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1.

Wie lange sind Sie denn nun schon in Berlin, liebwertheste Jungfer Charlotte? fragte mich der Major Dumoulin, indem er an den Spitzen seines Schnurbarts drehte und dabei lachte.

Es sind jetzt gerade zwei Monate, erwiederte ich, dieweil wir heut den zwanzigsten October schreiben.

Im Jahre des Herrn 1718, fiel er spottend ein. Aber gefällt es Ihnen wirklich hier so wenig, daß Sie Ihre große Sehnsucht nach der Heimath noch immer nicht bezwingen können? Es giebt wohl da ganz etwas Besonderes, wonach der holdseligen Jungfer Charlotte gelüstet?

Ich warf den Kopf auf und sah ihn böse an.

Es giebt dort wenigstens keine Menschen mit bösen Zungen, antwortete ich, auch keine Soldaten, welche grimmig mit ihren Degen rasseln und sich die Bärte spitz drehen, als sollte Jeder, der ihnen zu nahe kommt, daran gespießt werden.

Er lachte ausgelassen über meinen Zorn.

Schickt sich das, entgegnete er scheinheilig, für eine christliche Jungfrau und obenein für die ehrsame Jungfer Nichte des hochgelehrten Herrn Hofpredigers Jablonski, so heftig zu werden, wenn man in aller Demuth und Wehmuth nach den Ursachen forscht, warum es ihr nicht in dieser großen und prächtigen Stadt gefällt, wo es doch so viele gute und vortreffliche Menschen giebt?

Zu denen Sie sich sicherlich auch rechnen wollen, mein gnädigster Herr Major, unterbrach ich ihn.

Der Herr bewahre mich vor solchem Hochmuth! versetzte er mit frommen Mienen seine Hände faltend. Ich bin ja ein grimmiger Soldat mit spitzem Schnurbart, obenein sogar vom Stabe des schrecklichen Soldatenkönigs Sr. Majestät Friedrich Wilhelms des Ersten, also ein Sünder, welcher seine Augen kaum zu erheben wagt – wobei er mich mit seinen dunklen Augen so schalkhaft und übermüthig ansah, daß ich das Lachen nicht lassen konnte.

Der Herr Major, sagte ich, sieht wirklich aus, wie der Frieden selbst, als wäre ein Heiliger an ihm verdorben.

O! versetzte er, das kommt von dem Wiederschein Ihrer holdseligen Nähe, liebwertheste Jungfer Charlotte, sonst aber bin ich ein Barbar, der sein ganzes Leben über, welches jetzt nahe an dreißig Jahre gewährt hat, in fortgesetzter Sündigkeit verbrachte.

Das ist ein sehr schlimmes Bekenntniß, entgegnete ich, und leider scheinen der Herr Major auch keinen ernsten Willen zur Besserung zu haben.

Ach nein! rief er seufzend und die Achseln zusammenziehend, gar keinen Willen, das ist ja eben das Unglück! Von frühster Jugend an wurde ich verwahrlost. Als Knabe schon kam ich in die Cadettencompagnie des Kronprinzen, hatte das Schicksal mich auszuzeichnen, ein Liebling des Prinzen zu werden, sein Fahnenjunker und dann sein Adjutant.

Pfui! sagte ich, warum sind Sie denn nicht davon gelaufen?

Er blickte nach allen Seiten umher, als könnte Jemand in der Nähe horchen.

Ein ganz vortrefflicher Rath, Jungfer Charlotte, den ich leider nicht befolgen konnte, sagte er darauf. Obgleich ich eigentlich nicht weiß, warum Sie ihn mir ertheilen.

Weil ich von diesem Prinzen, der jetzt König ist, immerdar sehr viele böse Dinge, doch wenig Gutes gehört habe.

Er sah abermals umher und dann mich wieder schelmisch an.

Ei, sagte er, haben Sie denn diesen bösen Herrn schon einmal selbst gesehen?

Noch nicht, denn er ist ja während dieser ganzen Zeit in Potsdam und anderswo bei seinen Soldaten gewesen, seinen lieblichen blauen Kindern, die er so zärtlich liebt.

Also liebt er doch auch und thut Gutes, fiel er ein, und nun sehen Sie, beste Jungfer Charlotte, ich habe das Schicksal gehabt, daß er mir mancherlei Gutes that, somit konnte ich doch nicht davon laufen.

Hüten Sie sich, daß er Ihnen nicht auch Böses thut, versetzte ich, denn man hat mir erzählt, daß er oft plötzlich bei seinem heftigen und gewaltthätigen Charakter in eine Wuth gerathen kann, die weder Recht noch Vernunft achtet, und daß Mancher schon, den er bevorzugte, von ihm auf's Grausamste behandelt wurde.

Wenn das wirklich wahr sein sollte, sagte Dumoulin, indem er dabei ein sehr ernstes Gesicht machte, wenn dieser mächtige Monarch in seinem Zorne so fürchterlich ist, ja dann thäte man gewiß am besten, sich wohl zu hüten kein unvorsichtig Wort über ihn zu sprechen, wodurch er beleidigt werden könnte. Er soll sehr mißtrauisch sein; gegen uns Soldaten freilich nicht. Da ist er die Offenheit und Einfachheit selbst; allein es hört Niemand gern übel von sich reden, die Mächtigen am allerwenigsten.

Oh! rief ich, ihn spöttisch anschauend, so könnte Jemand wohl zu gutem Lohn kommen, wenn er hinterbrächte, was ich soeben ausgeplaudert habe.

Ich hätte die größte Lust dazu, antwortete er, Se. Majestät allerunterthänigst darauf aufmerksam zu machen, welche desperate rebellische Unterthanen er besitzt, allein ich fürchte nur, er würde es mir nicht glauben. – Wo lebt diese Verrätherin? würde er mich anschreien, und seine runden blauen Augen würden den gefährlichen Glanz bekommen, der Jeden zittern macht, der sie kennt. – Hier dicht in Ew. Majestät Nähe, in Ihrer Hauptstadt, sogar in der Nähe des Schlosses in der Brüderstraße. – Was, in der Brüderstraße, wo meine Minister, meine Geheimräthe wohnen? Wie ist das möglich! Er faselt! – Nein, Majestät, es ist leider nur zu wahr und gewiß. Es ist diese schreckliche Empörerin merkwürdiger Weise aber nicht ein Masculinum, sondern die leibliche Nichte des berühmten und hochgelehrten frommen und getreuen Hof- und Dompredigers Jablonski. – Nun höre ich, wie der König ein mächtiges Gelächter aufschlägt, denn dieser unbarmherzige Monarch kann wirklich auch unbarmherzig lachen, verehrte Jungfer Charlotte, doch mitten darin hört er auf, wie ihm dies zuweilen geschieht, und mit seiner durchdringenden Stimme fährt er auf mich los: Hat Er seinen Verstand verloren, Major? Meines Hofpredigers Nichte! Ich sage Ihm, ohne diese ehrsame Jungfrau zu kennen, daß sie ein Musterbild aller Tugenden und aller Liebenswürdigkeit ist. Das merke Er sich.

So, sagte ich, also nur aus Furcht will mich der tapfere Herr Major nicht verrathen.

Wahrlich, einzig und allein aus Furcht, versetzte er meine Hand ergreifend, das heißt aus Furcht, mich noch viel verhaßter zu machen, als ich es schon bin, und um eine gewisse junge Dame, die mich für einen Barbar erklärt und mich nicht sehen mag, ohne Streit anzuzetteln, nicht noch mehr gegen mich aufzubringen.

Indem er dieses sagte und mich dabei in einer Weise anblickte, daß mir das Herz laut an zu schlagen fing, hörte ich hinter uns die Thüre öffnen und Jemand hereintreten, was mein Blut noch mehr in Bewegung brachte. Erschrocken sah ich mich um, denn zu gleicher Zeit ließ der Major meine Hand fallen und sprang mit solcher Schnelle auf, als sehe er einen Tiger oder eine Klapperschlange. Es war jedoch keines von beiden, auch nicht mein würdiger und hochgelehrter Onkel, sondern ein Fremder, den ich noch nie gesehen hatte.

Ein stark gebauter, noch junger Herr von mittlerer Größe mit einem runden vollen und frischen Gesicht, glatt rasirt, im blauen soldatischen Ueberrock und in Stiefeletten, stand dort und sah uns beide mit scharfen Blicken an. Auf seinem Haar, das an den Seiten in aufgerollte Locken gebrannt, hinten zum kurzen dicken Zopf zusammengebunden war, saß ein dreispitziger Hut mit Tressen und Agraffe Hier im Sinne von »Hutband«, das mit einer Schmuckschließe versehen ist., in der Hand aber hielt er ein dickes spanisches Rohr mit großem Goldknopf.

Wäre ich nicht so verwirrt gewesen, hätte ich ihn wohl erkennen müssen, denn oft genug war er mir beschrieben worden, aber in dem Augenblick wo ich ihn sah, wunderte ich mich nur über seine Unhöflichkeit, uns weder zu grüßen noch seinen Hut abzunehmen, und über die anmaßenden und trotzigen Mienen, mit denen er sich näherte.

Was macht Er hier, Dumoulin? fragte er in Commandotone den Major, der so gerade stand wie ein Flügelmann von der Leib-Compagnie.

Ich mache einen Besuch, Majestät, antwortete der Major.

Dem Frauenzimmer hier? fuhr er fort, indem er mich ansah.

Es ist die Nichte des Herrn Hofpredigers Jablonski, sagte Dumoulin.

Er maß mich noch eindringlicher, wurde aber dabei nicht freundlicher.

Wo ist Ihr Onkel? frug er mich.

In seinem Studirzimmer, antwortete ich, keineswegs übermäßig demüthig.

Was thut er da?

Wahrscheinlich, da morgen Sonntag ist, wird er seine Predigt ausarbeiten.

Ruf Sie ihn her, er soll gleich kommen. Ihr aber Dumoulin – doch nein, halt! ich könnte Euch vielleicht dabei gebrauchen. Mache Sie, daß Sie hinaus kommt, fuhr er mich an. Kann Sie nicht hören?

Ich hatte genug gehört, um so schnell als möglich aus seiner Nähe zu verschwinden; noch ehe ich jedoch die Seitenthür erreichte, durch welche ich hinaus mußte, trat mein Onkel schon herein. Er hatte schon Nachricht von dem unerwarteten hohen Besuche erhalten, hatte seinen großen schwarzen Rock angezogen, ohne die Pantoffeln von den Füßen zu thun, und seine große Perrücke aufgestülpt, ohne das schwarze Käppchen zu entfernen, welches er gewöhnlich trug, und das nun darunter und über seine Stirn hervor sah und einen höchst sonderbaren Anblick bot, über welchen ich gern gelacht hätte, dies aber klüglich für jetzt unterließ.

Mein Onkel machte eine so tiefe Verbeugung, daß sein Oberkörper völlig wagerecht schwebte, und seine herunterhängenden Arme mit Händen beinahe den Fußboden berührten, dabei sprach er etwas von hoher Gnade und dankerfüllter Seele, was ich vergessen habe. Der König hielt beide Hände auf dem Knopf seines Stockes; da es ihm aber zu lange dauerte, ehe mein Onkel mit seinen Complimenten fertig war, stieß er den Stock mit Heftigkeit auf, was die Wirkung hatte, daß der alte Mann sich eiligst aufrichtete und stille schwieg.

Er hat mir einen Brief übergeben lassen durch den Geheimerath Marschall von Bieberstein, sagte er; ich habe ihn richtig erhalten. Kennt Er den Menschen, der ihn geschrieben hat?

Nein, Majestät, antwortete mein Onkel, aber der Herr Geheimerath –

Der kennt ihn vom Haag her und Graf Metternich kennt ihn ebenfalls, unterbrach ihn der König. Er hat ihn bei den Utrechter Friedensverhandlungen kennen gelernt. Was schreibt er Ihm?

Ew. Majestät jenen Brief zu übergeben, widrigenfalls er mich für alle Uebel verantwortlich mache, welche daraus für meinen allergnädigsten Monarchen entstehen könnten, in so fern dieser Brief nicht in die allerhöchsten Hände käme.

Der König schwieg einen Augenblick, dann sagte er:

Ich will diesen sonderbaren Kerl sehen, der Teufel weiß, was er mir anzuvertrauen hat. Chevalier Clement nennt er sich jetzt, in Utrecht hieß er Baron von Rosenau; aber gleichviel, der Bursche soll kommen. – Hier habt Ihr einen Paß für ihn, schickt ihm diesen gleich nach Dresden und schreibt ihm dabei, auf der letzten Station vor Berlin soll er bleiben und einen Boten an Euch abschicken, dann nehmt einen Wagen, fahrt ihm entgegen und bringt ihn bei Nacht nach Berlin herein. Der Major Dumoulin soll Euch begleiten, dafür sorgen, daß Niemand Euch molestirt unter Weges oder am Thore. Den Clement bringt in Euer Haus, haltet ihn verborgen, und Ihr, Dumoulin, macht mir darauf sogleich Euern Rapport. Dann werde ich kommen und bestimmen, was weiter geschehen soll. Jetzt wißt Ihr, was Ihr zu thun habt.

Die Sprache des Könige klang rauh und befehlend, plötzlich erblickte er mich und augenblicklich gerieth er in Zorn.

Was hat Sie hier zu gaffen? schrie er, warum ist Sie nicht hinausgegangen?

Ew. Majestät haben mir nicht befohlen, das Zimmer zu verlassen, antwortete ich.

Sie ist eine von denen, welchen jedesmal erst befohlen werden muß, was sie thun sollen.

Ich sah, daß ich auf keinen Beistand von meinem Onkel zu rechnen hatte, der mich unwillig ansah, eben so wenig, das begriff ich wohl, konnte der tapfere Major sich für mich verwenden. Aber in dieser Gefahr wuchs mein Muth, und als der König sich mir näherte, blickte ich ihm ziemlich furchtlos entgegen.

Er hatte wirklich etwas, das erschrecken konnte. Sein Gesicht besaß freilich eher freundliche als strenge Züge, allein die gewaltigen Stirn- und Backenmuskeln, die Unbeweglichkeit seiner Gebehrden, seine stolze drohende Haltung und seine durchdringenden Blicke bezeugten, daß er milden Empfindungen wenig zugänglich war. Indem er auf mich zuschritt, erinnerte ich mich, was der Major vorher von dem gefährlichen Glanz dieser runden und blauen Augen gesagt hatte, und wirklich sah ich sie in einer Weise funkeln, vor der ich mich entsetzte. Aber ich bezwang schnell diese Anwandlung, welche mein Gesicht wohl röther färben mochte.

Sie hat kein gutes Gewissen, sagte er, indem er vor mir stehen blieb, sonst würde Sie nicht wie Feuer aussehen.

Wer nicht erröthen kann vor einem ungnädigen hohen Herrn, muß ein sehr schlechtes Gewissen haben, antwortete ich, indem ich einen tiefen Knix machte.

Diese Antwort schien ihm zu gefallen, er wurde freundlicher.

Nun hat Sie etwas zu klatschen, sagte er, da Sie weiß, was geschehen soll.

Ich würde es doch erfahren haben, Majestät, erwiederte ich, da der fremde Herr bei uns wohnen soll.

Sie weiß zu antworten, rief er aus, aber Sie hat Recht. Es ist also Seine Nichte, Jablonski?

Mein Onkel hatte ängstlich zugehört, jetzt schöpfte er Athem.

Allerunterthänigst ja, Ew. Majestät, es ist meine Nichte, ein junges unerfahrnes Mädchen vom Lande, die hinterlassene Tochter meines verstorbenen Bruders in Preußen; unbekannt mit der Welt, daher ich in tiefster Demuth wage zu bitten, Ew. Majestät möge ihr gnädigen Pardon gewähren, daß –

Der Herr war schon ungeduldig. Schweigt stille! unterbrach er ihn, es soll ihr so hingehen. Aber haltet sie in Zucht und Ordnung, denn die sieht nicht blöde und unerfahren aus. Wie alt ist Sie denn?

Siebenzehn Jahre, Ew. Majestät zu dienen, knixte ich.

Was, so jung noch! rief er.

Das ist ein Fehler, der sich alle Tage verbessert, antwortete ich.

Er fing an zu lachen.

Ich sage Ihm, Jablonski, gebe Er Acht auf Seine Nichte, die hat Nicken. Geht Sie auch in die Kirche?

Vor- und Nachmittags, Majestät.

Bete Sie fleißig, Sie wird's nöthig haben, und jetzt will ich Ihr noch Eins mittheilen. Untersteh' Sie sich nicht ein Wort auszuplaudern, was hier gesprochen wurde. Den Menschen aber, den Clement, den bringe Sie auf's Beste unter und bediene Sie ihn nach seinem Wohlgefallen. Versteht Sie?

Ich werde alle Mühe anwenden, daß es ihm gefällt, antwortete ich.

Gut, versetzte er, im Uebrigen – er sah mich dabei an, als wollte er mich davor warnen – hat mir Marschall gesagt, daß der Clement jung und von besonderen noblen Preferenzen sein soll. Das merke Sie sich auch. Jetzt lebt wohl und thut, was ich befohlen habe.

Er bewegte den Kopf zum Gruß und verließ uns, gefolgt von meinem Onkel, der in tiefster Unterthänigkeit nachfolgte und in Demuth ersterbend seinen allergnädigsten Herrn begleitete.

Als er hinaus war, sah der Major verdrießlich hinterher und schien mit seinen Gedanken beschäftigt.

Wer hat also Recht? rief ich auf ihn zugehend. Ich habe Recht! Ist das ein artiges Benehmen, wie es ein König haben muß? Mich so zu behandeln, wie es wohl ein Russe ober Kalmuck thäte.

Um des Himmels willen, schweigen Sie! fiel Dumoulin flüsternd ein. Er ist noch gnädig genug gegen Sie gewesen und hat Ihnen zuletzt sogar sein Wohlwollen bewiesen.

Sein Wohlwollen? Ach richtig! sagte ich, wir müssen uns alle gehorsamst bedanken. Ein vornehmer Gast wird uns Gesellschaft in diesem stillen Hause leisten, wo es bisher langweilig war, und ich habe den angemessenen Auftrag erhalten, mir seine besondere Huld zu erwerben. Gewiß auch will ich Alles aufbieten, um Se. Majestät zufrieden zu stellen, und wie neugierig ich bin, mein bester Herr Major! Wie neugierig auf den edlen Herrn Chevalier, der so liebreizend aussehen soll. Bringen Sie ihn ja wohlbehalten zu mir. Ich möchte ihm selbst entgegenfahren, um meine gehorsamsten Dienste sogleich zu beginnen.

Ich wollte, daß ich lieber den Auftrag erhalten hätte, diesem Menschen mit dem Degen auf den Leib zu gehen, versetzte der Major ärgerlich.

Wie blutdürstig, wie sündhaft Sie sind! unterbrach ich ihn. Ein schöner vortrefflicher Herr, der von Ihrem Könige eingeladen und mir so eindringlich empfohlen wird, soll von Ihnen umgebracht werden!

Ach, meine beste Charlotte, entgegnete er mich anschauend, spotten Sie nicht weiter. Es könnte Ihnen auch noch die Lust dazu vergehen.

Ich hatte die größte Lust, ihn noch mehr auszuspotten, allein mein Onkel kam so eben zurück und vertrieb mir dies Vergnügen. –

Mein Onkel, der Hofprediger, war ein berühmter Gelehrter, reformirter Bischof von Böhmen und Großpolen, und wohlbekannt im ganzen heiligen römischen Reiche. In die Streitigkeiten der beiden Religionsparteien der evangelischen Kirche, der Lutheraner und Reformirten, war er eben so tief verwickelt als in den Streit gegen die Katholiken und katholischen Fürsten, welche damals ihre protestantischen Unterthanen nicht selten schwer bedrückten. Der kaiserliche Hof in Wien ging dabei mit seinem Beispiele voran, König Friedrich Wilhelm aber schützte und vertheidigte seine Glaubensgenossen mit standhafter Treue ohne sich schrecken zu lassen. Seit der Kurfürst von Sachsen katholisch geworden, war die Schutzherrschaft über den deutschen Protestantismus auf Preußen übergegangen, und mit der wachsenden Macht des brandenburgischen Hauses gehörte es zu dessen Politik, die Sympathien des protestantischen Deutschlands für Preußen zu gewinnen.

Neben den Vorstellungen und drohenden Noten der Diplomaten spielten aber die Streitschriften und Beweise der Theologen damals eine große Rolle, und hierbei war mein Onkel vielfach thätig, von seinem hohen Herrn gebraucht und in dessen Gnade und Gunst. Der König gab ihm freilich nur einen Jahrgehalt von 400 Thlr. als Oberhofprediger und Ober-Consistorialrath, allein seine Nebeneinkünfte waren bei alledem nicht gering, und nicht selten empfing er für seine Schriften und Gutachten vom Könige sowohl wie von anderen protestantischen Fürsten ansehnliche Geschenke.

Häufig am Hofe auch von Ministern und hohen Herren eingeladen und aufgesucht, wurde mein Onkel aber selbst eine Art Diplomat, und bei aller Gelehrsamkeit und Frömmigkeit verstand er sich doch vortrefflich auf Lebensklugheit und Geschmeidigkeit, welche ihm von manchen Seiten als Schwäche und Eitelkeit vorgeworfen wurden. Die Gunst und Gnade der Großen wollte er nicht missen, machte es also nicht wie Propst Reinbeck und Andere, die dem Könige zuweilen unerschrocken die Wahrheit sagten; was aber sein Latein, Griechisch und Hebräisch betraf, seine Kenntnisse der Schriften und Bücher aller Zeiten, so wußte er mehr als Alle und verstand es auch am besten scharf und eifrig zu sprechen und zu schreiben.

Mein Onkel war ziemlich groß und von rundem Leib, bleich im Gesicht, doch fleischig, mit doppeltem Kinn und einer mächtigen wohlgeformten Nase. Für gewöhnlich war seine Haltung gravitätisch, so auch der Ausdruck seiner Augen, die er ernsthaft und langsam bewegte, wenn er mit Collegen oder Untergebenen, Mitgliedern der Gemeinde oder mit seinen Hausgenossen verkehrte; allein diese Würdigkeit verwandelte sich in Sanftmuth und Feinheit, welche von Herablassung bis zur Unterthänigkeit ging, sobald er mit Vornehmen zu thun hatte, oder es überhaupt für nöthig und nützlich hielt.

Jetzt, als er wieder herein trat, war diese Unterthänigkeit aus seinen Mienen verschwunden, dagegen lagerte sich eine unverkennbare Genugthuung darin. Der König hatte ihn mit einem besonderen Auftrage beehrt, er sollte ein wichtiges heimliches Geschäft ausrichten, einen Chevalier und Diplomaten, der beim Utrechter Friedenscongreß thätig gewesen, in sein Haus aufnehmen und verbergen. Welcher Reiz für seine Eitelkeit.

Ehe er aber etwas Anderes that, wendete er sich an mich und schleuderte mir einen seiner imperatorischen Blicke zu. Wenn er vertraulich und gut gelaunt war, nannte er mich »Du,« sobald ich ihm aber irgend welche Ursache gegeben hatte unzufrieden zu sein, oder auch wenn er überhaupt mißgestimmt seine würdevolle Miene annahm, wurde ich in der dritten und unbestimmten Person mit »man« angeredet. Ich wußte somit sofort, wie es stand, als er begann:

Warum hat man mir nicht gesagt, daß mein Mützchen unter der Perrücke hervorsah, daß Se. Majestät es draußen bemerken, und mich reprimandiren mußten? fragte er mich.

Es gab keine Gelegenheit dazu, versetzte ich. Es sah allerdings merkwürdig lustig aus.

Man lache noch obenein! rief er empört, da er mich lachen sah, obwohl er das Mützchen schon beseitigt und in die Tasche gesteckt hatte. Weiß man nicht, daß es im Sprüchwort heißt, am vielen Lachen erkennt man den Narren? Aber man hat überhaupt keine Conduite, sonst würde man sich in diesem Negotium sicherlich anders benommen haben.

Ich werde es künftig besser machen, erwiederte ich bescheiden.

Man thue es und zögere nicht damit, fuhr er fort. Was Se. Majestät befohlen haben, führe man mit Sorgfalt aus. Es darf nichts verabsäumt werden, das merke man sich; auch benehme man sich nie mehr so, daß Se. Majestät darüber ein Aergerniß empfinden könnten.

Er soll nicht wieder zu mir sagen: Packe Sie sich hinaus! denn ich werde ihm so weit aus dem Wege gehen, wie ich immer kann, versetzte ich.

Er schüttelte den Kopf so stark, daß sämmtliche Locken an der großen Perrücke darüber in Bewegung geriethen, sagte jedoch nichts weiter, sondern wandte sich an den Major.

Wußtet Ihr denn etwas davon, mein lieber Herr von Dumoulin, fragte er, daß der König von Potsdam gekommen sei?

Ich hatte nichts davon gehört, erwiederte der Major, obwohl ich zur Parole bei dem Fürsten von Dessau war. Wie es scheint, ist der König herüber gekommen der Sache wegen, welche ihn so stark zu beschäftigen scheint, daß er selbst Ihnen den Paß für diesen Clement, oder wie er sonst heißt, brachte.

Eine remarkable Geschichte, eine Art Miraculum! rief mein Onkel wohlgefällig lächelnd.

Wie verhält es sich damit? fragte der Major.

Mein Onkel zuckte mit geheimnißvoller Miene die Schultern.

Ich weiß nichts, sagte er, als daß ich vor drei Tagen einen Brief aus Dresden erhielt, unterzeichnet Chevalier Johann von Clement, in welchem, wie Ihr gehört habt, ich dringend gebeten wurde, dem Könige die Einlage zu übergeben, welche sich darin befand. Der Schreiber wendet sich an mich des vielen Guten wegen, was er in seinem Vaterlande Ungarn von mir vernommen, daher er die Gewißheit habe, daß ich auch seine Bitte erfüllen werde.

Und nun läßt ihn der König kommen, sagte der Major nachdenkend. Wahrscheinlich handelt es sich um politische Geschichten.

Es muß wichtig sein, was in dem Briefe gestanden hat, und dieser Herr Baron oder Chevalier muß ein sehr estimabler Herr sein, versetzte mein Onkel.

Was geht's mich an, rief der Major, den diese vorgefaßte Meinung zu verdrießen schien. Mein Auftrag ist, ihn hierher zu geleiten, weiter nichts.

Er nahm nun Abrede mit meinem Onkel, ihn zu benachrichtigen, sobald er Nachricht aus Dresden über die Abreise des Fremden empfangen habe, und nach einiger Zeit empfahl er sich, ohne die Aufforderung, länger zu verweilen, anzunehmen. Seine gewöhnliche gute Laune hatte ihn verlassen, und meine spitzigen Worte waren nicht im Stande, jene zurückzubringen und ihn anderes Sinnes zu machen. Förmlicher und ernsthafter, als es sonst der Fall, ging er fort, und mir blieb nichts übrig, als mich ebenso zu benehmen, während ich mich heimlich über etwas freute, was ich mir doch nicht laut zu sagen wagte.

Mein Onkel setzte nun seine Strafpredigt fort, und diese verlängerte sich durch meine Antworten, welche er für unpassend und vernunftlos erklärte. Nachdem er mir alle Devotion vor Sr. Majestät Winken eingeschärft hatte, welche er selbst empfand, und mir aufs Strengste geboten hatte, gegen Jedermann zu schweigen, wenn ich nicht Zeit meines Lebens unglücklich sein wollte, gab er an, wie die Aufnahme und Unterbringung des Gastes erfolgen sollte. Er war von diesem sichtlich eingenommen, sowohl weil der König so viel Antheil an ihm nahm, wie durch die Schmeicheleien, welche der Chevalier ihm geschrieben hatte. Mein eigenes Zimmer, das nach dem kleinen Garten hinausging, auch zwei Ausgangsthüren hatte und eine Art Versteck in einer Nische hinter der Tapete, aus welcher man auf den Corridor gelangen konnte, sollte ich abtreten, das Mittagsessen sollte um ein Gericht vermehrt, ein prächtiges Himmelbett aufgestellt werden und der vornehme Gast die besten Möbel im Hause erhalten.

Mein Onkel war sparsam und liebte das Geld eben so sehr wie sein verehrter König, aber er aß auch gern gut. Die Aussicht auf eine besser besetzte Tafel, zu welcher er jetzt Grund hatte, machte ihm daher Vergnügen. Wie sein allergnädigster Herr, besaß er aber auch die löbliche Eigenschaft, am liebsten fein zu speisen, wenn es ihn nichts kostete, und niemals war er bei besserer Laune, als wenn der hochangesehene Minister und General von Grumbkow ihn zum Essen einlud, der als erster Feinschmecker im Lande galt und einen berühmten französischen Koch hielt, der mehr Gehalt von ihm bekam, als mein Onkel vom Könige.

Wer aber, herzallerliebster Herr Ohm, wird Ihnen dann die vielen Kosten für alle diese Ausgaben ersetzen? fragte ich, als er inne hielt mit seinen Befehlen.

Er sah nachdenklich aus, denn daß vom Könige Alles eher zu bekommen war als Geld, wußte er aus eigener Erfahrung zu gut.

Also würde ich mich hüten, fuhr ich fort, um eine Person, die mich gar nichts angeht, so viele Umstände zu machen; obenein um einem Herrn zu dienen, von dem seine eigene Mutter gesagt hat, daß er ein Geizhals sei, dessen Laster sich immer mehr verschlimmern würde.

Hier schoß mein Onkel auf mich los, ergriff mich beim Arm und stierte mich mit wahrem Entsetzen an.

Bist du vom Satan besessen, Mädchen, rief er mit hohler unterdrückter Stimme, willst du an den Pranger gebracht werden für deine vermessenen lästerlichen Reden?

Dann richtete er sich auf, nahm seine Imperatormiene wieder an und fuhr fort:

Man schweige und gehorche! Ich will kein unvernünftiges Benehmen länger in meinem Hause dulden. Ich gehe, den Brief zu schreiben; man unterstehe sich nicht noch einen Muck zu thun!


2.

Niemals vergeht die Zeit langsamer, als wenn sie uns etwas bringen soll, das wir voller Neugier erwarten; so ging es mir mit diesem Herrn Clement, der uns in solche Erregung versetzte. Ich hätte kein Mädchen sein müssen, um theilnahmlos zu bleiben, besonders als am folgenden Tage der Geheimerath von Marschall zu uns kam und die vortheilhaftesten Schilderungen von ihm entwarf, nach denen er ein wahres Wunder von Geist und Liebenswürdigkeit sein mußte.

Dazu kam neue heimliche Lust an den Leiden des Majors, welche ich gehörig zu vermehren dachte. Major Dumoulin war mit meinem Onkel befreundet, noch ehe mich dieser zu sich nahm, und besuchte ihn zuweilen. Seit ich im Hause war, kam er jedoch öfter, und es hatte sich zwischen uns eine Bekanntschaft entsponnen, welche die eigenthümliche Grundlage besaß, daß wir nicht fünf Minuten ohne Streit beisammen sein konnten.

Der Major war ein übermüthiger junger Herr, zu lustigen Worten wie zu lustigen Streichen immer bereit; allein er war nicht so roh und unwissend wie die meisten der damaligen Offiziere, sondern hatte durch seine Mutter, eine Dame der geistreichen Königin Sophie Charlotte, Erziehung und Bildung erhalten. Da er tapfer trinken, rauchen und spielen konnte und unter den Wölfen prächtig zu heulen verstand, bewahrte er sich vor dem Spott, der die gelehrten Offiziere traf, allein seine Kenntnisse brachten ihn in den Stab des Königs, und der Fürst von Dessau hielt besonders große Stücke auf ihn.

Seine Tapferkeit beim Sturm auf die Stralsunder Schanzen und bei der Eroberung der Insel Rügen 1715 im sog. Großen Nordischen Krieg zwischen Brandenburg und Schweden. bewirkten vor zwei Jahren schon seine Ernennung zum Major. Wahrscheinlich glaubte er zu Anfang unserer Bekanntschaft mit mir seinen Spaß treiben zu können, als mit einem einfältigen Landmädchen, allein ich ließ mir nichts gefallen, gab ihm seine losen Worte, ohne Façon zu machen, zurück, und dafür führten wir einen Krieg, bei dem wir uns beide wohl befanden und unter der Hand immer bessere Freunde wurden. Ich merkte es gut genug, daß seine Zuneigung sich vermehrte, und wenn ein paar Tage vergingen, ohne daß er sich blicken ließ, war ich voller Unruhe, wenn ich es auch niemals eingestand, sobald er kam, vielmehr so that, als hätte ich gar nicht bemerkt, daß er fortgeblieben sei.

Jetzt aber verging beinahe eine volle Woche, in welcher Dumoulin sich nicht sehen ließ, und dies war die Ursach, weshalb meine Sehnsucht nach dem liebenswürdigen Chevalier Clement sich noch weit höher steigerte. Mein Onkel hatte sogleich nach des Könige Befehl geschrieben und den Paß fortgeschickt, allein ein Brief nach Dresden brauchte damals mehr als vier volle Tage; sobald die Antwort einlief, mußte Dumoulin benachrichtigt werden.

Endlich am sechsten langte ein Schreiben an, ich brachte es selbst meinem Oheim in sein Studirzimmer und bewunderte die Zierlichkeit der Aufschrift, die sauberen gleichmäßigen, wie gemalten Buchstaben. Der Brief war mit einem großen behelmten Wappen geschlossen, und als mein Onkel ihn öffnete, blieb ich bei ihm stehen, und meine Augen hingen an seinen Lippen.

Da haben wir es! rief er. Also Alles in Richtigkeit.

Was schreibt er? fragte ich.

Er legte den Brief verkehrt auf seinen Tisch und maß mich würdevoll.

Man ist unziemlich neugierig, sagte er, und kümmert sich um ungelegte Eier, statt sich mit den gelegten zu beschäftigen. Man gehe jetzt und sage dem Gottfried, er solle sich bereit machen, sogleich ein Billet an den Major Dumoulin zu tragen.

Mein Aergerniß verwandelte sich in Freudigkeit, denn ich wußte jetzt Alles, der Major sollte kommen, alles Uebrige war mir weit mehr gleichgültig; auch dauerte es keine halbe Stunde, so setzte der alte Diener sich in Bewegung, und ich paßte so gut auf, daß ich ihn richtig abfing, als er zurückkehrte.

Was hat der Major gesagt? fragte ich mit voller Sicherheit.

Es steht Alles hier in dem Brief, antwortete Gottfried, indem er ein Schreiben aus seinem Rocke hervorzog.

Gebe Er nur her, sagte ich, er hat doch den Herrn Major selbst gesprochen?

Ja wohl, versetzte er, ich war in feiner Stube.

Also – er ist doch nicht krank?

Gesund wie ein Fisch, lachte Gottfried.

Und – und weiter hat der Major nichts gesagt?

Nicht ein Wort hat er gesagt.

Ich war sehr gekränkt. Nicht einmal gefragt hatte er nach mir, nicht einmal einen Gruß bestellen lassen. So wenig also galt ich ihm und so leichtsinnig war dieser hochmüthige Herr Major, der ganz miserable Buchstaben machte, welche sich hinter der prächtigen Schrift des Herrn von Clement eben so sehr verstecken mußten, wie sicherlich er selbst gegen diesen geistreichen Diplomaten.

In dem Augenblicke beschloß ich, mich gar nicht mehr um ihn zu bekümmern, gar keine Sehnsucht mehr nach ihm zu haben, ihm seine Nichtachtung mit Zinsen zu bezahlen, und in dieser Stimmung übergab ich meinem Onkel den Brief, der mit demselben würdevollen Schweigen nickte, als er ihn gelesen, doch als ich mich entfernen wollte mir nachrief:

Man warte noch einen Augenblick. Es soll ein Abendessen gemacht werden für drei oder vier Personen, Fisch und Braten – er bestimmte, was er haben wollte. – Im neun Uhr soll Alles fertig sein. Jetzt kann man gehen.

Das heißt also, sagte ich mir, um neun Uhr wird dieser Herr Clement hier eintreffen und mit meinem hochwürdigen frommen Herrn Ohm und mit dem säbelrasselnden Major speisen; ich aber werde vielleicht die Ehre haben, die vierte Person zu sein, wenn ich mich manirlich benehme.

In steigender Erwartung vergingen nun die Stunden, fragen mochte ich nicht mehr, denn ich konnte den Erfolg voraussehen; aus eigenem Antriebe aber erfuhr ich nichts, bis die Dämmerung hereinbrach und Gottfried den Befehl erhielt, den Reisemantel zu bringen und den großen Ueberrock auszubürsten.

Es dauerte auch nicht lange, so rasselte es die Straße herauf, und ein Wagen mit vier Pferden bespannt hielt vor dem Hause. Allein der abscheuliche Major stieg nicht aus, sondern blieb in dem hohen Kasten sitzen. Dagegen kam mein Onkel eilfertig mit Hut und Stock aus seinem Zimmer, sagte im Vorübergehen: Halt Alles bereit, Charlotte, vergiß nichts! und stieg die Treppe hinunter, während Gottfried ihm mit dem Mantel nachlief.

Wie sehr ich nun auch meine Augen anstrengte, ich konnte nicht erkennen, ob Herr von Dumoulin sich wirklich in dem Wagen befand. Nichts von ihm wurde sichtbar, als der Hofprediger Sr. Majestät und erste Consistorialrath einstieg. Hätte der Major höflich sein wollen, so würde er herausgesprungen sein, wie es sich schickte, um meinem Onkel den Vortritt zu lassen, und wie leicht wäre es ihm gewesen, der so rasch auf seinen Füßen war, ein paar Minuten bei mir einzutreten, um sich an meinem Anblick zu erfreuen. Doch er kümmerte sich ja nicht um mich, und voller Zorn ballte ich meine Hände zusammen und drohte dem Wagen nach, als dieser davoneilte, daß die Funken aus dem Pflaster stoben.

Saß denn der Major darin? fragte ich den alten Gottfried, als er zurückkehrte.

Gewiß saß er darin, ganz tief in der Ecke, erwiederte er; und weiß Sie, hochedle Jungfer, wem Wagen und Pferde gehören? Dem Fürsten von Dessau gehören sie. Der Major kann reiten und fahren so viel er Lust hat, er braucht nur nach dem Stall zu schicken und anspannen zu lassen. Der Herr Major ist ein Liebling vom Könige und vom Fürsten, von allen beiden.

Meinetwegen mag er fahren wohin er will, sagte ich spottend, leise aber setzte ich hinzu: Mein Liebling ist er nicht, das denke ich ihm heute noch zu beweisen.

