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1.

Der größte Fluß der Insel Corsika ist der Golo. Von der höchsten Gebirgskrone des Landes strömen seine Quellen aus den ewigen Schneelagern des Monte Cinto und von der wilden Orbakette herab, rauschen durch Wälder von riesigen Lärchenbäumen, Eichen und Pinien, welche die nackten Leiber der Giganten mit einem grünen Gürtel umschlingen, und stürzen durch Wald und Felsschluchten in das Thal des Flusses hinab, der sie alle vereinigt.

Dort oben aber, zwischen den mächtigsten Berghäuptern, liegt das Hirtenland Niolo, in welchem weder der Oelbaum, noch die Kastanie mehr gedeihen, doch ist es reich an blumenvollen Matten, die den Heerden duftige Nahrung geben. Schmilzt dann die Sommersonne den Schnee von den Hochweiden, so ziehen die Männer von Niolo mit den Schaaren ihrer schwarzen Schafe und Ziegen über alle Kämme der Orbaberge vom Cinto bis zum Grosso und Rotondo; in den kühlen Häusern aber spinnen und weben Weiber und Mädchen grobhaariges Wollenzeug, das auf dem Markte von Corte zugleich mit der Ziegenbutter, dem Fleisch der Heerden und dem süßen Schafkäse verkauft werden soll.

So ist es gewesen im Ländchen Niolo von Urväter Zeiten her; so war es, als man 1753 schrieb; so wird es noch viele Jahre sein, welche erst kommen sollen. In einsamer Abgeschiedenheit liegt Corsika, in tiefster Weltverlassenheit liegen diese Hirtenthäler. Niemals verirrt sich ein Fremder hieher, selten steigt ein betriebsamer Bürger von Corte die beschwerlichen Felspfade herauf, um Wolle und andere Heerdenerzeugnisse einzuhandeln; zuweilen jedoch, in Herbst- und Frühjahrszeit, wird es lebendiger. Dann reiten und klimmen manche kühne Männer in das Niololand, suchen ihre Gastfreunde auf und ziehen mit ihnen in die Felsschlünde, wo das Wildschaf, der Muffro, wohnt, wo der Adler hoistet und der Fuchs die Heerden beschleicht. Dann hört man Hundegebell, die scharfen Töne der Muschelhörner und den Donner der langen Corsenbüchsen, von dem die Berge wiederhallen.

So geschah es an einem Märztage, wo um den Tozzolo eine Jagd tobte, die schon den ganzen Tag über gewährt. Die Männer von Niolo sind als verwegene, unermüdliche Jäger bekannt, die besten Schützen findet man hier. So lange die genuesische Herrschaft dauerte, hatten sie auch eine Art ungestörter Unabhängigkeit behauptet, denn in ihre Felsenburg wagten sich die genuesischen Zöllner nicht, und die Befehlshaber der Citadelle von Corte ließen sie in Ruhe. Sie konnten leichter Büchsenkugeln als silberne Lire von ihnen bekommen.

Die kriegerischen Hirten stiegen bei alledem oft genug herunter, sobald Aufruhr und Bürgerkrieg begannen. Vaterlandsliebe und Ehrgeiz, dies Erbtheil aller Corsen, ließen sie nicht rasten, und mehr als ein gewaltiger Kriegsoberst ging aus diesen düstern, engen Capannen hervor und erwarb sich blutigen Ruhm in Frankreich, Mailand, Neapel oder Spanien.

Weit über das Ländchen zerstreut an den Bergabhängen und an Klüften lagen die Wohnungen der Hirten; zwischen vielen von dürftigster Art einige größere und bessere, denn auch hier vertheilte sich die irdische Habe nicht ganz gleichmäßig. Patriarchalische Genügsamkeit und Gleichheit der Rechte verbanden jedoch alle, denn noch galten unangefochten hier die uralten Gemeindesatzungen, welche Sambucuccio vor mehr als siebenhundert Jahren dem corsischen Volke gegeben hatte.

Wie aber überall, so gab es doch einige Familien von vorwaltendem Einfluß und unter diesen stand allen voran die Familie Cervoni, welche, auch im Golothale und in Soveria begütert, hier oben einen Meierhof besaß mit weitreichenden Matten und Geländen, herrlich gelegen auf einer Höhe, die sich über den Thalkessel erhob und das ganze mächtige Gebirgspanorama überblicken ließ.

In diesem alten Erbgute verweilte die zeitige Besitzerin, Frau Giovanna Cervoni, gern zur Frühjahrs- und Sommerzeit, wenn die Sonne sengend heiß im Golothale brannte. Sie war Wittwe, und ihr einziger Sohn, Thomas Cervoni, der Stolz der Hirten von Niolo, die ihn als ihren Häuptling betrachteten und ihn liebten und bewunderten. Denn nicht allein, daß er der Reichste und Erste in ihrer Gemeinde, daß ihm das thurmartige alte Haus seiner Väter und mancherlei ander Gut gehörte, er war auch ein rascher, kräftiger Jüngling, offen in Wort und Gesicht, muthig zur That; es mochte ihn Jeder leiden und was er wollte that darum auch jeder gern. Als die Schüsse aus den Bergwänden des Tozzolo krachten, wußte Jeder, daß Thomas Cervoni dort jage, und manch Gesicht sah freundlich hinauf und bat die Mutter Gottes ihm mit Glück beizustehen.

Die Sonne funkelte mit rother Gluth auf die Schneeköpfe des Gebirgs, der Himmel war tiefblau und lichtgoldig, die Berge farbenvoll und duftig, unter ihnen aber lag das Hirtenthal im reichgestickten Kleide von Frühlingsblumen, voll wunderbarer Schönheit und Stille. Wie ein paradiesischer Garten sah es aus, der nicht für Menschen bestimmt und ihre Qualen. Nirgend auch ließ sich ein lebendiges Wesen erblicken; plötzlich jedoch öffnete sich die Thür vom Altan der Casa Cervoni und ein Mädchen trat hinaus, schaute umher, nach den Felsstücken hinauf und nach der Sonne, horchte auf den Lärm in den Bergen und blieb dann an dem Geländer stehen, ihren Gedanken nachhängend.

Das war kein Hirtenmädchen, denn ihr Haar lag geflochten und in Schleifen aufgesteckt. Um den Hals trug sie eine Korallenschnur mit goldenen Kugeln, dazu ein schwarzes Fädchen von Sammet, auch weite, lange Kleider, wie solche nur einer Dame aus der Stadt gehören konnten. So war es auch. Therese Romei wohnte in Corte, befand sich aber seit einer Woche zum Besuch bei der Frau Cervoni, die ihre Verwandte. Sie gehörte zu einer angesehenen Familie, welche in der Geschichte jener Stadt oft unter den ersten genannt wurde. Während der Bürgerkriege, Aufstände und Zerrüttungen der letzten Zeiten hatten die Romei aber meist auf Seite der Genuesen gestanden, und Therese wurde einige Jahre lang nach Genua gebracht, wo sie die Pracht und Herrlichkeit dieser berühmten Stadt kennen lernte. Nachdem ihr Vater gestorben, kehrte sie vor einiger Zeit zu ihren Brüdern Antonio und Felice Romei zurück, diese aber erwartete sie so eben, denn sie wollten heut noch von Corte hinaufkommen.

Und wie Therese nach sinnend stand, wurden plötzlich drei Reiter sichtbar, die auf kleinen raschen Pferden aus einer Felsengasse am Rande des Thales hervorsprengten, welche den Weg einschloß. Bald blieb kein Zweifel mehr, wer sie seien, denn schnell näherten sie sich dem Hause, doch vergebens bemühte sich das Fräulein zu erkennen, wer der Dritte sei, der ihre Brüder begleitete. Als diese endlich langsam reitend den Hügel heraufkamen, konnten ihre scharfen Augen jeden genau erkennen, aber sie erinnerte sich nicht, diesen Dritten jemals gesehen zu haben.

Die Brüder grüßten hinauf und riefen ihr lachende frohe Worte zu, der Fremde zog seinen kleinen dreispitzigen Hut; darauf hörte sie ihren ältern Bruder Antonio sagen:

Steigt ab, mein Herr Viale, wir sind am Ziele! –

Therese eilte ihre Verwandte aufzusuchen, der sie kaum ihre Neuigkeiten mitgetheilt hatte, als die drei Gäste schon die Treppe herauf kamen und sich selbst vorstellten. Voran schritt Antonio Romei, ein großer kräftig gebauter Mann, corsisch gelb von Farbe, einen Wald dichter Haare von negerhafter Bläue auf seiner Stirn, kleine funkelnde Augen darunter. Als er in das Zimmer trat, nahm er den Fremden bei der Hand und führte ihn der Hausfrau zu, die in ihrem weiten Faltenrocke schlicht und würdig den Gästen entgegen ging.

Gottes Segen und Frieden mit Euch, meine liebe Muhme Giovanna! rief Herr Antonio. Da sind wir und bringen nicht allein uns, sondern mit Eurer Erlaubniß noch einen Gast mit. Herr Fabio Viale aus Livorno, ein Handelsherr und unser Freund aus alter Zeit. Ihr werdet den Namen des berühmten Handelshauses schon gehört haben. Geschäfte, liebe Muhme, Geschäfte sollen wieder angeknüpft werden. Gelobt sei die heilige Jungfrau! daß dies endlich möglich ist. Herr Viale will sehen, ob nicht alle unsere Oelbäume umgehauen und alle unsere Weinberge verwüstet sind.

Ihr habt Recht gethan, zu uns zu kommen, erwiederte die alte Frau, seid willkommen in meinem Hause, mein Herr.

Der Kaufmann aus Livorno verbeugte sich aufs Artigste. Er war ein Herr von feiner Gestalt, sein Gesicht sah klug und bedeutend aus, seine scharfgeschnittenen Züge und festblickenden Augen hatten jedoch etwas Strenges und Kaltes; um so einnehmender wurde seine Freundlichkeit.

Wenn ich hoffen darf, Euer Mißfallen nicht zu erregen, werthe Frau, sagte er, so schätze ich mich glücklich der Aufforderung meines Freundes gefolgt zu sein. –

Frau Cervoni unterbrach ihn, indem sie ihm ihre Hand reichte und dabei sagte:

Ihr würdet uns zu aller Zeit willkommen sein, mein Herr; Alles, was wir Euch gewähren können, steht zu Euren Diensten. Nehmt Platz mit unsern Freunden, mein Sohn wird sicher bald zurückkehren, um Euch Gesellschaft zu leisten. Erlaubt, daß ich zunächst für Eure Bewirthung sorge.

Damit entfernte sie sich, und Antonio Romei sagte zu dem Kaufmann:

Thut nach diesen Worten, mein Herr Viale, macht es Euch bequem. Wir haben einen scharfen Ritt gemacht, und Euer Kleid ist nicht ganz für die corsischen Berge geeignet.

Er blickte den Kaufmann lachend an, der in seinem feinen braunen Rock mit breitem Klappkragen, hohen Stiefeln, zusammengebundenem Haar und dem dreieckigen Hut mit der Goldtresse allerdings nicht wie ein Corse aussah.

Thomas Cervoni wird Euch gefallen, fuhr er dabei fort. Aber wo steckt er denn?

Er wandte sich mit dieser Frage an seine Schwester, die mit ihrem jüngeren Bruder eine leise Unterhaltung führte.

Auf der Jagd in den Bergen, antwortete Therese.

Ich habe Euch meine Schwester noch nicht gezeigt, Herr Viale, sagte Antonio. Schon seit einer Woche leistet sie unsern Freunden Gesellschaft, doch hoffe ich, wir nehmen sie nun mit uns nach Corte hinab.

Der Handelsherr verbeugte sich mit feinem Lächeln. Seine Blicke schauten das Fräulein forschend an. Therese war von schönen stolzen Mienen, über die erste Mädchenblüthe wohl hinaus, dafür ihre Körperformen üppig entwickelt und ihre Erscheinung gebietend. Gewiß hätte Herr Viale auch artige Worte an sie gerichtet, doch Antonio kam ihn zuvor.

Seit wann ist Thomas auf der Jagd? fragte er.

Gestern schon sind sie hinaufgezogen, war die Antwort.

Wer ist bei ihm?

Giampietro Gaffori.

Voto a Dio! Der ist hier? rief Antonio überrascht, und zu dem Gaste aus Livorno gewandt sprach er weiter: Da seht Ihr, mein Herr Viale, wie friedlich Zeit und Menschen in Corsika geworden sind. Giampietro Gaffori ist hier hinaufgestiegen, um einen Muffro zu jagen. Er, der die Genuesen so oft gejagt hat, begnügt sich jetzt mit einem armseligen Wildschaf.

Er lachte auf, Spott war in seinem Gesicht bemerklich.

So werde ich den berühmten Doctor Gaffori unverhofft zu sehen bekommen, antwortete der Kaufmann.

Es geschieht oft, was wir am wenigsten vermuthen, sagte Antonio. – Hat er Euch keine Neuigkeiten erzählt, nichts von seinen Freunden, den Herren Franzosen in Ajaccio und von ihrem vortrefflichen General, dem lieben Herrn von Cursay? fragte er dann weiter.

Er hat nichts erzählt, erwiederte Therese. Warum habt ihr Francesco Gaffori nicht mitgebracht?

Darüber muß Felice Auskunft geben. Ich weiß nichts von ihm.

Ich ging in Gaffori's Haus, sagte der jüngere Bruder, doch mein guter Freund Francesco wollte mich nicht begleiten. Da der Doctor verreist sei, hielt ers für Pflicht seiner Schwägerin, der Donna Maria Anna, Gesellschaft zu leisten.

Daß es ihm nur nicht so geht, wie einst den getreuen Freunden, welche dieser liebreizenden Donna Maria Anna Gesellschaft leisteten, rief Antonio lachend.

Und wie erging es diesen? fragte Viale.

Man merkt an dieser Frage, daß Ihr ein Fremder seid, versetzte Romei, denn in Corsika ist diese Geschichte überall bekannt und wird sogar in Liedern besungen. Giampietro Gaffori ist aber mein werther Jugendfreund, somit kann ich die beste Auskunft geben. Wir waren als Knaben täglich beisammen, unsere Väter lebten in Freundschaft. Niemand jedoch hat damals von ihm gemeint, daß sein Name in solcher Weise berühmt werden könnte, wie es seitdem geschah. Als er aus Pisa zurückkehrte, war ein gelehrter Doctor der Rechte aus ihm geworden, der Bücher schrieb über alte Gesetze und aus vermoderten Papieren vergessene Urkunden hervorzog, welche für des corsischen Volkes Rechte von Wichtigkeit sein sollten. Darauf wurde er Advocat am hohen Gerichtshofe und damit begann er sich einen Anhang unter dem Volke zu machen. Als dann die Zeiten immer wilder wurden, der Abentheurer hier landete, jener deutsche Baron von Neuhof, der als unser König uns plötzlich aus den Wolken fiel Freiherr Theodor Stephan von Neuhoff (1694-1756) war ein deutscher politischer Abenteurer, dem es Mitte des 18. Jh. gelang, sich vorübergehend an die Spitze der korsischen Unabhängigkeitsbewegung gegen Genua zu stellen. Er ging als erster und einziger frei gewählter König von Korsika (Theodor I.) in die Geschichte ein., wurde mein lieber Freund Giampietro sein Cabinetssecretair, und bald darauf gab es einen Marquis Gaffori. Denn der vortreffliche König Theodor machte Grafen, Herzöge und Barone zu Dutzenden; sie wuchsen wie Pilze aus dem Boden, doch sie verfaulten eben so schnell als das Reich seiner Majestät. –

Er schlug sein höhnendes, häßliches Gelächter auf, und die kleinen scharfen Augen funkelten wie Sterne.

Diese schönen Titel wurden obenein theuer bezahlt, wie ich gehört habe, sagte der Kaufmann, denn der sogenannte König nahm dafür, wie auch für seine Orden, ansehnliche Summen ein.

Es giebt hier Narren genug für Alles! versetzte Romei; stürzten sie doch das Land zuletzt selbst in den Krieg mit Frankreich, um uns diesen Theaterprinzen, der schmählich davonlief, zu erhalten. Aber der Marquis Gaffori war klüger. Er hing alle seine hohen Würden an den Nagel, wurde wieder der Doctor Gaffori in Corte, der fleißige Advocat, welcher armen Leuten zum Rechte half, und damals heirathete er auch seine jetzige Frau, die Donna Maria Anna, obwohl –

Hier hielt Antonio Romei einen Augenblick inne und seine Augen funkelten seine Schwester an, deren Gesicht noch stolzer zu werden schien.

Er heirathete wahrscheinlich eine reiche Erbin aus angesehenem Hause, fiel Viale ein.

Romei schüttelte spöttisch den Kopf.

Gott bewahre! Die Tochter eines Verbannten, welche nichts besaß als ihren trotzigen Muth, von dem Ihr nun gleich hören sollt. Zwei Jahre darauf brach der Krieg mit Genua wieder aus, als Graf Rivarola den Corsen Beistand von Seiten des Königs von Sardinien vorspiegelte. Gleich war auch Gaffori wieder an der Spitze. Diesmal aber nicht als Cabinetssecretair und Marquis, sondern als General unserer Republikaner.

Herr Gaffori scheint ein Mann zu sein, aus welchem Alles werden kann, was er will, lächelte Viale.

Er war jedenfalls ein besserer General als ein Marquis, erwiederte Romei. Er stürmte die Citadelle von Corte, das war seine erste Waffenthat. Ich kann Euch noch die Schießscharte in der Mauer zeigen, wo der genuesische Commandant den kleinen Sohn Gaffori's, den er gefangen hatte, fest binden ließ, um den Vater vom Brescheschießen abzuhalten.

Ein verzweifeltes Mittel, aber sehr wirksam!

Da irrt Ihr. Eine Minute lang standen die Kanoniere freilich wie erstarrt. Gaffori auch, dann aber schrie er:

Feuer! Mein Vaterland ist mehr als mein Kind!

Das ist ein schrecklicher Vater!

Man kann es auch eine große hochherzige That nennen! sagte Therese Romei in ihrer stolzen Art zu ihrem Bruder Felix.

Er wurde dafür mit Matra und Venturini zum Protector der Republik vom Volke gewählt, fuhr Antonio fort, und die Genuesen flohen vor ihm bis nach Bonifacio und Bastia; er schlug sie überall. Doch nun hört weiter. Während er im Felde lag, kamen die Genuesen auf den Einfall, von Calvi her, rasch über die Berge kommend, Corte zu überfallen, um Gaffori's Weib und Kind als Geiseln fortzuführen. Man wußte schon, daß die Donna Maria Anna ganz von derselben Gesinnung sei, wie ihr Gemahl; es war somit den Genuesen nicht eben zu verargen.

Gewiß nicht, und wahrscheinlich hatten sie in Corte doch noch einige Freunde, die ihnen treu geblieben, lächelte Viale sein trockenes, kaltes Gesicht verziehend.

Daran ist nicht zu zweifeln, mein Herr. Die Genuesen drangen beim ersten Tageslicht in die Stadt und umzingelten sogleich Gaffori's Haus; dennoch kamen sie zu spät.

Die Donna war entflohen.

Durchaus nicht, allein sie hatte Nachricht erhalten. Ein paar Freunde eilten ihr zur Hülfe, mit ihrem Beistande vertheidigte sie das Haus.

Das war verwegen!

Drei Tage lang knallten die Flinten, es entstand eine hartnäckige Belagerung. Endlich verloren die Freunde den Muth und baten die Donna zu capituliren. Doch nun vernehmt, was geschah. Sie mußten fortfahren tapfer zu kämpfen, unter Hunger und Durst mit unvergleichlichem Heldenmuth, obgleich sie gerne davongelaufen wären.

Sie mußten? fragte Viale, warum mußten sie?

Weil die Donna Maria Anna bei einem vollen Pulverfasse im Keller saß und geschworen hatte sich und ihre ganze Gesellschaft in die Luft zu sprengen, sobald Einer von Capitulation sprechen würde.

Das würde sie nicht gewagt haben.

Die Freunde glaubten es und ich glaube, sie thaten Recht daran. Sie fochten, bis am vierten Tage Gaffori kam und sie befreite. Jetzt wißt Ihr, warum ich vor der Gesellschaft der Donna Maria Anna warnte. Aber wie gefällt Euch diese Belohnung treuer Freunde?

Es widerfuhr ihnen was sie verdienten, sagte der Kaufmann. Ist die Donna schön?

Nicht übel.

Jung noch?

Sie war fünfzehn alt, als Giampietro sie nahm, seitdem sind elf Jahre vergangen.

Viale sah zu der Doncella Therese hinüber, darauf fuhr er fort:

Dieser Mann scheint zu dieser Frau vollkommen zu passen. Gewiß auch lieben sie sich aufs Innigste.

Man sagt so, aber – seht da unsere werthe Frau Cervoni! Sie bringt uns Stoff zu besserer Unterhaltung.

Damit unterbrach Romei seine Mittheilungen, denn die Wittwe trat herein und ihr folgte eine Dienerin nach beladen mit Speisen und Tischgeräth, sammt einer andern, welche in großen bauchigen Flaschen den süßen Wein von Soveria trug.

Nun wurde der Tisch geordnet, doch noch ehe das Mahl begann, zu welchem Frau Cervoni ihre Gäste einlud, klangen die Hörner im Thale und man sah einen Trupp bewaffneter Männer sich nähern, der bald als die heimkehrenden Jäger erkannt wurde. Auf Stangen gelegt und fest gebunden trugen sie ihre Jagdbeute und nun ward es in den Hütten lebendig. Das Volk lief herbei, Freudengeschrei begleitete den Zug, gelenkige Weiberzungen kreischten und lachten, Kinder hüpften und sprangen um die Leichenbahren der Wildschafe; so kamen sie alle den Hügel herauf.

Cospetto! rief Felix Romei, sie bringen drei Muffros; und was hat Gaffori an sein Gewehr gebunden? Einen Fuchsschwanz, so wahr ich lebe! Er hat einen Fuchs geschossen.

Sein Bruder Antonio neigte sich zu des Kaufmanns Ohr und flüsterte hinein:

Dann schoß ein Fuchs den andern! Seht, dort kommt er, und neben ihm Thomas Cervoni, der ihn verehrt, als sei er ein Heiliger. Aber ich hoffe ihm einen andern Gott zur Anbetung zu geben, der diesen da zum Tempel hinaustreibt.

Viale gab kein Zeichen von Theilnahme, er blickte hinab und betrachtete die Jäger. Thomas Cervoni schwenkte seine Mütze, die mit großen Adlerfedern besteckt war, zu dem Balkon herauf. Es war ein schwarzlockiger, stattlicher Jüngling mit sonnigen Augen und frohen, belebten Mienen; der Kaufmann blickte jedoch weniger auf ihn als auf den älteren Mann, der ihm nachfolgte. Wirklich hatte dieser an sein Doppelgewehr einen gewaltigen Fuchsschwanz festgebunden und auf einer der Bahren lag der feiste Reineke, beinahe so groß wie ein Wolf, denn die Füchse Corsika's sind mächtige Thiere und grimmige Feinde für die jungen Schafe. Darum umsprangen die Hirtenkinder mit Jubel, Hohn und Schimpfreden den todten Räuber, und zwischendurch klangen ihre Evvivas auf den Sieger, der ihn erlegt.

Das war Giampietro Gaffori. Viale hatte Zeit ihn anzuschauen, denn als der Zug vor dem Hause hielt, dauerten Lärm und Getümmel lange genug, ehe die Beute getheilt war. Eines der langen seidenhaarigen Schafe wurde in die Casa Cervoni getragen, denn der leckere Braten des Muffro ist ein vielbegehrter, mit den beiden anderen und dem feisten Fuchs zog das Jagdgefolge und der Volkshaufe nach seinen Capannen, um das Theilungsgeschäft dort fortzusetzen.

Und jetzt dröhnten die raschen Schritte der beiden Männer auf der Treppe, dann stürmte Thomas Cervoni in das Gemach, blickte flüchtig umher, eilte aber dann auf seine Mutter zu, küßte ihre Hände und ließ sich dafür segnen und küssen. Hierauf wandte er sich zu der schönen Therese, der er neckend entgegen rief, daß sie ihre Wette verloren habe, denn eigenhändig sei von ihm ein Muffro getödtet worden. Ehe er jedoch weiter fortfahren konnte, machte seine Mutter seiner lustigen Begegnung mit der schönen Cousine ein Ende.

Hier sind, unsre Vettern Romei, mein Sohn, und ein Herr von Livorno, der mit ihnen gekommen ist, sagte die alte Frau ihn unterbrechend, und Thomas schüttelte mit allen die Hände, wechselte freundliche Worte und erzählte von seiner Jagd, bis wiederum die Thür geöffnet wurde und Giampietro Gaffori hereintrat. Dieser blieb einen Augenblick stehen, denn Thomas sprach mit vieler Lebendigkeit von der Verfolgung und Erlegung eines Muffro, den er in den Felsschlünden des Artica aufgejagt, und alle hörten so eifrig zu, daß der berühmte Gast darüber vergessen schien. Viale nur sah ihn, und Giampietro's Augen blickten ihn eben so lange fest und durchdringend an.

Der Doctor war sechs und dreißig Jahre alt, sein Haar lag dünn auf der edelgeformten hohen Stirn, darunter glänzten breite, stark gebogene Augenbrauen und große Augen voll geistiger Macht und Tiefe. Er war hager und ziemlich lang, von festem Körperbau. Die Nase kräftig und römisch geformt, der Mund mit feinen Lippen. So zeigte er sein ernstes und kluges Gesicht, unerschütterliche Ruhe lag darin ausgeprägt.

Als er bemerkt und empfangen wurde, trat er mit Freundlichkeit näher. Antonio Romei streckte ihm beide Hände entgegen und rief:

Willkommen Giampietro, welche unerwartete Freude dich hier zu finden. Madre di Dio! welch ein Mann! Seht her, Herr Viale, hier ist unser Held, der Euch so große Bewunderung einflößt, die Niemand auch so sehr verdient.

Gaffori grüßte und dankte lächelnd für dies Rühmen, sprach darauf mit der Frau Cervoni ein paar herzliche und scherzende Worte, grüßte die Doncella Therese in artiger Weise und wandte sich zu Thomas zurück, der seine Erzählung damit beendet hatte, daß er Gaffori's Geschick und Glück aufs Höchste pries.

Dies möchte doch schwerlich mit deinen eigenen edlen Eigenschaften sich messen können, sagte der Doctor seinen jungen Freund umarmend.

Nein, nein! rief Thomas, der unermüdlichste und verwegenste Jäger bleibst du. Mögen es Genuesen oder Muffros sein, du streckst sie nieder, wo sie sich blicken lassen. Bis an die Quellen der Restonica sind wir hinauf gewesen, Therese.

Könnt Ihr es denken, Herr Viale, lachte Romei, daß unser gelehrter Doctor solche Künste versteht?

Wer sich so hohen Ruhm in Krieg und Frieden erworben hat, antwortete der Kaufmann, muß in allen Künsten Meister sein. Mein Herr General Gaffori, fügte er hinzu, indem er sich artig verbeugte, es gibt in ganz Italien keinen Ort, wo das Volk nicht mit Bewunderung Euren Namen nennt. Ich preise mich glücklich Euch von Angesicht zu sehen.

Ich danke Euch, Herr Viale, erwiederte Gaffori, aber einen General meines Namens gibt es nicht mehr. Das war ein Titel in der Noth, die jetzt vorüber ist, wie ich hoffe für alle Zeit. Ich bin wieder der Doctor Gaffori, welcher zuweilen von seinen Acten und Büchern aufspringt und einen Jagdrock anzieht, um einem Muffro zu Leibe zu gehen und mit ansehnlichem Hunger und Durst zurückzukommen. Da diese willkommenen Gefährten sich nun wirklich eingestellt haben, so laßt uns nicht zögern der Gastfreundschaft, welche uns hier winkt, Ehre zu machen.

Ohne Umstände setzte er sich hierauf an den Tisch, und seinem Beispiel folgten die Andern gern. Gläser und Messer waren bald in voller Thätigkeit, doch trotz seines Lobspruches auf Hunger und Durst und den Anstrengungen der mühevollen Jagd blieb der Doctor Gaffori ein äußerst mäßiger Gast. Ein einziges Glas von dem feurigen Weine würzte seine Mahlzeit, die aus wenigem Fleisch und einer kleiner Anzahl gerösteter Kastanien bestand, der gewöhnlichen Nahrung des Volkes. Dafür trank und rühmte er das Wasser des Nebbio als das vorzüglichste auf der ganzen Insel, und als Alle noch fröhlich tafelten, – denn Frau Cervoni brachte mancherlei gute Dinge auf ihren Tisch, – hatte er längst schon die Gabel niedergelegt.

Giampietro Gaffori's Unterhaltung mit dem Kaufmann aus Livorno erregte aber bald eine so allgemeine Theilnahme, daß die Zuhörer aufmerksam folgten. Der gelehrte Doctor schien mit allen Zuständen und Ereignissen in der Welt bekannt zu sein, und wovon er auch sprechen mochte, es war anregend und einsichtig. Er hatte mehrere Jahre in Rom und Florenz gelebt, hatte die Hauptstadt der Franzosen gesehen und seine Studien sowohl, wie die eigenthümlichen Schicksale seines Lebens, verschafften ihm Welt- und Menschenkenntnisse, wie diese so leicht kein Anderer neben ihm besaß. –

Der Kaufmann aus Livorno bot gute Gelegenheit, um zu vernehmen, wie es in Toscana und auf dem Festlande Italiens überhaupt stand, und der Doctor suchte den Fremden durch viele Fragen über alle Verhältnisse auszuforschen. Corsika trieb zu aller Zeit Handel mit Livorno, so weit dieser nicht durch die Genuesen verhindert wurde. In den Kriegsjahren aber hatte die genuesische Flotte die Küsten strenge bewacht und mit ihrer Uebermacht so viel sie konnte allen Verkehr abgeschnitten. Diese Umstände gaben Anlaß zu einer Unterhaltung, bei der auch Antonio Romei lebhaft sich betheiligte.

Wir waren schon immer arm genug, sagte er, doch dieser Krieg hat uns noch viel ärmer gemacht. Ich sage nichts gegen unsere patriotische Erhebung; santa Madre! es mußte so sein. Aber unser Oelhandel wurde vernichtet, und wer sich mit Geschäften eingelassen hatte, setzte Hab und Gut zu. Dazu verschlangen Steuern und Abgaben mehr, als was Genua je gefordert, und was hat es nicht sonst noch gekostet! Die besten Männer und Familien sind in dieser Verwirrung gestorben und verdorben, es ist nicht Eine, die nicht gelitten und verloren hätte, wenn sie überhaupt etwas verlieren konnte.

Die Wittwe Cervoni hatte ihre Hände gefaltet und seufzte vor sich hin, ihr Sohn aber richtete sich auf und gab eine stolze Antwort.

Wir haben alle verloren, sagte er, der eine viel, der Andre wenig, allein wir haben auch alle gewonnen. Wären die Franzosen den Genuesen nicht zu Hülfe gekommen, es gäbe längst keinen mehr in Corsika. Doch auch so, wie es ist, haben wir endlich gesichertes Recht vor neuen Bedrückungen und wollen es nimmer wieder antasten lassen.

Und so Gott will, sagte Gaffori, in seiner feinen sanften Weise lächelnd, soll der Friede uns helfen, daß wir viele tausend neue Oelbäume pflanzen und unsere Wein- und Oelkrüge als Männer füllen, denen sie mit Recht gehören. Corsika ist so reich vom Himmel mit allem Guten gesegnet, daß Niemand elend zu leben braucht; dennoch sind Jahrhunderte in Armuth und Noth vergangen, weil unsere Herren und Gebieter in Genua das Volk roh und unwissend ließen.

Romei wollte darauf antworten, doch der Kaufmann aus Livorno kam ihm zuvor.

Ihr habt sicherlich Recht, Herr Doctor, sagte er, diese Insel könnte einen Reichthum an Oel und Wein liefern, die schönsten Früchte, Getreide und Gewächse aller Art in Fülle, weit mehr als ihr selbst braucht, wenn das Volk fleißig und friedlich arbeitete. Dies scheint jedoch, nach manchen Urtheilen, welche ich hörte, nicht in seiner Natur zu liegen, und ob fremde Herren oder eine einheimische Regierung hier vorhanden, so glauben doch Viele nicht daran, daß dies Uebel sich ändern läßt.

Langsam wird es sich ändern, doch ändern gewiß, versetzte Gaffori, indem er eine Kastanie nahm, zerbrach und aß. Seht, mein Herr, fuhr er dabei fort, die meisten Corsen besitzen an täglicher Speise genug, wenn sie eine Hand voll dieser Früchte in ihrer Tasche haben. Wenige Bäume genügen, um sie und ihre Familien für das ganze Jahr zu sichern, wenige Ziegen und Schafe ernähren den Hirten mit Weib und Kind. Der Corse braucht nichts als seine Hütte und seinen Rock aus grober Wolle. Er ist auf's Aeußerste genügsam, weiß nichts von der Welt und was die Menschen darin schaffen, um bequem und prächtig zu leben. Niemals noch wurden ihm auch die Wege gezeigt und geöffnet, um zu erwerben, zu besitzen und Bedürfnisse zu bekommen. Willkürlich wuchsen die Lasten und harte Bedrückungen fanden statt, sobald das Wohlbefinden des Volkes sich heben wollte. So blieben uns Armuth und Barbarei. Rechtslosigkeit und Gewaltthaten erzeugten Rachsucht, den Meuchelmord mit dem schrecklichen Gefolge der Blutrache. Wenn aber das corsische Volk, das so verständig zu denken vermag wie irgend eins und so geneigt zum Nachdenken ist, sich freier und glücklicher fühlt; wenn es weiß, daß, wenn es arbeitet, es für sich arbeitet, nicht für habgierige Gouverneure und Beamten; wenn Schulen errichtet und Kenntnisse verbreitet werden: dann, mein Herr, werdet Ihr auch die Corsen anders finden.

Ich wünsche, daß Ihr Recht haben mögt, Herr Doctor, sagte Viale lächelnd, mir scheint es jedoch, Ihr gebt zu viel auf die Freiheit der Corsen.

Ei, sagte Gaffori, Ihr könnt das im Grunde an Euch selbst beurtheilen und an den jetzigen Zuständen Italiens, wie schwer der Verlust der Freiheit auf die Menschen und Völker wirkt. In der alten Zeit war die Campagna von Rom das herrlichste, reichste Land, die Kornkammer Italiens, jetzt liegt sie voll Sumpf und Trümmer, eine Wüste, und das bedrückte Volk irrt darin fieberbleich umher. Für Euch selbst, in Toscana, gab die Zeit der großen Mediceer, welche freies Bürgerthum ehrten und schätzten, die schönsten Blüthen, so auch für Kunst und Wissenschaft; jetzt dagegen seid ihr an den lothringischen Herzog verhandelt worden, und er hat Euch zu einem östreichischen Erblande gemacht, nachdem er selbst die östreichische Erbtochter geheirathet. So seid ihr herunter gekommen wie ganz Italien, dessen alte Pracht und Größe vermodert und verblindet.

Ihr übertreibt, Herr Doctor, lachte Viale. immer noch genug Großes und Herrliches in Italien. Kommt nur zu uns herüber und überzeugt Euch, daß es mit unserm Verfall nicht so arg ist, wie es Euch scheint.

Gaffori schüttelte den Kopf. –

Es ist lange her, sagte er darauf, daß Italien an der Spitze europäischer Cultur stand, lange her, daß die Flotten Venedigs und Genua's den Welthandel beherrschten, lange her, daß die großen Meister der Kunst und die großen Dichter Italiens mit ihren göttlichen Werken die Völker in Staunen und Bewunderung versetzten; lange her auch, daß die edle Jugend Europa's nach Italien strömte, um auf unsern Universitäten Weisheit zu lernen.

Nun, nun! rief Viale lebhafter, wir haben immer noch vortreffliche Künstler und Dichter, oder wollt Ihr den Metastasio nicht dafür gelten lassen, den Casti, Goldoni, Parini und manche andere?

Ich lasse keinen dieser Versemacher gelten, versetzte der Doctor, sie verhalten sich zu den alten begeisterten Sängern, wie die jetzigen Hofmaler und Farbenpinseler zu den gewaltigen Meistern unserer großen Zeit. Aber wie kann das anders sein, da wir seit mehr als einem Jahrhundert immer weiter zurückgekommen sind? Und welches Land in Italien wäre von diesem Verfall verschont geblieben? Ist nicht in Rom, in Neapel, in Toscana, Venedig und Genua dieselbe Fäulniß? Was ist aus den stolzen Republiken geworden? Wo ist ihre einst so furchtbare Macht und Größe? Wo sind ihre reichen Colonien und eroberten Länder? Genua hat von Allem, was es besaß, nur noch Corsika übrig und auch dieser Besitz, setzte er mit seinem feinen Lächeln hinzu, ist ein sehr ungewisser geworden.

Meint Ihr, meint Ihr? fiel Viale ein; aber gewiß habt Ihr Recht, Herr Doctor. Ihr müßt dies am besten wissen. Doch möchte ich fragen: glaubt Ihr nicht, daß die Corsen durch diesen letzten Vertrag befriedigt sind?

Dafür möchte ich mich verbürgen, erwiederte Gaffori, wenn Genua aufrichtig hält, was es zugesagt. Seit dem Jahre 1730, also seit zwei und zwanzig Jahren, kämpft das corsische Volk um nichts weiter als um gesicherte Rechtszustände, damit es nicht ferner willkürlich beschatzt und bedrückt werde. Dies soll nun nicht mehr geschehen, unsere Gemeinden sollen ihre Vorsteher wählen, unsere Abgeordneten die Steuern bewilligen, damit sind wir zufrieden. Wir sind ein Volk von armen, friedlichen Menschen, die nur begehren, daß man ihnen kein Unrecht thue.

Ich habe mich um diese Streitigkeiten wenig bekümmert, sagte Viale, denn ein Kaufmann hat andere Dinge zu thun; kommt man jedoch mit Genuesen zusammen, so klagen diese nicht minder über Gewalt und Unrecht. Corsika, sagen sie, habe alle ihre Sorgen immerdar mit Aufruhr und Empörung vergolten und alles Gute, das ihm geboten wurde, trotzig und hartnäckig von sich gestoßen.

Ei, versetzte der Doctor lächelnd, so wäre es gewiß das Beste gewesen, man hätte ein so undankbares Volk längst seinem Schicksal überlassen.

Der junge Thomas lachte laut auf über diese Antwort, und seine Tischnachbarin, Doncella Therese, stimmte ein, aber Viale erwiederte gereizt:

Es wirft Niemand sein Eigenthum ohne Noth fort, und von der mächtigen Republik darf man dies wohl am wenigsten erwarten.

Gaffori schwieg einige Minuten lang, seine Augen ruhten auf dem Kaufmann. Thomas aber rief herausfordernd:

Die mächtige Republik hat oft genug uns verschlingen wollen, doch der Bissen ist ihr immer zu hart gewesen und zwischen den Zähnen stecken geblieben.

Und dort sitzt er noch, lächelte Gaffori, und macht ihr Zahnschmerzen.

Genua's Zähne sind bei alledem fest und gut, Herr Doctor, versetzte Viale. Ihr könntet es noch erfahren; denn ich fürchte, setzte er bedächtiger hinzu, es kann noch viel Unglück entstehen, ehe Genua gedemüthigt wird.

Wer möchte dies wünschen, sagte Gaffori. Herrlich und groß ist Genua's Geschichte, es ist das Vaterland vieler bewundernswürdiger Männer. – Wo gibt es ein Geschlecht, das sich mit den Dorias vergleichen könnte! Doch genug jetzt, meine lieben Herren, ich muß Euch verlassen, denn die Nacht wird da sein, ehe ich das Wasser des Tavignano sehe.

Mit diesen Worten stand er auf, und trotz aller Einwände und Bitten seiner Freunde bis zum nächsten Morgen bei ihnen zu bleiben, antwortete er ablehnend:

Maria Anna würde Sorge um mich haben, fuhr er dann fort, zu dem erwarten mich viele Geschäfte. Und seht da, mein Pferd ruft mich schon, denn es weiß so gut wie ich, daß unser Weg ein langer und beschwerlicher ist.

Thomas Cervoni und seine Mutter erhoben nun keine weitere Einsprache mehr, und mit kurzen Dankesworten nahm der Doctor Abschied. Dann grüßte er die Romei und sagte endlich zu dem Kaufmann:

Euch, mein Herr, hoffe ich in Corte wiederzusehen, wenn Ihr dort zu verweilen gedenkt.

Ich meine, daß meine Geschäfte mich noch einige Zeit festhalten werden, erwiederte Viale.

So lebt wohl! kann ich Euch dienen, geschieht es gern.

Viale sagte ihm höflichen Dank und Alle begleiteten ihn vor das Haus, wo ein Diener ein kleines rothes Pferd am Zaume hielt, das seinem Herrn entgegenwieherte. Der Doctor schwang sich leicht hinauf, sein Doppelgewehr wurde in den Sattelhaken gehängt, im Gurt, der seinen corsischen Rock zusammenhielt, steckte ein zweischneidiges Dolch- und Jagdmesser.

Viale war allein in dem Gemach zurückgeblieben, er sah Giampietro Gaffori fortreiten. Das kleine Pferd flog wie ein Sturmwind den Hügel hinab und durch das Thal dahin. –

Bewaffnet bis an die Zähne, sagte er endlich, wie ein Bandit. Das ist also der General, der Staatsmann, der große Verschwörer und Verführer dieses Volkes. Man kann nicht allein die Kinder in Genua mit seinem Namen zu Bette jagen, auch die Senatoren und Directoren, und es liegt etwas in seinen Augen, murmelte er zwischen den Zähnen, was man von der Klapperschlange erzählt, sie haben etwas Durchbohrendes, wovor man sich fürchten kann. Gut, Herr Doctor, wir werden uns kennen lernen und Dienste leisten. Ich will hoffen, daß die meinigen Euch gefallen mögen.

Damit wandte er sich mit freundlichem Gesicht um, denn Thomas Cervoni kehrte zurück, die beiden Romei mit ihm.


2.

Der Doctor Gaffori ritt inzwischen durch den Hohlweg am Thalrande vorsichtig weiter, denn neben ihm fehlte es nicht an Gefahren. Ungeheure Felslager stürzten senkrecht hier in eine tiefe Kluft, in welcher einer der Bäche verschwand, die mit reißender Schnelle das Hirtenthal durchkreuzten. Aus dem schwarzen Kessel dieses Schlundes stiegen Wolken von Wasserdampf und Gischt unaufhörlich empor, und das Rauschen und Donnern des zerschmetterten Stromes begleitete den Reiter längs dem Rande des Spaltes, bis sich der Boden von Neuem emporhob und zu steilen, braunen Hügeln und Bergwänden führte, aus denen zur Rechten die Felsenmassen des Artica zwischen waldigen Ketten und nackten rothen Klippen in den Himmel stiegen.

Das kleine Pferd arbeitete sich rasch hinauf zu einem der braunen Kämme und der Reiter überließ es seinem Willen, während er selbst nachlässig die Zügel fallen ließ und den eigenen Betrachtungen nachhing. Die Sonne beleuchtete mit ihrer Abendgluth die hohen Gipfel des Gebirges, während die Thäler sich schon mit Dämmerschein und Dunkel füllten. Das ernste, stille Gesicht des einsam Reisenden umhüllte sich dann und wann mit weißlichen Dünsten, als sammelten sich die Geister der Nacht um ihn und breiteten ihre Schleier über ihn aus.

Doch Gaffori hatte keine Augen für diese luftigen Schemen, keine Augen für die fahle Einförmigkeit dieser Bergheide, die, mit Ginster und wildem Oelgestrüpp überwuchert, einen wilden und eintönigen Anblick bot. Nur als in einem dornigen Dickicht ein Geräusch entstand, das ein verstecktes Thier bewirken mochte, lag seine Hand blitzschnell an dem Gewehr und seine Blicke suchten mit durchdringender Schärfe nach der Ursache.

Nach einer Minute ließ er den Kolben des schwarzen Doppelrohres sinken und was er dachte, bewegte ihn zu einem schmerzlichen Ausruf.

Wann wird es dahin kommen, sagte er für sich hin, daß eines Corsen Hand nicht mehr zur Waffe greift, wenn ein Busch knistert oder ein Stein auf unsern Weg poltert? Doch dahin soll es kommen, dahin muß es kommen! fügte er laut und mit fester Stimme hinzu, wenn es Licht und Tag werden soll in diesem verlassenen barbarischen Lande. Gesetz und Sicherheit, das ist es, was uns fehlt und was wir schaffen sollen.

Er hielt das Pferd an, dies hatte so eben die Höhe erreicht und vor ihm lag das Thal des Tavignano in der Tiefe. Von Corte war nichts zu sehen, nichts von dem silbernen Flusse, nichts von den Wein- und Oelgärten, Alles verschwamm im Abendgrauen; nur jenseit tauchten die Wälder und Berge der Serra Castella auf, und hinter ihr funkelten und glühten die Schneefelder des Monte Rotondo um sein ungeheures zerklüftetes Haupt. Ein Luftstrom stieg warm und blüthenduftig empor, doch nirgend ein Laut, nirgend ein Lebensathem. Nichts als oben der weit flammende Lichtkreis, unter ihm Nacht und Schweigen. Und es sah aus, als träufle Blut von den vielen hohen Klippen und Kuppen, von dem ganzen Kranz himmelhoher Berge und Schneehäupter und liefe in die Nacht hinunter, wo es verschwand.

Giampietro Gaffori blickte lange hinein und dann hinab, darauf sprach er:

Das ist Corsika's Bild! Blut, Blutströme ohne Zahl vergossen, damit es besser werde, und immer wieder die alte Nacht. Sie muß ein Ende nehmen!

Sein ungeduldiges Pferd wollte nicht länger stehen, es drängte vorwärts, und Gaffori fuhr lächelnd fort: So laß uns gehen, mein muthiger Kamerad, doch sei vorsichtig, denn der Weg ist steil, Abgründe liegen von allen Seiten. Hüte dich wohl zu straucheln oder zu fallen. Mancher schon hat den Tod gefunden, der eine Stufe verfehlte; ohne Schwindel, ohne Wanken soll man thun, was zum Ziele führt.

Was der Doctor sagte, war ihm sicherlich auf diesem wie auf allen seinen Wegen nöthig. Man nannte diese schmale jähe Straße, die in das Tavignanothal hinabführte, die Treppe der Königin, und eine uralte Sage klebte daran, daß in der frühesten Christenzeit ein König einst ermordet wurde von grimmigen, heidnischen Feinden sammt seinen sieben Kindern, nur sein schönes Gemahl entkam. Um die Königin sammelte sich das Volt, und sie nahm Schild und Schwert, ihren Gatten und ihre Kinder zu rächen. Aber die Feinde lagen sicher und spottend auf den unersteiglichen Bergen, da führte ein Engel die Königin und ihr Volk diesen Weg hinauf, den vorher Niemand kannte und Niemand je gesehen. Keiner der Mörder entkam, von jenem Tage an aber hieß dieser Weg die Scala di Santa Regina, und so heißt er bis auf diese Stunde.

Felslager und Blöcke, über einander geworfen von Riesen- oder Engelshänden, bildeten diesen gefährlichen Weg in das tiefe Thal, und es gehörte keine geringe Vorsicht und Aufmerksamkeit dazu, um wohlbehalten hinabzukommen. Diese Pferde aber gehen sicher, und der Reiter, welcher abgestiegen, half seinem Rosse und sich selbst an den schwierigsten Stellen, bis endlich das Rauschen der Wasser und der Bäume und das ferne Schimmern eines Lichtes ankündigten, daß das Aergste überstanden sei. Bald auch wurde dann der Weg breiter und besser. Das rothe Pferd knirschte in sein Gebiß und trotz der Finsterniß eilte es rasch der Brücke zu, die über den Fluß führt. Hier war es, wo dem Doctor Gaffori etwas Unerwartetes begegnen sollte.

An jener Brücke vereinigten sich verschiedene Wege, sowohl von Süden her, wie westlich von Ajaccio, und eben als Gaffori an diesem Vereinigungspunkte anlangte, erblickte er eine Anzahl Reiter, welche mit ihm zugleich dort eintrafen. In der Dunkelheit konnte er sie nicht sehen, aber er hörte ihre Waffen klirren, und nach wenigen Augenblicken überzeugte er sich, daß es Franzosen seien. Aus des Brückenwärters Haus fiel der Lichtschein auf einen Herrn, welcher an der Spitze des Zuges ritt, und Gaffori sah dessen dreieckigen Tressenhut, auch die hohe im Mantel eingehüllte Gestalt. In der nächsten Minute befand er sich neben ihm, darauf seine Stimme erhebend fragte er freudig und laut:

Was verschafft uns das Glück, den edlen General Cursay so unverhofft hier zu finden?

Der Offizier wandte sich lebhaft und erstaunt um, sicher nicht minder erfreut durch diesen Gruß, auch zugleich den erkennend, der ihn aussprach.

Doctor Gaffori! rief er. Wahrlich, das ist ein glückliches Zusammentreffen. Ich komme nach Corte, Sie zu sehen und zu sprechen.

So weiß ich doch jetzt, warum es mich trieb heut noch zurückzukehren und alle Bitten abzuweisen, die mich in Niolo festhalten wollten, sagte Gaffori.

Also glauben Sie auch an Ahnungen und Geisterstimmen? versetzte der General lachend.

Dann müßte ich kein Corse sein, war die Antwort. Als meine Frau von den Genuesen belagert wurde, befand ich mich zwanzig Meilen von Corte entfernt, doch eine Unruhe plagte mich fieberhaft. Ich ahnte das Unheil, es schrie Tag und Nacht in meinen Ohren wie Eulenschrei; die Boten, welche mir Nachricht brachten, fanden mich auf halbem Wege in der Umkehr begriffen und zu meinem Glück; denn so nur gelang es damals meine Familie zu retten. Aehnliches habe ich oft schon erlebt.

Ich auch, sagte Cursay, und deswegen komme ich zu Ihnen, lieber Freund. Es ist mir, als würde ein Unglück bald über uns, oder wenigstens über mich hereinbrechen.

Gott möge es verhüten! sprach Gaffori, aber sagt Ihnen die ahnende Stimme nichts Näheres darüber?

Der General beugte sich zu seinem Begleiter und fuhr leiser fort: Wissen Sie, daß eine Menge genuesischer Spione und Aufwiegler sich überall umhertreiben, die Unzufriedenheit und Aufruhr zu erregen suchen?

Das weiß ich, antwortete Gaffori, und um so besser, da ich so eben einen solchen selbst gesehen und gesprochen habe.

Wie? rief Cursay, also auch hier dasselbe Spiel! Können diese Genuesen denn nicht endlich von ihrer Falschheit lassen, nicht endlich aufrichtig und ehrlich den kaum geschlossenen Frieden halten?

Sie können nicht und sie wollen nicht, versetzte Gaffori. Ihr Haß ist größer als ihre Vernunft, er drängt sie zum neuen Kampfe, und dieser wird mit ihrem Untergange enden.

Oder aber, murmelte der General, wir kommen alle dabei um und dies Drama eröffnet sich mit meinem Ende.

Wir werden nicht untergehen, sagte Gaffori, denn wir werden alle ihre Pläne zu Boden schlagen. Wir werden klüger sein, als sie. Besorgen Sie nichts, mein theurer General.

Hören Sie mich an, Gaffori, erwiederte Cursay. Nicht allein in Ajaccio, sondern im ganzen Süden und Westen, in Calvi, in Bonifacio, in Porto Vecchio ist viel Gährung in den Gemüthern. Es schleichen Menschen umher, die das Volk gegen den Frieden, gegen Sie und gegen mich aufhetzen. Das Land sei arm und zertreten, sagen sie, wir würden es gänzlich aussaugen. Ich mit meinen Franzosen, Sie mit unreifen Ideen und Fantastereien. Helfen könne nur Genua mit seinem Gold und seiner Macht, seiner Milde und seiner Weisheit.

Es hat nichts zu sagen, entgegnete Gaffori, die Corsen kennen das Alles.

Aber die Spione kommen mit vergoldeten Fingern, fuhr der General fort. Es ist Geld ausgetheilt worden und noch mehr schöne Versprechungen, verstärkt durch die schändlichste Verläumdung.

Auch daran sind wir gewöhnt, sagte Gaffori. Es gibt in Corte nicht ein Dutzend Menschen, die solche Lügen glauben, und diese wenigen kann man verachten. Mögen die Spione ihr Wesen treiben. Wenn Genua unnütz Geld verschwendet, um so besser, wir können es brauchen; sollten aber wirklich Unthaten begangen werden, dann können wir mit den Urhebern vor aller Welt zu Gericht gehen.

Ich fürchte, sagte der General, Sie nehmen die Gefahr zu leicht. Man hat mir Warnungen zukommen lassen, auf meiner Hut zu sein. Gab es nicht Meuchelmörder zu aller Zeit in Corsika?

