Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
[Zweiter Theil.]
Die Lampe brannte dunkel, von einer alten Bibel umstellt, in dem kleinen Zimmer; die Uhr an der Wand sprach eintönig gemessen in die Stille, als ermahne sie diese, hübsch ruhig zu bleiben und alten Geschichten aufmerksam zu lauschen. Ein schmaler Mondstreif fiel durch einen Spalt des Vorhanges am Fenster, blaß und schnell lief er über den Boden hin und starb in der nächsten Minute, weil eine Wolke ihn auslöschte. Wie er über das Bett in der Ecke forthuschte, schien er einen Augenblick auf dem bleichen Gesicht eines schlafenden Weibes zu verweilen und sie mitleidig anzuschauen.
Das Weib war jung und wohlgebildet. Ihr dunkles Haar floß aufgelöst über das Nachtgewand. Lange Wimpern bedeckten ein schön geformtes Auge. Die Stirn war marmorhell und hoch, das Gesicht mit den blutlosen Lippen edel und fein, aber krank und kummervoll. Als das Mondlicht die geschlossenen Augen erhellte, spiegelte es in zwei halbvertrockneten Strömen, welche sich ein glänzendes Bett auf diesen eingesunkenen Wangen gebildet hatten. Dann waren sie auf das Köpfchen eines Kindes geträufelt, das an ihrer Brust ruhte: der schreckliche Segen einer Mutter, die, unter Thränen eingeschlafen, für den Schrei ihres Kindes nichts hatte, als Seufzer!
Plötzlich öffnete sich die Thür; die schlanke hohe Gestalt eines Mannes trat herein. Leise legte er den Mantel ab und ging mit vorsichtigen Schritten an das Bett. Er rückte einen Stuhl näher, setzte sich und suchte in der dämmernden Finsterniß, die Züge der beiden Schlafenden zu durchmustern. Die Arme gekreuzt, den Kopf tief auf die Brust gebeugt, schien er nachzusinnen, und wie er öfters hastig seine Stellung veränderte, so begegneten und bekämpften sich widersprechende Gedanken und Pläne in ihm. Endlich mußten sanfte und zärtliche Empfindungen wohl die Oberhand behalten haben. Der düstere Ausdruck seiner stolzen Züge verlor sich, seine Stirn glättete die drohenden Falten, und der harte Blick seiner Augen schmolz in Wehmuth. Er stand auf, lehnte sich über das Bett und küßte die Stirn der Schlafenden. Sie bewegte sich.
Wer ist da? fragte sie furchtsam und ungewiß.
Ich, sagte er, und faßte ihre Hand. Wie geht es Dir, meine arme Jenny?
Richard! rief sie mit dem Tone unermeßlicher unerwarteter Freude, und dann sprach sie leise klagend und vorwurfsvoll:
O, Richard, ich habe viel ertragen, viel gelitten.
Um mich, murmelte er, sprich es aus, um mich.
Um meine Liebe, um meine Schwäche, sagte sie erlöschend.
Was haben sie Dir gethan, die Grausamen, Hartherzigen? rief er erschüttert. Hat die alte Mutter Dich verflucht, mich verflucht? Höre sie nicht! Die Menschen sind schnell bereit zum Fluch und Segen. Kein Blatt regt sich stärker darum, kein Gott beachtet die Unvernunft dieser jämmerlichen Geschöpfe. Ich bitte Dich, weine nicht, ich bin bei Dir, nie werde ich Dich verlassen. Laß mich mein Kind sehen.
Sie hielt ihn weinend fest umschlungen. Sanft machte er sich los; sie reichte ihm das schlafende Kind hin. Er legte es auf seinen Schooß und sah es lange starr an; dann nahm er die Bibel von der Lampe und ließ den Lichtschein voll auf das Köpfchen fallen. Erst als das zarte Wesen beunruhigt von der Flamme, Zeichen des Lebens gab, legte er es der Mutter auf das Bett.
Es ist häßlich und schreit, sagte er rauh; ich kann keine Aehnlichkeit entdecken, nicht mit Dir, noch mit mir. Es könnte eben so gut der Sprößling eines Kosaken oder Hottentotten sein.
Ihre großen schwarzen Augen thaten sich feurig auf. Sie drückte das Kind heftig an ihr Herz, sah ihn an, als wollte sie in seine tiefste Seele blicken, und schüttelte dann traurig den Kopf.
Ich verstehe Dich nicht, sagte sie, wehe mir, wenn ich Dich verstände. Richard, meine alte Mutter hat mich nicht verflucht, nur geweint hat sie, heiße kummervolle Thränen über mich und meine Schande. Die Menschen haben sich von mir gewandt, wenige, die mich nicht verachten und verspotten. Mögen sie doch, ich denke nicht daran. Aber an Dich dachte ich, lange, lange Tage und Nächte. Wenn sie Dich lästerten, zerriß es mein Herz; wenn sie Dir fluchten, traf ihr Fluch auch mich und dies arme Kind. Er hat Dich verlassen! schrien sie in meine Ohren, wenn ich aus Phantasien und Fieber erwachte. Oft hatte ich Dich gesehen, denn meine Träume führten mich zu Dir. Wilde grausame Geschöpfe umringten mich; häßliche Wesen mit langen scharfen Zähnen und feurigen Augen, Furien der Verzweiflung, die mich zerreißen wollten. Wenn sie dicht bei mir sich rangen, nach mir schnappten, ihr glühender Athem giftig über mein Gesicht fuhr, dann warst Du plötzlich bei mir und trugst mich fort. Und freudig sagte ich zu den Versuchern: Er hat mich nicht verlassen! Wie viel tausend Eide hat er mir geschworen, daß keine irdische Macht je zwischen unsere Herzen treten sollte! Wie könnte ein Wesen, das mich so sehr geliebt, so schrecklich freveln? Dann dachte ich der Stunde, wo Du zuerst mir ewige Treue und Liebe schwurst, wo meine Brust so voll Seligkeit und doch voll Furcht war. Ein dunkler Schatten schwebte bei mir vorüber. War es meines Vaters ehrwürdige Gestalt? Ich weiß es nicht; aber er sah zornig aus und drohte mir. Richard! rief ich, ja, ich liebe Dich; aber die Welt, die Menschen, die Verhältnisse! Du schütteltest Deine Locken, Dein Auge rollte und glühte, Du sahst den Himmel an und hobst Deine Hände zu ihm auf. Menschen, sagtest Du, was können die armen Menschen gegen meinen Willen? Ich bin ein Gott, wie der dort oben in der blauen Unendlichkeit. Ich will! ja, ich will Dich lieben, ewig, unendlich! Laß die Welt kommen und sagen: Gib sie mir! Ich zerreiße sie, ich verlache ihre Schicksale, ihr Muß, ihre tyrannischen Ketten. Verflucht sei die Schwäche der Gemeinheit, die allen Menschen angedichtet ist. Ich liebe Dich, Jenny, weil ich will. Mein Wille ist ewig.
Weiter, weiter! sagte er heftig. Es war ein großer schöner Augenblick. Ich fühlte meine Göttlichkeit; aber der Mensch lebt in flüchtigen Minuten.
Deine Worte habe ich nie vergessen können, fuhr Jenny fort. Ich vergaß die Welt, die Menschen, Gott – Du warst mein Gott, so groß und schon standest Du vor mir; Dein Anblick so majestätisch, so gebietend, als müßte der Donner sich zu Deinen Füßen legen. Wie hätte ein Weib voll Liebe widerstanden! Dein Ewig! klang in meinen Ohren, es war mein Glaube, mein Gebet, ich höre es noch. Als meine Briefe ohne Antwort blieben, als die langen bangen Tage des Elends kamen, die Nächte ohne Trost, als endlich dies Kind an meiner Brust lag, in meinen Thränen gebadet: da schrie eine Stimme plötzlich in meinem tiefsten Herzen: Ewig! und ein Lächeln der Hoffnung kam auf meine Lippen. Ich wußte, Du würdest kommen; nun bist Du da und Alles ist gut.
Meine arme Jenny, sagte er gerührt, ich will Dich nie verlassen. Hier erneue ich meine Schwüre; mein Wille soll unendlich, ewig sein! Du weißt, daß ich gezwungen war, zu reisen. Ich that es widerstrebend, Du selbst vereintest Dich mit unsern Widersachern.
Ich wollte Dir Zeit geben, erwiderte sie leise, fern von mir Dein Herz zu prüfen, ob es stark sei, alle Stürme zu ertragen, oder das kaum beschworene Bündniß zu lösen.
Und diese Trennung mit ihren hingebenden Stunden voll schwärmerischer Liebe machte Dich unglücklich, fuhr er leise fort. Glaube Alles von mir, glaube das Schlechteste, das die Menschen sagen können, aber nicht, daß ich ein Verführer sei. Ich hasse diese ekle lüsterne Sünde, diese berechnende Schändlichkeit mehr, als alle Laster. Ich liebte Dich mit stürmischer Leidenschaft, ich vergaß, wie Du, in diesem süßen Taumel die Satzungen der Menschen, darin allein besteht unser Fehler.
Und Du liebst mich noch? fragte sie furchtsam.
Ich liebe Dich, ja ich liebe Dich! sagte er sanft und legte den Arm um ihren Hals. Als ich Deine Briefe endlich empfing, zitterte ich vor Sehnsucht und Bangen. Ich war tief in England auf den Gütern eines Verwandten. Man wollte mich halten, man hatte manche wichtige Gründe; aber Tag und Nacht sah ich Deine Leiden, Deine Angst. Du standest vor meinen Augen überall, und nicht eher ruhte ich, bis ich hier war. Vor einer Stunde bin ich angekommen.
Und nun bist Du schon bei mir! rief Jenny und küßte ihn zärtlich. Er nahm sie in seine Arme und flüsterte leise, süße Worte; zitternd und lauschend schmiegte sie sich an seine Brust. Die Leiden waren vergessen, der geliebte Mann hielt sie umschlossen; Träume des Glücks fuhren durch den schwachen kranken Körper, und machten ihn stark. Die eingefallenen Wangen rötheten sich, die Augen glänzten, die Thränen, welche an den langen Wimpern hingen, fielen freudeheiß auf sein Gesicht.
Plötzlich trat die Mutter herein, eine hohe Frau mit scharfgeschnittenen, ernsten Zügen, nicht ohne Zeichen eines bescheidenen Wohlstandes gekleidet, aber mit der Würde jener hohen Bildung des Geistes und Herzens gerüstet, die Achtung und Ehrfurcht gibt.
Jenny zitterte und erglühte. Der junge Mann stand verlegen und unmuthig auf, das stolze Gesicht der Frau mit den leuchtenden großen Augen richtete sich fest auf ihn. Er streckte ihr die Hand entgegen und murmelte einige Worte, ein Gemisch von gewöhnlichen Floskeln.
Sie reichen mir Ihre Rechte, sagte sie mit scharfer Ausprägung der Silben. In welcher Eigenschaft soll ich diese ergreifen? Sie haben grenzenloses Unglück über mich und mein Kind gebracht; sind Sie gekommen, dies zu vergüten?
Ich kam, um Trost und Hülfe zu bringen, sagte er.
Dann sind Sie willkommen, erwiderte sie. Trost und Hülfe sind unbekannte Namen bei uns geworden, wenigstens so weit diese außer uns liegen. Jenny's Herz aber ist so dicht an der Wurzel gebrochen, daß es kaum noch eine Stütze geben mag, welche dies arme Bäumchen wieder aufrichtet.
Mutter! rief Jenny leise schluchzend, und streckte die Arme nach ihr aus, Du bist tiefer verwundet, als ich. Ich war Deine Freude, der Stolz Deines Lebens, und nun – und nun!
Das stille kalte Gesicht der großen Frau schien noch bleicher und geisterhafter zu werden. Sie faltete die Hände und sagte mit tonloser Stimme:
Ich danke dem Allmächtigen täglich, daß er Deinen Vater dies Alles nicht erleben ließ. Was mich betrifft, so ist mein Stolz zwar tief verletzt, aber Gott gab mir Kraft zum Tragen. Ich sehe die Dinge mit menschlichem Auge. Ich selbst ein Weib, fühle die Schwächen meines Geschlechts, und das unendliche Mitleid in mir mit dem armen so bitter getäuschten Weibe ist weit mächtiger als mein Zorn und mütterlicher Kummer.
Er wird es gut machen, er wird Alles gut machen, flüsterte Jenny, und faßte die Hände ihres Geliebten, den sie bittend und angstvoll ansah, indem sie zu lächeln versuchte.
Ach! so ist das Herz eines Weibes, sagte die alte Dame, und nahm mit einem Blick der Liebe und Besorgniß das leise schreiende Kind auf. Welche Schmerzen hat sie bestanden, wie zahllose Thränen hat sie vergossen, Verzweiflung und Schande haben sie fast getödtet, und nun hat ein einziges Wort des Mannes, den sie liebt, seine Nähe allein schon, Alles ausgelöscht von der schrecklichen Gedächtnißtafel. Und ich selbst, fuhr sie leise murmelnd fort, ich wiege dies Kind in meinen Armen, ich sehe mit Freude und Besorgniß in seine tiefblauen Augen; Erbarmen und angstvolle Liebe verknüpfen sein schuldloses, ach! so schuldvolles Dasein mit dem meinen. Meine Thränen fallen heiß auf sein kleines friedliches Gesicht. Müßte ich ihm nicht auch fluchen? Müßte ich es nicht von mir stoßen? Und wunderbar, ich liebe es mehr vielleicht, als wäre es in der glücklichsten Ehe geboren. Mein Segen, ja, mein Segen soll Dich begleiten, Du armes, liebes Kind, der Segen Deiner Großmutter, die Dich so heiß liebt, um Deiner Mutter Unglück.
Auf Richard's Stirn lag eine Falte des Unmuths, den er kaum beherrschen konnte. Seinem stolzen Sinne war die hofmeisternde alte Frau niemals recht gewesen; jetzt aber, wo sie strafend und richtend sich vor ihn stellte, ihn wol gar bedrohend, war sie ihm noch weit verhaßter. Er fühlte das Bedrückende seiner Lage zwiefach, er fürchtete ihre kalte Verständigkeit bei den Plänen, welche er sich gemacht. Indem er seine Zukunft und Ruhe durchkreuzt sah, ärgerte er sich über die strengen prüfenden Blicke, mit welchen sie ihn beobachtete, und die er kaum ertragen konnte.
Sie setzte sich und rückte den Stuhl dicht an ihn.
Lassen Sie uns denn sprechen, sagte sie, mit aufgethanem Herzen voll Milde und Vergebung. Sie sind hochgeboren in der Welt; Ihre Familie ist stolz und reich, ich sehe wohl, welche Schwierigkeiten Ihnen erwachsen müssen, wenn Sie vor Gott und Menschen ein in Ehren und Rechten ungekränkter Mann bleiben wollen. Hier aber ist Ihr Weib, hier ist Ihr Kind. Ihre Pflichten gegen diese sind weit heiliger und höher, als was die Menschen sich ersonnen haben; Ihre Ehre ist fest an diese Beide gebunden. So – frage ich denn: Was haben Sie beschlossen? Was wollen Sie thun?
Sie fragen mit einer seltenen Kürze und Entschiedenheit, erwiderte er.
Und ich denke, ich habe ein Recht dazu, sagte die Dame. Ich denke, es ziemt sich für mich, zu sagen: Du hast mein Kind elend in Unehre gebracht, wie willst Du ihr die Ehre wiedergeben? für Sie: Ich will den besten Weg gehen, den ich weiß.
Eine dunkle Röthe lief über Richard's Gesicht.
Ich bin nicht der Mann, mich an Pflichten mahnen zu lassen, sagte er stolz, noch weniger aber, Vorschriften zu empfangen. Ich weiß, was ich muß; allein Forderungen mit Ungestüm angebracht, finden bei mir leicht einen Widerstand, den sie sonst nicht verdienen.
O, liebste Mutter, ich bitte Dich, sagte Jenny bebend, er wird Alles thun.
Er wird nichts thun, sagte die Matrone, was Deiner würdig wäre. Armes, verblendetes Mädchen, siehst Du nicht, mit welchen Vorsätzen er gekommen ist? Sieh ihn an, er kann Deinen Blick nicht ertragen, denn er ruft ihm zu, daß die Lüge tief in seinem Herzen sitzt. Laß ihn sprechen, ich will Dir aber vorher erzählen, was er sagen wird: In diesem Augenblicke erfordern es die Umstände, daß unsere Verbindung so geheim gehalten werde als möglich, denn sicher müssen wir eine günstigere Zeit abwarten, als eben jetzt. Dies Geheimniß zu bewahren, bin ich so schnell gekommen. Ich liebe Jenny, ja, ich würde sie sogleich zum Altar führen, aber in der Welt sind viele Dinge zu bedenken, deren unkluge Verachtung uns zerschmettern könnte. Vorsicht und Geheimniß allein können uns glücklich machen.
Mit lebhafter Unruhe stand Richard auf, Zorn und Verwirrung leuchteten aus seinen Blicken.
Wenn ich für meine Opfer auch jede Verkennung empfangen soll, sagte er, so wird mich das nicht abschrecken, nach meinen Ueberzeugungen zu handeln.
So ist's denn wahr, murmelte die Frau mit dem Ausdruck schmerzlicher Trauer, indem sie ihn ansah, so hat die innere Stimme nicht gelogen. Armes Kind! Arme Jenny!
Dann richtete sie sich auf, ihre Augen hatten einen prophetischen Glanz, ihre Stimme war hohl.
Es gibt Menschen, sagte sie, die unglücklich genug sind, weit in die Zukunft sehen zu können. Lebendige erscheinen ihnen als Leichen; wo das Glück zu wandeln scheint, erblicken sie Unheil, und wie Schmerz sich in Freude verkehrt, das ist ihnen bekannt. So sehe ich jetzt, wie aus dieser Stunde sich neues Elend über uns ausgießt, und wie wir in Kummer untergehen müssen. An diesem Augenblicke hängt unser Aller Leben, denn, was der Mensch sein Schicksal nennt, das ist gemeiniglich, im Guten wie im Bösen, an den Entschluß einer Minute geknüpft, wo sein Engel oder sein böser Geist triumphirt.
Da seh ich es deutlich, fuhr sie fort, und zeigte mit dem Finger vor sich hin. Es sind keine Träume, ach! es ist allzugewiß. Ist es nicht wahr, rief sie, das wollten Sie sagen?! Warte und weine nur im Verborgenen, Du leichtgläubige Dirne. Die Zeit wird Dich trösten, und wenn Du hörst, daß ich mit meiner reichen schönen, hochgeborenen Braut zur Kirche gehe, so wirst Du nicht, wie es in dem alten Liede heißt, ein bleicher Schatten in Deinem nassen, schwarzen Haar zwischen uns treten.
Jetzt wurden ihre Blicke immer starrer, sie faltete die Hände und weinte leise.
Ich will gehen, sagte Richard düster, sie ist krank. Morgen komme ich wieder.
Da stand die Frau auf, wischte die Thränen ab und sagte mit fester Stimme:
So sollen Sie nicht gehen, mein Herr, bis ich gethan habe, was meines Amtes ist. Ich bin auch nicht krank, wenigstens nicht, wie Sie meinen. Sie haben anerkannt, daß Sie in der Absicht gekommen sind, das Unglück meiner Tochter und Ihre Schuld geheim zu halten. Ist es nicht so?