Mit diesen guten Vorsätzen stieg ich in meine Kammer, welche ich nun im Obergeschoß inne hatte, nachdem mir mein artiges Gartenzimmer genommen war, und hier überlegte ich, wie ich es machen sollte, um dem Major zu beweisen, wie wenig mir an ihm gelegen sei, und je mehr ich nachdachte, um so rachsüchtiger wurden meine Pläne. Endlich fing ich an, alle meine Schätze von Schmuck und Kleidern hervorzukramen, und legte das Beste, das ich besaß, mir zurecht; dann lief ich wieder hinab und traf alle Einrichtungen, um den Tisch zu bestellen, und nahm dazu die allerschönsten Dinge, welche ich finden konnte.

Mein Onkel war verheirathet gewesen, besaß jedoch keinen Ehesegen, und vor zwei Jahren war sein herzliebster Schatz gestorben, der eine sorgsame und sparsame Hausfrau gewesen. Da er nun einsam und allein manches Unbehagen fühlte, hatte er mich zu sich gerufen, und ich fand die Schränke wohl gefüllt mit Leinen und Damast und allerlei prächtigem Geräth, auch fand ich Silber in Fülle, denn viele herrliche Geschenke waren dem hohen geistlichen Herrn zugeflossen, und so konnte ich leicht den Tisch gar lieblich ausstatten, mit Krystal und mit Porzellan und mit zwei mächtigen silbernen Armleuchtern, welche ich mit Wachskerzen besteckte.

Als Alles geschehen, daß nichts mehr fehlte, auch in der Küche die getreue Dorothe fleißig ihr Werk verrichtete, eilte ich hinauf und begann nun meinen eiligen Ausputz. Ich besaß freilich nur ein blaues Kleid von Seidenstoff, und obenein war es kein blumiger schwerer Brocat, wie ihn reiche Frauenzimmer trugen, allein er sah doch ganz artig aus, schimmerte mit Flittern gestickt und mit Goldtressen verziert, und dazu konnte ich ein Jäckchen anziehen, dessen weite Aermel mit weißem Atlas gefüttert, und dessen Mieder geschnürt, und der Latz mit Goldfäden schön durchzogen war. Einen feinen Kragen besaß ich ebenfalls, und eine einzige Perlenschnur, um den Hals zu tragen, hatte meine liebe Mutter mir beim Abschied geschenkt. Als ich mein Haar von der Stirn in den Hinterkopf gekämmt und zu beiden Seiten in Puffen und Schleifen gebunden hatte, blickte ich wohlgefällig in den Spiegel, denn ich fand, daß ich ganz darnach aussah, um mein Vorhaben ausführen zu können.

Nun erwartete ich mit Ungeduld, daß es neun Uhr schlagen sollte, aber es war noch nicht ganz so weit, als ich den Wagen hörte, und gleich darauf das Klopfen an der Thür durch's Haus schallte. Mein Herz jedoch klopfte noch weit stürmischer, als ich hinabeilte, die Kerzen auf dem Armleuchter anzündete, dann einen ergriff und bis an den Eingang hinauslief, wo mir die Gäste schon entgegen kamen. Voran ging ein Herr in einen Pelzmantel eingehüllt, welcher sehr kostbar zu sein schien; ihm zur Seite sah ich den Major in seinem langen blauen Soldatenrock, und hinter beiden erschien mein Onkel, der vor Erstaunen mich so stier ansah, als sei ich eine Gespenstererscheinung, denn er hatte mich noch nie in diesem Putz erblickt. Dem Major ging es beinahe ebenso, nur der Fremde nahm seinen Hut ab und verneigte sich vor mir mit einem feinen und anmuthigen Lächeln.

Ich vermuthe, daß Mademoiselle Ihre Tochter ist, hochwürdiger Herr, sagte er halb zu mir, halb zu meinem Onkel gewandt.

Meine Nichte; Herr Chevalier, meine Nichte erwiederte dieser. Das ist unser hochverehrter Gast, Charlotte, der uns die Ehre erzeigen will, in unserem geringen Hause mit dem Wenigen zufrieden zu sein, das wir ihm anbieten können.

Aber der gnädige Herr darf versichert sein, sagte ich mit Lebhaftigkeit, daß er uns von Herzen willkommen ist, und wir Alles thun werden, um uns seine Gnade zu erwerben.

Wo Feen und Genien uns so lieblich empfangen, muß der Himmel sein, antwortete der feine Herr in der artigsten Weise. Erlauben Sie mir, Mademoiselle, zu betheuern,, daß ich mich glücklich preise, einige Zeit in Ihrer Nähe leben zu dürfen.

Mein Onkel bat ihn, Mantel und Hut abzulegen und ein Abendessen einzunehmen, leistete ihm auch eigenhändige Dienste dabei, während ich einen triumphirenden Blick auf den Major warf, der an seinem spitzen Bart drehte und so that, als sähe er mich nicht.

Hätte er freundliche Worte für mich gehabt, so würde ich versöhnlich gewesen sein, allein sein Benehmen verstärkte meine Vorsätze; ich drehte mich stolz meinen Kopf werfend von ihm ab, und nichts konnte erwünschter sein, als daß Herr von Clement sich mir näherte, galant mir seinen Arm reichte und um Erlaubniß bat, mich in das Speisezimmer führen zu dürfen.

Bereitwillig nahm ich seine Höflichkeit an und bemühte mich zu zeigen, wie sehr ich mich dadurch geschmeichelt fühlte. Obwohl ich nun gewiß nicht daran gewöhnt war, mit vornehmen Herren zu speisen und die Honneurs am Tische meines Onkels zu machen, der, solange ich mich in seinem Hause befand, noch keine Gäste darin geladen, so benahm ich mich doch weder verlegen noch unbehülflich, sondern wie ich glaube mit mehr Takt und Sicherheit, als es mancher gelungen sein würde, welche viel größere Uebung hatte.

In jener Zeit aber waren die Frauen überhaupt meistentheils zu untergeordneten Rollen bestimmt, und eben nicht berühmt durch Geist, Witz oder andere glänzende Eigenschaften. Die Tage der verschwenderischen Feste und leichtsinnigen Lebensgenüsse unter der Regierung Friedrichs des Ersten waren vorüber, die lockeren tonangebenden. Damen des Hofes fortgejagt, sammt allen den prächtigen sammet- und goldbedeckten Cavalieren. Der geizige nüchterne König in dem blauen groben Soldatenrock hatte sie ausgetrieben, wie der Cherub aus dem Paradiese, und sein fürchterlicher Rohrstock war das Symbol einer neuen Zeit geworden, welche nichts höher schätzte, als Soldatenmützen und Corporalmanieren, Tabakscollegien und Wildschweinjagden, und darnach auch die Frauen betrachtete und behandelte.

An diesem Abend aber sah ich zum ersten Male einen Herrn von vollendet feinen Sitten, wie diese die französischen Könige bei ihren Hofleuten ausgebildet hatten. Niemals hatte ich einen so schönen jungen Mann von solcher Liebenswürdigkeit betrachten können, wie diesen, der sich fortgesetzt bemühte, mir Artigkeiten zu erweisen, oder schmeichelnde Worte zu sagen, welche mir gefallen sollten. Und Alles an ihm harmonirte mit diesem Benehmen.

Er war von ziemlich zarter Gestalt, schlank gewachsen, und besaß so kleine feine Hände und Füße, daß vornehme Fräulein ihn darum beneiden konnten. Sein Gesicht war oval, alle Züge regelmäßig und edel gebildet, der Mund überaus anmuthig geformt und mit herrlichen Zähnen ausgestattet, die Stirne hoch und schön geformt. Dabei blickte er männlich und frei umher, seine Augen, groß und lebendig, wurden von einem milden wohlthuenden Feuer belebt, und über das Ganze lag ein unwiderstehlicher Ausdruck von Klugheit, Wahrheit und Offenheit ausgegossen, der bezaubernd wirkte.

Er sprach und erzählte aufs Angenehmste und wurde dabei von einem Organe unterstützt, das den Erfolg sicherte. Nie hatte ich eine so reine, wohlklingende Stimme gehört, und wenn man ihn dabei ansah, wirkten die anmuthigen Bewegungen seiner Lippen, sein Lächeln und der Ausdruck seiner Augen derartig mit, daß Ohr und Auge gleichmäßig bestochen wurde. Er hatte viele Höfe besucht, kannte das kaiserliche Wien, London, Paris und den Haag sehr genau, ebenso den Hof des Königs von Polen und Churfürsten von Sachsen, und sprach von den berühmten Staatsmännern und Ministern an jenen ersten Höfen der damaligen Zeit mit derselben Sicherheit, wie von den Schauspielern in Paris, den Sängern und Musikern in Wien, und den Künsten und Künstlern an dem üppigen Hofe in Dresden. Eine Fülle der treffendsten und lustigsten Bemerkungen und Anekdoten ergötzlicher Art wurden seinen Erzählungen eingeflochten, und seine Darstellungen erhielten dadurch so viel Reiz, daß man nicht aufhören konnte, ihm gern zuzuhören.

Meine eigene Theilnahme für den schönen Gast wurde dadurch nicht allein lebhaft gefördert, er verstand es auch, meinen Onkel zu erwärmen. Es zeigte sich, daß er nicht nur Französisch ganz vortrefflich und mit derselben Geläufigkeit wie Deutsch sprach, er verstand auch Latein, was meinen Onkel so erfreute, daß ein Gespräch in dieser classischen Sprache zwischen Beiden entstand, nach welchem mein Onkel seine Bewunderung nicht zurückhalten konnte.

Diese Gefühle steigerten sich jedoch noch mehr, als von den katholischen Mächten und dem Einflusse der katholischen Kirche die Rede war, und Herr von Clement sich Aeußerungen erlaubte, welche keinesweges freundlich klangen. Er schilderte die Einwirkungen der Priester und Beichtväter auf den kaiserlichen Hof, die Wechselwirkungen, welche dadurch hervorgerufen würden, die Politik der Unduldsamkeit, welche vergolten würde durch die Hülfe der Kirche, um die Völker in geistiger Erstarrung und tiefster Unterwürfigkeit zu halten; nichts aber konnte meinem Onkel größeres Entzücken bereiten, als diese Gesinnung zu vernehmen, welche seiner eigenen so gut entsprach.

Major Dumoulin schien dagegen bei Weitem nicht so sehr von dem Herrn Chevalier erbaut. Er warf Fragen auf, welche dies bezeugten, zuletzt die Frage, ob der Herr als ein geborner Ungar nicht selbst zur katholischen Kirche gehöre?

Allerdings, erwiederte Herr von Clement in seiner höflichen und verbindlichen Weise, ich bin Katholik, allein –

Dann ist es zu verwundern, unterbrach ihn der Major, den Herrn derartig reden zu hören.

Es stände doch übel mit der Wahrheit, versetzte der Chevalier lächelnd, wenn wir uns so vor ihr verschließen müßten, lieber in Blindheit zu wandeln, als dem kirchlichen Willen ungehorsam zu sein.

Die Kirche verlangt Gehorsam als erste und heiligste Pflicht, so streng wie der König hier zu Lande, rief Herr von Dumoulin.

Der König verlangt, so viel ich weiß, vor allen Dingen Wahrheit, antwortete der Chevalier, und haßt nichts so sehr wie die Lüge.

Nun, sagte der Major mit spöttischen Mienen, ich wollte doch Niemandem rathen, des Königs Willen nicht zu thun, weil er etwa glaubt, damit gegen die Wahrheit zu handeln. Der König, Herr Chevalier, ist bei uns die höchste Wahrheit und der höchste Wille; wer den nicht befolgen oder wer ihn hintergehen will, dem ist der Galgen in Berlin sicherer, als in Rom der Scheiterhaufen.

Es kam mir vor, als ob Herrn von Clements schönes lächelndes Gesicht bei diesen rauhen Worten sich ein wenig verdunkelte, aber es war nur ein Schatten, welcher darüber hinlief. Er blickte gleich wieder auf und erwiederte in würdiger Weise:

Jedem Gewissen widersteht die Gewalt, welche man ihm aufzwingen möchte, leider aber ist immer noch viel mehr Finsterniß als Licht auf Erden. Davon hat vor wenigen Jahren mein armes Vaterland Ungarn ein Beispiel gegeben. Religiöser Druck und der kaiserliche Absolutismus, der dem Lande seine alten Rechte und Freiheiten entriß, brachten den großen Aufstand hervor, welcher zehn Jahre lang wüthete; und was hat es geholfen, daß vor sieben Jahren endlich beim Friedensschluß den Ungarn die Herstellung ihrer Rechte und den Protestanten Religionsfreiheit zugesichert wurde? Bald waren Priester und Kaiser wiederum gewaltthätiger als vorher. Der edle tapfre Feldherr und Fürst Franz Ragoczy, den das Glück verlassen hatte, mußte vor seinen Verfolgern nach Frankreich entfliehen, vielen Anderen, die bei ihm gestanden, blieb nichts übrig, als das Vaterland ebenfalls zu verlassen.

Waren Sie zu jener Zeit in Ungarn? fragte der Major ihn scharf ansehend.

Ich habe niemals das Schwert getragen, erwiederte Herr von Clement, der die Gedanken des Majors errieth, auch habe ich nicht zu den Verfolgten gehört. Allein ich war in Ungarn, und ich gestehe, daß der Abscheu, den ich damals vor den Handlungen vieler Männer in Priestergewändern und vor den treulosen Versprechungen hoher Herren empfand, viel dazu beigetragen hat, mich von meinen früheren Meinungen abzuwenden.

Sie haben, wie ich gehört, dem aufrührerischen Fürsten Ragoczy beim Utrechter Frieden gedient und seine Sache vertheidigt? fuhr Dumoulin nicht freundlicher fort als vorher. Damals nannten Sie sich Baron von Rosenau.

Ich habe diesem edlen und unglücklichen Herrn mit Freuden gedient, antwortete Clement, und den Namen meiner Mutter dabei angenommen. Leider hatte ich keinen Erfolg, denn der Kaiser besaß große Macht und Einfluß. England und die Generalstaaten standen ihm zur Seite.

Aufrührer müssen ihren Lohn bekommen! rief Dumoulin. Der Kaiser hat genug von ihnen gelitten.

Vergessen Sie nicht, mein werther Herr von Dumoulin, antwortete Clement gelassen lächelnd, daß der König von Preußen, Ihr allergnädigster Monarch, dem Fürsten Ragoczy sein Wohlwollen schenkte, und daß er gegen die fernere Bedrückung der Protestanten die kräftigsten Vorstellungen erhob.

Mein Onkel hatte lange Zeit schon unmuthig das Benehmen des Majors beobachtet, und er erinnerte sich zugleich ebensowohl, was Herr von Marschall ihm erzählte, daß nämlich dieser Baron Rosenau im Haag die schönsten Verbindungen gehabt, auch oftmals vom preußischen Gesandten, Grafen Metternich, und andern Gesandten, nur nicht von den kaiserlichen, eingeladen worden sei, wie er sich auch erinnerte, daß der König selbst ihm diesen Gast übergeben, der ein so feiner, vornehmer und gelehrter Herr war, daß seine Seele sich daran erwärmte. Der Major benahm sich grob und anmaßend gegen ihn, und auch jetzt noch, als mein Onkel sich einmischte und den Herrn von Clement unterstützte, fruchtete dies wenig bei dem trotzigen Offizier, der es nicht unterließ, weiter mißgünstige Bemerkungen und Ausfälle zu machen.

Dabei trank er viel Wein und verspottete den mäßigen und bescheidenen Chevalier, indem er ihm ins Gesicht schrie, daß, wenn er nicht tapfer trinken und rauchen und andere Cavaliertugenden aufweisen könne, er am besten thun würde, so schnell als möglich sich wieder fortzumachen.

Dies ist auch meine Absicht, antwortete Herr von Clement, denn ich habe wichtige Geschäfte im Haag, allein – so wandte er sich zu mir – es wird mir schwer werden, Mademoiselle, dies Haus bald wieder zu verlassen, in welchem ich mit so vieler Güte aufgenommen wurde.

Dann, sagte ich, müssen Sie recht lange bei uns bleiben, so lange es immer angeht.

Würden Sie nicht darüber zürnen? fragte er.

Es könnte uns sicher nichts Angenehmeres geschehen, erwiederte ich nach dem Major blinzelnd, der wie ein Eisblock aussah, was mich innerlich ergötzte. Ich glaube, fügte ich hinzu, daß ich ganz nach den Wünschen meines herzliebsten Herrn Onkels gesprochen habe.

Der hochwürdige Hofprediger bestätigte dies mit wortreicher Verbindlichkeit, ergriff dazu sein Glas und brachte einen Trinkspruch auf das Wohl des Herrn von Clement aus, dessen Aufenthalt in Berlin ein freudenvoller, langer und gesegneter sein möchte.

Der Chevalier bedankte sich in heiterster Weise, und der Major konnte nicht umhin, mit anzustoßen, obwohl man ihm den Zwang gut genug ansah.

Ich will mich bemühen, sagte Herr von Clement darauf, Ihnen so wenig Last zu verursachen, als ich es vermag, und bitte nur, daß Sie, hochwürdigster Herr, und Sie, liebwertheste Mademoiselle, keinerlei Umstände machen, sondern mich als einen unterthänigen Hausgenossen betrachten, den nach nichts so sehr verlangt, als nach Ihrer Zufriedenheit mit ihm.

Mein Onkel war so erfreut über diese Bescheidenheit, welche von den liebenswürdigsten Gebehrden begleitet wurde, daß er dem schönen Gaste die Hand über den Tisch schüttelte und ihm zärtliche Worte sagte.

Glauben Sie auch nicht, gnädigster Herr von Clement, setzte ich hinzu, daß es in dieser Stadt nur Menschen giebt, deren einziges Vergnügen Trinken, Rauchen, Spielen und Fluchen ist. Es giebt, wie ich hoffe, gar Manche, welche noch einige andere Genüsse lieben, die freilich bei Weitem nicht mit einem geistreichen Kartenspiel oder einem vollen Punschnapf zu vergleichen sind.

Bei dieser Spötterei stand der Major auf, denn es war ihm zu viel geworden.

Schade, daß es schon so spät ist und ich Sie verlassen muß, Jungfer Charlotte, rief er höhnisch, somit von allen diesen schönen Genüssen nichts mehr profitiren kann und sie dem Herrn von Clement zu erproben überlassen muß.

Ei, sagte ich, seine Verbeugung erwiedernd, so werden wir morgen einen andern Tag dafür haben.

Ich fürchte, gab er zurück, daß ich niemals Zeit dazu finden werde, allein ich wünsche Ihnen viel Glück zur angenehmen Divertirung.

Damit empfahl er sich in stolzer Haltung, sagte meinem Onkel, daß er noch in dieser Nacht nach Potsdam reiten werde, dem Könige Meldung zu machen, und verließ das Zimmer, ohne nach seiner steifen Verbeugung noch einen Blick auf mich zu werfen.

Eine Bangigkeit überfiel mich nun plötzlich so angstvoll, daß ich ihm gern nachgelaufen wäre und ihn gefragt hätte, warum er so böse und so trotzig sei. Was hatte ich ihm denn gethan? Hatte er mich nicht zuerst beleidigt, und hatte er mich nicht heute wiederum beleidigt? Was wollte denn dieser übermüthige Herr, der mich nicht einmal ansah, nachdem er mir so garstige, höhnende Abschiedswünsche zugeworfen hatte? –

Als mir dies einfiel, fing ich heimlich an zu lachen, denn es flüsterte mir Jemand etwas leise ins Ohr, worüber ich mich erfreute, und dies bewirkte, daß meine Bangigkeit verging und ich anscheinend sehr aufmerksam und theilnehmend den Gesprächen meines Onkels mit dem Herrn von Clement zuhörte, welche noch sehr lange dauerten.


3.

Den nächsten Tag werde ich niemals vergessen. Ich verlebte ihn größtentheils in Gesellschaft unseres Gastes, der mir heute noch schöner und einnehmender erschien, als am Abend vorher. Es machte jedoch wohl auch, daß er sich schöner gekleidet hatte, ganz wie ein vornehmer Herr, der zur nobelsten Gesellschaft gehört. Sein brauner Rock mit den langen breiten Schößen war mit pfirsichblüthenem Sammet ausgeschlagen und mit großen goldeingelegten Perlmutterknöpfen besetzt. Er trug seidene Unterkleider und Schuhe mit blitzenden Schnallen, eine kostbare Busennadel und einen funkelnden Stein am Finger. In diesem Staat bewegte er sich mit vollkommener Freiheit, als kenne er es nicht anders. Alles, was er that und sprach, trug den Stempel feiner Ungezwungenheit, durch welche vornehme Leute sich von denen unterscheiden, welche es gern sein möchten.

Mein Onkel wurde durch seine Erscheinung ganz entzückt, und die ehrfürchtige Hochachtung, mit welcher der Chevalier ihn behandelte, schmeichelte seiner Eitelkeit nicht wenig. Er hatte lange Gespräche mit ihm, welche da anknüpften, wo sie gestern abgebrochen wurden, vorherrschend über die Kirchenparteien im Reiche und im Kaiserstaate, über die Absichten des kaiserlichen Hofes gegen die Protestanten in Schlesien, Ungarn und anderen Kronländern, wie über den Fanatismus mancher geistlichen Reichsfürsten, welche durch den grausamsten Druck ihre protestantischen Unterthanen zu bekehren suchten. Er deutete an, daß dies eine allgemein angenommene Maßregel sei, und daß Absichten dahinter verborgen lägen, welche alle Protestanten, hauptsächlich aber deren Häupter und Führer mit großen Gefahren bedrohten.

Da ich ab und zu ging, konnte ich Manches von diesen Unterhaltungen hören, welche selbst bei Tische nicht schwiegen, obwohl Herr von Clement auch abwechselnd mit mir über ganz andere Dinge sprach und sich an meinen Antworten und Einfällen zu ergötzen schien. Mein Onkel zeigte darüber kein Mißfallen, nicht ein einziges Mal nahm er seine würdige Miene an und behandelte mich eben so wenig in der dritten Person. Da sein verehrter Gast durch mich sich so erheitert zeigte, wirkte dies wohlthuend auf ihn selbst zurück, und er beglückte mich mit aufmunternden Blicken, ja selbst mit einigen Späßen, welche mir seine Zufriedenheit bewiesen.

Auch heute bewunderte ich die Mäßigkeit des Herrn von Clement in allen Genüssen der Tafel, und mein Onkel gab laut seine Verwunderung darüber zu erkennen, indem er behauptete, daß einem Herrn, der bei so vielen Fürsten und Ministern gespeist, der bescheidene Tisch eines armen Geistlichen nicht allzu sehr behagen könne.

Niemals hat es mir besser geschmeckt, hochwürdiger Herr, versetzte Herr von Clement, als in Ihrer mich so beglückenden Nähe, wo mir zur Linken die Weisheit, zur Rechten die Schönheit sitzt, und es kein Wunder wäre, wenn ich wünschen möchte, daß dieser entzückende Zustand ewig dauerte.

Diese schmeichelhafte Aeußerung hinderte jedoch nicht, daß er uns erstaunungswerthe Dinge von den schwelgerischen Festen der großen Höfe, namentlich aus Paris erzählte, wo seit zwei Jahren die Regentschaft des Herzogs von Orleans das sybaritische sittenlose Leben über alle Schranken gebracht hatte. Doch nicht viel anders lautete, was er aus Dresden vom Hoflehen des galanten Königs August mittheilte. Es hatte den größten Reiz, seine Schilderungen zu hören, und mit welcher Genauigkeit er alle Personen und Verhältnisse beschrieb. Dabei malte sich in seinen Mienen eine stolze Verachtung gegen diese Ausschweifungen. Sein tugendhafter Zorn gegen die geschmückten Laster und Lügen ließ sich nicht edler darstellen, es mußte unsere theilnehmende Bewunderung erhöhen.

Am Nachmittag befand ich mich mit ihm allein, da mein Onkel zu sehr an seinen Schlaf gewöhnt war, um diesen aufgeben zu können. Ich beschäftigte mich mit meiner Näharbeit und er setzte sich neben mich, nachdem er um Erlaubniß gebeten hatte, mir Gesellschaft leisten zu dürfen. Diesmal war nun von mir die Rede. Er wußte auf feine Art mich zu Mittheilungen zu bringen, und ich erzählte ihm ohne Fehl die unbedeutenden Schicksale meines Lebens.

Zu gleicher Zeit erfuhr er auch, was ich selbst über meines Onkels Verhältnisse und Stellung wußte, über dessen Ansehen beim Könige und dessen Verbindungen mit Ministern und hohen Herrn. Des Königs erster Günstling und der einflußreichste Mann am Hofe war der General Grumbkow, und wie es schien, wollte er über diesen etwas von mir erfahren; allein ich konnte ihm wenig damit dienen, denn ich hatte mich nicht um solche Herren und Dinge bekümmert. Alles, was ich wußte, hatte ich von Herrn von Dumoulin gehört, der mich zuweilen mit spaßhaften Geschichten unterhielt, welche sich bei Hofe oder in der Stadt zutrugen. Ich verwunderte mich nur, daß der Fürst Leopold von Dessau den General Grumbkow durchaus nicht leiden konnte und ihm die schlimmsten Dinge über seine Geldgier und Genußsucht nachsagte.

Sie beneiden sich Beide, erwiederte er, wie es Günstlinge thun. Aber welcher von ihnen ist der Bessere?

Der Eine wird nicht besser sein als der Andere, versetzte ich, und bei aller ihrer Feindschaft hackt doch zuletzt eine Krähe der anderen die Augen nicht aus.

Er lachte herzlich über meine Antwort, gab mir Recht und hörte dann mit vielem Vergnügen einen drolligen Schwank an, welcher mir einfiel, der dem General kürzlich gespielt war, indem Herr von Grumbkow mit dem Könige von dem Fürsten eingeladen worden war, aber nichts zu essen bekam, als die gröbsten und einfachsten Soldatengerichte.

Sie kennen den König wohl gar nicht? fragte ich ihn darauf.

Nein, erwiederte er, aber ich bin ja gekommen ihn kennen zu lernen! –

Hüten Sie sich vor ihm, sagte ich.

Warum, Mademoiselle Charlotte? erwiederte er.

Ich könnte Ihnen damit antworten, was er selbst darüber gesagt hat, versetzte ich. Am glücklichsten ist der, der weit von mir ab lebt und mich selten oder niemals zu sehen bekommt.

Hat das der König gesagt?

Das hat er gesagt, aber ich habe noch etwas vergessen. Der weit von mir ab lebt und ein gutes Gewissen hat, muß es heißen.

Wer hat Ihnen diese Anekdote erzählt, Mademoiselle Charlotte? fragte er stärker lächelnd.

Der Major von Dumoulin.

Oh, der Major! Er ist, wie es scheint, angesehen bei dem Könige.

Bei ihm sowohl, wie bei dem Fürsten von Dessau.

Seine Augen leuchteten mit hellem Glanz auf, doch nahmen sie schnell wieder ihren sanften Blick an.

Ich danke Ihnen, Mademoiselle Charlotte, sagte er, für Ihre theilnehmende Belehrung, indeß glaube ich mich nicht fürchten zu dürfen, da ich ein gutes Gewissen habe.

Aber man muß auch von dem Könige nichts verlangen, am allerwenigsten Geld, das giebt er nicht heraus.

Ich verlange nichts von ihm und will kein Geld haben, lachte er. Hat Herr von Dumoulin Ihnen das auch vertraut?

Das weiß Jedermann, versetzte ich. Der Major freilich vertheidigt den König, denn er ist in seinem Stabe und bei seiner Leibcompagnie gewesen. Die Herren Soldaten aber sind die Einzigen, denen er sich zuweilen freigebig beweist.

Er schwieg einige Augenblicke und sah mich dann mit allerliebster Miene an.

Dieser Herr Major ist sehr glücklich, Mademoiselle Charlotte, Ihr Freund zu sein, begann er. Wie sehr beneide ich ihn darum.

Herr von Dumoulin ist mein Freund gar nicht, erwiederte ich, doch eben so wenig weiß ich – warum Sie ihn beneiden wollten.

Ist es nicht ein beneidenswerthes Glück, Mademoiselle, Ihr Freund zu sein? fuhr er fort, seine kleine Hand betheuernd auf seine Brust drückend. Ja gewiß ist es das, ich fühle es an der Freude, welche ich darüber empfinde, daß es Herrn von Dumoulin nicht gelungen ist, diesen kostbaren Namen von Ihnen zu erhalten.

Ich wurde roth bei seinen Worten, denn es war mir, als thäte ich etwas Schlechtes, Dumoulin's Freundschaft zu verläugnen. Er hatte mir so lange Zeit Beweise davon gegeben und erst in den legten Tagen eine andere Stimmung angenommen, welche mich unmuthig machte; bei alle dem mußte ich ihn vertheidigen.

Der Herr Major, sagte ich, ist ein sehr ehrenwerther und hochgeachteter Herr, der, so jung er noch ist, doch schon eine wichtige Stellung einnimmt und mehr Kenntnisse besitzt, als viele Generale.

Dazu gehört, was die gelehrten Kenntnisse betrifft, wohl nicht allzuviel, erwiederte er. Die meisten dieser tapferen Generale halten nicht viel von Gelehrsamkeit, wie ich vernommen, und sollen meist selbst in der Kunst zu lesen oder gar zu schreiben kaum bedeutende Fortschritte gemacht haben.

Herr von Dumoulin schreibt sehr schön, unterbrach ich ihn eifrig.

Er hat es Ihnen zuweilen bewiesen, nicht wahr? fuhr er mit demselben anreizenden Lächeln fort.

Ich habe zwei oder drei Briefchen von ihm erhalten, erwiederte ich mit einigem Stolz. Er hat mir mehrmals Bücher geschickt, die schönen Gedichte von Martin Opitz, auch eine andere Sammlung von einem gewissen Günther Johann Christian Günther (1695-1723), bedeutendster deutscher Lyriker des frühen 18. Jh., Vorläufer der Aufklärung. Er starb mit nur 26 Jahren an Tuberkolose., die soeben erst erschienen ist und welche Sie lesen müssen, Herr von Clement, denn es ist das Herrlichste, das es giebt.

Er verbeugte sich beistimmend.

Ich werde Alles thun, was Sie mir befehlen, erwiederte er; aber da Sie die Poeten so gern mögen und deren Bücher lieben, schreiben Sie doch gewiß auch.

Das will ich meinen, ich habe es schon als kleines Mädchen gelernt. Indem ich dies sagte, zog ich ein Schubfach auf, in welchem Christian Günthers Gedichte lagen sammt dem Briefe des Majors und einige Blätter, auf welchen ich die Lieder, die mir zumeist gefielen, abgeschrieben hatte.

Herr von Clement schaute sie an und war nicht sparsam in seinem Lobe über meine Handschrift. Auch des Majors scharfe Schriftzüge gefielen ihm sehr wohl, und von dem Poeten Christian Günther hatte er gehört, daß dieser in Leipzig sich aufhalten und noch ein ganz junger Mann sein sollte.

Meine liebe Mademoiselle Charlotte, sagte er darauf, wie sehr freue ich mich, bei Ihnen so edle Neigungen und Liebhabereien zu entdecken. Da Sie Bücher lieben, wollen wir gemeinsam studiren, und wenn meine großen Koffer von Dresden ankommen, kann ich Ihnen Schriften mittheilen, welche Ihnen Freude machen werden.

Er fragte mich nun, ob ich Französisch verstehe, und auf meine Antwort, daß ich es nicht weit darin gebracht habe, erbot er sich während seines Aufenthaltes mir Unterricht zu ertheilen.

Was war es denn aber, fragte er darauf, was der Herr Major mit den besonderen Genüssen meinte, welche mir in Ihrer holdseligen Nähe bevorstehen, Mademoiselle Charlotte?

O, sagte ich, indem eine Gluth mich übergoß, damit kann er nichts Anderes gemeint haben, als daß ich ein wenig auf dem Spinett spiele und zuweilen wohl auch singe. Allein ich werde mich wohl hüten, Ihnen damit beschwerlich zu fallen.

Lebhaft ergriff er meine Hand, und seine Augen blickten mich bittend an.

Wollen Sie mich büßen lassen, was dieser undankbare Herr verbrochen hat, fragte er? Ihm mag allerdings, wie Sie so treffend sagten, Trinken und Fluchen lieber sein, allein ich, theuerste Mademoiselle Charlotte, ich liebe Musik und Gesang über Alles, bin selbst auch ein wenig mit beiden bekannt und flehe Sie an, mir Ihre Huld nicht zu entziehen. Sie werden den ergebensten und unterthänigsten Bewunderer finden, der die Sünden dieses barbarischen Majors vergüten wird, so viel in seiner Macht steht.

Wiederum schlug mir das Herz bei diesem Schelten auf den armen Dumoulin, der so oft mit Freuden, wenn auch unter allerlei Neckereien, um mich zu anderen herauszufordern, meinem einfältigen Singen zugehört hatte; jetzt wurde er dafür als Barbar verachtet, der nur zu fluchen und zu schwören verstehe.

Ehe ich jedoch seine abermalige Vertheidigung unternehmen konnte, fuhr ein Wagen vor das Haus und ans Fenster eilend erkannte ich sogleich, wer daraus hervorsprang und wer ihm nachfolgte.

Der König! rief ich erschrocken. Er kommt und hat den Major von Dumoulin bei sich. Ich will meinen Onkel bei Zeiten benachrichtigen, damit es ihm nicht so geht, wie das vorige Mal.

Der Chevalier schien von dieser Nachricht durchaus nicht überrascht. Er hob seine Arme graziös auf und grüßte mich. Erst also mit Sr. Majestät ein seriöses Wort, lächelte er, dann aber spielen und singen wir mitsammen. Auf Wiedersehen, meine kunstvolle, schöne Mademoiselle Charlotte.

Indem ich aus der Thür flüchtete, hörte ich den König vom Corridor hereintreten und seine scharfe weithörbare Stimme.

Ist das der Herr von Clement, den Ihr hierher gebracht habt, Major? fragte er, indem er vermuthlich auf den Chevalier zeigte.

Ja, Majestät, antwortete Dumoulin im Soldatentone.

Er hat an mich geschrieben, fuhr der König fort, will mir wichtige Dinge mittheilen. Was hat Er mir zu sagen?

Was ich Ihnen mitzutheilen habe, Sire, versetzte der Chevalier, erfordert, um die Gnade zu bitten, daß Ew. Majestät mich allein hören mögen.

Es folgte eine längere Pause, während welcher der König ohne Zweifel mit seinen runden blauen Augen dem Bittsteller durch alle Näthe sah. Ich zitterte heimlich, denn nicht selten war ein solches Anschauen hinreichend, um ein donnerndes Urtheil zu fällen, allein der Anblick dieser offenen, wunderbar einnehmenden Mienen mußte auf den König dieselbe Wirkung hervorbringen, wie auf so viele andere Menschen.

Geht in das Nebenzimmer, Dumoulin, und bleibt dort bis ich Euch rufe, sagte der König. Sorgt dafür, daß Niemand hereinkommt oder uns behorcht.

Als ich dies hörte, lief ich schnell davon und ohne Aufenthalt zu meinem Onkel, den ich aus seinem vortrefflichen festen Schlaf aufrüttelte. Als er vernahm, der König sei in seinem Hause, fuhr er empor, blieb aber bald bedächtig stehen, und sagte:

Es soll ihn Niemand stören, also werde ich es nicht thun. Mit hohen Herrn ist niemals gut Kirschen essen, am wenigsten mit diesem, das merke dir, mein liebes Kind. Nun will es mir nicht scheinen, als ob unser lieber Gast sehr erfreuliche Nachrichten zu überbringen hätte, obwohl ich nicht weiß, was seine Mysteria für Bewandtnisse haben; allein die auswärtigen Affairen sind weder in Wien, noch in Dresden comfortabel für den König. Geräth er somit darüber in üble Laune, so ist es am wenigsten rathsam, vor seinem Antlitze zu erscheinen, item werde ich mich entfernt halten. Sollte er nach mir forschen, so berichte du ihm, daß ich in Amtsgeschäften leider abwesend, nicht der allerhöchsten Gnade theilhaftig zu werden vermöge.

Und ich, herzliebster Herr Oheim, fiel ich belustigt ein, ich soll mich seinem Zorne aussetzen und dem Sprüchworte nach der Affe sein, der die Kastanien aus dem Feuer holt?

Man ist auch ein Affe! versetzte er, denn man grinst wie ein Affe bei den ernsthaftesten Dingen.

Und seine Imperatormiene mit einem Handausstrecken nach der Thür begleitend, fügte er hinzu:

Man gehe jetzt ohne weiteren Widerspruch und störe meine Ruhe nicht länger.

So zog sich der Herr Hofprediger aus der Affaire und handelte klüglich wie ein Diplomat, der jede mögliche unangenehme Berührung vermeidet. Er wußte aber auch aus Erfahrung genugsam, daß der König, wenn er in üble Laune versetzt wurde, nach einem Gegenstand dürstete, an welchem er seinen Zorn auslassen konnte; christlicher erschien es ihm daher, lieber mich dafür vorzuschieben, als sich selbst ihm entgegenzustellen.

Als ich hinaus war, schloß er die Thür von innen ab und brachte sich dadurch in vollständige Sicherheit, was meine Lust vermehrte. Was konnte mir denn der König thun, mochte er auch der übelsten Laune sein? Er war zwar tyrannisch genug, und man erzählte manche fürchterliche Geschichte, wie er seine Diener behandelte, mit Leuten umging, die ihre Bittschriften überreichen wollten, oder selbst auf offener Straße Menschen tractirte, die etwas thaten, was ihm nicht gefiel; aber alle diese schrecklichen Erinnerungen fochten mich wenig an. Meine Neugier war weit größer, als meine Furcht, und mit dem Könige beschäftigte sich diese weit weniger, als mit seinem Begleiter. Ob der König Gutes oder Schlimmes von dem Herrn von Clement erfuhr, und was es sein möge, schien mir gleichgültig, aber ob er noch da sei, wollte ich wissen, denn in diesem Falle war ja auch der Major von Dumoulin noch im Hause, in jenem Zimmer, wohin er ihn als Wache postirt hatte, und dies hatte für mich weit größeres Interesse, als alles Uebrige.

Leise schlich ich an die Thür und legte zuerst mein Ohr daran, allein ich konnte nicht das geringste Geräusch hören, als ich mich jedoch bis an das Schlüsselloch bückte, sah ich mir gerade gegenüber den Major sitzen. Er hatte den Kopf in einer Hand, den Arm auf den Tisch gestützt, in der anderen Hand hielt er etwas, das er unverwandt betrachtete. Ich konnte nicht recht erkennen, was es war, plötzlich aber hob er den Gegenstand auf und sein Gesicht belebte sich, mit einer raschen Bewegung drückte er ihn an seine Lippen.

Welch Entzücken für mich! Es war der Spitzenkragen, an welchem ich gearbeitet hatte. Ein wonniges Leben rauschte durch mein Herz, ich hätte aufschreien, ein lautes Gelächter anstimmen mögen, all mein Aergerniß hatte ein Ende; doch ich besann mich zur rechten Zeit. Aber ich mußte ihn sehen, mußte ihm mein versöhntes frohes Gesicht zeigen, er mußte wissen, daß ich ihm Alles verziehen hatte. Ganz leise öffnete ich die Thür, sah hinein und schlüpfte meinem Kopfe nach.

