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[Erster Theil.]
Aus den Papieren eines deutschen Edelmannes.
Als mein Vater in der Heimath mich zum letzten Male umarmte, trat er an seinen Schreibtisch und nahm einen Brief unter mehren andern hervor. Mit einem schwermüthigen Blicke, in welchem eine Reihe von Erinnerungen aufzusteigen schien, betrachtete er lange die Aufschrift, dann reichte er ihn mir hin.
Hier, Albrecht, sagte er, und ich hörte an dem Zittern seiner Stimme, daß er lebhaft bewegt war, diesen Brief erhältst Du auf den Fall, daß es Dir glücken sollte, den Mann aufzufinden, an welchen er gerichtet ist.
Er legte mir das Schreiben in die Hand, seine Aufschrift lautete an den Marquis Sallanches. Ich hatte diesen Namen nie gehört. Mein Vater war langsam von mir dem Fenster zugegangen, jetzt kehrte er zurück und sein Auge begegnete meinem fragenden Blicke.
Eine alte Bekanntschaft, sagte er mit dem sinnenden, finstern Lächeln, welches er so oft annahm. Wenn Sallanches noch lebt, wirst Du einen Edelmann ganz nach dem Schnitte der alten Zeit kennen lernen, aber einen wahren Edelmann, einen Mann, der einst mein Freund war, bis – hier hielt er inne und senkte den Blick ungewöhnlich starr und ernst vor sich hin – bis Verhältnisse uns für immer trennten, fuhr er fort, und die Freundschaft, wie Alles auf dieser Erde, das aus dem Herzen stammt, sich im Laufe der Zeit auslöschte und in Gleichgültigkeit verlor.
Der letzte Theil dieser Erklärung schien mir seltsam.
Wenn Sallanches' Freundschaft und die Deine sich in dieser Weise lös'te, sagte ich, so begreife ich kaum, wie Du mich nun an ihn weisen kannst.
Mein Vater wendete sich von mir zu dem Schreibtisch, und ordnete dort seine zerstreuten Papiere. Du begreifst das nicht, Albrecht, erwiderte er nach einer langen Pause, weil Du zu jung bist. Aber eine alte Freundschaft ist wie ein altes Ehrenkleid; wenn es auch abgetragen wurde, man mag es nie ganz veräußern, und zieht man es nach langer Zeit aus dem vergessenen Winkel, so erwachen alle Erinnerungen und Gefühle jener schönen Stunden, wo es neu und glänzend war. – Du scheinst besorgt zu sein, fuhr er fort, daß Sallanches diese Empfindungen nicht theilen werde und dieser Brief Dir vielleicht nur eine kalte Aufnahme sichern könnte. Fürchte das nicht; er wird Dich wie einen Sohn empfangen und nicht vergessen haben, was er einst bei unserm Abschiede sagte. Zum Ueberfluß, fuhr er fort, und mit unruhiger Hast eilte er von Neuem an den Schreibtisch und drückte an die Feder eines verborgenen Faches, nimm diesen Ring, und sollte irgend ein Umstand es nöthig machen, so zeige ihn Sallanches und sage ihm – doch nein, setzte er ruhiger hinzu, sage ihm nichts, denn seine Erinnerungen werden so stark sein, als die meinen.
Alle diese abgebrochenen Aeußerungen spannten meine Neugier, allein ich wagte nicht, irgend etwas zu erfragen, was mein Vater selbst mir nicht vertrauen wollte. Der Wagen stand an der Thür, die Pferde warteten, es war keine Zeit, einen Theil seiner Jugendgeschichte zu hören.
Ich betrachtete den Ring, welchen er mir mit sichtbarer Rührung an den Finger gesteckt hatte. Es war ein schwerer Goldreif mit breiter Platte, die, mit Perlen und blitzenden Steinen besetzt, einen verschlungenen Namenszug bildete, unter welchem die heraldischen Embleme eines Wappens hervorsahen. Es war die alte, geschmacklos überladene Pracht einer längst vergangenen Zeit, und mit Bewunderung blickte ich auf die mühsame, kostbare Arbeit.
Die Stimme meines Vaters weckte mich aus meinen Gedanken.
Leb' wohl, mein Sohn, sagte er mit erzwungener Fassung und Ruhe; ich war in Deinem Alter, als ich eine Reise nach Frankreich machte, und ich brachte lange Schmerzen daraus zurück. Ich habe Dich erzogen, mein Kind, ich weiß, daß Du ein guter Mensch bist. Erhalte Dich mir, kehre gesund und froh an mein Herz zurück. Schreib bald und vergiß nicht, daß es mir wohlthun würde, etwas von meinem alten Freunde zu erfahren. –
Er umarmte mich mit der Herzlichkeit eines Vaters, der seinen einzigen Sohn entläßt. Ich war tief gerührt; ich weinte an seiner Brust, er wischte meine Thränen lächelnd fort. –
Der Mann muß in's Leben hinein, Albrecht, sagte er, er muß dem Feinde keck in's Auge sehen, dann besiegt er ihn.
Einen Augenblick hielt er mit beiden Händen meinen Kopf und sah mich starr an, als wollte er meine Züge sich tief einprägen, dann trieb er mich hinaus und in den Wagen.
Die trübe Minute des Abschiedes war schnell vergessen, denn wo wäre eine junge, frische Natur, die nicht in Hoffnung und Freude aufblühte, wenn sie hinauseilen soll in die glänzende, große Welt, wo tausend bunte Träume, Jahre der Freiheit und des Glücks, ihrer warten? Das Schicksal hatte mich vor so Vielen begünstigt. Ich war reich und unabhängig. Mein gütiger Vater hatte mich mit dem Gedanken meiner Freiheit erzogen und mir seine eigenen Empfindungen über das Glück ungebundener Selbständigkeit eingeflößt. –
Du bist mit Deinem träumerischen Gemüth weder zum Staatsdiener, noch zum Geschäftsmann geschaffen, sagte er oft, und es ist ein Glück für Dich, Albrecht, daß mein Vermögen hinreicht, Dir Unabhängigkeit zu sichern. Menschen wie Du, die idealen Träumen nachhängen, die unbeständig, bald dies, bald jenes treiben und Phantomen, wären diese auch noch so schön, nachjagen, taugen nichts für die reale Welt. Ich war, wie Du jetzt bist, Du wirst einst werden, wie ich bin: kälter, ruhiger und durch Erfahrung zur innern Reife gefördert. So suche denn Deine Versöhnung und Reife, so schnell Du kannst; aber glaube mir, Albrecht, es wird stets auch für Dich das Beste sein, wenn Du niemals Deine Unabhängigkeit aufgibst. Sei die Versuchung auch noch so lockend, die Stellung noch so glänzend, Sorge und Arbeit sind darauf gehäuft; Du vermagst nicht mehr Dir selbst, Deinen Neigungen und Deinem eigenen Glücke zu leben.
Diese Aeußerungen hatten sich mir um so tiefer eingeprägt, als ich empfand, wie sehr mein gütiger Vater Recht hatte. Auf seinen Gütern war er unbeschränkter Herr, der nur die Gesetze beobachtete und im edeln Genusse seines Vermögens einen weiten Kreis behielt, um Glück und Wohlthaten über Alle zu verbreiten, welche ihm nahten. Dafür ward er von seinen Untergebenen fast angebetet, und wer unglücklich war, wer Hülfe oder Rath bedurfte, wandte sich an ihn mit einem Vertrauen, welches nie getäuscht ward.
Meine Mutter war früh gestorben und unser Haus einsam geblieben. Mein Vater wandte seine ganze ungetheilte Liebe mir zu; aber es war eine strenge, unnachsichtige Liebe, die Liebe eines ernsten, vom Leben geprüften Mannes, der viel zu richtig die Welt und die Menschen kannte, um seinen einzigen Sohn durch Verziehung herabzuwürdigen. Er unterrichtete mich und suchte meine Neigungen auf die rechten Wege zu leiten. Mein Rechtsgefühl bildete er früh durch Lehre und Beispiel aus. Dann ging Alles den gewohnten Gang. Tüchtige Lehrer wurden mir zugegeben, bis ich die Universität bezog, und nach drei Jahren, nachdem er mir freigestellt, welchen Weg ich einschlagen wollte, rief er mich zurück, als ich ihm offen erklärte, daß meiner Ueberzeugung nach ich keinem Lebenszwange mich unterwerfen könnte.
Ein Jahr blieb ich in der Nähe meines Vaters, der mich in nichts beschränkte. Ich theilte meine Zeit zwischen Studien und dem geschäftsvollen Müssiggange der ländlichen Vergnügungen: Jagd, Fischfang und Besuchen bei unsern Nachbarn, ohne einen Widerspruch zu erfahren. Endlich schlug mir mein Vater vor, ein Jahr zu reisen, um die Welt zu sehen, und mit der Begier eines Jünglings, der wenig von ihren Herrlichkeiten kennt, ergriff ich dieses Anerbieten.
Ich schweige von den kleinen Abenteuern meiner Reise, welche mich durch Deutschland nach Paris führte. Nur als ich in die Barrieren der Welthauptstadt fuhr, als die rauschenden Wellen des Lebens mich in ihr wildes Getöse aufnahmen, fühlte ich mich zuerst einsam, verlassen, unheimlich erbangend in diesem großen Gewühl, wo ich Niemand kannte. Wahrscheinlich war es die Absicht meines Vaters gewesen, mich ganz mir selbst zu überlassen. Es paßte zu seinen Grundsätzen und war ein Beweis seines ehrenden Vertrauens; allein ich empfand es tief, wie wohlthuend ein Freund, ein kundiger Vertrauter mir gewesen wäre, der meiner Jugend und Unerfahrenheit zur Seite gestanden hätte.
So hatte ich Niemand, als einen alten Diener meines Vaters, eine Art von Beobachter vielleicht, obgleich ich niemals etwas Gewisses erfahren habe, was diesen Ausspruch rechtfertigen könnte; aber wenigstens besaß ich in ihm ein Wesen, mit welchem ich von der Heimath sprechen konnte, der mich verstand und mit der ergebensten Treue an mir hing. Joseph war auch mit meinem Vater in Frankreich gewesen und verstand die Sprache des Landes noch immer genug, um sich darin ausdrücken zu können; seine Erinnerungen an Paris waren jedoch verworren und unbestimmt, ja zu Zeiten selbst schienen mir seine Antworten über den frühern Aufenthalt absichtlich entstellt zu sein. Ich ertappte ihn auf Widersprüchen, doch mein Stolz erlaubte nicht, weiter darauf einzugehen, da ich nicht wußte, welche Befehle er von meinem Vater empfangen hatte.
Ich war zu einer Zeit nach Paris gekommen, wo die heftige Erbitterung der politischen Parteien sich in einer der mannichfachen Explosionen Luft machte, deren letzte einen Königsthron vernichtete.
Vermöge meiner verschiedenen Empfehlungen war ich im Stande, mit beiden großen Parteien zu verkehren. Mein Creditbrief lautete auf einen berühmten Banquier und Deputirten, in dessen glänzenden Sälen sich damals alle Häupter der Opposition vereinten; ein zweiter Empfehlungsbrief aber führte mich in eins jener alterthümlichen, düstern Hotels der Vorstadt St. Germain, das, zurückgezogen im Grunde eines weiten Vorhofes, jedem ungeweihten Auge unerreichbar, hinter hohen Mauern die langen Reihen seiner Bogenfenster versteckt, und, als wolle es die gemeine Geschwätzigkeit des gewöhnlichen Lebens fliehen, nur seine schmalen Seitenflügel, seine Ställe und die Dienstwohnungen seiner Untergebenen an eine Straße lehnt, deren öde Ruhe allein durch den Donner glänzender Carossen unterbrochen wird.
Der Besitzer dieses Palastes, der Herzog von R., war ebensowohl einer der Häupter seiner Partei, wie Jacques Lafitte, aber welch ein Unterschied in den lichten, geschmackvollen Räumen des Banquiers und den alterthümlichen Gemächern des Herzogs! Es war eine Welt von anderer Gestaltung, andern Gefühlen, andern Sitten, Gebräuchen und Wesen, als trennten nicht wenige Tausende von Schritten diese Extreme, sondern als dehnten die Pole der Erde sich zwischen ihnen aus, und Länder, Meere und Gebirge wären die ewig starren, unverschiebbaren Grenzsteine ihres Lebens.
Es machte mir Vergnügen, mich in den Strudel dieses Lebens zu werfen. Ich fand Freunde und Bekannte in den verschiedenen Kreisen, hörte geistvolle und alberne Urtheile der verschiedensten Art und gab einen Theil meiner deutschen Natur, deren indifferente Stabilität, auf, um so viel Franzose zu werden, mein politisches Glaubensbekenntniß zu entwerfen und mit Lebendigkeit die Interessen einer Nation zu verfolgen, welche der Vorkämpfer aller großen Zeitfragen geworden ist und gewissermaßen Kreuz und Marterschrauben für uns Alle gen Golgatha tragen muß.
So vergingen die Monate des Winters, als ein Umstand eintrat, der bedeutungsvoll für meine Zukunft wurde. – Ich hatte im Hotel des Herzogs die Bekanntschaft eines jungen Mannes gemacht, der mit aller Freundschaft der Jugend sich an mich hing. Alfred von Montigny war aus einer edeln Familie, die an den Ufern der Loire einst weitläufige Güter besaß. Die Revolution hatte fürchterlich aufgeräumt unter diesem alten Geschlecht. Die Guillotine hatte sein Blut getrunken, Flammen seine Schlösser verzehrt, räuberische Hände sich seiner Besitzthümer bemächtigt. Von allen Montignys entrann nur der Vater meines jungen Freundes dem Verderben und kehrte mit diesem, nach mancherlei Irrzügen durch die Welt, im Gefolge des restaurirten Königsgeschlechts in das Vaterland zurück.
War es ein Wunder, daß der Vater dem Sohne die unvergeßlichen Züge fest einprägte, daß ein rachsüchtiger Grimm in Alfred's Herzen gegen die Masse eines Volkes lebte, das alle seine Verwandten geschlachtet und ihm ein Erbe entrissen hatte, welches seine Ahnen fünf oder sechs Jahrhunderte besaßen? Die Emigrantenentschädigung war auch ihm zu gut gekommen. Sein Vater hatte Güter und Geld erhalten, aber das alte Besitzthum war verkauft, zerstückt in den Händen von Krämern, Advocaten und Fabrikanten, und Alfred haßte diese hochmüthigen Emporkömmlinge mit aller blind wüthenden Leidenschaft eines Mannes vom ächtesten sang plein-pure.
Eines Tages stürzte er in mein Zimmer und umarmte mich mit der leidenschaftlichsten Heftigkeit.
Schüttle Deine deutsche Natur nur heute ab, rief er, als ich eine Erklärung forderte, endlich ist ein Schritt geschehen, um der großen Schlange den Kopf abzuschlagen. Manuel, der Königsmörder, ist gewaltsam aus der Kammer gestoßen, und diese alberne Versammlung von dreihundert überflüssigen oder schlechten Subjecten hat wenigstens etwas Gutes bewirkt. –
Er erzählte mir den ganzen bekannten Vorfall mit einer unglückweissagenden Begeisterung, welche ich keineswegs theilte.
Und die Nationalgarden weigerten sich, ihn fortzuschaffen, sagte ich; man mußte Gensdarmen rufen, die ihn endlich entfernten, nachdem die Freunde des Deputirten im Namen der Nation protestirt hatten!
Nation! rief er empört. Nenne das Wort nicht. Im Namen des Pöbels, im Namen des Teufels!
Nenne es, wie Du willst, sagte ich, verletzt durch diese thörichte Leidenschaft. Mögen die Millionen Franzosen, welche für ihn die Stimme erheben werden, auch sämmtlich Pöbel sein; was bleibt übrig, wenn man sie von dem Ganzen abzieht?
Der edle Kern, das wahre Frankreich, schrie er; alle Guten und Rechten, welche an innerm Werth diesem sinnlosen Haufen zehnmal überlegen sind.
Mit dieser Verblendung war jeder Streit unnütz; ich schwieg und sah düster vor mich nieder.
Man merkt es, sagte Alfred gereizt, daß Du einige der sogenannten liberalen Salons besuchst. Streite nicht, man hat es mir zugeflüstert.
Ich werde es niemals leugnen, erwiderte ich stolz. Ich habe auch dort Männer kennen gelernt, die ich hochschätze und verehre.
So laß es ja nicht den Herzog erfahren, fuhr Alfred fort. Die Thür seines Hotels würde sich vor Dir schließen und die Gesellschaft Dir den Rücken kehren.
Wirklich, sagte ich innerlich empört, so weit ist es also gekommen?
Man würde Dich wie einen Spion behandeln, rief Alfred lächelnd, und Deine stärksten Betheuerungen würden Dich nicht retten. Ich aber kenne Dich, fuhr er fort und reichte mir die Hand, und ich verzeihe Dir. Du willst, wie eine neutrale Macht, zwischen den Parteien stehen, Dein deutsches Phlegma bewahren; aber ich weiß, daß Du der Unsere bist. Dein Mitgefühl und Deine Mienen sagen mehr als Deine Worte. Du bist ein deutscher Baron von altem Adel. – Laß den Streit aufhören und begleite mich zu einem Diner bei dem Grafen Donadieu. Wir finden uns dort zusammen, lauter gute Franzosen, welche diesen Tag des Glückes und der hoffenden Zukunft feiern wollen.
Er zog mich, meine Widersprüche ablehnend, mit sich fort, und bald waren wir in der reichen Wohnung des jungen Grafen, eines jener petit-maîtres des Tages, der in schwelgerischer Lust, in Liebesthaten und Sinnesart, es sehr wohl mit seinen Vätern des ancien régime aufnehmen konnte.
Wir fanden die gewählteste Tafel und eine, deren feinen Genüssen entsprechende Gesellschaft; größtentheils junge Herren, die in der Blüte des Lebens standen und den noblen Kreisen von St. Germain angehörten. Auch einige ältere mischten sich darunter, Ritter des Ludwigskreuzes, die den Uebermuth der Jugend in ihrem langen Junggesellenstande mit allem Leichtsinn jener schönen Tage behalten hatten, von welchen sie so viel zu erzählen wußten. Mehre glänzende Offiziere schlossen sich würdig ihnen an, aus Geschlechtern entsprossen, welche sonst gewöhnlich die Patente als Pathengeschenk ihrer Könige in der Wiege empfingen, und so befand ich mich in einem Kreise von Männern, deren Stimmen sich hier im Chore zum beißenden Spott über alles vereinten, was gegen ihre loyalen Gesinnungen stritt.
Je weniger ich wahren Witz, oder scharfe Urtheile, hörte, und je mehr der gewöhnlichen faden Tiraden über die großen Verbrecher ausgeschüttet wurden, um so mehr langweilte ich mich und hielt mich zu den feurigen guten Weinen des Grafen, die bald, stärker als nöthig war, in meinem Kopfe und Blute zu toben begannen.
Unter den Gliedern der Gesellschaft befand sich jedoch ein Offizier, welcher meine Aufmerksamkeit, aber zugleich auch meinen Aerger erregte, da er allein mit Geist und Geschick den bittersten Spott über die Männer des Volkes, über die Anstrengungen der Nation, über die Presse, die errungenen Freiheiten, kurz über alle Verhältnisse der Gegenwart ausgoß. Alfred hatte mich ihm gleich bei meinem Eintritte vorgestellt. Ich begrüßte ihn als seinen Verwandten, den Obersten Grafen Laforce, und empfand im ersten Augenblick schon einigen Unwillen über den starren, durchbohrenden Blick, welchen er auf mich heftete.
Es lag ein Widerspruch in dem Gesicht und der Gestalt dieses Mannes, der eben so viel Eigenthümliches, als Sonderbares, hatte. Sein kurzer Körper war ungewöhnlich schlank und leicht gebaut, und gab ihm das Ansehen eines ganz jugendlichen Mannes, obgleich er, wie ich später erfuhr, in der Mitte der dreißiger Jahre stand. Seine schnellen Bewegungen und die gedrechselte Zierlichkeit derselben, würden weit eher einem petit-maître, oder einem Hofmann, wohl gestanden haben, als einem Soldaten. Es lag eine Flüchtigkeit, ein Leichtsinn darin, der aus seinem Gemüth zu entspringen schien und sich mit fieberischer Unruhe den Gliedern mitzutheilen eilte.
Dies Alles erregte meinen geheimen Hohn gegen einen Offizier, der Orden trug, die, wie ich vernahm, auf den berühmtesten Schlachtfeldern des Kaisers errungen wurden. Das Gesicht dieses sonderbaren Mannes strafte jedoch meine Annahme Lügen, denn nie hatte ich edlere und stolzere Züge gesehen. Der Kopf mit großen, schwarzen Augen, aus welchen Geist und Selbstbewußtsein strahlten, war offenbar zu groß für den kleinen Körper. Man vergaß jedoch das Mißverhältniß über dem Eindruck der ruhigen scharfgeschnittenen Züge, in welchen sich in der glücklichsten Weise Kühnheit und Milde, liebenswürdige Freundlichkeit und soldatische Offenheit mit dem Feuer mächtiger Leidenschaften paarten.
In den ersten Minuten wußte ich nicht, ob das Gesicht dieses Mannes mehr Anziehendes als Abstoßendes für mich besaß. Ich beobachtete ihn lange und bewunderte heimlich die mimische Gewalt, welche er über den Ausdruck seiner Züge übte. Wenn er sprach, geschah es anfangs mit der größten Ruhe und immer mit der Sicherheit des geprüften Mannes; bald jedoch nahm sein Gesicht den Inhalt seiner Rede auf und verstärkte die Bedeutung derselben. –
Strenger Ernst, der höchste Enthusiasmus, Spott, bitterer Hohn, Schmerz und die treffende Gewalt seiner Sarkasmen drückten sich in diesem Spiegel aus und brachten unwiderstehlich die Gegner zum Schweigen, indem sie jeden Hörer für ihn stimmten. In meiner Brust aber steigerten sie mit jeder Minute die Abneigung gegen ihn, der gewissenslos seine edeln Gaben mißbrauchte, um das Feuer zu schüren, welches ohne ihn hell genug brannte. Seine Aussprüche wurden bewundert, belacht und mit Entzücken aufgenommen. Er erzählte tausend Anekdoten über die Häupter der Bewegung, über ihr Leben und Treiben, und in jeder befand sich ein giftiger Stachel.
So wurde er der Mittelpunkt der Gesellschaft, denn alle hörten mit Vergnügen, was ihren Leidenschaften so sehr zusagte. Dann und wann nur, wenn Andere sprachen, wurden seine lebendigen Züge ernst und sinnend, und seine Augen nahmen einen finstern, schwermüthigen Ausdruck an. Es kam mir fast vor, als schäme er sich vor sich selbst, in diesem Kreise junger, unbesonnener Hitzköpfe, der Held des Tages und der Zunge zu sein. Er betrachtete sie mit Blicken, in welchen auf Augenblicke Hohn und Verachtung zu schimmern schienen, aber schnell warf er sich von Neuem mit Lebendigkeit in das Gespräch und belebte es durch seinen Witz und seine unerschöpflichen Einfälle.
Der Wein brachte nach und nach bei Allen seine Wirkung hervor. Die Reden wurden eifriger und drohender, die Wünsche verwegener, die Hoffnungen auf die Zukunft von patriotischen Flüchen und Verwünschungen begleitet. Es blieb nicht mehr bei dem Vive le Roi, quand même – sondern man sprach es aus und schrie es hervor, daß hunderttausend Köpfe fallen müßten, um die verlorene Ehre wiederzubringen und Frankreich zu versöhnen. Mehr als einer der feinen Herren vermaß sich, wie einst die Damen der Halle, lieber sein Glas mit dem Herzblute eines Foy oder Lafayette gefüllt hinabzustürzen, als mit dem oeil de perdrix, der vor ihnen darin funkelte.
Nur kurze Zeit noch, rief Alfred, sein Glas erhebend, und die Stunde der Vergeltung wird erscheinen. Man muß der Canaille zeigen, wohin sie gehört, und diesem Feste wird ein schönes Nachspiel folgen.
Man muß das Heer ganz gewinnen, schrie der Graf Donadieu. Mein Oheim, der Herzog, sprach, im Vertrauen gesagt, davon, daß dieser Feldzug in Spanien alle die widerspenstigen Schurken aus der Kaiserzeit aufräumen würde.
Und ist man von diesen Schuften befreit, rief ein Anderer lachend, so ersetzt man sie durch gute Franzosen.
Diese List hat ein Priester ersonnen, bei der heiligen Flamme von St. Denis! Nur in dem Kopfe eines Priesters kann ein so schöner Gedanke entspringen.
Wären sie doch alle wie Du, Laforce, rief Alfred, der, minder fanatisch als seine Gefährten, die Opferung so vieler tapfern Krieger und Franzosen zu betrauern schien. Du hast auch dem sogenannten Kaiser gedient und gegen Deinen rechtmäßigen König gestritten, aber Niemand ist ein besserer Franzose, als Du. Wären Alle wie Du, bei Gott! man brauchte sie nicht in den Tod zu schicken. Sie würden bald die Empörer zu Paaren treiben und Frankreich zu dem machen, was es sein soll.
Zum Vorbilde aller Völker der Erde, rief der Oberst und seine Augen blitzten vor Begeisterung. Ja, meine Herren, mein Herzblut, mein Leben, tausend Mal dafür, könnte ich allen meinen Kameraden die Gefühle einflößen, welche mich erfüllen.
Ein donnernder Beifall begleitete seine Worte. Man drückte seine Hände, man umarmte ihn, aber tiefe Verachtung erfüllte mich, einen Soldaten also seine tapfern Gefährten schmähen zu hören.
Ich habe noch etwas hinzuzusetzen, sagte der Oberst, da mein Vetter Montigny meiner Dienste in der Kaiserzeit erwähnte. – Ich gehörte zu den Verbannten und Armen, auch war ich ein willenloses Kind, als mein Vater Gebrauch von dem Anerbieten Napoleons machte mit mir zurückzukehren. Der Kaiser überhäufte ihn mit Geschenken und Wohlthaten. Er gab ihm mehr, als er je besessen, mich machte er zum Pagen, später zu seinem Ordonnanz-Offizier, und immer behandelte er mich mit väterlichem Wohlgefallen. Dankbarkeit fesselte mich an ihn, wer von Ihnen allen will dieses edle Gefühl beschimpfen?! Nie aber, bei meiner Ehre! war ich ein Anhänger seiner Grundsätze und seiner gewaltsamen Herrschaft, die Niemand mehr verdammen konnte als ich. Und wer könnte nun Gefallen finden an der unerträglichen Herrschaft der Krämer, an dem Hochmuth der Advocaten voll Komödiantenkünste, des Kaufmanns und des Geldkastens überhaupt, der sich mit Verachtung von Jedem wendet, der nicht reich ist!
Die Lafittes, die Perriers und ihr schändlicher Anhang! rief der Graf jubelnd.
Alle diese Bluthunde des Geldes, sagte der Oberst.
Und wir nehmen zurück, was sie uns gestohlen haben, schrie einer der Ludwigsritter.
Die wahnsinnige Luft machte sich in brüllendem Jubel laut, in meinem Herzen aber kochte der heftigste Unwille, welchen ich nicht mehr zu bändigen vermochte.
Was wollt Ihr zurückführen?! rief ich höhnisch. Das alte Frankreich mit seiner Maitressen- und Priesterherrschaft, die alten Vorrechte, die lettres de cachet, die Abgabenfreiheit, die lits de justice, die Bastille, den parc aux cerfs, die Generalpächter und die tausend Mißbräuche? Oder wollt Ihr Jesuiten und Ordenshäuser, Klöster und frömmelnde Gesetze, Inquisitionen und Tortur? Ihr seid auf dem besten Wege dazu. Man schimpft auf die Geldherrschaft, aber diese kann wenigstens Jeder erwerben, sie wandert von Hand zu Hand.
Und Alles wird käuflich, rief der Oberst, meine Stimme überbietend, Ehre und Tugend, die heiligsten Gefühle gehen unter in der Gier nach Gold und Genuß. Vom Thron bis zur Hütte ist nur ein Drang, der Drang nach Gold, dem man Alles schlachtet und opfert. O, ich sehe, junger Mann, Sie haben die Zeit begriffen. Die schlechten Subjecte haben hier einen warmen Vertheidiger gefunden.
Einen bessern, rief ich mit Wuth erfüllt, als Ihre Kameraden und Ihr Wohlthäter, der Kaiser, hier fanden.
Laforce war aufgestanden, er lehnte sich mit der Hand auf den Tisch, der uns trennte und sah mich kalt und ruhig mit einer Miene des Hohns und der Ueberlegenheit an, welche mich doppelt empörte. Ein Augenblick tiefer Stille folgte meinen Worten. Jeder war erstaunt über dies plötzliche, unerwartete Zusammentreffen, aber in allen Augen sprühte der heftigste Unwille, Jeder war gegen mich.
Alfred allein behielt sein Wohlwollen. Er flüsterte seinem Verwandten einige Worte zu, welche ich halb verstand. Es war eine Entschuldigung, welche sich auf den Wein und meine deutsche Natur bezog.
Allerdings, sagte der Oberst langsam, einem deutschen Herrn muß man beim Glase viel vergeben.
Der spottende Ton seiner Worte entzündete einen stärkern. Zorn.
Vergeben Sie mir nichts, sagte ich, aber nehmen Sie die Versicherung, kein Deutscher würde seinen Wohlthäter und seine Kameraden so leichtsinnig beschimpfen.
Du siehst, Montigny, versetzte, der Oberst mit einem mitleidigen Lächeln und einer Bewegung der Achseln, wie es mit Deinem jungen Freunde steht. Wir müssen dies heiße Blut abkühlen. Mein Herr, fuhr er, dann mit derselben kalten Höflichkeit fort, es ist eine alte Sitte in Frankreich, nie ungestraft Beleidigungen auszusprechen.
Auch in Deutschland ist man nicht so christlich, erwiderte ich, den rechten Backen hinzuhalten, wenn der linke einen Schlag empfing.
Folglich Schlag um Schlag, sagte Laforce lächelnd. Wir haben gespeist und getrunken, es ist gut sich eine Bewegung zu machen. Raum ist hier, Zeit und Wille fehlen uns beiden nicht, wie es scheint, und unser gütiger Wirth wird uns die Mittel nicht versagen.
Hierzu war der Graf auch keineswegs ab: geneigt. Ich las die Freude auf allen Gesichtern; man wünschte mir eine blutige Belehrung, ein Andenken meiner Unbesonnenheit, wo nicht gar den Tod. Indeß beobachteten alle ein höfliches Schweigen, und nur, daß ich allein in einem der Fenster lehnte, während eine dichte Gruppe sich um meinen Gegner drängte, bewies mir, daß man allgemeinen Antheil für ihn und gegen mich nahm.
Ich war in wenigen Minuten zur Besonnenheit gelangt und machte mir Vorwürfe, unbedacht und vorlaut, wie ein Kind, gehandelt zu haben. Wären Erklärungen ferner möglich gewesen, ich hätte mich mit Freuden dazu verstanden, so aber konnte ich nur weiter schreiten und hatte, wenigstens den Vortheil, der Beleidiger zu sein und mit kaltblütiger Ruhe meine Reflexionen zu machen. In dem Gebrauch des Degens war ich nicht unerfahren; ich hatte in Jena schon für einen guten Fechter gegolten und seit meinem Aufenthalte in Paris, aus Langeweile und Lust an der Sache, Unterricht bei einem Meister genommen, der mich mit Lobsprüchen überschüttete.
Ich beschloß, so kaltblütig als möglich zu verfahren, und mehr abwehrend und vertheidigend, als bedrohend zu handeln. Noch war ich in diesen Gedanken befangen, als Alfred zu mir trat und meine Hand ergriff.
Ich will Dir jetzt keine Vorwürfe machen, sagte er, denn sie kommen zu spät. Aber schütze Dein Leben, wie Du kannst, Du hast es mit einem Gegner zu thun, der niemals besiegt ward. Ich werde Dein Secundant sein, ich hoffe zu Gott, daß nach einigen Gängen meine Vermittelung fruchtet, ehe ein Unglück geschieht. Komm jetzt in den Saal, es ist Alles bereit.
Ich folgte ihm schweigend, und während man die nöthigen Vorbereitungen machte, entkleideten wir uns und ich trat mit meinem Gegner zugleich auf den Platz, indem ich mich bemühte ruhig zu sein.
Laforce war ernst und düster. Die Lebendigkeit war aus seinen Zügen gewichen, eine finstere Falte zog seine schwarzen Augenbrauen zusammen. Eine unheilweissagende Kälte schien in seinen Blicken zu schimmern. Als wir die Degen kreuzten, klemmte er die Lippen zwischen seine glänzend weißen Zähne und sah mich an, als suche er den Ort, wo mein Leben am schnellsten zu durchbohren sei.
Anfangs schienen wir uns beide nur zu prüfen. Wir fochten mit Ruhe und Vorsicht, Laforce in der Art französischer Waffenführung, die fast immer angriffsweise zu Werke geht und zwischen Finten und heftigen Stößen, welche blitzschnell sich folgen, die eigne Vertheidigung sichert, bis sie eine Blöße gefunden hat, wo ein plötzliches a tempo den Kampf entscheiden kann; ich, nach den Anweisungen meines Lehrmeisters auf meine Deckungen bedacht und mit scharfem Auge die ringelnde Spitze seiner Klinge verfolgend.
Ich glaube, daß der Oberst mich entwaffnen wollte, und um ein Haar gelang ihm eine Legade. Kaum vermochte ich mich der gewaltigen Wirkung zu entziehen, aber ehe er seine Blöße decken konnte, stieß ich nach; die Spitze meines Degens streifte seine Brust und würde diese durchbohrt haben, wenn er nicht mit großer Gewandtheit eine schnelle Bewegung zur Seite gemacht hätte. Mehre Bluttropfen fielen nieder und von diesem Augenblicke an nahm das Gefecht eine gefährliche Wendung.
Laforce's Augen sprühten Rache, eine dunkle Röthe bedeckte seine Stirn, nun erst begann er die ganze Stärke seiner Kunst zu entfalten. Seine Gestalt schien sich vor meinen Blicken zu verzehnfachen, er wechselte mit jedem Augenblicke die Stellung, seine wüthenden Ausfälle waren so besonnen und sicher, daß sie keine Blöße boten, die nicht, von ihm berechnet, ein Fallstrick zu meinem Verderben gewesen wäre. Seine Klinge züngelte pfeilschnell an mir hin. Die Reihen von Bruststößen oder Quarten, in welchen ein geübter Fechter seine ganze Kunst und Gewandheit offenbaren kann, wechselten mit den mörderischen Terzen.