Ich habe allerdings viel Ursache, dies zu wünschen, erwiderte er beschämt und mit seinem Stolze ringend; denn ich bin nicht unabhängig und bedarf Zeit, Hindernisse fortzuräumen. Auch dürfte es nöthig sein, eine gewisse Vergessenheit des Geschehenen in der Menschen Gedächtniß zu bringen.
Ein tiefer Seufzer Jenny's unterbrach ihn hier, die Mutter aber sagte mit melancholischer Ruhe:
Vergessenheit! Darauf kommt es zuletzt immer an, das ist das Ziel alles menschlichen Strebens. Was sollen wir thun, und was wollen Sie thun, um uns dies zu verschaffen?
Einer meiner Freunde, sagte er mit erzwungener Gleichgültigkeit und geheimem Zorn, besitzt ein kleines artiges Landhaus ganz in der Nähe, das steht zu meinen und Ihren Diensten. Bewohnen Sie es so lange, bis ich frei handeln kann. Dort wird auch meine Jenny gesund und heiter sein, fuhr er sanft fort und wandte sich zu der Kranken, dort ist es mir auch möglich, Sie täglich unbemerkt zu besuchen.
Unbemerkt! rief die alte Dame mit einer bittern Empfindung.
Sie wollen böse deuten, was ich gut meine, erwiderte er. Leider, ja, unbemerkt muß ich sagen, bis ich einst dies schlechte Wort ausstreichen kann.
O, mein Richard! rief Jenny zärtlich, ich will glauben und glücklich sein. Lügen kannst Du nicht, es ist unmöglich. Ich will thun, was Du willst. Ich will Dich erwarten; den ganzen Tag will ich mich auf die Stunde freuen, wo Du kommen wirft. Es muß so sein, gewiß! Mutter, er kann nicht anders.
Wir wollen nach Ihrem Willen thun, sagte die alte Frau nachsinnend, wir wollen uns verbergen, so lange Sie es wünschen, denn der Schande ist es noth, daß sie Einsamkeit suche; aber Eines verlange ich, obgleich es nur ein Spielwerk in der Hand des Bösen scheint: Setzen Sie sich, schreiben Sie und betheuern es mit Ihrer Ehre, daß Sie Jenny als Ihr ehrlich Weib heimführen wollen, sobald die Verhältnisse es erlauben.
So mißtrauen Sie mir? rief er mit stolzem, feindlichem Ernst.
Ja, sagte sie ruhig.
O, Mutter, Mutter! rief Jenny weinend, Du kennst sein Herz nicht. Nein, ich will kein Versprechen, kein geschriebenes Wort. Ich habe seine tausend Eide; und hätte ich auch diese nicht, er hat mir gesagt: Mein Wille ist ewig, ich bin auch ein Gott! und das ist mein Evangelium, darauf will ich leben und sterben.
Unglückliche! murmelte die Mutter, jetzt sprichst Du Dein Todesurtheil. Ja, Du wirst für Deinen Glauben sterben, der so viele Märtyrer hat. Für Deinen falschen Gott wird Dein Herzblut hinströmen, und der Hohn der Welt wird Deine Thorheit begleiten.
Was können mir Worte helfen! rief Jenny mit fieberhafter Reizbarkeit. Werden diese ihn in Glauben und Treue binden? Und wenn es nur Worte wären, die ihn an mein Herz führten, wenn es nicht meine unendliche Liebe thäte und dies Kind, sein Kind! Allmächtiger! Ich zerrisse diese schändlichen, falschen Worte, diesen unerhörten Frevel, der ihn und mich elend macht.
Armes Kind, sagte die alte Frau, Du weißt nicht, welchen Zauber das geschriebene Wort hat. Es braucht kein Blut zu sein, auch kein Stempel, keine Unterschrift eines Richters. Der Mund spricht leicht ein unbedachtes Wort und einen thörichten Schwur, aber diese kleinen Buchstaben haben eine magische Kraft. Das Wort schallt weiter, der Schwur ist festgezaubert, Menschenaugen können ihn verstehen.
Was keines Menschen Auge weiß und sieht, das sieht Gottes Auge, erwiderte Jenny leise. Sein Wille ist ewig! Friede ist in mir, ich bin ruhig.
Meine Jenny, sagte Richard, und küßte ihre Hand, ich danke Dir. Glaube, ja glaube fest, das ist das Mittel, mich sicherer zu halten als alles Pergament der Erde. Willst Du aber den Rath Deiner Mutter hören, so bin ich bereit zu unterschreiben, was Du verlangst.
Sage ja, Jenny! rief die Mutter mit furchtbarer Angst, und umklammerte ihre Hände. Laß ihn schreiben, Du rettest ihn, Dich, Dein Kind, mich!
Nein, sagte Jenny. Richard, ich glaube!
Amen! murmelte die Matrone, und dann nahm sie das Kind, küßte es und seufzte und schien zu weinen.
Sie hörte es auch nicht, oder wollte es nicht hören, als Richard Abschied nahm; als er Jenny küßte und ihr leise sagte, morgen um die Abendzeit würde er einen Wagen senden, in den möchten sie Alle steigen, ihre Wohnung zuschließen und die Mobilien lassen, wie sie wären. In dem Landhause würden sie Alles finden; es sei ganz eingerichtet, und was etwa fehlen sollte, würde er morgen noch beschaffen lassen. Endlich flüsterte er ihr noch zu, sie möchte Niemanden sagen, wo sie wären, ausgenommen vielleicht einem treuen verschwiegenen Freunde, der die nöthigen Geschäfte besorge in der Stadt, für alle Andere sollten sie verreist sein auf unbestimmte Wiederkehr.
So ging er fort, die Mutter seiner Geliebten grüßend, die ihm nicht dankte, und welche er nicht anzureden wagte. Er fühlte eine Furcht vor der alten Frau und ihrer entschlossenen Sinnesart, die an Abscheu grenzte, obwol er sich sagen mußte, was sie wolle, sei recht, und schweres Leid habe er an ihr gut zu machen.
Während er durch die finstern, schweigenden Straßen ging, kämpften die guten und bösen Mächte in seiner Brust.
Wenn diese alte, starrsinnige Frau nicht wäre, sagte er endlich, es möchte sich wol Alles noch fügen und schicken. In diesem hinfälligen Körper aber wohnt ein arger Ehrgeiz, die steife Tugend des vorigen Jahrhunderts, die Anmaßung versteckten, bürgerlichen Hochmuths und jene verruchte, strenge Consequenz altväterlicher Gesinnung, die hier, unglücklicherweise, weit über Habgier und niederer Leidenschaft steht, und so klar verständig ist. Wenn ich mich nicht vor diesem Geisterblick fürchten müßte, ich würde sie lieben können und aufrichtig verehren. Sie hat bis in mein tiefstes Herz geblickt, und wer hat es ihr geöffnet? Jenny, armes Mädchen, ja, ich liebe Dich, und ewig, ewig will ich Dir mit heiliger Freundschaft nahe sein; aber meinen Lebensweg an Deiner Seite nehmen – es kann nicht sein! Gott sei es geklagt! es kann nicht sein!
Was kann nicht sein? fragte eine lustige Stimme dicht bei ihm; denn unwillkührlich hatte er diese Worte laut gesprochen.
Verwundert sah Richard sich um. Er war auf einem der großen Plätze der Stadt, der Lampenschein ließ ihn jedoch leicht einen Vetter und Freund in der jungen schlanken Gestalt erkennen.
Ich möchte Gottes Finger in diesem Begegnen sehen, murmelte er für sich, und erwiderte dann laut die geschwätzigen Begrüßungen des Freundes, dem er Rechenschaft über seine Reisen und seine unverhoffte Wiederkehr geben mußte.
Ueber Etwas aber willst Du nicht beichten, sagte der Vetter endlich lachend.
Ueber was? fragte Richard bestürzt, denn er dachte an Jenny.
Ueber Deine Muhme, Mylady Recha.
Ach, Possen! sagte Richard.
Das mache einem Andern weiß, sprach der Vetter mit Ueberzeugung; aber Dein Vater sagt es ja öffentlich, daß sein Sohn der jungen Wittwe, die so unermeßlich reich ist, über die Maßen gefallen habe.
Mein Vater sagt, was er wünscht, erwiderte der junge Mann stolz.
Du findest sie also nicht schön?
Schön, liebenswürdig und voller Geist, sagte Richard.
Nun, so heirathe ich sie, rief der Vetter lustig, vorausgesetzt, daß es wahr ist, sie kommt hierher, denn eine Reise mache ich nicht darum.
Wer sagt, daß sie kommt? fragte Richard heftig.
Ich schlug zwei Fliegen mit einem Schlage, erwiderte der witzige Freund. Ich komme so eben von Deiner Schwester, erfuhr dort Deine Ankunft, und daß ein Brief von der Muhme Recha eine Stunde später mit Curier gekommen sei, sie könne es nicht aushalten, und folge Dir, sobald sie kann.
Richard schwieg, und Beide gingen über den Platz fort.
Du hast das kleine Landhaus Deiner verstorbenen Tante noch nicht verkauft, Willfried? sagte er plötzlich.
Nein, erwiderte der Vetter lachend. Willst Du etwa die romantischen Reize dieser himmlischen Natur, den unübertrefflichen Sand, die Weiden, Wiesen und den reizenden Strom mit Mylady Recha dort elegisch genießen?
Willst Du es verkaufen?
Mit dem größten Vergnügen, ich laß es Dir billig. Zehntausend Thaler hat es gekostet, Du gibst die Hälfte, aber baar.
Ich nehme es an, sagte Richard, aber ich habe eine Bedingung. Du verkaufst es nicht mir, sondern einer Dame, die ich Dir nenne und gibst mir Dein Wort, gegen Niemanden etwas davon zu äußern.
Gut, erwiderte Willfried lächelnd, nur bitte ich Dich, sei nicht allzu geheimnißvoll gegen mich. Wenn Du nicht reden willst, meinetwegen; aber es ist recht von Dir, daß Du Dich bei Zeiten abzufinden suchst. Noch wissen es Wenige, die Geschichte könnte Dich aber später doch in manche Verlegenheit bringen.
Was meinst Du damit? sagte Richard, und sah ihn finster an.
O, über diese Verstellung! rief der Vetter. Warum das? Mich täuschest Du nicht. Glaubst Du, ich kenne Deine Aventuren mit der niedlichen Professortochter, mit der zarten kleinen Jenny nicht? Ich habe Dein Glück beneidet; wahrhaftig! Du mußtest eine Art Hexenmeister sein, um dies schöne Täubchen so zahm zu machen.
Du hast sie gesehen? fragte Richard.
Vormals, erwiderte Willfried mit unterdrücktem Lachen, und wenn ich Dir rathen darf, sieh sie auch so lange wie möglich nicht. Was ich Dir übrigens sagen könnte, wirst Du längst wissen, denn obwol es die Mutter der bösen Welt zu verbergen suchte, so hat diese bekanntlich zahllose Augen und Ohren. Sie sind aus ihrer freundlichen Wohnung in ein entferntes Quartier einer Vorstadt gezogen, wo der junge Weltbürger ganz im Stillen sich ausschreien kann. Das ist sehr zu loben, das zeigt von Verstand und Discretion. Wenn eine Zeit hingeht, wird die kleine Verirrung auf's Land gebracht zu irgend einer tüchtigen Pachters- und Predigersfrau, dort wächst es heran in ländlicher Vollkommenheit; man zahlt eine mäßige Pension, und schenkt ihm Gott Leben und Gesundheit, so lernt er Oekonomie; denn man kann ihn dann als Verwalter benutzen, oder er studirt, und es findet sich eine Pfarre, wo er heiter und zufrieden lebt und stirbt.
Und die Mutter? sagte Richard dumpf und leise.
Nun, die Mutter behüte der Himmel, daß es von ihr heißen mag: Einen Fehltritt verzeiht Gott dem Sünder, aber den zweiten wird er rächen. Tragen mußt Du, was Du verschuldet hast, mein guter Freund, ob mit Recht oder Unrecht, lassen wir dahin gestellt sein. Du willst Dich wie ein Mann von Ehre benehmen, das hör' ich aus Deinem Anerbieten, mir das Häuschen abzukaufen, denn ohne Zweifel soll es doch Dein Wochen- und Brautkranzgeschenk, ein für allemal, sein. Das ist nobel und lobenswerth. Die Villa, wie meine selige Tante es immer nannte, ist übrigens reizend genug, auch für eine bessere; und wüßte Manche, daß Du eine schwache Stunde so reich belohntest, Du würdest Zulauf haben. Es ist auch schönes Feld dabei, Teiche und allerlei Zubehör, wo ein reeller Mann sein Brot findet. Nun laß ein paar Jahre vergehen, und Fräulein Jenny wird wiederum die Krone der Feste sein. Sollte ja irgend Einer zufällig Etwas von ungewissen Gerüchten gehört haben, so kann man entweder entschuldigend wie jenes Fräulein sagen: Ja, es ist wahr, ein Kind hatte sie, aber es war nur ein ganz kleines, – oder man ignorirt es stolz, ist empört über die Verläumdung und ganz sicher in der niedlichen Villa und im Genuß eines achtungswerthen Wohlstandes. Kurz, Richard, was willst Du wetten, in zwei Jahren, oder drei spätestens, hat Jenny den schönsten Mann, der sich todtschlagen läßt für ihre Ehre und den sie unaussprechlich liebt.
Wenn ich sie glücklich machen könnte, rief Richard mit Heftigkeit, nichts sollte mir zu schwer, zu theuer sein. Du kennst sie nicht, Du weißt nicht, wie sie mich liebt, wie fest sie sich an diese Liebe klammert, und was sie fordert.
Sie fordert Dich? fragte Willfried.
Richard antwortete nicht.
Oder vielmehr, sie ist albern genug, Deine Hand zu begehren? fuhr Jener fort.
Sprich nicht mit so unwürdigern Spott von einer heiligen Sache, an der meine Ehre, mein Leben, das Glück einer schuldlosen Familie hängt! rief Richard. Sie hat ein Recht, mich zu fordern; reuig, schuldbeladen, mit zerrissenen Empfindungen stehe ich bebend, wie ein Knabe, und ringe mit Kopf und Herz.
Ach, Possen! rief Willfried. Du wirst kein Thor sein. Hat sie Deinen süßen Worten geglaubt, kennt sie die Welt nicht besser, um so schlimmer für sie. Heirathen sollst Du sie? – Sie ist toll! – Freilich glaubt das jede und weint ihre heißen Thränen, wenn's nicht geschieht, aber das ist zum Lachen!
Oder zum Verzweifeln!
Willfried betrachtete ihn ernsthaft.
Ich hoffe, Du hast Dich entschieden, sagte er.
Ich habe entschieden, erwiderte Richard stolz, aber nicht von so freventlichem Leichtsinn geleitet, wie Du. Gott ist mein Zeuge! Ich habe das arme Mädchen nicht mit raffinirter Bosheit zur Schande geführt, um sie dann zu verlassen. Ich liebte sie mit Leidenschaft; diese verleitete mich, an eine Ewigkeit meines Willens und Wollens zu glauben. Ich war ein junger Thor, ich kannte die Welt und das menschliche Herz nicht. Mein Trotz hat sich nun an mir selbst gerächt; ich fühle, daß dies Mädchen mich nicht beglücken kann, daß es ein selbstmörderischer Act wäre, wollte ich mein Wort halten. Selbsterhaltung ist das höchste Gesetz des Lebens. Soll ich um eine Jugendthorheit meine Vernunft gefangen geben, mich opfern; meine Stellung zur Welt, meine Ansprüche an Glück und Zukunft? Es gibt im Leben eine unentschiedene, vielleicht unentscheidbare Frage. Soll man unbedacht gegebenen Eid und Worte halten in der gewissen Aussicht, unglücklich zu werden? Und das auf mich angewendet: Soll man Liebesschwüren blind Alles opfern, um vor Welt und Menschen ein sogenannter ehrlicher Mann zu heißen? Das deute und vertheidige nun Jeder, wie er kann und mag; aber er verdamme den nicht als einen Schurken, der vor der Hölle des Lebens zurückbebt, die sich vor ihm aufthut.
Willfried hatte aufmerksam zugehört.
Nach vielen schönen Redensarten und Entschuldigungen, sagte er nun lachend, bist Du gerade dahin gekommen, wo ich auf dem kürzesten Wege anlangte, das heißt, Du läßt sie sitzen und weinen, so gut wie ich.
Nur mit dem Unterschied, erwiderte Richard, daß ich von ganzem Herzen bereue, daß ich in jeder Weise ihre Thränen zu trocknen suche, und willig und gern jedes Opfer bringe, ihre Schmerzen zu erleichtern.
Du gibst ihr Steine und sie verlangt Brot! rief Willfried; oder vielmehr: Du gibst ihr ein Haus und sie verlangt ein Herz. Täusche Dich nicht, Richard. Du handelst wie ein reicher Mann, das heißt, Du suchst mit Geld Deine Sündenvergebung, aber die Welt wird davon nicht bestochen. Die sogenannten Redlichen werden es Dir nicht verzeihen, die Gescheidten werden Deine Opfer obenein dumm nennen, und nur die Gemüthlichen und Schwachen sagen allenfalls: Er sucht wenigstens seine Ehrlosigkeit in anderer Art gut zu machen. Was man will, muß man ganz wollen, nicht aber philosophisch-sophistisch beschwatzen, man thue Recht und könne nicht anders. Du bist es Deinem Stande und Deiner Familie schuldig, das ist genug. Das Mädchen hat Dir gefallen, sie ist gutherzig gewesen; nun behandelst Du sie nobel, schenkst ihr Haus und Hof, und sagst dabei: ein andermal wollen wir Beide klüger sein. Hat es die Leidenschaft verschuldet, oder war es überlegter Plan, gleichviel, das Resultat ist dasselbe. Das Ende der Komödie ist völlig gleich, und eitel Hochmuth ist es, wenn Du besser zu sein glaubst als ich.
Gute Nacht, sagte Richard. Morgen früh machen wir den Kaufkontract.
Lange irrte er in dem feuchten Nachtdunkel umher. Der Septemberabend war voll leise wallender Nebel, zwischen denen die Sterne vereinzelt blinkten, und diese Mischung von Milde und ahnungsvoller Nähe des Winters, die hinsterbende Natur, welche aus Luft und Himmel, aus falbem Laub und feuchtem Sterngefunkel wehmüthig sprach, beschlich Richard's Herz. Er ging durch viele ihm fast unbekannte Straßen sinnend und zweifelvoll.
Herr Gott, ich danke Dir, daß ich nicht bin wie dieser da, sagte er für sich, und sagte es immer wieder; aber bei jedem Male fühlte er einen Krampf in seinem Gewissen, das sich nicht beschwichtigen wollte. Endlich stand er still, lehnte sich über den Rand einer einsamen Brücke und sah auf die dunkeln stillen Wasser, welche leise rauschend und plätschernd an die Pfeiler schlugen. Zuweilen funkelte ein Stern hell auf im Nebel und zog einen glänzenden Streifen über den schwarzen Strom. Dann glaubte er tief unten Gesichter zu sehen, die ihn anstarrten; weiße Hände, die langsam aus den Fluthen stiegen, immer länger und länger wurden, und bis zu ihm heraufreichten; oder schwarze Locken, die sich auflösten, über das Wasser flossen und immer weiter schwammen, ohne Ende. Der Nachtwind jagte die Nebel darüber hin und seine flatternden Streifen und Gebilde waren wie ein Roß, das zügellos ohne Laut über die dampfende Tiefe fährt, und ein Weib mit langem wehendem Schleier trägt.