Als er mich erblickte, sprang er auf und versteckte den Kragen, den er in seiner Hand zusammendrückte. Er sah verlegen und erfreut aus, warf einen Blick auf die Nebenthür und kam auf mich zu, indem er leise flüsterte:

Gehen Sie hinaus, liebe Jungfer Charlotte. Der König ist hier, wenn Sie es noch nicht wissen.

Ich weiß es allerdings, erwiederte ich eben so leise, ich wollte nur zusehen, ob der Herr Major sich gut unterhielt.

Ich unterhalte mich so gut ich kann, erwiederte er, indem ich – hier brach er ab, allein seine Augen drückten aus, was er verschwieg.

Ei, sagte ich, es muß eine angenehme Unterhaltung gewesen sein. Was sieht denn dort aus Ihrer Hand hervor?

Er warf den Kragen auf den Tisch und wollte ein ernstes Gesicht machen, doch als er das meinige sah, gelang es ihm nicht.

Ist das die Art, sagte ich, indem ich mich des Kragens bemächtigte, wie der Herr Major sich zu unterhalten versteht?

Die beste, die schönste, welche mir zu Gebote stand, antwortete er, indem er meine Hände festhielt, denn ich dachte dabei an die, welche diese artige Arbeit gefertigt hat.

Und Sie behandelten die Arbeit eben so, wie die arme Arbeiterin, mein böser Herr, der Sie so launenvoll und ingrimmig sind, wie Ihr erhabener Gebieter da drinnen.

Liebe theure Charlotte, flüsterte er mir zu, ich bin freilich, wie Sie wissen, ein Barbar und arger Sünder, aber – der Teufel soll mich holen –

Pfui! fiel ich ein, wie mögen Sie ein so abscheuliches Wort in der Wohnung des ersten Hofpredigers Sr. Majestät und vor den Ohren dessen frommer Nichte gebrauchen! Ja, Sie sind ein Barbar, das behauptete nicht ich allein, sondern auch Herr von Clement bat es mir bestätigt.

Wie hat dieser schleichende Bursche sich unterstehen können, mich so zu nennen! versetzte er. Sie haben ihn dazu wohl aufgefordert?

Er hat ganz recht daran gethan, erwiederte ich, denn haben Sie mich nicht gestern erst schrecklich beleidigt und als ein eingefleischter Barbar sich bewiesen? Haben Sie nicht alle Genüsse in meiner einfältigen Nähe ihm großmüthig zuerkannt und sich höhnisch davor für alle Zeiten bewahrt?

Ich sah, wie zufrieden Sie damit waren, unterbrach er mich, wie Sie – o! verdammt sei dieser geleckte Kerl, der uns an den Hals geschleudert wird. Aber das ist so ein Leckerbissen für junge Frauenzimmer, welche sich gern schmeicheln und bewundern lassen, solch luftiger Patron im Sammetröckchen, gepudert und frisirt, nach Pomaden duftend wie eine Tibetkatze, dabei wie ein Schoßhund geschmeidig und mit allen Hunden gehetzt.

Wer wird doch so neidisch sein, versetzte ich lachend. Ich habe die Pflicht, diesem schönen Herrn zu gefallen, und er verdient es auch, denn er ist kein Barbar, sondern hat mir erlaubt ihm vorzusingen und zu spielen, Bücher mit ihm zu lesen und Französisch von ihm zu lernen.

Nichts weiter? fragte er mit seiner gewöhnlichen Spötterei. Liebste Jungfer Charlotte, thun Sie es nicht, Sie könnten gar zu viel lernen. Von mir allerdings nichts weiter als fluchen und schwören, dennoch ist dies zuweilen besser als Anderes, das schöner aussieht, und wenn ich auch ein ganz abscheulicher, unverbesserlicher Sünder bin, so sind meine Schwüre doch niemals falsch, und darunter ist Einer Einer, liebwertheste Charlotte –

Er hielt inne und preßte meine Hand fester, denn im Nebenzimmer wurde es plötzlich laut. Des Königs durchdringende Stimme rief mit größter Heftigkeit:

Ist das Alles wahr, was er vorbringt? Kann Er es bei seiner Ehre und Seligkeit beschwören?

Beschwören und beweisen, Majestät, antwortete der Chevalier.

So beweise Er es, aber Gott gnade Ihm, wenn Er das nicht vermag! fuhr der König fort.

Ich werde Ew. Majestät schon in wenigen Tagen, sobald meine Koffer hier sind, Beweise vorlegen können, welche meine Mittheilungen bewahrheiten werden, erwiederte Herr von Clement. Der Himmel ist mein Zeuge, daß sich alles so verhält, wie ich es berichte.

Ich glaube Ihm, erwiederte der König. Er sieht aus wie ein ehrlicher Mann. Schweige Er gegen jeden Menschen, auch hier im Hause. Keiner soll sich unterstehen –

Oho! ich will gleich dafür sorgen.

Wir hörten seine harten hastigen Schritte, und Dumoulin flüsterte mir zu:

Geschwind fort! Ein ander Mal von meinen Schwüren!

Allein ich würde die Thüre nicht erreicht haben, der König hätte mich sicherlich erwischt, deshalb schlüpfte ich schnell hinter den großen Schrank, der am Ofen stand und hinter diesen selbst, welcher eine sogenannte Hölle Hölle: Raum, der etwas verbergen oder verhüllen soll, so auch beispielsweise der Abfallraum im Schneidertisch, oder wie hier, der Raum zwischen Ofen und Wand. frei ließ.

Kaum war ich geborgen, so trat der König herein. Er war in Uniform mit Schärpe und Degen, und wie ich durch den Spalt sein Gesicht sah, zitterte ich davor, denn er sah entsetzlich roth aus. Seine Augen funkelten und sein Gang und seine Haltung drückten aus, in welcher heftigen Aufregung er sich befand.

Wenn er mich hier fände! fiel mir ein, dann mit größerer Angst zagte ich um meinen Freund. –

Der König ging dicht auf den Major zu und sah ihm nach seiner Weise starr ins Gesicht. Dumoulin stand aufgerichtet ohne mit den Augen zu zucken.

Habt Ihr Niemand hereingelassen? fragte der König.

Nein, Majestät, antwortete er, was er auch mit gutem Gewissen thun konnte, denn ich war von selbst gekommen.

Habt Ihr selbst gehört, was dort drinnen gesprochen wurde? fuhr er fort.

Weniges nur, was Ew. Majestät zuletzt sprachen.

Bei Todesstrafe befehle ich Euch, daß nichts davon über Eure Lippen kommt! Und hört – geht hinunter und sagt es meinen Leuten: der Erste, der ein Wort davon spricht, wo ich gewesen bin, soll ohne Erbarmen aufgehängt werden, wie ein Hund! Geht und erwartet mich.

Dumoulin ging hinaus, der König wandte sich um, Herr von Clement stand an der offenen Thür.

Kommt her, begann der König und sagt mir aufrichtig, warum Ihr zu mir gekommen seid und mir diese Schandthaten anvertraut habt.

Weil es Schandthaten sind, Majestät, gegen welche mein Gewissen sich empört, antwortete Herr von Clement; weil ich die schrecklichen Folgen bedachte, welche die Ausführung des abscheulichen Anschlages haben müßte; endlich auch daß ich es sagen muß, Sire, weil ich den heftigsten Widerwillen gegen die katholische Religion, gegen die Ränke der Jesuiten und gegen die Verschwörungen der katholischen Höfe hege. Dies Alles bewog mich zu dem Entschlusse, Ew. Majestät meine Beobachtungen zu entdecken.

Aber Ihr seid selbst Katholik, versetzte der König mißtrauisch, fast in derselben Weise wie Dumoulin.

Mein innigster höchster Wunsch ist es, antwortete Clement in fast schwärmerischem Tone und seine Hände zusammenfaltend, zum protestantischen Glauben überzutreten. Ich bitte Ew. Majestät in Unterthänigkeit, mir deshalb einen zeitweiligen Aufenthalt in Berlin zu gestatten.

Bleibe Er hier, sagte der König wohlwollend, es freut mich, wenn Er den gereinigten Glauben annehmen will. Rede Er mit Jablonski, der wird ihm dazu verhelfen. – Er hat mir einen Dienst erzeigt, den ich ihm gerne vergelten will. Er soll es nicht umsonst gethan haben.

Ich danke Ew. Majestät von ganzem Herzen, antwortete Herr von Clement, allein ich verdiene weder Dank noch Lohn, denn ich habe nichts gethan, was solchen beanspruchen könnte.

Dem Könige schien diese Bescheidenheit besonders zu gefallen.

Er meint es gut mit mir, sagte er, aber ich will Ihm nichts schuldig bleiben. Jetzt schaffe Er mir die Briefe, sobald er kann, das ist nothwendig. Bei Jablonski kann Er wohnen bleiben, wenn Er will und wenn es Ihm gefällt.

Ich könnte nirgends mich glücklicher fühlen, als in der Nähe dieses gelehrten und frommen Geistlichen, erwiederte Herr von Clement, von dem ich hoffe, daß er meine Bitte, mich in den Schooß der reformirten Kirche aufzunehmen, nicht zurückweisen wird.

Dafür laß Er mich sorgen, sagte der König, und jetzt lebe Er wohl. Wir sehen uns bald wieder.

So endete diese Zusammenkunft, der König entfernte sich. Clement stand einige Augenblicke nachdenklich, dann zog er sein Taschentuch heraus, wischte sich über das Gesicht und ich hörte ihn leise lachen.

Er soll mehr haben, als nöthig ist, sagte er, ich will ihm die untrüglichsten Beweise liefern.


4.

Unbemerkt war ich entkommen, aber die sonderbarsten Vorstellungen gingen mir im Kopfe herum. Es mußte etwas ungemein Gefährliches und Schreckliches sein, was unser liebenswürdiger Gast dem Könige vertraut hatte. Obwohl ich mir keine rechte Vorstellung davon machen konnte, so waren doch die Aeußerungen, welche ich gehört hatte, genügend, um zu wissen, daß es sich um Schandthaten und Anschläge handelte, die von den mächtigsten Herren gegen den König angezettelt waren.

Zugleich fiel mir ein, daß ich jede Wissenschaft vermeiden mußte. Der König hatte den Major mit dem Tode bedroht; ich entsetzte mich vor dem Gedanken, daß ein unbedachtes Wort diesen verrathen könnte, denn ich zweifelte nicht daran, daß dieser grausame Monarch sein Wort wahr machen würde, wenn er heraus bekäme, daß ich im Zimmer, und obenein darin versteckt mich befand, als er Dumoulin examinirte. Niemals würde er die Antwort des Majors vergeben haben, der freilich die Frage ganz richtig beantwortete, allein, um mich zu schonen, gedeutelt und gedreht, nicht wie der König es meinte.

Aber Dumoulin konnte nicht anders, ich vertheidigte ihn mit siegreichen Gründen; denn es kann von keinem Menschen gefordert werden, daß er sich selbst und Andere verderben soll, wenn es in seiner Macht steht, sich zu retten. Obenein nicht einmal durch eine Nothlüge, sondern durch eine wortgetreue Antwort auf eine gestellte Frage.

Dumoulin hatte weise und gerecht gehandelt, auch war er ganz unschuldig, alle Schuld fiel auf mich; doch auch ich war unschuldig, denn was gingen mich des Königs Geheimnisse an, um welche ich wahrlich nicht gekommen war. Wenn ich den Major mit meiner Stickerei nicht gesehen hätte, nicht alles Andere darüber vergessen hätte, würde ich mich wohl gehütet haben hineinzugehen.

Und um welches Glück hatte mich der zornige König gebracht! Ich hatte nicht erfahren können, wie der eine kostbare Schwur meines lieben Freundes lautete, doch in meiner Brust wurde es dabei so heiß wie brennend Feuer und meine sehnsüchtige Dankbarkeit so groß, daß ich hätte zu ihm fliegen mögen, um diesen entzückenden Schwur zu hören.

Allein auch davon durfte Niemand das Geringste erfahren; ich mußte Alle täuschen, und wenn dies bei meinem gelehrten Oheim nicht schwer fiel, so war der kluge Herr von Clement doch gar sehr zu fürchten, sobald ich meine bisherige Unbefangenheit im Geringsten verlor. Mit dieser Ueberzeugung nahm ich mir fest vor, auf meiner Hut zu sein, und so weit war ich doch von Dumoulin's Abneigung gegen den galanten Gast angesteckt worden, daß ich ein heimlich Mißtrauen empfand, wozu vielleicht auch die Scene beitrug, welche ich soeben mit angesehen und noch mehr gehört hatte.

Als ich nach einer Stunde mich mit ihm bei meinem Onkel zusammen fand, trat dies Gefühl allerdings sehr weit zurück, denn seine Nähe wirkte so gewinnend und überzeugend, die Liebenswürdigkeit seines Benehmens so verlockend, und sein edles Gesicht strahlte so herrlich von den besten Eigenschaften des Herzens und des Geistes, daß kein abgünstiger Gedanke davor bestehen konnte.

Er hatte mit meinem Onkel von seiner Unterredung mit dem Könige gesprochen und es beklagt, ihm zunächst keine nähere Mittheilung machen zu können, da der König ihm Schweigen befohlen habe. Aber er hatte ihm auch seinen Wunsch mitgetheilt, zur reformirten Kirche überzutreten, und ihn gebeten, ihn aufzunehmen. Der fromme Hofprediger war darüber entzückt vor Wonne.

Es kam selten vor, daß ein Katholik einen solchen Schritt that, um so öfter wurden ganze Schaaren Protestanten mit Güte und Ueberredungen, oder durch Vortheile oder Druck bestimmt, in den Schooß der allein seligmachenden Kirche zurückzukehren. Der Erzbischof von Salzburg hielt damals eben eine wahre Hetzjagd gegen seine protestantischen Unterthanen, und der Bischof von Münster machte es ihm nach, zum heftigsten Zorn des Königs, welcher zwölf Jahre später mehr als zwanzig Tausend vertriebene Salzburger aufnahm und mit ihnen das wüste preußische Litthauen zu einem fruchtbaren Lande machte. –

Einen vornehmen katholischen Herrn, einen Diplomaten von so hohen Gaben abfallen zu sehen von dem großen Babel, mußte meinen Onkel auf's Höchste erfreuen. Herr von Clement hätte dafür von ihm fordern mögen, was er wollte, er würde nicht gezögert haben; er hätte ihm auch die fabelhaftesten Geschichten erzählen können, er würde diese unbedingt geglaubt haben; denn sein Vertrauen wuchs dadurch ins Unendliche. Der Chevalier überhob sich jedoch nicht, er dankte bescheidentlich mit den innigsten Worten für meines Onkels Bereitwilligkeit, ihm sofort den nöthigen Unterricht zu ertheilen, und mit derselben ehrfürchtigen Hochachtung besprach er dann seine Absicht, eine andere Wohnung zu suchen, um dem hochgelehrten Herrn nicht länger lästig zu fallen.

Bei dieser Gelegenheit fing mein heimlich Mißtrauen wiederum sich zu regen an. Ich hatte es gehört, was er über seinen fortgesetzten Aufenthalt bei uns mit dem Könige verhandelt und wie diese Sache vollkommen abgemacht war. Erst sträubte er sich gegen alle dringenden Bitten meines Onkels, welcher darauf bestand, daß er unser lieber Gast bleiben müsse, und als er endlich unter den feinsten Schmeicheleien sich wankend zeigte, wandte er sich an mich mit einer gewissen Traurigkeit, die ihm allerdings vortrefflich stand.

Würden nicht auch Sie, theuerste Mademoiselle Charlotte, sagte er, mir beipflichten, daß ich die liebliche Stille dieses Hauses nicht länger stören darf? Sie werden freilich, wie artige Frauenzimmer es thun, lieber höflich als wahrhaft sein wollen, allein ich fühle es wohl, daß es besser ist, wenn ich das Glück, das mir geboten wird, der Nothwendigkeit opfere.

Diese Worte hatten einen dunklen Hintergrund, und seine Blicke ruhten so forschend auf mir, als wollte er beobachten, was in meines Herzens Grunde vorgehen möge. Ich ließ mir jedoch nichts merken, sondern machte ihm einen schönen Knix und sagte dabei:

Sie haben wahrlich ein kurzes Gedächtniß, mein gnädiger Herr, sonst würden Sie nicht vergessen haben, was erst vor wenigen Stunden zwischen uns verabredet wurde. Was sollte denn aus meinem Französisch werden, und wer sollte mein armseliges Singen bewundern, wenn Sie so grausam sein wollen, Ihr Wort nicht zu halten?

Mit beiden Händen ergriff er meine Hand, führte diese an seine Lippen und verwandelte seine traurige Miene in eine entzückte.

Wie himmlisch gut Sie sind, Mademoiselle Charlotte, sagte er, und wie liebenswürdig mitleidig wissen Sie mich zu trösten! So werde ich denn bleiben, weil Sie es mir befehlen, denn selbst auf die Gefahr hin, doch bald zu mißfallen, vermöchte ich nicht Ihnen jemals ungehorsam zu sein.

Solche honigsüße Reden konnte ein so feiner Cavalier wohl aussprechen, es war die galante Sprache jener Zeit, welche freilich jetzt in Berlin selten geworden. Mein Onkel aber kannte sie aus den Tagen der Vergangenheit und ich ließ sie mir gefallen und erwiederte sie in meiner Weise.

Wir spielten und fangen auch noch an diesem Abend gemeinsam, allein zwischen unserer Kunst war ein großer Unterschied. Ich hatte, was ich wußte, von meiner Mutter gelernt, und viel war es sicherlich nicht, denn Alles beschränkte sich auf eine Anzahl gewöhnlicher Lieder, welche ich auf dem Spinett begleiten konnte.

Wie wenig war aber auch damals in Deutschland für alle Kunst und so auch für die Musik gethan! Für das Ausland war es ja das Land der Barbarei, und gar nicht lange war es her, wo am Hofe Friedrichs des Ersten ein hochmüthiger Franzose öffentlich behaupten durfte, ein Deutscher könne niemals feine Bildung besitzen. Die Sprache wurde verachtet, wer vornehm sein wollte, spickte sie mit lateinischen und französischen Worten, für Gesang hielt man die rauhe deutsche Kehle unfähig, die Schauspiele waren unfläthige Possenreißereien, die ersten königlich preußischen Hofkomödianten, welche es seit der Erschaffung der Welt gab, der starke Mann Eggeberg und seine Truppe, ließen sich eben in diesem Jahre in Berlin sehen und hören, und alle Beamten mußten bei hoher Strafe Billete kaufen.

Wie es mit meiner Kunst somit beschaffen war, kann Jedermann sich vorstellen. Herr von Clement dagegen hatte in Wien, Paris und Dresden die vorzüglichsten italienischen Sänger und Musiker gehört, welche es gab, auch eigene Studien unter Leitung vorzüglicher Lehrer gemacht. Er besaß eine schöne, klangvolle Stimme, und seine feinen weißen Finger wußten die kunstvollsten Melodien, Opernstücke und italienische Arien aus dem unvollkommenen schlechten Instrument zu locken. Ihm zuzuhören war daher ein großer Genuß. Die italienische weiche Sprache drang lieblich in mein Ohr, und wie rein und herrlich sprach er die Worte. Ohne sie zu verstehen, mußte man in Entzücken gerathen.

Auch darin wollte er mich unterrichten, und schon am darauf folgenden Tage fingen wir wirklich verschiedene Stunden an, in denen ich gewiß Mancherlei lernen konnte, denn er gab mir gute Lehren und Rathschläge, aber im Ganzen war unser Beisammensein doch ganz anderen Dingen gewidmet. Wenn er mir die Finger besser setzte, sagte er mir schöne Worte und strafte meine Fehler in lustigster und zärtlichster Weise. Zeigte er mir, wie ich singen müßte, so that er es mit Schmeicheleien über meine Lippen, oder er neckte mich mit meiner schnellen und gelenkigen Zunge. Zuletzt löste sich der ganze Unterricht daher immer in Scherz und Lachen auf, bis ich endlich fortlief, denn zuweilen fiel mir plötzlich Dumoulin ein mit seinem Schwur, den ich nicht gehört hatte, oder er schwebte mir vor mit seinem stolzen Gesicht und den feurigen Augen, die mich so seltsam angeblickt hatten, als er vor der Wuth des Königs mich bewahrte.

Es vergingen einige Tage und während dessen veränderte sich Einiges. Herr von Clement hütete nicht mehr ganz strenge das Haus, er ging auch zuweilen des Abends aus. Mein Onkel machte ihn mit einigen seiner Freunde bekannt, denen er ihn vorstellte als einen ungarischen Edelmann, welcher ihm empfohlen worden sei, und es fiel nicht auf, daß derselbe in einem Privathause wohnte; denn solches war gewöhnlich der Fall, und in Berlin nicht mehr als ein Gasthof zu finden. Außerdem besuchte der Chevalier auch den Geheimerath Marschall von Bieberstein, einen sehr klugen und schlauen alten Herrn, welcher ihn aufs Freundlichste empfing und wo er andere Personen kennen lernte, denen jedoch alles verborgen blieb, was ihn nach Berlin gebracht hatte.

Endlich kamen auch die beiden großen Koffer aus Dresden an, und als sie von einem Postknechte in unser Haus gebracht wurden, – denn Herr von Clement hatte sie an meinen Onkel adressirt, – lief ich in sein Zimmer, um ihm diese freudige Nachricht zu bringen. Er hatte sich besorgt darüber gezeigt, daß sie noch nicht angekommen waren.

Ich fand ihn an einem Tische sitzen und schreiben, emsig auf seine Arbeit niedergebeugt, der er seine ganze Sorgfalt zu widmen schien. Als ich jedoch in meiner ungestümen Art die Thür öffnete, hastig und hart die Klinke fassend, sprang er auf und warf die Feder fort. Dies unmanierliche Eindringen hatte ihn erschreckt, und ich entschuldigte mich, so gut ich konnte, mit meiner Meldung. Ehe ich jedoch dazu kam, war er schon wieder der heitere ungezwungene Herr.

Was könnte mir wohl lieber sein, als Sie zu sehen, liebreizende Mademoiselle Charlotte, sagte er, aber es ist sonderbar, wie das Unerwartete uns überraschen kann. Ich glaubte, meine Thür fest verschlossen zu haben, doch Engel und Feen kehren sich nicht an verschlossene Thüren.

Noch viel schlimmer ist es mit den bösen Geistern, welche hereindringen, ehe man es sich versieht, antwortete ich. Wenn der gnädige Herr jedoch künftig vor unbesonnenen jungen Frauenzimmern sicher sein will, so beliebe er den Schlüssel zweimal herumzudrehen.

Ich würde das Schloß zerbrechen, rief er, wenn ich wüßte, daß es jemals so neidisch sein wollte, meine werthgeschätzte Freundin von mir zu trennen. Bleiben Sie, theuerste Mademoiselle Charlotte; die Sonne, welche uns erwärmt, darf nicht so schnell uns wieder ihre Strahlen entziehen.

Die beiden großen Koffer wurden eben hereingebracht. Herr von Clement schien sehr erfreut, als er sie sah, und als er den Postknecht beschenkt und dieser sich entfernt hatte, betrachtete er die Schlösser und überzeugte sich, daß Alles in wohlverwahrtem Zustande sich befand.

Was haben Sie doch in diesen großmächtigen Koffern? fragte ich.

Schätze, antwortete er lächelnd, sehr große wichtige Schätze, welche mich sehr reich machen könnten, wenn ich danach trachtete. Was würde es mir jedoch helfen, mir, dem Fremdling, der über die Erde irrt, wie ein Blatt im Winde, ohne Rast und Ruhe zu finden. Wenn ich klagen wollte, ja wenn ich klagen wollte, Mademoiselle Charlotte, würde ich wie der große Dichter Milton den Schrei erheben müssen, daß von so vielen Millionen Herzen mir auch nicht eines angehört.

Seine schmerzhafte Miene und diese trauernden Worte drückten so viele Wehmuth aus, daß ich davon nicht unberührt blieb.

Oh! rief ich tröstend, das muß ein so junger, schöner und vornehmer Herr nicht sagen, der so viele Freunde in der Welt hat.

Freunde, antwortete er, den Kopf schüttelnd und trübe lächelnd, das eben ist es, was mir fehlt. Sie dürfen nicht glauben, Mademoiselle Charlotte, daß die Leute in glänzenden Gewändern viele Freunde besitzen. Je höher man steigt, um so öder wird es umher, bis zu den Herrschern, die auf ihren Thronen nichts brauchen können, als schlaue und unterthänige Diener, welche ihre Befehle vollziehen, oder Pläne aussinnen helfen, wie man Land und Leute erobert, andere Fürsten überlistet und Verderben über Völker und Staaten bringt.

Ich war erstaunt, ihn so reden zu hören, und er mußte das wohl bemerken. Er nickte mir lächelnd zu, als wollte er es bekräftigen und fuhr dabei fort:

Es muß Gottes Wille sein, sonst könnte es nicht geschehen; doch eben so wohl ist es auch Gottes Wille, daß die Freunde dort nicht gedeihen, wo es nur Herren und Knechte giebt, und wenn man das weiß, Mademoiselle Charlotte, muß man suchen, ein so treuer, angenehmer und gut belohnter Knecht zu sein, wie es irgend angeht.

Sie sehen nicht danach aus, um nach Ihren guten Lehren zu verfahren, antwortete ich ihm.

Meinen Sie nicht, erwiederte er, daß ich für solche Rolle passe?

Nein, ich möchte darauf wetten.

Daß ich nicht lügen und betrügen kann?

Daß Sie auch hohen Herren kein Knecht, sondern ein Freund sein wollen.

Oh! rief er, Sie lieben die Poeten, welche die Freundschaft verherrlichen und diese als den Gipfel aller edlen und göttlichen Eigenschaften der Menschen preisen. Somit denken Sie darüber anders, als der hochberühmte Dichter Addison in London, der die menschliche Freundschaft für nichts als für Bündnisse der Menschen zum Vergnügen oder zum Laster erklärte. Machen Sie kein so ernsthaftes Gesicht, Mademoiselle Charlotte, ich stelle die Freundschaft wahrlich viel höher, aber sie ist seltener denn weiße Raben, und diejenigen sind wohl nicht im Unrecht, die da meinen, es sei leichter eine Geliebte zu gewinnen, als einen Freund.

Die Art, wie er mich dabei ansah, machte, daß ich versicherte, keine Erfahrungen darin zu besitzen, um dies beantworten zu können.

Wirklich nicht? fuhr er mich lebhaft betrachtend fort. Hat Mademoiselle Charlotte ihr himmlisches Herz noch niemals einem beglückten Sterblichen geschenkt?

Ich bin viel zu arm, um Geschenke zu machen, erwiederte ich.

Dieser Schatz ist auch zu groß! rief er meine Hände ergreifend. Der Glückliche ist beneidenswerth, dem er zu Theil wird, allein wer könnte den Wünschen widerstehen, danach trachten zu dürfen?

Ziemlich ungestüm zog ich mich zurück, denn seine Blicke begannen mich mehr zu beunruhigen, als seine Worte. Indem ich nun nach der Thür eilte, um mich zu entfernen, hörte ich außen auf dem Gange Schritte, welche mich noch weit mehr erschreckten, und ehe die Gluth, welche mein Gesicht übergoß, sich mildern konnte, sah ich Dumoulin hereintreten. Bei mir vorüber gehend machte er mir eine leichte Verbeugung, und da er mich anblickte, funkelte ein übermüthiger Spott in seinen Augen. Er hielt sich jedoch nicht auf, sondern näherte sich dem Herrn von Clement, den er mit militärischem Anstande begrüßte.

Der König hat mir Ordre ertheilt, mein Herr, sagte er. Ich bin beauftragt worden, mich zu erkundigen, ob die Befehle Sr. Majestät vollzogen sind.

Sie sind erfüllt, Herr Major, erwiederte der Chevalier. Melden Sie Sr. Majestät, es sei Alles bereit.

Der Major erneute seinen Gruß und schickte sich darauf zum Gehen an, aber Herr von Clement hielt ihn auf. Ich habe seit mehreren Tagen das Vergnügen nicht gehabt, Sie zu sehen, begann er.

Geschäfte behinderten mich, versetzte Dumoulin, ich hoffe jedoch, daß die Zeit Ihnen um dessentwegen nicht weniger angenehm vergangen ist.

Gewiß ist mir diese so angenehm vergangen, wie noch selten in meinem Leben, versetzte Herr von Clement, da ich in der besten und liebenswürdigsten Gesellschaft bin, welche mich sehr glücklich machte.

Ich sagte es Ihnen vorher, antwortete her Major, indem er sich ein wenig nach mir hinwandte.

Und dies Glück haben Sie freiwillig aufgeben können? fragte Herr von Clement.

Freiwillig nimmermehr! rief Dumoulin. Ich gehöre nicht zu denen, mein Herr, welche aufgeben, was sie festhalten wollen. Nur die Umstände haben mich leider dazu gezwungen, mich entfernt zu halten. Der Fürst von Dessau ist aus seinem Lande hier angekommen, drei Tage lang war ich in Dienst und Arbeit, und morgen kommt der König.

Er ist somit noch nicht hier? fragte der Chevalier. Sagten Sie nicht so eben, daß Sie beauftragt seien?

Durch schriftliche Ordre, erwiederte der Major. Zweifeln Sie etwa daran?

Nicht im Geringsten, entschuldigte sich Herr von Clement aufs Höflichste.

Hier ist der Befehl, fuhr der Major fort, indem er ein gefaltetes Papier aus seiner Tasche nahm und es aufschlug; doch ich glaube kaum, daß Sie es lesen können. Aber Sie sind ja ein Diplomat, fuhr er spöttelnd fort, der vielerlei Künste versteht.

Herr von Clement fing an zu lachen und erwiederte, indem er in den Brief sah:

Sie trauen mir dennoch zu viel Kunst zu, Herr Major. Das sind wirklich Räthsel, welche ich nicht zu entziffern vermag. Sehen Sie doch, beste Mademoiselle Charlotte, welche eigenthümliche Handschrift Se. Majestät schreibt.

Es waren in der That Hieroglyphen der sonderbarsten Art, welche ich erblickte. Dicke Striche wie mit einem Besenreis gemacht, schief über das Papier laufend, dreieckige und buckelige Zeichen von fabelhaftem Aussehen mit Klexen und Kreuzen vermischt, welche das Lachen vermehrten, das auf Sr. Majestät Kosten von mir erhoben wurde. Endlich ließ sich mit des Majors Hülfe doch der Inhalt so ziemlich herausbringen, welcher eben in dem Befehle bestand, sich Angesichts dieses an den bekannten Ort zu begeben und gleich bei Ankunft des Königs zu rapportiren, ob dessen Befehle vollzogen seien.

Herr von Clement verbeugte sich nochmals und wiederholte seine Antwort. So werden der Herr Major heut wenigstens nicht so drängend beschäftigt sein, setzte er dann hinzu, und meine Einladung nicht verschmähen, Mademoiselle Charlotte zur Nachmittagszeit unterhalten zu helfen.

Kreuz-Element! rief Dumoulin hier, seinen Schnurbart drehend, Sie sollten es mir nicht zwei Mal sagen; allein es geht nicht an. Ich bin an des Fürsten Tafel befohlen, Nachmittag aber soll ein Wildschwein gehetzt werden, im Saugarten vor dem Thore. Wenn Sie dabei sein wollen, mein Herr Chevalier, nehme ich Sie mit, wir machen dann ein Collegium zusammen, wo es lustig hergehen soll.

Das sind freilich Beschäftigungen, welche Sie nicht versäumen dürfen, erwiederte der Chevalier mit ernsthafter Miene. Ich bin leider ein so schlechter Jäger und Trinker, daß ich von allen diesen Genüssen abstehen muß.

Oho! rief Dumoulin, es jagt ein Jeder auf seinem Reviere und kennet die besten Schliche. Wilddiebe bekommen bei uns keinen Pardon, somit muß sich Jeder hüten, daß er nicht gefangen wird. Gott befohlen, mein Herr von Clement, und Sie, meine hochedle Jungfer Charlotte, haben Sie keine Lust eine Jagdpartie zu machen?

Auf meinem Reviere bin ich jederzeit dazu bereit, versetzte ich, vor dem fremden jedoch werde ich mich um so mehr hüten, da ich, wie ich so eben vernommen, keinen Pardon erwarten darf.

Kleines Wild, Kammerwild, hat nicht viel zu sagen, lachte er. Aber ich muß dem hochwürdigen Herrn Hofprediger doch meine Reverenz machen. Ist es erlaubt, Jungfer Charlotte?

Ich will sogleich danach sehen, sagte ich.

Ich werde Sie begleiten, da die Stunde so eben schlägt, in welcher der hochgelehrte Herr mich erwartet, fiel Herr von Clement ein.

So kommen Sie! rief der Major, indem er mir seinen Arm bot. Wir wollen die Avantgarde machen, welche sich vor keinem Feind fürchtet.

Herr von Clement befand sich dicht hinter uns, er hatte jedoch einige Augenblicke damit zu thun, den Schlüssel aus dem Schlosse zu ziehen; wenn es nun seine geheime Absicht war, zu verhindern, daß Dumoulin mit mir allein sprechen sollte, so wurde diese dadurch vereitelt; denn die Zeit reichte eben hin, um mir zuzuflüstern: heut Abend sieben Uhr im Garten; dann drehte er sich gegen den herbeieilenden Chevalier um und sagte ehrerbietig:

Se. Majestät hat gegen mich geäußert, mein Herr, daß Sie die Absicht haben, unsern glorreichen protestantischen Glauben anzunehmen.

Es hat der Unterricht schon begonnen, erwiederte Herr von Clement.

Eben jetzt suchen Sie um dessentwegen den Hofprediger auf?

Es ist die Stunde, welche er dazu festgesetzt hat.

In diesem Falle wäre es ein Frevel, wenn ich stören wollte, versetzte der Major. Meine unterthänigen Grüße an den hochwürdigen Herrn. Behalten Sie mich selbst in gutem Andenken, Jungfer Charlotte.

Er eilte davon, ohne einige höfliche Einwände des Herrn von Clement zu beachten, und ich sah wohl, daß, da er seinen Zweck erreicht, er nicht länger bleiben wollte.

In meinem Herzen glühte und brannte es lichterloh vor Freudigkeit, und meine Augen begegneten denen des Herrn von Clement, der aufs Anmuthigste lächelte.

Wir müssen uns trösten, Mademoiselle Charlotte, sagte er, da der Herr Major so wichtige Dinge zu thun hat, welche ihm mehr Vergnügen verursachen.

Es bleibt nichts weiter übrig, antwortete ich in derselben übermüthigen Weise.

Doch gewähren Sie mir dagegen meine unterthänige Bitte, daß ich meine geringen Bemühungen verdoppeln darf, um Ihnen Unterhaltung zu verschaffen, fuhr er fort.

Sie sind gar zu gütig, mein gnädiger Herr, versetzte ich fröhlich knixend.

Wie gern thue ich es, flüsterte er mir zu, um einen Blick aus diesen schönen Augen, die so unschuldig und so lieblich sind.

Als er meine Augen unschuldig nannte, hätte ich gerne ihn mit dem Muthwillen angeschaut, der mich erfüllte, denn ich dachte eben an Dumoulin und was dieser mir ins Ohr geflüstert hatte, allein ich wagte es doch nicht, sondern schlug sie sittsamlich nieder, und eben öffnete mein Onkel seine Thür, an welcher wir angelangt waren. Er hatte den Chevalier schon erwartet. Schwarz gekleidet, in. Seidenstrümpfen und Schnallenschuhen, mit seiner großen Wolkenperücke und einem ungeheuren weißen Jabot, sah er äußerst würdig und feierlich aus.

Was thut man hier an meiner Thür? fragte er seine Stirne runzelnd und den Kopf majestätisch zurückwerfend. Was will man hier?

Ich will gar nichts, herzliebster Herr Ohm, versetzte ich.

So gehe man und störe mit seinen Narretheien die andächtigen Gefühle unseres edlen Herrn und Gastes nicht.

Schelten Sie nicht, hochwürdigster Herr, fiel der Chevalier demüthig sich verbeugend ein, denn ich war es, der Mademoiselle Charlotte bewog, mich zu begleiten, worüber ich allerdings die heiligen Pflichten vergaß, welche ich zu erfüllen hatte. Ich bitte um Vergebung.

Mein Onkel lächelte ihm diese huldvoll zu und winkte mir dabei mich zu entfernen, was ich sehr bereitwillig und schnell that. Denn nun war ich allein, konnte mich in meine Kammer flüchten und mir die prächtigsten Vorstellungen ausmalen, welche nicht Raum in meinem Kopfe hatten.

Was hatte Dumoulin vor? Was hatte er mir zu sagen? Warum that er so geheimnißvoll? Und wie schlug mein Herz, wenn ich an diese Bestellung dachte, von der kein Mensch etwas wissen sollte, am wenigsten der Chevalier. Fürchtete er diesen? Merkte er, daß er mir so viele Schmeicheleien sagte? War er etwa noch eifersüchtiger geworden?

Ich tanzte vor Vergnügen umher und klatschte in meine Hände, daß dies so sein könnte. Herr von Clement war allerdings ein allerliebster Herr, den ich sehr gern sah und hörte, allein ich hatte niemals gemeint, daß seine Schmeicheleien etwas Anderes sein sollten, als galante Redensarten, wie feine Cavaliere diese immer bereit haben. Ich diente ihm sicherlich als ein Zeitvertreib gegen die Langeweile, und anderes oder mehr verlangte auch ich nicht von unserem artigen Gaste.

Heut freilich erschien er mir zudringlicher, als bisher, und sein Benehmen hätte mich vorsichtiger machen können, allein zunächst erfüllte mich nichts mehr, als daß Dumoulin ihn so vortrefflich angeführt hatte, und seine gleißnerischen Mienen, als mein Oheim erschien, reizten noch zu Spott und Gelächter. Wäre mein lieber Major heut wieder so wild und kraus hereingekommen, als an jenem ersten Abende, hätte er mein verlegenes Gesicht mit Zorn und höhnischen Mienen angesehen, wie würde ich mich geärgert und gekümmert haben, allein er erschien so heiter, wie ich ihn kaum je gesehen, warum also sollte ich nicht lachen und fröhlich sein?

Ich sprang in den Garten hinab, sah mir die Laube an, in welcher ich Dumoulin finden sollte, und irrte suchend in den Gängen umher, unmuthig, daß die Sonne noch so hoch am Himmel stand.

