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[Erster Theil.]
Aus dem schneegrauen Himmel trat die Sonne und warf einen funkelnden Strahl auf das Meer. Der Kutter schoß so eben von einem Wasserberge in die Tiefe und tauchte dann auf den Spitzen einer ungeheuren Welle wieder empor. Seine weißen Segel glühten im Abendlichte, und die rothen Wimpel, welche vor einem Augenblick fast den Saum der Wogen berührten, flatterten stolz in den Stößen des Nordosts.
»Land! Land! die Küste der Normandie!« rief ein junger Seeofficier, der auf dem Hinterdeck stand und ein Fernrohr am Auge hielt. Auch der Matrose im Mastkorbe kündete es an, und auf dem Schiffe ward es lebendig. Mehrere Offiziere eilten aus der Kajüte hervor, und fünf oder sechs Passagiere folgten ihnen. Die Matrosen drängten sich auf den Gangwegen zusammen. Nach Seemannsweise drückten sich alle die Hände; Einige jauchzten laut, Andere betrachteten stumm und düster die fernen felsigen Berge, auf denen Schnee lag, der in der Abendsonne wie ein Sterngeflimmer funkelte.
Im lauten Gespräch dieser Gruppen bemerkte man kaum, daß der junge Kapitain des Schiffes eine Dame in Begleitung eines Jünglings heraufgeführt hatte, die unverwandt nach der nahenden Küste starrten. Beide waren jung und schön, ähnlich, wie zwei Geschwister es sein können, und doch verschieden durch die entgegengesetzten Charaktere, welche sich in ihren Zügen abspiegelten. Es waren stolze, schlanke Gestalten mit dunklem Haar und großen schwarzen Augen, aber in den einen brannte Begeisterung und Leidenschaft, die andern schimmerten trübe, und eine Thräne löste sich langsam von den Wimpern.
Sekt trat auch ein ältlicher Herr zu ihnen. Sein vornehmes, scharf geschnittenes Gesicht, der weiß gepuderte Kopf und sein gewandtes Benehmen verkündeten den Mann von Stande. Lächelnd ergriff er die Hand der jungen Dame, welche ihm zunächst stand.
Da ist Frankreich! sagte er, bald werden wir auf seinem Boden stehen und nach Jahren wiedersehen, was Du immer so sehnsüchtig wünschtest, meine Clementine.
Wie Vieles wird verändert sein, mein Vater, versetzte das Fräulein, und, wenn ich an die Gefahren denke, welche Dich treffen können, so ist meine Sehnsucht nach Frankreich verschwunden.
Wenn Du Dich fürchtest, mein Kind, so war es besser, Du bliebst in England, versetzte der alte Herr, und eine Falte zog sich auf seine Stirn.
Dann wandte er sich zu dem jungen Mann.
Zitterst Du auch, Jules? sagte er, und legte den Arm auf dessen Schulter.
Ich bin bei Dir, mein Vater, erwiderte dieser, und dort ist Frankreich, unser Vaterland, herabgewürdigt und von Räubern beherrscht. Unser Unternehmen ist schön; was ist erhabener, als den Tod für eine große Sache zu leiden! Wer an Verschwörung denkt, muß ihn nicht fürchten, sagt Seneca.
Ich muß Dich umarmen, rief der alte Herr entzückt. Du sprichst wie ein echter Franzose und wie mein Sohn. Lerne von ihm, Clementine, wie eine Villeneuve denken muß.
Das sanfte zaghafte Kind versuchte zu lächeln, ihr Bruder aber zog sie in seine Arme und küßte zärtlich ihren blassen Mund.
O! sie ist gut, sagte er, sie empfindet wie ich, aber ihr sanftes Herz ist mächtiger, als ihre Vorsätze. Schon sieht sie uns verrathen, entdeckt, in den Kerker geschleppt und dann zum Blutgerüste. Sie zittert nicht für sich, nur für uns, für Dich, mein Vater; ich kenne meine Clementine.
Der alte Herr küßte gerührt die schöne Stirn seiner Tochter.
Ihr habt mich begleiten wollen, sagte er, nun müßt Ihr ausdauern, was auch erfolgen mag. Doch so schlimm ist es nicht, wie Ihr meint. Wir haben wachsame und thätige Freunde, die uns erwarten, und sind wir erst in ihren Händen, so ist wenig mehr für unsere Sicherheit zu fürchten. – Was ist das dort für eine Stadt, Kapitain, deren Thürme aus den Wellen aufsteigen? fragte er den Offizier, welcher den Lauf des Schiffes zu beobachten schien.
Es ist Dieppe, Herr Vicomte, versetzte dieser, und dort hinter den Felsen liegt Beville. Wenn wir jene Spitze erreicht haben, können wir durch eine Schlucht die letzten Häuser des Dorfes sehen.
Eine lange Pause folgte.
Werden wir heute noch landen können? fragte der Vicomte endlich.
Der Kapitain warf einen Blick auf die rasch ziehenden Wolken und die Wellen des Meeres.
Nur wenn der Wind mit der Nacht schwächer wird, ist es möglich, sagte er.
Und jeder Tag ist ein verlorner! rief der Vicomte ärgerlich.
Sie gehen gerade nach Paris? fragte der Offizier.
Gerade nach Paris, Kapitain Wright, sagte der Vicomte. Man wird mich sehnlich erwarten.
Und Ihre Tochter, Herr Vicomte! fuhr der Engländer fort. Haben Sie auch die Gefahren bedacht, welche sie treffen können?
Sie, Kapitain, rief der Vicomte lachend, Sie, ein Seemann, sprechen von Gefahren! Paris ist der sicherste Ort in Frankreich. Sehen Sie, George und Pichegru Georges Cadoudal (häufig einfach Georges genannt) landete am 21. August 1803 mit Jean-Charles Pichegru und anderen royalistischen Parteigängern an der Küste der Normandie in der Absicht, ein Attentat auf den Ersten Konsul Napoléon Bonaparte auszuführen. Sie gelangten in Verkleidung bis nach Paris. Die Verschwörung wurde aber entdeckt und Pichegru am 28. Februar verhaftet. Die Suche nach Cadoudal führte dann dazu, dass der Anführer am 9. März 1804 verhaftet wurde. Im Kriminalprozess eines Mordanschlags auf den Ersten Konsul für schuldig befunden, wurden er und seine Mitverschworenen am 10. Juni 1804 zum Tod verurteilt und am 25. Juni durch die Guillotine hingerichtet. Pichegru allerdings hatte man bereits am 5. April 1804 in seinem Kerker im Temple an seinem Halstuch erhängt gefunden. Ob durch eigene Hand oder auf Befehl Bonapartes blieb ungeklärt. sind seit sechs Monaten dort, Réal und Fouché Pierre-François Réal war von Napoleon zum Staatsrat in der Justizabteilung gemacht worden, wo er an der Ausarbeitung des Zivilgesetzbuchs (›Code Napoléon‹) mitwirkte. Im Jahr 1804 war Réal verantwortlich für die Untersuchung der Verschwörung von Georges Cadoudal und Jean-Charles Pichegru zur Ermordung Napoleons. – Joseph Fouché war zunächst während der Zeit der Revolution ein ebenso gewiefter wie skrupelloser Politiker; er machte sich später durch Spitzel-Wissen stets für die Machthaber unentbehrlich und wurde so im Kaiserreich und anschließend in der Restauration Polizeiminister. Während der Planung des Attentats auf Napoleon war er jedoch bei diesem in Ungnade gefallen; als Polizeiminister wurde er erst am 10. Juli 1804 wieder eingesetzt. Insofern fällt in der Novelle sein Name in besagtem Zusammenhang zu Unrecht. hetzten die ganze Bande der Spürhunde auf sie, und haben sie doch nicht entdecken können. Es gibt da so viele Schlupfwinkel, so viele Fuchslöcher, daß, wenn eins verloren geht, zehn neue sich aufthun.
Es gibt Fuchslöcher, sagte Wright bewegt, aber sie sind nur für den Fuchs gut. Denken Sie auch daran, daß diese zarte Natur leicht den unerhörten Anstrengungen und Entbehrungen erliegen kann, daß Angst des Gemüths und Schrecken vielleicht sie tödten wird, noch ehe die rohe Faust eines Häschers sie ergreift?
Der alte Herr stand nachdenkend und Wright faßte mit großer Wärme seine Hand.
Ihr Vorhaben, mein Herr, fuhr er fort, ist zu edel und erhaben, um etwas dagegen zu sagen; aber ist es recht, daß Ihre ganze Familie Ihr Schicksal theile? Ihr Sohn steht noch auf der Grenze der Jünglingsjahre, und mit ihm erlischt ein altes Geschlecht; Ihre Tochter, wenig älter und schwächer noch als er, wird, wenn Sie ein Unfall trifft, vor Kummer sterben, selbst wenn das Gesetze sie verschont. Ich beschwöre Sie, noch ist es Zeit. Folgen Sie dem Rufe des Schicksals und den Aufträgen Ihres Herrn, des Königs, aber vertrauen Sie mir Ihre Kinder an; erlauben Sie nicht, daß sie den Fuß auf jene Felsen setzen. Dies schwankende Schiff ist tausendmal sicherer als jene Granitblöcke. Ich führe sie nach England zurück, und begünstigt der Himmel Ihr Unternehmen, so finden Sie Ihre Kinder wohlerhalten wieder. Welche ängstliche Sorgen müssen stets Ihr Herz erfüllen, wenn Sie bedenken, daß das Theuerste mit Ihnen zugleich bedroht ist. Ich stelle mir vor, daß dieser Gedanke schon die ruhige Kühnheit Ihrer Handlungen beeinträchtigen muß. Sie werden und müssen meinen Vorschlag annehmen.
Der Vicomte sah einen Augenblick still vor sich nieder; dann reichte er dem Seemann herzlich die Hand.
Sie sind ein edler Mann, Kapitain Wright, sagte er, und ich fühle ganz die Wahrheit in Ihrer Rede. Antwortet Ihr, meine Kinder. Wollt Ihr den Vater begleiten oder verlassen? Rede Du, Jules.
Ich hoffe, rief der junge Mensch, – und eine stolze Scham glühte auf seinen Wangen, – Du weißt meine Antwort schon. Wollte der Himmel, ich hätte Flügel, um nicht warten zu dürfen, bis ein elendes Boot mich zu jenem Felsen brächte.
Und Du, Clementine? sagte der Vicomte.
O! mein Vater, rief das Fräulein, und umarmte ihn mit Innigkeit, wo könnte ich anders sein, als bei Dir!
Der Vicomte warf einen begeisterten Blick auf den Offizier.
Glauben Sie noch, Kapitain Wright, sagte er, daß diese Kinder mir den Muth zum Handeln nehmen werden? Sie werden mich stärken, mich kühn machen und meine treuen Gefährten sein. Fürchten Sie nicht zu viel von der Gefahr. Moreau ist durch Pichegru gewonnen, Tausende sind bereit, das Schwert für den rechtmäßigen Herrn zu ziehen. Es bedarf nur einer kühnen That; nur das Haupt dieser Brigands zertreten und das ganze Ungeheuer ist vernichtet.
Der Kapitain sah ihn mit einem ungläubigen und traurigen Lächeln an. Wollte Gott, daß Sie Recht hätten, sagte er dann; aber nun kreuze ich fast seit einem Jahre hier vor Dieppe und habe sie Alle hinüber gebracht; den riesenhaften George, den lahmen kleinen Lojalais, Pichegru, den klugen Eroberer Hollands, den tapfern Rivière, den edlen Polignac und viele andere Männer von Kraft und hohem Sinn, und was haben sie Alle bis jetzt gethan?
Unser Vorhaben, sagte der Vicomte, will wohl überlegt und sorgsam ausgeführt sein, mein lieber Wright; allein wir haben Nachrichten, daß die Stunde der Vergeltung vor der Thür ist. Wenn Monseigneur von Artois seinen Fuß auf diese Küste setzt, wird der Jubel Frankreichs ihn empfangen.
Ich fürchte, versetzte Wright finster, man hat Se. Königliche Hoheit absichtlich getäuscht, und zu spät werden Sie selbst erfahren, daß Frankreich bei weitem nicht die guten Gesinnungen hat, welche man ihm zutraut.
So muß man die verstockten Bösewichter mit dem Schwerdt bekehren, rief der junge Villeneuve.
Vor wenigen Wochen erst, fuhr der Kapitain fort, verfolgte ich auf der Höhe von Jersei eine Fischerbarke und nahm sie. Ich machte dabei die interessante Bekanntschaft eines Mannes, der sich als fliehender Royalist ankündigte, Escadronchef sich nannte, der aus dem Tempel entsprungen sei, und in märchenhafter Weise mir betheuerte, daß es nur eines königlichen Prinzen bedürfe, um in Paris die Contrerevolution zu beginnen. Ich setzte den Herrn bei Plymouth ans Land, und fand am nächsten Tage zufällig ein Notizenbuch, aus welchem ganz andere Dinge hervorgingen.
Und was lasen Sie darin, Kapitain? fragte der Vicomte lebhaft.
Daß Sie alle in London mit Verräthern und Spionen umgeben sind, erwiderte Wright kalt; daß Fouché und Buonaparte täglich ihre Geschöpfe herüberschicken, um endlich einen königlichen Prinzen nach Frankreich zu locken. Hat er einen solchen dort, dann wehe ihm! er wird nie wieder Paris verlassen.
Glauben Sie wirklich an solche Schurkerei, Kapitain? rief der Vicomte lächelnd.
Wie an mein Leben, versetzte der Engländer. Ja, ich glaube fast, daß George, Pichegru und die Andern längst in den Händen dieser raffinirten Polizei waren, wenn man nicht noch einen größern Fang zu thun dächte.
Der Vicomte war sichtlich erschüttert über diese Mittheilung, aber leicht siegte der angeborne Stolz und das französische Blut.
Dieser Mensch, der sich erster Konsul nennt, sagte er, hat viel gewagt; es ist ein verwegener, blutdürstiger Abenteurer, aber seine Hand an das geweihte Haupt eines königlichen Prinzen zu legen, das wagt er nicht, das darf er nicht wagen, denn ganz Frankreich würde ihn verwünschen.
Denken Sie an den unglücklichen König Ludwig, sagte Wright leise.
O! mein Herr, wecken Sie nicht die traurigsten Erinnerungen meines Lebens, versetzte der Vicomte verdüstert. Ich werde selbst hören und sehen. Darum bin ich gesandt, und dem Himmel sei Dank! im schlimmsten Falle sind die Glieder des königlichen Hauses so sicher, daß die Klauen dieses Tigers sie nicht erreichen können.
Der Kutter hatte inzwischen seinen Lauf längs der Küste fortgesetzt und sich ihr beträchtlich genähert. Das hohe felsige Ufer zog sich unabsehbar hinab, ohne irgend eine Bucht, oder einen Landungspunkt zu bieten. Jäh stürzte es in Zacken und Klippen nieder, und eine furchtbare Brandung schäumte daran empor. Als sie Dieppe gegenüber waren, hörten sie den dumpfen Donner eines Kanonenschusses, der aus einem der Hafenbollwerke kam. Kapitain Wright beobachtete mit dem Glase die Küste und sagte dann lächelnd:
Sie bewillkommnen uns, wie es sich gehört. Dort unten haben sie eine Strandbatterie errichtet; wir müssen uns hüten, ihr zu nahe zu kommen.
Und was bedeutet das Schießen? fragte Clementine leise.
Es ist ein Zeichen für die ganze Schaar der Küstenwächter, aufmerksam zu sein, versetzte Wright. Man hat uns entdeckt, und bald werden die Telegraphen in den alten Thürmen ihre gespenstischen Arme ausstrecken, um Befehle zu empfangen und Antwort zu ertheilen, ob irgend sonst etwas Verdächtiges zu erblicken sei.
In wenigen Minuten erfolgte, was der Engländer vorhergesagt. Die alten Thürme auf der Höhe der Felsen, in Zeiten erbaut, wo Normannen und Afrikaner diese Meere durchschwärmten, steckten bunte Flaggen und Zeichen aus, und plötzlich erschienen auf einer Klippe mehre Reiter, die aufmerksam mit einem Fernrohr das feindliche Schiff beobachteten.
Das ist ein neuer schmeichelhafter Beweis unserer Wichtigkeit und ihrer Furcht, sagte Wright. Es müssen Offiziere aus Dieppe sein, die jede Spiere und Stange so genau besichtigen, als wollten sie von uns einen Steckbrief entwerfen. Wir müssen wenden und uns unsichtbar machen.
Sollten sie Verdacht schöpfen? murmelte der Vicomte.
Wir wollen die Lichter unserer Verbündeten erwarten, versetzte der Kapitain. Gerade vor uns ist der Landungsplatz.
Mit Schrecken betrachtete Clementine das unwirthliche Gestade. Höher als an anderen Punkten hoben sich die düsteren Felsenmassen mehrere hundert Fuß empor. Es waren senkrechte Wände und Klippen, die nackt ins Meer niederstürzten und dem ängstlichen Auge keinen Anhaltspunkt, keinen Steg, nicht einen Vorsprung oder einen Ginsterbusch zeigten, der helfend aus einer Spalte hervorgewuchert wäre. Die Wellen schlugen wild an diese starren Rippen der Erde; zerpeitscht von der Gewalt des Kampfes flog der Schaum hoch an ihnen hinauf, und zwischen dem Brausen und Aechzen hörte die junge Emigrantin jetzt die kurzen, raschen Kommando's, welche von allen Seiten des Schiffes wiederholt, von der Pfeife des Bootsmannes und dem Geschrei der Matrosen begleitet, plötzlich dem Kutter eine andere Richtung gaben.