Recha, sagte er leise, da bist Du; so schnell, zu schnell, Recha. Ich werde Dir nicht verbergen können, daß ich nicht besser bin als die, die Du verachtest.
Welche Narrheit! rief er dann laut und richtete sich auf, welche dumme Schwäche will mich beschleichen. Ist es doch, als sehe ich Jenny's Auge, Jenny's stilles kaltes Gesicht in den Wasserfäden da unten. Will die Faselei der Phantasie sich auch noch mit der Wahrheit verbinden? ach! sie ist schon traurig genug und bedarf solcher Hülfe nicht. Und wenn es wäre, wenn sie, wie die Menschen sagen, vor Gram stürbe, wenn das schwache Weib ihr Leid nicht ertrüge?
Er sah ruhig in die Nacht hinauf, wo die ewigen Welten glänzend und kühl ihr reines Licht in sein Auge senkten.
Dann wäre die Erlösung ihr früher gekommen, ihr Schicksal erfüllt, der Weg zurückgelegt, der Alles aufnimmt, sagte er kalt. Was ist der Welt Freude und Leid? Was ist die Spanne Leben? Ja, wüßte ich auch, daß sie hier hinabstürzen würde, um ihr Leid zu begraben, ich würde doch nicht von meinem Willen wanken. Es ist vernünftig, was ich will; es muß so sein. Wer der Welt Weh nicht ertragen kann, der flüchte sich in den frühen Tod, er rettet den Mühseligen und Verlorenen; er nimmt den Starken liebend nach langem Kampfe auf.
Nun zitterten die Sterne in seinen Wimpern und spiegelten in tausend Farben mit den feuchten Krystallen. Er wischte sie fort.
Keine Schwäche, mein Herz bedarf der Thränen nicht.
Er schlug den Mantel fester um und ging.
Am nächsten Tage in der Dämmerung waren Mutter und Tochter bereit die einsame Wohnung zu verlassen. Sie erwarteten den verheißenen Wagen, als es klopfte und ein Mann hereintrat, der, obwol er noch nicht alt war, doch in Gesicht und Anstand etwas ungemein Feierliches und vorzeitig Ernstes hatte.
Seine langen hagern Züge paßten zu dem Kopfe, der, oben breit, ganz spitz nach dein Kinn zulief. Der Mund hatte tiefgezogene, finstere Winkel, und die großen Augen eine kalte Ruhe. Hinter jedem Ohr fiel eine röthlich braune Locke, von den Schläfen ab, herunter, wie überhaupt das Haar des Hinterkopfs seinen Rockkragen bedeckte, nach vorn dagegen kurz und rund verschnitten anlag. Das sonderbare Mißverhältniß des Kopfes war auch am Körper wiederholt. Oben war dieser mit breiten Schultern und einer kühn gewölbten Brust ausgerüstet, nach unten aber verjüngte er sich auffallend; die Hüften standen in keinem Verhältniß mehr, und die Beine waren recht jammervoll dünn zu nennen.
Wie es gewöhnlich solche Leute thun, die seltsam genug an ihre Mängel nicht glauben, und hübsch finden, was Andern häßlich erscheint, so hatte der Ankömmling der Natur auch nicht durch Kunst nachzuhelfen gesucht. Statt einer weiten Umhüllung trug er einen enganschließenden schwarzen Frack, und sein langes gelbes Gesicht sah aus einem blendend weißen Tuche. Trotz dessen war er jedoch nicht übel anzusehen. Ein gewisser Reiz des Interessanten ruhte auf ihm. Das Bleiche seines Gesichts und der forschende Blick seines Auges wurden durch ein Lächeln versöhnt, das dann und wann im Gespräch seine ernsten Mienen auflöste.
Ich finde Sie endlich, meine liebe Tante, sagte er mit weicher, biegsamer Stimme. Möge Gottes Segen mit Ihnen sein!
Indem er dies mit einer gewissen Feierlichkeit sagte und der Mutter die Hand küßte, legte er Hut und Stock fort und setzte sich neben Jenny.
Wie geht es Dir, meine arme kranke Jenny? sagte er, und ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er hinzu: Wie habt Ihr mich suchen lassen, ehe ich Euern Zufluchtsort entdeckte, Ihr bösen Freunde. Ist es recht, sich so zürnend auch von denen zu wenden, die Euch lieben? Einsamkeit! da fließt die rechte Versöhnung nicht. Oft ist ein hochmüthiger Schmerz allein der Grund, nicht die zerknirschte Reue über schwere Sünde, die in Zurückgezogenheit den Frieden mit Gott sucht.
Lieber Herr Hofrath, lieber Konrad, sagte Jenny ängstlich, ich – ach, Gott! ich habe es wohl noth, Einsamkeit zu suchen.
Lieber Vetter, fügte die Mutter hinzu, wer von Leiden so heimgesucht ist, wie wir, der flieht die Menschen wie von selbst.
Wer die Gnade des Herrn sucht, sprach der bleiche Vetter, der wird auch den Trost finden, und zwar den einzigen, wahrhaften. Aber liebe, arme Frauen, ich bin nicht gekommen, Eure Wunden aufzureißen. Mein Herz zog mich zu Euch; ich wollte Euch sehen, Euch sagen, daß ich unverändert Euer Verwandter bin, ob Ihr auch nichts von mir wissen wollt. Ich dachte Euch ohne rechten Rath, ohne den wahren Glauben und Hoffnung, und möchte gern Euer Gemüth zu den Quellen des Heils wenden.
Sein Sie bedankt dafür, erwiderte die Mutter gerührt. Wohl muß ich annehmen, daß ein mächtiger Helfer Sie gerade in dieser Stunde hersendet.
Ist es eine Stunde des Zweifels, ein Kampf der Lüge mit der Wahrheit, so sehen Sie mich bereit.
In dem Augenblicke hörte man das Rasseln eines Wagens. Da ist er, er kommt! rief Jenny.
Wer kommt? fragte der Hofrath streng.
Er, Richard, der Vater meines Kindes, sagte sie zitternd. Er ist zurückgekehrt, zu mir zurückgekehrt.
Ich wußte es, erwiderte er, und ich kam, Dich zu warnen. Höre ihn nicht.
Die Thür ward geöffnet, die hohe, dunkle Gestalt trat rasch herein. Hier bin ich, meine Jenny, sagte Richard.
Mein theurer, geliebter Freund! rief sie, ach! wie lang sind mir die Stunden geworden.
So laß uns eilen, Alles ist bereit, erwiderte er. Ich bin den ganzen Tag für Dich geschäftig gewesen. Die kleine, artige Villa war wirklich noch nicht verkauft. Heut morgen erstand ich sie für Dich, sie ist Dein alleiniges freies Eigenthum, und nun sollst Du sehen, ob ich nach Deinem Geschmack auch Alles eingerichtet habe.
In dem Augenblick wandte er sich um und erblickte den Fremden.
Wer ist hier? fragte er heftig.
Ein naher Verwandter, sagte die Mutter schnell, der Einzige, welcher unser weiteres Schicksal wissen soll.
Mein Vetter, der Hofrath Werner, flüsterte Jenny.
Wohlan, mein Herr! sagte Richard mit stolzer Stimme; da Sie von der Familie zu dieser Berathung gezogen sind, so werden Sie sicher auch mein Vertrauen rechtfertigen und das Geheimniß streng bewahren, an welchem unser Aller Glück hängt. Jenny und ihre ehrwürdige Mutter werden eine kleine Besitzung dicht an der Stadt bewohnen, welche ihnen nun gehört. Seien Sie ihnen Trost und Hülfe, erleichtern Sie ihre einsamen Stunden und führen Sie ihre Geschäfte und Verbindungen mit der Außenwelt, bis sie selbst von Neuem in sie eintreten.
Gewiß, mein Herr, erwiderte Werner mit Festigkeit; ich empfinde, daß mir ein Auftrag von Wichtigkeit ertheilt wurde, den ich gewissenhaft zu erfüllen denke. Jenny ist mir eine theure Verwandte, deren Geschick meine lebhafteste Theilnahme erregt. Ich hoffe, daß nach Tagen bitterer Angst der Himmel ihr Versöhnung und Frieden schenkt, ich preise ihn, wenn er mir gestattet, über ihr Heil mitzuwachen und zu beten.
Der Hofrath bemerkte wohl das Lächeln in Richard's Zügen, denn sein scharfes Auge war fest auf ihn gerichtet; er stand ihm ganz nahe und maß ihn mit ernsten Blicken. Dann wendete er sich zur Mutter und sagte mit seiner volltönenden, weichen Stimme:
Seien Sie getrost, würdige Frau, was in Menschenkräften steht, Unglück von Ihnen zu wenden, das soll und wird geschehen. Ueberlassen Sie mir die Sorge, hier Alles zu ordnen.
Nach einigen Verabredungen begleitete Werner die Familie zum Wagen. Als Jenny eins steigen wollte, reichte sie das Kind dem Vater hin, der jedoch diese hülfefordernde Bewegung nicht beachtete. Von dem nahen Thore her kam so eben ein großer englischer Reisewagen, mit vier Pferden bespannt, schnell herangerasselt; Bedienter und Kammerjungfer saßen in dem breiten Hintercoupé. Die großen, silberblanken Laternen warfen ihr blendendes Licht auf den armen Fiaker und auf die Gruppe davor, und reflectirten dann auf die Wappenschilde an den Schlägen der reichen Equipage.
Eine Art von Starrkrampf schien Richard zu fassen, so stier sah er dem Wagen nach. Statt seiner nahm Werner das Kind, half Jenny hinein, dann der Mutter, und legte das kleine Geschöpf sanft in ihre Arme.
Habe Dank, sagte Jenny leise und reichte ihm die Hand.
Dann schien sie gewaltsam die Traurigkeit ihrer Seele zu bekämpfen.
Komm geschwind, Richard, fuhr sie lächelnd fort, hier ist ein schönes Plätzchen für Dich.
Rasch stieg Richard ein, warf den Schlag zu und befahl dem Kutscher schnell zu fahren. Er schien ganz zu vergessen, daß Werner da sei, der mit der Mutter leise sprach. Als die Pferde plötzlich anzogen, wurde er fast überfahren.
Hochmüthiger Thor! sagte der bleiche Mann und wischte den Schmutz des streifenden Rades von seinem Kleide, geh' und frevle weiter; spiele mit dem armen Opfer deiner Schande, die Stunde wird kommen, wo wir uns finden.
Ich durchschaue, was er will, sagte er dann nach einer Weile, indem er die Wohnung schloß und seinen Weg antrat. Ein gottseliges Werk ist es, das Lamm aus dem Rachen des Wolfes zu nehmen, ein noch gottseligeres, dem Wolfe selbst dabei die Zähne zu zerschlagen.
Der Wagen war indeß zum Thor hinaus, an der Mauer hin, bei andern Thoren vorüber, und endlich auf eine Landstraße gerollt, die sich an dem Flusse hinzog. Richard schwieg, Jenny hielt seine Hand in der ihren, die sie liebend drückte und den leisen Gegendruck mit Schmerz und Wonne empfand; die alte Frau beschäftigte sich mit dem lautschreienden Kinde, das sich nicht beschwichtigen lassen wollte. Endlich nahm es die junge Mutter auf den Schooß und küßte und herzte es; dann schob sie leise verschämt in dem Halbdunkel das Busentuch weg, prüfte besorgt das Schwanken des Wagens, der vom harten Pflaster auf einen sandigen Weg gekommen war und langsam fortgezogen wurde, und beschwichtigte nun das Geschrei des armen Kleinen mit dem süßen Zaubertranke, der die ersten Leiden des Daseins in Schlaf und Frieden auflöst.
Der Mond stieg groß und gelb hinter dem Walde auf, Nebel spannen sich durchsichtig fein über alle Fernen, Lichtgefunkel und Schatten zogen vorüber und kamen. Dazu rauschten die alten Weiden leise, und die kleinen Strudel und Wellen im Strome glänzten hell und sprachen dazwischen. Wie der Wagen um eine Ecke bog, fiel das Mondlicht voll herein und zeigte Mutter und Kind, als wolle er sie wie mit Heiligenschein einfassen. Das junge schöne Weib hielt die Augen aber nicht zu den Wolken gerichtet, sie benutzte das Licht, um ihren Geliebten anzusehen. Das Kind lag an ihrer Brust, halb schlaftrunken; über ihm hingebeugt küßte sie das kleine Gesicht und schwieg vor den strengen Blicken Richard's.
Armes Kind! sagte Jenny seufzend; dann lächelte sie seinen Vater furchtsam schmerzhaft an und fragte leise: was ihm fehle.
Dort ist das Haus, erwiderte er. Fahre schnell! Es ist unerträglich.
Der Schatten einer Hecke gab Dunkelheit, aber vielleicht hätte Richard auch ohnedies die Thränen nicht gesehen, welche Jenny's Augen füllten. Sie drängte sich ganz in die tiefe Ecke, ihre Augen wurden größer, sie strengte sich an, sie offen zu erhalten, Richard's Züge zu erkennen; die Tropfen fielen langsam auf ihr Gesicht.
Er liebt dich nicht! schrie es in ihrem Herzen, und ein Strom wilder Verzweiflung fuhr schneidend durch ihre Adern; wie lieblos, wie unbarmherzig ist dieser Mann, der gestern noch dein Glück beschwor.
Plötzlich lächelte sie wieder, denn die Liebe raffte allen Trost zusammen.
Wer weiß denn, welcher Kummer ihn bedrückt, sagte sie. Sein stolzer Sinn ist so reizbar, sein Blut so heftig, daß er wol zu entschuldigen ist. Er will! sein Wille ist ewig! O, wie thöricht bin ich doch.
Als sie das sagte, hielten sie an dem Hause.
Da sind wir endlich, sagte Richard mit so sanfter Innigkeit, daß plötzlich jede Spur des Verdachtes in ihr verlosch. Komm, meine Jenny, und möge Dein Eintritt in diese Räume gesegnet sein.
Er führte sie über den kleinen Vorplatz, der einen Garten bildete. Das Häuschen lag hell und blank vor ihnen, dunkle Taxusbäume richteten sich an beiden Seiten auf, oben war ein Altan, die Glasthüren schimmerten im Mondschein mit den hohen, schönen Fenstern. Zur Seite lagen Wirthschaftsgebäude im italienischen Geschmack, Alles war zierlich von außen, und innen zeigte es sich geräumig, elegant, selbst kostbar.
Richard schien Vergnügen zu empfinden, indem er sie herumführte; er beobachtete fast ängstlich die freudige Ueberraschung in Jenny's Zügen. Eine Dienerin empfing sie in der Hausflur und öffnete die Thüren. Feuer brannte in den geschmackvollen Oefen, Alles athmete eine wohlthuende Wohnlichkeit und Bequemlichkeit. Die ganze Einrichtung der alten, reichen und prachtliebenden Tante war dem Landhause bis auf. Weniges geblieben; das Fehlende hatte Richard durch Neues ersetzt. Teppiche und Polster, Tapeten, Bronzen und manche kleine Gegenstände des Luxus schienen Jenny zu erfreuen. Sie legte ihre Hände um seine Brust und sagte mit der innigsten, demüthigsten Liebe: Alles ist viel zu schön für mich, viel zu reich. Wie glücklich machst Du mich, mein Richard, wie unaussprechlich glücklich!
Und Alles ist Dein, sagte er gerührt und küßte ihre Stirn. Könnte ich Dich doch ganz und immer glücklich machen. Hier ist der Kaufbrief für Dein freies Eigenthum.
Jenny hielt Richard mit krampfhafter Heftigkeit fest.
Es reizt mich nicht, rief sie, nicht alle Schätze und Güter der Welt. Mit Dir, bei Dir, und die kleinste, ärmste Hütte ist mir recht. Ohne Obdach könnte ich mit Dir die Erde durchirren, ich wollte nicht klagen.
Schwärmerin! sagte er lächelnd, zwischen Ernst und Scherz schwankend. Wir müssen kalt und klar unsere Lage prüfen und bedenken, denn, Jenny, es gibt böse Mächte, die dem Menschen plötzlich entreißen, was ihm das Liebste und einzig Werthe auf Erden dünkt; und, wehe ihm! wenn er nicht den Muth gewonnen hat, das Leben mit all' seinem bittern Weh zu tragen.
Diese Worte machten sie kalt wie eine Todte. Sie sah ihn an und erblaßte vor seinem Ernste; seine unheilverkündende Düsterheit preßte ihr furchtsames Herz zusammen.
Wenn ich Dich verlöre, sagte sie, wenn der Tod Dich von meiner Seite risse, o, Richard! ich würde nicht, wie Heinrich Percy's Henry Percy, eine historische Persönlichkeit, ist auch eine wichtige Figur in William Shakespeares Doppel-Drama »Heinrich IV.«. Der geschichtliche Percy rebellierte gegen Heinrich, wurde aber in der 1403 in der Schlacht von Shrewsbury getötet. König Heinrich IV. bestattete ihn zunächst ehrenvoll. Als jedoch im Norden Gerüchte zu zirkulieren begannen, Percy wäre noch am Leben, ließ er dessen Leichnam exhumieren. Er wurde in vier Teile geteilt, die man in ganz England herumschickte, während sein Kopf am Stadttor von York aufgespießt wurde. Wittwe, so lange den Rosmarin auf Deinem Grabe mit meinen Thränen begießen, bis er in den Himmel wüchse. Nein, nein! bald genug würde ich bei Dir unter dem Hügel ruhen.
Mit sonderbarer Heftigkeit zog er sie in seine Arme. Der starke Mann schien sich in Schmerz zu beugen; er legte beide Hände auf ihren Kopf, daß sie ein Kreuz bildeten, seine Lippen zitterten, er stöhnte laut und küßte ihr Haar und ihre Augen mit willenloser Hast.
Ich muß fort, sagte er dann, leb' wohl, meine Jenny, leb' wohl.
Sie sah ihn an, seine Stirn war mit Schweißtropfen bedeckt, seine Züge verwirrt und geisterhaft bleich.
Du bist krank! rief sie entsetzt, o Gott! Du stirbst!
Er schlug die Augen brennend auf zu dem nächtigen Himmel und heftete sie an den Sternen fest.
Wohl mir, murmelte er leise, wenn jetzt die Scheidestunde schlüge, wenn ich zu Deinen Füßen sänke, mein armer wirrer Kopf in Deinen Schooß; wenn Deine Lippen den letzten Athemzug wegküßten. Selig, selig sind die Todten, die in Liebesarmen hinübergetragen werden in das unbekannte Geisterland.
Es ist nichts, sagte er dann lächelnd und richtete sich auf, indem er langsam das Haar von seiner Stirn strich, gewiß, es ist nichts. Ich bin nicht krank und werde so leicht nicht sterben. Mein Schicksal ist noch lange nicht erfüllt.
Die Mutter trat jetzt herein; sie hatte das ganze Haus gesehen und heimlich war sie erfreut über die vielen schönen Sachen und über das ganze reiche Geschenk, das so unverhofft gekommen war. Sie pries die Bequemlichkeiten der
Einrichtung, und wie verständig sie auch war, es schien ihr Alles ein gewisses Zeichen, daß Glück und Freude doch noch einmal ihre späten Tage erhellen könnten, die boshaften Menschen aber alle zu Schanden würden. Der mütterliche Stolz regte sich, der Besitz eines freundlichen Hauses und Gartens weckte ihre Empfindungen auf und der hochgeborne reiche Schwiegersohn schien ihr nun ziemlich gewiß zu sein.