Endlich erregte seine Heftigkeit meine Wuth, ich verließ meine Vertheidigung und ging zum Angriff über. Meine Jugend und Schnelle, die Glut meiner Empfindungen und eine steigende Kampflust ersetzte, was mir an Geschicklichkeit abgehen mochte, und unser Gefecht ward ein Gewirr von erbitterten, gewaltigen Stößen, die ebenso schonungslos gegeben, als mit Aufbietung aller Kunst abgewendet wurden. Nach wenigen Minuten aber fühlte ich einen stechenden Schmerz meinen Arm durchdringen, meine Finger schlossen sich krampfhaft, machtlos sank der Degen aus meiner Hand. In dem Augenblick drang Laforce auf mich ein und sicher war es um mich gethan, hätte Alfred nicht mit einem raschen Schlage seiner Waffe die des Obersten in die Höhe geschnellt, und den Stoß verhindert.
Man drängte sich um uns und trennte uns. Mein Arm blutete stark und zitterte von der Anstrengung und einem entsetzlichen Schmerze; die Spitze des Degens hatte die Knochenhaut verletzt. Große Schweißperlen traten auf meine Stirn, ein sonderbares Weh stieg vom Herzen herauf; zum ersten Male in meinem Leben ward ich ohnmächtig. Alfred unterstützte mich, meine Blicke dunkelten, der letzte ruhte auf meinem Gegner, der in der Mitte des Zimmers stand und mich feindselig, düster, zu betrachten schien. Dann verlor ich das Bewußtsein, und als ich wieder erwachte, hatte sich alles verändert.
Ich lag auf einem Sopha ausgestreckt, ein Arzt, der die schmale Oeffnung der Verletzung erweitert hatte, wartete auf die Rückkehr des Lebens, um einen Verband anzulegen. Als ich die Augen aufschlug, stand Alfred vor mir am Lager und über meinen Kopf hatte sich ein Mann gebeugt, der still sinnend und ernst meine Züge zu mustern schien. Ich erkannte ihn sogleich: es war Laforce. Er reichte mir beide Hände, sein Gesicht erheiterte sich bei den Friedens- und Freundschaftsworten, welche er sprach.
Vergessen Sie Alles, sagte er mit so gerührter, liebevoller Stimme, daß der Ton derselben noch jetzt erinnerungsvoll in meinem Herzen lebt, aber schwören Sie mir, daß wir Freunde sein wollen, welche durch keinen Zwist, durch keine Uneinigkeit jemals den Degen wieder auf einander zücken. Ich weiß nicht, fuhr er fort, welche Macht uns zu Beleidigungen trieb, welcher Wahnsinn uns gebot, die vermeinte Kränkung mit Blut zu reinigen.
Nicht Sie, mein theurer Oberst, rief ich, entzückt über seine milden Worte, ich allein, meine Thorheit, mein Leichtsinn und vielleicht auch der Wein, tragen die Schuld.
Sie sind jung, erwiderte Laforce, sich selbst anklagend, aber ich, auf der reiferen Stufe des Lebens, ich hätte besonnener handeln müssen. Ich verabscheue den Zweikampf, sprach er weiter, es ist eine Tollheit, eine Befriedigung schlechter Leidenschaften und des falschen Ehrgeizes. Kann wahrhafte Ehre durch ein unbedachtes Wort, durch einen Streit der Meinungen, oder durch Verleumdung und falsche Deutung gekränkt werden? Oder wird sie hergestellt, wenn ich den Beleidiger verstümmele, oder tödte?
Es kam mir seltsam vor, einen Mann, der so eben sein Schwert um eine, in gewissem Betracht unbedeutende Sache gegen mich gezückt hatte, so reden zu hören, und ich äußerte dies in einigen Worten.
Da haben Sie die Folgen der Thorheit, erwiderte er. Als ich Sie zu einer Leibesbewegung nach der Mahlzeit aufforderte, glaubte ich ein Spiel, nach der Sitte des Tages, zu beginnen. Mein Vetter Alfred machte mich aufmerksam, wie grausam es sein würde, wollte ich, ein geübter Fechter, eines unbedachten Wortes wegen Blut vergießen. Wir wußten nicht, daß ich einen so tapfern und geschickten Gegner gefunden, und ich versprach, Sie zu entwaffnen; ein Versuch, welchen ich fast mit dem Leben bezahlt hätte. Als ich mein Blut fließen sah, änderte sich mein Entschluß. Ein Strom von Rache fuhr urplötzlich durch mein Herz; aber glauben Sie nicht, daß die Wunde schmerzte, daß mein Ehrgeiz gekränkt war. Ich blickte Sie an und sah Sie, wie es mir schien, höhnisch lächeln; Ihre Züge nahmen einen Ausdruck an, der Erinnerungen in mein Gedächtniß brachte, welche eine furchtbare Bedeutung für mich haben. Eine wilde Glut durchströmte mich; ich kannte keine Schonung mehr; ich hätte Sie mit Freuden auf jeden Stoß durchbohrt und stände jetzt trostlos an Ihrer Leiche, die meine Schmerzen und Thränen doch niemals wiederbeleben könnten. Doch fort damit, fort damit! rief er abwehrend und wie aus einer Reihe trüber Gedanken erwachend. Wir leben, die kleinen Andenken unserer Verirrung werden bald vernarben und nur mahnende Denkzeichen für die Zukunft sein.
Er drückte 'mit. Innigkeit meine Hände und Alfred umarmte uns Beide, indem er uns zurief, eine feste Freundschaft zu schließen, die am besten zwischen Männern bestehe, welche sich im Streit erprobt hätten.
Nun mischten sich andere hinein und unser Kampf ward, zur Pein des Obersten, der Gegenstand des Gespräches. Man erschöpfte sich in Lobeserhebungen und behauptete, nie ein so entschlossenes, mit Erbitterung und Geschicklichkeit geführtes Gefecht gesehen zu haben. So vergingen noch einige Stunden, bis sich die Gesellschaft zerstreute. Laforce entfernte sich zuerst, ermüdet von diesem Treiben, nachdem er versprochen hatte, mich zu besuchen; Alfred aber nahm Jedem das Gelöbniß ab, über diesen Vorfall ganz zu schweigen, der, schnell zum Stoff der Gesellschaft und der Tagesblätter gemacht, entstellt und mit Gehässigkeit verbreitet zur Parteisache werden mußte.
In der besten Einigkeit verließ auch ich endlich das gastliche Haus des Grafen und warf mich in einen herbeigerufenen Miethswagen, der mich nach meiner Wohnung bringen sollte.
Der Abend war finster, aber die Straßen ungewöhnlich, selbst für das volkreiche Paris, mit Menschen gefüllt. Als wir uns der rue Richelieu näherten, mußte mein Kutscher langsam fahren. Dichte Haufen versperrten den Weg. Man sang, man fluchte und brach in die gewöhnlichen Losungsworte des Unwillens und der Anhänglichkeit aus. Ein verwirrtes, tausendstimmiges Geschrei umschallte mich, aus welchem die Worte: A das le ministère! à das les aristocrates et les jésuites! vive la charte! vive la liberté! vernehmlich hörbar waren. Das zwischen tönten die Lebehochs für einzelne bekannte Namen und ganz besonders ein donnerndes Geschrei: Vive Manuel! als eine Reihe dunkler Gestalten zu Pferde, die verhaßten Gensd'armen, in der Ferne auftauchten und man beim Schimmer der Laternen ihre glänzenden Helme erkannte.
Mein Kutscher war inzwischen noch immer langsam weiter gefahren, als plötzlich hundert rauhe Stimmen ihm Halt! geboten. Wir waren dicht hinter einer glänzenden Carosse, die nicht minder aufgehalten ward und aus deren Innern ein Geschrei weiblicher Stimmen ertönte.
Was halt! schrie mein Fuhrmann, was wollt ihr von mir? Laßt mich durch, ich muß weiter, was sperrt ihr die Straße mit eurem Geschrei?
Jaques, sei vernünftig, rief ein großer, zerlumpter Kerl, indem er ihm die Peitsche aus der Hand riß, heut wollen wir den Spitzbuben, den Gensd'armen, zeigen, was wir sind. Dort drüben beim Weinhändler haben sie eingebrochen, die Hunde, weil die Patrioten den guten Manuel leben ließen und die Jesuiten verdammten. Sie haben Alles zerschlagen und festgenommen, die Mordbrenner; aber wir haben ihnen den Weg gezeigt.
Was geht's mich an, schrie mein Fuhrmann, der gar keine Lust hatte, sich darauf einzulassen. Ich sage euch, laßt los, oder, Element! ich brauche Gewalt.
Narr, schrie der große Kerl, siehst Du nicht, daß das Pflaster vor Dir aufgerissen ist, daß Weinfässer hoch aufgepackt sind, um den Spitzbuben das Reiten zu versalzen? Dein Wagen muß da heran und unsere Schutzwehr verstärken.
Statt aller Antwort suchte der Fuhrmann seine Pferde herumzuwerfen. Es kam zu einem kurzen Handgemenge, in welchem er schnell auf das Pflaster geworfen ward. –
Reißt den Wagen um! schrie die Menge, und kräftige Fäuste packten das alte Gebäude. –
Mit einem Satze war ich im Freien, und zum Glück für mich, denn eine Minute später lag mein Asyl seitwärts auf den Rädern.
Ich habe immer bemerkt, wie in Frankreich, dem Lande, dessen Bewohnern man so gern eine große Urbanität zuspricht, das niedere Volk der größten Grausamkeit fähig ist, die es obenein mit Spott begleitet. Das Geschrei des unglücklichen Fuhrmannes ging in dem rohen Gelächter unter, sein Widerstand wurde mit Mißhandlungen vergolten. Ich war schnell in den großen Haufen gerissen, welcher dem Wagen vor mir zueilte und mit wüthendem Geschrei sich zu dessen Umsturz anschickte. Der betreßte Kutscher und die Bedienten kämpften vergebens für dessen Erhaltung. In einem Augenblick waren sie zu Boden gerissen und unter den Füßen der Menge. Ich arbeitete mich mit Anstrengung bis an den Schlag.
Zwei Damen saßen auf dem Sitze, geschmückt, wie zum Balle, im glänzenden Putze mit kostbarem Schmuck bedeckt. Die eine angsterfüllt und laut weinend, die andere, stolz und unbeweglich, mit Verachtung den tobenden Haufen betrachtend.
Großer Gott! Angelica, man tödtet uns, rief die Jammernde. –
Lieber todt, tausendmal todt, als von diesen Elenden am Boden geschleift, versetzte ihre Begleiterin.
Retten Sie sich, rief ich und stemmte mich an den wankenden Wagen, Ihre Diener sind niedergerissen, man zermalmt Sie unter den Trümmern.
Mit einem heftigen Schrei flog die Jüngere in meine Arme. Ich hob sie rasch aus dem Wagen. Der Schein der Laternen beleuchtete mich.
Wollen Sie uns von diesen Mördern befreien? sagte die Größere stolz.
Mit meinem Leben! rief ich und faßte ihre Hand.
Sie machte sich frei und stieg aus. Wir drängten uns durch die brüllende, jubelnde Masse, die uns verhöhnte; ich zog sie der Häuserreihe zu.
Bei allen Heiligen! sagte Angelica laut und heftig, indem ihre stolze, schlanke Figur sich höher hob, dieser Pöbel ist nichtswürdiger, als ich ihn mir dachte. Achtungslos gegen Bessere, sogar gegen Damen, welche sonst selbst bei dieser Canaille Schutz fanden.
Es war ein Regentag gewesen, und wer Paris im Frühlinge kennt, wer es gesehen hat, wenn der flüssige Schlamm seines Bodens in einer gährenden, schlüpfrigen Masse die Straßen überzieht, wird ganz meine Verwirrung empfinden. Verwundet, wie ich war, von stechenden Schmerzen gepeinigt, mußte ich zwei Damen beschirmen, die in Atlasschuhen und weißen Blumenkleidern sich durch eine rohe, aufgeregte Menge drängten.
Ohne den Beistand des großen Kerls, der meinen Fuhrmann vom Sitze geworfen hatte, wäre es mir unmöglich gewesen, sie zu schützen. Er hatte die Beleidigung der jungen Aristokratin gehört und stellte sich dicht vor sie hin.
Pöbel! schrie er, Canaille!! O, ich merke, Ihr seid von der rechten Art und verdient die Canaille ganz zu schmecken! Wir sind lange genug Eure Fußschemel gewesen, mein Püppchen, jetzt kann es sich leicht umkehren.
Zeige, daß Du ein wahrer Franzose bist, erwiderte Angelica rasch, und beleidige keine Dame; schaff' uns aus dem Tumult. Helfen Sie uns, fügte ich hinzu, und ich will es reichlich belohnen.
Behalten Sie Ihr Geld, schrie der große Mensch, aber es ist die höchste Zeit, wir müssen sie zu dem Weinhändler in's Haus schaffen. Auf den Arm, Kamerad, auf den Arm mit dem Püppchen und mir nach. –
Mit rascher Entschlossenheit hob er die eine Dame auf und trug sie fort; ohne mich zu besinnen, folgte ich seinem Beispiele; Angelica schlang ihre Arme um meine Brust. – Rasch brach sich der Mensch eine Bahn durch den Haufen, der auf seinen fortgesetzten Ruf: Honneur aux dames! sich öffnete und schon waren wir bis an die Häuser und zur Thür des Weinhändlers gelangt, als sich ein furchtbares Geschrei vor uns erhob. Ein Menschenknäul stürzte uns entgegen, die hohen Gestalten der Gensd'armen tauchten daraus hervor; Säbel blitzten, Hiebe und Angstgeschrei folgten.
Der Trommelschlag verkündete das Nahen der Militairgewalt und alles Getümmel, alle Gefahren, welche einen Volksauflauf begleiten, umgaben uns plötzlich. Ein Theil der Angegriffenen floh; die Beherzten sammelten sich hinter ihrer Barricade von leeren Weinfässern und umgestürzten Wagen; ein Hagel von Steinen flog auf die Soldaten. Manche wurden von den Pferden geschleudert und zertreten, aber in wenigen Minuten war der Widerstand gebrochen, die Schutzwehr erstürmt, ihre Vertheidiger in eine regellose Flucht getrieben.
Wir hatten uns dicht an die Thür gedrängt, vor welcher mehre halbzertrümmerte Fässer und andere Gegenstände lagen, und befanden uns in der größten Gefahr. Die Soldaten schossen nicht, aber sie gebrauchten ihre Pallasche und Bajonette ohne alle Schonung und rächten die Verletzungen ihrer Kameraden mit aller der Erbitterung, welche den Franzosen in der Hitze des Streites eigen ist. Kinder und Weiber wurden verwundet, und heldenmüthig vertheidigte ich mehre Minuten lang mich selbst und meine Schützlinge mittelst eines aufgerafften Knüttels gegen die Hiebe eines Gensd'armen, der durchaus nicht auf unser Geschrei und die Betheuerungen unserer Unschuld hören wollte.
In dem Augenblick, wo sich ein Officier und mehre Soldaten näherten, die meinen Hülferuf vernahmen, erhielt ich einen kräftig geführten Streich, der, glücklicherweise abgleitend von meinem Stocke, halb flach auf meinen unbeschützten Kopf fiel, aber doch so gewaltig traf, daß ich besinnungslos augenblicklich niederstürzte.
Wie im Traume hörte ich dann bekannte Stimmen, Gepolter, Geschrei; ich fühlte mich emporgehoben und getragen, und als ich die Augen aufschlug, lag ich im Innern des Cabarets auf einem der Wandsophas und, wie vor wenigen Stunden, stand Laforce abermals, tief sinnend, über mich gebeugt.
Erstaunt und fragend blickte ich ihn an und richtete mich empor, während er mich unterstützte.
Dem Himmel sei Dank! sagte er. Sie leben und sind an einem Tage zweimal großen Gefahren entgangen.
Wo sind die Damen? rief ich und sah umher auf den Kreis neugieriger Gesichter, der mich umgab. Reden Sie, wo ist sie, wo ist Angelica?
Ruhe, mein Freund! versetzte der Oberst. Die Damen, welchen Sie so edelmüthig Schutz gewährten, sind in Sicherheit. Sie verließen längst diesen Ort.
Und wer waren sie, wer sind sie? rief ich erregt.
Laforce antwortete nicht. Er hielt mit beiden Händen meinen Kopf, während ein anderer Mann, ein Wundarzt, mit der Scheere das Haar fortschnitt und meinen arg zugerichteten Schädel untersuchte. – Der Hieb des ergrimmten Gensd'armen war doch so scharf gewesen, die Haut bis auf den Knochen zu trennen, und gefährlicher wurde die Wunde durch die Quetschung der verletzten Theile.
Zweimal an einem Tage unter den Händen der Zöglinge des Aesculap ist fast zu viel für Jemand, der ihrer im Leben noch nie bedurfte, sagte ich halblaut.
Seien Sie zufrieden, wenn diese Herren Sie bald wieder laufen lassen, erwiderte Laforce scherzend. Ein Glück, daß der Zufall mich herbeiführte, setzte er hinzu. Ich hörte Ihre Betheuerungen, den Hülferuf weiblicher Stimmen, und kam wenigstens zeitig genug, um weitere Mißhandlungen abzuwenden.
Da sehen Sie, wohin die Brutalität der bewaffneten Gewalt führt, versetzte ich lebhaft. Man zieht gewaltsam den Straßenauflauf herbei, ruft die Leidenschaften auf und schlachtet dann zur Ehre des Königs und der Gesetze, Weiber und Kinder.
In Laforce's Augen brannte ein düsteres Feuer; er preßte meine Hand fest in der seinen.
Das Verderben wird die wahren Schuldigen ereilen, sagte er; doch diese Wünsche sind hier nicht an Ort und Stelle. Wie steht es mit unserm Patienten, mein Herr?
Nur Ruhe und unausgesetzte Umschläge, erwiderte der Doktor. Sie müssen in Ihre Wohnung und ins Bett, je eher je lieber.
Ein Wagen ward herbeigeschafft, Laforce und der Wundarzt begleiteten mich. Man wandte die größte Sorgfalt auf meinen Zustand; auch mein Arm, der heftig, schmerzte, und stark entzündet war, ward von Neuem untersucht und verbunden. In der Nacht und am nächsten Tage stellte sich ein heftiges Wundfieber ein, das bis zum Irrereden sich steigerte. Wiederholte Aderlässe und kühlende Tränke beschwichtigten das empörte Blut, doch bedurfte ich Wochen, ehe ich mein Lager verlassen konnte, und mußte einen vollen Monat den Arm in der Binde und ein Kreuzband am Kopfe tragen.
Meine kräftige Natur beschleunigte die Heilung; in dieser trüben Zeit aber lernte ich die treue Ergebenheit meines alten Dieners schätzen, der mit unermüdlicher Geduld bei mir wachte, mich pflegte und keinem Fremden mir Dienste zu leisten erlaubte.
Als man mich zuerst blutend ins Haus brachte, war er vor Schreck und Angst fast erstarrt. Er glaubte mich dem Tode nahe und rang trostlos die Hände, indem er meinen entfernten Vater zum Zeugen aufrief, daß er nicht im Stande gewesen sei, das Unglück zu hindern. Seine Treue und Besorgniß hatten viel Rührendes, aber auch Lächerliches; doch aus den einzelnen Ausrufungen des Alter ging es deutlich hervor, daß mein Vater ihm zugleich den Auftrag ertheilt hatte, über mich zu wachen und ihm Nachricht von meinem Thun und Treiben zu geben.
Als er in der Nacht an meinem Bette saß, hörte ich ihn seufzend Mancherlei vor sich hinmurmeln.
Müssen meine alten Augen so etwas zweimal erleben, sagte er. So lag sein Vater vor mir. Es ist dasselbe bleiche Gesicht, das Röcheln des Todes in der stillen Nacht, und die Mörder suchten uns, noch höre ich ihre Stimmen. Und Alles das für einen Undankbaren, für einen Elenden, fuhr er fort. Nun, mag es wenigstens sich auch diesmal zum Guten wenden, mag er gerettet werden und leben, der alter Vater würde seinen Tod nicht ertragen.
Ich hörte diese und andere Andeutungen in der Hitze des Fiebers, in jenen halbwachen Träumen, die uns tausendfache Bilder mit der täuschendsten Wahrheit vorzaubern; aber sie blieben unauslöschlich in meinem Gedächtniß und mischten sich mit den Gestalten meiner Abenteuer, mit Laforce, Alfred und jenen räthselhaften Damen zu einem wunderbaren und verworrenen Ganzen. Ich rief Angelica's Namen mit Heftigkeit, Josephs Stimme antwortete mir. –
Angelica! sagte er, hat er auch schon eine Angelica gefunden, wie sein Vater, die eben so treulos ihn in den Tod stößt? O! mein junger Herr, – das ist ein schändlicher und verfluchter Name, der keinen Segen für Dein Geschlecht bringt.
Meine Freunde besuchten mich, und meine erste Frage, als ich Laforce wiedersah, richtete sich auf die schöne Unbekannte, deren stolzes Bild mich wachend und. träumend umschwebte. Die Heftigkeit meiner Empfindungen schien den Obersten zu erschrecken. Eine düstere Wolke legte sich auf seine Stirn, er betrachtete mich einen Augenblick mit denselben durchdringenden Blicken, welche er bei unserer ersten Bekanntschaft auf mich richtete. Dann zuckte er lächelnd die Achseln und betheuerte, daß er mir wenig oder nichts von ihnen sagen könne.
Als ich zu Ihrer Rettung herbeikam, sagte er, suchte ich zuvörderst Sie selbst in Sicherheit zu bringen; Andere bemühten sich um die beiden Damen. Das Volk hatte nicht Zeit gehabt, den schweren Wagen umzuwerfen. Kutscher und Diener hatten sich aufgerafft, und als ich von Ihrem Lager eilte, um mich nach Ihren Schützlingen umzusehen, sah ich sie nur davonrollen. Es waren Undankbare, fuhr er lächelnd fort, welche sich um ihren Retter nicht kümmerten und nur eilten, nicht erkannt und hinterher öffentlich mit ihren Abenteuern verlacht zu werden. Dies ist ihnen auch vollständig gelungen, Niemand hat sie erkannt, selbst ihre Gesichtszüge sind unbekannt geblieben.
Ich kenne sie, rief ich. Diese Züge schweben mir unvergeßlich vor; unter Tausenden finde ich sie heraus. Ich werde sie finden, ich muß sie wiedersehen.
Paris ist groß, versetzte Laforce lächelnd, Sie können lange suchen, mein Freund. –
Und wäre es groß wie die Welt, rief ich leidenschaftlich, ich werde sie finden.
Ich weiß nicht, was mich bewog, an Laforce's Erzählung zu zweifeln, die mir erfunden schien, um mich zu täuschen. Eine innere Stimme sagte mir, daß er sie kannte und mir die Wahrheit verhehle. Warum, weshalb? Geschah es im Auftrage einer stolzen Familie, welche die Gefahr ihrer Töchter mit gänzlicher Vergessenheit zu bedecken wünschte, oder traf ich zum zweiten Male mit Laforce zusammen, und er selbst verhinderte, was der Zufall mir beschied?
Ein heftiger Unmuth erfüllte mich, zürnend blickte ich zu ihm auf, der ruhig und freundlich vor mir stand. Ich war ihm großen Dank schuldig, aber ich konnte die Gedanken nicht abschütteln, welche mein Herz beschwerten und ihn anklagten. Seine Gegenwart war mir lästig und doch machte ich mir Vorwürfe, wenn er gegangen war, denn mit der Besorgniß eines wahren Freundes bemühte er sich um mich. Aber ein Groll nagte an mir und mit dem Gefühle des Unrechts mischte sich eine steigende Abneigung, welche ich vergebens zu bekämpfen suchte.
Nach einigen Wochen, als ich ausfahren konnte, benutzte ich dies Mittel, um mich vor seinen Besuchen zu schützen, oder ich ließ mich verläugnen, um nicht allein mit einem Manne zu sein, dem gegenüber stets eine Mißstimmung in mir erwachte. Und doch hatte Laforce einen Zauber der Erscheinung und der Sprache, welche unwillkürlich auch mich fesselte. –
Seltsamerweise theilte Joseph meine Abneigung. Finstere, prüfende Blicke schoß er unter den dichten, weißen Augenbrauen hervor, wenn Laforce bei mir war, und so oft er konnte, wies er ihn unter mancherlei Vorwänden von meiner Thür zurück.
Eines Tages aber überwand der Oberst den Widerstand des Alten und trat rasch in mein Zimmer, wo ich lesend auf dem Sopha lag.
Vergeben Sie mein halb gewaltsames Eindringen, sagte er. Ich komme, obgleich Ihr Diener mir sagte, daß Sie Niemand heut zu sprechen wünschten.
Ich machte eine Entschuldigung mit meinem leidenden Zustande, der mich zur Einsamkeit zwänge, und Laforce nahm diese mit theilnehmender Freundlichkeit auf.
Ich würde Sie nicht stören, sagte er, aber ich kann nicht ohne Abschied von Ihnen gehen.
Sie reisen? erwiederte ich und eine geheime Freude stieg in mit auf.
Morgen, versetzte er. Ich gehe zu meinem Regimente und wahrscheinlich kehre ich sobald nicht wieder. Ich werde den Feldzug nach Spanien mitmachen und Sie wahrscheinlich nicht wiederfinden.
Eine Pause erfolgte, welche für uns beide peinlich war. Jeder von uns schien seinen Gedanken nachzuhängen. Endlich sagte Laforce mit einem spöttischen Lächeln:
Sie sehen, daß man nicht allein Unzufriedene opfert, sondern auch treue Diener Sr. Majestät den Messern der Spanier überliefert.
Er hatte nie seit jenem Abende von Politik und seinen Ansichten darüber mit mir gesprochen; jetzt that er es, und ich glaubte in seinen Mienen einen schlecht verhehlten Unmuth zu erkennen.
Man vergißt nicht, daß der Kaiser einst Antheil an Ihnen nahm, sagte ich. Die Feldzeichen sind gewechselt, allein man traut den Herzen bei allen Betheuerungen diese Umwandlung nicht zu.
Das nicht, erwiderte er rasch, man vertraut mir vielleicht zu viel, aber – er brach ebenso rasch ab, als er begonnen hatte. Lassen Sie uns scheiden, sagte er dann mit seiner gewöhnlichen Lebendigkeit. Ich weiß nicht, ob es Ihnen so ist, wie mir, aber ich vermuthe, wir wünschen beide diese Trennung. Ich fühle mich von Ihnen abgestoßen und angezogen; Sie wollen mich meiden und können nicht. So windet sich ein Faden um unser Leben, der besser heute als morgen von uns zerrissen werden muß. Sagen Sie mir, fühlen Sie das, empfinden Sie dasselbe Gefühl von Unmuth und Lust, das ich Haß in Liebe nennen möchte?
Es ist, wie Sie sagen, erwiderte ich. Ich ringe mit meinem Herzen, das sich von Ihnen wendet und doch zu Ihnen strebt.
Ich kenne das, versetzte er schnell. Dann legte er die Finger auf seine Augen, plötzlich aber ergriff er meine Hand und sah mich lange forschend an.
Sagen Sie mir, rief er mit sichtlicher Unruhe, haben Sie je früher etwas von mir gehört, haben Sie eine Ahnung gehabt, daß ein Mann, wie ich, Ihnen jemals begegnen würde?
Ich sah ihn verwundert an.
Niemals, sagte ich dann mit Ueberzeugung.
Sonderbar, sehr sonderbar! murmelte er vor sich hin; ich aber, ich habe Sie gesehen; doch es war Täuschung, es muß Täuschung sein.
Sie spannen meine Neugier, rief ich lachend.
Es ist eine Albernheit, ein Hirngespinnst, vielleicht eine Thorheit, versetzte er, aber ich werde sie nicht erzählen. Unsere Wege trennen sich: Sie gehen nach Norden, ich nach Süden, und zwischen unserer Liebe und unserm Haß liegen dann Berg und Thal. Das lassen Sie uns erhalten; keine Annäherung sei zwischen uns fernerhin, aber wir scheiden als Freunde, um uns nie wiederzusehen.
Es lag in seinen Worten eine Beleidigung, die mich erhitzte. Kalt reichte ich ihm die Hand.
Nein, rief er mit Innigkeit, nicht also; zum letzten Male wollen wir nur wahre Freunde sein.
Er umarmte mich, und wunderbar bewegt schlang ich ebenso feurig meine Arme um seine Brust.
Wir müssen über unsere Empfindungen siegen, sagte er, um uns zu veredeln. Leben Sie wohl, mein Freund, dieser letzte Augenblick soll allein unsere Erinnerung sein.
Er eilte fort, und erstaunt, verwirrt sah ich ihm nach. Welche Bedeutung sollte ich seinen wunderlichen Worten geben? Welches geheimnißvolle und thörichte Bekenntniß hatte er mir zu verbergen?
Als ich darüber nachsann, hörte ich Josephs Stimme, der sich etwas im Zimmer zu schaffen machte.
Nun, Gott sei Dank, daß er fort ist, sagte der alte Mann vor sich hin; solche Gesichter, wie dies, haben uns nie etwas Gutes gebracht.
Mir fielen im Augenblick die abgebrochenen Andeutungen des Alten während meiner Krankheit ein, und ich benutzte seine Stimmung, um etwas von ihm zu erfahren.
Was weißt Du von diesem Gesicht, Joseph? sagte ich. Hast Du den Obersten schon früher gesehen?
Gesehen? erwiderte er. Ich, niemals.
Aber ein Gesicht, das dem seinen gleicht?
Wol möglich, kann wol sein, versetzte er einsilbig. Doch man irrt sich auch, es ist auch wol nicht der Fall.
Lüge nicht, Joseph! rief ich; Du kannst es nicht, wenn Du auch willst, Deine Verwirrung verräth Dich.
Ich habe keinen Grund zum Lügen, sagte der alte Mann mit einigem Stolze, und was geht mich das Gesicht dieses Herrn Obersten an.
Ich will nur eins von Dir wissen, alter Joseph, sagte ich. Hat mein Vater Schicksale gehabt, zu welchen ein Mann wie dieser Oberst beigetragen hat?
Ein Mann? erwiderte Joseph verwirrt, nein; aber eine Dame, die ihm ähnlich genug sah.
Und hat mein Vater, rief ich, neugieriger gemacht durch diese Antwort, Dir verboten, mit mir davon zu reden? That er das, so fordere ich nichts von Dir.
Der alte, treue Mensch betrachtete mein glühendes, unruhiges Gesicht mit Besorgniß, aber er konnte sich zu keinem Vertrauen entschließen.
Und wenn mein gnädiger Herr auch zürnen sollte, sagte er endlich mit dem Tone fester Entschlossenheit, ich kann nicht reden.
Ich war erzürnt über diese Hartnäckigkeit, aber zu stolz, um mit meinem Diener zu streiten. Ich schwieg, und Joseph entfernte sich.
Am Nachmittage kam Alfred und unterhielt mich, wie gewöhnlich, mit den Neuigkeiten der Hauptstadt. Nirgend hatte mir das Bekanntwerden meiner Abenteuer, das leider nicht ganz verhindert werden konnte, mehr Schaden gethan, als in dem Salon des Herzogs, wo man mit offener Verachtung von mir sprach, und keiner Versicherung Alfreds und einiger Freunde Glauben schenken wollte, wenn sie Irrthümer und Verwechselungen, die ich tief bereute, als die Gründe meiner Verirrungen vorschoben. Ich hatte das Vertrauen der noblen Gesellschaft ganz verscherzt, und wer in dem Meinungsstreite der Parteien Mißtrauen gegen seine Gesinnungen erweckt, wird schwerlich jemals die frühere Hingebung erlangen können.
So wenig ich im Grunde meiner selbst wegen mich darum kümmerte, so untröstlich war Alfred. Nach seinen Begriffen war es für einen Mann von Stande kaum möglich, zu leben, wenn man von den Kreisen dieser glänzenden Welt ausgeschlossen war, und seine Freundschaft für mich rang offenbar mit seinem Stolze. Er mußte mich aufgeben oder mich mit der Gesellschaft versöhnen, denn nimmermehr konnte er lange den Schimpf ertragen, der Freund eines Menschen zu sein, der, ausgestoßen und verachtet von dem wahren Frankreich, ihn selbst zuletzt mit sich ins Verderben reißen mußte.
Du bist hergestellt, sagte er, und mußt Dich nun je eher je lieber wieder der Gesellschaft nähern; Du mußt zeigen, daß es Dein Wunsch sei, Dich zu versöhnen. Aber die Annäherung muß vorsichtig sein, denn Du darfst in keinem Salon erscheinen, ohne die Beschämung zu fürchten, daß man Dir den Rücken kehrt.
Ich hörte lachend seine ängstlichen Abwägungen aller Rücksichten.
Und was räthst Du mir zu thun? sagte ich.
Er sah zum Fenster hinaus und beobachtete das Wetter; dann ging er sinnend einige Male auf und nieder und blieb zuletzt erfreut vor mir stehen.
Es geht vortrefflich, sagte er. Wir haben heut Donnerstag und auf der Terrasse von St. Cloud ist der gewöhnliche ländliche Ball. Dort versammelt sich die Elite der Gesellschaft um die Herzogin von Berri, die reizende Königin aller Feste, welche die Etiquette verbannt und Heiterkeit auf die faltenvollsten Gesichter zaubert. Wenn die Canaille fort ist, verläßt die Gesellschaft ihre Zuschauerplätze in den Wagen und tanzt fröhlich unter den Kastanien. Das ist der Augenblick, den Du benutzen mußt. Du mußt Dich in dies Treiben mischen und, so viel Du kannst, der Tänzer der erlauchtesten Damen sein. So bahnst Du Dir den Weg zur Versöhnung, dies Beispiel wirkt und man vergißt Deine Vergehungen.
Ich wandte ein, daß ich ein schlechter Tänzer sei, aber Alfred blieb unerschütterlich, und da mich die Hoffnung belebte, vielleicht hier meine schöne Unbekannte wiederzufinden, ergab ich mich bald in seine Vorschläge.
Wir fuhren nach St. Cloud und langten zur rechten Zeit an. Es war ein schöner Abend in den ersten Tagen des Mais. Das reizende Thal der Seine glühte in den Strahlen der untergehenden Sonne, und die malerischen Unterbrechungen von Wald und Feld, von glänzenden Landhäusern und umbuschten Dörfern, die vom Halbdunkel der Nacht und dem raschen scheidenden Sonnenlicht umspielt wurden, machten einen magischen Eindruck auf mich.