Wie? fragte Gaffori strafend; Sie, mein General, den das Volk liebt und ehrt, von dem jeder Corse weiß, was sein Vaterland Ihnen zu danken hat, dessen edle Theilnahme und Gerechtigkeitsliebe uns diesen Frieden verschaffte, Sie könnten von dem Volke Böses, könnten Meuchelmord fürchten? Wir wollen Ihnen in Corte beweisen, wie theuer Sie uns sind, und wenn es Missethäter gibt, die auf verderbliche Pläne sinnen, sollen sie vor uns zittern.

Der General war durch diese Versicherungen gerührt und geschmeichelt. Sie sind ein edler und großmüthiger Mann, sagte er, stets bereit für ihres Volkes Ehre zu leben und zu sterben; aber Sie haben Recht, man muß das Schlechte niemals fürchten, wenn man das Gute thut. Ich will ein paar Tage bei Ihnen in Corte bleiben, mögen wir gemeinsam berathen, was wir thun müssen.

Hier sind wir schon an der Stadt, erwiederte Gaffori, die sich mit Freude füllen wird, wenn ihre Bürger vernehmen werden, welchen theuren Gast sie besitzen. Ich begleite Sie nach dem Palazzo, da mein eigenes, armes Haus kein passender Aufenthalt sein würde.

Dem Podesta habe ich meine Ankunft wissen lassen, versetzte Cursay, und gebeten mich und mein Gefolge aufzunehmen.

Oh! rief der Doctor, so ist für Alles gesorgt, und siehe da, wir werden von Lichtglanz und frohen Menschen empfangen.

So war es in der That; denn kaum hatten sie die Hauptstraße der Stadt erreicht, so eilten die Bewohner mit Fackeln aus den Häusern, jubelnd und Evviva! schreiend, und als sie den Doctor Gaffori neben dem General erblickten, verdoppelte sich ihr Freudenruf. Die beiden Namen schallten durch die Luft, daneben das uralte Geschrei des Corsen: Es lebe das Volk! Es lebe die Freiheit! Gewehre wurden abgebrannt, Schwärmer in die Luft geworfen. Der General war schnell von Männern umringt, die ihre rothen Mützen schwenkten und ihm die Hände drücken wollten, und die französischen Dragoner, denen es wenig besser ging, hatten Noth ihre Pferde zu bändigen.

Vor dem städtischen Palaste aber standen der Podesta und die Gemeinderäthe, welche den General mit Bewillkommnungsreden in Empfang nahmen. Es dauerte einige Zeit, ehe sie ihn in das alte Gebäude führten, dessen beste Zimmer bereit standen, sammt Allem, was sie dem werthen Gaste bieten konnten.

Gaffori aber lenkte sein kleines Pferd bald aus dem Getümmel die Straße hinab, an deren Ende sein unscheinbares Haus stand. Hochaufragend machte es sich in der Finsterniß besser als am Tage, denn wäre es hell gewesen, so hätte man viele Spuren der genuesischen Kugeln sehen können, die an seinen Granitquadern zerplatzt waren. Eine schmale Treppe führte hinauf, oben schimmerte Licht. Als das Pferd still stand, schrie eine Kinderstimme aus einem der schmalen Fenster:

Der Vater! der Vater!

Zugleich sprang aus einem der untern Räume ein Bursche hervor, der das Pferd in Empfang nahm; dann flackerte der Lichtschein an der Treppe und Gaffori stieg die Stufen hinauf. Seine Arme ausstreckend hielt er Weib und Kind zugleich darin fest.

Guten Abend, Maria Anna, sagte er, da bin ich.

Sei willkommen, lieber Giampietro, antwortete die Frau mit heller Stimme und seinen Kuß erwiedernd.

Und du, mein Luigi, wie geht es dir?

Der Knabe mit seinem lockigen Haar und dunklen, großen Augen strebte an ihm empor.

Wo bist du gewesen, Vater? fragte er. Was hast du mir mitgebracht?

Oho, lachte der Doctor, gewesen bin ich bei deinem Freunde Thomas und mitgebracht habe ich dir – sieh da! Er zog den Fuchschwanz aus der Tasche und gab ihn dem Kinde, das ein unmäßiges Freudengeschrei erhob und damit umhersprang.

Ein Fuchs! Ein Fuchs! Du hast ihn geschossen, Vater, jubelte er.

Mausetodt, sagte der Doctor und einen lebendigen hätte ich obenein beinahe gefangen. Drei Muffros haben wir gejagt; auf den Schneefeldern am Tozzolo lagerte eine ganze Heerde.

Warum hast du keinen Muffro mitgebracht? fragte das Kind, da hätten wir lange vollauf schön zu essen gehabt.

Das ist einmal meine Art so, Luigi, versetzte Gaffori, seinen Arm um Maria Anna legend. Ich ziehe lieber dem Fuchs das Fell ab und verlasse mich auf deiner Mutter Küche, die Vorräthe bereit hält, im Fall etwa eine plötzliche Belagerung eintritt.

Ei, sagte die Frau, auch ohne Belagerung ist mein Haus gut bestellt. Gleich sollst du sehen, wie ich an dich gedacht habe. Rücke den Lehnstuhl für den Vater an den Tisch, Luigi, er wird müde sein. Nimm ihm die Jagdtasche ab und bringe den bequemen Hausrock. Gleich bin ich wieder hier.

Der Knabe sprang fort und that nach seiner Mutter Gebot. Der Doctor setzte sich in den Lehnstuhl nahe bei dem Kamin, in welchem ein wohlthätiges Feuer brannte, und plauderte nun behaglich mit dem Kinde, das auf seine Kniee kletterte.

Eng und einfach ausgestattet war das Zimmer des berühmten Bürgers, doch sauber sah es darin aus, die ordnende und verschönende Frauenhand ließ sich überall erkennen. Vor dem Kamin lag ein Teppich, die Wände waren glänzend weiß, auf dem alterthümlichen Schrank und auf dem Tische standen Frühlingsblumen in Vasen von buntem gebrannten Thon, die kleinen grünen Scheiben der schmalen Fenster umhüllten Vorhänge von rothem Zitz und auf den gelben blanken Fliesen des Fußbodens konnte sicher auch das schärfste Auge keinen Fleck oder Staub bemerken.

Giampietro Gaffori betrachtete dies Alles mit frohen Empfindungen. Neben an lag sein eigenes Gemach mit seinen Büchern und Arbeiten, er blickte durch die offne Thür dankbar hinein. Dies war Alles, was er sein nannte, dazu ein kleiner Wein- und Oelgarten, ein Dutzend Bäume voll Schatten und Früchte: wenige geringe Habe und doch fühlte er sich stolz und froh, seine Brust voll von Glück.

Die unermeßlich reichen Herren und Herzöge von Genua fürchteten nichts so sehr, als diesen armen, einfachen Mann, seine Mitbürger blickten auf ihn, wie auf den Stern in jeder Noth, es gab kein Haus und keine Hütte, wo sein Name nicht die Herzen bewegte, und hier saß er mitten in der schönen, friedlichen Ruhe, die sein getreues Weib liebevoll um ihn verbreitete, den Knaben in seinen Armen, den er dem Vaterlande geopfert hatte, wie Abraham sein Kind opfern wollte auf Gottes Gebot. Aber die allgütige Milde hatte ihre Hand auch über sein Opfer ausgestreckt und seinen Jammer in Freude verwandelt.

Wie er sinnend und lächelnd in's Feuer und in das blühende Gesicht des Kindes schaute, wünschte er sein eigenes Glück den Corsen, er wünschte es allen Menschen. Jeder möchte so wie er Frieden in seinem Hause finden, arbeitsam sein irdisches Wohl verdienen, Ordnungssinn in jeder Hütte, bescheidene Wünsche, frohes Gewähren.

Ein treues Weib, die verständige Gefährtin, Kinder, der Quell der Liebe und des Strebens. Ist das zu viel gefordert für ein Menschenleben? sagte er, drückte den Knaben an seine Brust und horchte auf dessen Geplauder. Luigi erzählte ihm, was er den Tag über gethan, wie viel er gelernt habe und umhergesprungen sei. Die Mutter habe ihn lesen und schreiben lassen, dann sei er zu dem hochwürdigen Herrn Propst Aldoni gegangen und mit ihm hinausspaziert, wo es viel schöner sei und wo alle Bäume so herrlich reich blühten, daß es viele Früchte aller Art geben würde. Dann sei er nach Haus zurückgekehrt, und der Oheim Francesco sei bei ihm und bei der Mutter geblieben den ganzen Tag.

Was habt ihr denn beisammen gethan? fragte der Doctor.

Ei, die Mutter hat gestickt an ihrem Rahmen, wie sie immer thut, darauf hat sie die Zither genommen und hat gesungen, weil Francesco sie bat. Der Oheim sang auch und er singt so schön, daß es Niemand so machen kann.

Und so seid ihr im Hause geblieben?

Nein, wir gingen in unsern Garten; aber dort hat die Mutter den Onkel fortgeschickt, denn Jacopo kam gelaufen und brachte Nachricht, daß der französische General kommen werde. Francesco wollte nicht, allein die Mutter bestand darauf.

Und darauf ist Francesco fortgegangen und gar nicht wiedergekommen, nicht wahr? lachte der Doctor.

Er ist nicht wiedergekommen, auch sind wir bald darauf selbst nach Haus gegangen, aber er war auch hier nicht.

Die Rückkehr der sorgsamen Hausfrau unterbrach diese Mittheilungen. Maria Anna brachte nicht allein Brot, Wein und Kastanien, sie brachte auch ein verdecktes Gericht, und Gaffori fand eine schöne Forelle, die er niemals verschmähte.

Nun setzte sie sich zu ihm, legte ihm vor und er theilte mit ihr und dem Knaben, der lüstern nach dem Teller schaute, aus des Vaters Glas nippte, eine Zeit lang mit seinen kindlichen Fragen und Bemerkungen die Eltern belustigte, endlich aber seinen Kopf an der Mutter Brust barg und einschlief.

Jetzt erst wurden die Mittheilungen zwischen den beiden Gatten von jeder Vorsicht frei. Es war nicht mehr die Geschichte der Jagd und die Beschreibung des Muffro und des Fuchses, welche Luigi gefesselt hatte, der Gegenstand ihrer Unterhaltung, sondern es kamen wichtigere Dinge zur Sprache.

Zuerst, sagte Maria Anna, erzähle mir von Therese und ob deine Vermuthungen sich bestätigt haben.

Sie haben sich nur zu gut bestätigt, erwiederte Gaffori. Ich habe keinen Zweifel mehr, daß Antonio Romei die Absicht hat, seine Schwester mit Thomas zu verheirathen, und daß sie selbst damit einverstanden ist.

Das kann gut und schlimm sein, versetzte die junge Frau nachdenklich. Ich weiß nicht, soll ich mich darüber freuen oder betrüben.

Wäre Grund zur Freude vorhanden, würde ich williger dazu sein als jeder Andere, sagte der Doctor, allein ich kann nicht anders, als diese Pläne verderblich finden.

Das ist doch hart, flüsterte Maria Anna vor sich hin.

Wenn zu denken wäre, daß Therese unserm Freunde Glück in sein Haus brächte, wenn Herzensneigung sie zu ihm zöge, nach menschlichem Ermessen Segen aus dieser Verbindung ersprießen könnte, dann, Maria Anna, würde Niemand mehr als ich allen Einfluß aufbieten, um dies Paar zu vereinigen, aber wer kann daran glauben? Therese ist stolz und eitel, hochfahrend ihr Sinn, verwöhnt ihre Sitten. Thomas Cervoni dagegen einfach, edelherzig, ein warmes treues Blut. Leicht ist er zu täuschen, doch welche Reue wird nachfolgen! Daß ein schönes Mädchen ihm ihre Gunst zeigt, schmeichelt ihm, und sein offenes ehrliches Herz merkt nicht die Absicht, welche sich dahinter verbirgt. Ihr, der Corte zu arm und still ist, muß der Aufenthalt in dem einsamen Gebirgsthale zur Qual werden, allein sie zeigt sich dort geschäftig, häuslich, zutraulich und weiß ihre Fäden so geschickt zu spinnen, daß selbst die vorsichtige Frau Giovanna davon umnetzt ist.

Wenn es aber doch Wahrheit wäre? fiel Maria Anna ein. Therese ist drei und zwanzig Jahre alt, in solchem Alter sind die Träume eines Mädchenherzens ausgeträumt. Ihre Wünsche finden ein bestimmtes Ziel, sie begnügen sich mit dem Erreichbaren, und eine edle Liebe kann um so fester und wahrer sie zu dem Manne ihrer Wahl ziehen, wenn dieser auch in früherer Zeit von ihr unbeachtet geblieben wäre.

Gaffori schüttelte den Kopf.

Frauen wie diese, sagte er, wissen nichts von Liebe. In ihrem kalten Herzen rechnen nur die Vortheile und neben ihrer Eitelkeit hat nur der Ehrgeiz darin Raum.

Welche ehrgeizige Pläne kann Therese machen?

Nicht wenige, mein Schatz, erwiederte der Doctor. Sie weiß, daß ihr eigenes Vermögen nicht groß und daß es zerrüttet ist. Unüberlegte Speculationen im Kauf von Landbesitz und im Handel hatten ihrem Vater schon schwere Verluste gebracht. Jetzt hat ihr Bruder sich weiter verschuldet und klagt den Krieg an, statt zu bedenken, was er selbst gethan. Thomas Cervoni ist reich, er kann seiner Frau verschaffen was ihr gefällt, doch mehr noch: Thomas ist jung und angesehen, viele Augen richten sich auf ihn, manche glauben, daß sein Vaterland noch viel von ihm zu erwarten habe, wenn die Ereignisse günstig sind, und daß – hier schwieg Gaffori und lächelte.

Was hoffen sie, Giampietro?

Daß Thomas Cervoni, aus dem alten stolzen Geschlecht der Herren von Soveria, wohl im Stande, der Erste des corsischen Volkes zu sein und an dessen Spitze zu stehen, statt des Doctors Gaffori.

Niemals wird er das, niemals! rief Maria Anna mit leuchtenden Augen. Thomas ist nicht der Mann, dessen Corsika bedarf, auch würde er dies nimmer versuchen.

Wer weiß, sagte Gaffori; sicher ist, daß ich meinen treuen Freund bald verlieren würde, käme er in die Hände der Romei und einer herrschsüchtigen Frau, die mit ihren Künsten ihn zu ihrem Werkzeuge machte. Weiß ich doch an mir selbst, fuhr er mit Blicken voll Leben fort, indem er seine Hand in Maria Anna's Hand legte, welche Macht eine Frau über ihren Gatten ausübt, der sie zärtlich liebt. Der arme Thomas würde bald in einen harten Kampf gerathen und dieser würde unglücklich enden, für ihn wie für uns Alle.

Wenn dies genau so ist, wie du sagst, antwortete die junge Frau, dann freilich ließe sich wenig Gutes hoffen. Doch könnte es nicht sein, daß auch Thomas große Macht über Therese gewönne, und wäre dies nicht das Mittel die Romei zu versöhnen? Hast du, theurer Giampietro, nicht so viele Macht über mich gewonnen, daß du mein liebster und erster Freund auf Erden geworden, mein Herr und Gebieter, dem ich Alles freudig sonder Zweifel glaube, was er spricht? Und, o! wie innig wünsche ich, daß Therese einen Gatten finde, damit sie – mir vergeben möge.

Ein Ausdruck von Demuth und Rührung belebte ihre Mienen, als sie diese letzten Worte flüsterte. Gaffori blickte lange stumm und freundlich in ihr Gesicht. Es sah so lieb und fromm, fast kindlich unschuldig aus, daß Niemand ahnen konnte, welch heldenmüthiges starkes Herz in der Brust dieser Frau schlug. Ihre schönen klaren Augen senkten sich nieder auf das schlafende Kind und um ihre Lippen zuckte ein Lächeln, wie um die Lippen der büßenden Madonna.

Deine Herzensgüte, liebe Maria Anna, sagte Gaffori darauf, drängt dich zu einer Anklage, die Niemand mit Recht, weder gegen dich noch gegen mich erheben kann. Der alte Romei war meines Vaters Freund, es mag ein vertraulich Wort gemeinsamer Wünsche vorgekommen sein, ich selbst habe dazu keinen Anlaß gegeben. Als ich nach Corte zurückkehrte, war Therese noch ein Kind, sie war nicht dreizehn Jahre alt, als ich dich heirathete, und niemals gefiel sie mir, niemals hatte ich den Wunsch ihr zu gefallen. Du warst meines Herzens einziges Verlangen und wirst es bleiben für alle Zeit, wenn du mich nicht etwa verstoßen willst, fügte er leise lächelnd hinzu.

O! du mein süßer Giampietro, sagte Maria Anna voll Zärtlichkeit ihre Augen aufhebend, du machst mich stolzer und glücklicher, als Königinnen sind. Denn ich weiß, selbst der Heiland, der für die Wahrheit am Kreuze starb, konnte nicht wahrhafter sein, als du es bist. Aber die Romei haben seit jener Zeit Groll getragen.

Die Romei sind falsch, unterbrach sie Gaffori. Nie haben sie es mit des Vaterlandes Sache treu gemeint. Immer hingen sie heimlich an Genua, und jetzt – du weißt noch nicht, daß ich die beiden Brüder in Cervoni's Haus antraf. Sie waren heraufgekommen ihre Schwester zurückzuholen, und wen hatten sie mitgebracht?

Er hielt inne und fuhr dann fort:

Einen genuesischen Kundschafter! Angeblich einen Kaufmann aus Livorno mit dem Namen eines Handelshauses, das in früherer Zeit Oelgeschäfte mit ihnen machte, in Wahrheit sicherlich ein Geschöpf des Gouverneurs in Bastia, oder gar des hohen Raths in Genua selbst.

Was will er hier und was wollen sie mit ihm? fragte Maria Anna.

Immer dasselbe, mein Schatz, was die Genuesen immer wollten. Immer neue Intriguen, neue Aufreizungen, neue Missethaten.

O, die Elenden!

Sie wollen sehen, ob die Corsen sich noch nicht zurücksehnen unter ihr sanftes Joch, ob sie der Männer, die ihnen zu dem Stückchen Freiheit halfen, das sie besitzen, noch nicht müde sind.

Maria Anna's Augen blitzten.

Dulde es nicht, Giampietro!

Laß sie nur kommen, erwiederte er lächelnd. Laß sie nur zusehen, wie es bei uns steht. Wir wollen sie in ihren eigenen Schlingen fangen, und dann – ja dann wird ihre Stunde schlagen.

Es lag etwas in seinen Mienen, das seinen Worten und der Bewegung seiner niederfallenden Hand einen ernsten Nachdruck gab.

Auch um dessentwegen, fuhr er fort, möchte ich Thomas Cervoni von jeder näheren Verbindung mit dieser Familie zurückhalten, aber ich fürchte, es wird nicht angehen ihn davor zu retten. Es ist der Mühe werth ihn einzufangen. Die Männer von Niolo sind ihm blind ergeben und sein Beispiel könnte wichtige Folgen haben.

Die junge Frau hörte was er sagte aufmerksam an. Sie war gewöhnt ihres Gatten Vertraute zu sein, er verschwieg ihr nichts. So sprach er auch jetzt zu ihr von Verhältnissen, welchen sonst Frauen fern bleiben: von den Ursachen, die den Grafen Cursay nach Corte geführt, von den Umtrieben in Ajaccio und im Süden der Insel und von seiner Ueberzeugung, daß dieser Friede bald gebrochen sein werbe. Aber er theilte ihr auch seine Gedanken über die Folgen und seine Wünsche mit und zeigte seine Zufriedenheit mit den Plänen seiner Feinde.

Wir brauchen nur solchen Friedensbruch, sagte er, um dies unersättliche Genua vor Gott und aller Welt anzuklagen mit Schimpf und Schande. Wir sind die Friedfertigen und Geduldigen, sie die blutdürstigen Unterdrücker. So werden wir vor allen Völkern und vor allen Fürsten stehen, selbst vor dem Könige von Frankreich, mit dessen Hülfe allein noch die Genuesen sich hier behaupten. Dann, Maria Anna, werde ich den Frieden dictiren, kein Anderer, und Menschen, wie diese Romei, werden ihrem Vaterlande keinen Schaden mehr bereiten können. Es wird keine genuesische Partei mehr in Corsika möglich sein.

Die junge Frau blickte ihn mit Stolz und doch sorgenvoll an.

Gottes Engel mit dir, mein Giampietro!sagte sie, wer möchte es thun, wenn du nicht; Gott hat dich wunderbar geschirmt, er wird sich auch ferner beschützen.

Wer Großes thun will, darf Gefahren nicht fürchten, antwortete er.

Wahr! wahr, was du sagst! Ich fürchte nicht für dich.

Weil deine Seele erhaben ist, Maria Anna. Weil du denkst, wie Gaffori's tapfere Gefährtin denken muß.

Ein begeistertes Lächeln war ihre Antwort. Ihre sanften dunklen Augen thaten sich feurig auf und hingen an seinem Gesicht mit der Opferfreudigkeit eines Propheten.

Ist es nicht Gottes höchste Gnade, sprach er voll Zärtlichkeit, daß er dich mir gegeben hat, als Quell meines Lebens und als Stütze meines Willens. Wo wäre ein Weib, das dies vermöchte! Was wäre geschehen, wenn ich schwach genug gewesen, mir jene da aus Romei's Blut zu wählen?

Und Maria Anna beugte sich zu ihm, legte ihren Arm um seinen Hals, ihren heißen Kopf an seine Wangen und erwiederte leise liebeglühend:

Gelobt sei die heilige Jungfrau! Bete, Giampietro, bete zu ihr, daß sie gnädig mein Glück beschütze.


3.

Am folgenden Tage war die Stadt in noch weit lebhafterer Bewegung als am Abend vorher. Denn die Feierlichkeiten für den französischen General brachten die gesammte Bevölkerung auf die Beine; auch aus den umliegenden Kirchspielen strömten Viele herbei, die ihre Neugier und Theilnahme befriedigen wollten. Darunter befanden sich manche angesehene Männer, welche auf ihren Landgütern wohnten und nun ihre Gastfreunde aufsuchten, denn Wirthshäuser gab es hier nirgend, Jeder mußte sehen wo er blieb.

Und was an diesem ersten Tage nicht geschah, vervollständigte sich während der folgenden. Die Zahl der Einwohner Corte's, welche kaum fünf Tausend betrug, vermehrte sich im das Dreifache und keine Kammer blieb unbesetzt. So hatte der Doctor Gaffori denn ebenfalls nicht wenige Gäste erhalten; manche seiner alten Waffengefährten sprachen bei ihm an und er nahm auf so viel sein Haus zu fassen vermochte und sorgte für Alle, denn wem hätte Giampietro Gaffori jemals seine Dienste verweigert!

Der Stolz der Männer von Corte auf ihren großen Bürger war aber nicht gering und er fand in diesen Tagen neue Nahrung in Fülle. Nicht allein, daß Gaffori zu den Gemeinderäthen gehörte, Jedermann wußte auch, daß er der Erste unter Allen, und eben so gewiß war es, daß die Ehrenbezeugungen für den französischen Grafen und General nicht so glänzend ausgefallen wären, wenn Gaffori sie nicht gewünscht und gewollt hätte. Das Volk hing an den Blicken und Winken seines Helden, wie an denen eines Heiligen; was ihm geschah, empfanden Alle; als daher Graf Cursay an jenem Morgen, nachdem Giampietro lange Zeit mit wenigen vertrauten Männern bei ihm im Stadthause gewesen, auf den Balkon hinaustrat, Hand in Hand mit dem vielverehrten Mann, dem sich keiner vergleichen konnte, erhob sich ein unermeßlicher Jubel.

Gaffori selbst jedoch benahm sich voll Schicklichkeit und Feinheit. Ueberall zeigte er, daß Graf Cursay der Erste und Höchste sei, mit Bewunderung pries er die Dienste, welche der Graf den Corsen geleistet, und so bewirkte sein Beispiel, daß das dankbare Gefühl des Volks sich immermehr erwärmte und steigerte.

Diese Bewegung nahm aber noch weiter zu, als sich die Kunde verbreitete, daß zu Ehren des hohen Gastes eine öffentliche Festlichkeit stattfinden werde, welche alle Köpfe in einen Freudenschwindel versetzte, und wiederum war es Gaffori, von dem dieser Plan ausging.

Das Volk lief durch die Straßen tanzend, singend und springend, und die Menschen mit den gelbbraunen Gesichtern, den feurigen Augen und wild flatternden Haaren schienen von plötzlicher Tollheit befallen zu sein. Manche schwangen ihre Mützen, andere ihre Weinflaschen, noch andere ihre Gewehre und Messer, und so gegen einander laufend, schrieen sie sich jubelnd zu:

La Moresca! La Moresca! Wir werden sie sehen, wir werden sie hören. La Moresca! la Moresca!

Man hätte bei dieser Aufregung und solchem Mienenspiel glauben können, daß wirklich Mohren und Mauren gelandet seien und auf Corte losmarschirten, aber das tolle Lachen deutete nicht auf Angst vor Gefahren, die in alten Zeiten Corsika fürchterlich genug heimsuchten.

All die alten Thürme, welche die Küsten umringen, zeugen noch von den schrecklichen Ueberfällen der räuberischen Mohren, welche Jahrhunderte lang sich aus Corsika Sklaven und Beute holten; doch eben aus jenen Tagen wilder Kämpfe zwischen Christen und Heiden hat sich ein Waffentanz erhalten, die Moresca genannt, welcher von den heutigen Corsen noch eben so leidenschaftlich geliebt wird, als von ihren Vätern.

In den Zeiten der Befreiungskriege gegen die Genuesen diente die Moresca oft dazu, die kriegerischen Begierden des Volkes aufzustacheln und seine Siegesfeste zu feiern, doch jetzt war seit einer Reihe von Jahren dies Schauspiel in Corte nicht mehr gesehen worden; kaum aber war der Name ausgesprochen, als das Entzücken alles Maß überstieg. Giampietro Gaffori wurde unzählige Male gesegnet und die kühnsten, schnellsten und gewandtesten Männer und Jünglinge eilten zu ihm, um sich zur Theilnahme anzubieten, denn es gab keine größere Ehre, als zu den Tänzern der Moresca zu gehören.

Der Doctor Gaffori hatte inzwischen die Oberleitung übernommen und mit kluger Vorsicht seine Auswahl getroffen, noch aber fehlte ihm Einer, dem er eine Hauptrolle bestimmt. Es fehlte ihm Thomas Cervoni, und er stand im Begriff einen Boten nach Niolo hinauf zu senden und seinen jungen Freund einzuladen, als Thomas plötzlich selbst vor ihm stand.

Du kommst zur guten Stunde, rief ihm Gaffori entgegen. Sei uns herzlich gegrüßt, Thomas, wir haben dich erwartet, Maria Anna hat für deine Mutter und für dich Raum aufbewahrt.

Thomas machte ein verlegenes Gesicht.

Du wirst verzeihen, sagte er, wenn ich dir danke. Romei gab uns gestern die erste Nachricht von dem, was sich in Corte vorbereitet, und bot uns sogleich sein Haus an. Meine Mutter wollte jedoch ihren stillen Wittwensitz nicht verlassen, und was mich anbelangt – du siehst wohl, daß ich nicht ausschlagen kann bei Romei zu wohnen.

Freundschaft soll nicht wanken, lächelte der Doctor, doch wirst du mich nicht verlassen, wo es Rühmliches zu thun gilt.

Immer an deiner Seite, versetzte Thomas lebhaft. Du darfst nur sprechen, so bin ich bereit.

Gut, sagte Gaffori, du mußt die Moresca mittanzen und mußt der edle Graf Colonna sein, der das Christenheer anführt und den verrätherischen Maurenkönig Nagalone zu Boden schlägt.

Thomas weigerte sich nicht, er war erfreut über die Auszeichnung, und Gaffori fuhr fort:

Schilde und Helme sind genug vorhanden, viele Familien in Corte besitzen solche und manche, die nicht mitspielen, leihen sie gern.

Ich darf nur nach Soveria reiten, fiel Thomas ein, dort habe ich selbst was nöthig ist. Ich will mich so prächtig kleiden und schmücken, als Graf Colonna es je gethan haben kann.

Ei, lachte der Doctor, mache es nur nicht darnach, daß Nagalone's schönes Töchterchen sich wirklich verliebt und du von deinem Glauben abfällst und in's Mohrenlager übergehst. Der Mohrenkönig wird mein Bruder Francesco sein, und was er thun kann, um dir den Sieg zu entreißen, geschieht gewiß. Kämpft also tapfer, ihr edlen Krieger, viele schöne Augen werden auf euch sehen und eure Thaten bewundern und richten.

Francesco Gaffori trat so eben herein, und sein Bruder hatte sicherlich Recht, daß er den Sieg nicht leicht machen werde. Er war von hoher schlanker Gestalt und sein Gesicht schöner und angenehmer noch, als das des wohlgebildeten jungen Cervoni. Einige Jahre älter als dieser, sah er männlicher und kräftiger aus. In dem letzten Kriege hatte er an seine Bruders Seite gefochten, und die Feldlager und Gefechte thaten seiner jugendlichen Blüthe keinen Schaden. Feuriges Blut floß in seinen Adern, seine unruhigen Augen drückten große Beweglichkeit aus, dasselbe thaten seine rasch wechselnden Mienen, die eben so fröhlich und glücklich, wie gleich darauf wieder ernst und nachdenklich werden konnten. Wie er Alles leicht und mit großer Heftigkeit ergriff, hatte ihn auch diesmal die Moresca lebhaft aufgeregt.

Wir werden uns finden, Freund Thomas, rief er, und es wird sich zeigen, wer den meisten Beifall erhält. Meine Mohrenherrlichkeit soll mir das stolzeste Herz erobern; das ist meine Absicht.

Es schien, als ob Thomas von dieser Spötterei gereizt wurde und ihr eine bestimmte Bedeutung beimaß. Wenn du dich nur nicht verrechnest, sagte er, und deine Niederlage die Folge ist.

Hüte dich nur selbst, lachte der schöne Francesco. Ich bin ein gefährlicher Gegner und werde es dir beweisen.

O! rief Thomas, versuche deine Kunst, ich fürchte mich nicht. Glatte Gesichter und süße Worte bestechen nicht alle Mädchen, die stolzesten und schönsten haben oft weit weniger Wohlgefallen an der zierlichen Haut als an dem Kern, der darunter sitzt. Sieh hier deinen Bruder, der die schönste und edelste Frau in Corsika in zärtlicher Liebe gewonnen hat, ohne ein Ausbund von Liebenswürdigkeit zu sein.

Gaffori hatte den Redereien zugehört ohne sie zu hindern, es war ihm im Geheimen willkommen, daß sein Bruder damit auf die Gerüchte anspielte, welche über die Verbindung seines jungen Freundes mit Therese Romei sich schon verbreitet hatten, die in ganz Corte als das stolzeste Mädchen galt. Zugleich dachte er auch daran, daß man vor noch gar nicht langer Zeit dasselbe von Francesco gesagt hatte, als dieser aus dem Kriege zurückkehrte, daß aber ein ernstliches Verhältniß niemals eingetreten sei.

Francesco war, wie viele junge Corsen jener Zeit, auf das Festland in eine Klosterschule geschickt worden, um sich später dem geistlichen Stande zu widmen, er befand sich aber kaum in dem Convent von Morosaglio, um dort weiter zu studiren, als der Aufstand in Corsika ausbrach und ihn von Beschäftigungen befreite, zu denen er wenig Neigung hatte. Er stürzte sich in den Krieg, wo seines Bruders Ansehen ihn begünstigte, und seit der Friede geschlossen, lebte er bei diesem und von einem kleinen Vermögen, das seine Eltern ihm hinterlassen.

Ein solcher Schwager mochte so wenig den Romei gefallen wie ein solcher Gemahl ihrer stolzen Schwester. Francesco jedoch war mit ihnen bekannt, zumal mit dem jüngeren der Brüder. Er kam oft in das Haus der Familie, leistete der Doncella Therese zuweilen Gesellschaft, sang mit ihr Serenaden und Voceros und wurde gern gesehen, bis in letzter Zeit dieser Umgang sich merklich erkältete.

Jetzt, als Giampietro seines Bruders düster blickende Augen und zuckende Lippen sah, bereit eine wahrscheinlich zornige Antwort zu geben, rief er Beide umfassend:

Ihr wollt Euch doch nicht zanken, ehe dies für Christen- und Heidenkönige erlaubt ist. O, Maria Anna, du kommst zur rechten Zeit, um deine Weisheit walten zu lassen.

Was giebt es denn? fragte die junge Frau, welche lächelnd an der Thür erschien.

Sie streiten sich um den Preis ihrer Tugenden, fuhr Gaffori fort, und es fragt sich dabei: ist der seines Sieges über Frauen gewisser, der Körperschönheit in die Wagschale legen kann, oder hat jener Recht, der da meint, solche Vorzüge wögen leicht gegen die geistige Kraft begabter Männer?

Maria Anna sah mit klugen Blicken freundlich umher und sprach darauf:

Wie mögt Ihr darüber streiten! Wißt Ihr nicht, daß die Augen einer Frau immer zuerst befriedigt sein wollen und, wo dies nicht der Fall, ihr Herz sich niemals befriedigt finden kann?

So ist es, so muß es sein! rief Francesco triumphirend und er lachte entzückt dazu.

Nur noch Eines bleibt zu bedenken, fuhr Maria Anna fort. Wir sehen nicht alle mit denselben Augen, sondern ein Jeder verschieden, je nach den Vorstellungen seiner Seele. Und darum liebt der Eine was dem Andern mißfällt, und verehrt dieser voll Zärtlichkeit was jenen kalt läßt oder gar zum Spott reizt. Bedenkt, Ihr Herren, welch ein Glück, daß dies so ist und nicht anders. Somit seht zu, wie Ihr es macht, um die Augen so zu bezaubern, daß sie nichts sehen als Euch; dann habt Ihr gewonnen, wie Ihr auch aussehen mögt. Das ist mein Urtheil. Bist du damit zufrieden, Giampietro?

O, weiser Salomon! rief Gaffori lachend, so ist die Liebe eine Zauberei, und es kommt nur darauf an den rechten Spruch zu finden, um das Wunder zu vollbringen. Rüstet Euch denn und zeigt, ob Ihr gute Hexenmeister seid, doch laßt Euch nicht selbst etwa blenden und behexen. Wir werden morgen schöne Augen ohne Zahl versammelt sehen, allein ich sage dennoch, wie Thomas: es ist mit der Augenweide nicht abgemacht, und die edle göttliche Liebe kommt nicht von den Augen ins Herz, sondern aus dem Herzen heraus strömt sie in die Augen auf den Geliebten und schafft ihn sich zum schönsten Bilde.

Es kamen nun mehrere Besuche und die Vorbereitungen zu der Moresca wurden lebhaft besprochen. Vierhundert junge Männer waren auserwählt worden, um die beiden Parteien zu bilden; der Schauplatz sollte ein nahe gelegenes Thal sein, das öfter schon dazu gedient hatte, auch besonders gut dafür geeignet war. – Dort sollte eine Tribüne errichtet werden, sowohl für den General und die Offiziere seines Gefolges, wie für die Ersten der Stadt und für die Damen. Eine Anzahl Trompeter und Geiger blieben ebenfalls noch zu beschaffen, dazu der Sterndeuter des Mohrenkönigs und endlich die schöne Prinzessin Zuleima mit ihrem Gefolge.

Die Prinzessin, meine Tochter, wird erscheinen, sagte Francesco, ebenso werden meine Trompeter und Sterndeuter ihre Schuldigkeit thun. Es ist alles in bester Ordnung, kümmert Euch nicht weiter darum. Thomas mag für seine christliche Ritterschaft Sorge tragen.

Er nahm eine geheimnisvolle Miene an und sie gehörte zu dieser Komödie. Die Namen der Prinzessin und ihrer Gespielen werden gewöhnlich geheim gehalten, um den Reiz der Darstellung zu erhöhen, allein die Ehre der Auserwählten war nicht geringer als die der anderen Mitglieder. Die schönsten und vornehmsten Damen lehnten sie nicht ab.

Als nun Alles besprochen war, auch die Probe der Tänze, welche am Abend stattfinden sollte, sammelte sich eine Anzahl Gäste in Gaffori's Haus, denn General Cursay wollte bei seinem Freunde den Tag verleben. Die Zahl der Geladenen war nicht groß, denn das Haus bot keinen Raum zu glänzenden Gelagen, aber es erschienen die ersten Männer der Stadt dabei.

Thomas Cervoni wurde zum Bleiben aufgefordert, doch er entschuldigte sich mit seinen Geschäften, und als Gaffori ihn lächelnd anklagte, daß er wiederum dem Hause Romei den Vorzug gebe, erwiederte er aufrichtig:

Ich kann es nicht läugnen, daß Antonio Romei mich erwartet. Auch er versammelt einige Freunde heut an seinem Tische, zu Ehren seines Gastes, des Herrn Viale.

Ich hatte ihn vergessen, sagte Gaffori. Er ist also noch in der Stadt? Wie gefällt er dir?

Gut. Er ist wohl unterrichtet und für einen Handelsmann kräftig und muthig. Wir haben vor einigen Tagen einen Zug nach dem Tozzolo gemacht: er reitet und gebraucht sein Gewehr nicht ohne Geschick.

Das ist für einen so friedlichen Herrn viel, versetzte Gaffori. Wird er sich lange bei uns aufhalten?

Er will nach Ajaccio und Bonifacio, wie er sagt.

Das sind die rechten Plätze für seine Geschäfte. So gehe denn, mein lieber Thomas, und sorge für Deinen Sieg.

Damit entließ er den Freund, an dessen Stelle bald ein Anderer trat, der mit Herzlichkeit empfangen wurde.

Der Propst und Dechant Aldoni kam und ließ seine durchdringende Stimme schon an der Thüre hören.

Wo ist der Allerweltsdoctor? rief er. Ihr hättet ein Mediciner werden müssen, Gaffori, denn Ihr seid unermüdlich im Recepteverschreiben. Erst habt Ihr dem Könige Theodor goldene Pillen gedreht, als sein vortrefflicher Finanzminister, dann den Herren Genuesen andere von Pulver und Blei und jetzt wieder verordnet ihr ein patriotisches Tränkchen, bereitet aus den Bestandtheilen eines französischen Grafen, ganz unbekümmert, ob unsere corsischen Magen diese Mixtur vertragen können oder nicht.

Ich hoffe, es soll ihnen sehr gut bekommen, die Verdauung stärken und Appetit machen, erwiederte Gaffori lächelnd.

Hört, sagte der Propst, seid nicht zu verwegen. Aerzte, denen viel gelingt, werden häufig leichtsinnige Wagehälse und machen Versuche, die sie um Ruf und Ansehen bringen. Bedenkt, daß Jeder seine Neider, hat und jemehr Einer obenan steht, um so mehr wird ihm auf die Finger gepaßt.

Das ist in der Ordnung und muß so sein, versetzte der Doctor, allein warum gefallen Euch meine Mittel nicht, theurer Freund?

Weil Ihr Euch dadurch immer mehr Neider und Aufpasser auf den Hals zieht, antwortete der Propst. Corpo di Bacco! was bringt Ihr diesen Franzosen nach Corte, um ihn wie einen Heiligen anbeten zu lassen?

Hergebracht habe ich ihn nicht; für seine Anbetung, wie Ihr es nennt, muß ich aber wohl einige Gründe haben.

So! sprach der Propst, das wird einen schönen Spectakel in Bastia und dann in Genua geben. Glaubt Ihr nicht, daß der Herr Gouverneur jetzt schon Alles haarklein weiß? Wie es vorgestern hergegangen ist im Regierungshause, wo Ihr aufgestanden seid, um dem Retter des Vaterlandes, dem edlen, erhabenen Freunde und Schützer des corsischen Volkes, den ewigen Dank der Corsen darzubringen, und wie das Volk dann von Euch in solchen fanatischen Taumel versetzt worden ist, daß es den französischen Liberator beinahe aufgegessen hätte?

Also war es doch eine vortreffliche Medicin, schaltete Gaffori ein.

Nennt sie nur so! nennt sie so! schrie der geistliche Herr auf seinen Bauch klopfend, wir wollen abwarten, wie die Nachwirkungen sind. Wie es in der Offenbarung des heiligen Evangelisten Johannes steht: erst schmecken die Honigkuchen lieblich, doch hinterher kommt das Leibgrimmen. Erst Mohnsaft oder Hanfsamen, so tanzt Euch das Gehirn von prächtigen Bildern, später aber folgen die Uebelkeiten. Wenn ein Mensch ein gutes Geschäft gemacht hat, so schweigt er darüber, weist die Glückwünsche zurück, zuckt lieber mit den Achseln und seufzt, daß es nicht besser ausgefallen, damit der Andere, den er übervortheilt, nicht seinen Schaden bemerke und in Aerger und Wuth gerathe.

Solche Kniffe sind gewöhnlich verlorene Mühe, lachte der Doctor, und um die Genuesen zu täuschen, kämen sie auf jeden Fall zu spät.

Gut, aber warum sie noch mehr reizen? Sie hassen diesen französischen Vermittler schon genug, hassen Euch selbst, der Ihr hinter ihm stecket, mehr als zu sehr. Ich fürchte, Giampietro, Eure Medicin wird ein bitterer Trank für Euch selbst werden.

Bei alledem muß er genommen sein, sprach Gaffori. Seid unbesorgt, ich habe die Erfolge wohl berechnet.

Nein, nein! rief der Propst, wir haben Medicin genug im Leibe, jetzt wollen wir Ruhe haben. Die Leute müssen ihre Oelbäume wieder pflanzen, mehr als zwei Millionen sind verdorrt und umgehauen worden. Soll etwa noch einmal alles darunter und darüber gehen, bis Stumpf und Stiel verloren ist? Täuscht Euch nicht, die Corsen wollen Frieden.

Und die hochwürdigen Pfarrer und Dechanten zumeist, damit die Zehenten und Kirchensteuern gehörig eingehen.

Die dicke, breite Gestalt des Propstes richtete sich auf, er machte grimmige Augen.

Seht Ihr wohl, wie leichtsinnig Ihr schon geworden seid, sagte er. Gibt's reiche Klöster hier, reiche Prälaten und Pfarrer? Wir haben gegeben was unser war, und wie viele sind nicht mit dem Kreuz vorangezogen in die Schlacht. Jetzt aber hat Genua nachgegeben und unsere Pflicht ist es, für das arme Volk zu sorgen, damit es sein Brot in Frieden esse. Und darum sage ich Euch, Giampietro Gaffori, Ihr seid der Segen Eures Volkes geworden, macht nicht, daß ein Fluch daraus werde.

Er legte seine Hand auf des Doctors Arm und blickte ihn ernst und doch voll warnender Liebe an. Gaffori hielt ihn fest, hob sein Gesicht auf und schaute ihm klar in die Augen.

Was ich von Euch höre, mein väterlicher Freund, begann er, läßt mich erkennen, daß klägliche Verläumdungen über mich schon umherschleichen, doch zumeist schmerzt es mich, wenn auch Ihr ihnen Glauben schenktet. Ihr kennt mein Leben, wie ein offenes Buch ist es Euch aufgeschlagen, habt Ihr ein falsches Wort darin gefunden?

Nein, nein! sprach der Propst mit Wärme.

Bin ich ein Ehrgeiziger? Habe ich je nach eitlen Gelüsten, gehandelt? Habe ich mich von Habgier und Selbstsucht leiten lassen?

Nein, Giampietro!

Arm bin ich geboren worden, arm geblieben und arm werde ich sterben, fuhr Gaffori fort, indem er umher sah. Kein Gold, kein Schmuck ist in diesem engen Hause zu finden.

Kein schöneres, kein herrlicheres gibt es in Corsika! rief der Propst ihn umarmend, denn du wohnst darin. Und wenn du längst nicht mehr sein wirst, mein Sohn, wenn Alle vergessen sind, die prächtiger lebten, dann werden späte Enkel noch dies Haus sich zeigen und mit stolzer Stimme sagen: Seht, hier wohnte Giampietro Gaffori!

Glaubt Ihr das, mein Vater, nun dann, so könnt Ihr nicht glauben, daß ich meinem Vaterlande zum Fluch werden mag, fiel Gaffori ein. Wollte ich es, fuhr er mit seinem stolzen leisen Lächeln fort, ich dürfte meine Hand nur nach Genua ausstrecken, es würde viel hineinlegen. Oelbäume sollen die Corsen pflanzen, ich will ihnen dabei helfen. Doch ein verständiger Mann pflanzt nicht eher, bis er weiß, daß die Bäume gedeihen können, und dieser Tag wird kommen, mein theurer Freund, dann wollen wir gemeinsam den Spaten nehmen und die Schwerter zu Pflugscharen machen. Was gibt es denn Schöneres, als ein friedlicher treuer Bürger sein, an seinem Herd mit Weib und Kind, im Schatten seiner dankbaren Bäume sitzen?

Giampietro! Giampietro! rief der Propst mit Bangigkeit, Gott helfe dir! Du hast viele Feinde.

Doch noch mehr Freunde, mein Vater, antwortete der Doctor zuversichtlich, und dazu zähle ich Euch vor Allen, trotz meiner vielen Recepte. Bleibt heut bei uns und lernt den Grafen Cursay kennen. Einen edleren und besseren Mann konnte der König von Frankreich uns nicht senden. Es ging uns, wie es in der Bibel steht: Unsere Feinde dachten es böse mit uns zu machen, aber Gott hat es gut mit uns gemacht. Jetzt verläumden sie ihn dafür, wie sie mich verläumden, und doch ist was ich thue und was wir alle thun, das einzige Mittel, um den Frieden zu erhalten und verrätherische Pläne zu Schanden zu machen.

Der Propst blickte ihn nachdrücklich an über seine letzten Worte, dann sagte er in seiner launigen Weise brummend:

Dieser kluge Doctor kennt alle Schliche, damit wir seine Tränke schlucken, allein ich sage es ihm doch noch einmal, er sehe wohl zu was er thue, denn seine Feinde sind thätig überall, und auch da, wo er sie am wenigsten vermuthet.

Daß diese Aeußerung des Geistlichen eine bestimmte Bedeutung hätte, konnte Gaffori wohl merken. Hochangesehen war der Propst in der Stadt und eng vertraut mit allen Familien und deren Geheimnissen, als Beichtvater und geistlicher Rathgeber.

Gaffori hatte jedoch nicht Zeit mehr, dies zu verfolgen, denn sein Haus wurde lebendig. General Cursay kam mit mehreren andern Herren, und auf der Straße sammelte sich das Volk mit Freudengeschrei.


4.

Am nächsten Tage wurde die Moresca getanzt. Vom frühsten Morgen an war die Stadt voll Lust und Lärm, alle Arbeit ruhte, alle Häuser schmückten sich mit corsischen grünen Fahnen und Blumengewinden und alle ihre Bewohner machten es ihnen nach, legten ihre Feierkleider an und putzten sich auf's Schönste.

Vom Lande herein kamen dann dichte Züge von Menschen, sowohl zu Fuße aus der Nähe, wie ferner her auf ihren kleinen Pferden. Die Männer alle in ihren haarigen braunen Röcken, die rothen phrygischen Mützen auf den dunklen Köpfen, über den Rücken am Riem die Kugelbüchse, um den Leib den breiten Gurt mit Pulver und Blei, an der Seite den Ziegenschlauch mit Wein oder Milch gefüllt, sammt dem Sack um den Leib voll Zwiebeln und Kastanien. Hinter ihnen auf dem Pferderücken saßen die Frauen in ihren Faltenröcken, um den Kopf das dreieckige farbige Tuch, das Mandile, das blau, roth, gelb oder grün malerisch um ihre dunkeln funkelnden Augen und glänzenden Zöpfe flatterte.

Ehe es Mittag wurde, waren die Straßen von Corte mit Tausenden der kleinen rothen Pferde angefüllt, die angebunden standen, wo es immer ging, und sich die Zeit vertreiben mochten, wie es ihnen beliebte. Wohlhabendere Ehepaare und Familien kamen auch jeder allein auf einem Pferde, Frauen und Töchter nach Männerart reitend, und diese muthigen Weiber blieben im schärfsten Lauf nicht zurück. Die weite schwarze Saldetta mit ihrer langen Schleppe war ein vortreffliches Reitkleid und das Mandile von weißer Gaze gab hübschen Gesichtern, an denen es nicht mangelte, besonderen Reiz.

Was von dem zuströmenden Volke nicht in die Stadt herein konnte, blieb außerhalb. Unter den Baumgruppen am Tavignano lagerten sich viele Freunde und Bekannte beisammen auf dem blumigen Rasen, und lustig ging es überall her. Denn an Wein und Brot und anderer Speise litten sie nicht Mangel, und von vielen Seiten her ließen sich die Zithern hören. Junge Leute vereinigten sich um allgemein beliebte Voceros zu singen. Es war ein Jubel, Schreien und Jauchzen, wie es selten bei diesem schweigsamen Volke vorkam, aber die Moresca hatte alle Herzen begeistert, und viel wurde erzählt von der Pracht und dem Glanze, der Gewandtheit und Geschicklichkeit, welche man sehen würde. Nur ältere Männer zweifelten daran, denn ihnen blieben die glänzenden Waffentänze erinnerlich, welche zu König Theodor's Zeiten in Morosaglio und an anderen Orten aufgeführt wurden. –

Am Nachmittage, als die Sonne milder wurde und die kühle Luft von den Bergen niederwehte, machten sich Alle auf nach dem Thale, das zum Theaterplatz ausersehen war. Unter dem schwarzen Felsen fort, auf welchem die eroberte Citadelle lag, führte der Weg in die Berge von Soveria. Der Tavignano schäumte dort in seinem tiefen Bette; über ihm auf dem zackigen Felsen standen die malerischen alten Thürme und Mauern der berühmten Veste mit großen wehenden Fahnen geschmückt, und manche Hand deutete hinauf nach der zertrümmerten Schießscharte, an welche einst Gaffori's Sohn gebunden wurde. Gaffori's Name schallte laut bei diesem Angedenken seines Heldenmuthes, Evvivas für ihn flogen zu der schrecklichen Luke hinauf, und aus den Gesichtern dieser rauhen Männer strahlte ihre Bewunderung.

Die Berge prangten lieblich grün, an ihren Abhängen Frucht- und Weingärten. Die Oliven standen in langen vierzeiligen Reihen, über ihnen aber riesige Kastanien mit hohen Kronen und dichten Blätterkränzen. Zu diesen hinauf zog der Menschenstrom und nun lag ein Thalgrund vor ihm, eingeschlossen von sanft abfallenden Wänden, rund und geräumig und überall umgeben und bedeckt vom schönsten dichtesten Rasen.

Es war dies Amphitheater von der Natur so vollkommen gebildet, daß der Menschenhand fast nichts zu thun übrig blieb. Nur die untere Fläche brauchte man an wenigen Stellen noch mehr zu ebenen und für den vornehmen Gast und die Ersten in der Stadt Tribunen mit Sitzen einzurichten. Den übrigen ganzen Rundkreis nahm das Volk in voller Freiheit ein und lagerte sich unter den alten Kastanienbäumen bis hinab an den Thalring, ein wunderbarer Zuschauerkreis.

Alle diese trotzigen Männer, die langen Gewehre ihre rothen Mützen überragend, alle diese Frauen mit den funkelnden schwarzen Augen, ihre farbigen Mandiles wie zahllose Fahnen flatternd; alle diese Gesichter von Bronce voll leidenschaftlicher Unruhe und Theilnahme, ihre Blicke fieberhaft hin und her fliegend, ihre Bewegungen so schnell wie ihre Worte, und mit jeder neuen Minute ihre Erwartungen gesteigert. Endlich sprangen sie alle auf und ein wildes Geschrei drückte ihr Entzücken aus, denn General Cursay erschien und mit ihm Gaffori; dann der Podesta und die Gemeinderäthe, Damen mit ihnen, sammt Vielen, denen Sitze bestimmt waren. Den angesehensten Bürgern waren diese zu Theil geworden, unter ihnen auch den Brüdern Romei und ihrem Gaste, dem Kaufmann aus Livorno.

Der Lärm währte eine Zeit lang betäubend. Graf Cursay dankte nach allen Seiten hin, doch seine Mienen blieben ernst, er schien mit nachdenklichem Erstaunen diese wilde seltsame Versammlung zu betrachten. Sie war auch wohl geeignet einem Fremden eher Schrecken als Freude einzuflößen und mochte bei dem Grafen geheimen Schauder über die barbarischen Zustände dieses Volkes bewirken. Denn diese Menschen sahen wie Dämonen aus, bereit Jeden zu erwürgen, der sich ihnen nahte, und selbst hieher brachten sie ihre Waffen mit, um jeden Augenblick zum Angriff und zur Vendetta bereit zu sein.

Den französischen General überkamen bei ihrem Anblick die bangen Ahnungen, von denen er seit einiger Zeit gepeinigt wurde; er sagte leise zu Gaffori:

Sind Sie überzeugt, mein Freund, daß kein Unglück geschehen kann? Unsere Feinde hätten hier leichtes Spiel zu unserem Verderben.

Aber der Doctor hob sein furchtloses edles Gesicht so stolz und frei auf und lächelte mit solchem Selbstbewußtsein, als sei seine breite Brust mit siebenfachem Erz bedeckt.