So war sie auch freundlich und protestirte mit Jenny gemeinsam gegen sein Forteilen. Nun müssen Sie bei uns bleiben, sagte sie, und den kleinen Einweihungsschmaus feiern helfen, den Ihre Fürsorge bereit halten ließ.
Wie gern thäte ich es, erwiderte Richard, aber mein Vater erwartet mich, um mich dem Minister, unserm Verwandten, vorzustellen. Die Gunst dieses hohen, einflußreichen Herrn, der mir immer besonders wohl gewollt hat, ist aber jetzt nicht zu verscherzen, wo ein großer Theil unserer Güter von der Krone als verfallenes Lehn angefochten wird.
Gegen solchen mächtigen Staatsmann, meinte Jenny lächelnd, muß ich freilich zurückstehen. Aber kann er denn Dein gutes Recht in Unrecht verwandeln? denn sicher habt Ihr doch Recht!
Ganz gewiß, erwiderte Richard lächelnd; aber die reichen Güter, um welche es sich handelt, werden vom Staate als Lehn auf bestimmte Zeit ausgegeben. Diese Zeit ist um, und uns fehlt ein äußerst wichtiges Document, durch welches allein bewiesen werden kann, daß diese Güter von dem Großvater des jetzt regierenden Königs als Gnadenbezeigung für meinen Urgroßvater, den Minister, in Mannslehn umgewandelt wurden. Alle Nachsuchungen haben nichts gefruchtet, das Document muß mit andern wichtigen Papieren aus dem Nachlaß jenes Ministers in das geheime Archiv gekommen sein, wo es vielleicht auf immer verborgen liegt. So bleibt uns fast nichts übrig, als die Gnade der Majestät in unserem Proceß anzurufen, der, wenn er verloren ginge, uns in Armuth stürzen könnte. Darum also muß der Minister für uns thätig sein.
Dann eile, sagte Jenny getröstet; aber morgen kommst Du wieder und bleibst bei uns in unserer lieben Einsamkeit.
Er versprach es und ging unter tausend Zusicherungen, von den beiden Frauen begleitet, zum Wagen, der auf seinen Befehl ihn erwartet hatte. Wie er weit schon fort war, hörte er noch Jenny's laute glückliche »gute Nacht!« Verdüstert schlug er den Mantel fester um den Kopf, um die vertraute Stimme nicht zu hören.
Als er nach Hause kam, war Alles voll Geschäftigkeit. Er wußte, was es zu bedeuten hatte. Durch die Thür des Wohngemachs hörte er eine fast männlich starke, aber schön klingende Stimme, die sein Blut aufregte und alle Vergangenheit wie mit einem Schleier verhüllte. Lange stand er und lauschte auf den Sinn der Worte, der ihn betraf, den er lächelnd und freudig hören mußte; dann öffnete er plötzlich in Sehnsucht und Hoffnungen die Thür, und stand dicht vor seiner schönen Muhme, Mylady Recha.
Gewöhnlich werden Engländerinnen nach dem Nationaltypus, groß, schlank, von feinen Gliedern und mit jener Schüchternheit begabt, dargestellt, welche die alte puritanische Frömmigkeit übrig gelassen, und die Zeit in steife Form, prüde Gewohnheit und Unnatur verwandelt hat. Mylady Recha war jedoch von diesen Vorstellungen fast durchaus das Gegentheil; doch ist dies keineswegs selten zu nennen in der noblen Gesellschaft Altenglands.
Sie war von mittler Größe und starken Gliedern, schlank und dennoch von besonderer Kräftigkeit. Ihre feurige Sinnesart schien sich in der ganzen Gestalt auszusprechen, deren schnelle elastische Bewegungen alle Würde zu bewahren wußten. Die üppige Füllung und Rundung der Formen that der Schönheit nirgends Eintrag, und wer hätte nicht mit Theilnahme oder Bewunderung die kühnen und edlen Züge dieses echt aristokratischen Gesichtes betrachtet! Der Adelsbrief vollendeter Menschenschöne, welcher zuweilen den Sprößlingen alter Geschlechter mitgegeben ist, war auf Mund und Wangen, in den feinen gleichen Zahnreihen, in der Fülle dunkelblonder Flechten und Locken, und in den großen leuchtendblauen Augen zu lesen.
Wie ein normannisches Ritterfräulein, so stolz und herrlich, so keck und romantisch fast, war Recha anzuschauen, ihrer Ahnherren nicht unwerth, die mit Wilhelm dem Eroberer bei Hastings die Schlacht geschlagen hatten. Der letzte Baron des alten Stammes hatte diese eine Tochter hinterlassen, welche er abgöttisch liebte und deren Launen er sclavisch sich fügte, so lange er lebte. Früh hatte er Recha nach ihrem Willen vermählt, aber sie hatte, als der Liebesrausch schnell verflüchtigt war, eine kurze unglückliche Ehe mit einem leidenschaftlichen Manne geführt, der bei einer Hetzjagd den Hals brach. Seit dieser Zeit war sie die Herrin ihres Willens, und als ihr Vater starb, die unbeschränkte Besitzerin eines selbst in England großen Vermögens.
Viele Angriffe wurden auf Herz und Hand der reichen Erbin gemacht, aber immer endeten sie mit schmählicher Niederlage. Recha hatte eine stolze Verachtung gegen das Geschlecht der Männer gefaßt, und gefiel sich in der Rolle einer kaltherzigen, tyrannischen Gottheit, die ihre Anbeter verlacht und als Thoren behandelt, je mehr sie ihr gehorchend dienen.
Da kam Richard nach England; anscheinend zufällig von seinen Reisen hingeführt, in Wahrheit aber nach dem Plane seines Vaters, dessen nahe Verwandte Recha's Mutter gewesen war. Der alte Herr traute seinem Sohne zu, glücklicher zu sein als so viele in London bei Almaks Almack's Assembly Rooms war ein Gesellschaftsklub in London, der von 1765 bis 1871 existierte, und einer der ersten Klubs, in denen Frauen und Männer Mitglied werden konnten. Er war einer der wenigen Örtlichkeiten in London, wo sich Frauen und Männer der höheren Gesellschaft außerhalb der Residenzen der Aristokratie begegnen konnten. und auf Routs Rout: damals Bezeichnung für ein abendliches, gesellschaftliches Ereignis. gebildete verführerische noble Gestalten; das Weitere überließ er den Sternen, die, wie er betheuerte, seinem Hause immer günstig geschienen hätten, wenn der Weg dunkel war. Er hatte sich nicht getäuscht. Der hochgeartete energische Charakter des jungen Vetters machte einen besondern Eindruck auf Recha. Seine philosophische Bildung, vermehrt durch die natürliche Sicherheit seines Wesens, und der Contrast einer schwermüthig poetischen Stimmung seines Gemüthes, regten ihr heißes Herz auf, das so lange unter dem Mantel eines launenvoll eitlen Stolzes geschlafen hatte. Richard's Düsterheit und Kälte reizten sie noch mehr, und das alte Spiel wiederholte sich, daß der am sichersten ein hochmüthiges Herz gewinnt, dem anscheinend gar nichts daran gelegen ist.
In Wahrheit rang Richard schon damals mit seinem Gewissen, mit dem Bilde der verlassenen Geliebten, der er tausend heilige Eide geschworen, mit finstern Vorwürfen seiner Vernunft und jenen jähen zerreißenden Blitzen der Leidenschaft, die doch nur auf Augenblicke den unermüdlichen Mahner betäuben können. Er empfand, daß ihn Recha liebte, und je stärker diese Ueberzeugung wurde, um so heftiger ward auch der Kampf in ihm.
Nach und nach lockerte sich die Heiligkeit seiner Eide, seine Schwüre kamen ihm kindisch vor, er empfand ein erhabenes Recht, von Jugendthorheiten nicht sein Leben zerstören zu lassen, denn bei der genauesten und gewissenhaftesten Prüfung bewies ihm sein Verstand, daß man einem Liebesrausche, der so streng allen Verhältnissen der reellen Welt entgegenstand, entsagen solle, ja entsagen müsse, wenn man kein Thor, kein armer Schwärmer sein wolle!
Obwol nun dieser Ausgang ihn der schönen Frau immer näher führte, so fand doch kein eigentliches Geständniß ihrer Empfindungen statt. Ihre reizbaren, oft phantastischen Launen, das Schroffe und Bizarre ihrer Aussprüche, und die anmaßende Heftigkeit ihres Sinnes schreckten ihn zurück und machten ihn stolzer; Recha dagegen erwartete und verlangte, daß er sein Knie beugen, und seine Lippen bekennen sollten, was seine Augen ihr gestanden hatten.
Plötzlich empfing sie eines Morgens ein Billet, das sie laut lachend und mit einer spottenden Bemerkung über die deutsche Schüchternheit erbrach, es aber dann erstarrt festhielt, zusammenballte und mit Heftigkeit in Stücken riß. Richard war fort; es war sein Abschiedsgruß, eine Bitte um Verzeihung, da es ihm unmöglich sei, diese selbst zu verlangen.
Er hatte am Abend Nachrichten von Jenny erhalten, die ihn fast dem Wahnsinn nahe brachten. Die Zeilen waren in der Fieberhitze der Verzweiflung geschrieben, die Feder schien in Blut und Feuer getaucht zu sein, die Buchstaben brannten, als habe sie des Nachrichters Hand glühend auf sein Herz gemarkt. Jenny's rührende Klagen, daß er ihre Briefe nicht beantwortet, trafen ihn um so schwerer, da er sie allerdings empfangen, aber versiegelt und ungelesen verbrannt hatte, um seine Entschlüsse und neuen Vorsätze nicht unangenehm zu berühren.
Er hatte gemeint, durch fortgesetztes hartnäckiges Schweigen das unbequeme Verhältniß so zu lösen, daß es zuletzt wol nur einer einzigen festen und kalten Erklärung bedürfe. Auch dieser letzte Brief des armen Mädchens hätte dasselbe Schicksal gehabt, wäre er nicht durch einen Zufall von ihm statt eines andern erbrochen und aufgeschlagen worden. Eine furchtbare Erschütterung war die Folge; endlich stand er auf, suchte sich zu fassen, zu überlegen, und blickte dann mit zornglühenden Augen in die stille Nacht.
Gibt es schadenfrohe dunkle Mächte, rief er, die den Menschen verlocken, ihn in einer unbedachten Minute elend machen, sich an ihn klammern mit der Tücke böser Geister, und ihr Opfer nicht wieder loslassen, o! so bin ich ihnen verfallen, und kein Gott wird mich erlösen! Hier Liebe, Charaktergröße, edle Schönheit, Glück und Reichthum, dort Elend, Schmach und Schande! Ich liebe dies schwache Geschöpf nicht, das mich so widerwillig zum Vater macht, und von der Natur gezwungen ist, ihre Sünde so leichtsinnig schnell der Welt Preis zu geben. Aber fort will ich, fort muß ich, zu ihrer Hülfe. Wenn die Menschen meinen Namen schänden mit dem ihren, wenn die Unselige in ihrem hülflosen Jammer untergeht! Großer Gott! Recha! Ich will sie verlieren, auf ewig will ich mich freiwillig von einem Glücke scheiden, das sich in Fluch verkehren müßte, wenn mein Elend dies stolze Herz berührte. Arme Jenny! ich komme. Unglückliches Mädchen, ich will gut machen, versöhnen, wenn ich es vermag. Versuchen will ich, ob wir Beide nicht uns von den bösen Geistern loskaufen und glücklich werden können.
Mit diesen Entschlüssen fand Richard der nächste Morgen auf dem Rückwege, vierundzwanzig Stunden später aber ward der Reisewagen Mylady Recha's auf das Dampfboot »der Batavier« geschoben, das bald darauf die Themse hinabschnaubte, und die schöne beleidigte Frau nach Deutschland brachte.
So finden wir nun die Beiden wieder. Richard, wie er mit Lebhaftigkeit und stolzer Freude ihre Hand küßt; Recha, die ihn zürnend und schalkhaft betrachtet.
Da bin ich, mein Vetter, sagte sie, um Sie noch einmal zu sehen. Zweihundert Meilen, deutsche Meilen, bin ich gefahren, um Ihnen meine Hände zu geben und Lebewohl zu sagen. Gott segne Sie, Vetter Richard, und mache Sie weise. Meine Mission ist beendet, rufen Sie Sam, er soll Postpferde bestellen.
Die Entschlossenheit ihrer Sprache ließ Richard fürchten, daß sie wirklich einen solchen echt britischen Streich ausführen könnte, der, wenn er hartnäckig in ihrem Kopfe gewurzelt hatte, auch schwerlich mehr zu hindern war.
Ich werde Ihren Willen sogleich befolgen, sagte er mit derselben Entschiedenheit, wenn meine Muhme ungerecht genug sein kann, die Unschuldigen mit dem Schuldigen zu strafen. Hier ist mein Vater, meine Schwester, meine Verwandten, wollen Sie auch diese beleidigen und verlassen? Soll die Ehre unseres Hauses, die Gastfreundschaft, die lange Sehnsucht nach diesem theuern unverhofften Besuch zu Schanden werden?
Verräther! rief sie drohend und faßte den Knopf seines Kleides, indem sie ihn starr ansah. Warum flohen Sie, warum täuschten Sie mich?
Die Blicke, welche Beide wechselten, enthielten schnelle Fragen, Antworten und Verständigungen. Recha's kühne Augen schienen feucht und mild zu werden. Sie ließ die Hand los und sagte mit ihrer tiefen Stimme: Das war schlecht, Richard! Nach so vielem Vertrauen so wenig zu haben; nach Auszeichnung und Achtung, wie ich sie noch keinem Manne zollte, davonzulaufen, wie ein Schulknabe, und mich mit meinem Aerger und meinem Schmerze allein zu lassen.
Theuerste Recha! rief Richard, und küßte mit Leidenschaft ihre Hand, es gibt Zerwürfnisse im Menschenleben, wo man sein höchstes Glück hinwirft, weil man an sich selbst verzweifelt.
Sie schüttelte lachend den Kopf.
Ihr Deutschen seid ein sonderbares Volk; sagte sie. Ihr macht Euch selbst unglücklich, bloß der poetischen Melancholie und Grübelei halber, und härmt Euch über Dinge, worüber ein Anderer lachen würde. Etwas davon, fuhr sie fort, und betrachtete Richard spöttisch, habe ich freilich auch bekommen, als Erbtheil meiner Mutter. Aber gut, mein Vetter, wir wollen Frieden schließen. Ich bleibe und will versuchen, die Verzweiflung, welche Sie zum Davonlaufen trieb, zu heilen.
Richard erwiderte mit einer halblauten Betheurung seiner Folgsamkeit, und in Recha's Lächeln und Drohen erkannte er leicht, wie mächtig er sei.
Der Abend war nun der Freude gewidmet. Ein kleiner gewählter Kreis von Familiengliedern und nahen Freunden fand sich ein, welche spät, bezaubert von der Schönheit und dem Geiste der Engländerin, aber auch mit der Gewißheit, daß Richard jede Bemühung hier überflüssig mache, das gastliche Haus verließen.
Als sie Alle weggegangen waren, und Recha selbst in ihre Zimmer sich zurückgezogen hatte, faßte der alte Herr lächelnd die Hand seines Sohnes.
Nun, Richard, sagte er, ich bin mit Dir zufrieden. Deine schnelle Abreise aus Kraftonhouse hielt ich bisher für einen Thorenstreich; nun sehe ich aber, Du wußtest genau, was Du thatest.
Ich hatte diese Folgen zwar nicht vermuthet, erwiderte der Sohn, bin aber darum nicht weniger erfreut. Ich hoffe, lieber Vater, Sie haben nichts dagegen, wenn ich Recha meine Hand antrage.
Nicht im Geringsten, sagte der alte Herr, und ich bin überzeugt, Du thust keine Fehlbitte.
Recha ist schön und gut, auch was die Welt geistvoll nennt, vertraut mit allen Forderungen der Sitte, und in den Vorurtheilen der vornehmen Gesellschaft erzogen, die sie mit bewunderungswürdiger Grazie handhabt.
Und vor allen Dingen, sie ist reich.
Eben so reich als seltsamer Laune voll; erwiderte Richard lächelnd.
Eine echte Engländerin, eine reiche Erbin, ein verzogenes Kind, eine angebetete schöne Frau; mit diesen Prädicaten kann es aber kaum anders sein. Allein sie liebt Dich, und zwar, wie ich merke, mit einer glühenden Leidenschaft, die vergebens von Klugheit und Sitte gezügelt werden soll.
Sie liebt mich, sagte der Sohn mit gewaltsamer Ruhe, und diese Liebe würde mich beglücken, wenn sie nicht so leidenschaftlich wäre.
Und Du? fragte der alte Herr aufmerksam.
Ich wollte, lieber Vater, ich könnte Ihnen sagen: ich liebe sie nicht!
Das heißt, sprach der Baron mit kaltem Lächeln, indem er seinen Sohn scharf beobachtete, Du könntest dann besser alle die Vortheile benutzen, welche eine Mariage d'inclination gewöhnlich in dem Rausch sogenannter Liebe untergehen läßt.
Ich würde dann Recha's Besitz weder wollen, noch annehmen, sagte Richard.
Da würdest Du den dümmsten Streich Deines Lebens begehen, versetzte der Vater; aber Du willst Dich selbst täuschen. Du bist ehrgeizig und zu klug, um nicht einzusehen, welche Vortheile eine reiche und vornehme Verbindung gibt. Du am allerwenigsten bist geschaffen, einer bloßen Neigung zu folgen, noch viel weniger aber, eine Mesalliance zu schließen; Du würdest überdies der Erste in der langen Reihe Deiner Ahnen sein. Dein Kopf ist zu klar, mein lieber Richard, Du bist so wenig von Phantasterei beherrscht, mehr zum Staats- und Weltmann als zum Poeten geboren. Dergleichen Hirngespinste verwehen daher schnell an Deiner sicheren Verständigkeit, und solltest Du ja irgend eine leidenschaftliche Thorheit auf Augenblicke begangen haben, wie das der Jugend zuweilen geschieht, so bin ich überzeugt, Du wirst Dich wie ein Edelmann benehmen, das heißt, wie ein Mann, der eingedenk ist, daß das Leben andere Ansprüche an ihn macht, als an den großen Haufen.
Richard fühlte seine Stirn heiß werden, er sah seinen Vater forschend an, aber das Gesicht des alten Herrn war undurchdringlich. Wußte er von seinen geheimen Sünden, und war es Rath und Warnung, oder ein zufälliges Begegnen?
Welche Wege sich Dir öffnen, Dir und Deinen Nachkommen – denn auch auf diese muß sich der Blick des Verständigen richten – wenn Recha Deine Gattin wird, darf ich Dir nicht weiter erklären, begann er nach einer Pause wieder, aber ich habe etwas Anderes hinzuzufügen. Ich hatte heute eine weitläuftige Unterredung mit dem Minister. Unser Proceß nimmt eine völlig ungünstige Wendung; es ist kein Zweifel, daß wir ihn verlieren, und ich mache mir keine Illusionen, daß die Gnade des Königs wiedergeben werde, was ein ungerechtes Urtheil uns nimmt.
Glauben Sie das? fragte Richard.