Hinter uns lag die ungeheure Stadt mit ihren Leidenschaften und Sorgen, vor uns die sanfte, wohlthätige Ruhe eines stillen Lebens, aus dessen Frieden der Mensch gewaltsam hinausgeworfen ist, um in den mächtigen Werkstätten der Cultur und des Elendes seinen natürlichen Boden zu verlieren.
Ein Ekel an dem Treiben dieser hungerigen Geschäftigkeit, dieser Gier nach Besitz und Herrschaft, erfüllte mich, und während mein Begleiter mit geläufiger Zunge mir die Namen der noblen Familien nannte, welche wahrscheinlich auf der Terrasse zu finden waren, und mir guten Rath ertheilte, deren Herablassung zu gewinnen, beschloß ich bei mir, Paris und Frankreich zu verlassen und durch die Schweiz den Rückweg zur Heimath in die Arme meines Vaters zu nehmen.
Endlich hielten wir auf der Gartenterrasse des Parks, wo bei einer elenden Dorfmusik und dürftigem Lampenlicht von einer bunten, gemischten Masse die Reihe der Contretänze aufgeführt wurde, welche in Frankreich Nationaleigenthum sind.
Mir haben diese steifen Tänze nie zugesagt. Mag es sein, daß die Grazie der Bewegung sich darin vortheilhaft zeigen kann, daß die künstlichen Ketten und Schwenkungen und die Zierlichkeit der Schritte eine besondere Kunst und Aufmerksamkeit verlangen; es liegt in ihnen eine preciöse Fremdheit und Kälte, welche eben nur durch Grazie ausgeglichen werden kann. Herz und Gemüth haben keinen Theil daran, und in dem neuen Frankreich, wo die alte Grazie und Galanterie untergegangen ist in einer monotonen Schroffheit aller Empfindungen, welche sich selbst den Körpern mittheilt, gleichen diese Tänze nur einer Marionettenkomödie, wo Automaten nach dem Tacte sich drehen und schwenken.
Alfred aber hatte Recht, wenn er behauptete, daß die Elite der feinen Welt sich hier eingestellt habe. – Die Mode ist das bizarrste Kind der Phantasie und ihre eigensinnigen Launen beherrschen den Wilden wie den Aufgeklärtesten, den Weisen wie den Thoren. Diese Prinzen und Herzoginnen, diese edeln Pairs und Gesandten, diese feinen Damen und Herren, welche jede Berührung mit den elenden Geschöpfen, die leider den Menschennamen mit ihnen gemeinsam trugen, sonst kaum mit Essenzen und Seifen fortzuwaschen vermochten, stiegen aus ihren goldenen Sälen, um hier auf dem Lehm zu tanzen, der von den plumpen Füßen der Gemeinheit zerstampft war, weil eben die Mode es so wollte.
Freilich thaten sie das nicht eher, bis der letzte Miethswagen verschwand; aber mancher hübsche Jüngling vom schlechtesten Blut, der dennoch zurückgeblieben war, mischte sich in die hochgeborenen Reihen, und die geheime Chronik dieser Terrasse erzählt unglaubliche Geschichten von den Abenteuern dieser Verwegenen, welche in den dunkeln Laubgehegen des Parkes in Betracht ihrer Jugend und Schönheit zuweilen Gnade vor den stolzesten und erhabensten Augen fanden.
Während man tanzte, durchsuchte ich die Gruppen schöner Frauen in allen Equipagen, um das Ziel meiner Sehnsucht zu entdecken. Unvergeßlich schwebte die hohe Gestalt, das edle Gesicht, entflammt von Zorn und Verachtung, mir vor, und doch hatte ich es nur wenige Augenblicke gesehen. Aber ich hatte den reizenden Körper in meinen Armen getragen, ihre Arme hatten mich umschlungen, an meinem glühenden Gesicht hatte ich ihr Herz schlagen hören und das meine zitterte noch immer in Luft und Schmerz, wenn ich jenen Augenblick mir zurückrief.
Zwar hatte sie mich vergessen und verlassen, und es war so leicht für sie, so gerecht für eine gewöhnliche Dankbarkeit, wenn sie meine Aufopferung mit einer Nachfrage vergolten hätte. Ich zürnte, wie ein Getäuschter, Unmuthiger zürnt, der mit steigender Leidenschaft an Hoffnungen hängt, welche jede Stunde mehr vernichtet und dennoch mehr erhöht; aber ich konnte mein Denken nicht ausreißen aus dem thörichten Herzen. Und hier durchsuchte ich nun eifrig jeden nahenden Wagen, jedes Gesicht, welches in der Ferne eine Aehnlichkeit bot, und bei jedem erneuerte sich die Täuschung mit der Hoffnung. –
Alfred hatte mich meinem Schicksale überlassen und drängte sich in den bunten Kreis, um die Ehre zu haben, der Tänzer der königlichen Herzogin zu sein und einen Tag lang von seinen Freunden beneidet zu werden. –
Wie widerlich und schal kam mir dies Treiben vor! Ich vermochte es nicht, mich ihm hinzugeben; ich vergaß, weshalb ich eigentlich hier erschienen sei, und flüchtete mich in die dunkeln Gänge des Parkes, bis ich endlich, mich meinen Träumen ganz überlassend, auf einer Bank in einem dichten Bosket mich niedersetzte.
Lange war ich jedoch nicht in meinem Zufluchtsorte, als ich zwei Männerstimmen hörte, welche mir nahten. Es war tief dunkel umher im Schatten der Gebüsche und beide setzten sich an der andern Seite nieder, ohne mich zu bemerken. Kaum konnte ich die Umrisse der Gestalten erkennen, und schon wollte ich aufstehen und durch das Geräusch sie erkennen lassen, daß ein drittes Wesen sie behorche, als die Stimme des Einen mich fast wider meinen Willen davon zurückhielt. Denn unverkennbar war es Laforce, der jetzt sprach, und was er sagte, erregte mein ganzes Interesse.
Ich mag nicht bei dem Tanze sein, sprach er, denn ich bin dieses Treibens herzlich müde und will mir die letzten Stunden nicht verbittern. Diese Menschen kennen nichts in der Welt als das Vergnügen, und sie drehen sich wie die Katze um den Schwanz nach irgend einem bunten Spielwerk. Es ist Zeit, hohe Zeit, daß ich Paris verlasse, denn lange hätte ich es nicht mehr ausgehalten in diesem Gemisch von Hochmuth und Sünde, von Eitelkeit, die sich zum Wahnsinn steigert, und Gleißnerei, die zum Verbrechen wird.
Das macht, erwiderte der andere mit einem Tone, in welchem der Spott unverkennbar lag, Deine Rahel, um welche Du mit so vieler Selbstverleugnung dienst; sie hat den Staub von ihren Füßen geschüttelt und Du eilst ihr nach, Du Glücklicher.
Glücklicher! sagte Laforce mit heftiger Bewegung, kannst Du mich so nennen? Ich sehe mit Entsetzen den Augenblick nahen, wo dies Blendwerk von ihren Augen fallen wird; und ich werde verlassen sein, wie ich es war.
Sie liebt Dich! versetzte der Freund.
Sie liebt mich, erwiderte der Oberst; ja, denn sie liebt den Mann, der wie sie denkt und handelt; aber wenn diese Maske fällt, wenn die Stunde schlägt, in der unsere Pläne ins Leben treten, wird sie mich hassen und mich als einen Heuchler, einen Betrüger verachten.
Wenn das freie Frankreich Dich mit Ruhm bedeckt und Deinen Namen als seinen Retter verherrlicht, versetzte der Begleiter leiser, wenn diese hochmüthigen Höflinge eines Mannes bedürfen, der sie vor der Rache ihrer beleidigten Mitbürger schützt wird sie sich versöhnen lassen.
Du kennst sie nicht, sagte Laforce, aber ich weiß zu gut, daß ich sie verliere, daß ich sie aufgeben muß. Doch sei es darum, ich bebe nicht vor diesem Augenblicke, und die Liebe eines Weibes soll mich nicht abhalten, mich ganz zu opfern.
Du sagtest mir noch nicht, fragte der Andere, leise, wie es mit unserer Angelegenheit steht.
Alles ist zum Schlage fertig, versetzte Laforce, indem seine Stimme zum Geflüster sank; ich brauche nur ein Wort zu sagen und wir zerreißen die Fahnen und pflanzen den alten Adler auf. Ich habe heut gesprochen mit – hier nannte er die Namen einiger Männer der äußersten Linken, welche das Jahr 1830 berühmt gemacht, und die von mehren bekannten und ausgezeichneten Generalen – Alle sind einig, daß der Tag meines Abmarsches das Signal zum Ausbruch sein muß. Man soll uns nicht zur Schlachtbank schleppen, um mit der Freiheit dort uns selbst zu zerstören.
Es folgte eine tiefe Pause, dann sagte jener:
Ich bewundere Dich, Laforce, Du bist ein kühner und listiger Verschwörer. Du hast Dich in die Mitte Deiner Todfeinde gedrängt, sogar die Geheimnisse des Pavillons St. Marsan sind Dir bekannt geworden.
Dafür, erwiderte der Oberst mit einem Seufzer, habe ich leider das Vertrauen so Vieler verloren, die in mir einen Verräther sehen.
Du hast Dein Spiel mit zu täuschender Wahrheit gespielt, versetzte der Freund.
Wenigstens ahnen die Dummköpfe nichts, sagte der Oberst. Aber der Boden brennt unter meinen Füßen, eine Unvorsichtigkeit und ich bin verloren. Doch wie es auch sein mag, das Gewebe wird nicht zerreißen, ich allein kenne die Fäden; es stirbt mit mir.
Sage mir nur eins, versetzte der Andere dringend. Ist es wahr, daß Lafayette versprochen hat, zu Euch zu stoßen?
Es ist gefährlich, Dir zu vertrauen, erwiderte Laforce scherzend, denn Deine Zunge läuft zuweilen mit dem Kopfe davon; doch da Du es halb weißt, magst Du es ganz wissen: Lafayette steigt zu Pferde, wenn unsere Trommeln schlagen, und sein Name schwebt unsern Adlern voran. – Jetzt laß uns gehen, mein Wagen steht unten an der Wache.
Beide standen auf, ich beugte mich tiefer und stieß mit dem Arm unvorsichtig an einen der herabhängenden Zweige. Die Blätter rauschten und rasch wendete sich Laforce zu mir hin.
Wer ist hier? fragte er mit wilder Heftigkeit der Stimme, in der ein rascher verzweifelter Entschluß lag.
Ich richtete mich auf.
Ein Mann, sagte ich, den der Oberst Laforce nicht zu fürchten hat.
Teufel! rief der Andere leise, wir sind verrathen.
Noch nicht, sagte Laforce kalt, und hielt einen Arm zurück, der sich drohend vor mir aufhob. Wer sind Sie, ich täusche mich nicht – er nannte meinen Namen.
Meine Antwort machte ihn sicherer. –
Reichen Sie mir Ihre Hand, sagte er.
Ich that es und er führte mich aus der Dunkelheit des Gebüsches auf einen freiern Platz, wo das matte Licht der Sterne ihn meine Züge erkennen ließ. Er betrachtete mich mit den großen durchdringenden Augen, ohne zu sprechen, und schien einen Entschluß fassen zu wollen. Sein Gefährte, groß und breit geschultert, hatte sich tief in einen dunkeln Mantel gewickelt und den Hut in die Augen gedrückt. So drängte er sich an meine Seite. Ich sah nichts als die starken Backenbärte und den straff gespannten Arm, welchen ich mir mit einem Messer oder Dolch bewehrt dachte. Das Bild eines Banditen verwirklichte sich und mit Heftigkeit trat ich zurück. –
Wollt Ihr mich ermorden, sagte ich, so werdet Ihr kein geduldiges Schlachtopfer finden.
Keine Thorheiten, junger Mann! erwiderte Laforce streng und faßte meinen Arm von Neuem mit einer Kraft, die meine Besorgniß nicht verminderte. Wollten wir dem unfreiwilligen Zeugen unsers Gesprächs ein ewiges Stillschweigen auferlegen, so hätte dies eher in jenem dichten Gebüsch als hier geschehen können. Wir sind bewaffnet, fuhr er fort, weil Fälle eintreten können, wo es besser ist, als Mann freiwillig zu sterben, denn gezwungen den Weg zum Tode zu gehen, und in Lagen, wie die unsere, ist es nicht Meuchelmord zu nennen, wenn wir, einer großen Sache halber, den Mund eines Schwätzers für immer schließen. Es kommt auf Sie an, welchen Weg wir einschlagen müssen.
Und was verlangen Sie? fragte ich.
Vor allen Dingen Aufrichtigkeit, versetzte Laforce. Haben Sie unser Gespräch ganz gehört?
Kein Wort ist mir davon entgangen, erwiderte ich.
Sie thun wohl, dies zu betheuern, sagte Laforce, und nun hören Sie, welche Wahl ich Ihnen lasse. Ich kenne Sie als einen Mann von Ehre, darum schwören Sie mir, Paris morgen zu verlassen und gegen Niemand, wer es auch sein mag, binnen Jahresfrist ein Wort von dem zu äußern, was Sie hier vernahmen. Wollen Sie das, so werden wir auch jetzt als Freunde scheiden.
Es lag ein eiserner Nachdruck in seinen letzten Worten, die er betonte, um den Gegensatz schreckbarer hervorzuheben. Ich war überzeugt, daß meiner Weigerung unfehlbar eine That folgen würde, von welcher er mit seinen Bemerkungen über den Meuchelmord sich im Voraus zu reinigen strebte, aber dennoch konnte ich in der heftigen Empörung meiner Empfindungen mich nicht entschließen, unumwunden seinem Befehle zu folgen.
Keine Furcht vor Drohungen soll mich bewegen, Ihnen mein Wort zu geben, sagte ich; und wenn ich denken könnte, daß Sie diesem Mittel mehr wie meinem freien Entschlusse vertrauten, würde nichts mich dazu vermögen.
Keine unnütze Worte, junger Mann, erwiderte Laforce rauh. Um so besser, wenn Ihre Freundschaft und Ihre Ueberzeugung Sie treiben; aber geloben Sie, schwören Sie und glauben Sie, daß dies das einzige Mittel ist, uns zufrieden zu stellen.
Hier drängte sich sein Begleiter dicht an ihn und murmelte einige unverständliche Worte.
Nein, nein, rief Laforce, er wird Einsehen haben, und einem Manne von Ehre muß man trauen, selbst mit Gefahr des eigenen Lebens.
Diese großmüthigen Worte entwaffneten meinen Unmuth, der vielleicht kindisch genug gewesen wäre, das Aeußerste zu erwarten. Ich betheuerte mit meiner Ehre, zu reisen und zu schweigen, und Laforce ließ meinen Arm los.
Welcher launenhafte Zufall wirft unsere Wege nochmals zusammen, sagte er mit einer feindseligen Kälte. Eilen Sie, fliehen Sie aus Frankreich, denn wenn wir uns nochmals wiedersehen, wird es unglücklich sein für Einen oder für Beide.
Er ging rasch mit seinem Begleiter fort und ließ mich auf dem Platze zurück.
Du hast unrecht gethan, hörte ich die tiefe Stimme des Fremden sagen, und ich fürchte, Du wirst zu spät einst diese Großmuth bereuen.
Einen Augenblick glaubte ich die Beiden umkehren zu sehen und eine jähe Angst trieb mich zur Flucht. Ich stürzte mich in's Gebüsch, durchkreuzte die Wege und eilte dem Lichtschein in der Ferne und der Terrasse zu, von welcher noch immer die schreienden Töne der Tanzmusik erschallten.
Athemlos lehnte ich mich an einen der mächtigen Kastanienbäume. Der mitternächtliche Mond stieg gelb und groß am Rande des Himmels auf und bestreute mit seinem traurigen, geisterhaften Lichte das ganze Thal. Die Zerrissenheit meiner Gefühle und die Heftigkeit meiner Empfindungen stachen grell ab gegen die Lust in meiner Nähe.
In meiner Brust wühlten die widerstreitendsten Schmerzen. Haß, Zorn, Erstaunen über das Unerhörte, das ich erfahren, Beschämung über die Rolle, welche ich gezwungen spielte, und Abscheu vor der Heuchelei und List eines Mannes, dessen Pläne auf blutige und grausame Thaten zielten, welche, wenn sie gelangen, einen Sturm über die Erde führen mußten. Wie er diese täuschte, die dort unten in eitler Sinneslust sich dem Vergnügen ergaben und nicht ahneten, wie nahe das Verderben war, so täuschte er ein Herz, das in Liebe an ihm hing, und weihte es dem Verderben.
Und dies Herz, wem gehörte es? Schlug es in der Brust Angelica's, wie eine innere Stimme mir sagte, o, so erschien es mir zehnmal beklagenswerther, daß ich nicht helfend und rettend einzutreten vermochte, zehnmal fluchwürdiger der Verräther, welcher mich von ihr trennte.
Plötzlich fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter. Es war Alfred, der mich gesucht hatte, und mich mit Vorwürfen überhäufte. Mißvergnügt sagte er mir, daß ich ein Träumer sei, daß ich die günstigen Minuten verloren habe und der größte Theil der Gesellschaft die Rückfahrt sogleich antreten werde. Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte, und schützte Schmerzen und Schwindel vor, die es mir unmöglich machten, zu tanzen.
Er war ärgerlich über mich, noch mehr über ein Mißgeschick, welches glücklichern Nebenbuhlern bei hohen Damen den Vorzug gab, und ließ seinen Unmuth reichlich auf meine Kosten aus. Ich schwieg, denn ich war zu weich gestimmt und zu beschäftigt mit mir selbst, um es zum Streite kommen zu lassen. Einsilbig fuhren wir zurück und verstimmt trennten wir uns.
Während der unruhigen Nacht, welche ich verlebte, hatten meine Gedanken Zeit, sich zu ordnen. Die Träumereien und der Ueberreiz meiner Empfindungen verschwanden und machten einem ernsten Nachdenken Platz. Ich fühlte ganz, wie thöricht ich war, und endlich begann ich meine gezwungene Verbannung aus Paris als ein gutes Ereigniß zu betrachten, welches mich gegen meinen Willen aus einem Kreis von Menschen und Ereignissen riß, in welchem ich, wie auf dürrem Boden, mich verkümmern ließ, während draußen die grüne Welt mir winkte.
Ich war mit dem Morgen fest entschlossen, Frankreich den Rücken zu kehren, und kaum war es Tag, als ich meinem getreuen Joseph befahl, die Koffer zu packen und Alles zu einer schnellen Entfernung zu ordnen.
Der alte Diener war sehr erfreut, als er meinen Willen hörte. Er war die Geschäftigkeit selbst und bald herrschte in meinen Zimmern die ganze Verwirrung und Unordnung, welche sich mit einer Abreise verbindet. Erst als er mich fragte, wohin er meine Pässe visiren lassen sollte, war ich ungewiß. Nach England, nach dem südlichen Frankreich und Italien, nach der Schweiz oder dem Rhein, es war mir im Grunde ganz einerlei, wohin, nur fort wollte ich und Paris noch heute im Rücken haben.
Mein Vater hatte mir kein Ziel gesteckt und keine Vorschriften ertheilt. Zuweilen hatte ich Briefe empfangen, welche die zärtlichste Liebe athmeten, die sich unter einer scheinbaren Ruhe und Entsagung versteckte, und indem sie mir anempfahlen, die Welt, so viel ich konnte, in mich aufzunehmen, meinen Gesichtskreis zu erweitern und das Leben als ein Mann zu genießen, dessen Grundsätze die Ausschweifungen fest zurückweisen, lag doch so viel Besorgniß und Verlangen darin, mich wieder bei sich zu wissen, daß seine Güte, seine Sehnsucht und stille Trauer mich stets unendlich rührten. –
Von meinen Thorheiten sollte er nichts erfahren als durch mich selbst; ich hatte ihm nur geschrieben, daß ich krank, doch außer aller Gefahr sei, und eben als ich unschlüssig war, welchen Weg ich einschlagen solle, empfing ich einen Brief, der mich plötzlich bestimmte, zu ihm zurückzukehren.
Seine Worte drückten keine ängstliche Besorgniß aus, er scherzte vielmehr über die Krankheiten eines jungen Mannes, der wahrscheinlich unter der Last seiner Vergnügungen hinfällig geworden sei, und schien überzeugt, daß eine Fortsetzung meiner Reise in den Frühling eines andern Landes, die frische Luft der Berge, eine Veränderung des Klimas und des Lebens mich bald wiederherstellen würden.
Eine sanfte Klage über seine Einsamkeit und seine Gesundheit, welche seit einiger Zeit durch heftige Gichtanfälle gelitten hatte, beunruhigte mich dagegen. Ich wußte, mein Vater klagte nie, und obgleich er versicherte, daß die schöne Jahreszeit wohlthätig auch auf ihn wirke und er sich kräftig hergestellt fühle, konnte ich diesen Betheuerungen keinen vollen Glauben schenken.
Wir gehen durch die Schweiz nach Deutschland, sagte ich zu Joseph, und wollen nicht zögern; mein Vater erwartet uns.
Der Alte eilte mit den Pässen davon und ich warf mich auf den Sopha.
Ein Stück der Welt, sagte ich mir, ist die ganze Welt. Ein paar Rohheiten oder abgeschliffene Sitten, Gebräuche und Thorheiten mehr oder weniger und die Menschen sind sich gleich in allen Zonen. Ist es werth, die Erde zu durchpilgern, um diese Zustände mit eigenen Augen zu sehen? Macht es glücklicher, weiser und besser, alle Länder zu durchstreifen, um zu entdecken, daß keine Vollkommenheit hier zu finden sei; daß das Menschengeschlecht seit Jahrtausenden eine lange Irrfahrt macht, um seinem göttlichen Urbilde sich zu nähern, und stets weiter davon zurückweicht? O, die Glücklichsten und Besten haben nie die Welt durchzogen! Der stille Friede der Seele, die Ruhe und Versöhnung mit unserer menschlichen Natur und Schwäche, findet sich nur in den erhabenen Kreisen der Freundschaft und Liebe, die wir eng um unsere Hütten und Herzen ziehen. Nein, der Mensch ist nicht für die weite Welt gemacht, ihm gehört nur ein kleines Stück davon, wo er leben und lieben soll.
Ich verfolgte die glühenden Wege meiner phantastischen Träume, welche der kalte Blick der Vernunft als Absurditäten verwirft; aber der Mensch muß einmal also träumen, und wenn er später darüber lächelt, wird er doch mit einer innern Wehmuth an jene Zeit zurückdenken, wo er es noch vermochte, mit dem Zauber einer eignen Schöpfung die traurige Realität, in welcher er lebt, zu versöhnen.
Ich hatte die Hand auf den Brief meines Vaters gedeckt; als ich sie fortzog, bemerkte ich eine Nachschrift, welche das Blut der Scham in meine Wangen trieb.
Hast Du denn niemals an meinen Wunsch gedacht, etwas von Sallanches zu erfahren?
Nichts als diese Zeile stand da, aber es war genug, um meine ganze Schuld mir in's Gedächtniß zu bringen. Ich hatte diese Angelegenheit ganz vergessen, auf unbegreifliche Art vergessen, so oft ich auch selbst durch Joseph's verworrene Aeußerungen darauf geführt werden mußte.
Ich sprang auf und öffnete mein Bureau. Unter vielen unbedeutenden Papieren fand ich nach einigem Suchen den Brief wie den Ring, und beides lag vor mir, als Alfred hereintrat.
Seine gute Laune und seine Freundschaft für mich waren wiedergekehrt und seine Vorwürfe scherzhaft. Nach einigen Minuten sagte er:
Ich bringe Dir noch einen Abschiedsgruß von Laforce, an dessen Thür ich gestern in der Nacht vorüberkam, gerade als er in den Wagen stieg. Der glückliche Mensch! Er ist zum Brigadechef ernannt worden und wahrscheinlich wird er bald in den Generalstab Monseigneurs von Angouleme gerufen, der ihm sein ganzes Vertrauen zugewendet hat.
Der Oberst stand also in directer Verbindung mit dem Hofe? fragte ich.
Wie ich Dir sage, erwiderte Alfred. Er war nach Paris gerufen, um an den Arbeiten zum Feldzuge Theil zu nehmen, und man überzeugte sich bald von seinen Talenten und seinem glühenden Eifer für den Thron. Merkwürdig ist es, daß sogar Madame ihren Abscheu vergaß, welchen sie vor Jedem hat, der der Revolution oder dem Kaiser diente, aber es ist gewiß, mein kluger Vetter drang bis zum petit-lever und besuchte die Betstunden, obgleich ich über seine Frömmigkeit einige gerechte Zweifel hege.
Er lachte laut.
Nun, fuhr er fort, warum soll er es nicht machen wie Andere und sein Glück benutzen? Ach! ehe ich's vergesse: er sagte mir, daß Du uns verlassen willst, und läßt Dir glückliche Reise wünschen, und ich sehe, Du machst Anstalten. Du hast Recht, Paris verödet bald; auch ich werde mich zurückziehen, ich hoffe jedoch, Dich im Winter wieder hier zu sehen, und es wird lustiger sein, denn bis dahin wird sich Manches geändert haben.
Ohne Zweifel, versetzte ich, allein ich werde nicht zurückkehren.
So besuche ich Dich in dem Lande der Barbaren, der romantischen Poesie, der Eichen und alten Bergschlösser, der Hexen, Feen und Gespenster, sagte Alfred. Du hast mir so viel von Euern Hasen und Hirschen erzählt, ich muß die Wahrheit erfahren.
Ich unterbrach sein leichtfertiges Geschwätz.
Kennst Du, sagte ich, einen Marquis von Sallanches?
Alfred starrte mich mit einem listigen, forschenden Blicke an. Dann fragte er lachend, ob ich bei meiner Abreise noch Bekanntschaften machen wolle?
Keineswegs, erwiderte ich, aber beantworte meine Frage.
Ich weiß nicht, sagte er, noch immer lachend und mich ansehend, was ich Dir antworten soll.
Die Wahrheit! rief ich, erstaunt über sein Benehmen. Ist meine Frage denn so verfänglich für Dich?
Zum Henker, ja! erwiderte er; aber da Du Dich an mich wendest, so werde ich Niemand zu Gefallen eine Lüge sagen, wenn Du von Andern ebenso gut die Wahrheit erfahren kannst. Wer aber hat Dir den Namen genannt?
Ich habe einen Brief von meinem Vater, erwiderte ich, und deutete auf das Schreiben vor uns.
Alfred ergriff es und betrachtete dann den Ring, welcher daneben lag.
Es ist in der That das Wappen der Sallanches! sagte er mit Lebendigkeit. Sonderbar, es muß der Marquis sein. Er floh während der Revolution aus Frankreich und kehrte erst mit dem Könige zurück.
Und wo wohnt er jetzt? fragte ich.
Auf seinen Gütern, nicht weit von der deutschen Grenze, im Departement des Wasgaus, sagte Alfred. Seit einigen Jahren hat er sich ganz von Paris zurückgezogen, um, wie Cäsar, lieber dort der Erste, als in Paris der Tausendste zu sein.
Um so besser, sagte ich; dann kann ich auf meiner Reise die Befehle meines Vaters erfüllen. Du wirst mir Näheres sagen können.
Alfred war so ernst und nachdenkend, wie es selten bei ihm vorkam.
Meinetwegen! rief er plötzlich und richtete sich empor. Jeder muß sich seinen Weg durch das Leben bahnen, seiner Freuden und Leiden Schöpfer sein, und dem Zufalle, der uns Alle führt, den Ausgang überlassen. Reise Du und suche den Marquis auf; ich hoffe, es wird Dir dort gefallen, und wahrscheinlich überrascht Dich Manches, was ich Dir nicht näher erörtern will. Weitere Auskunft weiß ich nicht, doch reise nach St. Dié, dort wird Jeder Dir sagen, wo der Marquis wohnt. Nimm jedoch Dein Herz wahr, mein deutscher Philosoph. Sallanches hat eine schöne Tochter, aber eine verbotene Frucht, die für einen Andern reift, und dieser Andere – doch das geht mich nichts an; packe zusammen und fahre in das alte Schloß. Was kommen muß, kommt, und ich verlasse Dich, um zu den Füßen meiner neuesten Eroberungen schönere Bekenntnisse zu machen. Leb' wohl, mein Freund, wir sehen uns wieder!
Er trällerte ein Liedchen und eilte hinaus, so schnell er konnte, wahrscheinlich um einem Abschied zu entgehen, der ihn verstimmte. Ich sah ihn nicht wieder.
Gern hätte ich mehr von ihm erfahren; aber was ich wußte, war auch genug, um meinen Weg allein zu finden; mit Mißvergnügen hörte ich daher von Joseph, daß meine Pässe mich einen Tag länger festhalten würden.
Die französische Polizei war damals von dem größten Mißtrauen besessen und unterwarf die Visa der Pässe einer strengen Controle. Ich mußte mich selbst zu unserm Gesandten verfügen, dann persönlich auf dem Centralbureau erscheinen und endlich gab man mir auf, am nächsten Tage die Papiere im Ministerium des Innern in Empfang zu nehmen.
Nach mehren Plackereien, welche zuletzt auf eine Sportelprellerei hinausliefen, hatte ich endlich, was ich wollte. Ich benutzte den Abend, um Abschied von meinen Freunden zu nehmen, die Salons und Theater zum letzten Male zu durchstreifen, und trennte mich von Allem, ohne einen Schmerz des Abschieds zu empfinden. Alfred hinterließ ich meine Karte, mit der Aufforderung, sein Versprechen, mich in Deutschland aufzusuchen, bald zu erfüllen, und meiner unwandelbaren Freundschaft gewiß zu sein. So fuhr ich aus den staubigen Barrieren und athmete auf, als das frische Grün des Bodens mich umgab.
Mein Weg ging nach Nancy, und jemehr ich mich den alten deutschen Grenzen näherte, um so ruhiger und heiterer wurde mein Sinn, um so wohlthuender waren die Eindrücke, welche mich an meine Heimath erinnerten. Ich fuhr durch das reizende Hügelland, welches in den jungen Zauber des Frühlings sich gekleidet hatte, und ein wehmüthiger Schmerz erfüllte mich. Mein patriotischer Zorn begann sich zu regen, wenn ich dachte, daß diese reichen Felder einst von deutschen Liedern wiederhallten, daß deutsche Schnitter einst hier die Garben banden, und die traurige Zerrissenheit meines Volkes, die eifersüchtige Schwäche seiner Großen diese schönen Länder den übermüthigen Fremden verrathen hatten.
Endlich sah ich Epinal und die reizenden Berggegenden der Vogesen, diese Reihen von majestätischen wilden Domen, die das Feuer der Erde aufgethürmt hat, bis ihre Spitzen in die Wolken reichten. Liebliche Thäler durchstreichen diese Ketten, düstere Wälder steigen aus den Schluchten empor, ein Hirtenleben wird auf den üppigen Bergweiden und Wiesen getrieben; unten an den Thalhängen wohnt der fröhliche Winzer und oben auf den flachern Kuppen ragen da und dort alterthümliche Mauern, die Ruinen von Schlössern und Vesten hervor, welche an längst verklungene Zeiten mahnen.
Als ich St. Dié erreicht, erkundigte ich mich nach dem Schlosse des Marquis und empfing die genauesten Nachweisungen von dem Wirthe des Gasthauses.
Fünf Lieues von hier, aber immer in den Bergen, sagte der Mann, indem er die magere Hammelcotelette, das Hauptstück meines Diners, vor mich hinpflanzte. Es ist ein schlechter Weg, mein Herr, die Schuld unserer vortrefflichen Behörden, die nichts für die Vicinalstraßen thun und regelmäßig das Geld in die Tasche stecken. Ach! sacre Dieu! unter dem Kaiser, da war es anders.
Ich betrachtete die breite, kurze Gestalt, welche, trotz der Fleischmassen des Alters, noch immer einen militairischen Anstand zeigte.
Sie waren Soldat? fragte ich.
Von Arcole bis Austerlitz, erwiderte er. Verdammte Kugel, die meinen Arm lähmte! Ich war fertig und kehrte nach Haus zurück.
Wie jeder alte Militair, war er bald im Zuge seiner Erinnerungen, und während ich aß, erzählte er Geschichten älterer und neuerer Zeit, schimpfte auf die Verwaltung, murmelte Flüche über die aufgedrungene Herrschaft und sprach mit jedem zehnten Worte vom Kaiser, dessen zwei Sousbild an die Thür geklebt war.
Ich sehe wohl, sagte ich lächelnd, wie es steht. Der Kaiser hat überall noch gute Freunde. Aber denken viele Ihrer Mitbürger wie Sie?
Die Spitzbuben, versetzte er ärgerlich, denken weniger an den Kaiser als an sich selbst; aber mindestens hassen sie den Adel und dessen Beschützer in Paris, und die schwarzen Gestalten und blassen Gesichter noch mehr, welche jetzt wieder mit dem Kreuz durch unsere Thäler laufen.
Die Missionaire? fragte ich.
Freilich! rief er; die heilige Bande aus der Schweiz und dem Süden. Den Sonntagstanz haben sie uns genommen und alle Lust und Freude flieht, wo sie sich sehen lassen. Dies ist gottschänderisch, ausgenommen Beten und Fasten und die frommen Spenden, welche sie einsacken. Verfluchtes Gesindel! Sonst war es ein lustiger Ort hier und mein Haus voll Gäste, wenn der alte Morin seine Fidel kratzte; jetzt ist es leer und todt und ich trinke meinen Wein selbst.
Als wolle er seine Worte bekräftigen, stürzte er ein großes Glas hinunter und schlug dann, erregt von Unmuth, mit der Hand auf den Tisch.
Und wer, rief er, wer anders ist Schuld daran, als die Menschen, welche sich Grafen und Barone nennen, und aus besserm Stoff zu sein glauben, als wir; diese Herren von Koblenz und Gent, welche die Milliarde verschluckten. Ça! ich kenne Sie nicht, Monsieur, und Sie wollen auf das Schloß da oben zu dem schlimmsten aller Aristokraten und Priesterfreunde; aber wer so ein offenes, lustiges Gesicht hat und aus Deutschland kommt, wird wenig Gefallen dort finden und einen redlichen, bekümmerten Citoyen nicht verrathen. Aber meinetwegen, Herr, fuhr er fort, und rückte die Mütze trotzig auf das linke Ohr. Pierre Boulanger fürchtet sich nicht, und mögen Sie es wiedersagen, immerhin! Das alte Schloß ist ein Nest von Aristokraten und Pfaffen, das ausgeräuchert werden muß, wenn der Wind sich gedreht hat, und das wird nicht ausbleiben, bei Gottes Thron! Das wird kommen, ehe man's denkt. Wir kennen unsere Rechte, wir; die Menschenrechte und die Charte und haben dafür geblutet.
