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Als die Abendsonne durchs Fenster schien, saßen Vater und Sohn am Tische sich gegenüber, die Mutter mehr zurück mit einer häuslichen Arbeit beschäftigt. Der ganze gewerbsame Thalgrund der Gemeinde Hottingen und die Berghöhen, welche sie einschließen, ließen sich durch das eine Fenster des großen Gemaches überblicken, das andere schaute auf die Stadt Zürich hinaus und auf den Seestreif, welcher zwischen den Hügelgesenken schimmerte. –
In der Nähe des Hauses waren Arbeiter an dem Bachgerinne mit dem Spülen großer Zeugstücke beschäftigt; ein langes, niedriges Gebäude enthielt eine Färberei und Druckerei, und das Gartenland zu beiden Seiten trug statt der Bäume Pfähle und Rahmen, welche mit rothfarbigem Kattun bespannt waren. Es ist dies somit eine der mannigfaltigen kleineren Fabriken, welche in dieser Gemeinde zahlreich sind, und der untersetzte breitschulterige Mann mit grauendem Haar und starkknochigem, hagerem Gesicht, der in grober Halbjacke dort sitzt und in feinen rothgefärbten Händen ein Messer und ein Stück Brot hält, ist der Fabrikant David Schwarz.
Er hat nichts an sich von den Vorstellungen, welche man sonst wohl mit dem Namen eines Fabrikanten zu verbinden pflegt, ein gewöhnlicher Arbeiter kann kaum anders einhergehen; dennoch ist er ein Mann, der für wohlhabend gilt, gute Geschäfte macht, und von dem Viele, die ihn kennen, sagen, daß er so gut zu rechnen wisse, wie irgend ein Schweizer, was bei einem so besonnenen und klug rechnenden Volke gewiß ein großes Lob ist.
Dies Lob vermehrte sich noch mehr dadurch, daß David Schwarz eigentlich kein Schweizer war, sondern von Geburt ein Deutscher; selten aber wird ein Deutscher von den Schweizern gelobt werden, wie eng verwandt und eines Stammes beide auch sind, am wenigsten aber werden die Deutschen gelobt, welche sich in der Schweiz niederlassen und Gewerbe und Geschäfte dort beginnen, was die Schweiz durchaus nicht leiden mögen, indem sie als rechtschaffene Patrioten meinen, daß ihnen dadurch von Fremden ihr Brot geschmälert werde.
Es war jedoch mit dem kleinen Fabrikanten in Hottingen etwas Anderes. Vor dreißig Jahren kam er als wandernder Färbergesell hierher, heirathete des Meister Tochter, und arbeitete sich darauf durch emsigen Fleiß und Sparsamkeit, Tugenden, welche nirgends mehr geschätzt werden, als in der Schweiz, bis zu seiner gegenwärtigen Höhe. Dabei machte er es nicht wie manche wohlhabend gewordene Gewerbsleute, welche so bequem als möglich zu leben suchen, sondern wie vor dreißig Jahren lebte er genügsam weiter, wie es der rechte Schweizer thut; auch hatte er sich dermaßen zum Schweizer gemacht, daß er von deutschem Wesen und deutscher Art nichts wissen wollte, vielmehr darauf losfuhr, sobald sich Gelegenheit dazu fand.
Vor ihm stand auch jetzt, da er sein bescheidenes Nachtmahl hielt, – denn die letzten seiner Arbeiter gingen so eben heim, – nach Schweizer-Sitte auf irdenem Teller ein großes Stück Käse, dazu jedoch keine Butter, welche ein echter Schweizer verschmäht und an deren Bedarf und Begehr man sogleich den Deutschen erkennt. Den Käse aber nahm David Schwarz, eben auch wie der richtige Schweizer, zwischen seine Finger und säbelte Stück für Stück in dünnen Schnitten herunter, ab und zu aber griff er nach der weißen Flasche daneben, schenkte das dunkelgelbe Getränk, welches diese enthielt, in ein spitzes Glas, und trank es in langen Zügen, ohne eine Miene zu verziehen, was wiederum nur der wirkliche Züricher-Schweizer vermag, denn es war echter Seewein, der jedem anderen menschlichen Wesen sonderbare Empfindungen verursacht.
In dem großen Gemach befanden sich nur Holzstühle und ein mächtiger Holztisch mit eichener Platte; im Hintergrunde aber lagen hochaufgeschichtete Stöße fabrikmäßig zusammengelegter Kalikostücke, in deren Nähe Frau Regine Schwarz in ihrer Haustracht mit Kamisol und Vorstecketuch saß und ein großes Knäuel Garn aufwickelte. Die alte Frau paßte durch Gestalt und Wesen trefflich zu ihrem arbeitssamen Mann. In ihrer Backenhaube mit grobem, zusammengedrücktem Gesicht, dem es nicht an verständigem Ausdruck fehlte, sah sie aus wie die thätige Gefährtin eines Arbeiters, die keine Scheu kennt selbst anzufassen, was anzufassen nöthig ist; auch hatte sie sicherlich nie etwas Anderes gewollt noch gedacht, als ihrem Manne schaffen zu helfen und dessen getreulicher Beistand zu sein.
Die Harmonie in dieser Familie wäre vollkommen gewesen, wenn der Sohn an der anderen Seite des Tisches Vater und Mutter geähnelt hätte, dies war jedoch nicht der Fall, und eben deswegen brach David Schwarz sein Brot heut mit Aergerniß und schnitt wild in den Käse hinein, ohne an Sparsamkeit zu denken. Der junge Mensch merkte nichts davon, kreuzte seine Füße, stützte seinen Kopf in seine Hand und sah zum Fenster hinaus. Er hatte ein einnehmendes, stolzes Gesicht, große blaue Augen, lichtbraunes Haar, und war modisch fein gekleidet. Man hätte nicht leicht errathen können, daß er diesen Eltern angehörte, und doch war er ihr einziger Sprößling, vor einem Monate erst nach langer Abwesenheit auf deutschen Universitäten ins Vaterhaus zurückgekehrt und am gestrigen Tage dort vier und zwanzig Jahre alt geworden.
Es hatte eine Familienscene soeben zwischen dem Sohn und seinen Eltern stattgefunden, in deren Folge jetzt eine allgemeine Verstimmung eingetreten war, allein beendet war die Angelegenheit damit nicht. Eben als ein rother Sonnenblitz in das Glas mit dem Seewein fiel, der dadurch verlockend funkelte, fing David Schwarz von Neuem zu sprechen an.
Ich wollte, sagte er ohne seinen Sohn anzublicken, ich hätte was Gescheuteres gethan, als dich nach Deutschland geschickt. Ist kein Land, wo's praktische Leute giebt, haben die Köpfe all' voll da mit Einbildungen. Ich habe dir aber jetzt meine Meinung gesagt, Heinrich, mußt Einsehen haben.
Ich habe dir ebenfalls meine Meinung gesagt, antwortete der Sohn.
Was ist denn geworden mit deiner Gelehrsamkeit? rief der alte Mann, kommst freilich als ein Doctor zurück, hat Geld genug gekostet, kannst aber nicht einmal dein Brot verdienen.
Ich kann und werde mein Brot verdienen, Vater, wenn es so sein muß.
Ist helle Narrethei! schrie David Schwarz. Habe mich danach umgethan, habe nur Achselzucken und Gelächter bei gescheuten Leuten gefunden. Hättest du was Ordentliches gelernt, ging's noch an, könntest Advocat werden, oder die Seefieber curiren; statt dessen hast dich da außen in Deutschland mit Dingen eingelassen, welche sie Philosophie nennen. Ist der richtige Hokuspokus für die deutschen Hansnarren, hier zu Lande aber können wir keinen Gebrauch davon machen.
Davon verstehst du nichts, Vater! sagte des Doctor kalt lächelnd.
Es ist mir auch herzlich lieb, daß ich nichts davon verstehe, antwortete der alte Mann. Es hat mir jemand erzählt, dein großer Professor habe einmal aufrichtig versichert, von allen seinen Schülern habe ihn nur einer verstehen können, und der habe ihn leider mißverstanden. Ich weiß nicht, ob du der gewesen bist, Heinrich.
Er lachte auf und seine harten Augen bekamen einen schelmischen Glanz, aber der Doctor strich sich durch sein üppiges, braunes Haar und versetzte ärgerlich erröthend:
Auf solchen jämmerlichen Spott läßt sich nichts antworten. Der Kern alles Wissen ist nicht für seichte Menschen gemacht, die richtig zu denken nicht begreifen können.
Oho! rief David Schwarz mit einer spöttischen Verbeugung, potz alle Wetter! ist das die Sach? Hast also das richtige Denken gelernt, Heinrich? Sapperment! bist mein Mann. Ist mir eine wahre Herzensfreude, daß mein Sohn die Kunst gelernt hat, seine Gedanken immer richtig beisammen zu haben.
Das hoffe ich zu aller Zeit dir zu beweisen, sagte der Doctor.
Und mehr verlange ich nicht, fiel sein Vater ein, es kann kein Mensch mehr verlangen. Wirst darum auch sicherlich einsehen, wie Recht deine Eltern haben. Es soll jeder Mensch sein Brot erwerben, und ist eine Schande für Jeden, der die Kinderschuhe ausgezogen hat, noch wie ein hülfloses Kind zu sein, um welches Vater und Mutter sorgen müssen. Darum kann's nicht länger so bleiben, Heinrich. Darin ist sicherlich kein richtig Denken, daß wir dich müßig gehen ließen. Wer unser Brot theilt, muß auch unsere Arbeit theilen.
Und wenn man einen Sohn hat, der's Schreiben so gut versteht, braucht man keinen Buchhalter zu bezahlen, rief die Mutter von ihrem Schemel her.
Ist auch sicherlich falsch gedacht, wenn der Herr Sohn etwa glaubt, er wäre noch da außen in Deutschland, fing der Vater wieder an. Willst du bei uns bleiben, so zieh' das feine Röckchen da aus und fang an in der Schreibstube. Sollst mir willkommen sein, sonst länger nicht.
Alle guten Leute sagen's! schrie die alte Frau von der anderen Seite. Und es ist ja unser einzig Kind, und ist Alles zu deinem Besten. Kein Knecht sollst du werden, sollst ein Herr sein, sollst deinen Vater stützen in seinem Alter, sollst theilen mit ihm.
Der junge Doctor hörte alle diese Vorwürfe und Vorschläge gelassen schweigend an, aber er blickte finster vor sich nieder. –
Wenn ein Vater für seine Kinder Vermögen sammelt, begann er darauf, als Stille eintrat, so ist das der größte Segen, den er ihnen hinterlassen kann; denn er setzt sie dadurch in den Stand, die Noth des Magens von sich abzuschütteln und ein edleres Leben zu leben. Wissenschaften und Künste können nur dadurch aufblühen, und alles Schöne und Edle kann nur dadurch gepflegt werden, daß es Menschen giebt, die sich nicht mit Arbeiten plagen und quälen dürfen, Arbeiten, die den Geist tödten.
Ah so! rief David Schwarz, aha! das ist dein richtig Denken. Meinst, hat mein Vater sich mit niederer Arbeit abgeplagt, kann ich es genießen. Kann mich hinsetzen und ein erquicklich, lustig Leben führen. Meinst es so?
Ja, Vater, so mein' ich es, versetzte der Doctor, obwohl in einer anderen Bedeutung. Ich will nicht zu den Lastthieren der menschlichen Gesellschaft gehören. Ich will nach meinen Neigungen leben, mich meines Lebens freuen, zu der Klasse mich gesellen, die den höheren und besseren Theil der Menschheit enthält.
Den besseren Theil? Aha! rief der alte Mann, und indem er seine Kappe um den mageren Kopf drehte, setzte er grämlich hinzu: Wär der Bub' mir nicht da außen in Deutschland gewesen, ständ's besser mit seinem richtigen Denken. Aber ich versteh dich wohl, Heinrich, du hältst die arbeitenden Menschen für den Schlamm, die reichen und vornehmen für die fruchtbare Erde, möchtest nicht mit dem Schlamm leben, hältst dich für zu gut dazu, bist aus besserem Stoff gemacht. Meinst so? Ist aber all' dein Denken falsch und nichtig. Ich könnte dir Viele, die zu den Ersten im Lande gehören, nennen, die ihr einfach Brot und Käse essen wie ich, arbeiten und schaffen ohne Unterlaß wie ich, und darum eben so hoch in der Achtung stehen.
Wir sind ja auch ein Volk von Krämern und Arbeitern! rief der Doctor geringschätzig lachend, darum haben wir auch nie etwas Großes geleistet.
O, du Allerweltsbub! schrie David Schwarz, bist bei deinem richtigen Denken zum Verächter deines Vaterlandes geworden? Bist du nicht ein Schweizer? Bist du nicht stolz darauf, zu einem freien Volke zu gehören, wo's keine Unterschiede giebt? Einem Volke, das den Tell hervorgebracht hat?
Sprich nicht von alten, vergessenen Geschichten, die obenein Märchen sind.
Märchen! Was? das sagst du, der du ein Schweizer bist? Willst an dem Tell zweifeln?
Er schüttelte unwillig den Kopf und sprach zu der alten Frau hin:
Ich hab's immer gesagt, das deutsche Blut geht nicht heraus aus ihm, und da wir zugegeben haben, daß er zu dem Volke hinaus durfte, das alle Dinge auf Erden bezweifelt, selbst Gott in seinem Himmel, immer richtig denkt und immer 's Verkehrte thut, ist's nicht zu verwundern, daß er so verkehrt zurückgekommen, als wär' er ein richtiger Schwab.
In seinem Aerger mußte Heinrich doch über diesen Trost seines Vaters lachen.
Wüthe doch nicht gegen dein eigen Fleisch und Gebein, sagte er, denn bist du nicht selbst ein Schwab und ein Deutscher, und wirst dein deutsches Blut doch nimmermehr los werden können.
Nicht ein Tropfen ist mehr davon in mir! schrie ihn der Vater an, bin mit Leib und Seel' ein Schweizer geworden und will's dir beweisen. Habe keinerlei Faselei und Träumerei angefangen mein Leben lang, habe nicht gemeint, ich denke richtig, habe aber richtig gehandelt. Habe meine Augen alle Zeit klar aufgemacht, von damals an, wo ich deine Mutter nahm. Es kam uns beiden nicht in den Sinn, ein lustig Freudenleben führen zu wollen, aber es war ein richtig Streben und Schaffen in uns, ein einfach schweizerisch, häuslich Walten, ohne Flimmer und Geprasch.
Und kannst du es nicht eben so machen, wie dein Vater? fiel die alte Frau ein, kannst du nicht auch eine gesegnete Heirath thun, ein Mädli nehmen, das dich hochhebt? Bist guter Leute Kind, brauchst keine von der Straße zu holen.
Habt ihr etwa auch dazu schon eure Pläne fertig? fragte der Doctor.
Warum nicht? sagte David Schwarz. Ist Zeit dazu, dir eine ordentliche Frau an die Seite zu stellen.
Und dort schau' hin! rief die Mutter, indem sie ihre Hand ausstreckte, da steht Eine, die's mit den Besten auf nimmt.
Heinrichs Augen folgten der Richtung ihres Fingers, und er erblickte jenseit des Baches, wo eine Hecke den Garten von dem nebenliegenden Grundstücke schied, eine weibliche Gestalt, welche soeben daraus hervortrat.
Anna Frings, sagte er. Ich hab's beinahe gedacht, aber –
Das Annli ist heut erst vom Begräbniß seiner Muhme aus Winterthur zurückgekommen, unterbrach ihn die Mutter. Die ganze Woche über ist's dort geblieben, bis das Testament ist aufgemacht worden. Alles hat sie geerbt, an die sechszig tausend Gulden, und hat vom Vater doch schon genug. Hat das herrlich große Haus und Geld obenein.
Sie ist so alt wie ich, wohl noch älter, und dabei –
Hast ein gesetztes Wesen nöthig, kannst kein jung Ding nehmen, das nichts zu leiten weiß, antwortete die Mutter eifrig.
Ist nothwendig, Heinrich, daß Annli deine Frau wird, sprach David Schwarz mit solcher Gewißheit, als sei's unabänderlich richtig. Ich hab's mit deiner Mutter reiflich überlegt. Ihr paßt zusammen. Du trittst ins Geschäft und heirathest das Annli, kannst nimmer besser ankommen.
Es ergab sich nun aus der darauf folgenden Verhandlung, daß der würdige Fabrikant und seine Gattin schon seit langer Zeit darüber einig waren, Jungfer Anna Frings zu ihrer Schwiegertochter zu machen. Sie war die Erbin eines wohlhabenden Schneiders, der durch Landankauf und Häuserbauen Vermögen erworben hatte. Freundschaft war immer zwischen den Nachbarn gehalten worden, und Jungfer Anna's häusliche und wirthschaftliche Tugenden standen bei der alten Frau in hohem Ansehen. Als aber Heinrich zurückkehrte, und bald darauf die Muhme in Winterthur starb, wurden die geheimen Wünsche noch weit lebhafter, dem Sohne ein solches Glück zu sichern.
Verschiedene Hindeutungen darauf blieben jedoch leider fruchtlos, Heinrich hatte keine Augen für Annli's Reize und Vorzüge, er fühlte ohngefähr denselben Schauder davor, wie vor den Ermahnungen seiner Eltern, die nichtsnutzige Gelehrsamkeit an den Nagel zu hängen und den Comptoirrock anzuziehen. Ein beschränktes Leben ohne Genuß, ohne Zerstreuung, ein Leben wie das Leben seiner Eltern, und zum Ersatz ein Dasein an der Seite dieser Frau, die keinen Sinn für Höheres, wie er es nannte, besaß, jagte ihm Entsetzen ein. Er hatte das ahnungsvolle Grauen davor auch in ihrer Nähe von Anfang an empfunden und sich wohl gehütet, irgend einen Anlaß zu Vertraulichkeit zu geben.
Schön oder einnehmend von Gestalt war Anna Frings auch wahrlich nicht. Ihre grauen Augen waren so scharf, wie ihre Nähnadeln, und ihre schmalen dünnen Lippen, welche nicht recht die vorspringenden Zähne bedecken wollten, vermehrten den Eindruck von Sparsamkeit, strenger Ordnungsliebe und Verachtung jedes Leichtsinns, der überhaupt ihr aufgeprägt war. Bedächtig und verständig war sie allerdings, und eben deswegen auch hatte sie noch keinen gefunden, der ihr würdig genug geschienen hätte, ihm ihre Hand zu reichen; nun aber gab es Zeichen, daß der junge Nachbar ihr Herz gerührt hatte, der klugen Mutter war dies nicht verborgen geblieben.
Sie kommt richtig zu uns her, sagte sie. Lauf ihr entgegen, Heinrich, heiß sie willkommen, und drück ihr deine Freude aus, sie wieder zu sehen.
Damit würde ich jedenfalls eine Lüge sagen, erwiederte der junge Mann, ohne sich zu rühren.
Bist ein solcher Narr, rief David Schwarz auf den Tisch schlagend, und willst im richtigen Denken ein Meister sein!
Denke doch ans große Hans, streichelte die Mutter, kannst dich mitten hineinsetzen.
Können auch nirgend anders eine Dampfmaschine aufstellen und das Geschäft vergrößern, als drüben auf dem Bauplatz, der ihr gehört, sagte der Vater.
Und alle Kisten sind voll, und das Annli ist die Ordnung selbst, mahnte die Mutter.
Und es ist unser Wille so und nicht anders, sprach der Vater mit vollem Nachdruck. Jetzt zeig', ob ein richtig Denken in dir ist.
Daran fehlt es mir nicht, Vater.
So thue nach deiner Mutter Gebot. Lauf und bring' sie uns herein, da ist sie schon am Steg.
Ohne etwas darauf zu erwiedern, ging Heinrich hinaus, und David Schwarz verzog sein Gesicht zum heimlichen Lachen und blickte durchs Fenster. Anna Frings kam über den Steg auf das Haus zu, blieb aber dort stehen und bückte sich einige Male an das Bachgerinn nieder, ehe sie weiter ging. Ihre lange Gestalt steckte in Rock und Jacke von schwarzem Kamelot, und ihr Gesicht umhüllte ein großer, grober Strohhut, der mit einem schwarzen Bande unter dem Kinn festgeknüpft war.
Wohlgefällig sah David Schwarz, wie sein Sohn vor ihr stand, und wie sie ihm ihre Hand reichte. Ihre feste, laute Stimme schallte herein, und er konnte sich nicht enthalten, der alten Frau mit bedeutungsvollem Grinsen zuzunicken.
Schau an, Regli, wie sie heiter sein kann, rief er dabei, und den Arm ihm einschiebt, als sollt er nicht wieder los davon.
Mußt nicht allzu hastig sein, David, winkte die Mutter nicht weniger befriedigt. Mußt den Spieß langsam drehen.
Ei, es ist Alles auf dem besten Wege, sprach er dazwischen. Schmied's Eisen, dieweil es heiß ist. Sie wird ihm das Paradies schon zeigen, wohin er gehört, wird ihm zeigen, aus welchem Stoff er gemacht ist.
Die gute Meinung des praktischen Mannes ging bald in Erfüllung. Nach einigen Minuten kam Anna Frings herein, besonders freundlich und belebt.
Grüß euch Gott! rief sie, so wie sie eintrat, und die beiden alten Leute kamen ihr entgegen. Der Vater nahm seine Kappe ab und streckte seine Hand aus.
Sie sieht nicht eben zart und weiß aus, sprach er, ist aber altschweizerisch, getreu gemeint.
Ich liebe auch nicht die zarten Fingerchen, die nichts anfassen können, erwiederte Anna Frings, sondern halte es mit einer ehrlichen, festen Hand.
Die Mutter hatte inzwischen beide Hände um Anna's Arme gelegt, bekam einen Kuß und sah zärtlich zu der langen Jungfer hinauf. Wir müssen Euch unsere Theilnahme ausdrücken, daß Ihr in Trauer seid, sagte sie, aber es entstellt Euch nicht, lieb Annli, nein wahrlich es entstellt Euch nicht.
Mit diesem Troste führte sie Anna zu einem Stuhle, und nun kam's zum Erzählen über das Ende der Muhme und über die Vorgänge, welche damit in Verbindung standen, wobei es sich bestätigte, daß wirklich das ganze Vermögen der glücklichen Erbin zugefallen sei.
Diese benahm sich mit vieler Fassung und sagte endlich, da die alte Frau ihr Glück wünschte, daß sie so reich bedacht worden:
Es waren freilich noch Mehre da, die zu erben vermeinten, aber die Muhme wußte, daß ihre Habe in unrechte Hände fallen würde. Solchen Leuten, die ihr Eigenes nicht in Ordnung halten können, wollte sie nichts hinterlassen. Sie schreien wohl nun über Hartherzigkeit, sind jedoch nichts Besseres werth. Wer nur auf Prassen und Schwelgen sinnt, keine Ordnung hält und Arbeit scheut, muß ausgekehrt werden. Das wußte die Muhme auch und hat darum nichts gethan, um Faulheit und Schande zu unterstützen.
Die alte Frau sah über Anna's Achsel fort nach ihrem Sohn hin, der zur Seite saß, und David Schwarz dehnte seine Lippen bis ans andere Ohr und sprach bekräftigend:
Eine Schande ist's, Ihr habt Recht, Annli, wenn ein Mensch nicht arbeiten will, oder hält sich zu hoch dazu. Ist ein unvernünftig Begehr, ohne richtig Denken, aber ist selten hier zu Lande. Gott sei's gedankt.
Es wird die Welt immer leichtsinniger, versetzte Anna Frings; seht nur hin, wohin Ihr wollt, Alles will Wohlleben, will Pracht und Verschwendung. Viele haben mich angesehen, daß ich mich nicht in schwarze Seide stecke und in Kanten, um die arme rechtschaffene Muhme zu betrauern. Aber sie würde sich umkehren in ihrem Grabe, wenn ich's thäte, denn ihr Lebtag über war sie sparsam, und – ich mag's nicht! fuhr sie mit stärkerem Tone fort, ich will so einfach bleiben, wie ich bin, denke auch nicht, es hält mich Einer darum höher oder schlechter, weil ich meine Gulden nicht für Tand auswerfe und mit Tand mich behänge, wie es leichtsinnige Mädchen thun.
Gott bewahr's! rief die alte Frau, ist ja eben Eure Tugend, lieb Annli.
Nein, nein! sagte David Schwarz zu gleicher Zeit, ist unnatürlich ausländisch Wesen. Ein echtes Schweizer Mädchen thut's nicht, und ein echter Schweizer liebt's nicht.
Oh, sagte Anna, indem sie die schmalen dünnen Lippen von ihren Zähnen zog und dabei auf ihren Nachbar blickte, die jungen Herren machen's nicht besser.
Heinrich nicht, er nicht! schrie David Schwarz.
Wirklich nicht? fragte Anna Frings, und mit den scharfen, grauen Augen ihn anleuchtend, fügte sie hinzu: Ich sollte es dennoch meinen!
Mein Vater hat Recht, erwiederte der Doctor. ich will nicht sagen jeder Schweizer, aber jeder verständige Mann muß die übertriebene Putz- und Verschwendungssucht der Frauen verdammen, und ihre Eitelkeit und Gefallsucht als ein übles Merkmal für den sittlichen Verfall unserer Zeit betrachten. Einfachheit des Lebens und Einfachheit der Sitten sind das Beste, was Völker und Menschen wünschen und erstreben können.
David Schwarz war ganz erstaunt, seinen Sohn so vernünftig reden zu hören. Er that seine Augen weit auf, schob seine Kappe rund um den Kopf, schlug darauf und rief beglückt:
Es ist ein echter Schweizer, Annli, hab' meine Freude an ihm, und hoffe noch mehr, denn morgen wird er im Comptoir sitzen und seinem Vater Beistand leisten.
Wird Theil nehmen an unserer Arbeit, sagte die Mutter.
Freilich wird's zuweilen unsaubere Händ' dabei geben, lachte der Vater, indem er seinem Sohn auf die Schulter schlug, ist aber keiner von denen, die sich davor fürchten.
Nein, nein! schrie die alte Frau, das Herz bleibt sauber und rein.
Und sitzt auf dem richtigen Fleck, fiel David Schwarz stolz zuversichtlich ein, ist ein echt altschweizerisch Herz. Echt gefärbt, nichts Falsches daran.
Wie mich das freut zu hören, sagte Anna Frings, die schmalen Lippen wiederum in die Höhe ziehend und ihre Augen derartig auf den Besitzer des echtgefärbten Herzens richtend, daß ein heimlich Zittern durch sein Gebein lief. Sie beugte ihren Kopf nach ihm hin, und es war ihm, als wollte sie nach ihm schnappen. Er konnte es kaum über sich gewinnen, sie anzusehen und gewaltsam zu lächeln.
So werdet Ihr also hier bleiben, sagte sie, und wir werden gute Nachbarn sein.
Ich hoffe darauf, erwiederte er, und werde mir alle Mühe geben.
Und Ihr werdet mich willig finden, fuhr sie fort, immer Eure ergebene Dienerin zu sein.
Sagt – Freundin, Annli, sagt Freundin! rief David Schwarz. Ihr kennt ihn ja von früher Zeit an.
Wird's dem Herrn Heinrich gefällig sein, wenn ich es thue? fragte sie.
Was könnt ihm auf der Welt mehr Ehre machen! schrie David Schwarz. Sag's ihr, Heinrich, schütt' dein Gefühl aus.
Es wäre allerdings nicht schwer gewesen, eine passende Antwort zu geben, die dies Gespinnst weiter gebracht hätte, aber es waren der Fäden schon genug vorhanden, die sich dem Doctor um den Hals zu schnüren drohten.
Es würde mir schon zur allergrößten Ehre gereichen, sagte er, wenn ich es wagen dürfte zu glauben
Da er stockte und schwieg, blickte sie ihn überlegen an, und seine Blödigkeit machte ihr Vergnügen. Ihre grauen Augen leuchteten diesmal so erschreckend, daß er im ganzen Gesicht roth wurde.
Küß dem herzigen Annli die Hand, wie es sich schickt, schrie der Vater, und die Mutter schrie:
Zeige dich dankbar, Heinrich, gleich bezeige dich dankbar.
Wahrscheinlich hatten Beide gedacht, daß Anna Frings ihm den Mund statt der Hand bieten würde, um den Freundschaftsbund zu besiegeln, aber Heinrich fuhr so rasch auf die Hand nieder, als wär's ihm eine Seligkeit, diese festen kräftigen Finger an seine Lippen zu bringen, und Anna Frings hielt so herablassend still, wie ein Fürst, der einem Unterthanen den Handkuß erlaubt.
Was dabei in ihr vorging, drückte sich in dem Lächeln aus, mit dem sie ihren Verehrer betrachtete. Es war so siegesgewiß und sicher, als wüßte sie alles, was diese Familie unter sich soeben abgemacht, und wollte es in Gnaden gestatten, wenn er immerdar gehorsam und nach ihrem Willen sich verhalten wolle.
Nun gut, sagte sie, so wollen wir Freunde sein, und ich will's eingestehen, daß ich's nicht erst zu werden brauche. So habe ich auch wohl daran gedacht, daß gestern Euer Geburtstag war, und wäre gern hier gewesen, Euch meine Glückwünsche zu bringen. Da es aber nicht sein konnte, bringe ich sie heute, wünsche, daß Alles in Erfüllung gehen möge, was Ihr vorhabt, und hier ist mein Angebind – nehmt's wohlgefällig auf, so gering es ist.
Aus ihrem Mieder nahm sie dabei ein Vergißmeinnicht, das dort verborgen gesteckt, und jetzt wußte David Schwarz, weshalb sich Anna Frings am Steege gebückt hatte, dort wuchsen solche Blumen. Aber wo gab's ein besseres Zeichen als dies von ihrem Einverständniß? Es war kein Zweifel mehr, daß nur das Wort gesprochen werden durfte, um in Richtigkeit zu sein.
Bist ein Glückskerl, Heinrich, schrie er auf, wirst um keinen Preis dich von Annli's Blume trennen.
Nein, nein! schrie die Mutter, wirst sie auf deinem Herzen tragen.
Schwör gleich wie ein echter Schweizer, daß du es getreulich bewahren willst, als wär's das liebe Annli selbst, fuhr der fröhliche Vater fort, und er hätte es wahrscheinlich zu Stande gebracht, feinen Sohn auf die Kniee niederzudrücken, denn mit etwas mehr als sanfter Gewalt legte er seine kräftigen Hände auf Heinrichs Schultern, aber Anna Frings selbst hinderte diese stürmische Entwickelung.
Haltet ein, sagte sie, es ist genug für jetzt, ich hoffe nicht, daß ich vergessen werde. Die Wochen, wo ich noch Trauer tragen muß, will ich keine Schwüre hören: kommt aber recht oft zu Eurer Freundin, Herr Doctor, Ihr werdet willkommen sein. Jetzt laßt uns von anderen Dingen sprechen.
Nach einer Stunde ging Anna Frings und wurde bis an die Heckenthür von Allen begleitet. Zuletzt noch gab sie Heinrich ihre Hand, und er fühlte den Druck durch den ganzen Arm. Besucht mich morgen gleich, sprach sie, Ihr mögt mir rathen und helfen bei meinen Schreibereien. Jetzt gute Nacht, legt mein Angebinde unter Euren Kopf und träumt von mir.
Mit diesem zärtlichen Wunsche schlug sie das Gitter zu, und David Schwarz umarmte seine kleine Frau und führte sie im Triumph nach Haus. Heinrich ging hinter Beiden her, schweigsam anhörend, wie sein Vater bestimmte, wo die Dampfmaschine stehen sollte und das neue Fabrikhaus daneben.
Nimm's wahr, Heinrich, sprach er darauf. Warte nicht die zwei Wochen ab, bring' dich Morgen in Sicherheit.
Das ist auch meine Absicht, Vater.
Fang doch an zu glauben, lachte der alte Mann, daß du's richtige Denken zu Ehren bringst.
Ich hoffe es, versetzte Heinrich.
Bin's zufrieden, wenn du rasch den Beweis lieferst.
Du sollst ihn haben Vater, darauf verlaß dich.
Wo willst du hin? fragte David Schwarz, als er seinen Sohn über das Gerinn springen sah, wo ein Pfad zwischen den Häusern auf die Straße führte.
Noch etwas nachdenken, wie's Morgen geschehen muß, rief Heinrich zurück, lebet wohl bis auf Wiedersehen.
Ist doch ein Leichtsinn! schrie der Vater hinterher. So ein deutsches Unwesen, Abends spät im Wirthshaus hinter dem Schoppen zu sitzen, kommt dem richtigen Schweizer nicht vor.
Laß ihn nur, begütigte die Mutter, er wird bald anders werden.
Der Alte lachte.
Ei ja, sagte er, er wird anders werden, wenn's Annli commandirt. Die wird ihm das richtige Denken geben!
Am folgenden Morgen blieb es lange still oben im Hause, wo Heinrich wohnte. Die Fabrikarbeiten waren in voller Thätigkeit, David Schwarz klappte in seinen Holzschuhen umher, bald in der Färberei, bald in den Pressen. Endlich kam das Frühstück auf den Tisch, der träge Sohn ließ sich noch immer nicht blicken. Zuletzt nahm alle Geduld ein Ende, die Mutter ging selbst hinauf, aber sie kam erschrocken zurück. Das Zimmer war leer, einen Zettel fand sie mitten auf dem Tische, brachte ihn mit und reichte ihn ihrem Manne hin.
Während dieser las, zog sich sein Gesicht zusammen, und seine Hände zitterten, denn es war kein Zweifel, daß Heinrich auf und davon gegangen. Er las halblaut noch einmal was auf dem Papiere stand:
»Liebe Eltern!
Ihr müßt es mir vergeben, wenn ich auf einige Zeit euch verlasse. Du hast mir gestern den Rath ertheilt, Vater, nicht zu warten, sondern mich gleich morgen in Sicherheit zu bringen; ich befolge deinen Willen. Wenn ich nicht deine Arbeit theilen will, hast du mich aus dem Hause gewiesen; wenn ich Anna Frings nicht heirathen will, würde ich euch noch mehr erzürnen. Ich kann aber Beides nicht, denn mir widersteht's aufs Aeußerste. Ich kann nicht dein Gehülfe und Buchhalter sein, weil mein ganzes Wesen und Denken sich dagegen sträubt, und kann Anna Frings nicht heirathen, denn mit all ihrem Gelde ist sie so garstig und geizig, so wenig zu meinen Neigungen passend, daß ich kein größeres Unglück denken kann, als mit ihr zu leben. Ich verlasse euch also, weil mein richtig Denken mir sagt, daß ich gehen muß, aber ich bitte euch, verstoßt mich nicht aus euren Herzen. Gebt eure Pläne auf, laßt mich meinen Weg gehen. Ich habe dir zugesichert, Vater, daß ich mein richtiges Denken zu Ehren bringen will, das werd' ich halten. Sobald ich dies vermag, will ich vor euch hintreten, und mich rechtfertigen, eher aber sollt ihr mich nicht wiedersehen. Und so lebet wohl, und zürnet nicht.«
Der alte Mann stützte den Kopf in die Hand, sah vor sich hin und sprach zuletzt:
Das kommt davon, daß er da außen in Deutschland gewesen ist; wär gutes Schweizerblut in ihm, würde er nicht davongelaufen sein.
O, du große Güte! rief die Mutter ihre Hände zusammenschlagend, wenn er gar nicht wiederkommt!
David Schwarz verzog grimmig sein Gesicht. Schwatz nicht so thöricht, sagte er, es geht keine Woche ins Land, so ist er wieder da.
Er hat einen harten Sinn, antwortete sie seufzend.
Wär's ein richtiger Schweizer, fuhr er fort, sollt es mir bange werden um ihn. Aber da ist kein Stern von Dauer. Wohin will er, wenn das Geld fort ist? Arbeiten will er nicht, ist seine Sache nicht sich trotzig durchzuschlagen, und allzu viel Mittel um wohl zu leben können nicht in seinen Taschen sein. –
Dieser Gedanke erheiterte ihn sichtlich.
Sei nur gutes Muths, fuhr er fort, indem er seiner ängstlichen Frau die Hand reichte. Sobald das Geld verthan ist, wird er sich melden und reuevoll bitten, daß wir's ihm verzeihen.
Aber das Annli, das verzeiht's ihm nicht, klagte die alte Frau.
Es darf nichts davon erfahren, erwiederte er. Wenn sie wüßte, was er da geschrieben, so wär's vorbei. Kein Wort darf verrathen werden.
Er besann sich einen Augenblick und sagte darauf:
Wir können's zum Besten kehren. Sagen ihr, es brachte ein Brief gestern spät noch eine Einladung zu einem Geschäft nach Herisau, und in seinem Eifer hat sich Heinrich sogleich auf den Weg gemacht, um sein Probestück abzulegen. Schickt ihr viele Grüße und Seufzer, weil er sie nicht mehr sehen gekonnt, mußte aber mit dem frühsten Dampfer über den See fort.
Dieser Ausweg schien der allerbeste, und als er angenommen war, stiegen sie beide hinauf in des Sohnes Stube und überzeugten sich, daß er nichts mit sich genommen, als eine Reisetasche mit einiger Wäsche und wenigen Kleidern. Jetzt war's nicht länger zu bezweifeln, daß seine Flucht von keiner langen Dauer sein konnte, und mit wiederkehrender guter Laune lachte David Schwarz ganz behaglich und drehte die Kappe um seinen Kopf.
Laß ihn nur laufen, sagte er, das Vöglein fliegt schon wieder herbei und wird so zahm und demüthig kommen, daß es nicht ferner zu mucken wagt. Wollen ihm die Flügel dann schon beschneiden; jetzt lauf gleich hinüber und bring's dem Annli bei, was es wissen soll.
So geschah es denn auch, und während dessen entfernte sich Heinrich immer weiter von dem elterlichen Hause. Sein Vater sagte keine Unwahrheit, wenn er erzählte, daß sein Sohn ins Toggenburg, und nach Herisau, ins Appenzeller Land gereist sei, denn wirklich war der Flüchtling, nachdem er sich leise davon geschlichen, mit dem Frühdampfer den See hinaufgefahren, nur hatte er nicht Geschäfte in dem fabrikreichen Ländchen, sondern er wußte selbst nicht, was er beginnen und wohin er sich wenden sollte. Es war ihm unerträglich zu denken, daß er das arbeitsame einfache Leben seiner Eltern theilen sollte, da er so lange in Freiheit gelebt und von seinem eigenen Werthe und seinem Rechte erfüllt und fest überzeugt war; zu diesem aber gesellten sich noch andere Betrachtungen.