Ich habe die Ueberzeugung. Der Minister sprach mit jener Art von halber höfischer Hoffnung und Tröstung, die ich kenne. Als ich stärker in ihn drang, sagte er mir gerade heraus, daß bis jetzt seine Bemühungen fruchtlos gewesen seien, daß Se. Majestät einige hastige Worte geäußert hätten, in solchem Falle müsse und solle das strenge Recht entscheiden; daß diese reichen Güter, welche der Krone heimfallen, nicht einer Familie zurückgegeben werden könnten, die ganz unerwiesene Ansprüche mache, und deren Verdienste um ihn und sein königliches Haus nicht so groß seien, um eine solche Gunst zu fordern.
Das ist ungerecht! rief Richard. Wie viele Glieder unseres Hauses haben dem Staate mit Auszeichnung gedient!
Das vergißt sich, mein guter Freund, erwiderte der alte Herr. Ich habe allerdings in meiner Jugend nur Weniges geleistet, Dir macht man es zum besondern Vorwurf, nicht Fürstendiener werden zu wollen, was Du gelegentlich mit mehr als zu viel Freimuth geäußert hast.
In Wahrheit aber ist das Alles nur ein Vorwand, fuhr er lächelnd fort; die Hauptsache ist, daß die Güter einträglich sind und das Vermögen der Chatoulle beträchtlich vergrößern werden. Was uns nach diesem schweren Verluste bleibt, ist kaum hinreichend für mich, in gewohnter Weise fortzuleben. Dein mütterliches Gut ist gering, und, wie man mir erzählt, hast Du es nebenher fast ganz verbraucht. Ich frage nicht darnach, Richard, aber Du weißt nun, warum Recha's Leidenschaft auch einen reellen Werth besitzt.
Am nächsten Morgen nahm die Familie in dem Tempel und den anstoßenden Treibhäusern des parkartigen Gartens, der zum Palais des Barons gehörte, das Dejeuner ein. Recha ging mit hastigen Schritten unter den alten Bäumen fort. Sie trug ein aufgestecktes Reitkleid, einen Kastor Ein aus Biberhaar gefertigter Filzhut. Der vom 17. Jh. bis etwa Mitte des 19. Jh. von Männern und Frauen getragene Hut war ein Vorläufer des Zylinders. mit langem, silbergesticktem Schleier, und eine zierliche Peitsche, mit welcher sie die Blätter heftig von den Bäumen hieb.
Die Gesellschaft mit ihrem gewöhnlichen Treiben ermüdete sie; sie hatte sich davon gemacht und lächelte über das laute Klopfen ihres Herzens, als sie Richard's festen, schnellen Schritt hinter sich hörte. Daß er nachkommen sollte, deshalb war sie gegangen; daß er es mußte, wußte sie, und doch sah sie sich nicht um und schien zu fliehen, denn sie eilte durch die grünen Gehege, den Kopf stolz in den Nacken geworfen, mit den glücklichen Augen den Flug der kleinen Wölkchen verfolgend, leicht hinschwebend in der Trunkenheit eines Entzückens, das ihr ungestümes Herz kaum bändigen konnte.
So erreichte sie den kleinen künstlichen Hügel am Ende des Parks, einen jener alterthümlichen Erdaufwürfe, mit Fliederbüschen umzogen, wie sie sich in Gärten nach altenglischem Geschmack finden, Schneckenberge in der Volkssprache genannt, durch welche man kleinen und oft kleinlichen Anlagen Fernsichten zu verschaffen suchte. Hier ragte der Hügel über die Stadtmauer hinaus, und gewährte den Blick auf einen Theil der Vorstadt, auf Landhäuser und Kornfelder, auf die fernen Windungen des Stromes und die weißen flatternden Segel seiner Schiffe.
Recha war auf die Bank gestiegen, sie lehnte den Arm an den niederhängenden Ast einer alten Akazie, und blickte mit Spott und Trauer über die stille, sonnigwarme Herbstlandschaft.
Hab' ich meinen lieben Flüchtling endlich gefangen? sagte Richard und faßte ihre Hand.
Sie blickte zu ihm nieder mit einer reizenden Mischung von Freude und Wehmuth.
Reden Sie, Vetter Richard, flüsterte sie, würden Sie diesen Flüchtling überall verfolgen?
Durch die ganze Welt! erwiederte er zärtlich.
Ich könnte nicht wohnen in diesem Lande! rief Recha, und mit einer heftigen Bewegung legte sie beide Hände auf seine Schultern. O, Richard! ja, ich will Dir gehorsam sein, Du hast mein Herz so umgewandelt, daß es allen Zorn und Ernst verloren hat, daß es demüthig wie eine Magd zu Dir ruft: Liebe mich wieder, wenn ich länger leben soll.
Sie redete nicht weiter, denn ihre Stimme brach, aber ihre Augen sprühten in dem Feuer der Leidenschaft, und so sprang sie von der Bank, nahm seine Hände, die sie in den ihren zusammenpreßte, und sagte:
Nein, Du stolzer Mann, ich will mit Dir wie eine Freie, Gleiche unterhandeln, nicht wie eine Besiegte. Daß ich Dich liebe, daß ich Dich wie einen Gott verehre, wie wollte ich es leugnen. Bin ich Dir doch nachgezogen über Meer und Land, wie Clorinde ihrem Tankred Figuren aus dem Epos » La Gerusalemme Liberata« (1575e/1582v) von Torquato Tasso.. Aber, ach! mein Panzer war längst geschmolzen und meine Brust ohne Schutz. Nun will ich, wie die schönen Feen der alten Zeit, Dich mit mir nehmen in die grünen Berge Northumberlands; nun sollst Du bei mir wohnen und selig sein; nun will ich allen Stolz ablegen und Dir dienen um Deine Liebe. Willst Du schwören, mich immer zu lieben, willst Du schwören, mir ein treuer Hort und Herr zu sein, willst Du schwören, mit mir zu ziehen in mein freies, edles Vaterland, das das Deine sein soll: so nimm mich auf, so nimm mich hin, auf Erden Deine Leibeigene, und meine Seele verschmelze mit der Deinen auf alle, alle Zeit!
Und ohne seine Antwort zu erwarten, fiel sie in schwärmerischer Zärtlichkeit an seine Brust, umschlang ihn, als wollte sie ihn nimmer lassen, und drückte heiße Küsse auf seine Lippen, indem sie immer wieder ihn mit banger Lust betrachtete.
Meine edle, theure Recha! rief Richard. Ja, Deine Liebesweihe ist auch eine Geistesweihe, sie macht mich glücklicher und reiner, sie erhebt mich bis zu den äußersten Kreisen des Menschenglücks.
Als er das sagte, knarrte es plötzlich in dem alten Baume. Der Ast, an welchem Recha sich festgehalten hatte, brach nieder; wie von Geisterhand geknickt, fiel er jäh herab, und indem er Richard's Stirn streifte, ließ er eine Schramme zurück, aus welcher Blutstropfen schnell über sein Gesicht rannen.
Einen Augenblick sah Recha erschrocken auf die kleine Wunde, dann aber lachte sie laut, umfaßte seinen Kopf, legte die Lippen an die blutende Stelle und sog den rothen Lebenssaft gierig ein.
So gehöre ich Dir nun ganz, sagte sie, so rollt Dein Blut nun in meinen Adern, so theilt sich mir nun Dein Leben mit, Dein Denken und Empfinden, Dein ganzes stolzes, bewußtvolles Dasein. Und darum liebe ich Dich ja so sehr, mein Richard! Es gibt Männer mit weit schönern Leibern, mit weit lieblichern Zügen und volleren Locken, aber es gibt keinen, der an Reinheit, Größe und Kraft seines innern Lebens sich mit Dir messen könnte. Ich habe Dich beobachtet, und mit jedem Tag stieg meine Verehrung für Dich. Was ist Liebe ohne jene schwärmerische höchste Achtung vor dem theuern Gegenstande? Ich peinigte mich, um Deine Schwächen zu entdecken, und ärgerte mich, daß es mir niemals gelingen wollte. Hätte ich nur eine finden können, ich würde gesagt haben: Es ist ein Mann, wie alle sind, ein wenig besser, ein wenig schlechter, gleichviel. Darum, Recha, wähle den unter den Sklaven, der der gehorsamste und schwächste ist. Aber ich fand keine Mängel, und nun bin ich davon überzeugt, daß Du keine haben kannst. Du bist einer von den selten geborenen Sterblichen, welchen es vergönnt ist, über dem Staube zu stehen. Dein klarer Geist weiß nichts von den Qualen wüster Leidenschaften, Du kennst die Gemeinheit der gewöhnlichen Menge nicht, Du wirst nie zweifeln, nie wanken, nein, niemals fehlen können.
Lächelnd antwortete Richard:
Du liebst mich, meine Recha, und daß Deine Liebe mich zum Gott erhebt, ist eine schwärmerische Täuschung, doch ein heiliges Zeichen der Wahrheit. Ich aber sehe in Dir das reizende hochgeartete Weib, den mit allen Vollkommenheiten geschmückten Leib und, wie den Diamanten in goldner Krone, die schöne stolze Seele darin, die mich aus den leuchtenden Augen anstrahlt. So, meine theure Recha, liebe ich mit gleich inniger Gewalt Körper und Geist an Dir. Ich trenne nicht das Eine von dem Andern; ich weiß von beiden nichts Schöneres und lieblicheres zu finden in allen Landen, und daß Beides nun mein sein soll, das macht mich wahrlich zum Gott, das muß jeden Menschen von der Erde fort in den Himmel heben, denn das schönste, edelste Weib ist mein!
So saßen sie lange noch und tauschten ihre Gedanken, Liebesworte und Küsse, denn Keiner störte sie. Der alte Baron mußte wohl ahnen, was vorgehe, er wußte es so zu ordnen, daß Niemand sich aus dem Gartentempel entfernte.
Als Beide ruhiger geworden waren, verabredeten sie Alles für die nächste Zukunft. Daß sie in genauem Herzensbunde ständen, meinte Recha, würde schwerlich zu leugnen sein, auch solle das gar nicht verneint werden; offene Erklärungen aber dürften nicht eher Statt finden, bis in England alles bereit sei, und während dessen solle auch hier in größter Stille Dispensation von jeder Förmlichkeit nachgesucht werden. Dann müsse Alles Schlag auf Schlag folgen: Bekanntmachung und Trauung an einem Tage, und von dem Hochzeitstische in den Wagen, fort auf ein Dampfschiff, das bereit liegen sollte, für die Liebenden ganz allein, die dann, von Wogen und Stürmen umtanzt, ihr Liebesleben reich und einsam beginnen wollten.
Nun malte Recha das Alles mit phantastischen Träumen aus, und ihre heißen Augen blitzten dazu in Wonne und Begeisterung. Dann lehnte sie sich an seine Brust und streckte den Arm stolz verächtlich über dies weite arme Land.
Kann man hier unter Sand und Fichten denn auch lieben? sagte sie. Die Liebe ist eine Himmelstochter, sie will Freiheit, Licht, grüne Berge und Wälder, stolze, kühne Menschen voll Kraft und Muth, sonst wird sie zum Naturbedürfniß entwürdigt. Du kannst nicht lieben hier, mein Richard, diese Püppchen, ohne Herz und Willen, können Dir nicht gefallen.
Seit ich Dich gesehen habe, sagte er feurig, ist mir die Liebe erst aufgegangen.
Ich glaube Dir, erwiderte sie. Du kannst und darfst auch nie einem andern Weibe gehört haben. Wer Recha liebt, muß wie Du nichts kennen, als diese erste, einzige Liebe.
Und weißt Du wol, fuhr sie lächelnd fort, daß, indem ich dort nach der Landstraße hinüber sehe, ich Dir Abbitte leisten muß? Ja, das ist der Weg, von dort kam ich her und fuhr in der tiefen Dämmerung zwischen den Gärten und einsamen kleinen Häusern hin. Da stand ein elender Wagen und mehre Menschen traten hervor. Ein junger Mann führte ein Weib, die ein ganz junges Kind trug. Ihr Gesicht schien bleich und kummervoll, und das Gesicht des Mannes, den sie anblickte, das Deine zu sein. Ich sah es ziemlich genau, darum erschrack ich so sehr, dann lachte ich über meine Täuschung, und endlich faßte mich Unruhe und Ekel. Es fehlte nicht viel, ich hätte halten lassen und wäre hingerannt, aber die Besinnung kam mir zurück. Vor wenigen Tagen, gestern erst, warst Du wiedergekommen, und was hattest Du mit dieser Gemeinheit des niedern Menschenlebens zu schaffen, dem man nicht gern die Fingerspitzen reicht? Daß ich das einen Augenblick denken konnte, ist ein Frevel, den Du bestrafen mußt, den ich Dir tausendmal abbitte.
In ihren Liebkosungen ging das schmerzhafte Zucken seiner Lippen verloren, und nach einer heftigen Anstrengung war seine Unruhe ganz überwunden. Diese eine Thorheit seines Lebens sollte und mußte vergessen sein; es war entschieden, kein Opfer war zu groß, Recha durfte nie davon erfahren.
Jetzt kam ein Theil der Gesellschaft den großen Baumweg lustig herauf, die beiden Liebenden hielten es daher für Zeit, ihr entgegenzugehen. Es war Besuch gekommen, man scherzte viel und fand zu fragen und zu erzählen. Die Stunden vergingen schnell, und als Recha dann mit Richard und dem Vetter Willfried einen Spazierritt durch den nahen Park gemacht hatte, war dieser so entzückt von ihrer verkörperten Liebenswürdigkeit, daß er Richard zuschwor, er sei sein Nebenbuhler, und werde sich keine Mühe verdrießen lassen, ihn aus dem Sattel zu werfen.
Er zählte seine Vortheile und fand, daß er ein weit besserer Tänzer, Reiter und Fechter sei, daß er weit gescheidter, witziger und lebendiger eine Dame zu unterhalten wisse, daß er selten oder nie in Verlegenheit gerathe, und daß er mit seinen geselligen Talenten überall gern gesehen werde, während Richard in seinem schroffen, kalten Wesen den allermeisten Menschen Widerwillen einflöße. Da er nun ohnedies eine große Lust zum Wetten und eine Art Manie für Pferde, Hunde, Hetzjagden und Wettrennen in sich spürte, so schien es ihm, er sei mehr als jeder andere von der Natur bezeichnet, der Gemahl einer reichen Engländerin zu werden, und dieser Gedanke wuchs mit jedem Tage.
Es schien die schöne Frau zu belustigen, mit Richard auch eine Art Gegenfüßler um sich zu dulden, oder, wie sie lachend meinte: es gehöre zum Hofstaate eines Fürsten, über seinen weisen Kanzler auch den lustigen Rath nicht zu vergessen. Sie trieb Possen mit dem verliebten Vetter, der alle seine Künste vor ihr auskramte und nichts errang, als Spott, den er aber häufig für Ernst nahm und sich rühmte, er sei seiner ausländischen Muhme keineswegs gleichgültig, ja endlich ein paar Wetten machte, daß er sie, trotz des steifen, schweigsamen Richard, heimführen werde.
Richard sah es anfangs vielleicht ungern, daß Willfried sich so oft zu ihrer Begleitung drängte, aber er war zu stolz, um eine eifersüchtige Besorgniß zu hegen, zu vertrauungsvoll auf Recha. Er wußte, wie sie die Alltagsgeschwätzigkeit und die gewöhnliche sociale Bildung achtete, wie sie selbst vorzüglich begabte und feine Männer der großen Welt verspottet hatte. Was sollte er von dem armen Willfried fürchten? Er belächelte seine Tollheit und fand mit einigem Wohlgefallen öfter einen Grund darin, seinen schwermüthigen, bangen Gedanken einen Deckmantel zu leihen.
Recha lachte laut und zauste in seinen Locken.
Ist es möglich, rief sie, könnte dies lustige Geschöpf Dir eine kummervolle Minute machen? Wie es das Pfötchen gibt, wie es aufwartet und dient, nie ist mir ein trefflicheres Exemplar des Mannes in seiner Entwürdigung vorgekommen. Du bist krank, mein guter Freund, denn Recha ist auch zornig in Hoffen und Harren, darum bedarf sie der Capriolen. Ach! wie wird das arme Närrchen Sprünge machen, wenn ich ihm plötzlich die Peitsche gebe und es fortjage.
Aber Du reitest zu wild mit ihm, sagte Richard, läßt Dir von ihm vorsingen und spielen, hörst sein Geschwätz gütig an, lernst von ihm die neuesten Walzer, fährst mit seinen tollen Pferden, schießest mit seinen Pistolen und lachst über seine Witzeleien.
Du thust Alles das auch, erwiderte sie, und es freut mich innig, wenn ich Dich neben ihm und mir sehe und Euch vergleiche. Du in Deiner Würdigkeit, in Deinem angebornen Geistesrechte, er mit dem dürftigen Affentriebe im Nachahmen. Dann liebe ich Dich tausendfach mehr, dann fühle ich mein Glück erst ganz; ich möchte es dem Willfried ins Ohr schreien, es in den Himmel hineinjauchzen, daß Du mein bist.
Wie lange wird es noch währen, bis ich es laut sagen darf! flüsterte er in ihren Armen.
Wie weit ist Dein Vater? fragte Recha.
Der Minister hat das Gesuch dem Könige vorgelegt, und sicher wird die Erlaubniß zur ungesäumten Heirath uns nicht versagt werden. Solche Dinge gewährt man uns wohl noch, andere gerechte Ansprüche beseitigt man.
Euer Proceß, sagte Recha, ist verloren. Willfried hat mir davon gesagt.
Er faselt, erwiderte Richard stolz. Es ist nichts entschieden.
So wünsche ich es, rief sie freudig; ja, ich wünsche von Herzen, daß sie Dir Alles nähmen, was Dein ist, dann müßtest Du mir den Stolz lassen, Dich auch reich machen zu können, und ich hätte neue Freuden und tausend glückliche Stunden, wo ich Dich mit meinen Gaben und Gütern erfreuen könnte.
Unter solchen Scenen waren fast zwei Wochen vergangen. Richard war zu verschiedenen Malen in dem Landhäuschen gewesen; aber seine Besuche waren kurz; es war ihm unmöglich, zu täuschen, unmöglich, eine Zärtlichkeit zu heucheln, deren letzte Spur verloschen war. Die schwache furchtsame Liebe und jene starke und stolze boten zu entscheidende Contraste.
Jenny's Dasein schien erst zum Leben zu werden, wenn er kam. Ein unaussprechliches Glück sprach aus ihren dankbaren Blicken, eine rührende Freude, die sie gleichwohl mäßigte, weil Richard sie durch seine Ruhe zurückwies. Sie legte ihm das Kind in die Arme, und er schauderte heimlich und dachte, wenn Recha einträte und ihn so fände. Er gab es schnell zurück, ohne es zu herzen, fast ohne es anzusehen; das durchschnitt ihre Brust.
Dann war es ihm ein Ausweg seiner peinlichen Empfindungen, wenn er recht eifrig fragen konnte, ob es auch an nichts fehle? oder, wenn er kleine Mängel und Wünsche entdeckte, wo er mit hastigem Eifer der Mutter Geld aufdringen durfte, um es sogleich anzuschaffen. Diese weigerte sich, und nun konnte er mit wahrer Herzlichkeit betheuern, daß er heilige Pflichten habe für seine arme bleiche Jenny, daß ihm nichts zu kostbar und theuer sei, wenn es ihr Vergnügen mache.
Als er zum letzten Male kam, war er eifriger als je, und Jenny war von seiner Güte bis zu Thränen gerührt. Die Mutter dagegen war voll tiefen Ernstes. Sie hatte wohl bei ihrer scharfen Beobachtungsgabe bemerkt, daß Richard mit jedem Male seines Kommens stiller und kälter wurde, und sie glaubte aus halben Worten und Winken, die Jenny nicht verstand, seine Absichten zu errathen. Sie nahm sich auch vor, ihn zu befragen und ließ Worte fallen, die ihn bestürzt und verlegen machten.