Bisher floh er leicht auf den Wellen hin, jetzt kämpfte er dagegen an. Hart an den Wind gelegt, zerschnitt er die hohen Wogen. Seine Leeseite tauchte nieder, seine Jagers und Stags wurden gegeit, seine Tops sanken zusammen, die Gangwege standen hoch unter Wasser, Sturzseen schlugen über den Bug und rollten bis zum Quaterdeck auf. Die schlingernde Bewegung und schiefe Lage des Schiffs machte Jeden für seine Sicherheit besorgt, Alle hielten sich an dem Netzwerk, und als der Kutter sich einen Augenblick aufrichtete, faßte Kapitain Wright die Hand Clementinens und führte sie rasch in die Kajüte hinab.
Als er sie sorgsam zu einem der Seitenkanapee's geleitet hatte, stand er einen Augenblick sinnend vor ihr. Die Schiffslampe an der Decke warf ihr Licht auf das schöne, bleiche Gesicht der jungen Französin, draußen tobten die Wellen an die Bordseiten, die Planken und Balken zitterten unter den Stößen.
Gibt es eine Gefahr für uns, Herr Wright? fragte Clementine verwirrt, als sie seinem Blicke begegnete.
Wollte der Himmel, ich könnte Sie begleiten und jede Gefahr mit meinem Leben abwenden, sagte er heftig, oder ich könnte so glücklich sein, Sie nach England zurückzuführen. Aber wenige Stunden noch, und nichts bleibt mir in diesem einsamen Schiffe, als die Erinnerung. Ja, theure Clementine, nichts als ein ewig schöner Traum, der mein Leben bis zum letzten Athemzuge umschweben wird.
Er küßte die Hand, welche sie ihm willig überließ.
Wir werden uns wiedersehen, sagte sie leise.
Wann, wann?! rief Wright schmerzlich; auf Erden niemals!
Ein heftigeres Schwanken des Kutters ließ ihn verstummen. Kein Ort der Erde ist ungünstiger für ein Liebesgespräch, als ein Schiff am Winde. Die Anstrengung Clementinens, welche mit Mühe ihren Platz behauptete, forderte ihn zu ihrer Unterstützung auf. Er beugte sich zu ihr nieder, sie hielt sich krampfhaft an ihm fest; seine Wange streifte die ihre, sein Mund berührte die zitternden Lippen.
Theuerste Clementine, flüsterte er, es ist ein ewiger Abschied, den ich nehme.
Im nächsten Augenblicke sprang er empor; der Vicomte stieg herab, sein Sohn und Andere folgten, Clementine zog sich in ihr Cabinet zurück. Die Nacht sank nieder, der Kutter stellte sein Kreuzen ein, und während er sich der Küste von Neuem näherte, bereitete sich jeder, auf den ersten Wink das Schiff zu verlassen.
Mitternacht nahte heran, als der wachthabende Offizier den Kapitain aufs Verdeck rief. Der Wind hatte sich gelegt, aber die Wellen gingen hohl und schwer. Tiefes Dunkel lag auf dem Meere, und zwischen dem eintönigen Rauschen der Wogen hörte man den fernen Schlag der Brandung. Wright öffnete die Lampe am Compaß und sah nach der Uhr. Es war zwölf.
Es ist nichts, sagte er, und ein Gefühl der Freude stieg in seinem Herzen auf. Unsere Freunde lassen uns ohne Zeichen, es muß nicht sicher sein. Wir werden bis morgen warten müssen.
Plötzlich fuhr ein heller Strahl herüber; ein Lichtglanz, der aus einem Felsenwinkel brach.
Da ist das Licht, Sir, sagte der Offizier der Wache. Soll ich die Boote niederlassen?
Noch nicht, Sir, versetzte Wright gepreßt. Wir müssen die anderen abwarten.
Da sind sie alle drei, rief der Offizier.
Die Flämmchen brannten in der überhängenden Wölbung, nur vom Meere aus bemerkbar, und mit einem Seufzer gab der Kapitain den Befehl zur Ausschiffung.
Als er in die Kajüte zurückkam, war alles gerüstet. Der Marquis, sein Sohn und drei andere geringere Leute hatten sich in ländliche Tracht geworfen. Dunkle Mäntel umhüllten sie, die Gesichter waren unter breiten Hüten versteckt, Jeder hatte seine Effecten in einen Packen gebunden, der, über die Schultern gehängt, ihnen das Ansehen von Schmugglern gab. Im Gürtel aber steckten Pistolen und krumme, kurze Seemannsmesser wurden vertheilt.
Bist Du bereit, Clementine? fragte der Vicomte, und klopfte an das Kabinet.
Sogleich trat sie hervor, metamorphosirt zu einem jungen Burschen der Normandie. In dieser entscheidenden Minute war die bleiche Besorgniß von ihren Wangen verschwunden. Eine frische Röthe färbte sie, und lächelnd reichte sie ihrem Vater die Hand.
Hier ist Dein Clemenz, rief sie, und legte die Hand an das Pistol, wehe Dem, der es wagt, ihm in den Weg zu treten.
So will ich Dich, rief der Vicomte entzückt; und nun vorwärts, um Deinen Muth zu erproben.
Während sie auf dem Deck an der Treppe des Schiffes sich sammelten, hatte Wright mit acht seiner besten Leute das Boot bemannt, das auf den Wellen tanzte. Dann rief er seinen ersten Lieutenant.
Leslaw, sagte er, ich übergebe Ihnen das Kommando, ich selbst werde das Boot begleiten.
Sie, Sir? sagte der Lieutenant, ich muß bemerken, daß das Gesetz –
Ich weiß, was Sie sagen können, rief Wright, aber diese Menschen sind mir allzutheuer; ich kann sie nicht eher verlassen, bis ich sie sicher unter Freunden weiß. Sie wissen, Leslaw, daß es Gefühle gibt, welche weit über alle Gesetze erhaben sind.
Der Lieutenant drückte ihm stumm die Hand und Wright sprang schnell in das Boot. Rasch entfernte es sich von dem Schiffe, und nahm seinen Weg gerade auf die Lichter und auf einen der alten Thürme los, dessen kleine, erleuchtete Fenster es deutlich bewiesen, daß Strandwächter ihn bewachten.
Alle Ruder waren umwickelt, Niemand sprach ein Wort. Erst als in der Nähe der Brandung der Kapitain mit gedämpfter Stimme befahl, mit aller Macht einzusetzen, erkannte Clementine, die dicht in seiner Nähe saß, daß er es sei, der das Steuer führe.
Sie streckte die Hand nach der seinen aus, er faßte sie und bedeckte sie mit seinen Küssen. Die Wogen der Brandung rauschten, schwarz hoben sich die Felsenmassen vor ihnen auf, aber mitten in der Gefahr waren Beide glücklich in dem süßen Gefühl des Augenblicks, der ihre Herzen über alle Schrecken erhob.
Wenige Minuten und der Kiel stieß leise an, die harte Klippe, dicht unter dem Felsen. Die Fluth war hoch und ließ den Rand keinen Schritt breit trocken. Mehrere Matrosen sprangen hinaus und hielten das Boot.
Zieht es dort an den Vorsprung, sagte Wright, dort muß die Leiter sein.
Alle erkannten ihn jetzt, aber Jeder schwieg.
Noch suchte man nach dem Gegenstande, der allein ein Ersteigen dieser Wand möglich machte, und mit leisen, aber kräftigen Flüchen versicherten die Seeleute, daß nichts zu finden sei, als ein dunkler Körper von der Spitze des Felsens rauschend und schwankend niederfiel. Es war ein starkes Tau, das sich im Fallen aufringte und mit seinem untern Ende plötzlich zwischen den Seeleuten den Boden berührte. Ein leichtes aber scharfes Pfeifen begleitete den Fall und starb im Rauschen des Meeres. Gleich darauf sah man eine dunkle Gestalt den Felsen hinabgleiten, schattenartig huschte sie an dem Seile nieder, im nächsten Augenblick war sie bei dem Boote.
Macht schnell, sagte eine flüsternde Stimme. Alles ist richtig, sie erwarten Euch.
Bist Du es, Troche? fragte der Kapitain.
Meiner Treu! Kapitain Wright, rief der junge Kerl erstaunt, ich bin es, aber ich wundere mich mehr, Sie hier zu sehen, als meine eigene Person, so lang und breit sie ist.
Was nicht viel zu bedeuten hat, versetzte Wright spöttisch.
Bah! rief Troche, wir können nicht alle Beefsteak essen und Porter trinken, um dick und groß zu werden, wie die – Er unterdrückte die Beleidigung, welche folgen sollte, mit einem maliziösen Lachen.
Nun geschwind, fuhr Troche fort, es ist kalt hier, wie in Grönland, aber in Bajols Hause steht ein warmer Ofen und ein gedeckter Tisch. Rasch, meine Herren, fassen Sie das Tau, das vielen hundert tüchtigen Männern schon weiter geholfen hat.
Wie zum Teufel! sagte der Vicomte, die Wand ist glatt wie ein Spiegel, und unsere Hände sind von Frost erstarrt.
Ohne Mühe und Gefahr kommt man nicht nach Frankreich, versetzte der kleine Mensch, allein es sieht gefährlicher aus, als es ist. Das Tau ist fest verkettet, von Schritt zu Schritt finden Sie kleine Stufen und, wo es geht, eingekeilte Pfähle, auf welchen der Fuß ruhen kann. Man hat nichts zu thun, als sich festzuhalten, um nicht auszugleiten; ich sage Euch, nur wer die Stufe verfehlt, stürzt hinunter.
Und es gibt keinen andern Weg? fragte der Vicomte und blickte mit Besorgniß auf Clementine.
Ja, sagte Troche lachend, wer einen guten Paß hat, kann bequemer in Treport oder in Dieppe landen; wer aber heimlich zu uns will, steigt seit hundert oder tausend Jahren hier auf, und wer Furcht hat, kehrt um.
Du bist ein Narr, Troche, sagte Wright streng, aber er hat Recht; Sie müssen hier hinauf; einen andern Weg giebt es nicht.
In Gottes Namen dann. Folgt mir! rief der junge Villeneuve.
Gewandt kletterte er empor, und leise folgten die Andern. Eine Kette kühner Männer schwankte in der Finsterniß an dem Seile, der schwache Blick erkannte sie bald nicht mehr.
Gute Nacht, Kapitain Wright, sagte Troche, ich bin der letzte und ringe das Tau auf. Ihre Fracht wird gut aufgehoben werden.
Diesmal hast Du Dich getäuscht, versetzte der Engländer. Ich begleite meine Gäste bis zum Hause.
Er befahl sechs seiner Leute, ihm zu folgen, den beiden Zurückgebliebenen aber, Boot und Leiter genau zu bewachen.
Kapitain, rief Troche, und faßte seine Hand, bleiben Sie unten, das Zurück ist hier gefährlicher, als das Hinauf.
Ohne eine Erwiderung ergriff Wright das Tau und schwang sich leicht empor; die Matrosen folgten.
Nun meinetwegen, brummte der kleine Franzose, kommt nur mit, kommt Allee, Ihr seid werthe, gerngesehene Gäste.
Ohne Unfall hatten sie den Gipfel des Felsens erreicht. Kalt blies der Nachtwind auf dieser hohen, schutzlosen Fläche, die mit leichtem, aufwehendem Schnee bedeckt war. Kaum hundert Schritt von ihnen ragte der schwarze, alte Thurm empor, und vorsichtig hatten sich alle auf dem Felsboden im Schnee gelagert, um den Führer zu erwarten.
Als Troche hinauf war, blickte er scheu nach allen Seiten umher, und wollte dann in einen Seitenspalt schnell hinabrutschen, als eine starke Hand seine Schulter faßte.
Wohin, mein Freund? fragte die tiefe, gedämpfte Stimme Wright's.
Die Lichter auslöschen, Kapitain, versetzte er, und meinen kleinen Kameraden Pagert abrufen, der dort unten Wache hält.
Dieser Mühe sollst Du überhoben sein, erwiderte Wright. Williams und Burnes, steigt hinab und holt den Jungen. Dann bleibt versteckt in dem Spalt und bewacht die Leiter.
Was soll das heißen, Kapitain? sagte Troche lachend. Sie thun, als sei ich ein Verräther, und werden mein Kleid zerreißen.
Hör' mich an, Troche, flüsterte der Engländer. Ich habe eine Ahnung, und gut für Dich, wenn sie falsch ist. Täusche ich mich, erhältst Du zehn goldne Pfund über Deine Gebühren; wo nicht, ein halbes Loth Blei aus diesem kleinen Rohre.
Bah! Kapitain, rief Troche, Sie kennen mich. Mein Vater, der alte Uhrmacher in Treport, würde mich verfluchen, wenn ich einen Diener des Königs ins Unglück brächte, und das wirkt mehr als Ihr Geld. Kommen Sie, dort ist der Hohlweg, und in zehn Minuten sind wir in Bajols Hause. Die Zögerung hier bringt am leichtesten Gefahr, denn dort im Thurme sind die Strandwächter auf der Lauer, und seit der Kutter heut so früh sich zeigte, streifen Patrouillen an der ganzen Küste.
Dann hättest Du Deine verdammten Lichter morgen anstecken sollen, sagte Wright.
Nein, nein, lachte der junge Franzose, es hat keine Gefahr von diesen Faulbäuchen.
Leise führte er ihn bis an den Thurm, und als sie an dem Gestein emporkletterten, sahen sie die Wächter schlafend und rauchend in dem düstern Gemache. In demselben Augenblicke erhob sich einer von ihnen und näherte sich dem Fenster.
Leise schlüpften die nächtlichen Gestalten an dem alten Gemäuer vorüber und drangen unter Troche's Führung in den Hohlweg. Hinter sich hörten sie die schweren Tritte der Wache und das Klirren ihrer Waffen, aber vor ihnen blitzte ein helles Licht aus den Fenstern eines niedrigen Hauses, das am äußersten Ende des armen Fischerdörfchens lag.
Nach wenigen Minuten strichen sie durch den kleinen Vorgarten, und ein Blick in das helle Gemach überzeugte Alle, daß man auf ihre Ankunft vorbereitet war. Ein weißes Tuch bedeckte den großen Tisch in der Mitte, und feines Brod, Butter, gefüllte Weinflaschen und Gläser waren darauf geordnet.
Da steht schon der Imbiß, sagte Troche, Bajol weiß, was seinen Gästen wohl thut. Nur herein, meine Herren, der höfliche alte Kerl wird auch sogleich mit seinem heißen englischen Grog erscheinen.
Unter dem dunkeln Vorraum stand eine hohe Gestalt hart an den Pfosten gelehnt. Es war, als schliefe dieser Wächter, denn Troche rüttelte ihn empor.
Bist Du es, alter Pierre? flüsterte der kleine Franzose.
Ich bin's, Troche, erwiderte eine rauhe, tiefe Stimme.
Nun zum Teufel, so geh' aus dem Wege, großer Tölpel und rufe Deinen Meister, rief Troche. Es wird Arbeit geben, hier sind mehr Gäste, als wir dachten.
Der große Mensch trat tiefer in den Schatten und ließ sie alle hinein. Das kleine Zimmer war behaglich warm, und ermattet von den Anstrengungen und der heftigen Bewegung des Gemüths sanken die Flüchtigen erschöpft auf die groben Holzstühle. Die nächtliche Kälte hatte ihre Glieder fast erstarrt, und nur die Angst ihrer Herzen wollte dem ersten wohlthuenden Gefühl der Sicherheit unter einem warmen Obdache nicht sogleich weichen.
Nur der alte Herr ging rüstig auf und ab und scherzte mit seinen Gefährten, und während er ihnen versicherte, daß sie jetzt bis Paris Stationen finden würden, wo treue Freunde, wie diese hier, ihrer harrten, flüsterte Wright mit Clementinen, und seine Blicke, voll innigen Mitleids und heißer Liebe, hingen an ihren zitternden, frosterstarrten Lippen.
Der kleine Troche dagegen lief hin und her, und rief bald zur Thür hinaus nach dem heißen Punsch, bald schwatzte er von den Gensd'armen in Treport und den Haussuchungen in Eu, horchte am Fenster und drängte sich dann neugierig um den englischen Offizier, bis dieser ihn mit einem vielsagenden Blicke zu entfernen strebte.
Nun, Kapitain Wright, rief Troche und blieb mit einem triumphirenden Lächeln stehen; ich hoffe, Sie sind zufrieden mit meinen Diensten.
Allerdings, mein kleiner spottsüchtiger Taugenichts.
Nun denn, Kapitain, sagte Troche, und knüpfte seine blaue Seemannsjacke zu, ich dächte jeder von uns hat ein Versprechen zu halten.
Er streckte dem Engländer die offene Hand entgegen, und dieser zog lachend die Börse und reichte ihm den zugesagten Lohn.