Alle diese Menschen, erwiederte er, würden jeden Tropfen ihres Blutes für Sie verspritzen, General, und der verderbteste unter ihnen Ihr Schild sein. So groß ihre Freude und ihr Verlangen nach diesem Schauspiele ist, größere Freude noch macht ihnen Ihre Gegenwart. Ihr Beifall wird die schönste Erinnerung an diesen Tag bleiben, welche sie in ihre einsamen Capannen mitnehmen.

Es bedurfte vielleicht dieser Ermunterung, um in Cursay die trüben Gedanken zu verscheuchen, aber sein tapferes Herz und sein ritterliches Wesen gewannen überall die gewohnte Sicherheit. Sein kriegerischer Anblick hatte von Anfang an ihm das Zutrauen der Corsen gewonnen, und dabei war er eben so höflich wie von offenem geraden Sinn. Mit Freuden sah das Volk seine zutrauliche Freundschaft zu Gaffori und sein herzliches Begrüßen der Herren und Damen, die nun nach und nach die Tribünen dicht besetzten. Die Stille kehrte zurück, sie wurde immer größer und verwandelte sich endlich in ein lautloses Schweigen, als ein Trompetenton aus der schmalen Höhlung drang, die den einzigen Ausgang aus diesem Grunde bildete.

Alle Blicke richteten sich dorthin; die Gesichter füllten sich mit gespanntester Erwartung, alle Muskeln streckten sich, alle Augen verdoppelten ihre Sehkraft. Eine wunderbare Gestalt zeigte sich dort am Eingange. Es ist ein Greis mit langem weißen Bart, im Kaftan von gewirkter Seide. Ein Gürtel mit wunderlichen Zeichen und Charakteren gestickt umfaßt seinen Leib, eine hohe spitzige Mütze bedeckt sein Haupt. Langsam schreitet er bis in die Mitte des Platzes vor und beobachtet den Himmel, doch je mehr er hinaufblickt, um so bestürzter und angstvoller werden seine Mienen, denn er, der Astrolog des Königs Nagalone, erkennt ein nahendes Unglück und er eilt seinen Gebieter davon zu benachrichtigen.

Indem er mit allen Zeichen seiner Furcht sich entfernt, tritt der Mohrenkönig ihm entgegen, und bei dessen Anblick kommen die Zuschauer in Bewegung. Ein Freudengemurmel, ein Aufjauchzen fliegt in den sonnenlichten Himmel, dann kehrt das Schweigen zurück. Aber König Nagalone verdient dieses Beifallszeichen, denn Schöneres läßt sich kaum denken. Er ist nicht etwa schwarz gefärbt, nein, es ist Francesco Gaffori, der schöne, gewandte, schlanke Francesco.

Auf dem Haupt trägt er einen goldenen mit Purpurfedern geschmückten Turban, eine rothe mit goldenen Blumen gezierte Toga fällt über seine Schultern und über den Panzer, sein strahlender Schild ist mit einer Purpurborte umsäumt. Und wie leicht, wie elastisch sind seine Schritte, wie lebhaft ist sein Mienenspiel, wie stolz jede Bewegung. Er hört den Bericht seines Sterndeuters verächtlich lächelnd an und spottet über die ihm verkündeten Gefahren. Er macht das Zeichen des Kreuzes und tritt mit dem Fuße darauf, er hebt den Damascenersäbel auf und droht höhnend gegen Norden hin, woher die Christenfeinde ihm kommen sollen, wie der Astrolog dies in den Sternen gelesen hat.

Plötzlich tönt ein Horn, und Nagalone läßt seinen Arm sinken. Ein Bote stürzt schreckensbleich herbei und zu seinen Füßen. Er berichtet, daß das Christenheer Calvi erobert hat und im Anzuge sei. Nagalone schwingt wüthend sein Schwert. Hörner blasen, seine Krieger eilen herbei, der ganze Schlachthaufe zieht aus dem Hohlwege und ordnet sich auf des Königs Wink. Alle tragen goldglänzende Panzer und Turbane, rothe Helmbüsche, die rothe Toga über ihre Schultern. In der Rechten das Schwert, in der Linken den Dolch.

Und abermals erschallen die Hörner; Hugo Colonna, der Eroberer Corsika's, kommt mit dem Christenheere. Wie ihn das Volk erblickt, steigt ein tausendstimmiger endloser Jubelschrei auf. Die Männer springen in die Höhe, die Frauen schwingen die Mandiles., einen Augenblick lang scheint es, als wollten sie alle hinunter zu ihm, um ihm zu helfen, dann aber verstummt diese leidenschaftliche Theilnahme, doch alle Augen ruhen wonnig auf dem Helden der Christenheit. Es ist Thomas Cervoni, es ist sein kühnes frohes Gesicht, seine kräftige Gestalt. Silbern sind ihm Panzer und Helm, blaue Federn wehen an diesem, blau ist seine Toga, ein Kreuz ist sein Schwertgriff, und ihm gleichen seine Krieger.

Jetzt stellen die Christen sich auf, die Mohren ihnen gegenüber. Hier eilt Nagalone durch die Reihen mit heftigen Gebehrden, mit kühnen Sprüngen, den blitzenden Säbel um sein Haupt wirbelnd, und er entfaltet die Fahne des Propheten. Dort steht Hugo Colonna, das Schwert zum Himmel hebend und auf seine Kniee niedersinkend, küßt er das Kreuz am Griffe. Alle seine Krieger liegen gläubig auf den Knieen.

Nun aber blasen die Muschelhörner beider Heere. Unzählige Male haben ihre gellenden wilden Fanfaren die Corsen in die Schlacht begleitet und auch jetzt verfehlten sie ihre Wirkung nicht, die Zuschauer zittern vor Begier. Ihre nervigen Hände pressen sich um die eisernen Läufe ihrer Carabiner und Dolchmesser, glühend funkeln ihre Augen, und die broncenen Gesichter beben in Leidenschaft; allein die Schlacht beginnt noch nicht.

Beide Heere marschiren im Kreise umher; leicht, halbtanzend, schön ist jeder Schritt, jeder Kämpfer zeigt seine Muskelkraft, seine mannhafte Gliederbildung, und die Zuschauer haben Zeit, sich für jeden zu begeistern und ihre Theilnahme zu beweisen.

Die Mohrenschaar ist vornehmlich aus der Jugend von Corte auserwählt. Gaffori's Bruder hat zahlreiche Freunde, die besten haben sich mit ihm verbunden. Sie wissen wohl, daß sie dazu bestimmt sind endlich die Waffen strecken zu müssen, doch das hindert sie nicht, um den Sieg und um den Beifall zu tanzen, welcher der gewandtesten Schaar zu Theil wird.

Thomas Cervoni hat nicht so viele Anhänger in der Stadt, aber aus Soveria und Aleria sind ihm tüchtige Freunde gekommen, die Söhne altberühmter Familien und seiner Verwandten; endlich auch aus dem Niolo eine Anzahl auserwählter Jünglinge, die diesen uralten Waffentanz, den sie oft geübt, vollständig inne haben.

So theilen sich die Wünsche nach beiden Seiten, für diese und für jene, bis die Kämpfer wieder an ihrem Platze stehen. Da plötzlich springt der Mohrenkönig hervor, sein Degen gibt das Zeichen zur Schlacht. Die Hörner schweigen, eine einzige Violine stimmt die eigenthümliche Melodie an, sie allein begleitet den Tanz.

Dies Alles war das Vorspiel zur Moresca, welche nun erst unter dem athemlosen Schauen und Staunen des Volks sich entwickelt. Mohren und Christen tanzen sich in Reihen entgegen, nach dem Takt der Geige messen sich ihre Bewegungen ab, bald langsamer, dann schneller und blitzschnell wechseln die Stellungen und Wendungen der Kämpfer. Jetzt müssen die Christen weichen, dann wieder sammeln sie sich und treiben ihre Gegner vor sich her. Nun sind diese zusammengedrängt, doch auf Nagalone's Wink öffnet sich der Kreis in Strahlen, welche in den Feind dringen und seine Glieder zertrennen. Jetzt werden Ringe daraus, dann lange Ketten. Die Streiche folgen so schnell, daß die Degen nicht zu verfolgen sind. Man hört nur ihr Klingen und dann wieder suchen Christen und Mohren sich zu fassen, und indem sie den gefährlichen Griffen sich entziehen, verdoppeln sich die Schwerthiebe und die gelenkige Abwehr.

Von Zeit zu Zeit tritt darauf eine Pause ein, denn die Moresca besteht aus zwölf Tänzen, mit jedem dieser Abschnitte aber steigert sich die aufgeregte Stimmung des Volks. Wundervolle Geschicklichkeit und Kraft wird von beiden Heeren bewiesen, jedes zählt ausgezeichnete Kämpfer und Tänzer, und hier wird für diesen, dort für jenen gestritten, da den Mohren der höchste Ruhm zugesprochen, dort den Christen der Preis zugetheilt. Vor Allen aber bleiben die beiden Anführer Gegenstand der allergrößten Theilnahme, denn um ihre Ehre handelt es sich vornehmlich, ihre Verherrlichung und Herabsetzung ist die besondere Aufgabe der Parteien.

Francesco Gaffori hatte viele Augen und Herzen für sich. Mancher bewundernde Zuruf von Jubelgeschrei stieg für ihn auf. Man konnte nichts Schöneres sehen, als die Zierlichkeit und Anmuth, mit welcher er tanzte, und die Gewandtheit seiner Bewegungen. Daß Thomas Cervoni ihm darin nicht gleich kam, mußten dessen Freunde sich heimlich bekennen, doch dafür trösteten sie sich mit seiner größeren Sicherheit und Kraft. Sein Schwert leuchtete wie ein Sonnenstrahl in seiner Hand, der christliche Ritter stand wie ein Fels, der jeden Sturm abschüttelt, und doch wirkte die elastische Leichtigkeit seiner Sprünge so wunderbar, daß er mit Beifall überschüttet wurde.

Noch aber sollten die besten Proben kommen. Die Moresca wurde wilder und wilder, allein erst im elften Tanze fand der Zweikampf zwischen den beiden Heerführern statt, und auf diesen spannte sich die gesammte Erwartung.

Endlich war es so weit, und nun wurde kein störender Laut mehr vernommen. Die Hörner schmetterten. Nagalone tanzt bis in die Mitte des Kampfplatzes, er fordert den Christengrafen zum Kampf. Hugo Colonna läßt ihn nicht warten, er tanzt ihm entgegen. Die Heere schauen dem Gottesurtheile zu, die Geige beginnt voller und voller zu klingen, alle Herzen pochen stärker, zitternde Lippen rufen die Mutter Gottes an, ihrem Streiter beizustehen!

Was an Geschicklichkeit, an Schnelle und Gewandtheit bisher hier zur Schau geboten wurde, ward von diesem Kampfspiele weit überboten. Bald im Kreise, bald in Wellenlinien, in halben Ringen und wechselnden Wendungen jagten und verfolgten sich die beiden Kämpfer mit bewunderungswürdiger Ausdauer. Den Rhythmus des Tanzes festhaltend führten sie die verschiedensten Stellungen und Gruppen aus, während ihre Schwerter und Dolche in beständiger Bewegung blieben. Bald schien es, als sei der Christenritter nahe daran, dem listigen Mohren zu erliegen, der ihn mit schlangenhafter Geschmeidigkeit umkreiste, dann wieder sprang der erschöpfte Graf unter einem Beifallsjubel auf seinen Feind mit einem wahren Tigersprunge neu gekräftigt ein, und sein Schwert schmetterte auf König Nagalone's Haupt, der sich nur mit schlauen Wendungen und eiliger Flucht der Streiche erwehren konnte.

Nun wußte aber Jedermann, daß dieser Tanz damit enden werde, daß beide Kämpfer, ermüdet von ihrem fruchtlosen Ringen »ihre Schwerter sinken lassen und König Nagalone diesen Augenblick benutzt, um dem christlichen Helden Frieden und Freundschaft und die Hand seiner Tochter anzutragen, der schönen Zuleima.

Doch in dem Augenblicke, wo dies eintreten sollte, geschah etwas, das, wäre es gelungen, den Grafen um jeden Preis des Tages gebracht hätte. König Nagalone sprang plötzlich auf ihn zu und führte einen so geschickten Hieb auf die Schwäche der Klinge seines Feindes, daß um ein Haar diesem der Degen aus der Hand geschlagen wäre. Die Spitze flog bis an den Boden nieder und nur mit Mühe hielt Graf Colonna den ritterlichen Kreuzgriff fest.

Welche Lächerlichkeit, wenn er entwaffnet wurde und dann der Mohr ihm seine großmüthigen Bedingungen anbot. Dieser jähe Versuch war auch keinesweges in dem Spiel vorgesehen; die Augen des Grafen flammten vor Zorn, und sicher wäre die böse Absicht nach Kräften vergolten worden, wenn nach dem Mißlingen der König nicht sogleich den Waffenstillstand angeboten hätte.

Nun erfolgte, was schon lange mit Sehnsucht erwartet wurde, Prinzessin Zuleima erschien tief verschleiert mit ihren Gespielinnen. Kostbar gekleidet, goldene Spangen um ihre Arme, ein blitzendes Diadem auf ihrem Haupte, nähert sie sich ihrem Vater, der ihre Hand ergreift und sie dem Grafen entgegenführt. Dieser sieht erstaunt die schöne Erscheinung an, der schlaue Mohr erwägt arglistig lächelnd seinen Vortheil. Er wiederholt sein Anerbieten und plötzlich wirft er die Schleier von Zuleima's Gesicht. Alle Augen schauen hinein, Thomas prallt erstaunt zurück, und seine Bestürzung ist so natürlich, so vollkommen, daß ein Beifallssturm ihn dafür belohnt.

Er sieht Therese Romei, deren Blicke ihm lieblich winken, die ihre Arme leise zu ihm aufhebt, in deren Mienen sich Freude, Bitte und süßes Geständniß ihrer Zuneigung malen. Er hat nichts davon gewußt, daß Therese sich dazu verstanden die Prinzessin zu sein, man hat ihn damit überrascht, wie alle Anderen, und hat diesen Zweck vollkommen erreicht.

Aber der Mohrenkönig gibt ihm keine Zeit seine Empfindungen zu ordnen. Die schöne Zuleima soll sein eigen sein, dazu Corte und alle Herrschaft in Corsika, aber – er hat eine Bedingung. Das falsche Kreuz soll Colonna von sich werfen, zu dem Propheten soll er sich wenden. Nagalone zeigt ihm die Fahne Mohammed's, und nun folgt der Kampf zwischen Herzens- und Glaubensmacht.

Der Graf drückt den schützenden Kreuzesgriff an seine Brust, Zuleima faltet ihre Hände, ihre Augen winken ihm, der König rechnet ihm sein Glück vor. Die Scene wird dringender und heißer. Verführerisch lächelt und lockt die Braut, heftiger mahnt und schmeichelt der König, endlich ergreift er des Grafen Arm, weit umher deutend, daß dies ganze Reich ihm gehören werde, und Zuleima naht mit lieblichen Gebehrden.

Da plötzlich reißt Colonna sich los und mit stolzen Blicken und Zeichen weißt er die Verführer von sich. Auf die Kreuzesfahne stürzt er sich, ergreift sie, verlangt, daß die Heiden ihren falschen Glauben abschwören, und unter unermeßlichem Jubel schwingt er von Neuem sein Schwert, als Zeichen, daß er sie dazu zwingen werde.

Nun ruft der wüthende Nagalone seine Krieger herbei, die Prinzessin hüllt sich in ihre Schleier, auch sie verdammt den frechen Christen, der sie verschmäht, und fordert Rache von ihrem Vater, der ihr verspricht, den Verräther zu vernichten.

Dies ist das Zeichen zu dem letzten, zwölften Tanze, der resa, welcher nach einem wilden und verzweifelten Fechten damit endet, daß die gesammte Mohrenschaar niedergetanzt wird und die Waffen streckt. Unter stürmischer Aufregung der Zuschauer nahte dies Ereigniß, aber das Beifallklatschen und die begeisterten Evvivas! wollten nicht aufhören, als Nagalone von dem Christenritter nicht allein überwunden zu Boden sank, sondern sein Degen ihm auch aus der Hand genommen und mehrere Schritte weit fortgeschleudert wurde.

Thomas Cervoni hatte mit dem letzten Streiche seiner Klinge sich vortrefflich gerächt, und mit leidenschaftlichen Gebehrden forderten zahllose Stimmen jetzt für ihn den Siegespreis, der in nichts Anderem bestand, als in einem Kranz von frischen Lorbeerzweigen. Es war üblich, daß die vornehmste der anwesenden Damen mit diesem Kranz den Sieger schmückte, diesmal jedoch geschah es durch den anwesenden, vornehmen Gast, den Grafen Cursay, welcher, dazu aufgefordert, in anmuthigster Weise seinen Auftrag ausführte.

Sie haben mich, mein Herr Cervoni, und alle die vielen Tausende ihrer Mitbürger entzückt durch die wundervollen Beweise Ihrer edlen Begabung, rief der General mit französischer Courtoisie und in gutem Italienisch. Hätte ich viele Kränze zu vergeben, ich würde alle diese unübertrefflichen Kämpfer schmücken, da ich nur diesen Einen besitze, überreiche ich Ihnen denselben zur allgemeinen Ehre. Corsika kann stolz auf solche Männer sein, die im fröhlichen Spiel beweisen, daß es ihm auch in Zeiten der Gefahren nicht an unerschrockenen Streitern und Siegern fehlen wird. Ich aber werde diesen Tag und meine tapferen Freunde in Corte niemals vergessen.

Wie gefällt Euch das? flüsterte Antonio Romei dem Herrn Fabio Viale in's Ohr, der aufmerksam horchend und schauend neben ihm stand.

Sehr gut erfunden, sehr weise überlegt, erwiederte dieser.

Er hat den König Theodor sich zum Muster genommen, fuhr Romei spöttisch fort. Auch dieser setzte den Siegern in dem großen Kampfspiele von Vescovato den Kranz mit eigener Hand auf, und sprach darauf ganz ähnlich von Corsika's Triumph in allen Gefahren, wenn solche Männer ihm zur Seite ständen.

Viale lächelte, während er den Grafen beschaute.

Hat ein deutscher Baron sich zum Könige von Corsika gemacht, sagte er dabei, warum soll ein französischer Graf und General nicht dasselbe Wunder versuchen?

Meint Ihr, dahin könnte es kommen? Ein Abentheurer folgt dem anderen.

Wer weiß. Ist der nicht übrig geblieben, der die Puppe am Draht leitete, und braucht er nicht vielleicht jetzt eine neue?

Seine scharfen Augen blitzten auf Gaffori, welcher vor dem erlauchten Gaste stand und mit allen Zeichen huldigender Ehrerbietung zu ihm sprach. Was er sagte, konnte jedoch Niemand verstehen, denn die Anrede des Generals hatte ein tolles Freudengetümmel bewirkt, das ebensowohl die heimlichen Mittheilungen der beiden Beobachter verschlang.

Nun löste sich die Versammlung auf. Begleitet von den ersten Männern der Stadt entfernte sich Graf Cursay. Christen und Mohren zogen Arm in Arm unter Hörnerklang und Geigenspiel, umgeben von ihren Freunden und dem Getümmel des Volke, mit Jauchzen und Singen in Calvi ein, um beim freudigen Mahl und Gelage allen Streit zu vergessen.

Die Romei aber eilten zu ihrer Schwester. Sie hofften Thomas um so sicherer bei ihr zu finden, da galante Ritter der verschmähten Prinzessin gewöhnlich den Kranz brachten, allein Cervoni war nirgend zu entdecken. Er hatte sich bei der einbrechenden Dunkelheit unbemerkt entfernt.


5.

In den Bergen von Soveria lag das alte Familiengut der Cervoni, dahin hatte sich Thomas in der Nacht begeben, ohne in Antonio's gastfreundliches Haus zurückzukehren.

Es liegt ein Bergzug zwischen Calvi und Soveria und eine Straße führte auch damals darüber fort in das Golothal hinein, aber sie war bei Tage schon nicht die beste, viel weniger bei Nacht ohne Gefahr. Manche Landleute, die von dem Feste zurückkehrten, staunten daher über den Wagehals, der ihnen vorüberjagte, um an der nächsten Biegung den Hals zu brechen, doch ehe sie ihn ermahnen konnten, war er schon vorüber, und ihr Geschrei half nichts. Der tolle Reiter brach jedoch nicht den Hals, er kam wohlbehalten nach Haus, schleuderte seine Lorbeern in einen Winkel und warf sich ungestüm in seinen Lehnsessel vor dem Kamin, den ein Diener mit Feuer versorgt, um mit finstern Blicken in die Flamme zu stieren.

Was bei diesem Feste geschehen, hatte ihn mit heftigem Aerger erfüllt. Seine Gedanken waren bei Therese, und während seine Augen sich grimmig zusammenzogen, sah er sie in den silbernen und grünen Brocatgewändern, in dem Turban mit den Straußenfedern, in den Sternenschleiern, die wunderherrlich ihre schlanke Gestalt umflossen. Er sah ihre weißen Arme mit den breiten Goldspangen, und sah das schöne, stolze, gebietende Gesicht voll Liebesglanz und Verheißung.

Hatte sie das ausgesonnen, um ihn zu verspotten? Heimlich mit Francesco Gaffori hatte sie sich dazu verbündet, und er liebte sie noch so sehr, sie wußte es, sie mußte es wissen. Warum war Therese nach Niolo hinauf zu seiner Mutter gekommen, warum hatte sie ihn dort mit ihren Zaubereien umstrickt, die ihn so glücklich machten, warum mußte er sie begleiten, als die Nachricht von dem Feste in Calvi kam, und sie selbst hatte ihn eingeladen ihr Gast zu sein?

Böses sprachen viele Leute von ihr, Böses von ihrem Stolz, von ihrem eitlen Trachten. Er hatte es nicht geglaubt; jetzt sah er ihre Falschheit. Die Prahlereien des Francesco hatten guten Grund, dieser konnte ihn verspotten, denn Therese hatte ihn verrathen. Unter dem Vorwande, daß sie unwohl sei, ließ sie sich den ganzen Tag über nicht sehen, doch es geschah nur, um ihn besser zu täuschen, und dies war ihr gelungen. Wie ein Donnerschlag durchfuhr es ihn, als Francesco die Schleier zurückschlug; welch ein Anblick!

Wüthend sprang er auf und schlug an seine Stirn. Das hatte sie ihm angethan, diesem Francesco zu Gefallen, der seinen Triumph nicht verbergen konnte. Ha! die Gaffori – Giampietro selbst – sie steckten sämmtlich dahinter. Es war in manchem Munde schon, daß Thomas Cervoni seine Augen auf Therese richte, sollte es vor der ganzen Welt zum Gespött gemacht werden?

Zum ersten Male in seinem Leben füllte ein Verdacht die Seele des jungen Mannes gegen den bewährten Freund, den er so hoch verehrte. Grübelnd setzte er sich zusammen, wie der Doctor Gaffori aus mancherlei Gründen wünschen möge, daß sein Bruder sich mit der Schwester Antonio Romei's verbinde; andere Gründe gab es zugleich, um ihn selbst von solchem Bündniß abzuhalten. Er erinnerte sich dabei, daß Giampietro manch deutungsvolles Wort schon gebrauchte, ihn vor unüberlegter Leidenschaft zu warnen, nun sah er in seiner Aufregung neue Zeichen, daß Alle sich gegen ihn verschworen.

Wie konnte die, um derentwillen er allein um den Siegespreis gerungen, sich zu einer Rolle gebrauchen lassen, in welcher er sie verwerfen mußte? Wie konnte sie ihm solche Qual bereiten und, Francesco zärtlich umarmend, diesen anflehen ihn zu tödten? Es war ein Spiel, aber wie viel Ernst lag darin.

Er stieß mit der Hand in die Luft, als wollte er seinen glücklichen Nebenbuhler dafür durchbohren, und knirschte mit den Zähnen, indem er Racheschwüre murmelte. Ein Strom corsischer Leidenschaft überkam ihn; er griff nach dem Doppelgewehr, das neben ihm stand, und schrie einen wilden Fluch über den tückischen Francesco, der seine Niederlage ihm so vergalt.

Dann wieder durchbrachen edlere Empfindungen diesen Taumel und gaben ihm Kraft, die bösen Geister zu verjagen.

Ich will nicht weiter daran denken, murmelte er, aber ich will sie fortan vermeiden. Niemand soll sagen, daß er mich gedemüthigt hat, Niemand soll mir ansehen, daß ich mich darum kümmere. Im Grunde bin ich ein Narr, mich zu betrüben, denn welches Recht habe ich mich über Therese's Benehmen zu beschweren?

Mit diesen Vorsätzen suchte er endlich sein Bett auf, allein es war leichter dies zu finden als darin zu bleiben. Es kam ihm bald vor, als ob Scorpione auf ihm herumliefen und ihre Stacheln in sein Fleisch drückten. Immer wieder sah er das schöne Mädchen bittend, flehend, und dabei doch Falschheit und Hohn in den großen glühenden Augen. Dagegen halfen alle seine bannenden Mittel nicht; er war froh, als der Morgen anbrach.

Und beim Lichte des Tages denkt der Mensch anders als in der Finsterniß; das Sonnenlicht bringt für alle geplagten Seelen Ruhe und neue Hoffnungen mit. Sobald die Augen um sich sehen können, finden sie in der Außenwelt Arbeit, sie sind die Arbeitsgeber für den Gedankenwebstuhl, der dann nicht mehr den einen schwarzen Faden wieder und immer wieder hin und her fliegen läßt.

Als Thomas ans Fenster trat, schien das Frühlicht schon auf den Kastanienwald, der die Berghöhe bedeckte, und glitt über die Olivengärten und Fruchthaine. In der Tiefe, doch halb in Nebel gewickelt, lag der Ort mit seinen hohen Steinhäusern, von blüthenreichen Granaten, Feigen und Myrthen umgeben. Plötzlich trat der Thurm der Kirche klar hervor, sein goldenes Kreuz leuchtete in den ersten Sonnenstrahlen. Bei diesem Anblick wurde ihm sein Herz leicht und wieder sah er nach dem Kastanienwald zu dem Bergzuge hinauf, hinter welchem Calvi lag. Es stand eine Capelle auf dem höchsten Punkte, neben ihr rann ein wunderthätiger Quell aus dem Boden. Die Capelle konnte er nicht sehen, aber man hatte von ihr einen weiten Blick nach Calvi hin und auf das Hochgebirge. Sehnte er sich darnach oder war es ein frommes Bedürfniß?

Schnell stand er in seinen Kleidern, das Gewehr in seiner Hand, Kugeltasche und Pulverhorn am Gurt, so trat er in den frischen Morgen hinaus, ehe die Leute im Hause aufwachten, und mit leichten Schritten auf den schmalen steilen Pfad, welcher zu dem Waldgebirge hinaufführte. Die nackten Klippen der Conia glänzten farbenvoll herunter, und als er den scheidenden Kamm erreicht hatte, von dem die Bergwände hier in das Golothal niedersanken, dort das Thal des Tavignano begleiteten, welch ein herrlicher Anblick war das!

Eine unzählbare Menge von kleinen Ortschaften und zerstreuten Häusern füllte das Thal des Golo auf Meilen hin, und wie herrlich üppig blühten alle diese Gärten und Pflanzungen, welche Ruhe, welch schöner, glücklicher Frieden breitete sich darüber aus. Unten aber an dem Bache, der dem großen Flusse zuströmte, lag Soveria und dort die alterthümliche Casa Cervoni, das Erbe seiner Väter seit Jahrhunderten. Alle diese Oelgärten gehörten dazu, die mit Wein bedeckten Hügel waren sein Eigenthum, der Kastanienwald am Berge lieferte ihm seine Früchte, und die Hirten und Bewohner der Capannen auf diesen Höhen waren zum guten Theil seine Pächter.

Thomas Cervoni saß lange auf einem hohen Stein, dies bedenkend und auf eine Hütte niederblickend, welche nicht weit von ihm am Rande einer kleinen Bergwiese stand. Ein paar Schafe und Ziegen liefen dort umher, ein paar braune halb nackte Kinder wälzten sich jauchzend im Grase.

Endlich trat ein Mann aus dem Capanne, den Arm um sein junges Weib gelegt. Er hatte nichts als sein zerrissenes Hemd, doch wie glücklich sah er aus, wie laut und lustig konnte er singen und springen! Leise schlich Thomas fort, als schäme er sich. Er war so reich, so angesehen, und wie beneidete er den armen Burschen. Der hatte ein Weib gefunden, das froh mit ihm lachte, zufrieden mit ihm wohnte, ihm anhing bis in den Tod.

So ging er lange Zeit traurig durch den Wald. Herrlich fiel der Sonnenschein durch das Geblätter: schöne Blumen blühten, ganze Felder von Goldlack und Enzian dufteten ihm entgegen, aber die Unruhe in ihm wich dem Frieden nicht.

Endlich trat er hinaus und sah die Capelle, er blickte hinab, da lag zwischen den braunen Bergen Corte, und als er die Stadt sah, klopfte sein Herz heftiger. Er bückte sich zu dem Wunderquell nieder, der jede Krankheit heilen sollte, und trank das klare kalte Wasser in langen Zügen, doch seine Krankheit heilte nicht davon. Seine heißen Augen durchsuchten die fernen Häuser, er suchte nach dem Hause, wo die wohnte, deren Namen er nicht nennen mochte, und der doch immer in seinen Ohren klang. Mit finsteren brennenden Blicken schaute er hinab und dann rief er laut:

Gaffori hat Recht! Die Liebe dringt aus dem Herzen in die Augen, und diese sehen dann nichts als dies eine Bild und können es nicht los werden.

Ein Geräusch in der kleinen Capelle, vor der er stand, machte, daß er hineinblickte. Er meinte allein zu sein, doch da kniete eine weibliche Gestalt an dem Altar. Sie war in eine weite schwarze Saldetta gehüllt, ein weißes Mandile lag als Schleier über ihrem Kopf. Ein Schauer überrieselte Thomas Cervoni, ahnungsvolle Glut bedeckte sein Gesicht.

Und jetzt stand die Betende auf und wandte sich nach ihm um. Es war Therese Romei. Sie blickte ihn an mit Augen, wie er diese gestern gesehen, sie streckte ihre Arme nach ihm aus und unermeßliches Glück umschwindelte seinen Kopf. Er dachte nichts mehr und wollte nichts mehr. Er war bei ihr, zu ihren Füßen, ihre Hände mit seinen Küssen bedeckend, dann in ihren Armen. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust, wie gestern an Francesco's Herzen.

So liebst du mich! rief sie ihr strahlendes Gesicht zu ihm aufhebend.

Er sah sie an, als ob er solche Frage nicht begreifen könne.

Ich flehte die wunderthätige Gottesmutter an, fuhr Therese fort, und sieh, da bist du. Warum ließest du mich gestern vergebens dich erwarten?

Warum? antwortete er und seine Hände fielen nieder, es fiel ihm Vieles ein. Weil ich dich liebe! rief er dann mit neuer Glut, mehr als ich sagen kann. Weil ich es nicht ertragen konnte, dich mit Francesco Gaffori im Bunde zu sehen. Warum mußtest du solchem Spiele die Hand bieten? Hat Francesco so viele Macht über dich?

Welche Macht könnte er über mich haben? sagte sie, ihre stolzen Augen aufhebend. Nur um deinetwillen kam ich. Um dir vor allem Volk zu gestehen, wie sehr ich dich liebe. Ich hätte niederknieen und meinen Gott abschwören mögen, laut schreien mögen: Nimm mich hin, mein Geliebter!

O, Therese! Therese! rief Thomas voll Entzücken.

Und könntest du das nicht? fragte sie. Könnte ein Mensch, ein Gott mich aus deinem Herzen reißen?

Nein! nein! –

Schwöre es mir! fuhr sie ihn umschlingend fort, und auf den Altar deutend wiederholte sie: Schwöre bei der gebenedeiten Madonna, bei dem gekreuzigten Erlöser, daß du ewig mir allein gehören willst!

Tausendmal schwöre ich es in Ewigkeit! rief Thomas, und seine heißen Küsse wechselten mit den zärtlichsten Liebesnamen.

Dann saßen sie beide auf der Bank vor der Capelle im Schatten der Bäume, vor ihnen das weite sonnenglänzende Thal. Im Halbkreis lagen die hohen Berge mit ihren Schneegipfeln, darunter das wunderbare Panorama der Wälder und der Tiefen in ihren Festkleidern. Und es war dem Thomas Cervoni, als neigten sich alle zu ihm, um sein Glück zu schauen, und aus dem tiefblauen Morgenhimmel schwebten Engelschaaren mit goldenen Flügeln und breiteten segnende Gotteshände aus.

Was Therese zu ihm sprach, glich dem schönsten Gesang, der je den Weg zu seinem Herzen gefunden. Wie lange liebte sie ihn schon, wie viel hatte sie an ihn gedacht, wie hatten ihre Gebete, ihre Wünsche ihn immer begleitet. Und als er ihr erzählte, wie gestern Francesco geprahlt und was er dabei empfunden, antwortete sie mit strafendem Lächeln:

Dachtest du denn so gering von mir, daß ich diesem eitlen armseligen Thoren anhängen könnte? Als ich noch ein Kind war, soll es einmal die Absicht der Familien gewesen sein, mich dereinst mit Giampietro Gaffori zu vermählen. Ich weiß nichts davon, doch nun schwöre ich mich dir zu, mein Geliebter, und treuer will ich dir sein, als je ein Weib gewesen. Der Name der Cervoni ist alt und berühmt, du wirst ihn ruhmvoller machen, und ich will dir helfen, bis er der erste von allen ist.

Glücklich laß uns sein! antwortete Thomas zärtlich, so unermeßlich, wie ich es jetzt bin, daß kein Paradies und kein Himmel mich glücklicher machen können. In Soveria wollen wir wohnen; was du wünschest, um mein altes Vaterhaus zu schmücken, soll geschehen, und gleich will ich dich durch die Straßen von Corte zu deinen Brüdern begleiten.

Halt! fiel Therese ein, du sollst zunächst mit Giampietro Gaffori reden, eher mit keinem Anderen.

Warum mit ihm? fragte er, während er ein heimlich Mißbehagen fühlte.

Man sagt in Corte, daß Thomas Cervoni dem Doctor Gaffori gehorche, wie der Sohn dem Vater. Somit ziemt es sich, ihm den Vorzug zu geben.

Gaffori ist der edelste Mann, den ich kenne, ich bin stolz darauf sein Freund zu sein, erwiederte Thomas erröthend.

Das sollst du bleiben und ich mit dir, fiel Therese ein. Ja, ich hoffe, daß unser Herzensbündniß uns dem Giampietro und seinem Hause näher bringen wird. Thue nach meinem Wunsche, mein Geliebter. Sprich mit deinem großen Freunde, wie Thomas Cervoni sprechen muß, dann komm zu mir und laß mich in deine liebevollen Augen schauen.

Ich will sogleich zu ihm! rief Thomas, allein sie hielt ihn fest und sagte:

Er ist nicht zu Haus, hat dem französischen General heut früh das Geleit gegeben, somit warte bis morgen. Und nun lebe wohl, mein Freund, ich muß zurück, ehe die heißen Stunden kommen.

Du willst mich verlassen? sagte er bittend.

Niemals! meine Seele wird bei dir sein. Du aber sollst in einsamen Stunden unser Glück bedenken. Nicht dem Gaffori sollst du mehr gehorchen fortan, und morgen, wenn du kommst, dann Thomas – dann will ich dich wie eine Braut empfangen.

Ein süßer Kuß verschloß seinen Mund; ehe er es hindern konnte, war sie aufgestanden. Er haschte nach ihrem Kleide, sie wandte sich mehrmals um.

Dort steigen fromme Beter herauf, mag ihnen die gnädige Madonna geben, was sie mir gab. Ihr Segen mit dir! und mein Segen, Geliebter. Lebe wohl! lebe wohl!

Sie stieg die Felsenstufen hinab, welche ins Thal nach Corte führten, ein frommer Gesang schallte von dort her auf. Eine Schaar Bittgänger kam mit Kreuzen und Fahnen, voran schritt der Propst Aldoni mit seinen Diakonen. Therese Romei kniete am Wege nieder und faltete ihre Hände, ihr Mandile zog sie tief über ihr Gesicht. Als der Zug vorüber, ging sie weiter, durch Weingärten und Baumpflanzungen, bis sie in den Garten gelangte, der zu dem Hause ihres Bruders gehörte.

Antonio saß und schrieb, als sie zu ihm hereintrat. Nun, rief er hastig auffahrend und die Feder fortwerfend, wo warst du Therese?

In der Waldcapelle.

Und die heilige Mutter Gottes hat Wunder an dir gethan?

Das hat sie, Antonio.

Er blickte sie mit den kleinen funkelnden Augen gierig an, das blatternarbige Gesicht wurde noch häßlicher, da er lachte.

Sie führte ihn in deine Arme als einen reuigen Sünder.

So war es, Antonio.

Brava! Brava! Therese! Er schlug mit der Hand auf das Rechnenbuch. – Diese Zahl ist uns nöthig, oder die ganze Rechnung hat ein Ende. Wo hast du ihn?

Warte bis morgen.

Warum so viele Umstände?

Zunächst soll Giampietro uns seinen Segen geben.

Damonio! schrie Antonio auf, darauf können wir lange warten.

Sei ohne Sorge, erwiederte Therese mit stolzer Gewißheit. Es wird geschehen, wie ich es will, hüte du dich vor jeder Unbesonnenheit.

Mit diesen warnenden Worten verließ sie ihn, und Antonio blieb an seinem Schreibtische stehen, Hohn in seinen Mienen.

Sieh nur selbst zu, daß deine Netze keine Löcher bekommen, murmelte er ihr nach. Ein Löwe wird in Netzen gefangen, die Spinne umwickelt ihren Raub mit feinen Fäden, das Beste aber thut doch immer das scharfe Gebiß und der Jagdspieß.


6.

Thomas verlebte einen seligen und unruhigen Tag, den er mit den glücklichsten Träumereien ausfüllte. In seinem Hause lief er umher, Pläne machend, wie er den alten Bau vergrößern und mit prächtigen Einrichtungen verschönern wollte, damit seine junge Frau sich hier gefallen möge.

In ganz Corte war die Wohnung der Romei am besten ausgestattet. Die Familie hatte Neigung für Luxus, die den allermeisten Corsen fremd ist. Sie rühmte sich, von dem alten vornehmen Geschlecht der Herren von Ornano abzustammen, dazu kam ihre Freundschaft mit reichen Genuesen, endlich hatten die Franzosen auch mancherlei verfeinerte Gebräuche und Geräthe in's Land gebracht, welche von Einzelnen geschätzt und angenommen wurden. Da gab es bequeme Stühle, Decken und Tapeten, es gab Fenster mit Scheiben von weißem Glase und Spiegelglas, sammt lackirten schönen Schränken.

Im Hause der Romei konnte man dergleichen finden, sonst in Corte fast nirgend, wenigstens nicht so beisammen. Thomas selbst hatte nie daran gedacht, daß er nach solchen unnützen Dingen verlangen könnte, jetzt jedoch schienen sie ihm nothwendig und er sann mit Freuden darüber, wie er sich das Beste verschaffen wolle, von Bastia einen Baumeister verschreiben wolle, aus Ajaccio das Kostbarste, das in den Niederlagen der Marseiller Kaufleute zu haben sei, und wie Therese darüber staunen und sich freuen werde.

Langsam vergingen ihm die Stunden, doch nur wenn er daran dachte, was Gaffori sagen werde, fühlte er ein Unbehagen. Daß die Leute in Corte meinen könnten, er sei Gaffori's unterthäniger Diener, brachte sein Blut in Bewegung, und obwohl er sich immer wiederholte, daß dies ein albernes Reden ohne Sinn und Verstand sei, Giampietro bei allen seinen Mitbürgern so große Liebe und Achtung genieße, daß Jeder gern auch sein Urtheil höre, setzte sich doch ein hartnäckiger Widerspruch in ihm fest, zu beweisen, daß er unabhängig und selbstständig sei.

Wohl konnte er vorhersehen, daß Gaffori überrascht, wohl auch nicht einverstanden mit seiner Heirath sein werde, allein dabei eben wollte er seine Mannheit zeigen, und, wie Therese es verlangt, sprechen, wie es sich für ihn geziemte.

Dachte Thomas an seine Verwandten, die Romei, besonders an Antonio, so wurde er noch mehr bedrängt. Er hatte sich niemals gegen diesen besonders geneigt gezeigt, obwohl er über ihn nicht zu klagen hatte. Antonio galt als ein schlauer und ränkevoller Mann von stolzer und heftiger Gemüthsart. Daß er den Abfall von Genua und den langen blutigen Aufstand nicht gebilligt, war bekannt; aber viele der alten Familien thaten dasselbe, und es gab wenige Orte, wo nicht Parteien vorhanden, die sich zuweilen sogar gegenseitig ermordeten.

Unrühmliches und Schlechtes konnte man den Romei nicht nachsagen, und da nirgend die Familienbande stärker sind als in Corsika, uralte Sitte es Jedem zur Pflicht machte, die Beleidigung eines Verwandten zu rächen, ihm mit Gut und Blut beizustehen, so suchte auch Thomas Cervoni seine Vettern zu entschuldigen und alles Abgünstige sich selbst im besten Lichte darzustellen. Er dachte dabei an Therese, an ihre Liebesworte und Schwüre, und leicht versank vor seinen leidenschaftlichen Vorstellungen, was diese behindern wollte.

Am nächsten Morgen ließ es ihm keine Ruhe mehr, und sobald die Zeit da war, schwang er sich auf sein Pferd, um den kurzen Weg nach Corte mit derselben halsbrechenden Eile zu machen, wie in jener Nacht, wo er die Stadt verließ. Doch wie anders war es jetzt, als damals. Nun trug das muthige Thier ihn den Liebesarmen entgegen, die er verwünscht, und statt der Finsterniß in ihm und um ihn war alles umher licht und Glanz, die Sonne strahlte aus seinem Herzen. Als er die Höhe des Bergzuges erreichte, jauchzte er zu der Capelle hinauf und dann nach Corte hin, das er nie so herrlich gesehen. Das Pferd schien von derselben Lust erfüllt. Es jagte mit ihm wie rasend in die Ebene hinab, eine braune Staubwolke aufwirbelnd, wie ein Feuerschweif, der seiner Spur nachfolgte, und hielt nicht eher ein, bis es zwischen den Häusern der Stadt war.

Es kam dem Thomas Cervoni aber vor, als wüßten die Leute schon, was er wollte und als ob die lächelnden Gesichter, die ihm zunickten und nachschauten, ihm bis in's Herz sähen. Zuweilen kam es ihm freilich auch vor, als erblickte er höhnische böse Mienen, und je näher er an Gaffori's Wohnung gelangte, um so mehr war dies der Fall. Das kam aus der Unruhe in seinem Herzen, doch sogleich fiel ihm ein, was die Leute in Corte von ihm gesprochen, und jetzt sprang er an dem Hause vom Pferde, warf die Zügel über das Gegitter und lief die Treppe hinauf, noch ehe ihn Jemand in der Casa bemerkt hatte.

Hastig schritt er durch das Wohnzimmer und sah den Doctor in seiner Stube sitzen, und was er sich vorgenommen hatte, verschwand bei diesem Anblick. Mitten unter Büchern und Acten arbeitete Gaffori, Thomas stand zögernd still, indem er den geschäftigen Freund betrachtete.

Der geringste Bürger konnte nicht einfacher in Kleid und Ansehen sein, doch wie gebietend war die hohe, gedankenvolle Stirn, das feste markige Gesicht, vorherrschend die römische Nase darin, und nun hob er die großen klaren Augen auf, die bis ins innerste Leben zu leuchten schien. Er hatte die Schritte an seiner Thüre gehört, erblickte seinen jungen Freund und streckte ihm die Hand entgegen.

Sei willkommen, Thomas! rief er, ich habe mich nach dir gesehnt, und wäre gern nach Soveria zu dir hinausgekommen. Aber diese Tage voll Lärm und Festlichkeiten haben mir viele Zeit fortgenommen; gestern erst brachte ich den General bis Maracciole auf den Weg, und kehrte spät zurück. So gilt es jetzt, Versäumtes nachzuholen, damit Niemand für mein Nichtsthun leiden möge.

Er hatte während dessen einen Stuhl für Thomas herbeigezogen, der sich schweigend niederließ, als Gaffori lächelnd fortfuhr:

Ueberall waltet Maria Anna's saubere Hand, nur hier sieht es verwirrt aus; dies ist jedoch der einzige Ort, wo ich mir alle sorgsame Hülfe verbitte, damit die erhabene Weisheit unserer alten Gesetze nicht einmal kurzweg mit abgewaschen oder ausgefegt werden möge.

Du solltest nicht zu viel arbeiten, sagte Thomas.

Ei, mein Schatz, mir ist es niemals zu viel, erwiederte der Doctor, denn du mußt wissen, daß ich viele Aufgaben zu lösen habe. Ich arbeite für Weib und Kind, für das Recht derer, die meinen Beistand suchen, und arbeite für alle meine Mitbürger. Schon seit vielen Jahren suche ich die Mängel und Fehler unseres veralteten Rechtswesens aufzudecken, das in unendlich vielen Fällen zum schreienden Unrecht geworden ist. Du weißt, daß ich Manches darüber geschrieben, aber ich hoffe es noch zu erleben, daß ein neues gutes Gesetzbuch uns zu Theil wird, dafür sammle und arbeite ich unaufhörlich.

Thomas wußte noch immer nicht, wie er seine Eröffnungen machen sollte, er fand keine Anknüpfung dafür.

Ich hoffe, du sollst künftig oft nach Soveria kommen und dich von deinen Arbeiten erholen. Ich will mein Haus dort neu ausbauen lassen, sagte er endlich.

Ist es nicht groß genug für dich? fragte Gaffori.

Zunächst gewiß, – allein, wenn es Friede bleibt und wenn ich – nun, wenn ich eine Frau nehme –

So nimm Eine, die im engen Raume mit dir glücklich ist, fiel der Doctor ein. Eine von ächt corsischem Sinn, die nicht Prunk und Pracht liebt, sondern den Thomas Cervoni ganz allein.

Nun war von beiden Seiten der Weg gebahnt.

Das ist mein Bestreben, sagte Thomas, und mein Herz sagt mir, daß ich nicht irre.

Nur ist das Herz zuweilen ein schlechter Rathgeber, antwortete Gaffori. Wo ein Mensch zu Rathe sitzt, soll er auch überall den Kopf mitbringen.

Ich denke, daß ich den noch niemals vergessen habe, rief Thomas lebhafter, um so weniger in einer Sache, die mich zunächst angeht.

O, sagte Gaffori, ihn fest anschauend. Du hast schon gewählt.

Das habe ich. Weißt du wen? fragte Thomas, roth im Gesicht.

Ich weiß Alles, lächelte der Doctor.

Und was sagst du dazu? rief Thomas. Gleich aber fuhr er leidenschaftlich fort: Sage nichts; denn es gibt nichts, das mich glücklicher machen, allen Wünschen und Hoffnungen meines Lebens mehr entsprechen könnte.

Was also könnte ich anders sagen, als dir Glück wünschen und Gott bitten, daß er sich mit allen Menschenfreuden segnen möge, fiel Gaffori ein.

Er stand auf und breitete seine Arme aus, Thomas war auf's Heftigste bewegt. Er hatte das nicht erwartet, weit eher Einwände und Warnungen, nun überließ er sich der Freude, da ihm nichts zu bedenken blieb, als was er unmittelbar empfand.

Er warf sich an Gaffori's Brust und rief voll Innigkeit:

Dank! Dank! O! mein theuerster edelster Freund! dafür will ich dich ewig lieben und verehren, auch Therese wird es thun. Sie war es, die mich antrieb, dir meine Absichten mitzutheilen, dann erst wollte sie mich hören.

Als er dies sagte, trat Maria Anna herein, und Gaffori rief ihr entgegen:

Da hast du einen glücklichen Bräutigam. Und nicht er allein wird künftig unser getreuer Freund sein, auch Therese Romei wird er für uns mit erwerben.

Das holde Gesicht der jungen Frau belebte sich in so schöner Weise, daß Thomas an ihrer wärmsten Theilnahme nicht zweifeln konnte. Ihre Augen glänzten so beglückt, als sei Therese ihre nächste Verwandte, und dann rief sie voll Herzlichkeit:

Sie soll mir willkommen sein! Hat Gott es so gefügt, so ist es sein Werk. Sein reicher Segen über Euch. Ihr sollt treue Freunde auch an uns haben.

Nun mußte Thomas erzählen, aber er that es mit Stocken, und von der Waldcapelle, und was sich dort ereignet, schwieg er gänzlich. Um so mehr pries er Therese's schöne und edle Eigenschaften, wie seine Mutter auch davon eingenommen, wie der letzte Besuch in Niolo ihn überzeugt, daß er auf ihre Neigung hoffen dürfe, und wie die Moresca endlich Alles in's Reine gebracht. Fragen gaben neue Fragen und begeisterte Antworten, bis nach manchem Scherze Gaffori's über seine Prophezeihungen für den glücklichen Sieger sich Thomas dann nicht länger halten ließ.

Jetzt muß ich fort, rief er, und mit welchem Glücke beladen komme ich zu Therese! Höre nun meine letzte Bitte, mein edler großmüthiger Freund. Die Tage des Streites sind vorbei, wir wollen alle Frieden und Einigkeit, und wenn wir Gegner hatten, wollen wir uns mit ihnen versöhnen.

Sei überzeugt, sagte Gaffori ihn unterbrechend, daß deine Verwandten freundlich von mir gesehen werden. Ich werde Antonio Romei besuchen und ihm meine Glückwünsche zubringen, dann soll es an mir nicht liegen, wenn wir nicht auf den alten guten Fuß kommen.

Mehr wollte Thomas nicht; er schied voll dankbarer Erkenntlichkeit für dies Versprechen und verließ das Haus, als wären ihm Flügel gewachsen.

Als Maria Anna, die ihn begleitet hatte, in das Zimmer zurückkehrte, fand sie ihren Gatten schon wieder bei seinen Büchern, die Feder in seiner Hand, sein Gesicht so ruhig, als sei nichts vorgefallen.

Sie blieb neben ihm stehen.

Wir sind also zu spät mit unserm Rath und unserer Sorge gekommen, sagte sie leise ihre Hand auf seine Schulter legend.

Wir sind zu spät gekommen, antwortete er.

Willst du nicht mit mir darüber sprechen, Giampietro?

Nein, mein Schatz; über Dinge, die nicht mehr zu ändern sind, ist nicht weiter zu sprechen.

Was sollen wir also thun?

Sie nehmen, wie sie sind, und sie benutzen, wie wir es vermögen.

Er legte die Feder fort, sah freundlich zu ihr auf und reichte ihr die Hand.

Was wir besprochen haben, wollen wir getreulich halten, fuhr er fort. Ich sehe es dir an, wie die Freude dein edles Herz bewegt, und vielleicht hast du Recht. Wir wollen versuchen, was offene ehrliche Wahrheit vermag.

O! mein lieber Giampietro, rief Maria Anna, das erwartete ich von deiner großmüthigen Seele. Ich will Therese aufnehmen, wie meine Schwester.

Gaffori lächelte. Ich habe es wohl gewußt, sagte er, welchen Verbündeten Thomas an dir besaß, jetzt hilf ihm mit mir vereint. Sobald ich mit meiner Arbeit fertig bin, wollen wir die Romei besuchen; dann laß deine Liebe walten, die so große Wunder schon gethan.

Thomas Cervoni hatte inzwischen Alles erreicht, was seine Sehnsucht begehrte. – Als er sich dem Hause der Romei näherte, einem der größten und besten in Corte, sah ihn Antonio kommen, und auf einem Polster im Zimmer saß Fabio Viale, mit dem er im Gespräch begriffen war.

Glaubt Ihr mit Ueberzeugung, sagte der Kaufmann, daß, wenn dieser junge Mensch in Euren Händen, oder, was dasselbe, in den Armen Eurer Schwester, sich eine Partei in Corte um ihn bilden wird?

Eine Partei gegen Gaffori, erwiederte Antonio, das glaube ich gewiß.

Eine Partei für Genua, antwortete Viale.

Darüber müssen wir uns verständigen, mein Herr Fabio. Wenn Genua treue Anhänger haben will, muß es ihnen sichere Vortheile bieten. Mit Hoffnungen und Versprechungen kann man wohl auf die immer gläubige Menge wirken, doch nicht auf ihre Führer, diese haben meist schon große Opfer gebracht –

Wie Ihr, fiel Viale ein.

Sollen sie mehr thun, angesehene Männer gewinnen, Gaffori's Plänen und seiner Partei entgegenwirken, die ohne Zweifel dahin streben, Corsika ganz von Genua abzureißen, dann müssen sie auch die Mittel besitzen, um dies auszuführen, verbürgte Beweise, daß man sie nicht mit Undank belohnt, wie dies oft schon der Fall gewesen.