Ich erstaunte über diese offene Declaration von Gedanken, welche in Paris selbst nicht ohne Gefahr geäußert werden durften; aber sie waren längst ein Eigenthum der Hütten geworden, und ich habe oft von Leuten, die weder lesen noch schreiben konnten, Erörterungen über die Würde der Menschen, über Gleichheit und Freiheit, über Staats- und Völker- und Naturrecht gehört, die mit so vieler Wahrheit und Ueberzeugung ausgesprochen wurden, daß man wohl sah, eine politische Erziehung und die Leiden ihrer Väter haben diese Ideen zu ihrem wohlerworbenen Eigenthum gemacht.
Pierre Boulanger würde noch lange fortgeschwatzt haben, wäre seine Hausfrau nicht dazwischen gesprungen und hätte sie ihm nicht plötzlich den Mund zugehalten.
Willst Du still sein, Du Taugenichts! schrie die große knochige Frau mit der langen, spitzen, echt französischen Nase. Bist Du schon wieder betrunken? Willst Du uns mit aller Gewalt unglücklich machen? Die Gensd'armen haben Dich lange schon auf dem schwarzen Register, und für den Schurken von Maire und seinen höllischen Adjuncten würde es ein köstliches Vergnügen sein, Dich einzusperren und mir zu nehmen, was wir haben. Mein Herr, wandte sie sich zu mir, die Pferde sind da, und wenn Sie nach dem Schloß hinauf wollen, haben Sie keine Zeit zu verlieren, so gern wir auch länger die Ehre Ihres Besuches hätten.
Der kleine, dicke Wirth hatte sich losgemacht von der Umarmung seiner Frau und setzte die blaue Zipfelmütze auf seine kahle Stirn.
Marion ist ein braves Weib, sagte er lachend, sie hat in allen Dingen Recht, denn Schweigen ist jetzt bei uns die größte Tugend, aber von den Pflichten und Rechten eines französischen Bürgers versteht sie nichts, so wenig wie vom Wege und Wetter. Ich sage, mein Herr, es würde am besten sein, wenn Sie die Nacht bei uns blieben; die Sonne scheint bleich und die Berge rauchen; wir werden Wasser und Feuer vom Himmel fallen sehen, ehe wir zwei Stunden älter sind.
Ich warf einen Blick zum Fenster hinaus, der mich überzeugte, daß der practische Wirth eigennützige Absichten hege. Das Berggelände lag grün und sonnenhell vor mir, und nur um die hohen Spitzen in der Ferne ringelten sich blaue flatternde Nebel, die dem halbdurchsichtigen Dufte einer Alpenlandschaft glichen.
Ich erklärte daher, daß ich Regen und Blitz nicht fürchte, bezahlte meine Mahlzeit und fuhr rasch auf dem holprigen Wege in den Schooß des Gebirges ein.
So nahe meinem Ziele bemächtigten sich meiner die regsten Erwartungen, einen Mann und eine Familie kennen zu lernen, an deren Schicksal mein Vater einst einen so innigen Antheil genommen haben mußte. Als ich Paris verließ, hatte ich nochmals meine Zuflucht zu Joseph genommen, um von ihm etwas zu erfahren.
Weißt Du, wohin wir gehen? fragte ich ihn.
Er sah mich groß an.
Wenn nicht nach Deutschland, erwiderte er, so weiß ich es nicht.
Wir machen einen Besuch bei dem Marquis von Sallanches, sagte ich und beobachtete den Eindruck, welchen diese Neuigkeit machen sollte.
Er blieb jedoch völlig gleichgültig und erkundigte sich, wo der Marquis wohne.
Kennst Du ihn nicht? fragte ich verdrießlich.
Nein.
Und doch muß mein Vater in genauer Freundschaft zu ihm gestanden haben.
Wohl möglich, der Herr Vater hatten viele Freunde.
Diese gleichgültige Einsylbigkeit erzürnte mich; wir setzten unsere Reise fort und ich verlor kein Wort mehr an meinen hartnäckigen Diener. Erst jetzt, in der Mitte der Berge und nahe dem Manne, von welchem ich so gern etwas erfahren hätte, wandte ich mich von Neuem an Joseph. Der Alte saß vor mir auf dem Bocke und betrachtete aufmerksam das pittoreske, wilde Bergland, durch welches wir fuhren.
In Schluchten und Klüften stürzten die Felsenwände nieder, und der steinige schmale Weg wand sich bald durch Hohlwege, die himmelhoch über uns sich zusammenzuschließen schienen und die Abzugkanäle der Bergwässer bildeten, welche leise plätschernd unter dem Gestein niederflossen, bald stieg er steile Höhen hinauf und verlor sich in ein Gewirr kleiner Thäler und Felsenkessel, die mit allen Reizen einer erhabenen Natur geschmückt waren. Zuweilen drang das Heerdengeläut von den hohen Wiesenstrichen nieder und das Leben der Menschen zeigte sich an einzelnen ärmlichen Hütten, die da und dort an den Felsen klebten. Eine grün bemooste Mühle wälzte ihr rauschendes Rad unter dem Schirmdache und über sie schoß der glänzende Waldbach, der, halbaufgelöst in Gischt, von der Bergwand darauf niederfiel.
Einzelne größere Gebäude lagen in der Ferne, Meierhöfe zwischen ungeheuern Felsenstücken eingepreßt, und wo jede Spur der menschlichen Nähe verloren schien, standen Heiligenbilder und versunkene Kapellen an den ödesten, wildesten Stellen, stumme, mahnende Zeugen, daß die Religion und ihre Andachtzeichen den Menschen überall zur tröstenden Richtschnur dienten.
Dunkelrothe Wolken jagten dabei über die Kuppen, die Tannen- und Lerchenwälder brannten in jenem glühenden Feuer, in dem Horebs Busch einst brannte, als Gottes Stimme daraus erscholl, und Felsen und Wälder schwammen in einem unaussprechlichen Lichte, das stufenweis durch alle magischen Verwandlungen bis in die Nacht der Schluchten niedersank.
Es scheint, Joseph, sagte ich, daß Du nicht zum ersten Male diese Berge siehst?
Zum ersten Male in meinem Leben! erwiderte er.
Aber Du betrachtest so aufmerksam diese Felsen und jeden Winkel darin.
Ich suche im Voraus einen Zufluchtsort, erwiderte er. Der dicke Wirth hatte Recht, und ich glaube, wir hätten besser gethan, bei ihm zu warten.
Du bist ein Thor, rief ich ärgerlich, und ein Narr, wenn Du mich täuschen willst mit Deinen Wetterprophezeiungen.
Wie zum Hohne meiner Worte hallte ein dumpfer Schlag aus den Bergen und unterbrach meine Rede.
Joseph schwieg und der Fuhrmann peitschte fluchend seine Pferde, die im scharfen Trabe jetzt mit uns über Steine und Gerölle in ein Thal hinunterliefen.
Willst Du den Wagen zerbrechen? rief ich zornig; fahre langsam und wir werden eher hinkommen, als das Wetter uns ereilt.
Der Mensch antwortete nichts, aber er blieb bei seinen kräftigen Ermunterungen durch Wort und That. Als ich ihm nochmals zurief, drehte er sich kurz um.
Monsieur kennen die Berge nicht, sagte er, aber ich weiß Bescheid hier. Vorwärts Schwarzer, vorwärts Lisette! An der Kapelle könnt ihr euch erholen; in fünf Minuten ist es hier Nacht und der Regen schießt stromweis von den Bergen nieder.
Er hatte vollkommen Recht. Das Gewitter entwickelte sich mit jener zauberhaften Schnelle, wie es nur in Gebirgen gesehen wird. Bald folgten sich zahllose Blitze, welche mit ihren glänzenden Strahlen der Finsterniß spotteten, um dem geblendeten Zuge die lebte Kraft des Sehens zu rauben; das betäubende Rollen des Donners brach aus den Schluchten hervor. Die Felsen schienen zu wanken, der zitternde Boden nachgeben zu wollen; heulende, wimmernde Töne der Windstöße, welche sich an tausend Kanten brachen, füllten die Pausen.
Nie hatte ich ein so majestätisches Schauspiel erlebt. Das Gebrüll einer Schlacht muß ein Spiel dagegen sein und mein Herz füllte sich mit Entzücken über diese Empörung der Elemente und mit Furcht, ein Opfer derselben zu werden.
Wir fuhren einen steilen Weg hinauf; der Regen rauschte in dichten Fäden nieder. Unser Fuhrmann war abgestiegen und führte eins seiner Pferde, Joseph das andere.
Plötzlich bogen wir seitwärts ab und der Wagen hielt unter einem Schirmdache.
Allen guten Heiligen sei Dank, rief der Fuhrmann, daß wir die alte Kapelle haben! Aber es sind mehr Gäste hier, die Schutz suchen; da stehen Pferde und die Menschen haben sich an das Gemäuer geflüchtet.
Joseph hatte die Wagenthür geöffnet, ich sprang heraus. Ein dunkler kleiner Bau erhob sich vor mir, und im Zucken der Blitze konnte ich die schmalen langen Fenster erkennen. Unter einem breiten Vorbau hielt der Wagen, mehre Pferde schnaubten im Hintergrunde und eine dunkle Gestalt kam hervor und redete meinen Führer an.
Ich hielt mich nicht dabei auf und trat schnell in die Kapelle. Als ich die Thür öffnete, streckte sich ein Arm mir entgegen und hielt mich auf.
Bleib draußen, Freund, sagte eine tiefe Stimme, das Fräulein von Sallanches sucht hier Schutz am Altare der heiligen Jungfrau, Du darfst sie nicht stören.
Bei dem Tone dieser Worte stand ich wie festgebannt. Ein blendender Blitz fuhr nieder und erhellte den kleinen Raum. Zwei Schritt vor mir kniete eine weibliche Gestalt vor dem weißgetünchten, buntbemalten Bilde der Gottesmutter und dicht vor meinen Augen stand Laforce und schien in Schreck und Verwunderung mich wie ein Gespenst zu betrachten, das ein Wetterstrahl aus den zerklüfteten Eingeweiden der Erde riß.
Die tiefe Dunkelheit, welche der falben Helle folgte, und das schmetternde Krachen des Donners über unsern Häuptern verschlang wahrscheinlich die ersten verwirrten Laute unsers gegenseitigen Erkennens. Als der Blitz wiederkehrte, stand die drohende Gestalt des gehaßten Mannes noch immer auf derselben Stelle. Ein grünes Jagdkleid umhüllte ihn, die Hand ruhte auf einem Fangmesser an seiner Hüfte und seine Augen strahlten eine wahrhaft dämonische Glut auf mich.
Unglücklicher! rief er mit einer Stimme, die den Donner übertönte. Wer hat Ihnen den Weg hierher und zu mir gezeigt? Warum trotzen Sie dem Schicksal?
Diese gebietenden Worte reizten meinen Zorn.
Und wer, sagte ich stolz, gibt Ihnen das Recht, Auskunft von meinem Thun zu verlangen?
Recht? versetzte er; ich, ich selbst und Ihr Wort, nach Deutschland zurückzukehren.
Ich habe Paris verlassen, rief ich, weil ich es mit meinem Ehrenworte versprochen, und in einer Anwandlung menschlicher Furcht vor dem Dolche eines Mörders; aber nimmermehr werde ich mich zwingen lassen, weiter Ihrem Befehle zu folgen.
Und was wollen Sie hier? fragte er ruhiger. Welcher Zufall führt Sie in diese einsamen Berge?
Kein Zufall, sagte ich. Ich bin hier, um auf dem Schlosse des Herrn von Sallanches einen Besuch zu machen.
Das werden Sie nicht! rief er mit neuer Heftigkeit. Wer rieth Ihnen dazu? Wer machte Sie so verwegen, Menschen zu verfolgen, welche Alles thaten, um Ihnen unbekannt zu bleiben? Hinaus, dort hinaus, verfolgen Sie Ihre Straße; reizen Sie die Hand nicht, in welcher zweimal Ihr Leben ruhte. Beim Himmel! Zum dritten Male würde kein Retter sich zwischen Sie und das Grab werfen.
Ich verachte Ihre Drohungen, versetzte ich kalt und höhnisch. Ich gehe nach Sallanches und werde Sie erwarten.
Diese ganze Unterredung ward bei dem Toben des Wetters geführt, bei den Blitzen, die bald unsere haßerfüllten Züge erhellten, bald uns in tiefe Dunkelheit zurückwarfen, während der unaufhörliche Donner unsere lauten Stimmen zum Gemurmel machte.
Wohlan denn, rief Laforce mit einer Ruhe, die grell gegen seine Heftigkeit abstach, so mag es sein, so mag sich erfüllen, was geschehen muß. Gehen Sie, hören Sie nicht weiter die Stimme der Vernunft und die Bitten eines Mannes, der gern Ihr Freund sein möchte und gezwungen ist, Ihr Todfeind zu sein. Aber verlassen Sie diesen Ort um der. Dame willen, die hier beunruhigt wird.
Ich wendete meine Blicke dem kleinen Altar zu; die Betende hatte sich erhoben, unsere heftigen Worte hatten ihre Andacht gestört. In unsern Zügen las sie Zorn und Streit, ohne die Ursache zu begreifen, und jetzt trat sie näher, um Hader an diesem heiligen Zufluchtsorte zu hindern. Als sie dicht bei uns war, flog ein heller Schein über ihr Gesicht. All mein Blut drang in mein Herz, meine Gefühle strömten plötzlich in einem Sturme des Entzückens zusammen. Es war meine Gerettete, meine Verlorene, die plötzlich mir wiedergegeben war.
Angelica! rief ich und ergriff mit glühender Leidenschaft ihre Hand. Ich war keines Wortes mächtig und stand zitternd wie ein Knabe, als sie mit einem lauten Schrei sich von mir losriß und bei Laforce Schutz vor einem Wahnsinnigen zu suchen schien.
Was will der Mensch? rief sie; wer ist er, was faßt er mich an?
Ruhig, meine theure Angelica! sagte Laforce. Es ist ein junger Mann aus Paris, ein Reisender, der, im Irrthum befangen, dort wahrscheinlich Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben glaubt.
Glaubt? rief ich, erbittert über diese Heuchelei. Gütiger Himmel! Bin ich es nicht, der glücklich genug war, sie zu retten, als die Wuth des Volkes ihr Leben bedrohte?
Wenn dieser Gedanke Sie hierher trieb, versetzte Laforce, und mein Grimm steigerte sich bei dem spottenden Klang seiner Stimme, so haben Sie sich täuschen lassen von einem Verräther, einem Unwürdigen. Angelica von Sallanches war niemals in Paris.
Reden Sie selbst, rief ich mit einer Angst, die unwillkührlich in meiner Stimme zitterte; ich glaube es nicht, ich kann es nicht glauben.
Während ich sprach, erhellte das falbe Zucken aufs Neue die Kapelle und erlaubte mir, das Gesicht Angelica's zu sehen. Sie schien bewegt, ergriffen, unschlüssig und betrachtete mich mit sichtbarer Rührung. Dann kehrte die Finsterniß zurück und ich hörte ein festes Nein! zu mir herüberschallen.
Sie täuschen sich ganz, mein Herr! sagte sie, ich war nicht in Paris.
Aber mit jedem ihrer Worte war ich sicherer, mich nicht zu täuschen.
Ich muß es glauben, im Irrthum zu sein, sagte ich, obgleich es mir schwer fällt. Verzeihen Sie die Heftigkeit meiner Empfindungen, welche Sie gestört und erschreckt hat.
Eine Pause trat ein und Laforce öffnete die Thür.
Das Gewitter ist vorüber, sagte er, bald werden die letzten finstern Wolken verschwinden. Aber die Nacht ist da; wir müssen eilen, der Marquis wird sich ängstigen. Ich hoffe, sagte er dann zu mir, Sie wollen nach dieser Erklärung das Schloß nicht mit Ihrem Besuche beehren.
Und doch, versetzte ich kalt, macht die Nacht es vielleicht nöthig, die Gastfreundschaft dort anzurufen, selbst, wenn ich auch nicht an den Herrn Marquis mich eines Auftrages zu entledigen hätte.
Laforce betrachtete mich drohend, und eine heftige Einrede schwebte auf seinen Lippen, aber Angelica kam ihm zuvor.
Es wird uns zur Ehre und Freude gereichen, sagte sie, wenn wir das Glück haben, Sie bei uns zu sehen. Und in der That wüßte ich nicht, wo Sie in diesen Bergen ein passenderes Unterkommen fänden, als in unserm Hause. Die Pferde, Antoine! Wir eilen voran und benachrichtigen meinen Vater, der sehr glücklich sein wird, Sie zu empfangen.
Schweigend half Laforce der schönen Reiterin in den Sattel und bald verhallte das schnelle Klappen der Hufe in der Ferne. Ich warf mich in den Wagen und folgte, indem ich den Fuhrmann zur Eile trieb; und er versprach die Stunde, welche uns vom Schlosse trennte, bald zurückzulegen, wenn der Weg es erlaube.
Diese letzte Bemerkung trug ihre Früchte. Das Wetter hatte die gewundene steile Straße zum Bett der Waldbäche gemacht, in welchem Felsentrümmer und der rothe aufgelöste Thon des Bodens uns halsbrechende Hindernisse bereiteten. Während der Wagen schwankte und ächzte und die schimpfende Stimme des Fuhrmannes sich mit dem Keuchen seiner Pferde mischte, athmete mein heißes Gesicht die frische, kalte Luft, die wie ein Strom von Balsam in meine ausgedörrten Lungen drang.
Die hohen Felsen umher starrten fühllos in den durchsichtigen Himmel, in dessen Düfte die Sterne langsam ihre Nebelschleier abwarfen, und an den höchsten Spitzen brannte der letzte Schimmer einer Sonne, welche längst über fernen Zonen aufgegangen war. Das Brausen der wilden Wasser, der Wind, welcher leise durch die Lüfte eilte und den Regen beruhigend von den traurig gesenkten Blättern wischte, wie die göttliche Ruhe und Klarheit nach dem heftigen Kampfe der Natur, Alles diente dazu, mich zur Besonnenheit zu führen.
Als wir auf der Höhe waren, lief der Kreis finsterer Wolken über die fernen Thäler hin; der Himmel schlug unaufhörlich darin die glühenden Augen auf und blendend in seinem Lichte sah ich die hellen Mauern und Thürme eines Schlosses in der fernen Dunkelheit erscheinen und verschwinden.
Es war mein Ziel, ich wußte es, und ging mit mir selbst zu Rathe, welche Rolle ich spielen sollte. Offenbar mußte es eine klägliche sein, denn meine Bekanntschaft war ja von Angelica bestimmt zurückgewiesen; und wenn sie Gründe hatte, mich im ersten Augenblicke zu verleugnen, so ließ sich denken, daß eine fremde Kälte sie auf immer von mir entfernen würde.
Ich überdachte den wunderbaren Weg des Zufalls, der mich hier mit Laforce und dem Fräulein zusammenführte, wo ich es am wenigsten erwartet hatte, und fand darin eine jener seltsamen Launen des Schicksals, welches die Welt beherrscht, um entweder Unheil zu bereiten, oder durch manche Prüfungen zum Glücke zu führen. Aber allem Anschein nach mußte hier das erste erfolgen, wenn ich fortfuhr, mich thöricht zwischen Laforce und seine Liebe zu dringen. Angelica liebte ihn und wandte sich entschieden von mir; es war zu gewiß, mein böser Stern hatte mich hierher geführt, und eine innere Stimme rief mir zu, daß es besser für mich, besser für alle sei, wenn ich die Hallen dieses Schlosses nie beträte.
Schon wollte ich mich zum Wagen hinausbeugen und fragen, ob kein Haus sonst in der Nähe sei, als die Pferde den Weg zum Hügel hinaufzogen, auf dessen Gipfel das Schloß lag, und Scham über meine Schwäche sowol, wie die Gewißheit einer abweisenden Antwort meinen Mund schlossen.
Langsam verfolgten wir inzwischen die steile Bahn und hielten endlich an einem alterthümlichen gewölbten Thore. Ein Mann mit einer Laterne erschien und leuchtete uns vor in einen geräumigen Hof, der rings von stattlichen Gebäuden umschlossen war.
Als der Wagen an dem Hauptportale hielt, zeigten sich mehre Diener, welche geschäftig uns ihren Beistand liehen. Auf meine Frage nach dem Marquis bat man mich, in das Haus zu treten, an dessen Thür mich ein ältlicher Herr, der Haushofmeister, mit aller Würde seines Ranges empfing. In einer steifen und höflichen Anrede erklärte er mir, daß der Marquis, ein wenig kränklich, sich früher in seine Zimmer zurückgezogen habe, als das Fräulein erschienen sei, um ihm die Ehre meines Besuchs zu melden. Indeß sei Alles zu meinen Empfange bereit und, wahrscheinlich von der beschwerlichen Reise ermüdet, bäte man mich, bis zum Morgen der Ruhe zu genießen.
Ich freute mich dieser Frist, welche mir gestattete, meine Gefühle besser zu ordnen, und folgte dem würdevollen Manne, dem ein Diener mit Wachskerzen voranschritt, durch mehre hallende Gänge die breite Steintreppe hinauf zu einem großen glänzenden Zimmer, das mir gastlich geöffnet war. Die grünen schweren Tapeten, die hohen Bogenfenster und die gemalte, mit kunstvoller Stuckarbeit überladene Decke gaben ihm ein alterthümliches Ansehen, aber die Mobilien waren neu und geschmackvoll; in dem hohen Marmorkamine brannte ein leichtes Feuer, die lang eingesperrte Luft zu reinigen, und aus einer tiefen Nische winkte ein weißes, mit seidenen Decken umhülltes gewaltiges Bett.
Die ganze Behaglichkeit, welche ein müder Reisender empfindet, wenn Ruhe und Genuß ihn plötzlich umgeben, übte nun ihre wohlthätige Macht an mir. Ich warf mich auf die weichen Polster des Sophas und während mein alter Diener mich mit dem bequemen Negligé versorgte, deckten geschäftige Hände den Tisch und versorgten mich mit einem ausgewählten Souper.
Endlich, als alles entfernt war, als die Stille der Nacht mich umgab, lag ich lange noch auf dem weichen Lager und starrte in die verglimmenden Kohlen des Kamins, ohne zu einem festen Entschlusse gelangen zu können. Alles rang und wirrte sich zu einem unlöslichen Bilde: Laforce's drohende Gestalt, Angelica's stolzes und bittendes Auge, der Marquis, den meine Phantasie sich malte und ausschmückte, und alle die sonderbaren Ereignisse, in welche ich verflochten war. Zuletzt schlief ich ein und träumte weiter von Dem, was unaufhörlich meine Gedanken erfüllte. Drohende Phantome umringten mich, ich erwachte mehrmals und schlief von Neuem, um stets verwirrteres Zeug zu träumen.
Als ich erwachte, war es Tag, und freudig schüttelte ich die Schrecken des Traumes ab. Der junge Morgen erfüllte mit seiner feurigen Röthe das Zimmer. Leichten Herzens eilte ich ans Fenster und sah in die schöne Berggegend hinaus, in das Thal zu meinen Füßen, das langsam die Nebel abwarf und in seinem grünen Schmucke aus den Schatten der Nacht sich erlöste.
Das Schloß lag frei und schön auf dem Hügel, fast in der Mitte des Thales, ein ziemlich großes Viereck, an dessen Seiten Wachthürme sich erhoben, deren Quadern vielleicht in den Zeiten der ersten Kreuzzüge gefugt wurden. Diese Reste des Mittelalters waren jedoch die einzigen Ueberbleibsel einer längst verschwundenen Zeit. In diesem so oft bestrittenen Lande hatten Kriege und die wechselnden Geschicke mehr noch als irgendwo den Besitz verwandelt und umgestaltet.
Einst der Sitz eines alten Ritterstammes, ward es später das Jagdschloß eines deutschen Prälaten, dann gehörte es französischen Baronen, die es, vertrieben von der Revolution, einem General der Kaiserzeit einräumten, bis es der Marquis, als zu den Gütern seiner Familie gehörend, von den Bourbons zurückempfing, welche es aus der Milliarde bezahlten.
Alle diese verschiedenen Besitzer hatten gebaut und verändert, Hauptgebäude vernichtet, welche die vorspringenden alten Thürme verbanden, Seitenflügel daran gelehnt und die getrennten Theile verbunden. Schöne und geräumige Hallen und Gemächer mit schwebenden Balkonen und hohen, hellen Fenstern, aus denen man nach allen Seiten das Thal und das Waldgebirge überschaute, zogen in langen, aber oft unregelmäßigen Reihen die Seiten der Gebäude hinab. Die Kreuzgewölbe, die alten Täfeleien und Deckenstücke mahnten an die Vergangenheit, aber die Seidentapeten, die neuen Zierrathen und alle die reichen Bequemlichkeiten des Luxus und der Moden zeugten dagegen von dem Geschmacke des Besitzers.
Das liebliche Grün der Rebe bedeckte rund umher den Fuß der nahen Berge und des Hügels, von dessen Senkungen sich Obstgärten bis ins Thal hinabzogen. Ein weißer, klarer Bach floß rauschend in die Tiefe und eine Reihe von Hütten lehnte sich über ihn auf dem hohen Ufer. Dann sprang der harte Fels roth und blau schimmernd über das üppige Weinland, auf und über ihm lag die dunkle Leiste des Tannen- und Lerchenwaldes.
Je mehr die Berge stiegen und sich entfernten, um so wilder wurde ihr Anblick. Kuppe drängte sich an Kuppe, Schluchten und schmale Querthäler fielen von dem Rücken der Berge, rothe Felsenbrüche schimmerten aus dem schwarzen Bergwald, wilde Bäche stürzten herab und Säulen von Rauch, die Wahrzeichen ferner Hüttenwerke, stiegen aus den Spalten auf.
Mitten in meinen Betrachtungen störte mich der Haushofmeister, welcher mein Frühstück hereintragen ließ und sich ehrfurchtsvoll erkundigte, wann es mir gefiele, den Herrn Marquis zu sehen.
Sobald es sein kann, erwiderte ich.
Dann, Monseigneur, sagte der würdige Mann mit einer tiefen Verbeugung, würde diese Stunde nicht unpassend sein. Der Herr Marquis hat seine Morgenandacht beendet und befindet sich in dem Salon der Familie.
Ich zog mich hastig an und folgte dem Majordomus, welcher mich auf dem Gange erwartete. Im Erdgeschoß öffnete er die Flügelthüren eines großen Salons und mit dem Herzklopfen der Neugier und Verlegenheit trat ich ein.
Es war eine Art Ritter- und Gartensaal, hoch und luftig; seine geöffneten Thüren und Fenster zeigten die Blumen und blüthenvollen Bäume eines Gartens, sein Inneres die einfache Pracht und den Geschmack eines vornehmen Herrn: weiße Marmorwände, von schmalen Goldleisten eingefaßt, ungeheure Spiegel vom Fuß bis zur Decke und Lehnstühle mit Atlas und Gold bedeckt. Im Hintergrunde brannte Feuer im Kamine und vor ihm stand ein Tisch, um welchen vier Personen saßen. Es waren Angelica, Laforce, ein schwarz gekleideter Herr und ein Greis, der seine Füße auf einem Kissen gegen das Feuer gestreckt hielt.
Bei meinem Erscheinen erhoben sie sich, nur der Greis blieb in seiner Stellung; aber er streckte mir grüßend und lächelnd die Hand entgegen.
Verzeihen Sie einem Kranken, sagte er, wenn seine Leiden ihn so unhöflich machen. Ich preise den Zufall, der mich beglückt, Sie bei mir zu sehen.
Kein Zufall führte mich zu Ihnen, mein gnädiger Herr, sagte ich. Es war der ausdrückliche Wunsch einer mir sehr theuern Person, meines Vaters, Sie aufzusuchen und diesen Brief in Ihre Hände zu legen.
Ich war dicht zu ihm herangetreten und wollte ihm das Schreiben überreichen, aber der Ton meiner Stimme und die Nähe meiner Züge schienen vereint eine wunderbare Ueberraschung zu üben.
Das faltenvolle, lange Gesicht spannte und glättete sich, seine versunkene Gestalt richtete sich auf und seine Augen glänzten.
Gütiger Himmel! rief er, wäre es möglich? Wie heißen Sie?
Als ich ihm meinen Namen nannte, zog er hastig die Füße von dem Kissen und stand mit einer Lebendigkeit auf, die gegen sein Alter und seine Kränklichkeit war.
Bei allen guten Heiligen! rief er und betrachtete mich, ich täusche mich nicht, es bedarf des Briefes nicht; ja, Sie sind der Sohn meines alten, ewig theuern Freundes, das Ebenbild seiner Jugend. Und mein Herz, mein Kind! Es ist das Herz Deines zweiten Vaters. O, guter Gott! Welche Freude am Abend meiner Tage. Angelica! Meine Freunde herbei, ah! Ihr wißt nicht, was es heißt, den Sohn eines Jugendfreundes zu sehen, der alle todte Erinnerungen meines Lebens wieder aufweckt.
Die Herzlichkeit dieser Aufnahme rührte mich sehr. Der alte Edelmann hatte sich verjüngt und überschüttete mich mit Fragen, die meinen Vater sowol wie mich selbst betrafen. Nach und nach aber wurde er einsylbiger und ernster; ein Schmerz, ein wehmüthiges Gefühl und mancherlei verstimmende Erinnerungen schienen ihn zu beschleichen. Sinnend schaute er, während ich sprach, in das Feuer des Kamins, und ich hatte Zeit, den übrigen Theil der Gesellschaft zu betrachten.
Angelica, gestützt auf den Stuhl ihres Vaters, sah gütig, aber fremd zu mir hin, und ihre einsylbigen und gleichgültigen Bemerkungen deuteten mir an, daß sie auch jetzt mich nicht wiedererkennen wolle. Laforce in dem grünen Jagdkleide saß mir unruhig gegenüber, und ich bemerkte wohl, welch geheimer Sturm seine Seele bewegte. Bald lächelte er der schönen Geliebten zu, bald warf er einen strengen oder gleichgültigen Blick auf mich oder sprach einige Worte leise zu dem schwarzen, stillen Nachbar an seiner Seite, der mit gefalteten Händen meine Erzählungen anhörte und den Marquis betrachtete.
Dieser schien nach einigem Nachdenken zum Abschluß mit sich selbst gekommen zu sein. Er reichte mir die Hand und nachdem er nochmals mir für die Freude meines Besuchs gedankt, erklärte er mir, daß ich sobald auch an keine Abreise denken dürfe.
Ihre Güte, versetzte ich, gibt mir den Muth, wenigstens einige Wochen zu bleiben.
Einige Wochen? erwiderte er rasch. Nein, mein junger Herr, Ihr Vater soll Sie wenigstens einige Monate, den schönsten Theil des Jahres über entbehren. Freilich wird es Ihnen hier in der einsamen Wohnung eines alten Mannes nicht gefallen wollen; aber die Gegend ist schön, und wenn der Oberst uns verlassen muß, wird Angelica Ihre Streifzüge begleiten. Auch werden wir nicht immer allein sein; unsere muthwillige Nièce Florentine wird aus Dijon erscheinen und es gibt einige Familien der Nachbarschaft, welche des alten Namens noch würdig sind.
Dann unterbrach er sich und sagte lächelnd:
Ich habe in meiner Freude vergessen, Sie mit den Anwesenden bekannt zu machen. Hier mein einziges Kind, meine Tochter Angelica, und dort der Herr Oberst, Graf Laforce.
Unsere Bekanntschaft ward schon in Paris gemacht, sagte ich mit einem leichten Lächeln.
Laforce ergriff mit der feinsten Höflichkeit meine Hand.
Und ich hoffe, versetzte er, daß diese Bekanntschaft sich hier inniger erneuen soll.
Sie kennen sich also? sagte der Marquis. Sie hatten mir nichts davon gesagt, Oberst!
Gestern hatte ich nicht das Vergnügen, Sie mehr zu sehen, erwiederte dieser, und leider trat ich nur wenige Augenblicke früher hier ein, als mein junger Freund.
Er erzählte nun das Abenteuer von gestern und die flüchtige Bekanntschaft in der Kapelle, wo wir Alle Schutz gesucht hatten.
So bleibt mir nur übrig, sagte der Marquis, Sie hier mit dem ehrwürdigen Herrn Buchette, dem Kaplan meines Hauses, bekannt zu machen.
Der stille Geistliche verbeugte sich tief vor mir. Seine hagere, hohe Gestalt richtete sich dann empor und er begrüßte mich mit einigen fein gewählten Worten. In dem ausdrucksvollen Gesicht dieses Mannes lag ein Etwas, welches mich mit geheimer Gewalt zu ihm zog. Würdevolle und ernste Züge redeten die stumme Sprache des Vertrauens; sein Auge war so ruhig und klar, der helle Spiegel eines offenen und gütigen Herzens; sein Blick flößte Sicherheit ein und verkündete die Allmacht der Wahrheit, und die scharfen Bildungen in dem langen, blassen Oval zeigten den Denker und den Gelehrten an.
Zwischen Wesen wie Laforce und Angelica war dieser Geistliche für mich eine vermittelnde und versöhnende Gewalt, welche einen beruhigenden Einfluß übte. Selbst die Art, wie er mich in ein allgemeines Gespräch verflocht und meine Verlegenheit beseitigte, war wohlthuend für mich. Er kannte das Gebirge weit und breit und erzählte nebenher, daß er häufig die entlegensten Thäler durchstreiche und weite Fußwanderungen bis in die höchsten Theile unternehme.
Und treibt Sie die Liebe zur Natur in ihr wildestes Reich? sagte ich
Die Liebe zu den Menschen, erwiderte er. Ich verstehe etwas von den Heilkräften, welche Gott oft in unscheinbare Gräser und Kräuter gelegt hat, und zuweilen gelingt es mir, mit dieser Hülfe und dem festen Vertrauen zu den Heiligen einen Kranken gesund zu machen.
Er sagte dies weder mit Stolz noch mit verstellter Demuth. Einfach und würdevoll beantwortete er die Lobrede des Marquis, welcher seiner Güte, seiner Frömmigkeit und seinen Kenntnissen die schmeichelhafteste Bewunderung zollte, und suchte mit Geist dem Gespräche eine andere Richtung zu geben.