Beim Mittagstische saß ich mit Herrn von Clement wieder zusammen, der so guter Laune zu sein schien, wie mein Onkel, welcher seine Zufriedenheit mit dem werthen Gaste und Schüler nicht genug in lobenden Erhebungen kund thun konnte. Er war in Erstaunen gesetzt über die außerordentlichen Kenntnisse des lernbegierigen Confirmanden, welcher mit Kirchenvätern und Bekenntnißschriften, den subtilsten Lehren und Fragen des Glaubens, Exorcismus und Gnadenwahl, sammt allen Spitzfindigkeiten und dogmatischen Haupt- und Schwerpunkten der reformirten Kirche so vollständig vertraut sich erwiesen, daß der hochwürdige Bischof von Böhmen und Hofprediger Sr. Majestät es gar nicht für nöthig fand, ihn noch länger zu unterrichten, sondern seine Aufnahme in die Kirche alsbald ansetzen wollte.

Herr von Clement bemühte sich bescheiden zu bleiben, allein mein Onkel gerieth im christliche prophetische Begeisterung.

Ein Stern ist uns aufgegangen, rief er Arme und Stimme erhebend, ein Stern, der unserer armen kämpfenden Kirche leuchten wird zum Segen und zum Heile. Die der Herr zu Rüstzeugen ausersehen hat, sollen nicht säumten, die er erwählt hat, seine Fahne zu tragen, sollen diese hoch heben zum Schrecken der Finsterniß.

Wer ein solches Rüstzeug des Herrn ist, wie Sie, hochwürdigster Mann, erwiederte der Chevalier lächelnd, der muß freilich voranstehen und darf nicht zaudern, ich jedoch habe keinen andern Wunsch, als zu Gottes Ehren nach meinen schwachen Kräften in der Stille zu wirken. Wenn mir die Gnade widerfährt, in mein Vaterland zurückzukehren und in Besitz meiner Familiengüter zu gelangen, soll mich nichts schrecken, die Wahrheit des gereinigten Glaubens zu verbreiten, so viel ich es vermag.

Es war das erste Mal, daß Herr von Clement von seinem Vermögen sprach und von den reichen Gütern, welche in dem großen ungarischen Aufstande seiner Familie verloren gegangen seien. Er erzählte von diesen prächtigen Besitzungen Allerlei, und nannte die Namen mehrerer Schlösser und Herrschaften, welche ihm gehört hatten, was meinem Onkel zu lebhaften Leidbezeugungen Anlaß gab, denn er wußte Geld und Gut sehr wohl zu schätzen; Herr von Clement sprach ziemlich gleichgültig von jenem ungeheueren Verluste, lächelte und ließ die Hoffnung durchschimmern, daß er doch wohl endlich zurück erhalten werde, was ihm durch fanatische Gewaltthat genommen wurde; sollte dies jedoch sich nicht erfüllen, so sei leiden für Wahrheit und Recht eine Sache, welche man mit Stolz ertragen könne, während Unterwerfung unter den göttlichen Willen der Trost jedes Christen sein müsse.

Mit zärtlichen Blicken gab ihm mein Onkel Recht und pries seine christlichen liebevollen Grundsätze mit vollen Backen, was durchaus buchstäblich zu verstehen ist, denn der hochwürdige Hofprediger ließ sich bei aller Theilnahme nicht abhalten, einem zarten Rehziemer aufs Nachdrücklichste zuzusetzen. Es war am Tage zuvor aus dem Schloßwildhofe ein Rehbock in unser Haus geschickt worden, dazu auch aus dem Schloßkeller ein Korb voll Ungarwein, welchen Wein der König sowohl wie auch sein getreuer Diener, mein Onkel, beide besonders liebten, den Se. Majestät aber wahrscheinlich weniger dieser gemeinsamen Neigung wegen, sondern weil Herr von Clement ein Ungar war, ihm gesandt hatte.

Unser Gast nippte kaum davon, mein Onkel jedoch ließ es nicht bei einer Flasche bewenden, und seine Begeisterung steigerte sich, als Herr von Clement erzählte, daß der allervorzüglichste Wein auf mehren seiner Besitzungen in Oberungarn wachse. Mein Onkel hob daher auch, als er das vernommen, mit lüsternen Blicken sein Glas auf und sagte mit Energie:

Mögen diese herrlichen Güter recht bald wieder meinem hochverehrten Gönner gehören und möchte es mir dann vergönnt sein, mit ihm sein eigenes edles Gewächse zu kosten.

Das hoffe ich und denke ich, hochwürdigster Herr, erwiederte Herr von Clement, indem er mit ihm anstieß. Möge es mir vergönnt sein, alle die Liebe und Güte, welche ich von Ihnen empfange, mit Allem zu lohnen, was ich mein nennen darf. Und Sie, theuere Mademoiselle Charlotte, fuhr er dann fort, indem er sich zu mir wandte, würde Ihr unterthäniger Bewunderer auch wohl hoffen dürfen, daß Sie ihn in Ungarn besuchten?

Ich reise für mein Leben gern, erwiederte ich und würde des gnädigen Herrn Befehle mit Vergnügen befolgen. Leider bin ich noch wenig in der Welt umhergekommen, nicht einmal in Potsdam gewesen.

Oh, rief er, es soll meine süßeste Aufgabe sein, daß alle Ihre Wünsche sich erfüllen. Sie müssen Dresden und Wien sehen, das sind ganz andere sehenswerthe Plätze als das sumpfige Potsdam, wo es nichts giebt als Paraden für die Herren Soldaten, welche nach dem Beispiele des Kriegsgottes Mars vor den sanften Genien des Lebens keinen Respect haben und lieber Schweine hegen, als schönen Damen Gesellschaft leisten.

Ich weiß nicht, sagte ich seine spöttischen Blicke erwiedernd, ob diese säbelrasselnden Helden nicht zuweilen noch viel schlimmere Laster besitzen.

Sicherlich! sicherlich! rief er lachend, und nun erzählte er meinem Oheim Dumoulins Aeußerung, welche dieser mit einem geringschätzigen Achselzucken beantwortete.

Der König, unser allergnädigster Herr, antwortete er dann bittersüß lächelnd, hat die erhabensten Eigenschaften eines Cäsar und Alexandros, aber er ahmt letzteren nicht nach in huldvoller Generosität für die docti et artifices, die Gelehrten und Künstler. Viel fehlte nicht, so wäre die Akademie der Wissenschaften vollständig aufgehoben worden, als die glorreiche Majestät, Friedrich der Erste, vor vier Jahren in den Himmel abgerufen wurde. Es geschah allein um dessentwegen nicht, weil die Akademie in ihrer Angst sich erbot, Wundärzte für die Armee zu unterrichten, allein Geld erhielten die verwaisten Gelehrten um dessentwegen doch nicht mehr. Der große Leibnitz selbst empfing seinen Groschen und da er im letzten Jahre starb, hat der König nun seinen Vorleser im Tabakscollegium, Paul Gundling zum Präsidenten der Akademie ernannt.

Ein um so seltsamlicher Spaß, antwortete der Herr von Clement, als dieser Gundling ein vollkommener Trunkenbold sein soll, welcher dazu dient, von den Herren Offizieren verlacht und verspottet zu werden, wie Alles, was nach Wissenschaft oder Kunst schmeckt.

Die Augen meines Onkels ruhten ein wenig ängstlich forschend auf dem Chevalier, doch dieser fuhr unbefangen fort:

Es ist ganz in der Ordnung, mein hochwürdigster Herr, und kann nicht anders sein. In dieser eisernen Zeit der Gewalt können die Künste nicht gedeihen und immer noch ist es besser, wenn man sie verhöhnt und verachtet, als wenn sie nur dazu dienen, alle mögliche Schlechtigkeit und Sünde zu verherrlichen und zu rechtfertigen. Geschieht dies nicht in Frankreich, in Dresden, an dem kaiserlichen Hof und an so vielen anderen Höfen? Dienen die Maler, die Bildhauer, die Musiker und Dichter nicht dazu, um die schamlosen Weiber und Männer zu malen, zu meißeln, oder ihnen Opern und Cantaten zu singen und zu dichten, welche die Genossen, Buhler und Lieblinge ihrer schwelgerischen Herren sind? Sind die Gelehrten nicht dazu da, ihre Thaten zu preisen und ihre Befehle als Wunder von Weisheit auszuschreien, welche kniefällig angebetet werden müssen? Wo ist ein Tacitus unserer Zeit, der sich getraute, die Wahrheit zu sagen? Es würde ihm entsetzlich bekommen. Und dieselben Menschen, welche auf Wink und Befehl das Verruchteste vergöttern, dieselben Maler, Poeten, Gelehrten, Musiker, welche vor jeder Curtisane jubeln und ihre Tugenden besingen, sie betrügen Gott und den Teufel in derselben Weise. Wenn Kunst und Wissen dahin gelangt sind, ist ihr Werth mehr als zweifelhaft geworden, ich für mein Theil finde es lustig und ergötzlich, daß ein Hofnarr der Nachfolger des großen Leibnitz geworden ist. Der König von Preußen ironisirt die Weltgeschichte, wie seine Offiziere die Sittengeschichte. Wildschweine hetzen und sie den Juden in die Häuser werfen, ist immer noch ein besserer Spaß als Menschen verbrennen und martern zur Ehre Gottes. Wir, liebwertheste Mademoiselle Charlotte, nicht wahr, wir trösten uns, wenn man über so glorreichen Heldenthaten uns vernachlässigt.

Wir trösten uns, so gut wir es vermögen, sagte ich.

Vortrefflich! rief er meine Hand küssend, ein Jeder muß thun, was er vermag, um sich glücklich zu machen, und dazu darf man keine Gelegenheit versäumen.

Man würde großes Unrecht an sich selbst begehen.

Sehr wohl, so wollen wir es uns versprechen, und kein Hinderniß soll uns davon abhalten, Mademoiselle Charlotte. Glück ist das Ziel alles Lebens und Strebens, also lassen Sie uns glücklich sein.

Mit diesen fröhlichen Worten erhob er sich und das erbauliche Tischgespräch nahm sein Ende mit einem frommen Händefalten, denn nach der Sitte begann jede Mahlzeit mit einem Gebete und schloß mit einem solchen, das mein Onkel würdevoll sprach. Doch sah ich wohl, daß seine Blicke diesmal bald den Chevalier, bald mich betrachteten, weil sicherlich allerlei Muthmaßungen in ihm geweckt worden waren, die ihm nicht unangenehm sein mußten. Denn es entstand ein Lächeln um seine starken Lippen, indem er mich ansah, als sähe er etwas besonders Appetitliches.

Meine frohe Laune ließ sich nicht dadurch stören. Alles, selbst die Unterhaltung, welche ich geführt hatte, bezog ich in meinen Gedanken nur auf den Gegenstand, der mir im Sinne lag. Glück ist das Ziel alles Lebens! rief ich mir heimlich zu; keine Gelegenheit darf man versäumen, um glücklich zu werden, somit ist es meine Pflicht, danach zu trachten.

Ich war jedoch herzlich froh, als nach einiger Zeit mir Herr von Clement in sehr schönen Worten sein Bedauern ausdrückte, daß er mich auf einige Stunden verlassen müsse, da er dem Geheimrath Marschall von Bieberstein einen Besuch versprochen habe. Wie er so traurig that, machte ich es eben so, senkte meine Augen und schien betrübt, daß er mich allein lassen wollte, was er zu meiner geheimen Lust mit neuen Schmeicheleien belohnte.

Ich glaubte nicht einen Augenblick, daß er Wahrheit sprach, denn wenn er bleiben wollte, war kein Grund vorhanden, es nicht zu thun; als ich ihm aber den Vorschlag machte, den Geheimrath ein andermal zu sehen, seufzte er darüber, daß es unmöglich sei, und je mehr ich Einwendungen machte, um so weniger ließ er sich erbitten. Endlich zeigte ich mich empfindlich, und nun suchte er mich durch Betheuerungen zu versöhnen, daß er, sobald er es vermöchte, zu mir zurückkehren werde und daß wir dann den ganzen Abend über mitsammen spielen und singen wollten.

Mein Oheim war bei seinem Collegen, dem alten Propst Roloff, zu einer Versammlung von geistlichen Herren eingeladen, welche gewöhnlich sich erst spät trennten, wir hatten somit die Aussicht, am Abend allein zu sein, und er sagte dies mit solchem Ausdruck und süßem Flüstern, daß ich mich zusammen nehmen mußte, um nicht aus meiner Rolle zu fallen. Es war mir äußerst komisch, daß mir, schon zu einem heimlichen Stelldichein geladen, ein anderer Anbeter schon ein zweites präsentirte und in die Ohren flüsterte, was er mir Alles zu sagen hätte. Ich zog jedoch meine Augen unter meine Vorhänge zurück, und als er betheuerte, daß ich allerliebst aussähe, und seine Arme nach mir ausstreckte, lief ich davon und steckte draußen mein Taschentuch in den Mund, um nicht ein helles Gelächter aufzuschlagen.

Aber ach! wie langsam vergingen die Stunden. Wie oft lief ich ans Fenster, sah zum Himmel hinauf und die Dächer der Häuser an, auf welche die Sonne schien, die heut wieder einmal auf Befehl irgend eines grimmigen Propheten stille stand. Wie oft lief ich durchs Haus und sah in den Garten hinab, ob sich nichts zeigte und nicht regte; doch es zeigte sich nichts, und dunkel werden wollte es auch nicht.

Der Gartenfleck, welcher zum Hause gehörte, führte an das Ufer des Flußarmes, der die Schloßinsel oder den Werder bilden half, auf welchem ein vornehmer Theil der Stadt lag. Man konnte von dort her mit leichter Mühe in den Garten gelangen, der nur von einer Ginsterhecke eingefaßt war, durch welche eine Gitterpforte führte. Ein paar mächtige Birnbäume standen zwischen den Beeten, und die Kiesgänge, mit Taxus und bunten Steinen eingefaßt, bildeten einen beliebten aristokratischen Ausputz, den meines Onkels Stolz geschaffen hatte.

Als es endlich zu dämmern begann, war meine Unruhe aufs Höchste gestiegen. Alle meine Fröhlichkeit und Sorglosigkeit hatte sich nach und nach in Bangigkeit und Furcht umgewandelt. Was wollte ich thun? Wohin mich begeben? War es schicklich für die Jungfer Charlotte Jablonski, einem jungen Offizier entgegenzulaufen, der sie zur Nachtzeit in den Garten bestellt hatte? – Wenn ein Mensch es erführe, Scham und Schande würden wohlfeil gewesen sein.

Das Alles lief mir wohl hundert Male durch den Kopf, und doch konnte es nichts ändern. Und hätten alle Nachbarn mit Fackeln am Wege gestanden, ich hätte doch versucht, bei ihnen vorbeizukommen. Ich legte es mir zurecht mit allen möglichen Gründen und vertheidigte mich vor mir selbst mit der Gewißheit, daß es nichts Böses sei, daß Dumoulin mir ohne Zweifel sehr wichtiges zu sagen habe und daß ich ihm so fest vertrauen könne, wie dem ersten Ritter oder Heiligen der Christenheit. Dabei sah ich mit Wohlgefallen, wie der Tag sich neigte und endlich ein mattes Mondlicht statt des Abendglanzes sich mit den Schatten stritt, welche sich dunkler niedersenkten.

So schlüpfte ich denn die Treppe hinab, und plötzlich fiel mir ein, daß ich durch das Zimmer des Herrn von Clement gleich in den Garten gelangen konnte. Zwar war die Thüre verschlossen, allein es gab einen geheimen Eingang vom Saale aus durch eine schmale Pforte, welche zu einem Wandschrank zu gehören schien, jedoch in die tiefe Nische führte, welche hinter dem Täfelwerk des Zimmers lag. Der Schlüssel dazu war in meinem Gewahrsam und Alles glückte zum Besten, Niemand sah mich. Die Angeln der Thür drehten sich zwar Anfangs mit lautem Kreischen, aber ich hatte schnell ein Fläschchen mit Oel bei der Hand, und nun bewegten sie sich ohne das geringste Geräusch.

Bis dahin war mein Vorhaben gelungen, doch nun konnte ich nicht weiter vordringen, denn als ich mich bemühte, die Wandthür zu öffnen, war mir dies nicht möglich. Eine jener alterthümlichen plumpen Kommoden von Nußbaum mit großen Metallgriffen stand davor, und so war ich denn vergebens gekommen und konnte nichts Anderes thun, als mich eben so leise wieder fortzuschleichen.

Damit zögerte ich auch nicht. Unbemerkt trat ich auf den Gang hinaus und eilte über den Hof in den Garten. Wie schlug mein Herz, als ich mich der Laube näherte. Ein verrätherischer Schrei stockte auf meinen Lippen, als es in dem Geblätter raschelte und eine Hand plötzlich meine Hand ergriff.

Stille, meine süße Charlotte, stille! flüsterte Dumoulin. Ist es recht, mich so lange warten zu lassen und noch darüber zu erschrecken, daß ich hier bin?

Wie gerne wäre ich längst gekommen, antwortete ich freudig, allein es wollte zu meinem Aergerniß nicht finster werden.

O! rief er, indem er seinen Arm um mich legte, so müssen wir dafür sorgen, daß das helle Tageslicht kein Hinderniß für uns ist. Meinen Sie nicht, daß dies gut sein würde?

Ich meine, es wird sehr gut sein, versetzte ich, indem ich zu ihm aufsah, und ich weiß nicht, wie es kam, aber ich glaube, ich legte meine beiden Hände auf seine Schultern, und plötzlich fühlte ich seinen garstigen Bart ganz dicht an meinen Lippen, und es wirbelte etwas um meinen Kopf oder es wankte und drehte sich Laube und Garten mit mir. Ich konnte nicht denken, nicht mich besinnen, nicht ihn zurückhalten oder ihm ausweichen. Es war mir, als hätte ich Flügel bekommen, und der Boden verschwand unter meinen Füßen. Ich hielt mich an meinem trauten Freunde fest, lehnte mich an seine Brust, und als träumte ich es, hörte ich ihn sagen:

Meine liebe, meine geliebte Charlotte, das war es, was ich geschworen hatte. Ich wollte dich haben und keine andere auf Erden, ich wollte dich lieben inniglich und mein solltest du sein, ob auch aus allen Enden der Welt zehntausend glatte frisirte Bürschchen kämen, die wie Honigseim zu reden verständen. Bei meiner Ehre! – und hier stieß er einen kräftigen Soldatenfluch aus – Der Teufel sollte sie sämmtlich holen, ehe sie einen Finger von meinem Herzensschatz bekommen thäten!

Wie herrlich klang das und wie entzückte es mich.

Also der Herr Major will mich zu seiner Herzliebsten machen? rief ich freudig.

Wirklich und wahrhaftig, das will ich, lachte er, wenn die hochedle Jungfer Jablonski nichts dagegen einzuwenden hat. Doch nein, fuhr er feurig fort, sie hat nichts einzuwenden, ich weiß es, denn Sie liebt mich, und keinen Anderen.

Wissen Sie es denn ganz gewiß, mein allwissender Herr? fragte ich in der alten neckenden Weise.

Ja Charlotte, ja! fiel er ein. Wenn ich es nicht sicherlich wüßte, würde ich nimmer hier an Eurer Seite sitzen.

Und wodurch ist denn meinem huldvollen Liebhaber diese feste Ueberzeugung gekommen? fragte ich weiter.

Du sollst jetzt nicht spotten, rief er, sollst in dieser Minute keinen Scherz mit mir treiben, übermüthiges Mädchen. Als dieser Clement zu euch kam, war ich voller Eifersucht und konnte sie nicht verbergen; sobald ich ihn sah, fiel sie mich an; deine Redereien gossen Oel ins Feuer, ich sah, wie erstaunt und bewundernd Du diesen feinen Herrn betrachtetest, sah wie er schmeichelte und zu gefallen suchte, und ich kam nicht wieder, denn solchen Künsten war ich nicht gewachsen.

Aber mein liebster Schatz konnte doch nicht ganz fort bleiben, fiel ich stolz und fröhlich lachend ein.

Ich kam, weil ich mußte, sonst wäre ich nicht gekommen, versetzte er. Der König befahl mir, ihm zu folgen.

Also habe ich es Sr. Majestät allein zu verdanken, wenn ich geliebt werde? fragte ich ihn.

Nicht ihm, versetzte er, sondern Deiner Liebe, meine herrliche Charlotte. Du kamst zu mir, Du gabst mir den Beweis, daß ich nicht vergessen war.

Und ich fand meinen bösen Freund bei guter Arbeit, mir meinen schönen Kragen zu verderben, den er obenein in seine Tasche steckte, wo er bis auf diese Stunde wohl verblieben ist.

Dafür gebe ich mich mit allen meinen Sünden und Barbareien, rief er zärtlich aus, und ich will sie nicht ablegen, nicht artiger und manierlicher werden, doch lieben will ich Dich, mehr lieben, als ich es mit den schönsten Worten betheuern könnte.

Ich glaube es ohne Schwur, versetzte ich; ich glaubte es von jenem Augenblicke an, wo Ihr mich dem Könige nicht verriethet und lieber –

Halt ein! halt ein! unterbrach er mich mit einiger Heftigkeit, und nachdem er eine kurze Zeit geschwiegen hatte, fuhr er fort: Daran sollst Du mich nicht erinnern. Hätte der Henker mit dem blanken Schwerte neben mir gestanden, ich hätte nein gesagt, doch um des Großmoguls Schätze möchte ich es nicht noch einmal thun. Ich war heimlich ein wenig gekränkt über sein Benehmen.

So seid Ihr also gar nicht mehr eifersüchtig? fragte ich.

Habe ich denn noch Grund dazu? erwiederte er.

Es war lustig von Euch, versetzte ich, auch wohl verdient, Euch abzuplagen. Konntet Ihr glauben, daß ein so vornehmer fremder Herr mit einem Bürgermädchen es ernsthaft meint, und dachtet Ihr, dies sei so thöricht sich einzubilden, daß die galanten Schmeichelworte mehr seien, als ein Zeitvertreib des Herrn?

Oh! rief er gereizt, wenn's also Ernst wäre, würde Jungfer Charlotte wohl andere Saiten aufspannen?

Immer dieselben Saiten, mein vortrefflicher Herr. Glaubt mir, sie würden niemals einen andern Ton geben, aber das habt Ihr wohl nicht bedacht, daß Ihr Euch nicht allein gequält, sondern auch mich, und daß Ihr grausam gewesen seid, wie es freilich ein Barbar mit spitzem Bart und langem Degen für wohlgethan halten mag.

Er schloß mich in seine Arme und rief entzückt:

Tausend Mal abbitten will ich es, herzliebe Charlotte, auch niemals mehr zweifeln und ein Barbar sein. Mag dieser duftende Ritter je eher je lieber zu den Franzosen oder Hottentotten laufen! Der Teufel weiß, was er dem Könige in den Kopf gesetzt hat, denn seit jenem Tage ist kein Auskommen mehr mit ihm. Die Minister werden mit schnöden Worten zurückgewiesen, den allmächtigen Grumbkow will er gar nicht sehen, Generäle, in die er sonst sein ganzes Vertrauen setzte: Gersdorf, Dönhof, Forcade, Glasenapp und der lange geizige Haack kriegen kein Wort aus ihm heraus; keinen Schritt setzt er mehr in sein Tabakscollegium, hat sich vielmehr gewöhnliche Bürger aus Potsdam des Abends in sein Zimmer eingeladen; was aber das Tollste ist, auch den Fürsten Leopold hat er behandelt, daß der hitzige Herr fuchswild geworden ist und einen Trumpf darauf gesetzt hat, es sich nicht noch einmal so bieten zu lassen.

Ich hörte dies nicht wenig erstaunt, allein ich vermochte nicht Dumoulins Fragen zu beantworten, der von mir wissen wollte, ob ich etwas gehört oder gemerkt hätte, was Aufschluß geben könnte? Herr von Clement that niemals eine Aeußerung über das, was ihn nach Berlin und zum Könige gebracht, und was ich damals gehört, als er mit dem Könige allein war, mochte ich meinem herzlieben Schatz nicht mittheilen. Eine ungewisse Furcht überkam mich, als ich schon den Mund dazu öffnete. Ich bangte davor, er könnte es doch trotz des Königs Befehl, keinem Menschen ein Wort zu entdecken, dem Prinzen Leopold anvertrauen und dies müßte ihn in große Gefahren bringen; auch fühlte ich nicht weniger Furcht, daß dadurch meine Anwesenheit in dem Zimmer herauskommen könne; endlich hatte ich aber noch ein geheimes Mitleid mit dem armen Herrn von Clement, der wie ein Schelm von Dumoulin betrachtet und von ihm gehaßt wurde; während ich ihm nichts Böses und Schlechtes zutrauen mochte.

Wir unterhielten uns längere Zeit über unseren Gast, aber ich merkte bald, daß es gefährlich sei, ihn zu vertheidigen oder zu rühmen. Meines Onkels große Zuneigung zu Clement erklärte Dumoulin als Folge der Heuchelei, mit welcher dieser schlaue Herr auf die katholischen Höfe und auf die kaiserliche Religion räsonnire und welche sogar so weit ginge, daß er selbst zur reformirten Kirche übertreten wolle. Durch nichts könne er besser den hochwürdigen Hofprediger und den König selbst gewinnen; was aber auch der eigentliche Grund seiner Spitzbüberei sein möge, so sei es doch gewiß, daß ein infamer Spion dahinter stecke, dessen werde man wohl noch inne werden.

Ich werde ihn genau beobachten, antwortete ich endlich, denn ich habe ein gutes Mittel dazu entdeckt. Und nun erzählte ich ihm, wie ich eben in dem geheimen Schlupfwinkel gewesen sei, in welchem man Alles hören könne, was in dem Zimmer vorgehe, auch sehen könne, da verschiedene Spalten und Sprünge in dem Getäfel vorhanden.

Er hörte meine Mittheilung aufmerksam an, darauf jedoch sagte er:

Niemals sollt Ihr wieder an diesen Ort gehen. Ihr sollt fern bleiben von Allem, was diesen Mann betrifft. Uebel genug ist es schon, zu dulden, daß er in Eurer Nähe sein, Euch mit seinen Höflichkeiten schmeicheln darf. Ich bitte Euch um meiner Liebe willen, thut nichts, was ihn noch mehr dazu ermuntern könnte.

Glaubt Ihr denn, mein hitziger Herr, daß ich dazu geneigt wäre? fragte ich spottend.

Nein, nein! rief er meine Hände drückend, aber ich kann es nicht mit ansehen, wenn er seine Künste vor Euch macht. Liebe theure Charlotte, hört nicht darauf und vergebt mir, wenn ich mich auch weiter noch fern halte, bis er Euch verlassen hat. Inzwischen will ich etwas zu unserem Glücke vorbereiten. Der Fürst von Dessau ist mir gewogen, wie Ihr wißt, er wird mir beistehen. Hat er doch selbst nach seinem Herzen geheirathet, so wird er auch meine Wahl billigen und uns die Einwilligung des Königs verschaffen. O, wenn er euch kennen lernt, wird er mir Glück wünschen, denn wie lieb und schön seid Ihr und dabei kein blödes Püppchen, sondern muthig und unerschrocken, wie eine Soldatenfrau sein muß.

So folgten sich nun bei uns herzliche rasche Versprechungen und Verheißungen, bis die große Glocke der Petrikirche acht Mal schlug, und er aufsprang.

Jetzt muß ich fort, sagte er, Punkt acht Uhr hat der Fürst befohlen. Leb wohl, mein liebster Schatz, ich vertraue Euch mehr, als allen Menschen auf Erden.

Mit einem letzten Herzen und süßen Worten eilte er von dannen, und ich sah mit Wonne und Sehnsucht seiner hohen Gestalt nach, die so leicht und gewandt über die Beete sprang und im Schatten der Hecke verschwand. Der Mond schien jetzt hell und ich stand forschend am Eingang der Laube, hörte das leise Klirren seines Schwertes noch einmal und streckte ihm meine Arme nach. Mein Kopf schwindelte von den Vorstellungen des Glücks. Er liebte mich, er wollte mich heirathen, ich sollte seine Frau sein!

Damals war es nichts so ungewöhnliches, daß Herren von Adel und selbst manche Offiziere sich Frauen aus dem Bürgerstande nahmen. Der König war nicht dagegen, nur die Heirathen des Adels mit Töchtern der Handwerker und Bauern hatte er verboten. Aber der Major von Dumoulin war ein Offizier aus seinem eigenen Gefolge, einer, dem er seine Gunst zugewandt, und solche Herren pflegte er gern mit reichen Erbinnen oder Hoffräulein zu bedenken. Mein Onkel hatte mir dies mitgetheilt, vielleicht vorsorglich in seiner Weisheit, um mich zu warnen. Jetzt dachte ich daran, allein mein Stolz regte sich sogleich, und mein Muth, den Dumoulin soeben gerühmt hatte, kam ihm zur Hülfe.

Nein, rief ich laut und trotzig gegen den mondlichten Himmel hinauf, darüber hat kein König zu befehlen und mein Herzliebster wird ihm nicht gehorchen, so wenig, wie ich ihm gehorchen würde. O du mein lieber geliebter Freund, Du sollst mein Herr und Gebieter werden, und Dir allein will ich gehorsam dienen bis an mein Lebensende.

Indem ich dies sagte, hörte ich, wie die Gitterthür am Garten geöffnet wurde, und einen Augenblick meinte ich, Dumoulin kehre noch einmal zurück, allein ich bemerkte bald meinen Irrthum, denn es waren zwei Personen, welche hereintraten und auf dem großen Mittelgange sich näherten. – Sie gingen langsam neben einander her und ich hörte sie sprechen. Ungesehen entweichen konnte ich nicht mehr, so drückte ich mich, so tief ich es vermochte, in die Ecke der Laube und zog meinen dunklen großen Tuch fest um mich zusammen. Dabei konnte ich genugsam zwischen den Latten und Blättern durchschauen und bald auch erkennen, daß es Herr von Clement war, welcher einen anderen Herrn bei sich hatte.

Dieser war viel kleiner und stärker als er, trug einen spanischen Mantel mit kurzem Kragen, einen Hut mit einer Agraffe, welche im Mondschein blitzte, und in der Hand einen langen Stock mit großem Elfenbeinknopf, wie ihn die Modeherren besaßen. Sie unterhielten sich beide lebhaft und ziemlich lange gar nicht weit von meinem Verstecke, so daß ich vieles gut verstehen konnte, obwohl sie nicht eben laut sprachen. Wahrscheinlich waren sie beide bei dem Geheimrath von Bieberstein gewesen und hatten dort andere Personen getroffen, über welche sie sich nun unterhielten.

Es war von einem Herrn Residenten Lehmann die Rebe, der, wie der Fremde versicherte, ein äußerst gescheuter und angesehener Patron sei, welcher seine Nase überall habe, und bei dem sie sich morgen wieder treffen wollten; dann redeten sie von den Hofparteien, und Herr von Clement fragte, welchen Einfluß die Königin besitze? worauf der Fremde lachend versetzte, daß sie jetzt allen Einfluß verloren hätte, dieweil Grumbkow und der Fürst von Dessau Alles an sich rissen. Die Königin sei darüber wüthend und sie sowohl wie die Minister von Kamecke und von Blasspiel würden nichts in der Welt lieber sehen, als wenn die beiden Günstlinge und Vertrauten gestürzt werden könnten. –

Kommen Sie nur morgen zu Lehmann, fuhr er fort, da können Sie noch Vieles hören, wie es hier im Lande steht, Genaueres und Besseres, als was Bieberstein weiß oder Ihnen mittheilen wird. Ich kenne alle diese Häuser und alle ihre Schliche und Pfiffe. Eine ganze Gallerie von oben herunter kann ich Ihnen vorführen.

Dafür würde ich Ihnen sehr dankbar sein, mein lieber Herr Baron, antwortete Herr von Clement, und mit Vergnügen Ihnen andere Dienste leisten.

Sie tauschten einige Artigkeiten, darauf sagte der Fremde:

Mich hat man auf eine infame Weise behandelt, mein Vermögen mir genommen und meine Pension dazu. Eben jetzt habe ich Geld nöthig, und wenn Sie, mein Herr Chevalier, mir auf mein Ehrenwort zwanzig Pistolen vorstrecken könnten, würde ich dies als einen großen Dienst betrachten.

Gerne soll es geschehen, antwortete Herr von Clement. Begleiten Sie mich in mein Zimmer, oder – er hielt inne, denn der Baron lachte laut auf.

Ich will nicht mit Ihnen gehen, sagte er, denn Ihre Frömmigkeit könnte in Gefahr gerathen, wenn mich der hochwürdigste Hofprediger witterte. Ich verabscheue überdies diesen gleißnerischen alten Burschen, der wie ein echter Pfaffe Alles gut heißt, wobei er seinen Vortheil zieht. Bei alledem aber sind Sie zu beneiden, mit der hübschen Nichte beisammen zu wohnen.

Es ist ein artiges Mädchen, antwortete Clement.

Ein Schätzchen zum Lieben und dabei eine Erbin.

Ist der Hofprediger reich? fragte Herr von Clement.

Glauben Sie, daß man umsonst so viele Jahre inbrünstig so vielen Herren dient? lachte der Fremde. Er nimmt, wo er es bekommen kann, und geizig ist er auch. Nicht wenig Geld hat er auf die neuen Häuser ausgeliehen, welche der König mit Gewalt erbauen läßt, und damit erwirbt er nicht allein hohe Zinsen, sondern das besondere Wohlgefallen seines geizigen Herrn, der selbst nichts geben will.

Herr von Clement schwieg einen Augenblick und sagte dann:

Ich bringe Ihnen morgen die zwanzig Pistolen mit, Herr Baron von Heidekamm. Jetzt gute Nacht und meinen besten Dank für alle Ihre interessanten Mittheilungen.

Sie sollen noch ganz Anderes erfahren, mein Lieber, versetzte der Baron. Sie sollen diese preußische Wirthschaft kennen lernen, ich will Ihr Führer sein. Auf mein Wort! es soll Ihnen nichts entgehen.

Er faßte ihn unter den Arm und sie entfernten sich beide und gingen nach der Gartenthür. Jetzt schlüpfte ich aus meinem Versteck, erreichte den Hof und das Haus und endlich unbemerkt auch meine Kammer, aus der ich mich nicht wieder entfernte.


5.

Am folgenden Tage kam der König. Er kam ganz allein am Nachmittage, als es schon dämmerte, und ich sah, wie Herr von Clement ihn empfing und ihn dann in sein Zimmer führte, wo er lange Zeit mit ihm allein blieb.

Es wäre nicht sehr schwer gewesen, aus dem Versteck sie zu belauschen, den ich gestern untersucht hatte, aber ich scheute mich davor, eben sowohl weil es eine schlechte Handlung war, als weil Dumoulin mich so dringend gebeten, fern zu bleiben von Allem, was diesen Mann beträfe. Ich hatte mich hierin auch schon den ganzen Tag über geübt, denn ich machte mir häusliche Geschäfte, ging ihm aus dem Wege und behandelte ihn sichtlich gleichgültiger, als es bisher der Fall gewesen. Er mochte denken, daß dies die Folge seines Ausbleibens am vergangenen Abende sei, und daß ich ihm mein Mißfallen darüber merken lassen wollte; denn er entschuldigte sich mit Wehklagen, daß einige Personen ihn festgehalten hätten, denen er nicht entkommen konnte, war aber doch gewiß heimlich vergnügt über mein Schmollen, welches er sich zum Besten deutete. Ich ließ mich dadurch nicht abhalten, mich gemessen und beschäftigt zu benehmen, und den ganzen Tag über glückte es ihm nicht, mir näher zu kommen.

Als nun der König ihn besuchte, war ich mit meinem Onkel allein, der jedesmal in der Nähe seines gewaltigen Herrn in eine Art gelinden Fieberzustand versetzt wurde. Ehrfurcht und Furcht bemächtigten sich seiner, es ging ihm wie den allermeisten Unterthanen dieses vielgefürchteten und wenig geliebten Monarchen, d. h. er hätte davonlaufen mögen und wagte es doch nicht. Horchend und nachsinnend saß er auf seinem Stuhle, und wenn er sich seinen Gedanken überließ, fuhr er bei jedem Geräusch wieder daraus empor und zog seine Mienen in Unterthänigkeit zusammen.

Es dauert heut sehr lange, flüsterte er mir endlich zu. Herr von Clement muß Sr. Majestät Viel zu vertrauen haben.

Und von welcher Art mögen denn diese Heimlichkeiten sein, antwortete ich, daß kein Mensch bei Todesstrafe ein Wort davon vernehmen soll?

Will man stille sein auf der Stelle! flüsterte mein Onkel ängstlich winkend.

Gutes kann gewiß nicht dahinter stecken, fuhr ich ohne mich daran zu kehren fort, denn Gutes bedroht man nicht so tyrannisch.

Will man sich denn um den Hals reden? fuhr er mich an. Alles, was der König befiehlt, ist gut, muß gut sein.

Das möchte meinem hochgelehrten Herrn Onkel denn doch schwer werden zu beweisen, versetzte ich lachend.

Man ist so unverständig wie eine Gans, antwortete er würdevoll seinen Kopf erhebend. Der König ist Gottes Statthalter auf Erden; Alles, was geschieht, ist wohlerwogen zu Gottes Ehren und zum Heile des Staates und der Gerechtigkeit.

Der König ist bei alledem ein Mensch und kann irren und fehlen, erwiederte ich. Dieser Herr von Clement kann ihm viele schlimme und schlechte Dinge erzählen und er kann sich davon eben so gut täuschen lassen, wie andere Menschen, oder vielleicht noch leichter, denn ich sollte meinen, solche hohe vornehme Herren sind am leichtesten zu betrügen.

Betrügen! betrügen! rief mein Onkel mich anstierend, wie kommt man zu solchen schrecklichen Worten und Gedanken? Dieser große Monarch ist so vorsichtig, so mißtrauisch, daß er Keinem glaubt, den er nicht erprobt hat; wem er jedoch sein Vertrauen schenkt, der ist dessen auch sicherlich würdig.

Er dachte dabei jedenfalls zunächst an sich selbst und blickte mich mit Erhabenheit an, dennoch blieb ich hartnäckig bei meinen Zweifeln.

Was weiß er denn von dem Herrn von Clement, fuhr ich fort, den er bisher gar nicht gekannt hat und mein herzliebster Herr Onkel eben so wenig?

Man höre endlich auf, unterbrach er mich zornig, über Dinge zu urtheilen, welche man nicht versteht. Dies ist ein Rüstzeug von Gott erwählt und ausgesandt, und wenn Se. Majestät ihn derartig auszeichnen, wie es den Anschein hat, so verdient er es mehr, als jeder Andere.

Es verging einige Zeit, während er sich erhob, auf- und abging und mich nicht weiter beachtete. Endlich fragte ich:

Giebt es nicht einen gewissen Baron von Heidekamm?

Bei dieser Frage stand er vor mir still und sah mich böse an.

Wie kommt man zu diesem Namen? begann er. Ich will nicht hoffen, daß man mit diesem Menschen irgend eine Connexion angeknüpft hat?

Ich habe nur von ihm gehört, erwiederte ich unbefangen. Es ist also ein Taugenichts?