Viale blickte ihn mit seinen großen kalten Augen herrisch an, aber Antonio Romei lächelte dazu.

Ihr seht, ich bin aufrichtig, fuhr er fort, so aufrichtig, daß ich Euch ohne Umstände sage, ich will der Affe nicht sein, der die Kastanien für Euch aus dem Feuer holt, sondern ich will sie Euch verspeisen helfen.

Mit den Mitteln meint Ihr Geld, sagte Viale nach einem kurzen Schweigen.

Geld, mein Herr, und zwar nicht wenig Geld.

Und was versteht Ihr unter verbürgten Beweisen?

Antonio schob seinen mächtigen gelben Kopf ein wenig vor und antwortete bedächtig:

Ich will den Platz einnehmen, wo ich Euch nützen kann und die Macht besitze, meine Feinde zu vernichten, meine Freunde zu belohnen. Genua's Fehler ist es immer gewesen, daß es mit genuesischen Gouverneuren und Commandanten die Corsen beherrschen wollte, statt mit ergebenen, treuen Corsen.

Was Geld anbelangt, antwortete Viale, so wird dies nicht fehlen. Ihr wißt, daß ich es schaffen kann; über alles Andere läßt sich weiter sprechen. Zeigt nur zunächst, daß wir nicht umsonst uns bemühen. Es soll dies kein Zweifel an Euch selbst sein. Herr Romei, fuhr er fort, als er Antonio's finstere Mienen sah, Ihr wißt, wie hoch ich Euch schätze, hier bleibt jedoch die Frage: Ist es möglich dem Gaffori eine Grube zu graben? Ihr glaubt es, doch bis jetzt ist nicht einmal der Mann in Eurer Macht, der Euer Werkzeug sein soll.

Dort kommt er schon, antwortete Antonio, indem er auf die Straße deutete.

Viale stand auf und blickte durch die Jalousie, welche das Fenster bedeckte. Thomas Cervoni näherte sich dem Hause mit den fröhlichsten, lebendigsten Mienen.

Seht doch, wie er von Allen gegrüßt wird, wie sie ihn anschauen und mit Stolz betrachten, sagte Antonio, und mit dem höhnischen Lachen um seine dicken Lippen setzte er hinzu: Mit diesem Vogel fangen wir alle Mäuse, die seinen bunten Federn nachlaufen.

Und wie fangt Ihr den Adler? fragte Viale.

Das laßt meine Sorge sein. Wir fangen damit an, ihm die Krallen zu beschneiden, dann den Schnabel. Ich werde den großmächtigen Herrn so unterthänig streicheln und schmeicheln, daß er das Messer in meiner Hand für eine Davidsharfe halten soll.

Das heißt Ihr wollt seine verbrecherischen Gelüste vermehren.

Eine Königskrone möchte ich ihm aufsetzen und lasse eine anfertigen, wenn Ihr mir das Geld dazu liefert.

Setzt sie ihm glühend auf, sagte Viale, aber – verbrennt Euch nicht selbst die Finger daran.

Eure Gnaden hat nicht nöthig mich zu warnen, lachte Romei, aber meine Freundschaft für den edlen herrlichen Vater des Vaterlandes kann nicht feurig genug sein. Es gibt so viele fanatische Menschen, daß, je zärtlicher ich bin, um so kälter und mißtrauischer sie werden. Wahrhaftig, mein Herr, ich weiß kein besseres Mittel als dies, um die wilden Gesellen, welche seinen trotzigen Anhang bilden, die Matra, die Paoli, die Santucci, die Frediani und manche Andere von ihm zu verscheuchen.

Während er das sagte, leuchteten Viale's Augen.

Ja, zum Teufel! rief er zuletzt, das ist gut ausgesonnen, ich muß Euch loben. Schade, daß ich nicht länger bei Euch bleiben kann, um Eure Kunst zu bewundern, allein besser doch, ich verschiebe meine Reise nicht länger. Hier sind zwei Wechsel auf zehntausend Scudi, die ich unterzeichnen und bei Euch lassen will, macht davon Gebrauch. In dringenden Fällen wendet Euch an den Commandanten in Calvi.

Während dieser geheimen Mittheilungen, welche sich weiter verlängerten, sprang Thomas Cervoni die Treppe hinauf und in das große helle Gemach, wo Therese ihn erwartete. Das war prächtig anzuschauen, die Wände mit goldgepreßten Tapeten bedeckt, ein großer Spiegel an der Fensterseite, gewirkte Teppiche über den Fließen.

Er riß heftig die Thür auf, im Spiegel strahlte ihm Therese's schönes Gesicht entgegen. Von seiner Lebenswonne ganz erfüllt, breitete er seine Arme aus und ließ diese wieder sinken, denn die schöne Doncella war nicht allein. Ihr Bruder Felix war bei ihr, und Francesco Gaffori saß dort an ihrer Seite.

Einen Augenblick stand Thomas so bestürzt, daß alle Freude aus seinem Gesicht verschwand, und doch war Therese schöner als je. Sie trug ein blumiges Kleid von Seide und großer Kostbarkeit. Ein reich gestickter Kragen umschloß ihren Hals, um den sich eine schwere Goldkette wand; ihr langes lockiges Haar wurde von Perlenschnüren gehalten. Für wen hatte sie sich so geschmückt?

Er sollte nicht lange zweifelhaft bleiben, denn kaum hatte sie ihn erblickt, als sie mit einer Stimme seinen Namen rief, die jeden Zweifel beendigte.

Wie lange habe ich dich erwartet! rief sie. Mein Herr Francesco, eine Neuigkeit, die Ihr mitnehmen müßt, ehe Ihr geht. Sage ihm, Thomas, was du mir zu verkündigen hast.

Der gutmüthige Thomas stockte einen Augenblick, es schien ihm eine harte Rache an dem Nebenbuhler, den Therese ihm überlieferte; dann aber überließ er sich seinem Glück, und die Geliebte in seine Arme schließend, rief er auflachend:

Kein Wort will ich sprechen, aber meine Thaten sollen für mich zeugen! –

So küßte er sie mit Ungestüm, ohne Kleid und Kanten zu schonen, bis er endlich dem Francesco seine Hand hinstreckte.

Schlag ein, sprach er dabei, und laß uns Freunde bleiben, jetzt weißt du Alles. Ich komme von deinem Bruder, er freut sich mit uns. Welche herrliche Menschen, meine geliebte Therese! Welche edle und getreue Freunde!

Nun wiederholten sich die Glückwünsche. Felice Romei rief seinen Bruder herbei, der von Viale begleitet bald sich einfand. Antonio war bis zur Rührung bewegt. Er legte die Hände der Liebenden zusammen und umarmte sie beide, seine Augen zum Himmel aufhebend.

Gottes Werk ist es, sagte er, und zu Gottes Ehre soll es gedeihen. Mein lieber Vetter Thomas, jetzt verbinden uns noch innigere Bande. Meinem Herzen bist du immer theuer gewesen, immer will ich über dich wachen, wie eine Mutter über ihr Kind.

Viale schien einige Mühe zu haben, seine steifen Mienen zu behaupten, er brachte jedoch auch seine Wünsche mit der förmlichen Höflichkeit dar, die zu seinem Wesen gehörte; nichts jedoch erfreute Thomas so sehr, als daß Francesco sich weder betrübt noch empfindlich bewies.

Es mochte Verstellung sein, dann aber wußte er seine wahren Gefühle auf's Täuschendste zu unterdrücken. Thomas hatte ihn seit langer Zeit nicht so freundlich gesehen. Er lachte und witzelte über das Ereigniß, als könnte ihm nichts Lieberes geschehen, erwiederte Cervoni's Freundschaftsversicherungen auf's Lebhafteste, und kein Mensch konnte bemerken, daß die Zärtlichkeitsbeweise der schönen Therese Romei gegen ihren feurigen Geliebten ihm das geringste unheimliche Gefühl verursachten.


7.

In wenigen Tagen gab es kein Kind in Corte, das nicht von der Verlobung des Thomas Cervoni gehört hätte, denn die ganze Stadt war voll davon. Es gab natürlich auch manche Leute, die nach dem alten Sprichwort: Wer getadelt sein will, muß heirathen, nicht Wenig gegen diese Verbindung einzuwenden hatten; ein großer Theil jedoch hatte auch Ursache zum Wohlgefallen.

Die alten Geschlechter in der Stadt, welche mit den Romei zusammenhingen, fanden es zwar eben so bedenklich, daß Therese sich einen Mann nähme, der zur Revolutionspartei gehörte, wie die entschlossenen Patrioten die Köpfe schüttelten, daß Thomas sich in ein so feindliches Lager verirrte; allein die Verwandtschaft und die Abkunft wurde eben so wohl dort in Betracht gezogen, wie hier die Freundschaft Gaffori's und der Einfluß, den dieser Mann, dem das Volk so fest vertraute, sicherlich dabei ausgeübt.

Hätte der Doctor Gaffori diese Verbindung getadelt, hätte er sich davor zurückgezogen, dann würde Corte bald voll Streit und Parteiung gewesen sein. Allein Giampietro selbst war in das Haus der Romei gegangen, wo er lange nicht gewesen, und Arm in Arm mit Antonio und Thomas sah man ihn daraus zurückkehren. So hatte sich auch die heldenmüthige hochverehrte Hausfrau Gaffori's in Gesellschaft der stolzen Therese sehen lassen, und wenn die Häupter und Führer ihren Streit vergessen und sich Freundschaft schwören, folgt ihnen das Volk bereitwillig nach.

Die Heirath des Thomas Cervoni erhielt dadurch eine politische Bedeutung, denn sie erschien als eine Versöhnung der Parteien, wobei sich natürlich die herrschende patriotische Partei den Sieg zuschrieb. Es sollte von nun an keinen Anhänger Genua's mehr in Corte geben.

Dem Thomas blieb jetzt nur das Eine noch übrig, seiner Mutter Segen zu erbitten, und er machte sich dazu schon am nächsten Morgen auf, begleitet von Theresen; denn er wollte die alte Mutter auf ihrem einsamen Wittwensitze überraschen. Ein Brautzug von Freunden sollte nachkommen und das junge Paar zurückbegleiten, jetzt jedoch ritt dies allein in das hohe Niolo hinauf, und wie glücklich war Thomas auf dem beschwerlichen Wege, wo er mit liebevoller Sorgfalt Therese schützen und stützen konnte.

Bald sprang er ab, um ihr Pferd zu führen, sobald eine jähe Stelle ihm gefährlich dünkte, bald wieder ergriff er ihre Hand, des Glückes wegen, das ihm diese Berührung verschaffte. Dann ging er neben ihr her, um sie anzuschauen und mit ihr zu sprechen, ihre Fragen zu beantworten, zu lachen und zu singen, und die Zukunft mit den rosigsten Farben zu schildern. –

Therese antwortete darauf so fröhlich und so neckend, bald Einwürfe machend, bald so liebliche neue Bilder vor ihm aufrollend, daß die Zeit wunderbar schnell verging. Der braune zerklüftete Felswall war erstiegen, ehe er es inne geworden, daß er ganz verwundert ausrief:

Wie hast du das möglich gemacht, Therese? Zum ersten Male in meinem Leben ist dieser Weg mir kurz und angenehm erschienen.

So soll es immer sein, erwiederte sie. Alles soll dir leicht und angenehm werden, wenn ich bei dir bin.

Nur zu sehr wird es so geschehen, war seine Antwort. Zu rasch wird mir die Zeit verschwinden, und wenn ich dich verlassen muß, wird jeder Tag dafür kein Ende nehmen wollen.

Wie kannst du ein so böses Wort aussprechen, versetzte Therese. Verlassen, da wir uns kaum gefunden! Niemals sollst du mich verlassen, Thomas, niemals, wenn ich es nicht erlaube.

Er machte einen Einwand, aber sie verwarf ihn.

Du mußt es mir versprechen, sagte sie. Wild und ungestüm wie du bist, würde ich immer um dich zittern müssen.

Oho! rief er entzückt von diesem Liebesbeweis, willst du es mit mir machen, wie die schöne Alija, die ihren geliebten Messire von Belgodere jede Nacht mit ihren langen Locken an sich fesselte, damit er nicht sich davon schleichen und gegen seine Feinde ausziehen sollte?

Meine Kette soll meine Liebe sein, antwortete Therese. Ich will dich nicht halten, wie ein jämmerlich Weib, mit meinen Haaren. Ich will mich nicht fürchten, wenn du zur Jagd ziehst, oder gegen deine Feinde, denn du bist ein Mann; bist Thomas Cervoni, und ich bin ein corsisches Weib. Aber du sollst niemals gehen, ohne mich gehört zu haben. Sollst mir nichts verschweigen, sollst meinen Rath und meine Stimme hören, das versprich mir.

Er versprach es mit Freuden.

Nimmer könnte ich gehen ohne dein Lebewohl, ohne deinen Liebessegen! rief er zärtlich, indem er in ihre feurigen sinnenden Augen blickte. Ja, sei sicher, ich will es machen wie Giampietro Gaffori. Er verschweigt seiner vertrauten Maria Anna niemals etwas, und mehr als einmal, so hat er mir selbst erzählt, ist er durch ihren klugen Rath großen Gefahren entgangen.

Bei dem Namen der Maria Anna und Gaffori's Namen hob Therese ihren Kopf auf und rief mit stolzer Heftigkeit:

Nicht aus ihm, aus dir selbst schöpfe deine Kraft, Thomas Cervoni. O! sei mir immer treu, Keinem so treu als mir!

Thomas erinnerte sich, welchen Schwur Therese schon in der Capelle von ihm gefordert, und er sagte beruhigend lächelnd:

Wie ich an dich und deine Liebe glaube wie an meine ewige Seligkeit, theure Therese, so glaube du, daß ich treu bin. Möge der Abgrund den Falschen verschlingen und zerschmettern, der auf Betrug sinnt, wenn er Treue heuchelt.

Er deutete dabei zur Seite, wo eine Rauchsäule aus der schwarzen Kluft aufstieg, in welche sich der Wasserfall stürzte, und Therese Romei hielt ihr Pferd an, schaute in den Schlund hinab und rief dann in das Gebraus:

So mag es geschehen, wenn das Glück uns verläßt, doch besser wir leben, Thomas, und triumphiren. – Fort zu deiner Mutter, Freund, denn noch geht es nicht an's Sterben.

Die Pferde eilten an dem unheimlichen Orte vorüber, rasch hinein in das grüne Hirtenland und dem Hause der Wittwe zu, das auf seinem Hügel im Sonnenglanze lag. Als sie in der Nähe anlangten, ritten sie sachte den Weg hinauf, und dann hob Thomas die Braut rasch aus dem Sattel und führte sie die Treppe hinauf, wo er behutsam das Zimmer öffnete.

Da saß seine Mutter in ihrem Stuhle und las in ihrem alten Gebetbuche. An dem ernsten scharfen Gesichte fiel das ergraute Haar nieder, unter der Faltenhaube hervor, die ihren Kopf bedeckte. In ihrem Wittwenkleide und dem weißen Tuche darüber sah sie klösterlich streng und einfach aus, und während sie las, beschäftigten sich ihre Finger dennoch mit drei großen Holznadeln, auf denen ein grobwollenes Gewebe gestrickt wurde.

Doch nun hob sie ihre Augen auf, sah ihren Sohn und sah Therese Romei. Ihre Mienen veränderten sich nicht dabei, weder Freude noch Ueberraschung überwältigten den ernsten Ausdruck. Nur die Nadeln ließ sie fallen und legte sie in ihren Schoß.

Mutter! rief Thomas freudig, hier bringe ich dir, die ich mir auserwählt, die ich liebe, und die dich lieben wird mit mir in Ewigkeit!

Therese streckte ihre Hände aus und sprach bittend:

Nimm mich als deine Tochter an und gib mir deinen Segen, Mutter!

Komm zu mir, antwortete die alte Frau, kommt Beide hierher, denn ich habe Euch erwartet und viel an Euch gedacht. Seht, hier liegt das heilige Buch, und ich betete zu Gott für Euch und für uns alle.

Indem sie dies sagte, blieb der Ton ihrer Stimme so hart, wie ihr Gesicht, und ihre großen dunklen Augen hefteten sich fest auf die lächelnde freudige Therese Romei und auf ihren Sohn. Dann deutete sie mit ihrem ausgestreckten Finger auf diesen und sagte dabei:

Du willst mir mein Liebstes nehmen, das ich noch auf Erden besitze. Hast du auch gutes Recht dazu?

Ich will ihn dir nicht nehmen, Mutter, erwiederte Therese. Doppelt will ich dir zurückgeben, was du mir gibst.

Die Wittwe schüttelte langsam den Kopf.

Nein, nein, sprach sie, es folgt die Frau dem Manne, aber der Mann folgt auch der Frau. Seiner Mutter Stimme wird Thomas nicht mehr hören, wie er sie bis jetzt gehört hat; du wirst mächtiger sein, als ich.

Niemals werde ich dir sein Herz abwenden, fiel Therese mit geheimer Lust ein. Beide werden wir ehrfürchtig deine Gebote achten.

Davor behüte uns die heilige Jungfrau, daß sein Herz mir verloren ginge, antwortete die alte Frau. Er ist ein Cervoni, er wird seine Mutter ehren. Aber er liebt dich mit der Liebesglut seines jungen Lebens, ich weiß es, und so liebe du ihn auch. Du bist schön und klug, Therese Romei, sei ihm eine kluge, treue Frau, die ihm zur Seite steht, wie die Rebe der Feige, daß Wurzeln und Ranken sich umschlingen, kein Sturm sie niederwerfen kann.

O, Mutter! sagte Therese, du sprichst es aus, was ich denke. So hast du neben seinem Vater gestanden und bist mit Rath und That sein treuester Freund gewesen, so will ich neben Thomas stehen, stehe du in unserer Mitte.

Wenn es Zeit dazu ist, soll es geschehen, erwiederte die Wittwe, doch jetzt nimm du ihn hin; sein Haus gehört dir, in deinem Herzen soll er allein wohnen. Thomas hat sein Erbgut in Soveria, Gottes Frieden mag Euch nie darin verlassen. Ich bleibe hier oben in dem Meierhofe, längst schon war er zu meinem Wittwensitze bestimmt.

Bleibe bei uns, Mutter, wir bedürfen Beide wohl auch ferner deiner Erfahrenheit, bat Thomas, und indem er vor ihr niederkniete, setzte er hinzu: Mein Haus in Soveria ist groß genug für uns alle, es soll größer werden. Bleibe bei uns mit deinem Segen.

Die Wittwe legte ihre Hände auf ihn und sprach dabei:

Meinen Segen hast du, Thomas. Ich sah, wie es in deinem Herzen stand, Therese ist mir willkommen. Du wirst sie halten, wie es dir geziemt, wirst ein Cervoni sein in allen Dingen, zu Gottes und deines Namens Ehre. In deinem Hause aber muß die Frau walten, keine andere darf darin ihr Ansehen beschränken. Komm zu mir, wenn du deine Mutter nöthig hast, ich werde kommen, wenn mein Herz mich zu meinen Kindern ruft. Und nun setzt euch her zu mir und laßt uns bedenken und überlegen, was bedacht und überlegt sein muß.

So geschah es denn, daß sie beisammen saßen bis zur Mittagszeit und von Allem sprachen, was ihr Glück betraf. Therese erfuhr dabei, daß der Wohlstand der Familie Cervoni noch bedeutender sei, als sie es gedacht. Trotz der unglücklichen Zeit waren die Mittel nicht geschmälert worden, denn bedächtige Sparsamkeit und Genügsamkeit hatten was am Einkommen sich verminderte ersetzt, ohne Ansehen und Würde Abbruch zu thun.

Von besseren Zeiten und von den Segnungen des Friedens sprach die Wittwe Mancherlei, was Therese heimlich freute. Sie hatte ihren Mann in den Aufständen verloren und hatte viel Unglück gesehen, das ihr mit seinen Schrecken vorschwebte.

Und als sie jetzt in ihrer Rechten die Hand ihres blühenden Sohnes hielt, in ihrer Linken Therese's Hand, fand ihr innerstes Denken Sprache.

Du wirst ihn behüten, sagte sie, denn er ist dein größtes Gut, Thomas aber wird nun nicht allein mehr an mich, sondern auch an dich zu denken haben. Gott hat ihm raschen Sinn und kühnen Muth gegeben, aber auch Verstand und Einsehen. Oft schon habe ich um ihn bange Muttersorgen tragen müssen, es mußte so sein; denn wenn das Vaterland seiner Söhne bedarf, muß das Mutterherz schweigen. Ein Cervoni kann sich nicht verstecken, wenn es Recht und Ehre gilt. Doch leicht auch suchen ehrgeizige Männer Streit und Krieg ohne Noth und schmieden Pläne zu neuem Unheil. Oft schon ist dies zu Corsika's Unglück geschehen, daß solche Männer das Volk nicht zur Ruhe kommen ließen. Gott erhalte uns jetzt den Frieden! Nun bin ich froh, daß Thomas sich eine Frau nimmt, denn ein Mann, der Weib und Kind hat, muß an diese denken und folgt nicht leicht mehr dem Rath und Einfluß stolzer Freunde.

Er folgt nicht so leicht mehr seinem bewunderten Giampietro Gaffori, rief Therese lachend, indem sie Thomas umarmte. Das hat er mir schon versprechen müssen, Mutter, daß er künftig sein eigener Rath sein und auf meine Bitten achten will.

Ich wußte es wohl, sagte die Wittwe, daß Niemand denn du im Stande sein würde, ihm die trotzigen Kriegsgedanken zu nehmen und den Frieden lieb zu machen. Giampietro Gaffori ist edel und groß, aber mit ihm sind alle die wilden unruhigen Männer, die keine Ruhe finden in ihren Häusern, lieber die Kugelbüchse in Händen haben, als das Gartenmesser, und lieber an Schlachten denken, als an Erntefeste. – Ich habe es neulich erst erwägen können, fuhr sie fort, als Gaffori mit Thomas zur Jagd ging und deine Brüder darauf hier antraf. Dein Bruder Antonio lobte den Frieden und den nährenden Handel und Wandel; er aber sprach spöttisch von Genua, und Thomas stand ihm bei, weil er Alles recht findet, was Gaffori thut. Damals aber sagte ich mir, daß es am besten sei, wenn Therese deine Frau würde und wenn auch – nun! nun! unterbrach sie sich, es möchten auch wohl Bedenken kommen, aber Therese, die dich liebt, wird eine kluge gute Frau sein; ja, das wird sie sein, und Segen wird euch begleiten.

Zum ersten Male lächelte ihr strenges Gesicht, als Therese und Thomas sich umarmten und unter Liebesworten versicherten, daß sie in Frieden und Liebe leben würden.

Dann kam es zu Unterhandlungen über die Zeit der Hochzeit, und wie sehr auch Thomas bat und drängte, die Sitte erforderte, daß nichts übereilt werden durfte. Der Sommer mußte vergehen, um alle Vorbereitungen zu treffen. Die Braut hatte ihre Hochzeitslisten zu füllen; Thomas brachte endlich selbst auch zur Sprache, daß sein Haus noch mancher Einrichtungen bedürfe, und nach vielen Ueberlegungen schien es endlich Allen am paßlichsten, wenn im October die Vermählung stattfinde. Glänzend und herrlich sollte sie gefeiert werden, den Verhältnissen der Familien angemessen, und die Cervoni konnten sicher sein, daß es an stattlichen Hochzeitsgästen sowohl wie an der Theilnahme des Volks nicht mangeln werde.

Im Laufe des Tages hatte Therese Gelegenheit sich zu überzeugen, wie beliebt Thomas bei den Hirten in Niolo sei. Die Nachricht von seiner Wahl und daß er die Braut zu seiner Mutter gebracht, hatte sich im Thale verbreitet. Als es nun Abend wurde, kamen die Gemeindevorsteher, dem jungen Paare Glück zu wünschen, und sie brachten ein mit Blumen geschmücktes Lamm zum Geschenk nach uralter Sitte.

Während dessen aber sammelten sich die jungen Leute und Mädchen vor dem Hause, und beim Zitherklange sangen sie Serenaden zum Ruhme und Heile des Bräutigams und der Braut. Der Vollmond trat dabei über die hohen Berge und beglänzte zauberisch das Hirtenthal.

Therese Romei stand auf dem Altane, ihren Arm um den Geliebten, und ihr stolzes schönes Gesicht blickte in den Mond und auf die hohen glanzvollen Gipfel. Was ihre Seele erfüllte, wußte Niemand als sie allein. Thomas drückte sie zärtlich an sich, aber ihre Gedanken waren nicht bei ihm. Sie flogen nach Corte hinab, in Giampietro Gaffori's enges Haus; sie dachte an ihn und an Maria Anna, und ihre Lippen zuckten unter einem leise gesprochenen Schwur, den Niemand hörte.

Hätte sie hinab sehen können in das enge kleine Zimmer, wo Maria Anna einsam bei ihrer Arbeit saß, so würde die Glut in ihrer Brust sich wohl noch vermehrt haben. Gaffori war nicht zu Haus. Am Nachmittage hatte er einen Besuch erhalten, der Maria Anna keine große Freude machte.

Ein trotzig blickender Mann mit wilden Feueraugen, ein Mann aus dem Süden, Emanuel Matra mit Namen, war gekommen. Es gab kaum einen Anderen, den die Genuesen so sehr fürchteten, denn er hatte sich ihnen im letzten Kriege durch Thaten unglaublicher Kühnheit und Tapferkeit furchtbar gemacht. Bei alledem liebte ihn das Volk nicht, obwohl es ihn bewunderte; denn er war eben so hart und grausam, wie tapfer und stolz. Sein finsteres, narbiges Gesicht konnte die Herzen der Menschen nicht gewinnen, sein Haß war so groß wie fein Ehrgeiz, und seiner kriegerischen Eigenschaften sich bewußt, wich er nur einem Manne auf der Insel, dem Giampietro Gaffori, der nach seiner Ueberzeugung mehr noch als er selbst der Erste zu sein verdiente.

Als der riesenhafte Matra dem Doctor die Hand schüttelte, war sein erstes Wort ein Fluch über die Genuesen.

Ich komme zu Euch, sagte er, um Euch eine Neuigkeit zu sagen, Gaffori. Die Mäuse kriechen aus ihren Löchern, haltet Euch bereit, daß die Katze nicht fehlt.

Ich denke, versetzte Gaffori lächelnd, wo Emanuel Matra in der Nähe ist, ist auch die wachsame Katze bei der Hand.

Matra's düstere Augen flammten auf.

Zunächst sagt mir, ob Ihr wißt, begann er, daß von Bonifacio und Calvi durch die genuesischen Commandanten Waffen vertheilt werden.

Es kann sein, daß ich schon etwas davon vernahm, antwortete Gaffori.

Dann sagt mir, ob sich nicht hier ein Kerl umhertreibt, der sich Viale nennt?

Kennt Ihr ihn? fragte der Doctor.

Nein.

Was wißt Ihr von ihm?

Ich weiß nur, daß mir aus Bonifacio von einem Freunde geschrieben wird, dieser Viale sei von dem Gouverneur aus Bastia abgeschickt worden, habe sich überall blicken lassen und müsse eine Person von Bedeutung sein, denn die Commandanten behandelten ihn mit vieler Achtung.

Dagegen können wir nichts thun, sagte Gaffori. Es steht jedem Genuesen frei, zu uns zu kommen und unsere Zustände anzuschauen. Wir leben ja in Frieden mit unseren gnädigen Herren von Genua.

Möchte ich sie alle mit meinen Zähnen zerreißen können, murmelte Matra ingrimmig, darauf setzte er laut hinzu:

Es ist gewiß, daß sie das Volk aufhetzen, und wenn ich diesen Spion, diesen Viale, anträfe, würde ich ihn niederschießen ohne Bedenken.

Gott verhüte' es! lächelte Gaffori. Ich bitt' Euch, Freund, schützt ihn, wo Ihr ihn findet; denn er ist uns von großem Werthe. Wir müssen vor aller Welt beweisen, daß wir friedliebende, höfliche Leute sind.

Verdammt sei dieser Frieden, bei dem wir die Ketten um unsere Beine mit uns fortschleppen, um sie bei jedem Schritte klirren zu hören! brauste Matra zornig auf.

Ei, so wartet doch und seid geduldig, beruhigte der Doctor. Wißt Ihr nicht, daß drei Viertheile der Corsen ängstlich sich an diesem Frieden festklammern und Verrath über uns schreien würden, wollten wir mit einer raschen That ihn brechen? Sagt mir lieber, auf wie viele ergebene, entschlossene Männer Ihr wohl rechnen könnt, wenn es darauf ankommen sollte, diesen Frieden zu beschützen.

Fünfhundert wenigstens, die zu den Flinten greifen, sobald sie meine Stimme hören, sagte Matra.

Nun das ist eine hübsche Zahl, die sich auch wohl verdoppeln ließe.

Hört, Giampietro, fiel Matra ein, was ist an dem Gerede, das mir zu Ohren kam? Ist es wahr, daß Thomas Cervoni sich mit den Romei verschwägern will?

So wahr, daß ich es bestätigen muß, mein lieber Matra.

Und Ihr, rief Matra, was thatet Ihr?

Ich wünschte ihm Gottes Segen.

Der Riese lachte grimmig und hohnvoll auf und seine Augen funkelten über Gaffori's ruhiges, freundliches Gesicht.

Der Knabe war immer Euer Schooßkind, sprach er dabei, Ihr glaubtet ein Held stäke in ihm, ein Sampiero, der Weib und Kind eher schlachten könnte, als sein Vaterland verrathen.

Thomas wird niemals ein Verräther sein, antwortete Gaffori nachdrücklich.

Wenn er den Romei in die Hände gefallen ist, so kann Alles aus ihm werden! rief Matra. Demonio! das ist ein verfluchter Plan. Nehmt Euch in Acht, Gaffori, es kann Euch theuer zu stehen kommen.

Der Doctor suchte ihn zu beschwichtigen, und seine Ruhe verfehlte ihre Wirkung nicht. Er stellte dar, daß er nichts zu hindern vermocht hätte, daß aber, wenn er sich unfreundlich bewiesen, dies um so mehr das Gegentheil von dem bewirkt haben würde, was er wünschte. Im Uebrigen, sagte er, steht mir kein Recht zu über Thomas zu gebieten. Er ist seinen Neigungen gefolgt, und seine Mutter hat diese gebilligt.

Wenn aber ein Mann wie ein Schwächling handelt um eines Weibes willen, versetzte Matra, so schlage ich ihm meine Thüre zu, damit die Sippschaft mir nicht Schlangen in's Haus bringt.

Was ein Mann thut, ist seine Sache, sagte Gaffori, er hat sie zu vertreten. So lange ich hoffen darf, mir den Freund zu erhalten oder Feinde in Freunde zu verwandeln, werde ich meine Thür so wenig wie mein Herz vor ihm zuschlagen.

Wollt Ihr etwa diese Romei, die es niemals ehrlich mit Euch und ihrem Vaterlande meinten, zu Euren Freunden machen? höhnte Matra.

Wenn sie kommen, werde ich sie nicht gehen heißen, versetzte Gaffori.

Matra sprang auf, sein Gesicht verfinsterte sich, er preßte Gaffori's Hand zusammen.

Giampietro, sagte er, ich bin kein Wahrsager, kein Zeichendeuter, aber ich bin Euer Freund mehr, als ihr glauben mögt. Im Namen Gottes und unseres Vaterlandes, thut es nicht! Was hat Ranuccio, was dem Sampiero und so vielen anderen großen Männern den Tod gebracht, als zu vieles Vertrauen, in falsche Freunde gesetzt? Werft den kindischen verliebten Knaben aus Eurem Hause, stoßt die Romei von Euch, brecht offen mit dem schleichenden Gewürme und vertraut Eurem Geist, Eurem Glück und uns, den Männern der Freiheit, den echten Corsen, die da wissen, daß Frieden mit Genua unmöglich ist.

Gaffori suchte diese Besorgniß zu zerstreuen, er sprach lange vergeblich mit dem wilden Häuptling. Endlich wurde ihre Unterhaltung leiser, und nach einer Stunde ließ der Doctor sein Pferd satteln und begleitete Matra, als dieser Abschied nahm.

Maria Anna hatte das Meiste gehört, was verhandelt wurde, jetzt saß sie darüber nachsinnend, und der Abend dunkelte schon, als Jemand hereintrat, der sie aus ihrer Einsamkeit aufstörte. Es war Francesco, den sie den Tag über nicht gesehen hatte, und nun er vor ihr stand, erschrak sie heimlich über seinen Anblick denn er sah bleich und angegriffen aus, und seine Augen blickten sie schwermüthig an, als er bei seinem Gruße lächelte.

Wo seid ihr gewesen, lieber Francesco? sagte Maria Anna, indem sie ihm ihre Hand reichte und diese festhielt. Wir haben Euch vergebens erwartet.

Ich hatte viel zu arbeiten, erwiederte er, dann kamen Freunde, die mich mitnahmen.

Aber Ihr seid nicht wohl, Eure Hände brennen. Nehmt Euch vor dem Fieber in Acht, es ist die rechte Zeit dazu.

O! rief er gewaltsam munter, ich bin durchaus nicht krank, und wenn – wenn ich wirklich vom Fieber ergriffen würde – was könnte es schaden!

Scherzt nicht, sagte die junge Frau, die Golofieber sind in dieser Zeit gefährlich.

Was könnte es schaden! rief er noch einmal, und sich niedersetzend fügte er hinzu: Wo ist Giampietro?

Er begleitet den Siore Matra, antwortete sie, der uns einen Besuch machte.

War der hier? sagte Francesco. Das wird den friedlichen Leuten in Corte das Abendbrot verderben.

Wie meint Ihr das? lieber Francesco.

Nun, sagte Francesco, es freuen sich Viele, daß Giampietro gestern mit Antonio Romei sich sehen ließ, wenn er aber heut mit Matra von dannen ritt, so wissen sie, warum die Sonne so blutig roth am Himmel stand. Es gibt närrische Leute genug, die vor Freuden tanzen bei dem Gedanken an die Hochzeit, welche Thomas Cervoni halten will, und Giampietro schon als Brautführer reiten sehen, Arm in Arm mit dem Gouverneur von Bastia.

Der bittere Spott auf seinen Lippen machte, daß Maria Anna ihn nachdenkend ansah und dann mit ihrer sanften Stimme sagte:

Ihr seid mit dieser Hochzeit weniger einverstanden?

Ich erwiederte er, was könnte ich dagegen haben?

Seid Ihr denn wirklich ohne Neid auf Thomas? erwiederte sie. Man hat geglaubt –

Er stand mit Heftigkeit auf und sein Gesicht füllte sich mit dunkler Röthe.

Was hat man geglaubt; daß ich und Therese Romei – er lachte hohnvoll, schüttelte dabei den Kopf und wurde plötzlich still und ernsthaft, indem er sich umwandte und an's Fenster trat.

Ein Pferd wieherte auf der Straße.

Ist es Giampietro? fragte Maria Anna.

Nein, erwiederte er. So bald kommt er nicht zurück.

Woher glaubt Ihr das?

Wenn er Matra begleitet, so ist er nach Alando geritten. Dort hält sich Clemens Paoli jetzt bei seinem Freunde Serpentini auf.

Sie schwiegen Beide. Nach einigen Minuten aber sagte Francesco:

Habt Ihr keine Sorgen um Giampietro?

Weshalb sollte ich sorgen?

Es kann Mancherlei kommen, ehe man es denkt. Matra und Paoli sind gefährliche Namen. Nun, Giampietro hat Glück; er ist an manchem schrecklichen Tage gesund geblieben.

Er weiß am besten was gut und recht ist, antwortete Maria Anna, und wer auf solchen Wegen geht, muß thun was er soll und seine Pflicht erfüllen.

Pflichten gibt es mancherlei, fiel er ein.

Die höchste Pflicht für ihn ist seines Vaterlandes Heil.

Das hat er bewiesen, aber – wer schützte Euch und wer – wenn eine Kugel damals den Knaben durchbohrt hätte? Wenn dies durchlöcherte Haus über Euch zusammenstürzte? Wenn die Genuesen Euch fortgeschleppt hätten? Giampietro in seinem Blute lag?

Gott! sagte Maria Anna, würde uns beschützt haben und Ihr, Francesco.

Er wandte sich hastig um, seine Augen glühten. – Da ging die Thür auf und der Knabe sprang fröhlich herein, ihm folgte der Propst, der mit seiner schallenden Stimme das Zimmer füllte.

Segen sei mit Euch! rief er, da bringe ich Euch den Schelm Luigi, er wollte nicht länger bei mir aushalten, denn er behauptete, deutlich gehört zu haben, wie die Mutter das Abendbrot schnitt. Ehe, Francesco! Diese schlauen Anlagen hat er von dir bekommen, mein Sohn, und wenn er jemals die Moresca tanzt, wird er sich nicht den Kranz nehmen lassen. Ich sage Euch, Frau Gaffori, in dem Jungen steckt ein Kaufmann, und sobald Antonio Romei sein Geschäft eröffnet, gebt ihn dort in die Lehre, es wird ein großer Mann aus ihm werden.

Damit setzte er sich nieder und blinzelte mit seinen schalkhaften Augen die Anderen an. Der Knabe hatte die Mutter mit seinen Armen umschlungen und flüsterte ihr schmeichelnd zu: ich wollte zu dir, mein Mutterchen, ist es doch hier am allerbesten in der ganzen Welt! Und sie küßte ihn dafür, während sie den Priester fragte:

Will denn Romei Handelsgeschäfte machen?

Das liegt ihm im Blute, sagte der Propst. Die Romei haben es von alten Zeiten her gethan, und der alte Pietro hatte in Genua sogar seine Niederlagen und sein Comtoir. Handel macht groß, das weiß Niemand besser als die Italiener, die so recht ein Kaufmanns- und Handelsvolk sind. – Heh! Francesco, warum bist du kein Kaufmann geworden und hast dir eine gute Compagnieschaft entgehen lassen?

Es handelt ein Jeder in seiner Weise, antwortete der junge Mann verdrießlich.

Aber die Meisten machen schlechte Geschäfte, lachte der Propst. Man muß sich nur vor den schlechten Geschäften in Acht nehmen, so ist es eine Lust, ein Kaufmann zu sein. Siehst du wohl mein Sohn, darauf kömmt es bei jedem Handel an. Mag Einer mit Flintenkugeln und Säbelklingen, oder mit Prozessen und Liebeswerken, oder mit Oel und Feigen handeln, er muß nur keine schlechten Geschäfte machen. Die Genuesen haben das Alles von jeher meisterlich verstanden, vortheilhafte Kriege, vortheilhafte Heirathen und vortheilhafte Handelsgeschäfte. Du mußt ein Genuese werden, Francesco, so wird es dir wohlgehen. Romei kauft überall das Oel auf, hat große Dinge vor. Der wird noch der Erste in Corsika; warum hast du die Moresca nicht besser getanzt, mein Sohn?

Francesco konnte seinen Unmuth kaum mehr bezwingen, aber es blieb ihm doch nichts übrig als zu lachen.

Ein ander Mal werde ich es besser machen, sagte er.

Thu's und sei zufrieden! rief der Propst. Unglück macht weise, liebes Kind, also werde weise bei Zeiten. Weiser als der, dessen Weisheits-Stimme ich so eben auf der Treppe vernehme, dessen Weisheit durch das ganze Land schallt und der doch dabei –

Er ließ sein spottendes Gelächter hören und bewillkommnete damit den Doctor Gaffori, der so eben hereintrat.

Seht ihn doch! seht ihn doch! den Mann des Friedens und der Ruhe! rief er dann, mit welcher Miene zufriedener Weisheit er erscheint. Ein wahrer Sokrates, daher kommt er auch mitten in der Dunkelheit nach Haus, erleuchtet von seinen hohen Gedanken.

Gaffori drückte ihm die Hand.

Ihr habt Recht, sagte er, meine Gedanken waren meine Fackelträger, mehr habe ich nicht nöthig, um den rechten Weg zu finden.

Stolz gesprochen! rief der Propst, mag's. in Ewigkeit geschehen. Aber wo waret Ihr? Ihr seid nicht mit den Romei hinauf in's Niolo?

Ihr seht, daß ich hier bin, antwortete der Doctor.

Ein prächtiger Brautzug! Die Pferde mit rothen Bändern und Schlangenköpfen bedeckt, Fahnen und Musikanten voran, bei unserem heiligen Schutzpatrone, dem weisen San Paolo! Ihr hättet besser gethan, dabei zu sein, als den grimmigen Matra zu begleiten. Das wird eine Hochzeit sein, Gaffori, ganz nach der alten Sitte von Niolo, denn die würdige Frau Cervoni wird nichts Neumodisches, Vornehmes dabei aufkommen lassen. Ich weiß noch, wie sie selbst nach Soveria zu ihrem Manne gebracht wurde. Ein meergrünes Hochzeitskleid hatte sie an, dazu ein langes geblümtes Seidenjäckchen mit großen Perlmutterknöpfen, das weiße Mandile um den Kopf mit rothen Streifen.

Erst zogen die Hirten im vollen Staat vor ihr Haus und Einer sang ein Klagelied, daß sie den Ort ihrer Jugend verlassen wollte, wo es ihr nie an Blumen gefehlt und nie an Freunden. Darauf frug er sie, ob sie nicht bleiben wolle, und versprach ihr die schönsten Dinge. Als sie aber mit Thränen nein gesagt, da sah er wohl, daß es nicht anders sein konnte, wünschte ihr reiches Glück und Segen, und dann gab's Geschenke von allen Seiten.

Darauf setzten sie die Braut auf das ganz mit bunten Bändern und Blumen bedeckte Pferd und ritten mit ihr durch die Ehrenpforte hinunter nach Soveria. Einer voran mit dem Spinnrocken, die Anderen ihm nach mit Jubeln und Gesängen. Und an den Grenzmarken von Soveria stand schon das Volk wartend an dem herrlichen Trovata. Entgegen lief ein Jüngling und überreichte der Braut den Oelzweig mit farbiger Seide umwickelt, kaum aber hatte sie ihn in der Hand, so ging ein Vanto los, wie ich ihn nie gesehen. Alle Reiter jagten wie rasend auf das Haus des Cervoni los, denn es galt der Erste zu sein, um der Braut den Schlüssel zu bringen. Aber der Schlüssel ward durch die allerschönste, seltenste Blume, die zu haben war, ausgedrückt.

Und nun führten sie den Zug durch den ganzen Ort, und auf allen Balconen standen die Frauen und Mädchen mit Freudengeschrei und Segenswünschen, und streuten Blumen, Reis und Weizenkörner auf die Braut. Die Männer schossen unaufhörlich ihre Flinten ab, der Brautzug sang Hochzeitslieder, und die Mandolinen und Sackpfeifen und Geigen und Hörner machten einen Mordspectakel, bis sie vor dem Hause anlangten.

Da trat nun der alte Cervoni heraus, ganz ernsthaft und verwundert. Wer seid Ihr? fragte er. Warum seid ihr in Waffen? Seid ihr Freunde oder Feinde? Und was ist das für ein schönes Mädchen? Habt ihr sie auch nicht geraubt? Ihr scheint mir ehrbare Männer zu sein.

Nein, nein, edler Cervoni, rief der Zugführer, diese schöne herrliche Jungfrau bringen wir in dem Haus, bringen sie deinem Sohne, als Pfand unserer treuen Freundschaft. Es ist die schönste Blume von Niolo, wir bringen sie Soverino zum Geschenk.

So seid willkommen, Gastfreunde! schrie der Alte, tretet ein in mein Haus und labet Euch mit dem Besten, das ich habe.

Wer hinein konnte ging hinein, Braut und Bräutigam saßen auf den Feststühlen, und da brachte auch nach der uralten Sitte ein schalkhaftes Weib der Braut ein seidenes Wickelkindchen und legte es ihr in den Arm. Wie aber das geschah, so sangen und schrieen alle Hochzeitsgäste den guten alten Spruch:

Gott schenk euch seine reichsten Gaben,
Drei Söhn' und eine Tochter sollt ihr haben!

Seht! seht! lachte der Propst lustig auf, das Alles steht der stolzen Therese Romei bevor. Davon kommt sie nicht fort, aber ich möchte wohl wissen, ob es ihr so behagt, wie damals der guten Giovanna Cervoni, und ob es eine so fröhliche Hochzeit sein wird, wie jene eine war.

Bringe uns Wein, liebe Maria Anna, sagte Gaffori. Wie die Hochzeit ausfallen wird, wissen wir nicht, aber einen frohen Abend können wir uns heut verschaffen.


8.

Die Stadt Corte hatte nun in den nächsten Wochen ihre Freude daran, zu sehen, wie Friede und Freundschaft sich in ihr immer mehr befestigten. Antonio Romei besuchte den Doctor Gaffori und verkehrte mit ihm in froher Einigkeit. Dasselbe that die allverehrte Frau Maria Anna mit der schönen stolzen Braut des jungen Cervoni. Alle Gemüther wurden dadurch versöhnlich gestimmt, aller alte Hader schien vergessen. Man dachte nicht mehr daran, mit welchem Mißtrauen die Romei von vielen hitzigen Patrioten betrachtet wurden, und wie wenig beliebt die Doncella Therese bei den meisten gewesen. Da sie Thomas sich ausgewählt hatte, und Gaffori damit zufrieden war, kam es Allen so vor, als sei es ein segensvolles Werk und eine Bürgschaft für das allgemeine Beste.

Antonio Romei selbst wie seine Schwester waren aber auch andere Leute geworden. Den jüngern Bruder Felice hatte Niemand besonders beachtet. Er war ein junger lustiger Gesell, der sich mit der Flinte umhertrieb, müßig lebte, wenig dachte und seinem älteren Bruder das Sorgen und Handeln allein überließ.

Ueber den Wohlstand der Romei hatten sich seit einiger Zeit schon üble Gerüchte verbreitet. Sie besaßen zwar das stattlichste Haus in Corte, besaßen Weingärten und Oelgärten, aber der alte Glanz ihres Reichthums war fort; Jedermann wußte, daß sie Viel verloren hatten; je Weniger jedoch darüber bekannt war, um so übertriebener die Gerüchte. Gewiß war nur, daß die Handelsgeschäfte der Romei stockten.

Früher hatten sie oft die gesammten Oelernten in der ölreichen Balagna aufgekauft und von Calvi aus mit eigenen Schiffen nach Genua und Livorno gebracht. Nun aber trat Antonio wieder als Kaufmann auf. Die Oelernte versprach außerordentlich reich auszufallen, und man vernahm bald, daß er nicht allein mit vielen größeren Besitzern Contracte abschloß, sondern auch baare Anzahlungen machte. Das Geld war knapp, die Zeiten ungewiß, die Preise ungemein niedrig, Jeder froh, daß sein Absatz gesichert schien. Ging es gut, so konnte Romei Viel verdienen; das Balagna-Oel ist das beste sowohl in Corsika, wie vielleicht in ganz Italien, und diese Betrachtung sowohl, wie daß Antonio doch noch immer so beträchtliche Mittel besaß, wandte ihm die Gunst der Menge zu.

Als klug und verschlagen hatte er immer gegolten. Darnach benahm er sich auch in den neuen Verhältnissen. Jedermann konnte bemerken, mit welchen Zeichen der Ergebenheit und Achtung er den Doctor Gaffori behandelte, und wer es hören wollte, konnte es hören, daß er die hergestellte Vertraulichkeit mit ihm als das beste Glück pries, das ihm durch die Verbindung seiner Schwester mit Thomas Cervoni geworden sei.

In derselben Weise rühmte Therese die edlen Eigenschaften ihrer vortrefflichen Freundin Maria Anna, und es dauerte nur kurze Zeit, so sah man sie fast täglich in deren Gesellschaft. Es gab eben jetzt viele Fragen, welche die beiden Frauen zu berathen hatten, denn Therese beschäftigte sich mit den Einrichtungen zu ihrer Ausstattung, mit Einkäufen und Bestellungen, und gerne hörte sie dabei Maria Anna's Meinung. Von den französischen Kaufleuten in Ajaccio kamen mancherlei Proben von Stoffen und Gegenständen verschiedener Art, und Therese hatte Lust an Putz und prächtigen Dingen, aber Maria Anna's Rath war gegen das Meiste, und nach mancherlei kleinen Kämpfen gab dieser verständige Rath doch zuletzt fast immer den Ausschlag.

Ich möchte nicht, daß du nach meinem Beispiele verführst, sagte die bescheidene Frau lächelnd, denn das würde sich nicht für dich passen. Will man freudig entbehren, so muß man entweder dazu erzogen sein, oder man muß aus Grundsätzen seinen Frieden in der Entfernung alles dessen finden, was als Ueberfluß erscheint. Ich bin die Tochter eines Mannes, der viel Unglück zu ertragen hatte, eines Verarmten, der mit Mühe so viel erwarb, um seine Familie zu erhalten, und zu stolz war, um Wohlthaten anzunehmen. Gaffori verschmäht Alles, was Schmuck und Bequemlichkeit heißt, aus Neigung und Ueberzeugung, daß, je weniger ein Mensch an Bedürfnissen nöthig habe, um so freier und unabhängiger er sei. Seine Bücher sind das Einzige, wofür er Geld ausgibt, aber sie sind ihm unentbehrlich, da er ein Gelehrter ist.

Therese hörte schweigend zu, dann erwiederte sie:

Ein so großer Gelehrter und so großer Held der Doctor Gaffori auch ist, hat er dennoch Unrecht sich wie das ärmste Volk zu gebehrden oder wie ein Diogenes in seiner Tonne. Wie will die Welt weiter kommen, wenn man, was zur Verschönerung des Lebens erfunden wird, verachtet, und wie sollen die Corsen jemals ihre Barbarei los werden, wenn ihre ersten Männer und Führer ihnen nicht vorangehen, um sie gesitteter zu machen?

Du hast in deiner Weise Recht, antwortete Maria Anna freundlich, aber meinst du denn, die Gesittung eines Volkes hänge davon ab, je mehr es sich an Wohlleben und theure Bedürfnisse gewöhnt? Gaffori hat doch wohl Recht, wenn er sagt, daß die Gesittung so wenig wie die Barbarei nach der Pracht oder Einfachheit der Bedürfnisse zu bemessen sei, und daß die Unbezwinglichkeit der Corsen nur möglich wurde, weil sie so Wenig gebrauchten. Genua würde sicher noch weit mehr Verräther und Meuchelmörder gefunden haben, wenn die Corsen das genuesische Gold zu schätzen wüßten.

Therese's Gesicht erhielt eine röthere Farbe, dabei aber rief sie lachend:

Dio mio! dann ist es freilich gut, wenn wir bei Kastanien und Ziegenmilch bleiben, aber es kann doch nicht allzugefährlich sein, die nackten Wände ein wenig aufzuputzen und gegen Sturm und Regen ein Stück Glas in die Fensterhöhlen zu setzen!

Das mußt du thun und noch viel mehr dazu, meine liebe Therese! rief die junge Frau, denn es schickt sich für dich und du würdest leiden, wenn es dir fehlte; doch sieh hier, was sich für uns schickt in dieser Diogenestonne.

Sie nahm die Freundin bei der Hand und deutete auf die Thüren, aus denen Splitter gerissen waren, auf Löcher in den Wänden, welche der weiße Anstrich nur übertüncht hatte, auf die Jalousien der schmalen Fenster, mit ihren Spalten und Rissen, und sie sprach dabei:

Das haben die Kugeln der Genuesen gethan, und so muß es stehen und bleiben, denn es ist Giampietro Gaffori's Haus! Welcher Schmuck sollte dies besser schmücken, welcher Teppich, und welcher Damast könnte es herrlicher machen!

Ihre Augen strahlten dabei, und ihr Gesicht drückte eine so stolze Freudigkeit aus, daß Therese sich abwandte; ihr Herz schlug in dumpfen zitternden Schlägen.

Nein, meine liebe Freundin, fuhr Maria Anna fort, wir müssen unsere leeren Wände behalten, ich möchte sie nicht gegen Goldtapeten vertauschen. Du kannst deine Wohnung nach deinen Wünschen einrichten, nur mußt du Rücksicht darauf nehmen, daß Thomas eine Mutter hat, die eine alte Frau von strengen einfachen Sitten ist. Die Cervoni lebten immer wie die allermeisten unserer alten Familien auf ihren Landsitzen nach altcorsischer Weise, doch du kennst dies ja und sie ist deine Verwandte, so habe ich nichts mehr zu sagen.

Therese hatte inzwischen ihre Stimmung beherrscht und mit einer Umarmung dankte sie Maria Anna.

Du hast in Allem Recht, sagte sie, und kann ich mich nicht mit dir vergleichen, so kann ich um so mehr von dir lernen. Ich will so einfach sein, daß meine Schwiegermutter nicht klagen soll, und was Thomas betrifft, so will ich mich mit deinem Stolze erfüllen: seines Namens Ehre soll meine höchste Ehre sein.