Bei aller praktischen Tüchtigkeit und Thätigkeit war sein Vater doch immer schwach gegen den einzigen Sohn gewesen, die Mutter war's mit all ihrem Schelten noch mehr. Der trotzige Sinn des jungen Mannes dachte somit nicht an Unterwerfung, er nahm als sicher an, daß seine Eltern ihre Wünsche aufgeben würden, vor Allem aber, daß ihre Absichten, ihn mit Anna Frings zu verheirathen, durch seine freiwillige Entfernung zu Ende gelangten. Sein ganzes Empfinden empörte sich gegen diesen Plan, welcher alle anderen Uebel, die ihn bedrohten, einschloß, und wenn etwas sein Benehmen rechtfertigte, so mußte es die sittliche Entrüstung sein, welche er empfand, daß man ihn an ein geiziges herrschsüchtiges Mädchen der allergewöhnlichsten Art verkaufen wollte, das keine andere angenehme Eigenschaft besaß, als ihr Geld.
Während der Morgenthau auf das Verdeck des Dampfers fiel, und dann die Sonne über die waldigen Schwytzerberge trat, ging er mit stolzen Schritten umher und freute sich seiner entschlossenen Handlung. Statt in dem kleinen Comptoir mit Aerger und Schaam zu sitzen, war er frei, statt knechtisch zu arbeiten, was ihm seiner Bildung und seinen Ansprüchen unwürdig erschien, trug ihn ein rasches Schiff in die Welt hinaus, statt Anna Frings gelbes Gesicht und schwarze Jacke zu sehen, sah er schöne schlanke Gestalten, liebliche Mädchen und Frauen, von feinster und edelster Gliederung, in eleganten Reisekleidern, von allem Luxus umringt, den Reichthum geben kann.
Wie viele verschiedene Nationen begegneten sich hier, wie viele Sprachen tönten durch einander. Da standen die zarten Töchter Englands mit feinen langgeschnittenen Gesichtern, dort eine dunkeläugige lebhafte Pariserin, und neben ihr eine russische Gräfin, aufs Reizendste anzuschauen. Alle, wohin er blickte, gehörten zu den auserwählten Kindern Gottes, denen die Welt gegeben ist mit ihrem Glück und ihren Schätzen; nicht zu den Sclaven der Gesellschaft, nicht zu den Heloten, welche Wasser und Holz schleppen, die schmutzig und gierig arbeiten, um leben zu können. Alle diese bevorzugten Wesen standen erhaben über dem Elend des Daseins; Geburt, Erziehung, glückliche Verhältnisse hatten sie darüber hinaus gehoben. Sie konnten reisen, konnten Geld ausstreuen, konnten in edlen Genüssen ihre Tage verbringen, ihren Geist mit allem Schönen beleben, sich an allem Hohen und Herrlichen erfreuen. –
Wenn er dagegen bedachte, wie Anna Frings sich benehmen würde, wenn sie sich auf diesem Dampfer befände, überkam ihn ein hohnvolles Lachen. Sie würde zunächst sich auf den zweiten Platz begeben, der größeren Billigkeit wegen, und dort mit Marktweibern und Bauern sich einpferchen. Sie würde ihren schrecklichen Hut mit den schwarzen Bändern aufsetzen und wie ein Pfahl aussehen in ihren schlumpigen engen Kleidern. Die übermüthigen prächtigen Damen würden sie durch ihre Gläser betrachten und über die Vogelscheuche lachen, und als hörte er dies Gelächter, sprang er mit rothem Gesicht auf und schwor nochmals, lieber bis an der Welt Ende zu laufen, als in die langen mageren Arme dieser Verführerin.
Der Dampfer war stark besetzt mit Fahrgästen, denn er nahm täglich diejenigen auf, welche den Rigi besteigen wollten, und setzte sie in Horgen ab, wo die Wagen schon bereit standen, welche die edle Touristenschaar täglich nach Zug schaffen. Auch Heinrich hatte seinen Platz bis Horgen bezahlt, und eben näherte sich das Schiff der Landungsstelle.
Alles regte sich nun, um zuerst auf die Post zu gelangen und die besten Plätze in Beschlag zu nehmen. Das Gepäck wurde herbeigeschleppt. Die Damen griffen nach ihren Reisebüchern, Karten, Mappen und Taschen, Herren und Diener beluden sich mit Mänteln, Nachtsäcken und Regenschirmen; am Ufer aber standen statt der Vielen, welche den Dampfer verließen, nur wenige neue Gäste, die ihm Ersatz dafür boten. Außer einigen Landleuten und Frauen mit Hauben und Mützen stand nur ein Herr dort, der wie ein fremder Reisender aussah, neben ihm zwei Damen in feinen Reisekleidern, Hüten mit Schleiern und kurzen Mäntelchen. Der Herr war von starker, hoher Gestalt und aristokratischer Haltung, an seiner Hand steckte ein großer blitzender Siegelring, die Damen hatten ihre Schleier zurückgeschlagen, und Heinrich glaubte in junge schöne Gesichter zu sehen.
Er stand an der Brüstung des Schiffes, um zu warten, bis dies leer sein würde, und heftete seine Blicke unverwandt auf die Fremden, welche ungeduldig den Tumult betrachteten. Sie sprachen mit dem Herrn, der die Koffer und Reisesäcke zählte und musterte, welche neben ihm lagen, plötzlich aber sah die eine der Damen zu dem Schiff hinüber, und indem sie den einzelnen Passagier an dem Geländer bemerkte, theilte sie ihrer Gefährtin etwas mit, das diese bewog, ebenfalls dorthin zu blicken. Sie hob den Kopf auf und wandte ihn wieder fort, aber dieser unbedeutende Vorgang hatte bestimmte Folgen.
In demselben Augenblick rief ihm der Conducteur des Dampfers zu, er möge eilen, da das Schiff gleich weiter gehen werde, aber er hatte die Lust verloren, es zu verlassen. Den Rigi hatte er mehr als einmal bestiegen, daß er jetzt plötzlich anderen Sinnes wurde, konnte er sich jedoch schwerlich genügend erklären.
Ich werde weiter mitfahren, sagte er.
Wohin? fragte der Conducteur.
Ich weiß es selbst noch nicht.
Der Conducteur hatte keine Zeit sich weiter aufzuhalten.
Die Erklärung genügte. Eben kamen die Fremden an Bord.
Der aristokratische Herr faßte an seinen kleinen Strohhut und fragte laut:
Nicht wahr, mein lieber Capitain, das Schiff geht bis Schmerikon?
Ja wohl, mein Herr! schrie der Conducteur und lief weiter.
Siehst du wohl, Helene, bis Schmerikon, rief der Herr zurück. Sieh nach den Koffern, Emma, daß nichts liegen bleibt.
Er ging nach dem Hinterschiff, wo so eben das schützende Sonnendach ausgespannt wurde. Das schöne große Fräulein, Helene genannt, folgte ihm nach, während Emma an der Brücke stehen blieb und das Einladen des Reisegepäcks bewachte.
Bei dieser Gelegenheit begegneten ihre Augen abermals denen des jungen Passagiers, welcher ihr gegenüber stand, und es kam ihm vor, als flöge über ihr blasses Gesicht eine feine Röthe. Seine geheime Theilnahme vermehrte sich dadurch, vielleicht auch that es ihre Schüchternheit und die geduldig stille Art, mit der sie das Gebot des aristokratischen Herrn erfüllte.
Bringt doch rasch das Gepäck dort herein, rief er einem der Schiffsleute zu, und da sein Auftrag sogleich erfüllt wurde, neigte die junge Fremde mit einem dankbaren Lächeln den Kopf.
In dem Augenblicke kam auch der Conducteur zurück.
Also wohin, mein Herr? fragte er nochmals.
Nach Schmerikon, erwiederte Heinrich laut und ohne Zögern, denn er wünschte, daß die Dame es hören möchte, daß er ihr Reisegefährte bis ans Ende des Sees bliebe. –
Der Dampfer hielt nun vom Lande ab, und als Heinrich nach einiger Zeit unter das Sonnendach trat, fand er die Fremden an einem Tischchen sitzen. Der Herr hatte sich mit Wein und Speisen versorgen lassen, das schöne stolze Fräulein studirte aus ihrem Reisehandbuche die Umgebungen, ihre blasse Begleiterin hörte schweigsam an, was jene ihr mittheilte.
Mit einem höflichen Gruße ließ sich der junge Mann in der Nähe nieder und setzte in der Stille seine Beobachtungen fort, aber er fand bald Gelegenheit, sich in das Gespräch einzumischen, als das schöne Fräulein einige unrichtige Erklärungen über die Uferorte gab. Wohl bekannt mit allen bemerkenswerthen Punkten, vermochte er jede Frage zu beantworten, und da man eben den interessanteren Theil des Sees erreicht hatte, die romantischen Berggelände der Schwyzer Gestade, fand er aufmerksame Theilnahme.
Er zeigte den spitzen Felsgipfel, der den Namen des gewaltigen Hunnenkönigs Etzel trägt, welcher einst zu Roß dort oben gehalten haben soll, als seine wilden Reiter das Land umher verheerten; er berichtete auch über die seltsame Brücke von Rapperschwyl, die seit dem 14. Jahrhundert die Schaaren der Wallfahrer zu dem wunderthätigen Marienkopfe und zu dem heiligen Feste der Engelweihe nach Kloster Einsiedeln bringt; er sprach auch von Uffnau, als das flache Eiland auf dem See auftauchte, und konnte allerlei lehrreiche Mittheilungen über Aufenthalt und Ende des tapferen und unglücklichen Ritters Ulrich von Hutten machen, der in dem Kloster auf der Insel Schutz fand, von dem aber jetzt eben so wenig eine Spur mehr vorhanden ist, wie von dem unbekannten Grabe des unbeugsamen Freiheitskämpfers.
Die gebildete Sprache des höflichen jungen Mannes und seine Bemühungen fanden Anerkennung, es kam zu weiteren Mittheilungen. Der aristokratische Herr mit dem gelben Backenbart schien Wohlgefallen an ihm zu finden. Er erzählte, daß er mit seinen beiden Töchtern aus Nizza und Turin zurückkehre, die große Tour über Gotthard, Grimsel und Furka nach Oberbern gemacht habe, von dort über den Brünig nach Luzern gelangt sei, und nun vom Rigi herunter komme. Es ergab sich im weiteren Verlauf dann auch, daß die Familie nun auf dem Heimwege begriffen sei und über St. Gallen und den Bodensee gen Deutschland wollte.
Heinrich wußte längst, daß er es mit einer deutschen Familie zu thun hatte, und es konnte ihm nichts Besseres geschehen, als daß er merken ließ, wie gut er Deutschland kenne, seine Sympathien für Land und Leute auch nicht verbarg, endlich auch eingestand, deutsche Universitäten besucht zu haben, und über deutsche Wissenschaft und Kunst mit feurigen Worten sprach. Dies brachte ihm dankbare Blicke ein und wurde durch Lob auf die Naturschönheiten der Schweiz und den betriebsamen Fleiß der Schweizer erwiedert.
Die junge schöne Dame pries mit Lebendigkeit die wundervollen Gletscher und Felsenstücke der Hochalpen und bedauerte nichts mehr, als daß nicht die ganze Schweiz so hoch romantisch sei, wie Oberbern und die Hirtenländer am Vierwaldstätter See.
Sie haben wohl Recht, antwortete Heinrich lachend, allein ein großer Theil der Schweizer würde damit wenig zufrieden sein. Auf den dürren Felsen wächst nichts, und die Gletscher tragen keine Früchte.
Aber die schönen herrlichen Matten und Weiden!
Die gehören den alten Familien und den reicheren Landleuten, die Masse des armen Volkes hat nichts, es geht ihm meist sehr schlecht.
Das ist ein ewiges Naturgesetz, sagte der Herr mit vieler Entschiedenheit, indem er ein großes Stück Kuchen in den Mund schob. Wir können nicht alle Kuchen essen.
Allerdings nein, erwiederte Heinrich, es fehlt aber auch Vielen nicht selten an einem gewöhnlichen Stück Brot.
Die freie Schweiz hat also auch ihre hungrigen Bürger, rief das schöne Fräulein spöttisch lachend.
Mehr wie zu viele, sagte Heinrich, und nirgend ist die Bettelei größer, als in den romantischen katholischen Urkantonen.
O, Sie sind jedenfalls ein Protestant.
Das bin ich, denn ich bin ein Züricher, versetzte er, aber es ist nicht meine Bemerkung, daß jeder Reisende sogleich an der Bettelei wissen kann, wo er sich befindet, ob in einem katholischen oder protestantischen Kantone. Geben Sie Acht, wenn Sie durchs Toggenburg und durch das protestantische äußere Appenzell fahren, wie sauber das Land ist, wie thätig das Volk.
Also dort ist die glückliche freie Schweiz? fragte das Fräulein.
Die Tauben fliegen dort auch wohl nicht gebraten umher, sagte der Herr mit dem gelben Backenbart.
Heinrich schwieg einen Augenblick, er dachte an etwas, das ihm die Lippen verschloß.
Es bettelt Keiner, sagte er dann, die vielen großen Fabriken geben hinreichende Arbeit.
Aber weder Kuchen noch Braten, lachte der Herr.
Es ist eine bekannte Sache, erwiederte Heinrich, daß sehr viele dieser armen Arbeiter oft nichts weiter haben, als dünnen Kaffee und geröstete Ertoffeln.
Alle Wetter! rief der stattliche Herr, indem er die Hände auf seinen Leib legte, dann möchte ich doch immer noch lieber ein Knecht oder Viehhirt auf den Alpen sein, der in freier Luft lebt und von Milch und Käse sich nährt.
Wahrlich ich auch! antwortete Heinrich beistimmend, denn mag's auch immerhin ein hartes Leben bleiben, so ist es doch besser und naturgemäßer, als hinter dem Arbeitstisch im Staub und Dunst der Fabrik zu verkommen.
Diese Gesinnung schien dem Herrn wohlzugefallen, aber er sagte doch darauf: Was soll mit dem armen Volke angefangen werden, wie soll es ernährt werden? die Fabrikanten freilich sind gierige Regenten; sie quetschen die Arbeiter zu ihrem Vortheile aus, so lange noch ein Tropfen darin ist, während alte edle Familien nobler denken. Ich sage daher eben so wie meine Tochter Helene, es wäre besser, wenn die alten Geschlechter mit ihren Unterthanen noch überall hier hausten, und wir hätten es am liebsten, wenn die romantische Schweiz nicht sobald aufhörte und dem Reiche der Fabrikherren und ihrer Maschinen Platz machte, so könnten wir uns noch länger daran erfreuen.
Mein werthester Herr, sagte Heinrich lächelnd, Sie haben, wie der größte Theil der Reisenden, welche die Schweiz besuchen, nur die gewöhnliche Tour gemacht und glauben das Schönste gesehen zu haben. Auf der großen Heerstraße ist dies aber gewöhnlich nicht der Fall; wir haben noch gar vieles wunderbar Herrliche, wohin die Wenigsten kommen. So nicht weit von hier in Glarus, wo ich Ihnen Wasserfälle zeigen wollte, gewaltiger und prächtiger, als alle die hochberühmten im Bernerland; aber auch dicht bei Ihrem Wege im Appenzell giebt es Naturwunder, welche Sie schwerlich je gesehen haben.
Der Tausend! rief der Herr, was wäre das?
Mancherlei, versetzte Heinrich lächelnd. Haben Sie jemals wohl von der Ebenalp gehört und vom Wildkirchli?
Nein, sagte der Herr. Weißt du etwas davon, Helene?
Das Fräulein schüttelte den Kopf.
Die Ebenalp, antwortete ihre Schwester, indem sie zum ersten Male das Wort nahm, liegt nicht weit von dem Badeorte Weißbad.
Was weißt du davon? fragte ihr Vater.
Ich habe es gelesen, sagte sie.
Und es ist richtig, fiel Heinrich ein. Weißbad liegt am Fuß der Appenzeller Alpen, in der lieblichsten Lage, die man denken kann.
Gehen Sie dorthin? fragte Fräulein Helene.
Ja, erwiederte er, denn es war ihm, als müßte er so antworten. Es ist ein kleines, sogenanntes Schweizerbad, setzte er hinzu. Fremde besuchen es selten, und doch ist es von so üppig schöner herrlicher Natur umringt, daß man nicht begreift, warum es nicht mehr bekannt ist.
Die Natur thut es nicht allein, sagte Fräulein Helene.
Es thut's freilich auch die Gesellschaft, antwortete der Doctor, und diese gehört in diesen kleinen Bädern allerdings nicht zu der feinsten. Obenein haben wir keine Spieltische und keine Spieler im Lande.
Schade, daß die eleganten Gauner fehlen, die oft so interessant sind, lachte das Fräulein.
Sie würden zu schlechte Geschäfte machen. Die Schweizer sind ein vorsichtiges Volk, es hält schwer, sie zu täuschen. Ueberdies wissen wir gut zu rechnen, Leichtsinnige oder Verschwender giebt es bei uns nicht.
So, sagte Fräulein Helene, indem sie ihn neckend ansah. Kann man sich darauf verlassen? Sicherlich sind die Schweizerinnen auch mit so edlen, hochverständigen Eigenschaften begabt.
Das will ich meinen, versetzte er in ihren Ton eingehend. Die Erziehung ist bei uns sehr einfach und häuslich. Die alte Einrichtung, die Kinder schon in der Wiege zu verloben, ist noch nicht ausgestorben, und dann – er fing an zu lachen und fuhr fort: Nun das ist freilich eigentlich überall in der Welt der Fall, aber in der Schweiz ist es sehr gebräuchlich. Die kleinen Bäder sind bei uns die Tempel Hymens. Die Eltern erscheinen dort mit ihren Töchtern, und mancher süße Bund wird rasch geschlossen.
So, sagte Fräulein Helene noch einmal, indem sie ihn in einer Weise anblickte, die ihre Gedanken errathen ließ. Die jungen Herren pilgern natürlich ebenfalls nach diesem Mekka. Das ist ein eigenthümlicher Markt Amors auf den Alpentriften! Wir müßten das eigentlich mit eigenen Augen sehen, lieber Papa, da wir so nahe dabei sind. Und dabei die romantische Natur, ein Ausflug zur Erbauung ins Wildkirchli, wenn der Weg in dies wundervolle Gotteshaus nicht zu beschwerlich ist.
Es sind ein paar harte Stunden, antwortete Heinrich, aber sie sind herrlich und belohnend, auch giebt es Mittel sie bequemer zu machen.
Wie weit ist es überhaupt? fragte der Herr.
Sie können es heut noch erreichen, sagte Heinrich. Es sind die schönsten Straßen, und der Weg durch Toggenburg nach Herisau und Appenzell zählt zu den herrlichsten, die man finden kann.
Dürfen wir auch hoffen, daß unser liebenswürdiger Reisegefährte und nicht verläßt? fuhr der Herr mit herablassender Freundlichkeit fort.
Heinrich dankte aufs Höflichste, worauf der stattliche Herr ihm die Hand schüttelte und ebenfalls dankte.
Nun müssen Sie auch wissen, mit wem Sie zu thun haben, fuhr er darauf fort. Ich bin der Oberamtmann von Meerfeld aus dem Hessischen, wo ich angesessen bin. Daß diese beiden jungen Damen meine Töchter sind, wissen Sie schon.
Der junge Doctor nannte sich darauf ebenfalls, und die Reisebekanntschaft hatte damit an Vertraulichkeit bedeutend zugenommen, was sich nun weiter herausbildete. Das Schiff näherte sich dem Ende des Sees, wo zur rechten Seite die Linth zwischen den Felsenketten von Glarus die Wasser des hochromantischen Wallenstädter Sees in den See von Zürich führt, zur Linken der gewerbsame Flecken Schmerikon liegt, der Stapelplatz für den gesammten Schiffsverkehr dieser Wasserstraßen.
Als die Landung erfolgt war, trug Heinrich die geschäftigste Sorge für seine Reisegefährten, lief dann gleich nach einem Fuhrwerk und hatte in kürzester Zeit einen bequemen Wagen gefunden. Da er den Handel mit allen Vortheilen verstand, die ein Schweizer vor den Fremden hat, wurde der Vertrag um einen mäßigen Preis abgeschlossen, sofort konnte die Weiterreise beginnen.
Es war noch ziemlich früh am Tage, denn der Dampfer hatte schnell den acht Stunden langen See durchfurcht. Die Fahrt durch die liebliche Grafschaft Toggenburg mit ihren herrlichen Matten und Fruchtfeldern, ihren Ritterburgen und großen Fabriken, konnte mit aller Bequemlichkeit ausgeführt werden. Heinrich wußte auch hierbei viel zu erzählen. Er kannte die sagenreichen Ruinen der Felsenschlösser, und kannte eben so wohl viele der jetzigen Ritter von der Elle, wie Fräulein Helene spottete, welche in ihren prächtigen Häusern besser wohnten, als die alten mächtigen Grafen und Herren von Toggenburg.
So gelangten sie endlich in heiterster Laune in das helle freundliche Herisau, dessen zahllose, goldspitzige Blitzableiter neuen Anlaß zu lustigen Bemerkungen gaben über die Angst der reichen Fabrikherren, die mit ihren eisernen Lanzen sich gegen den Zorn des Himmels zu vertheidigen suchten. Dann ging es in das innere Appenzell hinein, wo die schlechtwerdende Straße zu der Behauptung Anlaß gab, daß man den katholischen Halbkanton sofort fühlen könne.
Das finstere stille Appenzell mit seinen hohen Gebethäusern lag schon im Schatten des Abends, als der Wagen über das holprige Pflaster schwankte, und die Dunkelheit war ziemlich vollständig, als endlich die Lichter aus dem Weißbad den Reisenden entgegenschimmerten.
Es ließ sich kaum noch ein Unterkommen im Badehause finden, so viele Gäste waren dort vorhanden, allein auch dafür war Heinrich seinen Reisegefährten nützlich; denn als der Wirth herbei kam, begrüßte er ihn als einen Bekannten seines Vaters, und diese wichtige Empfehlung reichte hin, dem Herrn von Meerfeld und seinen Töchtern ein paar aufgesparte gute Zimmer zu verschaffen.
Die allseitige Dankbarkeit für den sorgsamen Freund wurde aber durch dessen erfolgreiche Bemühungen, ein gutes Abendessen herbeizuschaffen, noch mehr vermehrt, und so verging der Abend denn Allen in vergnüglich froher Weise.
Das Weißbad liegt am Eingange der Appenzeller Alpen, welche ihre Bäche durch die waldigen, schönen Bergabhänge herunter schicken; bei dem Bade fließen drei zusammen und bilden die rauschende, rasche Sitter.
Die freundlichen grünen Gebäude schimmerten im Sonnenschein, als Heinrich erwachte. Er hatte lange nicht einschlafen können über seinen Gedanken, die so viele Beschäftigung an seinen jüngsten Erlebnissen fanden. Kaum den Liebesblicken der Jungfer Anna Frings entflohen, brachte ihn der Zufall sogleich mit Menschen in Berührung, welche seinen Neigungen weit besser entsprachen. Ein vornehmer Herr, ein deutscher Edelmann, ohne Zweifel reich und angesehen, machte mit seinen beiden schönen Töchtern ihn zu seinem Reisegesellschafter, und alle behandelten ihn mit so vieler Güte und so liebenswürdigem Vertrauen, daß er sich erregter und wohler dabei fühlte, als je in seinem Leben.
Welch Unterschied war zwischen ihnen und jenen dort, die er gestern verlassen; zwischen den höflichen, verbindlichen Formen ihres Benehmens, zwischen ihrer Bildung und ihrer Lebensanschauung, und den rauhen Forderungen der Leute, die nichts kennen als Arbeit, auf nichts sinnen, als auf gierigen Gewinn, und von den Annehmlichkeiten und Genüssen des höheren Lebens nichts wissen.
Es giebt zwei Welten, sagte er vor sich hin, welche sich scheiden wie Wasser und Feuer. Die eine voll feiner Empfänglichkeit für alle Culturinteressen, die Welt des Geistes, der Wohnsitz der entwickelten Gesellschaft; die andere mit groben Sinnen und groben Fäusten, der Aufenthaltsort und Sammelplatz der rohen Materie. Wäre ich der Herr Buchhalter aus dem Geschäft David Schwarz in Zürich, oder auch irgend ein gewöhnlicher Fabrikant, der nur Baumwolle und Kettengarn im Kopf hat, diese noble Familie würde mich rasch beseitigt haben, mit all' meinem Gelde und Besitz. Aber sie merkten bald, daß ich zu ihrer Welt gehöre. Das ist es, was uns so schnell zusammengeführt hat.
Er dachte schweigend darüber nach; so recht wollte ihm das, was er eben gesagt, doch nicht einleuchten. Sein Hochmuth war nicht groß genug, um nicht zu empfinden, daß diese Fremden doch wohl noch eine andere Stufe beanspruchten. Er erinnerte sich, daß der Herr Oberamtmann von Meerfeld bei aller Herablassung Aeußerungen gethan, die von Geburts- und Standesvorurtheilen kein übles Zeugniß ablegten, auch daß das schöne Fräulein Helene ein sehr stolzes, vornehmes Gesicht hatte, und ihre stolzen und spöttischen Worte sehr gut dazu paßten.
Was das jüngere Fräulein betraf, so schien dies von sanfterer Gemüthsart zu sein und gegen die lebhafte, scharf blickende und scharf sprechende Schwester bescheidentlich in den Schatten zu treten. Es fehlte ihr aber weder an Verstand noch an Bildung. Zuweilen schien sie aufzuthauen, und ihre Aeußerungen waren dann treffend und anregend gewesen, bald aber kehrte ihre Theilnahmlosigkeit zurück, und sie antwortete in einsilbigster, kältester Weise.
Heinrich hatte während der langen Fahrt des vorigen Tages sich mehrmals bemüht, sie zu beleben, und ein geheimes Interesse daran gefunden, sich mit ihr zu beschäftigen, allein es war ihm selten gelungen, und endlich hatte er seine Versuche eingestellt, denn es war ihm vorgekommen, als werde sein Bestreben je länger je weniger anerkannt, und selbst sein Anschauen sei ihr nicht angenehm. Sie lehnte sich zurück, oder blickte nach der anderen Seite hin, oder gab ihrem Gesicht die größtmöglichste Unbeweglichkeit, und doch übte dies Gesicht einen eigenthümlichen Eindruck auf Heinrich aus. Die großen dunklen Augen unter langen Wimpern lagen in einem Schattenkreis, der sie mit feinen Schleiern einzuhüllen schien. Ihre Züge waren weder symmetrisch noch so rein und schön wie die ihrer Schwester, allein je länger man hineinschaute, um so anziehender schienen sie zu werden. Selbst ein nervöses Zucken, das zuweilen um ihre Lippen irrte, konnte dazu beitragen, den Eindruck zu erhöhen.
Im Allgemeinen war Heinrich sehr zufrieden mit seinen Erlebnissen, und was ihm nicht gefiel, nahm er von der besten Seite.
Ich werde ein paar angenehme Tage hoffentlich noch mit ihnen verleben, sagte er, und das ist Alles, was ich verlangen kann. Wenn wir uns trennen, werden wir uns höflich bedanken, und sollten wir jemals uns wiedersehen, so kann es wohl sein, daß wir uns kaum mehr kennen, weil meine vornehmen Freunde sich dann mit Mühe noch daran erinnern, daß sie einmal auf dem Zürichsee meine flüchtige Bekanntschaft machten. Reisebekanntschaften dauern selten länger, als man sich sieht, diese hier wird nicht anders sein; allein was thut es! Wir müssen alle vom Augenblick leben. Bin ich doch zufrieden damit, und hilft es mir doch, Vergangenheit und Zukunft zu vergessen. Warum soll ich nicht dankbar und dienstbeflissen sein für diese großen Vortheile?
Damit sprang er auf, um sich zu neuen Diensten vorzustellen, als er aber die Treppe hinab wollte, sah er unten auf dem Gange den Herrn von Meerfeld im Gespräche mit dem Gasthalter, und da er seinen Namen hörte, blieb er stehen.
Der vornehme Gast zog Erkundigungen über ihn ein, er konnte genug davon verstehen; was der Wirth antwortete, gereichte nicht zur Unehre.
Er ist also der Sohn eines Fabrikanten? fragte der Herr Oberamtmann.
Ja wohl, ja wohl! bekräftigte der Wirth.
Gewiß ein sehr wackerer Mann, fuhr Herr von Meerfeld fort.
Einer, der seine Sach' aus dem Grunde versteht, sagte der Wirth.
Also auch – wohlhabend.
Will's meinen, daß er Manchen aussticht.
Und dies ist sein einziger Sohn?
Er hat kein Kind weiter, als dies eine.
Der vorsichtige Herr nickte wohlgefällig zu diesen Antworten, brach dann ab und sprach von der Umgebung und vom Bade selbst, das der Wirth als ein wahres Wunder von Heilkraft gegen Gicht und Rheumatismus rühmte, gegen welches alle anderen Bäder in der Welt nicht aufkommen könnten.
Nach dieser Belehrung versicherte Herr von Meerfeld, daß es ihm sehr lieb sei, hierher gekommen zu sein, und daß er bleiben werde, so lange er könne. Damit empfahl er sich, ersuchte das Frühstück mit Eiern und Schinken in den Salon zu bringen, und der Wirth machte ein schlaues Gesicht, das wie eine wohlüberlegte Rechnung aussah.
Nach einiger Zeit flog Heinrich die Treppe hinab und ging ebenfalls in den Salon. Er traf dort seine Freunde schon bei Tassen und Teller in angenehmer Beschäftigung. Alle Reize eines schweizerischen Frühstücks hatten sich vor ihnen entfaltet, Kaffee und Honig, prächtiges weißes Brot und die verschiedenen Käsearten dazu nach englischer Sitte, Fleisch, Schinken und Eier in außerordentlicher Fülle. Herr von Meerfeld war ganz zufrieden mit dieser Aufnahme, und Fräulein Helene versicherte, daß Butter und Sahne besser seien, als in Meyringen oder Interlaken, worauf Heinrich erwiederte; daß die Appenzelleralpen auch die besten Weiden in der Schweiz besäßen, welche von gewürzigen Blumen und Kräutern strotzten.
Er wurde nun eingeladen, am Mahle Theil zu nehmen, Fräulein Helene gebot ihrer säumigen Schwester, ihm den Kaffee einzuschenken, und schob selbst die Teller und Tassen herbei. Seine Aeußerung über die blumenreichen Alpen diente jedoch dazu, die Frage aufzuwerfen, wohin man nun gehen solle, um die schönsten Alpenrosen zu bekommen.
Wir haben wahrlich die Auswahl, erwiederte er, nirgend wird es an Alpenrosen und Blumen fehlen; sind wir doch hier in der Mitte der reichsten Alpennatur und beinahe drei tausend Fuß über dem Meere. Wollen wir weit steigen, können wir zum Sentis oder Altmann hinauf, oder zum Kamor und Hochkasten.
Nur nichts Beschwerliches, nichts Weites, rief Herr von Meerfeld mit vollen Baden.
Auch in der Nähe bleibt uns genug, erwiederte Heinrich, und er nannte nun wieder die Meglisalp und das Seelein, vor Allem aber die Ebenalp mit dem Wildkirchli, und wie man dahin ohne allzugroße Beschwer gelangen könne, auch Pferde vorhanden seien, um die Ermüdung zu vermeiden.
So wurde denn beschlossen, die vielgerühmte Alp zuerst zu besuchen, und Heinrichs Versprechen, Alles dafür bereit zu setzen, mit dem freundlichsten Danke angenommen. Nach einem Spaziergange an der Sitter durch den frischen Wald und artige Anlagen standen die Pferde an der Thür, und da der Tag hell, aber nicht allzu warm war, konnte man sich um so mehr Genuß versprechen.
An dem Sitterbach entlang stiegen die Rosse mit ihren schönen Reiterinnen den Pfad aufwärts zu sonnigen Höhen hinauf, und hinter ihnen folgte der Papa, der von seinem Klepper herab vergnüglich rauchend mit Heinrich plauderte, welcher es verschmäht hatte, der Gelenkigkeit seiner Jugend und der Kraft seiner Füße zu mißtrauen. Bei aller seiner Arbeitsscheu und Lust, ein bequemes Leben zu führen, mangelte es ihm doch nicht an Rüstigkeit und Ausdauer. Er bewies beides jetzt, indem er bald an der Spitze des Zuges, bald neben den Fräulein war, um muntere Worte zu wechseln oder kleine Dienste zu leisten.
Wahrscheinlich hatten die Erkundigungen, welche Herr von Meerfeld bei dem Wirthe eingezogen, das Wohlwollen für ihn erhöht. Er wurde heut »mein lieber Doctor« gerufen, und Fräulein Helene nannte ihn ebenfalls so, und erzählte ihm Mancherlei von ihren Besitzungen am Rhein, dem schönen Gute und Schlosse, das ihr Eigenthum, den Winterfreuden in Darmstadt, den Festen und Bällen des letzten Winters und von der Sommersaison in Homburg, welche ausnehmend glänzend gewesen sei.
Waren Sie auch in Homburg? fragte Heinrich, indem er sich an die schweigsame Schwester wandte, und als sie seine Frage bejahte, fügte er hinzu: Ich kann mir nicht denken, daß es Ihnen dort eben so gut gefallen hat.
Ihr blasses Gesicht röthete sich ein wenig, doch schien sie keine Antwort geben zu wollen, aber Fräulein Helene rief scharf auflachend:
Warum glauben Sie, Herr Doctor, daß es meiner Schwester dort nicht gefallen haben soll?
Weil ich annehmen möchte, erwiederte er, daß Fräulein Emma weit mehr die stillen und einfachen Freuden des Lebens liebt und sie höher achtet, als die rauschenden Vergnügungen der Bäder und Bausäle.
Die stillen und einfachen Freuden! erwiederte Helene mit demselben Lachen. O, allerdings, Sie haben es getroffen, Herr Doctor. Meine Schwester liebt die Romantik über Alles.
Heinrich blickte zu dem stillen Fräulein hinauf, das auch jetzt seine Lippen nicht öffnete, oder freundlicher aussah. Es kam ihm vor, als sähe ihr Gesicht unter dem Hut noch lebloser und grauer aus, und als ob ihre Lippen sich widerwillig zusammenpreßten.
Eben jetzt aber war eine der steilen Stellen erreicht, wo der Pfad durch eine Schlucht lief, welche mit Steingeröllen gefüllt war. Die Pferde machten eine kräftigere Anstrengung, und Heinrich mußte zurückbleiben. Es ging jäh hinauf, und dauerte eine gute Zeit, endlich aber erreichte man eine blumige Matte, welche sich allmälig höher hob, und über welcher auf einer anderen Felsenterrasse die Ebenalp begann.
Als Heinrich sich den beiden Fräulein wieder näherte, begann er das Gespräch von Neuem.
Man kann nicht ohne Anstrengung auf die Ebenalp kommen, aber die Mühe belohnt sich.
Ohne Anstrengung, erwiederte Fräulein Helene, kommt man nirgend durch die Welt. Aber Sie haben Recht; Herr Doctor, man muß gescheut sein und niemals den Lohn für die Mühe vergessen.
Allein die Ebenalp sollte von Rechtswegen eben sein und ihrem Namen Ehre machen, fuhr er fort, indem er sich zu Fräulein Emma wandte.
Das ist eine Warnung für alle Leichtgläubige, antwortete sie, ohne eine Miene zu verziehen, sich nicht von Namen und äußerem Schein täuschen zu lassen.
Was wollte sie damit sagen? Hatten ihre Worte einen versteckten Sinn? Sollten sie ein Mißtrauen gegen ihn ausdrücken?
Bei alledem, fuhr er munter fort, ist es immer noch besser sich täuschen zu lassen, als selbst zu täuschen. Es kommt mir vor, als könnten wir leicht zu den Getäuschten und Betrogenen gehören.
Sie erwiederte nicht, aber Fräulein Helene blickte nach ihm um und fragte mit ihrem stolzen Lächeln:
Wie ist das zu verstehen, Herr Doctor?
Es ziehen dort einige dunkle Wolken herauf, versetzte er, die uns um alle Aussicht bringen können.
Wer wird sich vor Wolken fürchten! sagte sie. Ist die Sonne nicht oft weit lästiger? Und was Täuschungen anbelangt, sind diese nicht häufig sehr angenehm? Wenn ich mich angenehm täuschen lasse, macht das mich glücklicher, als nackte, unerquickliche Wahrheit, vor der man sich entsetzt.
Heinrich dachte an seine eigene Geschichte und wurde ernsthafter.
Wenn den Täuschungen nur nicht die Enttäuschungen folgten, antwortete er.
Davor muß man sich hüten oder behütet werden, fuhr sie fort. Was man sich einbildet, ist auch wahr, das heißt, wir halten es dafür; und leben denn nicht die meisten Menschen in ihren Einbildungen bis an ihr seliges Ende?
Wahrlich! rief Heinrich lachend, Sie wissen die Täuschungen und Einbildungen so liebenswürdig darzustellen, daß man Lust bekommt, sich gleich den schönsten Einbildungen zu überlassen.
Die Blicke, mit welchen Fräulein Helene darauf antwortete, hatten etwas Spöttisches und kühlten seine Aufwallung bedeutend ab.
Die Einbildungen dürfen allerdings nicht gar zu lebhaft werden, sagte sie dabei, damit man nicht ausgelacht wird, was auch wohl passiren kann. Aber was sind das für Blumen, welche dort mit ihren schönen rothen Kelchen die Felsenwand bedecken?
Es sind Alpenrosen, und über diesen Felsen beginnt die Ebenalp, erwiederte er, welche besonders reich daran ist.
Wie herrlich! rief die schöne junge Dame, welch lieblicher Schmuck für diese finsteren Felsengesichter. Sieh doch hin, Emma. Würde ein Kranz aus diesen Alpenrosen dir nicht allerliebst stehen? Macht man in der Schweiz keine Brautkränze daraus, Herr Doctor?
Die Sennerinnen thun es wohl, wenn es eben Alpenrosen giebt, und die Senner schmücken gern ihre Mädchen damit.
Man soll die Blumen pflücken, wenn sie blühen, lachte Helene, das ist eine sehr weise Lehre. Schade nur, daß diese hier so hoch wachsen, und kein verwegener Senner in der Nähe ist.
Diese Aufforderung reichte hin, um Heinrich in Bewegung zu setzen, seine eigene Verwegenheit zu beweisen. Der Pfad lief eben nahe an der Felswand vorüber, auf deren Vorsprüngen die saftig grünen Büsche sich eingenistet hatten. Steil und klippig stieg das Gestein auf, nur ein gewandter und rascher Fuß konnte daran emporklimmen. Es währte jedoch nicht lange, so waren die Schwierigkeiten überwunden, und einige der schönsten mit Blumen bedeckten Zweige abgeschnitten, mit denen er den Rückweg antrat.