Nimm das, sagte er, und doppelt so viel soll Dein sein, wenn Du mir beim nächsten Male ein Briefchen von diesem jungen Mann hier bringen kannst, daß mir seine glückliche Ankunft in Paris meldet.
Troche warf einen stechenden Blick auf das feine blasse Gesicht. Er stierte neugierig hinein und wandte dann sein Auge erstaunt wieder fort.
Oho, rief er, gewiß, Kapitain! Sie sollen hören, wie es dem jungen Herrn geht.
Jetzt trat Bajol mit einer großen, dampfenden Bowle in die Stube. Es war ein alter, schlichter Seemann, der treuherzig Allen die Hand reichte und ihnen zur glücklichen Ankunft gratulirte.
Nun rasch getrunken und gegessen, sagte er, Ihr müßt fort, je eher je lieber, denn niemals haben die Galgenvögel, die Strandwachen und Gensd'armen, armen Leuten das Leben saurer gemacht.
Was soll das heißen, Alter? sagte der junge Villeneuve.
Bajol betrachtete den jungen Schleichhändler mit einem Achselzucken.
Zum Henker! sagte er, wärt Ihr wie früher, Leute mit Schultern, wie der heilige Christoffel, so möchte es angehen; wir haben in unsern jungen Tagen uns oft vor einem ganzen Regiment Grünröcke nicht gefürchtet; aber solche Kinder, wie Du, mein Sohn und Andere, die jetzt ihre Waarenpacken die Leiter heraufbringen, können es nicht mit ihnen aufnehmen.
Antworten Sie nicht, flüsterte Wright, der Alte ist nicht im Geheimniß. Er sowohl wie seine Hausgenossen glauben fest, nur mit wahren Schleichhändlern zu thun zu haben.
Und der Teufel weiß, was sie wollen, fuhr Bajol fort. Heut gegen Abend steh ich draußen an der Hecke, mit einemmal sind sie da. Ich hörte die Pferde schnauben und sah mich um. Es war ein ganzes Dutzend grüne Röcke, rothe Rabatten, weiße Schnüre daran und blanke Helme; diese Art hatte ich hier noch nicht gesehen.
Gensd'armen der Elite aus Paris, sagte Wright heftig, und griff nach den Pistolen. Was wollten sie?
Das frag ich Euch, sagte der Alte. Es war ein Offizier dabei, ein großer junger Mann, listig wie ein Satan, der mich hundertmal guter Bajol nannte, und hier jeden Winkel durchstöberte. Aber Bajol ist auch nicht dumm; von mir erfuhr er nichts, und nach einer halben Stunde zog er ab.
Hörtest Du nicht, wie er hieß? fragte der Vicomte.
Wart, sagte der Alte, Einer nannte seinen Namen. Wo ist Troche, der muß es wissen; er führte die Schelme durch den Hohlweg ans Meer.
Troche? rief Wright, wo ist er?
Der kleine Franzose war verschwunden.
Halt! sagte Bajol, jetzt weiß ich's, er hieß Savary.
Bei diesem Namen sah Wright den Vicomte an, der erbleichend zurücktrat.
Keinen Augenblick verloren, rief er, zurück zu der Leiter der Schleichhändler, hier ist Verrath; Gott verhüte, daß es zu spät ist. Hierher Bajol, wo ist Dein großer Knecht Pierre, der an der Thür stand?
Pierre? sagte der alte Matrose, ich habe keinen Knecht.
Wright faßte Clementinens Hand. Mir nach, rief er, meine Ahnung täuschte mich nicht.
Er wollte die Thür öffnen, sie wurde von außen festgehalten, aber mit Riesenkraft riß er sie auf. Zwei Gestalten standen draußen, ihre Mäntel sanken von den Schultern. Wright sah die Helme blitzen: in demselben Augenblicke klirrte hinter ihm das Fenster, mehre Schüsse fielen und schnell drückte er sein Pistol auf die Gegner ab.
Es war ein Kampf, der im Dunkel der Nacht geführt wurde. Ein schwer Verwundeter hatte im Fallen Tisch und Lichte zu Boden geworfen. Mehre Gensd'armen sprangen durch das zertrümmerte Fenster. Pistolenschüsse kreuzten sich, man rief den Eingeschlossenen zu, sich zu ergeben; aber Wright von seinen Matrosen gefolgt, hatte den Widerstand an der Thür überwältigt, und, auf seinen Armen den ohnmächtigen Körper der Geliebten, stürzte er durch den Hohlweg dem Meere zu. Athemlos erreichte er den Felsen und die harrenden Freunde. Der Himmel war klar, das Licht der Sterne und des Schnees dämmerte in das bleiche Gesicht. Wright berührte ihre Brust, und ein heißer Strom floß über seine Hand; es waren die Wellen ihres Lebens, heißes Blut, das ihm entgegensprudelte.
Barmherziger Himmel! rief er, sie ist todt.
Langsam legte er die theure Last auf den Felsen nieder und beugte sich über sie. Verzweiflungsvoll küßte er die bleichen Lippen und rief in sinnenloser Angst den geliebten Namen. Sie regte sich nicht. Ein verwirrtes Geschrei drang aus dem Wege herauf.
Sie kommen, Kapitain, rief einer der Matrosen, retten Sie sich, und schnell schlüpfte er an dem Tau hinab. Seine Gefährten folgten.
Retten Sie sich, Herr, sagte eine leise Stimme neben ihm und eine Hand schüttelte seine Schulter.
Wright blickte auf, es war der alte Bajol.
Und diese, rief er, was wird aus ihr?
Wenn sie noch lebt, soll man sie nicht bekommen, sagte der alte Mann. Ich weiß einen Versteck, wo man uns beide nicht suchen soll. Er hob den bleichen Körper auf. –
Wenn Du sie rettest, rief Wright, so soll keine Belohnung zu groß für Dich sein.
Der Alte trug ohne Antwort seine Beute fort, und einen Augenblick stand der Kapitain zweifelhaft, ob er ihm folgen sollte. Jetzt aber sah er die rufenden Feinde mit Fackeln nahen; er dachte an seine Pflicht, seine Ehre, seine Freiheit; schnell ergriff er das Tau und in wenigen Minuten war er in dem rettenden Boote. Kugeln fielen auf die Fliehenden, die Wachen in den Thürmen schossen ihre leichten Geschütze ab, und Lärmfeuer loderten an der ganzen Küste auf. Aber alle diese Anstalten dienten nur dazu, dem schnellrudernden Boote den Kutter zu zeigen, der schwarz auf den Wellen lag. Als sie am Bord waren, hörten die Verfolger das Hurrah! der Engländer, dann flatterte eine Wolke von Leinwand von den Raaen, die im Feuerscheine herüberglänzte, und bald verschwand das Schiff auf dem hohen Meere.
Die Gensd'armen der Elite umringten auf dem Felsen einen jungen Offizier, der zu den Verwünschungen lächelte, welche sie den Entkommenen nachsandten.
Laßt sie laufen, meine Freunde, sagte er, ein paar Engländer mehr oder weniger gefangen, will nichts bedeuten; ich denke, den eigentlichen Fang haben wir gemacht. Zurück zu dem Hause und erwartet mich dort. Du, Troche, und Du, Dubois, Ihr bleibt.
Als der Haufe sich entfernt hatte, nahm der Offizier die Fackel aus der Hand des Gensd'armen und leuchtete auf dem Boden umher. Eine Lache von Blut hatte den Schnee gefärbt; er betrachtete sie aufmerksam.
Du zähltest die Entkommenen, Dubois? fragte er.
Den einen erschoß ich an der Hecke, sagte der finstere, bärtige Gensd'arm; vier entflohen, und der letzte trug einen Menschen in seinen Armen mit sich fort.
Und Du, Troche, fuhr der Offizier fort, weißt gewiß, daß der junge Mensch fehlt, der, wie Du meinst, ein Weib ist?
So gewiß, mein Kapitain, wie ich Troche heiße und der Sohn meiner Mutter bin, rief der kleine Franzose. Es ist ein Mädchen, und der große Engländer war so verliebt, daß er nichts sah und hörte.
Hier hinunter, sagte der Offizier und leuchtete in den Abgrund, über welchem das Tau der Schleichhändler schwebte, ist kein Verwundeter gebracht worden. Dort aber geht eine Spur von Fußtritten. Giebt es einen Versteck hier?
Die Höhle, wo die Lichter brennen, rief Troche, und nahm die Fackel. Wahrhaftig, und hier liegen rothe Tropfen im Schnee; nimm Deine Pistolen, Dubois, sagte der Offizier, und zog den Degen, und Du, Troche, leuchte voran.
Ueber den scharfen Felsengrat ging es in einen Spalt hinab, der sich finster vor ihnen aufthat, und ein abschüssiger, schlüpfriger Pfad führte von dort in eine Wölbung, die groß genug war einige Menschen aufzunehmen.
Aengstlich blieb der kleine Führer stehen, als er eine dunkle Gestalt am Boden vor sich erblickte.
Da sind sie! schrie er, und prallte zurück.
Die Gestalt richtete sich auf, es war der alte Matrose.
Hierher Troche, rief er leise, hier ist einer von den Unsern, aber ich glaube, er ist todt.
In einem Augenblick waren sie alle bei ihm, und mit Bestürzung sah Bajol die Gensd'armen.
Da liegt das Mädchen, rief Troche; wie, mein Colonel, was sagen Sie? Nun, ist es ein Mädchen oder nicht?
Er deutete auf den ruhenden Körper Clementinens. Ihr langes, dunkles Haar lag aufgelöst auf dem Felsenboden, das bleiche, stille Gesicht ruhte an dem erhöhten Vorsprung. Der junge Offizier beugte sich zu ihr nieder und sah das Zucken des Lebens in den erstarrten Gliedern. Er betrachtete sie lange und Mitleid schien ihn zu bewegen.
Armes Geschöpf, murmelte er, so schön und so jung. Welcher Wahnsinn stieß Dich hinaus in ein schreckliches Schicksal, um an diesem fürchterlichen Orte zwischen Himmel und Meer in einer Höhle für Verbrecher und Räuber zu sterben?
Nun haben wir sie Alle, rief der kleine Franzose jubelnd, keiner ist entkommen, als die Spitzbuben, die dort hinsegeln.
Du also bist der Verräther? rief der alte Mann, und ballte die Faust.
Versteht sich, ich, Vater Bajol, sagte Troche lachend, und ich hoffe, Euer Strick wird lange leer bleiben.
Aber der Deine nicht, schrie der Matrose, der wird gesponnen und gedreht sein, ehe Du's denkst.
Schweig, alter Taugenichts, rief der Offizier, hier verdienst Du nur den Galgen für Deine Bereitwilligkeit, Verräther nach Frankreich zu schaffen.
Verräther? grollte der Alte. Es sind arme, ehrliche Leute, gute Franzosen, die braven Menschen zu einem wohlfeilen Rocke helfen.
Man betrog Dich, alter Mann, sagte der Offizier, und Dein Glück ist es, daß Du ein Dummkopf bist. Höre mich an, Bajol, fuhr er fort, unter welchen Bedingungen ich Dir verzeihen will. In wenigen Minuten wird Deine Hütte leer sein, dann bringst Du diesen Verwundeten dorthin. Rufe Hülfe herbei, wende alle Mühe an, sein Leben zu erhalten; ich werde sogleich für einen Arzt aus Dieppe sorgen, Ihr Alle schweigt gegen Jeden; doch, wenn in wenigen Tagen Besserung eintritt, soll der Verwundete Dir abgefordert werden, bis dahin stehst Du dafür, daß er nicht entkommt. Bedenke es wohl, alter Mann, Dein Leben haftet für ihn.
Er riß ein Blatt aus der Brieftasche und schrieb einige Worte, die er dem Gensd'arm reichte.
Wirf Dich auf's Pferd, Dubois, und schnell damit nach Dieppe, Du, Troche, bleibst bei Bajol. Mach dem alten Mann begreiflich, daß er schlimmen Verräthern zum Verderben seines Vaterlandes geholfen hat, und hilf ihm diesen Verwundeten in sein Haus tragen.
Rasch folgte er dem Gensd'arm und eilte über die Felsen dem Hause des Fischers zu.
Sie ist schön, sagte er, schön und unglücklich. Armes Kind, wenigstens vor dem Kerker will ich dich bewahren.
Als er die Hütte erreicht hatte, war diese von einem Haufen neugieriger Menschen umringt, denen die Gensd'armen und Strandwächter den Zugang wehrten. Das Geschrei und Schießen hatte die Fischer aufgeschreckt. Als sie hörten, daß man ihre Freunde, arme Schleichhändler, gefangen habe, hatte die junge Mannschaft nicht übel Lust, sie gewaltsam zu befreien; bald aber verbreitete sich das Gerücht, Emigranten, Vaterlandsfeinde seien hier ergriffen, und die Theilnahme verwandelte sich in Zorn und Wuth, die das Leben der Unglücklichen bedrohte.
In der Vorhalle lagen neben den Leichen des Engländers und zweier der Männer, die zur bösen Stunde den Fuß auf diesen Felsen festen, auch mehre, deren Reiterstiefeln und Helme andeuteten, daß sie zu den Angreifern gehört hatten. Weite Mäntel waren darüber ausgebreitet, ein flackernder Kienspahn beleuchtete die kalten, stillen Gesichter und das Blut, das langsam über die Steine floß. Andere hatten geröthete Tücher um die Köpfe und Arme gewickelt, und wie Geister der Rache schienen sie die vier Gefangenen zu umringen, welche blutend und gebunden in einem Winkel des Gemaches ihr Schicksal erwarteten.
Als der junge Offizier hereintrat, warf er einen strengen Blick auf sie. Ein alter Sergeant machte den Rapport.
Vier Gefangene, sämmtlich verwundet, sagte er, und drei Todte.
Und von den Unseren? fragte der Offizier.
Drei todt und sieben verwundet, versetzte der alte Krieger finster.
Wir werden diese Rechnung in Paris ausgleichen, sagte der Offizier, und sein feines, blasses Gesicht nahm einen Zug des Hohnes an. Dann trat er dicht an den Vicomte, der aus mehr als einer Wunde blutete. Er betrachtete ihn durchdringend, dann sagte er höflich:
Wer sind Sie, mein Herr?
Und mit welchem Rechte fragen Sie? versetzte dieser nach einer Pause.
Eine sonderbare Frage, versetzte der Offizier lächelnd. Sie sehen mich an der Spitze einer legalen Macht, welche bestimmt ist, Ruhe und Ordnung zu erhalten. Doch ich antworte Ihnen. Ich bin der Oberst Savary, General-Adjutant des ersten Consuls. Darf ich jetzt auf eine gleiche Gefälligkeit rechnen? – Sie wollen nicht antworten, fuhr er lächelnd fort, auch diese Mühe kann ich Ihnen sparen.
Er blätterte in einem Hefte, welches er aus der Brusttasche zog.
Henry Maria von Villeneuve, sechsundfunfzig Jahr, klein von Gestalt, hoher Stirn, unter dem rechten Auge eine Warze, verließ London in Begleitung seines Sohnes und seiner Tochter am 13. März, um nach Frankreich überzuschiffen. Sie sehen, wir waren vorbereitet, Herr von Villeneuve.
Der Gefangene schwieg einen Augenblick, dann sagte er entschlossen:
Nun wohl, ich heiße Villeneuve und bin an dieser Küste gelandet, um Familiengeschäfte in Ordnung zu bringen. Dieser junge Mann ist mein Sohn, jene beiden da, meine Diener. Ich hatte die Absicht, mich nach Paris zu begeben und von dort mich bei der gegenwärtigen Regierung um die Erlaubniß zu bewerben, in Frankreich leben zu dürfen.
Und um dieß zu bewerkstelligen, nahmen Sie zu einer heimlichen Landung Ihre Zuflucht, auf welche allein schon der Tod steht? erwiderte Savary. Noch mehr aber, Sie widersetzten sich der bewaffneten Macht und ermordeten hier mehre wackere Bürger.
Wir vertheidigten unser Leben, versetzte der Marquis. Wer von uns wußte, ob Gensd'armen, ob Räuber uns überfielen? Wir vertrieben Gewalt mit Gewalt.
Sie sind zu klug, Herr von Villeneuve, versetzte der Colonel lächelnd, um zu hoffen, daß ich Ihnen aufs Wort glauben soll, überdies ist Ihr Examen meine Sache nicht. Seit fünf Nächten bin ich auf den Beinen und, offen gestanden, sehr müde.
Jedenfalls, rief Jules verächtlich, paßt ein so würdiger Auftrag für den Generaladjutanten eines Buonaparte.
Savary antwortete mit einem Lächeln:
Ich habe weder Zeit noch Lust, die Tiraden eines jungen Menschen zu hören, sagte er, und wendete sich zu dem Sergeanten. Sind die Gefangenen genau durchsucht?
Ja, mein Colonel; und hinten an der Hecke steht der Wagen.
So führt sie nach Treport und laßt sie dort verbinden. Macht die Stricke von ihren Armen los und behandelt sie, wie tapfere Männer es verdienen. Leben Sie wohl, mein Herr, in Paris hoffe ich Sie wiederzusehen.
Noch einen Augenblick, rief der Vicomte, und Savary stand still.
Sie wissen es, sagte Villeneuve, daß meine Tochter mich begleitete. Was ist aus dem theuren Kinde geworden?