Er fragte mich, ob ich die schönen Aussichten des Schlosses schon gesehen hätte, und der Marquis schlug vor, einen Gang durch den Garten zu machen. Die Sonne schien heiß, es war ein reiner, entzückender Tag. Der alte gebrechliche Herr stützte sich auf den Arm seiner Tochter, an der andern Seite ward er von dem Kaplan geleitet. Laforce faßte meinen Arm wie den eines Freundes, und indem er mir die wunderschönen Blicke von den Terrassen hinab in die Thäler und Schluchten beschrieb, wanderten wir bald zur Seite, bald dem langsamen Zuge voran.
Ich hatte Zeit, während er sprach, meine Augen auf den alten Edelmann und das schöne Fräulein zu richten. Der Marquis war vielleicht wenig älter als mein Vater, aber seine Hinfälligkeit stand in keinem Verhältnisse zu der lebenskräftigen Körperstärke desselben. Spärliches dünnes Haar lag auf seinem Scheitel und der dichte weiße Puder bedeckte den ganzen Kopf.
Als er jung war, mochte dieses verfallene, starkgeformte Gesicht Lebendigkeit, Geist und vielleicht auch Anmuth und Schönheit ausgedrückt haben, jetzt aber, war es fast mumienartig verschrumpft. Eine stolze Härte lag darin, die dann und wann einer höflichen Freundlichkeit wich, dem Reste einer Courtoisie seiner Jugend, wo diese kalte Höflichkeit ein Haupterforderniß des Mannes von Stande war, unter deren Deckmantel sich die innere Zügel- und Herzlosigkeit verbarg. Aber Körperschmerzen und Leiden der Seele, die Schicksale einer langen, im Kampf mit den Leidenschaften und in Umwälzungen jeder Art verlebten Zeit hatten diese Züge mit den tiefsten Spuren ihrer Verwüstungen durchfurcht.
Die Gicht und ihre unleidlichen Schmerzen, welche seine Gebeine verzogen, vermehrte den trübseligen und finstern Ausdruck. Er verbarg das Weh, welches ihm jeder Schritt verursachen mochte, aber es sprach aus dem gesenkten Auge, aus dem Zucken seiner Lippen und dem zitternden, halb leidenden, halb vorwurfsvollen Tone, mit welchem er sich an seine Führer wandte und sie stillstehen hieß, wenn er ruhen wollte.
Wie sanft und tröstend erschien mir die schöne Tochter des armen kranken Mannes. Ihre edle Gestalt beugte sich mit zärtlicher Besorgniß bei jedem Schritt fast zu ihm nieder, das liebliche blasse Oval des stolzen Gesichts nahm den Ausdruck der innigsten Theilnahme an, sie küßte die welke Hand des Vaters, sie suchte durch einen scherzhaften Trost seine Gedanken zu wenden, und in den großen dunkeln Augen lag ein feuchter Schleier, den sie muthvoll zu überwinden strebte.
Es geht wirklich nicht weiter, sagte der Marquis endlich mit einem gewaltsamen Lächeln. Setzt mich dort auf die Bank, ich leide sehr; es ist grausam von dem Herrn der Welt, seinen Geschöpfen diese Qualen zu bereiten.
Prüfungen, welche Gott uns auferlegt, erwiderte der Geistliche sanft, werden nicht durch Schmähungen seiner Gnade von uns genommen.
Es ist zu viel, was ich leide! rief der Marquis mit der Erbitterung, welche die Verzweiflung gibt; und Sie, der Sie so ruhig mich mit Worten strafen, fühlen nicht, was ich empfinde. Geht mit unserm jungen Freunde hinunter zu den Terrassen, laßt mich hier und holt mich auf dem Rückwege ab.
Ich würde rathen, mit meiner Hülfe den Rückweg sogleich anzutreten, sagte der Geistliche. Der feuchte Boden könnte Ihnen schädlich sein.
Ich werde bitten zu thun, was ich wünsche, erwiderte der Marquis heftig. Ich will hier und allein bleiben.
Der Geistliche trat still zurück und näherte sich uns.
So lassen Sie uns gehen, sagte er ruhig.
Laforce und Angelica wendeten sich stumm, langsam schritten wir, verstimmt, den laubigen Weg hinab. Buchette allein war ruhig und freundlich wie immer, und knüpfte ein Gespräch mit mir an, welches sich auf die Naturschönheiten des Thales bezog, als plötzlich der alte Edelmann ihn zurückrief.
Mein theurer Freund, sagte er ängstlich, verzeihen Sie meine Heftigkeit. Sie haben Recht, vollkommen Recht, lassen Sie mich nicht allein, führen Sie mich zurück; es ist feucht hier und kalt. Angelica, stütze mich auch, mein Kind. Der Herr Graf wird so gütig sein, unsern jungen Freund zu begleiten, und wir wollen sie im Saale erwarten. Ich habe mich schwer vergangen, mein ehrwürdiger Vater, an dem Himmel vergangen mit meinen Schmähungen. Es ist kindisch und sündig, aber verzeihlich in meinen Leiden. Sagen Sie selbst, ist es verzeihlich, ist es nicht durch meine Reue zu büßen? –
Ich hörte nicht, was der Kaplan erwiderte, der mit Angelica den Marquis hinwegführte, während Laforce mich höflich einlud, unsern Spaziergang fortzusetzen.
Langsam und schweigend gingen wir durch die Rebengelände und erreichten die Terrassen, welche wahrhaft entzückende Blicke auf Thäler und Gebirge boten. Aber ich hatte keinen Sinn mehr für diese Schönheit der Natur. Ein unruhiges Herz kann die göttliche Größe der Schöpfung niemals aufnehmen; die poetische Erhebung des Gemüths flieht vor der innern Beängstigung; das Leben des Gedankens ist mächtiger als alle Erscheinung.
Ich betrachtete Laforce, der sich neben mir auf die Brüstung lehnte und finster schweigend in die steile Tiefe blickte. Ein gewaltsamer Kampf der Empfindungen schien in seiner Brust zu wühlen, und lange wagte ich nicht, ihn aus diesem Sinnen zu erwecken.
Es scheint, sagte ich endlich leise, daß auch in diesem schönen Schlosse, wie fast überall in der Welt, mehr Leid als Freude zu finden ist.
Und glauben Sie, versetzte der Oberst rasch, daß es Ihnen gelingen kann, einen Wechsel dieser Verhältnisse zu bewirken?
Der Zorn erwachte in mir.
Ist es Ihre Absicht, mich auch hier zu beleidigen, rief ich, so finden Sie einen ungeduldigen Mann.
Er maß mich mit einem stolzen Lächeln, doch im nächsten Augenblicke schimmerte eine tiefe Wehmuth darin.
Ich weiß, versetzte er, es wird so kommen, wie Sie sagen, aber redlich wollen wir den Streit führen.
Er ergriff meine Hand und führte mich in eine der Weinlauben, wo wir im Schatten des Grüns uns setzten. Laforce schwieg lange und malte mit einem Stöckchen tausend Linien und Figuren in den feinen Sand. Es war eine peinliche Stille und unruhig blickte ich von meinem sinnenden Gegner in das blaue Bergland, aus dessen Schluchten die Heerdenglocken leise und lustig herüberklangen.
So, sagte er plötzlich, ohne aufzublicken, stürzt das Leben zuweilen auch den Sichersten und Kühnsten in ein Meer von Verwirrungen, denen der klarste Geist erliegt. Ein erbärmlicher Zufall stellt sich über uns, das Schwert des Damokles hängt über jedem Haupte. Oder ist es Bestimmung, gibt es eine dunkle, geheimnißvolle Macht, die Alles unwiderruflich festgestellt hat; dann muß ein schwerer, ungeheurer Fluch auf der ganzen Menschheit lasten, der sie zum Leben und zum Glauben zwingt.
Der Wille des Menschen ist frei, versetzte ich, verwundert über diese seltsamen Klagen. Der Geist in uns ist Gott, der sich selbst erniedrigen würde, wenn er von Zaubersprüchen und Zufällen sich abhängig machte.
So glauben Sie, rief Laforce lebhaft, daß es in der Macht jedes Menschen steht, sein Schicksal zu beherrschen?
Es gibt kein Schicksal, erwiderte ich kalt, was wir nicht selbst durch unsere Handlungen, die Manifestationen des freien Willens, uns bereiteten.
Wer aber, versetzte er mit Heftigkeit, sagt uns denn, daß die Ergebnisse des bewegten Lebens, die vom kleinen schwachen Punkte oft unbemerkt ausgehen und unvermeidlich dann weiter und weiter eine Kette bilden, die uns umschlingt, zu Boden zieht, erwürgt, nicht ein Schicksal bilden, dem wir nicht entgehen konnten? Bedenken Sie unser eignes Begegnen, fuhr er düster fort. Wollen Sie das Alles Zufall nennen?
Gewiß nicht, sagte ich.
So war es denn Bestimmung, rief er mit dumpfer Stimme. Ja, ich wußte es lange vorher, daß ein solches Wesen mein Leben und mein Glück durchkreuzen würde. Aber ich fürchte nichts, mag es kommen, ich bin bereit.
Zwischen Zufall und Bestimmung, sagte ich bewegt, liegt die Welt der Freiheit. Unsere Bahnen durchkreuzen sich auf die natürlichste Weise. Der trübe Sinn nur erblickt in Allem etwas Besonderes, aber die Fäden der Welt laufen hin und her und verketten, zerstören und bauen, weil es so sein muß. Aus der Eichel erwächst der mächtige Baum, und den Wurm, den mein Fuß zertritt, führte sein Instinkt über meinen Weg. Die Empfindungen und Kräfte begegnen sich, Tugend und Laster ringen mit den eigenen Irrthümern; Gedanken, Wollen und Thaten reihen sich zu einem Ganzen und aus Einem entspringt das Andere, weil es so muß und nicht anders kann.
Weil es so muß? rief der Oberst. Ich verstehe Sie nicht. Laßt Euch das Leben der Tausende von Unglücklichen erzählen, Ihr werdet sehen, wie sich Stein zu Stein fügte und wie unbedeutend der erste Anfang war, wie viele Wege es gab, ihn zu ändern. Durchblättert die Bücher der Weltgeschichte, les't ihre blutigen Seiten, und Ihr werdet im Großen wie im Kleinen dasselbe finden. Der Gott im Menschen gibt die Freiheit, sagen Sie? O, diese Göttlichkeit ist so tief herabgewürdigt, so erniedrigt durch Laster, Sünden, Unrecht und Schmach, daß es wie Hohn in meinen Ohren klingt!
Und was folgern Sie daraus? sagte ich. Etwa die feige Erniedrigung des Fatalismus, der ein willenloses Werkzeug aus dem Menschen macht? Oder die Albernheit der Atheisten, welche, umringt von Gottes Schöpfung, doch wahnsinnig genug sind, das Nichts anzubeten? Oder den rohen Materialismus, welcher nur glauben kann, was seine Sinne begreifen, und den Geist höchstens als eine Thätigkeit der Nerven bespottet, die aufblüht und abstirbt, wie der Körper wächst und vergeht? Dann, Oberst, wären Sie unglücklicher, als ich glaubte; dann fühlten Sie sich nur als ein Mensch, der trostlos den Blick auf jedes Mißgeschick seines Lebens richtet und mit Bitterkeit jede fehlgeschlagene Hoffnung als ein Verbrechen Gottes gegen sein Geschöpf anklagt, nicht als Theil eines großen Ganzen, das von Geschlecht zu Geschlecht sich fortbildet, ein Glied der Gottheit, ein Wesen, das des großen Zweckes halber mit Fassung und innerer Kraft leidet und duldet, in Uebung des Schönen, Edeln und Guten den trägen Gang der Welt zu fördern strebt, die menschliche Schwäche besiegt und, zufrieden mit seinem Loose, Versöhnung und Frieden erringt.
Laforce sah mich mit einem trüben Lächeln an.
Wie schön Eure Philosophen das alles malen, sagte er nicht ohne Spott, und wie wenig diese kalten Herren von den Leidenschaften und der Welt verstehen! Es mag edel und groß sein, für die Zukunft zu dulden und für Ideen zu sterben, die wir niemals erreichen können. Ich aber bin ein Mensch und will mich selbst nicht vergessen sehen; ich will die Folgen meiner Thaten selbst genießen und glücklich sein. Und wehe dem, fuhr er mit flammenden Augen fort, der zwischen mich und mein Glück tritt. Ich kämpfe dafür und für meine Ueberzeugung, so lange ich es vermag. Mag Zufall oder Bestimmung über uns walten, mag aus der Welt werden, was da will, das Jenseits kümmert mich nicht, aber ich weiche dem Schicksale nur mit dem Leben.
Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er mit großer Ruhe:
Dieser Streit beweist von Neuem die Verschiedenheit unserer Charaktere, aber er ist unnütz, ich will von Wichtigerm zu Ihnen reden. Eine seltsame Verwickelung von Umständen, welche Sie nicht Zufall, nicht Bestimmung nennen wollen, hat Sie hierher geführt; es ist nothwendig, daß Sie, der Sie Manches wissen, ganz mit unserer Lage vertraut werden.
Nur wenn Sie glauben, daß es durchaus nöthig sei, Oberst, versetzte ich abwehrend. Es ist mein Grundsatz, so wenig als möglich von Geheimnissen zu wissen.
Und ich, versetzte Laforce, habe Ihnen auch keine zu entdecken; ja, ich würde jetzt ganz gewiß schweigen, wenn nicht ein Wesen, das mir theurer ist als Menschheit und Leben, mir befohlen hätte, mit Ihnen zu reden.
Angelica also, sagte ich leise, und alles Blut entwich meinem Gesicht.
Das Fräulein von Sallanches, erwiderte Laforce mit Nachdruck. Seit fünf Jahren, fuhr er langsam fort, bewohnt der Marquis dies Schloß, um in strengen geistlichen Uebungen und Gebeten den Himmel für alle Verirrungen und Sünden seiner Jugend zu versöhnen. Sie wissen, daß diese Jugend in Zeiten fiel, wo es Sitte war, gotteslästerlich zu schwören, Religion und jede Tugend zu verspotten, und der größte Ruhm und die Bewunderung der noblen Gesellschaft dem zufiel, der die frechsten, verwegensten, schamlosesten Abenteuer bestand. Wie viel Herr von Sallanches von diesem Ruhme erwarb, weiß ich nicht; aber Kraft und Muth sind nun verschwunden, Krankheit hat seine Glieder gelähmt, die Reue verfolgt ihn und er denkt mit gleichem Zittern an Vergangenheit und Zukunft. Ich bin mit dem unglücklichen Greise nahe verwandt, und seinem Einflusse danke ich es, daß, trotz meiner dem Kaiser geleisteten Dienste, man bei der Purification des Heeres mich nicht entfernte. Angelica zählte sechzehn Jahr, als ich sie in Paris erblickte. Sie war fromm erzogen und theilte ganz die Grundsätze ihres Vaters, seinen glühenden Haß gegen die Neuerungen, seine Verachtung der Volksrechte, seine unwandelbare Hingebung an die Königsfamilie. In Verbannung und Entbehrung hatte sich ihr starkes Gemüth gebildet. So viel Güte, Unmuth, tiefes Gefühl, männlich starke Entschlossenheit, frommer Glaube, Hoheit der Gedanken – es war unmöglich, sie nicht zu lieben!
Er schwieg und sagte dann mit größerer Heftigkeit:
Ich liebte sie und bildete mir ein, diesen Reizen Alles opfern zu können, selbst meine Ueberzeugungen. Ich überwand die innere Abneigung und die Zweifel, ich betäubte die Stimme meines Gewissens, ich verschmerzte den Spott, den Haß, die Klagen meiner alten Freunde und Waffenbrüder. Doch wozu ein langes Bekenntniß? Angelica war mein, sie liebte mich mit dem ganzen glühenden Feuer einer stolzen, keuschen Seele, die nur einmal lieben kann. Und so wird sie mich ewig lieben, denn sie hat geschworen, am Crucifix, bei der Seele des Erlösers geschworen, nie einem Andern zu gehören.
In diesem Falle, sagte ich zitternd vor Aufregung, begreife ich nicht –
Er unterbrach mich – daß sie nicht längst durch den Segen ihres Vaters und der Kirche mir ganz gehört? Gott hat Diener auf Erden, welche zu allen Zeiten seinen heiligen Namen in Fluch verkehrten und den Himmel herabriefen, um ihren schändlichen Plänen Beistand zu leisten. Sie wissen nicht, was es heißt, das Zittern eines Sünders, der von den Lippen seines Beichtvaters Seligkeit und Verdammniß erwartet, wenn er, wie ein Wurm im Staube, sich vor dem aufgehobenen Finger eines Priesters beugt. Wir haben vor diesem schwachen Greise gekniet, unsere Thränen haben seine welken Hände bedeckt, unsere rührenden Blicke, unser Elend, unsere Verzweiflung, nichts hat ihn erschüttert. Wir sind zu nahe verwandt, das ist Alles, was er uns entgegnet. Der Zorn des Himmels, das Verbot der Kirche, die schändlichen Einflüsterungen seines kalten, heuchlerischen Rathgebers, der die lüsternen Augen auf das große Vermögen richtet, um es dem heiligen Seckel der Kirche zu erwerben, das ist es, was uns trennt, und doch ist Sallanches zu schwach, mich zu verbannen, doch sieht er mich gern in seiner und Angelica's Nähe. Er liebt mich, er drückt mich an seine Brust und stößt mich seufzend zurück, wenn das strafende Auge des Priesters Rechenschaft zu fordern scheint.
Ich beklage Sie, rief ich erschüttert, ich beklage Sie tief und aufrichtig.
Sie wissen nun Alles, fuhr der Oberst ruhiger fort, urtheilen Sie selbst, ob es nöthig war, Ihnen die ganze Wahrheit zu sagen. Sie mußten wissen, daß Angelica ewig nur mir allein gehören kann; Sie konnten Hoffnungen schöpfen, Sallanches selbst vielleicht – er hielt inne und warf einen wilden, furchtbaren Blick auf mich. Nein, nein, rief er dann, Sie offenbarten sich vor wenigen Minuten als den Schüler einer erhabenen Philosophie, welche das Edle und Große will und für die Tugend eines Jahrtausends lebt: wie könnten Sie grausam ein Wesen verderben wollen, das Sie lieben?
Seine Worte hatten plötzlich eine Fluth von widerstreitenden Empfindungen in mir geweckt. Ein Traum des Glückes durchzitterte mich. Der Marquis konnte mir den Segen ertheilen, den er Laforce verweigerte, und Angelica, gehorsam und demüthig seinem väterlichen Willen, würde mich lieben lernen. Aber in der nächsten Minute empörte sich mein Stolz gegen das schwache Herz, die tödtende Kälte der Vernunft erstickte die Leidenschaft und meine gekränkte Eigenliebe that das Uebrige. –
Nie, rief ich, und streckte die Hand wie zum Schwure aus, werde ich eine Gattin suchen, die gezwungen mir zum Altare folgte. Haben Sie Dank für Ihr Vertrauen, Oberst, es wird meine Schritte leiten.
So schwören Sie mir, rief er mit ängstlicher Hast, daß Sie jeder Bewerbung entsagen.
Konnte ich das, durfte ich es, da in meiner Brust eine heiße, ungelöschte Neigung brannte?
Ich liebe Angelica, versetzte ich, und werde niemals aufhören, Ihr Nebenbuhler zu sein. Aber ich schwöre Ihnen, nie um ihre Hand zu werben, bis ich gewiß bin, geliebt zu sein.
Ein stolzes Lächeln überflog das Gesicht des Obersten; die sicherste Ueberzeugung drückte sich darin aus.
Es ist sonderbar, sagte er, daß Sie darauf bestehen; doch Ihre Betheuerung genügt mir. Ich bin vollkommen beruhigt.
Es können Zeiten kommen, rief ich glühend vor Unwillen, wo die Erhaltung dieser Ruhe Ihnen wol zu wünschen ist. Sie haben ein schreckliches Spiel mit einem liebenden, treu ergebenen Herzen getrieben. Wie nun, wenn diese Täuschung schwindet, wenn das finstere Geheimniß, zu dessen unglücklichem Mitwisser ich wurde, sich vor Angelica offenbart, wenn dann der Gegenstand ihrer heißen Liebe ihr ebenso glühenden Haß und Abscheu einflößt? Was Sie auch sagen mögen, es war Angelica, die ich in Paris sah, und Ihre eignen Worte in St. Cloud geben mir die Gewißheit, daß sie für Sie verloren sein muß.
Ich verstummte vor der Veränderung in seinen Mienen. Er war bleich geworden wie ein Todter, aber seine Augen strahlten von einem edeln Feuer und seine Züge nahmen den Ausdruck der erhabensten Begeisterung an.
So mag das Schicksal zu mir treten, sagte er, und ich bin bereit zum schwersten Opfer. Kein Wort darüber, junger Mann! Angelica's Liebe ist unendlich und alle Heiligen des Himmels können den Glauben an mich nicht erschüttern. Hoffen Sie nichts davon, fuhr er mit steigender Heftigkeit fort, bauen Sie keine Pläne, die Sie verderben würden, aber denken Sie stets an Ihren Eid, heilig und unverbrüchlich das Geheimniß zu bewahren!
Leise Tritte störten uns, der Kaplan kam den Gang herab auf uns zu.
Kein Wort zu diesem, flüsterte Laforce, er ist die Schlange alles Verderbens.
Der höfliche, blasse Abbé lud uns ein, nach dem Salon zurückzukehren, da der Herr Marquis uns bei sich zu sehen wünsche. Langsam gingen wir durch den blühenden Garten und Buchette setzte mich in Verlegenheit durch seine Fragen über die verschiedenen reizenden Fernsichten, welche ich gesehen haben sollte. Ich bekannte lächelnd, daß der Austausch unserer Gedanken zu lebhaft gewesen sei, um die Gegend viel zu beachten, und sogleich erbot er sich, mich auf einem kleinen Umwege zu der höchsten Terrasse zu führen, um einen schnellen Blick in alle die fernen und nahen Thäler des Gebirges zu thun.
Sie kennen die Ungeduld des Marquis, sagte der Oberst. Unser junger Freund bleibt Ihnen, Herr Abbé, und später wird er Ihrer einsichtsvollen Führung gewiß bedürfen.
Meine schwachen Kräfte stehen ganz zu seinen Diensten, erwiderte Buchette lächelnd; mein Eifer aber entsprang nur aus dem Wunsche, dem Herrn Baron die Fragen des Marquis beantworten zu helfen, der gar gern die Bewunderung der Reize seines Schlosses aus dem Munde des überraschten Beschauers hört.
Nun entspann sich zwischen Beiden ein Gespräch, das mit bewundernswerther Höflichkeit und Verstellung geführt, mir tausend kleine Andeutungen über beide Personen gab. Der Oberst rühmte im höchsten Maße die großen Talente des Kaplans, seine Kenntnisse, die Verehrung, welche er in Hütten und Palästen genösse, und seinen Einfluß auf die kranke Reizbarkeit des Schloßherrn, welche durch seinen Beistand allein sich in eine Gott ergebene Ruhe verwandele. Er überschüttete den Priester mit den schmeichelhaftesten Worten und den Ausbrüchen des feurigsten Dankes für seine sorgenvollen, unendlichen Mühen, welche er der ganzen Familie weihe.
Seine Rede schien die reinste Begeisterung, die tiefste Verehrung vor diesem hülfreichen Genius zu athmen. Kein Anflug von Spott war darin zu finden, und ohne die Aufschlüsse, welche ich erhalten hatte, würde ich nie geglaubt haben, daß diese ergreifende Beredsamkeit die grausamste Verhöhnung eines tiefverhaßten Mannes enthalte.
Der Abbé hörte mit Würde und Ruhe diese Erhebungen, in deren wunderbare Geläufigkeit er keinen Eingriff thun mochte. Es war keine Demuth, keine heuchlerische Zerknirschung oder schüchterne Abwehrung in ihm, wie man sie wol bei Priestern findet, welche den innern Hochmuth unter der Maske der Bescheidenheit verbergen. Ein gleichgültiges Lächeln schwebte auf seinen Lippen; zuweilen schien sein Auge vor Entzücken zu blitzen und dann bewegte er den Kopf, als bekräftige er, was Laforce rühmte, oder er vergalt das verschwenderische Lob des Obersten durch Bemerkungen, die eben so scharf treffend als höflich waren.
Endlich aber zog er eine schwere goldene Dose hervor, deren glänzende Steine in der Sonne blitzten, und indem er sie öffnete, sagte er mit der größten Kälte:
Der Herr Marquis ist unerschöpflich in seiner Gnade gegen mich, und seine edeln Verwandten überhäufen mich mit Güte. Erst vor wenigen Minuten empfing ich dieses werthvolle Geschenk, weil der Herr Marquis glaubt, daß mit diesem unnützen todten Kapital mehren leidenden Menschen geholfen werden kann. Diese echt christliche Gesinnung zu erwecken, ist der Zweck meines Lebens und wol darf ich die Lobsprüche des Herrn von Laforce nicht ganz zurückweisen; ja, ich hoffe dieselben stets mehr zu verdienen und wahres, dauerndes Glück in diesem edeln Kreise zu verbreiten.
Wie? rief der Oberst erstaunt, von diesem theuern Andenken, dem Geschenk des unglücklichen Königs Ludwig, hat sich mein Oheim trennen können? Sie sind ein großer Mann, Abbé, Sie bewirken Wunder und Zeichen; ja, ich glaube es nun, mit dem frommen Sinne des Patriarchen würde der Marquis sein einziges Kind opfern, wenn Sie es forderten.
Wir standen an der Thür, als Buchette den ewig lächelnden Blick auf den Obersten richtete.
Was uns schwachen, von Sünde und Leidenschaft verblendeten Wesen als Opfer erscheinen mag, sagte er, ist dem erleuchteten Sinn die Liebe Gottes, welche gnädig vor Verirrungen und Verbrechen schützt.
Er trat schnell in den Salon, wir folgten. Der Marquis saß auf seinem Lehnstuhle und empfing uns ziemlich heiter. Seine kranken Füße waren umwickelt und er scherzte über diesen Zustand, der so wenig zu seinem frühern Jugendleben paßte. Er erinnerte sich der Zeit, wo er der gewandteste Tänzer, der kühnste Reiter war und als Offizier Feldlager und Schlachten gesehen hatte. Plötzlich aber verdüsterten sich seine Blicke, seine Züge drückten Reue und Zerknirschung aus, er seufzte, faltete die Hände und betete leise.
Das Alles, sagte er dann mit einem trüben Lächeln, liegt nun hinter mir und ich trage schwer an den Folgen meiner Sünden. Der Abend des Lebens, ja, dieser lange dunkle Abend voll Erinnerungen, wer denkt daran, wenn wir an Hand und Fuß kräftig und jung sind, und doch sollte man ihn nie außer Acht lassen. Hütet Euch, meine Kinder, und betet, ja bete zu der heiligen, gnadenreichen Jungfrau, daß sie Vergebung für mich erlange.
Nach einer Pause, die Niemand unterbrach, reichte er mir die Hand und bat mich, ihm recht viel von meinem Vater zu erzählen. Beängstigt, wie ich es war, erfüllte ich gern sein Begehr, um die quälenden Gedanken der Gegenwart zu verscheuchen. Das Andenken an den theuern Entfernten machte mich beredt, und mit dem größten Interesse schien der Marquis alle die kleinen Nebenumstände meiner Erzählung zu verfolgen. Als ich von dem frühen Tode meiner Mutter sprach, färbten sich seine Wangen.
Lebte er glücklich? fragte er leise.
Gewiß, ganz glücklich! versetzte ich. Sie war ein sanftes, edles Wesen, deren Verlust ihn noch jetzt oft mit Wehmuth erfüllt.
O, ich kenne das! rief der Marquis bewegt; es ist traurig, ewig unvergeßlich! Und er bedurfte vor Allem eines Herzens voll Liebe und Mitgefühl. Dieser edle, unglückliche Mann, fuhr er mit zitternder Stimme fort, mein Freund, mein theurer Freund! Was gäbe ich, wenn er mir sagte, daß er glücklich und zufrieden sei.
Mein Vater, versetzte ich, hat mir aufgetragen, Ihnen dies zu versichern. Ein ungestörter Friede, ein ruhiges Glück begleitet ihn. Geehrt und geliebt, lebt er, fast angebetet von seinen Umgebungen, im schönsten Genusse von Gesundheit, Freude und Wohlthun. Oft hat er in meinen Armen ausgerufen: Wie glücklich bin ich, Albrecht! Mir bleiben Erinnerungen an eine Vergangenheit, deren schöne Trauer ich um nichts vertauschen möchte, und die Gegenwart ist so freundlich, die Zukunft so hoffnungsvoll; ja, mein Sohn, ich bin versöhnt mit mir, mit Gott, mit allen Menschen!
Thränen rollten über die eingefallenen Wangen des Marquis. Plötzlich zog er mich in seine Arme und küßte mich mit Heftigkeit.
O, Sie wissen nicht, wie selig Sie mich machen! sagte er; es ist ein Festtag, ein Tag der Freude, nach welchem ich seit langen Jahren vergebens schmachtete.
Ich erzählte ihm, wie zärtlich mein Vater seiner gedacht habe, wie lebhaft seine Theilnahme an meinem Besuch gewesen sei; nun öffneten sich die Thore seiner Erinnerungen und ich erfuhr von ihrer Freundschaft, ihrem Leben in Paris, ihrem innigen langen Beisammensein tausend abgerissene Bruchstücke, die zuweilen mit Klagen, Vorwürfen und reuigen Ausrufungen gemischt waren.
Wir waren allein in dem Saale geblieben. Der Oberst und Angelica gingen vor der Gartenthür im Sonnenschein leise sprechend auf und ab, und warfen nur zuweilen fragende Blicke herein; der Abbé hatte sich ganz entfernt.
Wir sprachen fort, und dann und wann ergriff der Marquis den Brief meines Vaters und drückte ihn an seine Brust.
Ja, rief er, diese Zeilen voll Liebe und Vergebung sagen mir, daß ich ihn nicht verloren habe. Auch mir geht eine neue Zukunft auf, das Glück ist nicht ganz für mich verschwunden.
Mein Vater, sagte ich, hat mich noch mit einem andern Zeichen alter Freundschaft beschenkt, er übergab mir einen Ring.
That er das? rief Sallanches mit jugendlichem Feuer. Mein alter Freund, ich verstehe Dich! O, ihr Heiligen des Himmels! Gesegnet sei der Weg, den ihr mich führt! Mein Sohn, mein Kind, ich schwöre es Dir, es soll so sein! Aber still, man kommt, laß uns reden, wenn wir ruhiger sind, und bringe mir den Ring, er wird mich stärken. Beim Namen Gottes! Niemand soll mich hindern; die Freude, das Glück betäuben meinen alten Kopf.
Angelica trat mit Laforce herein und der Marquis rief nach seiner Tochter, die er mit der zärtlichsten Liebe zu sich niederzog. Angelica's dunkle Augen schimmerten von ängstlicher Freude und Besorgniß; sie suchte in den Zügen ihres Vaters zu lesen, was ihn so gütig und freudenvoll machte, dann küßte sie seine Hände, die ihre Locken streichelten, und die stolze, schöne Gestalt verklärte sich bei den Ausrufungen des alten Herrn, daß er nie so froh, so glücklich und heiter sich gefühlt habe. An ihrem Arme schritt Sallanches rüstig in dem Saale umher, von mir sprechend, von meinem Vater, von seiner Jugendzeit, und wenn er von einer freudigen Zukunft redete, flammte es hell in Angelica's Blicken auf und dann betrachtete sie mich staunend, ernst, mit mißtrauischem Zweifel und doch wieder mit einer rührenden Güte, die all mein Blut zum Herzen drängte.
Unser Mittagsmahl war von Scherz und Freude gewürzt. Der Marquis schien plötzlich an seinen Wurzeln aufgeblüht zu sein. Aller Schmerz war verschwunden; die finstere Frömmigkeit seines Wesens war einer heitern Anschauung des Lebens gewichen. Er sprach von Jagden, von Festen, die er feiern wollte, von Besuchen aus der Runde der Nachbarn, sogar von der Hauptstadt, in welcher er wieder leben werde, wenn dort der Uebermuth des Pöbels gebändigt sei. Sein Sinn für die politischen Wirren seines Vaterlandes erwachte; mit aller Leidenschaft eines Edelmannes der alten Zeit sprach er sich stolz und rücksichtslos aus, Laforce mischte seinen feinen Scherz und seinen Witz hinein, selbst die sinnende Angelica zeigte in Andeutungen, die ich zu wohl verstand, ihre Grundsätze und die ererbte Verachtung gegen die Anmaßungen der Gemeinheit. Der Marquis erzählte Züge und Anekdoten aus den Salons der Tuilerien, der Oberst Lächerlichkeiten der modernen Gesetzgeber und der Abbé lächelte, wie immer, und überraschte dann und wann durch irgend eine treffende, scharf gedachte Bemerkung.
Als die Tafel beendet war, sagte der Marquis lächelnd:
Es ist ein Recht der Gesellschaft und dieses Hauses, daß eine Siesta gehalten wird und Jeder nach seinem Verlangen auf einige Stunden die Zeit ausfüllt. Ein so alter Körper wie der meine bedarf der Ruhe, und heute, von so vieler Freude und Hoffnung erschöpft, wird mein Schlaf ein schöner Traum sein.
Er streckte sich in dem großen Polsterstuhle aus und als ich ging, flüsterte er mir zu, den Ring mitzubringen, den er gern sehen möchte.
Wir zerstreuten uns. Angelica und Laforce entfernten sich, und mit dem Abbé durchstrich ich den laubigen Garten. Er zeigte mir die schönsten Aussichten und forderte mich auf, sein Gefährte bei kleinen Zügen in das Gebirge zu sein. Er kannte es weit und breit und schüttelte leise den Kopf, als ich ihm sagte, daß mein Aufenthalt von zu kurzer Dauer sein werde.
Sie werden bleiben, erwiderte er mit Bestimmtheit.
Ich sah ihn erröthend an.
Sie scheinen Sehergaben zu besitzen, rief ich lachend.
Es ist nicht so schwer, ein Prophet zu sein, versetzte er, wenn man die Herzen und ihre geheimen Wünsche kennt.
Auch meine geheimen Wünsche kennen Sie?
Sie liegen offen in Ihren Blicken. Man scherzt nicht ungestraft mit der Schönheit; das Auge spricht oft, wo der Mund ein Geheimniß zu bewahren strebt, und die Allmacht der Liebe fürchtet selbst einen glücklichen Nebenbuhler nicht.
Herr Abbé! rief ich in stolzem Tone.
Ich biete mich Ihnen nicht zum Vertrauten an, sagte er schnell, aber ich nehme den lebendigsten Antheil an dem Glück dieser edeln Familie und an dem Ihren. Der Herr Marquis liebt Sie und der höchste Wunsch seines Lebens ist es – doch lassen Sie uns schweigen, fuhr er fort, die Sonne ist heiß, Sie müssen die Kühlung suchen und meine Geschäfte rufen mich.