Die beiden Fräulein hatten jedoch nicht darauf gewartet, er sah sie in einiger Entfernung neben einander die Höhe hinaufziehend, auf welcher die prächtige Ebenalp sich ausdehnt, und bei ihnen befand sich jetzt auch der Papa, welcher bisher mit dem Führer zurückgeblieben war. Wie es schien, war die Unterhaltung lebhaft, welche er mit seinen Töchtern führte, er sowohl wie Fräulein Helene sprachen auf Emma ein, welche sich in ihrer Mitte befand, und plötzlich stellte er sich vor, daß diese über ihr unfreundliches Verhalten ausgescholten werde.
Herr von Meerfeld focht mit seinem Arme in der Luft umher, und es sah beinahe aus, als ob seine Bewegungen etwas Drohendes hätten; das schöne Fräulein aber sprach sicherlich von der anderen Seite eben so lebhaft, wenn man dies aus ihrer unruhigen Haltung schließen wollte.
Die Alp lief zwischen Felsgewinden ziemlich steil aufwärts, und bald waren die Reiter von aufragenden Steinmassen verborgen, während es Heinrich nicht leicht wurde, sie einzuholen. Er mochte es auch nicht, denn er fand es rücksichtslos und fühlte sich verletzt, daß man so wenig sich um ihn kümmerte, nachdem man ihn fortgeschickt hatte. Wollte die Familie allein sein, sollte dies auffällige Benehmen um seinetwegen geschehen? Es that ihm leid, indem er dies dachte.
Emma zeigte ihm freilich heut noch größere Gleichgültigkeit als gestern, und bei ihrer Bemerkung, daß man sich nicht vom Scheine täuschen lassen müsse, hatte sie ihn so eigenthümlich angeblickt, und ihre Stimme klang so hochfahrend, als wolle sie eine Beleidigung aussprechen. Bei alledem fühlte er sich weniger beleidigt durch diese Zurücksetzung, wie durch die Spöttereien ihrer Schwester über Einbildungen, durch welche man sich lächerlich machen könne. Alles, was Emma mit ihrem strengen kalten Munde gesagt hatte, klang bei Weitem nicht so schlimm, als was ihre Schwester lachend ausgesprochen. Heinrich glaubte gut verstanden zu haben, was ihre Blicke wegspotteten, und indem er weiter ging, sagte er zu sich selbst:
Sie können ganz sicher sein, mein gnädiges Fräulein, daß ich mich nicht lächerlich mache. Ich habe nicht die geringste Sehnsucht danach, weit eher könnte dies der Fall sein, wenn etwa – aber glücklicher Weise bin ich auch von dieser Seite davor bewahrt.
Die Alpen in Appenzell steigen in Absätzen zu der Höhe des Gebirges hinauf und liegen terrassenförmig über einander. Sie bilden so eine Reihe der lieblichsten Bergmatten, reicher mit Blumen durchstickt, als nirgendwo in der Schweiz, und so in Duft und frische Alpenluft eingehüllt, daß man wohl mit Recht behauptet, die frohe Gemüthsart und die Gesangslust der Appenzeller sei die glückliche Folge ihres Lebens in dieser schönen milden Natur. Diese üppigen Gras- und Blumengründe, eingefaßt und durchzogen von Felsen und Felsgewinden, sind voll idyllischer Reize, bieten aber zugleich auch nicht wenige romantische Genüsse. Je höher man steigt, um so wilder und mannigfaltiger werden die Felspartien, um so schroffer und schauerlicher die Abstürze, und um so weiter irrt der Blick über hoch aufgegipfelte Gebirgsmassen und über ein weites Panorama, das entzückend sich nach zwei Seiten hin ausdehnt. Die Ebenalp ist der rechte Mittelpunkt für das schönste Schauen.
Als Heinrich jetzt um die Felsen bog, sah er zu seinem Erstaunen Emma nicht weit von sich auf einem Steine sitzen, der eine natürliche Bank bildete. Sie hatte ihren Hut abgenommen, der Wind wehte durch ihr Haar, die schlanke feine Gestalt lehnte sich an den harten Sitz.
Es fehlt Ihnen doch nichts? fragte er besorgt ihr entgegen.
Nein, erwiederte sie, ich war nur ermüdet, und habe hier ausgeruht, um Sie zu erwarten. Der Weg ins Wildkirchli geht hier ab, und der Führer rieth, uns zunächst dorthin zu wenden.
Heinrich fand es wohl gethan, da der Gipfel der Ebenalp noch weit und der Pfad dahin sehr beschwerlich sei.
Sind Sie auch nicht zum Schwindel geneigt? fragte er. Die Pferde müssen hier zurückbleiben, der Weg geht nun über einen Felsengrat, der zu beiden Seiten tiefe Abgründe hat.
Ich fürchte die Abgründe nicht, war ihre Antwort.
Es ist auch nicht allzu gefährlich, fuhr er ermuthigend fort, nur zuweilen kommt eine Stelle, wo man nicht wanken muß, und über einen tiefen Schlund, der den Weg ganz sperrt, ist eine Brücke geworfen. Wo Gefahr droht, werde ich sicher bei Ihnen sein und Sie beschützen.
Warum wollten Sie das thun? fragte sie ihr Gesicht zu ihm aufhebend.
Warum? erwiederte er, verwirrt über diese Frage. Soll ich dafür besondere Gründe angeben? Ist es nicht genug, daß es mich glücklich machen würde, wenn ich etwas thun könnte, das – das mir Ihren Dank erwürbe?
Sie hörte es schweigend an, um ihre Lippen zog sich das nervöse Zucken, das wie ein Lächeln aussah.
Wollen Sie mir das nicht glauben? fragte er lebhafter.
Wenn ich es glaubte, wozu könnte es frommen?
Ich – ich würde sehr erfreut darüber sein. In meinen Erinnerungen würde es unvergeßlich fortleben.
Besser ist es, Sie vergessen es, erwiederte sie mit der Härte, welche sie ihrer Stimme zu geben wußte, und besser wäre es – sie hielt inne und schüttelte den Kopf. Es ist gut, wenn man weder glaubt noch vertraut, fügte sie hinzu. Lassen Sie uns gehen, mein Vater und Helene werden uns erwarten.
Glauben Sie wenigstens, daß ich diese Rosen für Sie gepflückt habe, deren Zweige sich wie von selbst zu einem Kranze zusammenschließen, sagte er mit freundlichen Blicken, indem er ihr seine Blumen reichte.
Sie nahm sein Geschenk, aber ohne ein Wort des Dankes oder einen Ausdruck von Freude hielt sie es in der Hand. Ihre Mienen waren so widerwillig, als wollte sie das Gewinde fortwerfen, es kam jedoch nicht dazu, denn plötzlich trat Helene um den Felsvorsprung, und als sie die Blumen sah, rief sie fröhlich:
Darum also warten wir vergebens! Aber das ist ein prächtiger Kranz, er muß dir herrlich stehen, du mußt ihn aufsetzen.
Mit ihren Worten zugleich nahm sie ihn und drückte ihn in Emma's weiches feines Haar.
Einen Augenblick ließ es diese geschehen, und wirklich machten die röthlichen Blumen zwischen den dunkeln Blättern über dem blassen Gesicht des jungen Mädchens einen eigenthümlichen Eindruck. Als aber Helene fortfuhr: Sieht sie nicht aus wie eine echte Schweizer Jungfrau, Herr Doctor? flammten ihre Augen plötzlich zornig auf und mit einem raschen Griff riß sie den Kranz herunter und ging voran, was ihre Schwester zu einem lustigen Gelächter veranlaßte.
Sie folgte mit Heinrich ihr nach, und bald trafen sie auch den alten Herrn, der sehr zufrieden zu sein schien.
Das ist wirklich ein ganz herrlicher Ausflug, sagte er, gar nicht ermüdend und dabei die schönsten Aussichten. Der Führer behauptet nun obenein, daß der gute Einsiedler, welcher dort oben haust, nicht allein zu dem heiligen Michael rechtschaffen betet, sondern auch vortrefflichen Wein und allerlei gute Speisen vorräthig hält, um die Durstigen zu tränken und die Hungrigen zu erquicken.
Der würdige Mönch wird sicher jetzt wie früher mit würzigem Veltliner reichlich versorgt sein, erwiederte Heinrich, was aber die Fernblicke über Gebirg und Land betrifft, so wird mit jedem Schritte deren Reichthum sich vermehren, und Sie dann noch zufriedener damit sein.
Er hatte Recht, dies vorherzusagen, denn wirklich entwickelte der Felsweg, der auf den Kamm hinaufführt, wo die Wildkirchligrotten sich in das Kalksteingebirge einsenken, immer weitere und prächtigere Aussichten. Sah man zuerst schon über die vorliegenden Alpen fort, über Appenzell und über die Ketten des Alpstein auf die schneeigen Hochalpen und die herrlich schimmernden Gründe und Fluren St. Gallens und des Rheinthals, so drangen die Augen dann immer weiter, bis auf den strahlenden Spiegel des Bodensees, auf den reichen Thurgau, auf die fruchtbaren Sitze dichtgedrängten Menschenlebens, über Städte und Gefilde voll Fruchtbarkeit und Segen, dazwischen auf Felsgipfel von wild romantischer Nacktheit und finsterer Pracht, und endlich bis in die weitesten Fernen, zu dem deutschen Boden hinüber, wo das grüne Land der Schwaben den großen See umsäumt.
Das Alles war so herrlich anzuschauen, daß selbst Herr von Meerfeld den Kapuziner und den Veltliner vergaß und mit einer Art Aufregung rief:
Das ist wirklich ein Platz, von dem sich zu Haus erzählen läßt, ich will ihn mir merken, und wer das Ding entdeckt hat, der soll gelobt sein.
Seit wohl zweihundert Jahren ist das Wildkirchli dort oben angelegt, und der es that, hat als Einsiedler zuerst auch dort gewohnt, erwiederte Heinrich. Der Weg aber ist in letzter Zeit mehr und mehr verbessert worden, obwohl noch jetzt nicht eben zum bequemsten. Dort vor uns liegt ein Abgrund an zweihundert Fuß tief, wo früher mancherlei Unglück vorkam, denn senkrecht steil geht's hinab und – plötzlich unterbrach er sich, rief ein lautes: Halt! Halt! und sprang, so schnell er vermochte, über die Felsenstufen voran. Die Gesellschaft war der Brücke nahe, welche Heinrich vorher erwähnte, zu ihr hinab senkte sich der Pfad und verengte sich, zur Seite aber gähnte der Abgrund auf, an dessen Fuß die Bodmen-Alp liegt, welche dieser Felsenkamm von der Ebenalp scheidet.
Emma war ihrem Begleiter voran, und Heinrich sah, wie an dieser Senkung ihre Schritte schneller wurden. Sie eilte der Brücke entgegen, ohne auf die Gefahr zu merken, als wolle sie entfliehen, oder als vermöchte sie nicht mehr ihre raschen Schritte, die ein Laufen wurden, inne zu halten. Ein Geländer gab es dort nicht, ein Schwanken oder Schwindeln konnte sie hinabstürzen, und das Geschrei hinter ihr beachtete sie nicht oder hörte es nicht.
Doch noch ehe sie die gefährliche Stelle erreichte, war Heinrich dicht bei ihr, und indem er ihr Kleid faßte und ihren Namen rief, strauchelte sie und fiel in seine Arme. Den Kranz, den sie bisher noch getragen, ließ sie fallen, und er fiel hinab in die Tiefe, so nahe war das Unheil gewesen.
Sie hatte ihre Augen geschlossen und sah todtenbleich aus, aber er fühlte ihr Herz unter seinen Händen schlagen.
Gott im Himmel! schrie er angstvoll und freudig zugleich, ich bin nicht zu spät gekommen! Das sah furchtbar aus; stützen Sie sich auf mich.
Vater und Schwester kamen herbei.
Welche Tollheit! rief Herr von Meerfeld, hier laufen zu wollen!
Sie haben Emma's Leben gerettet, fiel Fräulein Helene ein.
Unten lägst du jetzt mit zerschmettertem Gebein, fuhr der zornige Papa fort.
Es war ein jäher Schwindel, sagte Heinrich.
Dazu ist Emma leider sehr geneigt, bestätigte die Schwester. Aber ich denke, sie wird jetzt vorsichtiger sein und einsichtiger für ihr und unser Wohl.
Dafür kann Niemand, entschuldigte Heinrich; hat doch der Stärkste und Sicherste Augenblicke, wo ihn der Schwindel faßt. Aber nur Muth, Fräulein Emma, es soll nicht wieder vorkommen, ich lasse Sie nicht wieder los.
Sei dankbar dafür, Emma! rief Helene, und halte dich fest, recht fest.
Und jetzt fort zu dem Kapuziner, trieb der alte Herr. Nach solchem Schreck ist Stärkung nothwendig. Ein Glas guter Wein wird die Lebensgeister in Ordnung bringen.
Emma hatte auf alle Vorwürfe und Tröstungen fast keine Antworten. Sie beschränkte sich darauf zu sagen: Es war mir schwarz vor den Augen, ich empfand nichts mehr, was Heinrich als das richtige Zeichen des Schwindels erklärte und seine Betheuerungen wiederholte, zu ihrem Schutze stets bereit zu sein. –
Bald erreichten sie die Höhe der Felswand und fanden in der Kalksteinhöhle bei dem Kapuziner Alles, was sie begehrten. Herr von Meerfeld erhielt ganz vorzüglichen Veltliner, dem er seine Aufmerksamkeit schenkte, eben so dem vortrefflichen Nierenbraten, den der gute Mönch ihm vorsetzen konnte, Heinrich aber verschaffte sich von ihm Melissengeist und einen Polstersessel. Er sorgte für seinen Schützling mit aller nur möglichen Theilnahme und wurde von Emma's Verwandten nicht daran behindert. –
Die drei Grotten, aus dem das sogenannte Wildkirchli besteht, von denen die vorderste das Kirchlein bildet, wurden von diesen unter Führung des Mönches besichtigt, die wunderbare, überraschende Alpenaussicht aus der dritten Grotte gebührend belobt, aber trotz dessen und der respectablen Bewirthung, konnte doch die Verstimmung nicht überwunden werden, welche der Unfall an der Brücke hervorgerufen hatte.
Alles würde sich begütigt haben, und man hätte gemeinsam, wie dies meist nach glücklich abgewandter Gefahr geschieht, darüber gelacht und gespottet, wäre Emma selbst nicht leidend und schweigend geblieben. Ein heftiger Kopfschmerz mochte dazu beitragen, daß die muthwilligen Ermahnungen ihrer Schwester, und ein paar Scherze ihres Vaters, jetzt vernünftig zu sein und alle Fehltritte abzuschwören, keine Wirkung hatten.
Für Heinrich wurde es endlich peinlich, daß er wiederholt als Lebensretter und Ritter gepriesen, und der Geretteten vorgehalten wurde, was sie ihm zu danken habe, während sie selbst doch kein Wort des Dankes für ihn besaß. Es war ihm daher erwünscht, als man endlich sich zur Rückkehr entschloß, und da überdies viele Zeit vergangen war, und man annehmen konnte, mit dem nahenden Abend erst wieder in Weißbad einzutreffen, wäre es auch nicht rathsam gewesen, jetzt noch den Gipfel der Ebenalp besteigen zu wollen, zu welchem von hier zwar ein Pfad führt, der jedoch über steiles Feldgetrümmer und an schauerlichen Abgründen dicht hinläuft.
So brachen sie denn auf und stiegen verdrossener in die Thäler hinab, als sie heraufgekommen waren. Es war nicht mehr von Alpenrosen und Kränzen die Rede, keine Bewunderung für die blumenvollen Matten mehr vorhanden, kein Entzücken über die Fernblicke, welche jetzt besonders klar und schön zu haben waren.
Herr von Meerfeld warf dann und wann einen mürrischen Blick auf seine bleiche Tochter, dann und wann richtete Fräulein Helene eine Frage an Heinrich und knüpfte einen launigen Einfall daran, und endlich erheiterte sich der alte Herr mit dem Gedanken an Forellen, von denen Heinrich versicherte, daß die rechte Gebirgsforelle in diesen Bächen in Ueberfluß lebe und in Weißbad ganz vorzüglich schön und groß zu haben sei. Er entwickelte gelehrte Kenntnisse über die verschiedenen Forellenarten, über die Vorzüge der Lachsforellen und den feinen Geschmack der kleinen Arten mit rothen Punkten, wie über deren Zubereitung, und hielt Heinrich damit so lange an seiner Seite, bis endlich das Weißbad im Thale sichtbar wurde.
Einige Male freilich hatte der junge Mann nach den beiden Damen umgeblickt, und er hatte bemerkt, daß Emma ein Stück zurückgeblieben; in der Nähe des Bades benutzte er dies, um sie zu erwarten und nach ihrem Befinden zu fragen.
Es geht mir besser, erwiederte sie in ihrer kurzen Weise.
Mögen meine Wünsche sich erfüllen, war seine Antwort, Sie morgen recht wohl und heiter zu finden.
Sie sagte nichts darauf, aber nach einigen Augenblicken wandte sie sich zu ihm hin.
Ich habe Ihnen etwas mitzutheilen, sagte sie. Wollen Sie es hören?
Sehr gerne, antwortete er überrascht.
Sie zeigten uns heut eine Laube nicht weit von dem Hause, am Ufer des Baches, fuhr sie fort.
Ganz recht, versetzte er.
In jener Laube will ich Sie erwarten. Wollen Sie kommen?
Er blickte verwundert zu ihr auf und konnte nicht daran zweifeln, daß er recht verstanden habe.
Ich will kommen, wohin Sie es wünschen, sagte er darauf.
So erwarten Sie mich in einer Stunde.
Mit diesen Worten trieb sie das Pferd an; es kamen Spaziergänger aus dem Bade ihnen entgegen, und wenige Minuten darauf hielten sie vor dem Curhause, wo viele Gäste versammelt waren. Heinrich wagte keine erneute Annäherung, auch gab Emma ihm keine Gelegenheit dazu, sondern schloß sich dicht an ihre Verwandten, welche sich sogleich in ihre Zimmer begaben und den jungen Reisegefährten in eigenthümlicher Unruhe zurückließen. Die Einladung zu diesem Stelldichein war ihm so unerwartet gekommen, daß sie ihm als unlösbares Räthsel erschien, an welchem sich seine Gedanken verwirren mußten.
Was konnte es denn sein, was sie ihm mittheilen wollte? Bisher so kalt und abschreckend, daß sie nicht einmal ein Wort des Dankes für seinen Beistand finden konnte, was bewegte sie, ihm eine so ungewöhnliche Auszeichnung zuzuwenden? Sein Blut gerieth in Bewegung bei den Vorstellungen, welche ihn überkamen. Sonderbare Träume füllten seinen Kopf, und sein Herz pochte unruhig dabei. Er wollte sie von sich abschütteln, indem er darüber lachte, aber sie ließen sich nicht dadurch verscheuchen, sondern klammerten sich um so fester, und ein geheimes Wohlgefallen daran war mächtiger, als was er dagegen versuchte.
Bei aller Mißgunst, welche er von Emma von Meerfeld erfahren hatte, war seine Theilnahme für sie nicht schwächer geworden, vielleicht eben durch diese kalte stille Haltung. Ihre Schwester hatte ihn weit freundlicher behandelt und dennoch weit weniger angezogen. Es lag Etwas in ihren Augen, ihrer Sprache, ihren Mienen, das ihn heimlich verletzte, er wußte gewiß, daß die Vertraulichkeit, welche ihm zu Theil wurde, eine augenblickliche Gunst sei, welche er den Umständen zu danken hatte.
Mit Emma war es von Anfang an anders gewesen. Sie hatte ihre Zurückhaltung niemals aufgegeben, die Beweise seiner Theilnahme fortgesetzt unbeachtet gelassen, aber er fühlte sich davon nicht verletzt, sondern er bedauerte es und bemühte sich um so mehr ihr zu gefallen. Einige Male auch glaubte er Zeichen zu bemerken, daß der Erfolg ihm günstiger sei. Ihre Augen ruhten fragend und forschend auf ihm, und der melancholische Schatten darin erhielt einen unnachahmlichen Ausdruck der Trauer. Es waren nur Augenblicke, nach denen sie um so kälter und gleichgültiger sprach; allein sie reichten hin, um seine Empfindungen lebhafter anzuregen.
Drückte dies arme junge Geschöpf ein geheimer Kummer? War es unglücklich? War es etwa ein mißliches Verhältniß zu Vater und Schwester? War ihr Herz verrathen worden, war es Liebesgram, der ihre Wangen so blaß gemacht hatte?
Nun wollte sie ihn im Geheimen sehen; sie wollte ihm etwas vertrauen. Was war das? – Er saß am Fenster und sah in den rothglühenden Abendhimmel hinein, bis sein Kopf es nicht länger ertragen konnte. Die Schatten fielen von den Bergen nieder, und die Curgäste zogen sich von den Promenaden zurück. Die Matten bedeckten sich mit nebelndem Rauch, Halbdunkel hüllte den Wald ein. –
Jetzt näherte sich Heinrich der Laube an dem Sitterbach, und eine ungestüme Freude übergoß ihn heiß, als er eine Gestalt darin bemerkte.
Sie war es. Sie saß dort in ihren großen Reiseplaid gehüllt und streckte ihre Hand nach ihm aus, als sie ihn erblickte. Es bedurfte nur dieses Zeichens, um seinen Gefühlen ein elektrisches Feuer zu geben. – Indem er ihre Hand ergriff, zog er diese an seine Lippen und hielt sie fest, ohne daß sie es ihm gewehrt hätte.
Endlich that sie es dennoch, und nun blickte sie ihn an, und wie sie das Haar von ihrer Stirn strich, richtete sie ihren Kopf auf, und um ihre Lippen lief ein Zucken, das wie ein schmerzliches Lächeln aussah.
Vergeben Sie mir, sagte er, doch wahrlich, ich möchte diese Hand niemals freigeben.
Wie lange? antwortete sie.
So lange ich lebe! rief er betheuernd.
Ist das wahr?
Wahr und gewiß.
Regungslos und stumm saß sie neben ihm, ihre Augen in den Himmel gerichtet. Plötzlich wandte sie sich zu ihm um und blickte ihn fest und forschend an.
Lieben Sie mich? fragte sie.
Mehr als ich sagen kann! rief er mit der Leidenschaft, die ihn ergriffen hatte.
Ihre Augen erhielten einen Glanz, in welchem die letzte Abendröthe noch einmal aufzuflammen schien.
Schwöre! sagte sie mit Heftigkeit, schwöre, daß dies kein falscher Schwur sein soll. Liebe mich, ja liebe mich, und ich will dir anhängen im Leben wie im Tode. Verlaß mich nicht! Verlaß mich nie! nie!
Und wenn dich Gott und Menschen verließen, rief er in seiner Liebesglut, will ich bei dir stehen!
Sie legte ihre beiden Hände auf seine Brust und sah ihm ins Gesicht, dabei sprach sie mit lauter Stimme:
Ich will es glauben, Heinrich, und Gott schütze uns Beide, daß wir unser Gelöbniß halten. Du hast mir heut mein Leben erhalten, dir soll es fortan gehören. Ich will dich glücklich machen, so viel ich es vermag.
Aber Emma! rief Herr von Meerfeld draußen dicht bei der Laube, was sind das für Geschichten? Wer ist bei dir?
Alle Illusionen zerplatzten vor dieser Stimme und ihren Fragen. Der vornehme Edelmann, der reiche Gutsherr, der deutsche Baron, was konnte er zu dieser Verirrung seiner Tochter sagen?!
Es ist Heinrich Schwarz, erwiederte Emma ohne zu erschrecken.
Sie sind es? Sie Herr – Herr Doctor! rief der alte Herr. Was haben Sie mit Emma? Was soll das bedeuten?
Daß ich sie liebe! sagte der junge Mann, der in dieser Lage keinen Ausweg sah. Ich halte mein Bekenntniß nicht zurück; ich gestehe es offen ein.
Aber Herr – Herr Doctor! fuhr Herr von Meerfeld fort, das ist stark, bei meiner Ehre! Sie lieben meine Tochter und Emma, wie? Emma liebt Sie wahrscheinlich auch?
Ich glaube es, denn sie hat es mir gesagt.
Alle Wetter! das hat sie Ihnen gesagt? Was soll daraus werden?
Herr von Meerfeld, erwiederte Heinrich, nennen Sie es Gottes Hand, die mich zu Ihnen führte, und trennen Sie uns nicht. Ich bin allerdings nicht im Stande, Unterschiede aufzuheben, die einmal in der menschlichen Gesellschaft bestehen, was aber meine Liebe und Verehrung betrifft, so kann ich mich den Höchsten gleichstellen.
Schweigen Sie von Vorurtheilen stille, sagte Herr von Meerfeld, ich bin darüber hinaus. Ich frage nichts danach, ob Sie einen adligen Namen führen oder nicht. Ihr Benehmen ist das eines wackeren Mannes, wir haben Sie alle lieb gewonnen, und Emma haben Sie heut das Leben gerettet, ohne Sie wäre sie hinabgestürzt, und ich hätte kein Kind mehr. Das Alles, ich muß es sagen, will es nicht zurückhalten – ja das Alles kann mich nur darin bestärken, Ihre Wünsche zu erfüllen.
Herr von Meerfeld! rief Heinrich freudig aus.
Halten Sie still, sagte der alte Herr. Ist es Ihr fester Wille, Emma zu Ihrer Frau zu nehmen?
Mein höchster, mein innigster Wille!
Und dein Wille ist es ebenfalls, Emma?
Ja Vater! erwiederte sie mit nachdrücklicher Bestimmtheit.
Nun denn, mein lieber Doctor, so habe ich nichts dagegen einzuwenden, aber ich habe eine Bedingung. Die Heirath muß schnell geschehen, so schnell als möglich. Wir wollen nach Zürich fahren, wenn die Ceremonie dort rasch erfolgen kann.
Ein jäher Schrecken überfiel den jungen Mann. Seine Eltern sammt allen Verhältnissen und Hindernissen waren ihm bis jetzt gar nicht eingefallen, plötzlich tauchte sein Vater mit den Färberhänden, seine Mutter mit der Hausjacke, das Annli mit den grauen gierigen Augen vor ihm auf und erfüllte ihn mit Entsetzen. Es konnte nichts daraus werden, das war gewiß. Wenn Herr von Meerfeld auch vor dem echten Schweizer und seiner Gattin sich nicht zurückzog, wenn Fräulein Helene diese theueren Verwandten nicht mit Hohn von sich stieß, Emma ihrer Liebe folgte, so waren Zweifel genug vorhanden, ob der echte Schweizer sich diese Schwiegertochter und ihren Anhang, so vornehm er war, gefallen ließ.
In Zürich, sagte Heinrich daher, ist es sehr schwer, oder unmöglich, eine rasche Heirath zu schließen, da viele Formalitäten zu erfüllen sind.
Dann müssen wir es aufgeben und anders machen, fuhr Herr von Meerfeld fort. Lassen Sie sich ganz geschwind einen Taufschein schicken.
Den habe ich bei mir, erwiederte der Doctor. Ich brauchte ihn auf der Universität und besitze ihn noch.
So sind wir in Ordnung, mein lieber Sohn, rief der alte Herr, Alles wird sich nach unseren Wünschen finden. Benachrichtigen Sie ihre Eltern, sie werden, wie ich hoffe, mit Ihrer Wahl zufrieden sein?
Daran ist kein Zweifel möglich, sagte Heinrich.
Umarme ihn, Emma, liebe ihn und nehmt meinen Segen! fuhr Herr von Meerfeld fort, indem er selbst seine Arme ausbreitete.
Emma hatte bis dahin neben dem Bräutigam gestanden, der sich in einem Taumel von Glück befand, das märchenhaft über ihn gekommen war; jetzt befolgte sie ihres Vaters Gebot, und sprach mit betheuernder Innigkeit:
Nimm mich hin, ich bin dein! –
Und nun kommt, meine lieben Kinder, kommt geschwind, wir wollen Helene überraschen, rief der gute Papa. Und dann wollen wir eure Verlobung feiern, mit dem Besten, was hier zu haben ist. – So führte er sie dem Curhause zu.
Wiederum saß Herr David Schwarz an seinem großen Tische, und wiederum schien die Abendsonne durchs Fenster und beleuchtete den guten Züricher Wein in seinem Glase; auch hielt er Messer und Käse in seinen rothgefärbten Fingern und sah ernsthaft vor sich hin, ohne nach der alten Frau zu schauen, welche auf ihrem Schemel Garn wickelte. Es war nichts Besonderes dabei, denn David Schwarz machte es jeden Abend so, sobald die Arbeit ihr Ende genommen; aber er sprach dann doch vom Geschäft und von Allem, was vorgekommen, heut jedoch sprach er nichts. Er sah stumm in das Glas, drehte seine Mütze ein paar Mal rund um den Kopf und schnitt fürchterlich lange Brot- und Käsestücke ab, welche er erbarmungslos vertilgte. Es half ihm jedoch nichts, wenn er meinte, auf diese Weise zu einer erfreulicheren Stimmung zu gelangen, denn er hörte immer wieder eine Art leises Stöhnen oder Seufzen von dem Kalikogebirge her, neben welchem die alte Frau saß.
Plötzlich schlug David Schwarz mit dem Knauf seines Messers auf den Tisch und fing ein herzhaftes Gelächter an, wobei er sich zu seiner arbeitsamen Gattin wandte.
Es ist meiner Treu zum Lachen, rief er, womit so eine alte Frau gerührt werden kann. Ist das ein Gestöhne und Geseufze, als wäre Mord und Brand im Hause.
Ist Unglück genug da, erwiederte sie.
Unglück? schrie er wiederum auflachend. Wo sitzt das Unglück? Der Bub' ist nach schweizer Art in die Welt hinausgelaufen; laufen deren viele alle Jahre nach Frankreich und Italien, und weißt wohl, Regli, wie es die Pastetenbäcker aus Graubündten machen? Die laufen bis Amerika und Constantinopel und bleiben ihr halb Leben da außen.
Es weiß aber doch die Mutter, wo ihr Kind geblieben ist, wandte die alte Frau mit einem neuen Seufzer ein.
All' der Donner! rief David Schwarz, bist du eine richtige Schweizerin? Haben's die Mütter gewußt, wo ihre Kinder blieben, die in die glorreichen Schlachten auszogen? Oder wenn die Lavinen fallen und sie gerathen darunter, oder wenn ein Gemsjäger steigt in die Bergstöcke hinein, und es sieht ihn Keiner mehr wieder, nicht ein Gebeine wird aufgefunden, nicht eine Feder von seinem Hut? Weiß da eine Mutter, wo ihre Kinder geblieben sind?
O, Herr Gott! schrie die alte Frau erschrocken, wenn wir ihn auch nimmer wiedersehen!
Bist nicht gescheut! sagte der standhafte echte Schweizer, ist nicht viel mehr als eine Woche, daß er Reißaus genommen hat, aber es dauert sicherlich kaum noch lange, so ist er wieder da und giebt gute Worte.
Und das Annli fragt jeden Tag und giebt jeden Tag spöttische Reden über sein sehnsüchtig Herz, fiel die alte Frau ein.
Es ist ein Kreuzbub! murmelte David Schwarz, indem er die Mütze um seinen Kopf zog, das Annli wird's ihm in der Folge noch eintränken, wenn sie es inne wird, und recht ist's ihm, wenn sie es scharf nimmt. Aber schweig du still, Regli, ich sage, er wird nicht ausbleiben, und wir halten's hin, denn sein Geld ist sicherlich bis auf die Neige hingeworfen, und solch ein Bursch, oho! der weiß richtig zu denken, wenn er nichts mehr in der Tasche findet.
In dem Augenblick öffnete sich die Thür, und darinnen stand der, um den so viel Sorge und Ueberlegung war, da stand er, doch nicht mit reuigem, demuthsvollem Gesicht, sondern aufgerichtet und so keck umschauend, als sei gar nichts vorgefallen. Die alte Frau sprang auf und streckte ihre Arme nach ihm aus, allein sie ließ diese gleich wieder sinken, denn es fiel ihr ein, daß sie hart bleiben müsse. Der Vater blieb sitzen, rückte die Mütze und sagte mit unterdrückter Heiterkeit:
Bist also wieder da, Heinrich?
Ja Vater, antwortete der Sohn. Erlaubst du es, daß ich eintreten darf?
Komm herein, wenn du's richtige Denken mitgebracht hast.
Das habe ich, Vater.
Willst ein ordentlicher Mann werden?
Ich hoffe, daß ich es bin.
Willst eine Frau nehmen, die dich dazu macht?
Es ist schon dafür gesorgt.
Du trotziger Bursch! Willst dich also fügen?
Ja, Vater, ich habe mich gefügt.
Schaust es, Regli, schrie David Schwarz triumphirend. Hab' ich' nicht gesagt? Wußt' ich nicht, was geschehen würde. Wart, du Narr, wollen dich lehren. Willst nimmer wieder ausreißen, gelt?
Nein Vater. Niemals wieder.
So soll's vergeben und vergessen sein, und wollen das herzige Schätzchen gleich herbei holen lassen. Doch nein! mußt auf der Stelle selbst zu ihm laufen.
Es ist schon da und wartet an der Thür, erwiederte Heinrich, und er wandte sich dabei um, riß die Thür auf, streckte seine Hand aus, und dieser folgte eine Dame in Hut und Mäntelchen, welche plötzlich sichtbar wurde.
Im ersten Augenblicke schien's nicht anders, als ob Heinrich seine Reue damit besiegelt hätte, Anna Frings gleich seinen Eltern zuzuführen, denn fast von derselben Größe war sie, und das Dämmerlicht kam dazu; aber so prächtig im weiten, hellen Kleide putzte sich das reiche Annli nimmer heraus, und die nächste Minute zerstörte die Täuschung völlig, denn es war ein fremdes Gesicht, fein, zart, jugendlich und von stolzem Ansehen.
Vater, sagte Heinrich, indem er seine Begleiterin näher heran führte, ich habe dir den Beweis für mein richtig Denken liefern sollen, habe es dir versprochen, und bringe den Beweis hier mit. Das sind meine Eltern, Emma. Vater, Mutter, das ist meine Frau.
Wie vom Donner gelähmt saßen die beiden alten Leute da, die Schwiegertochter aber sprach ohne Schüchternheit mit vieler Fassung und wohlklingender Stimme:
Ich komme zu Ihnen mit herzlichem Vertrauen. Nehmen Sie mich freundlich auf, ich will Ihnen eine gute Tochter sein.
Bei diesen Worten schien David Schwarz aufzuwachen. Er riß seine Mütze auf die andere Seite und starrte die Erscheinung an, als sei es ein Anblick den er nicht aushalten könnte, denn gleich wandte er seine Augen davon ab und schrie auf seinen Sohn ein:
Was meinst damit? Was soll's? Ist der Bub' denn wild und toll geworden?
Geh' hinaus, liebe Emma, geh' die Treppe hinauf in mein Zimmer, ich habe es dir beschrieben, sagte Heinrich. Warte dort auf mich, bis ich dir Nachricht bringe. Sei ruhig, fügte er lächelnd hinzu, indem er sie fortführte, meine Eltern sind natürlich sehr überrascht.
Er drückte die Thür zu, kehrte um und stellte sich vor seinen Vater. Der würdige Mann stand noch immer fassungslos, seine einzige Bewegung war die, daß er seine Hand zurückriß, als sein Sohn diese ergreifen wollte. –
Ich will dir Alles erzählen, Vater, sagte Heinrich, und hoffe euch beide zu versöhnen, denn ich habe euch nur von Glück zu melden.
Ist es denn wahr, stieß David Schwarz hervor, daß – daß – daß die dort – er streckte seine Finger aus.
Daß sie meine Frau ist, fiel der Sohn ein, das ist gewißlich wahr, denn hier ist der Trauschein.
Dann, du Elements-Bub! schrie der zornige Vater, dann will ich dich zerschmeißen und nicht mit meinen Augen mehr ansehen.
Wenn das dein Wille ist, so thu's, antwortete Heinrich ruhig. An der Thür hält noch der Wagen, der uns brachte; er kann uns auf der Stelle wieder fortnehmen. Erst aber hört mich an, und du, Mutter, sieh nicht so bös auf mich her.
Herr du Gott! rief die alte Frau, ihre Hände faltend und in Thränen ausbrechend, was kann man an seinem einzigen Kind für Schand' erleben!
Wenn's da außen gewesen ist! schrie der Vater heftig nickend, wo's hottentottisch hergeht.
Heinrich beachtete es nicht, er fing an zu erzählen, indem er betheuerte, daß er aus dem Hause gelaufen, weil er nimmermehr sich hätte fügen mögen, und niemals wäre er wieder gekommen, wenn nicht Dinge geschehen seien, die ihm sein Glück in den Schoß geworfen. Daß sein Vater ihn dafür grimmig anblickte, that ihm nicht weh. Er erzählte weiter, wie er die Bekanntschaft des Herrn von Meerfeld gemacht, und was sich darauf zugetragen, erzählte vom Wildkirchli und von der Laube, und wie er's hintertrieben, daß die Familie jetzt nach Zürich gegangen, weil er vorausgesehen, was dann geschehen sein würde.
Wir gingen mitsammen nach Stockach, fuhr er fort, und dort war Herr von Meerfeld bekannt; es machte wenig Mühe, den Pfarrer zu bestimmen, uns zu trauen. Am dritten Tage waren wir Mann und Frau, begleiteten den Vater noch bis Stuttgart und kehrten dann zurück, euch um euren Segen zu bitten. Wollt ihr mich nun fortstoßen, ich kann's nicht ändern, aber was könnt es euch helfen, wolltet ihr so viel Leid über uns Alle bringen? Aendern könnt ihr nichts mehr, und zur Last fallen will ich euch nicht. Emma wird euch ehren und lieben, ich nicht minder. Sie ist gut und verständig, ihr werdet nicht zu klagen haben; überdies aber habe ich keine genommen, die euch Schande macht, sondern eine von edler Geburt, und dabei von Vermögen. In Stuttgart habe ich zwölftausend Gulden ausgezahlt bekommen, als Heirathsgut, überdies die schriftliche Verpflichtung, daß mein Schwiegervater jährlich tausend Gulden in meine Wirthschaft zahlt, und wenn er sterben sollte, wird die Summe, zum Capital gemacht, Emma zufallen. Ihr seht also, daß ich nicht leichthin gehandelt habe, wie ein unbesonnener leichtsinniger Mensch, sondern richtig gedacht, Vater, und wohl überlegt.
Das Annli hat mehr als fünfmal so viel, murmelte David Schwarz den Kopf auf seine Faust legend, aber der Ton, in welchem er jetzt sprach, war doch merklich milder geworden.
Inzwischen hatte Heinrich seine Brieftasche hervorgezogen, legte Wechsel auf den Tisch auf ein großes Züricher Handelshaus, legte das von seinem Schwiegervater ausgestellte Document über die Jahreszahlung daneben, endlich auch den Trauschein, der nichts zu bezweifeln übrig ließ.