An diesem tief gesunkenen Manne offenbart sich, wohin der Leichtsinn und die eitlen Lüste dieser Welt führen, antwortete mein Onkel. Sein Vater, der Schatzmeister und Finanzminister des großen Kurfürsten, hatte ihm ein mächtiges Vermögen hinterlassen. Unter der nachfolgenden Regierung wurde er selbst Kammerjunker und Legationsrath, man brauchte ihn bei verschiedenen Gesandtschaften, allein sein Aufwand überstieg alles Maaß, seine Feste machten selbst den verschwenderischen Festen des Hofes den Rang streitig, und endlich besaß er nichts mehr, als die Pension, welche ihm der König gnädigst aussetzte. Da nun aber dieser huldvolle Monarch starb, wollte unser jetziger, einsichtsvoller und sparsamer Herr einem solchen Verschwender nichts mehr zukommen lassen. Er strich ihm die Pension, und seit dieser Zeit ist er ganz herunter gekommen, lebt von Almosen seiner ehemaligen Collegen und Genossen, macht Schulden, wo er kann, und ist ein bitterböser Kerl, der keinen Menschen mit seiner frechen Zunge verschont, nicht einmal den König selbst.

Das läßt sich wohl denken, versetzte ich, da der König ihm seine Pension genommen hat, was doch auch nicht sehr gerecht scheint.

Mein Onkel ließ sich nicht darauf ein, mir einen Verweis zu geben, er sah mich nur imperatorisch an.

Selbst mir, fuhr er dann fort, hat dieser Bube Spott und Verdruß in den Weg zu werfen gesucht, da ich nicht sein Fürsprecher bei Sr. Majestät sein wollte. Wo hat man von ihm gehört?

Ich wußte keine andere Ausrede, als daß ich neulich bei der Familie des Propstes Roloff von ihm vernommen, wie auch von einem Anderen, den man den Residenten Lehmann genannt habe.

Das ist der Geschäftsträger des Sachsen-Weimarischen Hofes, erklärte er, auch ein gottloser listiger Mantelträger, den man hieher geschickt hat, um zu spioniren, denn alle diese fremden Höfe, vom größten bis zum kleinsten, halten sich solche Agenten, welche eigentlich nichts sind als Spione und welche alle möglichen Schliche, Pfiffe und Ränke anwenden, um Heimlichkeiten zu entdecken und ihren Höfen darüber Berichte zu machen. Man sollte sie sämmtlich zum Lande hinausjagen.

Indem mein Onkel ein so verdammliches Urtheil über die Diplomaten fällte, woran zur damaligen Zeit wenigstens Manches wahr sein mochte, wurde er von den harten Schritten des Königs unterbrochen, der gleich darauf zu uns hereintrat. Er sah roth und aufgeregt aus, und seine runden blauen Augen funkelten mich an, da er mich bemerkte.

Ich will mich bei Ihm erkundigen, sagte er zu meinem Onkel, wann Er dem Herrn von Clement das Gelöbniß abnehmen will.

Das kann zu jeder Zeit geschehen, Majestät, versetzte mein Onkel, sintemal der gnädige Herr von so großen Gaben und solcher Frömmigkeit und Reinheit des Gemüthes ist, daß er meiner demüthigen Lehren nicht mehr bedarf.

Er ist also von Seinem Gaste eingenommen, wie ich sehe, rief der König.

Majestät, antwortete mein Onkel, ich habe seines Gleichen in Israel noch nicht gefunden, und wünschte nichts so sehr, als daß mir die Gnade würde, noch lange in seiner Nähe zu leben.

Er hat Recht! sagte der König, ich möchte es mir auch wünschen. Aber er kann nicht länger bleiben, muß nach Holland abreisen; so nehme Er ihn denn morgen in die Kirchengemeinschaft auf, hier in Seinem Hause. Ich will selbst Zeuge dabei sein.

Diese hohe Gnade Ew. königlichen Majestät rührt mich zu Thränen, erwiederte mein Onkel, zugleich aber erfüllt mich Entzücken, dieweil sie einem so würdigen, edlen und frommen Herrn zu Theil wird.

Halte Er Alles bereit, sagte der König, um vier Uhr werde ich hier sein. Er weiß, daß ich Stillschweigen befohlen habe, somit lade er keinen Anderen ein, wer es auch sein möge, keinen Menschen!

Seine Augen funkelten wieder zu mir hin. Hat Sie auch gethan, was ich Ihr befohlen habe? fragte er.

Zu Ew. Majestät gnädigem Befehl, erwiederte ich.

Und ist Sie auch von dem Herrn contentirt wie Ihr Onkel?

Ich schlug züchtig meine Augen nieder und sagte nichts.

Ich verdenke es Ihr nicht, rief er. Die Beschreibung, welche Bieberstein von ihm machte, war nicht erlogen; aber länger müßte er sein, er ist nicht lang genug.

Damit wandte er sich zu meinem Onkel, schärfte diesem nochmals ein, daß er Punkt 4 Uhr hier sein würde, knöpfte seinen Soldatenrock zu, zog die hirschledernen Handschuhe an und verließ uns.

Mein Onkel kam mit wonnigem Antlitze zurück. Die hohe Belobigung seines vortrefflichen Gastes, und die Gnade des Könige für diesen vermehrten seinen Stolz. Er lächelte mich herablassend an und sagte:

Du siehst jetzt, wie vorschnell und falsch deine Meinungen sich äußerten. Der König ist ihm große Dankbarkeit schuldig, möchte ihn sogar gerne hier behalten. O, es erregt mich wehmüthig, wenn ich bedenke, daß er uns verlassen will, da ich kein Mittel weiß, ihn zu halten.

Ich wandte nichts dagegen ein, denn meine Freude darüber, daß Herr von Clement bald abreisen würde, war viel größer, als mein Bedauern. Ich dachte an Dumoulin, welch Vergnügen ich ihm mit dieser Nachricht bereiten würde, und sehnte mich heimlich danach, meinem Onkel zu entkommen, um allein zu sein und die Gesellschaft des artigen Gastes zu vermeiden. Vor dieser wurden wir jedoch bewahrt, denn nach kurzer Zeit meldete der alte Gottfried, daß Herr von Clement ausgegangen sei.

Mein Onkel schien unmuthig darüber, gerne hätte er sogleich mit ihm über den morgenden Tag gesprochen und ihm seine Glückwünsche wegen des Königs hoher Gnade dargebracht, allein er tröstete sich damit, daß man nicht wissen könne, welche wichtige Aufträge Se. Majestät dem vortrefflichen Herrn ertheilt habe, die ihn zwängen, sich sogleich auf den Weg zu begeben. Ich wußte es besser, denn ich hatte ja gehört, wohin Herr von Clement eingeladen wurde, allein ich hütete mich wohl, ein Wort zu verrathen, weil ich sonst wohl Mancherlei hätte gestehen müssen.

Als mein Onkel sich in sein Zimmer zurückgezogen, blieb ich eine Zeitlang allein mit meinen Vorstellungen und Einbildungen, von denen mein Kopf so voll war, daß ich bald in dieselbe Unruhe gerieth, welche ich gestern empfunden. Zu derselben Zeit war ich bei ihm gewesen, dessen Bild mich umschwebte und dessen Liebesgeflüster ich noch immer hörte. Alles, was er gesagt, fügte sich zusammen, und es war mir, als ob ich seine tiefe Stimme hörte, die mich rief, und als ich scheu nach dem Fenster blickte, glaubte ich seine hohe Gestalt zu sehen, die mit ihren leichten festen Schritten vorüberschwebte.

Draußen war es jedoch Nacht geworden und der Mond schien so herbstlich klar, wie gestern. Nun nahmen meine Gedanken eine andere Richtung. Er hat dich gerufen, sagten sie mir, er erwartet dich. Diese Vorstellung umstrickte mich mit solcher Macht, daß es gar nicht lange dauerte, so vermochte ich nicht länger zu widerstehen. Ich sagte mir freilich, daß es sicherlich nichts als Täuschung sei, denn wir hatten keine Wiederholung unserer Zusammenkunft verabredet; allein darauf hörte meine Sehnsucht nicht, und wenn ich ihn nicht fand, war es doch schön, an der Stelle zu sitzen und noch einmal Alles zu träumen, was dort geschah.

Unbemerkt, wie das erste Mal, gelangte ich in den Garten. Mit derselben furchtsam süßen Erwartung eilte ich an der Hecke hin, und jetzt sah ich ihn. Seine Arme breiteten sich aus, ich war von ihnen umschlossen, eine Minute lang konnte ich nichts empfinden, als die unermeßliche Freude ihn wirklich gefunden zu haben, recht geahnt zu haben, meiner Sehnsucht gefolgt zu sein.

Plötzlich aber machte er sich frei und wies meine Zärtlichkeit von sich.

So geht es nicht mit uns, rief er dabei fast in rauhem Tone aus. Ihr solltet nicht vergessen, Jungfer Charlotte, daß ich ein lästerlicher Kriegsknecht bin, von rohen Sitten und Manieren. Aber ich bitt' euch, gebt mir Eure Hand, so will ich so zahm sein, wie ein Vögelchen, will Euch die Fingerspitzen küssen und Euch danken für Euer herrlich Vertrauen, das Euch hergeführt hat.

Ich mußte kommen, sagte ich, denn ich wußte, daß ich meinen lieben Freund finden würde.

Wußtet Ihr das, lachte er, so wußtet Ihr mehr als ich selbst, denn ich hab's nicht im Sinne gehabt; auch meint' ich nicht Euch hier zu finden, sonst wäre ich fort geblieben.

Um wen seid Ihr denn gekommen, fragte ich, wenn es nicht um meinetwegen geschah?

Um an Euch zu denken, mein liebster Schatz! rief er feurig, um nach Eurem Fenster hinaufzuschauen und die Mauern mit meinen Augen zu durchbrechen.

Er ließ mich wieder los und sagte in kälterem Tone:

Ich hatte eine gute Neuigkeit, meine beste Charlotte, da war's mir so, als könnte ich sie nicht allein für mich behalten, war mir's, als müßt' ich sie den Blättern hier erzählen, damit sie es Euch morgen in die Ohren flüsterten.

Da ich nun selbst gekommen bin, obwohl Ihr es nicht erwartetet, kann ich es wohl mit eigenen Ohren vernehmen, versetzte ich.

Nun kann es nicht anders sein, erwiederte er, so hört denn zu. Ich habe mit dem Fürsten Leopold gesprochen. Es machte sich so, daß das Gespräch auf Weiber und Mädchen, auf Heirath und Liebe kam, und da er Scherz liebt, scherzte er mit mir, daß ich noch keine am Halse hätte, wie er sagte.

Ich dachte daran, wie Dumoulin mich eben von seinem Halse abgewehrt, und sagte:

Seinen Hals will der Herr Major nicht belasten lassen.

O, böse Creatur! rief er, Ihr könntet mich um den Verstand bringen. Wie es der Fürst mir vorwarf, antwortete ich ihm, ich wüßte Eine, da wär's wonniglich, sie am Halse zu haben, und gestern erst hätte ich's versucht und hätte sie beinahe nicht wieder losgelassen.

Oho! rief er, steht es so mit Euch? Halt sie fest, Major, wie ein braver Soldat.

Es ist noch allerlei Bedenken dabei, Durchlaucht, erwiederte ich.

Habt Ihr sie lieb? fragte er.

Das hab' ich.

Will Euch Einer in die Fährte kommen?

Mehr wohl als Einer.

Das Bajonet auf, Kamerad, und drauf los! rief er. Meine Anne Liese haben mir Mutter und Kaiser und Reich nehmen wollen, es konnte doch nicht geschehen. Ist's aber etwa das reiche Fräulein Wartensleben, so hat's keine Noth; die hat der König für Euch ausgesucht, neulich davon gesprochen.

Mir hat der König eine Frau ausgesucht? fragte ich erschrocken.

Er antwortete nichts darauf, also fuhr ich fort: die ist es nicht, Durchlaucht, sondern eine andere. Keine Gräfin und kein Fräulein; ob sie reich ist, weiß ich nicht, frag' auch nichts danach. Habe wohl selbst so viel, um eine Frau zu ernähren.

Das gefiel ihm, ich wußte es wohl. Er legte seine Hand auf meine Schulter, nickte mir zu und sprach:

Ihr wollt mit dem Namen noch nicht heraus, Major?

Es ist noch nicht Alles in Richtigkeit, Durchlaucht.

So bringt's dahin, und dann kommt zu mir, ich will bei dem Könige für Euch das Wort führen, aber freilich jetzt Kreuz-Himmel-Element, jetzt bin ich selbst ja weniger werth als ein Jäger oder Stallknecht.

Was sollte das bedeuten? fragte ich.

Das soll bedeuten, daß der Fürst heut noch viel übler vom Könige behandelt worden ist, als gestern. Bei der Wachtparade hat er ihm den Rücken zugekehrt und ist fortgegangen, ohne das Ende abzuwarten. Niemand weiß es sich zu erklären; eine sonderbare Angst muß über ihn gekommen sein. Er will nicht nach Wusterhausen zur Jagd, will nirgends hin, Nachts müssen seine Leibjäger und Kammerdiener die Vorzimmer bewachen, drinnen verriegelt er die Thüren, und unter sein Kopfkissen legt er geladene Pistolen.

So hat selbst dieser allmächtige Monarch Furcht, daß ihm Böses geschehen könne, sagte ich, trotz aller seiner Soldaten und Diener.

Ein Cujon hat ihm das Gehirn verdreht, sagte Dumoulin. Niemand kann es sich erklären, doch ich – ich der ich schweigen muß, ich denke die Ursach wohl zu kennen, wodurch er so verrückt geworden ist.

Wie? lachte ich, Ihr untersteht Euch, Euren erhabenen Herrn für verrückt zu halten? Für diesen Frevel verdient Ihr das Fräulein Wartensleben an den Hals zu bekommen, und sonst noch einige andere Weiber auf Sr. Majestät Specialbefehl zu beiden Seiten angehängt. Wissen aber solltet Ihr, mein schöner Herr, daß Se. Majestät vor kaum einer Stunde erst sehr vernünftig und weise urtheilte, indem er erklärte, dem Herrn von Clement die größte Dankbarkeit schuldig zu sein, und nichts so sehr beklagte, als daß derselbe weder von ihm belohnt werden, noch länger bei ihm verweilen wolle, da er durchaus schon in den nächsten Tagen nach dem Haag abreisen müsse.

Dumoulin hörte meine Nachricht theilnehmend an, ich mußte ihm Alles erzählen, was sich zugetragen, und er umarmte mich dafür mit vielen schönen Worten.

Ja, meine liebliche Charlotte, rief er, das ist Balsam für meine Wunden. Er wird also abreisen, schon in den nächsten Tagen sich packen, und ich werde dafür bei Euch einziehen, mich aber niemals wieder austreiben lassen.

Wenn nicht Se. Majestät befiehlt, daß der Herr Major von Dumoulin die Gräfin Wartensleben heirathen soll, unterbrach ich ihn.

Das wird er niemals befehlen, mein liebster Schatz.

Wenn er es aber dennoch befiehlt, hochedler Herr Major?

Dann werde ich ihm antworten, ich habe mein Theil schon am Halse, also halten zu Gnaden, Majestät!

Im Fall er jedoch darauf sagte: Ich will es so haben. Ich gebe Ihm ein Fräulein, das paßt für ihn.

Schätzchen! Herzchen! hört auf mich zu plagen! Der König ist mein Herr, er kann Alles befehlen.

Wenn's somit geschähe, so würde der Herr Major wohl auf Commando heirathen und nicht weiter mucksen.

Nicht weiter k! rief er, Sturm und Donnerwetter! ich würde gewaltig mucksen.

Ihr würdet zuletzt doch thun, was der König befiehlt.

Hört, Liebchen, sagte er seinen Schnurbart drehend und lachend, Ihr wollt, daß ich wie ein verliebter Ritter schwören soll, für Euch in den Mond zu klettern, oder in glühend flüssig Eisen zu springen, oder den Teufel aus der Hölle zu holen; doch gebt Euch zufrieden, mit allen solchen Possen kann ich Euch nicht dienen. Hab' ich nicht geschworen, daß Ihr mein sein sollt, daß ich Euch lieben will herzinniglich und ewig?! Ist Euch das nicht genug, herzliebste Charlotte? – O, beim Element! Ihr habt Recht. Wenn's der König beföhle, würde ich das Weib nehmen, das er mir giebt, lieben und achten würde ich es nimmermehr. Würde es ihm sagen, wie ein ehrlicher Mann. Und jetzt laßt es gut sein, Jungfer Charlotte, jetzt seht mir dreist in die Augen hinein und seid mir gut und lieb. Ehre und Leben setze ich Euch zum Pfande, daß kein Mensch Euch lieber haben kann, denn ich!

An diese Betheurungen seiner Liebe schlossen sich andere und ich sah wohl, er wollte es wieder gut machen, was er vorher gesprochen, denn er sagte mir die zärtlichsten Worte und lachte über meine Furcht, daß der König ihm mit Gewalt eine Frau aufdringen könnte.

Aber es war nicht das, was mir im Herzen wehe that, sondern daß er des Königs Willen über seine Liebe setzte und eher mich verlassen wollte, als dem Gebote seines Herrn ungehorsam sein. Was wir nun auch noch weiter sprachen, und wie ich mich bemühte, es zu vergessen, ich mußte doch immer wieder daran denken, und als er mich verlassen hatte, versank ich in solche Betrübniß, daß ich weinte und wünschte, ich wäre nicht hierher gekommen.

Meine Eitelkeit hatte eine schwere Kränkung erfahren, verstimmt schlich ich ins Haus zurück und konnte auch die Nacht nicht davor schlafen. Alle seine beschworene Liebe und Treue reichte ja doch nicht über des Königs Befehl hinaus, und Liebe soll doch das höchste Gebot sein, von Gott stammen und in den Himmel reichen; Menschenwille soll daran zerbrechen.

Ich sagte mir wohl Manches zu meiner Tröstung, sagte mir, daß er wie ein stolzer Mann die Wahrheit gesprochen, wo Andere gelogen hätten; daß sein ehrlich offenes Wesen mehr werth sei, als schmeichelnde Falschheit; daß er mich innig lieb habe und es thöricht sei, daran zu zweifeln: allein die schmerzhafte Empfindung blieb doch zurück. Der dunkle Tropfen herber Lebenswahrheit, welcher auf mein gläubiges jauchzendes Herz gefallen war, ließ sich nicht wieder fortwischen.

Dumoulin hatte übrigens auch noch weiter dafür gesorgt, daß mein Unmuth Nahrung erhielt. Er bat mich, des Abends nicht wieder ihn in der Laube aufzusuchen, denn ich würde ihn niemals mehr hier finden; auch sei es in keiner Weise gut für mich, wenn man meine Spaziergänge entdeckte. Leicht könne ein Gerede entstehen, das man vermeiden müsse, und nicht eher wolle er mich wiedersehen, bis er kommen würde, um mit meinem Onkel zu sprechen.

Es war beinahe, als machte er mir einen Vorwurf daraus, ihn aufgesucht zu haben, und bei dem gereizten Zustande, in welchem ich mich befand, fühlte ich dies um so stärker. Er vergalt meine liebende Ungeduld mit einer moralischen Vorhaltung, die man allerdings nicht von einem feurigen Liebhaber erwarten durfte, und ich sah darin nicht sein eigenes edelmüthiges Entsagen, sondern ein Zeichen von Gleichgültigkeit und oberherrlicher Zurechtweisung, das meine Kränkung nur verschärfen konnte.

Am folgenden Tage sah ich nach dieser schlaflosen und kummervollen Nacht ziemlich angegriffen aus. Als ich zu meinem Onkel hinabging, traf ich auf Herrn von Element, der mir entgegenkam.

Endlich finden wir uns, sagte er, wie sehr hab' ich mich danach gesehnt. Doch was fehlt Ihnen, meine liebe Mademoiselle Charlotte? Sie sehen in Wahrheit sehr leidend aus.

Ich habe keine gute Nacht gehabt, erwiederte ich

Ich ebenfalls nicht, antwortete er. Was fehlt Ihnen?

Ich konnte nicht schlafen.

So war es auch mit mir. Sicher beschäftigten Sie sich mit einem Gegenstande, der Sie beunruhigte.

Das war allerdings der Fall.

Ich kann es mir denken, versetzte er, es ging mir ganz eben so. Leider gehöre ich nicht zu den Menschen, die im Stande sind zu schlafen, wenn Glück oder Leid ihr Herz oder ihren Kopf in Bewegung bringen.

Seine theilnehmenden Blicke und sein Lächeln verwirrten mich.

Ist es denn wahr, sagte ich, daß Sie uns so bald verlassen wollen?

Er ließ seine großen dunkeln Augen auf mir ruhen und sagte dann, als überkäme ihn Traurigkeit:

Allerdings nöthigen mich dringende Geschäfte dazu, wie sehr ich auch wünschen möchte, länger bleiben zu dürfen.

Und davon kann nichts Sie abhalten? fuhr ich fort, da er mich immer noch anschaute.

Nichts, versetzte er, das möchte ich nicht behaupten. Aber wenn ich zurückkehren soll – er hielt inne, denn eben erhob sich meines Onkels Stimme auf dem Gange und rief laut nach mir. Gewiß giebt es Etwas, das mich festhalten könnte, und wollte alles Glück der Welt mich fortziehen.

Aber der König selbst, sagte ich, hat, wie ich hörte, vergebens sich bemüht.

Was frage ich nach den Wünschen des Königs, lächelte er. Wenn es nicht vermessen wäre, würde ich sagen: Nicht der Wille des Königs der Könige könnte mich dazu bestimmen; doch eine andere höhere Macht giebt es, der ich mich mit Freuden beuge und diese Macht –

Er konnte nicht vollenden, denn der alte Gottfried steckte seinen Kopf zur Thür herein und mein Onkel rief draußen mit voller Gewalt:

Wo hat man denn seine Ohren! Warum läßt man mich hier stehen, ohne zu antworten?

Ich eilte von dannen, doch was er gesagt hatte, nahm ich mit mir. Für ihn hatte des Königs Befehl keine Macht, Gottes Wille selbst keine Macht, das gefiel mir ausnehmend. Er sah stolz dabei aus, und wie anders lauteten seine kühnen Worte gegen Dumoulins feige Unterwürfigkeit. Vor der Thür empfing mich mein Onkel mit einem langstyligen Verweis und nahm mich dann mit sich, um mir einzuprägen, wie ich mich heute zu verhalten hätte, sowohl was die häusliche Einrichtung betraf, wie auch in meinem Betragen.

Es mußte für einige Erfrischungen gesorgt werden, im Fall der König dergleichen verlangte, was häufig bei seinen Besuchen in bürgerlichen Häusern der Fall war. Auch sollte ich mich sauber ankleiden, um würdig bei der Feierlichkeit zu erscheinen, endlich sollten die großen silbernen Armleuchter mit Lichtern besteckt, ein Tisch in einen Altar verwandelt und das beste Zimmer mit Blumen geschmückt und mit Teppichen belegt werden, um die festliche Weihe zu erhöhen.

Ich hatte somit vollauf zu thun, und that es mit vieler Freudigkeit, auch so, daß es heimlich blieb und Herr von Clement es nicht merkte. Als Mittag vorüber war, vollzog ich auch das Gebot meines Onkels, mich selbst herauszuputzen, eben so wie damals, wo es galt, den vornehmen Gast zu empfangen, und als dies geschehen, lief ich wieder hinunter in das große Zimmer, das ich verschlossen hielt, und betrachtete mich und meine Werke in dem größten Spiegel, den wir besaßen, und welcher hier an der Wand hing.

Lange schaute ich hinein und lächelte und nickte in das Glas, das mein Bild so treu zurückwarf. Ich sah wahrlich nicht übel aus, und dennoch galt ich ihm weniger wie sein garstiger König; und warum wollte er mich fürder nicht heimlich sehen, verbot mir das Wiederkommen, schalt mich ordentlich darüber aus? Ei, wenn er mich schon jetzt nicht sehen mochte, was sollte es dann wohl in Zukunft werden?

Ich machte spöttische Gesichter, und mein geheimes Aergerniß pochte wieder an mein Herz. Sehr grob, sehr unliebsam war doch sein Benehmen gewesen, und was meinte der Herr Major? Meinte er etwa, ich sei eine demüthige Magd, die zu seinen Füßen liegen solle in dankbarster Zerknirschung für die Gnade, daß er sie lieb haben wolle?

Nein, mein allerschönster Herr Major! rief ich, mein Kleid an beiden Seiten fassend und anstandsvoll knixend, so steht es nicht bei mir geschrieben. Jungfer Charlotte Jablonski will keinen Mann von solcher Art, sondern einen artigen Herrn, der sich vor feines Königs Befehl fürchtet und sie nicht allein liebt, sondern auch heirathet, mag Se. Majestät ihm auch sämmtliche Gräfinnen und Prinzessinnen im Lande an den Hals hängen wollen. – Pfui! an den Hals hängen! Welch abscheulicher Ausdruck!

In dem Augenblick erstarb der Laut auf meinen Lippen, denn indem ich durch den Spiegel nach der Thür blickte, sah ich den Herrn von Clement dort stehen. Ich wandte mich nach ihm um, ganz erstarrt vor Schreck und blutroth im Gesicht. – Er war es wirklich; ich hatte ihn nicht eintreten gehört. Wie lange schon stand er dort? Was hatte er von meinem Monolog vernommen?

Voller Verlegenheit vermochte ich meine Augen nicht zu ihm aufzuheben, aber er näherte sich mir und schien meinen Zustand nicht zu beachten.

Wie gütig sind Sie doch, Mademoiselle Charlotte, sagte er mit seiner wohlklingenden Stimme, wie viele Mühe haben Sie sich gegeben, wie schön dies Zimmer geschmückt, und wie dankbar bin ich Ihnen für diese neuen Beweise Ihres Wohlwollens.

Meine Dankbarkeit für ihn war in diesem Augenblicke gewiß nicht geringer. Daß er so zart und schonend mit keiner Frage mich bedrängte, machte, daß ich plötzlich neuen Muth gewann, ihn mit dem Ausdruck meiner geheimen Empfindungen anblickte und lächelte. Er hatte sich sehr fein gekleidet und trug um den Hals das Ludwigskreuz, das er in Frankreich von dem französischen Könige empfangen.

Anmuthig verneigte er sich und warf dabei frohe Blicke auf mich, als freue er sich an meinem Anschauen.

Wenn dem gnädigen Herrn meine geringen Aufmerksamkeiten gefallen, sagte ich, so kann mir nichts Lieberes in der Welt geschehen.

O! wenn Sie es doch wüßten, theure Mademoiselle Charlotte, wie mir Alles gefällt, was Sie thun, antwortete er, Sie würden dann nicht zweifeln, wie sehr ich von Ihnen entzückt bin.

Oh! mein Herr, rief ich, warum sagen Sie mir solche schöne Sachen, die ich doch nicht glauben kann?

Was soll ich thun, um Sie zu überzeugen, erwiederte er seine strahlenden Augen feurig öffnend. Nichts in der Welt giebt es, was mir zu schwer sein würde.

Er ergriff meine Hand und drückte diese sanft und mit Wärme, worauf er sie an seine Lippen zog.

Sie fragten mich heut, fuhr er fort, ob nichts mich hier festzuhalten vermöchte, und ich antwortete Ihnen, es gäbe Jemand, der mich immer und ewig zu fesseln vermöchte. Wissen Sie nicht, wer das ist, Mademoiselle Charlotte? Sie sind es, Sie allein! Ein Wort von Ihnen reicht hin, um mich niemals mehr von Ihnen zu trennen.

Bei diesem Bekenntniß, das er sanft und bittend aussprach und mich dabei mit Innigkeit und liebender Gewißheit anblickte, überfiel mich ein Zittern. Das hatte ich nicht erwartet, nimmer es mir im Ernst gedacht. Was sollte ich ihm antworten, wie mich losreißen, wie ihm die Wahrheit gestehen und ihn damit schmerzlich kränken? Doch ehe ich noch zu einem rechten Bewußtsein meiner Lage kommen konnte, war es zu spät.

Die Thür that sich auf, der König stand vor uns.

Beim ersten Blick, den er auf und warf, wußte er, was hier geschah. Clement hielt meine Hand noch immer an sein Herz gedrückt; seinen rechten Arm hatte er um mich gelegt. Es war eine sehr vertraute Stellung, welche sich nicht verbergen, oder unbeachtet aufgeben ließ.

Der König schien jedenfalls selbst davon überrascht; seine runden blauen Augen sprühten auf, und die dicken Muskeln an beiden Kopfseiten fingen an zu schwellen. In der nächsten Minute jedoch verlor sich dieser gefährliche Ausdruck, und machte einem lauten schallenden Gelächter Platz.

Er ist hier bei guter Arbeit, wie ich sehe, rief er aus, indem er näher kam, und legt wohl gar bei der Jungfer Jablonski, statt bei ihrem Onkel, sein Glaubensbekenntniß ab?

Das Glaubensbekenntniß meines Herzens, Majestät, antwortete Clement ehrfurchtsvoll, aber mit fester Stimme.

Hör Er an, sagte der König, indem sein Gesicht ernster wurde, Faseleien darf Er nicht machen. Er hat eine ehrbare Jungfer vor sich, die eben so viel werth ist, als eine Generalstochter.

Ich weiß keine in der Welt, die ich darüber stellen möchte, Majestät, erwiederte Herr von Clement.

Was? schrie der König, will Er sie etwa heirathen?

Wenn diese Ehre mir zu Theil werden kann – ja, Ew. Majestät!

Steht es so mit Ihm? sagte der König, nachdem er eine Minute lang geschwiegen hatte und nachzudenken schien. Das ist was Anderes. Was sagte Er, da ich zur Thüre hereinkam? Nach Berlin will Er zurückkommen und nicht wieder fortgehen?

So habe ich gesagt, Majestät.

Dann soll Er heirathen, so wie Er wieder hier ist! Ich will selbst Sein Brautführer sein, auch ein Stück Geld für die Ausstattung hergeben und ihn in meine Dienste nehmen. Mit meinem Hofprediger will ich sprechen; Jablonski hat Ihn lieb und ich will's so haben. Daraus braucht Er sich nichts zu machen, daß es kein Fräulein ist. Er kommt gut an, und was eine unbescholtene Jungfer ist, die kann jeder Adlige in meinem Lande nehmen, wenn sie von einem meiner vornehmen Beamten, mag's ein geistlicher oder weltlicher sein, oder von einem bürgerlichen Offiziere stammt. Denn das sind Thorheiten, wenn der Adel besser sein will, als diese. In Berlin ist kein Rang, Alle sind meine Unterthanen, und wer mir treu ist und meine Gesetze befolgt, der ist mir egal lieb, er mag sein wer er will.

Es war schon damals bekannt genug, daß der König von Geburtsvorrechten nichts wissen wollte und nichts litt, was seiner unbeschränkten Gewalt irgend hinderlich war. Er drückte nun dem Herrn von Clement seine Zufriedenheit aus, daß dieser bei ihm bleiben wolle, versprach ihm, daß er für ihn sorgen werde, und war in der gnädigsten Stimmung, als mein Onkel hereintrat, feierlich angethan in seiner geistlichen Tracht und mit der würdigsten salbungsvollsten Miene.

Aber der König zerstörte diese Herrlichkeit im nächsten Augenblick.

Gut, daß Er kommt, Jablonski, rief er ihm entgegen. Ich habe ihm etwas zu sagen, was Ihm Freude machen wird. Der Herr von Clement soll Seine Nichte heirathen und soll daher bei Ihm bleiben. Seine Wünsche gehen also in Erfüllung und meine auch. Aber heirathen soll er sie erst, wenn er aus Holland wieder kommt, dann will ich dabei sein und will das Paar einrichten helfen. Jetzt geb' Er ihm Seinen Segen und dann mach Er vorwärts mit Seinem Geschäft.

Mein Onkel breitete mit einem seligen Lächeln nach Oben seine Arme aus, und was nun geschah, mag ich nicht weiter erzählen. Ich wurde gesegnet, ich wurde geküßt, ich befand mich in einem Taumel wie ein Halbwachender, der zwischen Traum und Wirklichkeit in einem Hexenkreise umhertappt. Es war von meinem Willen und Wollen gar nicht die Rede, meine elende Person wurde nicht in Betracht gezogen. Der König befahl, mein Onkel pries die höchste und allerhöchste Gnade, Herr von Clement benahm sich liebevoll, doch so, als sei eine Frage nicht weiter nöthig, sondern meine Zuneigung gewiß genug; ich selbst aber hatte keinen Muth zu rufen: Ich will nicht!

Ein paar Male war es mir, als müßte ich aufschreien, die Hände falten und auf meine Kniee sinken, aber dann fiel mir ein, daß es doch nichts fruchten würde. Der lachende gnädige König würde mir sogleich sein furchtbares Gesicht gezeigt haben, er würde aufgeschrieen haben, und Dumoulin – Dumoulin! Er mußte sicherlich dann auf der Stelle die Gräfin Wartensleben heirathen!

So schwieg ich und endlich war Alles vorbei. Der König ging, ich blieb allein mit Clement und meinem Onkel, und nun kam der Sturm. Herr von Clement sagte mir mit Zärtlichkeit, daß er von der ersten Stunde an, wo er mich gesehen, von mir entzückt gewesen sei. Meine anmuthige Natürlichkeit, mein Verstand und das Wohlwollen, mit welchem ich ihn empfangen, hätten den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht, den jeder neue Tag darauf verstärkte.

Hier fiel mein Onkel ein, um mich zu ermahnen, dem Herrn des Himmels für dies große und unermeßliche Glück zu danken, mit dem er mich so unerwartet überschüttet; doch Clement wies dies zurück, indem er behauptete, daß er vor Allen Gott zu preisen habe, und mit den süßesten Betheuerungen seiner Liebe mich umarmte.

Ein Strom von Thränen, welcher jetzt unaufhaltsam hervorbrach, war meine Antwort. Ich riß mich von ihm los und bedeckte mein Gesicht mit meinen Händen. Er wollte mich mit Bitten und Schwüren trösten, aber ich rief ihm zu, er solle mich verlassen. Ich wolle ihn nicht hören, ich wolle nicht heirathen.

Man ist von Thorheit bis zum Ueberlaufen voll! schrie mein Onkel voller Zorn über mein Benehmen; auf der Stelle werde man vernünftig!

Seien Sie gütig, mein hochwürdiger Herr, fiel Clement mit sanfter Stimme ein; schonen Sie Mademoiselle Charlotte's Empfindungen. Wie alle ihre Wünsche mir immer Gebote sein sollen, so gehorche ich auch jetzt, und entferne mich, wie schwer es mir werden mag. Sammeln Sie Ihr Gemüth, theure Charlotte, und verzeihen Sie mir, wenn ich Sie verletzte. Nur meiner leidenschaftlichen Verehrung für Sie habe ich Raum gegeben, ich will jedoch nicht ablassen, Sie so lange zu bitten, bis Sie mir verziehen haben.

Mit diesen Worten entfernte er sich. Ich hatte mich in einen Stuhl geworfen, noch immer schluchzend und mein Gesicht verhüllend. Mein Onkel ging mit starken Schritten hin und her, und erst nach einiger Zeit, als ich keine Anstalt machte meine Lage zu ändern, redete er mich an.

Man weiß, wie es Mädchen machen, begann er; auch ist es schicklich, nicht mit übermäßigen Freudenzeichen zu jubeln, wenn ein Mann sie in die Ehe begehrt; allein es ist so wie der Apostel Paulus sagt: ein jedes Ding hat seine Zeit. Man kann seine wohlanständige Sprödigkeit beweisen, auch wohl selbst ein wenig ungeberdig thun und einige Thränen vergießen, doch muß man nicht dabei Maß und Ziel vergessen. Man macht ein unerhörtes Glück. Ein reicher junger Herr von edler Geburt fällt gleichsam vom Himmel dir in den Schooß; was jedoch noch weit mehr werth ist, ein Herr voll von hohen Tugenden, geziert an Leib und Geist mit den vortrefflichsten Gaben, welche Gottes Huld und Güte den Menschen verleihen kann, verschmäht es nicht, dem niedrig geborenen Weibe seine Hand zu reichen.

Ich aber verschmähe seine Hand – ich! rief ich ihn unterbrechend.

Laß ab!. laß ab! – Apage! versetzte er seine Hand ausstreckend, als wollte er den Teufel beschwören, und doch dabei lächelnd. Warum wolltest du ihn verschmähen? fragte er darauf.

Warum? antwortete ich und meinen Kopf aufhebend sah ich ihn an, und meine Augen füllten sich mit der Gluth, die mich verbrannte. Eine Minute lang stand ich so vor ihm, dann sagte ich dieselben Worte, die ich vorher nicht auszuschreien gewagt hatte:

Weil ich schon Einen habe, dem mein Herz gehört!

Man – rief mein Onkel erschrocken zurückprallend, – man hat schon Einen?!

Der mich auch heirathen will, fuhr ich fort – und lieber, herzliebster Onkel! schrie ich, indem ich mich plötzlich an seinen Hals warf und ihn festhielt, da es doch nicht möglich ist, Zwei zu heirathen, und da ich ihn liebe und er es mir geschworen hat, so helfen Sie mir, auf daß ich nicht elend werde!

Wer? Wer? fragte er mich von sich zurückhaltend.

O, Sie kennen ihn, Dumoulin!

Er schüttelte heftig den Kopf, machte sich von mir los, wandte sich um und wieder zurück und griff nach meiner Hand.

Dies sind Imaginationes, sagte er, müssen Imaginationes sein; niemals würde der König darein willigen. Ich habe eine Opinion davon gehabt, habe dir auch Monita ertheilt, welche du nicht vergessen solltest.

Nein, nein! rief ich dazwischen, lieber will ich gar nicht heirathen. Niemand kann mich dazu zwingen. Welches Recht hat der König, mir einen Mann geben zu wollen, den ich nicht mag?

Ich bitte dich, Kind, ich bitte dich, sagte er ängstlich alle seine Würde aufgebend, willst du dich und mich und uns Alle unglücklich machen? Der König ist ein unbeschränkter Herr über alle seine Unterthanen, du würdest nicht die Erste sein, die er gezwungen hat, den zu heirathen, den er für sie bestimmte. Rege um Gottes willen nicht seinen Zorn auf, denn was sollte aus dir werden! – Und was verlangt er von dir? Nichts denn Liebes und Gutes. Ein Mann, der eine Perle ist unter den Männern, hochgeschätzt und hochgeehrt, mit Reichthum ausgestattet, gnädiglich angeschaut von jedem Auge, lobsam und lieblich, wohin man blicken mag; auch daneben eine Zukunft voller Freuden und Ehren. Neiden wird man dich und sich vor dir beugen! In Stolz und Glanz wirst du wandeln, und mein Segen wird bei dir sein. Habe ich doch keinen als dich, und bist du doch das Wohlgefallen meines Alters. O, du garstiges Mädchen! Bringe keine Schande, keinen Gram über mich und dich, sondern laß uns jubeln und uns freuen.