Alles ist schon hier, sagte sie, und sah ihn scharf an. Manches ist viel zu prächtig, und doch genügt es nicht, weil die Ruhe und der heilige Frieden des Herzens nicht mit uns eingezogen. Gut kann es nur werden, wenn Jenny vor den Menschen auch ist, was sie Ihnen geworden; wollen Sie sie wahrhaft glücklich machen, so lassen Sie das Ihr Streben sein, Geld und Gut bedürfen wir nicht.
Richard schwieg und die Mutter ging hinaus.
O, sei gut, sagte Jenny zärtlich, kannst Du es ihr verdenken, wenn sie für mich besorgt ist? Aber ich fürchte nichts, Du wirst Alles ordnen, und wer weiß, wie es sich fügt. In der letzten Nacht hatte ich einen Traum: Ich lag kalt und bleich, mein Kind ruhte auf meinem Herzen, sein kleiner Körper wollte mich wärmen, es weinte und rüttelte sich, ich konnte es deutlich fühlen. Plötzlich kamst Du zu Pferde und neben Dir war eine wunderschöne Frau mit stolzen Mienen. Meine Augen waren geschlossen, aber ich sah Dich doch und mein Herz fing leise wieder an zu schlagen. Du sahst mich an, so voller Liebe und Erbarmen, voll ungeheurem Schmerz und großer Angst, daß ich unaussprechlich selig war, denn nun wußte ich, Du liebtest mich noch. Da rief die stolze Dame Dir zu, mich liegen zu lassen und weiter zu reiten, ja, sie faßte Deine Hand und den Zügel Deines Pferdes, aber plötzlich rissest Du Dich los, warfst Dich an meiner Seite nieder und weintest und küßtest mich. Da schlug ich die Augen auf, und meine Arme um Deinen Hals, und das Kind streckte seine Händchen aus und liebkoste Dich. Ein unermeßliches Glück stürzte sich über mich, ich verlor das Bewußtsein, und erwachte allein und traurig.
Das Todte erwacht nie wieder, murmelte Richard, und verbarg das Gesicht in seinen Händen.
Mein Traum hat mich den ganzen Tag begleitet, sagte Jenny lächelnd und leise, er hat mir neuen Glauben gegeben, daß nach harter Prüfung Du mich noch einmal lieben wirst, wie in früherer schöner Zeit.
Ich muß fort, sagte er, und stand auf. Wir schwatzen wie die Kinder von Träumen und vergessen das Leben. Ich habe heut noch viel zu schaffen. Ich muß zu einem lauten Feste, fuhr er fort, als sie schwieg, zum Ball bei meinem Vater, und wäre doch weit lieber allein. Aber morgen wird unsere große Rechtssache entschieden, und so soll denn heut noch ein jeder Hebel in Bewegung gesetzt werden, der Minister, der Prinz, die Oberhofmeisterin der Königin und viele einflußreiche Personen sind geladen, obwol es, ausgemacht, nichts helfen wird.
Und wann sehe ich Dich wieder, Richard? fragte sie.
Ich weiß es nicht. Morgen oder übermorgen, vielleicht aber auch nicht; bestimmen kann ich nichts, ich werde sehen, wie es geht, oder schreiben, ja schreiben werde ich. Gute Nacht! Es ist kalt, Du sollst mich nicht begleiten.
Sie that es dennoch und sah und hörte feinem Pferde nach, das schnaubend durch die Nacht eilte. Die Funken unter seinen Hufen tanzten vor ihren Augen, sie glaubte den Reiter zu erkennen, und feurige Wirbel, die hinter ihm herzogen. So stand sie zitternd an dem Thore, als eine Hand leise die ihre faßte und die freundliche Stimme des Hofraths sie begrüßte.
Werner hatte sie schon öfter besucht, und Jenny empfand eine Abneigung gegen den Mann, dessen streng religiöse Richtung sich in einer Art Bekehrungseifer zeigte; noch mehr wurde sie jedoch von ihm durch seinen Groll gegen Richard entfernt, den er nur ungeschickt verbarg. Die Mutter hatte dagegen an Werner einen Verbündeten ihrer eigenen Gedanken; Jenny aber verlor allen Trost, mit ihm von ihren Hoffnungen sprechen zu können, für welche er nur Schweigen oder Zweifel hatte.
Endlich nistete sich auch ein seltsam furchtsames Gefühl ein, denn Werner war in frühern Tagen oft gekommen, und Viele hatten geglaubt, er würde einst die schöne Muhme heimführen. Obwol er nie seine Wünsche geäußert, so schien Jenny doch Manches davon zu wissen, und wenn er ihr jetzt gegenüber saß, die großen Augen schmerzhaft sinnend auf sie gerichtet, kam es ihr vor, als fordere er sein Leben und seine Zukunft von ihr. Dann sprach er vor sich hinblickend von der Versöhnung des Menschen mit dem Geschick und mit Gott, von der Sündigkeit und Jugend, von der Erhörung im Gebet und von dem Quell der Gnade, der sich tief in der Brust öffne. Seine Worte strömten immer lauter und eifriger, der Geist des Herrn schien über ihn zu kommen, er verkündete Vergebung und Strafe und versenkte sich zuletzt in ein prophetisches Entzücken über den Sieg Gottes gegen alles Böse auf Erden.
Die Mutter fand an dieser Erbauung ungemeinen Trost, Jenny aber ängstigte sich davor, denn Werner's Ermahnungen drohten Richard mit göttlichen Strafen. Sie sah es gern, wenn er ging, und jetzt, als er ihre Hand ergriff, überfiel sie eine leise Bangigkeit.
Hast Du ihn gesehen? sagte sie und deutete den Weg hinab.
Den Mann, der durch des Bösen Hülfe Dich unglücklich machte, erwiderte er, der Dich mit seinen elenden Künsten noch jetzt betrügt? Ja, ich habe ihn gesehen. Wie von Furien gejagt, sprengte er in die Nacht hinaus; das böse Gewissen trieb ihn; aber wie schnell sein Roß auch ist, es bleibt nicht hinter ihm zurück.
Du verstehst ihn nicht, Konrad, sagte sie, Du verlästerst ihn, weil Du ihn hassest. Er hat viel schwere Sorgen.
Wie lange, Du thörichtes Mädchen, willst Du den Betrüger vertheidigen, wie lange willst Du Dich täuschen lassen? rief Werner zornig. Glaubst Du noch daran, daß er Dich zu Ehren bringen will? Seine schöne reiche Muhme aus England ist hier, sein Vater will Beide schnell und heimlich verheirathen, sie suchen die Genehmigung des Königs. Dann werden sie an einem Tage plötzlich auf und davon sein, dann wird sein letztes kaltes Wort Dir sagen, daß es so sein muß, daß Du ihn vergessen, glücklich werden und dies Landhaus als Entschädigung seines Treubruchs betrachten sollst.
Du lügst! rief sie mit äußerster Anstrengung; es ist eine schändliche Verleumdung. Allbarmherziger Gott! wie schlecht sind die Menschen, die sich fromm und Deine Freunde nennen.
Armes Mädchen, sagte Werner, wie viele Verlassene dachten wie Du, und verzweifelten, weil sie Menschen mehr liebten als Gott! Aber Eines, fuhr er mit feierlichem Tone fort, ist mir vorbehalten; eine Rache hat der Himmel in meine Hand gelegt, und in seinem Namen will ich sie üben.
Hättest Du Recht, rief Jenny heftig: welche Rache reichte dann aus gegen solchen Elenden!
Weshalb sind diese schwachen Geschöpfe so hochmüthig, fuhr Werner fort, und warum verspotten und verachten sie ihre Mitbrüder? Sie dünken sich besser als wir, sie sondern sich zu einer Kaste, sie glauben, ein Recht erlangt zu haben, Gott zu verhöhnen und seine Gesetze, weil die Gesetze der Staaten zu ihren Gunsten lauten. Finstere, ungerechte Zeiten, Gewalt und Raub haben sie in Besitz von Macht und Herrlichkeit gesetzt, und ihre Enkel nennen sich nun die Stützen der Throne und prassen und schwelgen in dem Mark derer, die, Lastthieren gleich, für sie arbeiten. Arm müssen sie werden, ablassen von dem ungerechten Gut, Menschen sein im Schweiße ihres Angesichts, denn vor Gott ist ewige Gleichheit; alle seine Geschöpfe sollen in Arbeit und Sorgen leben, um zur Wahrheit und Erkenntniß zu gelangen. Wehe den Pharisäern, welche die Sünde und Schande auf Erden groß zogen, Knechtschaft über die Menschen brachten und Armuth und Elend; sie sollen gedemüthigt werden! Und dieser Stamm, zu welchem er gehört, der die Kunst der Sünde an Dir versuchte, er ist einer der schändlichsten, weil er einer der ältesten ist. Gott hat ihn in meine Hand gegeben, und ich will nicht säumen, seinen Willen zu thun.
Zertritt ihn! rief Jenny heftig; zertritt die Schlange. Wie vermagst Du das?
Du hast vielleicht gehört, sagte Werner, daß sie einen großen Proceß führen um den ganzen Besitz ihres Eigenthums. Es handelt sich um die Auffindung einer Urkunde, die Alles gut machen könnte, aber diese wird nie gefunden werden, denn sie ist in meinen Händen von Gott mir überliefert.
Du hast sie verborgen, Konrad? flüsterte Jenny, zitternd vor Aufregung.
Du weißt, daß ich im Archiv arbeite, sagte der Hofrath. Unter alten Papieren lag sie in einem der Schränke in einen Spalt geklemmt und fiel mir vor die Füße, als ich ihn öffnete. Ich warf das Papier gleichgültig fort, aber wie von unsichtbarer Hand fiel es von neuem auf mich und zwischen Weste und Unterkleid blieb es stecken, als wollte es andeuten: Nimm und verbirg mich! – In dem Augenblicke sagte eine Stimme in mir: Es ist Gottes Gebot, du sollst seinen Befehl erfüllen! Mit ahnungsvollem Sinn öffnete ich den starken Umschlag und dankte dem Herrn. Es waren lange genaue Nachsuchungen angestellt worden, und man hatte diesen wichtigen Gnadenbrief nicht aufgefunden; mir fiel er entgegen. Der Himmel wollte sichtlich die Sünde rächen, welche dies Geschlecht an Dir begangen hat. Ja, wunderbar sind die Wege des Herrn!
Und Du hast es aus dem Archiv genommen? fragte Jenny.
Ich komme davon her, erwiderte Werner. Keine Sünde trifft mich; Gott hat gerufen, ich thue eine gute That. Dies Document eines ungerechten Besitzes soll in wenigen Minuten in Asche zerfallen. Indem er dies sagte, zog er die Urkunde in ihrem Umschlage hervor, als Jenny mit Blitzesschnelle sich auf ihn warf, ihm das Pergament entriß, mit ihrem Raube aus dem Gitter sprang und den Weg zur Stadt eilig hinablief.
Einen Augenblick lang war Werner ganz starr vor Schrecken, dann schlug er sich an die Stirn und lief ihr nach.
Wie konnte ich dieser Verblendeten die Energie der Rache zutrauen, rief er. Jenny, thörichtes Mädchen! halt, halt!
Aber die Finsterniß war groß und Jenny war darin verschwunden. Werner lief, was er konnte. Bald glaubte er sie erreicht zu haben, aber es war eine abgeschälte Weide, dann begegnete er einem Manne, der hatte jedoch Niemand gesehen. Er eilte zurück, weil er meinte, sie sei auf einem Umwege ins Haus gekommen, aber die Mutter kam ihm fragend und bestürzt entgegen. Mit furchtbarem Zorne erzählte er, was ihm geschehen, und warf sich, die Hände faltend und Verwünschungen murmelnd, in einen Stuhl.
Lieber Vetter, sagte die alte Frau, Gottes Wille hat sicher Alles so geordnet, Jenny's Entschluß ist so großherzig und kühn, daß sein Segen wol davon zu hoffen ist.
Jenny hatte in einem Versteck den Vetter vorüber und zurückgelassen, dann eilte sie keuchend vorwärts, den langen öden Weg bis in die Vorstadt, dann durch die innern Quartiere, und endlich stand sie vor dem hohen glänzenden Hause, wo viele Menschen sich neugierig aufgestellt hatten und lange Wagenreihen mit den Ballgästen langsam fortrückten.
Es war kaltes, trübfeuchtes Wetter. Tage lang hatte es geregnet, und Jenny war in ihrer Hast durch den tiefen Schmutz gelaufen. Ihr leichtes Hauskleidchen, das kleine Tuch, das über das wirre Haar gedeckt war und das Gesicht halb versteckte, ihre erhitzten, erschrockenen Mienen, ihr scheues, ängstlich schamvolles Auge: Alles machte ihre Erscheinung fremdartig, unpassend zu dem Aeußern und sonderbar.
Die zarte, kleine Gestalt drängte sich durch die Reihen der Neugierigen mühsam hin, und als sie endlich den Eingang erreicht hatte, wo eine Polizeiwache die Abwehr der Diener verstärkte, fragte sie zur Bestürzung und zum Lachen der goldbordirten plumpen Gesellen nach dem jungen Herrn des Hauses; ja, als man sie abweisen wollte, bestand sie darauf, daß sie ihn sogleich sprechen müsse.
Da die Diener vornehmer Herren gewöhnlich weit hochmüthiger und nebenbei auch gröber sind als jene, so fehlte nicht viel, daß aus den unverschämten Witzeleien ein böser Ernst geworden wäre, denn schon trat einer der Polizeibeamten herbei und fragte mit amtlich neugieriger Brutalität, wer sie sei, und was sie hier wolle, und womit sie sich ausweisen könne?
Jenny sah ihn furchtlos an. In diesem Augenblicke hatte sie ungewöhnlichen Muth.
Ich befehle Ihnen, sagte sie mit Stolz, unverzüglich dem Herrn zu sagen, daß eine Dame ihn zu sprechen wünsche.
Der herrische Anstand dieser seltsamen Dame, aus welcher man nicht wußte, was zu machen sei, bewirkte noch eine gewisse zögernde Verlegenheit, und plötzlich hüpfte aus dem nächsten Wagen Willfried, der sie sogleich erkannte.
Um des Himmels willen, mein gnädiges Fräulein, sagte er erschrocken und halblaut, was wünschen Sie, was soll geschehen?
Ich wünsche Richard zu sprechen, ich muß ihn sprechen! erwiderte sie ruhig.
Bedenken Sie auch, sagte er bittend und warnend, aber doch mit einer gewissen schwer unterdrückten Schadenfreude, was daraus entstehen kann?
Ich habe alles bedacht, mein Herr, erwiderte sie stolz.
So kommen Sie, erwiderte er und reichte ihr den Arm.
Diese zuvorkommende Höflichkeit des vornehmen Herrn schüchterte die Bedienten ein. Auf Willfried's Wink öffnete der gröbste mit einer tiefen Verbeugung ein Zimmer und zündete schnell ein paar Kerzen an.
Verziehen Sie eine Minute, sagte Willfried, Richard soll sogleich hier sein.
Er sprang die Treppe hinauf und sagte lachend:
Das ist eine verflucht lustige Geschichte. Jenny in Recha's Zimmer! Es fehlte aber nichts zu einem Trauerspiele, als daß diese sie und ihn überraschte, und, auf Ehre! ich weiß nicht, was geschieht.
Als er in den Saal trat, suchte er Richard, der mit Recha so eben den Tanz eröffnen wollte. Du darfst nicht, sagte er; geh schnell hinunter, wenn Du Unheil verhüten willst. Schaff das Mädchen, die Jenny aus dem Hause, so schnell Du kannst.
Fast mechanisch folgte Richard seinem Winke und überließ ihm Recha's Hand. Er hatte es Willfried's Gesicht und dem Hohne darin angesehen, daß er die Wahrheit sprach. Ein furchtbarer Zorn und Schmerz erfüllte ihn; bebend hielt er sich an der Fassung der Treppe und schritt vorsichtig hinab, denn es dunkelte vor seinen Augen. Er sah die Diener nicht an, die ihn neugierig und heimlich lachend betrachteten, er fühlte sich erniedrigt und beschämt. So öffnete er die Thür; aber kaum erblickte er Jenny, die ihm ängstlich entgegeneilte, als er seine ganze Ruhe wiederfand.
Was willst Du hier? sagte er leise. Ist Deine Narrheit noch nicht erschöpft, willst Du mich und Dich erniedrigen, hast Du kein Gefühl für den Schimpf, der mir geschieht? Wer hat Dich hierher gehetzt? Welcher Schelm oder Schurke gab Dir den klugen Rath? Zu welchem vernichtenden Schritt soll mich Dein boshafter Verrath treiben? Thörichtes Mädchen, kennst Du mich so wenig, daß Du glauben kannst, ich werde mich zwingen lassen? Bei meinem Leben! bei meiner Ehre! ich könnte einen Schritt thun, der Dir und Deinen Bundesgenossen ewig leid sein sollte.
Du sollst mich hören, Richard, sagte Jenny. Ach! ich bin Dir allzugehorsam, um Rechenschaft von Dir zu fordern.
Du willst Rechenschaft? fiel er ein; welche Rechte hast Du daran? Ich will nichts hören, ich darf nichts hören! Ich beklage Deine falschen Schritte, aber um so weniger kann ich sie beachten. Geh fort, schnell! Was soll das jämmerliche Possenspiel? Dein und mein Schicksal schweben hier an einem Haare über uns. Geh, oder meine Verachtung, mein Haß soll Dich verfolgen, Deine unkluge Mutter, Deinen heuchlerischen Vetter. O, hätte ich Euch Alle nie gesehen!
Ich gehe, sagte sie und ließ die gehobenen Arme sinken, doch nimm dies Papier. Es ist die Urkunde, die Deiner Familie fehlt. Mein Vetter fand sie im Archiv, und da morgen früh schon das Urtheil gefällt wird, so ließ ich mich nicht von dem bösen Wetter und der Nacht halten; ich lief heimlich bis hieher und bringe es Dir. Nimm, da ist es.
Richard hatte mit der einen Hand das Pergament ergriffen, mit der andern hielt er den schwachen Körper fest, der unter der Last des Unglücks und der Erschöpfung zusammenbrechen wollte. Jenny lag mit halbgeschlossenen Augen, leise und krampfhaft schluchzend, an seinem Herzen. Er hielt sie fest und setzte sich, indem er das todtenbleiche Gesicht mit seinem Arm stützte. Der matte Schein der Kerzen zuckte über sie hin und große, heiße Thränen fielen aus seinen Wimpern. Dann beugte er sich zu ihr nieder, und küßte sie, und küßte sie immer wieder, bis er mit seiner erstickten Stimme Worte für sein Denken sammeln konnte.
Arme Jenny, seufzte er, großmüthiges Herz! Welche edle, schöne Seele wohnt in diesem Körper? Welche Liebe, welche allmächtige Liebe! Reiß sie aus mit ihren Wurzeln, ich verdiene sie nicht. Ach! könnte ich Dich beglücken! Ich kann nicht, ich darf nicht! Guter Gott! gib mir Kraft, nicht unterzugehen in diesem Kampfe.
In diesem Augenblicke wurde leise geklopft und Richard's Kammerdiener trat herein. Er hatte das Vertrauen seines Herrn, wußte Manches, und hatte genaue Kenntniß von den Verhältnissen zu Recha.