Maria Anna blickte sie liebevoll an. Du thust wohl daran, theure Therese, erwiederte sie, liebe ihn, wie er dich liebt, er verdient es. Thomas hat ein vortreffliches Herz, er besitzt die edelsten Eigenschaften. Er ist gütig, großmüthig, voller Muth und tapferen Sinnes, dabei ist er verständig und von milden Sitten. Andere mögen mehr dazu bestimmt sein, dem Volke voranzustehen und im Rathe die Ersten zu heißen, aber Niemand liebt mehr sein Vaterland. Sein bescheidener Sinn drängt sich nicht ehrgeizig hervor, doch wie viel Gutes hat er schon gethan! Wie lieben ihn Alle dafür, und wie viel Freude und Ehre liegt vor ihm und vor dir, wenn Ihr in Soveria Glück um Euch her verbreitet.

Therese nickte ihr freundlich zu, während eine kochende Glut sie fast erstickte.

Eben kam ihr Bruder Antonio mit dem Doctor herein, in der besten Laune.

Seht doch da! rief er, wir haben alle Gefahren erwogen, die uns auf den Hals kommen können, hier finden wir das Bild des Friedens. Therese denkt nur an ihre Hochzeit und was die Franzosen für prächtige Teufelskerle sind, die alle Tage was Neues erfinden; wir dagegen haben Angst, daß sie uns mit ihren alten Geweben betrügen wollen. He, meine liebe Freundin, Maria Anna, was glauben Sie? Man sagt, daß die Franzosen die Absicht haben, sich des ganzen Südens zu bemächtigen, und spricht von Verschwörungen, die entdeckt sein sollen.

Wer soll sich mit ihnen verschworen haben? fragte die junge Frau.

Nun, nun! lachte Romei, indem er dabei den Doctor Gaffori schelmisch ansah, ich bin es nicht, darauf kann ich schwören.

Meinen sie dich etwa damit? fragte Maria Anna, indem sie ihre Arme um den Hals ihres Gatten schlang und mit ihren großen treuen Augen ihn anschaute. Das kann kein Corse erfunden haben und keiner solche Schmach von dir glauben.

Sicherlich glaubt es auch keiner, erwiederte Gaffori. Alle diese Seifenblasen zerplatzen, ohne daß man daran rührt.

Bravo! rief Romei, man muß Tollheit verachten. Ich lasse mich auch nicht hindern, meine Handelsspeculationen zu machen und mein Geld zu wagen. Ihr, mein theurer Freund, seid der Mann, auf den sich alle Hoffnungen richten. Grazia a Dio! die schrecklichen Zeiten sind vorbei. Haben wir uns doch selbst die Hände gereicht und stehen beisammen zu meiner Freude. Ich weiß, welch ein Glück das ist, wenn die Parteiungen aufhören, aber bei meiner armen Seele! die Genuesen wissen es auch und werden sich wohl hüten den Frieden anzutasten.

Da Ihr dessen sicher seid, mein lieber Antonio, erwiederte Gaffori, so habt Ihr Recht Eure Handelsspeculationen nicht zu beirren. Sie werden vortrefflich ausfallen.

Nehmt Theil daran, sagte Romei seine Hand ausstreckend, wir wollen eine Compagnie machen, Ihr sollt damit zufrieden sein.

Gaffori sah lächelnd umher und sagte dann:

Sieht es hier aus, als ob ich Geld in den Handel stecken könnte?

Oho! oho! antwortete Romei, davon darf man sich nicht täuschen lassen. Es sehen die Wände oft leer aus, aber in den Kasten liegen die Schätze.

Fragt nur meinen Schatzmeister hier, fuhr der Doctor lächelnd fort, indem er Maria Anna umarmte, wo mein Gold und Silber steckt.

Hier innen sitzt es, sagte die junge Frau, indem sie ihre Hand auf ihres Gatten Brust legte und dann seine hohe stolze Stirn küßte, da liegen so viele Schätze, wie sie kein König und kein Sultan besitzt.

Aber Ihr seid doch ein so großer Rechtsgelehrter, mein Freund, fiel Romei ein, und seid der erste Advocat am hohen Gerichtshofe, zu dem jeder geht, der einen schwierigen Rechtshandel hat. Eure Einnahmen sind nicht gering und Euer Leben spartanisch. Ihr müßt sparen.

Er spart für die Ewigkeit! rief Maria Anna, Liebe und Freude in ihren Augen. Ja, wenn es nicht so viele Arme gäbe, wenn es nicht so Viele gäbe, die zu ihm kämen in jeder Noth, und Hülfe von ihm begehrten, so könnten wir wohl auch Kisten und Kasten füllen.

Man muß auch dem Guten das Maaß geben, versetzte Antonio, und an den Sohn denken, der Euer Erbe ist.

Was könnte er Größeres erben, als seines Vaters Namen! sprach Maria Anna, und was schickte sich für Giampietro Anderes, als Allen zu helfen, denen er helfen kann. Nein, nein, fuhr sie sanfter fort, ich sprach schon mit Therese darüber, wir müssen Jeder den Weg gehen, der sich für uns schickt; so laßt es sein und bleiben.

Das Gespräch wurde mit lustigen und schmeichelnden Scherzen Romei's fortgesetzt, und nach einiger Zeit entfernte er sich mit seiner Schwester und kehrte in sein Haus zurück. Beide schwiegen über die Aeußerungen der jungen Frau, denn es kamen auf der Straße Bekannte, welche sie anhielten, mit ihnen plauderten und nach Thomas fragten; der war jedoch seit einigen Tagen verreist; wohin er gegangen, wollten oder konnten sie nicht sagen. Die Bekannten scherzten darüber und unter fröhlicher Begleitung erreichten sie ihre Wohnung. Als Antonio jedoch nach einiger Zeit zu seiner Schwester eintrat, fand er diese in heftiger Aufregung.

Sie saß in einer Ecke des Divans, den Kopf in die Polster gedrückt, ihre Hände darüber gefaltet. Als er sie anredete, winkte sie ihm mit der Hand, daß er sich entfernen möge, aber er that es nicht. Er trat nahe zu ihr heran und blieb vor ihr stehen, die funkelnden Augen auf sie gerichtet, hohnvollen Spott im Gesicht.

Das war ein kostbarer Auftritt, sagte er langsam. Ein Bettler, der sich aus seinen Lumpen einen Königsmantel zusammen flickt und mit Verachtung darin auf die ganze Welt herunterblickt.

Er brach in ein Gelächter aus, ging mit einigen harten Schritten durch das Gemach und kehrte zurück.

Es gehört dies aber zu seinen Listen, fuhr er fort, er hat es von Anfang an so getrieben. Arm zu sein oder zu scheinen, um die Bewunderung des dummen Volkes zu erregen. Wie Andere durch ihren Reichthum, so es mit seiner bescheidenen Demuth zu verlocken, lag schon in seinen Plänen, als der König Theodor ihm gute Brocken zuwerfen wollte, die er großmüthig von sich wies. – Es scheint, Maria Anna hat dir einige Aergernisse verursacht, Therese?

Sie sieht uns zu ihren Füßen kriechen, antwortete Therese mit dumpfer Stimme, das hochmüthige Weib!

Wie Würmer! rief ihr Bruder lachend, aber was schadet das. Die Würmer können zu Lindwürmern werden. Thomas –

Therese hob ihren Kopf auf, ihr Gesicht war bleich und verzerrt.

Thomas, sagte sie, was ist Thomas? Ein guter Mensch, ein Schwächling, ein edler Hausvater in Soveria, der den Armen Gutes thun wird, der mich lieben wird, wenn ich mein Brot selbst backe und Sonntags in der Saldetta mit ihm zur Kirche gehe. –

Ein schneidendes Lachen machte den Schluß.

Antonio hörte zu. Sein gelber, dicker Kopf beugte sich zu ihr nieder, der Hohn zuckte über seine breiten Lippen.

So! so! murmelte er, das war es also. Thomas, ein gutmüthiger Tropf, du aber möchtest aus ihm Einen machen, dem – er hielt inne und sagte, sich noch tiefer hinab neigend: Höre, Therese, Maria Anna hat mir ein Geheimniß anvertraut, das dir nicht unbekannt sein kann, du solltest es besser aufnehmen.

Als sie schwieg, fuhr er fort:

Thomas Cervoni ist nichts durch sich selbst, doch manches kann aus ihm gemacht werden. Er ist Wachs gewesen in Gaffori's Hand, knete du die geschmeidige Masse nun in deinen Fingern, so wird sie sein, was du aus ihr machst. Ein Gaffori kann er niemals werden, aber Einer, der dem Gaffori ein Ende macht.

Therese fuhr auf.

Meinst du etwa, fragte sie ihren Bruder anstarrend, er soll dein Werkzeug sein? Bist du es, der auf Giampietro's Schultern treten will? Glaubst du, Thomas Cervoni und ich – ich! wir könnten jemals Genua's Sclaven werden?

Antonio besann sich.

Davon kann die Rede nicht sein, erwiederte er, aber du bist klug genug, um einzusehen, daß Thomas ganz von Gaffori getrennt werden muß, wenn er nicht neben ihm verschwinden soll. Es könnte sich wohl ereignen, fuhr er dann fort, daß bald Gelegenheit für ihn kommt, sich frei zu machen. Im Süden sieht es bedenklich aus, der hochmüthige Gaffori meint zwar, es seien Wasserblasen, es wäre aber doch möglich, daß er daran erstickte. Die Franzosen sind längst übermüthig und verhaßt. Gaffori steckt mit ihnen unter einer Decke. Man traut ihm gefährliche Pläne zu; daß der Frieden keinen Segen bringen kann, ist sein Werk, und wie eifrig betet die Wittwe Cervoni, daß ihr Sohn von dem ehrgeizigen blutgierigen Gaffori sich lossagen möge. Wir wissen ja, meine liebe Therese, daß dies ihr bester Grund war, dich zu ihrer Schwiegertochter zu wählen und manches Andere darüber zu vergessen. Sollten nun wirklich Unruhen ausbrechen, Gaffori sich einmischen wollen, wie dies nicht ihm, sondern allein dem Gouverneur in Bastia zukommt, da müssen wir oder du – Thomas hindern, dem Giampietro Beistand zu leisten. Wenn die Männer von Niolo ihm nicht folgen, Thomas ausbleibt mit seiner Schaar, so sind dem Herrn Doctor die Hände gebunden, und Thomas Cervoni ist von ihm erlöst!

Therese's Gesicht wurde während dieser Mittheilung lebhafter.

Er wird frei seinen Flug nehmen, sagte sie; er soll ihn nehmen! Maria Anna's Hochmuth soll zu Schanden werden. Womit prahlt sie? Weil sie Gaffori's Weib ist! Würde eine Andere schlechter sein? Nicht noch würdiger ihm näher stehen, als dies geringe heuchlerische Weib, das sich zum Tugendspiegel Corsika's heraufgelogen hat?

Antonio zuckte mit heimlicher Lust seine Schultern.

Es geht mit den Lügen nun einmal so, sagte er; sobald sie allgemeinen Glauben finden, hält Jeder sie für Wahrheit. Und sicher ist es, daß im ganzen Lande Maria Anna für das Musterbild einer corsischen Frau betrachtet wird, voller Heldenmuth, voll hochherziger Treue, wie keine.

Es ist falsch, fiel Therese mit rollenden Augen ein. Alles was sie ist, ist sie durch ihn, durch seinen großen Namen.

Nun, ich sehe, daß er noch immer hoch genug bei dir angeschrieben steht, lachte Antonio. Schade –

Sie warf einen flammenden Blick auf ihn.

Wahrlich! rief sie ihn unterbrechend, ich weiß Keinen, der höher stünde.

Schade also, daß er diese armselige Maria Anna so inbrünstig liebt, daß keine Andere ihm werth scheint, ihr die Schuhriemen aufzulösen.

Therese ging mit hastigen Schritten an ihm vorüber. Dann stand sie still, wandte sich um und sagte mit Festigkeit:

Es ist nicht werth, darüber noch ein Wort zu verlieren!

Hierauf verließ sie das Zimmer.

Romei lachte still vor sich hin. So sind die Weiber, murmelte er. Mit welcher Leidenschaft hat der Teufel diese hier vollgestopft? Was brütet er in ihrem Hirne aus?

Und als er dies sagte, lag Therese in ihrer Kammer auf ihren Knieen, ihre Hände auf ihr Herz gedrückt, ihr glühendes Gesicht zu dem Muttergottesbilde an der Wand erhoben.

Er liebt sie! er liebt sie! stöhnte sie, die Menschen sagen es, die Steine reden davon! Räche mich, heilige Jungfrau, gib mir Rache! Laß sie verderben, und ihn – ihn. Nein! nein! Wehe! Wehe! ich kann ihn nicht hassen!


9.

Am nächsten Tage kam Thomas zurück, und sogleich war er bei seiner geliebten Therese, die ihn freudig empfing.

Wo bist du denn gewesen, Thomas, fragte sie, und was hat dich so heimlich gemacht?

Eigentlich solltest du mich nicht fragen, erwiederte er; aber da du es thust, kann ich es um so weniger verschweigen. Ich bin in Ajaccio gewesen, um mir dort einen geschickten Baumeister zu suchen, und habe dabei allerlei Einkäufe gemacht, von denen ich dir eine kleine Probe mitbringe.

Er zog dabei ein Päckchen hervor und legte es in Therese's Hände, die es öffnete und einen prächtigen goldgestickten Seidenshawl erblickte. Sie schüttelte aber lächelnd den Kopf, legte das Gewebe auf den Tisch und sagte dabei:

Das ist nicht für mich, Thomas, nicht für deine bescheidene Hausfrau in Soveria; das ist ein Putz für eine stolze Dame, für die Frau eines Generals oder Präsidenten.

O! rief er bestürzt über ihr Benehmen und doch entzückt von ihrem Anblick, für dich schickt und paßt sich das Schönste und Prächtigste, das zu finden ist.

Du irrst, erwiederte sie lächelnd, ich habe gestern erst gute Lehren bekommen, wie ich mich als deine Frau zu verhalten habe.

Nun, sagte er, ich sollte meinen, das wirst du jederzeit selbst am besten wissen. Wer gab dir gute Lehren?

Deine liebste Freundin, Maria Anna.

Sein Gesicht verdunkelte sich. –

Es war sicherlich gut gemeint und Maria Anna hat Recht, fuhr sie fort. Sie gibt selbst ein so herrliches Beispiel und wies auf deine Mutter, die meinen Putz nicht gut heißen würde.

Darüber hat Niemand zu urtheilen, sagte er verstimmt.

Unsere guten Freunde, die uns aufwachsen sahen, bleiben immer unsere Schulmeister, auch wenn wir längst nicht mehr in den Kinderschuhen gehen, lachte Therese. Laß uns nicht mehr daran denken, geliebter Thomas. Ich werde dein schönes Geschenk tragen, sobald ich einmal auf einem Feste beweisen kann, was sich für Thomas Cervoni's Frau ziemt, mag Maria Anna auch schelten. Jetzt setze dich und erzähle mir von deiner Reise.

Sie sprachen lange darüber, und er theilte ihr mit, was er mit dem Baumeister verabredet, und was er in den französischen Magazinen gesehen und ausgewählt hätte. Einige Teppiche und Möbel beschrieb er ihr, von Tapeten brachte er Proben; sie hatte jedoch mancherlei Einwendungen zu machen, that besorgt und kam immer wieder auf den Tadel zurück, den solche Verschwendungen finden würden bei allen Leuten von strengen Sitten, und bei Gaffori zumeist, der allen Schmuck und alle Ueppigkeit als Verweichlichung betrachte.

Thomas fühlte sich beklemmt davon und war froh, als endlich Antonio kam, der auch sofort ihm Beistand leistete. Er lobte das Geschenk mit Kennerblicken, pries die kunstvolle Arbeit und rief dann:

Ich wollte, jedes Mädchen im Lande könnte Sonntags ein solches Tuch um ihren Hals binden, so würde es besser mit uns stehen. Es gibt keine größere Thorheit, als Heilighaltung alter Sitten und Trachten. Dio mio! wenn das so rühmlich und ehrenvoll ist, warum gehen wir denn nicht noch so wie Adam und Eva im Paradiese??

Thomas stimmte in sein Gelächter ein.

Ich glaube wahrlich auch nicht, sagte er, daß wir dadurch schlechter würden, wenn wir statt des Rockes von grober Schafwolle einen Klappenrock mit blanken Knöpfen trügen.

Aber unsere großen Patrioten haben von jeher geglaubt, ein echter Corse müsse wie ein wildes Thier aussehen, wie ein Muffro leben und alle menschliche Cultur verachten, rief Romei. Daher auch alle diese blutigen Kämpfe, die uns nie aus der Barbarei kommen ließen. Wahrlich, die Genuesen haben uns nie so vielen Schaden gethan wie die unersättlich Ehrgeizigen unter uns, die uns niemals zur Ruhe und zum Frieden kommen ließen.

Noch vor wenigen Wochen würde Thomas solche Worte nicht geduldig gehört haben, auch hätte Romei sich wohl gehütet, sie auszusprechen. Jetzt that der junge Cervoni, als bemerkte er sie nicht; er sah Antonio einen Augenblick schweigend an und begann darauf:

Wie ich den Klappenrock erwähnte, fiel mir ein, daß ich den Herrn Viale in Ajaccio gesehen habe. Er trug mir Grüße an Euch auf. Ich soll Euch sagen, die Geschäfte gingen gut. Ihr würdet bald mehr von ihm hören.

Das ist mir lieb! antwortete Romei. Was sprach er mehr?

Wenig mehr, denn er schien eilig und war nicht allein.

In Gesellschaft von Geschäftsfreunden?

Von besonderer Art, fuhr Thomas fort. Ein Franciscaner war bei ihm, und eine Menge Volk zog hinterher, um himmlischen und irdischen Segen zugleich zu bekommen. Denn Herr Viale theilte Geldstücke aus, und der Mönch verhieß, daß es Manna regnen würde, sobald nur erst die gefräßigen Franzosen nicht mehr im Lande seien.

Er hat wohl Recht dazu, lachte Antonio, denn ein Franzose gebraucht täglich so viel als drei Corsen, und erhalten müssen diese Gäste doch werden, die uns wahrlich keinen Nutzen jetzt mehr schaffen. Aber wie sieht es weiter aus in Ajaccio? Ist es wahr, daß eine böse Stimmung dort vorhanden ist?

Es gibt finstere Gesichter genug, sagte Thomas; Manches hat sich verändert. Vor einigen Tagen wurden zwei Franzosen in den Weingärten vor der Stadt erdolcht gefunden; das hat viel Lärm gemacht. General Cursay hat drei Männer festnehmen lassen, die den Mord begangen haben, und man sagt, daß sie vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen werden sollen.

Romei's Augen funkelten lustig. Da wird der liebe General sich die Vendetta auf den Hals ziehen! rief er. Man schießt keinen Corsen so ohne Weiteres todt, jeder hinterläßt Freunde, welche die Pflicht haben, Rache zu nehmen.

Die Männer sollen der That vollständig überführt sein, meinte Thomas.

Cospetto! sicher wurden sie beleidigt. Diese Franzosen passen nicht zu uns, sie sind übermüthig und großsprecherisch. Man hat ihnen zu viel geschmeichelt, nun kommt der Wermuth hinterher. Grazia a Dio! ich hoffe nicht, daß der Friede gestört wird.

Das läßt sich nicht erwarten.

Dio mio! nur nicht der Friede gebrochen! rief Romei besorgt. Was gehen uns diese Franzosen an, mögen sie hingehen, woher sie gekommen sind. Frieden wollen wir haben, lieber Thomas, so wird wahr werden, was der Franciscaner prophezeihte. Gott wird uns Manna schicken, reiche Ernten, frohes Gedeihen, und wir werden Alle glücklich leben. Du aber, fuhr er dann lachend fort, mußt ganz besonders um Frieden beten, denn was soll aus deinen seligen Liebestagen in Soveria werden, wenn der Krieg wieder toben wollte?

Therese schlang ihren Arm um ihn und sagte dabei:

Er soll nicht fort. Ich habe es seiner Mutter versprochen, ihn vor verwegenen Dingen zu bewahren, und ich will ihm die Ohren so festzuhalten, daß kein Kriegsgeschrei hineinschallen kann.

So saßen sie lange Zeit beisammen, freudig von der Zukunft sprechend, und es gab unzählige Dinge, die Thomas zu erwähnen hatte. Die Stunden vergingen ihm mit neidischer Eile, während er im Anschauen der Geliebten alles Maaß für die Zeit verlor, bis er zuletzt erstaunt darüber auffuhr, wie spät es schon sei, und mit innerlichem Widerstreben daran dachte, daß er zu Gaffori gehen sollte.

Ich muß es doch thun, sagte er zögernd. Er weiß, daß ich verreist war, und wird erfahren, daß ich hier gewesen bin.

Ich sehe keine Nothwendigkeit ein, warum ich dich entbehren soll, erwiederte Therese. Der Doctor verreist sicher sehr oft, ohne dich davon zu benachrichtigen, und kommt zurück, ohne dir Rechenschaft zu geben.

Bei dem Worte Rechenschaft röthete sich Cervoni's Gesicht, und er murmelte etwas verlegen vor sich hin.

Therese aber rief lachend:

Mir gehörst du jetzt, und ich will, daß du bei mir bleibst; bei Gaffori werde ich dich entschuldigen.

Mit Freuden hörte er ihre Liebesworte, und sein Herz erleichterte sich dabei, denn er wußte nicht recht warum, aber er empfand eine geheime Scheu vor dem Manne und der Frau, die er so hoch verehrt hatte. Es war zwischen sie und ihn getreten eine kalte Hand, die ihn zurückstieß, und doch hatten sie ihn mit Güte überhäuft, und ihre Freundschaft schien durch nichts getrübt. Daß dies Mißbehagen aus ihm selbst kam, eine Macht in ihm arbeitete, die gegen Vieles rang, was er bisher geglaubt und geliebt, und daß ein Kampf daraus entstanden war, der sich nicht versöhnen ließ, das empfand er nun, ohne es zu denken, und er suchte sich zu entschuldigen, damit er sich nichts einzugestehen brauchte.

Ich könnte auch kaum noch zu ihnen gehen, sagte er, denn ich muß in's Niolo noch heute hinauf, um meine Mutter zu besuchen, die ich während dieser ganzen Woche noch nicht gesehen habe. Also entschuldige du mich; sobald ich zurückkehre, will ich ihnen sogleich meinen Besuch machen.

Therese versprach es und wußte ihrer Antwort manchen kleinen Stachel zu geben, den Thomas fühlte.

Sei ohne Sorge, sagte sie, ich will deine treue Anhänglichkeit schon vertheidigen.

Dann blickte sie ihn mit ihren großen glänzenden Augen schalkhaft an und rief dabei:

Ich sollte wohl eigentlich eifersüchtig sein, denn Maria Anna ist noch immer eine schöne Frau, die ein feuriges Herz mit Leidenschaft erfüllen kann.

Vor dieser Aeußerung erschrak Thomas, denn es war ihm, als würde eine Heilige verspottet.

Du mußt nicht so über Maria Anna scherzen, sagte er, indem er ernsthaft wurde.

Und warum soll ich nicht scherzen?

Weil sie zu hoch über solchen Scherz steht.

O! es steht schlimmer mit dir, als ich dachte, spottete sie. Sage mir aufrichtig, hast du sie nie schön gefunden?

Ich habe niemals daran gedacht in ihrer Nähe, und ich glaube, es muß wohl Jedem so gehen.

Wie in der Nähe eines überirdischen Wesens.

Ja, so mag es sein, antwortete er.

Sie lachte laut auf, um ihre Lippen zuckte ein Hohn, für den ihr Herz nicht Raum genug hatte.

Du mußt dich leider mit einem irdischen Weibe begnügen, fuhr sie dabei fort, aber auch die Heiligen sind nicht immer ohne Fehler. Wirft man Gaffori nicht übermäßigen Ehrgeiz vor, und wird von Vielen nicht dafür gehalten, daß er über geheimen Plänen brüte, um Corsika von Neuem in Krieg und Unruhen zu reißen? So wird auch Maria Anna als herrschsüchtig und übermäßig hochmüthig betrachtet. O, sie ist bewundernswürdig stolz und heldenmüthig, und deine zärtliche Freundin ist sie auch, besorgt für dein Glück und langes Leben.

Thomas blickte sie fragend und ein wenig verwirrt an.

Dafür danke ich ihr, versetzte er dann lächelnd, denn ich möchte gern lange leben und glücklich sein.

Das sollen wir Beide nach ihren Wünschen. Du sollst nicht eitler Ruhmsucht nachgehen, weit abbleiben von den Wegen der Paoli und Matra, dafür in Soveria ein heiteres unschuldiges Landleben führen mit mir, mein geliebter Thomas, und das wollen wir auch. Wir wollen Olivenzweige und Blumen für dich zu Kränzen flechten, und wenn du dich nach einem Lorbeerkranz sehnst, so soll es ein Morescakranz sein.

Damit umarmte sie ihn anscheinend übermüthig fröhlich, und jetzt kamen die Brüder und mehrere Freunde, so daß kein Wort mehr darüber gewechselt wurde.

Nach mehreren Stunden ritt Thomas Cervoni ins Niolo hinauf, und hierbei hatte er Zeit genug, alle empfangenen Eindrücke zu bedenken. Therese hatte ihn mit so vielen Liebeszeichen entlassen, daß er voller Entzücken daran denken mußte, auch Antonio war herzlich und zutraulich gewesen. Dies Alles machte, daß er um so reizbarer über das nachsann, was Maria Anna gesagt haben sollte.

Hätte Therese zu ihm gesprochen: Laß uns glücklich und still in deines Vaters altem Hause wohnen, unbekümmert um wilden blutigen Ehrgeiz, es würde ihm wie die Stimme eines Engels geklungen haben. Er hatte ja selbst Aehnliches gedacht und ausgesprochen, sie dagegen hatte ihn gemahnt, daß er ein Cervoni sei, aus dem alten Geschlecht der Caporali von Soveria.

Er hatte den Spott in ihren Mienen wohl bemerkt, als sie ihm Maria Anna's Urtheil wiederholte und des Lorbeerkranzes der Moresca gedachte, als des einzigen, der ihm gebühre. Dabei hatte sie Namen genannt, die ihm die Galle in's Blut trieben. Gegen die Paoli erbte er alten Haß schon von seinem Vater, und der stolze wilde Matra war niemals sein Freund gewesen. Wie kam Maria Anna dazu, ihn für geringer zu halten, als diese hochfahrenden Männer? ihm die Fähigkeiten abzusprechen, unter den Führern des Volkes genannt zu werden?

So wenig Ehrgeiz Thomas auch besaß, und so bescheiden sein Sinn war, fühlte er sich doch verletzt von solchem Urtheil, das sein Mißtrauen gegen Gaffori vermehrte. Denn dieser dachte keinesfalls anders als seine Vertraute, und daß Maria Anna sich so geäußert, daran zweifelte er nicht, denn Therese sagte es. –

Man kann von sich selbst eine geringe Meinung haben, mit Demuth glauben von untergeordneten Fähigkeiten zu sein; etwas Anderes ist es, wenn Freunde solch Urtheil aussprechen, am schlimmsten aber, wenn es der Geliebten mit getheilt wird, der jeder doch gern im besten Lichte erscheinen will.

Je länger Thomas sich damit beschäftigte, um so ärgerlicher wurde er, bis er endlich heftig ausrief:

Wir wollen sehen, ob es wahr ist, aber Therese hat Recht, man muß diesen Menschen beweisen, daß man ihr Werkzeug nicht ist, und daß sie uns nicht benutzen können, wie sie Lust haben.

Bei diesen Worten hielt er sein Pferd bei dem Wassersturze an, den er so eben erreicht hatte, und blickte in den Schlund hinab. Er dachte daran, wie er mit Therese hier gestanden und was sie damals gesprochen. –

Ja, ich will meinen eigenen Weg gehen! rief er dann aus seinen Gedanken auffahrend. Niemand soll mich verspotten, mag er auch Gaffori heißen. Mit dir, meine treue Therese, mit dir allein, mit keinem sonst, und wie ich es geschworen habe, so schwöre ich nochmals an dieser Stelle: ich will dir anhängen und deinen Willen erfüllen, ging's auch in Abgrund oder Hölle, ich verlasse dich nicht!

Als er dies in den schwarzen Schlund schrie, stöhnte es daraus hervor, als ob ein Sterbender in seinem letzten Kampfe liege. Ein Brausen und Heulen erhob sich, ein Windwirbel kam von unten herauf, peitschte und zerstäubte das Wasser, und warf es hoch in die Luft. Es war dem Thomas, als schrie eine Geisterstimme seinen Namen gegen die Felswand, und ein Gelächter folgte nach, das in dem Echo sich verzehnfachte. Da fiel ihm ein, daß man sagt, wenn Einer von einem Gespenste bei Namen gerufen werde, so müsse er sterben. Ein Grausen überkam ihn, und davon gepackt, stieß er dem Pferde die spitzen Bügel in den Leib und sprengte den Hohlweg hinab und in das sonnenglänzende Niolo.

Seine Mutter empfing ihn mit freundlichen Mienen. Aufmerksam sah sie in seine klaren Augen und küßte ihn dann mütterlich. Er mußte sich zu ihr setzen und erzählen, während sie häuslich fleißig, wie immer, den Faden von der Spindel drehte.

Von deinem Glücke sage mir nichts, sprach sie, es steht auf deiner Stirn geschrieben. So lange deine Mienen so froh sind, will ich nicht darnach fragen.

Aber ich möchte von nichts lieber sprechen als von Theresen, antwortete Thomas. Von ihrer Klugheit, ihrer Schönheit und ihrem edlen, hohen Sinn.

Ich kenne sie, antwortete die Wittwe. Die man liebt, muß man ehren, wie es dem Manne geziemt. Auf das letzte Wort legte sie Nachdruck und fuhr dann fort: Was sagt Giampietro Gaffori; hast du ihn heut gesehen?

Er verneinte es, da er keine Zeit gefunden.

Es sind heut Männer bei mir gewesen, sagte die alte Frau, welche nach dir fragten. Sie wollten wissen, was wahr sei an den Nachrichten, die sich verbreitet haben. Die Genuesen, so heißt es, wollen Streit und Krieg erneuen.

Es ist nicht wahr! antwortete Thomas hastig.

So ist es gut. Gott erhalte uns den Frieden. Ich möchte jedoch wissen, was Giampietro Gaffori meint.

Ich kenne seine Meinung nicht, Mutter, erwiederte Thomas, aber in Ajaccio ist kein anderer Streit, als mit den Franzosen, die sich dort wie Herren im Lande betragen. Wenn es etwa zu einem Tumulte kommt, ist es nicht unsere Sache, uns hinein zu mischen.

Giovanna Cervoni knüpfte ihren Faden an, der gerissen, dann sagte sie:

Es ist nicht unsere Sache, meinst du, was in Ajaccio geschieht?

Nein, Mutter, es ist Sache des Gouverneurs. Der hat das Volk zu beruhigen und die Franzosen zurecht zu weisen. Was sollte daraus werden, wollten wir über die Berge ziehen, sobald dort Streit entsteht? Wem sollten wir helfen? und woher sollten wir das Recht nehmen, mit dem Schwert in der Hand Richter und Obrigkeit zu sein?

Die alte Frau nickte beistimmend.

Wenn aber Giampietro dennoch hingeht, da er so lange Protector und General der Corsen gewesen ist? sagte sie halb vor sich hin.

Dann bleibe ich zu Haus, Mutter, und er geht ohne mich.

Die Wittwe ließ die Spindel sinken und richtete ihre schwarzen Augen auf ihren Sohn.

Nein, wiederholte Thomas, ich ziehe nicht mit; Niolo und Soveria werden auf meine Stimme hören. Wir wollen uns nicht durch Leichtsinn oder Ehrgeiz um den Frieden bringen lassen. Mag Gaffori seinen Weg gehen, es ist Zeit, daß ich den meinen nehme.

Da seine Mutter nichts darauf erwiederte, fuhr Thomas lebhaft fort:

Man muß in diesen Gefahren an sich selbst denken, muß auf seinen eigenen Beinen stehen und nicht blindlings denen folgen, die da meinen, die allein Weisen zu sein.

Die Cervoni sind gewohnt, immer zuerst an das Vaterland zu denken, sagte die alte Frau mit ihrer festen, kalten Stimme.

Daran denke ich auch, Mutter! rief Thomas. Volk und Vaterland sollen nicht durch ehrgeizige Pläne verderben.

Die Mutter nickte ihm wieder gelassen zu.

Thue nach deinem Willen, sagte sie. Versammle die Männer von Niolo um dich, sage ihnen was recht ist, und sie werden dir folgen.

Thomas fand den Rath gut, aber seiner Mutter Benehmen gefiel ihm nicht ganz. War es doch, als ob die strenge ernste Frau seine Vorsätze nicht billigte. Das machte ihn unruhig, und er sagte es ihr.

Bist du nicht ein Mann, erwiederte sie, der wissen muß, was recht ist, und bist du nicht mein Sohn, der zu mir spricht: ich denke an Volk und Vaterland. Thue du, was ohne Furcht und Sünde dein Gewissen dir befiehlt, deine Mutter glaubt an dich wie an den Erlöser.

Ihre Augen wurden plötzlich groß und liebewarm, und Thomas schlang seine Arme um sie und rief voll Freudigkeit:

Bei den Ersten sollst du mich immer finden, Mutter, nicht bei den Letzten!

Während Thomas sich so mit seiner Mutter verständigte, geschah in Corte mancherlei Unerwartetes. Therese ging am Nachmittage zu Maria Anna, eigentlich als Kundschafterin ihres Bruders, um Gaffori zu beobachten, denn Antonio hatte in Erfahrung gebracht, daß der Doctor mehrere angesehene Bürger am letzten Abend zu sich eingeladen und daß auch der Podesta der Stadt dabei gewesen sei. Therese sollte Maria Anna aushorchen, nebenher aber wollte sie selbst einen Triumph feiern, einen Selbstbetrug, den sie mit ihrer Liebe zu Thomas und dessen zärtlicher Wiedervergeltung trieb.

Um den absichtlichen Besuch zu verstecken, wählte sie nicht den geraden Weg durch die Stadt, sondern zog einen Spaziergang durch die Weinberge und Gärten am Ufer des Tavignano vor, der sie auf die Höhen hinter Corte führte, von wo sie niedersteigend Gaffori's Haus dicht in der Nähe hatte.

Es war ein herrlicher Tag, das Land voll Duft und Blüthen. Der klare Bergstrom rauschte und schäumte in seinem Felsenbett, und über ihm lagen die schwellenden Hügel rebengrün und reich an Allem, was die Insel hegt. Die Orangen, Granaten und Mandeln begleiteten das südwärts offene Thal, darüber glänzten die lichtgrünen Oliven; Feigen und Myrthen zogen bis zu den Kastanienwäldern hinauf, hinter denen sich die Gipfel des Hochgebirgs versteckten. Und überall gab es auch hier Menschenwohnungen in Fülle. Zwischen den dichten Gebüschen der Granaten und der Fruchtbäume lagen die Capannen, in denen die Gärtner und die kleinen Pachter hausten, welche die Stadt mit Gemüsen und Früchten versorgten.

Es war dies ein harter kräftiger Menschenschlag, dessen braune Kinder in langen wirren Haaren und zerrissenen Jacken mit den Ziegen und Schafen, die sie zu hüten hatten, um die Wette kletterten, während ihre Eltern auch nicht mehr arbeiteten, als durchaus nothwendig. Aber viele dieser Männer streiften dafür um so lieber mit ihren Flinten in den Bergen umher, und als Corte aufstand, um die Genuesen zu verjagen, waren sie bei der Eroberung der Cidatelle vorangewesen.

Therese Romei dachte jedoch weder an diese Vorgänge, noch an die Schönheiten der Natur, als sie den schattigen Pfad hinaufstieg; sie dachte nur an ihren Ehrgeiz und an ihre Pläne. Tief in ihrem Herzen lag ein Meer von Schmerz und Weh und auf diesem ein rothglühender Rachehimmel, an dessen Blitzen sich ihre Blicke labten.

Wenn Gaffori einst sie gewählt hätte, nicht diese Maria Anna, welche andere Frau hätte dem kühnen Manne dann zur Seite gestanden? Wenn die Corsen einen König nöthig hatten, sie hätte ihm die Krone aufgesetzt, hätte ihm Glanz und Hoheit gegeben. Verdiente es Gaffori nicht? War er nicht von Gott mit allen Gaben königlich ausgerüstet, mit Verstand, mit Kraft, mit Heldenmuth, mit Weisheit wie kein Anderer? Statt dessen hatte diese Frau ihn mit ihrer Einfalt umstrickt, wie Schlinggewächse den edlen Baum ersticken, und in Therese's Herzen stritten sich der Hohn darüber mit dem Haß gegen Maria Anna. –

Gedemüthigt sollte diese werden, gedemüthigt auch der undankbare, falsche Mann, Thomas sollte das Werkzeug sein. Wenn er sich an Gaffori's Platz gestellt hat, wenn dieser ihm Ansehen und Macht überlassen muß, wenn das corsische Volk ihn zu seinem Führer wählt – ha! dann soll Corte einen anderen Anblick gewähren. Dann soll es in Wahrheit Corsika's Hauptstadt sein, und dann, Giampietro Gaffori – dann sollst du es bereuen.

Therese stand auf einer hohen Stelle still, als dies halblaut ihre Lippen bewegte. Eine ungeheure Kastanie breitete ihre Aeste aus, unter diesen fort blickte sie in das Thal hinab auf die Stadt, welche in der Tiefe lag. Plötzlich hörte sie hinter sich den leichten schnellen Schritt eines Mannes, und neben ihr stand Gaffori, wie von Zauberei hergeführt.

Finde ich Euch hier, meine liebe Therese, sagte er, eben da ich an Euch dachte und Euch zu finden wünschte, so möchte ich wirklich glauben was die Leute von mir sagen: daß ich Alles kann, was ich will.

Therese hatte schnell ihre Ueberraschung bemeistert, sie lächelte ihm freundlich zu.

Ich habe nie daran gezweifelt, daß das Volk Recht hat, erwiederte sie.

Kommt, fuhr er zutraulich fort, setzt Euch ein wenig zu mir her und laßt uns den Augenblick benutzen.

Er führte sie zu der Steinbank am Stamme der Kastanie und indem er seine großen leuchtenden Augen auf ihr Gesicht heftete, sagte er:

Warum ich wünschte, Euch anzutreffen, sollt Ihr jetzt erfahren. Ich möchte Euch bitten, meine Freundin zu sein.

Glaubt Ihr denn, Herr Doctor Gaffori, daß ich dies nicht längst bin? erwiederte sie.

Er schüttelte den Kopf. Nicht so ganz, Doncella Therese, nicht so recht, wie ich es gern hätte. Hört mich an. Offen und ehrlich, wie es meine Art ist, will ich Euch meine Gedanken sagen. Ihr seid so schön wie klug, und ich weiß, daß Ihr ein stolzes, muthiges Herz in Eurer Brust tragt.

Dann sage ich Euch Dank für diese Gesinnung, erwiederte sie, und da er ihre Hand genommen hatte, fühlte sie, wie diese zitterte und wie ihre Lippen zitterten, ohne daß sie es lindern konnte.

Das sind keine Schmeichelworte, die ich Euch sage, fuhr Gaffori fort, es ist meine ehrliche Ueberzeugung, und da dies so ist, bitte ich Euch nochmals, seid meine und seid Maria Anna's Freundin. Es hat Manches zwischen uns gelegen, was uns fremd hielt, das laßt vergessen und vergeben sein. Zwölf Jahre wart Ihr alt, da Maria Anna meine Frau wurde, und seit dieser Zeit ist mein Haar grau geworden; ein hartes mühevolles Leben hat mich voreilig alt gemacht. Ihr aber steht nun so recht in Eurer Pracht, und daß Thomas Cervoni Euch in heißer Liebe gewählt, und ihr ihn, das laßt nun das Band unserer Freundschaft sein, getreuer edler Freundschaft, wie sie gute Menschen verbindet.

Therese fühlte sich von seinen Worten bewegt. Was er von seinem Alter, von seinem grauenden Haar und von ihrer Jugend sagte, klang wie eine bittende Erklärung, und hätte er nicht Maria Anna's Namen eingemischt, ihr Herz würde heißer geworden sein. Aber dieser Name hielt es kalt. Sie blickte ihn an, es lagen Falten auf seiner hohen Stirn, strenger Ernst in seinen Mienen, seine Augen paßten nicht zu seinen Worten.

Ich hoffe was Ihr selbst hofft, erwiederte sie, auch ist Thomas Euch so zugethan, daß sich alles erfüllen muß, was ich mit Freudigkeit erwarte.

Gaffori lächelte.

Ich danke Euch, theure Doncella Therese, sagte er, Ihr habt Recht, es wird sich erfüllen. Thomas ist von geradem Sinn, und unsere Freundschaft ist alt und wohlbewährt; sollte sie erschüttert werden, so wird es, sein wie der Baum, den der Wind beugt und der sich wieder aufrichtet.

Wer sollte seine Freundschaft erschüttern? fragte sie.

Wenn es Einer thun könnte, versetzte Gaffori, nun so würdet Ihr es sein, doch ich bitt' Euch, thut es nicht. –

Er nahm noch einmal ihre Hand und beachtete nicht deren Zucken. –

Glaubt mir, fuhr er fort, Niemand wünscht so innig und aufrichtig Euer Glück und das Glück meines wackern Freundes als ich, aber er kann nur glücklich sein auf den Wegen, die ich ihn geführt habe. Alle Wurzeln seines Lebens klammern sich an sein Vaterland und an mich, der ich ihm Lehrer und Erzieher war. Duldet nicht, daß eine Hand daran rüttelt, es würde verderblich sein für uns, auch für Euch, ja, auch für Euch!

Bei seinen letzten Worten sank seine Stimme tief herab, und seine Augen ruhten wieder auf ihr, als blicke er bis in ihre Seele und wisse Alles was sie dachte.

Sollten wir nicht Freunde sein, uns schützen und vertrauen, die wir dazu bestimmt waren, in Treue bei einander zu stehen? sagte Gaffori bewegt und leise. Das bedenkt, theure Therese, und nun lebt wohl! Gott sei mit Euch auf Euren Wegen!

Er entfernte sich und ging den Bergen zu, Therese hob eine Hand nach ihm auf, als wollte sie ihm nachrufen, aber sie ließ diese wieder sinken und preßte ihre Lippen zusammen. Plötzlich klammerte sie ihre Finger zusammen und rief mit Heftigkeit:

Es ist der Teufel, der mich bethören will! Nein, ich will deinen Weg nicht gehen; ich kann deine Freundin nicht sein, nicht Maria Anna's Magd! Ich verfluche sie!


10.

Eine Stunde darauf trat Therese in die Casa Gaffori, doch Niemand konnte ihr anmerken, mit welcher Leidenschaft sie gekämpft hatte. Sie lächelte so freundlich, als sie sich der Thür näherte, und breitete ihre Arme aus, als sie eintrat. Allein die junge Frau befand sich nicht in dem Zimmer. Indem Therese forschend umherblickte, glaubte sie ein leises Sprechen in der Kammer zu vernehmen, welche daran stieß, und dies genügte, daß sie vorsichtig sich weiter näherte, bis sie durch einen Spalt hineinblicken konnte.

Gerade vor ihr saß der Propst Aldoni, und neben ihm auf einem niedrigen Stuhle Maria Anna, als lege sie eine Beichte ab. Wie scharf jedoch Therese's Gehör war und wie sie es auch anstrengte, konnte sie längere Zeit nichts verstehen. Endlich aber sprach der alte Geistliche vernehmlich:

Ihr sagt mir nicht ganz Neues. Ich habe es wohl bemerkt, daß er in seiner Eitelkeit nicht gekränkt wurde, als Thomas Cervoni ihm vorgezogen ward.

Ich glaubte es, erwiederte Maria Anna, denn es schien mir, als ob Therese ihm Gunst erwiesen, und ich gestehe Euch, hochwürdiger Herr, daß ich es wünschte.

Wie habt Ihr das wünschen können? rief der Priester. Cospetto! ich hätte es nicht gethan!

Weil ich glaubte, daß damit etwas Gutes gethan würde, sagte Maria Anna.

O! ich kenne Euch, ich kenne Euch! fiel der Propst ein. Ihr könnt die alten Geschichten nicht vergessen. Ich aber sage Euch: Gelobt sei Gott für diese Wahl! denn was wäre aus Gaffori geworden, hätte er diese zum Weibe genommen? Nicht der große Mann, der er ist, nicht der Held, auf den die Edelsten und Besten mit Verehrung blicken. Nein, Ihr hättet nichts wünschen sollen, am wenigsten, daß Francesco – freilich aber, unterbrach er sich, wäre es gut gewesen, wenn seine Traurigkeit und sein auffallend Wesen ihr gegolten hätten.

Er muß aus dem Hause, sagte sie, sobald als möglich muß er fort. Dazu steht mir bei.

Laßt uns sehen! laßt uns sehen! versetzte der Propst. Ich hätte Lust, dem Doctor reinen Wein einzuschenken und ihm das Mittel zu überlassen, diesen Burschen zur Vernunft zu bringen.

Ich bitt' Euch, nein! antwortete Maria Anna. Giampietro muß damit verschont bleiben. Wollte ich das, hochwürdiger Freund, so hätte ich es längst gethan. Giampietro liebt seinen Bruder zärtlich, und ich ich habe das schmerzvollste Mitleid mit ihm.

Aber Cospetto! Cospetto! rief Aldoni, seid Ihr auch gewiß, daß seine Narrheit so groß ist? Ich habe wohl bemerkt, welche ehrerbietige Aufmerksamkeit er Euch beweist, ich habe gesehen, wie er an Euren Blicken hängt, ich habe gefunden, daß er jeden Eurer Winke befolgt, und ich habe wohl gedacht, daß seine verehrende Liebe zu der huldvollen Schwägerin eine schwärmerische sei, doch nicht gemeint, daß sie weiter ausarten könnte.

Längst schon war ich um ihn besorgt, sagte Maria Anna, doch erst, als er mir mit glühendem Gesicht erklärte, nie habe er ein Gefühl für Therese gehabt, als er sie verspottete und mich dabei mit traurigen anklagenden Blicken betrachtete, da erst erkannte ich die Wahrheit. Seit dieser Zeit suchte ich ihn fern zu halten, gab ihm keine Gelegenheit mehr vertraut zu sprechen, obwohl ich freundlich war, wie sonst.

Das hättet Ihr nicht sein sollen, fiel der Propst ein. Man muß den Narren als Narren behandeln, wenn man ihn heilen will.

Er ist von vielen edlen Eigenschaften, fuhr Maria Anna fort. Freilich auch leichten Sinnes, aber seine Jugend, seine Schönheit, sein tapferes Benehmen im Kriege und seine liebenswürdigen Sitten haben ihm viele Freunde erworben. Doch vielleicht habt Ihr Recht, mein Vater, ich hätte strenger sein können. Gestern habe ich bereuen müssen, daß ich zu viel von seiner Einsicht hoffte.

Seid Ihr nicht lange genug schon in der Welt, mein Töchterchen, antwortete Aldoni, um nicht zu wissen, daß man mit Vernunft und Einsicht keine Leidenschaft heilt? Aber Euer Mann, der kluge Doctor, ist ganz von demselben Schlage. Auch der bildet sich ein, daß sein abtrünniger Thomas von der Trompete Vernunft aus seinem Taumel aufgeweckt werden wird, aber ich sage Euch, die Mauern von Jericho könnten eher einstürzen, ehe er aus den Liebesarmen der Romei sich herauswindet. Doch was war es gestern? Was hattet Ihr mit diesem pazzo zu schaffen?

Gaffori war nicht zu Haus, erzählte Maria Anna, Ihr wißt, von wie vielen Sorgen er umringt ist. Da kam Francesco zu mir, düsterer, trauriger als je. Ich sprach zu ihm von gleichgültigen Dingen und schwieg endlich, da er kurze Antworten gab. Plötzlich aber sprang er auf und trat vor mich hin. Warum haßt Ihr mich? fragte er mit Heftigkeit. Was habe ich Euch gethan, warum haßt Ihr mich?

Ich hasse Euch nicht, und Ihr habt mir nichts gethan, antwortete ich.

Um aller Heiligen willen, seht mich an, blickt nicht von mir fort, laßt mich nicht verzweifeln! schrie er.

Ich sah ihn an und sagte dabei so sanft und doch so fest ich es vermochte:

Ihr seid krank, Francesco, ich habe es längst gewußt. Ich bitte Euch, macht mir, macht Eurem Bruder nicht so große Sorgen.

Als ich dies sprach, begann er zu weinen und plötzlich sank er auf sein Knie, ergriff meine Hände, bedeckte sie mit seinen Küssen und rief:

Ihr sollt nicht um mich sorgen! Ich möchte sterben von Eurer Hand, beweint und beklagt von Euch, so wäre mir geholfen.

Geht! rief ich, und machte mich von ihm los, das ist Wahnsinn. Geht und seid vernünftig, oder Giampietro soll Euch zur Vernunft bringen.

Da stand er auf und ging demüthig, ohne ein Wort zu erwiedern. Ich aber war tödtlich erschrocken, mein erster Gedanke waret Ihr, hochwürdiger Freund. Euch mußte ich es vertrauen, Euren Rath hören und Eure Hülfe ansprechen.

Ist es dahin gekommen? sagte der Propst, dann freilich hilft kein langes Besinnen. Ihr habt Recht, Giampietro darf nichts davon erfahren. Niemand darf es wissen, es würde zum Hohn und Gelächter für Eure Feinde dienen.

Therese wandte ihren Kopf fort, ihre Augen leuchteten.

Ich weiß es, flüsterte sie, ich werde es nicht vergessen!

Ein Geräusch entstand auf dem Flur, gleich darauf hörte sie Gaffori's tiefklingende Stimme, aber sie war in diesen Hause zu gut bekannt, um vor Ueberraschung besorgt zu sein. Sie durfte nur in einen Gang treten, der zwischen den Wänden zu den Hinterräumen des Hauses und zu einer schmalen Treppe führte, die in das untere Geschoß hinabging, um sich zu sichern. Von dort konnte sie das Haus verlassen, oder, wenn sie wollte, zurückkehren, als sei sie so eben erst gekommen; doch der Vorhang, hinter den sie entschlüpfte, bewegte sich noch, als Gaffori hereintrat, und fast zu gleicher Zeit wurde die Thür der Kammer geöffnet, aus welcher Maria Anna ihm entgegenkam, gefolgt von dem Propst, der sogleich in seiner Weise ihn anrief.

He! schrie er, es gibt kein richtigeres Wort, als daß der Wolf in der Nähe ist, wenn man von ihm spricht.

Noch mehr als vor den Wölfen soll man sich hüten vor den Füchsen im Schafkleide, lachte Gaffori, und dies ist denn auch von jeher ein guter Theil meiner Lebensaufgabe gewesen.

Und es geschieht leicht, daß man selbst dabei zum Fuchs wird, sagte der Propst. Man kann den guten Leuten nicht so ganz Unrecht geben, die da meinen, ein gewisser kluger Mann, der sich einbildet das Gras wachsen zu hören, habe vom Fuchs manche schöne Eigenschaften angenommen.

Als da sind Wachsamkeit und scharfe Augen und die Witterung vor jeder Falle, sagte Gaffori. Solche Fuchstugenden sind allen Menschen nöthig, somit hoffe ich meinen Theil davon zu besitzen.

Der Propst schielte nach Maria Anna hin und schnitt ein spöttisches Gesicht.

Gott behüte Euch, daß Eure Tugenden wachsen! rief er, thut nur immer Eure Augen hübsch weit auf, es kann nicht schaden; seid aber auch dabei ein frommer Mann, der auf den Rath der Hausfrau hört und die Kirche achtet.

Beides! lachte der Doctor, wahrlich Beides! Mein liebster und vertrautester Rath ist meine treue Maria Anna, und Ihr, mein werther Freund, habt mir nicht minder trefflich schon beigestanden.

Wenn wir gefragt wurden, spottete der Propst. Was gibt es aber jetzt wieder mit Euch, was habt Ihr mit allerlei Leuten zu flüstern und heimlich zu thun?

Nichts Heimliches, versetzte Gaffori, ich halte eben nur meine Augen offen und sehe allerlei was mir nicht gefällt.

Und was ihm am nächsten dicht an den Augen liegt, sieht er nicht! rief der alte Priester, und das ist es, was in der Bibel steht, womit Gott oft die allerklügsten Leute heimsucht. Sie sehen mit Luchsaugen, und doch hat sie der Herr mit Blindheit geschlagen.

Gaffori blickte ihn sinnend an.

Was meint ihr damit? fragte er.

Ja, ja! rief der Propst, es ist so. Er sieht über die Berge fort nach Ajaccio, sieht bis nach Bastia in's geheime Cabinet des Gouverneurs und weiß auf ein Haar, was Antonio Romei treibt, aber daß sein eigener Bruder Francesco immer verwirrter und trübsinniger wird, davon weiß er nichts.

Francesco? fragte der Doctor. Er wandte sich zu Maria Anna und fuhr fort: Ist Therese bei dir gewesen?

Sie verneinte es.

Nicht? sagte er nachdenkend – Ihr irrt, wenn Ihr meint, ich hätte meines Bruders trübe Stimmung nicht bemerkt. Er weicht mir aus, und ich lasse ihn seinen Weg gehen; denn was ihn quält, muß er in sich selbst austragen.