Er schloß mich in seine Arme und bat mich zärtlich, nicht länger ihm Kummer zu bereiten, als ich aber immer wieder neue Einwendungen machte und darauf bestand, daß ich Dumoulin nicht verlassen könne, gerieth er von Neuem in Angst und Aergerniß.

Man ist eine undankbare Creatur! schrie er, mit beiden Händen in seine Perrücke fahrend. Man gehe sofort in seine Kammer und komme mir nicht eher wieder vor die Augen, bis man vernünftig geworden ist. O, Herr mein Gott, steh' uns bei und rette uns aus diesem Elend! Was soll entstehen, wenn der treffliche Herr von Clement dies erfährt? Und der König! Der König! Hebe dich weg von mir und bete, daß der Herr dich erleuchten und bessern möge.


6.

So wurde ich von ihm entlassen, und so gelangte ich in meine Kammer, wo ich unter Thränen, Zorn und Furcht meine Stunden verbrachte. Bald behielt mein Trotz die Oberhand, bald wollte ich fliehen, bald Clement Alles gestehen und seinen Edelmuth anrufen, bald wieder bei Dumoulin Schutz und Hülfe suchen. Dabei blieb ich endlich stehen. Wenn er mich liebte, würde er geduldig bleiben? Würde er nicht Alles aufbieten, um mich zu befreien? Wer sollte es thun, wenn er es nicht that? – Und ich zweifelte nicht daran, seine Kühnheit, seine Entschlossenheit, seine mächtigen Gönner, und selbst des Königs Gunst, Alles vereinigte sich, mir Glauben einzuflößen. Ja gewiß, er konnte nicht säumen. Meine Hoffnungen wuchsen auf wie Frühlingsknospen, ich brannte vor Ungeduld, ihn von meiner Lage in Kenntniß zu setzen.

Inzwischen war es Abend geworden, und wo sollte ich ihn finden? Mich aus dem Hause schleichen in die Nacht hinaus, in seine Wohnung, war etwas so Unerhörtes, daß ich selbst in meiner Fieberangst davor zurückschauderte. Kein ehrbar Frauenzimmer wagte sich in der Dunkelheit allein auf die Straße, auch hielten Patrouillen jede fest, welche sie fanden; ich konnte jedoch an ihn schreiben, und meine Bitten und Bestechungen waren wohl im Stande, den alten Gottfried zu bewegen, sogleich und heimlich, meinen Brief zu bestellen.

Mit Ungestüm ergriff ich diesen Ausweg und bald saß ich vor einem Bogen Papier, den ich von Anfang bis Ende mit der Geschichte meines Schicksals füllte.

Ach! helfen Sie mir, helfen Sie mir, mein liebster Schatz! schrieb ich zuletzt, damit ich nicht gezwungen werde, den Herrn von Clement zu nehmen. Er ist zwar ein schöner und edler Herr, hat auch mit vieler Liebenswürdigkeit mich behandelt, aber ich ziehe mir doch meinen herzliebsten Schatz vor und will ihm treu sein, mag es mir gehen, wie es will. Kommen Sie nur und sagen Sie mir, daß ich treu bleiben soll, so will ich nicht wanken. Wenn die ganze Welt gegen mich aufsteht, so will ich doch Nein sagen bis zu meinem letzten Stündlein.

Als ich fertig war, kam Freude über mich, denn ich fühlte mich nicht mehr verlassen, und eilig lief ich hinab, suchte den alten Diener auf und brachte ihm mein Anliegen vor. Ich hatte dem alten Manne mancherlei Gutes gethan, dafür war er mir gewogen. Nun drückte ich ihm einen Thaler in die Hand, das einzige große Geldstück, das ich besaß, und schmeichelte ihm vertraulich dabei. Ich wollte es ihm immer lohnen, wenn er mir den Brief bestellte und Antwort brächte, doch Niemand dürfte etwas merken, kein Mensch erfahren, wohin er ginge.

Er nickte mir treuherzig zu und verzog sein Gesicht.

Kann's mir schon denken, sagte er; sei die Jungfer ohne Sorge, ich will's ihr schon wohl machen. Gleich kann ich nicht fort, aber sobald es angeht, soll's geschehen, die Antwort bring' ich mit, ich will sie schon verbergen.

So konnte ich denn freudig die Treppe hinaufspringen, und oben in meiner Kammer schlug ich meine Hände zusammen und meine funkelnden Augen schauten dankbar zum Himmel auf, der voll glänzender Sterne hing. Sie strahlten bis in mein Herz hinein, bis ich hinaufrief:

Ihr habt's mit angesehen, da er mir Liebe schwur, ihr wißt, daß er mich nicht verlassen wird.

Da war's, als ob sie alle sich neigten und mir zunickten, und als ob er schon bei mir sei, und ich hörte seine Stimme: Da bin ich, herzliebste Charlotte, fürchte nichts!

Ich wachte und hoffte bis tief in die Nacht hinein, denn Gottfried kam nicht und brachte die Antwort, allein bei jeder neuen Täuschung, die ein Geräusch verursachte, rief ich dennoch frohlockend: Fürchte nichts! Ich fand leicht Gründe dafür, warum mein Liebesbote ausblieb. Er hatte den Major nicht angetroffen, er hatte warten, wohl wiederkommen müssen, oder mein Schatz kam selbst mit dem frühsten Morgen, und dieser Gedanke war mir der angenehmste.

Endlich wurde es kalt und mein Licht brannte nieder, ich legte mich angekleidet in mein Bett, um sogleich bei der Hand zu sein, und wachte und dachte dort weiter, bis ich endlich einschlief und glückliche Träume träumte. Dumoulin war bei mir, auf der anderen Seite stand der König auf seinen großen Stock gestützt, und ich sah ganz deutlich, wie er seinen Arm nach mir ausstreckte, mich packte und zu Dumoulin schrie: Nehm' Er sie hin, wenn Er durchaus ein Narr sein will! Und mein Schatz fing mich auf, und ich fühlte seine Hände, wie er mich an sich zog; sah den Tag durch's Fenster scheinen, und Jemand stand neben mir, der mich wirklich festhielt.

Dumoulin! stammelte ich mich aufrichtend.

Ja ja, antwortete der alte Gottfried, hier ist die Antwort. Ich habe sie gestern nicht bekommen, heut ganz früh bin ich nochmals hingelaufen. Nehmen Sie das, hochedle Jungfer, ich muß fort, daß mich Niemand sieht.

Ich besann mich auf Alles. Ich hatte die Thür nicht verschlossen, so war er hereingekommen. Den Brief riß ich ihm aus der Hand, sprang aus dem Bett, lief ans Fenster, brach ihn auf und las darin.

 

»Werthgeschätzte Jungfer Jablonskien!

Aus Ihrem Briefe sehe ich, welche Affairen Ihnen gestern zugestoßen sind, woran ich nichts zu ändern vermag. Hat Se. königliche Majestät Ihnen allergnädigst befohlen, den Herrn von Clement zu heirathen, so wäre es verbrecherisch, wenn ich mich erdreisten wollte, die Subordination zu verletzen und dagegen zu raisonniren. Auch würde es mir nichts helfen, sondern Se. Majestät gerechterweise gegen mich aufbringen. Ist aber besagter Herr von Clement ein so liebenswürdiger Herr, wie Sie es behaupten, so wird es Ihnen nicht schwer werden, Ordre zu pariren; endlich aber, da der hochwürdigste Herr Hofprediger, Ihr leiblicher Oheim und nächster Verwandter, es ebenfalls so haben will, würden Sie noch viel strafbarer sein, wenn Sie ihm den kindlichen Gehorsam versagten. Ich kann dafür mich nicht engagiren, für meine Sentiments so desperate Sachen zu unternehmen, sondern muß sie mir aus dem Sinne schlagen, und statte meine Gratulation ab, mit der ich verbleibe, hochedle Jungfer –

August von Dumoulin.«

 

Wie ich diesen Brief gelesen hatte, starrte ich halb bewußtlos die Buchstaben an. Es konnte nicht dort stehen, es war unmöglich! Ich fuhr über meine Augen, ich hielt meinen Kopf, ich wollte die Lügengeister fortjagen – vergebens! es veränderte sich kein Buchstabe. Da standen sie steil und kräftig geschrieben, wie ich sie kannte. Da stand sein Name mit dem langen Zug am Ende. Meine Füße zitterten, meine Hände sanken kraftlos nieder. Der Brief fiel vor mir auf den Fußboden, ich sank auf den Rand meines Bettes ohne Laut, ohne Bewegung, ohne Klage und ohne eine Thräne zu vergießen.

Es hat wohl lange Zeit gewährt, ehe ich aus dieser Erstarrung mich aufraffte. Endlich that ich einen Griff nach dem unseligen Papier, das ich zusammendrückte, dann wieder entfaltete und es von mir schleuderte. So hatte er mich verrathen und verlassen. Feige vor dem Zorn und der Gewalt seines Könige, verächtlich spottend über den liebenswürdigen Mann und über mich. Hämisch mir Gehorsam empfehlend, seine Sentiments preisgebend, und endlich seine Gratulation abstattend, diese schnöde, erbärmliche Gratulation für meine Liebesschwüre bis in den Tod!

Ich stand auf und stellte mich vor den Spiegel. Wie bleich, wie krampfhaft sah ich aus. Mein Haar verworren, meine Lippen blutlos, meine Augen zurückgezogen und starr. Plötzlich fuhr ein Blitz durch mich hin und belebte mich. Ich wollte nicht weinen, ich wollte nicht verzweifeln, ich wollte lachen, ich wollte – o, was wollte ich! Ich kämmte mein Haar glatt und wand es zusammen, ich wusch mein Gesicht mit kaltem, frischem Wasser, ich hing die langen Goldgehänge in meine Ohren, welche ich gestern getragen, und steckte einen feinen Faltenstreif in mein Mieder.

Indem ich noch damit beschäftigt war, hörte ich Schritte; gleich darauf trat mein Onkel herein. Niemals hatte er mich hier aufgesucht; wenn er etwas befehlen wollte, mußte ich vor ihm erscheinen. Es war eine große That, obenein in solcher Morgenstunde; allein wo war seine imperatorische Miene, wo war die würdevolle Linie seiner erhabenen Gestalt? Den Kopf gebeugt, sah er mich jämmerlich bittend an und streckte seine Hände wie ein Sünder nach mir aus. Ich komme zu dir, sagte er, um zu sehen, ob der Herr dich mit besserer Einsicht erleuchtet hat.

Wirklich, sagte ich, indem ich ihm entgegen ging und ihn freundlich anblickte, so ist es mir geschehen, herzlieber Oheim. Demüthig bitte ich um Verzeihung und will Ihren Willen befolgen, wie ein gehorsames Kind.

Sein Antlitz verwandelte sich freudestrahlend bei meiner Antwort, die er nicht erwartet hatte, und er fing an zu lachen, indem er mich umarmte. So hast du den Trotz abgelegt, rief er, und hast keine Lust mehr, dich den gnädigen Befehlen des Königs ungebührlich zu widersetzen?

Se. Majestät soll sehen, daß ich Ordre parire, als gehörte ich zu seiner Leibgarde, versetzte ich, in seine Fröhlichkeit einstimmend.

Mein liebes Kind, so segne dich Gott dafür! fiel er ein. Meine Gebete sind erhört, und welch Glück, daß der liebe fürtreffliche Herr von Clement vor allem Kummer bewahrt worden ist.

Haben Sie mit ihm gesprochen, bester Onkel? fragte ich.

Gestern noch am Abend sah ich ihn, und er bat mich auf's Beweglichste, dich nicht zu molestiren. Lieber wolle er unglücklich sein, als daß dir ein Leid geschehen solle; denn wenn du wirklich, statt, wie er geglaubt, Neigung, so Abneigung und Widerwillen gegen ihn hättest, dann sei es Ehre und Pflicht, sich danach zu benehmen.

Nein, nein! antwortete ich, ich habe keinen Widerwillen gegen ihn, und was ich höre, beweist mir, daß er großmüthig und edel denkt.

Heut in der Frühe pochte er schon wieder an, lachte mein Onkel, denn er hatte nicht schlafen können, und erkundigte sich nach deinem Befinden. Er war in so großer Unruhe um dich, daß ich versprechen mußte, nach dir zu sehen und dir Trost zu bringen.

Dafür muß ich ihm Dank sagen, und ich will es sogleich thun, herzliebster Herr Onkel, ich will Sie begleiten.

Diese Versicherung vervollständigte seinen Triumph.

O! ihr Weiber, ihr Weiber! rief er mit einem Satyrlachen, was seid ihr doch für leichtfertige Geschöpfe, leicht zu gewinnen, leicht zu verlieren, und aller List und Verstellung voll. Gestern bereit, lieber in den Tod zu springen, als ins Brautbett, heut wie ein Turteltäubchen sanft und gelehrig. Nun schäme dich nicht, Kind, schäme dich nicht, fuhr er fort, meine glühenden Wangen streichelnd, Jungfern und Festungen, sagt das Sprüchwort, dürfen sich nicht leicht ergeben. Gott sei Dank, daß du die Capitulation jetzt unterzeichnen willst, du Schelm!

Damit führte er mich hinab, und wir fanden den Herrn von Clement in dem Familienzimmer, wo er mit betrübten Mienen ins Feuer starrte. Als die Thür sich aufthat und er mich erblickte, sprang er auf, breitete seine Arme nach mir aus, und einen Augenblick später kniete er vor mir nieder und fragte, ob ich ihn jetzt erhören wolle, oder ob er gehen und mich verlassen müsse.

Nein, erwiederte ich, das sollen Sie nicht. Ich will Ihnen angehören, und mich niemals mehr so garstig benehmen.

Damit war denn der Würfel geworfen, und ich sah ihn fallen, ohne zu erschrecken. Er küßte mich zärtlich und gab mir die süßesten Worte; doch sicherlich hatte ich keine wahre Freude daran, denn tief in meinem Herzen gerann mein Blut wie Eis, und es war, als sollte ich ersticken. Allein ich raffte mich mit Gewalt auf, blickte ihn freundlich und zutraulich an, und sprach mit fließend schneller Zunge, was mir in den Sinn kam. Ich dachte dabei fortwährend an Dumoulin, wenn er dies sähe, und ein rachsüchtig Gefühl hämmerte in mir, daß ich alle seine abscheulichen Rathschläge mit Lust befolgte.

Herr von Clement war entzückt über meine Heiterkeit und seufzte dann darüber, daß es ihm nur noch wenige Tage vergönnt sein solle, bei mir zu bleiben, da er auf jeden Fall nach dem Haag abreisen müsse.

So verweilen Sie doch noch einige Wochen wenigstens, sagte ich, da bleiben Sie bis zum Frühjahr, wo es sich weit besser reisen läßt, als jetzt, dicht am Winter.

Haben Sie denn vergessen, erwiederte er, welche grausame Bedingung mir der König gestellt hat? Je länger ich meine Abreise verschöbe, um so später würde ich zurückkehren, und um so mehr sich mein Glück verzögern, Sie zu meiner Frau zu machen!

Das ist wahr! rief ich aus. Aber müssen Sie denn überhaupt reisen?

Hätte ich früher alle Umstände besser bedacht, versetzte er nachsinnend, so würde es nicht nöthig gewesen sein, nun aber geht es nicht anders. Ich habe für den König im Haag ein Geschäft zu betreiben, das ich nicht von mir abweisen kann, und nun, meine Theure, da Sie mir Ihr Herz versprochen haben, ist es ganz unmöglich, es zu unterlassen.

Sonderbar, daß dieser König auch Sie zwingt, nach seiner Pfeife zu tanzen, sagte ich mit trotzigen Blicken.

So machen es diese allmächtigen Herren, antwortete er die feinen Lippen zusammenziehend, allein bei alledem bleiben sie oft selbst doch nicht vom Tanzen verschont! Ganz unglaublich ist es, wer ihnen zuweilen dazu aufspielt.

Wie soll ich das verstehen? unterbrach ich ihn.

Nichts ist leichter, versetzte er. Zuweilen sind es Minister und Beichtväter, welche ihre erhabenen Herren am Bändchen führen, zuweilen aber Menschen der allergewöhnlichsten Art: ein Barbier, ein Hausnarr, ein jämmerlicher Tropf, oder ein feines Weib, das ihn zum Sclaven ihrer Lüste und Ränke macht. Wirklich, diese Gebieter der Welt lassen sich häufig überraschend leicht die schrecklichsten oder thörichtsten Dinge in den Kopf setzen.

Er sagte mir darauf, daß er in spätestens drei Tagen reisen wolle, und daß es leider mehrere Monate währen könne, ehe er wieder bei mir sei. Die Reise nach Holland schien mir eine sehr lange und gefährliche zu sein, allein Herr von Clement lächelte über meine Besorgnisse, denn er hatte weit größere und gefährlichere Reisen gemacht und war aufs Genauste mit den Städten und Landstraßen bekannt, welche er passiren mußte. Ich erfuhr dabei, daß er sich einer Kutsche bedienen würde, welche ihm der Geheimrath von Bieberstein überlassen wolle, und daß er in diesem mit vier Postpferden bespannten bequemen Kasten gar bald und sicher nach Hannover und von dort nach Cleve und nach Holland zu gelangen dächte. Mit vielen zärtlichen Worten wiederholte er mir darauf seinen Verdruß, mich verlassen zu müssen, aber er tröstete mich auch wieder mit seiner schnellen Rückkehr und machte mir endlich verlockende Beschreibungen von den Vergnügungen und Herrlichkeiten, welche ich genießen würde.

Ich habe Ihnen versprochen, sagte er, daß Sie die schönsten Plätze auf der ganzen Welt sehen sollen, und das wird gewiß geschehen. Ich werde Sie nach Dresden und Paris bringen, dann nach Wien, und wir werden sodann auch Ungarn besuchen, denn ich hoffe, daß ich bis dahin auch wieder im Besitz meiner Güter bin.

So würden wir Berlin und meinen lieben Oheim für immer verlassen müssen? fragte ich.

Gewiß nicht, antwortete er, wir kehren zu ihm zurück, denn von diesem edlen und hochgelehrten Mann zu scheiden, würde mir sowohl wie Ihnen den größten Kummer verursachen. Wir werden hier von Zeit zu Zeit leben, und er bei uns. Ich werde die Gnade des König auch fernerhin zu verdienen suchen, allein, setzte er mit einem muthwilligen Lächeln hinzu, nach seiner Pfeife werde ich nicht tanzen, nur Sie, meine liebenswürdige Charlotte, sollen mich zum Tanzen bewegen.

So verging uns dieser Tag, und so der darauf folgende, an welchem er fast fortgesetzt sich mit mir beschäftigte und sich bestrebte, mir zu gefallen. Auch mein Onkel kam nicht aus der Freude, und Herr von Clement schmeichelte seinem Stolz und seiner Eitelkeit durch die schönsten Mittheilungen, sowohl über seine eigenen Verhältnisse, indem er ihm in der natürlichsten Weise von seinen Bekanntschaften am kaiserlichen Hofe mit den vornehmsten Personen und Ministern, sogar mit dem Alles vermögenden Prinzen Eugen von Savoyen, vertraute Geschichten erzählte, wie auch welche Hoffnungen er für die protestantische Sache in den kaiserlichen Erbländern habe, wo endlich doch, trotz aller Verfolgungen, die protestantische Kirche zum Siege gelangen müsse. Solche herrliche Verkündigungen konnte mein Onkel nicht hören, ohne in einen Taumel von Begeisterung zu gerathen, welche den sonst klaren und klugen Mann völlig gefangen nahm.

Da die Abreise des Herrn von Clement so bald erfolgen sollte, auch sein jetziger Aufenthalt mit Geheimniß umgeben war, endlich der König bestimmt hatte, daß zuerst seine Geschäfte abgemacht werden müßten, und davon abhängig er ihm meine Verlobung und Hochzeit versprach, wie etwa einen Ring oder eine andere Kostbarkeit für seine Dienste, so war es natürlich, daß für jetzt nichts von dem, was geschehen, veröffentlicht werden konnte. Mein Onkel sprach darüber seinen Willen aus, und Herr von Clement stimmte betrübt ein, aber er nahm die Busennadel mit dem herrlichen großen Brillanten, welche er trug, steckte mir diese trog meines Sträubens an und bat mich, sie als ein Erinnerungszeichen zu behalten, da er mir keinen Ring am Finger zurücklassen dürfe. Alles Widerreden half nichts, denn er bat so lange und eindringlich, und machte sein Recht geltend, mir ein Geschenk zu machen, daß es nicht abgeschlagen werden konnte.

Wie ich endlich allein in meiner Kammer war, der blitzende Stein vor mir lag, und ich Alles bedachte, was mit mir vorgegangen, kamen Angst und Traurigkeit über mich. Mein Herz zitterte in mir und ich saß auf meinem Bette mit zusammengedrückten Händen und schlaffen Mienen. Alles, was mich heimlich belebt hatte, war entrissen, der Zwang von mir abgefallen, die Bangigkeit dafür eingekehrt, und es war, als stände das Unglück neben mir und wickelte seinen schwarzen Schleier um mich dichter und dichter, daß ich nichts mehr sehen konnte.

Plötzlich schlug ich mit den Armen umher, um diese Gespenster zu zerreißen, sprang auf und lief in die Ecke am Ofen, wohin ich die zerknüllte Antwort des treulosen Mannes geschleudert hatte, holte sie hervor, entfaltete sie und sah hinein. Da lagen die giftigen höhnenden Worte neben der blitzenden Nadel; dort tauchte das sanfte edle Gesicht des Chevaliers aus dem funkelnden Grunde empor mit seiner männlichen Ruhe und liebevollen Traurigkeit, hier aber aus dem knisternden Papier sah ich herrische kecke Augen hervorlugen, weiße Zähne unter schwellenden Lippen, einen spitzen Bart darüber, so übermüthig raufsüchtig zusammengedreht, alle Welt verspottend und verachtend, wie die wildesten unter den schwörenden, fluchenden Junkern ihn trugen.

Die hochedle Jungfer Jablonskien wird Ordre pariren! rief ich, dem Briefe zunickend; sie wird gehorchen, sie wird gehorsamlich thun, was der gnädige Herr Major ihr befohlen hat! So warf ich mich ins Bett glühend in meinen guten Vorsätzen.

Am anderen Tage war es schon besser. Nichts giebt mehr Entschlossenheit, als wenn das Ungewisse ein Ende genommen hat. Meine Vergangenheit war zum Abschluß gebracht, die Gegenwart dafür gelangte zum vollen Verständniß und das Kommende forderte zum Nachdenken auf.

Ich kann nicht sagen, daß ich besonders darüber grübelte, oder meine Beobachtungen mir Mißtrauen einflößten, allein das Wesen des Herrn von Clement hatte jedenfalls doch manches Räthselhafte. Er war ein Fremder; Alles, was ich von ihm wußte, kam von ihm selbst. Allerdings war er ein hochbegabter Herr, der in den höchsten Lebenskreisen heimisch, mit den höchsten Personen bekannt, in viele geheime wichtige Dinge sicherlich tief eingeweiht war. Wer er jedoch eigentlich sei, was ihn hierher gebracht, was er betrieb, worin seine Verbindung mit dem Könige bestand, darüber lag auch jetzt noch ein dichter Schleier.

Sein vornehmes Leben, seine feinen Sitten, sein Wissen und sein Umgang, und endlich er selbst mit seinen gewinnenden Vorzügen ließen zwar keine bösen Gedanken aufkommen; am wenigsten bei einem jungen Mädchen, das ihren nächsten Verwandten so voller Verehrung sah; allein Dumoulins Schmähungen blieben doch unvergessen, und einige geheime Bedenken ließen sich nicht ganz beseitigen. Wäre ich verliebt gewesen, so würde ich gewiß nicht daran gedacht haben, allein bei allem Bemühen, mir das Schönste und Beste vorzustellen, kam ich immer wieder in eine Nüchternheit der Empfindungen, welche mich kalt machte.

Es war einmal nicht anders, ich konnte und wollte zufrieden sein; ich war entschlossen mich willig zu fügen, nur ließ die rechte Freudigkeit dazu sich mit aller Gewalt nicht erwerben. Ob Clement mir es anmerkte, weiß ich nicht, allein ich fürchtete es, und je mehr ich mich anstrengte, unbefangen, theilnehmend und heiter zu sein, wie dies mein williges Bestreben auch war, um so weniger fühlte ich mich damit zufrieden.

An diesem Tage betrieb er nun alle seine Vorbereitungen zur Abreise, welche am folgenden Morgen geschehen sollte, und ich war dabei in seinem Zimmer, als er die großen Koffer öffnete, welche zum Theil mit den schönsten Kleidern und der feinsten Wäsche, daneben auch mit Mappen voll Briefen, mancherlei Büchern und mit artigen Gegenständen verschiedenster Art für den Ausputz vornehmer Herren gefüllt waren. In einem besonderen Fache stand eine Cassette von Rosenholz mit Elfenbein und Silber ausgelegt und wohl nicht ohne Absicht öffnete er diese und ließ mich hinein sehen, wo ich eine Anzahl Geldrollen und einen ganzen Haufen Goldstücke erblickte, welche mir entgegenblinkten.

Ich that einen Ausruf des Erstaunens über seinen Reichthum, allein ihm schien dies wenig oder nichts zu sein.

Wir werden mehr nöthig haben, theuerste Charlotte, als diese geringe Summe, sagte er, auch wird es uns nicht daran fehlen. O! wie gerne legte ich dies Gold in Ihre lieben Hände, wenn ich dies dürfte, aber ich werde es benutzen, um in Flandern die allerschönsten Kleider und Spitzen für Sie einzukaufen, die es dort giebt.

Ich lehnte seine Artigkeit mit der Versicherung ab, daß ich mich nicht nach theurem Putz und Schmuck sehnte, er jedoch antwortete, daß das Theuerste und Beste sich für mich passe, und ich keiner anderen Frau darin weichen solle. In dieser Weise unterhielten wir uns, und er hörte nicht auf gütig und liebenswürdig zu sein, bis er endlich gegen Abend ausgehen mußte, um den Geheimrath von Bieberstein nochmals zu besuchen, die Reisekutsche zu bestellen und alle nothwendigen Verabredungen zu treffen.

Auch mein Onkel nahm Hut und Stock, dieweil er Geschäfte abzuthun hatte, und er sowohl wie auch Herr von Clement versprachen in kurzer Zeit wieder zu Haus zu sein und dann beisammen zu bleiben. Als mein Onkel ging, saß ich eine Zeit lang allein mit meinen Gedanken und meiner Unruhe, der ich nicht entgehen konnte. Ich hätte ebenfalls fortlaufen mögen, aber ich wußte nicht wohin. Ich stieg in meine Kammer hinauf, doch meine Beklommenheit nahm dort noch mehr zu; denn Alles fiel mir wieder ein, was geschehen war, und eine unwiderstehliche Macht zwang mich, den Brief hervorzuholen, den ich in meinen Kasten verschlossen hatte. Mit derselben Hast, wie ich dies bisher gethan, warf ich ihn jedoch gleich wieder an seinen Ort zurück, ergriff dafür die große Brillantnadel und steckte diese in meine Busenschleife, als sollte sie ein Talisman sein, um mich vor bösen Geistern zu beschützen.

Ich wollte die Nadel heut Abend tragen, Herr von Clement sollte dies sehen, er sollte sich darüber freuen, und welche süße Dank- und Schmeichelworte hatte ich dafür zu erwarten! Leider war er jetzt fortgegangen, und ich konnte mich ihm nicht sogleich zeigen, wie ich es gern gethan hätte; dennoch, als ich an den Gang gelangte, in welchem sein Zimmer lag, und mich der Thüre näherte, kam es mir vor, als höre ich ein Gemurmel darin und gleich darauf war ich gewiß, mich nicht zu täuschen. Je länger ich horchte, um so deutlicher konnte ich zwei Stimmen unterscheiden, endlich hörte ich auch ein scharfes kurzes Gelächter, und es fiel mir ein, daß dies von keinem Anderen herrühren könne, als von dem gefährlichen verrufenen Baron von Heidekamm, welcher damals im Garten in derselben Weise gelacht. Sicherlich mußte er durch die Thür, welche in den Garten führte, gelangt sein und Herr von Clement mußte ihn hereingelassen haben. Meine letzten Zweifel darüber verschwanden, als er etwas lauter sprach, daß ich die Worte verstehen konnte.

Das sind doch Neuigkeiten, welche Ihnen gefallen werden, mein Bester, sagte er. Es giebt nichts, das ich nicht weiß, Sie können sich auf's Sicherste darauf verlassen.

Was Herr von Clement darauf erwiederte, vernahm ich nicht, allein sein Freund antwortete, daß er gleich gehen wolle, denn er habe viele Mühen gehabt und viel Geld ausgegeben.

Es entstand nun ein Geräusch, vor dem ich entfloh, denn ich fürchtete, die Thüre könnte geöffnet werden, zudem hörte ich Schritte auf der Treppe und eilte durch den Corridor in das große Vorderzimmer, da ich meinte, es würde mein Onkel sein, welcher nach Hause zurückkehre.

Doch welche Ueberraschung war es für mich, als ich hereintretend einen Herrn erblickte, den ich nicht kannte, der aber einen erschreckenden Eindruck auf mich machte. Es war gewiß ein Offizier, und im ersten Augenblick glaubte ich Dumoulin zu sehen, denn in derselben Weise trug er seinen Schnurbart spitz in die Höhe gedreht und auf seinen aufgerollten Loden saß ein kleiner aufgeschlagener Hut mit breiter Silberborte. Es war jedoch noch nicht so dunkel, daß ich sein Gesicht nicht erkennen konnte, und dies sah älter und anders aus, als das des Majors. Keck und gebieterisch waren sein Gang und seine Mienen, die Nase breit und ein wenig aufgestülpt, die Augen feurig, der Mund stark und grob, der ganze Kopf mächtig und kräftig, wie der Kopf eines gewaltthätigen Soldaten. Ein langer grauer Mantel hüllte ihn bis zu den Füßen ein, welche mit ihren weißen Stiefeletten darunter hervorsahen.

Er kam sogleich auf mich zu und sah mich, wie ich glaubte, höhnisch an, indem er seine Hand an den kleinen Hut legte.

Das ist gewiß die schöne Jungfer Charlotte? sagte er mit rauher Stimme.

Wenn der Herr meinen Oheim sprechen will, antwortete ich, so muß er wieder kommen, denn er trifft ihn nicht an.

Meinetwegen kann er beim Teufel sein! versetzte er. Ich will nichts von ihm.

Was will somit der Herr? fragte ich.

Der übermüthige Ausdruck in seinem Gesicht wurde noch boshafter.

Wenn ich der Jungfer Charlotte nun Glück wünschen wollte, da ich gehört habe, Sie will sich verheirathen? sagte er.

So würde ich dem Herrn meinen Dank abstatten, wenn es ehrlich gemeint ist.

Donnerwetter! rief er, meint Sie es denn ehrlich?

Ich wurde im ganzen Gesicht roth und wich zurück, allein er rief mir nach:

Sie ist nicht besser, denn alle anderen. Einen ehrlichen Kerl verdient Sie nicht. Um Ihretwegen möchte ich keinen Schritt thun, obwohl ichs gethan hätte, denn ich hatte Gutes von Ihr gehört.

Wenn es so steht, erwiederte ich stolz, so begreif' ich nicht, weshalb der Herr gekommen ist. Ich habe ihn nicht gerufen und halt ihn nicht auf.

Bei dieser Antwort fing er zu lachen an, und die kleinen blitzenden Augen wurden freundlicher.

Den Mund hat Sie auf dem rechten Fleck, das ist nicht gelogen! rief er; aber das Herz sitzt nicht da, wo es sitzen soll.

Was weiß der Herr von meinem Herzen, und was soll man von ihm meinen, da er ein ehrbar Frauenzimmer, das sich nicht zu wehren vermag, so lästerlich zu beleidigen wagt? rief ich empört über sein Benehmen.

Oho! schrie er, will Sie Revenge haben? Wir wollen's überlegen, aber hinauswerfen lass' ich mich nicht, und daß Sie es weiß – hier streckte er seine Hand aus, als wollte er mir Schweigen gebieten, oder als winke er mir zu, mich zu entfernen.

Ich wußte nicht, was er vorhatte, doch ich hörte draußen wiederum Schritte, und ich dachte an Herrn von Clement, ob er es sei, der mir gegen diesen unverschämten Offizier zu Hülfe käme, oder mein Onkel, den ich um Schutz anrufen könnte. Allein ich hatte mich nochmals getäuscht, denn der hereintrat war ein Höherer, als Beide, es war der König. So wie er den Fremden stehen sah, der sich ihm entgegenkehrte, schien er heftig zu erschrecken. Sein rothes Gesicht wurde dunkler, und mit heftiger Geberde und einer raschen Bewegung legte er die Hand an seinen Degen und blieb stehen.

Was ist das, Majestät! rief der Fremde ehrerbietig und doch stolz seinen Kopf hochhebend, indem er den Mantel zurückwarf. Ich Ihr Verwandter, ich, Ihr Freund –

Was wollt Ihr von mir? grollte der König, ohne seine Hand von der halbentblößten Waffe fortzunehmen. Was wollt Ihr hier? setzte er hinzu, und sein Augen erhielten den fürchterlichen Glanz. Ich bin hier nicht in Wusterhausen, nicht auf einer Reise begriffen.

Ich verstehe Sie nicht, antwortete der Offizier. Ich sehe jedoch den tiefen Kummer, in welchen Sie seit einiger Zeit verfallen sind, und mein eigener Kummer ist um dessentwegen so groß, daß ich es nicht länger ertragen kann, denn ich fürchte –

Hier wandte er den Kopf nach mir um und schrie: Hinaus mit Euch da! und so schlüpfte ich eiligst durch die Thür und fiel, um mich eines Spruches zu bedienen, den mein Onkel oft im Munde führte, in die Schrecken der Scylla, um der Charybdis zu entkommen.


7.

Major Dumoulin stand mitten im Zimmer, und ich prallte vor seiner Erscheinung zurück, wie vor einer Klapperschlange, sammelte mich jedoch, machte ihm eine Verbeugung und wollte entfliehen, als er mich daran hinderte, indem er mir den Weg vertrat.

Bleiben Sie, Jungfer Jablonskien, sagte er mit gedämpfter Stimme. Es thut mir leid, daß ich Sie aufhalten muß.

Und warum halten Sie mich auf? fragte ich.

Weil ich Befehl dazu habe, erwiederte er.

Ach! und auf allergnädigsten Befehl giebt es nichts in der Welt, was der Herr Major nicht ausführte.

Sicherlich, hochedle Jungfer, erwiederte er mit finsterer Miene. Wie nichts über kindlichen Gehorsam geht.

Ich wurde feuerroth bei dieser Anspielung und vergaß alles Andere.

Was man gern thut, wird immerdar leicht, versetzte ich.

Sehr wahr! gab er mir zurück, und warum soll man nicht eben so klug als tugendhaft handeln, und seine unbedachten Sentiments verständigen Ueberlegungen aufopfern?

Der Herr Major spricht auf's Fürtrefflichste aus, was ich empfinde, sagte ich mit lachendem Munde, während ich dabei bebte.

Besonders wenn man so schön dafür belohnt wird, fuhr er fort, indem er die große funkelnde Brillantnadel ansah.

Ich blickte ebenfalls darauf hin, und indem ich sie mit dem Finger antippte und ihm entgegenhielt, setzte ich hinzu:

Es ist ein schönes und liebes Geschenk von dem liebenswürdigen Herrn von Clement, dem ich dafür von ganzem Herzen –

In dem Augenblick bemerkte ich eine solche Veränderung in Dumoulins Gesicht, daß ich davor erschrak. Er sprach kein Wort, aber seine Lippen zuckten und seine Mienen drückten den größten Schmerz aus. Er sah mich so kummervoll traurig und leidenschaftlich an, wie ich es nie gesehen hatte, als wollte er rufen: Sprecht das nicht aus, was Ihr sagen wollt, denn es zerreißt mir das Herz.

Wie aber konnte er so betrübt sein, da er mich doch dahin gebracht hatte? Erwachte die verschmähte Liebe in ihm, bereute er, was er gethan, oder war es eine neue Verstellung? Geheime Freude rang mit geheimem Zweifel in mir, ich hätte in seine Arme laufen, hätte ihn fragen mögen: warum habt Ihr mich so treulos von Euch gestoßen, und hätte ihm die Nadel hinwerfen mögen, die er dadurch an meinen Hals gebracht, allein noch blickten wir uns beide an, und die ganze Wahrheit meiner Lage drang auf mich ein, als in dem Zimmer nebenan die rauhe Stimme des fremden Offiziers sich mit größter Heftigkeit erhob.

Das ist ein schändlicher, nichtswürdiger Betrüger! schrie er. Bei meiner Fürstenehre! bei Gott und der Welt Heiland! Alles, was er Ew. Majestät hinterbracht hat, ist erstunken und erlogen!

Ein dumpfes Gemurmel war die Antwort des Königs.

Nein! schrie der Offizier, auch das ist nicht wahr. Es ist ein höllischer Betrug! Stellt mich ihm gegenüber; auf der Stelle sollt Ihr sehen, wie ich diesen Schurken behandeln will! Ich beschwöre Ew. Majestät, sich nicht länger hintergehen zu lassen.

Es entstand ein leiseres Gespräch.

Großer Gott! flüsterte ich, meine Hände bang zusammenpressend, von wem ist die Rede? Wer ist dieser Mann, der so fürchterlich droht?

Es ist der Fürst von Dessau, antwortete Dumoulin.

Der Fürst von Dessau! – Und wer – wer hat den König betrogen?

Es geht sehr wohl an, sprach der Fürst von Dessau drinnen. Ich weiß, daß ein Versteck vorhanden ist, aus welchem man ihn beobachten kann. Dumoulin hat es vor einiger Zeit von dem Mädchen gehört, das hier im Hause lebt –

Im Namen Gottes! theuere Charlotte, flüsterte der Major, indem er meine Hände faste, an seine Brust drückte und mich mit banger Innigkeit anschaute, thut Alles, was von Euch gefordert wird, und wenn ein Funke alter Liebe, ein Hoffnungs- und Rettungsstrahl noch in Euch ist, so handelt, wie dieser es gebietet. Ein niederträchtiger Schelm hat sein freches Spiel hier auch mit Euch getrieben.

Er hatte diese letzten Worte kaum gesagt, als der Fürst von Dessau öffnete, und als er mich erblickte, mich ohne Weiteres beim Arm ergriff und zu dem Könige hereinführte, welcher mitten im Zimmer stand und vor sich nieder blickte.

Hör Sie an, Jungfer, sagte der Fürst, Sie soll ein verständiges Frauensmensch sein, das seine fünf gesunden Sinne beisammen hat. Was hält Sie von dem infamen – von dem Herrn, der bei Ihr im Hause wohnt?