Und was soll nun werden? fragte der alte Mann, nachdem er die Papiere betrachtet hatte.
Es ist wahr, erwiederte Heinrich, Anna Frings würde fünf- oder sechsmal mehr Geld in dein Haus gebracht haben, aber wär's denn zum Segen gewesen? Sie ist so geizig, so herrschsüchtig und anmaßend, daß ihr es bald genug wohl selbst gefühlt hättet, und nicht ich allein hätte das Unglück getragen. Ich habe mein richtig Denken gehabt, Vater, nimmer soll es mir leid thun! Jetzt habe ich auch so viel Einnahmen, um, wenn auch ganz einfach, doch ohne Sorgen und nach meinen Wünschen zu leben. Wollt ihr uns die Stube im oberen Stockwerk überlassen, so wäre das die einzige Bitte, die ich an euch richten will. Ich würde dann in eurer Nähe bleiben, Emma wünscht es, damit ihr sie lieb gewinnen mögt, und sie die Mutter unterstützen kann, wo es Noth thut. Liebe gute Mutter und du, lieber Vater, zürnt nicht länger. Nehmt euren lieben Sohn an, und nehmt die Tochter, die er euch mitgebracht hat.
Es entstand ein Schweigen. Heinrich hatte den Arm um seine Mutter gelegt und bot seine Hand dem Vater hin. –
Sprich du, David, sagte die alte Frau, ändern läßt's sich nicht.
Ist aber doch eine heidnische Sach'! schrie der alte Mann. Wäre er nicht da außen gewesen, wo's richtige Denken herstammt, er hätt's nimmermehr gethan. Heirathet ein Mädchen von der Landstraße weg. Was hast du für Sicherheit, daß Alles Wind und Lüg' ist?
Nun, lachte Heinrich, ihr seht diese Wechsel und werdet bald inne werden, daß sie nicht falsch sind. Zweifelt nur nicht, als ob nicht Alles seine Richtigkeit hätte. Ich habe mich auch in der Stille erkundigt, sowohl in Stockach, als in Stuttgart; mein Schwiegervater hat kein falsches Wort gesagt. Er ist reich und angesehen, und hat mich liebgewonnen, fuhr er fort, als er seines Vaters Kopfschütteln sah. Er glaubt fest daran, daß ich Emma vom Tode gerettet habe, und dann allerdings, nun ja sein Liebling ist diese Tochter vielleicht nicht, sondern die andere, die besser zu ihm paßt; aber ich liebe sie um so mehr, auch weiß ich, daß ich geliebt werde, und das ist das Beste, das ich wünschen kann, mehr werth, als aller Reichthum.
Mit der Liebe ist's aber doch nicht allein abgethan! sagte hinter ihm eine Stimme, und da stand vor dem offenen Fenster Anna Frings in ihrem großen Gartenhut mit den schwarzen Bändern. Ehe etwas geschehen konnte, war sie auch schon im Zimmer und kam auf Heinrich zu, der so höflich that, wie er es zu sein vermochte.
Seid Ihr also endlich wieder angelangt, Herr Heinrich, rief sie ihm entgegen, indem sie die dünnen Lippen zurückzog und ihre grauen grellen Augen blitzen ließ. Ihr seid ein sauberer Freund, schwört mir ewige Freundschaft und läuft dann davon, ohne Abschied zu nehmen.
Es war durchaus nothwendig, erwiederte er verwirrt stockend.
Und jetzt kehrt Ihr zurück und macht es nicht besser, fuhr Anna fort. Ich sah den Wagen an Eurer Thür halten, merkte gleich, daß Ihr gekommen sein mußtet, warte also eine lange Weile mit Ungeduld, ob Ihr das Annli nebenan ganz vergessen habt.
Seid sicher, daß ich Euch nicht vergessen habe, antwortete Heinrich, der seinen Muth zusammenraffte, als er diese zweideutige Antwort gab.
Und womit wollt Ihr es mir beweisen? fragte sie ihres Sieges gewiß. Wo seid Ihr gewesen?
An manchen Orten, auch im Weißbad.
Sieh! rief sie lachend aus, das ist der rechte Platz für junge Herren, um an ein armes Mädchen in Zürich zu denken. Habt Ihr gute Gesellschaft gehabt?
Sehr gute Gesellschaft.
Man kennt es, fuhr sie fort. Es kommen Manche dahin, die gute Gesellschaft lieben und danach suchen. Die einen Mann suchen, den sie sonst nicht bekommen können.
Andere bleiben zu Haus, und bekommen doch keinen, versetzte er.
Sie warf einen ihrer funkelnden Blicke auf ihn. Es hat Euch also gewiß gefallen?
Es hat mir sehr gefallen.
Und Ihr habt Bekanntschaften gemacht.
Interessante Bekanntschaften, die ich nimmer vergessen werde.
Das boshafte Funkeln ihrer Augen vermehrte sich. Es ist Schade! rief sie, daß Ihr nichts davon mitgebracht habt.
Eben öffnete Emma die Thür und trat wieder herein. Sie konnte es in dem Zimmer oben nicht länger aushalten, und kam, weil sie es für räthlich hielt, ihren Mann zu unterstützen.
Bei ihrem Erscheinen wandte sich Heinrich zu ihr, und indem er ihre Hand nahm und sie vorstellte, sagte er:
Auch daran habe ich gedacht. Sehen Sie, meine liebe Freundin, ich habe mir das Beste mitgebracht, das ich finden konnte, meine Frau. Liebe Emma, das ist Anna Frings, unsere Nachbarin, von der ich dir schon erzählte.
Eine drastische Scene folgte dieser Eröffnung. Das liebe Annli war sicherlich nicht weniger erschrocken und erstarrt, als der würdige Fabrikant und seine Gattin, aber sie zweifelte nicht, daß, was sie hörte, wahr und gewiß sei. Ihr Gefühl sagte ihr, daß kein Scherz hier getrieben werde, daß dies wirklich die Frau dieses undankbaren Mannes sei, daß er sie betrogen und verrathen habe.
In einem Augenblicke hatte sie Alles begriffen und überwunden, und nicht ein Wort verrieth ihre Ueberraschung. Sie sah die glückliche Nebenbuhlerin wie ein Raubvogel an, der vor dem Gitter seines Käfigs ein Vögelchen sitzen sieht, das er mit ingrimmiger Gier zerreißen wollte, sich aber wohl hütet, den Kopf an den Eisenstäben zu zerstoßen. Mit süßem Lächeln zog sie die dünnen Lippen fort, machte einen tiefen Knix und sprach dabei die schönsten Glückwünsche und welche große Freude sie empfinde.
Die junge Frau veränderte keine Miene, ihr Gesicht hatte den unbeweglichen Ausdruck, den es annehmen konnte, wenn es ihr Wille war; aber sie verbeugte sich ebenfalls höflich mit einigen Dankesworten, und ihre Augen ruhten mit solcher Festigkeit auf Anna Frings, als stände dort etwas geschrieben, was sie lesen wollte. Dies gegenseitige Anschauen war entscheidend. Hätte Emma sich gedemüthigt, wäre sie verlegen und verwirrt, ihrer Sünden sich bewußt gewesen, so hätte sie vielleicht Mitleid empfunden, Vergebung freilich nicht, allein sie hätte es leichter ertragen, so aber sah die Behandlung der jungen Frau wie Verachtung aus.
Das kalte, stolze Gesicht sah sie an, als sei sie eine Bettlerin, die man zum Hause hinausweist, und mißtrauisch aufmerkt, daß sie kein fremdes Eigenthum mitnimmt. Anna Frings war gewiß, daß das Weib Schlechtes von ihr dachte. Es ging durch ihren Kopf, daß Heinrich Allerlei erzählt haben könnte, denn gesprochen hatte er von ihr, und dieser Gedanke fuhr wie ein Feuerstrahl auf sie ein, es war, als brannte sie innen davon, während ein Frost sie heimlich schüttelte.
Ja, meine liebe Freundin, sagte Heinrich mit versöhnlichem Lächeln, das ist eine allgemeine Ueberraschung, die ich angerichtet habe. Aber die Liebe fragt nicht nach Raum und Zeit; da sie ein echtes Götterkind ist, steigt sie oft plötzlich vom Himmel herab und wirft alles Menschendenken über den Haufen. Ich hoffe jedoch, dies soll nicht hindern, daß wir so gute Freunde und Nachbarn bleiben, wie wir immer gewesen sind.
Er reichte ihr seine Hand, und sie legte ihre langen Finger hinein, faßte zu und drückte sie zusammen, so freundlich lachend, als sei es ihr Wunder wie wohl und spaßhaft dabei. Ein unheimlich Gefühl blieb aber doch bei Heinrich zurück. Anna Frings hatte immer kalte, harte Hände, vor denen er Mißbehagen in allen Adern empfand, jetzt fühlten sie sich wie die Hände eines der eisigen Dämonen an, die auf dem Glärnisch hausen sollen, und ihre Augen mit den gelblichen Ringen in der Mitte, welche sich wie Sterne zusammenzogen, strahlten einen so bösartigen Glanz aus, wie er ihn nie gesehen.
Gewiß, sagte sie, das denke ich nicht minder, Herr Heinrich, wir werden nun erst recht gute Freunde und getreue Nachbarn sein. Was ich irgend thun kann, um meine aufrichtige Freundschaft zu bezeigen, soll nicht ausbleiben. Die Frau Nachbarin soll mich allezeit zu ihren Diensten bereit finden.
Wir wollen es eben so machen, erwiederte Heinrich. Meine liebe Emma wird gütige Hülfe und gute Freunde brauchen, da sie Niemand hier kennt.
Die liebe Frau Nachbarin ist nicht eine Schweizerin? fragte Anna.
Nein, eine Deutsche.
Und ist sicherlich auch nicht stumm? fuhr sie in spaßigem Tone fort, denn die Deutschen schwatzen gern.
Nein, nein, sie ist nicht stumm, lachte Heinrich, indem er seinen Arm um Emma legte, dies wird sie am besten selbst beweisen können.
Wenn die Deutschen auch schwatzen, sagte Emma, ohne freundlicher zu werden, so ist's doch meist ehrlich gemeint und keine Heuchelei dabei.
Sie sah Anna Frings dabei wiederum mit dem stolzen unbeweglichen Ausdruck an und brachte den Haß in ihr zu noch höherer Glut.
Ei wohl, rief sie, es ist ein ehrlich und aufrichtig Volk, wo's richtige Denken zu Haus ist, wie Herr David Schwarz sagt. Wir sind ein arm klein Völklein, das sich verstecken muß, sind ungebildete Leute, die sich nicht herausputzen können – sie sah die junge Frau mit Hohn an – denn wir müssen arbeiten, müssen's zusammenhalten, können die Kleider nicht auf der Erde nachschleppen lassen, und die weißen Händchen in Handschuh stecken. – Aber es ist sicherlich eine herrliche Freude für Euch, Herr Schwarz, plötzlich eine so schickliche Schwiegertochter im Haus zu haben, eine Schwiegertochter aus dem Land, das Ihr so mächtig verehrt, und was wird's Euch erst für Heil bringen, Frau Schwarz, welche Freude werdet ihr jetzt an Eurem Sohn erleben! Ich wünsche Euch allen tausendmal Glück, bin gewiß, es wird sich erfüllen. Jetzt aber lebt wohl bis auf ein ander Mal. Besucht mich doch bald mit der gnädigen Gemahlin, Herr Heinrich, wenn's Euch nicht zu schlecht ist in meiner Armuth, und meine Sprache zu gemein. Ich wohn' dicht nebenan, Frau Schwarz, in dem Häuschen; bitt Euch, vergeßt mich nicht, und schenkt mir Eure gütige Theilnahme.
Sie verbeugte sich dabei ohne Aufhören mit übergroßer Höflichkeit. Ihre dünnen Lippen waren in fortgesetzter Bewegung und ihr Gesicht voller Triumph, denn sie bemerkte wohl, welche Wirkung ihre Worte hervorbrachten. Die beiden alten Leute hatten während dieses ganzen Auftrittes geschwiegen. David Schwarz, die Hand geballt auf den Tisch gelegt, blickte vor sich nieder, als schäme er sich, und seine arbeitsame Frau wickelte an ihrer Garnwinde weiter, ohne inne zu halten. Während ihrer letzten boshaften Anspielungen wurde auch Heinrich unruhig, und seine Augen flogen nach Vater und Mutter und auf seine junge Frau, die mit derselben Unbeweglichkeit wie bisher neben ihm stand, was der einzige Wermuthstropfen in Anna Frings Freudenbecher blieb.
Als die Nachbarin ging, erwiederte Keiner ihr Lebewohl, und Keiner begleitete sie mit Ausnahme der jungen Frau, welche ihr langsam einige Schritte nachfolgte. Als sie sich umwandte, war ihr Gesicht völlig verändert, denn es sah mild und bewegt aus. Ein sanftes Lächeln schwebte um ihre Lippen und ihre Augen glänzten voll Freudigkeit.
Die lieben Eltern haben gutes Recht auf uns zu zürnen, sagte sie zu ihrem Manne, wir müssen beide bitten, daß sie uns vergeben. – Du wirst ihnen, was uns zu entschuldigen vermag, jetzt wohl mitgetheilt haben, der Wunsch und Wille meines Vaters, die Verhältnisse, endlich aber auch deine Verhältnisse, Heinrich, von denen ich so viel weiß, daß es dir wie ein Gottesgeschick erschien, wenn du mich als deine Frau zu deinen Eltern führen konntest, damit wir beide sie anflehen möchten, uns ihren Segen nicht zu versagen. Geschehenes läßt sich nicht ungeschehen machen, man kann nur versprechen, die Vergebung mit Liebe und Treue zu vergelten. Und das versprechen wir beide Ihnen, liebe Eltern. Nehmen Sie uns gütig auf, Sie sollen nicht über uns klagen. Gehorsam und gern will ich mich in Alles schicken, was Sie für nöthig halten, Heinrich mit mir; er wird immerdar ein guter Sohn sein.
Ich habe es dir gesagt, Vater, fiel Heinrich ein, daß ich nichts verlange, als eure Vergebung. Ich liebe meine Frau aufs Innigste, ich bin glücklich, daß ich sie besitze. Wunderbar ist mir mein Glück geworden, mehr verlange ich nicht. Vater! Mutter! so schlagt doch ein, seht sie doch an, die schön und gut vor euch steht, ganz anders als der Unhold, der hier ausgefahren ist.
David Schwarz hob den Kopf auf, es war wirklich so. Die liebliche junge Gestalt stand vor ihm, wie ein herrlich Gebild. Ihr seidenweiches Haar glänzte, ihre Augen baten so sanft und rührend, sie hatte auch die Handschuh von ihren Händen gethan, und diese falteten sich ihm entgegen; der goldene Trauring funkelte ihr am kleinen Finger, und auf ihren Wangen sammelte sich das Abendlicht und warf einen wunderbaren Schein umher. Da kam es warm in seine Brust, und er wußte nicht wie es geschah, er streckte seine Arme nach ihr aus. Und jetzt lag die schöne Tochter darin und küßte ihn auf das harte faltige Gesicht, und der Sohn hielt ihn umschlungen, und so geschah's auch der alten Frau, es war kein Widerstreben mehr.
Jetzt, da das Eis gebrochen, kam die Liebe wie eine Flut und schwemmte alle Bedenken fort. Die weißen Hände streichelten den alten Mann, es that ihm wohl, er hörte die Schmeichelworte mit steigendem Wohlgefallen, und ein Stolz stieg ihm ins Herz, obwohl er's vor Allen verbarg. Der echte Schweizer hatte oft auf die Unterschiede zwischen den Menschen geschimpft und wie ein wahrer Republikaner aufbegehrt, es sei kein Mensch besser, denn der andere; jetzt aber war's ihm ein eigenthümlich Empfinden, daß dies ein Fräulein von vornehmer Abkunft sei, das seine zarten Arme um ihn lege, ihn in seiner groben Jacke und seinen Färberhänden Vater nenne. Es kam ihm vor, als hätte der Heinrich doch gar so übel nicht gethan, und er mocht' es ihm nicht länger verdenken, daß er dies herzige Liebchen gegen das garstige Annli eingetauscht hatte.
Schweigt nur still und thut's, was ihr sagt, rief er endlich. Wir wollen's so nehmen, wie es Gott gefügt. Wollt Ihr zufrieden sein, Frau Tochter, wie Ihr's findet und wie wir sind, so seid uns willkommen. Ihr seht wohl, wir sind einfache Leute, seht unsere rauhen Hände und rauhes Wesen; könnt Ihr uns das vergeben, so ist es recht. Es ist aufrichtig schweizerisch gemeint, darauf verlaßt Euch.
Die Versöhnung wurde damit besiegelt, daß nun auch die alte Frau die Schwiegertochter umarmte und ihr gute Worte sagte, dann ihren Sohn küßte und herzte und der Tochter empfahl, ihn scharf zu halten, denn er sei zum Leichtsinn allzusehr geneigt. Und nun folgten gegenseitige Versicherungen, in Liebe und Güte zu leben, bis endlich sich der Ernst zu einer Berathung sammelte, wie die Wohnung des jungen Paares einzurichten sei.
Der Wagen hatte inzwischen längst ein Paar Koffer und Kisten abgeladen, welche das bewegliche Eigenthum der Frau enthielten, und war darauf fortgeschickt worden. Das war nun freilich kein sonderlicher Brautschatz, wie er bei ehrbaren Leuten gefordert wird. Keine Betten und kein Linnenschatz, keine Schränke und kein blankgeputztes Hausgeräth, wie sie das vielersehnte Annli besaß, nichts war da, als diese leichten Kofferchen voll leichter Waare. –
Die alte Frau unterdrückte einen heimlichen Seufzer, der ihr heraufstieg, als sie das Gepäck betrachtete, es mußte ja doch verschmerzt werden, und was nöthig war, fehlte zudem nicht. Sie war wohl eingerichtet, um der jungen Frau abzugeben, was diese bedurfte, und die beiden Zimmer sammt dem Schlafgemach, welche sie im Obergeschoß einnehmen sollten, enthielten Geräthe genug, obwohl diese allerdings nur einfach aussahen.
Mit Allem war Emma einverstanden, dankbar für alle Hülfe und Güte. Es that den Eltern auch die Freude wohl, mit der sie sich an das Giebelfenster stellte, hinausschaute auf den blitzenden Seestreif zwischen den Hügeln, und die schöne Lage des Hauses und alle Umgebung pries. Dann wurde sie wieder mit hinabgenommen in das Wohngemach, wo ein Abendessen bereit stand, sammt einer Flasche vom echten Seewein. Und David Schwarz schenkte die Gläser voll, hob das seine auf und sprach:
Ist also dein richtig Denken in Erfüllung gegangen, Heinrich. Geb's Gott zu aller Zeit, daß wir's loben zu Ehr' und Ruhm, wie es echten Schweizern zukommt!
Die nächsten Tage hatte die junge Frau ihre Einrichtungen zu vervollständigen und sie sparte keine Mühe, um die Gunst ihrer Schwiegereltern sich zu erhalten und zu sichern. Es war ihr Wille gewesen, bei ihnen zu wohnen, sie hatte es reiflich überlegt und ihren Mann dazu mit Bitten und Vorstellungen bewogen, denen er endlich nachgeben mußte.
Heinrich hatte vor ihrer Hochzeit in vertrauten Stunden die Wahrheit mitgetheilt, wie er mit seinen Eltern stand, und was sie von diesen zu erwarten hatte. Er wollte sie nicht täuschen, ihr nicht einbilden, daß sie in ein großes Hauswesen zu einem reichen Fabrikherrn käme, der in bequemer Wohlhabenheit zu leben gewohnt sei. Er schilderte ihr seinen Vater als einen Mann, der in Armuth und Arbeit aufgewachsen, sich auch jetzt nicht davon trennen konnte, seine Mutter als eine einfache Frau aus dem Volke, ohne Sinn für die Sitten und Gewohnheiten wohlhabender Leute, Beide sicherlich ein wackeres Paar, geachtet im Hause und in der Gemeinde, geachtet auch von vielen andern Geschäftsgenossen, von denen manche, obwohl sie reich waren, im Grunde nicht viel besser lebten und wohnten, oder anders dachten, als sein Vater.
Er theilte Emma auch ohne Rückhalt mit, welche Pläne seine Eltern mit ihm gehabt, und daß er heimlich ihr Haus verlassen, weil er weder im Geschäft arbeiten, noch Anna Frings heirathen wollte. Daß er sie versöhnen werde, wenn er mit einer Frau jetzt zurückkehrte, daran zweifelte er nicht, denn er wußte zu gut, daß seine Eltern ihn doch als einzigen Sohn liebten, allein abhängig von ihrem Willen wollte er nicht wieder sein; mit ihnen leben, Wohlthaten von ihnen empfangen und sich dafür gelegentlich mit harten Worten behandeln lassen, dagegen sträubte sich sein ganzer Stolz.
Obwohl er Vieles sagte, sagte er doch nicht Alles. Er verschwieg, wovon er überzeugt war, daß Emma es doch nicht auf die Dauer in der Nähe seiner Eltern würde ertragen können, denn wie sollte sie sich diesen einfachen hartdenkenden Menschen und diesem Leben anpassen, das schon ihm so abschreckend vorkam. Es lag die Kluft der Bildung zwischen ihm und denen, die ihm das Leben gaben, und darüber führt keine Brücke. Er vermochte so wenig zu ihnen hinabzusteigen, wie sie zu ihm herauf, wie sollte Emma das möglich machen? Es war nicht zu erwarten, er erschrak davor.
Besser und unumgänglich nöthig schien es ihm, wenn er seine Eltern versöhnt hatte, durch einigen Raum getrennt von ihnen zu wohnen, und nur eine Gemeinschaft aufrecht zu erhalten, bei der man sich zuweilen sehen konnte, ohne Freiheit und Selbständigkeit in Gefahr zu bringen; zu seinem Erstaunen jedoch war Emma anderer Meinung und blieb dabei. Sie hörte ihn an, ohne vor der Zukunft zu erschrecken, welche er ihr zeigte, sondern sie blickte so freundlich nachsinnend, als gefalle sie ihr.
Du hast deine Eltern sehr erzürnt, sagte sie dann, jetzt mußt du ihnen deine Liebe zeigen, damit sich ihre Herzen nicht völlig von dir wenden. Ich werde ihnen nicht willkommen sein, und sie haben ein Recht zum Mißtrauen. Wolltest du dich von ihnen trennen, so würde es zu keiner aufrichtigen Versöhnung zwischen euch kommen, mich aber würden sie um so mehr als die Ursach' betrachten, daß sie ihren Sohn verloren haben.
Ich kann dich nicht in eine solche drückende Lage bringen, erwiederte er.
Ich wünsche und fordere es von dir, fiel sie ein, ich muß dich deinen Eltern nahe erhalten, ich will, daß sie mich kennen lernen, damit ich ihre Zuneigung erwerbe.
Mit einem Anflug schwärmerischer Stimmung fuhr sie dann fort:
Sie sollen mich treu und gehorsam finden, ich will um ihre Zufriedenheit mich bemühen, meine Demuth soll sie versöhnen, und da sie verständig sind, wie du sagst, wollen wir unter ihren Augen beweisen, daß wir es auch sein können. Folge mir, Lieber, und laß es so geschehen, denn es ist das Beste für dich und mich.
Heinrich mußte nachgeben, und die ersten Tage rechtfertigten nur, was die junge Frau sich gedacht. Sie kam am nächsten Morgen im einfachsten Hauskleide, das sie besaß, zu ihren Schwiegereltern, und ihre Freundlichkeit, wie ihr verständiges Sprechen, ihr Antheil an den Einrichtungen im Hause, ihre Zufriedenheit mit Allem, was sie sah, und die zutrauliche Bescheidenheit, mit welcher sie der fleißigen Schwiegermutter Hülfe zu leisten suchte, gefielen den alten Leuten wohl. Hochmüthig war sie nicht und ihre weißen Hände wollte sie so wenig schonen, daß die alte Frau mit einem gewissen Mitleid sie endlich abhielt, bei ihren Hausgeschäften weiter mitzuwirken.
Auch David Schwarz fand Wohlgefallen an der Theilnahme, welche Emma seiner Fabrik bewies; und daß sie ihn in die mit Dampf und Farbengeruch gefüllte Färberei begleitete, die verschiedenen Arbeiten betrachtete, dem Drucken und Pressen zusah, die Maschinen bewunderte und allerlei Fragen that, welche ihr Nachdenken bewiesen, machte ihm besonders Vergnügen. Er schob seine Kappe mehr als einmal um den Kopf, und als er zum Frühstück kam, die Tochter ihn dazu hereinholte, ihm den Stuhl setzte, und die Teller brachte, entwickelte sich eine unverkennbare Zärtlichkeit bei ihm. Er lud sie an seine Seite, sah vergnügt, daß sie es nicht verschmähte, an dem Seewein zu nippen und mit ihm anzustoßen, und drückte ihr die Hand mit Worten und Blicken, die ihr Dank und Lob sagten.
Wo ist denn aber der Herr Doctor? fragte er dann, indem er eine spöttische Miene machte.
Er ist ausgegangen, erwiederte sie, um einige Bekannte zu sehen und Geschäfte abzuthun.
Für den ist es freilich hier nichts, fiel er ein, er wollte es immer besser haben. Seht wohl zu, Frau Tochter, daß Ihr ihn haltet, daß er nicht schon des Morgens hinausläuft an wüste Orte, zu wüsten Gesellen, wo es Wein und Lustigkeit giebt. Solchen Wein, wie ich, kann er nicht trinken.
Wir wollen anstoßen, lachte Emma freundlich, daß er auf rechten Wegen bleibt, gut und getreu. Ich hab' ihn lieb und halt ihn hoch.
Ja! ja! rief David Schwarz, er hat das richtige Denken; doch nehmt Euch in Acht.
Lieber Vater, erwiederte Emma, Ihr sollt ihn nicht allzusehr schelten, wir wollen beide Eure guten Kinder sein. So sollt ihr mich betrachten, und sollt mich du nennen, so auch die Mutter, damit ich so recht als Kind Euch nahe stehe.
Der alte Mann sah sie bedenklich an, der Vorschlag kam ihm unerwartet, Sitte war's auch nicht, aber im nächsten Augenblick wurde er freudig darüber. Willst es so haben, rief er, ich thu's gern und die Mutter auch. Bring uns den Sohn in Ordnung, so wirst du unsere Herztochter bleiben.
Ihr müßt mir beistehen, erwiederte sie, wenn er irren und fehlen sollte. Wir können alle stolz auf ihn sein, denn sein Herz ist edel und gut, und wonach er strebt, ist eines rechten Mannes würdig.
Wenn er nur nicht da außen gewesen wäre, sagte der alte Mann kopfschüttelnd.
Oh, erwiederte sie, wir müssen es doch gut heißen, was geschah, und ich besonders, denn wie hätte er mich sonst gefunden? Ich danke ihm mein Leben, fuhr sie fort, und ich will's verdienen, indem ich ihm anhänge bis an meinen letzten Tag. Zürnt nicht länger über ihn, laßt ihn seinen Weg gehen, er kann nicht anders. Jeder Mensch hat seinen Beruf, dem muß er folgen, stört Heinrich nicht darin, Euch in seiner Weise Ehre zu machen. Nur müßig gehen soll er nicht, kein bequem nichtsthuerisch Leben führen, dazu hat er wohl Neigung, allein wir wollen es nicht dulden. Menschen können sich nicht gleich sein, können nicht gleiches Streben haben, die einen zieht's zu den Büchern und Wissenschaften, die anderen zu den Maschinen und Werkstätten. Aber Jeder soll suchen, der Erste und Beste zu sein in seinem Wirken, und dazu helft, liebe Eltern, daß wir seinen Ehrgeiz anspornen, daß wir seinen Fleiß beleben, ihn nicht kleinmüthig machen, sondern daß unsere Liebe und Freude ihm Kraft giebt zur Ausdauer, wenn es ihm gebricht.
David Schwarz hatte still zugehört, es schien ihm Alles recht, was seine Schwiegertochter sagte, der Beifall spiegelte sich in seinen Mienen. Er freute sich über den Plan, den sie ihm enthüllte, und er fühlte, daß es richtig sei, besonders richtig, was sie von Heinrichs Neigung zum Müßiggange und von dessen Mangel an Ausdauer bemerkte. Er hatte im Grunde auch keine Verachtung gegen Wissen und Wissenschaft, denn eben auch in dieser kleinen Republik waren ja die studirten Männer obenan, und wenn sein Sohn fleißig gearbeitet hätte, würde er ihm selbst verziehen haben, sich mit dem richtigen Denken einzulassen, von dem die praktischen Leute in Zürich nichts wissen wollten. Aber ernähren wollte er den Nichtsthuer nicht länger, und wollte es auch jetzt nicht.
Nun aber hatte Heinrich Geld mitgebracht, und die junge Frau wollte einen fleißigen Menschen aus ihm machen, wollte ihm das Nichtsthun abgewöhnen und Ausdauer hineinbringen. Daß er ihn nicht zum Fabrikanten curiren konnte, das sah er jetzt wohl ein, und da das Annli doch einmal verloren gegangen war, hatten seine Absichten auch den rechten Werth verloren. Anna Frings hätte ihn alle Tage gehetzt und gejagt, bis er niedergeduckt und umgewandelt wurde, sie hätte auch ihr Geld hergegeben, das Geschäft groß zu machen. Diese hier gab, was sie besaß, um einen Gelehrten zu Stande zu bringen, das war der Unterschied. Und David Schwarz hatte zwar Zweifel genug, daß kein Segen dabei sein würde, aber es mißfiel ihm doch auch nicht, denn sein Geld war's nicht, und die Schwiegertochter sprach wie ein Buch, und er mußte ihr beipflichten, denn er wußte nichts Besseres. Ehe er jedoch seine Meinung weiter abgeben konnte, kam Heinrich nach Haus und in munterster Laune.
Es wurde bald ersichtlich, daß er in fröhlicher Gesellschaft gewesen sei, er gestand es auch lachend zu. Mit Freunden, denen er seine Verheirathung mitgetheilt, hatte er einige Flaschen guten Wein geleert, und nicht einmal Veltliner, oder ein anderes berühmtes Schweizergewächs, sondern vom Rhein und von Welschland, was sein sparsamer Vater mit grämlichem Mißfallen anhörte.
Ich hab's immer gesagt, nickte der alte Mann. Du bist ein Muster vom richtigen Denken.
Was wollt ihr denn? lachte Heinrich. Soll ich meine liebe Emma nicht hochleben lassen? Soll ich mein Glück nicht feiern? Habe ich nicht Recht, meine kleine Frau? Muß man eine freudige Stunde nicht genießen, wenn sie sich bietet?
Erst die Arbeit, dann die Freude, sagte Emma mit einem mahnenden Blicke.
Oho! meinst du, ich hätte meine Geschäfte vergessen? Unser Geld lag schon bereit, der Bankier war längst benachrichtigt. Ich habe es jedoch nicht genommen, da ich zunächst bedenken will, wie es zum Besten angelegt wird.
Am besten wird es sein, sagte Emma, du giebst es dem Vater und überläßt es ihm.
Nein, erwiederte er, Geld muß man selbst verwalten, und ich muß meinem Vater beweisen, daß ich es auch verstehe.
Du bist freilich alt genug dazu, antwortete David Schwarz, wenn ich aber deine Frau wäre, würde ich lieber meine Hand darauf legen.
Warum, Vater? Warum?
Es könnte eines Tages plötzlich verschwunden sein.
Emma wird ihre Hand nicht darauf legen, sagte Heinrich, denn dahin gehört eine Frauenhand nicht.
Nicht? Ich weiß Eine, die dir kein Guldenstück frei lassen würde, um's in welschem Wein zu verthun.
Bei den finsteren Blicken ihres Mannes schlang die junge Frau ihre Arme um ihn und strich ihm über die Stirn. Sie wußte, worauf der Vater anspielte; und wollte es zu nichts mehr kommen lassen.
Der Vater scherzt, sagte sie, du bist ja ein Schweizer und alle Schweizer sind sparsam.
Ich habe nicht die geringste Neigung, ein Verschwender zu sein, sagte er in stolzem Tone, denke auch nicht, daß ich solchen Vorwurf jemals verdienen will.
Wenn's ein echter Schweizer wäre, wenn er nicht da außen gewesen wäre, murmelte der alte Mann, aber seine Worte gingen verloren an dem Gepolter, das an der Thür entstand.
Ein paar rauhe Stimmen ließen sich hören, zwischen welchen die scheltende alte Frau eiferte.
Was wollt ihr doch? Wer hat euch bestellt? Es ist unrecht hier, macht euch fort!
Aber man antwortete ihr entgegen, und nach einigen Augenblicken kam sie herein und rief:
Es hält ein Wagen am Hause, darauf sind allerlei prächtige Möbel, ein Sopha von rothem Damast und große Polsterstühle. Sie wollen es mit Gewalt bei uns absetzen.
Und haben ganz Recht darin, erwiederte Heinrich, denn ich habe die Stücke gekauft, um unsere Zimmer ein wenig wohnlicher einzurichten. Laßt Sie die Sachen nur hereinbringen, wir wollen gleich dabei sein.
Es waren mehrerlei glänzende Geräthe, ein großer Spiegel in Goldrahm, ein paar Tische von Nußbaum und Mahagoni, schöne Polsterstühle, Schränke und zwei Sopha's.
Die alte Frau drückte ihre Hände krampfhaft ineinander vor Entsetzen über die Vorstellung, was diese unnützen Dinge kosteten, und was sie zusammenrechnete. David Schwarz aber faßte seine Schwiegertochter am Arm, deutete auf seinen Sohn und sprach in einer Mischung von Aerger und Spott:
Ein Verschwender ist er nicht, Gott bewahr's! er hat ja das richtige Denken, aber ein echter Schweizer hätt's nimmer gethan, und ich weiß Eine, die es nicht leiden würde, daß ihr Geld vergeudet wird.
Heinrich lachte hochmüthig dazu. Ihr wißt nicht, was zum Leben nöthig ist, sagte er, das heißt zum Leben, das Arbeit und Mühen sich auch durch Genuß versüßen will. Tages Arbeit, Abends Gäste, sagt ein großer Dichter und Weiser, sei dein künftig Losungswort. – Aber, sprach er in derselben Weise weiter, das hat ein deutscher Mann gesagt, einer von da außen, von denen nichts Gutes kommt; doch ich halt's nun einmal mit denen, Vater, und eben darum habe ich das Zeug gekauft. Warum sollen wir nicht ein paar hundert Gulden dafür ausgeben, um uns zu einem behaglichen Lebensgenuß zu verhelfen? Warum nicht bequem sitzen und liegen, wenn wir müde sind? Habe ich nicht Recht, Emma? Sind Polster und weiche Kissen nicht angenehm und nothwendig für dich, da du nicht gewöhnt bist an harte Bretter? Verschwenden wollen wir nicht, allein du sollst, was dir lieb ist, nicht entbehren, und jetzt streitet nicht länger gegen eine vollendete Thatsache.
Daran ist freilich nicht mehr zu ändern, erwiederte die junge Frau versöhnlich zu dem alten Manne lächelnd, so müssen wir es für diesmal hinnehmen.
Du verstehst, wie ich es meine, und bist mein herzig Emmchen! rief Heinrich, indem er sie umarmte. Jetzt komm und sieh dir meinen Einkauf an; der Vater soll mit der Mutter eine Stunde als Strafe zur Probe sitzen, dann machen sie es uns morgen nach, gehen ins Pariser Magazin und kaufen das Beste, was darin ist.
So wandte er den Verdruß in Scherz um, umarmte seine Mutter und hielt des Vaters Hand fest, bis er sie alle halbversöhnt hinausbrachte auf die Flur, wohin die Möbel inzwischen geschafft waren. Vor diesen stand aber Anna Frings, ihren einen langen Arm in die Seite gestemmt, die sauberen Gegenstände betrachtend und befühlend.
Die alte Frau erschrak, wie sie die Nachbarin erblickte, und ihrem Manne ging es ebenso, Beide schämten sich vor der Verschwendung, welche in ihrem Hause stattfand, beide empfanden, was die boshaften Blicke des sparsamen, vernünftigen Annli zu sagen hatten. Wie oftmals hatte sie nicht groß Rühmens davon gemacht, daß David Schwarz in seiner Einfachheit fortlebte, den leichtsinnigen Luxus verachtete, welchen hochmüthige Menschen treiben. Die schlichten Geräthe, die er schon vor vielen Jahren besessen, standen noch jetzt in seiner bescheidenen Wohnung, Putz- und Staatszimmer gab es nicht darin. Sein Stolz war's gewesen, mit Verachtung von all dem eitlen Plunder zu sprechen, mit dem die Leute sich und ihre Wände behängten, und den Bettelsack dahinter nicht sahen.
Jetzt mit einem Male war's vorbei mit seinen Grundsätzen, sein Schwören, es sollt ihm Niemand mit solchen Narrheiten kommen, war zur Lüge geworden, all' sein echt schweizerisch Pochen und Prahlen auf einfache Sitten, wie's die Väter gehalten, lag zu Boden.
Und Anna Frings tränkte es ihm ein, ohne alle Schonung.
Ei, sagte sie nach den ersten Grüßen voll falscher Freundlichkeit, ich geh' hier eben vorüber und schau mir die Herrlichkeit an. Ihr kommt zu einem anderen Leben, Herr Schwarz, aber es konnt' nicht anders sein, vornehme Leute müssen vornehme Sachen haben, es geht nicht mehr mit den alten, geringen. Und bald geht's auch nicht mehr mit der Mütze und Jacke und den gefärbten Händen, fuhr sie fort, das Eine paßt nicht zum Anderen. Ich freue mich gar herzlich dazu, daß so viel Segen in Euer Haus kommt.
Was nicht hinein gehört, werden wir hinausfegen und es rein halten, sagte Heinrich.
Ihr habt Recht, versetzte Anna, die dünnen Lippen in die Höhe ziehend, was nicht hieher gehört, muß hinaus. Aber ist's denn wahr, was die Leute sich erzählen, daß die liebe junge Frau Schwarz von hohem Stamm ist?
Diese Frage richtete sie an den alten Mann, der seine Kappe umdrehte und halb laut antwortete:
Es ist so, doch frage ich nichts danach.
Ei, über die Ehre! rief Anna Frings vor den beiden alten Leuten knixend. Und in einer Woche hat sich's zugetragen? Man sollte an Wunder glauben, sollte meinen, es könnte nicht mit richtigen Dingen zugehen.
Andere brauchen freilich ihr ganzes Leben dazu und kommen doch nicht damit zu Stande, fiel Heinrich mit spöttischen Blicken ein.