Der Colonel zuckte die Schultern.
Nur das Eine sagen Sie mir, fuhr der bekümmerte Vater fort. Hat man sie gefunden, gütiger Himmel! vielleicht ermordet, und liegt ihr Körper unter den Todten dort?
Er streckte bittend die entfesselten Hände aus, seiner Stimme versagte die Kraft.
Sein Sie ruhig, versetzte Savary. Man hat einen Ihrer Begleiter gesehen, der einen jungen Menschen mit sich fort zum Meere trug, und leider sind alle entkommen, ehe wir sie erreichen konnten.
So sei gepriesen, ewige Vorsicht! rief Villeneuve. In meine Arme, Jules, Clementine ist gerettet!
Savary entfernte sich rasch, und man hörte ihn draußen die wüthenden Fischer mit dem Tode drohen, wenn eine Hand es wagte, die Gefangenen zu beleidigen. Dann wurden diese auf einen Leiterwagen gesetzt, der von Gensd'armen umringt, nach Treport eilte. Ein Chirurg verband ihre Wunden und nach einer kurzen Ruhe ging es weiter. Verschlossene Wagen wurden herbeigeschafft, und zwei Bewaffnete setzten sich in jeden. Man fuhr ohne Aufenthalt, aber die Wunden des Vicomte verschlimmerten sich, und ein heftiges Fieber nöthigte seine Begleiter, mehrere Tage an einem kleinen Orte zu verweilen.
Um vierten Tage endlich erschien ein Kapitain der Gensd'armerie mit dem strengen Befehl, die Gefangenen sogleich nach Paris zu schaffen. Es war ein ernster, wildblickender Mann, ein Kind des Lagers und der Schlachten. Jeder Bitte des bekümmerten Sohnes setzte er seinen Befehl entgegen, aber doch blickte er nicht ohne Mitgefühl auf den kranken, tiefgebeugten Greis.
Nach einer Viertelstunde war Alles bereit, und langsam setzte sich der Zug in Bewegung. Der Offizier hatte Sorge getragen, daß weiche Kissen den Verwundeten schützten. Stumm nahm er den Rücksitz des Wagens ein, aber bei jedem Aechzen des Kranken suchte er alle Tröstungen hervor, dessen Lage zu erleichtern. Ein finsteres Schweigen herrschte, und Niemand eilte es zu brechen.
In manchen Orten empfing sie das Geschrei des Pöbels, und der Vicomte sah mehr als zu gut, wie wenig seine Partei von der Stimmung des Volkes zu erwarten habe. Zu seinen Schmerzen und seiner Muthlosigkeit gesellte sich Verzweiflung, aus Jules' Zügen sprachen Haß und Zorn; traurig vergingen die Stunden, und die Güte und Theilnahme des Offiziers blieben ohne ein Zeichen der Erwiderung.
Mit dem späten Abend näherte man sich der Hauptstadt, ein weithin sich erstreckender Lichtkreis und das dumpfe Geräusch des bewegten Treibens kündeten sie an. Der Vicomte blickte umher, und bemerkte Züge von Menschen, welche sich langsam fortbewegten. Bajonette blinkten, dunkle Schaaren wälzten sich gegen die Mauern und Thürme eines weitläufigen Gebäudes, das vor ihnen aufstieg.
Eine furchtbare Angst bemächtigte sich des alten Edelmannes.
Wohin führen Sie uns, Kapitain? fragte er leise.
Dorthin, erwiderte dieser. Es ist Vincennes.
Und diese Soldaten? Warum umstellen sie das Schloß? Was bedeutet diese bewaffnete Macht?
Ich weiß es nicht.
Will man uns etwa ermorden, ohne Gesetz, ohne Richter? rief der Vicomte.
In Frankreich geschieht jetzt nichts ohne Grund und Recht, versetzte der Offizier kalt.
Muth, Jules, Muth, mein Sohn, sagte der Vicomte. Wir stehen in Gottes Händen, und im Leben wie im Sterben sei die Ehre das Höchste.
Langsam fuhr der Wagen über die Zugbrücken durch das düstere Thor in den innern Hof. Er war mit Wachen gefüllt, Gensd'armen und Dragoner hielten abgesessen ihre Pferde, mehrere Reisewagen nahmen den Raum vor dem Hause des Gouverneurs ein, und mühsam nur konnten die neuen Ankömmlinge Platz erhalten. Der Kapitain war tief bewegt.
Hören Sie meinen letzten Rath, sagte er, weisen Sie ihn nicht zurück, es ist die einzige Rettung für Sie. Bekennen Sie aufrichtig, was Sie wissen, rufen Sie die Gnade des ersten Consuls an, sein Herz ist gütig und zum Verzeihen geneigt. Versöhnen Sie sich mit dem Vaterlande, demüthigen Sie den Stolz, verbergen Sie wenigstens Ihre wahren Gedanken und lassen Sie Ihren Freunden Zeit, für Sie thätig zu sein.
Er sprang aus dem Wagen und verschwand in dem Gebäude.
Er hat Recht, mein Sohn, sagte der Vicomte, mäßige Deine Heftigkeit; was auch geschehen mag, nur Klugheit kann uns retten.
Nach einigen Augenblicken nöthigte man die Gefangenen auszusteigen. Eine Art Kerkermeister führte sie durch eine Reihe Gensd'armen in das Innere des Hauses, mehre lange Gänge hinab, dann eine gewundene Steintreppe aufwärts, endlich in einen hohen, weiten Saal, dessen dunkle Kreuzgewölbe und Bogen von wenigen Lichten matt erhellt wurden. Eine Wache von Grenadieren stand regungslos am Eingange, Gensd'armen der Elite im Hintergrunde vor einer gewaltigen Flügelthür, aus welcher ein leises Gemurmel verschiedener Stimmen drang.
Bleiben Sie hier, sagte der Führer, nehmen Sie dort in der Ecke Platz, man wird Sie sogleich rufen.
Ermattet sank der Vicomte auf einen Sessel, der in einem der Fensterbogen stand. Sein zerschossener Arm in der Binde schmerzte mehr als je, und die düsteren Vorstellungen seiner Seele wurden von tausend Plänen durchkreuzt, seine nahen Richter, die er haßte und verachtete, durch List zu täuschen.
Jules lehnte sich an das Fenster, und während er die leisen Ermahnungen seines Vaters hörte, sah er auf den Schloßhof hinab, wo beim schwankenden Lichtschein lange Reihen von Bärenmützen aufmarschierten. Officiere gingen auf und ab, er hörte die Gewehre klirren, das Rasseln der eisernen Ladestöcke in den Läufen. Ein beängstigendes, entsetzliches Gefühl durchbebte seine Brust, zum ersten Male empfand er, daß es schwer sein müsse, so früh vom Leben zu scheiden.
Plötzlich sah er den jungen Savary, der die Reihen im Hofe durcheilte, er erkannte den Urheber seiner Leiden, das thätige Werkzeug des blutigen Usurpators, den er vor Allen haßte, und mit Heftigkeit trat er vom Fenster zurück.
Was gibt es, mein Sohn? sagte der Vicomte, der ununterbrochen zu ihm geredet hatte.
Nichts, mein Vater, versetzte der junge Mensch, und umfaßte ihn zärtlich, aber was helfen Worte und Ermahnungen in unserer Lage? Hätte ich ein Schwert, mich unter die Mörder zu stürzen, ich würde wenigstens wie ein Mann sterben.
Lebe und handle, wie ein Mann, sagte der alte Edelmann leise. Du hast gehört, daß ich entschlossen bin, gewissermaßen die ganze Wahrheit zu sagen. Ich werde ihnen bekennen, daß ich gekommen war, die Lage der Dinge zu erforschen, daß ich mich überzeugte, wie sehr man uns getäuscht hat, und daß ich um Friede, Ruhe und Versöhnung bitte und – er sagte dies mit einem bittern Zagen der Stimme – daß ich um die Gnade flehe, künftig friedlich, als Bürger Villeneuve, in dem neuen Frankreich zu leben.
Hier hielt er inne und lauschte auf die Töne, welche vernehmlicher aus dem Seitengemach drangen. Eine helle, laute Stimme schien sich in einen Strom von heftigen Worten zu ergießen; dann fiel eine andere sonore befehlend ein, ein Gemurmel folgte, endlich wiederum eine stürmische Vertheidigung und Rede und Gegenrede, die sich drängten. Plötzlich glaubte der Vicomte die Worte zu verstehen, welche jene markige donnernde Stimme sprach.
Sie scheinen Ihre Lage nicht recht zu begreifen, Bürger, bedenken Sie, daß Sie vor einem Kriegsgericht stehen, dessen Spruch sofort vollzogen werden muß.
Was weiter folgte, verstand er nicht, aber es war genug, um ihn zu überzeugen, daß irgend ein Angeklagter, ein Leidensgefährte, ein Mensch vielleicht, den er liebte und hochachtete, Moreau, Pichegru, Polignac, hier vor einem unerbittlichen, grausamen Gericht stehe. Er erinnerte sich, was Wright in der letzten Stunde des Abschiedes gesagt, daß diese raffinirte Polizei nur zu wollen nöthig habe, um das Netz über die Verschworenen zusammenzuziehen, und nun war der Schlag geschehen, der alle seine letzten Hoffnungen zertrümmerte.
In entsetzlicher Angst der Ungewißheit richtete er sich empor, als die Thür des Haupteinganges geöffnet wurde und Savary in Begleitung eines schwarz gekleideten Herrn hereintrat. Beide waren im eifrigen, leisen Gespräch und blieben vor dem Mauerpfeiler stehen, der seinen Schatten über Villeneuve warf.
Sie waren also bis jetzt in Malmaison? fragte der junge Colonel lebhaft.
Und ich eile dahin zurück, um mit dem frühesten Morgen in seiner Nähe zu sein, erwiderte der blasse, schwarze Herr. Er ist in der übelsten Laune, und jeden Augenblick muß man fürchten, daß er seine Gewissensscrupel den Weibern vorlegt, die dann natürlich mit Thränen und Bitten ihn bestürmen werden. Der Dämon mit dem Pferdefuß hat zwei Stunden lang alle Gründe erschöpft; er blieb unentschlossen, und ich fürchte, nach allen diesen Gewaltstreichen spielt er zuletzt noch, wider seinen Willen, den Großmüthigen.
Was ist zu thun? sagte Savary.
Ihn fortreißen durch eine That, an der nichts mehr zu ändern ist, und für welche er uns einst danken wird, versetzte der schwarze Mann mit hohler, leiser Stimme. Er erwartet den Ausspruch des Kriegsgerichts und wahrscheinlich auch die Gnadenbitte; ja, er rechnet so gewiß darauf, daß er befohlen hat, ihn zu wecken, wenn sie eintrifft. Das darf nicht sein, mein Freund, wir müssen dafür sorgen, daß eine unübersteigliche Kluft ihn auf immer von jenen Menschen trennt und ihn unauflöslich mit uns verbindet. Glücklicherweise weiß der General Hulin, was er zu thun hat, und Murat – hier sank seine Stimme zu einem so leisen Flüstern, daß nichts zu verstehen war.
Gut, sagte Savary, seine Ruhe, sein Wohl ist das Höchste; es muß geschehen!
In der pünktlichsten Vollstreckung des Urtheils liegt seine wahre Rettung, versetzte der Andere. Der Augenblick ist da für Sie, Colonel, sich auf immer unentbehrlich zu machen.
Verlassen Sie sich darauf, Bürger Réal, erwiderte Savary lebhaft und drückte seine Hand.
Bei dem Namen jenes schrecklichen Mannes zückte Villeneuve unwillkürlich und seine Bewegung blieb nicht unbemerkt. Die beiden Sprechenden erblickten ihn und Réal's flammende Augen schienen ihn zu durchbohren.
Was ist das? sagte er heftig. Wer sind diese Menschen?
Savary lächelte.
Die beiden Gefangenen von Beville, sagte er. Man will sie mit dem Herrn da drinnen confrontiren, dann in den Temple zu Ihren Pflegebefohlenen, Bürger Réal.
Er betonte dies Letztere besonders spöttisch und der Staatsrath nahm seine ruhige Kälte wieder an. Wenn diese Herren, sagte er, die Nachsicht der Republik und des ersten Consuls verdienen wollen, so haben sie jetzt Gelegenheit, indem sie offen und wahr als Ankläger jenes Menschen auftreten, dessen verruchte Pläne ihnen nicht unbekannt sein werden.
Es ist mein Wille, versetzte Villeneuve, wahr und offen zu bekennen, wie sehr wir getäuscht wurden; mein Vorsatz auch, die Gnade der Regierung anzurufen, einem alten Manne die Erlaubniß zu geben, den Rest seiner Tage friedlich im Lande seiner Geburt verleben zu dürfen.
Verdienen Sie diese Gnade! erwiderte Réal lebhaft. Hier bietet sich Ihnen der rechte Augenblick, alle Schuld abzutragen, indem Sie mit gerechtem Abscheu die Ankläger Ihrer Verführer werden.
Der Vicomte von Villeneuve, sagte der alte Edelmann stolz, wird die ganze Wahrheit sagen, aber sich niemals zum Ankläger entwürdigen.
Réals Stirn bedeckte sich mit einer drohenden Falte. Er erinnerte sich bei diesen Worten vielleicht der Zeit, wo er als Ankläger Fouquier Tinville's Vorgänger und Gefährte bei dem Revolutionstribunale war, und maß den Beleidiger mit einem Tigerblick. Der Bürger Villeneuve, erwiderte er dann mit kalter Strenge, kann nur durch wichtige Dienste seine Verbrechen vergessen machen, welche den Tod verdienen.
Mein Herr, rief Jules, und trat vor den Stuhl seines erschöpften Vaters, es ist feige, im Gefühle der Macht Unglücklichen zu drohen, und mehr als Verbrechen, Edelleuten und Männern von Ehre eine Verzeihung für Verrath anzusinnen.
Ein Lächeln spielte um die schmalen Lippen des Staatsraths; er wollte etwas erwidern, als die Thür im Hintergrunde geöffnet wurde und ein Officier der Gensd'armerie heraustrat.
Wo sind die Gefangenen von Beville? sagte er.
Hier, Bürgerkapitain, erwiderte Savary.
So führt sie herein, Bürgergensd'arm, rief der Offizier.
Folgen Sie mir, Bürger, sagte Savary, und sein Sie klug, wenn Sie Ihr Leben retten wollen, fügte er flüsternd hinzu.
Réal sah ihnen nach, bis sie unter der Thür verschwanden.
Vergebene Mühe, sagte er, Narren werden niemals gescheut. Aber einerlei, der Temple wird sie nicht wiedergeben, sie haben zu viel gehört.
Die beiden Gefangenen traten in ein großes, hellerleuchtetes Gemach. In einem hohen, gewölbten Kamin brannte Feuer, und seitwärts, hinter einem grünen Tische, saßen sechs Offiziere. In ihrer Mitte auf dem Präsidentenstuhle ein General, ein großer, schöner Mann mit kriegerischem Gesicht, sämmtliche andere mit den Epauletten von Regiments-Kommandeuren geschmückt. Zur Seite hatte ein Kapitain Platz genommen, der eifrig schrieb; an der anderen stand ein Major der Elitengensd'armerie, Berichterstatter und Ankläger, der einen beschriebenen Bogen in der Hand hielt.
Ihm gegenüber saß der Beschuldigte. Er war untersetzter Statur, jung, fein gebaut und sorgsam gekleidet. Ueber seine weiße, hohe Stirn legte sich eine Fülle hellbrauner Haare, lebhafte, graubraune Augen blitzten unter den langen Wimpern, und eine schön gebogene Adlernase gab den regelmäßigen Zügen des langen, blassen Ovals einen befehlenden Ausdruck. Er schien abgespannt und ermüdet, und von seiner peinlichen Lage mehr geärgert als beängstigt.
Als die Gefangenen eintraten, deutete der Major Berichterstatter auf sie, und indem er sich rasch gegen den Angeklagten wendete, sagte er: Kennen Sie diese Herren?
Der junge Mann hob langsam das Auge empor und plötzlich streckte er beide Hände gegen den Vicomte aus.
Mein theurer Villeneuve, rief er, das ist fürwahr ein trauriges Wiedersehen.
Der alte Vicomte stand erstarrt, sein stierer, angstvoller Blick musterte die angstvollen Züge.
Entsetzlich, rief er, es ist nicht möglich, es kann nicht sein! Gütiger Gott, es ist kein Traum, mein Prinz, mein theurer Herzog Louis Antoine Henri de Bourbon, Herzog von Enghien (1772-1804), französischer Herzog aus dem Adelsgeschlecht der Condé, den Napoleon Bonaparte verschleppen und nach einem Scheinprozess als »Emigrant, der vom Ausland bezahlt wird, um eine Invasion Frankreichs zu erleichtern«, erschießen ließ. Enghien wurde am 20. März vor ein Tribunal von sieben Obristen gestellt, in dem der General Hulin den Vorsitz hatte. Er bezeichnete sich selbst stolz als Feind Bonapartes und des revolutionären Frankreich, wies aber jede Anschuldigung einer Teilnahme an einer Verschwörung gegen das Leben des Ersten Konsuls zurück und verlangte eine Unterredung mit demselben, die jedoch abgeschlagen wurde, da Napoleon die sofortige Vollstreckung des Todesurteils befohlen und sich überdies von Paris entfernt hatte. Am 21. März 1804 um vier Uhr morgens wurde das Todesurteil gefällt und eine halbe Stunde später im Graben des Schlosses Vincennes durch ein Erschießungskommando der Gendarmerie d'élite de la Garde impériale ausgeführt. Die Entführung und anschließende Hinrichtung sorgte im übrigen Europa für große Empörung und war zugleich ein abschreckendes Signal an die royalistischen Gegner Napoleons., welch schreckliches Schicksal führte Sie hierher?