Dagegen meine ich, Ihr müßt ihm zu Hülfe kommen, erwiederte Aldoni. Schickt ihn in eine andere Luft, hier wird er sein Fieber nicht los. Ihr habt gute Freunde in Neapel, schickt ihn dorthin. Der junge Pasquale Paoli soll ja ein wahrer Ausbund von Tapferkeit und Geschicklichkeit sein und im calabresischen Kriege als Capitain schon hohe Ehren verdient haben. Zu ihm bringt ihn in die Lehre, so werden ihm die verliebten Phantasien vergehen.

Die werden ihm auch hier vergehen, sagte Gaffori.

Seht Ihr wohl, wie Ihr auf guten Rath hört? schalt der Propst. Sagt doch auch ein Wort dazu, Frau Maria Anna.

Mir scheint es, daß Ihr Recht habt, erwiederte diese, und ich wünschte, Giampietro befolgte Euren Rath. Francesco muß eine Zeit lang uns verlassen.

Warum muß er uns verlassen? fragte Gaffori. Glaubst du, daß verschmähte Liebe so gefährlich für ihn ist?

Nicht für ihn allein, für uns Alle, antwortete sie. Schicke ihn nach Neapel, Gaffori, es ist mir als ob ich dich warnen müßte.

Mich warnen? fragte er lächelnd, schloß sie in seine Arme und küßte sie. Ich will ihn schon heilen. Du wirst sehen, daß er in kurzer Zeit wieder so froh sein wird als je vorher. – Er soll bei uns bleiben, denn ich habe Beschäftigung für ihn, und sieh – da ist sie schon!

Mit diesen Worten ließ er Maria Anna los und eilte an ein Fenster. Ein Reitertrupp sprengte die Straße herauf, alle bewaffnet. An der Spitze der Schaar befand sich der wilde Matra und einige andere wohlbekannte Führer. Das Volk lief hinter ihnen her, ein Geschrei entstand auf der Straße.

Was ist geschehen? fragte Maria Anna.

Ich habe meine Sorgen bisher allein getragen, sagte Gaffori, jetzt mußt du sie theilen. Matra bringt mir Nachricht, daß der Aufstand in Ajaccio ausgebrochen ist.

So war es. Denn kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, so trat Matra herein.

Auf! Gaffori, rief er dem Doctor entgegen, die Genuesen haben das Spiel begonnen. Ajaccio ist im Aufstande, Cursay verwundet, kaum mit dem Leben entkommen! Die Franzosen halten sich in der Citadelle, sie haben die Stadt verloren.

Giampietro Gaffori hörte ohne Ueberraschung an, was Matra erzählte. Die Mörder der beiden Franzosen waren verurtheilt und erschossen worden: das hatte den Aufruhr zum Ausbruch gebracht. An einem Markttage, wo viel Landvolk in der Stadt war, entspann sich der Kampf, und da kein Mann ohne seine Waffen kam, wurde er bald allgemein und blutig. Vergebens suchte General Cursay die Ruhe herzustellen, sein Leben schwebte in großer Gefahr und nur mit Mühe gelang es ihm, sich mit seinen Soldaten in der Festung einzuschließen. Dort aber mangelte es ihm an Lebensmitteln, rasche Hülfe mußte ihm werden und hierzu forderte Matra seinen Freund auf.

In zwei Stunden werden wir bereit sein, sagte Gaffori.

Thomas Cervoni und die Männer von Niolo?

Nein, die Jugend von Corte und von den Bergen.

Matra lachte auf.

Hat er dich verlassen, der in deinem Schooß saß? rief er. Sagte ich es nicht!

Wir wollen sehen, versetzte der Doctor. Auf jeden Fall bin ich bereit; das ist genug.

Nun traten mehrere der corsischen Führer herein. Das Gemach widerhallte von rauhen heftigen Stimmen, die Straßen füllten sich mit Geschrei und Gewühl, Hörner klangen, bewaffnete Männer sammelten sich.

Therese Romei war unbemerkt aus dem Hause entkommen.


11.

Die zwei Stunden, welche Gaffori für seine Vorbereitungen zum Zuge über die Berge bestimmt hatte, waren noch nicht verflossen, als eine Schaar von fünfhundert Männern aus Corte marschirte. Voran der friedliche Doctor, welcher plötzlich wieder zum Soldaten und General geworden, alle Eigenschaften eines solchen kund gab. Er trug zwar keinen Degen an seiner Hüfte und kein Kleid mit Goldtressen, sondern den groben corsischen Rock ohne irgend ein Abzeichen, doch kein Feldherr eines Königs oder dieser selbst im glänzendsten Schmuck seiner Hoheit hätte mehr Achtung und Gehorsam finden können.

Als er aus seinem ärmlichen Hause trat, empfingen ihn die bewaffneten Bürger und das gesammte Volk mit einem Triumphgeschrei, doch tiefes Schweigen trat ein, als er in kurzer kräftiger Rede Allen mittheilte was in Ajaccio geschehen, und daß der Freund Corsika's, der Mann, welcher vor weniger Zeit erst Corte's Gast gewesen, in solcher Bedrängniß sich befinde. Alle Hände hoben sich auf, um zu schwören, Cursay zu befreien, und dann stürmten sie ihrem Führer nach, der sie in die fallende Nacht das Thal des Tavignano hinauf führte.

Nun zeigte es sich, was Gaffori vorher gesehen und wie er im Stillen vorbereitet hatte. Auf Thomas Cervoni und die tapferen Hirten des Niolo durfte er nicht mehr rechnen, denn es war ihm nicht verborgen geblieben, daß Thomas schon einem anderen Einflusse folgte; aber noch in der letzten Stunde vertheidigte er ihn gegen Matra's höhnende Vorwürfe.

Er ist in seinen Liebestagen, sagte er lächelnd; es wäre Unrecht, wollten wir ihn mit uns fortführen, ohne die triftigsten Gründe. Ich habe ihm jedoch so eben einen Eilboten geschickt, der ihm Nachricht bringt, und sollte es nöthig sein, wird er nicht zögern seines Vaterlandes Sache zu vertheidigen.

Matra mußte dazu schweigen; als aber Gaffori beim Abschiede seine standhafte Frau umarmte, sagte er ihr:

Ich fürchte, theure Maria Anna, Thomas wird weder zu mir noch zu dir mehr kommen. Ich las in Therese's Augen ihren Sieg und ihr eitles Trachten. Sei klug, wie du immer bist.

Geh mit Gott deinen Weg, Giampietro, antwortete sie, und ihre Augen ruhten auf ihm mit Innigkeit. In Ehren wirst du wiederkehren, mit Ruhm und Ehren erwarte ich dich.

So schieden sie. Francesco aber begleitete seinen Bruder, der ihn an die Spitze einer Abtheilung gestellt hatte, welche die Vorhut des kleinen Heeres bildete, das nun auf gefährlichen Pfaden durch die Bergwälder über den Gebirgssattel drang, der die beiden riesigen, vom ewigen Schnee bedeckten Felsstücke des Monte d'Oro und des Renosco verbindet.

Wenige Fackeln leuchteten dem Zuge durch den großen Wald von Vizzavona, und nach dem Befehle ihrer Führer beobachteten die Krieger tiefes Schweigen. Wie eine dunkle Schlange wand sich die Schaar rasch und lautlos die Berge hinauf, nur die Steine polterten und unter den behenden Schritten brachen die trockenen Zweige der Lärchenbäume. Die kleinen braunen Männer in ihren Capuzröcken waren abgehärtete unermüdliche Soldaten. Um ihre Leiber trugen sie den Gurt mit Pulverhorn und Kugeltasche; Gepäck führte keiner, nur die schwarzen Doppelgewehre lagen auf ihren Schultern.

Als der Morgen anbrach, standen sie oben auf der Wasserscheide und nach kurzer Rast stiegen sie in das Gravonethal hinab, gerade auf Ajaccio los. Finster und wild ragten zu beiden Seiten beschneite zerrissene Gipfel auf, darunter Wald und zerstreute Capannen und Ortschaften. Es wohnen arme Hirten hier, die von ihren Bergen herunter verwundert den Kriegszug betrachteten. Viele liefen herbei, hörten was geschehen und schrieen dem Giampietro Gaffori Glück zu, manche auch nahmen ihre Waffen und folgten ihm nach.

Und immer tiefer senkte sich das Thal, immer lachender und lieblicher wurde es: die düsteren Alpenberge hörten auf, statt deren begannen Hügel voll Weingärten und Oliven, und als es Mittag wurde, blitzte plötzlich das Meer in der Ferne und die fruchtbare Ebene, das Compoloro von Ajaccio, begann. Die Stadt lag am Ende derselben, dicht an den Wellen des blauen Golfs, und über ihr auf dem Hügel des heiligen Johannes erhoben sich die Mauern und Thürme des Castells. Alle Blicke richten sich dorthin. Eine große Fahne wehte von einer Zinne, es war die weiße Fahne Frankreichs. Ein Freudengeschrei erhob sich.

Wackerer Cursay! rief Gaffori. Es ist nichts verloren, Freunde. Die Verräther haben falsch gerechnet; wir kommen nicht zu spät!

Nun begann der Zug auf die Stadt, welche damals wie jetzt aus zwei Hauptstraßen bestand, zwischen denen der Marktplatz und viele kleine Gassen liegen. Gaffori's Schaaren erschienen dem aufständischen Volke, als seien sie aus dem Boden gestampft, so plötzlich und unerwartet drangen sie von beiden Seiten ein und vereinigten sich auf dem Marktplatze. Eine Bande Kerle mit verwegenen Gesichtern sprang vor ihnen her und stob aus einander; ein paar Flintenschüsse fielen. Das Geschrei Gaffori! Gaffori! ließ sich hören, aber Widerstand fand nicht statt.

Matra und seine Reiter sprengten inzwischen die Höhe von San Giovanni hinauf, Gaffori selbst gesellte sich ihnen zu. Auch hier flohen die Rotten, welche das Castell umstellt hielten, warfen sich in die Wein- und Fruchtgärten und machten sich davon. Eine freudige Bewegung entstand in der Veste. Die Brücke fiel, das Thor öffnete sich, General Cursay empfing mit offenen Armen seinen Freund und Befreier.

Theurer Gaffori! rief er nach der ersten Umarmung, Gott lohne Ihnen diesen Dienst. Schurkische Pläne sind ausgesonnen worden, Geld ist vertheilt worden, und kein Zweifel, daß ein Theil der Burschen, die den Tumult begannen, genuesische Söldner waren, die aus Sartene und Bonifacio hergeschafft, in braune Kittel gesteckt wurden. Wissen Sie aber auch, daß der Anführer dieser Bande, der Mensch, welcher die Fäden leitete und an der Spitze der Verräther steht, derselbe ist, den ich in Corte gesehen habe bei der Moresca, wo er mit Ihnen sprach und in Gesellschaft angesehener Bürger sich befand?

Der ehrenwerthe Herr Viale aus Livorno, sagte Gaffori lachend, treibt einträgliche Geschäfte. Ich zweifle nicht daran, daß Sie Recht haben.

Nach einer geheimen Unterredung kehrte Gaffori in die Stadt zurück und sogleich begann er die Herstellung der Ordnung, indem er den Rath der Stadt zusammenrief und Rechenschaft von ihm für den Tumult forderte. Der Rath entschuldigte sich mit seiner Ohnmacht und bewies, daß die Bürger der Stadt geringen Theil an den Auftritten genommen. Aber es gab auch hier manche Familien, die es mit Genua hielten und die Arbeiter aufgehetzt hatten, dazu kam fremdes Gesindel, das sich eingefunden.

Gaffori forschte nach den Anstiftern und nach dem verdächtigen Kaufmann. Man hatte einen solchen Mann wohl bemerkt. Er stand mit angesehenen Leuten in Verbindung, mit den Ramolini, den Buttafuoci, den reichen Pevaldis, den Pozzo di Borgo und dem Abt Colonna; aber wer er war, wußte Niemand, auch konnte Reiner angeben, wo er sich befinde. Da die genuesische Partei stark und mächtig war, hatte Gaffori um so mehr Ursache sie zu schonen. Genua war ja noch immer der Herr des Landes, dem eigentlich die Untersuchung dieser Unruhen, die Herstellung des Friedens und die Bestrafung der Uebelthäter gebührte. Gaffori's Zug gegen Ajaccio erschien dagegen als eine gewaltsame Einmischung, die nur durch die Verhältnisse erklärt und vertheidigt werden konnte.

Aber was die genuesisch Gesinnten auch darüber denken und eifern mochten, der verhaßte Mann war hier mit seinen Schaaren und der einzige Richter und Schlichter. Die Bürger hießen ihn freudig willkommen, das Volk schrie ihm seine Evvivas! zu, und selbst der größte Theil der Mißgestimmten war im Geheimen froh über seine Gegenwart.

In wenigen Tagen wurde die Ruhe gesichert. Strafen fanden nicht statt, es sollte Alles vergeben und vergessen sein. Von Gaffori begleitet zog Graf Cursay mit seinen Franzosen wieder in die Stadt ein, und wie von einem allgemeinen Gefühl der Reue und der Scham ergriffen, suchten die Bürger Ajaccio's ihren Fehler gut zu machen. Der edle Graf war wieder der Retter und Befreier Corsika's, der Liebling des Volks, das ihn auf seinen Schultern zum Stadthause trug und mit italienischer Begeisterung sich dem zu Füßen warf, dem es kurz zuvor das Herz durchbohren wollte.

So wurde endlich ein Fest veranstaltet, das die Versöhnung besiegeln sollte, und dies fand an einem herrlichen Maitage auf dem großen Diamantplatze am Ufer des Golfs statt. Ganz Ajaccio und das umliegende Land war auf den Beinen. Die Franzosen kamen mit ihrem General, ihren Fahnen und ihrer Musik, dazu Gaffori mit seinen Bergcorsen, und nun die Bürger mit ihren Vorständen und dies südliche Volk, noch broncener, noch wildhaariger und leidenschaftlicher, als jenseit der Berge. Die Häuser alle schimmerten voll Frauen und Mädchen mit wehenden bunten Mandiles, die Platanen und Ulmen und selbst die Orangenbäume vor den Häusern hingen voll jauchzender Kinder und an der offenen Seite des Platzes glänzte der herrliche große Golf herein, das Meer mit seinen grünen malerischen Felsenufern, dazu die Oelberge, welche von allen Seiten in die Stadt schauen. –

Als der französische General mit Gaffori erschien, erhob sich ein endloser Jubel. Der Podesta und die angesehensten Männer der Stadt gingen ihnen entgegen, und als sich alle die Hände reichten und umarmten, erreichte das Entzücken seine Höhe. Das ganze Volk schien von der Tarantel gestochen; es tanzte, schrie und fiel sich in die Arme, durchbrach die Reihen der Franzosen und der Corsen, um auch diese zu herzen und zu drücken, und lange Zeit war es unmöglich, die Ordnung herzustellen.

Mitten in diesem Gewühl erblickte Gaffori eine Gruppe, welche seine Aufmerksamkeit erregte. Ein paar Mönche in braunen Ordenskleidern standen unter einem Baume, und hinter ihnen ein schwarzgekleideter Mann, der seinen weiten Rock hoch heraufgezogen und den breiten Hut eines Abbate tief in sein Gesicht gedrückt hatte. Dies Gesicht aber sah zwischen den Köpfen der Mönche nach ihm hin, Gaffori's scharfen Augen blieb es nicht verborgen. Es war Viale; nach einer einzigen Betrachtung zweifelte er nicht daran, und indem er sich zu seinem Bruder Francesco umwandte, welcher dicht bei ihm stand, hob einer der Mönche seinen Arm auf und deutete auf den Golf hinaus.

In dem Augenblick entstand von mehreren Seiten das Geschrei: Ein Schiff! ein Schiff! Man konnte von dem Platze das südliche Ufer des Golfs weit überblicken, vom nördlichen aber, vorspringender Berge wegen, nur ein Stück; hinter diesem hervor kam ein großes Fahrzeug, das mit vollen Segeln den günstigen Wind benutzte. Als Gaffori nach den Mönchen schaute, sah er sie eifrig sprechen und Viale hervorgetreten, als habe er keine Vorsicht mehr nöthig. Die kalten harten Mienen des Kaufmanns verzogen sich zum Lachen, er schien lebhaft mit den Umstehenden zu sprechen. Schnell noch einmal flüsterte Gaffori zu Francesco, und dieser wand sich von zwei Anderen gefolgt aus dem Kreise, eben da der Segler im Golf auf seinem Hauptmaste eine große Flagge entfaltete, welche sofort als die Kriegsflagge Frankreich erkannt wurde.

Was bedeutet das? fragte Gaffori seinen französischen Freund. Eine Fregatte des Königs? Was will sie hier? Wußten Sie davon?

Nichts, antwortete Cursay, und indem er sie betrachtete, setzte er hinzu: Ich fürchte, daß es nichts Gutes ist, das sie bringt.

Alle Aufmerksamkeit wandte sich dem Schiffe zu. Das Fest war gestört, die Feierlichkeiten konnten nicht fortgesetzt werden, die ganze Volksmasse drängte dem Hafen zu, dem die Fregatte sich jetzt näherte, doch ihre Anker fallen ließ, noch ehe sie denselben erreichte, als sollte ihr Aufenthalt nur ein sehr kurzer sein.

Gleich waren auch die Boote des Schiffes in Bewegung. Man sah Offiziere in glänzender Uniform, als aber Cursay diese durch ein Glas betrachtete, ließ er plötzlich seinen Arm sinken und wandte sich zu Gaffori.

Sagte ich es nicht, daß es nichts Gutes sei, was sie uns bringt, flüsterte er. Dort kommt General Boissieur, mein alter Gegner. Man würde ihn nicht ausgesucht haben, wenn er Freudiges zu bringen hätte.

Er ging mit seinen Offizieren dem Landungsplatze zu. Matra faßte Gaffori's Arm, hielt ihn zurück und sagte heftig:

Des Teufels will ich lieber sein, ehe dieser etwa hier befehlen soll. Wir kennen ihn gut genug als ein genuesisches Werkzeug, das uns nicht wieder aufgehalst werden darf.

Haltet unsere Leute zusammen, erwiederte Gaffori. Was auch kommen möge, nichts darf geschehen, das unsrer Ehre schaden könnte.

Eine Stunde darauf erfolgten im Regierungshause die Eröffnungen, welche der gelandete General dem Grafen Cursay zu machen hatte. Stolz und förmlich war das Benehmen des Abgesandten.

Der König schickt mich hierher, General, sagte er, mit dem Auftrage, welchen dies Schreiben enthält.

Er hielt es dem Grafen aufgeschlagen hin, es war mit dem großen Staatssiegel versehen, und während Cursay las, trübte sich dessen männlich ernstes Gesicht, bis zuletzt eine dunkle Röthe seine Stirn überzog.

Es wird Ihnen geboten, sich sofort nach Ajaccio zu begeben und mir den Befehl der Truppen Sr. Majestät abzunehmen, sagte er. Des Königs Wille ist Gesetz.

Es muß heut noch geschehen, antwortete der General Boissieur, so will es der König.

Ha! schrie Matra vortretend, will man Euch aus Eurer Wohnung treiben, mein Herr Graf, so kommt zu uns, wir haben liebe Gäste gern.

Ich hoffe, Herr Matra, versetzte Cursay lächelnd, daß ich Zeit behalte, Ihr Gast zu sein.

Zunächst muß ich bitten, General, daß Sie dies Schreiben aus meinen Händen empfangen, fuhr der Commissair des Königs fort, indem er einen zweiten Brief hervorzog.

Als Cursay diesen öffnete, sah man ihm die heftige Bewegung an. »Angesichts dieses Befehles,« las er laut, »haben Sie sich nach Frankreich zu begeben, um sich gegen die Anschuldigungen zu rechtfertigen, welche wider Sie bei uns erhoben worden sind.«

Welche Anschuldigungen sind gegen mich erhoben worden? fragte er stolz seine Stirn aufhebend.

Der General zuckte die Achseln. Das werden Sie in Frankreich erfahren. Se. Majestät hat eine Untersuchung angeordnet.

Wer hat mich angeklagt? Wer soll mich richten?

Der Commandant der Fregatte hat Befehl, Sie nach Antibes zu führen und dem Befehlshaber der Citadelle zu übergeben. Mein Adjutant wird Sie dahin begleiten.

Der Name Antibes erschütterte Cursay sichtlich. Die Citadelle war ein wohlbekanntes Staatsgefängniß

Gefangen also! rief der Graf mit bitterer Heftigkeit. Ich, in den Thurm von Antibes, den Aufenthalt der Verräther!

Seine Empörung vor diesem Gedanken war so groß, daß selbst Boissieur Theilnahme fühlte.

Beruhigen Sie sich, sagte er, Ihre Unschuld wird schnell bewiesen werden, ich zweifle nicht daran.

Aber bei Gottes Thron! rief Cursay, wessen klagt man mich an?

Als der Commissair schwieg, sprach Gaffori neben ihm: Noch sind Sie nicht in dem Thurm von Antibes, mein General, noch stehen Sie auf Corsika's Boden bei Ihren Freunden, die Ihnen dankbar und ergeben sind.

Boissieur hatte dies wohl gehört, er sah den verwegenen Mann mit finsterem, bösen Lächeln an, er war ihm gut genug bekannt.

Ich weiß nicht, welche Dienste Sie dem Herrn Grafen Cursay zu danken haben, sagte er, das aber weiß ich, daß Sie, Herr Gaffori, zumeist wünschen müssen, daß er sich so schnell als möglich rechtfertigt.

Es kann sich Niemand vertheidigen, wenn er nicht weiß warum und gegen wen, antwortete Gaffori.

Nun, versetzte Boissieur mit spöttischer Höflichkeit, ich für mein Theil würde mich gewiß weniger verwundert haben, wenn man mir gesagt hätte, die Corsen haben den Finanzminister des Königs Theodor, den Marquis Gaffori, ihren tapfern und angebeteten General, auf den leeren Thron gesetzt, als daß dieser kluge General gesonnen sei, einem anderen ausländischen Herrn und Gebieter die Krone zu verschaffen.

Eine augenblickliche Stille folgte. Das also ist erfunden worden, um dem Thurm von Antibes einen edlen und unschuldigen Bewohner zu verschaffen! rief Gaffori dann laut und bewegt.

Genua! Genua! schrie Matra auf, und mit grimmigen Blicken setzte er hinzu: Glaubt nicht, daß die Corsen Narren sind. Euer König hatte uns einen edlen, gerechten Mann gesandt, den wir lieben und ehren; kommt Einer, der die genuesischen Ränke gut heißt, wird er bald finden, daß der Boden ihm hier zu heiß ist.

Ich kenne diesen Boden, Herr Matra, lächelte der General, und bin gern zufrieden, ihn schnell zu verlassen. Sobald die Mittel dazu bereit sind, wird kein Franzose Euch länger beschwerlich fallen.

Ein Gemurmel entstand unter den anwesenden Corsen. Einige mochte diese Nachricht wohl erfreuen, die meisten aber erschraken davor. Die Franzosen waren doch ein Schutz gegen Genua, sie waren eine Bürgschaft für den Frieden. Wenn sie alle die Insel verließen, mußte man schreckliche Auftritte erwarten.

Eine Menge Stimmen erhoben sich zugleich und von der Thür her erscholl der Ruf, der aus alten Zeiten stammend immer gehört wurde, wenn das Volk sich erhob:

Evviva la libertà! Evviva il populo! –

Er schallte die Treppe hinunter auf die Straße, und durch die Masse, welche die Straße und den Platz füllte, wälzte er sich fort. Ein wildes, wüthendes Geschrei stieg zum Himmel auf.

Verrath! Verrath! Die Genuesen haben uns verrathen! Unser Freund, unser Liebling Cursay wird gefangen nach Frankreich fortgeschleppt!

In wenigen Minuten war das Haus von Bewaffneten umringt. Gaffori's ganze Schaar besetzte die Eingänge, der Commissair des Königs blickte bleich auf die erhitzte tobende Masse, die mit Verwünschungen seinen Namen rief und die Gewehre lud.

Bleibt bei uns, Graf Cursay, verlaßt uns nicht! riefen viele derer im Saale, indem sie ihn mit Bitten umringten.

Cursay stand hoch aufgerichtet. Als Ruhe eintrat, schlug er an seinen Degen und sprach dabei:

Mein Leben über habe ich ihn mit Ehren getragen, so wird es geschehen bis an mein Ende. Fünf Jahre lang bin ich bei Euch gewesen, wer weiß etwas Schlechtes, Ungerechtes von mir zu sagen? Jetzt hat man mich schmachvoll verläumdet, ich muß gehen, meine Ehre zu retten. Wer mein Freund ist, kann mich nicht zurückhalten wollen. Hier steht Giampietro Gaffori, Euer edelster, bester Bürger, hört, was er mir räth.

Da sprach Giampietro ihm die Hand drückend:

Es muß so sein. Geht, wohin Euch die Ehre ruft, der Segen und die Liebe des corsischen Volkes werden Euch begleiten. Eure Feinde werden zu Schanden werden, es sind unsere Feinde! Zu dem hintergangenen Könige in Paris werden wir Männer schicken, welche für die Wahrheit zeugen. Der Verläumdung, der Falschheit soll die Maske abgerissen werden. Fluch über Genua!

Und dies Wort flog durch den Saal in das Volk. Bald sollte es durch ganz Corsika fliegen.

Graf Cursay nahm seinen Degen und legte ihn auf den Tisch vor den Commissarius des Königs. Dann ging er nach den Schiffe; mit Trauer und Thränen begleitete ihn das Volk.


12.

Von diesem Tage an entbrannte der neue Aufstand. Die Nachricht von dem, was in Ajaccio geschehen, drang schnell in alle Thäler und Berge, von einem Ende bis zum anderen des Landes. Wo genuesische Beamte waren, wurden sie verjagt, in einigen Städten, wo die Partei Widerstand leisten wollte, kam es zum Blutvergießen. Aber es zeigte sich auch bald, welche Vorbereitungen die Genuesen heimlich getroffen hatten, um den Krieg wieder aufzunehmen, und ihr gelungener Streich gegen den Grafen Cursay und der darauf erfolgte Abzug der Franzosen vermehrten ihren Muth.

Frankreich, das war sicher, wollte sich nicht mehr zu Gunsten der Corsen einmischen, diese hatten keinen ferneren Schutz von dem mächtigen Könige zu erwarten, und dieser Friede, der in Genua so viel Groll und Haß hervorgerufen, wurde jetzt für null und nichtig erklärt. Kriegsmaterial lag schon in Fülle in allen befestigten Plätzen, nun kamen auch Schiffe voll Soldaten, die auf dem Festlande angeworben und eingeübt waren. Die Republik nahm kriegskundige Offiziere, Deutsche und Franzosen, in ihre Dienste. Pläne wurden entworfen, um jeden Widerstand rasch zu ersticken, und in den drei festesten Plätzen, Bonifacio, Calvi und Bastia, sammelten sich zwölftausend Mann, Corsika's Unterwerfung zu erzwingen.

Aber trotz aller Drohungen und Versprechungen des Gouverneurs ließ sich das aufgebrachte Volk weder schrecken noch versöhnen. Es lebe die Freiheit! Es lebe das Volk! schrieen die Hirten auf den Bergen und die Fischer an den Küsten und überall wehten die grünen Fahnen, überall wurden die Wappen und Zeichen Genua's niedergerissen, der Mohrenkopf der corsischen Republik dafür aufgesteckt. In den Städten und auf den Landsitzen der alten Familien gab es manche Männer von Namen, Bildung und Gelehrsamkeit, Männer von großer und glühender Vaterlandsliebe und von Ehrgeiz, doch jetzt schwieg dieser, und jede Selbstsucht verstummte vor der Gefahr des Vaterlandes. Es gab nur einen Mann, nach dem das ganze Volk rief, nur einen Mann, von dem es Sieg erwartete, alle anderen mußten vor ihm weichen.

In Corte hatten die raschen Erfolge Gaffori's, und was in Ajaccio geschehen, eben so viele Freude und Begeisterung, wie Wuth und Bestürzung hervorgerufen. Stolze Freudigkeit bei Maria Anna, Begeisterung bei den Bürgern, die Gaffori anhingen, Wuth bei Antonio Romei und die ihn umgaben. Doch sie mußten ihren Haß verbergen, ihre gescheiterten Pläne sorgfältig verheimlichen. Maria Anna kam, als sei gar nichts vorgefallen, und theilte ihnen Nachrichten mit, zu denen sie Glück wünschen sollten, während sie sie verwünschten.

So kam sie auch, ihren Sohn an der Hand, eben als Gaffori in Corte erwartet wurde, und Antonio sah es ihr an, daß sie schöne Neuigkeiten brachte.

Oh, meine theure Freundin, rief er, was leuchtet aus Euren Augen! Etwas Gutes! Etwas Herrliches! Ist Giampietro in der Nähe? Sollen wir ihn festlich einholen?

Er kommt nicht, antwortete Maria Anna.

Er kommt nicht? fragte Antonio. Es ist ihm doch nichts Uebles geschehen?

Nein, versetzte die junge Frau lächelnd. Es wird in Orezzo ein Volkstag gehalten. Aus sämmtlichen Gemeinden gehen Abgeordnete dorthin, nach Gaffori rufen sie alle.

Wie es nicht anders sein kann, fiel Romei ein. Das Volk will Führer haben, es werden wiederum Protectoren und Generale ernannt werden.

Nicht wieder, sagte Maria Anna, denn man weiß, daß deren Uneinigkeit vor fünf Jahren Vieles verdarb. Da das Vaterland in so großer Gefahr ist, haben die ersten und edelsten Männer beschlossen, nur einen alleinigen General und Gouverneur zu ernennen, wie in alten Rom ein Dictator ernannt wurde in solcher Bedrängniß.

Herrlich! schrie Romei und seine Augen funkelten. Sie haben diese hohe Würde doch Gaffori angetragen?

Wem sonst als ihm!

Es gibt natürlich keinen Anderen, und er wird sie annehmen.

Wenn er in Orezzo dazu gewählt wird, muß er seine Pflicht thun.

O Grazia! Grazia! rief Antonio krampfhaft seine Hände zusammenpressend, welch' Glück für Corsika, welche Wonne für uns!

Er beugte sich zu dem Knaben nieder und streichelte ihn, denn er konnte Maria Anna nicht länger ansehen.

Was hast du für einen Vater, Kind, wie mußt du glücklich sein!

Der Knabe blickte zu ihm auf und sagte ernsthaft:

Mein Vater wird alle unsere Feinde tödten, aber Ihr seht sehr zornig aus.

Haha! du Närrchen, warum soll ich zornig aussehen? lachte Antonio.

Weil Ihr so viel Oel gekauft habt und Euer Geld verliert.

O, du kleiner Schwätzer, was schadet das. Geld! Wer wird an Geld und Oel denken.

Und weil Thomas Cervoni nun auch nach Orezzo zu meinem Vater gehen wird.

Ja, ja, lachte Antonio, wir gehen Alle zu deinem Vater, der uns Blut statt Oel gibt.

Maria Anna befahl dem vorlauten Kinde zu schweigen.

Er mag gehört haben, was wir theilnehmend von Euch sprachen, sagte sie, auch hat mir Gaffori geschrieben, wie leid ihm Euer Mißgeschick thut, das er doch nicht zu ändern vermag.

Es ist mißglückt, sagte Antonio, wer gewinnen will, muß darauf gefaßt sein, zu verlieren.

Ganz dasselbe schreibt Gaffori auch.

Schreibt er das! Freilich, auch er wagt viel und kann noch mehr verlieren.

Seid sicher, sprach Maria Anna zuversichtlich, er wird gewinnen.

Wird er? Viel Glück bis an's Ende, Madonna! Wir wollen sehen, wollen sehen.

Sein gelbes Gesicht verzerrte sich unter seinen Anstrengungen weiter zu heucheln. Maria Anna antwortete nichts darauf, ihre großen klaren Augen blieben ruhig und mild.

Wo ist Therese? fragte sie darauf.

In der Kirche, Madonna, in der Kirche. Wie wird es ihr leid thun, Euch nicht zu hören. Aber sie wird für unseren großen Dictator beten, ihm so viel Heil und Sieg wünschen, wie ich es thue.

So bleibt in Gottes Hut und Frieden! sagte Maria Anna, und er begleitete sie mit seinen Danksagungen; als er aber zurückkehrte, stieß er einen furchtbaren Fluch aus und schüttelte beide Fäuste in ausbrechender Wuth.

So fand ihn seine Schwester, als sie hineintrat und ihn mit unverkennbarem Hohn betrachtete.

Hast du es gehört? fragte er. Ich sparte dir die Judasarbeit, ich verläugnete dich.

Ich habe Alles gehört, antwortete sie.

Haha! der Dictator, der große General, der Retter des Vaterlandes! In Orezzo werden sie ihm die Füße küssen, die Krone ihm aufsetzen!

Er wird niemals eine andere Krone tragen, als die ihm gebührt.

Welche Krone meinst du?

Die Bürgerkrone, sagte Therese, und indem sie ihres Bruders Arm ergriff, setzte sie hinzu: Hüte dich, daß es keine Märtyrerkrone wird.

Romei starrte sie an; der mächtige Kopf blickte so versteinert, als sei ein Griff in sein Gehirn gethan.

Was soll daraus werden? sprach er dann mit dumpfer Stimme. Alles, was wir ersonnen, hat er mit einem Schlage vernichtet. Wir haben Thomas Cervoni von ihm getrennt, meinten, daß ohne dessen Beistand, ohne die Männer von Soveria und Niolo es ihm unmöglich sei, über die Berge zu ziehen, daß der Aufstand im Süden gelingen müsse. Ging er, sollte die Schmach des Friedensbruchs auf ihn fallen. Statt dessen hat er listig im Stillen sich vorbereitet, eine Schaar zusammengebracht wie ein Wetter, das aus den Klüften des Rotondo fährt, und der Teufel hat ihm geholfen!

Wer gewinnen will, muß darauf gefaßt sein zu verlieren, erwiederte Therese stolz.

Verlieren, ja verlieren! fiel Antonio heftig ein. Alles, was ich habe, ist verloren! ich bin ein Bettler, mit Schulden bedeckt.

Du bleibst Antonio Romei, versetzte sie.

Den der gnädige Dictator vielleicht zum Stadtvoigt oder Steuerempfänger macht, rief er mit bitterem Lachen, und dich als Kammerfrau der erhabenen Maria Anna bestellt.

Die Frau des Thomas Cervoni hat solchen Dienst nicht nöthig.

Frau des Thomas Cervoni! Hast du nicht gehört, was der Junge ausplauderte? Hast du nicht gesehen, was im Gesichte des Weibes stand? Thomas wird nach Orezzo wallfahrten, sich Vergebung seiner Sünden zu holen, und sein Freund, der Gouverneur und General der Republik, wird bestimmen, wenn er heirathen soll.

Thomas wird nicht nach Orezzo gehen, antwortete sie mit Nachdruck.

Nicht? – Du wirst ihn halten?

Ich. – Weißt du nicht, daß er mein Verlobter ist? Und weißt du, welche Macht ich besitze? – Er wird nicht nach Orezzo gehen, er wird den Frieden halten, den er beschwören half. Er wird sich nicht von uns trennen, sich nicht in diesen Krieg stürzen, von dem noch Niemand weiß, wie er enden wird.

Der riesige Mann hatte sinnend zugehört, nach und nach schien es ihm zu behagen, er verzog seine Lippen.

Wenn das ginge, sagte er, so kann freilich Manches anders kommen. Genua ist besser gerüstet als je. Der Gouverneur Grimaldi ist tapfer und schlau und sein Neffe, Camillo Doria, sein Lieutenant – er hielt inne und blickte seine Schwester an, die unbeweglich auch bei diesem Namen blieb – ha! das ist ein verwegener Mann, ein Offizier, der in den Heeren des deutschen Kaisers Karl gefochten und großen Ruhm erworben hat.

Mag er ihn bewähren, wenn er kann, sagte Therese.

Und wenn der große Dictator geschlagen ist, fiel Antonio höhnisch lachend ein.

Dann ist es Zeit für Thomas Cervoni.

Seine Bedingungen zu stellen, unsere Bedingungen. Gut! so ist es recht! wir wollen warten, wollen unsere Rechnung machen. So kann es gehen. Du bist klug, Therese, ich verehre deine Klugheit.

Er ging mit großen Schritten vor sich hinsehend und grübelnd auf und ab.

Sei du selbst klug, erwiederte Therese, und laß dich nicht verleiten, noch einmal so unbesonnen zu sein, wie du es eben gegen die Frau Dictatorin gewesen bist.

Er lachte auf. Nein, nein! wir wollen ihre Gnade nicht verscherzen, bis der Herr Gouverneur Thomas Cervoni uns seine Gnade zuwenden kann.

Ein leises Lächeln seiner Schwester antwortete ihm; damit wandte sie sich gegen das Fenster und schien es nicht zu bemerken, wie spottsüchtig er ihr nach blickte. Es hielt jedoch ein Reiter vor dem Hause, dem sie freudig zunickte, und gleich darauf war er bei ihr und auf's Zärtlichste empfangen.

O! rief Therese, warum siehst du mich so unruhig an, mein Geliebter? Was liegt dir im Sinn?

Es wird ein Tag in Orezzo gehalten, sagte Thomas.

Weiter nichts, lachte sie. Die Corsen wollen sich einen Dictator geben, einen tapferen General, der Giampietro Gaffori heißt.

So weißt du es schon?

Alles. Er hat dir Brief und Boten geschickt.

Ja. Er ruft mich zu sich.

Er ruft dich noch immer, aber ich rufe dich auch. Wem wirst du folgen?

Thomas schwieg und senkte seine Augen.

Wenn in Orezzo ein General gewählt wird, fuhr sie fort, so wird der Krieg gewählt. Ist das gerecht und gut, oder hat Gaffori es vorbereitet und die Leidenschaften erhitzt?

Er bricht den Krieg vom Zaum! fiel Antonio ein, um seinen unersättlichen Ehrgeiz zu befriedigen, Blut und Leiden über uns zu bringen.

Die Genuesen haben den Tumult angestiftet, antwortete Thomas. Sie haben Cursay verläumdet, haben den Friedensbruch verschuldet und halten ihre Söldner längst bereit.

So sagt Gaffori. O! wenn dies erwiesen wäre, dann würde ich dich bitten, Thomas, schirme und räche dein Vaterland, doch wer hat es erwiesen? Die Genuesen rufen Gott zum Zeugen an, daß sie unschuldig sind. Gibt es nicht Stimmen genug, die über Gewalt und Unthat gegen das arme Volk schreien, das wiederum sein Blut hingeben, nie sich des Segens des Friedens freuen soll.

Ist es denn aber den Genuesen zu verdenken, unterbrach Antonio seine Schwester, wenn sie sich rüsten und bereit halten, wo ihnen längst so offen gedroht wird? Nicht eher würden die Corsen zufrieden sein, bis sie den letzten Genuesen verjagt hätten.

Wer will mit genuesischer Zunge sprechen! murmelte Thomas, einen finstern Blick auf Romei werfend.

Therese legte ihren Arm um ihn und sagte lächelnd:

Was soll aus unseren lieblichen Friedensbildern in Soveria werden, geliebter Freund, wenn du mich verlassen willst? Laß dein Bauen nur sein und schmücke dein Haus nicht, wer weiß, wer darin wohnen und Feste feiern wird, wenn der Herbst kommt.

O! theure Therese! rief er schmerzlich, kannst du mich denn wirklich halten wollen, wenn das Vaterland ruft? Sollen die Buben mit Fingern auf mich zeigen, soll ich mich vor Scham verstecken?!

Sein Gesicht glühte, doch eben so glühend und voll Stolz blickte ihn Therese an.

Meinst du, daß ich einen Feigling lieben könnte? fragte sie in schneidendem Tone. Meinst du, ich fürchtete für den Liebling meiner Seele die Schwerter und die Kugeln der Feinde? Bin ich nicht ein corsisches Weib? Weiß ich nicht, was ein Cervoni soll? Geh, wenn du glaubst, daß dein Vaterland dich ruft. Geh, wenn dies ein Kampf ist zu seiner und zu deiner Ehre. Ich weiß es nicht, aber ich glaube es nicht. Wer bricht den Frieden? frage deine Mutter. Frage edle aufrichtige Männer, wo das Recht ist, wo du sein mußt.

Sie ließ ihn los und deckte über ihr Gesicht ihre Hände. Er zog diese fort und sah ihre Thränen. Ach, meine liebe, meine geliebte Therese! rief er leidenschaftlich, ich habe dir versprochen deinen Willen zu thun, und es soll geschehen, sollte es auch mein Leben kosten.

Nein, erwiederte sie, ihn zärtlich küssend und mit begeisterten Mienen, nicht dein Leben soll es kosten, ich will es dir erhalten. Groß und glücklich sollst du sein, geehrt und bewundert; darum lasse ich dich nicht aus meinen Armen, damit es nicht dein und mein Verderben sei.

Thomas hörte diese zärtlichen Betheurungen mit Entzücken. Alles, was ihn bedrückte, zerstob davor wie Nebel, die ein warmer Sonnenstrahl durchbricht. Er hing an diesen schönen Lippen, an diesen strahlenden Augen, wie von einem Zauber gebannt und als wollte er sich retten vor sich selbst, vor allen finstern Gedanken, die mit ihren Krallen ihn fassen und zurückziehen wollten, so klammerte er sich an die Versucherin und glaubte ihr, ohne mehr zu zweifeln.

Bald schien ihm Alles auch wahr und gewiß, was er hörte. Gaffori, Maria, die Paoli, die ehrgeizigen Köpfe überhaupt, hatten diesen Aufstand angezettelt. Arglistig zeigte ihm Romei, wie er von dem Doctor lange schon benutzt worden sei, und warum ihm dieser so innig zugethan.

Wärst du nicht der Cervoni, für den die tapferen Hirten im Niolo und das ganze obere Golothal Leib und Leben lassen, er würde sich wahrhaftig nicht sehr um dich bemühen, sagte er. Laß Andere gehorsam dienen, spare du dich auf. Ihr fanatischer Ehrgeiz wird seinen Lohn bekommen. Dann ist es Zeit, für Corsika's Recht zu den Waffen zu greifen, und dann soll es auch an mir und meinen Freunden nicht fehlen.

So blieb Thomas Cervoni den Tag über bei seinen Verwandten und war fest in dem, was er thun müsse, als er sie am Nachmittage verließ. Es fiel ihm nicht mehr ein, mit Bangigkeit an Gaffori zu denken und an Maria Anna, die doch immer so gütig und so freundlich zu ihm gewesen. Als er an die Stelle gelangte, wo er des Doctors hohes altes Haus sehen konnte, fühlte er einen Widerwillen, darauf hinzuschauen, und er ritt rasch über die Tavignanobrücke und zwischen den Ulmen und Granatbäumen fort, bis er plötzlich seinen Namen rufen hörte, und vor sich, dicht am Wege, den Propst Aldoni sah, der den Knaben Luigi an der Hand hielt.

Halt! schrie der alte Priester, seinen Stab vorstreckend, und der Knabe, der ihn immer so lieb gehabt, schrie: Thomas! Thomas! steige ab und komm in unseren Garten: ich will dir Blumen und Feigen pflücken.

Warum haben wir dich so lange nicht gesehen? fragte der Propst, als der Reiter anhielt. Heiliger Paulo! wie du blaß aussiehst! Bist du krank, mein Sohn?

Ich bin gesund, erwiederte Thomas.

So liegt's an etwas Anderem. Hast du Sorgen auf dem Herzen? Oho! ich merke schon. Du möchtest fort, zu dem Volkstag nach Orezzo, und die gestrenge Braut will dich nicht lassen.

Er sah ihn listig lächelnd an, während die Verlegenheit des jungen Cervoni wuchs.

Wahre dich! wahre dich! Thomas! rief er. Ich will dir sagen, wie es dein Vater machte, der ein ganzer Mann war, als der Commandant von Corte ihn in seinem Hause überfiel und gefangen in die Citadelle schleppen wollte, damit er nicht zu dem Colonna Ceccaldi nach Orezzo ginge. Er zerriß seine Banden, schlug den Commandanten in die Flucht und war in der Versammlung zu Corte der Erste, der den Schwur leistete, nimmermehr das Joch Genua's zu tragen.

Ach, ich werde es niemals tragen! sagte Thomas.

Recht so! recht so! fiel der Propst ein. Trage kein Joch, Thomas, wessen es auch sei. Zeige, daß dein Hals nicht dafür gemacht ist.

So denke ich, versetzte Thomas muthiger. Ich will, ehrgeiziger Männer wegen, des Volkes Blut nicht vergeuden helfen.

Weise gedacht! schrie der Propst. Aber hüte dich vor den Weibern. Laß dir nicht den Bart verschneiden, denke daran, wie es dem Herkules ging, als die schöne Omphale ihn an den Spinnrocken setzte, und dem Simson, den die verrätherische Delila den Genuesen oder den Philistern, was einerlei ist, überlieferte. Halt an! Halt an!

Bleib, lieber Thomas, bleib bei uns! rief der Knabe. Da kommt meine Mutter, sie hat dich lieb!

Thomas sah, wie Maria Anna aus dem Garten trat; um keinen Preis mochte er sie erwarten. Er ließ seinem bäumenden Pferde die Zügel, und wie ein Blitz flog es mit ihm davon.

Haben dich die Philister schon? schrie der Propst ihm nach. Kehre um! Kehre um! – Sie stechen dir die Augen aus! die Augen aus!

Er schrie, daß in den Felsen am Flusse die Echos aufwachten und die Flucht des Reiters begleiteten; doch dieser warf keinen Blick zurück.

Spät kam Thomas hinauf zu seiner Mutter. Die alte Frau empfing ihn, wie gewöhnlich, in ihrer ernsten wortkargen Weise. Sie saß bei ihrer Spindel, er brachte ihr Grüße von Therese, wofür sie ihm Dank nickte. Von dem, was sich zugetragen, erzählte er nichts; er konnte den Faden nicht dafür finden. Ein paar Mal setzte er an und schwieg wieder.

Plötzlich aber wandte sich die Wittwe zu ihm um und sprach:

Es kam ein Mann heut von Corte, Orso Pinetti, der brachte Nachricht, daß in Orezzo ein Tag gehalten würde.

So ist es, erwiederte er.

Und sie wollen als ihren General Giampietro Gaffori wählen.

So sagt man.

Die Wittwe schwieg und drehte den Faden. Darauf begann sie wieder:

Wann willst du fort nach Orezzo?

Ich will nicht hingehen, Mutter.

Sie blickte auf.

Du willst nicht dabei sein, nicht mit wählen?

Nein.

Es wird das erste Mal sein, daß kein Cervoni aus Soveria in der Volksversammlung zu finden ist!

Thomas antwortete nicht darauf. Auch die Wittwe schwieg.

Und wenn die Kriegshörner durch die Berge schallen, willst du sie nicht hören? fragte sie darauf.

Nein, denn es ist ein ungerechter Krieg.

Es entstand ein neues Schweigen, dann hob die Wittwe ihre dunklen strengen Augen auf.

Hast du an Volk und Vaterland gedacht, Thomas Cervoni? fragte sie ihren Sohn.

Ja, Mutter! Ich will in blinder Tollheit den Frieden nicht brechen. Höre was wahr ist.

Halt ein! antwortete sie. Du hast es bedacht, es ist gut so. In Niolo werden die Messer geschliffen und Kugeln gegossen, dein Wort wird mächtiger sein. Geh und sprich: haltet Frieden, ich halte ihn, dieser Krieg ist Sünde! Sie werden dem Cervoni glauben, daß er kein Verräther ist. – Dort kommen sie schon, dich zu hören. Sie haben vernommen, daß du da bist.

Sie deutete den Weg hinab, wo eine Anzahl Männer sichtbar wurden, die kühnsten und besten der Gemeinde. Thomas stand auf und ging ihnen entgegen.


13.

Die Ereignisse auf der Insel folgten sich nun mit unwiderstehlicher Macht und Schnelle. Bei der Versammlung in Orezzo fehlten Wenige. Die einflußreichsten und tüchtigsten Führer kamen vom Norden und vom Süden und hielten nach uralter Sitte einen Rath unter freiem Himmel. Es legten Viele Zeugniß dafür ab, daß Genua mit geheimen Ränken und Kniffen die Unruhen und Verwirrungen hervorgerufen habe; daß es den edlen Cursay in den Thurm von Antibes gebracht; daß es mit Verläumdungen und Bestechungen Corsen zu verführen gesucht; daß es die Lüge verbreitet, für den Ehrgeiz weniger solle das Volk bluten; daß es in Wahrheit aber auf nichts sinne, als auf neue Ketten, und daß nun der Schwur, der vor zwanzig Jahren in Corte ausgesprochen wurde: Corsika müsse frei werden von Genua's Herrschaft, in Erfüllung gehen müsse.

Im feierlichen Kreise saßen sie würdig und ernst, wie ein altrömischer Senat; nur als Giampietro Gaffori aufstand, erhob sich ein Freudenruf. Alle Arme streckten sich nach ihm aus, alle Stimmen riefen seinen Namen. Kein Mann, der ihn nicht nannte als den, den das Vaterland brauchte. Einmüthig wurde er gewählt.

Da schwor er, das Schwert nicht eher niederzulegen, bis Corsika frei sei oder bis er todt liege, und diesen Schwur wiederholten Alle. Seine kurze kräftige Rede entflammte alle Herzen. Er schilderte die Gefahren des Kampfes gegen das kriegsgerüstete, kriegsstarke Heer der Genuesen, aber er verhieß auch den gewissen Sieg. Dazu forderte er unbedingten Gehorsam und das Aufhören aller inneren Feindschaft in den Gemeinden und Familien, und die Versammlung sprach Fluch und Tod über Jeden aus, der es wagen würde, seine Waffen gegen einen Andern zu zücken, als gegen die Feinde des Vaterlandes.

Alle Mittel und Kräfte, Gut und Blut des Volks, wurden dem Gouverneur zugesprochen, Krieg und Frieden, die Verhandlungen mit dem Auslande und die innere Verwaltung. Die Steuern und Lasten sollte er allein bestimmen und erheben lassen, und was er auch befehlen mochte, bei Todesstrafe sollte Niemand sich widersetzen. So hatte er alle Macht in seiner Hand und mit wunderbarer Schnelle ordnete er seine Schöpfungen. Die Tüchtigsten sammelte er um sich und stellte sie an ihre Plätze; in wenigen Tagen hatte er ein Heer beisammen und nun folgte Schlag auf Schlag, bald nach Süden, bald nach Westen und Norden hin.

Jetzt zeigten sich die Fehler des genuesischen Gouverneurs, der seine Streitkräfte zersplittert hatte. Ehe er sie sammeln und vereinigen konnte, wurden sie vereinzelt geschlagen, vernichtet, an die Küsten getrieben, in die festen Plätze geworfen. Gaffori war überall, und überall war der Sieg. Nach zwei Monaten blieb den Genuesen nichts mehr, als ihre Festungen, aber auch diese waren eingeschlossen und nur an Belagerungsmitteln fehlte es noch, um sich auch ihrer zu bemächtigen.

Gaffori hatte Unterhändler, Beistand suchend, sowohl nach Frankreich, wie nach England gesandt, und als der September zu Ende ging, trat eine Ruhe ein, denn Genua war erschöpft, und die Corsen hatten nur Feinde noch hinter festen Mauern und Thürmen. So kehrte Gaffori denn nach Corte zurück und hielt dort seinen Einzug unter dem Jubel des Volks, das herbeiströmte ihn zu sehen und zu begleiten.

Nie war ein Bürger jemals so hoch geehrt worden, als er. Sampiero war wieder aufgestanden; sie bedeckten ihn mit Eichenkränzen, mit rührenden, begeisterten Liebesbeweisen; sie sangen ihm seinen Ruhm und ihren Dank in Heldenliedern, die sie gedichtet, und in seinem armen groben Rocke trugen ihn die Besten auf ihren Schultern bis an sein Haus. Dann ließen sie ihn allein das Wiedersehen mit Maria Anna feiern.

Diese hatte nichts für den heimkehrenden Gatten als sich selbst. Das Haus des Dictators sah so schmucklos und durchlöchert aus, wie er es verlassen. Die zersplitterten Fenster waren noch ohne Scheiben, die nackten Wände, die kleinen rothen Fließen wie sie gewesen, die Thonscherben, mit Blumen gefüllt, standen auf dem Tisch, aber heimischer Frieden überall und mitten darin Maria Anna mit geöffneten Armen, mit liebevollen leuchtenden Augen, neben ihr der Knabe mit seinem Vaterschrei.

Und als er sie in seine Arme schloß, sagte Maria Anna:

Mein Held! mein Geliebter! in solchem Schmuck erwartete ich dich. Gelobt sei Gott! der dich so reich gemacht.

Vater! Vater! schrie der Knabe, bist du reich geworden? Was hast du uns mitgebracht?

Da ließ sich eine scharfe lachende Stimme aus der Ecke hören, wo der Propst unbemerkt gestanden.