Ich gratulire, mein lieber Freund, gratulire zu all' Euren Kostbarkeiten, aber seht wohl zu, daß ihr damit nicht betrogen seid. Die feinen Möbel haben einen prächtigen Glanz, allein es dauert oft nicht lange, so sind die Sprünge da, und das schlechte Holz kommt zum Vorschein.
Das alte dürre Holz ist gar wurmstichig, erwiederte Heinrich. Meinst du nicht, Emma?
Ich meine, daß Jeder nimmt, was ihm gefällt, und böses Gerede am besten nicht beachtet wird, sagte die junge Frau.
Und daß wir keine Zeit haben, es anzuhören, weil ich dich küssen und herzen muß, rief Heinrich übermüthig lachend, indem er sie umarmte, was sie sich willig gefallen ließ.
Anna Frings mußte seine herausfordernden Blicke ertragen sammt den kalten Blicken der jungen Frau, welche sie noch weit mehr kränkten. Sie konnte nicht weiter, vergebens sann sie nach, was sie ihr noch Uebles anthun möchte, da sie aber nichts fand, begnügte sie sich damit, zu versichern, daß nichts ihrem Herzen wohler thun könnte, als solche Innigkeit mit anzusehen, und daß es Schade sei, daß sie nach Hause müsse, allein sie hoffe auf baldige Wiederholung.
Als sie fort war, gingen die beiden alten Leute ebenfalls, und die neuen Sachen wurden von den Arbeitern in die Wohnung des jungen Paares getragen, wo sie nun ihre Plätze erhielten.
Als Beide dann sich allein befanden, begann ein vertrautes Gespräch, in welchem zunächst Emma ihrem Manne Vorstellungen über den Ankauf dieser Gegenstände machte, welche sie wenigstens zum Theil als überflüssig erklärte.
Er vertheidigte sich dagegen mit mancherlei Gründen.
Zunächst, sagte er, gilt alles das, was ich meinem Vater entgegenhielt; wir wollen uns die Genüsse nicht versagen, die der gebildete Theil der Gesellschaft verlangt. Kein Mensch, der uns gleichsteht, wird darin Ungehöriges sehen, aber man würde es sonderbar finden, wenn wir wie gewöhnliche Arbeiter hier hausten. Du hast durchaus gewollt, daß wir bei meinen Eltern wohnten, allein damit ist nicht gesagt, daß wir uns ihren Sonderlichkeiten unterwerfen müssen, das geht nicht an, wenn wir unsere Selbständigkeit erhalten wollen, die sonst bald verloren sein würde. Meiner Eltern Zärtlichkeit kannst du nur erwerben, wenn du ganz so bist, wie sie sind; das aber vermögen wir beide nicht, daher müssen wir unserer Verschiedenheit Ansehen und Geltung verschaffen. Ich habe absichtlich diese Geräthe gekauft, um zu zeigen, daß wir nach unserer Manier leben wollen, und es ist Zeit, diese sofort zu beweisen, damit man sich daran gewöhnt und uns unsere Wege gehen läßt.
Ich fürchte, antwortete Emma, daß es fehlschlägt, daß man uns eitel und hochmüthig nennen wird.
Eitel! hochmüthig! sagte er, wer ist denn eigentlich Beides? Als der feine gebildete Platon, der große und liebenswürdige Philosoph, sich einst ein Sopha angeschafft hatte – denn damals gab es auch schon solche angenehme Ruhebetten, meine kleine furchtsame Frau – fand er, als er nach Hause kam, den schmutzigen Cyniker Diogenes, der darauf herumtrampelte und es in Stücke zertrat. Was thust du da? rief Platon überrascht. Ich zertrete die Eitelkeit des Platon! schrie Diogenes. Guter Freund, antwortete Platon lächelnd, nicht meine, sondern deine Eitelkeit wird von dir hier breit getreten. Siehst du, Emma, fuhr er lachend fort, so steht es auch bei uns. Mein Vater ist eitel darauf, ein echter freier Schweizer zu sein, worunter er einen Mann versteht, der ungefähr so lebt, wie Wilhelm Tell, oder Arnold Winkelried, mit Knecht und Mägden an einem Tische, von derselben einfachen Speise, aus einer Schüssel sich nährend.
Spotte nicht darüber, Heinrich, fiel die junge Frau ein, denn mit Spott wird nichts gebessert.
Ich will ihn auch nicht bessern, sagte der Doctor, denn das ist unmöglich, aber er soll aufhören, mich nach seinem Bilde umschaffen zu wollen. Im Uebrigen, fuhr er mit größerem Ernste fort, sei sicher, daß ich dein Vermögen, das du in meine Hände gabst, nicht verschwende.
Es ist dein, benutze es nach bester Einsicht für unser Glück.
Meine Ehre haftet dafür, fuhr er fort, denn es ist Ehrensache für mich, meinem Vater zu beweisen, daß ich auch praktisch denken kann. Ich werde ihm zeigen, wie es angelegt. werden muß, um gute Zinsen zu tragen. Habe keine Sorge darum.
Ich sorge nicht, Heinrich, war ihre Antwort, aber ich sorge um andere Dinge.
Warum sorgst du denn? fragte er zärtlich. Wie gern möchte ich alle deine Sorgen von dir nehmen.
Sie stützte den Kopf in die Hand und erwiederte seinen Blick. Deine Eltern haben sich in Unvermeidliches gefunden, sagte sie leise, sie haben mich freundlicher heut angeschaut, aber wenn die schwachen Stützen brechen, auf denen jetzt noch ihr Segen ruht, wenn du sie nicht versöhnst, dann wird ihr Zorn mich um so mehr treffen, und alle meine Mühen, um ihre Liebe zu erwerben, werden vergebens sein.
Das wird nicht geschehen, sagte er. Sie werden eben das Unvermeidliche ertragen, und wen hätten sie denn, der uns ersetzen könnte?
Anna Frings, flüsterte Emma.
Er lachte auf. Das alte boshafte Geschöpf! Den Willen hat sie sicherlich zu allem Bösen, aber es fehlt ihr die Macht. Klatschgeschichten und verläumderisch Gewäsch mag sie reichlich aussprengen, aber das wird ihr den Rest geben. Mögen meine Eltern sein, wie sie wollen, doch ehrliche Leute sind sie, und wenn mein Vater merkt, wer ihn aufheben will und Geschichten erfindet gegen mich und dich, die er als Tochter aufgenommen, den wirft er selbst zum Hause hinaus, darauf verlaß dich.
Im ersten Augenblick wo ich sie sah, erwiederte Emma, überlief's mich wie ein Zittern, und ein Gedanke kam in meinen Kopf, der mich erstarrte.
Was war's für ein gräßlicher Gedanke? lächelte er.
Sie sah so falsch und tückisch aus, sah dich dabei so dämonisch an, und streckte ihre Hand nach dir aus, als ob sie sich von mir fortreißen wollte, zu sich hin.
Lieb Weib! lieb Weib! rief er innerlich erfreut über dies Zeichen liebender Eifersucht, ist das ein Wesen, das dich bange machen könnte? Bin ich nicht aus Angst vor ihren zärtlichen Wünschen bei Nacht und Nebel davon gelaufen, und hab' ich ihr nicht so viel Leid angethan, wie ein Mann einem Weibe anzuthun vermag? Eher möcht' ich vom Wildkirchli in den Abgrund der Bodmenalp springen, als in ihre Arme! Und dich aufhören zu lieben, dich verlassen, dich, meine Emma, das ist ein Gedanke wie Selbstmord. Wie sollt ich's ertragen können? – Nein, nein! rief er inbrünstig, indem er vor ihr aufs Knie fiel, du weißt es nicht, wie sehr ich dich liebe. Ständest du auf einem Scheiterhaufen, verdammt und verflucht, ins Feuer würde ich zu dir springen, um mit dir zu sterben, wenn ich dich nicht retten könnte!
Wie er vor ihr kniete so voll Liebesglut mit flammenden Blicken, beugte sie sich auf ihn nieder, schlang ihre Arme um ihn und bedeckte ihn mit ihren Küssen. Ein paar heiße Thränen fielen dabei auf sein Gesicht, aber sie küßte die Tropfen wieder fort und sagte dabei:
Ich trinke mein Glück, lieber geliebter Mann, es ist Seligkeit, die Vieles aufwiegt. Laß uns sorgen, daß sie besteht, und dann mögen die Feinde kommen, wir wollen sie nicht fürchten.
Hand in Hand saßen sie auf dem Sopha in dem neugeschmückten Zimmer und überlegten, was nun zu thun sei. Heinrich war voll allerlei Entwürfe, wie er sich zu Ansehen und Geltung bringen wollte. Er wollte Verbindungen mit einigen großen Zeitschriften anknüpfen, dann hatte er vor, ein Buch zu schreiben über die neusten Entwickelungen des richtigen Denkens, wie er es nennen wollte, endlich beschäftigten ihn auch poetische Arbeiten. Er hatte manche artige Lieder in seiner Mappe, die er sammeln und vermehren wollte; seine Liebe gab ihm die rechte Stimmung dazu; endlich wollte er einen großen Roman schreiben, da die Schweiz keinen Romandichter aufzuweisen hätte.
Emma unterstützte diese Pläne mit ihrem Beifall, und sie schmückte sich ihre Zukunft mit den schönsten Fernsichten aus. Heinrich bedauerte nur, daß er nicht gleich seinen Vorsatz ausgeführt und eines der kleinen Landhäuser gemiethet habe, welche so einladend unter Reben und Fruchtbäumen am Seeufer liegen.
Aber wenn es uns hier zu bunt gemacht wird, fügte er hinzu, wenn wir den Fabriklärm und die mißtrauischen Gesichter nicht mehr ertragen können, und wenn du einsiehst, Geliebte, daß dein schönes, versöhnliches Sinnen keinen Erfolg hat, und das wird nur allzugewiß der Fall sein, dann wollen wir uns empfehlen, und kein Aergerniß weiter geben.
Nein, sagte sie, du mußt aushalten, Heinrich, und mußt dich mit mir vereinigen, um deine Eltern zu gewinnen. Dein Vater hat den Ruf, ein Mann mit offenen Augen und hellem Kopfe zu sein, ihm wird, was gut und recht ist, nicht entgehen. Solche Versuche, wie heut, darfst du nicht wieder machen, doch schaffe was Tüchtiges, sei fleißig und ehre und achte seinen Fleiß, so wird er auch dich achten lernen. Und ich, geliebter Mann, ich werde so stolz auf dich sein, wie die Frau eines Millionärs auf ihre Diamanten! Bist du doch der einzige Edelstein, den ich habe, womit sollte mein stilles Leben sonst glänzen?
Du sollst stolz auf mich sein! rief er mit Selbstvertrauen, doch stolzer noch will ich sein und bleiben auf meine schöne, kluge, herrliche Frau!
Eine Magd unterbrach endlich diese zärtliche Unterhaltung, indem sie das junge Baar zu Tische rief, und Heinrich gelobte nochmals Alles zu vermeiden, was seinen Eltern ferner mißfallen könnte.
Emma fuhr in den nächsten Tagen und Wochen unermüdlich fort, sich um die Zuneigung ihrer Schwiegereltern eifrig zu bemühen, aber ein herzliches Verhältniß ließ sich bei alledem nicht herstellen: denn was sie aufbaute, fiel meist über Nacht wieder ein, und dazu trug Mancherlei bei. Zunächst konnte die Kluft zwischen den verschiedenen Lebensverhältnissen und Anschauungen nicht geschlossen werden, dann stand die junge Frau in der Mitte zwischen ihrem Manne und den alten Leuten, und es ging ihr wie allen Vermittlern: sie konnte es keinem ganz recht machen.
Heinrich hatte wirklich begonnen sich fleißig zu beschäftigen, und Emma bezeigte ihm den lebhaftesten Antheil. Eine Buchhandlung sandte ihm alle neuen bedeutenden Bücher und Schriften zu, die reiche Bibliothek der Stadt lieferte einen Haufen anderer. Er las Emma vor, sprach mit ihr von Allem, was ihm auffiel; sie mußte anhören, was er niederschrieb, er theilte ihr seine Gedanken mit, und tauschte dagegen ihre Urtheile ein. Die Stunden verrannen ihm schnell, seine Beschäftigungen machten ihm Freude, er hörte nicht auf den Fabriklärm, wenigstens störte dieser ihn nicht. –
Des Nachmittag aber nahm er das Recht der Erholung in Anspruch, er ging mit Emma ins Freie hinaus an Vergnügungsorte, in die reizvolle Umgegend, Beide kamen oft spät erst zurück, wenn die Eltern schon schliefen; denn diese hielten die Sitte fest, früh in's Bett zu steigen, um früh aufstehen zu können. Das Eine bedingte das Andere. Um vier Uhr stand der Vater schon wieder bei seinen Arbeiten, doch meist waren drei Stunden später die Vorhänge an den Fenstern seines Sohnes noch fest zugezogen, und er sah ihn am Nachmittage, wenn er selbst so recht bei mühevoller Arbeit war, schon wieder geputzt am Arme der geputzten jungen Frau davonlaufen.
Er merkte Alles, wenn er auch schwieg, er wußte auch, wo sein Sohn mit der jungen Frau gewesen, in Concerten, in öffentlichen Gärten, oder bei Lustbarkeiten, Spazierfahrten auf's Land hinaus oder Wasserfahrten auf dem See. Er hörte es von der alten Frau; woher diese es hatte, merkte er wohl, allein er fragte nicht weiter danach. Das Annli kam nicht wieder ins Haus, wenn Heinrich darin war, allein des Abends kam sie aus ihrem Garten bis an das Bachgerinne, und die alte Frau saß dann wohl in der Laube dort, wo sie mit der Nachbarin plauderte.
Es dauerte nicht lange, so nahm auch das Mißfallen der alten Frau gegen die Schwiegertochter ersichtlich zu. Sie ließ sich nicht mehr von dieser helfen, deren freundliche Worte selten eine Erwiederung fanden; ihr zutraulich Wesen wurde mit mißtrauischen Mienen vergolten. Es waren dann wohl heimliche Berichte eingelaufen, wie lustig Heinrich gestern mit seinen Freunden gewesen, und die junge Frau mitten darunter; wie sie auf den Hütliberg gestiegen, allerlei junge Leute um sie her, die ihr schöne Worte gesagt, und wie prächtig sie ausgeputzt gewesen sei, mit Ringen und Ketten und einem neuen Pariser Hut.
So ging es fort, und der alte Mann wurde ebenfalls kälter und stiller. Es wurde ihm zuviel ins Ohr gesagt, daß alles schmeichelnde Gerede seiner Schwiegertochter und ihr gefällig Dienen am Ende doch nichts als Heuchelei sei. Wenn sie es ernstlich meinte, warum hinderte sie das Schwärmen nicht? Warum lief sie mit dem Manne aus, statt ihn davon zurück- und zur ehrbaren Ordnung anzuhalten?
Heinrich, hatte auch ein Klavier angeschafft, da saß sie und spielte oft Stunden lang, ohne Nützliches zu thun, und Abends kamen zuweilen Freunde zu ihnen ins Haus, dann mußte guter Wein geschafft werden, theure Cigarren wurden geraucht, es wurde geschmaust, gelacht und gelärmt, und bei offenen Fenstern wohl gar gesungen, daß die Leute auf der Straße still standen. War das recht von einer ehrbaren Frau? Durfte sie das leiden und dabei sein?
Emma hatte freilich im Stillen ihre Vorstellungen gemacht, allein diese hatten ihr nicht geholfen. Heinrich fand nichts dabei, er wurde sogar heftiger, als sie ihm ihre Gründe wiederholte und dringend bat, seiner Eltern wegen das nicht zu thun, was unter anderen Verhältnissen nicht zu tadeln sein würde.
Was gehen mich diese engherzigen Vorurtheile an, sagte er, sollen wir darum uns einsperren? Was sollen wir denn machen?
Er wurde verdrüßlich, als sie widersprach, und mochte nicht weiter arbeiten. Es blieb nichts übrig als ihn nachgiebig zu versöhnen und zu schweigen; aber es wurde noch schlimmer, als er nach kurzer Zeit die Gelegenheit ergriff, einen ganzen Tag lang aus dem Hause fortzubleiben.
Die eidgenössische Tagsatzung Die Tagsatzung war in der Schweiz bis 1848 die Versammlung der Abgesandten der Orte (Kantone) der Alten Eidgenossenschaft. Sie besaß sowohl exekutive als auch legislative Kompetenzen, allerdings war ihre Macht sehr beschränkt, da diese zumeist bei den Kantonen lag. Die Bezeichnung ist abgeleitet von der Formulierung »einen Tag setzen« und bedeutet die Vereinbarung eines (Rechts-)Tages beziehungsweise des Termins für diese Zusammenkunft. sollte sich in Zürich versammeln und ihren feierlichen Kirchgang halten. Diesen Zug sollte Emma sehen, dann war mit dem Herrn Schaller verabredet worden, an einem Festessen Theil zu nehmen. Dieser junge Herr stammte aus einem Patriziergeschlecht, beschäftigte sich aber mit Handelsunternehmungen, was nichts Besonderes war, da die meisten Patrizierfamilien in Zürich Handel und Geschäfte von jeher betrieben haben. Mit diesem aufgeklärten Freunde stimmte Heinrich in vielen Dingen überein, und beide verspotteten gemeinsam, was sie den »alten Zopf« nannten.
Der junge Schaller hatte sich lange Zeit in Paris aufgehalten, hatte auch eine elegante Pariserin als Frau von dort mit zurückgebracht, stand aber mit seiner Familie in ziemlich ähnlichen Zerwürfnissen, wie Heinrich mit seinen Eltern, nur hatte er es klüger gemacht als dieser. Denn er betrieb einträgliche Geschäfte, verdiente viel Geld, wohnte und lebte glänzend und verlachte seine Feinde.
Dem gewandten klugen Manne fühlte sich Heinrich, besonders geneigt; ihm hatte er Alles, was er beabsichtigte, vertraut und volle Zustimmung gefunden. Er hatte auch heut die Karten zur Kirche besorgt und die Theilnahme an dem Festmahl vorgeschlagen, wobei seine Frau mit Emma besser bekannt werden sollte, als es bisher geschehen, was mit Heinrichs Wünschen übereinstimmte.
Bei der Eröffnung des schweizerischen Reichstags in der Hauptkirche fehlte es niemals an einer glänzenden Zuschauerversammlung, denn in Zürich sammelten sich die Fremden aus allen Enden der Welt, um Alles zu sehen, was die Schweiz enthält, also auch die Tagsatzung. Dazu kam aber auch die höhere Gesellschaft Zürich. Die Damen in ihrem besten Hut, ihre forschenden Blicke weit mehr auf diese Parade der Moden, als auf die meist alten und dickbäuchigen Herren Gesandten der zwei und zwanzig Republiken gerichtet.
Heinrich ermahnte daher auch seine junge Frau, diesmal ihr Möglichstes für ihre Toilette zu leisten. Bisher hatte sich Emma bemüht, so einfach als möglich zu erscheinen. Ein paar Sommerkleider von billigem Stoff reichten dazu aus, selbst der neue Pariser Hut, den Heinrich ihr geschenkt, wurde als zu kostbar nur einmal von ihr getragen.
Ich will heut mit dir ganz besonders glänzen, sagte er, denn alle Welt soll mich beneiden. Alle diese geputzten Damen sollen dich mit Argusaugen durchbohren, und den regierenden Excellenzen muß darüber die geistvolle Rede stocken. Sind aber das noch nicht Gründe genug für dich, so giebt's noch einen anderen. Schaller hält seine Frau für die allerschönste und ihre Toilette für die vollkommenste. Zeige dieser Französin, daß wir uns nicht fürchten, daß doch nichts über die Schönheit einer deutschen Frau geht.
Mit diesem Scherz umarmte er sie, aber Emma schüttelte den Kopf.
Du wirst weder mit meiner Schönheit noch mit meinen Toilettenkünsten einen Sieg erringen, sagte sie. Ich kann mit beiden nicht in die Schranken treten, aber da du es befiehlst, als Herr und Gebieter, will ich gern gehorchen.
»Wie ist sie sitt- und tugendreich!« rief Heinrich, »und etwas schnippisch doch zugleich!« Goethe, Faust I, Straße (I): »Sie ist so sitt- und tugendreich, / Und etwas schnippisch doch zugleich.« Du weißt gar nicht, wie schön du bist, mein Liebchen. Es soll mich nicht wundern, wenn du eine Schaar Anbeter um dich versammelst.
Du würdest schlecht damit zufrieden sein, erwiederte sie.
Glaubst du, daß ich eifersüchtig sein könnte? fragte er herausfordernd. Diese thörichte Leidenschaft ist so lächerlich, und dabei so verächtlich, daß nichts mich dazu bewegen könnte. Es ist der neidische Verdacht schwacher Menschen doppelt unwürdig, wenn sie wissen, daß sie geliebt sind, wie ich es weiß, meine geliebte Freundin.
Sie lehnte sich an ihn, ohne etwas zu erwiedern, aber sie sah ihn mit so treuen innigen Augen an, daß er übermüthig ausrief:
Ich möchte beinahe wünschen, daß ich auf die Probe gestellt würde, aber wirklich, es bedarf deren nicht! Doch jetzt geschwind, da schlägt es schon elf Uhr. Wir müssen eilen, sonst kommen wir zu spät.
Die junge Frau vollendete ihren Anzug, und ihr Mann hatte entzückte Blicke dafür. Sie trug ein prächtiges Seidengewand, dazu die Spitzen, welche sie zu ihrer Hochzeit von dem Papa erhalten hatte, auch ein reich gesticktes Tuch von China-Crepp sammt Armbändern und Goldschmuck fehlten nicht. Heinrich war stolz und beglückt, sie so stattlich und schön zu sehen.
Unten im Hause stand der Vater in der groben Halbjacke, die Mutter mit dem Vorstecketuch, für Beide gab es auch heut' keinen Festtag, aber es gab auch keine freundlichere Gesinnung. Die ernsthaften Gesichter veränderten sich nicht beim Anblick ihres stattlichen Sohnes und der schönen Schwiegertochter. Nach einigen gewechselten klanglosen Worten sagte ihnen Heinrich Lebewohl und führte seine junge Frau fort.
Du siehst, wie es geht, rief er ärgerlich, doch wer kann es ändern. Wenn du in einer Arbeitsjacke hinliefst, um den Zug anzuschauen, würden sie dir die Neugier kaum verzeihen, denn du könntest ja während dessen einen Strumpf stricken. Es soll ein Ende nehmen, kehren wir uns nicht daran.
In dem Augenblick hörte er dicht hinter sich Schritte, und als er umblickte, sah er Anna Frings in das trockene gelbe Gesicht und in ihre grauen Augen, die ihn anleuchteten. Sie trug noch immer ihr schwarzes Kleid, obwohl es ein sehr heißer Tag war, dazu den Hut mit den schwarzen Bändern und schwarze Handschuhe. Heinrich konnte sich eines Schreckens nicht erwehren, sie sah wie ein wandelndes Geripp aus, und die dünnen Lippen, welche ihm zulächelten, vermehrten seine unheimlichen Empfindungen.
Ob sie seine Worte gehört hatte, wußte er nicht, aber daß der Hohn in ihren Mienen ihre Freude darüber ausdrückte, flüsterte ihm sein böses Gewissen zu. Anna Frings ließ sich jedoch nichts merken, sie grüßte verbindlich und betrachtete die junge geschmückte Frau von oben bis unten.
Ei, sagte sie, wollt Ihr auch die Tagsatzung sehen, Herr Nachbar? Das ist freilich vergnüglicher, als einmal Eure vergessene Freundin zu besuchen. Sinnt nur nicht lange auf Entschuldigung, ich nehm's nicht übel; die Frau Doctorin will Vergnügen haben, es kann nicht anders sein. Wenn man schön und reich ist, will man das Leben genießen und alle Anderen ausstechen. Das ist ein prächtiges Kleid, und echte Spitzen! Meint nicht, daß ich's nicht kenne. Darauf werden Viele mit Neid hinsehen; nehmt Euch nur in Acht, Herr Doctor, und werdet nicht eifersüchtig.
Es war sonderbar, daß Anna Frings ihn vor der Eifersucht warnte, als ob sie wüßte, was er vorher davon gesprochen. Er mochte nichts darauf erwiedern, aber er fühlte eine Verwirrung und fragte endlich, ob Anna ebenfalls in die Kirche wollte.
Nein, nein! antwortete sie, dahin gehöre ich nicht, ich bin zu arm dazu und habe Viel zu schaffen. Heut noch soll ich auf's Gericht wegen der Erbschaft von meiner Muhme; so muß ich mit meinem Advocaten sprechen; wenn ich aber heimkehre und den Zug noch antreffe, so giebt's wohl ein Plätzchen auf der Straße für mich. Lebt wohl, Frau Doctorin, und laßt Euch anschauen; es wird nicht daran fehlen.
Beide waren froh, als sie sich entfernte, aber Heinrich mochte die boshaften Nadelstiche seiner werthen Freundin nicht weiter in Betracht ziehen, er ließ es bei einigen allgemeinen Bemerkungen, und wenige Minuten später war Anna Frings vergessen. Denn der Zug kam schon von der Linth herauf und ein Menschenstrom drängte sich dem Hügel entgegen, auf welchem die Kirche liegt. Sobald sie diese erreicht hatten, erblickten sie auch den Freund und dessen elegante Frau, welche Plätze für sie verwahrt hatten und sie herbeiwinkten.
Wo bleiben Sie denn so lange, Doctor Schwarz! rief ihm Herr Schaller entgegen, wir haben Mühe gehabt, diese Plätze frei zu halten, ohne den Beistand meines Freundes Hülsberg wäre es mir schwerlich gelungen. Er deutete auf einen jungen Herrn, der sehr fein gekleidet war und ein rothes Bändchen im Knopfloche trug, sehr einnehmend lächelte und sich verneigte. Mitten darin hefteten sich seine Augen auf Emma, welche, bisher von der eleganten Frau Schaller festgehalten, nun den Kopf drehte, so daß der fremde Herr sie anschauen konnte.
Heinrich stand zwischen ihm und Emma, und es kam ihm vor, als werde der Fremde plötzlich von einem Erstaunen überfallen, daß er sich wohl zu deuten wußte.
Er bezweifelte nicht, daß seine junge Frau diesen Eindruck hervorgerufen, und konnte ein eitles Lachen nicht unterdrücken. Es fiel ihm ein, was er Emma prophezeiht hatte, und was sich nun sofort vor seinen Augen erfüllte. Mit diesem Lächeln blickte er Emma an, die jedoch wenig davon zu merken schien, denn vor den scharfen Blicken des Herrn hatten sich ihre Wangen vielleicht ein wenig geröthet; allein sie behauptete ihre Unbefangenheit und gleich darauf folgte sie dem Rufe der Frau Schaller und nahm an deren Seite Platz.
Es ist Ihre Frau Gemahlin? fragte der Fremde.
Heinrich bestätigte es.
Sicher noch nicht lange verheirathet? lächelte der Fremde.
Seit zwei Monaten, antwortete Heinrich.
Der Doctor Schwarz ist ein Liebling der Götter, mischte Herr Schaller sich ein, sie haben ihm ein wunderbares Glück zugeschickt, aber davon nachher. Hier kommt der Zug, seht, geben Sie Acht, Herr von Hülsberg. Machen Sie sich mit unseren großen Diplomaten bekannt, und hören Sie aufmerksam die geistreichen Reden der Herren Präsidenten an, ohne Gedanken und Augen wo anders zu haben.
Der junge Herr versicherte, daß er ganz bei der Sache sei, und er setzte sich neben den Doctor, forderte und erhielt von diesem mancherlei Belehrung über die Abgeordneten, welche paarweise mit ihren Waibeln und Fahnen eintraten, die Präsidenten an der Spitze, die fremden Gesandten nachfolgend, und ihre leise Unterhaltung dauerte noch fort, als die Empfangsreden begannen, und das Schweigen allgemein wurde.
Die Reden waren lang und ziemlich langweilig für die meisten Zuhörer, zumal für die, welche an der schweizerischen Politik kein besonderes Interesse nahmen. Herr von Hülsberg sah bald von den Sitzen der Staatsmänner fort zu den Sitzen der Damen hinauf, welche in dichter Zahl die Galerie füllten. Er erkundigte sich nach mehreren, die ihm auffielen, gab schalkhafte Antworten, sprach dabei von sich selbst, und Heinrich wurde aufs Beste unterhalten; er hatte kaum je einen so angenehmen, an munteren Launen und verbindlichen Formen reicheren Mann gesehen.
Dabei war Herr von Hülsberg von auffallenden körperlichen Vorzügen, groß und schlank, von ausdrucksvollen Mienen und dunklen, feurigen Augen, welche er zu gebrauchen verstand. Sicher wurde er auch von Vielen beachtet, und er schien dies zu wissen und noch mehr dazu herauszufordern. Seine Hände waren schmal und lang, er stützte sich darauf und ließ den großen Siegelring blitzen und die Brillantknöpfe, welche die Manchetten des feinen Hemdes schlossen; oder aber er that es darum, um seitwärts nach Emma hinzusehen, obwohl diese keinen Blick für ihn hatte.
Dagegen war es gewiß, daß sie selbst sowohl wie ihre Nachbarin von manchen Augen gesucht wurden. Selbst die Tagsatzungsherren blickten hinauf, und von den fremden Gesandten richteten mehre ihre Gläser anhaltend dorthin. Noch mehr thaten dies viele Damen, welche dann flüsternd die Köpfe zusammensteckten und wieder hinsahen, und dies währte lange Zeit, bis endlich die Ceremonie ihr Ende erreichte.
Der Zug entfernte sich nun aus der Kirche, und die Zuhörer strömten ihm nach und zerstreuten sich. Auch Heinrich folgte, aber an der Kirchthür gab es ein gräuliches Gedränge. Emma würde eben so übel fortgekommen sein, wie andere Damen, denen Kleider und Behänge beschädigt wurden, wenn Herr von Hülsberg nicht zu ihrem Schutze geholfen hätte. Er stand an ihrer Seite und wehrte mit vorgehaltenem Arm die drängende Menge ab, nahm endlich auch ihre Hand und hielt diese fest, bis sie glücklich in's Freie gelangten.
Herr Schaller und seine Frau waren schon hinaus, doch ihnen war es nicht so gut gegangen. Ein prächtiger Kantentuch wurde der Dame von der Schulter gerissen und zertreten, sie wetterte mit geläufiger Zunge über die Rücksichtslosigkeit gegen Damen, welche kein Franzose begehen würde, und beruhigte sich nicht eher, bis ihr Mann lachend versicherte, es sei eigentlich eine heimliche Galanterie des Volkes gewesen, das ihn damit habe zwingen wollen, seiner angebeteten Frau einen neuen, und noch schöneren Tuch zu verehren, was gleich morgen geschehen solle.
Und jetzt laß die Bagatellen ruhen, Claire, fügte er hinzu, denn wir haben Besseres zu thun. Seit einer Stunde steht der Champagner auf Eis, was soll aus ihm werden? Fort ins Hotel! und dann fahren wir nach Stäfa, wo es uns nicht schlechter gehen wird.
So stiegen sie fröhlich die Stufen hinab, hinter der Kirchthür aber, beschützt derweil von einigen mächtigen Rücken der Landjäger, welche dort standen, kam Anna Frings zum Vorschein, die langsam der munteren Gesellschaft nachfolgte, eine Zeit lang stehen blieb, dann umkehrte und über den Kirchplatz fort durch enge steile Gaffen ihren Weg bis in ihr Haus fand. –
Die Sonne brannte mit Macht den ganzen Nachmittag über, als aber der Abend kam, lagerte sich düsteres Gewölk über dem Hütli, und dann und wann zuckte es über den See fort, ohne daß der Donner zu hören war.
Jetzt erst warf Anna ihr Mäntelchen um, ging in ihren Garten hinaus, schaute über die Hecke fort und sah nach dem Gerinn und der Laube. Dann stieg sie hinab und kam zur rechten Zeit. Die alte Frau hatte lange schon gewartet, eben wollte sie fort, weil's Gewitter herauf kam.
Bleibt noch, sagte Anna, es ist noch nicht so weit. Ist mein guter Freund schon zu Haus?
Es ist Niemand zu Haus, antwortete die alte Frau. Vom Morgen her sind sie nicht zurückgekommen.
Wie soll's auch wohl! lachte Anna. Erst haben sie im Schwert auf's Prächtigste gespeist, und der Champagner ist geflossen, dann sind sie nach Stäfa gefahren, um sich vollends voll zu trinken.
Die alte Frau drückte ihre Hände zusammen, ihr Herz that's von selbst bei dem Gedanken an das Geld, das ihr Sohn verschwelgte.
Woher wißt Ihr das, Annli, fragte sie mit geheimer Hoffnung, daß es doch wohl nicht wahr sein könnte. Er hat mir gesagt, wir sollten ihn nicht erwarten, es möchte zu spät werden; er wollt sich irgendwo behelfen.
Er hat Euch belogen, fuhr Anna Frings fort, aber das macht die vornehme Dame, die hetzt ihn auf und bringt ihn dazu.
Ich kann's doch nicht glauben, murmelte die alte Frau vor sich hin.
Ihr könnt's nicht glauben? rief Anna ihre dünnen Lippen zurückziehend. Wenn sie spricht: Es ist nicht länger zu ertragen bei deinen Eltern. Wenn du in einer Arbeitsjacke hinliefst den Zug zu schauen, würden sie dir die Neugier kaum verzeihen. Wenn Ihr das hörtet, würdet Ihr es noch nicht glauben?
Woher wißt Ihr das? fragte die alte Frau noch einmal.
Weil ich's selbst gehört habe, erwiederte Anna. Wißt Ihr denn auch, mit wem sie es halten? Der wüste Mensch, der Schaller, von dem die Familie nichts wissen will, den alle ehrbaren Leute vermeiden, der ist mit ihnen. Eure gnädige Schwiegertochter saß dicht neben der französischen Madame mit den frechen Augen, und Alle sahen darauf hin, und schauten wieder fort. Es war ein Lachen und eine Verachtung, wohin man blickte. Eine Scham für jede Ehrbarkeit, das Weib anzusehen in ihrem ausgeschnittenen Kleid; aber es ist so ein rechtes Modell für die Frau Doctorin, deren Grundsätze nicht weit davon sind.
Geht nicht zu weit, fiel die alte Frau ein. Ihr könnt ihr nichts nachsagen.
Glaubt Ihr denn, es geschieht nichts? fragte Anna. Glaubt Ihr, es gäbe nicht Leute, die sich verwunderten, wie es zugegangen, daß diese Schwiegertochter in Euer Haus gekommen? Meint Ihr nicht, daß Manche denken, es sei nicht viel besser denn ein Landstreicherwesen?
Redet nicht so! Seid nicht schlecht! rief die alte Frau auffahrend und ängstlich umschauend.
Ich nicht, aber wie kann's anders sein? Habt Ihr Gewißheit, wie es zugegangen? Wißt Ihr was Gewisses von ihrer Herkunft und ihrem Leben? Wie lange ist es jetzt, daß Ihr sie angenommen habt? Hat sie in der ganzen Zeit Briefe erhalten von dem Herrn Vater? Habt Ihr von ihm gehört, hat sie Euch Erklärungen darüber gemacht?
Nein, nein! murmelte die alte Frau, es ist nichts gekommen.
Das ist doch verwunderlich, höhnte Anna. Wird ein Vater so sein Kind vergessen, oder ein Kind seinen Vater? Habt Ihr gesehen, daß sie an ihn geschrieben hat?
Einmal, gleich im Anfange, sagte die alte Frau.
Und hat keine Antwort darauf erhalten und wird keine erhalten, fiel Anna jubilirend ein. Weil's ein Früchtchen ist, das man freudig weggeworfen hat, oder noch Schlimmeres.
Was Schlimmeres? fragte die alte Frau bestürzt.
Hört an, sagte Anna, ich beklag' Euch und beklage Euren Sohn. Im Dom war ein junger fremder Herr, der zu den Schallers gehörte und sicherlich von derselben Art ist. Aber er sah stolz aus, so recht wie Einer, der vor keiner Sünd' erschrickt, und ich will mein Leben lassen, wenn er nicht mehr von Eurer Schwiegertochter weiß, als wir alle. Ihr hättet sehen müssen, wie er nach ihr schaute, und wie sie that, als wollte sie nichts von ihm bemerken. Aber ich sah's, wie ein glühend Roth über ihr blasses Gesicht flog. und wie's dann todtenbleich wurde, als läg' eine Leiche im Sarge. Doch wie im Handumkehren war's damit vorbei, und sie hatt' ihre steinerne Maske wieder vorgesteckt, womit sie ihre Heuchelei zudeckt.
Wie könnt Ihr doch so schändliche Dinge von ihr erzählen, rief die alte Frau. Ich wollte nicht, daß mein Mann Euch hörte. Wo habt Ihr den Beweis?
Der wird schon kommen, nehmt's wohl in Acht, versetzte Anna. Ich lüge nicht, denn ich habe Euch lieb, und an Leib und Leben will ich gestraft sein, wenn ich Falsches spreche. Als sie hinausgingen aus der Kirche, entstand ein Gedränge, und der fremde Herr nahm den Arm der Frau Doctorin, stellte sich dicht an ihre Seite. Da ich eben dort war und meine Augen auf nichts Anderes richtete, sah ich, wie er etwas in ihre Hand drückte, das sie nicht fortwarf, sondern verborgen hielt, bis sie es draußen in ihre Tasche stecken konnte.
Was war's? fragte die alte Frau.
Es war ein Zettelchen, ein Briefchen. Und nun gingen sie zusammen ins Hotel, und haben einen lustigen Tag verlebt. Es wird an Antwort nicht gefehlt haben, der Herr Heinrich aber hat diese gewiß nicht bestellt.
Herr du mein Gott! schrie die alte Frau ihre Hände faltend, doch gleich darauf kam ihr Anderes in den Sinn. Annli, sprach sie, ihre Vertraute mißtrauisch anschauend, ich glaub's Euch doch nicht. Der Haß spricht aus Euch.
Meint Ihr, ich haßte sie, antwortete Anna den Kopf aufwerfend. Sie ist mir viel zu gering dazu.
Ich hätt' es anders gewünscht, fuhr die alte Frau fort, jetzt aber thut, was schicklich ist. Ihr sollt uns die Tochter nicht verlästern, es sei denn –
Was meint Ihr? fragte Anna.
Daß Ihr Beweise habt für Eure Schmachrede. Ihr könnt's nicht beweisen.
Wollt Ihr mir nicht glauben, da ich es Euch geschworen habe?
Nein! sagte die alte Frau mit Heftigkeit. Ihr sinnt auf Schande für uns alle. Wollte mein Mann und mein Sohn Euch zur Rede stellen, Ihr solltet es büßen. Ihr möchtet in Heinrichs Arm liegen, möchtet ihm Briefchen schreiben.
Ihr habt den Verstand verloren! schrie Anna.