Aber wo sollte ich die Kühlung finden? Mit heißem Gesicht ging ich in meinem Zimmer auf und ab; eine unerträgliche Pein beschwerte meinen Kopf. Gestalten jagten, wie Blitze, an meinen halbgeschlossenen Augen vorüber, ich konnte nichts denken, ich fluchte meinem Geschick und den wüsten Schmerzen, die meine Brust krampfhaft zusammenzogen.
In glühendem Haß gegen Laforce ballte ich beide Hände vor meine Stirn und rief leise den Abbé um Beistand und Hülfe an. Er haßte ihn, wie ich, das wußte ich, und wie leicht war es, ihn zu verderben. Dann bemächtigte sich meiner die Selbstverachtung. Ich schwur von Neuem, meinem Eide treu zu sein, zu fliehen und zu entsagen. Endlich weinte ich laut und diese Thränen machten mich ruhiger.
Zuletzt suchte ich nach dem Ringe und plötzlich fiel mir ein Gedanke ein. Eine eigne Bewandtniß mußte sich an dies Zeichen der Freundschaft knüpfen, ein Versprechen, eine heilige Erinnerung. Ich rief Joseph herbei, der alte Diener sah traurig und verlegen aus.
Kennst Du diesen Ring? sagte ich.
Der Herr Vater haben ihn früher selbst getragen, versetzte er.
Und von wem erhielt er ihn, Joseph? Du mußt es wissen. Ich bitte Dich, mein alter, treuer Freund, rede, ich bitte Dich.
Joseph sah mich mit einem langen Blick an.
Sie wissen es ja, sagte er, von dem Herrn dieses Schloßes.
Aber wie und wo, Joseph? Ich muß Alles erfahren.
Mein lieber junger Herr, rief der Alte in großer Angst, ich kann nicht, ich weiß auch nichts, gar nichts!
Nun wohlan, sagte ich, wenn die Treue gegen meinen Vater Deinen Mund verschließt, so wirst Du meine Befehle doch erfüllen. Hier liegt der Ring, ich gehe hinunter in den Salon, bringe ihn sogleich mir nach und übergieb ihn mir.
Ich werde gehorchen, versetzte Joseph leise und demüthig.
Geärgert über diese ewige Hartnäckigkeit, trat ich in den Salon; ich war fest entschlossen, mir keine Gelegenheit entschlüpfen zu lassen, das Geheimniß des Marquis zu erfahren.
Die Gesellschaft saß stumm und ernst um den Theetisch. Angelica's Gesicht drückte tiefen Schmerz, aber eine ruhige Entschlossenheit aus; sie mußte geweint haben, ihre schönen Augen schimmerten röthlich und ein Zug der Leiden ihres Herzens lag um den blassen Mund. Laforce saß ihr gegenüber mit gekreuzten Armen und einem stolzen drohenden Blick, der Marquis schien aufgeregt und unruhig, und der Abbé in tiefes Nachdenken versunken.
Als ich mich dem Kreise näherte, sah Sallanches freundlich zu mir auf und reichte mir die Hand. Angelica's Auge ruhte fast feindlich auf mir und Laforce sprach einige Worte, die ich nicht verstand.
Wo ist der Ring? rief der Marquis lebhaft.
Im Augenblick trat Joseph langsam herein.
Nur näher, rief ich ihm zu, gib her!
Das scharfe Auge des Marquis schien den alten Diener zu durchbohren. Plötzlich stand er auf und streckte ihm beide Arme. entgegen.
Joseph! rief er mit kreischender Anstrengung, Du lebst? Du bist in meinem Hause?
Ja, mein Herr von Bussy! sagte Joseph zitternd und Thränen liefen über seine Runzeln.
Fort mit diesem Namen, rief der Marquis heftig, er ist auf ewig begraben. Aber welche Erinnerungen, welche alten bösen Träume! –
Er deckte die Hand über seine Augen und sank in den Lehnstuhl zurück.
Es ist Zeit, rief er dann mit Lebendigkeit, ich werde reden, Euch Allen sagen, was mich so bewegt. Es ist eine Buße, die ich mir auflege; auch dies theure Zeichen mahnt mich daran. Auch für Dich, Laforce, für Dich Angelica, thue ich es; Ihr werdet mich nicht mehr hart und grausam finden, Ihr werdet einsehen, wie unmöglich Eure Wünsche sind. Ist es nicht so, Herr Abbé? sagte er, muß ich nicht jetzt ihnen Alles sagen?
Reden Sie, Herr Marquis! sagte der Abbé feierlich.
Und wo soll ich beginnen? murmelte der Marquis nach einer Pause. Es ist schwer, das alles noch einmal zu durchleben. Es war in Paris, und wer kannte nicht den Chevalier von Bussy? Er war einer der Vorbilder des jungen Adels, verwegen bis zur Tollkühnheit, in tausend Händel und Abenteuer verwickelt, ein Liebling schöner Damen, ein Philosoph in den Kreisen bei Holbach Paul-Henri Thiry d'Holbach, Baron d'Holbach, (1723-1789), Philosoph der französischen Aufklärung; er trat in seinem Werk trat er ausdrücklich für den Atheismus ein und betrachtete die Natur als materialistisch-deterministisch wirkende Kette von Prozessen. Er übte heftige Kritik am bestehenden absolutistischen Regime und an der Kirche., ein Anbeter Sophie Arnould's Madeleine-Sophie Arnould (1740-1802/03), französische Opernsängerin und Salonnière der Aufklärung., ein witziger Kopf, wenn es galt, ein verletzendes Epigramm zu machen; der Schrecken manches friedlichen Mannes: mit einem Worte, einer der Helden des Tages, und als der jüngste Sohn des Marquis von Sallanches ein Mensch, der weit weniger Aussicht auf ein glänzendes Vermögen, als glühenden Ehrgeiz besaß, sein Glück durch sich selbst zu machen.
Der Marquis lächelte, als er so sich selbst beschrieb; es war die glückliche Erinnerung seiner Jugend.
Ich weiß noch den Tag, fuhr er dann fort, wo ich auf einem glänzenden Balle bei der Herzogin von Pentièvre einen Fremden sah, der mich ungemein interessirte. Es war ein deutscher Baron, Ihr Vater, mein junger Freund, der kürzlich erst bei uns erschienen war. Bald waren wir im vertrauten Umgange, und Gott weiß es, wie tief ich diese edle Freundschaft empfand, wie rein und ganz ich mich ihr hingab. Der stolze ernste Charakter meines Freundes machte einen tiefen Eindruck auf mich; ich war leichtsinnig, allen Zerstreuungen ergeben, dem Spiel, der Verschwendung, den Ausschweifungen, die mich in Schulden stürzten, und einige große Dienste fügten Dankbarkeit und wahre Verehrung zu meiner Freundschaft. Lassen Sie mich abbrechen, sagte er mit gewaltsamer, gepreßter Stimme, genug davon, ich dankte ihm Ehre und Leben.
Die Revolution brach herein und setzte unserer Freundschaft ein trauriges Ziel. Die Leidenschaften erhitzten die ruhigsten Köpfe. Mein Stand, meine alte Familie, alle meine Empfindungen stritten gegen die schamlosen Anmaßungen eines niederträchtigen Haufens von Empörern, denen nichts mehr heilig war, aber mit Zorn und Schmerzen sah ich, daß mein Freund in Verbindungen lebte, die ihn genau mit mehren der verwegensten und berüchtigtsten unserer Feinde verbanden. Es kam zu Vorstellungen, Erklärungen, heftigen Streiten, und aus jedem brachten wir ein kälteres Herz zurück. Mein Verwandter war der Graf Rabutin, Herr von Montigny, ein glühender Feind der Philosophie und aller ihrer Anhänger, Edelmann im ganzen Sinne des Wortes, unbeugsam in seinem Willen und stolz auf den alten Adel seines Hauses.
Albrecht war durch mich mit ihm und seiner jüngsten Tochter bekannt geworden; die ältere, Deine Mutter, Laforce, hatte kurz zuvor sich mit Deinem Vater vermählt und war ihm nach der Bretagne auf seine Güter gefolgt. Eine sonderbare Regung von Neid und Schmerz erfüllte mich, als ich bald Gelegenheit hatte, das Vertrauen zu bemerken, welches Angelica meinem Freunde zeigte. Es waren die Schmerzen der Eifersucht, denn ich verehrte sie; ja, bei allen Heiligen des Himmels! Ich liebte sie mit heißer, unendlicher Liebe. Erbitterung, Neid und Haß erwachten in mir mit jedem Tage stärker; ich bewachte seine Schritte und die ihren; ruhelos waren meine Nächte, ich vergaß die ganze Welt und alle Schrecken der Gegenwart; nur der Gedanke lebte in mir, sie zu erwerben und ihre Zuneigung zu ihm, die ich täglich wachsen sah, mit einem Schlage zu zerstören.
Nur zu bald zeigte sich die günstige Gelegenheit. Von allen Seiten floh der Adel aus Frankreich, die Schreckensscenen begannen in den Provinzen, Brand der Schlösser, Mord der Edeln und das höllische Schauspiel der Mörder, die, wie erwachsen aus der Drachensaat des Kadmus Nach der griech. Sage säte Kadmos die Zähne eines erschlagenen Drachen in die Erde, aus denen dann bewaffnete Männer erwuchsen, die sich sogleich bekämpften., sich unter einander erwürgten und von Stufe zu Stufe mehr dem Pöbel das Regiment übergaben. Rabutin floh nicht. Je lauter die Hyäne brüllte, um so stolzer sah er in den verzehrenden Rachen, um so eifriger gelobte er dem unglücklichen Königshause Treue bis zum Tode.
Und ich, wie konnte ich fliehen? Lange ertrug ich meinen Schmerz, endlich machte mich der Zufall zum Zeugen einer Unterredung Angelica's und Ihres Vaters, welche mich mit Verzweiflung, mit allem Wahnsinn der Leidenschaft erfüllte. Unbewußt Dessen, was ich that, stürzte ich mich zwischen beide und hinderte eine offene Erklärung ihrer Liebe.
Höre ihn nicht, Angelica! rief ich, er verdirbt Dich; Fluch über den Elenden, der sich mit den Mördern unserer Ehre, unseres Vaterlandes verbindet.
Albrecht sah mich erstaunt an. Willst Du, sagte er mit einem bittern Lächeln, ein Brutus Deiner Kaste sein?
Den Verräther will ich entlarven, schrie ich ihm zu, der unter der Maske der Freundschaft ein edles Herz zur Schande verlockt. Leugne es, wenn Du kannst. Bist Du nicht der Freund des nichtswürdigen Petion Jérôme Pétion de Villeneuve (1756-1794), einer der Anführer während der Französischen Revolution.? Sieht man Dich nicht mit Vergniaud Pierre Victurnien Vergniaud (1753-1793), einer der Führer der Girondisten in der Französischen Revolution.? Und warst Du nicht gestern erst bei einem Gastmahle dieser schändlichen Girondisten? Kennst Du Roland nicht und die wüthende Frau, welche ihre Reize verschwendet, um uns zu verderben? Jeanne-Marie Roland de La Platière, besser bekannt als Madame Roland (1754-1793), war eine politische Figur in der Französischen Revolution, die in Paris einen Salon führte und an der Seite ihres Ehemanns die Politik der Girondisten wesentlich beeinflusste. Während der Schreckensherrschaft starb sie unter der Guillotine.
Halt ein! versetzte er kalt, Du bist zu verblendet, als daß ich Deine Lästerungen gegen die reinste Tugend nicht mitleidig verzeihen könnte.
Elender! rief ich, häufe nicht Beleidigungen. Antworte, ist es nicht so, bist Du nicht der Gefährte ihrer Laster?
Wollte Gott, sagte er mit begeisterter Stimme, daß ich ganz der Gefährte so großer Tugenden wäre.
Tugenden der Mörder! rief ich lachend, und Angelica weinte laut. Rühr sie nicht an, fuhr ich fort, und schleuderte die Hand zurück, welche er gegen sie ausstreckte. Fort von hier, wo Dein Fußtritt verpestend ist, und wenn in der Gesellschaft der Gemeinheit noch ein Funken der Ehre eines Edelmannes Dir blieb, so begleite mich.
Du bist wahnsinnig, sagte er. Ein Zweikampf zwischen uns wäre die Krone aller Thorheit, der Gipfelpunkt der grausamsten Undankbarkeit. Ich verachte diese Narrheit.
Dann, rief ich, befehle ich dem erbärmlichen Feigling, dies Haus zu verlassen.
Sie haben hier nichts zu befehlen, Herr von Bussy, versetzte er kalt.
Aber ich! rief Herr von Rabutin, der plötzlich aus dem Nebenzimmer trat. Gehen Sie, mein Herr, es ist Niemand hier, der Ihre Gegenwart wünschen könnte.
Todtenbleich stand er noch einen Augenblick, dann verbeugte er sich schweigend und ging. Ich war erschüttert, verwirrt; der Blick, den er scheidend auf mich warf, hatte mich zermalmt.
Der Marquis hielt erschöpft inne und starrte in das Feuer des Kamins. Ein lautloses Schweigen herrschte in dem Kreise.
Die Zeit verging, sagte er dann leise, Angelicas Trauer ward milder, wir hörten wenig von Albrecht, und was wir vernahmen, reichte hin, sein Andenken widerwärtiger zu machen.
Dann kamen die schrecklichen Tage des Augusts Am 10. August 1792 stürmte das aufständische Volk den Palast der Tuilerien, wo der König Ludwig XVI. wohnte. Dorthin war er 1789 nach dem Zug der Marktfrauen vom Schloss in Versailles aus umgezogen. Der Tuileriensturm gilt als nach dem Sturm auf die Bastille als »zweite Revolution« und Wendepunkt. Die gemäßigte Phase war damit vorbei, die radikale Phase begann. und wie durch ein Wunder entgingen wir dem Tode in den erstürmten Tuilerien, um zwei Tage darauf ergriffen, fortgeschleppt und in der Force Das Hôtel de La Force, ursprünglich ein privater Palast, war nach unterschiedlichen Nutzungen 1780 von Ludwig XVI. erworben und in eine Haftanstalt umgebaut worden. Vom 10. August 1792 an wurde es zu einem Ort der politischen Haft, in dem Angeklagte und Verdächtige festgehalten wurden, während sie auf ihren Prozess warteten. eingekerkert zu werden. Schönheit, Jugend, Muth und Weisheit vereinte hier das gleiche Unglück mit der albernsten Dummheit und Stumpfheit. Welche Leiden und Schmerzen, meine Freunde, und wie viel Trost lag in diesen gemeinsamen Qualen! Alle Guten sahen sich hier vereint, nur die ekle Gemeinheit, das verächtliche Laster war frei; ja, man wünschte sich Glück, Banden zu tragen, denn es war der Beweis, besser zu sein als Jene dort.
Man bewahrte mitten in den Schrecken die Galanterie und einen Theil der alten Fröhlichkeit. Man reihte sich um die Damen, man scherzte, man suchte die Hoffnungen zu erhalten, und diese finstern Mauern, gewohnt nur Seufzer zu hören, widerhallten oft von dem Lärm des Uebermuths und der Lust.
Zuweilen nur erwachten wir von dem Gebrüll der Wuth, von dem Rachegeschrei des Pöbels, der an die festen Thüren schlug und unser Blut verlangte. Dann erbleichten die Wangen wol, aber bald kam die Ruhe zurück und mit ihr neue Freude. O, ich war glücklich, denn ich war in Angelica's Nähe, ihr Schutz, die Stütze ihres Vaters, und in ihrem Lächeln las ich die steigende Zuneigung, das Glück meiner Zukunft.
Die Anstrengungen unserer Freunde an den Grenzen sollten uns verderblich sein. Der Herzog von Braunschweig machte seinen berühmten Zug auf Paris, und sein Manifest Das Manifest des Herzogs von Braunschweig, des Befehlshabers der preußischen Truppen, die gegen das revolutionäre Frankreich aufmarschierten, erschien am 25.07.1792 und drohte der französischen Hauptstadt Paris die militärische Exekution, d. h. Besetzung und Plünderung der Stadt, an, wenn Louis XVI. auch nur die geringste Beleidigung zu teil werde; als Antwort hierauf stürmten die Sansculotten und andere Aufständische am 10.08.1792 den Tuileries-Palast., das den Mördern Verderben drohte, ging vor ihm her. Verzweiflung ergriff diese Wüthenden, sie hatten keine Verzeihung mehr zu hoffen. Der König war gefangen, Verbrechen der furchtbarsten Art belasteten sie, die Brücke hinter ihnen war für immer abgebrochen. Die Banden des Südens, jene furchtbaren Sänger der Carmagnole, strömten herbei und vereinigten sich mit dem rasenden Pöbel der Vorstädte. Die blutigen Häupter des Convents und der Commune verbanden sich zum Sturze aller Regierung; sie haßten die Gemäßigten mehr noch als König und Adel. Schrecken, Tod, das Beil der Guillotine allein sollte herrschen.
Die Gefängnisse waren überfüllt von Verdächtigen und Schuldigen, man mußte sie schlachten, die ganze Nation schuldig machen, um den Widerstand zur Raserei zu entflammen. Noch höre ich das Geschrei der Mörder, noch sehe ich die entmenschten Gestalten; ihre Flüche, ihre Gesänge, ihre blutigen Piken erfüllten oft meine Träume. Wir gingen auf dem Hofe spazieren und ahneten die Gefahren nicht. Ich war an diesem Tage glücklicher als je; Angelica war so gütig, wir sprachen von der Zukunft und unsern Hoffnungen.
Plötzlich stürzte der Schließer und seine Gehülfen unter uns. Ihre Blicke waren bleich, ihre Mienen von Angst verzerrt. Man umringte sie, man fragte und eine kecke Stimme, es war die meine, rief ihm lustig zu, ob der Befehl zu unserer Freiheit gekommen sei, der ihn so betrübe?
Es war ein alter Mann mit weißem Haar, das ihm gespenstisch über Stirn und Augen lag.
Freiheit? rief er, und starrte mich an; ja, wenn nicht Zeichen und Wunder geschehen, so werdet Ihr bald freier sein, als Ihr wünschen mögt.
Manche Gesichter entfärbten sich, Andere lachten und forderten Erklärungen. Mit der rauhen Weise eines Gefängnißwärters trieb er uns an, den Hof zu räumen und in unsere Zimmer uns einschließen zu lassen.
Ein wildes, verworrenes Geschrei und donnernde Schläge an die Thore des Gefängnisses gaben seinen Worten Nachdruck. Plötzlich schwieg das Lachen, ein Schrei der Verzweiflung und die tödtliche Blässe der Angst legte sich auf den verwirrten Haufen. Ich führte Angelica zu dem Gemache, wo Herr von Rabutin sich krank befand. Man achtete nicht auf Ordnung mehr, die Thüren wurden geschlossen, gleichviel, wer darin war, in dem Schrecken des Augenblicks dachte Niemand mehr an den Andern.
Angelica hatte sich zu den Füßen ihres leidenden Vaters niedergeworfen, die sie weinend umklammerte; zwei Damen, welche einst zu den Zierden des Hofes gehörten, lagen in heißen Gebeten auf ihren Knien, und ein alter Ludwigsritter lief verzweiflungsvoll mit gerungenen Händen auf und ab. Mit wahnsinniger Angst beantwortete er jedes Gebrüll der Mörder an den Pforten durch den lauten Schrei:
Es lebe die Nation! Nieder mit den Tyrannen! Ich kann nicht sterben, ich will nicht sterben; Rettung, Rettung! Ich bin unschuldig.
Noch waren ein paar Seeoffiziere vorhanden, die mit bitterm Spott und Beschimpfungen das Angstgeschrei des Wahnsinnigen begleiteten; ein würdiger Priester, der still und ernst auf einem Stuhle saß und in einem alten Gebetbuche las, endlich ich selbst, an der Thür horchend und vergebens auf ein Rettungsmittel sinnend.
Steh auf, mein Kind! sagte Herr von Rabutin, und zog Angelica an seine Brust. Will der Himmel uns zu sich rufen, so werden wir vereint in das Reich seines Friedens gehen.
O, mein Gott, rief Angelica weinend, von der Hand der Mörder, verstümmelt, zerrissen. Rette mich, mein Vater, schütze mich!
Die Thore sind stark, sagte ich, und werden halten, bis die Nationalgarden herbeikommen und den Pöbel zerstreuen.
Plötzlich füllte ein wüthendes Geschrei die Luft, und zitternd drückte ich die Hände über mein Gesicht. – Die Pforten waren geöffnet, das Geheul der Mörder verbreitete sich im Hofe, in allen Gängen; das Geschrei der Eingesperrten beantwortete es. Unsere letzte Stunde war gekommen.
Wir hörten die Thüren öffnen, die Flüche und Verwünschungen der Banditen, die flehenden Bitten der Fortgeschleppten und das rohe Gelächter ihrer Verfolger. Endlich öffnete sich auch unser Gefängniß und ein Haufe Gesindel, mit Säbeln, Piken und Beilen bewaffnet, drang herein. Furchtbare Gestalten, rothe Mützen über die Köpfe gezogen und die Aermel ihrer Hemden aufgestreift zur Metzgerarbeit.
Der alte Ludwigsritter sprang ihnen entgegen; er rief mit kreischender Stimme:
Es lebe die Nation!
Ein Schlag in's Gesicht warf ihn blutend zur Erde und die Bande schrie der That Beifall zu. – Ein furchtbarer Mensch mit einem Henkergesicht faßte meine Brust und schwang in der andern ein langes Messer, indem er Flüche auf mich herabrief. Ich wehrte es nicht, ich erwartete den Tod, er war mir willkommen, ich durfte Angelica nicht sterben sehen.
Im Augenblick aber faßte eine hagere Gestalt seinen Arm und riß ihn zurück. Es war ein Municipaloffizier im blauen langen Rocke, über welchem die dreifarbige Schärpe lag. –
Was ist das, Bürger, rief er. Keine Gewaltthaten, die ein freies Volk schänden. Führt diese Gefangenen hinunter in den Saal zum Verhör und man wird sie freilassen.
Wer hätte einen Strahl von Hoffnung fassen können, wenn er den Sohn in den Zügen des Offiziers und das Gelächter des Haufens sah.
Man trieb uns fort, die Treppe hinab in den Saal, und halb todt vor Angst traten wir ein.
Auf den Stühlen einer Tribune saßen zwei Beamte des Stadtraths im ganzen Ornat, mit den dreifarbigen Schärpen geschmückt, und rund um sie in einem Halbkreise stand eine Schaar furchtbarer Gestalten, so erbarmungslos, so gierig nach Blut und Beute, so alle Frechheit und alle Laster und Sünden der Erde in den brutalen Zügen, daß ich schaudernd den Blick zu Boden schlug. Zum Theil waren es Marseiller, sonnenverbrannte, wilde, schmale Gesichter, deren lange, schwarze Haare, mit Blut befleckt, über wahnsinnig glühenden Augen hingen; zum andern Theile: Arbeiter, Schmiede und Fleischerknechte aus der Vorstadt St. Antoine, Gesindel, an Raub gewöhnt, aus Hunger und Elend zum wüthenden Haß alles Bessern erwacht; endlich Diebe und Mörder selbst, die stundenweis hier für die Henkerarbeit bezahlt wurden.
Alle diese Menschen wurden nur von einem Willen beseelt, von dem grausamen, verbrecherischen Gedanken: zu morden, um Frankreich zu retten. Mit gierigen Augen betrachteten sie uns. Ein wahrhaft teuflisches Lächeln zitterte auf ihren Lippen; sie sangen und riefen sich gemeine, höhnische Bemerkungen zu, während wir durch die lange Reihe ihrer Piken und Beile gingen.
Als ich starr auf die Tribune blickte, sah ich eine weiße, schöne Frau vor den Commissairen. Ich erkannte sie, es war die unglückliche Prinzeß Lamballe Marie-Louise von Savoyen (1749-1792), geborene Prinzessin von Savoyen und durch ihre Heirat mit einem bourbonischen Prinzen Fürstin von Lamballe; als Hofdame und Intendantin des Hauses der Königin Marie-Antoinette deren engste Vertraute..
Schwöre, Bürgerin! schrie einer der Offiziere mit heiserer Stimme, schwöre, die Freiheit und Gleichheit zu lieben, schwöre ewigen Haß dem Könige, der Königin, der ganzen Königsgewalt.
Ich schwöre den ersten Theil des Eides, versetzte sie, den letzten nicht. Es ist kein Haß in meinem Herzen.
Schwören Sie, Madame, sagte der Mensch mit drohender, warnender Stimme, und ergriff ihren Arm. –
Niemals! rief sie mit großer Heftigkeit.
So lasse man Madame frei! schrie der Präsident des schrecklichen Gerichts.
In einem Augenblick war sie zur Thür gerissen. Zwei der Mörder hielten sie an den Armen fest. –
Sie thun mir sehr weh, mein Herr! rief sie klagend und wandte den Kopf zurück.
Ein durchdringender Schrei folgte diesem Worte; ich sah den Körper vorüber die Stufen hinabstürzen, dicht an der Schwelle hatte ein Säbelhieb ihren Scheitel getroffen; ein rasender Jubel folgte, die Thür fiel ins Schloß.
Der Muth der Verzweiflung machte mich stark gegen diesen Anblick. Ich fühlte, mein Loos war unwiderruflich entschieden, und mit trotziger Ruhe blickte ich auf die mörderische Bande, welche in kannibalischer Lust ihre Waffen schwang und in Gläsern voll warmen rothen Blutes, das wenige Minuten früher noch in den Adern besserer Wesen rann, den Tod der Tyrannen und das Wohl der Nation trank.
Man führte den ehrwürdigen Abbé vor die Schranken, die Offiziere, die Damen, den zitternden Ludwigsritter, und nach zwei, drei Fragen rief der große, hagere Mensch seine verhöhnende Befreiungsformel: Qu'on élargisse ces messieurs! Dann schleppte man sie durch die Reihen; aus der Thür, durch welche man sie den wilden Thieren draußen zur Beute vorwarf, tönte ein Todesschrei und Alles war still.
Endlich trat Graf Rabutin vor das Tribunal, aber ehe ein Urtheil gesprochen werden konnte, warf sich Angelica zu den Füßen der Unmenschen. Angst und Verzweiflung strahlten, mit einer leisen Hoffnung gemischt, wunderbar rührend aus ihren Zügen. Was sie sprach, weiß ich nicht, aber nie gab es eine edlere Beredsamkeit als diesen Strom feierlicher Betheuerungen der Unschuld, Klagen, Bitten und Ausbrüche der innigsten Kindesliebe. –
Thränen füllten selbst auf einen Augenblick die Augen der Mörder und ihre blutigen Hände wischten die Zeichen des Mitleids von den Wangen. Plötzlich sprang Einer unter ihnen auf Angelica los.
Wenn es wahr ist, rief er, daß Du die Freiheit liebst und die Tyrannen hassest, so trinke hier das Blut der Aristokraten.
Er hielt ihr ein Gefäß mit Blut hin und ich sah das heldenmüthige Kind erblassen, taumeln und halb leblos in die Arme ihres Vaters sinken. Aber in der nächsten Minute blitzte eine wilde Entschlossenheit aus ihren Augen; sie empfand es ganz, daß Tod und Leben an ihrer That hingen. Hastig ergriff sie den Pokal und setzte ihn mit stolzem Lächeln an ihre Lippen.
Es lebe Frankreich, rief sie, es lebe die Freiheit und die Nation! und sie trank, während ein Sturm des Entzückens rund umher ausbrach.
Nimm Deinen Vater, Bürgerin, und geh! rief man von allen Seiten.
Und Diesen hier, sagte sie, und ergriff meine Hand. Es ist mein Verlobter.
Der Chevalier von Bussy! rief eine schreckliche Stimme. Ist er es nicht, der Jahre lang sich rühmte, der Schrecken aller friedlichen Bürger zu sein?
Der Chevalier von Bussy, sagte ich stolz, wird niemals seinen Namen verleugnen.
Fort mit den Beiden dort, rief der Commissair, und den Herrn Chevalier laßt frei.
Bei diesem Signal des Todes packte man meine Arme und riß mich der Thür zu; aber die Liebe zum Leben erwachte in mir. Ich hörte die flehende Stimme Angelica's und ich sträubte mich gegen die Henker.
In diesem Augenblick entstand ein heftiger Tumult von außen, die Thür flog zurück und ein großer schöner Mann drängte sich herein, ein Anderer, in der Tracht eines Offiziers der Nationalgarde, folgte ihm dicht. Es war Albrecht, mein beleidigter, gemißhandelter Freund.
Mit einem heftigen Stoße warf er die Menschen zurück, welche mich hielten, und schwang den Säbel gegen sie.
Herbei, Bürger! rief er, reinigt den Saal von diesen Ungeheuern.
Ein Dutzend Nationalgarden drangen herein und trieben die wüthenden Mörder vor sich her; Schrecken ergriff sie, sie wußten nicht, welche Macht an der Thür wartete, und zitterten nun vor dem eigenen Schicksal. –
Der große schöne Mann war inzwischen stolz und ruhig auf die Tribüne getreten.
Was thut Ihr hier, Bürger? sagte er zu den Beamten.
Wir richten die Aristokraten im Namen des Volks, rief der heisere Commissair. Wehe dem, der seine Souverainetät verkennt!
Und ich, der Bürger Pétion, sage Dir, daß Du ein Ungeheuer, ein gemeiner Mörder bist, der mit seinem eigenen Blute das rechtlos vergossene bezahlen soll. Hinaus mit Euch, Banditen! rief er, Ihr entehrt den Namen der Nation durch Schandthaten.
Bürger Pétion, schrie der Anführer der Bande, auch Du bist dem souverainen Volke Gehorsam schuldig! Im Namen der Nation! Entferne Dich.
Ohne ein Wort zu erwidern, stürzte Pétion auf ihn los. Mit geballter Faust schlug er ihn ins Gesicht, riß die dreifarbige Schärpe von seiner Brust und warf ihn im nächsten Augenblick vor der Tribüne zu Boden.
Hinaus mit Dir, Elender! rief er. Im Namen der Nation und des Convents! Fort von hier, oder ich räche die beleidigte Ehre des Vaterlandes mit eigner Hand.
Die Commissaire liefen der Thür zu und der ganze Haufen folgte ihnen.
Pétion stand düster sinnend im Saale. Fort! sagte er dann mit großer Ruhe. Wenige Minuten werden hinreichen, dies Gesindel zu überzeugen, daß wir allein sind. Rettet Euch, meine Freunde, rettet Euch schnell, ich muß eilen, den Unglücklichen hier eine kräftige Hülfe zu schaffen.
Es war Abend geworden, der Hof war öde und finster, unsere Füße strauchelten über verstümmelte Leichen; schaudernd traten wir in die Pfützen von Blut, welche die Steine bedeckten. Albrecht führte uns schnell durch die Straßen, er sprach uns Muth ein und brachte uns sicher zu einem Versteck in der Wohnung einer armen, ihm ergebenen Frau.
Viele Wochen vergingen; endlich ward die Ruhe hergestellt, die gesetzliche Ordnung kehrte einen Augenblick zurück und diese benutzte unser Freund, uns Pässe nach Lyon zu verschaffen, von wo aus es leicht war, nach der Schweiz zu entkommen. Edelmüthig versorgte er uns mit Allem, und als er schied, warf ich mich laut weinend an seine Brust.
Glaubst Du noch, sagte er leise, daß ich den Namen eines Elenden verdiene?
Demüthige mich, rief ich, aber sage mir, daß Du mir verzeihst.
Werde glücklich, versetzte er, und seine Arme preßten mich krampfhaft. Sage mir, liebst Du sie? Liebst Du Angelica?
Diese heiße Liebe allein machte mich falsch und treulos gegen Dich, sagte ich schmerzlich.
So mache sie glücklich, ganz glücklich, sagte er leise.
Albrecht, rief ich, auch Du wirst einst glücklich sein.
Er schüttelte traurig den Kopf.
Laß uns der Zukunft vertrauen, fuhr ich begeistert fort. Was wir verschuldeten, werden einst vielleicht unsere Kinder versöhnen. Wenn es möglich wäre, mein Freund, wenn unsere Kinder einst in Liebe Deine edle Entsagung ersetzen könnten!
Er lächelte finster über meine Worte. Eine prophetische Ahnung erfüllte mich.
Nimm diesen Ring, rief ich, er soll ein Zeichen dieses feierlichen Bundes sein. Dunkel sind die Mächte über uns, laß die Ewigen walten, die Stunde kann kommen, wo Du mich mahnst.
In dem Augenblicke trat der alte Mann, welcher hier in weißen Haaren vor Euch steht, der treue Joseph in das Zimmer. Es sammelt sich Volk an der Thür, rief er, man schreit nach Wache, nach versteckten Aristokraten, der Wagen in dieser abgelegenen Straße hat Aufsehen erregt. Albrecht riß das Cabinet auf, wo der Graf und Angelica waren. Fort, fort! schrie er, in wenigen Minuten dürfte es zu spät sein.
Wir eilten hinunter; einige verdächtige Kerle, die aus der Sectionsversammlung kamen, standen schreiend und schimpfend an der Thür, mitten unter ihnen ein bewaffneter Nationalgardist.
Nicht von der Stelle! rief man uns zu; Ihr folgt uns auf die Section.
Achtung vor dem Gesetz, Bürger! erwiderte Albrecht; hier ist der Paß.
Und wohin geht die Reise? schrie der Vorderste.
Nach Straßburg, Bürger, sagte Albrecht mit Vorbedacht.
Erst auf die Section! brüllten die Wüthendsten, während Andere sich zu beruhigen schienen.
Steigt ein! sagte Albrecht ruhig, und wir folgten diesem Wink.
Plötzlich fuhr der Postillon zu und die starke Hand meines wackern Freundes warf den Kerl zu Boden, der die Zügel halten wollte.
Ich hörte ein furchtbares Geschrei hinter uns, dann fiel ein Schuß und gleich darauf ein anderer.
Zehn Louisd'or für Dich, schrie ich dem Führer zu, wenn Du uns fortbringst!
Angelica lag ohnmächtig in meinen Armen; wir gewannen die Straße, durchkreuzten im Galopp zehn andere, erreichten die Barrière, zeigten den Paß und ohne Gefahren sahen wir Lyon und endlich die Grenze.