Nicht mein Wille, versetzte der junge Mann lächelnd, ich hoffe, so wenig als der Ihre. Ich lebte in Ettenheim, ein friedlicher Verbannter, der nichts mehr mit der Politik zu schaffen hatte. Plötzlich, vor drei Tagen überfallen französische Dragoner den Ort, man reißt mich aus meinem Asyl und schleppt mich hierher. Das ist Alles, was ich weiß.
Schrecklich, entsetzlich! rief Villeneuve.
Das Kriegsgericht hatte schweigend diese Erörterungen gehört.
Bürger Villeneuve, sagte der Präsident, Sie kennen diesen Herrn?
Ich hoffe, versetzte der Vicomte heftig bewegt, daß in diesem Lande, dessen nächster Erbe der erlauchte Prinz ist, Niemand lebt, der seinen Namen nicht weiß und ehrt. Aber vielleicht, fuhr er heftiger fort, ist es Ihnen nicht bekannt, welche Ehrfurcht Sie ihm schuldig sind. Beugen Sie Ihr Knie vor dem Neffen Ihres Königs; es ist Anton Ludwig Heinrich, Prinz von Bourbon, Herzog von Enghien, bei dessen Geburt die Franzosen in Entzücken ausbrachen, der hier wie ein Missethäter vor sechs seiner Unterthanen steht. Wer giebt Ihnen Rechte, das Blut unserer Könige zu richten? Doch was sag' ich, wann fragt die Gewalt nach Recht! Ihr habt Aergeres gethan, Verbrechen befestigt man durch Verbrechen; mordet weiter, sättigt Eure Blutgier, der Tag der Rache, der Vergeltung wird kommen!
Ich befehle Ihnen, zu schweigen, rief der Präsident mit donnernder Stimme.
O! sagte der alte Edelmann, Gott weiß es, daß ich schweigen wollte, denn meine Augen sind müde und mein Herz sehnt sich nach Ruhe. Aber bei diesem Anblick könnten Steine sprechen, und niemals sollen meine Lippen verstummen, wenn es Noth thut, den Namen meines Königs zu vertheidigen.
Ich bitte Sie selbst, zu schweigen, mein theurer Villeneuve, sagte der Prinz lebhaft, und umarmte ihn. Ich weiß nicht, weshalb man gegen Völker- und Menschenrechte mich aus einem Lande fortschleppte, dessen Regent mir Schutz zugesagt hat; es ist eine unglaubliche Gewaltthat; aber niemals wird eine Regierung so verrucht sein, ihre Brutalität mit dem Mord eines Unschuldigen zu krönen. Ich hoffe, daß man mir vergönnt, diese geheimnißvolle Intrigue zu zerreißen, daß ich dem ersten Consul selbst meine Leiden und meine Klagen in einer persönlichen Besprechung vortragen darf.
Villeneuve sah nach dem General Hulin. Savary, der bisher ruhig am Kamin gestanden hatte, bog sich über den Lehnstuhl und flüsterte dem Präsidenten leise in's Ohr.
Hoffen Sie nichts, mein Prinz, sagte der Vicomte erschüttert, Ihr Verderben ist beschlossen.
Man hat es mir fest zugesichert, rief Enghien heftig. Der Major Berichterstatter, jener Kapitain dort, der als Actuar des Gerichtes dient; ich würde niemals geantwortet haben, nie in den Fehler des unglücklichen Königs Ludwig gefallen sein, ein Gericht durch Antwort und Unterschrift anzuerkennen. Antworten Sie mir, General, werden Sie dem ersten Consul meine Bitte zustellen und mein Schicksal seinen Händen übergeben?
Ich werde Alles thun, was meines Amtes ist, erwiderte der General ernst. Für jetzt kehren Sie in Ihr Gemach zurück, Bürger Bourbon. Kolonel Savary, lassen Sie den Saal räumen.
Eine Todtenblässe bedeckte das Gesicht des unglücklichen Herzogs, er legte die Hand zitternd über seine Augen.
Gut, mein Herr, sagte er mit leidenschaftlicher Heftigkeit, aber bedenken Sie, daß es ein Wesen giebt, gewaltiger als die Könige der Erde, ihm befehl' ich meine Seele. Nur eins noch hab' ich zu bitten, fuhr er dann milder fort, gewähren Sie mir den Trost der Gesellschaft dieser armen Gefangenen, die so unglücklich sind, ja vielleicht unglücklicher als ich, wenn sie Gräuel erleben, welche ich nicht mehr empfinde.
Nach einem kurzen Bedenken bewilligte der General die Bitte, indem er den Blick auf Savary warf, der unbemerkt mit dem Kopfe nickte. Man führte die Gefangenen aus dem Saale durch mehrere Verbindungsgänge nach dem östlichen Thurme des Schlosses, und als sie allein waren in dem großen, öden Gemach, drückte der Prinz mit Freuden beide Leidensgefährten an seine Brust, und bat sie, in diesen Augenblicken das Schicksal zu vergessen, und nur den Erinnerungen zu leben.
Lebhaft erkundigte er sich nach seinen Verwandten in England, nach ihren Schicksalen und Plänen, nach der Sendung des Vicomte, nach allen alten Freunden und Verwandten, und hörte die Erzählung mit Freude.
Nein, sagte er, es ist nichts mit einer stürmischen Wiedereroberung unserer Rechte, wir müssen Geduld haben, Jahre müssen vergehen, lange kummervolle Jahre, die uns Alle bessern. Wir dürfen es nicht leugnen, lieber Vicomte, auch wir müssen manches vergessen und lernen, bis der Tag kommt, wo die neue Sonne erscheint.
Ich werde nicht mehr Anlaß zum Verdacht geben, das Verbrechen nicht mehr herausfordern. Ich gehe nach Rußland, der Kaiser hat mich eingeladen, in der Krim mir Güter angeboten. Ich werde ein Landmann werden, meinen Kohl pflanzen und wie mancher vor mir in heitern, stillen Beschäftigungen des Friedens den eitlen Tand des Hochmuths vergessen.
Villeneuve seufzte tief und Thränen füllten seine Augen.
Wie? rief der Prinz, Sie weinen; glauben Sie wirklich, daß man mich ermorden könnte? Es ist unmöglich! Was that ich denn, und was hat man von mir zu fürchten? Vielleicht geht ihre Grausamkeit so weit, mich einzusperren, ach! das wäre entsetzlich. Aber warum? Beim heiligen Ludwig! ich bin am wenigsten zu fürchten.
Und wenn man sie als ein Opfer betrachtete, sagte Villeneuve, auf ewig den ersten Consul von jedem Gedanken einer Versöhnung mit ihrer erlauchten Familie zurückzuschrecken! Wenn arglistige Diener, die Alles zu fürchten haben, sollte einst Ihr Stamm von Neuem den Thron Frankreichs besteigen, ein blutiges Urtheil selbst gegen des ersten Consuls Willen vollstreckten!
Der Herzog starrte ihn erschrocken an.
Die Furcht spricht aus Ihnen, sagte er dann lächelnd, was kann hier geschehen ohne den Willen jenes gewaltigen Mannes! Man wird ihn benachrichtigen, ich werde mit ihm reden, ich werde ihm schwören, daß ich unschuldig bin, daß ich allen Plänen auf Größe und Macht für immer entsage; und ich bin gewiß, wir scheiden als Freunde. Sehen Sie den jungen Tag, der soeben durch die nächtigen Wolken bricht, er wird mich frei sehen, glücklich, mich zu einer neuen Heimath führen, den Verbannten aufnehmen, der irrend schon lange sich nach Frieden sehnt.
Ein wirres Geräusch von Waffen und Menschen tönte aus dem Graben des Schlosses zum Thurme herauf, und Jules sah vom Fenster hinunter.
Was giebt es da unten? fragte der Prinz.
Ich sehe nichts, erwiderte der junge Mann, Soldaten gehen mit Laternen umher.
Man hält uns sehr fest, bemerkte der Prinz, aber nicht lange mehr, und keine Wache wird uns aufhalten können. Sie begleiten mich, Villeneuve, ich werde den ersten Consul darum bitten, Sie dürfen sich nicht von mir trennen.
Ich folge Ihnen bald, mein gnädiger Herr, sagte der Vicomte zitternd, und kein Kerker wird mich zurückhalten. Dieser morsche Leib, verwundet und von Fieberhitze erfüllt, wird frei sein, ehe ein Henker ihn erlöst. Aber hier ist mein unglücklicher Sohn, mein Einziger, der den Mördern zur Rache bleibt. O! mein Kind, rette Dich, Du bist zu jung, um zu sterben; mein Jules, ich verlasse Dich, rette Dein Leben, mäßige Deinen Eifer, verleugne selbst die Wahrheit, bis es Zeit ist, denn Deine unglückliche Schwester, Dein König, Dein Vaterland, alle haben heilige Ansprüche an Deine Erhaltung. Versprich mir das, Jules, stoße keine helfende Hand zurück, versprich es mir, mein Sohn.
Gern, mein Vater, sagte Jules gerührt, wenn meine Ehre es erlaubt. Aber noch haben wir Hoffnungen.
Keine, keine! sagte der Vicomte. Horch, man kommt, es sind die Tritte der Mörder! Herzog von Enghien, auch Sie sind der Enkel des heiligen Ludwig!
Der Herzog lächelte und blickte furchtlos nach der Thür. Plötzlich ward diese geöffnet, und eine Reihe von Militair aller Waffengattungen trat herein. Sie bildeten einen weiten Halbkreis, in dessen Mitte sich der Hauptberichterstatter, Major Dautancourt, der Generaladjutant Savary und der Kommandant von Vincennes, Oberst Harel, befanden. Ihre Blicke waren ernst und traurig, der Prinz wankte zurück und hielt sich an einen Stuhl, dann ermannte er sich und trat einen Schritt vorwärts.
Sprechen Sie es aus, sagte er heftig, man hat mich abscheulich betrogen, man hat den ersten Consul nicht benachrichtigt, man will mich ermorden.
Ich habe die traurige Pflicht, dem Bürger Bourbon das Urtheil des Kriegsgerichts zu verkündigen, sagte der Major mit feierlichem Ernst.
Lesen Sie, lesen Sie, mein Herr, rief der Prinz lebhaft.
Der Urtheilsspruch war kurz.
Heute am 30. Ventôse im Jahre zwölf der Republik, hat sich auf dem Schlosse von Vincennes das Kriegsgericht versammelt, welches nach dem am 20. gegebenen Beschlusse der Regierung zusammengesetzt ist aus den Bürgern Hulin, General und Befehlshaber der Consulargarde, Guitton, Obristen des ersten Kürassier-Regiments, Becancourt, Obristen des vierten leichten Infanterie-Regiments, Ravier, Obristen des achtzehnten Linien-Regiments, Barrois, Obristen des sechsundneunzigsten Regiments, Rabbe, Obristen des zweiten Regiments der Pariser Garde, dem Bürger Dautancourt, Hauptberichterstatter, und dem Bürger Molin, Hauptmann vom achtzehnten Linien-Regiment. Alle diese sind vom Oberbefehlshaber, Gouverneur von Paris, ernannt.
Von Murat also, sagte der Prinz mit einem bittern Lächeln.
Der Major las weiter:
Dies Gericht hat den ehemaligen Herzog von Enghien nach den im obengedachten Beschlusse angeführten Beschuldigungen zu richten. Der Vorsitzer hat den Angeklagten frei und ohne Fesseln herbeiführen lassen, und hat dem Hauptberichterstatter befohlen, die einzige anklagende und lossprechende Acte mitzutheilen.
Nachdem man ihm den obengedachten Beschluß vorgelesen hatte, stellte der Vorsitzer folgende Fragen:
Ihr Name, Ihre Vornamen, Ihr Alter und Geburtsort?
Antwort: Ludwig Anton Heinrich von Bourbon, Herzog von Enghien, zu Chantilly geboren am 2. April 1772.
Haben Sie die Waffen gegen Frankreich getragen?
Er antwortete, daß er den ganzen Krieg mitgemacht habe, und daß er bei der Erklärung beharre, welche er dem Hauptberichterstatter gegeben. Er fügte dann hinzu, daß er zum Kriege auch von Neuem bereit sei, und in einem neuen Kampfe Frankreichs mit England dieser Macht zu dienen wünsche.
Das ist nicht wahr! rief der Prinz heftig. Ich habe behauptet, daß ich freier Herr meines Willens sei, und England in jedem neuen Kampfe dienen würde, wenn es mir gefalle.
Es wurde der Angeklagte weiter gefragt, ob er noch im Solde Englands stehe?
Ja, antwortete er, diese Macht giebt mir monatlich einhundertundfunfzig Guineen.
Ist auch das etwa ein Verbrechen? sagte der Prinz erbittert. Frankreich hat mir Alles geraubt, was ich besaß; ich lebte allein von dieser großmüthigen Hülfe, sollte ich sie ausschlagen und betteln?
Das Kriegsgericht, fuhr der Major fort, ließ durch seinen Vorsitzer dem Angeklagten diese Erklärungen vorlesen und ihn fragen, ob er noch etwas zu seiner Vertheidigung hinzuzufügen habe? Er antwortete, daß er nichts mehr zu bemerken habe, und auf seinen Aussagen beharre.
Der Vorsitzer hat den Gefangenen abtreten lassen, das Gericht berathschlagte bei verschlossenen Thüren.
Bei verschlossenen Thüren, rief hier der Prinz mit lauter heftiger Stimme, hört es alle: heimlich bei verschlossenen Thüren! und selbst jetzt wagt man es nicht, mir das ungerechte Urtheil selbst zu verkünden; man schickt einen der Helfershelfer, weil man sich schämt, in das Auge eines Unschuldigen zu sehen.
Der Vorsitzer sammelte die Stimmen, fuhr der Berichterstatter, ohne sich unterbrechen zu lassen, fort, indem er bei dem Jüngsten im Range anfangen ließ; der Vorsitzer gab seine Meinung zuletzt. Alle erklärten den Angeschuldigten für schuldig; man wendete auf ihn Artikel 2 Titel 4 des Kriegsgesetzbuches der Vergehen und Strafen von 21. Brumaire des Jahres fünf an, die also lauten – hier las der Major die mörderischen Paragraphen – dann sagte er langsam: und verurtheilten ihn demnach zum Tode.
Nie, rief der Prinz mit einem wilden Ausbruch der Leidenschaft, nie ist ein ungerechteres Urtheil gefällt worden. Mein Blut kommt über Euer Haupt; aber ich will, ich muß den ersten Consul sprechen, er kann kein Verbrechen geschehen lassen, das ihn auf immer entehrt.
Das Urtheil, las der Major mit schwankender Stimme, soll sogleich vollstreckt werden durch den Berichterstatter, nachdem dasselbe dem Verurtheilten in Gegenwart der verschiedenen Abtheilungen der Besatzungstruppen vorgelesen worden.
Eine athemlose Stille herrschte in dem Gemach. Der Verurtheilte forschte mit einem verzweiflungsvollen Blicke in den Gesichtern der Offiziere, ob keine Hoffnung für ihn zu finden sei; dann belebte sich plötzlich sein dunkles Auge mit einem Strahl des Stolzes und der erhabenen Ueberwindung.
Wollen Sie mir eine kurze Zeit lassen, meine Seele vorzubereiten zu dem letzten ernsten Wege? sagte er.
Der Major zuckte leise die Achseln. Dies sogleich des Kriegsgerichtes ist ein unabänderlicher Ausspruch, sagte er. Alles ist bereit.
Wohlan denn, versetzte der Prinz, ich habe als Soldat den Tod kennen gelernt, ich zage nicht vor ihm. Leben Sie wohl, mein theurer Villeneuve, Gott schütze Sie, und Sie, mein junger Freund! Wenn die Sonne der Freiheit Ihnen aufgeht, bringen Sie meinen Verwandten meine letzten Grüße und mein Vermächtniß, meinen Tod diesen Verblendeten zu vergeben. Ich vergebe Allen und sterbe ohne Haß, Gott allein gebührt die Vergeltung.
Er umarmte den alten Edelmann, der zu schwach, um aufzustehen, die Hand des Prinzen an seine Brust drückte. Jules wollte zu den Füßen des unglücklichen Herzogs sinken, aber er zog ihn an sein Herz und küßte die heißen Thränen von den Wimpern. Dann stand er einen Augenblick tiefsinnend und die verschlungenen Hände an Stirn und Augen gedrückt. Plötzlich ließ er sie sinken und mit ruhigem stolzen Lächeln trat er in den Kreis.
Ich bin bereit, sagte er mit festem Tone.
So folgen Sie mir, sagte der Kommandant Harel zitternd und leise, und nahm eine Doppellaterne aus der Hand eines Soldaten.