Gnädigster Herr, flüsterte er, Sie werden vermißt. Mylady Recha sucht Sie, sie kommt die Treppe herab.
Ist ein Wagen da? fragte er hastig.
Der Wagen des gnädigen Herrn hält im Hofe.
Richard hob die ohnmächtige Jenny auf und legte sie in seines Dieners Arm, indem er sie nochmals küßte. Trage sie sanft, sagte er gerührt und drückte angsthaft dessen Schulter; hier, schnell durch die Tapetenthür und Mylady's Schlafzimmer. Führe sie zu ihrer Mutter zurück, nach dem Landhause meiner verstorbenen Tante. Tröste sie, bitte sie, sich zu beruhigen; ich würde Alles zum Besten ordnen. Und Verschwiegenheit, strenge Verschwiegenheit!
Der Diener eilte mit der leichten Last davon, denn draußen hörte man Recha's Stimme. Richard warf sich in den Stuhl, riß den Umschlag von der Urkunde und begann hastig zu lesen.
Was hast Du hier einsam zu schaffen? sagte sie, indem sie mißtrauisch umherblickte.
Auf seltsame Weise, erwiderte er, ist mir plötzlich dies wichtige, verlorene Document zugekommen, das meiner Familie Alles sichert: Unser Proceß ist gewonnen.
Wie kam es her? fragte sie heftig.
Die Art muß für jetzt noch ein Geheimniß sein, sagte er ruhig, aber Du sollst es erfahren.
Sein offenes Vertrauen rührte sie.
Ich will es nicht wissen, Du theurer Bösewicht, sagte sie lachend; ich bin thöricht genug gewesen, mir ein dummes Mißtrauen einflößen zu lassen. Vergebung, mein Richard! Die erbärmlichen Menschen sollen mich nicht schwach sehen, Du und ich, wir stehen zu hoch für sie. Aber freuen wollen wir uns; Dein Vater hat so eben die Genehmigung seiner Bitte erhalten, und nichts steht unserm ewigen Bunde mehr entgegen.
Am nächsten Morgen hatte der Hofrath Werner so eben seine steife Halsbinde angelegt, als es an seiner Thür pochte und Richard hereintrat. Werner's blasses Gesicht wurde noch länger und bleicher, er erwiderte den Gruß des jungen Mannes mit Unmuth und Verlegenheit und schien nicht recht zu wissen, welche Rolle er zu spielen habe. Er sah ihn finster und erwartend an.
Ich komme, Herr Hofrath, begann Richard, ihm die Hand bietend, um Ihnen meinen und meiner Familie herzlichsten Dank zu sagen. Sie haben uns einen so großen Dienst geleistet, daß wir auf immer Ihre Schuldner bleiben müssen.
Sie meinen das Document, sagte Werner. Glauben Sie mir, Sie haben mir weit weniger zu danken, als meiner Muhme Jenny; meinen Sie aber dennoch, mir Dank schuldig zu sein, so erfüllen Sie meine Bitte, es immer ein Geheimniß sein zu lassen, daß ich damit zu schaffen hatte.
Bei der Erwähnung Jenny's röthete sich Richard's Stirn, und mühsam schien er eine heftige Empfindung zu unterdrücken.
Seien Sie unbesorgt, sagte er dann, ich sah diese Bedingung voraus, und mein Vater, der heut in der ersten Frühe schon zum Präsidenten des Gerichtshofes fuhr, bemerkte diesem, daß die Urkunde glücklicherweise in unserm Familienarchive, in einem ganz verborgenen Fache entdeckt sei. Sie dürfen jedoch nicht meinen, Herr Hofrath, fuhr er fort, daß meine Familie Willens ist, ihren Dank in so kahlen Worten abzumachen; nein wir fordern Sie dringend auf, uns eine Gelegenheit zu geben, Ihnen zu beweisen, daß Sie dankbare Schuldner haben; und wenn ich wüßte –
Ich weiß in der That nicht, Herr Baron, fiel Werner hastig und sich höflich kalt verbeugend ein, was ich für meine Handlung annehmen könnte.
Richard betrachtete ihn mit einem langen forschenden Blicke.
Ich muß diese Stunde benutzen, sagte er, Ihnen auf jede Gefahr Eröffnungen zu machen. Ich habe ein starkes Herz und kräftige Nerven, aber in den furchtbaren Gemüthsstürmen, die mich nun seit Monaten heimsuchen, wankt endlich Alles in und an mir.
Wenn uns Stürme heimsuchen, erwiderte Werner, ist der höchste Vertraute, der einzige wahre Helfer, Gott, dem wir unser Herz erschließen sollen.
Weisen Sie mich nicht ab, sagte Richard sanft. Gott öffnet die Herzen der Menschen und gibt uns Trost, indem wir gemeinsam den rechten Weg suchen, Unglück mildern oder abwenden. Was ich sagen will, betrifft mich und Sie; es betrifft theure Wesen, die uns nahe stehen.
In diesem Augenblicke betrachteten sich Beide mit tiefem, wachsendem Ernst. Richard schien seine Rede ordnen zu wollen, Werner diese zu errathen.
Plötzlich faßte der Erste die Hand des Hofraths und sagte mit ruhiger Festigkeit:
Ich täusche mich nicht, Sie lieben Jenny.
Und wenn es wäre? erwiderte Werner eben so fest und ruhig, wenn ich dies arme verlassene Mädchen mit dem mitleidigen Erbarmen liebte, wie man eine Blume liebt, einen schönen Schmetterling, einen goldgefiederten Vogel, den man betrübt an sein Herz drücken und sorgsam bewahren möchte, daß der Winter, der ihn tödten wird, nicht zu schnell kommen mag.
Wenn Sie das vermöchten! rief Richard, tief seufzend, o! so wäre uns Allen geholfen. Was kann ich, was soll ich leugnen, was Sie, ein lebenskluger Mann, längst wissen müssen. Meine Neigung zu Jenny ist in ihrer Glut längst ausgebrannt. Ich habe mich im Taumel der Empfindungen eines schrecklichen, folgenschweren Leichtsinns schuldig gemacht; es ist mehr ein Unglück als ein Vergehen, aber die Welt richtet erbarmungslos und bricht den Stab über menschliche Schwächen. Ich büße die Verirrung hart: soll ich ihr mein Glück und Leben opfern? Sie kennen die Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft, die Fesseln des Standes, die Forderungen der Welt; aber, wenn ich alles auch verachten wollte, großer Gott! mein Herz ist empfindungslos geworden; ich kann mein Wort, meine Schwüre nicht halten, ich bin elend, unglücklich; ich ringe vergebens mit Pflicht, Ehre und Gewissen, mit Mitleid und Bewunderung. Ich liebe Jenny nicht mehr, ich kann und darf sie nie heirathen!
Armes unglückliches Mädchen! murmelte Werner und faltete die Hände vor seinen Augen.
Gibt es keine Buße für den Reuigen? rief Richard heftig, kann ich mich nicht loskaufen, nicht durch gute That, durch zärtliche Sorge, durch treue Freundschaft unsere Zukunft versöhnen? Muß denn der Mensch mit dem Märtyrertode seines höchsten und edelsten Lebens eine Schwäche seines heißen Blutes bezahlen, um vor Gott und Welt tugendhaft zu heißen? Und welche Zukunft würde der armen Jenny erwachsen, wollte ich mein Haupt beugen?! Ich würde niemals vergessen können, sie eben so wenig, und der Kreis kalter, von Vorurtheilen erfüllter Menschen, unter denen sie leben sollte, würde uns täglich mit frischen Dornen stechen. Wie den heiligen Sebastian, von Pfeilen durchbohrt, deren Schmerzen ich vermehren müßte, würde ich sie leiden und sterben sehen, wie ich stürbe, voll Gram, voll Kummer und Verzweiflung.
Das darf, das soll nicht geschehen, sagte Werner gebietend. Ihre Schilderung ist allzuwahr, Jenny darf nicht diesem furchtbaren Schicksal verfallen; doch, mein Gott und Herr! welchen Engel willst Du Deinen zitternden Geschöpfen senden?
Hören Sie mich an, Herr Werner! sprach Richard. Ich habe in dieser Nacht einen schrecklichen Kampf mit meinem Herzen bestanden, aber es soll, es muß der letzte gewesen sein. Jenny's Erscheinung gestern, ihre Liebe, die alles verachtete, hatte mich so innig gerührt, daß ich noch einmal schwanken konnte. Ich prüfte jede Faser meines innern Lebens, und fand, daß Glück für uns nur noch möglich sei, wenn wir den Knoten rasch und sanft lösen, ehe er uns erwürgt. Jenny hat einen Platz in meinem Herzen, den ich ihr bis über alles Leben hinaus treu bewahren will; ich seufze allein über die Unvollkommenheit menschlicher Zustände. Sie ist ein Engel an Frömmigkeit und Herzensgüte; o! bei Gott, sie ist tausendmal reiner und schuldloser als die Elenden, welche sie verdammen. Ich kann es nicht sein, den sie beglückt, aber jeder Andere müßte mit einem solchen treuen schönen Herzen ein seliges Liebesleben führen. Es bedarf dazu eines Mannes, der sorgsam ihre kranke Seele heilt, der, mit starkem Willen begabt, Trost in ihre Brust bringt, der mit Verstand und Liebe sie Fassung für das Unvermeidliche lehrt. Dann wird sie vergessen lernen, ihr Schmerz wird milder werden, sie wird neue Hoffnungen lieben und mir nicht zürnen. Herr Werner, dieser Mann sind Sie!
Eine helle Röthe überflog Werner's Gesicht, es zuckte darin Schmerz und Freude, Zorn und Hoffnungen, die vergebens unter einer frommen Ruhe verborgen werden sollten.
Wenn Gott es gefügt hätte, sagte er nach einer Pause, daß Jenny's Herz sich zu dem meinen gewendet, ich würde ihm hohes irdisches Glück zu danken haben; ja, wenn es noch jetzt sein könnte, daß ich die Kraft empfinge, ihr gebrochenes Gemüth aufzurichten, o wie gern würde ich dem Herrn dies verlorene Lamm retten!
Lassen Sie uns in dieser bangen Minute einfach reden, wie es Männern geziemt, erwiderte Richard. Sie haben Jenny immer geliebt, und auch sie ehrt und achtet Sie hoch. Eine Liebe auf Achtung gebaut, ist edler und dauernder als leidenschaftliche Neigung. Ich will thun, was ich nur vermag, um Ihr Lebensglück materiell zu sichern. Jenny gehört das Landhaus, wie Sie wissen, ich zahle aber am Tage der Verbindung mit Ihnen, würdiger Freund, ein Capital von zwanzigtausend Thalern, und eine Rente für die Erziehung meines Kindes. Nichts soll fehlen, immer will ich in Noth und Tod ein treuer, wahrhafter Freund sein.
Und legten Sie alle Schätze der Erde zu meinen Füßen, erwiderte Werner feierlich, diese würden mich wahrlich nicht verlocken. Ich gehöre einer streng gläubigen Richtung an, Herr Baron, die in Vieler Augen ein Anstoß ist, aber mein Wandel ist rein und mein Glaube gebietet mir Wahrheit. Ja, ich liebe Jenny, und wenn es möglich ist, ihr krankes Herz zu heilen, so will ich es versuchen. Sie muß erfahren, daß sie verlassen ist, sie muß den bittern Trank trinken, Gott wird sich ihrer erbarmen!
Richard sah ihn forschend an.
Machen Sie Jenny glücklich, sagte er, dann werden auch Sie glücklich sein, denn ihr schönes Gemüth wird auch das Ihre sanfter stimmen. Die Tröstungen der Religion und die Liebe eines gläubigen, edlen Mannes sind diesem armen, weichen Herzen nöthig.
Dann zog er einen Brief hervor und reichte ihn Werner.
Geben Sie ihr dies, sagte er. Es muß sein, daß wir scheiden, aber Niemand soll es ihr verkünden als ich. Es ist Schmerz und Trost darin. Wenige Zeilen, ich konnte nicht mehr, Hand und Kopf versagten mir den Dienst.
Am Abend trat Werner in das einsame Haus. Er fand Jenny allein, die Mutter war in der Stadt. Sie kam ihm mit einem bittenden Lächeln entgegen.
Lieber Konrad, sagte sie, ich hoffe, Du hast mir verziehen. Ich mußte thun, wie ich that, ich konnte wahrhaftig nicht anders.
Ich empfinde das wohl, erwiderte er; Du bedarfst keiner Entschuldigung.
Und nun wird Alles zum Guten werden, antwortete sie freudig. Er war wohl zornig, aber dann sah er mich unaussprechlich liebevoll an, und wie ich in seine Arme fiel und die Besinnung verlor, fühlte ich noch seine Thränen und heißen Küsse. Er muß bald kommen.
Er wird nie mehr kommen, sagte Werner.
Sie lächelte und doch ward sie bleicher.
Wie kannst Du das wohl sagen, rief sie; ja, wie kannst Du es nur denken, und mich so sehr betrüben? Aber Du hassest ihn, das ist nicht recht, Konrad, Du bist ein frommer, christlicher und guter Mensch, und ich dachte, Du wärst mir auch gut.
Lies diesen Brief, sprach er, und bedenke dann, daß, wenn irdische Liebe uns verläßt, wenn ein ungeheurer Schmerz uns zur Verzweiflung führen will, wir fest vertrauen sollen auf die Gnade des Erlösers.
Sie hatte ihm das Papier längst abgenommen und die Zeilen mit gieriger, zitternder Hast durchflogen. Ohne Wort, ohne Klage starrte sie darauf hin, ihre Augen verloren den Glanz des Lebens, eine sinnverwirrende Angst schien sie aus den Höhlen zu pressen. Dann legte sie die kleine Hand auf ihre Stirn und sagte fast tonlos:
Ich kann es nicht verstehen. Er schreibt, Richard schreibt, es muß so sein, wir sollen uns nicht wiedersehen; das Schicksal, die Menschen, die bösen entsetzlichen Menschen! Es ist nicht wahr! nein! er hat gesagt: Ich will, ich bin auch ein Gott, mein Wille ist ewig! Lies Du es, Konrad, sage mir, ob es so dasteht, ich bitte Dich, mein Auge ist so dunkel, ich bin krank.
Es steht da, erwiderte er, Du bist verlassen. Er will Dich immer lieben als ein treuer Freund, er will Dir Geld und Gut geben, aber seine Hand einer Andern. Jenny, Du hast einen schweren Kampf zu kämpfen, sieh wohl zu, daß es ein guter Kampf sei. Es gab eine Zeit, wo auch mein Gemüth zum Tode erkrankt war, wo ich nicht zu genesen hoffte. Mein Herz wollte brechen, denn ich liebte ein Weib, und ach! sie hatte keinen Blick für meine Schmerzen. Welche Qual ist die größere?! Du hast einen Mann geliebt und bist seiner glühend heißen Liebe gewiß gewesen. Alle Himmel hast Du durchflogen, alle Seligkeiten hast Du empfunden, nun empfinde und trage die Schmerzen, und bete und büße, daß ein kurzes irdisches Glück Dir höher dünkte als alle Ewigkeit. Welche grausamen Prüfungen habe ich ertragen ohne Erfüllung, welche entsetzlichen Nächte, wo ich auf meinen Knien ringend um Erlösung bat und meine Seligkeit hingegeben hätte um einen Blick, um einen Kuß, um ein einziges Liebeswort! Während meine Brust blutig zerbrechen wollte, und mein Auge vergebens den Himmel durchirrte, lag ein Mensch in den Armen des geliebten Weibes, ein Elender, der es dann eine Verirrung nannte und sie verließ. Allmächtiger Gott! ich danke Dir, Du hast mich vom Wahnsinn errettet, der mich umgarnte, Du hast mir Kraft geschenkt, die fürchterliche Leidenschaft zu bewältigen, Du löstest den Schmerz in Ruhe und Glauben auf. Du schenktest mir Deinen heiligen Frieden. Ja, Glauben gibt Frieden. O! so senke den Glauben auch in dies arme gequälte Herz, so öffne ihm Deinen Himmel, so laß es der Gnade theilhaft werden, so gönne mir, o Vater! das unaussprechliche Glück, ihr Leiter, ihr Freund und Hort zu sein. –
Er sprach dies Alles langsam und still, fast ohne Bewegung. Jenny saß ihm gegenüber, wie eine Todte, so starr, und sah in die Flamme des Lichts.
Bei seinen letzten Worten ward die Thür geöffnet und die Mutter trat herein. Sie schien heiter gestimmt und das Elend in Jenny's Zügen gar nicht zu bemerken.
Ich bringe gute Nachricht, sagte sie, in der ganzen Stadt ist es schon bekannt, daß Richard's Proceß gewonnen ist. Stellen Sie sich vor, Vetter, vertraute Leute gratulirten mir ordentlich, und ich kann es nicht leugnen, ich erzählte Manches, was bisher verschwiegen war, denn nun muß ja der Tag nahe sein, der uns in Ehren der Welt wiedergibt?
Und dennoch thaten Sie Unrecht, werthe Frau, sagte Werner. Wissen Sie nicht, daß oft, wenn es scheint, wir sind am Ziele, dies am weitesten von uns ist!?
Was soll das heißen? rief sie bestürzt. Ihr warnender Ton thut mir wehe, und was ist denn mit Jenny? Was ist geschehen?
Was ich längst ahnete, erwiderte er, was auch Sie, liebe, theure Muhme, wol denken konnten, als der junge vornehme Verführer Sie in dies Haus brachte. Wahrlich, er gehört zu den Schlechtesten nicht, denn er hat noch eine Art Gewissen und Großmuth, und sucht seine Schlechtigkeit, die er tief empfindet, durch reiche Gaben abzukaufen.
Was wollen Sie damit sagen, Vetter Werner? sagte sie bebend.
Daß Jenny zu der großen Klasse treulos verlassener Mädchen gehört, daß Richard im Begriff ist, sich mit seiner reichen Cousine aus England zu vermählen, und daß er diesen Abschiedsbrief schrieb, in welchem er Wahres mit Falschem mischt, um sein Opfer zu überzeugen, daß Pflicht, Ehre und Gewissen ihm gebieten, so zu handeln.
Die alte Dame sank in einen Stuhl, aber ihr Schreck machte schnell einer unbezähmten Wuth Platz. Daß sie, die immer Zweifelnde, gerade jetzt das Beste geglaubt hatte, daß sie in diesem Wahne schwatzhaft gewesen war, erhöhte ihre rücksichtslose, leidenschaftliche Bitterkeit. Sie rief die Rache Gottes auf den Elenden herab, der eine schuldlose, ehrenhafte Familie so unglücklich gemacht habe; sie verfluchte ihn, sein Geschlecht und seine Nachkommen, und schien mit jedem neuen Ausruf an Heftigkeit zu gewinnen. Die mächtige hohe Gestalt hatte etwas Entsetzliches in diesem Zorne. Die Haube war von ihrem Haar gefallen, bei ihren heftigen Bewegungen hatte sich dies aufgelöst, und mit den krampfhaft zuckenden Fingern und gerungenen Händen durchwühlte sie die greisen, wirren Flechten.
