissen wollten, so lange sie lebten. Aber mein frommer Schwager, der Alles nahm, was mein war, hat diese Todten ganz vergessen, und ich liebe sie nun erst, da sie todt sind. Doch fort mit den Todten! rief er dann und strich rasch über die beweglichen Augen, laßt uns in's Leben zurückkehren. Ein glücklicher Zufall hat uns in die Stadt gebracht, wir haben Eure Ankunft erfahren, es ist Gesellschaft bei uns, man erwartet den großen Künstler mit Sehnsucht, und ganz besonders meine Frau, die den Augenblick gar nicht erwarten kann.
Er zog ihn halb gewaltsam mit sich fort, aber Hermann weigerte sich standhaft, ihn zu begleiten.
Also morgen, sagte Rosenberg vor sich, wenn Ihr durchaus nicht anders wollt. Nach Gall und andern großen Aerzten ist in sechs Jahren der alte Mensch vollkommen aufgezehrt und neu regenerirt, aber sechs Jahre sind vergangen, mein unverbesserlicher Freund, und noch seid Ihr nicht weiser geworden. Charlotte soll Euch ein Billet senden auf duftendem Atlaspapier mit einem Amorkopfe gesiegelt. Das wird Eure Nerven erschüttern und helfen.–
Das Billet erschien am nächsten Morgen, aber der große Künstler hatte in der Nacht die Residenz verlassen. Er besuchte sie nie wieder.