Der Prinz schritt der großen Thür zu, aber Harel wandte sich zum Hintergrunde und öffnete ein Pförtchen in der Mauer. Ein langer finsterer Gang zeigte sich und Stufen, welche in die Tiefe führten.
Wie? rief der Prinz zurückschaudernd, will man mich lebendig begraben?
Diese Gänge, sagte der Kommandant, führen in die unterirdischen Gewölbe des Thurmes und von dort in den Wallgraben. Ich gehe Ihnen voran.
Noch einmal wandte der Unglückliche den Blick zurück. Lebt wohl, meine theuren Freunde, sagte er, Gott schütze, Gott segne Euch! und rasch folgte er dem alten Offizier, die Soldaten und Wachen drängten sich nach, die schmale Thür fiel ins Schloß.
Villeneuve erhob sich mit Anstrengung, er beugte seine Knie, sein graues Haupt ruhte mit den gefalteten Händen auf dem Sessel; seine fieberglühenden Lippen sprachen Gebete.
Mein theurer, geliebter Vater, rief Jules, ihn umschlingend, Fassung! Ergebung in den allmächtigen Willen!
Der alte Edelmann hörte nicht, er murmelte weiter, leise, heftige Worte; Gnade, Vergebung, Rache mischten sich darin. Plötzlich fuhr der donnernde Schall eines Gewehrfeuers durch das stille Gemach, die hohen, düstern Mauern erdröhnten, und Villeneuve richtete sich mit Jünglingskraft empor:
Sohn des heiligen Ludwig, rief er, vereint mit Dir, auf ewig vereint!
Er strauchelte und sank mit einem Seufzer todt in die Arme seines Sohnes. Ohnmächtig stürzte Jules über die theure Leiche.
Monate waren vergangen, Jules schmachtete einsam in einem der Gefängnisse des Tempelthurmes, wo lange Jahrhunderte ihre Verbrechen übten, und dessen graue Steine, zum Leben erweckt, die Bücher der Geschichte verwandeln könnten. Einsam und verlassen, vergessen von den Lebendigen, vergingen ihm die Tage und Wochen trübe und eintönig, wie das Leben eines Gefangenen kaum einen Wechsel bietet. Ein einsilbiger Wächter reichte ihm, ohne zu sprechen, die Nahrung, und von Zeit zu Zeit erschien der strenge Kapitain Marginet, der Kommandant des Tempels, vielleicht um zu sehen, ob das Herz des Gefangenen durch Kummer und Einsamkeit mürbe und reif zum Geständniß geworden sei.
Man hatte ihn nur einmal verhört und die beiden Menschen ihm entgegengestellt, die in Beville sein Schicksal theilten. Es waren arme Auswanderer, die in London sich leicht bewegen ließen, in Paris mitzuwirken, jetzt aber eben so schnell ihre Rettung in dem Verderben der Bessern suchten. Man hatte sie, wie sie sagten, verführt, durch Versprechungen verlockt, und mit ängstlicher Hast suchten sie durch Uebertreibungen sich schuldlos zu machen. Zwar wußten sie wenig, aber dies Wenige genügte. Sie hatten oft die heftigen Aeußerungen Villeneuve's und seines Sohnes gehört, die Worte des Hasses gegen die Republik und den ersten Consul, die Verwünschungen über die Mörder in Paris und die Pläne der Zukunft, wenn die rechtmäßigen Herren von Neuem in Frankreich herrschen würden.
Ihre Anklagen wurden von Jules kalt geleugnet; er erklärte, nur seinem Vater gefolgt zu sein, der ein Recht hatte, ihm zu befehlen, und nichts von irgend einer Verbindung zu wissen.
Man führte ihn zurück und hielt ihn in geheimer strenger Haft, aber die furchtbaren Quadern eines Kerkers sind niemals dicht genug, um die Hoffnung abzusperren – und Hoffnung erfüllte das junge Herz des Gefangenen. Er lebte, das war genug, denn er wußte, daß der Tod hier an jeder Thür lauerte. Man ließ ihn unbeachtet, man schien ihn zu vergessen, das warf einen Trost in seine Brust.
Der Tempel war voll Menschen, die langsam geopfert wurden, und mit dem Ruf: Es lebe der König! starben. Moreau, Pichegrü, Polignac, Georges und seine Chouans Chouans sind in der französischen Revolution die Insurgenten auf beiden Seiten der Loire, welche für das Königthum und das Haus Bourbon die Waffen ergriffen. Man leitet den Namen von den Söhnen eines Schmiedes, Namens Chouan, her, da diese die Ersten gewesen sein sollen, welche die Waffen ergriffen. ( Anm.d.Verf.), alle waren mit ihm in diesen finstern Mauern; er hatte es erfahren, auch ohne seine Wächter. Neben ihm und über ihm saßen Leidensgefährten, die den tiefen menschlichen Drang der Mittheilung empfanden, wie er selbst, und durch keine Furcht vor Strafe sich schrecken ließen, um ihm zu genügen.
Leise klopfte man an die starken Wände: ein einzelner Schlag war der erste Buchstabe, das A, zwei Schläge bedeuteten B und so fort. Diese Sprache war mühsam, qualvoll und sinnverwirrend; Stunden vergingen, um eine einzelne Frage zu bilden, eine Antwort zu erhalten, aber für den Gefangenen giebt es keine Zeit, keinen Tag, keine Nacht; er sinnt über sein Schicksal, über die Freiheit, über die Kunst, seine Wächter zu täuschen, ihre Berechnungen zu betrügen und mit Entzücken verfolgt er jede erfinderische List.
Zuweilen, in der Stille der Nacht, zog ein Schrei des Jammers durch die öden Gänge, ein Lechzen und Röcheln, das geisterhaft aus der Tiefe zu steigen schien, und mit gesträubtem Haar und wilden Blicken horchte der Gefangene zitternd an der Thür seines Kerkers. Auch zu dem jungen Villeneuve war die Kunde gedrungen, daß in den unterirdischen Gewölben zuweilen mit Folterqualen Geständnisse erpreßt würden, und in wahnsinniger Fiebergluth warf er sich auf sein Lager, um zu vergessen, daß auch seine jungen Glieder unter den Zangen mordlustiger Henker zerbrechen könnten.
Furchtbare Träume ängstigten ihn, bis der Morgen kam, und mit neuem Entsetzen hörte er dann die Schritte der Wachen, das Klirren der Gewehre, klagende, weinende und rauhe Stimmen, die Abschied von der Welt zu nehmen schienen, bis endlich der Donner mehrerer Schüsse ihn überzeugte, die Macht der Menschen habe aufgehört für sie.
Während so Jules im Tempel Tag für Tag einförmig verschwinden sah, erschien eines Morgens im Kabinette des Generaladjutanten Savary der junge Troche. Der General hatte so viele Beschäftigungen gehabt, Reisen gemacht und Aufträge seines Herrn erfüllt, daß er sein Abenteuer und die Rettung der jungen Emigrantin fast vergessen hatte. Erst jetzt erinnerte er sich daran und mit Erstaunen sah er in das blasse, scheue Gesicht des kleinen Verräthers, der gar nicht mehr so verschmitzt und listig aussah, als früher.
Nun, Troche, sagte der General, ich denke Du hast Deinen Auftrag schlecht erfüllt und Dein Pflegekind sterben lassen.
Sie lebt, mein Herr, sagte der junge Mensch seufzend.
So hast Du sie entfliehen lassen, Spitzbube!
Sie ließen nichts von sich hören, General, versetzte Troche, und hätte sie entfliehen wollen, es wäre mir recht gewesen; allein, sie wollte nicht.
Nicht? sagte Savary. Nun, was hast Du mit ihr gemacht?
Troche öffnete die Thür. Kommen Sie herein, Mademoiselle, sagte er.
Ein junges Mädchen trat in das Zimmer, es war Clementine, in der Tracht der Bürgerinnen der Küste. Das schöne, blasse Gesicht war mit einem schwarzen Tuche umwunden, die edle Gestalt selbst in dem groben Kleide auffallend. Ein sinnender, tiefer Ernst lag in den dunkeln Augen, eine Kraft des Willens, welche den General verlegen machte.
Er bat sie, sich zu setzen, und mit der Würde und dem Stolze einer Dame von Stande nahm sie Platz auf dem Sopha.
Ich komme, Ihnen zu danken, General, sagte sie, denn mein junger Freund hier hat mir nicht verschwiegen, was Sie zu meinem Schutze thaten, aber ich komme auch, Sie anzuklagen. Sie sind es, durch den ich Vater und Bruder, die Stützen meines Lebens, zugleich verlor.
Rechten Sie nicht mit meinen Pflichten, rief Savary verlegen und erstaunt über diese Beschuldigung. Der Bürger Frankreichs, der Adjutant des ersten Consuls durfte sich diesen nicht entziehen. Ich beklage Ihr Unglück, das Schicksal Ihrer theuren Verwandten, aber ich bin erschreckt, ich zittere für Sie, Mademoiselle; Sie hätten niemals nach Paris kommen sollen.
Hier sind meine Hände, sagte Clementine ruhig, rufen Sie Ihre Wachen, ich bin bereit, den Kerker zu theilen, der meinen Bruder und so viele edle Männer, echte Franzosen, Freunde des unglücklichen Königs, umschließt. Mein Vater ist todt, und die feilen Journale haben ihn als Verräther öffentlich gebrandmarkt, beklagt, daß der Himmel ihn mitleidig den Händen seiner Henker entzog; ich werde seine Stelle ersetzen, ich fürchte nichts.
Savary blickte sie forschend an.
Was denken Sie hier zu thun? fragte er nach einer Pause.
Ich kam hierher, versetzte sie, um Ihren Rath zu hören, Ihren Beistand mir zu erbitten.
Der General zuckte die Schultern.
Sie geben mir keine Hoffnung, rief Clementine feierlich, aber ich vertraue auf den Beistand Gottes und seiner Heiligen. Wenn mein Vater schuldig war nach Ihren grausamen Gesetzen, so ist mein Bruder doch unschuldig, wie ein Kind, das seinen Eltern gehorcht. Sie wollen ihn nicht retten, General?
Ich kann die Mauern seines Kerkers nicht zerbrechen, versetzte Savary.
Wohlan denn, sagte Clementine, man hat mir viel von der Güte Josephinens erzählt, verschaffen Sie mir Gelegenheit, mich zu ihren Füßen zu werfen, sie um die Rettung eines Unschuldigen anzuflehen.
Savary ging unruhig auf und nieder.
Gut, sagte er, ich werde versuchen, was ich thun kann, aber verhalten Sie sich ruhig, diese Sache ist wichtig; es könnte sein, daß ich bald Paris auf einige Zeit verließe, unternehmen Sie nichts ohne mich, versprechen Sie mir das.
Das Fräulein von Villeneuve warf einen durchdringenden Blick auf den jungen General.
Ich vertraue Ihnen, sagte sie dann, ich will warten und hoffen, aber lassen Sie mich meinen unglücklichen Bruder sehen.
Er ist in geheimer Haft, erwiderte der General, und blätterte in einer langen Liste, doch warten Sie, – er entfernte sich einige Augenblicke, dann kehrte er zurück und sagte: Im Temple ist heute ein wichtiges Verhör, bei welchem wahrscheinlich auch Herr von Villeneuve erscheinen wird. Versprechen Sie mir, ganz ruhig zu sein, so schreibe ich Ihnen eine Eintrittskarte.
Clementine legte zitternd die Hände auf das ängstlich schlagende Herz.
Gewiß, rief sie, ich werde mich nicht verrathen.
Der General schrieb ein Billet an den Kommandeur des Gefängnisses und übergab es dem schönen, dankenden Mädchen. Lange hielt Savary ihre Hand in der seinen. Er bat sie, einen Zufluchtsort anzunehmen, den er ihr bestimmte, im Hause einer Dame, wo sie Verborgenheit und Ruhe finden würde; er versicherte sie nochmals seiner ganzen Theilnahme und entließ sie endlich mit tausend Versprechungen.
Arme Clementine! rief der General, als sie gegangen war. Laß sehen, ob es mir gelingt; und wenn es glückt, dann – er lächelte vor sich hin. Vielleicht vergibt sie dem Retter des Bruders den Tod des Vaters, sagte er.
Im Thurme des Tempels war die junge Bürgerin und ihr Begleiter leise auf die Tribüne getreten, wo eine Anzahl Zuschauer dem großen Verhöre beiwohnte. Ein hoher Mann mit wildem Blicke stand an der Barre, ein Dutzend andere, nicht minder auffallende Gestalten waren ihm zur Seite gruppirt; und ihnen gegenüber saß der junge, kerkerbleiche Villeneuve, bei dessen Anblick Clementine nur mit Mühe den Schrei des Entsetzens unterdrückte. Sie wankte und hielt sich an Troche, der bittend ihr zuflüsterte, sich zu fassen, oder ihm zu folgen, da schon die Augen der Menge sich auf sie wendeten.
Sie leugnen also, Bürger George Cadoudel, sagte der Oberrichter, jemals etwas von diesem Angeklagten hier gesehen oder gehört zu haben?
Mein Wahlspruch ist, versetzte der große Mann mit tiefer, drohender Stimme, Jeden für sich sorgen zu lassen, und keinem Richter und Henker gefällig zu sein. Was mich selbst betrifft, so habe ich in meinen Antworten niemals ein Hehl gemacht, daß ich ein treuer Diener meines Herrn, des Königs bin, und nichts so sehr bedauere, als daß es mißglückte, dem ehrgeizigen Usurpator den gerechten Lohn zu reichen. Ihr habt mich gefangen und nun verurtheilt mich, ich verachte den Tod; um jedoch einen Unschuldigen zu retten, so betheure ich, daß ich diesen jungen Herrn von Villeneuve niemals gesehen und nichts von ihm gehört habe.
Der Oberrichter machte noch einige Kreuz- und Querfragen, auf welche George gar keine Antwort ertheilte; endlich sagte dieser mit großer Heftigkeit:
Was hilft das Sprechen, und was hilft das Betheuern der Schuld oder Unschuld! Vor diesem Tribunale ist Alles schuldig, was dem Ehrgeize Eures ersten Consuls im Wege steht. Darum, meine Herren, legen Sie sich keinen formellen Zwang an, Sie täuschen die Welt doch nicht, verurtheilen Sie uns und machen Sie der Komödie ein Ende, die uns zu der traurigen Rolle von Hühnern oder Gänsen verurtheilt, welche so lange im engen Raume gemästet werden, bis der Tag erscheint, wo man sie abschlachtet.
Diese Worte machten einen erschütternden Eindruck, eine tiefe Stille herrschte.
Wir kennen Ihre halsstarrige Böswilligkeit, George Cadoudel, sagte der Oberrichter, aber Sie, junger Mann, bedenken Sie wohl das Schreckliche Ihrer Lage, Ihre Jugend verdient Nachsicht, bekennen Sie die einfache Wahrheit, welche die Milde des Gesetzes zur Folge haben kann.
Ich habe nichts zu bekennen, versetzte Jules; ich kenne nicht Einen dieser Männer.
Der Oberrichter ergriff die Klingel auf dem Tische. Ein Vorhang flog im Hintergrunde auf, und zwischen zwei Gensd'armen zeigte sich die Gestalt eines Offiziers.
Kennen Sie diesen Herrn auch nicht? rief der Oberrichter.
Jules sprang empor, leichenblaß, mit weit geöffneten Armen. Kapitain Wright! rief er, im Namen Gottes, er ist es!
Sprechen Sie es aus, sagte der Oberrichter, dieser Offizier setzte Sie bei Beville ans Land; er war es, der in dem nächtlichen Kampfe französische Bürger tödtete?
Ein Schrei von der Tribune hatte sich mit diesen Ausrufungen gemischt, eine Gruppe bildete sich um eine Ohnmächtige, die hinaus in die Luft gebracht werden mußte.
Der junge Villeneuve hatte sich schnell gefaßt, der englische Offizier sah ihn mit ernsten, fremden Blicken und doch unaussprechlich wehmüthig an.
Nein, sagte er, Kapitain Wright ist mir nur in England bekannt geworden.
Und Sie, George Cadoudel, auch Sie leugnen, daß Kapitain Wright Sie und Ihre Genossen nach Frankreich brachte? fragte der Richter.
Zum letzten Male erkläre ich, erwiderte George, daß ich auf keine Frage antworten werde, die nicht unmittelbar mich selbst betrifft.
Es bedarf Ihres Eingeständnisses nicht, versetzte der Oberrichter. Dieser englische Offizier, der alle Landungen der Verbannten leitete und dessen Schiff vor wenigen Wochen an der Küste des Morbihan scheiterte, wird hoffentlich selbst seine Theilnahme nicht ableugnen wollen. Als er und seine Mannschaft gestern hier eintrafen, begrüßten die Matrosen Sie selbst, George Cadoudel, und Ihre Leute als alte Freunde; auch den Bürger Villeneuve erkannten sie in seinem Gefängniß, und Ihre Aussagen haben die Wahrheit an den Tag gebracht. Reden Sie nun, Kapitain Wright, nennen Sie die Verräther, welche Sie gegen alles Völkerrecht landeten; vertheidigen Sie sich.