Geht, ich will nichts weiter wissen, rief die alte Frau. Beweist Eure Schandrede, sonst mag Gott Euch strafen.
Ein heller Blitz fuhr über den See hin, der Donner hallte krachend nach. Anna Frings warf ihren schwarzen Tuch über den Kopf und ging schweigend fort.
Am folgenden Morgen ging David Schwarz vergnüglicher umher, als es seit langer Zeit der Fall gewesen. Er blickte nach den verschlossenen Vorhängen an den Fenstern seines Sohnes hinauf und grinste behaglich. Spät war der Wagen gekommen, der das vergnügungssüchtige junge Paar nach Haus gebracht, eine halb offene Kalesche, die den strömenden, vom Winde gepeitschten Gewitterregen nicht abhalten konnte. Sie waren beide gehörig durchnäßt worden, und am frühen Morgen kam die Frau Doctorin demüthig herunter geschlichen in die Küche und versuchte mit den feinen Händen Feuer anzumachen, denn der Herr Doctor hatte sich heftig erkältet, lag mit Kopf- und Leibschmerzen im Bette und krümmte sich heftig. –
Die alte Frau kam dazu und half den Thee bereiten, rief in ihrer Sorge auch David Schwarz und stieg mit ihm, trotz des Widerwillens gegen die theuren Möbel und all dies thörichte Wirthschaften, hinauf ans Bett des Kranken. Der Vater sah bald, daß keine Gefahr dabei sei, holte aber schrecklich bittre Wermuthstropfen und ließ seinen Sohn ein ganzes Glas davon verschlucken. Die Mutter brachte eben so fürchterlich schmeckende Kräuter und heiße Stürzen, sammt anderen Hausmitteln, und David Schwarz sagte gemüthlich:
Bleib nur liegen und halte aus. Es ist nichts als eine Folge vom richtigen Denken und gehört mit zur Weisheit von da außen her, wo die Leut viel zu gescheut sind, um sich umzusehen, woher der Wind kommt. Er wehte gestern den ganzen Tag von der Albiskette herüber; einem richtigen Schweizer mocht's somit wohl einfallen, daß es am Himmel nicht richtig sei, ein richtiger Denker aber hat viel zu hohe Gedanken, um zu merken, was um ihn her vorgeht.
Seit vielen Tagen hatte der alte Mann nicht mehr solchen Spaß gemacht; daß er es jetzt that, schien ein Zeichen größerer Theilnahme. Heinrich schwieg dazu, aber er irrte in der Annahme nicht, daß sein Vater sich an der Strafe ergötzte, die seine Unachtsamkeit gefunden; weit mehr noch freute jedoch den Alten die Verwüstung, welche der Regensturm in dem Kleiderputz der Schwiegertochter angerichtet hatte. Das kostbare Kleid, Hut und Shawl waren völlig verdorben, auch Heinrichs Bekleidung sah aus, alle wäre sie aus dem Bache gezogen. Er ging wohlgefällig an seine Arbeit; an dem Hochmuth war ein Exempel gegeben worden, er war zum Fall gekommen.
Auch die Mutter hatte ihre geheimen Gedanken gehabt. Was Anna Frings ihr mitgetheilt, lag verschlossen bei ihr; sie konnte es nicht für wahr halten, konnte es aber doch nicht überwinden. Nun aber sah sie, mit welcher Liebe die Schwiegerin ihren Mann bediente, und welche Noth sie litt bei der Pein des Kranken. Das war doch nimmer Heuchelei; sie sah ihr die Liebe und Sorge an und meinte dabei, wer so denkt und fühlt, kann nicht unehrlich sein.
Das Annli ist rachsüchtig, sie merkt wohl, daß wir nicht zufrieden sind, und möchte Oel ins Feuer gießen, aber es soll ihr nicht gelingen. Ich hab's ihr derb gesagt, das mag sie hinnehmen, sie wird's wohl lassen; aber freilich, fügte sie mit einem Seufzer hinzu, wäre sie Heinrichs Frau, so wär's besser. Es könnte kein übel Gerede entstehen, alle Leute würden uns um solch Glück beneiden. Gestern erst hat sie dreißig tausend baar ausgezahlt bekommen, und was hat die dort? Nicht einmal einen Brief hat sie erhalten, flüsterte sie, nicht einmal einen Brief!
Den Tag über blieb der Doctor im Bette und erst am anderen stand er wieder auf, aber er durfte das Zimmer nicht verlassen. Die junge Frau hielt getreulich aus in seiner Pflege, obwohl eine Gelegenheit dazu kam, diese zu unterbrechen.
Herr Schaller besuchte ihn am zweiten Morgen, da Heinrich sich nicht hatte blicken lassen, lachte über die Krankheit und wollte ihn endlich überreden, sich hinauszumachen, da der Tag so warm und lieblich sei, daß er besser heilen würde, als die schwüle Stube. – Dabei spottete er auch über die niedrigen Wohngemächer, in welchen gebildete Leute nicht aushalten könnten, und sagte endlich vertraulich:
Nun wartet nur noch ein klein Weilchen, Freund, so werdet Ihr's bequemer haben können. Was plagt Ihr Euch ab mit gelehrter Schreiberei? Die neuen Kupferwerke werden Eure Taschen bis obenan mit Silber füllen. Ich habe Nachrichten, die bis ins Herz gehen und alle Krankheit vertreiben können. Es ist ein Reichthum, wie's Keiner geahnt hat. Es wird kommen, wie in Australien, wo manche Kupferwerke tausend Procente einbringen.
Unter den beiden Männern entstand nun ein Gespräch, aus welchem die junge Frau erfuhr, daß Heinrich fast Alles, was er besaß, von der Bank genommen und durch Schaller in einer Speculation hatte anlegen lassen, welche dieser betrieb. Es galt einer Kupfermine von wunderbarem Reichthum, die im Graubündtner Land entdeckt worden war. Schaller hatte ihn aus Freundschaft zur Theilnahme zugelassen, indem er ihm von seinem eigenen Antheil zehn tausend Gulden abtrat, und er war so sicher über die Erfolge, und konnte es mit Zahlen und Preisen und Proben vom reinsten Metall so gewiß beweisen, daß Jeder einsehen mußte, es würde ein ungeheurer Gewinn abfallen.
Selbst diese lachende Zukunft machte jedoch den Kranken nicht gesund; er blieb dabei, daß er nicht fort könne.
Es ist Schade, sagte Schaller, wir wollten heut wieder beisammen sein, mit dem Prachtmenschen, dem Hülsberg. Der möchte auch mit Gewalt in die Gesellschaft eintreten, ich kann ihm aber keinen Antheil mehr verschaffen, er mag bieten, was er will.
Kennt Ihr denn diesen Herrn von Hülsberg genau? fragte der Doctor.
Von Paris her, und meine Frau kennt ihn noch besser als ich, erwiederte Schaller. –
Er machte eine Beschreibung von dem Reichthum und dem feinen leben Hülsbergs und pries dessen Tugenden und noble Eigenschaften nach allen Seiten hin. Es ist ein Mann von Ehre, sagte er, ein echter Cavalier, der nichts auf sich sitzen läßt; dabei eine treue Seele, die ihre Gefühle nicht aufgeben kann.
Nach tiefen Gefühlen sieht er eben nicht aus, lächelte der Doctor.
Es ist dennoch so, versetzte Schaller. Er hat eine unglückliche Liebe gehabt und kann sie nicht vergessen. Mag kein Weib mehr ansehen im ganzen Leben.
Er brach ab und wiederholte seine Einladung mit dem Zusatz, daß Hülsberg besonderes Wohlgefallen an Heinrich gefunden, allein auch dies machte keinen Eindruck.
Wenn Ihr somit durchaus nicht hinaus wollt, sagte Schaller darauf, so erlaubt Eurer Frau, daß sie uns heut Nachmittag zu einer Fahrt auf dem See begleitet.
Das sollst du annehmen, liebe Emma, rieth der Doctor, seine Hände nach ihr ausstreckend. Den ganzen Tag hast du gestern bei mir gesessen in Angst und Sorgen, heut aber geht es ja viel besser. Du mußt in die Luft hinaus, ich kann recht gut allein bleiben.
Die junge Frau schlug es jedoch ab, und alle Ueberredung half nichts; sie blieb bei ihrer Weigerung, obwohl Schaller lange Zeit immer wieder neue Gründe vorbrachte und zuletzt vorstellte, sie sähe so blaß und angegriffen aus, daß sie leicht selbst ernstlich krank werden könnte, wenn sie hartnäckig seine gute Hülfe zurückweise.
Meine beste Hülfe ist hier bei meinem Manne, erwiederte sie, den ich nicht verlassen will.
Schaller lachte auf. Ist denn diese Liebe so groß, daß kein anderer Gedanke daneben Platz hat?
Sicher, antwortete sie, es hat nichts daneben Platz.
Das ist doch ein edel Herz! fiel er spottend ein, Ich will es Hülsberg erzählen, der wird seine Freude an solcher innigen Zärtlichkeit haben, da er selbst so unglücklich ist.
Nach einiger Zeit ging er, als aber die junge Frau von dem Geleit zurückkehrte, rief sie der Doctor mit zärtlicher Stimme zu sich her. Sie mußte ihm ihre Hand reichen, die sie in der Tasche hielt, und er blickte ihr forschend ins Gesicht und schien darin zu lesen. –
Er hat Recht, sagte er dann, ich erschrecke darüber. Du siehst verändert aus, es ist mir, als wären deine Augen trüb und eingesunken, und die Ringe darum schwarz wie damals, wo ich dich zuerst sah. Was ist das, beste Emma? Du hast doch keine Angst um mich?
Die hab' ich, ja die hab' ich! erwiederte sie.
Es ist ja nichts, das dich ängstigen könnte, entgegnete er heimlich erfreut und bewegt von ihrer Sorge. In einigen Tagen ist es ganz vorüber; du darfst dich nicht ängstigen; ich könnte schon jetzt ohne Bedenken ausgehen, aber ich wollte Schaller nicht begleiten, es wäre doch wieder auf lustige Gesellschaft hinausgekommen, und die will ich nicht haben. Mit Freunden beisammen sitzen, ein gut Glas in der Hand, gute Gedanken geweckt und ausgetauscht, ist wohl auch meine Sache, doch nicht das eitle Schwelgen. Es macht wüst und träge, und ich will's von mir abhalten, damit ich arbeiten kann und daß ich dir gehöre, was besser ist als alle Freuden mit solchen Genossen.
Du traust dem Schaller viel an, Heinrich, sagte sie, und man konnte ihre Warnung heraushören.
Das steht auf einem anderen Brette, erwiederte er. Schaller ist ein seltenes Talent für Handel und Geschäft. Was mein Vater im Kleinen ist, ist er im Großen. Umsichtig, von scharfem Blick, jeden Vortheil erkennend sind sie Beide, aber bei meinem Vater bleibt's ein Kriechen an der Erde hin, in der Arbeitsjacke und nicht darüber hinaus, bei Schaller dagegen geht's in die Lüfte, über Länder und Meere fort. Wo mein Vater mit Kreuzern rechnet, rechnet er mit Tausenden.
Aber er kann sich auch verrechnen, fiel sie ein.
So leicht nicht, der gewiß nicht! Doch ein Mann, der so viel Geld gewinnt, dem dies zur Lebensaufgabe geworden, will auch Alles genießen, was sein Geld ihm verschaffen kann.
Er hielt inne und fuhr dann fort:
Dazu treibt ihn auch seine Frau, die Geld auszugeben versteht und Luxus liebt. Sie weiß es nicht besser.
Aber sie könnte es besser wissen, sagte Emma.
Eitle Frauen kennen kein größeres Glück. Sie wollen gefallen, doch putzen sie sich nicht, um die Bewunderung der Männer auf sich zu ziehen, wie Göthe sagt, sondern um sich von ihrem eigenen Geschlecht bewundern und beneiden zu lassen. Wie bin ich froh, daß du es vorziehst, dich von mir allein bewundern zu lassen! Wie saßest du neben ihr in deiner unschuldsvollen Reinheit, tausendmal herrlicher und schöner, als sie mit ihren Siegerblicken.
Es wäre vielleicht besser, wenn ich mich keinen Vergleichen ferner aussetzte, entgegnete sie lächelnd. Andere möchten nicht so günstig urtheilen.
Wir können es doch nicht ganz vermeiden, erwiederte Heinrich, allein wir wollen thun, was wir können, denn allerdings möchte ich nicht, daß man dich für eine vertraute Freundin dieser Frau Schaller hielte, und dann – er schwieg stille und sah vor sich hin – dann, fuhr er fort, giebt es jetzt obenein noch einen anderen Grund für mich. Dieser Herr von Hülsberg – wie gefällt er dir?
Sehr wenig, sagte die junge Frau.
Ich dachte es wohl, denn du wichst ihm aus. Mich überhäufte er mit Artigkeiten, aber es ging mir mit ihm wie in vielen Fällen mit Menschen, die man in der ersten Stunde sehr angenehm, wohl gar interessant findet, mit jeder folgenden jedoch wird man kälter und merkt zuletzt wohl gar, daß man sich vollständig geirrt hat.
Meinst du? sagte Emma vor sich hin blickend.
Die schöne Frau Schaller ist eine alte Bekanntschaft, ihre Vertraulichkeit zu ihm war auffallend; ich begreife nicht, wie Schaller es leiden kann. – Nun, das ist feine Sache, unterbrach er sich, aber mir ist es lieb, daß ich nicht in seiner Lage bin.
Die junge Frau schwieg darauf, und Heinrich fuhr fort:
Es ist wirklich ein feiner und gefälliger Herr, vornehm in seiner Haltung, dabei von glatter Politur und weltmännischer Bildung; im Ganzen so recht ein Mann um Weibern die Köpfe zu verdrehen; aber mir fiel, ich weiß nicht warum, etwas ein, was Napoleon von den Russen gesagt haben soll: man kann ihre glänzende Oberfläche bewundern, aber kratzt ein wenig daran, und der Kalmuck kommt zum Vorschein. Wirklich, das fiel mir ein! rief er auflachend.
Wir müssen ihn vermeiden, sagte Emma, da er uns so wenig zusagt.
Das freut mich, und so danke ich dir um so mehr, daß du Schallers Einladung abschlugst. Im ersten Augenblick mochte ich dir das Vergnügen gern zuwenden, dann aber fiel mir die Gesellschaft ein, und ich hätte es hindern mögen, wie egoistisch das auch sein mag.
Glaube mir, sagte die junge Frau, daß ich nirgend in der Welt lieber bin, als bei dir; in dieses Mannes Gesellschaft möchte ich niemals sein.
Diese Liebesversicherung wurde von ihm mit dem zärtlichsten Dank belohnt, und er bedauerte es weder an diesem noch an dem folgenden Tage, krank zu sein, denn er erhielt die süßeste Entschädigung durch Emma's treue Beharrlichkeit. Bald saß sie bei ihm mit einer Arbeit beschäftigt und plauderte mit ihm, bald las sie ihm aus verschiedenen Büchern vor, oder es waren Gedichte, welche sie mit ihrer reinen, biegsamen Stimme so schön vorzutragen wußte, daß der Ton bezaubernd in seinem Herzen widerhallte.
Er lag dabei stille auf dem Sopha und sah sie an, und als sie am Nachmittag einmal, ihre Hände gefaltet, eingeschlafen war, überwältigte ihn ein Gefühl der innigsten Rührung. Ihr Kopf lehnte nicht weit von dem seinen auf dem Polsterkissen des Stuhle, und ihr Gesicht schien von einem Frieden überflossen, den er mit dem Frieden eines Gottesengels verglich.
Je länger er sie anschaute, um so heiliger wurde die Stimme, die ihm zurief, daß all' sein Glück mit diesem theuren Wesen auf ewig verbunden sei. Ihre Liebe begeisterte ihn, in seinen Gedanken streiften alle die schönen Stunden vorüber, welche er mit ihr schon verlebt hatte, und wie viele und reiche erwartete er von der Zukunft?! Wie edel war ihr Denken, wie verständig Alles, was sie that, wie wohlthuend ihr Anschmiegen und ihre Hingebung; seine mißmuthige Minute hatte diesen Liebessegen je noch verkümmert.
Seine Lippen sprachen einen leisen Schwur aus, daß er dies Glück verdienen wolle, daß er es zurückgeben wolle, daß sie mit Ehren stolz und froh sein solle auf ihn und sein männlich Thun. In diesem Augenblick füllte sich.seine Brust mit stolzer Energie, und er fühlte, daß sie neben ihm stand wie sein guter Genius. Ein zitterndes Verlangen drängte ihn, ihre Hände zu nehmen und zu küssen, ihr zu sagen, wie lieb, wie theuer sie ihm sei; aber indem er sich zu ihr beugte, öffnete sie ihre Augen, und in dem Stuhl zurückfahrend, blickte sie ihn mit Entsetzen an.
Du träumst! rief er ihr lachend zu. Ermuntere dich doch. Was blickst du so wild umher? Es muß ein gar böser Traum gewesen sein.
Er strich über ihre Stirn, die eisig kalt war. Du wirst es mir doch nicht nachmachen und auch krank werden? fragte er besorgt.
Sie schüttelte den Kopf und ihre Mienen erhellten sich.
Mir ist ganz wohl, sagte sie, aber ich träumte, ein Ungeheuer wollte mich verschlingen.
Dies gab Anlaß zu anderem Scherz, und bald war Alles vergessen. Als es Abend wurde, kamen die Eltern herauf und zeigten sich sehr zufrieden mit dem Kranken, den sie in bester Stimmung fanden.
David Schwarz hatte seine gute Laune beibehalten und hörte mit Vergnügen, wie sein Sohn sich über das bestandene Abenteuer lustig machte. Als die Rede auf die verdorbenen Kleider kam, gefiel es ihm noch mehr, wie Heinrich darüber spottete.
All' die Lumpen und Lappen haben wenig zu bedeuten, lachte der Doctor, wie's darunter aussieht, darauf kommt's an. Da liegt nun der ganze Plunder, von einem Donnerwetter todtgeschlagen; was thut's, wenn wir darüber lachen können!
Wir schaffen's bald wieder an, sagte der Vater.
Wenn wir einmal die Taschen voll Geld haben, so kann's geschehen, erwiederte Heinrich, sonst nicht. Seht nur her, ob Emma darüber jammert. Sie gebehrdet sich nicht, wie die schöne Frau Schaller, die sich nicht eher beruhigen konnte, bis ihr Mann Alles zu ersetzen versprach. Wenn ich's thun wollte, würde Emma es nicht annehmen, würde mich als Verschwender behandeln, und der würde ich auch sein. Schaller freilich hat Geld genug zu allen Thorheiten.
Nun, sagte der alte Mann, Verschwender haben leere Kasten.
Ich denke, fügte die Mutter hinzu, es ist eine genaue Freundschaft mit Euch und den Schallers?
Das mag Niemand glauben, antwortete Heinrich. Ich passe nicht zu ihm, noch weniger paßt Emma zu der glänzenden Frau. Wir werden keine Feste mehr mit ihnen feiern, denn beide haben wir keine Lust daran. Mir fehlt's an Zeit zu solchem Schwelgen, und Emma – ich kann's wohl zu Euch sagen – Emma will nicht mehr mit der Frau zusammen sein, von der man nicht zum besten urtheilt.
Die Mutter dachte daran, was Anna Frings ihr erzählt hatte.
Ich kann's nur loben, sprach sie darauf, denn in der Kirche hat's schon Aufsehen erregt, daß deine Frau mit der Frau Schaller zusammensaß. Wie das alte Wort heißt, kann man sagen, wer Einer ist, wenn man weiß, mit wem er umgeht.
Ich will nicht hoffen, rief Heinrich mit raschen Blicken, daß gewisse alte Jungfern sich schon verläumderische Geschichten ausgesonnen haben!
Er sah die alte Frau durchdringend an, fuhr aber darauf verächtlich fort:
Was will ich mich ereifern; man kann es nur verspotten. Eines Weibes Ruf ist freilich zerbrechlicher als Glas und ist doch ihr herrlichstes Kleinod, das nicht angetastet werden darf. Laß die Erbärmlichkeit nur hervorkriechen, wenn sie es wagt; hier ist mein Schatz, der mit seinen unschuldigen Augen alle giftigen Schlangen besiegt, wie die heilige Genovefa.
Er zog die junge Frau in seine Arme und den beiden alten Leuten schien es zu gefallen.
Ich weiß nicht, sagte David Schwarz darauf, ihn muthwillig anschielend, wie weit das richtige Denken bei dir schon zur Vollkommenheit gelangt ist, und ob's nicht eine schwere Sünde sein mag, die Frage auszusprechen, ob du mit deinem Vater, nicht etwa Champagnerwein, sondern ein Glas vom echten Seewein trinken magst?
Heinrich ging lachend darauf ein, und der alte Mann zog mit schlauem Triumph eine Flasche dieses Getränkes unter seiner weiten Jacke hervor.
Der wird dich auf die Beine bringen! rief er dabei, der reinigt den Magen, stärkt die Nerven, macht's Gedächtniß klar, ist das beste Mittel für's richtige Denken. Der ganze Mensch zieht sich dabei zusammen.
Der Abend verging in Einigkeit, da die Familie von allen Seiten sich dafür bestrebte, und wo irgend ein Zwiespalt auszubrechen drohte, war die junge Frau immer bei der Hand, sich ins Mittel zu legen. Nur einmal kam es zu einer lebhaften Meinungsverschiedenheit, als Heinrich von den neu aufgefundenen Kupferadern in Graubündten sprach und damit hinhorchte, was seines Vaters Ansicht sein möchte. Aber der würdige David Schwarz wollte gar nichts davon wissen.
Ich habe neulich erst einen Mann davon reden hören, der die Sache verstand, begann er. Ist nichts damit als Schwindel, um Narren zu fangen, die reich werden möchten ohne zu arbeiten. Glücklicher Weise sind die richtigen Schweizer aber nicht so leichtgläubig, wie die Leut' da außen, wo die Weltweisen zu Haus sind.
Er drehte die Mütze um seinen Kopf und grinste behaglich.
Es hat jeder Schweizer seinen Trieb von Gott bekommen, fuhr er dabei fort, nichts aus der Hand zu geben, was er darin hat, und alle Dinge, wozu er Geld hergeben soll, ein Dutzend Mal wohl zu überlegen, bevor er's thut. Nun müßte Einer aber von Gott verlassen sein, wenn er denken könnte, Bergwerke sollten ihn reich machen. In der Schweiz hat noch nie ein Bergwerk gute Geschäfte gemacht. Wir haben keine Schätze da unten in der Erde, haben auch nicht fruchtbar Land genug oben auf, um Brotkorn sattsam zu gewinnen, dürfen sogar keine Butter essen, damit wir Käse ausführen können, haben kein Salz und kein Oel, müssen Alles kaufen von unsern Nachbarn. Nichts haben wir als unsern Fleiß und unsere Arbeit, unser sparsam Wesen und unsere Bedächtigkeit. Ziehe deine Mütze ab, Bub', und lache nicht. Ist doch der Freude werth, daß ein so kleines armes Volk mit seiner Kraft sich aufrecht hält und es geht ihm besser wie da außen den großen Nationen mit all' ihrem Reichthum und ihrer Macht.
Heinrich war betroffen über die Antwort seines Vaters. Er brachte dagegen Allerlei vor, von den tausenderlei alten Zöpfen, von dem engherzigen Geist, der sich nicht erheben könne, der alles Neue für schlecht halte, und Jeden für einen Schwindler, der zeitgemäße Speculationen beginne. Es gab ein Wort das andere, endlich mischten sich die Frauen begütigend ein, aber der alte Mann stand bald nachher auf, sah seinen Sohn spottlustig an, und sprach dabei:
Bist ein rarer Kopf, weist von Allem das Beste; ist ein Glück, daß du das richtige Denken aus dem Grunde gelernt hast, könntest sonst wohl gar auf den gescheuten Einfall kommen, vom Gelde deiner Frau etwas in die wundervollen Bergwerke zu thun.
Der Doctor schwieg stille, auch als sein Vater hinaus war, saß er noch lange nachdenkend und rieb sich die Stirn. Er merkte es wohl, daß sein Vater starken Verdacht hegte, er habe Geld an Schaller gegeben; die höhnenden Worte und die Mienen des alten Mannes ließen dies kaum bezweifeln, und wie sehr er sich auch trotzig sträubte und die veralteten kleinlichen Ansichten zu verspotten suchte, fühlte er sich doch davon bedrängt. Aber um keinen Preis hätte er seinem Vater Recht geben mögen. Sich zurückzuziehen und dessen Rath zu befolgen, fiel ihm nicht ein, und endlich lachte er über seine Bedenken, und ergötzte sich an prächtigen Luftschlössern, welche alle Einbildungen des keiner höheren Anschauung zugänglichen alten Mannes zu Schanden machten.
Beruhigt blickte er auf und sah zu Emma hin, das einzige Wesen, das ihn ganz verstand und ihm vertraute. Sie stand am offenen Fenster und schaute auf die Straße hinaus. Es dunkelte draußen schon, die Luft wehte nebelnd vom See her, am Himmel funkelten einzelne belle Sterne und aus den Häusern auf der gegenüberliegenden Höhe glimmten die Lichter. Leise näherte er sich der geliebten Frau und eben breitete er seine Arme aus, als sie von selbst hineinfiel, denn sie drehte sich rasch um und zurück, wie von einem jähen Erschrecken befallen.
Ist schon wieder ein Traum da! rief er ergötzt, oder was ist es? –
Er blickte dabei auf die Straße hinab, allein er sah nichts. Jemand ging jenseits des Gitters am Hause auf dem Fußsteig. Er konnte nur noch erkennen, daß er einen weiten Kragen trug, in welchen er sich einhüllte.
Es ist nichts, sagte die junge Frau. Ich hörte ein Geräusch und schrak aus meinen Gedanken auf.
Also auch mit dem besten Gewissen kann man aufgeschreckt werden von einem Geräusch, spottete er; aber wie heiß du bist und deine Hände brennen! Wäre es nicht so dämmernd finster, würde ich dir zureden, ein wenig hinab und ins Freie zu gehen. Du bist nun in zwei Tagen nicht gegangen, das hat dein Blut aufgeregt.
Emma schwieg einige Augenblicke, dann sagte sie:
Ich will gehen, es wird mir gut thun.
So geh die Straße hinab und dann am Bache entlang, und kehre über den Bleichplatz zurück.
Sie warf einen Tuch um und setzte den Hut auf. Hastig war sie bereit und nach einigen Minuten schon auf dem Wege. Er blieb am Fenster stehen und sah sie heraustreten, doch sie blickte nicht zu ihm auf, wie er's erwartete, sondern ging rasch auf der Straße fort und bald war sie verschwunden.
Warum denn so eilig? fragte er sich. und warum sah sie sich nicht um? –
Er ging auf und nieder und beschäftigte sich damit, mit jedem Schritte vermehrten sich seine Bedenken. Ihre Antwort, daß sie gehen wolle, hatte sie sonderbar rauh hervorgestoßen. Es lag etwas von der entschlossenen Härte darin, die er gut genug kannte. Wenn sie kränker war, als es schien, wenn ihr etwas zustieße?
Er bereute es jetzt, ihr diesen Spaziergang im Halbdunkel vorgeschlagen zu haben, von dem er nicht geglaubt hatte, daß er angenommen würde. Auch dies schien ihm ein Fieberzustand zu sein, und mit wachsender Unruhe sah er in die Abendschatten hinaus, bis der Zustand eintrat, in welchem das Verständniß zwischen Empfinden und Wollen verloren geht. Er fand es unerklärlich, daß Emma noch nicht wieder da sei, machte sich die ängstlichsten Vorstellungen und endlich konnte er es nicht länger ertragen. Er wollte sie suchen, ihr entgegen gehen, und das war bald gethan.
Indem er sich rasch dazu bereit machte, verminderten sich seine Sorgen und er freute sich an dem Liebesbeweis, mit welchem er Emma überraschen wollte. Leise stieg er dann hinab, um von seinen Eltern, welche noch im Hinterzimmer saßen, nicht gemerkt zu werden, ging schnell um das Haus und sprang über den Graben, an derselben Stelle, wo er ihn übersprungen hatte, als er entflohen war, um Emma zu finden.
So befand er sich gleich darauf auf dem Trocken- und Bleichplatze der Fabrik, dessen Pfahlreihen ganz mit Kalikostücken bespannt waren. Indem er daran vorüber ging, hörte er nicht weit von sich sprechen, leisere und lautere Worte, von denen er nichts verstehen konnte. Wer mochte es sein? der Ton kam zwischen den aufgehängten Zeugstücken hervor. Was geschah dort?
In dem Augenblick ließ eine der Stimmen sich lebhafter und verständlicher vernehmen. Nein, sagte sie, niemals soll es geschehen, niemals!
Was erwiedert wurde, blieb dem Lauscher verborgen, allein gleich darauf sagte jene Stimme mit demselben Nachdruck:
Was könnte es Ihnen nützen mich zu verderben? Habe ich noch nicht genug für meine Schuld gebüßt, und oh – oh! bleibt nicht ohnedies genug übrig, das Ihr Mitleid erregen müßte?
Wiederum trat eine Pause ein, die durch einen heftigen Ausruf unterbrochen wurde.
Laß meine Hand los, Elender! rief die Stimme, nimmer kann eine Gemeinschaft zwischen dir und mir sein. Ich verachte, ich hasse dich! Thue was du willst, zu deiner und meiner Schande.
Als ob alles Eis der Gletscher von Uri, welche über den See schauen, auf sein Herz gefallen, so stand Heinrich vergletschert in seinem Versteck. Er hatte die Stimme längst erkannt, es war Emma's Stimme, und jetzt hörte er das Rauschen ihres Gewandes, nur durch die dünne Wand von losem Gespinnst getrennt; jetzt sah er die Umrisse ihrer Gestalt dicht an ihm hinstreifend, ohne ihn zu bemerken.
Ein höhnisches Gelächter folgte ihr nach, ein halblautes: Du sollst es bereuen! glaubte er zu hören. Dann kehrte der also Drohende um und ging in der Gasse zwischen den Pfählen weiter, doch in diesem Augenblicke fiel auch die Erstarrung von Heinrich ab und eine fürchterliche Glut strömte dafür durch seine Adern. Mit einem Griff riß er das Gewebe nieder, mit einem Sprung war er in der Bahn. Vor sich in einiger Entfernung erblickte er eine Gestalt, die bei dem Lärm ihre Schritte verdoppelte.
Halt an! steh still! schrie Heinrich ihr nach, aber dies war nicht die Absicht des Fremden. Er achtete nicht darauf, sondern machte sich noch eiliger fort. Es entstand ein Wettlauf zwischen Beiden, der mehrere Minuten dauerte und mit Heinrichs Sieg geendet haben würde, denn er war schneller als der Verfolgte, und obenein führte dort hinaus kein Weg, Anna Frings Garten, die Hecke und die Heckenthür sperrten den Hintergrund.
Doch ohne inne zu halten, lief der Fremde darauf zu und sobald er die Thür erreichte, sprang er hinein und war verschwunden. Gleich darauf stand Heinrich an derselben Stelle. Die Thür war ins Schloß geworfen, vergebens suchte er sie zu öffnen. Er rüttelte aufs Heftigste daran, vor Verlangen bebend, den Mann zu greifen, der ihm entkommen war, als sich unerwartet ein Kopf hinter dem Gitter zeigte, und ein langer Arm sich darüber hinausstreckte.
Ei, das ist ja der Herr Doctor, rief Anna Frings dabei, kommt er endlich zu seiner Freundin, die ihn so lange schon erwartet hat?
Wie ein Hirnfieberkranker durch ein Sturzbach aus seinen Fantasien gerissen wird, so wurde Heinrich von dieser Anrede vernichtet.
Was habt Ihr denn vor, mein lieber Freund? fragte Anna süß zutraulich. Was treibt Euch her? Was giebt es denn?
Um keinen Preis hätte er ihr mittheilen mögen, was ihm soeben begegnet. Er brachte ein paar unzusammenhängende Worte hervor, die ungefähr so klangen, als habe er sehen wollen, wie es gehe.
Wie es einem armen Mädchen gehen kann, erwiederte sie mit einem Seufzer. Aber kommt herein, mein lieber Freund und nehmt meinen Dank. Mir konnte nichts Lieberes geschehen.
Bei dieser Zumuthung überkam ihn Entsetzen. Er hörte ihre Hand am Schlosse, und es war ihm, als würde ein Gewehr auf ihn gerichtet, an welchem Anna Frings soeben den Bahn spannte.
Nein, nein! rief er, es geht nicht an, ich kann nicht bleiben! und ohne ein Lebewohl oder ein freundlich Wort hinzuzufügen, sprang er zurück in die Nacht hinein, den kleinen Abhang hinunter, und lief so schnell davon, als werde er jetzt selbst von grimmigen Feinden gejagt.
Gelächter schallte ihm nach, und es kam ihm vor, als ob Anna Frings nicht allein lachte. Er stand nicht eher still, als unter den Fenstern seiner Wohnung, und als er hinaufblickte, sah er sie noch dunkel, die Flügel noch geöffnet, wie er sie gelassen. – Emma war noch nicht zurückgekehrt.
Wie ein Dieb schlich er die Treppe hinauf. Er legte die Hand auf den Drücker der Thür, die andere auf seine glühende, klopfende Stirn, hielt den Athem an und horchte. So stand er eine Minute lang, unentschlossen, was er beginnen sollte. Endlich trat er hinein und sah umher. Sie kam ihm nicht entgegen, aus keinem Winkel kam ein Laut, in größter Hast warf er den Rock ab und beseitigte Alles, was Zeugniß geben konnte, daß er das Zimmer verlassen hatte. Dann schloß er die Fenster, zündete Licht an und blickte in die Flamme, die vor seinen Augen zu verlöschen schien, mit wilden scheuen Blicken.
Was sollte er beginnen? Wie sie empfangen? Wohin mit der grausamen, folternden Unruhe? Rechenschaft fordern oder schweigen? –
Wer vor einer unseligen Wahrheit zittert, deren Elend er nicht ertragen kann, der sucht in Zweifeln Hülfe davor. Er hielt sich krampfhaft an dem Tische fest und überlegte. Emma hatte ihm etwas verborgen aus früherer Zeit, aus den Begebnissen ihres Lebens. Wer war der Mann, der sie aufgesucht? Einer, der sie geliebt, den sie verschmäht hatte, der unedel genug dachte, sie mit Vorwürfen und Drohungen zu überhäufen?
So mußte es sein, was waren das für Worte, ihre Worte, die von Schande sprachen, von Schuld und Buße und was noch übrig blieb? Doch hatte sie keinen Grund dazu, so zu sprechen, wenn sie fürchten mußte, von diesem Elenden, wie sie ihn nannte, sich verrathen zu sehen? Sie haßte und verachtete ihn – das warf einen Hoffnungsschimmer in sein Herz – ihre Liebe war keine Heuchelei, diese Zusammenkunft keine Verabredung. Sie war überfallen worden, einem Nichtswürdigen Rede zu stehen.
Indem er dies dachte, hörte er, daß sie kam, und alles Blut drängte sich in seinen Kopf, er fühlte, daß er nicht im Stande sei, ihr entgegen zu gehen und seinen Gemüthzustand zu verbergen. Er warf sich auf den Sopha und schloß die Augen. –
Als sie hereintrat, blieb sie stehen und es dauerte eine Weile, ehe sie Hut und Tuch ablegte und sich leise näherte, bis sie vor ihm stand. Er konnte durch die blinzelnden Augenlider bemerken, wie sie ihre Hände verschränkte und auf ihn niedersah. Ihr Gesicht wurde vom Lichtschein beleuchtet, bleich und traurig sah es aus, dann aber lief ein langsames Lächeln darüber hin, in welches der melancholische Ernst sich auflöste, und sie beugte sich zu ihm nieder und küßte ihn wach.
Bist du da? fragte er auffahrend. Ich war fest eingeschlafen.
Du bist müde geworden. Ich bin lange geblieben, erwiederte sie freundlich über seine Stirn streichend.
Wirklich, es ist völlig finster. Wo warst du?
Bis an den See hinab, ich komme von dort zurück. Es ist weiter, als ich dachte.
Es ist dir doch nichts zugestoßen? Frauen werden zuweilen von zudringlichen Menschen beleidigt.
Mir ist nichts zugestoßen, erwiederte sie vollkommen ruhig.
Und fühlst du dich jetzt wohler als vorher?
Um sehr viel wohler, lieber Heinrich. Der Spaziergang hat mir gut gethan.
Ihre Antworten fielen wie Funken in sein Blut. Er hatte die Fragen gethan mit der Hoffnung, diese könnten bewirken, daß Emma ihm um den Hals fallend ein Geständniß ablegte. Er würde in seiner Liebe ihr verziehen haben, was er auch hören mochte; aber ihr fehlte dies Vertrauen, sie wollte ihn durch ihre Ruhe täuschen, durch ihre falschen Antworten, durch die Lüge, daß ihr jetzt viel wohler sei. Er mochte nicht weiter fragen, aber sein Herz zog sich zusammen, und seine Lippen sträubten sich, sie liebe, theure Emma zu nennen, was er so oft und so gern that. Selbst seine Hände zuckten, als sie diese umfaßte und zärtlich drückte.
Du hast sehr heiße, fieberhafte Hände, sagte die junge Frau besorgt.
Mein Kopf ist so wüst, erwiederte er, daß ich nichts denken kann. Ich muß ins Bett.
Sie bot ihm Hülfe mit Allem an, was lindern konnte, aber er lehnte es ab. Das Beste wird Ruhe sein, laß mich nur still liegen, sagte er sich von ihr wendend, auch das Licht thut mir weh. Bekümmere dich nicht weiter um mich und bleib auf. Es thut mir leid, daß ich dir nicht länger Gesellschaft leisten kann.
Er erreichte seinen Zweck, allem weiteren Beisammensein für diesen Abend zu entgehen, denn die junge Frau that nach seinem Gebot; als er aber im Bette war und durch die angelehnte Thür ins Nebenzimmer blickte, sah er, daß Emma schrieb. Was hatte sie zu schreiben?!
Welche Nacht war dies für Heinrich! Er lag auf Nesseln und Dornen und wagte doch nicht, sich zu rühren, denn mehrmals, als er sich bewegte, war Emma bei ihm, um nach seinem Begehr zu forschen. Was er noch gestern mit Entzücken als die große Liebe des Gottesengel gepriesen hatte, war ihm heut lästig und zuwider, und doch vermochte er nicht sie abzuweisen, denn ihre Sorge um ihn hatte etwas Rührendes. So lag er glühend still unter den Decken und schloß seine Augen fest zusammen, als sie dennoch wiederkam und dicht an seinem Gesicht mit verhaltenem Athem lauschte.