Der Herr von Clement, antwortete ich, ist, so viel ich weiß, ein feiner und edler Herr, welcher sich immer so zu mir gezeigt hat, daß ich nur Gutes von ihm berichten kann.

Oho! schrie er grimmig auf, Sie will mir Vorhaltungen machen. Die Wahrheit heraus! Hat Ihr der Spitz– der feine Herr nichts vertraut? Weiß Sie nichts von seinen Schlichen?

Ich weiß nichts, antwortete ich, was ihn in irgend einer Weise zum Lügner oder Verläumder machen könnte.

Und ich glaube es nicht, fiel der König ein. Er ist ein redlicher Mann, er hat mir Gutes gethan, so daß ich ihm vielen Dank schulde. Auf keinen Fall soll ihm ein Leid geschehen. Kein Haar soll ihm gekrümmt werden. Er soll reisen, wie ich es befohlen habe.

Wie? fragte der Fürst, Sie wollen diesen Vogel aus Ihren Händen lassen? Alle diese nichtswürdige Verläumdung soll auf uns sitzen bleiben?

Er wird wieder kommen, antwortete der König, denn – hier sah er zu mir hin, und ich verstand seinen Blick. Er wird im Haag Papiere sammeln, welche dort in Verwahrung liegen, fuhr er fort, und mir diese bringen.

Der Teufel soll mich holen! lachte der Fürst erbittert, wenn man eine Schuhspitze von diesem Burschen wieder zu sehen bekommt, sobald ihm nicht Leute mitgegeben werden, die ihm nicht von der Ferse weichen und nöthigenfalls Gewalt brauchen. Nichts da, Majestät, überlassen Sie ihn mir, und in vier und zwanzig Stunden soll Alles klipp und klar sein.

Nein! sagte der König, ich will keine Gewalt, und ersuche Eure Liebden, mir nicht Dinge einzureden, die ich nicht glauben kann, und vor denen ich mich schämen muß.

Mit unwilliger Miene stampfte der Fürst von Dessau auf und that einige hastige Schritte, als wollte er sich entfernen, dann aber kehrte er zurück und sprach:

So werden Ew. Majestät mir wenigstens erlauben, daß ich den Kerl sehe und höre, der es wagt, mir und den höchsten Personen in der ganzen Welt Ehre und Reputation abzuschneiden.

Es mag geschehen, antwortete der König nach einem augenblicklichen Bedenken, wenn es verborgen geschehen kann, und Ew. Liebden mir versprechen will, keinen Laut von sich zu geben.

Ich gebe mein Wort darauf, erwiederte der Fürst, und jetzt sagt mir – Ihr da, Jungfer, wo der Ort ist, an den Ihr mich bringen könnt?

Als ich ihm erklärt, welche Bewandtniß es damit habe, wandte sich auch der König an mich, der sein ruhiges Ansehen wieder erhalten hatte.

Wo ist der Herr von Clement? fragte er.

Ich erwiederte, daß derselbe, wie ich nicht anders vermuthen könne, in seinem Zimmer sein werde, um allda die Anordnungen für seine Abreise zu treffen.

Kommt herein, Major Dumoulin! rief er darauf. Geht und seht zu, ob der Herr von Clement zu Haus ist. Bleibt aber bei ihm, bis ich komme; ich folge Euch auf dem Fuße nach.

Hierauf wandte er sich wieder an mich und fuhr mit einer gewissen Vertraulichkeit fort:

Sie hört, daß Clement für einen schlechten Kerl gehalten wird, ich glaube es aber nicht, und denke, Sie wird es auch nicht thun. Es wäre für uns Beide ein Malheur, wenn es so sein sollte, also müssen wir Präcaution gebrauchen. Sie wird um Ihres eigenen Besten willen schweigen, und ich befehle es Ihr expreß, aber ich verspreche Ihr, daß Sie wie Er glänzende Satisfaction haben, und Alles wohl vergelten werden soll, sobald aller Verdacht null und nichtig gemacht ist.

Damit warf er dem Fürsten keinen allzufreundlichen Blick zu und folgte dem Major nach; dies mißtrauische ungnädige Wesen ließ jedoch den rauhen General ziemlich gleichgültig.

Jetzt haben wir es mitsammen zu thun, sagte er, und ich werde mich Ihrer Führung anvertrauen, obwohl wir keine guten Freunde sind, was ich Ihr an den Augen ansehe.

Ich wüßte auch nicht, erwiederte ich, warum ich der gute Freund des Herrn sein sollte.

Sie hält es lieber mit dem Könige, der Ihren guten Freund in Schutz nimmt, versetzte er, aber ich will Ihr etwas vertrauen. Gewiß ist er seiner Sache nicht mehr, und Sie ist es auch nicht. –

Dabei blickte er mich höhnend an, faßte mich beim Arm und fuhr fort:

Mit Ihr werde ich's machen, wie in Feindes Land mit einem Spion. Guten Lohn für guten Dienst, aber das Bajonnet in die Rippen für jede Verrätherei. Jetzt vorwärts mit Ihr!

Ich antwortete nichts weiter auf diese rohe Drohung, sondern führte ihn hinaus und den Gang hinab bis an die geheime Thür in dem Wandschrank, und nachdem ich diese leise geöffnet hatte, flüsterte ich ihm zu, hinein zu treten. Er that es auch, allein er zwang mich, ihm zu folgen, denn er ließ mich nicht los, weil er vielleicht irgend einen Verrath besorgte, und so wurde ich Zeuge alles dessen, was in dem Zimmer vorging.

Der Major Dumoulin hatte Clement dort angetroffen und hatte ihn von dem Besuche des Königs benachrichtigt. Die Lichter brannten auf dem Tische, und der Major hatte sich entfernen müssen, als der König eintrat, welcher jetzt an dem Tische saß und mit sehr lauter und starker Stimme sprach, damit der Fürst Alles in seinem Verstecke hören solle, oder um verdächtiges Geräusch zu überschreien.

Es war auch wirklich, als ob Herr von Clement etwas vernehme oder die Nähe eines Feindes ahne, denn er blickte horchend umher, doch der König achtete nicht darauf, sondern fuhr fort zu sprechen.

Zeige Er mir doch noch einmal die Briefe, welche der Prinz Eugen an den Feldmarschall von Flemming geschrieben hat, sagte er. Wo hat Er sie?

Sie sind in diesem Portefeuille, erwiederte Herr von Clement, und er nahm aus einem seiner Koffer eine rothe Mappe heraus, öffnete diese und reichte dem Herrn mehrere Blätter hin.

Der König hielt sie gegen das Licht und sah lange und scharf darauf hin.

Ja, das sind seine Schriftzüge! rief er dann laut wie in vollster Ueberzeugung, ich habe sie oft gesehen! Dieser verfluchte Plan soll nicht gelingen!

Er soll nicht gelingen, Majestät, antwortete Herr von Clement. Gott hat mich begnadigt, daß ich Ew. Majestät warnen konnte.

Man wollte mich also gefangen nehmen, fuhr der König fort, mich in Wusterhausen, oder wenn ich von Potsdam nach Magdeburg reiste an der sächsischen Grenze überfallen und nach Dresden schaffen; wollte mich dann Zeitlebens unschädlich machen, wie es hier in dem Briefe steht. Weiß Er, wohin man mich bringen wollte?

Es war von einer Festung in Ungarn die Rede, sagte Herr von Clement. Der Feldmarschall von Flemming hatte mehrere Orte vorgeschlagen.

Und mein Sohn, der Kronprinz, sollte nach Wien gebracht und unter des Kaisers Vormundschaft katholisch erzogen werden! rief der König. Weiß Er das gewiß, daß für diese Banditenstreiche sich meine Generale und Minister haben gewinnen lassen? Grumbkow, das möchte noch hingehen, obwohl ich ihn mit vielen Ehren bedacht habe, aber auch der Fürst von Dessau, mein Verwandter, ein deutscher Fürst – sollte der auch mit in dem Complott stecken?

Ich habe keine andere Gewißheit dafür, Majestät, als daß der Feldmarschall von Flemming es mir vielmals versichert hat.

Aber was konnten sie und alle Anderen von dieser unerhörten Verrätherei hoffen? Wenn sie mich an den Kaiser ausliefern und meinen Sohn nach Wien schleppen, werden sich die Steine erheben und um Rache gegen sie schreien.

Ich habe schon einmal zu Ew. Majestät meine Gedanken darüber geäußert, sagte Herr von Clement. Wenn der verruchte Anschlag gelänge, so müßte doch eine Regierung in Preußen eingesetzt werden; es müßten Männer an die Spitze gestellt werden, denen die oberste Leitung übertragen würde. Herr von Grumbkow gilt als der beste und erste Staatsmann in Preußen, der Fürst von Dessau aber als der erste General.

Verfluchter Spitzbube! murmelte der Fürst, indem er meinen Arm so heftig drückte, daß ich hätte schreien mögen.

Herr von Clement blickte abermals umher, er mußte dies Gemurmel gehört haben. Da sich jedoch nichts weiter rührte, wandte er sich von Neuem an den König, der die geballte Hand auf seinen Degen gelegt hatte und mit finsteren Mienen ihn starr ansah.

Was treibt die Menschen überhaupt zum Bösen, allergnädigster Herr? begann Herr von Clement. Die Laster der Habgier, die Gier nach Gold und schwelgerischem Leben, die Begier, die Ersten und die Mächtigsten zu sein. Oder aber der Ehrgeiz, die Ruhmsucht, die Sucht Land und Leute zu vergrößern. Der Kaiser besitzt jedenfalls der Mittel viele, um die Gehülfen seiner Anschläge zu belohnen, und Preußen ist groß genug, um einem deutschen Fürsten einige Städte und Grafschaften zuzuwerfen.

Du Hund, du! sagte der Fürst so wenig vorsichtig, daß er sich verrathen haben würde, wenn der König nicht eben mit voller Kraft aufgeschrieen hätte:

Schweigt davon! nein! – Und dennoch – hah! ich bin ihnen zu groß und zu mächtig geworden. Den Pfaffen ein solcher Greuel, wie ihnen mein Großvater war, und wie dieser hinterlistig von der kaiserlichen Politik für alle Opfer und alle getreuen Dienste mißhandelt.

Majestät, antwortete Herr von Clement, der Kaiser wird niemals einen Fürsten lieben können, der mit solcher hartnäckigen Unerschrockenheit seine Macht zu vermehren sucht, um sich der kaiserlichen Oberhoheit zu entziehen.

Wer sagt das? rief der König auffahrend.

Das sagt in Wien Jedermann, vom Kaiser und dem Prinzen Eugen herunter bis zum geringsten Hofrath. So wird es auch in Dresden fort und fort wiederholt, daß Ew. Majestät der gefährlichste Feind des Kaisers und aller deutschen Fürsten seien; daß Deutschland durch die preußische Eroberungssucht und Ländergier niemals zur Ruhe gelangen werde, daß es der größte und schlimmste Fehler der kaiserlichen Politik gewesen, dem Kurfürsten von Brandenburgs eine Krone aufzusetzen, und daß die kaiserliche Majestät sich wohl vorsehen müsse, daß der neugeschaffene König im Norden nicht den kaiserlichen Thron umstürze.

Damit verläumdet man mich! rief der König.

Glauben Sie denn nicht, Sire, daß man in Wien und Dresden Alles aufs Genaueste weiß, was in Berlin geschieht? fuhr Herr von Clement fort, ohne vor des Königs Heftigkeit und rollenden Augen zu erschrecken. Glauben Sie nicht, daß man weiß, welche Verhandlungen Sie mit Karl dem Zwölften führten, um in den Besitz von Stettin zu gelangen? Welche Bestechungen Sie eben jetzt anwenden, um Danzig zu bekommen, welche Pläne sie mit dem Zaar Peter verabredet haben, um Polen zu theilen, und welche Unterhandlungen sie führen, um Herzog von Kurland zu werden?

Von wem hat er das gehört? fragte der König in einem Tone, der seine große Ueberraschung ausdrückte.

Ich habe es von dem Grafen Flemming gehört, versetzte Herr von Clement, und habe genaue Listen über die Stärke Ihrer Kriegsmacht gesehen. Man weiß, daß diese jetzt schon aus 12 000 Reitern und 36 000 Mann zu Fuß besteht, und daß Sie damit umgehen, Husarenregimenter nach Art der ungarischen zu errichten.

Dann müssen verfluchte Spione in meiner Nähe sein, die mich verrathen! rief der König voller Heftigkeit.

Man hat aber auch erfahren, fuhr Herr von Clement unerschrocken fort, daß Sie den festen Willen haben, Ihr Heer auf 80 000 Mann zu bringen und ein solches mächtiges Heer in solcher Kriegsbereitschaft, auf's Trefflichste geübt, hält man in Wien und Dresden für sehr gefährlich.

Darum soll ich beseitigt werden, fiel der König ein. Darum wollen sie mir Freiheit und Leben nehmen!

Alle Protestanten Deutschlands blicken mit Verehrung und Vertrauen auf den mächtigen Herrn im Norden, sagte Herr von Clement, der die bedrängten Glaubensbrüder in Schlesien, in der Pfalz, in Münster und selbst in Salzburg unterstützt und welcher unaufhörlich spart und Geld sammelt, um immer mehr Soldaten bewaffnen und ernähren zu können.

Geld! fiel der König nachdenklich ein. Die Jesuiten hätten vielleicht Recht, sich vor mir zu fürchten, wenn ich Geld hätte; aber Geld fehlt mir.

Man kennt sehr genau eben sowohl die sparsamen, eigenhändigen Küchenzettel Ew. Majestät, entgegnete Herr von Clement, wie die eigenhändigen Instructionen an den Herrn Finanzminister von Kamecke, auch weiß man was die Domainen und Forsten, was Zölle und Abgaben liefern, welche von Ew. Majestät so ansehnlich vermehrt und so wohl geordnet worden sind, daß die zwei und eine halbe Million Thaler, welche der Staat bei Ihrem Regierungsantritte einbrachte, sich schon jetzt um beinahe das Doppelte erhöht haben.

Es wird auch wieder ausgegeben, sagte der König beunruhigt über diese Kenntnisse, welche der Chevalier von den geheimsten Dingen hatte. Ich muß mein Land in die Höhe bringen.

Nicht Alles, antwortete Herr von Clement, wird dafür verwandt, denn man weiß, daß Ew. Majestät einen Schatz angelegt haben; und daß sich beinahe zwei Millionen baares Geld darin befinden; auch weiß man, daß Sie vor kurzer Zeit erst dem Könige von Schweden eine Million angeboten haben, wenn er Stettin mit dem Lande bis an die Peene Ihnen abtreten wollte.

Dies schien ein besonders wichtiges Geheimniß zu sein, denn der König erhob sich wie vom Donner getroffen und blieb regungslos stehen, bis er mit fast erstickter Stimme sagte:

Wie ist es möglich, daß sie das in Wien und Dresden wissen?! Von welchen Schurken und Canaillen bin ich umringt? Wem soll ich vertrauen?

Seine Augen ruhten sicherlich dabei mit durchbohrendem Ausdruck auf seinem Vertrauten, denn dieser sagte mit der gewinnenden und freimüthigen Wärme, welche ihm eigen war:

Ich würde unglücklich sein, wenn Ew. Majestät mich ungnädig entlassen wollten.

Nein, rief der König, Ihm danke ich, und glaube ihm auch, denn ich muß ihm glauben. Was hat Er jetzt noch zu sagen?

Nur die unterthänige Bitte auszusprechen, daß Ew. Majestät mich jetzt unverzüglich nach dem Haag reisen lassen, um Ew. Majestät dort aufs Beste zu dienen.

Festhalten! Festhalten den verdammten Spitzbuben! flüsterte der First neben mir.

Er soll reisen, sagte der König. Er soll zusehen, was die Seemächte von den schändlichen Plänen wissen, und mir Nachrichten geben.

Verlassen sich Ew. Majestät darauf, sagte Herr von Clement, daß ich alle diese Entwürfe des Kaisers und des Prinzen Eugen durchkreuzen werde. Ohne die Einwilligung der Seemächte kann man nicht weiter kommen, und diese werden nimmermehr solchen schändlichen Anschlägen beistimmen.

Wann denkt Er wieder hier zu sein? fragte der König, nachdem er einige Augenblicke geschwiegen und sich gesammelt hatte.

Sobald ich Ew. Majestät sichere Nachrichten überbringen kann.

Er geht großen Gefahren meinetwegen entgegen.

Ich habe keine Besorgnisse um mich, da ich das Rechte thue.

Der König schwieg wiederum, darauf sagte er:

Ich will Ihm zwölf tausend Thaler mitgeben, sowohl für die Reise, wie wenn Er Geld zu Geschenken nöthig hat.

Mit meinem unterthänigen Dank bitte ich Ew. Majestät, dies Geld refusiren zu dürfen, versetzte Herr von Clement, ohne sich zu besinnen. Ich wiederhole Ew. Majestät, und rufe Gottes Zeugniß an, daß ich weder einen Lohn beanspruche, noch solchen zu verdienen meine.

Diese feierliche und entschiedene Ablehnung schien großen Eindruck auf den geizigen König zu machen, und auch auf mich wirkte sie bewundernd. Ich fühlte einen Stolz über dies großherzige Benehmen und verwarf den abscheulichen Verdacht, welcher in mir entstanden war.

Während dessen bedachte sich der König eine kurze Zeit und sprach darauf:

Wenn Er mein Geld nicht will, so achte ich ihn um so höher, aber die Briefe von dem Prinzen Eugen und dem Grafen Flemming muß Er mir zurück lassen, bis Er wieder kommt.

Wie Ew. Majestät es befehlen, antwortete Herr von Clement, doch könnte ich sie im Haag gebrauchen.

So nehme Er sie meinetwegen mit.

Verflucht! murmelte der Fürst von Dessau.

Bis auf den einen hier, den will ich behalten, fuhr der König fort; und nur noch Eins: Er soll nicht meinetwegen sich ohne Hülfe und Beistand in solche Gefahren stürzen; ich werde ihm einen Begleiter mitgeben, auf den Er sich verlassen kann.

Der Fürst lachte leise neben mir und drückte wieder meinen Arm zusammen.

Ich versichere Ew. Majestät, sagte der Chevalier, daß ich die Gefahren für keineswegs so groß halte.

Ich wills aber so haben! fiel der König ein. Er soll nicht allein gehen.

Dann unterwerfe ich mich dem allergnädigsten Willen.

Denn ich meine es gut mit Ihm, fuhr der König fort, ich gebe Ihm Einen mit, der sich vor ein Schock Teufel nicht fürchtet. Der Major Dumoulin soll Sie begleiten.

Ein neues Lachen erfolgte dicht an meinem Ohr.

Heißa, Jungfer Charlotte, flüsterte der Fürst, jetzt haben wir den Wolf beim Ohr. Das ist ein Hatzhund, der läßt nicht los.

Bestimmen Ew. Majestät, was geschehen soll, sagte Herr von Clement.

Er soll noch in dieser Nacht reisen. Major Dumoulin kann in einer Stunde fertig sein. Für Pässe sammt Allem, was nothwendig, werde ich sorgen! Ich will dem Major gleich ins Quartier schicken, daß er sich fertig macht. Wagen und Postpferde sollen hierher kommen, und ich will bei Ihm bleiben, bis ich Ihn abfahren sehe. Je schneller fort, je eher habe ich ihn wieder.

Jetzt hinaus mit uns! flüsterte der Fürst mir ins Ohr, und während des Lärmes im Zimmer gelangten wir glücklich auf den Gang, wo ich aus der Gefangenschaft befreit wurde; denn der durchlauchtige Herr ließ mich los und sagte: Den Dank für Ihre guten Dienste bleib' ich Ihr schuldig, Jungfer Charlotte, sei Sie jetzt klug und zeige, was Sie werth ist.


8.

Am folgenden Morgen saß ich allein mit meinem hochgelehrten Oheim am Frühstückstische, und er wehklagte ob seiner Schmerzen über den Verlust seines vielgeliebten Schülers und tröstete sich und mich mit salbungsvollem Trost, daß mein edler Bräutigam wohlbehalten bald zurückkehren werde, um in unseren Armen auszuruhen. Daß der König die unermeßliche Gnade gehabt, zu bleiben, bis die Rutsche fortfuhr, daß er den Major Dumoulin ihm mitgegeben, um sein kostbares Leben und Wohlsein zu beschützen, und daß er in der allergnädigsten Weise mit vielen guten Wünschen und Befehlen, sobald als möglich wieder zu kommen, ihn entlassen hatte, war für meinen Onkel ein Quell unerschöpflicher, angenehmer Vorstellungen.

Von allen Geheimnissen des gestrigen Abends hatte er nichts erfahren, denn er war erst in sein Haus zurückgekehrt, als der Fürst von Dessau dies wieder verlassen hatte. Dies begab sich bald darauf, als ich selbst frei geworden war. Der Fürst ging in das Wohnzimmer und traf dort mit dem Könige zusammen, der den Major Dumoulin mitbrachte. Vergebens hatte ich versucht, dem Major zu begegnen, ich traf nicht mehr mit ihm zusammen. Nach kurzer Zeit trat er mit dem Fürsten heraus, ich stand in der Dunkelheit auf der Treppe und sah sie beide fortgehen.

Keinen Fuß breit sollte mir der Kerl fort, hörte ich den Fürsten sagen, allein ich kann's nicht hindern. Laßt den Hundsfott also nicht echappiren, Dumoulin, ich will's Euch so gut Dank wissen, wie die Jungfer Charlotte.

Wer weiß, ob die mir es jemals dankt, versetzte er darauf, und es war solch ein höhnischer, abscheulicher Ton in seinen Worten, daß ich mich darüber empörte. Ich lief die Treppe hinauf und ballte meine Hände voller Zorn.

Nein, rief ich, treuloser, herzloser Verräther, ich will mich niemals mehr bethören lassen, niemals mehr glauben, was er mir vorheuchelt.

Abscheuliche Verstellung war es, daß er mich mit Blicken ansah, als ob Reue und Angst in ihm aufwachte. Alles war Schein und Hinterlist, um den armen Herrn von Clement zu verderben. Dem grimmigen grausamen Fürsten von Dessau hatte er Alles längst verrathen. Von ihm mußte ich mich schmähen und höhnen lassen, dann wurde ich wie ein Spion gezwungen, ihm zu folgen, weil ich auf unwürdige Weise verrathen worden war.

Mitten in diesen zornigen Vorstellungen dachte ich dann an das, was ich gehört, und neue schreckliche Angst überfiel mich. Der Kaiser und der König von Polen wollten den König gefangen nehmen und Zeitlebens einsperren. – Das also war Clements Geheimniß, darum war er nach Berlin gekommen, um es dem Könige zu enthüllen. Himmel! welche Verbrechen, welche schreckliche Gefahren! Und wenn es erlogen war – warum aber sollte Herr von Clement lügen? Was konnte dahinter stecken? Und wenn's erlogen wäre, würde er so edel sein, die große Geldsumme zurückzuweisen? Wenn er ein Betrüger war, warum denn wollte er auch mich betrügen?

Ich gerieth in ein solches Gewirr von Vorstellungen, daß ich nicht aus nicht ein wußte; denn nun fiel mir wieder ein, wie er heimlich mit dem schlechten Baron Heidekamm verkehrt, und wie ich gehört, daß dieser sich gerühmt, es gäbe nichts Geheimes, das er nicht herausbrächte. Aber das edle feine Wesen des Chevaliers, und wie er sich immer gezeigt, alle seine schönen Eigenschaften machten, daß ich nichts Schlechtes festhalten konnte, und als ich hinabgerufen wurde, war ich beinahe in meinem Herzen ihm mehr zugethan, als es je der Fall gewesen.

Sicherlich ist er unschuldig, und was er begangen, ist gut und gerecht, sagte ich zu mir selbst. Hat er nicht gesagt, er fürchte sich vor keiner Gefahr, weil er recht thue? Somit wird ihm Gott beistehen, und alle seine Feinde werden zu Schanden werden.

Ich hatte wohl auch einen Augenblick lang im Sinn, ihm heimlich zu vertrauen, wie es mir ergangen, daß er sich hüten möge vor dem Fürsten von Dessau, und daß der König ihm sicherlich den Major als Aufpasser mitgegeben – wie ich dies jedoch bedachte, fiel mir der Muth. Sollte ich Dumoulin anklagen? Sollte ich ihn in Gefahren stürzen? Waren es nicht schon große Gefahren, in welche er sich begab? Konnte er nicht in Holland in schreckliche Lage gerathen, wohl gar ermordet werden, oder auf ein Schiff geworfen und nach Indien verkauft werden, wenn dieser Herr von Clement ein so schrecklicher Mensch war, der er sein sollte? –

Nein, ich konnte nichts verrathen, was Dumoulins Gefahren vermehren mußte, und ich war froh, daß mir auch keine Gelegenheit dazu geboten wurde, denn als ich hinunter kam, trat Dumoulin schon wieder ein mit seinem Diener, der mitreisen sollte, und mit einem kleinen Mantelsack, auf dem ein paar ungeheure Pistolen lagen.

Der König kam mit dem Herrn von Clement aus dessen Zimmer, und dieser benahm sich sehr artig gegen den Major, reichte ihm seine Hand und scherzte und lachte mit ihm, was Dumoulin in derselben Weise, nur nicht so fein, erwiederte. Der Chevalier in seinem kostbaren Kleide, einen schönen mit Pelz ausgeschlagenen Roquelaure darüber, sah aus wie ein vornehmer Herr, der Major dagegen in einem dunkelgrünen Rock und groben Mantel würde als ein untergeordneter Mensch erschienen sein, wenn nicht sein stolzes, herrisches Gesicht ihn vor solcher Verwechselung bewahrt hätte.

Als Alles bereit war, nahm Herr von Clement von mir Abschied, und obwohl es in Aller Gegenwart geschah, sagte er mir doch die schönsten und freudigsten Worte, küßte meine Hände, bat mich, ihn niemals zu vergessen, und versicherte mich, daß ich eben sowohl bald von ihm hören, wie auch ihn wiedersehen werde, wo er dann sich so bald nicht wieder von mir zu trennen dächte. – Er blickte mich dabei so liebevoll gerührt und innig an, daß ich mich lebhaft davon bewegt fühlte, mit meinen guten Wünschen nicht zurückblieb, ihn bat, für sein Wohl Sorge zu tragen, auch mich nicht zu vergessen und glücklich zu uns zurückzukehren.

Als ich meine Augen aufschlug, sah ich in Dumoulins Gesicht, denn er stand mir gegenüber, und ich erschrak vor dem wilden und hohnvollen Ausdruck, mit welchem er mich betrachtete. Doch eben um dessentwegen vermehrte ich meine Flatterien, er sollte nicht glauben, daß ich mich vor seinen Blicken und Geberden fürchtete, und so schieden wir endlich, indem ich that, als bemerkte ich ihn kaum, während er es ganz eben so mit mir machte.

Nachdem ich dann allein war, ließ ich wohl den Kopf hängen, und am folgenden Tage meinte mein Onkel, daß meine Traurigkeit und nassen Augen von dem Verlust meines schönen Herrn von Clement herrührten, allein ich dachte im Ganzen mehr an den Major, als an diesen, und peinigte mich mit geheimen Vorwürfen, daß ich ihn so gekränkt, ohne ein freundliches Wort und einen Glückwunsch hatte reisen lassen. Immer wieder fiel mir ein, wie er mich an alte Zeiten gemahnt und mit so sonderbaren Blicken angeschaut, als sei ich seine angebetete Charlotte; allein ich bewaffnete mich dagegen mit seinem Briefe, steckte diesen in mein kleines Souvenir, das ich immer bei mir trug, und sobald mich ein reuiges Sehnsuchtsgefühl anwandelte, zog ich es heraus und stärkte mich daran, wie gute Christen am heiligen Evangelium gegen die Gewalt des Teufels. Sogleich hob ich dann wieder meinen Kopf auf, machte meinen Knix und rief:

Ich thu's noch immer gerne, mein gnädiger Herr Major, und verbleibe Ihre gehorsamste Jungfer Jablonskien!

Nun vergingen meine Tage in Stille, nur im Geheimen führte ich ein regsames Gedankenleben. Der König kam nicht mehr zu uns, der Fürst von Dessau ließ sich ebenfalls nicht wieder blicken, und mein Onkel ergab sich bald seinen alten Gewohnheiten, den allergrößten Theil seiner Zeit in seiner Bibliothek mit gelehrten Studien zu verbringen, endlich aber auch Einladungen zu Mittags- und Abendtafeln anzunehmen, welche zu seinem Leidwesen jedoch weit spärlicher einliefen, als es sonst der Fall gewesen.

Die Ursachen blieben mir nicht unbekannt. Der König benahm sich nach der Abreise des Herrn von Clement eben so niedergeschlagen, denn vorher, und alle Gesellschaft vermeidend. Nur wenige der allervertrautesten Generale litt er um sich, alle anderen durften weder an seine Tafel, noch in seinen Abendkreis, und dies Benehmen wirkte auf die gesammten vornehmen Leute derartig, daß ihre Geselligkeit darunter litt.

Auch mein Onkel erhielt keine Einladung an den Hof, selbst nicht am Sonntag, wo er predigte und wo dem Herkommen gemäß der Hofprediger bei dem Könige speiste; dagegen wurden die anderen Hofprediger Reinbeck und Cochius eingeladen, was mein Onkel sehr empfindlich vermerkte und sein heftiges Kopfschütteln verursachte. Ich suchte es damit zu erklären, daß der König ihn nicht um sich haben möge, um keine Gelegenheit zu bekommen, ein unbedachtes Wort zu äußern, daß er ihm aber dennoch so gnädig gewogen sei, denn je vorher; er jedoch blieb in Sorgen, daß Sr. Majestät Nachtheiliges von ihm berichtet sein müsse, und als er einige Tage darauf von dem Fürsten von Dessau, den er bei dem Grafen zu Dohna angetroffen, mit spöttischen Reden über seine Frömmigkeit tractirt wurde, welche aus jedem Spitzbuben einen Heiligen machen könnte, faßte er den Verdacht, daß der Fürst ihn verschwärzt haben müßte.

Hierin wurde er bald noch mehr bestärkt, als der General von Grumbkow ihn zu sich bitten ließ und ihn auszuforschen suchte. Der General war von dem Könige so zurückgesetzt, daß er kaum noch mit ihm sprach, wenn dringende Geschäfte ihn dazu nöthigten; in seiner Hand lagen jedoch die wichtigsten Dinge, und der König konnte den schlauen und ränkevollen Mann nicht missen. Aber er behandelte ihn mit Geringschätzung, und Grumbkow war nicht im Stande, die Ursache herauszudringen. Jetzt erfuhr mein Onkel, daß der Herzog von Dessau zwar ebenfalls fortgesetzt kalt behandelt werde, und der König ihn vermeide, daß der Fürst aber zu vertrauten Leuten geäußert habe, wenn der elende Pfaffe, der Jablonski, sich anders benommen hätte, so würde der König nicht in so betrübte Einbildungen verfallen sein.

Mein Onkel wagte es nicht, dem General irgend eine Enthüllung zu machen, eben so wenig wagte er den Fürsten zur Rede zu stellen; wenn er aber gewußt hätte, was in seinem Hause vorgegangen, wie der gewaltthätige Fürst den König überrascht, den Herrn von Clement belauscht, und was dessen Geheimniß, würde er in die allergrößte Angst gerathen sein. Jetzt nahm er an, daß Dumoulin seinen Aerger und Groll zu bösartigen Verläumdungen gegen ihn zusammengefaßt habe, da er den ausgezeichneten Gast mit solcher Liebe behandelt und vor dem König mit solcher Verehrung immerdar gerühmt habe. Er konnte sich freilich nicht denken, daß der Major dem Fürsten die Wahrheit gegen des Könige strengen Befehl gesagt, aber Eifersucht und Zorn hatten diesen angetrieben, irgend eine Geschichte zu erfinden, daß der Hofprediger Spitzbuben bekehre und den König gegen seine getreuesten Diener aufbringe. Sein Ingrimm gegen den Major war daher nicht gering; er vergaß, daß er diesen früher fast so sehr ausgezeichnet, wie den Herrn von Clement, ihn die Blüthe und Krone aller jungen Offiziere genannt, und daß er Gottes Gnade nicht weniger gepriesen haben würde, wenn dieser fürtreffliche Major mich vor einigen Wochen zur Frau begehrt und mich zu so hohen Ehren auserwählt hätte.

Als ich es wagte, Einwendungen zu machen, fuhr er auf mich los und zum ersten Male wieder zeigte er mir seine imperatorische Hoheit und sprach in der dritten unbestimmten Person.

Man ist noch immer nicht klug geworden! rief er ärgerlich, wird auch wohl leider niemals Einsicht bekommen. Man spreche kein Wort mehr darüber. Ich will von diesem verläumderischen Menschen, dem wie dem Knechte Malchus ein Ohr abgeschnitten werden müßte, nichts mehr vernehmen. Er wird aber seinen Lohn bekommen. Ich hoffe, der edle fürtreffliche Herr von Clement wird ihm dazu verhelfen.

Diese drohende Ahnung widerhallte nur zu sehr in mir, und einige Zeit lang träumte ich schreckliche Geschichten, bei denen Dumoulin in Todesgefahr schwebte. So sah ich ihn in einer Nacht ganz deutlich, wie er mit gebundenen Händen zum Richtplatz geführt wurde, und über ihm auf der Galgenleiter stand der Henker bereit, warf ihm die Schlinge über den Kopf und sah sich dabei nach mir um. Es war Clement, der mit dem allerfreundlichsten Lächeln mir zunickte. Ich versuchte einen Schrei auszustoßen, und konnte nicht schreien; ich wollte fort und ihm helfen, doch meine Füße wurzelten fest; ich wollte meine Hände ausstrecken, und vermochte sie nicht zu bewegen. Verzweifelnd, ohnmächtig fühlte ich nichts mehr.

Am folgenden Morgen brachte der Postbote einen Brief aus Hannover, welcher aller Angst ein Ende machte. Herr von Clement war glücklich angelangt, er schrieb in heiterer Weise von dieser Reise, schrieb von seinem Begleiter, dem Major, in wohlwollenden Ausdrücken, ein wenig scherzend oder spöttelnd über die Sicherheit, welche ihm ein so tapferer Reisegesellschafter gewähre; in dem Briefchen aber, das an mich einlag, stand Vielerlei von feinen zärtlichen Gedanken an mich, von der Sehnsucht, welche er empfände, und von den süßen Vorstellungen, welche er sich von seinem Glücke mache, wenn er mich wiedersehen werde. Es war ein von den schönsten Redeblumen duftender Brief, wie ein verliebter, galanter Herr ihn nur schreiben konnte, der mit allen Artigkeiten und Flatterien für ein junges Frauenzimmer wohl bekannt war. Dabei duftete auch das sammetartige französische Papier von Wohlgeruch, und seine Schriftzüge waren so zierlich, wie vom besten Schreibmeister gemalt.

Mein Onkel, dem Herr von Clement nicht weniger angenehme Dinge sagte und ihm seine nie endende Verehrung betheuerte, wurde davon eben so gerührt, wie begeistert. Alle seine Erinnerungen wachten auf, er war voller Stolz und Glück und umarmte mich mit Thränen in den Augen, indem er mich für die seligste begnadigtste Creatur erklärte und den Tag kaum erwarten konnte, wo er seinen geliebten theuren Freund wiederum an sein Herz drücken sollte. Wir wechselten in dieser Beziehung beinahe die Rollen, denn er war so zärtlich und sehnsüchtig, wie es zu sein mir besser angestanden hätte, allein ich konnte mich nicht dazu erheben. Der Brief des Herrn von Clement ließ mich ziemlich kalt; er war so glatt und gedrechselt, es wollte nichts davon in mir festhalten; alle die feinen Schmeichelworte glitten, wie polirtes Elfenbein aus den Händen, so an meinen Empfindungen hin, und es kam mir vor, als sei doch Alles nicht wahr, sondern nur gemacht, um mich zu unterhalten.

Wenn Dumoulin an mich geschrieben hätte, wie anders würde sein Brief ausgefallen sein. Kurz und bestimmt, kaum ein paar feurige Worte, kaum ein paar Liebesnamen. Gewiß keine Sehnsuchtsklagen, keine schmachtenden Seufzer über sein Unglück, weit eher ein Spott oder ein Fluch, oder eine andere Barbarei, und doch hätte ich ihm mehr geglaubt, wäre auch wohl empfindsamer dabei gewesen. Es war schlimm, daß ich solche Vergleichungen anstellte, daß ich auch jetzt mehr an den dachte, welcher keine Silbe von sich hören ließ, als an den, der mir drei Seiten voll der allerschönsten Sachen geschrieben; allein ich mochte es anstellen wie ich wollte, immer kam ich darauf zurück.

Nach dem Schreiben des Herrn von Clement wollte er am darauf folgenden Tage aus Hannover abreisen, wir konnten somit ihm keine Antwort schicken, und er hatte dies auch angedeutet, indem er bat, daß wir seinen nächsten Brief abwarten möchten. Somit hatte ich denn Zeit genug, mich auf eine Antwort zu besinnen, und wie viele Stunden brachte ich mit Entwürfen derselben zu. Es vergingen Tage und Wochen, wo ich mich immer wieder damit beschäftigte, den rechten Ton und die rechte Form zu treffen, wo ich aber stets von Neuem, was ich gesonnen und begonnen, ausstrich und zerriß, weil mir beim nächsten Male nichts mehr davon gefiel, oder ich darüber lachte, oder davor erschrak. Bald kam es mir vor, als sei ich viel zu zärtlich gewesen, bald wider zu kindlich, oder gar zu kalt und blöde, oder im Anfange zu lustig und hinterher wieder viel zu ernsthaft.

Ich kam nicht damit zu Stande und während dessen verging die Zeit derartig, daß längst schon wieder ein Brief anlangen konnte. Es kam jedoch keiner, und nicht einmal zum Weihnachtsfeste oder zum neuen Jahre erfüllten sich unsere Erwartungen, wie gewiß wir auch darauf gerechnet hatten.

Ich kann nicht von mir sagen, daß ich darüber in übermäßige Traurigkeit verfiel, doch ängstlich war mir freilich zu Muthe, denn was hatte dies Schweigen zu bedeuten? Warum schrieb Herr von Clement nicht? Was war ihm widerfahren?

Alle die trüben Vorstellungen von irgend einem Unglück, welche man sich macht, wenn die Briefe einer entfernten Person ausbleiben, die in unseren Hoffnungen oder Erwartungen einen hervorragenden Platz einnimmt, überkamen mich; andererseits fehlte es auch nicht an Beschwichtigungen, denn in damaliger Zeit gingen Briefe nicht selten verloren, auch hatte Herr von Clement vielleicht Geschäfte, welche ihm Schweigen und Vorsicht aufnöthigten, oder er kam selbst, statt eines Briefes, und überraschte uns plötzlich, was mir eine Zeit lang so gewiß vorschwebte, daß ich mehrmals in schreckliches Herzklopfen verfiel, weil ich seine Stimme zu hören glaubte. Allein Alles zeigte sich eitel.