Ich bedarf keiner Vertheidigung, versetzte der Engländer stolz. Ich erkenne Niemand hier für meinen Richter. Mein Vaterland ist mit Frankreich im Kriege, ich befolgte die Befehle meiner Vorgesetzten, ihnen allein bin ich Rechenschaft schuldig.
Täuschen Sie sich nicht, mein Herr, rief der Oberrichter drohend, nicht einem englischen Minister, der Banditen besoldet und den Mordstahl gegen Frankreichs ersten Bürger schleift, haben Sie Rechenschaft zu geben, wir, die Obrigkeit dieses Landes, sind befugt, Sie zu richten.
Ich reklamire das Recht und die Achtung eines Kriegsgefangenen, sagte Wright.
Sie sind der Theilnehmer und Beförderer schändlicher Verbrecher, versetzte der Oberrichter, der Helfershelfer Pitt's, der kein Mittel scheut, Frankreich zu verderben; als solcher haben Sie kein Recht, ein einfacher Kriegsgefangener zu sein. Sie sind ein politischer Gefangener, ein Genosse dieser Männer hier und werden dieselbe Behandlung und Strafe erleiden, welche jene trifft.
Ich bin in Ihrer Gewalt, sagte der Brite, aber wagen Sie es, eine Unmenschlichkeit an mir zu begehen.
Wir werden verfahren, wie Sie es verdienen, sagte der Oberrichter.
So wird England mich zu rächen wissen, rief der Kapitain. Jetzt thun Sie, was Sie wollen, meine Zunge ist stumm.
Das Verhör wurde geschlossen, die Gefangenen zurückgeführt, und als ein einsamer Kerker den unglücklichen Kapitain aufnahm, lehnte er sich in unaussprechlichen Schmerzen der Seele, in einem Sturm der glühendsten und zerreißendsten Empfindungen an die verwetterte graue Mauer, welche so viele Seufzer schon gehört, so viele trostlose Klagen vernommen hatte.
Wright hatte die junge Bürgerin erkannt, welche von der Tribune im sinnlosen Leid ihm die weißen Arme entgegengestreckt hatte. Er hatte den herzzerreißenden Schrei gehört, mit welchem sie in die Arme ihres Begleiters sank, und fort und fort vernahm er ihn. Er sah sie vor sich stehen mit den angsterfüllten, blassen Zügen, mit den Augen voll Liebe und Verzweiflung, mit aller der rührenden, ohnmächtigen Erbarmung, die helfen und retten will um jeden Preis und vergebens von Gott und Menschen Erhörung fleht.
Sein Blut rollte fieberisch durch Herz und Kopf; bald besänftigte ihn der Gedanke, daß sie lebe und ihn liebe, bald wieder sah er sie in Elend und Schmach und trostlos und verzweifelnd in dieser großen Stadt des Jammers verfolgt, ergriffen, hingeopfert, krank und sterbend; diese zarte Natur allen Schrecken Preis gegeben, und das Beil des Henkers auch über ihr schönes, stilles Haupt geschwungen.
Im Dunkel des Abends traten dann die Gestalten marternder hervor. Jules war sein Leidensgenosse, und vielleicht trennte nur eine undurchbrechliche Wand ihn von dem jungen Freunde. Nach und nach erhitzte sich sein Zustand, die Erbitterung seines Gemüths bis zur Raserei. Er schlug ungestüm an die dröhnenden Mauern, laut rief er die theuern Namen, er zerriß sein Kleid, um freier zu athmen.
Dann tobte er wieder und rief von Neuem, bis die Wache auf dem Gange an die Doppelthür pochte und ihm Ruhe und Schweigen befahl. Wright antwortete mit einer Verwünschung, er ballte die Fäuste, er fühlte die gierigste Mordlust in sich und hörte zitternd vor Grimm die Stimme des Wächters, der ihm spottend mit Strafe und Ketten drohte, wenn er fortführe ein toller Narr zu sein.
Endlich war er gesammelt genug, sein Schicksal zu bedenken. Er hatte über arge Schicksalsschläge zu sinnen. Eine Sturmnacht warf sein Schiff an die feindliche Küste, die so lange den verwegenen Kutter mit Schrecken betrachtet hatte. Von Gefängniß zu Gefängniß hatte man ihn und seine tapfere Mannschaft geschleppt, und er konnte sich nicht verhehlen, daß ein gewisser Schein des Rechts dem Tribunal zur Seite stand, wenn es ihn als einen Mitwisser der Pläne des vertriebenen Königshauses, als thätigen Vermittler ihrer Absichten, nicht als Kriegsgefangenen allein, sondern als Verschworenen zum Umsturz der Republik betrachten wollte.
Aber sein britischer Stolz verwarf es, diesen Richtern irgend eine Antwort zu ertheilen, und sein Charakter verabscheute jede Eröffnung, welche Andere beschuldigen könnte. Männlich fest beschloß er nach dem ersten Sturme, sein Schicksal zu tragen, und nach und nach belebte die Hoffnung von Neuem seine Seele.
Clementine war frei, und sein Gefängniß mußte sich einst öffnen. Lange Stunden und Tage lag er und dachte sich die Zukunft versöhnungsvoll, entschädigend für schwere Leiden, und jede fliehende Minute war ein Schritt weiter zu dem grünen Lenze seines Glückes. Er hatte viele Verhöre mit Georges, mit Pichegrü und anderen Häuptern, auch mit Jules. Es gelang ihm einst, die Hand des jungen Freundes zu drücken und eine Frage nach Clementinen und dem Vater zu thun, aber die wachsamen Gensd'armen trennten sie, ehe Jules eine Antwort flüstern konnte. Der junge Mann schüttelte traurig den Kopf, das war Alles, und vergebens durchspähte Wright die Tribüne der Zuschauer, Clementine ließ sich nie mehr sehen.
Endlich verging der Sommer, Pichegrü hatte sich erwürgt, Moreau war deportirt, George's schuldiges Haupt unter dem Beile gefallen, seine Anhänger und Freunde erschossen. Die Gefängnisse leerten sich, die Verhöre wurden selten, einsame Stille begann den alten Thurm zu umschließen und Wright's Schicksal blieb unentschieden.
Düstere Zweifel verdrängten die Hoffnungen auf Befreiung, er hatte nichts bekannt und wollte nichts bekennen. Mit jedem neuen Verhör waren seine Antworten bitterere Klagen und heftigere Beschuldigungen gegen die Gewalt, welche er litt. Aber die Richter hatten mehr als ein blutiges Urtheil zu rechtfertigen; man suchte einen Mann, von welchem man hoffen durfte, daß er im Stande sei, Licht in das Dunkel der Verschwörung zu bringen und Pläne zu enthüllen, welche jener Strenge gleichkamen. Wright, im Vertrauen Pitt's und der Flüchtlinge in England, mußte mehr wissen, als alle Andern; er war es, der zum Bekenntniß gebracht werden mußte.
Man verbesserte die Lage des Gefangenen. Ein gutes Zimmer, größere Freiheit, ein wohlbesetzter Tisch, Bequemlichkeit und Luxus wurden dem englischen Kapitain bewilligt, und von Zeit zu Zeit besuchte ihn der oberste Leiter aller dieser Untersuchungen, der schlaue Réal, der mit Höflichkeit und Theilnahme von seinem Schicksale, von der Milde des ersten Consuls und der unmenschlichen Rachgier des englischen Ministers sprach, welcher edle Männer zum Mord anrege und sie ins Verderben stürze.
So verschwendete er Monate lang Bitten und Schmeicheleien. Nach und nach wurde er dringender, er sprach von den großen Belohnungen, welche der zu hoffen habe, welcher diese unwürdigen Pläne enthülle, und nicht den Dank Frankreichs allein, sondern der ganzen Menschheit, der Mit- und Nachwelt verdiene.
Und diesen Mann glauben Sie in mir gefunden zu haben, Herr Staatsrath? sagte Wright endlich lächelnd.
Ja, Kapitain Wright, versetzte Réal nach einem langem prüfenden Blicke. Sagen Sie sich los von diesem höllischen Macchiavellismus, der, mit dem Mordstahl bewaffnet, das Verderben aufregt, und blutige Rache erzeugt. Bekennen Sie diese schändliche Verbrüderung, um sie in den Augen der ganzen Welt zu brandmarken, und ich verspreche Ihnen nicht allein die Freiheit, sondern ein neues Vaterland, das Sie mit Ehren und Ruhm überhäufen wird.
In Wright's Gesicht malte sich eine Entrüstung, die er mühsam mäßigte.
Seh' ich aus, wie ein Verräther an Ehre und Vaterland? sagte er, o! so mag der Himmel diesen Zug aus meinem Gesicht nehmen, der Menschen, wie Sie, den Muth geben kann, mich so zu erniedrigen.
Welche Schwärmerei ergreift Sie, Kapitain, versetzte Réal mit einem spöttischen Lächeln.
Schweigen Sie, mein Herr, rief Wright, oder bei Gott! Sie werden Niemanden mehr zur Schande verleiten.
Sie sind thöricht, mein Lieber, sagte Réal, und verkennen Ihre Lage.
Nur zu wohl erkenne ich diese, wie Ihren niedrigen Jesuitismus, rief Wright.
Und wissen Sie auch, fuhr der Staatsrath fort, und seine Augen glänzten in einem kalten Hohne, daß man Mittel hat, verstockte Bösewichte zum Geständniß zu bringen?
Ich weiß es, rief der Kapitain heftig, Ihre Henkerseele verschmäht selbst die Folterqual nicht, um Geständnisse gewaltsam und lügenvoll zu erpressen. Ich habe nächtlich wohl mehr als einmal das Gewimmer gehört, das aus den Gewölben hervordrang, wo Sie und Ihresgleichen Gerechtigkeit übten. Allbarmherziger Gott! was läßt Dein unerforschlicher Wille geschehen! Aber triumphiren Sie nicht, lächeln Sie nicht mit dieser Teufelsmiene, Sie haben Ihren Mann gefunden.
Wir wollen sehen, mein Lieber, sagte der Staatsrath kalt.
Wenige Stunden später war Wright in ein ödes, feuchtes Gemach versetzt, einen Aufenthalt der gemeinsten Verbrecher. Die schwere Kette an der Wand schien bestimmt, nächstens seine Glieder zu umschließen und mit traurigen Ahnungen seine Seele zu erfüllen. Das kleine engvergitterte Fenster war ihm unerreichbar, seine Nahrung schlecht und ungenügend. Er empfand die Wirkung der Rache, aber sein Wille war fest und er lachte zu den Qualen des Leibes, die man ihm bereitete.
Er dachte an Clementine, an seine Liebe, an die Zukunft, die ihn frei und glücklich machen sollte, und wenn der Körper auch verfiel, wenn düstere Stunden ihn mit nagender Verzweiflung erfüllten, dann rief er sich das hohe Bild der Geliebten vor. Tröstend erschien es ihm, er breitete selig die Arme in die Nacht des Kerkers aus, und Thränen des Schmerzes und der Lust stillten fieberhafte Qual.
In der Vorstadt des Mont Martre hatte Clementine durch Savary's Veranstaltungen ein Asyl bei der Witwe eines Mannes gefunden, der in den Stürmen der Revolution das Leben verlor. Madame Dublanc war eine verständige, gutgesinnte Frau, die schnell das ganze Vertrauen der Verlassenen besaß, und ihre Hoffnungen ermunterte.
Savary's Einfluß ist groß, seine Stellung bedeutend, und wenn er will, sagte die Witwe, so werden sich die Kerkerthüren eher öffnen, als wenn alle Könige der Erde sich dafür verbänden.
Aber Clementine bangte jetzt nicht mehr allein um das Leben ihres Bruders, auch der theure Freund theilte sein Schicksal, und diese ängstliche Sorge um ihn, ein Geheimniß, das sie tief bewahren mußte, vermehrte ihre Schmerzen.
Der General besuchte seinen Schützling in den nächsten Tagen, und Clementinen konnte es nicht verborgen bleiben, daß seine Theilnahme sich mit einer Zärtlichkeit mischte, die sie zittern machte. Sie war ihm Dankbarkeit schuldig, ihre ganze Hoffnung beruhte auf seinen Beistand, aber mit Schaudern sah sie in ihm auch den Mörder ihres Vaters, den Angeber, den Helfershelfer eines verhaßten Mannes, den Feind ihres Bruders, ihres Geliebten.
Dieser Kampf ihrer Gefühle erschöpfte den Rest ihrer physischen Kraft. Ein furchtbares Nervenfieber ergriff sie, und Monate vergingen, ehe sie von Neuem über ihr Schicksal nachdenken konnte.
In allen Leiden war Troche ihr treuer Freund. Der junge Mensch verehrte sie mit einer frommen Hingebung. Er betete und wachte an ihrem Bett, und als sie zuerst ihn wiedererkannte und ihm die Hand reichte, bedeckte er diese mit seinen Küssen und Thränen.
Plötzlich richtete sie sich auf:
Leben sie noch? rief sie, und sah ihn ängstlich prüfend an.
Troche betheuerte es und mit einem Lächeln des Dankes sank die Kranke zurück.
Von diesem Augenblick an erfolgte die Besserung, neue Stärke des Lebens floß durch die jungen Glieder. Als der General wieder erschien, konnte sie ihm entgegeneilen, ihm für seine Theilnahme danken und ihn mit neuen Bitten bestürmen.
Wie schön war sie in dieser Auferstehung zum Leben! Der leise Hauch der Gesundheit schimmerte auf den blassen Wangen und kämpfte mit dem Engel der Vernichtung darin. Die Grenzlinie des Grabes und der Vernichtung war leise über diese edlen Züge gezogen, aber es war ein verschwimmender Gedanke, der in dem Gruße einer neuen Blüthe unterging.
Der General konnte sich nicht satt sehen an dieser rührenden Lieblichkeit. In den stolzen Sälen des ersten Consuls waren viele schöne strahlende Frauen, aber nie glaubte er eine edlere weibliche Bildung erblickt zu haben, als dies blasse Kind im weißen einfachen Gewande. Eine heftige Empfindung stürmte durch seine Brust, er ergriff ihre beiden Hände und küßte sie mit wachsender Leidenschaft.
Clementine, rief er, geben Sie mir Rechte, für Sie zu handeln, und ich werfe mich selbst zu den Füßen Buonaparte's, um Gnade für den Bruder meiner Gattin zu erflehen.
Sie sah ihn flehend und zitternd an; dann zog sie langsam die Hände aus den seinen.
Ich, sagte sie, ich bin die Tochter eines Mannes, der für seinen König starb, und Sie der Gefährte und Diener seiner Gegner. O! mein Freund, ein blutiger Schatten würde sich ewig zwischen uns drängen und der Zorn Ihres Herrn würde die Lebenden treffen. Nicht diese finstere Stirn, diese zürnende Falte, General, fuhr sie bittend fort, Ihr Herz leidet und das meine ist zerrissen, aber ermannen Sie sich, empfinden Sie, daß es unmöglich ist.
Unmöglich ist es, sagte Savary düster, weil ich ein Thor gewesen bin. Sie haben Recht, Mademoiselle von Villeneuve, rief er dann mit einem erzwungenen Lächeln, ich vergaß unsere Stellung und die ältern Ansprüche Ihres Schützers Wright's.
Sie sah unaussprechlich sanft und vorwurfsvoll zu ihm empor.
Ich leide sehr, sagte sie; O Himmel! wie viel kann ein schwaches Herz ertragen. Aber gehen Sie, mein Herr, überlassen Sie mich meinem Schicksale und Gott segne Sie, Gott mache Sie ganz glücklich!
Nein, rief Savary, und faßte ihre Hände von Neuem, Ihr Freund, Ihr Schützer wird nicht von Ihnen weichen, Clementine. Hören Sie mich an, Ihr Bruder ist verurtheilt, aber wir wollen vereint den letzten Schritt zu seiner Rettung thun. Ich habe mit Josephinen gesprochen, ich führe Sie zu ihr, Sie werden den ersten Consul sehen, flehen Sie seine Gnade an.
Wann, wann, mein theurer Beschützer? rief sie weinend. O! meine Bitten sollen ihn rühren, er wird es nicht abschlagen, er kann es nicht, ich werde seine Knie umschlingen, bis er mich erhört.
Erwarten Sie mich, sagte der General, ich werde wiederkommen und mein Wagen soll Sie zu ihm führen.
Er ging, und Clementine warf sich an die Brust ihrer Freundin.
Nun weiß ich es, sagte sie mit leuchtenden Augen, nun ist er gerettet.
Sie war fröhlich wie ein Kind und scherzte mit dem bleichen Troche, der stumm und traurig ihre kleinen Befehle erfüllte.
Ich glaube, Du weinst, mein armer Freund, sagte sie. Freue Dich mit mir, denn nach langem Winter kommt die Sonne zurück und macht uns Alle glücklich.
Mich nicht, sagte Troche leise, mich niemals!
Du bist ein Thor, rief sie lachend. Wir eilen nach England und Du begleitest uns; Du verläßt uns nie. Du hast mich gerettet, Du bist mein wahrer Ritter der Treue und mein Freund für immerdar.