Gott sei Dank! er schläft, hörte er sie flüstern, aber er merkte bald, daß sie selbst den Schlaf nicht finden konnte. Er hörte es an manchem leisen Geräusch, und als der Morgen zu dämmern begann, sah er, daß sie aufgerichtet in ihrem Bette saß. Kein Laut war jedoch zu hören, kein Seufzer, kein gelispeltes Wort.
Einige Male regte sich in ihm das Mitgefühl, er wollte auffahren, wollte ihr zurufen: Ich weiß Alles, Emma, ich war auf dem Trockenplatz dicht bei dir. Komm in meine Arme, sprich zu mir; du kannst nichts Böses gethan haben! Dann aber drückte ihm eine schwarze Hand die Kehle zu und eine Stimme schrie in seinem Ohr:
Halt ein! Ist ihre Schande nicht deine Schande? Und wenn's nicht Schande wäre, würde sie dir's verbergen, würde sie hier sitzen in der Nacht, schlaflos, bleich wie ein Gespenst? Wenn's nicht Dinge wären, die kein Weib begehen darf, ohne sich zu entehren und den Mann zu entehren, den sie betrogen hat, würde sie Schuld und Buße über sich rufen und Erbarmen fordern? Nicht um dich ist sie schlaflos, nicht um dich sitzt sie dort. Ihr Gewissen ist es, das die Angst des Verbrechers in ihr aufgeweckt hat. Sie weiß sich verrathen und verzweifelt.
Dann wieder kamen mildere Vorstellungen, neue Zweifel, neue Hoffnungen. Die Liebe rang in seinem Herzen gegen Mißtrauen und Mannesehre, und nun fielen ihm seine Eltern ein, wenn sie von dieser Schwiegertochter Schlechtes erfahren sollten. Die alten Leute mit ihren strengen, bürgerlichen Begriffen konnten es nimmer vergeben, und neben ihnen sah er Anna Frings stehen, das vermehrte sein Entsetzen. So dicht an seinem Gesicht sah er sie, daß er davor zurückschauderte. Er hörte ihr Hohnlachen, er sah ihre boshaften Augen und wie die dünnen Lippen sich zurückzogen, wie sie den langen, magern Arm ausstreckte, mit dem Finger auf ihn zeigte. Wie im Wahnsinn krampfte er seine Hände in seine Brust und eine Betäubung folgte nach, die seine Augen zudrückte.
Endlich mußte er dennoch wohl in einen Schlummer gefallen sein, denn als er sich aufrichtete, schien die Sonne, und aus dem Nebenzimmer kam Emma herein voll friedlicher Ruhe und Freundlichkeit, mit welcher sie ihm guten Morgen bot und theilnehmend befragte.
Es geht gut, sagte er. Es ist wohl spät?
Ziemlich spät, erwiederte sie. So eben schickte dein Vater herauf und ließ dich ersuchen, sogleich zu ihm zu kommen. Ich habe dich aber nicht wecken mögen.
Er sprang aus dem Bette und kleidete sich an. Was wollte der Vater von ihm? Warum ließ er ihn rufen? Grauen und Schrecken kamen mit neuer Macht, und doch drängte es ihn, es zu erfahren.
Nimm erst dein Frühstück, es steht bereit, sagte die junge Frau sanftmüthig ihn bedienend.
Er that es hastig. Sie schien nicht zu bemerken, daß seine Hand zitterte, er einsilbig blieb und vor sich hin sah, dann plötzlich aufstand und hinausging, ohne ein Wort an sie zu richten.
Als fürchte er, sie möchte ihm nachrufen und ihn auf halten, stieg er eilig hinab, doch unten war es, als wollten seine Füße sich festwurzeln. Er hörte seines Vaters Stimme in dem Wohnzimmer, doch nicht so laut und fest wie sonst, und die ihm antwortete – die ihm antwortete
Wie brennendes Feuer lief es durch sein Gehirn. Er öffnete die Thür – es war richtig. Da saß Anna Frings neben seiner Mutter, sein Vater am Tische, den Ellenbogen aufgestützt. Sie sahen sich nicht nach ihm um; er ging auf seinen Vater zu und blieb vor ihm stehen.
David Schwarz drehte die Mütze um seinen Kopf, den er aufhob. Es war ein langer, eisiger Blick, mit welchem er ihn ansah, keine Miene verzog sich dabei. So verging eine Minute.
Es kommt jetzt auf's richtige Denken an, Heinrich, sagte er darauf, du mußt es zeigen.
Wobei soll ich es zeigen?
David Schwarz gab keine Antwort. Nach einer Stille aber fuhr er fort:
Es war nicht schwer anzunehmen, daß Falsches dahinter stecken mußte. Ein richtiger Schweizer hätt's auf der Stelle gewußt, hätte den Handel durchschaut.
Welchen Handel, Vater?
Jetzt sieh zu, was du thust, um den Schaden abzuwenden und die Schande dazu.
Schande, Vater?!
Unehre und Schande. Bist betrogen, Heinrich.
Von wem?
Von der, die sich deine Frau nennt, antwortete der alte Mann seine Stimme noch mehr senkend.
Der Sohn faßte seinen Kopf. Er fühlte die Glut in seinem Gesichte, den Grimm, der sein Herz zersprengen wollte, die Scham, das hören zu müssen, und er wagte doch nicht aufzuschreien, daß es verfluchte Lüge und Bosheit sei.
Ich will Alles wissen, sagte er seine Zunge zum Sprechen zwingend und seine Augen zwingend Anna Frings anzublicken, die in steifer Ehrbarkeit neben seiner Mutter saß. – Habt Ihr es etwa meinen Eltern hinterbracht? fragte er. Es kann nicht anders sein.
Ich will's nicht verläugnen, antwortete Anna.
So sagt mir selbst, was es ist.
Begehrt das nicht von mir, versetzte Anna. Ich mag's nicht wieder in den Mund nehmen, mag Euch nicht so schandbare Dinge erzählen.
O, du Herr Gott! rief die alte Frau ihre Hände ringend, daß redliche Leute solche Schande treffen muß. Ein liederlich Weibsbild hast du uns ins Haus gebracht. Ein Kind hat sie, ein heimlich, unehelich Kind!
Da lag die schmähliche Anklage offen vor ihm, und sie verjagte alles Blut aus seinem Kopfe. Er sah so bleich und hohläugig aus, wie ein schwerer Kranker. Seine Hände zitterten und sein Gesicht verzerrte sich, wie er seine Mutter anblickte, die in ihrer sittlichen Empörung fortfuhr:
Einen Gimpel haben sie sich gefangen, der mit seinem ehrlichen Namen die Schande zudecken sollte, und fein haben sie es angelegt, aber es ist doch nichts so fein gesponnen, es kommt doch an den Tag.
Die letzten Worte schlugen bei ihm ein.
Wie ist es an den Tag gekommen? fragte er. – Durch Euch, Anna!
Ich hab's aus guter Hand, erwiederte sie, und konnte es nicht länger ansehen, Euch so schändlich mißbrauchen zu lassen. Ich könnte Euch noch mehr sagen, könnte Euch zeigen, mit welchen Ränken sie Euch umsponnen hat. Doch Ihr habt genug, denke ich.
Wo habt Ihr den Beweis? Wo sind die Zeugen? – War's etwa –
Er dachte daran, was er am Abend erlebt, und schwieg.
Beweist es, fuhr er wilder auf, als Anna Frings boshaft lächelte, schafft den Zeugen! Ist's aber etwa der elende Schelm – der – der mit Euch dies verfluchte Werk abgeredet hat – so will ich es dennoch nicht glauben, so ist's schmachvoller Lug und Trug. Schafft den Beweis! Nicht von der Stelle sollt Ihr, bis Ihr die Wahrheit bekennt.
Der Zeuge hat seine Gründe, nicht jetzt schon hervorzutreten, erwiederte sie, doch liegt's an Euch, wenn Ihr Wahrheit nicht haben wollt.
Es ist ein höllischer Plan, sagte er sie finster anblickend. Ich erkenn's, wie es steht, in Euer Angesicht hinein will ich Euch die Verläumdung schleudern. Sie soll es thun.
Bleibt, sagte Anna gelassen. Sie würde Euch ein heuchlerisch Märchen aufbinden, und Ihr möchtet es wohl glauben. Ich habe nichts im Sinn, als Euch Gutes zu thun; wollt Ihr's nicht haben, so laßt es. Wollt Ihr die Wahrheit wissen, so prüft sie. Reist nach Straßburg, dort ist das Kind geboren worden, am 1. März dieses Jahres, es ist jetzt somit sechs Monate alt. Geht auf die Mairie, laßt Euch das Geburtsregister aufschlagen, seht zu, ob da steht: ein Knabe geboren von Emma Caroline Meerfeld. Dann sucht den Fischmarkt auf, und das Haus Numero 12. Darin wohnt auf dem Hofe ein Weib, Namens Wolfart, eine Schwester der Hebamme, die den Knaben zur Welt befördert, ihr ist er übergeben worden. Forscht Allem wohl nach, so wird Euch kein Zweifel bleiben, und dann kommt, fügte sie triumphirend hinzu, indem sie aufstand, dann stellt mich neben sie, wenn Ihr wollt. Ich will's abwarten, auf wen Euer Fluch fällt und wen Ihr segnet.
Damit warf sie einen Zettel auf den Tisch und ging hinaus, ohne aufgehalten zu werden, die zurückblieben, blickten vor sich nieder, es war todtenstill im Gemach. –
Und dennoch ist's verflucht! rief Heinrich endlich mit Heftigkeit, und dennoch ist es Lüge, denn es kann nicht so sein.
Mußt jetzt dein richtig Denken zusammen nehmen, sagte David Schwarz.
Glaubt es nicht, ich bitt' Euch, glaubt es nicht! erwiederte Heinrich dringend und angstvoll, um sich davor zu retten. Es ist ein Plan zu ihrem Verderben geschmiedet, ein schändlicher gewissenloser Plan.
Meinst du, daß Alles erlogen sei? fragte der alte Mann.
Alles – nein – nicht Alles, aber was läßt sich nicht verdrehen und ausspinnen! Es mag sein, daß meine Frau früherhin einen Mann kennen lernte, den ihre Familie begünstigte, oder auch sie selbst – den sie aber später von sich wies, weil sie Schlechtes von ihm in Erfahrung brachte.
Weißt du davon? fragte David Schwarz.
Ich? – ja, etwas weiß ich – und wenn nun dieser Mensch nichtswürdig genug wäre, sich rächen zu wollen? Wenn er hier umschliche, mit Anna Frings bekannt wurde – und sie – das boshafte Geschöpf – ihm gern dabei hülfe? Bei Gott! das ist die Geschichte.
David Schwarz schüttelte den Kopf. Die alte Frau sagte unentschlossen:
Dem Annli ist freilich solche Hülfe wohl zuzutrauen, aber sie wußte es allzugewiß, und hier auf dem Zettel stehen ja die Namen aufgeschrieben; es müßte doch auch Einer gesehen worden sein, der sie verfolgt hätte.
Ich habe einen gesehen, gestern Abend, fiel Heinrich ein. Ich machte noch einen Weg, Ihr wißt es nicht.
Er begann ein Geständniß seiner Erlebnisse, doch kein vollständiges, daß er Emma getroffen, und was er gehört, verschwieg er. Er hatte einen Mann auf dem Trockenplatze bemerkt, der das Haus umschlich, als dieser ihn bemerkte, entfernte er sich, floh, als er verfolgt wurde, und entkam in Anna's Garten, wo sie selbst dann plötzlich erschien.
Es gab noch größeres Nachdenken in Folge dieser Mittheilung.
Ihr werdet es sehen, daß zuletzt nichts Unehrenhaftes übrig bleibt, sagte Heinrich, und die Schande auf die Verläumder fällt. Ich will's nicht stecken lassen, ich will's untersuchen, denn meine Ehre – er richtete sich auf und legte die Hand auf seine Brust – und sollte es mein Leben kosten, meine Ehre soll nicht geschändet werden!
Willst du nach Straßburg reisen? fragte David Schwarz.
Heute noch unter irgend einem Vorwande.
Ist richtig gedacht, sagte der Alte.
Doch bis ich wiederkehre, schweigt, liebe Eltern, und laßt es Emma nicht entgelten.
Wiederum richtig gedacht, nickte der alte Mann zusichernd.
Laßt mich klar sehen, dann wollen wir thun, was recht ist.
Wie echte Schweizer, sprach David Schwarz ihm seine Hand reichend.
Es wurde jetzt abgeredet, was geschehen sollte, um die Entdeckungsreise geheim zu halten, und als Heinrich wieder in sein Zimmer trat, sah er ruhiger aus, als da er es verlassen. Emma saß am Fenster bei einer Arbeit, und er bemerkte es wohl, daß neben ihr auf dem Tischchen aufgeschlagen Zschokke's Andachtsbuch Heinrich Zschokke (1771-1848), aus Magdeburg stammender Wahl-Schweizer, zu seiner Zeit einer der meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller, hatte ab 1808 »Die Stunden der Andacht« herausgegeben, volkstümliche Blätter mit religiös-volksbildnerischer Tendenz; 1848 war daraus ein weit verbreitetes Buch zusammengestellt worden: »Familien-Andachtsbuch. Aus den Stunden der Andacht zum Besten minderbemittelter Personen und Haushaltungen umgearbeitet und zusammengeordnet von dem Verfasser«. lag, worin sie öfter zu lesen pflegte. Mit freundlichen Blicken und dem sanften Lächeln, das so anziehend war, sah sie ihn kommen. Die zufriedene Stille um sie her machte einen solchen Eindruck auf ihn, daß er beinahe alle seine Vorsätze vergessen hätte.
Du siehst sehr erhitzt aus, lieber Heinrich, sagte sie zu ihm aufblickend. Hast du Unangenehmes erfahren?
Allerdings Unangenehmes erwiederte er. Es steht uns ein schwerer Verlust bevor. Mein Vater hat Nachricht von den schlechten Verhältnissen eines Handelshauses, an welchem er eine bedeutende Summe zu fordern hat. Ich muß in einigen Stunden nach Basel, muß sehen, was zu retten ist.
Thue deine Pflicht, sagte sie.
Ich hoffe, daß nicht viel verloren geht, daß das Meiste erhalten bleibt.
Ich werde dich mit guten Nachrichten erwarten.
Und ich denke sie dir zu bringen! rief er aus, indem er in den alten Ton fiel. Es ist freilich eine Störung, liebe Emma, aber kurze Trennungen sollen ja die Liebessehnsucht erfrischen. So denke ich, soll sich auch bei uns die Trennung versüßen.
Petrus! Petrus! rief sie ihrem Finger aufhebend und dabei noch lieblicher lächelnd.
Sein Blut flammte auf, er gerieth in Verlegenheit, allein er unterdrückte diese schnell.
Nein! rief er, das betrifft mich nicht. Ohne noch von dir getrennt zu sein, fühle ich doch schon die Schrecken der Trennung. Leider muß es so sein, denn es ist nothwendig für unsere Zukunft. Das Capital muß erhalten bleiben.
Was nothwendig ist, muß immer geschehen, sagte sie, wenn wir auch dabei leiden.
Es wurden nun in Eile die Anstalten zur Reise getroffen. Die Post nach Basel ging um 2 Uhr Nachmittag, bis dahin war wenige Zeit zu versäumen. Heinrich hoffte in einigen Tagen zurück zu sein, es war somit nicht nöthig viel Gepäck mitzunehmen. An dem kleinen Koffer packten sie beide und endlich kamen auch die Eltern, bestätigten Heinrichs Reisezweck und Ziel, und David Schwarz brachte eine untersiegelte Vollmacht, die seinen Sohn zum Unterhandeln berechtigte, wenn dies nöthig werden sollte. Dabei kam er auf die Bergwerksantheile zurück und erbot sich, diese im Comtoire in seinem Geldschranke während Heinrichs Abwesenheit aufzuheben, damit die kostbaren Papiere nicht etwa gestohlen würden, denn es ist doch sicherlich richtig und gewiß, schloß er, daß du deiner Frauen Geld in dies wundervolle Geschäft gegeben hast?
Heinrich war heut so versöhnlich gestimmt, daß er es nicht läugnete, das Anerbieten annahm, und seinem Vater den Schein gab, welchen er von Schaller erhalten hatte.
Es ist ja nichts als ein gewöhnlicher Empfangschein, welchem der Herr Schaller bekennt, zehntausend Gulden bekommen zu haben, für welche er dir zehn Antheile zusichert, sagte er darauf. Wo sind denn diese?
Die Antheile werde ich erhalten, sobald er im Stande ist, sie mir zu geben, erklärte Heinrich.
So, so! sagte der alte Mann, indem er den Schein einsteckte, ist doch eine herrliche Sache, wenn man da außen gewesen ist und mit allen Dingen Bescheid weiß. Es hat freilich nichts zu sagen, so wie so, aber jetzt geschwind und setzt euch zu Tische, in einer Stunde spätestens mußt du fort.
Die Stunde verging meist unter Gesprächen über den angeblichen Verlust, denn es mußte etwas gethan werden, um Emma vollständig zu täuschen. Sie saß willig zuhörend neben ihrem Mann und er nahm zuweilen ihre Hand und blickte sie mit geheimem Mitleid an. Von Allen wurde die junge Frau umheuchelt, Alle sannen auf ihr Verderben, während sie ihr zulachten und so vertraulich thaten, wie es selten geschehen. Ahnungslos nahm sie diese Liebesbeweise auf, die ihr wohlzuthun schienen, und vergalt sie mit Zeichen ihrer Dankbarkeit.
Endlich mußte man sich trennen, und Heinrich war froh darüber. Er schämte sich seiner Rolle und sagte sich vergebens, daß er zu Emma's Bestem sie übernommen, da durch das, was er beginne, ihre Schuldlosigkeit bewiesen werden könne, und daß er zarter und edler handle, wenn er, ohne sie zu ängstigen, die Verläumdung entlarve, als wenn er ihr diese entdecke, ihr traurige Stunden bereite und sie zu Bekenntnissen zwinge.
In dem Augenblicke der Trennung aber verloren sich seine Zweifel über ihre Schuldlosigkeit. Es war keine Verstellung, daß er die junge Frau mit Innigkeit küßte, der Ausdruck seines Gesichts trug die Wahrheit seiner Gefühle.
Lebe wohl! sagte er. Denke an mich, so oft wie ich an dich denken werde. Glück und Sehnsucht bringe ich mit.
Sie sah liebevoll zu ihm auf, ihre Hände glitten nieder. Gott segne dich, Heinrich, erwiederte sie. Wie du auch kommen magst, Gott segne dich!
Die Post fuhr in acht Stunden nach Basel, von dort brachte damals die Eisenbahn den Reisenden in vier Stunden nach Straßburg. Heinrich kam spät in Basel an und fuhr früh wieder fort, denn seine brennende Unruhe duldete keine Verzögerung, und doch, je näher er seinem Ziele kam, desto mehr vergrößerte sich die dunkle Stelle in seinem Herzen, welche der Dämon inne hatte, der nicht weichen wollte.
Er hatte keinen Blick für die reichen schönen Landschaften des Elsaß, kein Wort für die lärmende lustige Reisegesellschaft um sich her. In der Ecke des Wagens bedachte er das unzählige Male Bedachte immer von Neuem, und was er zu thun habe, wenn er die ganze Wahrheit wisse. –
Emma sollte nichts erfahren; er wollte nichts von ihr hören, kein Geständniß über frühere Begebenheiten, die einen Irrthum ihres Herzens enthalten mußten. Was begraben lag, sollte begraben bleiben, aber Anna Frings sollte den Schurken nennen, der diese Verläumdung angezettelt, und er wollte nicht rasten und nicht ruhen, bis er ihn zur Rechenschaft gezogen, ihn und das abscheuliche schlechte Weib.
Wenn's aber dennoch wahr ist, flüsterte ihm der Dämon zu, und warum sollte es nicht wahr sein? Sind die Nachweise nicht so genau gegeben, wie möglich? Würden Anna Frings und ihr Vertrauter wohl dazu geschritten sein, so höhnend aufgefordert haben, sich doch zu überzeugen, ob Verläumdung stattfinde? Doch wer wußte denn, welche Ränke angezettelt waren, welche Kniffe und Pfiffe man aufgeboten hatte, welch Lügengewebe man bereit hielt. –
Was es auch sein mag, murmelte er immer von Neuem vor sich hin, es soll zerstört werden. Ich werde mich nicht täuschen lassen. Es mag Eine vorhanden sein, die so heißt wie sie, oder man hat ihr diesen Namen gegeben, oder man hat mit einem nichtswürdigen Weibe ein Complott verabredet, mir vielleicht sogar ein Kind zu zeigen, das – ihr Kind sein soll! Kommt nur heraus damit; es soll mich nicht irre machen!
Unter solchen Vorstellungen langte er in Straßburg an, und nachdem er in einem Gasthause sich eingerichtet hatte, machte er sich sogleich auf den Weg zur Mairie, um seine Nachforschungen zu beginnen. Es war das kürzeste und einfachste Mittel, um Anfang und Ende zu vereinigen. Erwies es sich als erlogen, was man ihm vom Geburtsregister vorgeschwindelt, so war damit Alles abgethan. Nicht einen Schritt wollte er dann weiter versuchen, sondern sofort zurück nach Basel und heut mit dem Nachtwagen zurück in sein Haus, um sich lossprechen zu lassen von seiner sündigen Leichtgläubigkeit.
Straßburg war ihm nicht unbekannt, die Mairie bald erreicht, auch der Herr Adjunct willfährig, der, nachdem er den Bittenden vernommen, das Geburtsregister gravitätisch aufschlug und die großen Blätter langsam umklappte. Er konnte jedoch nicht entdecken, was er suchte.
Heinrich lachte heimlich darüber. Es kam ihm warm ums Herz über die vergebliche Mühe dieses pedantischen Beamten, welcher Wort für Wort studirte, um zu finden, was nicht gefunden werden konnte. Eben wollte er eine spottende Frage an ihn richten und ihn bitten, sich nicht weiter zu beschweren, als der Adjunct seinen Finger auf ein Blatt des Registers legte und ihm zuvorkam.
Hier ist es, sagte er, da haben wir es. Emma Caroline Meerfeld, aus Deutschland, – folgten die vorschriftsmäßigen Angaben – ein Kind männlichen Geschlechts, geboren am 1. März, Morgens 5 Uhr.
Er blickte über die Schranke fort; Heinrich sah äußerst belustigt aus. – Verlangen Sie eine Beglaubigung? fragte der Adjunct.
Es steht also wirklich da? erwiederte der Befragte, indem er ihn anblickte, als ob es sich um die Wahrheit einer Geschichte des Freiherrn von Münchhausen handelte, welche der Adjunct aufgefunden hatte.
Was in diesem Buche steht, mein Herr, ist ohne Zweifel wahr und gewiß, sagte der Adjunct mit seiner Amtsmiene.
Dann bin ich Ihnen sehr dafür verbunden; eine Beglaubigung ist nicht nöthig, denn – es ist dennoch nicht wahr, setzte er hinzu, indem er hinausging. Und jetzt, rief er, indem er die Stufen hinabstieg, jetzt zu dem alten Weibe auf dem Fischmarkt. Sie soll mir die Wahrheit bekennen, reinere bessere Wahrheit, als dieser pedantische Narr sie in seinem dicken Buche voll Lügen hat, die er mir verkaufen möchte. Was läßt sich dort Alles hineinschreiben, sobald man will! Wie wenig Kunst gehört dazu, jeder hohen Obrigkeit die längste Nase zu drehen? Solch ein höllisches altes Weib aber, zu jeder Schlechtigkeit bereit, käuflich zu jedem Verrath, das soll mir Wahrheit verkaufen und sie wird nicht widerstehen, denn ich will sie wie ein König bezahlen!
Er hatte bald die breite platzartige Straße aufgefunden, auch bald das Haus, wo die würdige Wahrheitspriesterin wohnen sollte. Als er nach ihr fragte, wies man ihn eine Treppe hinauf, und auf sein Klopfen antwortete ihm eine leise Stimme. Er stieß die Thür auf und stand vor einer bleichen Frau, die mit kummervollen Mienen und roth geweinten Augen ihm entgegenkam. Sie war so reinlich gekleidet, wie das Stübchen reinlich und ordentlich aussah, und in ihrem Gesicht lag ein solches Gepräge von Redlichkeit und Gutmüthigkeit, daß es unwiderstehlich auf ihn wirkte. Ueberrascht von diesem Eindruck, blieb er vor ihr stehen, ohne Gruß und Wort, und als sie den fremden Herrn so verwundert und forschend sie anblickend sah, fragte sie demüthig, was er von ihr wünsche?
Sie sind – man hat mir gesagt – Sie heißen Wolfart? begann er verwirrt.
So heiße ich, lieber Herr.
Es befindet sich bei Ihnen ein Kind in Pension – ein Knabe.
Sie faltete ihre Hände zitternd zusammen.
Von wem kommen Sie? fragte sie in Thränen ausbrechend. Kommen Sie – großer Gott! – sind Sie – sind Sie sein Vater?
Sein Kopf empörte sich vor dieser Zumuthung.
Sein Vater? Nein! rief er hart – mag der – Aber – seine Mutter – ich bin – ein Freund, ein Verwandter – Wo ist das Kind?
Ich habe es nicht mehr! schluchzte sie ihre Hände ringend.
Sie haben es nicht mehr? Seit wann?! – Wo ist es?!
Seit heute! Ach! vor wenigen Stunden erst ward es mir genommen!
Genommen?! Wer hat es Ihnen genommen? Wohin ist es gebracht?
In den Himmel! sagte sie. Gott hat es zu sich gefordert.
Er ließ ihren Arm los, an dem er sie gefaßt, alle seine erhitzten Vorstellungen fielen zusammen. Mit ungewissen Blicken betrachtete er sie voll Mißtrauen.
Es ist todt! sagte er. Todt! – Ist das wahr? Wirtlich wahr?!
Klagend öffnete sie eine Nebenthür, und ihre Blicke forderten ihn auf, ihr zu folgen. Da lag in seinem Bettchen das arme kleine Geschöpf. Es war an Zahnkrämpfen gestorben. –
Als sie den Tuch fortzog, beugte er sich darüber hin und sah ihm lange ins Gesicht. Es kam ihm vor, als läge um seine blassen Lippen derselbe Schmerzenszug, welcher um Emma's Mund sich zuweilen ausprägte, erst neulich, da, als sie den schrecklichen Traum geträumt; als sei es ihr Kopf, der sich auf dem weißen Kissen ausdehnte und vor seinen glühenden Augen vergrößerte. Er schauderte davor zurück, alle Farbe hatte ihn verlassen.
Ist es Emma's Kind? fragte er mit dumpfer Stimme, Emma Meerfelds Kind?
Ja, lieber Herr, erwiederte die Frau. Sie wissen den Namen.
Er antwortete nicht.
Ah! es war ein Unglück! seufzte sie, indem sie bittend zu ihm aufsah, da sich nichts in seinem Gesicht rührte. Ein Unglück, daß es sein Leben hatte, und weinen wird Niemand über ihn, als ich allein. Aber es war ein gutes, geduldiges Kind, geduldig und lieb wie seine Mutter, und – o ja, ja! auch sie wird weinen, auch sie, denn sie ist zu brav und edel, um über seinen Tod sich zu freuen.
Auch darauf hatte er keine Antwort. Qualen und Zweifel jagten durch sein Gehirn, er hätte hinein fassen mögen, um sie herauszureißen.
Kennen Sie seine Mutter so genau? fragte er endlich.
Wie sollte ich nicht! erwiederte sie. Fünf Monate hat sie in diesem Stübchen gewohnt, wo jetzt ihr Kind liegt. Wie das arme Fräulein ihr Leid standhaft getragen hat, weiß ich allein.
Sie erzählte nun mit manchen Nebenumständen, daß der alte Herr mit seiner Tochter im December in Straßburg angelangt sei, und die junge Dame darauf bis zum Mai bei ihr gewohnt habe, wo Vater und Schwester sie wieder abholten, um eine Reise mit ihr zu machen. Alle beschrieb sie derartig, daß eine Verwechselung oder ein Irrthum nicht wohl stattfinden konnte, im Uebrigen ging aus ihren Mittheilungen hervor, daß die Verwandten es an Kälte und Vorwürfen nicht fehlen ließen, und daß das arme Fräulein viele kränkende Worte hören mußte, obwohl es unglücklich genug schon gewesen sei.
Nach einer halben Stunde wußte er nicht mehr, was er fragen sollte; alle seine Hoffnungen waren erschöpft. Kein Widerspruch wollte sich mehr finden. Und wenn er glauben mußte, was an seinem Herzen heraufkroch, wie ein Knäuel von Gewürm in einander verschlungen, zu einem Haufen schrecklicher Glieder ohne Ende, ohne Anfang, der sich nicht entwirren, nicht fortschleudern lassen wollte, was sollte dann aus ihm werden?
Er sah mit schnellen scheuen Blicken umher. War dies wirklich Alles hier in diesem engen Raume geschehen? Lebte sie fünf Monate hier in Kummer und Angst allein? – Ein Grauen überfiel ihn, doch eisiger noch zog es ihn zusammen, denn plötzlich fiel ihm ein, daß er jetzt zurück müsse, und morgen, dann dann würde er vor ihr stehen, und dann – dann –
Er stand auf, der Boden brach unter seinen Füßen. Ein schwarzes Gespenst wirrte um seinen Kopf und schlang sich um seinen Hals. Es war Anna Frings. Er drückte die Hände an seine Stirn, sie waren eiskalt, drinnen ein Vulkan.
Schrecklich! schrecklich! sagte er aus tiefster Brust hervor.
Was soll ich thun, lieber Herr? bat die Frau. Ich weiß nicht, wo die Herrschaft wohnt. Wohin soll ich die Nachricht gelangen lassen?
Das schlug ein, wie ein Blitz. Ein neuer Gedanke, ein neuer Ausweg. – Sie wußte nicht, wo die Familie wohnte; jenseits des Rheins, dort drüben in dem großen Deutschland. Konnte nicht dennoch – ein Strohhalm schwamm wieder auf dem Wasser, er klammerte sich daran fest.
Ueberlassen Sie es mir, sagte er. Ich werde die Nachricht selbst überbringen, Sie sollen davon hören.
Sie werden es gewiß thun, versetzte sie, denn ich sehe, welchen Antheil Sie nehmen. Mehr als vor einiger Zeit ein anderer Herr Verwandter, der, wie er vorgab, von der Familie geschickt wurde, doch sicherlich mich nur ausforschen wollte, ob ich wisse, wo das arme Fräulein jetzt sei, und dann nicht wieder gekommen ist.
Ohne viel auf diese Antwort zu achten, wiederholte Heinrich sein Versprechen. Er bot ihr Geld an, um Mühen und Kosten für ihren erlösten Pflegling zu bestreiten, allein sie lehnte es ab, da die Pension auf ein ganzes Jahr entrichtet sei, sie also noch herauszugeben habe. Dann lud sie ihn ein, sie zu ihrer Schwester zu begleiten, wo sogleich eine Berechnung stattfinden, und er den Rest des Geldes in Empfang nehmen könne; dies Anerbieten fiel jedoch so brennend in seine geheimen Wunden, daß er es nicht länger ertragen konnte.
Hebt es auf für das nächste Mal! rief er sich seiner Aufwallung überlassend, und indem er sich entfernte, ließ er die gutmüthige Frau erschrocken zurück, welche sich diesen rauhen, hastigen Abschied nicht erklären konnte.
Es war Mittag geworden, als er in das Gasthaus zurückkehrte. Nach der Eisenbahnkarte, welche an der Wand hing, schien es noch möglich, die Badensche Staatsbahn zu erreichen und den Schnellzug zu benutzen, der von Freiburg kam. Die Bahn endete damals noch dort, aber Heinrich konnte am Abend in Mannheim sein. Er entschloß sich schnell, bezahlte, nahm einen Wagen und fuhr nach Kehl. Als der Zug kam, war er zur Stelle, mit der Nacht in Heidelberg.
Und nun vergingen ein Tag und eine Nacht, bis er den Wohnsitz seines Schwiegervaters erreichte. Der Abend brach herein, er hatte einige Meilen gefahren. Er befand sich in einem breiten, schönen Thale mit reichen Ortschaften bedeckt; eine größere Stadt mit ihren Thürmen stieg in der Ferne auf. Zur Seite der Straße lagen waldige Berge, auf einem derselben der zerbrochene Wartthurm eines Schlosses, darunter Weingärten, und in der Tiefe ein schöner, neuer Rittersitz mit großen Baulichkeiten, weiterhin die Hoflage im Viereck, dahinter ein Dorf und andere zerstreute Höfe. Das war das Eigenthum des Herrn von Meerfeld.
Heinrich hatte genug schon davon gehört, um es zu erkennen. Sein Herz schlug heftig. Der Wagen fuhr an dem herrschaftlichen Garten vorüber; er ließ ihn halten, stieg aus und hieß den Fuhrmann ins Dorf fahren, in dessen Gasthaus er warten sollte.
Durch eine offene Thür trat er in schattige Gänge, wo diese sich öffneten, umringten Blumenbeete einen Springbrunnen. Hinter ihm zog sich eine Terrasse hin mit Orangenbäumen besetzt, und an diese stieß die Gartenseite des Schlosses. – Heinrich trat in einen Saal, dessen Flügelthüren geöffnet standen. Ein Tisch war dort gedeckt, Silbergeräth lag umher, der große Kronleuchter glänzte mit Lichtern besteckt, der Gutsherr erwartete Gäste.
Er wandte seine Augen davon ab, auf die Landschaft hinaus, über die Berge hin, auf den Himmel, der seine Kronleuchter angesteckt hatte und ein feuriges Lichtmeer ausgoß, das alle Gipfel und Wipfel überglühte. Er dachte an seinen Vater, wenn der hier stehen könnte, er dachte an die, die unter diesen Bäumen, in diesen Sälen, in Festen und Genüssen erwuchs, und nun – und jetzt – er hörte eine Thür zuschlagen und sah sich um.
Da stand Herr von Meerfeld, heiter lachend, sehr heiter gelaunt an der Tafel und betrachtete diese befriedigt. Er trug einen schwarzen Frack, eine weiße Weste, im Knopfloch einen Orden; behaglich blickte er auf und – erstarrte.
Es war keine Täuschung. –
Sind Sie es wirklich Doctor Schwarz? sagte er erschrocken. Auf Ehre! Was zum Teufel! ist das? Woher kommen Sie?
Ich komme von Straßburg, Herr Oberamtmann.
Von Straßburg? Nun, und Emma? Wie geht es?
Wie es gehen kann, erwiederte Heinrich ihm näher tretend. Ich erhielt in Straßburg einen Auftrag, den ich Ihnen mitzutheilen habe. Deswegen bin ich hier.
Einen Auftrag?
Das Kind betreffend, Ihren Enkel.
Der alte Herr sah sich scheu um und faßte den Boten bei der Hand.
Reden Sie leise, murmelte er, ich erwarte Gäste. Sie wissen also davon. Was ist mit dem Balge?
Das Kind ist todt!
Herr von Meerfeld erheiterte sich.
Glückliche Reise! Wohl ihm und wohl uns. Daß Sie hier sind, freut mich, wenn auch eben heut. – Wissen Sie, ich habe auf Helenens Wunsch und Rath noch nichts über Emma's Heirath mit Ihnen veröffentlicht. Unsere Freunde und Verwandten wissen nur, daß wir sie auf ärztlichen Rath bei einer Familie in der Schweiz zurückgelassen, in Pension gegeben haben.
Das haben Sie sehr weise gemacht, sagte Heinrich.
Der alte Herr erheiterte sich noch mehr.
Die plötzliche Heirath würde doch auffallend gewesen sein, fuhr er fort. Es macht sich besser, wenn wir zum Herbst oder zum Winter mit der Neuigkeit vorrücken, daß eine Verlobung stattgefunden hat und daß die Hochzeit bald nachfolgen soll, daß ich meine Einwilligung gegeben habe.
Die Sie in Ihrer großen Güte mir so bereitwillig ertheilten, fiel Heinrich ein.
Herr von Meerfeld nickte freundlich und sah ihn so muthwillig an, wie damals, als er ihm seinen Segen gab.
Nun müssen Sie aber wissen, mein lieber Doctor, daß wir heut wiederum eine Verlobung vorhaben. Helene verlobt sich. Mein junger Nachbar, der Freiherr von Arnau, eine sehr angenehme Partie, sehr gute Familie, sehr gute Verhältnisse. Ich erwarte ihn jeden Augenblick mit einigen Freunden, also Vorsicht. Aber da ist Helene! Wie wird die sich freuen, Sie zu sehen.
Das schöne Fräulein trat herein, reich geschmückt, einen prächtigen Blumenstrauß in der Hand, aber sie ließ diesen vor Schreck fallen, als sie sah, wen ihr Vater ihr entgegenführte.
Der Doctor Schwarz, mein Kind, sagte Herr von Meerfeld, halb geflüstert mit spitzen Lippen. Ein ganz unverhofftes Glück, obgleich man wünschen könnte – wir wären besser im Stande, es zu genießen.
Fräulein Helene sah feindlich stolz und kalt aus. Sie preßte ihren feinen Mund zusammen und antwortete nichts.
Der Doctor bringt uns eine sehr gute Nachricht, fuhr der alte Herr fort. Er ist in Straßburg gewesen, Helene, der gute Doctor. Der ärgerliche Gegenstand dort existirt nicht mehr. – Er ist todt!
Die junge Dame erhielt plötzlich Farbe.
Um Gottes willen, Papa! rief sie beide Hände aufhebend, ich will nichts davon hören! Endlich müssen wir uns davor bewahren.
Sie hielt inne und warf einen messenden Blick auf ihren unwillkommenen Schwager.
Ich denke, daß dies nicht mehr unsere Sache ist, fuhr sie fort, daß es Personen giebt, die man lieber schnell davon in Kenntniß setzen sollte.
Extrapost! Kind, Extrapost! rief der alte Herr. Wie sind Sie gekommen, lieber Doctor? Womit?
Ich habe einen Wagen im Dorfe, sagte Heinrich.
Sie müssen nach Hause, ohne allen Aufenthalt nach Haus. Nehmen Sie Courierpferde. Es soll meine Sorge sein, auf Ehre! meine Sorge. Emma. – Ihre Frau –
Er griff in seine Tasche und zog sein Taschenbuch heraus. Heinrich hielt seine Hand fest.
Warten Sie einen Augenblick, Herr von Meerfeld, sagte er. Ich bin durchaus nicht gekommen, Ihnen beschwerlicher zu fallen, als es leider unvermeidlich ist.
Gar keine Rede davon, fiel der alte Herr ein. Wir würden Sie nicht fortlassen, aber Emma – Weiß sie, daß Sie hier sind?