Packt aus! Majestät! Packt aus, König Giampietro! Wo habt Ihr die Krone und das güldene Gewand für die Frau Königin?! Seht Ihr nicht, daß sie in ihrer Saldetta fadenscheinig aussieht, wie ein ärmlich Bürgerweib? Wo sind die Spitzen und die Kanten und die Brocate und die Dublonen?!

Gaffori hielt den alten Freund an beiden Händen.

Wenn ich mich krönen lasse, sagte er, so will ich dafür sorgen, daß der Erzbischof Aldoni mich salbt und segnet; doch jetzt nehmt mich wie ich bin in Eure Arme, mein Vater; ich bringe denselben Rock und dasselbe Herz darunter zurück.

Der Propst drückte ihn an sich und küßte ihn, dann legte er ihm beide Hände auf die Kopfseiten und schaute ihn an voll inniger Zärtlichkeit. Darauf aber begann er sein Lachen wieder und schrie:

Ich hab' es immer gesagt, der Junge da ist der Gescheidteste unter Euch. Der käme nicht in dem abgeschabten Mantone heim, sondern brächte sich einen reellen Rock mit und die Taschen voll guter Dinge. Was soll's denn nun werden, Herr Gouverneur, Excellenz? Wollt Ihr etwa wieder Processe führen und Acten schmieren für den hohen Gerichtshof, zum Besten armer Leute?

So hoffe ich, soll es einst wieder geschehen, antwortete Gaffori, doch für jetzt gibt es andere Processe. Jetzt gilt es, Freund, da der Krieg schweigt, für den Frieden zu sorgen. Ich werde ein Parlament nach Corte berufen, um unsere verfassungsmäßigen Rechte festzustellen. Ich werde meinen Entwurf zu einer zeitgemäßen freien Gemeindeordnung vollenden und mein Gesetzbuch, an welchem ich schon so lange arbeitete. Ich habe viel zu thun, mein theurer Freund, auch Ihr müßt mir dabei helfen. Wir müssen Licht in die Köpfe bringen, Schulen gründen, den alten Aberglauben und die alte Barbarei bei den Wurzeln anfassen. Es kann bei allen unseren blutigen Siegen doch nicht eher besser werden mit diesem wilden unwissenden Volke, bis mildere aufgeklärtere Sitten, eine edlere menschliche Cultur die Leidenschaften überwinden.

Ach, Excellenz! Excellenz! rief der alte Priester, Gott verleihe Euch so langes Leben, bis Ihr die Kunst gelernt habt, aus einem Kohlkopf eine Artischocke zu machen. Die Leidenschaften, ja die Leidenschaften sind bei den Corsen die Triebfedern zu allem Bösen, das sie thun. Da habt Ihr Euren getreuen Thomas Cervoni, warum hat er Euch und das Land schmählich verlassen?

Der arme Thomas! antwortete Gaffori. Er leidet mehr davon als ich.

Die Romei haben ihn; um ein Weib hat er Euch verlassen.

Und dies Weib brütet Unheil.

Warum duldet Ihr es? Warum, da Ihr die Macht habt, zwingt Ihr diesen Cervoni nicht, Euch zu gehorchen?

Nein, erwiederte Gaffori lächelnd, nicht durch Gewalt erwirbt man verlorene Freunde wieder, oder überzeugt sie von ihrem Unrecht.

O, Excellenz! Excellenz! sprach der Propst und schüttelte drohend den Finger, Ihr seid so klug und kennt doch die Bösen nicht. Wer sie nicht mit eisernen Handschuhen faßt, wird sie nimmer halten, und wer seine Feinde durch Großmuth besiegen will, füllt Wasser in ein Sieb, so sagt ein altes gutes Sprichwort; haltet die Menschen für nicht besser, wie sie sind.

Gaffori hob sein edles Gesicht auf.

Doch auch nicht für schlechter, antwortete er. Gott ist die Liebe, der Mensch das Wesen nach seinem Bilde. Die Feinde meines Vaterlandes vernichte ich, doch meinen eigenen Feinden vergebe ich gern. Welche Befriedigung fände ich darin, sie zu hassen? Will ihr Haß meiner Liebe nicht weichen, so will ich besser, zufriedener, glücklicher sein als sie.

Wenn man Euch hört, sollte man meinen, Ihr hättet Recht! rief der Propst, aber es ist nicht wahr. Ihr seid ein Schwärmer, ein Tugendritter, opfermuthig, todesfreudig, nur kein Staatsmann, kein eiserner kaltblütiger Rechenmeister, der in den Menschen nichts sieht als Zahlen, und vor allen Dingen seid Ihr kein Corse. Ich rathe Euch, ich bitte Euch, werdet einer bei Zeiten; werdet mißtrauisch, werdet vorsichtig, trauet Niemandem, und mir am allerwenigsten.

Möchtet Ihr denn, daß ich ein Tyrann sein soll und alle Qualen der Tyrannen leide! rief Gaffori mit seinem schönen, stolzen Lächeln. Lieber mag mich Unglück treffen, als daß ich denen mißtraute, die Gott mir gegeben hat. Offen, ehrlich, wahr und warm soll ein Mensch sein, er stehe wo er stehe, und was hat die Schlauheit denn schon den Schlausten geholfen? Wie haben die Vorsichtigsten geendet? Gott und mein Gewissen, die sind mein Schutz!

Mit diesen freudigen Worten umarmte er den Greis und eben trat Francesco herein, den Knaben Luigi auf seinem Arm, der ihm entgegen gelaufen war.

Seht da, meinen Bruder! fuhr Gaffori fort, er hat uns wackere Dienste geleistet und kommt frischer zurück, als wäre er in Neapel gewesen. – Dabei schüttelte er Francesco's Hand und sprach: Die Zeit der Thorheiten ist jetzt vorbei, es soll ein ernster tüchtiger Mann aus ihm werden. Hier ist er, Maria Anna. Ich bringe ihn mit geheiltem Herzen zurück.

Die junge Frau ging ihrem Schwager mit freudigem Willkommen entgegen und bot ihm den Mund zum Kuß, aber er berührte kaum ihre Wange und unterdrückte mit Gewalt alle Empfindungen, die ihn bei diesem Empfange überkamen.

Ganz anders als im Hause des ruhmgekrönten Gouverneurs, wo sich bald viele angesehene Bürger einfanden und die Straße von Evvivas widerhallte, sah es an diesem Abend bei Antonio Romei aus. Der grimmige Mann war allein, sein eigenes Hausgesinde befand sich unter den Haufen, welche den Sängern und Fackelträgern nachliefen, die dem Retter des Vaterlandes eine Serenade brachten. Alles, was Romei gehofft, lag zu Boden, die einzige Gewißheit blieb ihm, daß er selbst verloren sei. Je länger er darüber grübelte, um so finsterer wurden seine Vorstellungen.

Die Zahl seiner Freunde hatte sich in der letzten Zeit immer mehr verringert; die es mit Genua halb versteckt gehalten, suchten sich nun zu sichern, da der Kampf so gut wie entschieden war, und Romei, der als ihr Haupt gegolten, wurde um so mehr von ihnen gemieden. Dazu kam, daß Gerüchte über den Verfall seines Vermögens wieder um so bedenklicher auftauchten, als man wußte, daß er in kurzer Zeit bedeutende Summen zahlen sollte. Man zweifelte, daß ihm dies möglich; nur wenn Thomas Cervoni ihm beistehe, meinte man, könne der Bankerott ausbleiben.

Aber würde Cervoni dies thun, würde die sparsame Wittwe es gestatten, würde es selbst ihnen leicht werden, in dieser Zeit so viel Geld aufzubringen, um einen Verwandten zu unterstützen, der keinerlei Sicherheit bot und an dessen unbesonnenen Speculationen leicht Alles verloren gehen konnte?

Antonio Romei fühlte alle Demüthigungen, die ihn erwarteten, im Voraus mit ingrimmiger Erbitterung. Ein einziges Mal hatte er nicht gegen Thomas, sondern gegen dessen Mutter, ein Wort über seine Geldbedürfnisse fallen lassen, aber sie blieb so kalt dabei, daß er nicht zweifeln durfte, wie wenig er von ihr zu erwarten hatte. In ihren Händen befand sich der größte Theil des Vermögens der Familie und ohne ihre Zustimmung würde Thomas weder es gewagt haben noch im Stande gewesen sein ihm wirksam zu helfen.

Dies Alles zusammen verfinsterte Antonio's Gemüth und steigerte seinen Haß gegen den Mann, den er als Grund aller seiner Mißgeschicke betrachtete. Wäre dieser Gaffori nicht gewesen, so hätte Genua schon damals, nach der Flucht des Königs Theodor, die Insel wieder unterworfen und eine glückliche friedliche Zeit hätte Handel und Wandel belebt. Statt dessen hatte er den Aufstand angefacht, er sich an die Spitze gestellt, er die Genuesen besiegt, und als diesen die Franzosen zu Hülfe kamen, gelang es seinen Künsten, ihren General zu Genua's Widersacher zu machen, den Frieden zu erschleichen, den die Republik nicht halten konnte, ohne dabei zu verderben. Jetzt aber war Gaffori es wiederum, der die klügsten und kräftigsten Vorbereitungen mit Donnerschlägen vernichtete, und nun stand er, mit aller Macht bekleidet, auf dem Gipfel seines Glücks, was blieb noch zu erwarten?

Indem Romei sich dies vorstellte, hob er seinen Arm wie zu einem zerschmetternden Schlag auf; doch mitten darin hielt er inne und horchte nach der Thür. Diese wurde leise geöffnet und es trat Jemand in das Zimmer, den er nicht sogleich erkennen konnte.

Wer ist da? fragte er.

Ich, antwortete eine tiefe Stimme.

Da wußte er, wer es war. Herr Herr Viale! sagte er überrascht und der Ton wurde zum Geflüster. Madre de Dio! Was ist das? Woher kommen Sie?

Von Calvi, antwortete Viale. Sind wir allein?

Al' ihr Heiligen! Wenn man es entdeckt –

Seid ohne Sorge. Ihr seht, ich bin ein guter Patriot.

Ein Lichtschein fiel durch das Fenster. Romei sah, daß sein Besuch im rauhen groben Rock und Gurt und mit der rothen Mütze auf dem Kopfe vor ihm stand. –

Ich bin gut begleitet und wohl versehen, sagte Viale, auch läuft das Volk ja wie besessen zusammen. Sobald ich mit Euch im Reinen bin, will ich auch wieder fort. Hört mich also an.

Er setzte sich neben Romei und sprach langsam und ruhig wie immer.

Wir sind besiegt worden von diesem meuterischen Haufen und werden in kurzer Zeit gänzlich vertrieben werden. Unsere Soldaten haben tapfer gefochten, es ist ihnen so wenig wie ihren Offizieren Schuld beizumessen.

Ihr hättet Eure Macht besser vereinigen müssen, wandte Romei ein.

Halten wir uns nicht mit unfruchtbaren Einwänden auf, fuhr Viale fort. Wir würden diese Horden vernichtet haben, wenn dieser Teufel sie nicht mit höllischem Leben beseelt hätte. Ohne ihn sind sie nichts. Alle die Anderen, welche Namen sie auch führen, würden wie Spreu verwehen. Nicht besitzen wir Macht genug, um Alles gut zu machen, aber Er – unsere Soldaten zittern allein vor ihm – seine Kugel, meinen sie, kann ihn treffen, kein Eisen – was sagt Ihr??

Romei schwieg.

Er muß fort, sagte Viale langsam und deutlich.

Fort! Wohin?

Von wo er niemals wiederkehrt. Habt Ihr daran gedacht?

Gedacht, murmelte Antonio Romei, ja! Und dann wie erschrocken vor dem, was er gesagt, setzte er hinzu: Ein Mann wie er, angebetet von dem Volke – verflucht Jeder, der ihn – er sprach das Wort nicht aus, das nachfolgen sollte – das ist eine ungeheure, schreckliche That! Seit Sampiero fiel, gab es keine solche!

Seit Sampiero – gut, daß ihr diesen Namen nennt – versetzte Viale, gab es auch keinen solchen Verräther. Was habt Ihr darnach zu fragen? Was habt Ihr noch zu erwarten? Er hat Euch von jung an betrogen, Eure Familie beschimpft, Euren Wohlstand zerrüttet, was wollt Ihr jetzt? – Ich weiß, wie es mit Euch steht, fuhr er fort, es bleibt Euch nichts übrig als Euren Gläubigern zu entfliehen. Wohin dann?

Ihr geht zu weit, antwortete Romei.

Meint Ihr denn, es würde, wenn das Unglück über Euch zusammenbricht, nicht Manches klar werden, was jetzt noch dunkel ist? fuhr Viale fort. Wie weit Ihr Euch mit uns eingelassen, ist, wie ich glaube, schon jetzt dem Gaffori kein Geheimniß mehr. Wartet nicht ab, bis er es benutzt.

Ein dumpfer Fluch kam aus Romei's Brust.

Viale sprach unbeweglich weiter:

Bedenkt das wohl, Ihr könnt Euch nicht länger sicher fühlen, so lange dieser Verräther lebt, Genua hat die drei Ornani geschützt und belohnt, als sie ihm den Kopf des Sampiero brachten, es wird auch diesmal seinen Freunden vergelten. Wenn Corsika unterworfen ist, werden die Corsen auch anders denken. Ich hoffe, sie werden Euch dann eben so wohl als Retter des Vaterlandes feiern, wie heut ihren großen Gouverneur.

Kalter Hohn klang aus seinen Worten, Romei schwieg dazu. Er schien nachzusinnen, Viale störte ihn nicht darin; denn er wartete geduldig ab, bis jener antwortete, und als er dies that, merkte Viale, daß die Schwierigkeiten überwunden seien.

Ich gebe zu, sagte Romei, daß es eine Wohlthat für uns alle ist, wenn wir von diesem Verräther uns befreien, und ob ich auch dafür verbannt werde, kann ich mich doch rechtfertigen vor meinem Gewissen. – Es ist jedoch eine schwierige und gefahrvolle Aufgabe, die wohl bedacht und überlegt werden muß.

Das bleibt Euch überlassen, erwiederte Viale.

Es ist in Corsika üblich, genau zu erwägen, ehe man handelt, sprach Antonio weiter, auch wird Niemand die Thorheit begehen, sich wie ein Rasender auf seinen Feind zu stürzen, um mit ihm umzukommen. Wer seinen Feind erlegt, will sich seiner Rache freuen und – seinen Lohn empfangen.

Fordert, sagte Viale. Was wollt Ihr?

Geld! weiter nichts, versetzte Romei. Ihr wißt, was ich damals sagte, als wir unsere Pläne besprachen. Ich lasse mich auf keine Versprechungen ein.

Fordert! wiederholte Viale.

Ich habe fünfzigtausend Scudi wenigstens durch meine treue Anhänglichkeit an Genua verloren, die will ich ersetzt haben.

Ihr sollt sie erhalten, sagte Viale ohne Besinnen.

Von wem?

Von mir. Ich hoffe, das ist genug.

Romei wartete einen Augenblick. Es ist genug, sprach er dann, wenn Ihr mit Eures Namens Ehre für die Zahlung haftet, sobald ich Euch Nachricht bringe, daß – geschehen ist, was geschehen soll.

Bringt diese Nachricht nach Bastia. Sobald sie gewiß ist, sollt Ihr das Geld haben.

So sei es, sagte Romei, indem er seine Hand ausstreckte, doch Viale nahm diese nicht an. –

Braucht Ihr Hülfe? fragte er kalt weiter sprechend. Soll ich Euch von Calvi ein paar zuverlässige Männer schicken?

Niemand als ich darf darum wissen, versetzte Romei. Was ich brauchen werde, finde ich hier.

Handelt rasch und geschickt – wer ist da? Eure Schwester!

Die Thür in der Wand that sich auf, und ein Licht in ihrer Hand haltend trat Therese herein. Die beiden Männer waren aufgesprungen, Viale hatte sich schnell von seiner Ueberraschung erholt. Er ging dem Fräulein entgegen und sagte höflich lächelnd:

Wundert Euch nicht, Doncella, einen alten Freund unerwartet hier zu finden, er wird Euch sogleich wieder verlassen.

Ich verwundere mich weniger als Ihr glaubt, mein Herr, erwiederte sie, denn ich habe hinter jener Thür gestanden und angehört, was Euch hergeführt.

Habt Ihr es gehört? versetzte Viale, so läßt es sich nicht ändern. Dann steht Eurem Bruder bei.

Wer seid ihr, mein Herr? fragte sie.

Ihr kennt mich ja, theure Doncella, lächelte er.

Ihr wollt den Giampietro Gaffori ermorden lassen.

Schweig, Therese! rief Romei erschrocken.

Viale ist ein ehrloser Name, fuhr sie fort, Ihr müßt anders heißen. Doria klingt besser dazu. Stefan Doria ließ den Sampiero ermorden. Ihr seid ein Doria!

Viale blickte scheu umher.

Bringt sie zur Vernunft, sagte er zu Antonio gewandt.

Nein, unterbrach ihn Therese, hört an was ich Euch antworten will. Die Romei haben noch niemals einen Meuchelmörder in ihren Reihen gehabt, verflucht soll der sein, der sich so weit erniedrigt. Ihr wißt wohl, mein Herr, daß selten oder niemals noch in Corsika eine Schwester ihren Bruder verrieth, Ihr wißt wohl auch, daß Viele lieber den Tod erlitten, da nichts heiliger ist als Geschwisterliebe. Doch wenn Antonio es wagt, was Ihr ihm angemuthet, wenn er um elendes, genuesisches Gold seinen und meinen Namen mit ewiger Schande bedecken will, dann beim heiligen Namen Gottes! dann will ich es sein, die auf dem Markt von Corte um Rache über den Elenden schreit.

Sprecht mit ihr und macht sie ruhig, sagte Viale hart, indem er sich fortwandte. Ich habe keine Zeit für diese Tollheit. Schreibt nach Calvi, was Ihr mir zu melden habt.

Rasch verließ er das Zimmer und das Haus. Romei schob den Riegel vor die Thür und kehrte zurück. Seine Schwester stand auf derselben Stelle.

Der gewaltige Mann trat vor sie hin; alle seine Muskeln strafften sich, er betrachtete sie mit Tigerblicken.

Aber ihre großen Augen blickten ihn furchtlos an. Sie sah, wie seine Finger zuckten, wie sein Gesicht sich schwärzte und seine Zähne hinter den geöffneten Lippen knirschten. –

Morde mich, sagte sie, wenn du morden willst!

Er fuhr zurück und entfernte sich, dann kehrte er um und kreuzte seine Arme.

Was willst du? fragte er. Du willst mich verrathen, mich, deinen Bruder! Wenn ich auf Rache denke gegen diesen Elenden, der uns alle zertritt, mich, dich! willst du es verhindern?

Denke an die Rache, antwortete sie, auch ich denke daran, doch nicht wie ein Buschräuber.

Er lachte wild auf.

Meinst du noch ihn von seinem Präsidentenstuhl in den Staub zu schleudern? Meinst du wirklich, daß dieser verliebte Knabe sich an seinen Platz setzen könnte? Oder träumst du etwa gar von einer Königskrone für ihn? Wache auf! du thörichtes Mädchen! Bin ich verloren, bist du es mit mir.

Nicht wie du, antwortete sie mit stolzer Kälte, nicht befleckt von Schande! – Hoffe nicht mich zu täuschen, hoffe auch nicht, daß ich anders denken könnte. Was ich geschworen, das soll erfüllt werden, müßte ich gleich sterben mit tausend Wunden bedeckt. Du aber sollst deine Hand nicht gegen den aufheben, zu dem sie noch in seinem Grabe als zu ihrem Heiland beten und an ihn glauben würden. Ich hasse ihn, ja ich hasse ihn mehr, als ich sagen kann, doch mit meinem Leibe würde ich ihn schützen.

Mit diesen Worten wandte sie sich um und verließ ihn.

Welcher Teufel hat sie hergeführt, schrie Romei voll Wuth und Groll ihr nach, und was soll ich nun beginnen, um mich vor ihr zu retten!


14.

Es vergingen einige Tage, in welchen der Gouverneur des corsischen Volkes, statt nun sich von den Anstrengungen des Krieges zu erholen, eine vielleicht noch größere Thätigkeit entfaltete, als je zuvor. Im Feldlager und auf den Kriegszügen, die er mit so wunderbarer Schnelle von einem Ende der Insel bis zum andern ausführte, hatte er zwar auch immer noch Zeit gefunden, sich um die Verwaltung zu bekümmern, und manche Klage wurde von ihm geschlichtet, manchem Uebel Abhülfe, das Meiste jedoch blieb wie es war; es half sich ein Jeder, so gut er konnte. Kaum aber trat nun Ruhe ein, so war Gaffori auch sofort dabei, das Staatsleben neu zu organisiren und ihm Grundlagen zu verschaffen, auf denen es kräftig und tüchtig aufwachsen sollte.

Der nächste Tag, als er heimgekehrt, fand ihn schon bei der Arbeit und in demselben kleinen ärmlichen Zimmer, wo der gelehrte Doctor Jahre lang bei seinen Büchern und Acten einsam grübelnd gesessen, saß jetzt der Staatsmann und General und schrieb Depeschen und Briefe für die Abgesandten, welche er nach Frankreich und England, an den Sultan, an den Papst und an den Kaiser der Deutschen geschickt hatte. Er schrieb an Bürger und Minister, um ihnen Staatsschriften einhändigen zu lassen, welche das Recht der Corsen gegen Genua und zu diesem Kriege beweisen sollten, indem sie zugleich darstellten, welche Vortheile es für alle seefahrenden und handeltreibenden Mächte haben würde, wenn die Insel, von der genuesischen Herrschaft frei, ihre Häfen und ihr Land voll wunderbarer Fruchtbarkeit allen Nationen öffnen könnte, die kommen wollten.

Und wann dies abgethan, waren Gaffori's nächste Stunden schon voll anderer dringender Geschäfte. Haufen von Briefen lagen da von den Befehlshabern der Schaaren, die Bastia umringten, Calvi und die Küstenplätze, von Magistraten, welche Hülfe oder Rath verlangten oder Beschwerden führten, von Einzelnen, welche Recht suchten und tausendfache Ansprüche erhoben, von Agenten aus den italienischen Küstenstaaten, welche Berichte einsandten, Geld forderten oder Waffen und Pulverankäufe gemacht hatten. Offiziere und Boten langten zu allen Stunden an und verlangten Gehör, Männer und Weiber strömten vom Lande zu, die den Gouverneur selbst sprechen wollten, ihre Bitten ihm vorzutragen.

So ging es von dem frühesten Tagesscheine bis in die Nacht; aber dieser Mann von eiserner unermüdlicher Arbeitskraft schien keine Beschwerde zu empfinden. Wenige Stunden Schlaf reichten hin, um ihn völlig zu erfrischen, und einige Tropfen Wein, ein Mahl, wie es der einfachste Bürger sich schafft, genügten ihm zu seinen Tafelfreuden. Sein Bruder Francesco und zwei andere junge Leute bildeten sein Cabinet, mit dem er alle Regierungsgeschäfte betrieb, vergebens aber waren die Einladungen des Stadtraths geblieben, den alten Palast des genuesischen Statthalters zu beziehen. Gaffori blieb in dem kleinen Hause und ließ sich dafür von dem Propst ausschelten, wie er es gewohnt war.

Was denkt Ihr denn? sagte der Propst, denkt Ihr etwa damit dem dummen Volke Bewunderung einzuflößen, daß die gnädige Excellenz in demselben Loche sitzt, in welchem der närrische Doctor Gaffori gesessen hat, und daß Ihr so thut, als wäre gar nichts vorgefallen?

Ich will Niemandem Bewunderung einflößen, lachte der Gouverneur, und möchte nichts lieber sein und bleiben, als der närrische Gaffori.

O, Ihr schlauer Bösewicht! rief Aldoni, ist es etwa gelogen, was gute Leute längst behaupten, alle Eure Demuth sei doch weiter nichts als Verstellung? Und wißt Ihr nichts von den Gerüchten, die da sagen, Ihr hättet die Krone des Königs Theodor verborgen und vergraben, hättet dem leichtgläubigen Cursay vorgespiegelt, sie ihm aufzusetzen, und ihn so zu Eurem Geschöpf gemacht, jetzt aber werde sie nächstens auf Eurem Kopfe zum Vorschein kommen?

Wenn's eine goldene Krone wäre, lachte Gaffori, hätte ich sie schon längst ausgegraben, denn nichts thut mir nöthiger als Gold, aber ach! der arme König Theodor wurde selbst nur mit einer Krone von Eichenlaub gekrönt.

Richtig! richtig! schrie der Propst, aber Ihr vergeßt, was Ihr nöthig habt, gnädigste Excellenz, und spielt lieber den Diogenes in der Tonne. Glaubt Ihr denn aber, daß Euer tugendvoller Rock von Ziegenhaaren und Euer armselig Leben Euch zum Heiligen stempeln? Wärt Ihr ein Mönch, so könntet Ihr hoffen, dafür einst kanonisirt zu werden, aber Ihr seid ein General, ein Staatshaupt und das Volk will Glanz und Pracht bei seinen Herren und Meistern sehen. Denkt an den König Theodor! Wie hat der seine Feinde köpfen und rädern lassen, bei alledem aber war das Volk voll Liebe und Ehrfurcht, denn sein Rock starrte von Gold, und eine Schaar von Trabanten und Leibwachen umgab ihn. Schafft Euch eine Leibwache an, allergnädigster Herr, zieht einen goldenen Rock an, streut Mehl auf Euren Kopf und haltet Euch das Gesindel vom Leibe, das noch immer denkt, Ihr wäret seines Gleichen, sonst wird es nicht mit Eurer Hoheit.

Damit soll es auch nichts werden, erwiederte Gaffori. Ich bin ein Mann aus dem Volke und gehöre zu ihm. Meine Leibwache sollen die Gesetze sein, meine Trabanten alle meine Mitbürger.

Ich litte es nicht! rief der greise Priester, indem er sich zu Maria Anna wandte, die eben hinzu kam. Ich würde ihn wie einen Kranken behandeln und sorgsam bewachen.

Seht Ihr denn nicht, wie froh und gesund Alles an ihm ist, versetzte die junge Frau. Seht doch, wie stolz und sicher seine Augen blicken, wie hell es in seinem Herzen sein muß. Nein, mein theurer Vater, herrlicher als ein König steht Giampietro in seinem groben Kleide, und welch Glück der Zukunft leuchtet auf seiner Stirn!

Sie küßte ihn voll stolzer Zärtlichkeit, aber der Propst sprach zänkisch:

Euch ist nicht zu helfen, so will ich denn meinen Athem sparen. Nur das sage ich Euch wieder und immer wieder: Ihr seid kein Corse, also werdet Einer. Je eher Ihr es werdet, um so besser für Euch.

Damit ging er fort, und Gaffori schien ihn und seinen Rath bald vergessen zu haben in dem Getümmel der Geschäfte, die ihn umgaben. Es war jedoch so, wie Maria Anna sagte; er hatte niemals so froh und sorglos sich gezeigt. Mit seinen Freunden sprach er davon, daß Corsika's Unabhängigkeit gesichert sei und wie ein naher letzter Schlag die Genuesen auch aus den wenigen festen Städten, welche sie noch inne hatten, vertreiben würde. Briefe und Berichte, die er aus Frankreich und Italien empfing, bestärkten ihn darin, in diesen Tagen aber kamen viele Boten von nahe und fern, und unter ihnen befand sich auch ein vertrauter Mann aus Soveria, mit welchem der Gouverneur lange und geheim sprach.

Als darauf der Abend kam und es finster geworden war, verließ Gaffori unbemerkt sein Haus und gelangte nach einiger Zeit zu dem Garten, welcher dem Antonio Romei gehörte. Eben als er dort an der Aloe-Hecke stand, näherte sich jemand dem Eingange und griff nach seinem Messer, als er die dunkle Gestalt erblickte.

Gib mir deine Hand, Thomas Cervoni, sagte Gaffori näher tretend.

Thomas erkannte die Stimme und erschrak. Was thust du hier, Herr – Herr Gouverneur? fragte er stockend.

Ich suche und erwarte dich, meinen Freund. Bist du es nicht?

Thomas schwieg.

Wie, fuhr Gaffori fort, du antwortest nicht darauf? Wer hat das Herz des Thomas Cervoni so weit von mir gewandt, daß es mich nicht hört? Sprich, Thomas, was bewog dich, nicht mich allein, auch dein Vaterland zu verlassen, als es dich rief?

Mein Vaterland rief mich nicht! erwiederte Cervoni.

Ich rief dich, willst du sagen, ich und die andern ehrgeizigen Parteiführer, die Corsika in diesen Krieg stürzten um ihre selbstsüchtigen Pläne. Ich kenne diese Sprache, Thomas, aber weißt du auch, wer sie erfunden hat? Die Feinde deines Vaterlandes, seine Verräther!

Sagst du, daß ich ein Verräther bin? fragte Thomas, als wollte er sich in Wuth versetzen.

Ein Verrathener bist du, versetzte Gaffori, den seine Leidenschaft in die gelegten Schlingen fing.

Sprichst du so von meiner Verlobten, von Therese Romei?

Von ihr spreche ich, und will's versuchen, dich von ihr und ihrem Anhang frei zu machen.

Herr! ich bitte dich! rief Thomas – dann brach er ab und setzte ruhiger hinzu: Du hast von Anfang an dich darum bemüht, dich in meine Angelegenheiten zu mischen.

Wollte Gott, es wäre mir gelungen, sagte Gaffori, du hättest meine Freundesmahnungen verstanden; dann stände ich jetzt nicht hier, um dir zu sagen, daß du betrogen bist.

Betrogen! schrie Thomas auf.

Höre mich an, fuhr Gaffori fort, laß uns als Männer sprechen. Daß die Romei zu allen Zeiten genuesisch gesinnt waren, wußtest du.

Niemals war es Therese! niemals! fiel Thomas ein.

Du erinnerst dich jenes Herrn Viale aus Livorno, den Antonio nach Niolo hinauf brachte, wo ich ihn zuerst sah. Weißt du, wer dieser Mann war?

Nein.

Ein verkappter Genuese, ein Spion, der nach Corte gekommen war, um zu horchen und zu schleichen, so erschien er mir beim ersten Anblick. Doch höre weiter! Ich erfuhr, daß derselbe Mann im Süden die Aufhebereien des Volks gegen die Franzosen und ihren General leitete, und ich sah ihn in Ajaccio, an dem Tage, wo der unglückliche Cursay nach Frankreich geschleppt wurde. Ich ließ ihn verfolgen, er entkam. Aber in seiner Wohnung, bei dem Abt Peraldi, wurden Briefe gefunden, die vollständigen Aufschluß über ihn und sein Treiben gaben; wichtige Briefe, welche vor aller Welt beweisen können, welche Pläne Genua schmiedete. Dieser Viale war kein Anderer, als Camillo Doria, der Neffe de Gouverneurs.

Ein dumpfer Ton des Erstaunens war Cervoni's Antwort.

Es fanden sich auch Briefe von Antonio Romei, fuhr Gaffori fort, die bezeugten, daß er um Alles wisse, daß er um eine bedeutende Geldsumme sich an den Doria verkaufte, und daß seine Schwester es übernommen, den Thomas Cervoni so zu umstricken, daß er, was auch geschehen möge, sich ruhig verhalten werde. Es sei gelungen, ihn von dem Verräther Gaffori zu trennen, ihn mit Mißtrauen zu erfüllen gegen den Freund, dem er bisher mit blinder Verehrung folgte. Zur rechten Zeit werde er offen von ihm abfallen und ihn verlassen.

Wo sind diese Briefe? fragte Thomas heftig.

In meinem Besitz.

Und warum verbargt Ihr sie, mein Herr?

Um deinetwegen, Thomas, denn wollte ich gegen die Romei aufstehen, dann mußte es auch gegen dich geschehen. Dein Name sollte nicht mit Schimpf und Zweifel bedeckt werden. Was nützte es auch, solche Elende zu verderben, deren Schlingen sich von selbst um ihren Hals zusammenzogen. Als die Häupter des Volks in Orezzo zusammenkamen, hoffte ich, daß du nicht ausbleiben würdest; als der Krieg ausbrach, dachte ich nimmer, daß Thomas Cervoni mir fehlen würde. Aber ein Weib hatte deine Augen geblendet und dein Gewissen mit ihren falschen Küssen erstickt.

Falsch! schrie Thomas bebend und erstickt, falsch sind alle diese Lügen, die ich nicht länger dulden will.

Armer Thomas, sagte Gaffori; wäre es wirklich wahr, was in diesen Briefen steht, daß Himmel und Hölle dir nichts gilt um deine Liebe? Dennoch betrügt sie dich; denn Therese Romei hat dich niemals geliebt.

Nicht geliebt? nicht geliebt! murmelte Cervoni, als vermöchte er es nicht zu fassen.

Nein! fuhr Gaffori fort, ich habe einen Blick bis in die Tiefe ihrer Seele gethan. Du sollst das Werkzeug ihrer Rache sein, an mir sie rächen, damit ich gedemüthigt werde für meine Schuld, sie nicht geliebt zu haben. Werkzeug der Rache für sie gegen Maria Anna, so möchte sie dich mächtig und groß machen, niemals hat sie dich geliebt.

Nach Euch also sehnt sich ihr Herz! rief Thomas und er brach in ein hohnvoll rauhes Gelächter aus. Fort da von der Thür, Herr Gouverneur, wir haben nichts weiter beisammen zu thun! Heraus mit Euren Briefen, wenn Ihr sie habt, ich will sie erwarten; aber als Verläumder will ich Euch öffentlich brandmarken und Euer Feind sein bis in den Tod, wenn Ihr es wagt, meine und Therese's Ehre anzutasten.

Er stürzte sich auf Gaffori, doch dieser wich ruhig zur Seite.

Geh, sagte er, ich denke besser von dir, du kannst nicht glauben, daß ich lüge und verläumde, kannst nichts thun, was dich ewig schänden würde. –

In dem Garten blieb Thomas lange in den dunklen fühlen Schatten der Granaten und Feigen, bis die Hitze aus seinem Gesicht verschwand und sein Blut ruhiger floß. Je länger er aber nachdachte, um so verächtlicher erschien ihm Alles, was Gaffori gesagt. Er hätte ihm Manches eher geglaubt, wenn er nicht zuletzt darauf gedeutet, daß Therese es nicht vergessen könne, von ihm verschmäht zu sein; das kam ihm so armselig eitel und erfunden vor, daß sein Ingrimm sich in Hohn verwandelte. Wie erbärmlich war ein Mann, ob er auch von so Vielen als Held und Heiland verehrt wurde, der solche Mittel nicht verschmähte, um ihn mit den Romei zu entzweien. –

Er beschloß, kein Wort darüber zu verlieren. Niemand sollte Aergerniß an diesen Tollheiten nehmen, und als er in das Haus trat, war er in einer aufgeregten liebeheißen Stimmung. Kaum erblickte er Therese, die mit der Zither im Arme am Kamine saß und vor sich hin in das knisternde Feuer blickte, während ihre Finger die Saiten leise klingen ließen, als er mit entzückten Mienen leise sich ihr näherte und dann plötzlich sie umarmte.

Sie ließ das Instrument niedergleiten und blickte zu ihm auf, aber wie süß auch ihr Lächeln, so lag in ihrem Gesicht doch etwas, das ihn erschreckte. Es war ein Ernst und ein Schmerz darin, die sein Herz beben machten. Ihre Augen sahen trübe und düster und hefteten sich auf ihn, als sei er todt und sie wolle ein Klagelied beginnen. In dem Augenblick fiel ihm ein, was er eben erst vernommen. Er sah in ein Gesicht ohne Liebe, es wurde ihm bange dabei.

Was ist dir, theure Therese? fragte er, was ist geschehen?

Du oder ich, oder wir Beide, gleichviel! antwortete sie. Es liegt ein Stein über uns, Thomas, er will niederstürzen und uns zermalmen.

Er erschrak noch mehr. Wußte sie etwas von dem, was in ihm bohrte? Sie sah unheimlich aus. –

Du hast mir einen Boten gesandt, daß du heut, um diese Stunde, mich erwarten wolltest. Es ist nichts Gutes, das ich von dir hören soll.

Nichts Gutes, nein, aber du mußt es hören.

So sprich es aus, sagte er, von geheimer Angst erfüllt.

Daß wir uns trennen müssen, erwiederte sie, indem ihre Hände sich zurückzogen. Daß ich Wort und Gelöbniß dir zurückgebe, du mir das meine.

Ha! rief Thomas Cervoni und seine Augen öffneten sich wie Feuerballen. Wie ein Messer fuhr es durch seinen Leib. Du willst mich verlassen?

Ich muß, Thomas.

Willst mich verrathen?

Nein.

Willst meine Liebe verspotten, zum Hohngelächter machen?

O nein! nein! sagte sie, ohne ihn anzublicken, den Kopf niederbeugt zu dem Feuer. Ich darf nicht, Thomas, ich darf nicht!

Du darfst nicht?! schrie er mit wilder Heftigkeit. Hat Gaffori es dir so befohlen?!

Gaffori? antwortete sie, und ihr Stolz schien zurückzukehren, ihre Augen flammten auf und ihre Lippen zuckten. Plötzlich aber wurden ihre Mienen sanft und traurig, und sie sagte leise:

Befohlen hat er mir nichts, wie könnte er das! Dennoch muß es geschehen. Höre mich an, Thomas, du sollst Alles erfahren.

Es lief wie mit Fieberglut durch Cervoni's Adern, er schlug seine Arme über seine Brust zusammen, als wollte diese zerspringen.

Du weißt, begann Therese, daß mein Vater schwere Verluste erlitt durch Krieg und Aufstand, und daß von jener Zeit an auch die Zerwürfnisse mit den Gaffori's begannen.

Ich weiß es, murmelte Thomas.

Als mein Vater gestorben, kehrte ich zu meinem Bruder zurück, der nun als Haupt unserer Familie unser gemeinsames Vermögen verwaltete. Wie es damit stand, wußte ich nicht, doch jetzt weiß ich es. Die unglücklichen Unternehmungen meines Bruders, der Krieg den er nicht erwartete, die ehrgeizigen Pläne Gaffori's haben uns dahin gebracht, daß wir weniger als nichts besitzen. Darum nimm dein Gelöbniß zurück, Thomas Cervoni.

Ein unermeßliches Glück überkam den zagenden Mann.

Ist es nichts als das, das dich so traurig macht?! rief er neubelebt, indem er sie in seine Arme schloß.

Verlaß mich! verlaß mich! antwortete sie, ihr Gesicht bedeckend. Du mußt mich verlassen!

Da fiel er vor ihr nieder und umschlang ihr Knie. Im Namen Gottes, im Namen des Heilands! rief er, lieber den Tod, tausendfachen Tod, als dich verlassen. Und wäre der Bluträcher hinter dir und – O, Herr der Welt! was habe ich dir geschworen, als wir an dem Wassersturz des Niolobaches standen: Wäre jede Hand gegen dich, jeder Fluch gegen dich gekehrt, meine Hand, mein Segen sollten bei dir sein bis an mein Ende.

So liebst du mich noch, theurer, theurer Freund, rief Therese, daß du Hohn und Fluch nicht achtest!

Nichts schreckt mich, nichts! sagte er unter ihren Küssen, nicht Himmel, nicht Hölle!

Und wie er diese Worte hervorstieß, fuhr er zurück, er hatte sie schon gehört; Gaffori hatte sie ihm zugerufen. Eine schwarze Wolke flog über seine Seele, seine Augen blickten starr, sein Gesicht war verzerrt.

Nein! rief es dann tief in ihm mit Donnerstimme, verflucht sei der Gedanke! vermaledeit der Verläumder!

Worüber sinnst du? fragte sie.

Wie ich jeden, der dich beleidigt, wie meinen Todfeind behandeln will. Sorge um nichts, Therese, laß mich sorgen. Was kümmert es mich, ob mein Haus voller wird durch dein Heirathsgut oder nicht, es ist voll genug. Dich allein will ich, und möchte Keine dafür nehmen, brächte sie mir auch alle Schätze des Morgenlandes.

Doch deine Mutter, fiel Therese leise ein.

Meine Mutter, versetzte er stolz, weiß was sich für ihren Sohn schickt; immer wird sie wollen was ich will.

Dann hielt er ein und setzte bedächtiger hinzu:

Daß dein Bruder durch seine Unternehmungen bedrängt ist, blieb mir nicht ganz verschwiegen. Meine Mutter ist sparsam und nach Frauenart überlegend, doch ich will helfen, so viel ich es vermag, und Alles wird sich ordnen lassen. Ich will Geld herbeischaffen und mich verbürgen. Alles für dich, geliebte Therese, nimmer soll dich Spott treffen.

So blieben sie wohl eine Stunde lang liebeglühend beisammen, alle Zweifel in Gewährung fortgeschleudert, bis endlich draußen die schweren Schritte Antonio's sich hören ließen, der aus der Stadt zurückkommend nach seinem Zimmer hinaufging.

Geh, sagte Therese, er darf dich jetzt nicht hier finden.

Morgen spreche ich mit meiner Mutter, erwiederte er. Sie soll den Tag unserer Hochzeit bestimmen.

Sie küßte ihn dafür. Ich komme zu dir und ihr hinauf, flüsterte sie, und lange dauerte es, ehe Thomas Cervoni sich aus ihren Armen losriß und entfernte.

Sie horchte, bis sie ihn nicht mehr hörte, dann am Fenster den dunklen Schatten bemerkte, der unter den Bäumen verschwand. Nun ging sie durch den Gang, welcher zu ihres Bruders Gemach führte, und trat mit dem Lichte herein, wie sie eingetreten, als Viale sich bei ihm befand.

Er sah sie kommen und blickte ihr finster entgegen, sprach nichts, als sie vor ihm stehen blieb. Der gelbe furchtbare Kopf schien ein Medusenhaupt.

Haben wir morgen den ersten October? fragte Therese.

Den ersten October, murmelte Antonio mürrisch.

So schreib noch heute dem Camillo Doria, daß in drei Tagen Giampietro Gaffori sterben wird!

Er stierte sie an, die Augen funkelten.

Ich bin nicht wahnsinnig, sagte sie. Er soll sterben!

Eine schreckliche Freude belebte ihn, er griff nach ihrer Hand. Bist du verständig geworden, fragte er, willst du mir helfen?

Nicht dir, antwortete sie, mir.

Einerlei. Es sind fünfzigtausend Scudi.

Die bleiben dein, sagte sie verächtlich.

Mein? versetzte er. Was verlangst denn du?

Was mein ist, erwiederte sie langsam und mit Nachdruck, dann setzte sie hinzu: Kümmre dich nicht um mich, nimmt deinen Lohn und geh.

Und was bewegt dich, heut das zu wollen, was du gestern noch verfluchtest? fragte Romei.

Frage nicht! versetzte sie heftig den Kopf aufwerfend, darauf aber sprach sie bedächtig: Eines sollst du wissen. In Gaffori's Händen befinden sich deine Briefe, die du dem Doria schriebst.

Verflucht! schrie Antonio.

Er kann jeden Tag, wenn er will, den Verräther vernichten, aber auch mich. Er wird – ihre Stimme erstickte – wird nicht ruhen, bis Thomas Cervoni weiß, daß ich – ich ihn betrogen habe! Er wird triumphiren. Er oder ich! Er muß sterben!

Vor der Glut in ihren Augen und der unerbittlichen Kälte ihrer Mienen und ihrer Sprache entsetzte sich selbst Antonio.

Woher weißt du das? fragte er.

Zweifle nicht daran, daß jede Silbe wahr ist. Wo ist Felice?

Wie immer in lustiger Gesellschaft.

Weiß er, wie es um dich steht?

So ziemlich, doch er ist zu leichtsinnig, um es sich zu Herzen zu nehmen.

Bist du sicher, daß er thut was – nöthig ist?

Wenn es gilt dem Gaffori eine Kugel durch den Leib zu jagen und ich ihn an meiner Seite habe, so wird er richtig zielen, doch wie soll es geschehen? Ich habe vergebens auf einen Plan gesonnen.

Er ist fertig, sagte Therese, bemühe dich nicht weiter. Lebt Felice noch mit Francesco in guter Freundschaft?

Der Eine paßt zu gut zu dem Anderen, daß nicht Beide zusammenhalten sollten. Im Nothfall, denkt Felice, kann sein Freund auch wohl etwas für ihn thun.

So sage ihm, daß er Francesco heimlich auf morgen Abend zu mir bestellt. In dem Gartenhäuschen wollte ich ihn erwarten. Er soll ihn schwören lassen kein Wort zu verrathen, es sei eine Sache von großer Wichtigkeit, die sein eigenes Heil betreffe.

Was hast du vor? fragte Romei erschrocken und erstaunt.

Du hast nichts weiter zu thun, fuhr Therese unbewegt fort, als wo du kannst das Märchen weiter zu verbreiten, daß, wenn das Parlament beisammen, Gaffori sich zum Könige ausrufen lassen wird. – Jetzt, gute Nacht!

Romei schwieg lange sinnend still, endlich aber sprach er zu sich selbst:

Jage dein Wild nur in mein Garn und sieh zu, was dir übrig bleibt. Eines Mannes Todfeind kann sein Freund werden, aber eines Weibes Rache ist unersättlich. Sie hat den Cervoni gewonnen und wird Francesco gewinnen. Du bist verloren, Giampietro Gaffori!


15.

Am nächsten Abend geschah es so. Francesco schlich heimlich in den Garten und als er sich dem Häuschen näherte, richtete sich eine dunkle Gestalt von der Bank auf und sprach zu ihm:

Seid willkommen, lieber Francesco; ich danke Euch, daß Ihr meiner Bitte folgtet.

Was ist es, erwiederte Francesco, womit ich Euch dienen kann?

Setzt Euch zu mir, sagte sie, so sollt Ihr es hören.

Er that nach Ihrem Willen und sie legte ihre Hand vertraulich auf ihn. Ihr seid ein Mann von Muth und Vaterlandsliebe, begann sie darauf; ich hoffe auch, Ihr seid mein Freund geblieben, wie ich immer Eure Freundin war.

Zweifelt nicht daran, versetzte er verwundert über diesen Anfang.

Als Eure Freundin habe ich Euch eingeladen, um mit Euch von Euch selbst zu sprechen, fuhr sie fort, denn Recht scheint es mir, Euch vor falschen Freunden zu warnen, vor solchen, die es am wenigsten sein sollten.

Wie soll ich das verstehen? fragte er.

Therese schwieg darauf. – Warum hat Euer Bruder, der so mächtig ist, Euch kein Amt gegeben, keinen Platz, der sich für Euch schickt? fuhr sie endlich fort. Selbst für die Compagnie von Corte wählte er andere Offiziere und schlug es denen ab, die Euch dazu in Antrag brachten. Warum hält er Euch in Abhängigkeit und Dürftigkeit, macht Euch zu seinem Schreiber und setzt Euch so herunter, daß die Meinung entstehen muß, Ihr wäret ein wüster Mensch, ohne Fähigkeiten, der nichts Besseres werth sei?

Meint man das von mir? fiel Francesco verlegen ein. Ich denke doch, daß man anders urtheilen sollte.

Hat Euer Bruder jemals Vertrauen in Euch gehegt? Standet Ihr ihm jemals nahe? Zu untergeordneten Diensten wurdet Ihr jederzeit benutzt, und mehr habt Ihr auch niemals von ihm zu erwarten. Ich weiß es gewiß.

Hat er das gesagt? fragte Francesco.

Ja, antwortete Therese.

Zu wem?

Zu Thomas Cervoni.

Zu ihm? Wann? fragte Francesco zweifelnd.

Als er es beklagte einen solchen Bruder zu haben.

Er beklagte sich? Bei Gott! sprecht weshalb!

Therese ließ einige Augenblicke vergeben, dann sagte sie mit spöttischem Anklang:

Thomas war in der Meinung, an Euch einen Nebenbuhler in meiner Gunst zu besitzen, obwohl ich ihm versicherte, daß dies nie der Fall gewesen. Als er mit Eurem Bruder darüber sprach, da freilich erfuhr er andere Dinge.

Sagt aufrichtig, Francesco, fragte sie plötzlich abbrechend, habt Ihr je wohl Maria Anna bekannt, daß Ihr niemals ein Gefühl für mich empfandet, sondern allein nur für sie, für diese keusche Dame, für Eures Bruders herzliebsten, höchsten Schatz?

Sie lachte muthwillig auf, während seine Finger eiskalt sich zusammenzogen.

Nein, sagt mir, fuhr Therese fort, habt Ihr zu ihren Füßen gelegen und um Liebe gefleht, bis sie Euch fortgestoßen und gedroht, Giampietro sollte Euch zur Vernunft bringen?

Wer sagt das? fragte er erstickt von Scham und Wuth.

Giampietro erzählte es an Thomas. Er spottete über Eure wahnsinnige Narrheit, wollte beweisen, welche Mißgeburt Ihr seid, wie tief verachtet von Maria Anna, und von ihm selbst, wie unfähig zu jeder ernsten Thätigkeit. Er hat Euch verläumdet, Francesco. Ist es nicht so?

Der Nichtswürdige! rief Francesco mit zitternder Stimme.

Es ist nicht wahr! Ihr habt Euch niemals so weit vergangen?

Nein! nein!

Dann doppelt erbärmlich von ihm und von ihr, Euch so zu schänden. Kann ein Bruder so an dem Bruder handeln?

Mag er dafür verflucht sein! stöhnte Francesco, und sie – sie!

Sie verachtet Euch, die Frau Präsidentin, sagte Therese, und er behandelt Euch als einen albernen Tropf, der in seiner Narrheit doch als Fußschemel dient. Habt Ihr keinen Ehrgeiz, Francesco? Seid Ihr ein Mann, der solche Schmach duldet?

Ich will es nicht dulden! Nein!

Habt Ihr wirklich so viel Muth Euch zu rächen? fragte sie ihn hohnvoll aufreizend.

Rache! ja Rache! schrie er zähneknirschend.

Hört an, fuhr sie fort. Wenn das wahr ist, wenn Ihr Muth besitzt, wenn Euer Vaterland Euch höher steht, als dieser unnatürliche Bruder, dann habe ich Euch ein Wort zu sagen. – Wollt Ihr, daß ich sprechen soll?

Sprecht! sprecht!

Wißt, daß es Männer giebt, die Giampietro als den Quell allgemeinen Unglücks betrachten. Wißt, daß es Männer giebt, welche Euch ihre Hände reichen wollen zu einem Bündniß gegen ihn, der durch seinen Ehrgeiz und seine Herrschaft Corsika in's Verderben stürzt. Wie er Euch umheuchelt und betrügt, so betrügt er Alle. Immer wird er Euch niedrig halten und als Thoren betrachten; so zeigt ihm denn, daß Ihr klug und ein Mann seid. Die, mit denen Ihr Euch verbündet, werden Euch werth halten und belohnen. Sie werden Euch reich und geachtet machen, Ihr werdet mächtig und geschätzt sein.

Ich will Rache an diesem falschen Weibe! murmelte Francesco seine Fäuste ballend.

So rächt Euch an dem, den sie als ihren Heiland anbetet, antwortete Therese. Auge um Auge! Er hat Euch verrathen, vergeltet es ihm. Große Thaten hat unser Volk aufzuweisen. Hat Sampiero nicht mit eigener Hand seine Gattin getödtet, da sie ihn verrieth? Erschlug nicht ein Pozzo di Borgo seinen Sohn, der es mit dem Feinde hielt? Haben Brüder sich nicht oft um geringere Dinge mit ihren Kugeln niedergestreckt?

Francesco saß brütend still.

Was sagt Thomas Cervoni? fragte er dann plötzlich.

Daß es Zeit sei, das Vaterland zu retten!

Nun bei Gott! rief Francesco, wenn Er, der geschmeichelt und geliebt wurde mehr als das eigene Kind, seine Hand gegen ihn aufhebt, dann will ich es zehnmal thun, den sie erniedrigen und verachten!

Ihr habt Recht dazu!

Mag's in die Hölle führen, in ewige Verdammniß, sagte er! gleichviel. Ich will Euch folgen, wohin es geht.

Da nahm ihn Therese Romei bei der Hand und sprach:

Vieles mag ein Mensch vergeben und vergessen, nur verrathene Liebe nicht! Kommt jetzt, Francesco, laßt uns zu meinen Brüdern gehen, sie erwarten uns.

Und sie führte ihn in das Haus, wo die beiden Romei ihnen freudig entgegenkamen; dort saßen sie beisammen bei Wein und Mahl, und als die Hähne krähten, schlich Francesco behutsam leise, wie ein lauernder Bandit, durch die öden, finsteren Straßen, wo kein Lichtschein flimmerte, als aus seines Bruders schmalem Fenster. – Er ballte die Faust hinauf und lachte, ohne daß ein Ton hörbar wurde. Es war ihm, als stände Maria Anna dort oben, mit demselben Gesicht, womit sie ihm zugerufen, daß er ein wahnsinniger Narr sei, und seine Brust füllte sich mit kochender Wuth. – Wie höllisches Feuer verbrannte es ihm Herz und Hirn; so lag er die ganze Nacht über, erst am Morgen schlief er ein.