Kann ein Mensch elender und gestrafter sein, rief sie, als ich arme alte Frau es bin! Ein einziges Kind hatte mir Gott gegeben, es war meine Freude und mein Stolz, nun ist es der Fluch meiner alten Tage. Wohin ich sehe, trifft mich Spott und Schande, und sie, die Quelle aller meiner Schmerzen, scheint es nicht zu fühlen, ja sie möchte wol gar den schändlichen Bösewicht noch vertheidigen. Ach! das ist die Strafe meiner schwachherzigen Liebe, daß ich zu mild gegen sie war, das bringt mich nun mit Leid in die Grube. Ja, Du unnatürliches Kind, Du bist es, Du tödtest Deine alte Mutter; Du vergiftest mein Leben; welchen Kummer, welch Elend hast Du mir bereitet! Nein, ich kann es auch nicht ertragen, Dich und den Zeugen Deiner Schande immer um mich zu sehen. O! Gott, erlöse mich von dieser Qual, daß ich sie nicht verfluchen muß in meinem Elende. Mein Herr und Gott! was habe ich gethan, daß Du mich so heimsuchest?
Hier lös'te sich ihr Schmerz in einen Strom von Thränen, und mit lautem Weinen senkte sie das Haupt in ihre Hände. Langsam stand Jenny auf; sie schien gefaßten Muthes, und wie sie vor ihrer Mutter niederkniete und deren Hände demüthig küßte, sagte sie mit fester leiser Stimme:
Du arme Mutter! Ja wohl, ich habe Dir so schweres Leid gethan, daß ich es nimmermehr abbüßen kann. Vergib mir um meinen eigenen Schmerz, der mein Herz verbrennt, daß ich schreien möchte.
Wie die Mutter nicht antwortete; stand sie auf, nahm ein Licht und ging der Thür zu.
Wohin gehst Du, Jenny? sagte Werner.
Sie wendete sich um und sah ihn an.
Ich will zu meinem Kinde, sprach sie, und muß ihm sagen, daß es keinen Vater hat. Gute Nacht, Konrad!
Er blieb allein mit der ächzenden Frau, welche erst nach langer Zeit so viel Ruhe gewann, um seinen Trost und seine verständigen Gründe zu hören. Werner trug ihr diese mit Beredsamkeit vor, und mischte so geschickt weltliche Vortheile, Fügung des Himmels, die unlöslichen Hindernisse einer Heirath zwischen Richard und Jenny und die hochmüthige Kälte der erloschenen Liebe des jungen vornehmen Mannes, daß er endlich zu dem Schlusse gelangte, es werde eine Zeit kommen, wo, was die Mutter jetzt beweine, als eine weise Schickung sich erkennen lasse, welche sie segnen werde.
Weiter ging er nicht, aber er deutete in wenigen Worten es an, wie ein besserer Mann als dieser hochmüthige, verschrobene und lasterhafte Mensch sich finden werde, der Jenny zum Glücke leite; wie sie, geborgen vor aller Noth, ruhig hier wohnen könnten, bis die Zeit den Schmerz gelindert habe, und wie er selbst dann sorgen wolle, daß die Welt sich ihnen öffne.
Nach manchen Gesprächen darüber war die Mutter sichtlich beruhigt. Es dämmerte in ihr die Ahnung auf, daß der fromme rechtschaffene und begüterte Vetter wol selbst noch, trotz aller Schmach auf Jenny's Haupt, sie zu Ehren bringen könne. Als er ging, drückte sie ihm die Hände.
Kommen Sie bald, recht bald wieder, sagte sie, wir bedürfen Ihrer Freundschaft und Jenny wird dankbar sein.
Werner ging sinnend durch die Nacht. Sie war still und vom Dämmerschein der unermeßlichen Sternendecke erhellt. Der reine Himmel ließ die Myriaden Welten auf die kleine dunkle Erde hinabschauen. Der Strom spiegelte sich in ihnen, die nackten alten Bäume schienen mit ihren spitzen Zweigen gleich Fingern hinaufzudrohen und die Sternschnuppen abzuschlagen, welche in seltener Menge über den lichten Bogen kreuzten.
Sonderbar, sagte Werner leise, ich empfinde bei ihren Leiden ein Gefühl des Glücks und der Genugthuung, und während ihr Herz fast zerbricht, richtet sich das meine endlich auf. Das ist die göttliche Vergeltung! Er hat Recht, meine Rolle ist einfach. Es müßte seltsam kommen, wenn ich nicht bald in seine Stelle treten sollte, denn ihr Schmerz ist eines Weibes Schmerz, schnell verweht und verwandelt. Wie wunderbar! ich wollte sie arm und nun bringt sie mir ein schönes Landhaus und zwanzigtausend Thaler. Gott, ich danke Dir!
Hier hob er den Kopf zu den Sternen auf und fühlte es heiß über sein Gesicht laufen.
Ein prostituirtes Mädchen, murmelte er, was wird die Welt sagen!
In diesem Augenblick sah er dicht am Flusse eine weiße Gestalt sich langsam fortbewegen. Es ging ein schmaler Steg über das Wasser hinaus, wo Schiffe landen konnten, dorthinauf ging die Gestalt. Ein Zittern ging durch Werner's Glieder, er sprang. von dem Fußweg und eilte herbei.
Jenny, rief er, unglückliches Weib, was thust Du!? Rette Deine unsterbliche Seele, Dein Kind, Mörderin! Im Namen Gottes, steige herab!
Sie streckte die gerungenen Hände zum Himmel aus und schien sie über den Kopf zu falten.
Es gibt keinen Gott! nein, es gibt keinen Gott! schrie sie gellend – ein dumpfer Fall, ein Aufschlagen des Wassers folgte. Das letzte schreckliche Wort glitt flüsternd über die Wellen hin, dann ein erstickter Schrei, eine plätschernde Hand, das weiße versinkende Kleid und Alles war still. Werner hielt die Augen starr auf den Punkt gerichtet, wo sie verschwunden war. Viele Sterne stürzten plötzlich aus dem Firmament und schienen in das Wasser zu fallen; es dunkelte vor den Augen des hülferufenden Mannes, er sank bewußtlos nieder.
Die schöne Morgensonne ging golden über den Wald. Welch heiterer lieblicher Tag, welche Lust, die frische Herbstluft einzusaugen; wie beneidenswerth, wer auf schnaubendem Roß die Waldwege durchkreuzt. Viele Spaziergänger standen still und sahen der schönen Recha nach, die so leicht den türkischen Schimmel lenkte. Willfried ließ seinen schwarzen Hengst daneben courbettiren, und Recha nickte ihm zu, daß die Lançaden des wilden Thieres ihn nicht im Sattel rücken konnten; dann sprach sie leise mit Richard an ihrer Seite, lachte laut und schlug ihr Pferd.
So, sagte sie, werden wir bald in den Bergen meiner Heimath umherstreifen, wenn die Hörner rufen und die Hunde die Fährte des Fuchses verfolgen. Es ist langweilig bei Euch und Eure Sitten gefallen mir gar nicht. Das Volk hat keine Hochachtung gegen die Vorrechte der Geburt, es dünkt sich als gleich, während in dem freien England die niedern Stände voll Ehrerbietung und Demuth sind.
Wir sind, wie wir sind, das Product der Stürme, welche Europa seit fast funfzig Jahren erschüttern, sagte Richard. Nach England drangen sie nicht.
Nein, rief sie, das ist es nicht, Ihr seid es, Ihr habt Euch selbst erniedrigt. In falscher Anmaßung habt Ihr die rechte Würde aufgegeben und Jedem erlaubt, sich als Eures Gleichen zu betrachten.
In einem Lande der Wissenschaft muß die Aristokratie der Bildung hohe Rechte genießen, sagte Richard lächelnd.
Wenn es die Bildung allein wäre, erwiderte sie, aber bei Euch ist Alles Aristokratie, oder will es sein. Ihr wißt die Kuckucksbrut nicht aus Euren Nestern zu werfen, und geht mit Leuten um, wo man sich in England die Hände wäscht, wenn man mit ihnen zufällig und unabweisbar in Berührung kommt. Ich gehöre nicht zu den Strengsten, aber ich muß auch Deine Schwäche tadeln, Richard, weil sie mich ärgert. Du sprichst mit dem niedern Volke, ja, Du reichst dem schmutzigen Pöbel die Hand, wie heut dem alten Bettler an Deiner Thür.
Es war kein Bettler, sagte er sanft, es war ein redlicher, tüchtiger Mann, den ich von Jugend auf kenne.
Gib ihm Geld, rief sie, aber nicht Deine Hand. Geld ist für diese Menschen das rechte Mittel, sie zu belohnen und in Ehrfurcht und Ergebenheit zu halten. Das ist die Art, wie man die Schranken erhält; nur keine Annäherung zu der Gemeinheit des Lebens. Nichts ist hassenswerther, nichts verächtlicher, als diese freiwillige Entwerthung.
Willfried, der voraus war, hielt sein Pferd an und deutete den Weg hinunter.
Was gibt es dort an der Brücke? rief er, was stehen die Menschen dort? Schnell drauf und dran, eine Neuigkeit, die wir sehen müssen.
Sie näherten sich rasch; viele Menschen hatten am Ufer einen Kreis gebildet, und mitten darin waren Fischer, welche scheltend den Leichnam eines Weibes aus den Maschen ihres Netzes lösten. Da lag sie auf dem sonnenvollen Rasen, so weiß und kalt, so still und schön, als schlafe sie. Die Furchtbarkeit und das Geheimnißvoll-Entsetzliche, das auf dieser Todten ruhte, schien selbst in der rohen Menge den Spott zu verscheuchen. Ein alter Mann tadelte laut die scheltenden Fischer.
Seid doch Christen, sagte er, und denkt nicht an die kleine Arbeit und Mühe. Das unglückliche Weib da hat eine so gräßliche That gethan, daß man lieber beten soll, Gott möge ihr verzeihen und Denen, die es vielleicht verschuldet haben.
Die Reiter hatten sich näher gedrängt, Recha wandte sich schnell ab.
Fort, sagte sie, eine Scene des menschlichen Elends, wir können hier weder beten, noch Geld vertheilen.
Aber Richard saß starr auf dem Pferde, alles Blut und Leben war von ihm gewichen. Er hörte nicht.
Fort mit Dir, flüsterte Willfried und ergriff die Zügel, hier ist kein Platz für Dich.
Er wendete das Thier um, aber mitten in dieser Bewegung sprang Richard ab. Er durchbrach den Kreis und kniete an der Leiche nieder. Langsam hob er ihren Kopf empor, strich das Haar von ihrer Stirn und suchte mit der Hand ihr Herz.
Da bin ich, murmelte er, da bin ich mit meinen unermeßlichen Schmerzen. Erwache Jenny, erwache! Du hast mir gesagt, Du fühltest meine Liebe, die allmächtig wiederkehrt, so richte Dich auf und siehe meine Liebe und mein Elend. Entsetzlicher Traum! O! warum hast Du mir das gethan?
Seine Lippen bewegten sich, aber Niemand hörte, was er sprach.
Lieber Herr, sagte der alte Mann, da ist alle Mühe umsonst. Hier hat nur der Todtengräber sein Amt zu verwalten.
Und ich, sagte Richard mit dumpfer Stimme, indem er aufstand.
Er blickte zurück, Recha und Willfried waren fort, der Diener hielt sein Pferd.
Sorge für diese Leiche, sagte er. Laß sie in das Haus dort bringen, hier ist Geld, spare nichts, ich werde für alles Weitere sorgen.
Wie er durch den Wald fortsprengte, fühlte er eine überirdische Kraft in seinem Herzen.
Nun will ich sie ewig lieben, sagte er, und die Thränen flossen über sein Gesicht, ewig um sie trauern; aber mein Gewissen klagt mich nicht an, ich schlage meine Blicke frei und stolz zum Himmel auf, ich frage laut: Wer klagt mich an? Wer wagt es, mich zu verdammen?
Dann drückte er die Hand auf seine heiße, schmerzende Stirn und sagte mit furchtbarer Gewalt:
Ich! ich!
Als er nach Hause kam, wurde Recha's Reisewagen so eben herausgezogen; der alte Baron kam verstört und zornig aus den Zimmern der stolzen Frau.
Nun, sagte der alte Herr, wir werden das Gespött der ganzen Welt sein, so ungeschickt hast Du Dich benommen. Geh und sieh, was Du gut machen kannst.
Da ist nichts mehr zu ändern und gut zu machen, erwiderte Richard. Recha hat, wie ich sehe, für immer zwischen uns entschieden. Ich lobe sie.
Der Vater faßte seinen Sohn an der Hand und hielt ihn fest. Ich befehle Dir, mich zu begleiten und um Verzeihung zu bitten! rief er.
Herzlich gern, versetzte Richard, aber Sie sollten uns diesen Weg sparen.
Wie er die Thür öffnete, stand Recha mitten in dem Zimmer und Willfried küßte zärtlich ihre Hände. Sie wandte sich rasch, ihr Gesicht strahlte vor Zorn.
Hier, sagte sie, stelle ich Ihnen meinen Verlobten vor, der mich in wenigen Stunden nach England begleiten wird. Ich weiß, wie ich getäuscht bin, und hoffe, Vetter Richard, Sie machen keine Ansprüche mehr an meine Hand.
Keine, sprach er. Gott mache Sie glücklich, Muhme Recha. Er kniete nieder und küßte ihre Hand; dann sah er ihr ins Gesicht und sagte leise: glücklich, wie ich es hoffte und wollte.
Sie blickte ihn vorwurfsvoll an. Plötzlich fiel sie um seinen Hals, küßte ihn heftig und weinte laut.
Geh, sagte sie; Gott segne, Gott behüte Dich! O, Richard! mußtest Du mich so gräßlich täuschen, mußte sich alles so enthüllen?! Geh, ich verzeihe Dir und will Dich nie vergessen. Sie riß sich los und eilte zu Willfried zurück, an dessen Schulter sie ihr Gesicht verbarg.
Du hast mir einen Dienst geleistet, Willfried, sagte Richard, obwol Du es nicht gut meintest; habe Dank. Nach dem, was wir gesehen, hätte ich Recha's Liebe aufgeben und ihr selbst sagen müssen, daß ich ihre Hand nicht annehmen könne. Genieße Dein Glück und suche sie glücklich zu machen. Lebewohl, Recha, lebe ewig wohl!
Drei Jahre hatte Richard Jenny betrauert. Sein Vater war todt, er hatte die reichen Güter in Besitz genommen, und mit Sohnesliebe für die verlassene Mutter seiner Geliebten gesorgt. Fast täglich hatte er sie besucht, und sein theilnehmender Schmerz, wie seine Sorgfalt hatten endlich Trost in das vereinsamte Herz der alten Frau zurückgeführt. Das Kind war ihre einzige Hoffnung, ihr Haltpunkt am Leben, das höchste Glück ihres Daseins. Richard hatte ihr versprechen müssen, es ihr nie zu nehmen, so lange sie lebe, und nun trieb ihn, der unerforschlich süße Trieb zu seinem Kinde hinaus, um es zu sehen, zu küssen, die kleinen Züge zu durchmustern, um Aehnlichkeiten mit seiner armen Mutter zu entdecken und über verschwundene Zeiten nachzusinnen. Je öfter er kam und je liebender und versöhnter die alte Mutter ward, um so mehr zog sich Werner zurück, der nach Jahr und Tag endlich eine Ehe schloß und dann gar nicht mehr erschien.
Als der alte Baron starb, nahm Richard das Kind und die alte Mutter in sein eignes Haus, und die Genugthuung, welche er Beiden in den Augen der Welt gab, erhöhte die Zuneigung zu ihm. Er hatte auch den stolzen, trotzigen Sinn seiner Jugend ganz abgelegt. Mit ernstem, festem Charakter verband er die Milde und Nachsicht eines vielgeprüften Menschen, den Alle ehren und lieben, weil sie wissen, daß die Leidenschaften ihn nicht erreichen. Endlich zog er ganz auf seine Güter, und getrennt von dem städtischen und weltlichen Getreibe, versenkte er sich in ein Naturleben, pflanzte, ordnete, verwaltete und gewann im rüstigen Schaffen die ganze Ruhe seines Lebens zurück.
So saß er einst in der Dämmerung eines reizenden Abends, seinen Sohn auf dem Schooße, dessen blonde Locken er streichelte und sich an dem unschuldigen Geplauder erfreute, als die alte Mutter hereintrat, die ihn lange betrachtete und ihn dann freundlich anredete:
Lieber, theurer Richard, sagte sie, ich muß Ihnen beweisen, daß ich in Wahrheit den Mutternamen verdiene, den Sie mir geben. Welche Rechte haben Sie, Ihr Leben so zu vereinsamen, da Sie doch vor Vielen berufen sind, es zu genießen? Sie leben hier wie ein guter Hausvater, rings umher ist Ihre Familie, für deren Glück und Freude Sie sorgen; denken Sie denn nicht daran, sich auch selbst zu beglücken?
Sie meinen, sagte er lächelnd, daß ich ein Weib wähle und mein Haus lebendig mache. Nein, werthe Frau; nach so viel Stürmen bin ich in einen Hafen gelaufen, von wo ich die theuer erkaufte Ruhe nicht noch einmal in Gefahr bringen will.
Ist das ein Seemann, erwiderte die alte Frau, der sein Schiff lieber alt und unbrauchbar werden läßt, weil er sich vor dem Meere fürchtet?
Ich habe geliebt, sprach Richard, und lebe für dies theure Kind.
Sie lieben noch, sagte die Mutter lächelnd und ihm drohend. Viele schöne Fräulein gibt es hier im Lande; sonst würde Ihnen doch wol eine gefallen?
Es gibt keine, welche die Mutter meines Knaben sein könnte, erwiderte er.
Das scheint Ihnen so, meinte sie, weil Ihre Gedanken immer weit über's Meer hinziehen.
Zu Recha, sagte er ruhig. Warum soll ich es leugnen? Ich habe Ihnen längst jede Falte meines Herzens enthüllt. Ja, ich habe sie geliebt in schrecklichen Stunden, ihr Andenken ist mir noch immer ein theures und heiliges. Jenny und Recha, sie wohnen Beide in meiner Seele. Der Kampf ist aus, es ist tiefer Friede in mir, ich denke an sie, wie an verklärte Freunde.
Bei einem Geräusch an der Thür sah er sich um und stieß einen Schrei aus, indem er die Hände wie nach einer Erscheinung ausbreitete.
Recha! schrie er, ist es Wahrheit, ist es eine Todesahnung?
Eine Ahnung neuen Lebens! rief Recha und sank an seine Brust. –
Erst nach einer langen Pause flüsterte er:
Wo ist Willfried?
Unser falsch geschlossener Bund ist aufgelöst, sagte sie. Mit einer reichen Jahresrente hab' ich mich losgekauft von meiner Verirrung, meiner hochmüthigen Verderbtheit, die mich unaussprechlich elend machte. Nun komme ich zu Dir, mein Richard, und frage demüthig: Willst Du mich annehmen? An Gottes Thron will ich es schwören, ich war immer Dein. Du liebst mich noch, ich habe es gehört. Laß mich Dein Weib, die Mutter Deines Kindes, Jenny's Schwester und die Tochter dieser edlen Frau sein. Nehmt mich auf! Nach so vielen Leiden und Schmerzen, Versöhnung in menschlich schöner Schwäche und Liebe!
Richard hielt sie entzückt an seinem Herzen und küßte sie wie mit erster Leidenschaft. Und Sie, meine Mutter, rief er, Sie segnen unsern Bund!
Die alte Mutter legte das Kind in Recha's Arme und küßte Beide.
Ich wußte ja Alles, sagte sie, ich hatte Recha seit einer Stunde gesehen. Meinen Segen und Jenny's Segen über Euch!