Nein. –
Nein?! Sie wird die größte Sehnsucht nach Ihnen haben. Extrapost, lieber Doctor, gleich Extrapost und schreiben Sie uns. Wo ist Ihr Hut?
Mein Hut ist hier, sagte Heinrich, nur noch eine Frage. –
Er beachtete das Taschenbuch nicht, das Herr von Meerfeld ihm hinhielt. –
Wann wünschen Sie, daß Emma bei Ihnen eintreffen soll?
Bei mir? O, wir wollen sehen! Ich weiß noch nicht, wo wir im nächsten Jahre sein werden – aber wir wollen sehen –
Sie haben keine Zeit, sich zu besinnen. Beschließen Sie darüber auf der Stelle.
Herr von Meerfeld fuhr bei dem Tone zurück.
Was soll das heißen? fragte er. Was meinen Sie damit?
Ich meine, erwiederte der beleidigte Mann langsam und nachdrücklich, daß es das Beste sein wird, sie rufen Ihre Tochter zurück, ehe ich nach Zürich komme und sie dort noch finde. Ich kann dann sagen, daß ich verlassen wurde, fuhr er fort, ich kann schweigen über die unwürdige Weise, in der ich betrogen wurde. – Die Scheidung kann schnell und ohne Aufsehen erfolgen, Herr von Meerfeld.
Betrogen! Scheidung! rief der alte Herr zu Fräulein Helene gewandt, als wollte er bei ihr Hülfe suchen. – Beruhigen Sie sich, bedenken Sie wohl, was Sie sagen. Ich – ich – ich habe Ihren Wünschen nachgegeben, aber statt Dankbarkeit – Dankbarkeit! – Habe ich nicht alle Ihre Wünsche erfüllt? sagte er plötzlich abwehrend. Habe ich nicht gegeben, reichlich ausgestattet und mehr, mehr noch zugesagt? Ich will auch jetzt noch – jetzt noch –
Ich verlange nichts von Ihnen, unterbrach ihn der junge Mann mit Heftigkeit. Ich erstatte Alles zurück – Alles, was Sie so großmüthig mir zuwandten.
Sie müssen doch Einsehen haben! fiel Herr von Meerfeld ängstlich ein. Geschehene Dinge sind geschehen. Es läßt sich ja Alles gut machen. Liebt Emma Sie nicht? Haben Sie zu klagen? Und Sie selbst – haben Sie Emma nicht lieb? Reden Sie. Sind Sie nicht voller Liebeswonne gewesen, als ich Ja sagte.
Ohne zu wissen, wie ich betrogen wurde. Jetzt gilt es meine Ehre!
Meine Ehre! Meine Ehre auch! rief Herr von Meerfeld, indem er sich auf die Brust schlug.
Ereifere dich nicht, Papa, sagte Fräulein Helene mit stolzer Kälte. Wenn Irrthum und Täuschung stattfanden, so trägst du nicht die Schuld. Du mußtest glauben, daß der Herr Doctor verständig genug sei zu bedenken, daß eigenthümliche Verhältnisse nothwendig vorhanden sein mußten, welche dich allein bewegen konnten, in eine solche Verbindung einzuwilligen.
Narr genug war ich freilich zu glauben, daß ich nicht zum Deckmantel der Schande benutzt werden sollte, erwiederte Heinrich mit hochrothem Gesicht.
Nun sprachen sie beide auf ihn ein.
Ich habe es gut gemeint, edel gemeint, sagte der alte Herr. Ich wollte Sie glücklich machen, wollte Emma glücklich machen.
Du hattest die besten Absichten, Papa, auch wurde genug dafür geopfert.
Emma war von Ihnen vom Tode gerettet, sie sollte ein neues Leben beginnen. Alles war vergessen und vergeben, ich sah in eine frohe Zukunft.
Die jetzt zerstört werden soll, um dich von Neuem in den bittersten Gram zu stürzen. Tausend Mal schlimmer ist es nun. Du kannst es nicht mehr verbergen, kannst sie nimmermehr wieder in dein Haus nehmen.
Nein! rief Herr von Meerfeld, es ist unmöglich! Sie werden es mir auch nicht zumuthen, mein lieber Doctor.
Wenn Sie für Emma jemals wahrhafte Zuneigung fühlten, so können Sie nicht Willens sein, sie von sich zu stoßen.
Hat sie Ihnen nicht selbst ihren unglücklichen Fehltritt bekannt?
So schamlos ist sie nicht gewesen, sagte Heinrich.
Aber, mein Gott! wollen Sie es denn wirklich zum Aeußersten treiben? Denken Sie sich meine Lage!
Und meine Lage? Herr von Meerfeld.
Sie – Sie – Alles bleibt verschwiegen. Sie sind unabhängig, können Vorurtheile verachten.
Vorurtheile! rief Heinrich mit flammenden Augen. Ist eines Weibes Sittlichkeit ein Vorurtheil? Ist ein zerstörtes Lebensglück, Vertrauen, Liebe, Achtung herzustellen mit einer Lüge? Zerbrochen liegt, was ich heilig hielt, zu meinen Füßen. Ich will nicht! Ich kann nicht vergeben.
Der Wagen! fiel Fräulein Helene ein, indem ein dumpfes Geräusch von Pferden und Rädern aus dem Hofe herüber drang. – Sie sind da, Papa. Wir haben keine Zeit mehr zu unfruchtbaren Aufforderungen, vernünftig zu sein.
Sie eilte durch eine Seitenthür fort, und der alte Herr zog das Batisttuch heraus und trocknete seine Stirn. Wenn Sie nicht hören wollen, sagte er, sich feindlich aufrichtend, so thun Sie, was Ihnen beliebt. Ich muß bitten, mich zu verschonen.
Ist das Ihre Antwort für Ihre Tochter?
Ich habe keine Tochter mehr! Das sagen Sie ihr. Mag sie gehen, wohin ihre Füße sie tragen, nur nicht zu mir. Ich will nichts mehr hören! Mein Fluch über sie, wenn sie sich beikommen läßt, meine Schwelle zu betreten. Mag sie umkommen, wo sie will. Verflucht ihr Alle! Und jetzt verlassen Sie mich. Auf der Stelle fort! Verlassen Sie mich!
Heinrich war schon hinaus. Auf der anderen Seite der Terrasse hörte er junge, lachende Stimmen in der Nähe. Wie von dem Fluche gejagt, eilte er durch die Baumgänge hinab ins Dorf zu seinem Wagen. – Eine Stunde darauf fuhr er wieder an dem herrschaftlichen Garten vorüber.
Die Kronleuchter brannten jetzt in dem Salon, auch die Nebenzimmer waren hellerleuchtet. Damen und Herren saßen um den silberbeladenen Tisch, er glaubte die Gläser klingen zu hören, den Jubel auch für das Brautpaar.
Gottes und deines Vaters Segen über dich, Gesegnete! rief er in den Nachthimmel hinaus. Wohin mit dir, Verstoßene und Verfluchte?
Genau war eine Woche vergangen, als Heinrich die Höhe von Hottingen und das Haus seines Vaters wiedersah. Er war durch den Schwarzwald nach Schaffhausen gekommen und nun mit der Post herüber gefahren. Ein Stück vor dem Hause stieg er aus, es war noch früh am Morgen, nicht viel über fünf Uhr. Die Sonne stand am Himmel und die Vögel sangen, doch die Menschen lagen noch meist in süßer Ruhe, aber eine Dampfsäule rauchte aus dem Fabrikgebäude, und vom Bache her tönte der Lärm der Schlägel, welche die großen Zeugstücke klopften.
Eine Zeit lang stand er unter einem Baume still, schöpfte tief Athem, warf einen Blick auf Anna Frings Garten und großes Haus, einen anderen auf das breite Dach, unter welchem sein Vater schon thätig daherschritt, und auf die Fenster oben, welche die Wettervorhänge noch bedeckten.
Sie schlief, und mit welchem Gruß sollte er sie wecken? Tausend Male hatte er es bedacht, und immer denselben Schauder, denselben Kampf empfunden.
Aus dem verworrenen Auftritte bei seinem Schwiegervater hatte er nichts mitgebracht, als vermehrten Ekel, geschärfte Erbitterung, daneben Mitleid, das ihn zuweilen mild und traurig machte, bis es der Gewißheit und dem Zorne weichen mußte, daß er planmäßig betrogen worden sei, Alle ihn umheuchelt hatten, sie zumeist. Sie bis zum letzten Augenblicke. – Den Zusammenhang der Schande, deren Deckmantel er geworden, hatte er nicht erfahren, doch er wußte genug, mehr brauchte er nicht zu wissen.
Es kamen Leute auf der Straße daher, er kannte sie nicht; aber sie sahen ihn scharf an, und er schlug seine Augen nieder. Wußten sie es schon? Sprachen Sie nicht zusammen? Wiesen sie nicht mit Fingern nach ihm?
Er horchte auf die dumpfen Schläge in seinem Herzen.
Das ist das Gewissen, murmelte er, so würde mein Herz immer schlagen, meine Augen immer den Boden suchen.
Es ist ein Vorurtheil! schrie die Stimme des alten Herrn. Sie liebt dich ja! sie hat ein neues Leben begonnen. Vergeben und vergessen sei vergangene Schuld. Kannst du sie verstoßen, wenn du sie liebst? Nein, nein!
Ja, ja! schrie die Stimme seiner Mutter, und sein Vater ballte die schwieligen Hände und hob das harte Gesicht auf. Richtig denken, Heinrich, richtig denken! Bist ein Mann, der's richtige Denken gelernt hat.
Das will ich, ja, das will ich! stöhnte er aus der Brust hervor, seine wilden scheuen Blicke zum Himmel gerichtet. Es muß gethan sein, getragen sein, wie es vernünftig und recht ist.
Mit hastigen Schritten ging er weiter, trat ins Haus, sah nicht um nach der Küche, ob seine Mutter dort walte, stand nicht still an der Treppe, welche hinaufführte in seine Wohnung, öffnete die Thür zu dem großen Zimmer und trat hinein.
Sein Vater arbeitete an dem langen Tisch, legte Waarenstücke zusammen, ihm gegenüber aber stand nicht die alte Frau, wie es ihre Gewohnheit war, die Seiten der Stücke haltend und glättend, sondern eine andere that es nicht minder emsig bei ihrem Werke. Eine hohe Schürze bedeckte ihr Kleid bis an den Hals hinauf, ihre Hände waren farbig geworden, ihr Gesicht hatte sich von der Anstrengung geröthet, es sah schöner aus, lieblicher, als er es gedacht.
In dem Augenblicke schaute sie auf, und der Vater nach ihm hin. War's ihr Schuldbewußtsein, war's sein Anblick – sie ließ ihre Hände sinken, ohne ihm entgegen zu eilen, ohne einen lautes Wort, ohne eine freudige Bewegung. Aber ihr Gesicht entfärbte sich nicht, ihre Augen blickten nicht furchtsam auf ihn, keine Unruhe ließ sich an ihr wahrnehmen, kein Erschrecken.
Der Vater streckte ihm die Hand entgegen. Bist endlich wieder da, Heinrich? Bist lange ausgeblieben. Hat dich angegriffen, siehst wild und wüst aus.
Es war eine harte Reise, Vater.
Wo kommst du her?
Zuerst war ich – in Straßburg, antwortete er, indem er die junge Frau fest ansah.
Sie bewegte beistimmend leise den Kopf. Er wandte sich zu ihr hin.
Du weißt es?
Ja.
Du weißt es? rief er heftiger – Weißt du auch – hielt inne, das Wort wollte nicht über seine Lippen.
Sie stand vor ihm, wie ein Opfer, ergeben den Streich zu empfangen, geduldig, ohne Zucken. Die dunklen Ringe nur traten um ihre Augen hervor, wie Schatten, wenn es Nacht werden will, ihre Augen blickten groß und offen. Es lag etwas darin, das ihm bis ins Herz ging: eine Frage, eine Klage, die seinen Zorn zerspaltete.
Ich komme von deinem Vater, fuhr er ruhiger fort.
Das habe ich erwartet, erwiederte sie. Als du gingst, wußte ich, wohin du gingst; ich wußte auch, was geschehen würde, wenn du zurückkehrtest. Ich gelobte zu bleiben, bis du kamst. Nun soll Alles gethan werden, was du befiehlst, doch erst höre mich. Nicht, daß ich mich vertheidigen will, meine Schuld läugnen und entstellen will, du sollst mich so schuldig finden, als ich es bin. Somit nimm dies hin und lies es; ich habe es für dich aufgeschrieben.
Sie zog ein gefaltetes Papier hervor und hielt es ihm entgegen. Er zögerte, es anzunehmen.
Es ist ein Document, sagte sie, das alle Beweise gegen mich enthält, welche du bedarfst.
Sie legte es in seine Hand und ging hinaus. Er warf es auf den Tisch. – Es ist nicht nöthig! rief er heftig hinter ihr her, was soll noch bewiesen werden?
David Schwarz nahm das zusammengefaltete Blatt vom Tische und hielt ihn fest.
Sicherlich ist es nöthig, sagte er, mag darin stehen, was da will. Schwarz auf weiß verlangt jeder Advocat. Setz dich nieder und lies.
Wo ist meine Mutter? fragte Heinrich.
Haben hier eine schöne Bescheerung gehabt, fuhr der alte Mann fort, indem er das Papier auseinander schlug. Im Bette ist deine Mutter; gleich am Tage, wo du fort warst, ging's los. Reißen in allen Gliedern und Fieber dazu, sie konnt' keinen Finger bewegen, lag Tage und Nächte in schrecklichen Schmerzen. Ich muß sagen, fuhr er fort, es war eine Freude, daß ich nicht verlassen war, denn die hier – er wies mit der Hand auf die Schrift – sie hat sich wacker benommen, das Regli sagt es mit mir. Jetzt lies und laß mich hören.
Er hielt ihm das Papier vor, Heinrich nahm es und las.
»Es ist alles wahr, was du erfahren wirst, Heinrich; wahr und gewiß. Ich bin die Mutter des Knaben, den du suchst. Ich habe dich getäuscht, ich habe dich betrogen, höre an, was mich dazu bewog.
Vor zwei Jahren lernte ich in Homburg einen Herrn von Hülsberg kennen, einen Mann vom einschmeichelndsten Wesen und liebenswürdigen Eigenschaften – du hast ihn gesehen.«
O! schrie David Schwarz, der saubere Patron!
Heinrich ließ das Blatt einen Augenblick sinken, dann las er weiter.
»Mein Vater war von ihm entzückt, man beneidete mich, da er mich auszeichnete. Er galt für reich, denn er verschwendete viel, und als er im Winter uns besuchte, ward ich ihm verlobt. Er blieb bis zum Frühjahr in unserem Hause, in der Absicht sich in der Nähe anzukaufen. Mein Vater, wir alle setzten das größte Vertrauen in ihn. Plötzlich ergab sich durch einen Zufall, eben als meine Verlobung veröffentlicht werden sollte, daß wir mit einem Gauner und Spieler zu thun hatten, der uns wie Andere betrogen. Er wurde schimpflich aus dem Hause gewiesen, jede Verbindung mit ihm abgebrochen. Für mich war dies zu spät.
Was ich nun erlebte, was ich litt, was mich traf, davon kein Wort. Im December wurde ich nach Straßburg gebracht, im Mai verließ ich es, der Knabe blieb dort zurück. Wir reisten durch Südfrankreich nach Nizza, verweilten dort bis Juni, kehrten über Turin und Mailand in die Schweiz zurück, über den Gotthard an den Waldstätter See, und als wir von dem Rigi hinabgestiegen, trafen wir dich, Heinrich, und ich sah dich zuerst, wie du auf dem Dampfschiffe standest und mich anschautest.
Du warst freundlich, hülfreich gegen mich, ein dankbares Gefühl überkam mich dafür. Ich freute mich darüber, daß du mir Theilnahme bezeigtest, ich weiß nicht warum, doch es that mir wohl; ich war nicht mehr daran gewöhnt. Mein Vater hatte keine Liebe für mich, meine Schwester kein Mitleid. Offene und geheime Vorwürfe, Hohn, verächtliche Kränkungen hatten niemals aufgehört. Jeder kleine Umstand rief sie hervor, jeder Gedanke an die Zukunft. Ich war eine Last, mit der man nicht wußte wohin; ich hatte einen Makel auf jede Stirn gedrückt, der Zorn, die Verwünschungen darüber hörten nicht auf. Wir näherten und der Heimath wieder, ich sollte zurück in bekannte Kreise, welche wohl schon nicht ohne Verdacht waren, und jener Elende, der mancherlei Versuche gemacht hatte, mit mir in heimlicher Verbindung zu bleiben, meinem Vater Drohbriefe geschrieben hatte, was war von ihm zu fürchten?
An dem Tage, wo du uns begleitetest, wo du endlich es dahin brachtest, daß mein Vater den Entschluß faßte, mit uns und dir das Weißbad zu besuchen, reiften Pläne, die seit längerer Zeit schon meinen nächsten Verwandten vorschwebten. Wenn sich irgend ein Mann für dich fände, eine halbwegs anständige Partie sich böte, ich wollte dem Himmel danken, hatte mein Vater oft schon ausgerufen. Jetzt sah ich die Blicke, welche er mit meiner Schwester wechselte, ich sah, wie sie in Herisau zusammen heimlich sprachen und lachten, ich hörte, wie sie dich ausfragten, wie sie sich an dem ergötzten, was du von den Heirathen in diesen Bädern erzähltest. – Mein Herz zog sich zusammen. Abscheu erfüllte mich – nicht gegen dich, Heinrich: Abscheu vor mir selbst, vor diesem elenden Plan, aber ich konnte ihn nicht ändern.
Ich beschloß, dir keinen Anlaß zu geben, freundlicher über mich zu denken. Ich benahm mich kalt und abschreckend; ich sah, wie leid dir dies that, und zuweilen vergaß ich meinen Vorsatz, aber er kehrte bald um so fester zurück. – In Weißbad hatte mein Vater Erkundigungen über dich eingezogen, sie lauteten günstig. Nun kam es zu einer Erklärung, die meine Schwester schon vorbereitet hatte. Du wirst jetzt vernünftig sein, sagte mein Vater, oder es wird nicht gut mit uns. Hier schickt uns Gott selbst einen Rettungsengel. Halt ihn fest, dir bleibt nichts weiter übrig. Er ist der Sohn wohlhabender Leute, hat obenein einen gelehrten Titel. Bringe es jetzt schnell dahin, daß er dir eine Liebeserklärung macht. Dazu wird nicht viel gehören, fuhr er fort, denn leichtsinnig und eingebildet genug auf sich und seinen Werth ist er dazu. Doch danach haben wir nicht zu fragen. Umstände wollen wir nicht machen, dir bleibt keine Wahl übrig.
Ich will nicht, Vater, ich kann nicht! sagte ich bebend.
Du kannst nicht? Gefällt er dir nicht? Es ist ja ein ganz stattlicher Bursch, der die Nase hoch trägt.
Weil ich ihn für edlen Sinnes halte, kann ich um so weniger ihn betrügen wollen, erwiederte ich.
Betrügen! rief mein Vater. Soll ich denn der Betrogene sein und bleiben? Sollen wir dich und deine Schande behalten? – Du sollst vernünftig sein, ich befehle es dir.
Nun folgten Vorstellungen und Ermahnungen von Beiden, bald sanfter bald rauher, bis du mit den Pferden kamst, welche uns nach der Ebenalp und dem Wildkirchli brachten.
Was dort vorging, weißt du, aber du weißt nichts von dem Seelenzustande, in welchem ich mich befand. Auf Befehl meines Vaters, auf den höhnenden Befehl meiner Schwester war ich gegangen, dich aufzusuchen, als du mich auf dem Steine sitzend fandest. Du gabst mir den Kranz von Alpenrosen, ich las in deinen Blicken, was mein Vater wünschte, meine Schwester spottend vorhersagte. Ich kam zurück, von Qual, von Angst, von Verzweiflung wahnsinnig. Ich lief den steilen Weg hinab in den Abgrund. Tod! Tod! ich hatte tausendmal daran gedacht; ich empfand, ich dachte jetzt nichts mehr, ich wollte sterben.
Als ich zur Besinnung kam, lag ich in deinen Armen. Du hattest mich zu neuem Leben gerettet! rief man mir zu. Gott hatte es so gewollt, ich lebte. Lebe für ihn! rief es in mir. Sei ihm Freundin, geliebte Gefährtin, Dienerin, laß nicht von ihm in Liebe und Treue, nicht im Leben, nicht im Grabe. Wenn er dich liebt – erwirb seine Liebe – Ist er nicht von edlem Sinn? Kannst du ihm kein Glück gewähren? Giebt es keine Hoffnung mehr auf Glück?
Als wir zurückkehrten, flüsterte mir meine Schwester zu, wie leicht es jetzt sein würde, mich in wenigen Tagen zu verheirathen. Sie hatte mit meinem Vater darüber gesprochen, es gab einen Geistlichen bei Stockach, den mein Vater genau kannte und welcher sicherlich wenige Umstände machen würde, unsere Hände zusammenzulegen. Jung, verliebt und leichten Sinnes, wie du es seist, sichtlich geschmeichelt von der Ehre mit uns als Freund umzugehen, würdest du entzückt über die Aussicht auf ein so inniges Bündniß sein, mit Freuden in Alles willigen, und dein Glück kaum fassen können! Sie verlangte, daß ich dich zu einer Unterredung aufforderte, daß ich, wie sie sagte, keine Umstände mache, daß mir nichts weiter übrig bleibe, daß mein Vater es mir beföhle.
Die Stimmen in meinem Kopfe schrieen ihr zaghaftes, empörtes Nein! die Stimme in meinem Herzen flüsterte mir tröstende verlockende Worte zu. In meinem Herzen, Heinrich, ja in meinem Herzen flammte ein Licht durch die Nacht, denn ich – ich liebte dich! Gott, so schien es mir, hatte dich zu mir gesandt, mich zu retten aus der Hölle, die mich umgab; um Vergebung zu finden, Vergebung in inniger wahrer Liebe. Ich war dein Geschöpf, du hattest mich dem Tode entrissen, dankbar blickte ich in deine Augen, Sehnsucht begegnete ihnen. So kam es, was geschah, so kam es, daß ich deine Frau wurde.
Als ich es war, als du mir von deinem Leben, deinen Verhältnissen erzähltest, als ich erfuhr, welche Zerwürfnisse mit deinen Eltern dich fortgetrieben hatten, und welche Absichten und Pläne du für unsere Zukunft gemacht, befestigten sich meine Entschlüsse. Deine Eltern hatten dir keine Erziehung gegeben, die ihren Wünschen entsprach. Du hattest andere Lebensbahnen eingeschlagen, andere Lebensziele schwebten dir vor; die Vorschläge, welche sie dir machten, ihr Wille, den sie dir plötzlich als Gesetz vorschrieben, mußten dich erbittern, du konntest und wolltest ihn nicht erfüllen. Aber es fehlte dir an Thatkraft und Ausdauer, um ihnen zu beweisen, daß du Recht thatest, ihnen nicht zu gehorchen. Jetzt kehrtest du zurück mit mir, mit einer Frau, die ihr Mißtrauen und ihr Widerwille treffen mußte. Du hattest ihnen eine neue Beleidigung zugefügt, die sie so leicht nicht vergeben konnten, wohl niemals vergaben, wenn du jetzt gänzlich dich von ihnen trenntest. Das mußte ich hindern, du durftest sie nicht verlassen. In ihrer Nähe, unter ihren Augen mußten wir beide leben. Sie sollten mich kennen lernen, mich beobachten, alle meine Handlungen, meinen Einfluß auf dich, meine Liebe zu dir. Auch deinen Fleiß, dich ihrer Achtung werth zu machen, dein rühmliches Streben nach allgemeiner Achtung. So hoffte ich für mich und dich auf ihre Versöhnung, auf ihre endliche Zuneigung.
Bald wurde ich inne, daß dies schwierig zu erreichen sei, und du selbst hindertest Vieles; allein ich ließ nicht ab in meinem Hoffen. Ich suchte deine Energie zu beleben, suchte dich von Schritten abzuhalten, die den Eltern mißfallen mußten, suchte zu vermitteln und zu sänftigen, ohne dir zu mißfallen und mein inniges Einverständniß mit dir in Gefahr zu bringen. Ich vertraute auf deine Liebe, all mein Sinnen war darauf gerichtet, diese zu befestigen, denn durch sie hoffte ich auf einen endlichen Sieg. Ich hoffte, Heinrich, daß ich einst dir um den Hals fallen und dir sagen könnte: Laß mich meine Sünde beichten, die in mir nagt. Höre, was ich dir verschwieg, dann richte über mich.
Daß ich dies nicht konnte und durfte, das war meine Qual, und doch mußte ich zagen vor jeder Entdeckung. Ich sah, wie deine Eltern mich betrachteten, hörte Anspielungen, die mich erschreckten, bemerkte die höhnischen Blicke und Worte, welche mir zu Theil wurden, die geheimen Einflüsterungen, mit denen Anna Frings mich verdächtigte, und was andere Leute wohl über diese seltsame Verheirathung sich zusammensetzten. Dazu kam deine Reizbarkeit, deine Bemerkungen über Unantastbarkeit des guten Rufs, deine Verachtung gegen die Frau deines Bekannten und gegen diesen selbst, der nicht besser über seine Ehre wacht.
Bei alledem sah ich dich mit diesen Menschen in Verbindungen gerathen, welche meine Sorgen vermehrten. Sein Umgang hatte Reiz für dich; deine Begier, leicht und bequem zu Reichthum zu gelangen, wurde von ihm angefacht, du wolltest deinem Vater zeigen, wie man Geld gewinnen könne ohne zu arbeiten. Du beschäftigtest dich mit hochfliegenden Plänen, welche den strengen arbeitsamen Mann und seine engherzigen Grundsätze beschämen sollten. So gabst du dein Geld in Schallers Hände, und meine leisen Warnungen machten dich empfindlich. Gerne schwieg ich, gerne und freudig, denn wie traurig, wenn du denken konntest, ich bangte um dies Geld, das ich dir zugebracht – wenn es verloren ging, vielleicht war es gut für uns beide.
Aber während ich mich mühte, dir Alles zu sein, was ich so gern sein wollte, kam das Verderben, ehe ich es ahnte. Plötzlich stand der Mann vor mir, dessen Anblick, dessen Nähe das Schrecklichste war, das mich treffen konnte. Es war kein Zufall, es war ein Verhängniß; ich wußte, daß ich umsonst gehofft und geglaubt. Im Gedränge an der Kirchenthür steckte er mir einen Zettel in die Hand, ich besaß nicht den Muth, ihn von mir zu schleudern. Mit meinen glühenden Fingern meinte ich zu fühlen, was darin geschrieben stand, in seinen Augen las ich es, in seinen triumphirenden Mienen. Als ich heimlich den Zettel öffnen konnte, fand ich Alles bestätigt. – Gieb mir Gelegenheit, dich zu sprechen, stand darin, gelobt sei Gott! ich habe dich gefunden! – Bei deiner Ehre, schrieb ich darunter, bei allem Unglück, das du über mich gebracht, gieb mir Frieden!
In Stäfa gab ich dies in seine Hand mit flehenden Blicken; ich hörte ihn hohnvoll lachen und Nein! rufen.
Wir fuhren bei dem Gewitter nach Haus; ich mied ihn, so weit ich konnte. Dann brach der Regensturm los, ich war dicht bei dir, unter deinem Schutz, er wagte nichts mehr. Aber welche traurigen Vorstellungen begleiteten mich, welche Angst und Noth preßten mein Herz zusammen! Daß du erkranktest, segnete ich als eine Wohlthat, ich konnte allein mit dir sein, dir meine Sorgfalt widmen, mich absperren von der Außenwelt und von ihm, der wie ein Mörder an meiner Thür lauerte.
Am zweiten Tage kam Schaller. Als er hereintrat, war ich gewiß, daß er Alles wußte. Er sah mich mit frecher Vertraulichkeit an, ich war verrathen. Seine Aufforderung zur Spazierfahrt auf dem See schlug ich ab, er wollte mich dem Elenden in die Hände liefern. Wie aber konnte ich diesem noch entgehen! Als er uns verließ, gab er mir einen Wink und flüsterte mir draußen zu:
Sie müssen frische Luft schöpfen, sonst könnten Sie leicht selbst in Gefahr gerathen. Heut Abend nach 8 Uhr, dort hinten in dem allerliebsten Garten, wo die Kalikobäume voll Früchte hangen, dort wird sie ein Freund antreffen, der Sie durchaus sprechen muß, wenn kein Unglück geschehen soll.
Und diese Stunde kam. Ich ging, denn ich sah ihn vor dem Hause stehen, du sahst ihn auch. Die verzweifelnde Entsagung kam über mich, mit welcher der Verbrecher zum Richtblock geht; so ging ich ihm entgegen, fand ihn, wo ich ihn suchte. Ich sagte ihm Alles, was ich dachte und empfand; er erwiederte es mit Betheuerungen, welche ich voll Scham und Verachtung hörte.
Denkst du, ich weiß nicht, was sich zugetragen hat? sagte er höhnisch lachend. Nichts ist mir verborgen geblieben. Unser Kind ist in Straßburg untergebracht, dich haben sie an diesen leichtgläubigen Gimpel verkuppelt, um dich los zu werden. Ich lasse dich nicht mehr, denn ich habe bessere ältere Rechte, du sollst dein Kind und mich nicht verlassen. Deinem würdigen Papa wollen wir zeigen, was er uns schuldig ist. Folge mir auf der Stelle, ich bringe dich in Sicherheit.
Ich stieß ihn zurück, und seine Ueberredungen, Bitten und Schwüre verwandelten sich in Drohungen.
Willst du nicht folgen, sagte er, so warte, bis du mit Schimpf und Schande hinausgeworfen wirst. Es kostet mich ein Wort, und du bist verloren. Gestern habe ich Freundschaft geschlossen mit deiner liebevollen Nachbarin, welche ich unter dem Vorwande besuchte, eine Wohnung bei ihr zu miethen. Das ist ein gescheutes Weib und rachsüchtig wie ein Teufel. Sie hat uns in der Kirche gesehen und wußte davon zu erzählen. Wirf ihr den Bissen hin, nach dem ihr gelüstet, oder sie entreißt ihn dir mit Gewalt. Sie hat gesehen, daß ich dir den Zettel zusteckte, ein Wort von mir, und sie springt dir an den Hals, reißt den geliebten Heinrich aus seiner Seligkeit, und bringt das ganze tugendhafte Kirchspiel in Aufruhr. Komm also! und sei vernünftig.
Elender! rief ich ihm zu, rühre mich nicht an; ich hasse, ich verabscheue dich!
Wie ich floh, streiften meine Blicke an einen dunklen Gegenstand, welcher jenseit der ausgespannten Wand stand, und als ich den Steig erreichte und athemlos mich dort verbergen konnte, hörte ich ein Geschrei und sah die Flucht und Verfolgung über den Plan bis zu Anna Frings Garten!
Du warst es, du warst ein Zeuge gewesen. Ich umklammerte das Gitter der Laube und sank daran nieder. Endlich ging ich zu dir, gefaßt auf Alles, gefaßt auf deinen Zorn und mein Bekenntniß. Ich war bereit! Aber du thatest, als lägst du im Schlaf, und wie sollte ich sprechen? Du eiltest in dein Bett und scheuchtest mich davon zurück.
Welche Nacht, welche traurige schreckliche Nacht! Am nächsten Morgen wurdest du gerufen; ich ahnte, warum. Jetzt war die Stunde da – doch nein, noch nicht. Du konntest es nicht glauben, wolltest es nicht glauben, du hattest mich gegen das Unerhörte, das man dir mitgetheilt, vertheidigt. Ich sah es an deinen Blicken, an deinen Mienen, als du mir erzähltest, was ihr ausgesonnen.
Du wolltest gehen, um dich zu überzeugen. Ich hätte es hindern können, wenn ich sagte: Bleib, es ist unnöthig, denn Alles ist wahr; aber ich that es nicht, freiwillig konnten und wollten sich meine Lippen nicht dazu öffnen.
Hättest du ein Wort gesprochen: Rede! du hättest Antwort erhalten.
Liebend und hoffend sah ich dich gehen, Trost in deinen Augen, Trost in deinem Herzen; ich wußte, wie ich dich wiedersehen würde. Aber ich versprach dich zu erwarten, und ich wartete. Ich bin hier! – Nicht fliehen wollte ich vor dir, nicht mich und meine Schuld vor dir verbergen; nun geschehe mir, wie es sein muß. Gottes Segen über dich, Heinrich. Lebe wohl! Lebe wohl! –«
Er ließ das Blatt nach diesen letzten Worten sinken und saß einige Augenblicke regungslos, dann sprang er auf und wollte hinaus.
Wohin? fragte sein Vater; indem er ihn festhielt.
Zu ihm, erwiederte er mit fester tiefer Stimme Schaller und dieser Nichtswürdige – Beide – ich will mit ihnen abrechnen.
Kannst weit laufen, sagte David Schwarz. Vor zwei Tagen schon ist der Schaller auf und davon, hat Sack und Pack mitgenommen, die liederliche Frau und den guten Freund dazu.
Heinrich starrte ihn sprachlos an; seine Hände krampften sich zusammen.
Hat der ganze Schwindel sein Ende genommen, fuhr der alte Mann fort, viele betrogene Leute schreien jetzt hinterher. Alle die prachtvollen Bergwerksantheile sind zusammen nicht einen Batzen werth.
Ihr Geld – ihr Geld! rief Heinrich angstvoll. Vater, um Gottes Barmherzigkeit! mach mit mir, was du willst. Ich will dir dienen, will arbeiten – arbeiten am Trog, aber das Geld, gieb das Geld!
Bist ruhig, sagte der Vater mit der Hand winkend. Das Geld ist da, liegt in meinem Schrank wohlbehalten. Ich ließ mir nicht umsonst den Schein von dir geben, ging auf der Stelle zu ihm hin, sobald du fort warst. –
Er rückte die Mütze um seinen Kopf, und in den harten langen Falten seines Gesicht stieg ein Lachen auf. –
Sprach zu ihm in der richtigen Art, wie ein echter Schweizer, fuhr er dabei fort, zeigte ihm mit aller Höflichkeit an, was ich machen würde, wenn er's Geld nicht sogleich herausgeben thäte, und kriegt es. Er gab's mir hin mit Freuden, wie er sagte, denn der Spitzbube war noch nicht so weit, wie er sein wollte. –
Sein Lachen wurde stärker, er warf die Mütze auf die andere Kopfseite. –
Sie hatten noch einen anderen Plan im Werke, er und sein Kamerad, der ausgeführt werden sollte. An das Annli hatten sie sich gemacht; alle Tage war der gnädige Herr bei ihr, und hier vorüber gingen sie spazieren. Er holt' sie in einem Wagen ab, hochmüthige Blicke warf sie uns herein. Was er ihr in den Kopf gesetzt, wie er's gemacht hat, ist ein Meisterstück von dem Donnersbub', aber ihr Geld hat sie ihm gegeben, das ganze Erbe von der Muhme, und fort ist er damit. Den Hals hat sie sich abschneiden wollen, ist aber jetzt hinter ihm her mit Advocaten und Steckbriefen; denke aber, sie wird ihn nicht einholen, sondern mit Schand und Schaden heim kommen.
Er erzählte dies mit unverkennbarer Genugthuung, seine Meinung über die vielgelobte Jungfrau war ohne Zweifel tief gesunken. – Ob Heinrich Alles gehört oder verstanden hatte, ließ sich nicht behaupten. Theilnahmlos stand er da, der alte Mann schüttelte ihn auf.
Siehst aus wie abwesend, sagte er, und ist doch nothwendig, deine Gedanken festzuhalten. Hast jemals richtig gedacht, Heinrich, so zeig' es jetzt. Hast Streiche genug gemacht; es kam davon her, daß du so lange da außen gewesen bist. Jetzt steh' auf deinen Füßen wie ein Mann, der Unrechtes und Schlechtes zu wenden weiß, daß es gut wird.
Der Sohn hob langsam den Kopf. Die Thür ging eben auf.
Emma war es, auf ihren Arm stützte sich seine Mutter. Ihr krankes Gesicht bezeugte die Schmerzen, welche sie erduldet, ihre ängstlichen, bittenden Blicke auf ihren Sohn drückten ihren Kummer und ihre Wünsche aus. Emma hatte sich in ihren großen Reisetuch gehüllt, wie damals, als sie in der Laube an der Sitter ihn erwartete.
Er that ihr einige Schritte näher und blieb vor ihr stehen.
Wo hinaus, Emma? fragte er.
Nach Straßburg, sagte sie.
Er schüttelte den Kopf. Da ist nichts mehr, was dich erwarten könnte. Dein Platz ist hier bei mir. Hast es vergessen, daß du mich glücklich machen wolltest zu aller Zeit? Hast es vergessen, daß ich gelobte, wenn Gott und Menschen dich verließen, so wollte ich bei dir stehen?
Heinrich! Heinrich! flüsterte sie bebend und warnend.
Menschlich laß uns sein und gut, fuhr er fort, und was recht und klug ist, nicht vergessen. Wohin ginge es mit mir, wenn ich dich nicht hätte? Liebe ich dich nicht, und weiß ich nicht jetzt, wie du mich liebst? Soll ich die Liebe ausreißen aus meinem Herzen, um – um – wie sagte dein Vater? fort damit! Nein! rief er mit Heftigkeit, und seine Augen hoben sich glänzend auf, nein! mein Lebensglück will ich nicht opfern! Hier ist meine Hand. Emma, schlag' ein, laß uns einen neuen festen Bund aufrichten.
Er hielt sie in seinen Armen – der Vater umarmte die alte Frau und wies auf ihn hin.
Schau her, Regli, schrie er, er hat das richtige Denken wirklich zu Stande gebracht, der Bub'; jetzt will ich's glauben, daß noch etwas Gutes aus ihm wird.
Dein Gehülfe, Vater, erwiederte Heinrich, dein Buchhalter, Alles, was du aus mir machen willst. Wir wollen uns nicht von euch trennen.
David Schwarz aber drehte die Kappe um seinen Kopf und fing an zu lachen.
Hab's wohl gedacht manche Zeit, sagte er, ist aber nichts damit, Heinrich. – Es hat deine Frau das richtige Wort gesagt, bist nicht dafür erzogen worden, würdest doch nur alldieweil ein schlechter Arbeiter, ein schlechter Fabrikant bleiben. Geh also hin und zeig', was du gelernt hast; lehr den Leuten das richtige Denken, und vergiß es halt selbst nimmer mehr!
Und so geschah es nach des Vaters Willen. Der Doctor Heinrich Schwarz ist jetzt Professor an einer Universität, aber David Schwarz und seine arbeitsame Gattin haben Wohlgefallen an ihm, der vielgeliebten Schwiegertochter und einem Enkel, den sie zum Fabrikanten und zum echten Schweizer erziehen.