Aber an diesem Tage war Francesco doch weder müde, noch konnte der schärfste Blick an ihm ein Unbehagen entdecken; es schien vielmehr, als sei er nie so rasch und munter, so froh und lebendig gewesen. An diesem Tage erließ Giampietro Gaffori die Proclamation, welche das corsische Parlament nach Corte berief, um über die Verfassung zu berathen, und dabei gab es viel zu thun: Briefe zu schreiben, Boten abzusenden, die Wartenden anzuhören, die Kommenden zu empfangen, Aufträge zu erfüllen, mit dem Podesta zu unterhandeln, den viel bedrängten Gouverneur zu unterstützen und ihm zu berichten. Francesco that dies Alles mit Freudigkeit und Eifer, und mit solcher Umsicht, daß Gaffori ihm, als endlich der heiße Tag vorüber war und die Familie beisammen saß, Lobsprüche und Dank sagte.

Ich freue mich, sprach er, daß ich dich hier habe, lieber Francesco, und du so tüchtige Beweise lieferst, wie männlich wacker und geschickt du auch zu pünktlichen, klugen Diensten brauchbar bist.

Hat jemand daran gezweifelt? fragte Francesco lächelnd.

Ei, sagte Gaffori, es gab Leute genug, die dich für so liebestoll und närrisch hielten, daß sie mir riethen, dich um jeden Preis vernünftig zu machen.

Ich hoffe, daß ich es immer mehr werde, versetzte Francesco demüthig, indem er seines Bruders Blicken folgte, die sich schelmisch auf Maria Anna richteten. Die junge Frau erwiederte dies aber nicht, sie blickte auf ihre Arbeit und nickte nur leise dazu. Gaffori aber fuhr fort:

Bleib bei diesen Vorsätzen, Francesco, du kannst nichts Besseres thun. Das Parlament wird es nicht anders wollen, es wird mich an die Spitze des Staates stellen, dann ernenne ich dich zum Generalsecretair.

Und wenn der König den Thron besteigt, habe ich Aussicht vielleicht sogar Minister zu werden.

Wenn ich mich krönen lasse, sollst du eben so gewiß Minister werden, wie der würdige Propst Erzbischof.

Wir halten dich beim Wort, denn wie man allgemein sagt, werden die Anstalten schon dazu getroffen, lachte Francesco.

Wer sagt das?

Du kannst es überall hören, antwortete Francesco, auf allen Straßen wird es erzählt. Der Stadtrath läßt deswegen den großen Saal neu herrichten, und die Decke soll frisch vergoldet werden, eben so wie damals, als König Theodor hier einzog, nachdem das Parlament im Convente von Allesani ihm die Krone zugesprochen. Das Volk freut sich dazu.

Freut es sich? sagte Giampietro, seine großen Augen aufschlagend.

Wie sollte es nicht! Es erinnert sich, daß du ihm diesen König gabst, du die Verfassung machtest, und ihn sie beschwören ließest. Es würden Wenige sein, die nicht darüber jetzt noch mehr jubelten als damals.

Gieb ihm die Freiheit, sprach Maria Anna, indem sie aufstand, deren bedarf das Volk, einen König bedarf es nicht.

Mit diesen Worten ging sie hinaus, Gaffori blickte ihr freundlich nach.

Einen König bedarf Corsika nicht, sagte er, aber eine feste sichere Hand, mag sie den Namen haben, welchen sie will. Die muß vorhanden sein.

Es giebt keine andere als deine Hand, erwiederte sein Bruder.

Gaffori schwieg, dann sagte er mit fester Stimme:

Nein!

So denken aber Alle, sie wissen es Alle und wünschen sich einen König, wandte Francesco ein.

Die erstarrende Härte, welche Gaffori's Gesicht annehmen konnte, breitete sich darüber aus. Die Menschen wollen einen Herrn, sprach er vor sich hin, indem er des Propstes Worte wiederholte.

Selbst die, welche vielleicht selbst einmal Lust empfanden Herr zu werden.

Wer? fragte Gaffori.

O! mehr als Einer, doch Einer vor Allen. Thomas Cervoni!

Giampietro's Mienen belebten sich.

Hast du ihn gesehen? begann er.

Gesehen und gesprochen. –

Was sagte er dir?

Er schien sich entschuldigen zu wollen, erwiederte Francesco spottend, daß er sich so lange zurückgezogen, fragte nach dir, that verlegen, und sprach endlich davon, wovon ganz Corte sich unterhält: daß das Parlament dir die Krone antragen werde.

Und was sagte er dazu?

Er hielt es für das Beste, das geschehen könne, und rühmte dich als den Würdigsten, den Einzigen! Dann murmelte er etwas, wie: er habe dich neulich beleidigt, wünsche dich zu versöhnen. So merkte ich denn wohl, daß dieser Trotzkopf auch zu Kreuze kriechen will, fügte er lachend hinzu, denn er sieht wohl, wie die Glocken hängen, und sucht sie läuten zu helfen.

Gaffori ging auf und nieder, und als sein Bruder schwieg, blieb er vor ihm stehen.

Du sollst mir einen wichtigen Dienst erweisen, Francesco, begann er, kann ich auf dich rechnen?

Was gäbe es in der Welt, rief Francesco, wobei du nicht auf mich rechnen könntest!

So höre, erwiederte Gaffori dankbar seines eifrigen Bruders Hand drückend. Suche Thomas auf, bringe ihm meinen Gruß, sage ihm, wie sehr mich darnach verlangt, ihn zu sehen. Sage ihm, daß ich ihm Beweise bringen werde, Alles sei wahr, was ich ihm mitgetheilt. Ich wünsche eine Unterredung, er solle Zeit und Ort bestimmen; sicher sei ich, daß wir uns dann nicht trennen würden, ohne die alten Freunde zu sein.

Ich will sogleich sehen, wo ich ihn finde, sagte Francesco, nicht rasten, bis ich ihn habe.

Wo meinst du, daß er sein kann?

Jedenfalls da, wo er die Engel singen hört! rief Francesco lustig.

Gaffori's Augen ruhten auf ihm mit solcher Schärfe, daß er den Blick nicht aushalten konnte.

Du gehst nicht gern dorthin, sagte er, doch thue es meinetwegen, lieber Francesco, du förderst eine gute Sache. Sei aber zufrieden, daß die Romei nach keinem Bündniß mit dir verlangten.

Antonio ist ein Bettler, wie man sagt.

Ein Elender! dessen Stunde nahe ist. Sei klug und richte deinen Auftrag so aus, daß Thomas ihn allein erfährt.

Nachdem Francesco dies versichert, fügte der Doctor hinzu:

Auch hier im Hause laß nichts verlauten, es muß ein Geheimniß bleiben zwischen uns. Bringe mir die Antwort, daß es Niemand merkt. Nun geh und benimm dich geschickt.

Frohlockend ging Francesco.

Einer steht uns bei, murmelte er, Gott oder Satan! Es geht genau danach, wie Therese es ersonnen, und jetzt schickt er mich zu ihr, uns die Mühen zu erleichtern. Narr du selbst, der seine Grube sich graben hilft; eitler, überweiser Narr, du wirst sehen, wie geschickt ich bin, wie ich deinen Lehren Ehre mache!

Er nahm ohne zu säumen den geraden Weg in das Haus der Romei, und wiederum war es spät, ehe er es verließ. Die Brüder gingen mit ihm die Straße hinab bis an den Markt, dort sprachen sie lange heimlich und kehrten dann zurück. Und Francesco schlief einen ruhigen, festen Schlaf in der Nacht, er fühlte keinen Gewissenszweifel mehr.

Er hatte den Romei erzählt, welchen Auftrag er erhalten, Wort für Wort, den ganzen Hergang; daran sah Antonio, daß das Schwert über seinem Kopfe schwebte, und Therese's Augen glühten, während sie verächtlich spottete. Beide aber legten Giampietro's Reden und was Maria Anna hinzugethan, arglistig aus. Es wurde dem Francesco gewiß genug, daß sein Bruder ihn noch immer als einen Einfaltspinsel behandle, den er verachte und verhöhne. Und er hatte diesen Hohn vor Thomas Cervoni ausgeschüttet, er hatte ihn beschimpft und als Narren und Elenden an den Pranger gestellt. Darauf hatte es Thomas diesem Weibe erzählt. Die Romei wußten es, und wie lange noch, so wiesen die Buben in Corte mit Fingern auf ihn.

Die Romei schworen zwar, daß kein Wort je über ihre Lippen kommen werde, aber sie nannten es eine Schandthat gegen Francesco, eine gemeine erbärmliche Verläumdung. Wäre jedoch wirklich ein Funken Wahrheit darin, dann um so mehr müßte es das tiefste Geheimniß bleiben. So nährten sie Schaam und Rachgier in Francesco und zeigten ihm die hochmüthige, verrätherische Maria Anna als den Quell aller Schmach, die ihm geworden. Endlich aber schürten sie den Brand mit entsetzlichen Schwüren und Verwünschungen gegen den Vaterlandsverräther, der Armuth und Freiheitssinn so lange geheuchelt, bis er nun die Königskrone in der Hand halte.

Denn also deuteten sie die Aeußerungen Gaffori's über die feste sichere Hand, welche Corsika's Geschick leiten müsse, und seine Beistimmung dazu, daß es keine andere Hand gebe als die seine, und lobten Francesco's Schlauheit, der den Verräther entlarvt hatte. Darum also war so viel Blut geflossen, daß das Land einen neuen Herrn bekomme, und wie viel Blut und Unglück werde nachfolgen!

Es war dem Francesco zuletzt, als müsse er das Vaterland retten. Sein Ingrimm vermischte sich mit einem hochherzigen Haß gegen den ränkevollen, scheinheiligen Tyrannen des Volks, und er suchte sich einzubilden, daß er eine glorreiche unsterbliche That begehe, wenn er ihn vernichten helfe.

Als er erwachte, war dies sein erster Gedanke. Er stand auf und überlegte kaltblütig nochmals Alles, was gestern zwischen ihm und seinen Verbündeten verabredet wurde; hierauf ging er zu seinem Bruder und trat zu ihm herein, wie er es oft gethan, mit dem Knaben auf dem Arm, der ihm entgegengesprungen, scherzend und lachend.

Das Kind umschlang des Oheims Hals, und Gaffori kam beiden entgegen und betrachtete sie mit Freuden.

Du liebst deinen Oheim wohl sehr, mein Luigi? fragte er.

Weil er so gut ist, antwortete das Kind. Und weil er mich und dich und die Mutter so lieb hat.

Nun, so wollen wir uns alle lieben und uns treu sein zu aller Zeit! rief Gaffori, indem er beide an sich zog, und eben trat Maria Anna herein, aber ihr sanftes, sonst immer freundliches Gesicht sah heut trübe und ernst aus.

Komm zu uns, liebe Maria Anna! sagte Giampietro, du gehörst zu unserem Liebesbund.

Maria Anna heftete ihre Augen auf ihn und schien sein Gesicht zu durchforschen. –

Du siehst mich sorgenvoll an, sprach der Doctor lächelnd, was ist es denn, das dich bedrückt?

Ich sehe dich an, antwortete sie, ob du aussiehst, wie ich dich in dieser Nacht sah, Giampietro.

Und wie sahst du mich, Maria Anna?

Drei Blutstropfen auf deiner Brust standest du an meinem Bett.

Hörtest du keine Eule um's Haus schreien, lächelte Gaffori, indem er sie umarmte, oder keine Hexe im Rauchfang? Kroch keine Schlange über deine Füße? Meine starke Maria Anna, willst du abergläubisch werden, wo die beste Zeit dazu vorüber ist?

Sie blickte ihn noch immer an, aber ihr Gesicht war ruhig. –

Es ist doch wunderbar, sagte sie, daß ich noch niemals solchen Traum hatte. Verachten darf man nicht Alles, was uns warnen soll.

Wo ist denn Gefahr? fragte er sie küssend. Unsere Feinde sind besiegt, und vor einer Stunde erst empfing ich Nachrichten von Paris. Genua hat keinen Beistand fürder von dem Könige zu erwarten. Es soll nicht drei Monate mehr dauern, so wird die grüne Fahne in Bastia wehen. Aus England ist mir Kriegsbedarf und Geld zugesagt, und mein Aufruf, den ich gestern an alle Corsen erließ, das Parlament zu beschicken und sich zum letzten Kampfe mit den Genuesen zu bereiten, wird das Volk begeistern und vereinigen. Große, schöne Zeiten werden kommen, geliebte Freundin, Zeiten des Segens und des Glücks!

So beruhigte er die bange Frau, und nach einiger Zeit war Maria Anna getröstet über ihren Traum. Als Gaffori aber mit seinem Bruder allein war, fragte er sogleich nach Thomas Cervoni.

Es ist alles in Richtigkeit, sagte Francesco. Ich traf ihn bei den Romei, und er erwartet dich heut noch in der fünften Stunde.

In Soveria? unterbrach ihn Giampietro.

Nein, er kommt dir entgegen. Oben auf dem Berge, an der Capelle Maria zum Quell wird er dich erwarten.

Der Quell wird auch an ihm Wunder thun, seine Schmerzen werden dort heilen, erwiederte Gaffori.

Du sollst mich begleiten, Francesco, ich sehne mich nach dieser Stunde.

Auch ich! rief Francesco freudig.


16.

Der Tag verging in voller Thätigkeit, um die vierte Stunde aber nahm Gaffori sein Doppelgewehr von der Wand, maß Pulver in die Läufe und setzte Kugeln darauf; dann legte er Kugeltasche und Pulverhorn daneben, und sagte zu Francesco:

Es ist einmal so, daß wir wie die Beduinen Afrika's niemals unsere Waffen vergessen dürfen, wenn wir unser Haus verlassen, doch wenn mir Gott noch wenige Jahre Leben gibt, soll es anders geworden sein. Ich will es dahin bringen, daß Jedermann in Frieden durch Corsika reisen kann, von einem Ende zum anderen, ohne den Mörder zu fürchten. Ist dein Gewehr in Ordnung, Francesco?

Vollkommen bereit, wie ich selbst, war dessen Antwort.

So will ich Maria Anna Lebewohl sagen. Sieh du nach den Pferden.

Sogleich, sagte Francesco.

Er räumte noch die Schriftstücke zusammen, mit welchen der Tisch bedeckt war. Gaffori trat an einen Schrank, nahm ein Päckchen Papiere und steckte dies in seine Tasche, dann ging er hinaus. Francesco horchte einen Augenblick, darauf ergriff er das Gewehr auf dem Tische, holte einen Stock hervor, der im Winkel stand, und mit der daran befestigten Schraube zog er eilig und mit Geschicklichkeit die Kugeln heraus. Ein hämisches Lachen flog über sein Gesicht, als er sie von sich warf. Schnell lief er in seine Kammer, nahm seine eigenen Waffen, sprang die Treppe hinab nach den Pferden und erschien mit diesen an der Thür, eben als Gaffori, begleitet von Maria Anna, heraustrat.

Du willst mir nicht sagen, wohin du gehst? fragte die Frau.

Du sollst es wissen, sobald ich wiederkomme, antwortete er.

Und wann kommst du wieder, Giampietro?

In zwei Stunden, Liebe, oder in drei, und höre: ich bringe einen Freund mit. Richte uns ein Mahl zu, so prächtig es geschehen kann; wir wollen froh beisammen sein.

Mußt du mich heut verlassen, theurer Freund?

Ich muß, Maria Anna. Du wirst mich für diesen Weg segnen.

Dann geh in Gottes Hut, mein Giampietro. Ich segne dich zu aller Zeit.

Das waren ihre letzten Worte. Er sprang die Stufen hinab, gleich darauf saß er zu Pferde, und wie er ihr zunickte, kam es ihr vor, als sähe er wieder so aus, wie er ihr im Traume erschienen. Eine jähe Angst überfiel ihr Herz, sie hätte aufschreien mögen, aber sie überwand sich, und nach wenigen Augenblicken war es zu spät. Die Reiter jagten rasch davon, Maria Anna ging stumm in das Haus zurück.

Da stand sie in dem stillen Zimmer und ihre Augen blickten furchtsam nach allen Winkeln, als müßte in einem derselben etwas Schreckliches verborgen sein, das plötzlich auf sie losspringen würde. Die entschlossene Frau, welche so viele angstvolle Stunden voll großer Gefahr muthig verlebt hatte, zagte vor einem Traumgesicht, das nicht von ihr weichen wollte, und sie preßte ihre Hände schmerzlich zusammen, während sie sich bemühte, ihre Furcht zu belächeln.

In dem Augenblick wurde die Thür aufgerissen und der Propst steckte sein rothes Gesicht herein.

Wo ist er? fragte er, wo ist der weise König Salomo?

Gaffori ist fortgeritten.

Wohin?

Warum fragt Ihr?

Mit wem?

Mit Francesco.

Habt Ihr keine Vermuthung, Frau, rief der alte Priester heftig, wohin er ging?

Maria Anna nickte sprachlos. Dann schrie sie plötzlich auf:

Was wißt Ihr von ihm, mein Vater? Was wißt Ihr?

Ich weiß nur, sagte der Propst, daß Francesco gestern bis spät in der Nacht bei den Romei war, und daß diese ihn begleiteten, als er ging. Dies erzählte mir so eben ein Mann, der es gesehen hat und bei mir stand, als die Romei nach Soveria hin an uns vorüberritten.

War Thomas Cervoni bei ihnen? fragte Maria Anna.

Thomas ist in Niolo seit zwei Tagen bei seiner Mutter.

Wißt Ihr das gewiß?

Vor wenigen Stunden habe ich einen Brief der Frau Giovanna erhalten. Sie bittet mich, zu ihr zu kommen, wichtiger Sachen wegen.

Fort! schrie Maria Anna mit flammenden Augen, ruft Verrath! ruft unsere Freunde! Ich hörte, wie Francesco schwor, daß er Thomas gestern bei den Romei getroffen, und er Gaffori bei Maria zum Quell erwarten wolle.

Und wie sie dies gesagt, sprang sie hinaus auf den Altan und schrie mit ihrer starken Stimme:

Verrath! Verrath! Bürger von Corte. Helft Eurem Gouverneur, er ist verrathen!

Da war in wenigen Minuten ein Volkshaufen versammelt, Maria Anna mitten darin. Und rasch hatten an zwanzig Männer ihre Waffen und Pferde zur Stelle, und alle folgten der tapferen Frau und dem greisen Propst, der mit jugendlicher Kraft sich in den Sattel schwang, um seiner Freundin beizustehen.

Sie jagten über die Ebene fort, dem waldigen Bergzuge entgegen, auf dessen Höhe die Capelle stand, und sahen sie bald hinter den alten Kastanien. In einem Hohlwege floß der Quell nieder, zu beiden Seiten standen Bäume und dichtes Gebüsch, und eben hatte Maria Anna's schnaubendes Roß den Anfang dieses Weges erreicht, als über ihr auf der Berghöhe ein Schuß fiel, darauf ein zweiter, dann drei fast zu gleicher Zeit. Es erschraken viele der Männer davor und ein Geschrei erhob sich, aber von Maria Anna kam es nicht. Sie erblaßte nicht und zitterte nicht. Sie trieb das Thier vorwärts, daß es im vollen Lauf über Steine und Geröll setzte, und als der Weg allzusteil wurde, sprang sie herunter und klomm so schnell zur Höhe hinauf, daß die Andern ihr nicht zu folgen vermochten.

So erreichte sie den Waldplatz, der zur Capelle führte, und über das Buschwerk zu ihr her zog noch der Pulverdampf einen bläulichen Streif. Zwischen den Waldbäumen jagte ein reiterloses Pferd, und dort hinter den großen Steinen richteten sich menschliche Gestalten auf; eine davon schaute sich um, es war Francesco –

Wo hast du deinen Bruder Giampietro gelassen! rief Maria Anna auf ihn zu eilend.

Entsetzen schien ihn zu ergreifen, als er sie erblickte, darauf folgte ein Hohngelächter. Neben ihm tauchte der fürchterliche Kopf des Antonio Romei auf.

Nimm ihn! hier ist er! schrie er, dann waren sie verschwunden. Gleich darauf aber sah Maria Anna drei Männer auf ihren Pferden, die beiden Romei und Francesco, und vor ihr, unter dem langen zertretenen Grase lag ein regungsloser Körper.

An seiner Seite kniete sie nieder, thränenlos, lautlos hob sie das blasse Haupt auf in ihren Arm. Blut quoll aus drei tiefen Todeswunden und floß auf ihren Schooß, auf ihre Hände. Giampietro Gaffori lag ermordet.

In dem Augenblick langten die Bürger von Corte bei ihr an und als sie das Entsetzliche sahen, brach ihr Jammer aus. Sie sprangen von den Rossen und umringten die Leiche des geliebten, großen Todten mit verzweifelnden Klagen, doch Maria Anna ließ den Kopf des Helden aus ihrem Arm sinken, stand auf und rief mit stolzer Geberde:

Euren Freund erweckt ihr nicht wieder zum Leben, ihr Männer. Dort fliehen seine Mörder. Laßt sie nicht entrinnen! Rächt Giampietro Gaffori!

Und dieses Aufrufs bedurfte es nur, um corsische Racheglut in jedes Herz zu werfen. Nach wenigen Minuten war der ganze Haufe hinter den Romei her, wildes Geschrei hallte durch die Berge. Flintenschüsse fielen, bis immer ferner, immer schwächer der Lärm verhallte. –

Niemand war bei Maria Anna zurückgeblieben denn der alte Propst allein, und nun stand er, sein weißes Haar vom Winde gepeitscht, seine Augen verdunkelt von dem Weh, das sein Herz zerbrechen wollte, wie das zerbrochene Herz vor ihm, das seine rothen Wellen über Gras und Blumen ausströmte. Sonnengezitter drang durch die rauschenden Bäume und fiel auf den Todten. Der lag mit offenen hellen Augen, die stolze Stirn fleckenrein, schön und edel noch jetzt sein bleiches Antlitz, entschlossene Ruhe darin, die seine Feinde in Schrecken setzte, seinen Freunden Muth und Glauben gab.

Warum warst du kein Corse! rief der Propst in seinen Schmerzen, warum, o du großmüthiger Mensch, wolltest du besser sein, als Menschen sind?! Wehe! wehe! Giampietro, wo ist nun dein hoher Glaube, wo ist dein Glück! Ach! wo ist die Krone für dein edles, verrathenes Haupt!

Da hob sich Maria Anna empor und sprach:

Unverwelklich und ewig wird er sie tragen. Länger als Gold und Erz wird sie dauern. So lange Menschen leben in diesem Lande, so lange die ewigen Berge stehen, wird Gaffori seine Krone tragen, und sie werden ihn segnen und wieder segnen und zu ihm rufen, wenn Gefahr droht. Gott hat dich mir genommen, mein Giampietro, Gott hat es so gewollt! O, mein Geliebter! mein Bruder! wir müssen stark sein und ergeben, wie du es warst.

Sie nahm ihr weißes Mandile und band es um sein blutiges Herz, dann mit wunderbarer Kraft nahm sie ihn in ihre Arme und mit Hülfe des Propstes trug sie ihn in die Capelle und legte ihn vor den Altar der Gottesmutter. Geht jetzt, mein lieber theurer Freund, sagte sie voll standhafter Fassung, und schafft uns Hülfe, daß wir ihn in sein Haus bringen, ich will bei ihm wachen und beten.

Der Propst hatte nicht weit zu gehen. Es kamen Viele ihm entgegen, denn daß Giampietro Gaffori in Gefahr sei, hatte ganz Corte mit Angst erfüllt. Männer und Weiber liefen auf den Weg nach Soveria, sie hatten das Schießen in den Bergen gehört; als sie aber den Propst sahen, den trostlosen Schmerz in seinem ehrwürdigen Gesicht, da wußten sie das Unglück noch ehe er es ausgesprochen. Mit Thränen und Jammergeschrei folgten sie ihm, doch das verstummte, als sie zu der Capelle kamen und dort Maria Anna erblickten, wie sie groß und ernst neben dem Todten stand.

Es wußte Jeder wie sie ihn geliebt, es wußte auch Jeder von welchem hohen Geiste sie war. Sie ordnete die Bahre für den Todten und ging neben ihm ohne Klage, ohne Laut, ihn fest anschauend, und das Volk folgte stumm ihr nach, als fürchte es, die Heilige zu stören, die nicht wie ein irdisch Weib um ihren Gatten trauerte.

Während dies nun geschah, saß im Ländchen Niolo, oben in der Casa Cervoni, Thomas bei seiner angebeteten Geliebten. Therese kam schon am frühen Morgen, und nie war sie schöner und reizvoller ihm erschienen. Ein Diener begleitete sie, doch sie selbst hatte die städtische Tracht abgelegt und saß in weiter faltiger Faldette auf dem zierlich geschmückten Rosse. Auf dem Kopf trug sie das artige runde Hütchen der Mädchen und Frauen von Soveria mit Blumen besetzt, und darunter fiel ihr glänzend schwarzes Haar in zwei Flechten, die mit roth und goldiger Schnur durchflochten, auf ihren Rücken.

Als Thomas sie so sah, bebte sein Herz vor Freude. Er lief ihr entgegen, und sie sprang in seine Arme, mit Küssen und mit Liebesnamen, die ihm ganz den Kopf verwirrten. Was hatte dieser teuflische Gaffori doch ausgesonnen, um ihn zu verblenden! Wie gut, daß er ihn mit Verachtung zurückgestoßen und alle seine Netze mit einem Schnitt zerschnitten hatte!

Unter diesen Vorstellungen verlebte Thomas den Tag in heiterster Weise. Seine Mutter hatte Therese wohl empfangen, und diese beschäftigte sich um sie, nach ihrer Zufriedenheit strebend. Gewiß wußte sie auch, wie nöthig ihr solche sei, denn seit Romei's Geldverlegenheiten zugenommen, konnte sie wohl bemerken, daß die Wittwe, wenn sie diese besuchte, sie mehrmals kalt genug aufgenommen hatte. Heut jedoch war dies nicht so merklich der Fall. Frau Giovanna ließ zwar nicht ab von ihrer förmlichen Weise, doch konnte Therese zufrieden mit ihren Blicken und Mienen sein, die ein Wohlgefallen ausdrückten, das ihrer Tracht und Erscheinung zunächst gelten mochte, welche sich aber noch mehr erweichten, als das schöne Mädchen so zuthunlich und kindlich sich benahm, wie sie es gern sah.

Es währte auch nicht lange, so nahm die Wittwe, als sie neben ihr stand, sie in ihren Arm, blickte scharf in ihr Gesicht und küßte sie auf die Stirn. Thomas hat mich befragt, sagte sie, wann es mein Wille sei, Euren Hochzeitstag anzusetzen, und ich habe ihm darauf geantwortet, daß mein Sinn sich nicht geändert hat. Als ich Eure Hände zusammenlegte, sprach ich, daß er dich im October in sein Haus nehmen soll, nun ist diese Zeit gekommen. Ich habe an den Propst Aldoni geschrieben, ihn gebeten, mich zu besuchen, und will mit ihm die Kirchenfeier verabreden. Dann könnt Ihr in zwei Wochen Mann und Frau sein und Eure Unruhe in Frieden lösen. Bist du es so zufrieden?

Alles, theuerste Mutter, was du thust, ist gut, antwortete Therese freudig aufblickend und dann langsam die Augen niederschlagend. Doch, ich weiß nicht, fuhr sie zögernd fort, ob Thomas dir auch von meinen Bedenken gesagt hat, ob er –

Du thatest Recht, mein Kind, fiel die Wittwe ein. Thomas verschwieg mir nichts, du wolltest deine Ehre bewahren und deines Gatten Ehre. Aber wann haben die Cervoni es gelitten, daß ein Unschuldiger büße für fremde Schuld? Wann haben sie sich gefürchtet, wo es galt zu thun, was sie beschlossen? – Hat dein Bruder, fuhr sie mit härterer Stimme fort, auch nicht so gehandelt, daß es zu loben wäre, so ist eines Mannes Thun doch seine Sache. Du leidest genug, arme Therese, wenn er, was dein war, mit dem Seinen verlor, doch darum bist du mir nicht weniger lieb, und mein Sohn kannte seine Mutter, wenn er schwor, daß du mir willkommen sein würdest, auch ohne Hochzeittruhen.

Therese dankte gerührt und freudig und nochmals küßte sie die Wittwe.

Bewahre du stets des Hauses Ehre, dessen Namen du führen wirst, sprach sie dabei, dann bringst du den rechten Segen mit, allen andern können wir missen.

Das will ich vor aller Welt und zu aller Zeit! rief Therese, nichts auf Erden soll mir jemals theurer sein, als der Ruhm und die Ehre der Cervoni.

Nun kam Thomas herbei, und es vergingen glückselige Stunden, bis sie endlich am Nachmittage beisammen in der Laube von spanischem Ginster neben dem Hause saßen und unter mancherlei Lust und Neckereien von der Hochzeit und deren Festlichkeiten sprachen. Es wurden Viele genannt, welche dazu eingeladen werden sollten, nur Einer nicht, dessen Name doch der erste sein mußte, bis endlich die Wittwe sich zu ihrem Sohne wandte.

Warum sprichst du nicht von Giampietro Gaffori? fragte sie.

Weil ich ihn nicht einladen will, antwortete Thomas.

Frau Giovanna schwieg zuerst, darauf versetzte sie:

Das würde eine Schmach sein vor allem Volke, aber sie würde auf dich zurückfallen.

Keine Schmach wird mich treffen! rief er seine Stirn faltend. Niemand ladet zur Hochzeit ein, den er nicht mag. Wäre es auch der Gouverneur.

Sprich von ihm, wie es sich gebühret, sagte die alte Frau. Er war deines Vaters Freund und war der deine.

Nicht mehr – fuhr Thomas auf. Es ist mit dieser Freundschaft für immer vorbei, Mutter; du weißt es, was geschah und was mich von ihm trennte, aber du weißt nicht Alles.

Die Wittwe schwieg nochmals.

Du mußt wissen, was du thust, Thomas Cervoni, sagte sie endlich, aber Giampietro Gaffori hat Corsika frei gemacht von den Genuesen; groß ist sein Ruhm, und seine Feinde sind des Volkes Feinde.

Thomas gab keine Antwort, er sah zornig vor sich hin. Therese lächelte ihm zu, streichelte die Falten von seiner Stirn und flüsterte in sein Ohr. Plötzlich wandte sich Frau Giovanna zu ihr. Bist du denn damit einverstanden, fragte sie, daß Thomas also handeln will, wie es Niemand gefallen wird?

Sicherlich hat er reifliche Gründe dafür, theure Mutter, antwortete Therese, ich maße mir nicht an diese zu beurtheilen.

Gründe genug! rief Thomas heftig, um mehr noch zu thun gegen einen Verläumder und Verräther!

Die Wittwe blickte ihn mit ihren kalten strengen Augen durchdringend an.

Was ist das? fragte sie. Wen hat Giampietro Gaffori verrathen? Und als sie keine Antwort erhielt, fuhr sie fort: Immer war er edel und gerecht, wahrhaft und großmüthig, selbst gegen seine Feinde.

Sie sprach nicht weiter, denn es näherten sich Männer dem Hause, und bald sahen sie, daß es die Vorsteher der Gemeinde waren. Voran ging ein kräftiger kühn blickender Hirte, seinen rauhen Mantel auf der Schulter, den Carabiner in der Hand. So waren sie alle bewaffnet.

Als Thomas sie sah, trat er ihnen entgegen.

Seid willkommen Freunde, sagte er, was bringt Ihr mir?

Wir kommen zu dir, Thomas Cervoni, begann der Sprecher, um dir einen Brief zu zeigen, den ein Bote des Gouverneurs zu uns herauf gebracht hat. Er ist an mich gekommen, da ich der erste Proposto der Gemeinde bin.

Was sagt dein Brief, Orso Bova? fragte Thomas.

Er sagt Zweierlei, mein Herr. Daß wir einen Abgeordneten nach Corte hinab senden sollen zu dem Parlament, welches Mitte dieses Monats sich dort versammeln wird, um Corsika seine Verfassung zu geben, und daß wir nicht länger zögern sollen unsere jungen Männer zu dem Volksheere zu senden, wie es Recht und Pflicht gebieten.

Und was gedenkt Ihr zu thun?

Hört an, mein Herr, sprach Orso Bova. Auf Euren Rath und weil Ihr es so wolltet, haben wir bisher in unsern Häusern gesessen; das kann nicht länger so geschehen. Mag Giampietro Gaffori ein ehrgeiziger Mann sein, er ist erwählt von dem Volke und hat Großes gethan; wir wollen ihn nicht länger verlassen und Schande auf uns laden. Er hat die Genuesen ohne uns besiegt, das soll nie mehr geschehen. Nun fragen wir Euch, wollt Ihr unser Hauptmann sein im Felde und im Parlament für uns sprechen?

Thomas schwieg. Er warf einen Seitenblick auf Therese, sie sah stolz und gebietend aus.

Ihr wißt, Freunde, was ich zu euch sprach, als dieser Krieg begann, sagte Thomas. In meinem Denken hat sich nichts geändert, doch wenn ihr wollt, will ich euch wiederholen, was wahr ist.

Nein, mein Herr, sprach Orso Bova, wir haben es wohl behalten. Sagt jetzt nein oder ja, was ist Euer Entschluß?

Nein, antwortete Thomas kräftig und scharf, ich will von Gaffori nichts wissen, weder von seinem Krieg noch von seinem Parlament. Wollt ihr nicht mehr auf meinen Rath hören, so müßt ihr einen Anderen wählen.

Darüber, mein Herr, wird die Gemeinde entscheiden, antwortete Orso. Ich habe erfüllt, was mir aufgetragen wurde.

Er entfernte sich und that dies mit seinen Begleitern in so kalter Weise, daß Thomas davon betroffen wurde. Niolo hatte ihm bis jetzt mit voller Ergebenheit angehangen, er mochte es nicht glauben, daß sein Ansehen gebrochen sei, und doch las er in den rauhen Gesichtern dieser einfachen Menschen Vorwurf und Tadel, wenn nicht noch Schlimmeres.

Aber statt darüber zu erschrecken, erweckte es seinen Zorn, der seinen Unglauben bestärkte. Er wandte sich unwillig und höhnisch zurück.

Auch euch werde ich mich so wenig fügen, wie diesem Gaffori! rief er drohend ihnen nach.

Da stand die Wittwe auf, schritt auf ihn zu und sprach:

Sie haben immer noch dir gefolgt und deinem Geschlecht, mache nicht, daß sie dich verwerfen.

Wer verwirft mich? fragte er heftig. Diese rohen Bursche?

Frau Giovanna wandte sich an Therese.

Du sagtest, daß nichts dir theurer sein sollte, als der Ruhm und die Ehre der Cervoni. So zeige denn, daß du es wahr meinst, sage ihm, was seine Ehre fordert.

Sicher, liebe theure Mutter, weiß dies Thomas besser noch als ich, antwortete Therese bittend. Ich kann ihn nicht tadeln, wenn er thut, was er für Recht hält.

Die Wittwe blickte auf ihren Sohn, dessen Gesicht sich verdunkelt hatte, aber sie fürchtete sich nicht davor.

Ich habe dir gelobt, immer deine Mutter zu sein, begann sie, so sollst du mich hören. Thomas Cervoni, du gehst auf üblen Wegen, die sich nicht für dich schicken, kehre um da es noch Zeit ist. Die Männer von Niolo verwerfen dich, du willst sie dafür verachten, aber ich verwerfe dich auch!

Mutter! rief Thomas glühend.

Geh zu Giampietro Gaffori, dem Gouverneur der Corsen. Gehorche ihm! fuhr sie gebietend fort und streckte ihre Hand gegen ihn aus.

Nein! –

Kein Parlament ist je gehalten worden, ohne die Cervoni. Du gehst in das Parlament nach Corte!

Nein!

Im Namen Gottes und deines Vaterlandes! Bei dem Schatten deines Vaters rufe ich dich an, Thomas Cervoni. Gehorche deiner Mutter!

Thomas schüttelte wild den Kopf. Er dachte an Gaffori, den Verläumder, und Therese saß dort, ihr Anblick stärkte ihn.

Ich kann nicht und will nicht, sprach er, unerschüttert. Ich gehorche nicht!

Da hob Giovanna Cervoni ihre Hand auf und sprach mit ihrer harten Stimme:

Bei deiner Mutter Fluch, du sollst gehorchen! Geh aus meinem Hause und tritt nicht eher vor mein Angesicht, denn als ein Cervoni und als ein Corse!

So ging sie an ihm vorüber; bleich wie ein Todter sah er aus, Wuth und Scham in seinen Augen, und wie leblos, bis Therese ihre Arme um ihn legte und ihn zu beruhigen suchte.

Sei stark, mein geliebter Thomas, sagte sie, deine Mutter wird morgen schon anders denken. Sie wird dir verzeihen und mir verzeihen, wenn die Macht der Ereignisse ihr beweist, daß du Recht hattest dich nicht zu beugen.

Ausgestoßen aus ihrem Hause! rief Thomas. Ich will keine Stunde länger bleiben. Verfluchen will sie mich. Herr des Himmels! meine Mutter mich verfluchen!

Er schlug auf seine Stirn, als glühte Feuer in seinem Kopfe, das sein Gehirn verbrennte; dann schrie er nach seinem Pferde, weil er sogleich nach Soveria wollte, und ohne es zu erwarten, ging er durch das Thal voran, von Therese begleitet, die seine heftigen Reden schweigend anhörte, während ihre Gedanken sich mehr und mehr in ihre eigenen Pläne versenkten.

Die Stunde war da, wo Thomas Alles wissen mußte, wo der letzte Vorhang niedergerissen werden mußte, und sie war bereit dazu. Was sich zugetragen, war ihr günstig. Thomas war von seiner Mutter bedroht, von den Hirten in Niolo bedroht, voll Haß gegen Gaffori und aufs Leidenschaftlichste erregt, schien reif zu allen Thaten, er hatte nicht mehr zu wählen. Und was geschehen sollte, mußte nun geschehen sein an dem Born der Capelle.

Die Sonne funkelte über den Hörnern des Monte Rotondo, sie durchleuchtete mit ihren Strahlen die Staubwolken des Wasserfalls, dessen schwarzem Schlunde sie sich näherten, und zauberten über ihm im wunderbarsten Farbenspiel zahllose Regenbogen. Die fünfte Stunde war vorüber. Es klang in den Ohren der Therese Romei wie fernes Schießen.

Und plötzlich faßte sie ihres Geliebten Arm mit einem krampfhaft festen Griff, und als er sie anblickte, sah sie wie eine Königin stolz und hochgeartet aus.

Thomas Cervoni! sagte sie, du willst kein Diener des Gaffori sein, du wirst es nicht sein. Niemals wirst du dein Knie vor diesem Verräther beugen, nie wird sein demüthiges Parlament ihm die Krone aufsetzen. Du allein wirst Herr sein, du allein wirst herrschen. Kein Genuese, kein Matra, oder Paoli, du nur hast die Macht und die Ehre in deiner Hand.

Thomas starrte sie an. Sie sprach wie verzückt.

Niemand wird dich mehr zum Gehorchen nach Corte schicken, fuhr Therese fort, denn du wirst dort einziehen, um zu befehlen. Gaffori ist todt, du lebst. Sammle Alle um dich, die dir anhängen, rufe das Volk zusammen, es liebt dich. Versprich ihm Frieden und Sicherheit, vereinige dich mit denen, die Gaffori's Ehrgeiz fürchteten und Genua fürchten, ihrer sind viele. Sei kühn und sei gewaltig, Thomas, so wird alle Macht dir zufallen, Gaffori hat für dich gearbeitet.

Er wußte nicht, was er glauben und denken sollte, aber leise rieselte ein Entsetzen durch seine Adern, je mehr er sie ansah. Was ist mit Gaffori? fragte er. Was sagtest du von ihm?

Da fiel ein Schuß in den Bergen vor ihnen, ein Reiter zeigte sich am Rande der Hochfläche, und während Therese Romei sprach, folgten diesem ersten noch zwei andere. Thomas konnte den Mann nicht erkennen, aber Therese erkannte ihn.

Was ist das? rief sie. Es ist Francesco, warum flieht er hierher? Und jene Beiden dort, die ihm nachfolgen, sind Antonio und Felice. Sie laden ihre Gewehre, sie werden verfolgt.

Francesco sprengte auf seinem keuchenden Pferde heran.

Herbei, Thomas Cervoni! schrie er, sammle deine Männer. Helft uns, wir sind verrathen!

Gaffori! rief Therese.

Todt liegt er! antwortete Francesco, indem er sein Pferd anhielt. Aber die von Corte kamen uns auf den Hals, ehe wir entfliehen konnten. Es blieb uns keine andere Wahl, als hier hinauf. Zu dir, Thomas.

Wer that es? fragte Cervoni wie in einem Traum.

Antonio schoß und fehlte. Wie ein Blitz antwortete Giampietro, aber ich hatte die Kugeln aus den Läufen gezogen. Nun schossen wir drei zugleich und nieder sank er.

Du thatest es! rief Thomas, und seine Augen vergrößerten sich, seine Gestalt schien zu wachsen.

Höre mich, Thomas, sagte Therese, indem sie ihn umfaßte und halten wollte. Aber er schleuderte sie fort, und mit einem Griffe riß er Francesco vom Pferde.

Verfluchter Mörder! schrie er, was thatest du?

Francesco lag auf seinen Knieen. Was willst du, der du um Alles wußtest! rief er mit ihm ringend.

Ich, – ich! knirschte Cervoni.

Therese schwor es mir zu! Helft mir! helft! Er erwürgt mich!

Halt ein! rief Therese noch einmal sich nähernd. Die That ist geschehen, Thomas. Sei ein Mann, sei ein Held! Fliehe Francesco! Fort mit Euch! Flieht in die Wüsten des Cinto! Fort in den Buschwald!

Aber Thomas ließ seine Hand nicht von Francesco's Kehle. –

Spricht dieser Brudermörder die Wahrheit? sagte er. Wußtest du darum?

Ich wußte darum, antwortete sie mit stolzen Blicken. Sterben mußte der Verräther, her mich und dich verrathen. Weil ich dich liebte, dich nicht lassen wollte, darum mußte er sterben!

Sei verflucht, wie dieser hier, du schändliches Weib! schrie Thomas. Er hatte Recht, du stammst aus der Hölle!

Sie blickte ihn verächtlich an. Seine Augen flogen von ihr auf einen Trupp bewaffneter Männer, die hinter dem Felsen am Wasserfalle hervorsprangen. Orso Bova war ihnen voran.

Fangt Mörder des Gaffori! schrie Thomas. Jagt sie, schießt sie nieder! Nehmt diesen hier und dies Weib – er wandte sich um und stieß einen Schrei aus, denn er sah nichts mehr von ihr.

Auf der Klippenwand am Rande, wo der Bach in den Abgrund niederstürzte, lag ihr weißes Tuch. Es war ihm, als hätte er ein weites Gewand dort wehen sehen, das wie ein Schatten verschwand. Er schlug beide Hände vor sein Gesicht, seine Kniee zitterten. Dann sprang er über das Gestein, und seine glühenden Augen starrten in den schwarzen Schlund, in das Gebrüll des Wassers, in den auffliegenden Gischt. Er taumelte zurück und fiel, sprang auf und sank auf seine Knie. –

Mutter Gottes! rief er inbrünstig, steh mir bei mit deiner Gnade, daß ich mich aus des Teufels Schlingen rette!

Und es war, als gäbe dies Gebet ihm neue Kraft; denn ohne sich weiter um Therese's Schicksal zu kümmern, schrie er den Männern zu, ihm zu folgen, aber die Scene hatte sich inzwischen abermals verändert.

Die beiden Romei hatten sich nicht weiter genähert, das ledige Pferd Francesco's war zu ihnen zurückgelaufen. Sie sahen was vorging, und als die bewaffneten Hirten sich in Bewegung setzten, jagten sie über den Felsenkamm hin, der bis zu dem undurchdringlichen Buschwalde des Cinto sich fortsetzte. Nun gab es ein Laufen und Schießen; eben auch erreichten die Bluträcher von Corte die Höhe und vereinigten sich mit den Verfolgern. Thomas Cervoni übernahm die Führung, doch als die Nacht kam, hatte man nichts gefangen als die Pferde der Mörder. Diese selbst saßen im Walde verborgen, und obwohl man auch noch am anderen Tage nach ihnen suchte, wurden sie nicht gefunden.

Eine Woche darauf trafen sie bei dem Gouverneur und seinem Lieutenant in Bastia ein.


17.

Es strömte viel Volk aus allen Theilen der Insel in Corte zusammen, viele der Führer kamen, der wilde, tapfere Matra zuerst, der mit seinem Schlachthaufen das feste Calvi umlagerte. Mancher betrachtete ihn mit Scheu, denn nun Gaffori todt war, schien kein Anderer als er vorhanden, der an die Spitze des verlassenen Volkes treten könnte, und doch hatte das Volk kein Herz für ihn. –

Unter dem Jammer, der in Corte herrschte, wo die Kirchen voll betender und weinender Menschen lagen, die auch das stille Haus ihres großen Todten mit ihren Klagen und Thränen umringten, daß es wie in einem Meere von bitterem Weh und Schmerzen stand, hielten die Häupter des Landes geheime Berathungen und beschlossen, einen großen Trauertag der Nation zu halten, wie dies geschah, als Sampiero durch Meuchelmord gefallen war. Auch Gaffori's heiliger Schatten sollte mit festlichen Todtenehren gefeiert werden; an diesem Tage aber auch der Schwur erneuert werden: Genua auf Tod und Leben zu bekriegen, bis es am Boden liege und Gaffori gerächt sei. Jeder, der es wagen würde, noch von Unterhandlungen mit dem mörderischen Gouverneur zu sprechen, sollte des Todes schuldig sein. Und damit nicht etwa Matra oder ein anderer ehrgeiziger Häuptling sich der Alleingewalt bemächtige, deren keiner mehr würdig schien, sollten fünf Männer die Regierung leiten, wozu man die bewährtesten Freunde Gaffori's auswählte. Als dies nun heimlich beredet war, begruben sie den Helden mit großen Ehren.

Maria Anna befand sich in der Kirche, wo Giampietro's sterbliche Hülle in die Familiengruft gesenkt wurde, sie hatte ihren Knaben an der Hand. Die Leiche stand vor dem Altar und die Gewölbe widerhallten von dem Schluchzen und Weinen, als sie durch die Menge schritt, ihren Gatten zum letzten Male zu segnen und zu küßen. Aber ihr Schritt war fest, und ihr blasses Gesicht voll Ruhe; dann, als sie vom Gebete sich erhob, nahm sie den Knaben und zeigte ihm den todten Vater.

Blicke ihn an, sprach sie mit lauter Stimme, und vergiß niemals, daß du sein Sohn bist. Hier an dieser Stelle schwöre mir, daß du sein willst wie er, ein freiheitsliebender, kühner Mann, ein Corse mit Seele und Leib, ein unerbittlicher Feind der Feinde deines Vaterlandes, ein unerbittlicher Rächer an den Mördern deines Vaters. Schwöre, Luigi, daß Jeder es höre!

Wie es der Knabe geschworen hatte, segnete und küßte sie ihn und führte ihn fort. Das Schweigen der Bewunderung begleitete die heldenmüthige Frau. Verborgen in ihrem Hause wagte Niemand die Trauer zu stören, doch als Francesco gerichtet wurde, kam der alte Propst zuerst wieder zu ihr.

Francesco hatte vor dem hohen Gerichtshofe sein Verbrechen eingestanden, doch was ihn dazu getrieben, gestand er nicht. Er erklärte, daß er seinen Bruder gehaßt habe, weil dieser ihn geringschätzig behandelte, noch mehr aber, weil er gemeint, Giampietro strebe nach der Königskrone und stürze Corsika aus Ehrgeiz in Krieg und Elend. Dann wälzte er die Schuld auf die Romei, die ihn verlockt und gehegt, zumeist auf Therese und Antonio, welche ihm zugeschworen, daß Thomas Cervoni in ihrem Bunde sei, Alles wisse und Alles billige. Endlich erzählte er, was zu dem Morde verabredet worden, wie er den Bruder verlockt und wie er ihn wehrlos gemacht, zuletzt auch, wie Gaffori überfallen und niedergeschossen wurde. Antonio riß aus des Sterbenden Tasche die Briefe, welche man in des Doria Wohnung in Ajaccio gefunden, die Gaffori mit sich genommen, um Thomas zu überzeugen, und er schwang sie triumphirend, eben als Maria Anna auf dem schrecklichen Platze erschien.

Ich komme zu Euch, meine Tochter, von Zweien, die von Euch Vergebung fordern, sagte der Propst. Zunächst von Thomas Cervoni, den der Gerichtshof freigesprochen hat von Schuld, den aber das eigene Gewissen schuldig spricht. Sein Herz ist tief getroffen, es wird sich kaum jemals wieder erholen. Unglücklich und gebeugt fleht er Euch an, ihm zu verzeihen, im Namen des Freundes, den er verrathen half.

Maria Anna sagte mit sanfter Miene:

Gott vergebe ihm, wie ich ihm vergebe! Gaffori's Liebe war bei ihm bis zu seiner letzten Stunde. Könnte er niedersteigen aus dem Himmel, er würde ihn segnen; so thue ich es für ihn.

Und nun, meine liebe Tochter, fuhr der alte Priester leiser fort, nun fleht ein anderer, unseliger Mann zu Euch, nach Gnade ächzend. Streng ist der Spruch des Gerichtes für ihn gewesen, ein entsetzlicher: – Francesco soll morgen auf dem Rade sterben!

Maria Anna antwortete nicht, aber ihr Gesicht wurde so kalt und empfindungslos, wie es seit ihres Gatten Tod gewesen.

Reuig hat er sein schreckliches Verbrechen bekannt, fuhr der Propst fort. Gott ist gnädig und barmherzig, seid Ihr es nach seinem Bilde. Vergebt ihm!

Niemals kann und will ich ihm vergeben, niemals! antwortete sie mit Festigkeit.

O, mein Kind! mein Kind! seufzte der alte Priester, laßt Euer Herz mild werden. Denkt an den, der am Kreuze litt, denkt an die schmerzensreiche Gottesmutter!

Maria Anna faltete ihre Hände.

Er hat sein Vaterland verrathen, nicht seinen Bruder allein, sagte sie.

Sterben muß er und sterben will er, sprach der Propst, doch laßt ihn nicht qualvoll enden in solcher Marter. Bittet für ihn um leichten Tod. Edel und groß tragt Ihr Gottes Willen, seid edel und groß auch gegen ihn.

Da wachte das corsische Weib in Maria Anna auf, ihre Augen glühten und ihre Lippen bebten.

Habt Ihr nicht gehört, rief sie stolz und heftig, daß ich den Knaben schwören ließ, ewig seines Vaters Mörder zu hassen, sie zu verfolgen, zu tödten, zu vernichten? Rache an jedem von ihnen zu nehmen, blutige, unversöhnliche Rache! – Und ich, Gaffori's Wittwe, ich sollte für diesen Mörder bitten? Nein, und tausend Mal nein! Er soll sterben nach des Gesetzes Spruch. Sterben, wie seine verfluchte That es verdient.

Der Priester wandte sich schweigend fort, senkte seinen Kopf und schritt nach der Thür. Da eilte sie ihm nach und umklammerte seine Hände.

O, mein Vater! mein Vater! rief sie im ausbrechenden Herzensjammer, wißt Ihr nicht, wie namenlos elend ich bin? Geschlagen, wund, zum Tode getroffen!

Sie legte ihr müdes Haupt an seine Brust, er hielt sie lange in seinen Armen und hörte ihr Aechzen. –

Geht in ein Kloster, Maria Anna, sagte er endlich im Dienste Gottes und im Gebet werdet Ihr Frieden finden.

Sie richtete sich mit ihrer Kraft auf und schüttelte die Thränen ab. Nicht also, sprach sie mit mildem Ernst, denn ich habe einen Sohn, den ich zum Mann erziehen muß. Er bedarf seiner Mutter.

Ja, du hohe, stolze Frau! rief der alte Priester, und wie vor der Himmelskönigin stand er vor ihr, gläubig und demüthig, du weißt, was gut ist. Lebe für deinen Sohn, daß er deine Tugend erbe, daß er seines Vaterlandes Ehre sei!

Maria Anna aber hat nicht lange mehr auf Erden verweilt. Nach einigen Jahren schon legte man sie in die Gruft zu ihrem Gatten, der Propst folgte ihr bald nach. Gaffori's Sohn starb als französischer Marschall, doch seinen Vater erreichte er nicht in Heldenmuth und Bürgertugend; er war zu klug dazu. Thomas Cervoni krankte lange an Schwermuth und lebte in tiefer Zurückgezogenheit; als jedoch drei Jahre darauf Pasquale Paoli als Präsident an die Spitze der Republik berufen wurde, und der wilde Emanuel Matra sich mit Genua verband, im Grimm, daß man ihn nicht erwählt, rettete Thomas mit den Männern von Niolo den belagerten Präsidenten, und Matra fiel von seiner Hand. – Von den Romei hat Niemand mehr gehört. Therese's Leiche wurde nie gefunden. –


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