Ich, ich? rief der junge Mensch zitternd und benetzte ihre Hand mit seinen Thränen, o! welche schwere Verbrechen habe ich zu büßen. Mein alter Vater hat mir geflucht, weil ich es war, der den Gensd'armen bei Beville zum Führer diente, und bin ich denn nicht die Quelle Ihres ganzen Unglücks? Man sagte mir freilich, zeige uns den Weg und nimm dies Gold, oder Du wirst erschossen und Dein Vater dazu; aber hätte ich wissen können, daß Sie auf dem Schiffe waren – er hielt inne und betrachtete das Fräulein mit flammenden Blicken.
Du hättest mich nie verrathen, fuhr Clementine fort.
Nie, nie! rief er in großer Aufregung, und hätte man mich langsam in glühendes Blei getaucht.
Guter Troche! rief Clementine, und reichte ihm beide Hände, sei fröhlich, wir werden Deinen Vater versöhnen, laß uns nur erst in England sein. Alles wird gut werden, und was willst Du mehr?
Ich möchte für Sie sterben können, murmelte er leise, aber begleiten kann ich Sie nicht. Ich werde Soldat, weit an den Grenzen, noch weiter über alle Meere, das ist das Beste für mich.
Clementine blickte erschrocken in sein blasses, verzerrtes Gesicht; plötzlich aber trat Savary herein, und mit einem Schrei des Schreckens starrte sie ihn an. Der General sah verwirrt und erhitzt aus, seine Augen leuchteten in Schmerz und Zorn, sein ganzes Wesen verkündete der ahnenden Seele Clementinens ein Unglück. Er führte sie schweigend zu dem Sopha.
Reden Sie, General, rief sie mit tödtlicher Angst, ich sterbe tausendfach.
Man will Sie nicht sehen, sagte er mit bitterer Kälte, man hat alle meine Hoffnungen getäuscht, mächtige Feinde haben meine Bitten hintertrieben. Der erste Consul hat einen bösen Tag heut, seine Gemahlin weigert sich, seinem Zorn entgegenzutreten; von Réal ist nichts zu hoffen, vergebens suchte ich ihn zu gewinnen, er besteht darauf, und morgen –
Morgen, rief Clementine außer sich, ist es zu spät.
Savary blickte finster zur Erde, ohnmächtig sank das Fräulein in seine Arme. Langsam, nach Stunden erst, erholte sie sich; der General war tief bewegt.
Hören Sie mich an, Clementine, sagte er, Gefahren drohen uns Allen; man weiß, daß Sie hier sind, man kennt Ihren Zufluchtsort, und wahrscheinlich hat man den ersten Consul schon mit Gedanken des Mißtrauens gegen mich erfüllt. Ich werde meine Feinde schnell entlarven, rief er drohend, aber ich kann Sie nicht mehr beschützen. Sie müssen fort, noch in dieser Nacht. Hier ist ein Paß für Sie und Ihren Diener Troche, nehmen Sie ferner diesen Wechselbrief auf ein deutsches Handelshaus in Frankfurt; es ist ein Darlehn, nichts weiter. Ein Reisewagen ist bereit, er erwartet Sie, reden Sie nichts weiter, es muß sein. Güte oder Gewalt müssen Sie bestimmen.
Und mein theurer, unglücklicher Bruder?! rief das Fräulein flehend.
Savary senkte finster das Auge.
Es ist hart, sagte er, wenn ein gewaltsames, vorzeitiges Scheiden geliebte Wesen trennt und an dem furchtbaren Gedanken der Ewigkeit sich ein weiches wundes Herz ermüden soll. Aber sind Sie nicht eine jener hoffenden, gläubigen Seelen, die hinter den unerforschlichen Schleiern eine zweite Welt voll reiner Freuden, ein untrennbares Wiedersehen erblicken? Und was sind gegen diese Hoffnungen eine Reihe kümmerlicher Erdenjahre mehr oder weniger verlebt! Muth, meine theure Clementine, der geprüfte Mensch muß unvermeidliche Schicksale mit Fassung ertragen, darin besteht die wahre Erhebung einer edlen Seele.
Diese Worte klangen ihr wie Hohn aus seinem Munde, wie der freche Spott eines Mannes, dem das Jenseits nichts ist als ein Mährchen, ersonnen zum Trost der Schwachen.
Sie sah ihn lange sinnend an.
So ist keine Hoffnung? sagte sie dann mit leiser Stimme.
Ich gebe Ihnen keine, versetzte er, um Sie nicht zu täuschen; aber noch ist nicht alles verloren, noch kann ein günstiger Augenblick erscheinen und überlassen Sie es mir, ihn zu benutzen.
Sie sah, daß er selbst nicht glaubte, was er sprach, und eine besonnene Ruhe schien sie zu erfüllen.
Nur eine Bitte noch habe ich zu wagen, rief sie plötzlich, und ich reise. Lassen Sie mich von meinem Bruder Abschied nehmen.
Ihre Hände falteten sich betend und Savary suchte vergebens sie zu überzeugen, daß es nicht in seiner Gewalt sei. Weinend warf sie sich zu feinen Füßen und beschwor ihn, sie zu erhören. Endlich besiegte die schöne, leidende Gestalt seinen Widerstand.
Es ist nicht recht, was ich thue, sagte er, ich vermehre Ihre Schmerzen und die meinen, doch Ihr Wille soll geschehen; schwören Sie mir aber, dann sogleich in den Wagen zu steigen und meine Bitte zu erfüllen.
Sie versprach es feierlich.
Fürchten Sie nichts, General, sagte sie. Bei Gott und allen Heiligen! ich werde Ihr Vertrauen nicht mißbrauchen.
Dann warf sie einen weiten dunklen Mantel über und folgte ihm. An der Thür hielt eine Postchaise mit vier Pferden. Der General sprach mit Troche und dem Postillon.
Dieser Wagen, sagte er, soll Sie am Temple erwarten, und dann ohne Aufenthalt fort.
Es war tief in der Nacht, als sie an den Pforten des Gefängnisses standen. Der Kommandant wurde geweckt, und der General sprach leise mit ihm. Der alte Offizier schien weigernde Bemerkungen zu machen und Clementine zitterte. Endlich ward Savary's Stimme zum Gebot.
Ich übernehme jede Verantwortung, sagte er, Sie thun es auf meinen ausdrücklichen Befehl, was auch der Staatsrath Réal gesagt haben mag, es ist der Wille des ersten Consuls.
Der Kommandant verbeugte sich bei diesem allmächtigen Worte und der General wandte sich zu seinem Schützling.
Gehen Sie mit diesem Herrn, sagte er streng und kalt, und leben Sie wohl. Der Morgen bricht heran, Sie haben eine halbe Stunde Zeit.
Er wendete sich rasch und ging hinaus.
Durch lange Gänge; bei Wachen und Posten vorüber, folgte Clementine zagend ihrem Begleiter. Endlich standen sie vor einer Eisenthür und die Riegel fielen.
Nehmen Sie dies Licht und treten Sie ein, sagte der Oberaufseher, in einer halben Stunde sollen Sie abgerufen werden.
Leise schritt Clementine vorwärts. Ein Mensch schlief ruhig auf dem harten Lager. Als sie ihm nahte, richtete er sich auf und laut weinend sank sie in die Arme ihres Bruders.
Welche Scene der Schmerzen und der Liebe! Jules preßte sie an sein Herz und küßte ihre Locken und ihr Kleid.
O! sie sind menschlicher, als ich dachte, sagte er. Mit dem Grauen des Tages soll ich sterben; mein letztes Wort sollte ein Fluch sein, nun wird es ein Gebet des Dankes werden.
Du darfst nicht sterben, sagte Clementine mit Heftigkeit, ich bin hier, um Dich zu befreien. Wir sahen uns stets zum Verwechseln gleich, nun haben Gram und Gefängnißluft uns noch ähnlicher gemacht. Du nimmst meine Kleider, ich die Deinen; draußen wartet ein Wagen, hier sind Pässe, Geld und Wechsel, Du entfliehst, ich bleibe statt Deiner. Sage nicht nein, Jules, unseres Vaters Geist umschwebt uns, er befiehlt Dir, Dich zu retten, Du mußt, oder sein zürnender Schatten wird Dich empfangen.
Ein langer und edelmüthiger Streit entspann sich zwischen Beiden; endlich siegten Clementinen's Bitten, und die Liebe zum Leben, zur unverhofften Freiheit am Rande des nahen Grabes, erwachte in Jules.
Aber, wenn man Dich entdeckt, wenn man Dich straft und Deinen Edelmuth grausam büßen läßt – sagte er zögernd und ringend mit sich selbst.
Fürchte nichts, rief Clementine, und ihre Augen glühten vor Begeisterung; wenn sie mich entdecken, wird es zu spät sein, Dich wieder zu fangen; und meine That findet Nachsicht; man wird es nicht wagen, ein Mädchen zu strafen, welches hundert Wächter überlistete.
Sie trieb ihn mit dringenden Bitten zur Eile, und kaum hatten sie die Kleider getauscht, als die Schlüssel in der Thür knarrten und der Oberaufseher erschien. Zitternd hielten sie sich umschlungen, ihre Thränen und Seufzer mischten sich, und ihr ersticktes letztes Lebewohl rührte selbst das harte Gemüth des Mannes, der so viele Leiden bewachte.
Als die Thür geschlossen war, warf sich Clementine betend nieder. Todesangst erfüllte sie, mit jedem Augenblick glaubte sie den theuren Geretteten entdeckt und zurückgebracht zu sehen. Aber Alles blieb still.
Er ist fort, rief sie endlich, und an mir ist es, für ihn zu sterben. Niemand soll es erfahren, Niemand von der Rache der Mächtigen getroffen werden. Ich gebe nichts hin, als ein Leben, das wenig Reiz für mich hat. So allein rette ich alle, rief sie, begeistert von diesem Gedanken; denn würde man Jules nicht bald einholen und mein Opfer unnütz machen?
Betend sank sie in dem Kerker nieder und eine tiefe Ruhe senkte sich in ihr Herz; sie war bereit, den Tod zu leiden.
Während dessen war der junge Vicomte glücklich entwichen. Als er den Kerker schwankend verlassen hatte, reichte ihm der Aufseher die Hand, um ihn zu führen und flüsterte ihm, mitleidig in seiner Weise, einige Worte des Trostes zu.
Der arme junge Mensch! sagte er. Aber nur Geduld, der Tag dämmert bald, und in einer Stunde haben alle Schmerzen aufgehört.
Entsetzen und Hoffnung stritten in dem Vicomte; fast ohnmächtig krampfte er sich an den Arm des Aufsehers.
Erholen Sie sich in meinem Zimmer, sagte dieser gutmüthig, ich will meine Frau wecken und den Arzt des Hauses.
Oeffnen Sie schnell, flüsterte Jules mit dumpfer Stimme und deutete auf die letzte Pforte, nur Luft, freie Luft!
Freilich, brummte der alte Mann, freie Luft ist hier nicht zu haben; nun wie Sie wollen, Gott geleite Sie.
Jules eilte hinaus, und alle Gewalt des Lebens senkte sich plötzlich in seine Brust.
Troche eilte ihm entgegen.
Da sind Sie ja, der heiligen Jungfrau sei Dank! sagte: er zitternd, eilen Sie, Alles ist bereit.
Wo ist der Wagen? rief der Vicomte.
Dort am Platze, flüsterte der Kleine; aber plötzlich sprang er zurück. Barmherziger Gott! rief er, wo ist das Fräulein?
Fort, fort! versetzte der Vicomte heftig, hier ist keine Zeit zum Reden. Er lief schnell auf den Wagen zu, aber Troche folgte nicht.
Einen Augenblick später hörte Troche ihn fortrollen, und mit wahnsinniger Angst stürzte er zu dem Thore des Gefängnisses. Plötzlich aber hielt er ein und schlug beide Hände heftig vor seine Stirn.
Zu ihm, rief er, er muß helfen, retten! und athemlos lief er durch die öden Straßen zur Wohnung des Generals.
Als der Morgen anbrach, erwachte Wright in dem öden Kerker aus angstvollen Träumen. Der tiefe Kummer hatte seine Kräfte mehr erschöpft, als die tyrannische Behandlung seiner Wächter; seine starke Seele war gebeugt, Mißmuth, der sich bis zur Hoffnungslosigkeit steigerte, nagte an ihm, und finstere Entschlüsse rangen längst mit dem Wollen und Vollbringen.
Nur Du, rief er, und streckte die Arme aus, nur Dein Bild des Friedens fesselt mich an diese Welt, aber wenn es wahr wäre, was meine Träume sagen, wenn sie Dich kalt und todt vor meine Augen führen, meine Verzweiflung würde die letzten Ankertaue zerschmettern und das lecke Schiff auf ewig versenken.
Aber dann erheiterte er sein zerstörtes Gemüth mit freundlichen Bildern des Glücks, der keimende Tag brachte junge Hoffnungen; denn das Licht des Himmels tröstet wunderbar ein zagendes Menschenherz. Wright ging mit raschen Schritten in der kleinen Klause auf und ab, und die starren Wände schienen zu weichen; seine Seele fühlte sich leicht und frei. Er sah das Meer, die grünen Küsten Englands, die Freunde, welche ihn empfingen, und darunter immer die eine holde, liebende Gestalt, an welcher sein ganzes Sinnen hing.
Plötzlich hörte er auf dem Hofe das Rasseln der Trommeln, Waffengeklirr und befehlende Stimmen und seufzend stand er still; denn er kannte zu wohl, was dieser Lärm bedeutete.
Wieder ein Leben, sagte er heftig, das unfreiwillig erlöschen soll, das widerstandslos zur Schlachtbank geführt wird, wo so viele Geopferte starben. Ich nicht, ihr Henker, murmelte er stolz; diesen Weg werdet ihr mich niemals führen, denn glücklicherweise, setzte er hinzu und umfaßte in seiner Tasche einen sorgsam verborgenen Gegenstand, habe ich ein Mittel, um alle Schmach von mir zu wenden.
Dann lauschte er von Neuem, und eine schmerzliche Neugier ergriff ihn. Er rückte den Tisch unter das hohe Fenster, stellte den Stuhl darauf, und als er den Blick so durch die Eisenstäbe warf, hörten die Wachen einen lauten Schrei.
Haltet ein! rief der Gefangene und schüttelte mit Riesenkraft das Gitter. Clementine, um Gottes Barmherzigkeit! – seine Worte wurden von dem Donner der Execution verschlungen; durch das Thor des Tempels aber stürzte der General Savary, begleitet von Troche und mehreren Männern.
Der treue Mensch warf sich wie rasend über die schöne, mit Blut bedeckte Leiche, finster stützte sich Savary auf sein Schwert und legte die Hand über die thränenschweren Augen.
Hebt den Knaben auf, sagte er dann, und führt ihn in meine Wohnung, diesen Todten aber, den jungen Vicomte von Villeneuve, legt in den Sarg und bestattet ihn, er war mein Freund!
Als er langsam zurückschritt, war Lärm in den Gängen des Gefängnisses. Die Wache hatte ein heftiges Poltern in dem Gemach des englischen Offiziers gehört, ein Lechzen und Röcheln war dem Geräusch gefolgt. Als man öffnete, strömte das Blut über den Boden, Wright lag ausgestreckt, eine gräßliche Wunde im Halse, neben ihm ein Rasirmesser.
Im Jahre 1812 ertheilte der Herzog von Rovigo Anne-Jean-Marie-René Savary, der seit 1802 die geheime Polizei Napoléon Bonapartes leitete, war nach den Schlachten bei Heilsberg und Friedland von Napoleon zum Herzog von Rovigo ernannt worden. Was den Fall Enghien betrifft, so war er es, der die Erschießung des Herzogs betrieb, so dass die Verwendung des Kriegsgerichts für Begnadigung Napoleon vorher gar nicht vorgelegt werden konnte. dem Kapitain Troche eine Audienz, als dieser mit Einem Arme und dem Kreuze der Ehrenlegion aus Spanien zurückkehrte. Nach einem langen Gespräche nannte der Kapitain auch Clementinen's Namen.
Lassen Sie uns schweigen, Troche, sagte der Herzog mit einem finstern Lächeln, es war eine Unglückliche, eine Schwärmerin, aber eines der edelsten Wesen; ihr Bruder verdiente dies Opfer nicht, er ist verschollen.
Beim Sturm von Figueras, versetzte der Kapitain, sah ich einen jungen englischen Offizier, der sich wüthend vertheidigte. Ich erkannte ihn sogleich, Herr Herzog, denn er trug Züge, die ich niemals vergessen kann. Als ich herbeieilte, hatten die Bajonette ihn durchbohrt, er starb in meinen Armen.
Rovigo wendete sich rasch von ihm und schritt durch das Zimmer. Als er sich wieder zu ihm kehrte, schienen die Augen, welche selten wohl geweint hatten, von Thränen verdunkelt zu sein, und mit tiefer Rührung drückte er dem Offizier die Hände.
Sie wollen in Treport Ihre Pension verzehren, sagte er; gehen Sie, Kapitain, pflegen Sie dort die theuren Erinnerungen, ach, sie sind alles, was der Mensch von dem Leben bewahren kann.
Der Kapitain mit dem einen Arme lebte bis vor wenigen Jahren in Biville, und oft hat man ihn gesehen, wie er tagelang stumm und sinnend an dem Felsenufer saß, wo einst das Tau der Schleichhändler hing, und in der kleinen Höhle, wo die verrätherischen Lichter brannten.