Wenige Worte noch habe ich hinzuzufügen, fuhr der Marquis erschöpft fort. Albrecht war von dem Nationalgardisten mit dem Bajonet hart verwundet worden, er drückte beide Taschenpistolen auf die Angreifer ab, entkam in das Haus und floh über Höfe und Mauern mit Hülfe seines treuen Dieners. Man suchte ihn lange, und nur ein verborgenes Cabinet schützte ihn, wahrend die Häscher seinen Zufluchtsort durchspähten. Endlich war er hergestellt, seine Freunde bluteten auf dem Schaffot, er selbst entkam nach Deutschland, ich habe ihn nicht wiedergesehen. Viele Jahre sind vergangen, aber hier ist sein Sohn, hier der Ring unseres Bundes, den ich in meinen Händen halte.
Er schwieg, wir alle waren stumm und beklommen.
Angelica! rief der Marquis in einem Tone, der bittend und befehlend klang, und auch Sie, mein theurer junger Freund, Ihr wißt nun Alles.
Mein Herz zitterte in Schmerzen und verlangenden Wünschen. Das Glück schien mir zu winken, aber ein Dämon stand mit feurigem Schwerte vor dem geöffneten Paradiese. Laforce, die düstern Augen fest auf mich gerichtet, saß mir gegenüber. Ich stammelte verwirrt einige Worte, daß unsere Bekanntschaft zu neu sei, daß ich nicht wagen dürfe, mich Hoffnungen hinzugeben, aber tief das Verlangen empfinde, mich der Achtung und Freundschaft werth zu machen.
Plötzlich erhob sich Angelica und kniete an der Seite ihres Vaters nieder. Sie küßte mit Heftigkeit seine gefalteten Hände.
O mein Vater! flüsterte sie, ein Herz ist schnell zu brechen, Sie kennen das meine, haben Sie Mitleid mit Ihrem Kinde.
Ich will zum Himmel und seinen Heiligen flehen, daß er Dich erleuchte, sagte der Marquis, mit frommem Tone. Ihr werdet Euch kennen und verstehen lernen; nur Dein Glück und Deinen Frieden will ich, aber Gehorsam ist die schönste Pflicht des Kindes. Ruft keine Stimme in Deiner Brust, daß Du die Qualen meines Lebens versöhnen und mein Alter mit Freuden erfüllen kannst?
Ja, wir werden uns kennen und verstehen lernen, erwiderte Angelica, indem sie sich mit schmerzlichem Lächeln zu mir wandte. Lassen Sie uns diese schöne Hoffnung ergreifen. Die Ruhe meines theuern Vaters ist mir heilig, sein Glück die höchste Aufgabe meines Lebens. Mit dem heiligsten Vertrauen reiche ich Ihnen meine Hand, lassen Sie uns Freunde sein, wie unsere Aeltern es waren; ich weiß, daß alle Tugenden Ihres edlen Vaters auch in Ihrem Herzen wohnen.
Welche Andeutungen lagen in ihren Worten! Ich verstand sie zu wohl und ein Zittern überlief mich. Der Marquis aber trug die Freude in allen Zügen. Er küßte seine Tochter, mich und Laforce, der eine unerschütterliche Ruhe behauptete. Nie war er so fröhlich gewesen.
Nun kein Wort mehr davon, sagte er; man muß sich kennen lernen und die Zeit führt uns zu jedem Ziele.
Er sprach von Neuem von großen Festen, dann bat er Angelica, das Instrument zu öffnen und eins seiner alten Lieblingslieder zu singen. Sie that es; Laforce begleitete ihren schönen Gesang und Angelica war heiter, sie scherzte mit mir und forderte mich auf, einige der Lieder meiner deutschen Heimath zu singen, die, ohne hier verstanden zu werden, doch in ihrer tiefen Empfindung der ganzen Welt gehören.
Endlich nach dem Souper trennten wir uns. Angelica und der Abbé führten den Marquis zur Abendandacht in sein Betzimmer, Laforce begleitete sie; ich, der ketzerische Fremdling, war davon ausgeschlossen.
Als ich Angelica's Hand küßte, flüsterte sie leise:
Ich muß Sie sprechen, erwarten Sie mich auf der Terrasse.
Ein rührender Blick begleitete ihre Worte, ich verstand seine Anklage.
Mit leisen Schritten ging ich durch die kühlen Lauben. Der Mond stand voll und klar an dem abendlichen heitern Himmel, eine göttliche Ruhe lag auf der weiten Schöpfung. Diese strenge Mischung von hellem Licht und schwerer schwarzer Nacht beruhigte mich wunderbar. Die silbernen Spitzen des Gebirges hoben sich still und friedensvoll in die blauen Räume, der Wald glänzte an seinen Säumen und Kronen, die zackigen Felsenwände liefen hell in die Thäler nieder und unten lagerten die schwarzen starren Schatten.
Die Schluchten, aus welchen da und dort ein einsames Licht sich heraufstahl, schienen unermeßliche Abgründe zu sein; das Schloß über mir warf seine stolzen Thürme auf die Hütten und Gärten. Ich sah die Funken des nahen Wasserfalls und die hellen Wellen des Baches in den Mondesstrahlen blitzen, und dann dämmerte die weite, immer weitere Ferne still herauf. Die Mühlen klapperten verworren im Grunde, eine Menschenstimme in den Bergen weckte die Echos, in den Weinlauben schwiegen die Insekten einen Augenblick und begannen dann ihren eintönigen Gesang von Neuem.
Sind sie nicht das Leben, diese wechselnden Schatten? sagte ich leise. Sie kommen und verschwinden, und was im hellen Lichte glänzt, ist in der nächsten Stunde in Finsterniß begraben.
Ich blickte nach den erleuchteten Fenstern des Schlosses und breitete in heißer Sehnsucht die Arme aus.
Wenn es möglich wäre, rief ich, würde meine Liebe sie nicht beglücken? O, Angelica! Würde Dir kein schöneres Glück an meiner Brust erblühen? –
Dann warf ich mich auf eine Bank und preßte meinen schwindelnden Kopf mit beiden Händen.
Er hat sie bethört, umstrickt mit Lug und Trug, rief ich; mir gehörte sie, noch ehe sie geboren ward, und nie werde ich ihr entsagen!
Plötzlich hörte ich Schritte in meiner Nähe, ich blickte auf, sie stand vor mir. Ihre weiße, schlanke Gestalt und die Bleiche ihres edeln Gesichts gaben ihr etwas Geisterhaftes, Ehrfurchtgebietendes. Sie reichte mir die Hand, und mit dem leisen Rufe ihres Namens bedeckte ich diese mit meinen Küssen. Sie befreite sich sanft und trat auf den Rand der Terrasse in das helle Licht des Mondes.
Hören Sie mich, sagte sie mit fester Stimme, ich mache Sie zum Richter über mich; in Ihre Hände lege ich die Entscheidung.
Aber vergessen Sie nicht, erwiderte ich leidenschaftlich, daß ich Sie liebte, Angelica, seit ich Sie sah; vergessen Sie nicht, daß der Himmel selbst meine Wege leitete, als ich Sie aus Gefahren retten durfte; daß er mich hier zu Ihnen führte, um Sie wiederzufinden; daß ein heiliger Schwur Ihres Vaters uns Vereinigung verhieß, ehe Sie wurden.
Es war verbrecherisch, unheilig, ein Frevel, den Gott rächt, sagte sie mit dumpfer, schmerzlicher Stimme.
So rächte er ihn auch an mir, dem Unschuldigen, rief ich. Er hat eine wunderbare, heiße Liebe in mein Herz gelegt, Flammen, die mich verzehren, die ich nicht auslöschen kann.
Laforce hat mit Ihnen gesprochen, versetzte sie; er hat Ihnen Alles gesagt. Ich liebe ihn, nie werde ich einem Andern gehören. Und jetzt entscheiden Sie, fuhr sie fort. Bei der heiligen Mutter aller Schmerzen! Ich kann und darf nie von meinen Schwüren weichen, aber meines Vaters Fluch würde mich verzehren. Nur einen Ausweg gibt es aus diesen Qualen: den Weg zu Gott, zur Ewigkeit!
Sie stand vor mir, umstrahlt vom Himmelslichte, Hände und Augen zu dem reinen Throne der Allmacht erhoben; eine furchtbare Entschlossenheit lag in ihren Zügen.
Was verlangen Sie von mir? rief ich und zog sie vom Rande der schwindelnden Höhe.
Entsagung, wenn Sie der Sohn Ihres Vaters sind, erwiderte sie. Wollen Sie mit blinder Leidenschaft ein Wesen zum Altare führen, dessen Herz niemals für Sie schlagen wird; wollen Sie den thörichten Schwur eines Mannes benutzen, der sein Kind opfert, um seine Sünden zu versöhnen?
O, wüßten Sie, was ich bei Ihren Worten leide! rief ich seufzend.
Ich weiß es, sagte sie leise, glauben Sie mir, ich empfinde es; aber wäre Laforce auch nicht mir ewig verbunden, ich könnte doch niemals die Ihrige werden.
So hassen Sie mich? rief ich erschüttert.
Ich bin Ihre dankbare Freundin, erwiderte sie sanft, und so lange ich lebe, werden meine Gebete Sie begleiten. Aber, fuhr sie mit feierlichem Tone fort, mein Glaube verwirft den Ihren, nie könnte ich mein Herz Ihnen öffnen, ohne vor Gottes Strafe zu zittern, und würden Sie, mich zu beruhigen, einen Schritt thun, den Ihre Ueberzeugung verwerflich findet? Doch wenn Sie ihn thäten, müßte mein Mitleid sich in Verachtung umwandeln. Streng im römischen Glauben erzogen, sehe ich nur Sünde und eine Zukunft voll Verderben in jeder Verbindung mit einem Andersglaubenden; allein auch unsere weltlichen Meinungen trennen uns. Sie sind ein Anhänger moderner Grundsätze, ich habe Lehren geerbt und eine Erziehung genossen, welche mich zu Ihrer strengen Gegnerin machen. So stehe ich vor Ihnen, ich biete Ihnen meine Hand als Freundin, als Ihre Schwester, als ein Wesen, das ewige Dankbarkeit und Achtung für Sie hegt. Und nun entscheiden Sie, ich habe Alles gesagt.
Eine Minute lang stand ich vernichtet im Kerne meines Daseins, von unsäglichem Schmerz erfüllt. Dann rang sich der Gedanke leise aus der Glut der Empfindungen und wuchs mit neu belebender Kraft in mir auf. Ich faßte ihre Hände und sank zu ihren Füßen nieder.
Ist es nicht grausam, sagte ich, daß wir uns finden mußten, Angelica, daß der Himmel selbst mich zu begünstigen schien? Und nun tritt die ewige Trennung kalt vor mich hin und fordert durch Ihren Mund ein Glück zurück, das ich noch nicht besaß. So leben Sie wohl! rief ich, und Thränen erstickten meine Stimme; was mein Vater zum Abschiede sprach, als er seiner Liebe auf ewig entsagte, rufe auch ich: Werden Sie glücklich, ganz glücklich, und denken Sie mein, der diesen Augenblick niemals vergessen kann.
Sie beugte sich zu mir nieder und legte beide Arme um die meinen. In ihren nassen Blicken spiegelte sich das stille Licht der Nacht, ihre schwarzen, glänzenden Locken bedeckten mich, brennend heiße Tropfen fielen auf mein Gesicht und weckten verrätherisch die Leidenschaft.
Plötzlich hielt ich sie an meine Brust gedrückt, meine Lippen berührten die ihren, Kuß auf Kuß und der Schmerz der Trennung aufgelöst in heiligem Vergessen.
O, warum, rief ich, und umfaßte die schöne Gestalt inniger, warum darf ich nicht auf immer so glücklich sein!
Langsam wand Angelica sich los und wies hinauf zu dem ewigen Himmel.
Dort, sagte sie; auf Erden ist Nacht, Leidenschaft, Verhängniß; dort in ewiger, reiner Liebe gehört die Seele allen schönen Seelen, ein großer, unendlicher Bund.
Diese Worte zerstörten meinen Traum. Auf Erden gehörte sie dem einen Manne, meinem Feinde, und die Grenze dieser Scheidung stand vor mir.
So sei es denn, sagte ich mit Fassung; noch ehe die Sonne kommt, habe ich Sie für immer verlassen.
Können Sie meinen Vater so betrüben und Ihren Freunden so wehe thun? erwiderte sie sanft bittend. Sie können, Sie dürfen nicht.
Auch das verlangen Sie? rief ich schmerzlich. Grausame Freundin, könnte ich in Ihrer Nähe leben, ohne Sie zu lieben?
Sie müssen bleiben, versetzte sie, um überzeugt zu sein, daß es unmöglich ist. Dann, mein theurer Freund, wenn Sie mit der Stimme der Wahrheit vor ihn treten und ihm sagen: Ich empfinde es, wir können uns innig als Geschwister lieben, doch niemals uns gehören, diese schöne Lösung soll unser Glück sein: dann werden Sie höher, edler, als Ihr edler Vater, der Schutzgeist meiner Liebe sein und Freude und Glück über dies Haus verbreiten.
Wie schwach ist der Mensch! Aus ihren Worten entglomm eine neue Hoffnung für mich; ich zitterte bei dem Gedanken, an ihrer Seite hier zu verweilen, und doch floß ein Strom von Ruhe in mein Herz.
Sie haben mich zu Ihrem Diener gemacht, sagte ich, und ich gehorche Ihrem Willen. Aber von allem Unheil sage ich mich los; ich liebe Sie, Angelica, und wenn ich bleibe, muß ich ferner um Sie werben, sollte es auch ewig hoffnungslos sein.
Ein trauriges Lächeln schwebte über die schönen Züge.
Ich liebe Sie ja auch, mein Freund, sagte sie; vertrauen Sie mir und Ihrem edeln Herzen, und jetzt lassen Sie uns scheiden, morgen werden wir ruhiger sein.
Schlaflos durchträumte ich die Nacht in fieberhaften Phantasien, und vergebens rang ich nach einem Faden, der sicher aus diesem Labyrinth mich retten könnte. Die treulose Ariadne war bemüht, mich immer tiefer zu verwirren, und als ich sie wiedersah, als ihre süße Stimme mich wie einen vertrauten Freund begrüßte, als sie allen Zwang abgestreift, mir mehr und mehr die schöne Seele, die erhabenen Empfindungen des edelsten Herzens offenbarte, füllten Wehmuth, Liebe und neue heiße Hoffnungen meine Brust.
Sallanches war darauf bedacht, mir die Wege leicht zu machen. Als ich am Morgen im Saale erschien, kam er mir mit der Nachricht entgegen, daß Laforce beim Anbruch des Tages das Schloß verlassen habe. Ich blickte ihn forschend und fragend an, und er verstand, was ich sagen wollte.
Mitten in der Nacht, sprach er, empfing mein Neffe eine Botschaft, die ihn schnell in seine Garnison rief. Ich habe keinen Theil an dieser Abreise; der Himmel schütze ihn in dem nahen Kriege. Ich liebe ihn wie meinen Sohn, er hat glänzende Talente und wird hoch steigen. Ich denke, fügte er stolz hinzu, einst den Marschallstab in seinen Händen zu sehen.
Doch ehe die Brigade nach dem Süden aufbricht, sagte Angelica, wird er uns noch einmal wiedersehen.
Er soll uns willkommen sein, als ein naher theurer Verwandter, den als solchen zu ehren unsere Pflicht ist, erwiderte der Marquis kalt.
Dann brach er das Gespräch ab und nahm die Gelegenheit wahr, mich mit der reichen Bildung Angelica's bekannt zu machen.
Es wurden Bücher herbeigeholt und sie las in mehren Sprachen, dann kam der Abbé, ein Meister der Dialektik, und kleine Streite wurden geistvoll ausgefochten. Buchette war in den Fächern strenger Wissenschaften ebenso wohl bewandert; wie mit der Lage der Welt, mit allen Staaten und der Politik der Zeit vertraut. Seine Urtheile waren ganz im Sinne seiner Partei, aber er wußte sie klar und mit scharfem Verstande zu vertheidigen. Endlich wurden die neuen Journale gebracht, man las und bespöttelte die abweichendsten Meinungen, prophezeite die Zukunft und der Vormittag verging auf die angenehmste Weise.
Dann machte ich mit Angelica einen Spaziergang in die Gärten, oder auch in das Thal hinab, wo sie liebevoll den Armen Spenden vertheilte, mit den Kindern scherzte und sie beschenkte und für jeden ein freundliches Wort hatte. Alle liebten sie; dankende, anbetende Blicke folgten ihr; wie hätte ich zu einer stillern, ruhigern Freundschaft gelangen können?! –
Der Abend vereinte uns wieder im Salon, und im Austausch unserer Gedanken trennten wir uns endlich, wenn der Marquis zu seinen Andachtsübungen das Zeichen gab. Wie gerne hätte ich sie begleitet, an ihrer Seite gekniet, das kleine Gebetbuch gemeinsam gehalten und zum Herrn der Welt gefleht, mir diesen Hort zu schenken. Ich that es einsam, ich durchirrte den Garten und saß mit gefalteten Händen stundenlang auf der Stelle, wo sie mir gesagt hatte, daß Entsagung mein Loos sei.
So verging eine Woche, und ich schwelgte bald in den süßesten Hoffnungen, bald verzweifelte ich und ein menschenfeindlicher Grimm zehrte an meinem Leben. Angelica war immer gleich gütig, gleich vertrauungsvoll, aber mit jener feinen, kalten Grenze, welche nur das liebende Herz empfindet.
Der Marquis bemerkte es nicht; er freute sich unserer Einigkeit und seine Zuversicht stieg mit jedem Tage. Die Andeutungen seiner Hoffnungen wurden stärker, er rühmte laut die schnelle, schöne Verbindung unserer Gefühle, und meine Nerven zitterten vor Kummer und Verzweiflung. Oft schien mir dieser Zustand unerträglich, und ich eilte mit dem Abbé in die Berge hinaus, irrte durch Felsen und Wälder, während er Kräuter suchte oder hülfreich Kranken und Leidenden beistand, und warf mich endlich, erschöpft an Leib und Seele, auf den höchsten Klippen nieder und starrte in die Wildniß, bis Buchette nach langem Suchen mich auffand.
Diesem stillen, kalten Beobachter war mein Zustand nicht entgangen, aber absichtlich schien er ihn nicht zu bemerken. Er sprach von Allem, nur nicht von meinem Leid; ja, es schien ihm Vergnügen zu machen, mich als einen Glücklichen zu preisen, und er steigerte meine Leidenschaft, indem er mir Angelica's Vorzüge, die Seligkeit ihres Besitzes mit den schönsten Farben malte.
Plötzlich schwieg er dann, brach irgend eine Pflanze, deren wunderbaren Organismus und besondere Heilkräfte er mir erklärte, oder er fing ein schwärmendes Insekt und sprach mit Begeisterung von der hohen Weisheit des Schöpfers. Leise knüpfte er die Religion an diese Betrachtungen und wünschte seufzend, daß der Himmel auch mich zur rechten Verständigung führen möge, damit mein Bund mit dem frommen Fräulein von Sallanches niemals durch Zweifel und religiösen Unfrieden gestört werde.
Aus meinen trüben ablehnenden Antworten entspann sich dann ein Streit, der ihm Gelegenheit gab, sich über den uralten, heiligen Glauben seiner Kirche und deren Satzungen zu verbreiten. Er schilderte mir den Trost, welchen sie allein geben könne, die Ruhe des Gemüths, die Stärkung in Prüfungen, die Vorbitten und Büßungen der Sünden, der kalten, nackten Moral meines Glaubens gegenüber, mit verlockender Beredsamkeit, und suchte mich ohne Beleidigungen und Bitterkeit zu überzeugen, daß die verschiedenen, aus dem Schooße der allein seligmachenden Kirche entsprungenen Neuerungen des Christenthums nichts als wilde Auswüchse seien, deren Irrthümer er mit Scharfsinn und Gelehrsamkeit zergliederte.
Eine wunderbare Beruhigung durchglühte mich oft auf Augenblicke, und mehr als einmal war ich im Begriff, mich in seine Arme zu werfen und zu rufen: Gieb mir Angelica, Versucher, und ich will Dein sein für Zeit und Ewigkeit! Aber eine Traurigkeit, wie ich sie nie gekannt, glitt dann durch meine Seele. Ich fühlte mich schwach und auf dem Wege des Verderbens, ohne die Kraft zu haben, mich gewaltsam zu erheben. Mit wahrhaft fieberischer Unruhe sehnte ich den Augenblick herbei, wo ich dem geliebten Mädchen nahen durfte, und wenn er kam, fielen alle bittern Schmerzen mich an und ich wünschte sie auf ewig vergessen zu können.
Dieser Zustand konnte nicht lange währen, ohne nachtheilig auf meine Gesundheit, auch körperlich, zu wirken; nichts verzehrt rascher, als ein tiefer Liebeskummer. Die fortwährende Spannung der Gefühle machte meine Nerven so reizbar, daß ich in ewiger Exaltation der Empfindungen lebte, und dann versank ich wieder stundenlang in eine Verdumpfung, welche mich unfähig für alles äußere und innere Leben machte.
So saß ich eines Morgens, den Blick fest auf Angelica gerichtet, welche dem Marquis die neuesten Journale aus Paris vorlas, und verlor mich in tausend wirren Träumen. Die Sonne glänzte hell in den Salon, aber dennoch schienen Nebel sich vor meine Augen zu spannen und die leisen Worte der Lesenden kamen mir aus unendlich weiter Ferne zu.
Plötzlich stockte Angelica; sie murmelte einige Worte, welche ich nicht verstand, dann wandte sie sich zu mir und ich sah das schöne Gesicht von einer hellen Röthe übergossen.
Lies doch weiter, mein Kind, sagte der Marquis, neugierig den Kopf erhebend, was sagen die Narren von Zeitungsschreibern?
Angelica schien einen Augenblick nachzusinnen, dann nahm sie das Blatt und las mit fester Stimme:
Aus guter Quelle kommt uns die Nachricht zu, daß in den Regimentern der Reserve, welche zum Aufbruch nach dem Süden bereit sind, der Geist der Unzufriedenheit sich zeigt. Man ist einer geheimen Verbindung auf der Spur, deren Verzweigung ausgedehnt scheint, und nennt die Namen einiger Offiziere, welche in der letzten Zeit sich besondere Mühe gaben, das Vertrauen des Königs zu gewinnen. Wir beklagen die Verblendung, mit welcher man an die Besserung von Menschen glaubte, deren frühere Laufbahn hinlänglich bewies, daß sie unverbesserlich sind, und selbst höhere Stellen im Heere ihnen übergab. Eine strenge Untersuchung ist eingeleitet und Befehl zur Verhaftung der Beschuldigten ertheilt.
Nun folgte eine lange Beschuldigung in der wüthendsten Partheisprache und die Hoffnung, daß diese neue Verschwörung und undankbare Heuchelei endlich eine vollkommene Reinigung der Armee von allen Unruhstiftern bewirken werde.
Recht! rief der Marquis, das sind auch meine Gedanken; es gibt Wenige, welche Nachsicht verdienen. Laforce ist der Einzige, den ich kenne, aber für ihn bürge ich mit meinem Leben; er wird sich freuen, Gelegenheit zu haben, dem Könige seine ganze Ergebenheit zu zeigen.
Eine lebhafte Unruhe schien Angelica zu erfüllen, und während Sallanches mit Eifer über die alten Militairs der Kaiserzeit sprach, welche niemals dem Könige treu anhängen würden, trat sie hinaus in den Garten und wendete sich dann mit der Bitte zu mir, sie auf einem Spazierritte zu begleiten, wenn ihr gütiger Vater es erlaube.
Im Namen des Himmels! rief der Marquis; geht, meine Kinder, ich bleibe gern hier zurück; sendet mir den alten Joseph, ich werde mit ihm plaudern, bis der Abbé kommt, der ins Gebirge gewallfahrtet ist. Mein Herz freut sich, wenn ich Euch so vereint und fröhlich sehe; kommt in meine Arme und mein Segen begleite Euch für immer.
Mit tiefer Rührung umarmte und küßte Angelica den Vater, und als wir weit fort durch die Thäler eilten, war sie noch immer mit sich selbst in so ernsten Gedanken beschäftigt, daß sie dem muthigen Pferde die Zügel ließ, das pfeilschnell den Weg verfolgte. Ich blieb an ihrer Seite, obwohl sie meine kleinen Fragen nicht beachtete; aber ihr rasches Thier zwang mich, das meine beständig anzutreiben, und endlich ward ich verdrüßlich über diese Hast und ihr hartnäckiges Schweigen.
Die Kapelle lag hinter uns und nun ging es in ein Gewirr von Felsen, wo der steile Pfad offenbar halsbrechend für einen verwegenen Reiter war.
Welcher böse Geist, rief ich endlich, und warf mein keuchendes Pferd halb vor das ihre, treibt Sie in diese Schlünde? Nicht meiner Sicherheit, nicht dieser armen Geschöpfe, aber Ihrer selbst wegen bitte ich Sie, vorsichtig zu sein.
Es sind Gebirgspferde, versetzte sie ruhig, die selten straucheln; doch wir haben nicht weit mehr, – sie wies mit der Gerte auf den höchsten Punkt des Bergzuges, zu welchem der Rücken ziemlich steil hinaufstieg; dann trieb sie das Pferd von neuem an und ich folgte, unmuthiger durch diese karge Antwort.
Endlich hielten wir auf der breiten Fläche und ein Ausruf der Bewunderung entfuhr mir unwillkührlich. Das ganze Gebirge lag aufgerollt vor mir. Seine Wälder, seine Schluchten, die reizenden, grünen Thäler, welche es nach allen Seiten durchschnitten. Im Hintergrunde das Schloß, in unermeßlicher Ferne, blaue, gewaltige Berge und vor mir im Grunde Städte, Dörfer, Mühlen, das rege Leben der Menschen, ein wunderbar göttliches Panorama.
Ist es nicht belohnend, sagte Angelica, hier hinabzublicken in die Ewigkeit der Schöpfung? O, man möchte, von allen Mühen erlöst, sich in die Arme Gottes stürzen und sterben können! Sie hob die Augen zum Himmel und senkte sie dann in den Abgrund zu unsern Füßen. In senkrechter Steile fiel die Felsenwand in ein schwarzbewaldetes Thal. Unten schäumte ein wilder Bach, der von einer Klippe niedersprang und zu unsern Füßen in einem Spalt verschwand. Sein dumpfes Rauschen klang zu uns empor, sein helles Wasser glich einem glänzenden Faden. Die hohen Waldbäume waren kleine, grüne Stäbchen, eine Heerde Rinder im fernen Grunde schien die zierliche Arbeit eines Nürnberger Fabrikanten zu sein.
Plötzlich wendete sich Angelica zu mir und reichte mir die Hand.
Ich habe eine Frage, sagte sie, aber erst schwören Sie mir bei dem heiligen Gotte, an den wir Alle glauben, daß Sie Wahrheit antworten wollen.
Wenn es in meiner Macht steht, erwiderte ich, so nehmen Sie meinen Schwur.
Es gibt Augenblicke, versetzte sie zitternd, wo Leben und Seligkeit eines Menschen an einem Worte hängen können. Ihr Heiligen des Himmels, schützt mich vor Wahnsinn!
Sie ließ die Zügel des Pferdes fallen und hob die verschlungenen Hände bittend zu mir auf.
Was wollen Sie wissen, rief ich bestürzt. Um Gottes willen, was ist geschehen?
Leugnen Sie nicht, Albrecht, sagte sie flehend, Sie wissen zu gut, was mich unglücklich macht. Laforce ist des Verrathes angeklagt und meine ahnungsvolle Seele, heilige Jungfrau, Deine warnende Stimme in meiner tiefsten Brust spricht zu deutlich.
Sie zog ein Papier aus der Tasche ihres Kleides, es war das Journal.
Sehen Sie hier, fuhr sie fort, was ich meinem Vater verschwieg. Hier steht bei den Namen der Offiziere der Oberst Graf L. und der Ort seines Aufenthaltes. Wer kann es sein als er? Wen träfe der Maß wie ihn? Und wer könnte es wagen, ihn zu beschuldigen, wenn es nicht Gewißheit wäre? Man hat mehr als einmal mir Andeutungen gegeben, daß ich hintergangen sei.
Wer wagt das? rief ich erstaunt.
Gewiß nur er, der alles wagt, versetzte sie ruhiger, der Abbé. Vor wenigen Tagen erst fand ich einen Brief voll geheimnißvoller Worte gegen Laforce, und Winke, daß Sie von allen verderblichen Plänen unterrichtet seien, aber ein Schwur Ihren Mund schließe. Ich finde manche Aehnlichkeit in seinen Andeutungen und dem Artikel dieses Journals. Buchette hat viele Verbindungen, er steht mit wichtigen Vereinen in Paris in genauem Zusammenhange; haben Sie jemals ihm ein Geheimniß vertraut? Haben Sie mit ihm von Laforce gesprochen?
Niemals! versetzte ich mit Ueberzeugung.
Dann, sagte sie, haben böse Geister ihm Nachricht gebracht und unser Verderben beschlossen. Auch von meiner geheimen Reise nach Paris weiß er und ich bin in seinen Händen. Mein Vater erlaubte mir, auf einige Wochen meine Cousine Florentine in Dijon zu besuchen. Als ich sie zu überraschen gedachte, war sie im Begriff nach Paris zu reisen, um wenige Tage dort zu verweilen. Laforce war dort, man bestürmte mich mit Bitten; ich wußte, daß mein Vater schwer zürnen würde, wenn ich Florentinen begleitete, und doch war ich schwach genug, ihr zu folgen. Tiefes Geheimniß sollte diese Reise bedecken, aber der Himmel wollte es anders. Sie wissen, welcher Unfall uns traf, als wir so eben zur Oper fahren wollten. Sie retteten mich, so retten Sie mich auch jetzt; haben Sie Mitleid, mein theurer Freund, sagen Sie mir, ob ich länger leben darf.
Buchette, sagte ich schmerzlich, hat nur zu Recht, daß ein heiliges Wort meine Zunge bindet. Warum, Angelica, durfte ich Sie nicht früher finden, um mit aller Glut einer edeln Liebe zwischen Sie und diesen finstern Schatten zu treten!
O, Ihr Alle. verleumdet ihn, weil Ihr ihn haßt, weil Ihr ihn nicht kennt! rief sie erbittert. Er ist ein Mann, wie kein zweiter neben ihn sich stellen darf. Stolz, kühn, edel, seine Seele rein von allem Bösen, sein Herz voll der höchsten Tugenden. Und wenn er selbst mich täuschte, so war es seine Liebe, die ihn zum Verräther machte. Ihr guten Heiligen! Welche Kämpfe muß das stolze Herz gerungen haben, ehe es sich bis zur Lüge erniedrigen konnte. Aber es ist nicht wahr, ich werde und will nur glauben, was sein eigner Mund sagt, nichts soll uns trennen. Glauben Sie mir, Seelen, die in ewiger Liebe vereint sind, kennen den Weg zur Rettung und zittern nicht.
Ihr Gesicht glühte in Leidenschaft und Schmerzen, plötzlich wandte sie sich gegen den Gebirgspfad, der zur Kapelle führte. Ein Reiter zog fern den Weg hinauf, hinter ihm folgten zwei Andere.
Heilige Jungfrau! rief sie, und warf ihr Pferd herum, das ist Dein gnädiges Werk. Bleiben Sie zurück, mein Freund, Sie dürfen mir nicht folgen!
Ihr heftig angetriebenes Pferd flog den Abhang hinunter und zwischen die Felsen hin. Sie schlug es mit der Gerte und achtete nicht die furchtbare Gefahr, zu stürzen oder geschleift zu werden. Ich zitterte für sie; ihr grüner Schleier löste sich vom Hute und schwamm in den Lüften, die ihn mir entgegentrieben. Zuweilen schien das edle Thier unter der kühnen Reiterin zu sinken, dann arbeitete es sich von Neuem empor und endlich sah ich sie auf ebenerm Wege in gestrecktem Galopp bei der Kapelle vorüber in die Hohlwege hinab eilen, wo sie den Gegenstand ihrer Hast erreichen mußte.
Als ich mein Pferd in Schritt setzte, um ihr zu folgen, trat ein Mann aus dem Lerchenwalde am Fuße des Bergrückens und erwartete mich.
Es war der Abbé, der in der Hand Angelica's grünen Schleier hielt. Ein heftiges Gefühl des Mißmuths ergriff mich und mit feindlicher Kälte erwiderte ich seinen Gruß. Aber so groß war der magische Einfluß dieses wunderbaren Mannes, daß ich nach wenigen Augenblicken mich des Gedankens nicht erwehren konnte, diese edeln, ausdrucksvollen Züge seien keiner Lüge fähig. Eine bezaubernde Ruhe lag in seinem Wesen, Liebe und Güte vermischte sich mit der tiefen Verständigkeit eines Weisen, und wenn ich sein wohlthätiges, segensreiches Wirken, seine große Gelehrsamkeit und die philosophische Milde seiner Gesinnungen bedachte, kam es mir frevelhaft vor, ihn so gemeiner, gehässiger Intriguen fähig zu halten.
Lächelnd wies er auf das Gewebe in seiner Hand und dann nach der Gegend, wo Angelica verschwunden war. Sie haben nichts von der schönen fliehenden Freundin behalten, als diesen Schleier, sagte er; wissen Sie auch, wem dieser eilige Rückzug gilt? Doch, fuhr er fort, ohne die finstere Falte auf meiner Stirn zu beachten, Sie werden nicht zürnen, daß das Fräulein dem ältern Freunde nacheilt, sie hat mit dem Obersten viel zu sprechen, es mag wohl nöthig sein, daß es schnell geschieht.
Und was sollte diese Eile so dringend nöthig machen? sagte ich kalt, und beobachtete scharf seinen forschenden Blick.
Wollen Sie meine Meinung hören, erwiderte er, so begleiten Sie mich in den Flecken hinab. Dort unten am Walde steht mein Pferd; ich habe heute weite Wege gemacht im Dienste Gottes und der Menschen und mehr als ein Geschäft noch zu vollbringen. Lassen Sie die edle Dame bei dem Paladin, wir wollen erwägen, welche Mittel nöthig sind, ihr Herz von einer verderblichen Leidenschaft zu heilen.
Er schritt rasch auf einem Seitenpfade voran, der sich in eine tiefe Schlucht niederwand. Bald erreichten wir eine Köhlerhütte, deren Bewohner ehrfurchtsvoll den Klepper des Abbé herbeiführte, und nun ritten wir durch Felsenpässe hinunter in ein schmales Thal, über dessen äußerstem Rand der Thurm der kleinen Stadt aufstieg.
Erst als der Weg ebner und breiter wurde, nahm Buchette, der bisher von seinen Besuchen in den Wohnungen der Armen und dem Leben dieser Waldbewohner gesprochen hatte, seinen Platz an meiner Seite. Der strengste Ernst umwölkte sein Gesicht, mit einer Mischung von Theilnahme und Unwillen schien er mich zu betrachten.
Wenn ich, sprach er dann, mich mit Ihnen vereine, um Ihr Glück und die Ruhe des edeln Hauses von Sallanches zu sichern; so muß ich doch zuvörderst strenge Rechenschaft von Ihnen fordern. Ja, mein Herr, Rechenschaft über den Frevel, welchen Sie befördern halfen.
Ich verstehe Sie nicht, Herr Abbé, sagte ich ziemlich erstaunt.
Wie? fuhr er fort, wagen Sie das wirklich zu behaupten? Aber Sie sind ein Neuling in dem Reiche der Lüge. Ihre Wangen glühen, Ihre Stirn ist nicht so ehern, um glatt und gleich zu bleiben, und Ihren Augen fehlt, den Heiligen sei Dank! der sichere Blick.
Und wessen in aller Welt beschuldigen Sie mich denn? rief ich lächelnd.
Der Undankbarkeit gegen den Marquis, der Heuchelei, der äußersten Schwäche Ihres Herzens, das an sich selbst den schlimmsten Verrath begangen hat. Oder haben Sie nicht, zur Schmach Ihrer selbst, eine ungehorsame Tochter in pflichtvergessenen Gefühlen bestärkt? Haben Sie nicht einen Greis, dessen ganzes Lebensglück an einer Verbindung hängt, welche auch Ihnen ein schönes Loos verhieß, getäuscht? Haben Sie nicht in Verblendung sich zum Werkzeug eines gewissenlosen Mannes erniedrigt, der Alles elend macht, und am meisten die, welche er liebt? Ich weiß, rief er, ohne mich antworten zu lassen, was Sie sagen können. Sie haben Ihrem Glauben nach edel gehandelt. Eine kurze Unterredung, die Bitten eines Mädchens haben hingereicht, nicht allein dem gefährlichen Nebenbuhler zu weichen, sondern selbst sein Verbündeter zu werden. Aber doppelt strafbar sind Sie, der Sie eine edle Dame liebten, sie in den Händen des Verderbers wußten, seine abscheulichen Verbrechen kannten und mit offenen Augen dennoch das Lamm den Klauen des Wolfs überließen. Ein Schwur bindet Ihre Zunge, aber was sind die Schwüre der Menschen, wenn sie frevelnd der Sünde geleistet werden? Solchen Schwur rächt der Himmel, es ist Verbrechen, ihn zu geben, zehnfaches Verbrechen ihn zu halten; unter diesem Deckmantel des Gewissens gute und edle Menschen verderben zu lassen oder Blut und Elend über Könige und Völker zu bringen, den Frieden und das Glück von Millionen Wesen zerstören zu helfen.
Ich fasse den Sinn Ihrer Worte nicht, fiel ich ein; aber wenn Sie glauben, daß ich von dem Leben des Grafen Laforce mehr weiß, als Andere, und sogar ein Eid mich bindet, so irren Sie. Ich liebe Angelica, und welches Opfer würde zu groß sein, um sie zu besitzen! Aber welcher Mann von Ehre würde nicht zurücktreten, wenn er die Gewißheit empfängt, daß er nie auf Gegenliebe rechnen, daß man den Tod eher als seine Hand wählen wird.
Dann, sagte Buchette, waren Sie dem Marquis Wahrheit schuldig.
Sie haben nie geliebt, Abbé, Sie kennen die Qualen des Herzens nicht.
Ich beklage Sie, erwiderte er sanft, aber ich darf Sie nicht lossprechen. Doch, wenn Sie mir ganz vertrauen, mich ganz als Ihren wahren Freund betrachten, so hoffe ich mit Hülfe der heiligen Jungfrau, Sie noch jetzt auf den Pfad des Glückes zu führen. Kennen Sie, als ein Mann der Welt, die Verzweiflung eines jungen Mädchens so wenig? Das Fräulein von Sallanches ist hochgeartet, von großer Willenskraft und gewaltsamer Entschlüsse fähig. Sie liebt den Rasenden, der verbrecherisch seine Hand an Thron und Kirche legt, aber sie wird ihn hassen; denn sie ist der Religion treu ergeben, voll heiliger Grundsätze, voll Anhänglichkeit an die schöne Zeit ihrer Ahnen. Er hat sie betrogen, und der Fluch ihres Vaters hat ein größeres Gewicht als ihre Liebe. Und glauben Sie nicht, fuhr er lächelnd fort, daß die Liebe sich aus den Schmerzen neu hervorringen wird? Daß diese junge, zärtliche Gestalt sich dann voll Dankbarkeit zu dem Retter wendet, der sie dem Verderben entriß und der schon jetzt ihr gewiß nicht ganz so gleichgültig ist, als es scheint?
Halten Sie ein! rief ich erschüttert; was soll, was kann ich thun?
Nichts, als im Namen Gottes die Wahrheit verkünden, sagte er mit feierlichem Ernste. Die Journale aus Paris enthalten Andeutungen einer Verschwörung, deren Haupt dieser gefährliche, schlaue Mann ist. Sie sind strafbar, selbst vor dem Gesetz, wenn Sie zögern, die Entdeckung zu machen; kein Eid kann Sie schützen, aber mehr noch sind Sie sich selbst und dieser edeln Familie es schuldig. Sie sehen, Laforce's Sache ist verloren, auch ohne Sie; lassen Sie nun die Klugheit sprechen und, wenn Sie wollen, mich handeln. Ja, schütten Sie Ihr Herz in meine Brust, fuhr er fort, und seine Stimme nahm den Ton der innigsten Zuneigung an, ein Diener des höchsten Gottes mahnt Sie in seinem heiligen Namen, und so gewiß ich einst hoffe, Ihnen im Schooße der wahren Kirche ein treuer Freund und Beistand zu sein, so gewiß werde ich Ihre Sache zu Ihrem und des Ewigen Ruhme führen.
So einschmeichelnd seine Rede war und wie verwirrt auch meine Empfindungen sich durchkreuzten, so war ich dennoch fest entschlossen, meinen Eid zu halten und Laforce's Geschick durch nichts zu erschweren. Was konnte mir selbst der niedrigste Treubruch helfen? Angelica liebte ihn mit der größten Leidenschaft, ihr edles Herz würde mich verachtet haben, wenn ich dem Priester vertraute.
Und wenn ich Ihnen versichere, sagte ich, daß ich nichts von einem Eide und Verrathe weiß?
Dann sage ich Ihnen, versetzte er kalt, daß ich mit meinen eignen Ohren und aus Ihrem Munde das Gegentheil hörte. Der Himmel wollte es, daß ich hinter dem Rebengeländer stand, als Sie Ihr Gespräch mit dem Obersten am Tage Ihrer Ankunft hielten. Ich weiß Alles, ich weiß, daß Angelica in Paris war, daß sie die Dame war, für welche Sie fast den Tod litten, daß der Plan der ganzen Verschwörung Ihnen in St. Cloud mitgetheilt wurde. Sie sehen, daß Sie nichts zu bekennen, nur zu bestätigen nöthig haben.
Sehr wahrscheinlich, sagte ich mit erzwungenem Lächeln, ist also auch von Ihnen selbst ein Bericht nach Paris an Ihre Obern ergangen und jener Artikel in dem Journale eine Folge Ihrer Entdeckungen.
Und wenn es so wäre, erwiderte er ruhig, könnten Sie mich tadeln, daß ich eine so wichtige Entdeckung zum Heile meines Königs, meines Vaterlandes, ja der ganzen Welt benutzte? Ich hätte dann Ihnen nur den Weg gebahnt, ein edles Werk zu vollbringen und Ehre und Glück auf Ihre Stirn zu häufen.
Mit Lügen und Verrath! rief ich heftig. Ich tadle Sie nicht, Herr Abbé, ja, es kann sein, daß Sie handelten, wie Sie mußten, aber Sie thaten es ganz auf Ihre Gefahr. Ich weiß von keinem Eide, von keiner Verschwörung, von keinem Begegnen des Fräulein von Sallanches in Paris. Hoffen Sie nichts; keine Gewalt wird von mir eine Bestätigung Ihrer Anklage erpressen, selbst Ihnen gegenüber werde ich sagen, daß Sie träumten oder logen.
Der Abbé schwieg und lächelte vor sich hin.
Es thut mir leid, sagte er, ich habe mich geirrt; wir wollen darum nicht zürnen; die Dinge gehen ihren Weg auch ohne Sie und mich, und wenn die Stunde schlägt, wird Ihr Herz sich der Wahrheit öffnen. Wir sind hier an der Stadt, ich habe einige kleine Geschäfte und bitte Sie, im Gasthause mich zu erwarten, denn hoffentlich gönnen Sie mir die Ehre Ihrer Begleitung.
Langsam ritten wir nach dem Hause meines alten Bekannten, Pierre Boulanger. Der dicke Wirth stand an der Thür und empfing mich mit einem Freudenrufe, aber eine finstere Falte legte sich auf sein breites Gesicht, als er meinen schwarzen Begleiter anblickte.
Thomas, schrie er ins Haus hinein, komm und nimm den Herren die Pferde ab!
Im Augenblick trat ein langer, wildblickender Kerl heraus, der einen raschen Blick auf mich warf und dann mit einem grinsenden Lachen seine Mütze zog.
Was, alle Welt! rief er, ist es nicht sonderbar, wie Menschen sich wiederfinden. Ja wohl, mein Herr, alte Bekanntschaft von Paris, freilich eine schlechte Bekanntschaft, aber in jenem Augenblicke war sie mehr werth, als ein Herr im gestickten Rock.
Ich starrte ihn an und schüttelte den Kopf.
Alle Wetter! ich irre mich nicht! schrie er. Erinnern Sie sich nicht des lustigen Abends in der rue Richelieu, wo wir Beide die Püppchen aus dem Wagen trugen? Die Spitzbuben von Dragonern heizten uns tüchtig ein, und wäre der Oberst Laforce nicht zur rechten Zeit gekommen, wir ständen beide nicht hier, denn Sie wären ganz todtgeschlagen und ich säße in Ketten und Banden. Der aber machte mich frei und die schönen Damen beschenkten mich obenein; obgleich meine Ehre sich sträubte, ich mußte nehmen.
Nie war mir die Erinnerung einer Bekanntschaft unangenehmer gewesen. Der Abbé stand ruhig an meiner Seite und kein Blick verrieth seine Theilnahme. Ziemlich gewaltsam machte ich mich von dem Erzähler los, und nachdem er mir noch zugeschrien hatte, daß Pierre Boulanger sein Bruder sei, daß er zum Besuch hier eingetroffen wäre und sich unendlich freue, mich wiederzusehen, führte er die Pferde fort.
Der Abbé entfernte sich höflich grüßend und ich folgte dem geschwätzigen Wirthe, der den Tisch decken ließ, seinen besten Wein herbeischaffte und von seinem Bruder Wunderthaten erzählte, der als alter Grenadier des Kaisers alle Feldzüge mitgemacht hatte und dann als Arbeiter in Paris lebte, bis, wie Pierre sagte, die Polizei der Bourbons die Gesinnungen dieses wackern Bürgers verdächtigte und ihn so scharf aufs Korn nahm, daß er es vorzog, eine Zuflucht bei ihm zu suchen.
Nach einiger Zeit kam Thomas herein und mein erstes Wort war die Bitte, meinem Begleiter durchaus keine weitern Eröffnungen über jenes Abenteuer zu machen. Er hörte aufmerksam zu, ein Geschenk wies er aber auch diesmal zurück.
Ohne Sorge! sagte er; dieser Schwarzrock hätte überdies nichts von mir erfahren, aber meine Zunge lasse ich so wenig kaufen wie meinen Arm. Wollen Sie durchaus etwas für einen alten Soldaten thun, so erlauben Sie mir ein Glas mit Ihnen zu trinken und ein wenig zu schwatzen.
Bald war er im schönsten Zuge seiner Geschichten, denn sein republikanisches Herz offenbarte sich in den kräftigsten Flüchen über jede monarchische Regierung, bei welchen er selbst den Kaiser nicht schonte. Das hieß seinen Bruder bei der schwachen Seite fassen, und der Streit dieser beiden Originale würde mich aufs höchste belustigt haben, wäre ich nicht von so ernsten Sorgen beschäftigt gewesen.
Gedankenlos fast verschlang, ich, was die schöpferische Kunst der würdigen Dame Boulanger mir bereitet hatte, und erst die gellenden Töne eines Posthorns, verbunden mit dem Freudengeschrei meines Wirthes über den nahen Besuch, weckten meine Aufmerksamkeit.
Als ich an's Fenster eilte, hielt eine Reisechaise vor dem Hause, aus welcher ein großer starker Mann so eben heraussprang und Thomas, der ihm behülflich war, mit allen Zeichen der Freundschaft die Hand schüttelte. Dann traten beide in das Nebengemach, und ich hörte sie lebhaft sprechen; die Thür war nur angelehnt.
Ich freue mich, Dich zu sehen, mein alter Kamerad, sagte der Fremde im zutraulichen Zone, das gute Glück wirft Dich gerade jetzt in meinen Weg, wo Du mir sehr nützlich sein kannst.
Was kann ich thun, mein Offizier? versetzte Thomas lebhaft.
Zuerst vor allen Dingen Pferde, rief der Fremde, ich muß fort, so schnell ich kann; dann einen Auftrag für Dich. Du kennst den Obersten Laforce?
Ja, mein Offizier.
Er ist auf dem Schlosse des Marquis Sallanches. Wie weit ist das?
Fünf Stunden im Gebirge.
Thomas, sagte der Fremde, ein Grenadier des Kaisers wird seinen alten Kameraden nicht verlassen. Der Oberst ist in Gefahr; ich weiß, Du liebst ihn; sein Leben hängt an einer Nachricht, willst Du ihm diese bringen?
Und wenn es mein eignes Leben kosten sollte! rief der Veteran. Ich bin bereit.
Diesen Brief mußt Du ihm übergeben und ihm sagen –
Stil, mein Offizier! murmelte Thomas, hier im Nebenzimmer – verdammt, daß ich erst jetzt daran denke!
Er flüsterte leise, dann sagte er laut:
Aber es ist ein Freund des Herrn Obersten, ein echter Freund, bei meiner Ehre!
Plötzlich stieß der Fremde die Thür zurück und stand vor mir. Ein wettergebräuntes Gesicht mit blitzenden Augen und wilden Backenbärten starrte mich an. Es war mein nächtlicher Bekannter aus St. Cloud; auch er erkannte mich und schien völlig unentschlossen, was er zu thun habe.
Wenn, redete ich ihn an, der Oberst Laforce irgend eine Nachricht nöthig hat, so bin ich gern bereit und sogleich zu Ihren Diensten.
Mein Herr, sagte er finster, ich denke, wir kennen uns. Der Augenblick drängt jedoch und ich habe keine Wahl, selbst auf die Gefahr hin, von Neuem verrathen zu werden.
Ihrer Lage, erwiderte ich stolz, werde ich die Beleidigung selbst verzeihen, welche mich überdies nicht berührt.
Wir sind verrathen, versetzte er, und biß die Zähne zusammen, und wenn ich auch nicht weiß, welchen Theil Sie an dem Unheil haben, das uns trifft, gewiß ist es, daß es aus dem Schlosse kam, wo Sie allein darum wußten.
Ich erzählte ihm offen, was ich dachte und betheuerte meine Unschuld.
Das, rief er mit wilder Heftigkeit, ist der Fluch der Schwäche. So sind Sie dennoch die Ursache unseres Unglücks; vergebens warnte ich Laforce, meine Ahnung täuschte mich nicht.
Die Art, mit welcher er gleichsam meine Nichtermordung mir vorwarf, empörte mich.
Sein Sie ruhig, sagte er, jetzt ist Alles verloren; aber vergelten Sie wenigstens seine Güte, indem Sie ihn warnen und retten helfen. Geben Sie ihm diesen Brief und treiben Sie ihn an, schnell zu fliehen. Ich suche die Grenze zu erreichen; das mag er auch thun; aber jede Minute ist kostbar, denn in wenigen Stunden wird es zu spät sein.
Im Augenblick hörten wir die Töne des Posthorns und sahen seinen Wagen bereit.
Ich versprach, für Laforce's Sicherheit nach allen Kräften zu sorgen.
Eilen Sie, junger Mann, versetzte er, wir sind wehrlos in Ihren Händen. Bei Gott! was Sie auch thun mögen, Sie können nicht ersetzen, was verloren ist. Aber wenn Sie ihn retten, wird Ihre Schuld sich verringern, und wenn die Stunde erscheint, wo wir Rechenschaft fordern können, wird dies für Sie sprechen.
Er begleitete seine letzten Worte mit einem finstern, drohenden Blicke und eilte hinaus. Als der Wagen fortrollte, trat Thomas herein.
Ihr Pferd ist gesattelt, sagte er, in drei Stunden können Sie im Schlosse sein.
Und der Kaplan? versetzte ich.
Der Teufel weiß, was der Schwarzrock hat, erwiderte er. Er sitzt bei dem spitzbübischen Maire und soeben versammeln sich die Gensd'armen an dessen Thür.
Diese Nachricht erregte meine ganze Bestürzung. Ohne Zweifel hatte der schlaue Abbé die Absicht, einen Streich auszuführen, bei welchem er der bewaffneten Macht bedurfte. In wenigen Minuten war ich zu Roß und sprengte in die Berge hinein. Aber meine große Eile war, wie es immer geht, weit mehr schädlich als nützlich. Die Gegend war mir gänzlich unbekannt; ich verließ mich auf den Instinkt meines Pferdes, und wie häufig auch diese klugen Thiere den Weg zur Heimath finden, die Hast, mit welcher ich es antrieb, machte es irre.
Durch Hohlwege und wildbewachsene Thäler erreichte ich endlich eine Mühle, deren Bewohner mir die traurige Auskunft gaben, daß ich mich zwei Stunden von der richtigen Straße befände und schwerlich ohne Führer durch diese Wildniß gelangen könne. Nach langem Zögern und Versprechungen von meiner Seite entschloß sich endlich der Mann, mich zu geleiten; aber er war alt und schlecht zu Fuß, der Weg beschwerlich und Schritt für Schritt krochen wir steile Pfade hinauf und hinab, während ich mit Verzweiflung jede Entfernung maß und meinen bösen Stern verwünschte.
Ein trüber Wolkenhimmel bedeckte dabei die Berge, dann und wann umleuchtete ein matter Blitz der Abendsonne die fernen Spitzen und verschwand im nächsten Augenblicke wieder. Lange Säulen von blaugrauen Nebeln lösten sich von den hohen Rücken und sanken langsam in die Thäler, die Ferne ward undurchdringlicher, und je mehr ich mich anstrengte, die weißen Mauern des Schlosses zu erkennen, um so mehr schienen die tückischen Berggeister meiner Ungeduld zu spotten.
Endlich sagte der alte Mann:
Da liegt die Kapelle vor uns auf der Höhe, mein Herr, und von dort ist die Straße nicht mehr zu fehlen. In einer Stunde sind Sie im Schlosse; mein Rückweg ist beschwerlich, – lassen Sie mich umkehren.
Ich beschenkte ihn reichlich und mein Pferd kletterte rasch den Felsenweg hinauf.
Mit tiefer Bewegung gedachte ich des Augenblicks, wo ich zuerst Schutz unter diesem Gemäuer suchte; aber mein Herz pochte heftiger, als ich Pferde unter dem Dache erblickte und einen Mann auf der Schwelle sitzend, der versunken in Gedanken den Kopf mit beiden Händen bedeckte. Als er den Hufschlag hörte, richtete er sich auf. Es war Laforce. Ich eilte auf ihn zu und er reichte mir die Hand.
Unglückseliger Mann, rief ich, eilen Sie, fliehen Sie, Sie sind verloren!
Er winkte mir Schweigen zu, dann wendete er sich gegen die Kapelle und sagte leise:
Sie betet dort, setzen Sie sich zu mir. –
Ich gab ihm den Brief, und während ich ihm mein Zusammentreffen mit dem Offizier, mein Gespräch mit dem Abbé und meinen Verdacht, daß er Böses im Schilde führe, erzählte, las er die Zeilen und zerriß dann das Papier in kleine Stücken, die der Luftzug nach allen Seiten fortführte.
Finster sinnend stand er dann an meiner Seite.
Blanchard hat in seiner Weise nicht Unrecht, sagte er, wenn er meine Schwäche anklagt, aber es sollte so sein, es mußte kommen, wie es kam, und diese Ueberzeugung hat Sie gerettet. Sie werden Manches in meinem Benehmen gegen Sie seltsam gefunden haben und meine Andeutungen haben früher schon Ihre Neugier erregt. Eine Unruhe, ein heftiger Widerwille ergriff mich, als ich Sie zuerst sah; ich kämpfte mit einer Furcht, deren ich mich schämte, mit der warnenden Stimme in mir, und einem Gefühl der Zuneigung, das ich nicht zu unterdrücken vermochte. Diese Widersprüche machten mich schwach, mit jedem Begegnen sah ich, daß die Prophetin nicht gelogen hatte, daß mein Verderben von Ihnen kommen werde, und doch liebte ich Sie.
Ihre Räthsel, erwiderte ich, vermehren sich, statt sich zu lösen.
Ich sagte Ihnen einst, fuhr er düster fort, daß ich Sie gesehen habe, lange vorher, ehe Ihr Fuß unser Land betrat. Es war am Vorabende der Schlacht bei Wagram. Der Kaiser hatte mich mit wichtigen Aufträgen an den General Boudet gesandt; ich sollte bleiben, bis der erste Kanonenschuß fiel. Die Nacht war klar, wir saßen fröhlich im Kreise um das Feuer. Die Soldaten lagerten rund umher und beschäftigten sich mit ihrer Toilette. Sie wissen, daß es im französischen Heere Gebrauch ist, im glänzendsten militairischen Putz die Schlacht zu beginnen. Nicht weit von uns stand eine Reihe von Fässern, aus welchen die Quartiermeister Rum und Reis vertheilten, und Forderungen, Bitten, Flüche und Schimpfreden schalten von dort herüber. Plötzlich hörten wir eine helle Weiberstimme, die, von rauhen Scheltworten übertäubt, immer von Neuem daraus hervorbrach.
Du? rief die kreischende Stimme, Spitzbube von Fourier! Du willst mir einen elenden Tropfen Rum verweigern? Gieb fort, gieb Alles fort! Deine Minuten sind gezählt, in sechs Stunden werden drei Kugeln sich in Deinen Körper theilen. Wir hörten nicht, was der Bescholtene antwortete, aber ein brüllendes Gelächter folgte.
Das ist das Teufelsweib, die spanische Markedenterin! rief einer der jungen Offiziere. Wir wollen uns wahrsagen lassen.
Dieser Vorschlag ward angenommen und nach wenigen Augenblicken trat das Weib zu uns. Sie war riesenhaft groß, alt und häßlich. Ihre glänzenden, schwarzen Augen funkelten unter ergrautem Haar, das aufgelöst um den schmutzigen Körper flatterte. Man hatte sie gemißhandelt, denn ihre Lippe war blutig, und ihre Gestalt, vom nächtlichen Feuer überzittert, glich ganz einer höllischen Erscheinung. Nach der Reihe zeigten wir unsere Hände und ihre stieren Blicke hafteten dann lange auf den Linien unserer Gesichter. Endlich erfolgten die Urtheilssprüche, welche sie mit dumpfer Stimme hervorstieß und die unser Gelächter und Spott begleitete. Näher oder entfernter verkündete sie fast allen den gewaltsamen Tod.
Endlich kam sie auch zu mir. Ich fühlte mich unangenehm erregt und stimmte nicht in den lauten Jubel.
Weib, rief der General Boudet, Du hast mir gesagt, daß ich nicht in dieser Schlacht, wohl aber aus Kummer wenige Tage später sterben würde, ohne das schöne Frankreich wiederzusehen. Nun blicke auf diesen ernsthaften Offizier, der sein muß, wo die Gefahr am größten ist, und wenn Du ihm sagst, daß er morgen den Tod der Tapfern stirbt, wird er Dich doppelt belohnen.
Er wird leben, sagte die Alte schnell und dumpf, länger leben als Ihr Alle. Er wird steigen und mächtig werden. Könige werden ihr Ohr zu ihm neigen. Fürchtet Euch nicht vor dem Krieg, rief sie mir zu, keine Kugel hat Macht über Euch, kein Schwert ist für Euch geschliffen, aber hütet Euch vor der Liebe, ja, die Liebe wird Euch verderben!
Ein anhaltendes Gelächter verschlang ihre letzten Worte. Plötzlich griff sie in ihre Tasche und zog einen kleinen Spiegel heraus, den sie vor meine Augen hielt. Auf seiner trüben Fläche schien ein Nebel zu liegen, der nach und nach ein Bild wurde. Das Feuer blitzte hell hinein, ich erkannte es genau und unauslöschlich schwebte es seit diesem Augenblick vor mir.
Seht ihn an, rief die Hexe, merkt genau auf diesen Mann, wenn er Euch erscheint, wird er Euch verderben.
Und dies Zauberbild hatte Aehnlichkeit mit mir? sagte ich, traurig über den Wahn, der sein Leben zerstörte.
Sie waren es, erwiderte er. Ich stürzte mich in tausend Gefahren, und keine Kugel, kein Schwert berührte mich. Anfangs lachte ich, wie Alle, aber mein Glück war wunderbar. Der General Boudet starb in Olmütz aus Kummer über seine Niederlage und den Rückzug bis zur Donaubrücke, obgleich ihm der Kaiser dies als einen Sieg anrechnete, weil er ihn zum Opfer hingeworfen und seine Vernichtung als gewiß betrachtet hatte. Alle meine Gefährten traf das verkündete Loos; wie hätte ich hoffen sollen, daß das meine mich verfehlte? Dieser Gedanke verfolgte mich wie ein Gespenst. Es mußte kommen, ich wartete darauf, und als ich Sie sah, war ich überzeugt, daß mein Verderben nahe.
Oberst! rief ich erschüttert, mein theurer Freund! Durfte Ihr starkes Herz, Ihr heller Verstand sich vom Aberglauben zum eignen Verderben führen lassen? Nur aus diesem Wahne ist das Unglück hervorgegangen, um uns Alle elend zu machen.
Er drückte mich an seine Brust, Thränen füllten seine Augen.
Ich bin erlöst von meinen Leiden, sagte er; wie es auch kommen mag, ich fühle eine reine Versöhnung in mir. Angelica weiß Alles, sie ist mein, sie wird mich nie verlassen. Ich habe geschworen, nur ihr zu leben, und kann denn nicht noch Alles sich in Frieden lösen und die Zukunft uns eine neue Sonne bringen?
Zuvörderst denken Sie an Ihre Sicherheit, versetzte ich.
Ich habe daran gedacht, erwiderte er. In einem Seitenthale erwartet uns ein treuer Diener, der Alles zu unserer Flucht bereit hält.
Uns? sagte ich mit heftiger Bewegung. Eine Ahnung durchzitterte mich.
Uns, versetzte er, mich und Angelica. Sie kann sich nicht von meinem Schicksale trennen, ich kann nicht leben ohne sie. Ja, beim heiligsten Gott! dieser Gedanke allein gibt mir Muth zur Rettung.
Und der Marquis, sagte ich, der alte verzweifelnde Vater?
Trösten Sie ihn, mein theurer Freund, rief Laforce bittend; machen Sie jetzt den Aberglauben zur Lüge. Richten Sie ihn auf, befreien Sie ihn aus den Händen des schurkischen Pfaffen und sein gütiges Herz wird sich zur Versöhnung neigen. Er liebt mich und Angelica, er wird verzeihen und seine Kinder werden mit ihm glücklich sein.
Ich war betäubt von Dem, was ich hörte. Da trat Angelica aus der Kapelle mit der Ruhe einer Heiligen.
So ist es wahr, rief ich im heftigen Schmerze, Sie wollen Vater und Vaterland verlassen, mit dem Verbannten entfliehen?!
Mit dem Manne meiner Liebe, sagte sie, mit meinem Gatten. Ja, Albrecht, und Sie werden uns mit dem Vater versöhnen. Ich habe zum letzten Male hier zur heiligen Jungfrau gebetet und fühle mich ruhig. So gewaltsam muß ich die Bande lösen, mit welchen Buchette den Sinn meines Vaters umstrickt hat. Der Bösewicht weiß, daß nichts mich von Laforce trennen kann, daß ich den Tod seinen Plänen vorziehe. Nicht meine arme Person, aber das Vermögen meines Hauses ist sein Ziel. Er trieb Sie an, Laforce zu verderben, denn er wußte zu gut, daß nichts mich bewegen würde, Ihnen dann meine Hand zu reichen. Ein Kloster, oder früher Tod, oder der Fluch meines alten Vaters sollten mein einziges Erbe sein. Er hat sich verrechnet in seinen Plänen, und Sie, mein edler Freund, ja, Sie werden und müssen als unser Schutzengel Verzeihung uns erflehen.
Ein verworrenes Geräusch, der Hufschlag von Pferden und Stimmen drangen zu uns her; mehre Gestalten, welche rasch der Kapelle nahten, wurden sichtbar.
Fort! fort! rief ich mit tödtlicher Angst. Es sind Buchette und die Gensd'armen.
Laforce hob das Fräulein auf ihr Pferd und schwang sich auf das seine. Halten Sie sie auf so lange Sie können, rief er mir zu, und das letzte Lebewohl der Fliehenden verscholl in der Eile ihrer Flucht. Sie nahmen den Weg, welchen Angelica mich am Morgen führte, und wenige Minuten später war ich von Reitern umringt, an deren Spitze der Abbé, ein Offizier und ein junger Mann waren, der sich sogleich in meine Arme warf. Es war Alfred Montigny.
Ich habe das Unheil gehört, ich komme von Paris, war Alles, was er mir sagte.
Die Stimme des Abbé's unterbrach ihn.
Sie waren hier, rief er; dort hinab, ich sehe den Verräther!
Mit Ungestüm fiel ich dem Pferde des Offiziers in die Zügel und riß es zurück.
Im Namen des Königs! schrie der Abbé, verhaften Sie diesen Herrn, der den Verbrecher beschützt.
Ich wurde zur Seite geschleudert, die Gensd'armen sprengten den Weg hinab; Montigny hielt mich fest.
Unglücklicher! rief er mir zu, fliehe selbst, man hat Verhaftsbefehle gegen Dich und Du verdirbst mit diesen.
Mehre Pistolenschüsse fielen vor uns. Alfred sprengte den Hohlweg hinan, von Entsetzen getrieben folgte ich ihm. Als wir die Höhe des Bergrückens erreichten, flog ein reiterloses weißes Pferd an uns vorüber; es war der Zelter Angelica's, der im rasenden Galopp den Rückweg suchte. Aus dem Kranz düstrer Wolken brach das glühende Abendroth und warf ein blutiges Licht über die hohe Fläche. Ich sah die wilde Jagd über den Kamm der Berge streichen. In der Ferne Laforce, der in seinen Armen den theuern Raub hielt, und hinter ihm ein zerstreutes Rudel schwarzer Gestalten, die mit Rachegeschrei an seinen Fersen waren.
Allmächtiger Gott! rief ich, sie sind verloren, der Abgrund liegt vor ihnen!
Im Augenblick hob sich das mächtige Thier des Obersten in die Luft; seine schlanken Füße hieben in die rothen Strahlen des Sonnenlichts als suchten sie dort einen Halt; dann schnellte sich der Körper in einem gewaltigen Sprunge vorwärts und ein Schrei hallte seinem Verschwinden nach.
Meine Augen dunkelten, ohnmächtig stürzte ich vom Pferde.
Als ich erwachte, war Alfred um mich beschäftigt. Es war finster und still, er hielt meinen Kopf in seinen Armen.
Wo ist Angelica? rief ich, und faßte seine kalten Hände.
Er deutete vor uns in den Abgrund.
Auf immer vereint mit ihm, sagte er leise. Aber Du mußt fort von hier, Du darfst das Schloß nicht wieder betreten. Man würde Dich verhaften und eine strenge Untersuchung, ein langes Gefängniß würde Dein Loos sein. Ich bin der nächste Verwandte des Marquis und werde für Alles sorgen.
Widerstandslos ließ ich mich leiten. Ein treuer Diener Montigny's brachte mich nach dem Flecken, wo Pierre Boulanger Alfred's Wagen bespannte, und wenige Stunden später fuhr ich der nahen Grenze zu.
Den Zustand meiner Seele zu beschreiben, wage ich nicht; eine lethargische Abspannung schützte mich allein vor Wahnsinn. Montigny's Diener blieb in dem Grenzorte und sorgte für mich, bis am nächsten Abend Joseph eintraf.
Als der alte Mann vor mein Bett trat, glühte die Hitze des Fiebers in meinen Adern. Ich suchte in seinen Zügen nach Rettung, und fand nur Unheil darin geschrieben.
Rede, rief ich, sie sind nicht todt! Er reichte mir schweigend einen Brief von Alfred's Hand.
Der Himmel, las ich zitternd, hat Alles sanft gelöst. Als der Heuchler Buchette, mit allen Waffen des Glaubens gerüstet, den Marquis auf sein Unglück vorbereiten wollte, fand er ihn längst befreit von allen Leiden. Ein Schlagfluß hatte ihn in der Nacht befallen; er ist hinübergegangen ohne irdischen Schmerz. Ich bin der nächste Erbe des Hauses, und wäre nicht so viel zu beweinen, würde ich über den betrogenen Jesuiten lachen, der nun Mühe und Arbeit ganz verloren hat, und wie ein Tiger im Käfig umherschleicht. Morgen werde ich die Letzten aus dem stolzen Hause der Sallanches zur Ruhe bringen. Schönheit, Jugend und hoher Sinn deckt auf ewig das eiserne Thor des Grabes, und nur Erinnerung, die unauslöschlich uns begleitet, bleibt den Lebenden.
Wenige Wochen später lag ich in den Armen meines Vaters. Ich verbarg ihm nichts und er hemmte nicht meine Klagen und Thränen. Weine, mein Sohn, sagte er, Deine Zuversicht und Ruhe werden wiederkehren, Gott und Menschen lernt ein edles Herz unter Schmerzen lieben und verstehen. Es gibt eine Vergangenheit, die ewig Gegenwart bleibt; ihr Leben in uns ist ein reicher Quell der Versöhnung mit uns selbst. Er hatte Recht; ich bin ausgesöhnt, ruhig und glücklich geworden, ja, glücklich in Erinnerungen, die mit wunderbarer Kraft mich stärken.