Wenn jedoch ein Unglück vorgekommen war, sollte Dumoulin dies nicht sogleich gemeldet haben? Wenn aber dagegen dem Major ein Leid geschehen, würde dies nicht sofort zur Kenntniß nach Berlin berichtet sein, da der König doch einen Gesandten im Haag hatte, und würde mein Onkel nicht es sodann erfahren haben?

Leider befand sich der König noch immer in derselben Laune und meinen Onkel sah er so wenig an, als andere wohlanständige Leute. Der Fürst von Dessau war seit einiger Zeit aus Berlin abwesend in seinem eigenen kleinen Lande, am Hofe gab es nichts als mißmuthige verdrüßliche Gesichter. Man erzählte sich, daß der König selbst mit seiner Gemahlin heftige Auftritte gehabt habe, da sie in ihn gedrungen sei, ihr die Ursache seiner Betrübniß zu entdecken. Der König hatte statt der Antwort auf die Spione und Canaillen geschimpft, von denen er umgeben sei, und da er mit Niemand in solcher erbitterten Feindschaft lebte, als mit seinem Schwager in Hannover, hatte er der Königin harte Worte gesagt über ihre hohen Verwandten und über ihre eigenen Umgebungen und Vertrauten, unter denen er wohl Verräther vermuthen mochte.

Ebenso erfuhr mein Oheim von ihm bekannten Dienern des Königs, daß fortgesetzt geladene Pistolen neben seinem Bett lägen, und seine Thüren bewacht würden; allein alle seine Bemühungen, sich Sr. Majestät bemerklich zu machen, um ein Zeichen von Gunst oder Gnade zu erlangen, oder zu einem vertrauten Gespräch gezogen zu werden, scheiterten zum tiefsten Leidwesen meines Onkels. Der König schien Alles vergessen zu haben, was vorgegangen, vergessen die fürchterlichen Anschläge, welche Herr von Clement ihm enthüllte, vergessen den armen Major Dumoulin, den er nach Holland hinausgejagt; dennoch war es nur zu gewiß, daß er an diesen Geschichten krankte und sicherlich nichts vergessen hatte.

Wie aber sollten wir Erkundigungen über den Chevalier und den Major einziehen? Zu keinem Menschen durften wir das Geringste von den Beziehungen des Königs zu dem Herrn von Clement äußern, auch keine Frage an Jemand richten über die Reise oder das Schicksal des Herrn von Dumoulin. Der König, so hieß es bei den Offizieren, habe den Major in geheimer Sendung fortgeschickt. Wohin, wußte Keiner. Ob nach Schweden, nach Rußland, nach Preußen oder Polen, oder ins Reich, blieb den Vermuthungen überlassen; jedenfalls jedoch war der Major durch diese Auszeichnung noch mehr als bisher ein Gegenstand des Neides und der Verwunderung geworden. Der General Forcade hatte sogar meinem Onkel gesagt:

Der ist von dem rechten Holze, aus welchem die Generale gemacht werden. Es wird nicht lange dauern, so hat er die goldenen Achselschnüre und steht obenan.

Heimlich mußte ich mich darüber freuen, wenn ich auch äußerlich that, als ob ich in meines Onkels üble Gedanken einstimmte, und mich selbst darüber ärgerte, daß ich Dumoulin nicht mehr gram sein konnte. Aber ach! immer und immer wieder fiel er mir ein und immer von Neuem schlich ich heimlich in die Laube hinaus, welche jetzt unter Schnee und Eis begraben lag, saß da manchesmal frierend und doch innerlich heiß, und seufzte den Stimmen nach, die aus meinem Herzen kamen.

So war's um die Mitte Januar und ein dunkler trüber Abend brach herein, als ich eben wieder aus dem Garten ins Haus zurückkehrte. So wie ich jedoch auf der Flur anlangte, lief der alte Gottfried mit ängstlichem Gesicht mir entgegen, winkte mir zu und flüsterte:

Es ist ein Besuch gekommen, hochedle Jungfer, ein Besuch beim Herrn Hofprediger, und ich soll die hochedle Jungfer suchen und holen; sie soll gleich auf der Stelle kommen.

Wer ist es denn? fragte ich den alten Mann.

Er that so scheu, als fürchte er sich und wollte mit der Sprache nicht heraus, aber ich dachte an Clement, verstummte ebenfalls und fühlte mich von einem Schrecken überfallen, den ich kaum bezwingen konnte. Mit Bangen ging ich nach meines Oheims Zimmer, und wie ich eintrat, zitterte ich noch mehr, denn ich sah einen Herrn rasch sich nach mir umwenden, als wollte er auf mich zueilen. Im nächsten Augenblicke jedoch wurde mir leichter, denn nicht Herr von Clement war es, sondern der König, der zu sprechen begann.

Da ist Sie ja! rief er. Wie ist es Ihr gegangen?

Ich machte eine stumme Verbeugung, welche er damit erwiederte, daß er sich noch mehr näherte und mich betrachtete.

Sie sieht auch nicht zum Besten aus, fuhr er fort. Sie hat sich recht gegrämt?

Ich habe einige Ursach dazu, erwiederte ich.

Oho! der Clement hat nicht geschrieben! da läßt Sie die Ohren hängen; es geht mir auch so. Aber weiß Sie was, wir wollen beide zusehen, daß wir ihn wieder bekommen; ich denke, ich will Ihr dazu verhelfen. Will Sie?

Ich sah zu ihm auf und zwang mich zu einem Lächeln, obwohl mir nicht danach zu Muthe war.

Der gewaltige Herr sah gar nicht so aus, als ob er mir gefällig sein wollte, auch hatte sein Ansehen sich sehr verändert. Sein volles rothes Gesicht war magrer geworden, die Backen hingen schlaff daran nieder und die Nase trat weiter hervor. Der Ausdruck von Härte und Heftigkeit prägte sich dadurch noch mehr aus, und während seine runden Augen mich anfunkelten, verzog er seinen Mund zu einem höhnischen Lachen.

Sie soll eine Reise machen, fuhr er fort, ohne auf meine Antwort zu warten. Ihr Onkel soll Sie mitnehmen nach Cleve, da ist Sie dicht an der holländischen Grenze. In einem guten Tage kann ein Brief bis in den Haag kommen; so kann Sie Ihrem Liebsten gleich schreiben, wenn Sie da ist.

Ich war in hohem Grade überrascht, und meine Augen suchten meinen Onkel, welcher demüthig gebeugt hinter dem Könige stand und, wie es mir vorkam, ebenfalls nicht wenig erschrocken aussah.

Nach Cleve sollen wir reisen? fragte ich unter diesem Eindruck.

Hat Sie es nicht verstanden? schrie er mich an. In Cleve wird Sie dem Clement sogleich schreiben, ihm melden, daß Sie da ist, und ihn auffordern, daß er Sie besucht.

Aber wir wissen ja nicht, Majestät, ob der Herr von Clement im Haag ist, oder wo er sich befindet, wagte ich einzuwenden.

Darüber wird Sie Nachricht bekommen, antwortete er: Ihr Onkel soll es Ihr zu wissen thun, wenn es Zeit ist.

Ew. Majestät haben also Nachricht erhalten von dem Herrn Chevalier?

Nichts habe ich erhalten, so wenig wie Sie.

Aber der Herr Major von Dumoulin, – begann ich von Neuem.

Was hat Sie mit dem Major zu schaffen? unterbrach er mich. Denke Sie an den Clement, mit dem Sie charmirt hat. Sie sieht, daß ich es gut mit Ihr meine, also lock' Sie ihn zu sich nach Cleve und halt Sie ihn fest, oder bringe Sie ihn mit. Morgen früh aber sei Sie fertig, daß Sie abreisen kann.

Morgen früh schon! versetzte ich erstaunt.

Der König beachtete meinen Ausruf nicht. Er wandte sich an meinen Onkel und sagte im befehlenden Tone:

Er thut, was ich Ihm gesagt habe. Morgen früh Punkt acht Uhr ist Er bei mir, da Er soll bekommen, was Er nöthig hat. Mach Er sich zurecht, daß Er gleich darauf abreisen kann. Und Sie– er sah nach mir um – mach Sie Ihre Sache gut, so wird es Ihr auch gut gehen.

So verließ er uns, ich konnte jedoch kaum denken, daß Alles, was ich gehört, wahr und gewiß sei.

Herzliebster Onkel! rief ich, als dieser zurückkehrte, es war wohl nur ein gnädiger Spaß von Sr. Majestät?

Man schweige! versetzte er und warf sich in seine Würdigkeit, womit er sich in den Lehnstuhl niederließ, beide Arme aufstemmte, sein Gesicht deckte und beklommen seufzte.

Ich blieb vor ihm stehen voller Verwunderung.

Aber es ist bitterlich kalt, tiefer Schnee, ein harter Winter, begann ich darauf. Wie kann man bei solcher Zeit reisen wollen?

Sollen! sollen! murmelte er mit hohler Stimme. Morgen, es muß so sein!

Was sollen Sie denn in Cleve machen?

Es sind Streitigkeiten zwischen den Reformirten und Lutheranern ausgebrochen, versetzte er, nachdem er Anfangs keine Antwort gegeben, welche ich auf Befehl Sr. Majestät untersuchen soll.

O! dieser gütige Herr! rief ich erbittert, dieser fromme tugendhafte König mag keinen Streit dulden; mitten im Winter muß der hochgelahrte Hofprediger als himmlische Taube ausfliegen, um den Oelzweig nach Cleve zu bringen. Und auch an mich denkt der gnädige Monarch. Mich und seinen lieben Herrn von Clement will er zu gleicher Zeit glücklich machen.

Mein Onkel sah mich mit seltsamen, starren Augen an, als ob er ein Gespenst sähe, oder als ob ich etwas Fürchterliches sagte. Endlich kam ein Anfall von Energie über ihn.

Man spreche kein Wort mehr darüber, begann er auffahrend und imperatorisch, seinen Arm steil ausstreckend. Man gehe! Man mache sich bereit! Man gehorche! Man wird reisen, wird thun, was Se. Majestät befohlen hat. –

Er legte seine Hände an beide Ohren, um nichts weiter zu hören, und ließ mich allein. –


9.

Am nächsten Tage traten wir wirklich unsere Reise an, und ich werde diese niemals vergessen. Eingehüllt, so gut es immer anging, fuhren wir bei scharfer Kälte eine volle Woche lang und länger durch die eintönigen winterlichen Landschaften, durch Sachsen, Hannover und Westphalen, dem Niederrheine zu.

Zum guten Theile war es eine Schlittenfahrt, denn die Räder unserer Kutsche wurden bald hinten aufgebunden, der Kasten auf ein Gestell gesetzt, auch fehlte es nicht an mancherlei kleinen Abentheuern, welche zu anderer Zeit und unter anderen Verhältnissen mich wohl ergötzt hätten; allein unter dem Druck der Dinge, welche meinen Kopf füllten, und an der Seite meines grämlichen alten Herrn, der aus seinem Murren und Poltern nicht herauskam, verging mir alle Reiselust.

Meinem Onkel war der Auftrag des Königs sicherlich im höchsten Grade unangenehm. Zur Winterzeit über Hals und Kopf in die Welt geschickt zu werden, zu frieren, und elende Kost, erbärmliche eisige Zimmer und schlechte Betten in den Wirthshäusern zu finden, war für einen Mann seiner Neigungen und seines Alters eine böse Zumuthung. Wie herrlich konnte er zu Haus speisen und sich pflegen, wie behaglich bei seinen Büchern sitzen, statt dessen sollte er in Cleve fanatischen Priestern und ihrem Anhange die Köpfe zurechtsetzen, sich ärgern, zanken und allerlei Grobheiten einstecken.

Die Reformirten und Lutheraner lebten überall wie Hund und Katze, und haßten sich kaum weniger unter einander, denn gemeinsam die Katholiken. Vergebens aber fragte ich meinen Oheim, was denn so Schreckliches in Cleve vorgefallen sei, daß er auf der Stelle dahin geschickt werde? Er antwortete mir mit Stirnrunzeln, daß das Sachen seien, von denen ich nichts verstände, wie denn überhaupt sein Benehmen gegen mich derartig aufsässig und kurz war, daß ich mir einbilden konnte, es sei ihm meine Begleitung im höchsten Grade zuwider, oder als sei ich wohl gar Schuld daran, daß er in Schnee und Wetter an den Rhein gejagt wurde.

Ich nahm die Gelegenheit wahr, ihm zu zeigen, wie wenig ich mir aus dieser Güte und Gnade machte, mit welcher mich der König beglückt hatte, und ganz natürlich mußte dabei auch von dem Herrn von Clement die Rede sein; allein sowie ich dessen Namen nannte, und über die sonderbaren Umstände mich auszulassen begann, daß dieser Herr, der nichts von sich hören ließ, nun von mir aufgesucht und nach Cleve eingeladen werden sollte, vermehrten sich Unruhe und Verdruß meines Onkels.

Man verschone mich mit allem nichtsnutzigen Räsonniren, herrschte er mir zu. Man wird thun, was Se. Majestät befohlen hat, und damit Basta!

Wenn der Herr Chevalier nichts von mir wissen will, antwortete ich trotz dieses Befehls, so werde ich ihn nicht mit Einladungen tractiren, ihm keine Wehklage schreiben, oder Dinge, welche ihm einbilden könnten, ich sei ihm nachgelaufen und verzehre mich in Sehnsucht nach ihm.

Er schwieg eine Weile, dann sagte er, ohne mich anzublicken:

Hat man denn nicht den lieblichen Wunsch, diesen Herrn wiederzusehen?

Ich wußte nicht recht, was ich darauf antworten sollte.

Wie es mir scheint, erwiederte ich ausweichend, hat Herr von Clement die Lust dazu verloren, und als ein ehrbares Frauenzimmer muß ich meine Wünsche danach einrichten.

Er gab abermals keine Antwort darauf, nach einiger Zeit jedoch rief er mit vieler Heftigkeit:

Nein, es ist nicht möglich! Er wird sich reinigen von allem Verdacht. Einen Stern, wie diesen, hat der Herr nicht umsonst aufgehen lassen an seinem Himmel und mit solchen Gnaden gesegnet. Er wird kommen, und die Verläumder werden zu Schanden werden.

Mehr erfuhr ich nicht, und wir kamen endlich nach Cleve, ohne daß ich dies Gespräch wieder erneuern konnte, denn alle meine Versuche dazu schlugen fehl. Mein Onkel begab sich sogleich zu dem Präsidenten der Regierung, und wir bezogen eine Wohnung im Regierungsgebäude, welche zu unserer Aufnahme schon bereit war; auch wurden uns mancherlei Artigkeiten erwiesen, und wir speisten bei dem Herrn Präsidenten von Strunckede, einem stolzen und angesehenen Herrn, der in des Königs Gunst sehr hoch stand.

Am folgenden Tage aber kam mein Onkel zu mir und forderte mich auf, gleich an den Herrn von Clement zu schreiben, da wir nicht lange in Cleve verweilen würden, wo die streitigen Angelegenheiten besser ständen, als er es gedacht. Die Post ginge an demselben Abend noch ab nach Herzogenbusch, und der Herr Präsident habe versprochen, den Brief sicher bestellen zu lassen.

Ich weiß ja noch immer nicht, antwortete ich, wo Herr von Clement zu finden sein wird?

Das wird Herr von Strunckede erforschen, erwiederte er. Es sind mehrere Briefe hier, welche an des Königs Gesandten im Haag geschickt werden sollen; dahin wird dieses Schreiben mitgegeben. Es wird sich alsbald dann erweisen, ob es in die Hände unseres lieben Freundes gelangt.

Hat denn der Präsident dazu einen Auftrag bekommen? fragte ich verwundert.

Allerdings, erwiederte mein Onkel, der König hat es so befohlen. Mache nun keine Umstände weiter, sondern setze dich hin und schreibe sogleich.

Ich dachte einige Augenblicke nach, und sagte dann:

Ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Ich kann mich nicht dazu verstehen, diesen Herrn mit Zärtlichkeiten zu invitiren, welche ich nicht für ihn empfinde.

Aber du sollst und mußt schreiben! rief er erschrocken über meinen Widerstand, und nun begann er mir Vorwürfe zu machen über mein liebloses Benehmen, und den Herrn von Clement zu entschuldigen, was ich doch nicht gelten lassen wollte.

Er gerieth dabei nach und nach in Heftigkeit, welche er dann wieder mit Bitten und Vorstellungen verwechselte; aber ich blieb bei meiner Abneigung, denn eine innere Stimme rief mir unaufhörlich zu, daß ich es nicht thun solle, und ich fühlte einen solchen Widerwillen, den Herrn von Clement zu sehen, daß ich endlich nicht umhin konnte, meinem Onkel zu bekennen, wie es mit mir stand.

Ich habe gethan, was Sie von mir verlangten, sagte ich, weil ich dazu gezwungen wurde, allein Zuneigung zu diesem Herrn habe ich niemals empfunden. Da er fortging, war ich froh, und als er nichts mehr von sich hören ließ, machte es mir Freude. Nun soll ich mich so demüthigen, an ihn zu schreiben und ihn zu verlocken suchen, hierher zu kommen, mich zu besuchen. Thut er es nicht, so wird er mich verlachen und verspotten, thut er es aber, so wird es mein und vielleicht auch sein Unglück sein.

Das sind Narrenspossen! rief er, kindische Thorheiten und Imaginationes!

Aber ich sah, wie ängstlich er dabei war.

Warum sollte es sein Unglück sein?

Der Gedanke, welcher durch meinen Kopf geflogen war, gab darauf Antwort.

Mein Unglück würde es immer sein, sagte ich, denn Sie wissen es ja nun, mein herzlieber Herr Onkel, daß ich nimmer freiwillig ihm meine Hand geboten habe, und jetzt zage ich noch mehr davor. Er aber – kann es nicht sein, daß er nicht wieder zurückkehren will, und daß er Schlimmes von dem Könige zu fürchten hat, wenn er in dessen Gewalt geräth?

Wie ich dies gesprochen hatte, sah ich meinen Onkel wie erstarrt und nachsinnend stehen. Er blickte mich an, als wollte er etwas in meinem Gesichte erforschen, dann aber ergriff er meine Hände und sagte mit hohler, leiser Stimme:

Im Namen des Heilandes! Charlotte, mein liebes Kind, sprich nicht solche Dinge. Laß uns thun, was wir thun müssen, denn wahrlich, wir können nicht anders, als des Königs Willen befolgen. Schreibe an den Herrn von Clement, seufze und klage nicht, sondern sage ihm, daß du hier seist, und daß er kommen möge, wenn er dich zu sehen wünsche. Kommt er nicht, so haben wir das Unsrige gethan, kommt er jedoch, so beweist er, daß alle Vermuthungen über ihn falsch sind. Und ich hoffe es zu dem allmächtigen Gott, rief er inbrünstig und seine Hände faltend, daß er nicht säumen wird, daß die Schlacken abfallen, welche seinen Glanz trüben wollen, daß die elenden Verläumder verstummen müssen, die es wagen, ihn zu verunglimpfen.

Er blickte mich dabei mit Siegesgewißheit an, und nachdem er mir eindringlich vorgestellt hatte, daß es sich zeigen werde, ob Herr von Clement meine Liebe und Hochachtung verdiene oder nicht, setzte ich mich und schrieb, wie er es gebot. Ich enthielt mich dabei aller zärtlichen Worte, sagte ihm nur, wie lange und vergebens wir auf Nachricht von ihm gewartet, so daß ich fürchten müsse, es sei ihm ein Unglück zugestoßen, und daß ich mich in Cleve befände, wo mein Onkel Amtsgeschäfte zu verrichten habe. Ich schicke diesen Brief nach dem Haag, in der Hoffnung, daß er ihn erhalten werde. Wolle er mich besuchen, so würde mir dies ein Beweis sein, daß er mich nicht vergessen habe, wolle oder könne er es nicht thun, so erwarte ich doch von ihm eine Antwort, die meine Zweifel beende und mir Nachricht über sein Wohlbefinden bringe, an welchem ich zu aller Zeit den größten Antheil nehmen würde.

Es war dies somit eine Art Abschiedsbrief, der es ihm nahe legte, wenn er wollte, mich für immer zu verlassen; auch zeigte er ihm meine Resignation und worauf ich gefaßt war. Die Kälte und Ruhe darin that mir gut, und ich war überzeugt, daß, wenn ich wieder eine Antwort erhielte, diese meinen Erwartungen entsprechen würde; denn er mußte an Form und Ton merken, daß ich weder Schmerz noch Leidenschaft über sein Benehmen empfände.

Mein Onkel nahm den Brief zu sich, denn er wollte noch einige Worte an den Chevalier schreiben, und am nächsten Morgen sagte er mir, daß Alles richtig abgegangen sei. Ein längeres Gespräch darüber wußte er zu vermeiden, denn als ich von meinen Ansichten über den Erfolg sprechen wollte, unterbrach er mich, indem er eine abwehrende Bewegung machte.

Gottes Wille wird geschehen! sagte er, sorgen und sinnen wir nicht weiter. In vier oder fünf Tagen können wir Nachricht erhalten, und bis dahin müssen wir geduldig ausharren. Der hochachtbare Herr Präsident von Strunckede giebt heut ein Fest, bei welchem auch getanzt werden soll. Ziehe dein bestes Gewand an und sei fröhlich, wie es sich ziemt; es werden die honorabelsten Leute aus Cleve daselbst beisammen sein.

So geschah es denn auch, und während der nächsten Tage wurde noch öfter bankettirt bei verschiedenen hohen Räthen und Personen von Adel, deren es manche sehr reiche gab; aber mein Herz war beklommen, und ich dachte immerfort an den Brief, ob er angelangt, und welche Antwort ich darauf erhalten würde. Am fünften Tage waren wir dann zu einer Mittagstafel geladen, welche bis in den Abend hinein währte, und als wir zu Haus anlangten, und ich mich ermüdet auf einen Stuhl warf, hörte ich plötzlich das Getrappel vieler Pferde auf der Straße. Ich blickte zum Fenster hinaus und sah, daß es Soldaten waren, deren Helme und Pallasche heraufblitzten.

Wo kommen diese Soldaten her? fragte ich, indem ich diese Frage an mich selbst richtete, allein ein Schauer überfiel mich, und eine Gluthitze folgte ihm nach, als eine Stimme hinter mir darauf antwortete:

Sie kommen von Wesel. Es sind gelbe Dragoner.

Wie ein Feuerstrom rannen diese Worte durch mein Herz. Ich drehte mich um, und in dem Entzücken, das mich überkam, streckte ich meine Arme aus und rief:

Dumoulin!

Das Licht auf meinem Tische zeigte mir den geliebten Mann, und in dieser Minute des Wiederfindens schien Alles, was uns getrennt hatte, verschwunden und vergessen zu sein. Ich fragte nicht, woher er komme, nicht wie es möglich sei, daß er mich so zu überraschen vermochte. Ich blickte nur in seine Augen, in sein Gesicht, und ich las darin mit Wonne, daß ich ihm noch immer lieb und theuer sein mußte.

Plötzlich jedoch fuhr er zurück und hielt mich von sich ab, wie damals in der Laube.

Oho! rief er, pardonniren Sie, hochedle Jungfer Jablonskien, die alten Sünden kommen mir wieder in den Kopf, und ich habe solch ein schlechtes Gedächtniß zuweilen, daß ich vergesse, wie die hochedle Jungfer mir alle fernere Freundschaft aufgekündigt hat.

Da war es auch vorbei mit meiner Rührung, denn nun fiel mir Vieles ein.

Schade, sagte ich, und wischte mir die Thränen aus den Augen, daß der gnädige Herr Major so leicht vergißt, sonst müßte er wissen, was in seinem Briefe stand, daß er um solche armselige Person, wie ich, sich nicht in so desperate Sachen einlassen könne.

Desperate Sachen! sagte er. Was meint Sie damit, hochedle Jungfer?

Wenn Ihr das ebenfalls vergessen habt, rief ich zornig, so will ich Euch einhelfen: desperate Sachen nanntet Ihr es, mich zu lieben und zu heirathen.

Wie? versetzte er, seine Augen aufreißend, und dann fing er an zu lachen; aber da er sah, daß meine Mienen ihm drohten, und daß meine Thränen hervorbrachen, wurde er ernsthaft, schlug mit der Hand auf seine Brust und sagte:

So wahr mir Gott helfe! bei meiner Soldatenehre! niemals habe ich dergleichen weder gedacht noch gesprochen.

Geschrieben habt Ihr es in Eurem Briefe, erwiederte ich, in welchem Ihr nichts mehr von mir wissen wollt, und mir anriethet, ein gehorsames Kind zu sein und den Herrn von Clement zu nehmen.

Ich? versetzte er erstarrt, ich hätte Euch das geschrieben? Nimmer habe ich einen Brief an Euch gerichtet, empfangen jedoch habe ich einen von Euch, worin geschrieben stand, Euer Herz gehöre dem edlen Herrn von Clement, somit möchte ich mit meiner Freundschaft Euch nicht länger lästig fallen. Ihr könntet keinen Gebrauch davon machen.

Ich hatte meine Hand schon in der Tasche, riß das Büchelchen heraus und hielt ihm den Brief hin.

Seht doch da, mein gnädigster Herr Major, rief ich, lest dies, vielleicht stärkt sich darauf Euer Gedächtniß wieder.

Er nahm das Blatt, hielt es an das Licht, und sah einige Minuten lang hinein, während sein Gesicht sich verwandelte und vom Ausdruck des Erstaunens in Zorn und leidenschaftliche Aufregung überging. Seine Augen flammten vor Ingrimm, als er mich anblickte; plötzlich jedoch verwandelten sie sich in Schmerz und Vorwurf.

Und das habt Ihr von mir glauben können? rief er aus, für so nichtswürdig habt Ihr mich gehalten? Verflucht sei meine Hand, wenn sie jemals diese Worte schrieb. Verflucht der Elende, der es wagte, mich so zu entehren! Aber Ihr, o Charlotte! Nein, Ihr hättet es nicht glauben müssen!

Ich zitterte. –

Warum denn, sagte ich, habt Ihr es geglaubt, daß ich Euch einen Brief schreiben könnte, der Euch so tief kränken mußte? Um Hülfe bat ich Euch, um Beistand und Schutz, denn ich – ich –

Wir wurden betrogen, schrie er auf, von diesem höllischen Schurken betrogen, der vom Teufel selbst geschickt sein muß, um den König auf seinem Throne zum Zittern zu bringen. Er hat das Ansehen eines Heilands an Unschuld und Wahrheit, aber in ihm ist nichts als Fluch und Schande! Ich habe ihn im Haag genau beobachten können, allein ich war ohnmächtig, ihn dort zu entlarven. Mit wahrhafter Höllenkunst weiß er alle Gemüther für sich einzunehmen. Die ersten Männer, die vornehmsten, die klügsten wurden von ihm umstrickt, und ich merkte den Hohn, mit welchem er mich behandelte, wenn ich ihn daran erinnerte, mit mir nach Berlin zurückzukehren. Niemals hätte ich ihn dahin gebracht, und wie sollte ich Gewalt anwenden in einem Lande, wo der König so wenige Freunde besitzt?

Er sollte diese Briefe geschrieben, sollte uns betrogen haben? fragte ich voller Staunen und Schrecken.

Ich zweifle nicht daran, daß er die Kunst versteht, alle Handschriften nachzuahmen, versetzte der Major, doch wie es geschehen konnte, daß er so viele geheime Dinge weiß, daß selbst der Fürst von Dessau sagt, er habe den Teufel im Leibe, bleibt unbegreiflich.

Ha! rief ich, wenn er ein solcher Betrüger ist, so kann ich mir dies gut genug erklären. Er hat Helfershelfer gehabt, die ihm Geheimnisse zutrugen und verkauften.

Ihr wißt davon, theuerste Charlotte, rief Dumoulin mit vor Freude funkelnden Augen, Ihr kennt diese Helfershelfer?

Ich erschrak vor der Rachgier in seinem Gesicht.

Es sind nur Vermuthungen, antwortete ich, bringt deswegen nicht weiter in mich.

Sein Mißtrauen erwachte.

Man wird ihm seine Geheimnisse schon herauslocken, sagte er, und wehe dann denen, die mit ihm unter einer Decke stecken. Haben wir den Burschen erst beim Fell, so findet sich alles Andere.

Meint Ihr denn, daß Ihr ihn habt? fragte ich.

Er sah sich um.

Wenn die Jungfer Charlotte ihm nicht so ein liebreizendes Briefchen geschrieben hätte, dürfte es wohl schwer halten. Doch Ihr wißt noch nicht, wem Ihr diese Reise nach Cleve zu danken habt. Ich meldete dem Könige, daß es kein ander Mittel gäbe, den Patron über die Grenze zu bringen, als Euch nach Cleve zu senden, auf daß Ihr ihn zu einem zärtlichen Besuche einladet.

Dazu habt Ihr mich ausersehen? rief ich unwillig, und indem mir einfiel, was der Fürst von Dessau gesprochen, fügte ich hinzu:

Ein Hetzhund zu sein, dafür dünke ich mich zu gut!

Oho! versetzte er mit seinem abscheulichen Lachen und das Blut stieg ihm in den Kopf, gefällt es der hochedlen Jungfrau etwa besser, dem zärtlichen Herrn Chevalier beizustehen? Er verdient es um Euch, das muß ich sagen; denn ich glaube beinahe, er hat Euch sein allerliebstes Herz getreulich aufbewahrt. Seufzer genug nach Euch habe ich gehört, und als ob er meinte, er könnte mein Herz damit durchbohren und mein Blut vergiften, hat er mir tausendmal erzählt, wie er Euch über alle Maßen liebte und niemals von Euch ablassen wollte. Ihr könnt wohl denken, welche Freude ich dabei empfand, und wie ich dem Könige nichts Besseres rathen konnte, als Euch hierher zu schicken.

Und als mein Brief kam? unterbrach ich ihn.

Der Gesandte wußte schon, wie der am besten in die Hände des verliebten Herrn gelangte. Ganz verklärt sah er aus vor Vergnügen, verbarg ihn aber vor mir, doch konnte er mich nicht täuschen. Ich merkte, was er vorhatte, als er um mich her heuchelte und schmeichelte, und traf meine Anstalten. Mein theuerster Major, sagte er, endlich bin ich so weit, in wenigen Tagen nach Berlin aufbrechen zu können, wohin mich meine Sehnsucht längst zieht; zuvor jedoch muß ich noch einmal nach Amsterdam, um eine kostbare Sache von dort abzuholen, welche für mich bereit liegt. Erwartet mich in zwei Tagen zurück, dann reisen wir.

Er machte es mir so süß, bedauerte es so innig, daß ich ihn nicht begleiten könne, und sprach so vertraulich, ein Heiliger hätte ihm glauben müssen; doch ich, Jungfer Jablonskien, ich, der Hetzhund, der Bluthund an seinen Fersen, ich glaubte ihm nicht. Ich ließ ihn reisen, obwohl ich wußte, Tod und Verdammniß erwarteten mich, wenn er mir entkäme. Ich war mit Allem zufrieden, was der Schelm an Lug und Trug für mich ersonnen, denn ich kannte seine Schliche, ich wußte, daß er nicht nach Amsterdam zu dem Herrn Großpensionair her hochmögenden Republik reisen würde, sondern in Eure Liebesarme, liebwertheste Jungfer. Kaum war er fort, so saß ich zu Roß, und da bin ich, eher als er, um ihn zu empfangen.

Und was – was wollt Ihr mit ihm? fragte ich erschrocken.

Was ein Hetzhund mit seinem Wild wollen kann, versetzte er höhnend. Ich will ihn zerreißen!

Nein, nein! rief ich meine Hände aufhebend, thut es nicht. O, warum habt Ihr das gethan! Wenn Ihr mich liebtet, mußtet Ihr mich vor aller Theilnahme an solchem Werke bewahren. War es nicht genug, wenn wirklich dieser Herr von Clement so schlechter Thaten fähig ist, ihn zu lassen, wo er sich befand? War er dadurch nicht auf immer von uns getrennt; und wurde nicht damit von selbst Alles gelöst, was mich an ihn gebunden hatte?

Denkt Ihr nicht an meine Ehre! rief er mich unterbrechend, denkt Ihr nicht daran, daß der König mir den Befehl gab ihn zu begleiten, und ihn nach Berlin lebendig oder todt zurückzubringen? Ha! und denkt Ihr nicht daran, daß dieser saubere Herr mich und Euch schändlich betrogen hat, daß er mich mit Schimpf und Schmach bedeckt hat?

Und indem er das sagte, hörten wir einen Wagen rollen und vor dem Hause still halten.

Er kommt! fuhr er fort, er ist da, haltet ihn auf, und schweigt bei Eurer Seligkeit! Ich bin schnell wieder hier.

Ich bitt' Euch! sprach ich zitternd und ihn festhaltend, handelt großmüthig und edel. Stürzt ihn nicht ins Unglück – warnt ihn, laßt ihn entfliehen oder ich –

Er preßte meine Hand mit großer Gewalt und sah mich mit flammenden Blicken an.

Seid Ihr von Sinnen! rief er. Hölle und Teufel! entfliehen! Wenn ein Wort über Eure Lippen kommt, sollt Ihr es büßen. Im Namen des Königs befehle ich Euch, diesen Elenden festzuhalten! Charlotte! –

Der wilde Ton, in welchem er dies hervorstieß, zerschmolz, indem er meinen Namen aussprach, seine Stimme wurde weich und schien zu beben. Gleich darauf war er in dem Gange verschwunden, und statt seiner hörte ich rasche Schritte.

Die Thür that sich auf, und Herr von Clement trat herein. Als er mich erblickte, warf er seinen Hut fort und öffnete seine Arme. Der Mantel fiel von seinen Schultern, sein freudestrahlendes schönes Gesicht lächelte mir voll Liebe und Entzücken zu.

Meine innig geliebte Mademoiselle Charlotte! rief er: Gott sei Dank! daß ich Sie wieder sehe. Gott sei Dank! daß ich bei Ihnen bin. –

Er ließ sich auf ein Knie nieder und küßte meine Hände, dann sprang er auf und rief:

Ihr Brief hat mich hergetrieben, ich mußte kommen und Sie sehen, mußte Ihnen sagen, daß ich Sie nicht vergessen habe, niemals vergessen werde; daß ich um Gnade und Vergebung bitte, wenn es so schien, als könnte die zärtliche Sehnsucht nach meiner angebeteten Charlotte sich vermindern.

Ich habe nicht darauf gerechnet, daß Sie nach Cleve kommen würden, Herr von Clement, antwortete ich verwirrt und glühend.

Sie haben nicht darauf gerechnet? antwortete er traurig. Konnten Sie denken, daß ich Ihrer Einladung widerstehen würde?

Aber ich fürchtete – ich dachte – Nein, ich habe Sie nicht eingeladen!

Was dachten Sie? fragte er.

Daß – daß Sie – daß Ursachen vorhanden wären, welche Sie abhalten mußten, nach Preußen zurückzukehren.

Er schwieg einen Augenblick und schien in meinem Gesicht zu lesen, das sicherlich voller Unruhe, Angst und Bestürzung war.

Allerdings, erwiederte er darauf langsam und nachdenklich, giebt es Ursachen, welche mich abhalten könnten, mich in die Gewalt eines Despoten zu begeben, der das Gute, das ich ihm erzeigt, leicht wohl mit Bösem vergilt. Die Niederlande sind die Freistatt für alle Verfolgte. Kein noch so mächtiger Gebieter vermag dort das Recht anzutasten; der Schutz der Gesetze gilt dort für Alle. Und ich besitze Freunde, Mademoiselle Charlotte, die mich beschützen und nicht dulden würden, daß mir ein Leid geschähe.

Dann hätten Sie diese Freistatt nimmer verlassen sollen, fiel ich ein.

Auf kurze Zeit nur, versetzte er, nur um Sie zu sehen, meine Theuerste, nur um Ihren zu sagen, daß ich Sie mehr liebe, als jemals. Und wenn ich nur gekommen wäre, fuhr er fort, indem er meine Hand ergriff und mich zärtlich anblickte, um Sie anzuflehen, mich in dies Land der Freiheit zu begleiten? Der despotische König hat mein größtes Glück von meiner Rückkehr nach Berlin abhängig gemacht, allein eine Stunde reicht hin, seine Gebote zu verspotten. Eine Stunde von hier ist die Grenze. Mein Wagen steht an der Thür; was hindert uns, den despotischen Willen zu zerbrechen? Was hindert meine angebetete Charlotte, mich auf ewig glücklich zu machen.

Ein Klirren wie von Waffen vor dem Hause oder auf der Treppe brachte mein Entsetzen zum Ausbruch.

Um des allmächtigen Gottes willen! rief ich so leise ich es vermochte und dabei am ganzen Körper bebend, indem ich Arme und Hände aufhob, fliehen Sie, Herr von Clement, die Soldaten sind da!

Welche Soldaten? fragte er zweifelnd.

Fort! schrie ich, Sie sind verrathen. Hier hinaus, in den Gang, die Hintertreppe hinab! – durch den Garten, fort!

Klirrende Schritte näherten sich der Thür. Ich zog ihn heftig und er folgte mir nach, indem sein Gesicht die Farbe verlor und einen Ausdruck des Schreckens annahm.

Retten Sie mich flüsterte er, verbergen Sie mich!

Es war zu spät. So wie ich den Ausgang öffnete, sah ich Dumoulin, welcher davor stand und bei dessen Anblick Herr von Clement zurückwich.

Sie haben mich nicht erwartet? sagte der Major.

Nein, mein Herr, antwortete der Chevalier, indem er sich zu fassen suchte.

Ich glaube es gern, fuhr Dumoulin fort; inzwischen trifft es sich glücklich, daß Sie nicht nach Amsterdam, sondern nach Cleve fuhren.

Ich hoffe, versetzte Herr von Clement, daß ich reisen kann, wohin ich will.

Zu meinem Bedauern, nein, sagte Dumoulin. Sie werden jetzt nach Berlin reisen.

Bin ich ein Gefangener? fragte der Chevalier, und der Blick, mit welchem er mich dabei ansah, bezeugte seine Vorwürfe und seine Verachtung.

So wahr mir Gott helfe! schrie ich weinend auf, ich habe nichts davon gewußt.

Nein, sagte der Major, sicherlich nicht, und wenn es nach diesem schönen Frauenzimmer gegangen wäre, würden Sie jetzt in dem Garten und auf und davon sein. – Auf Befehl Seiner Majestät verhafte ich Sie, Herr von Clement, doch sollen Sie anständig behandelt, und in Ihrer Kutsche unter meiner und anderer weniger Herren Begleitung nach Berlin geschafft werden, wenn Sie nicht etwa Widerstand leisten.

Die würdige Haltung des Chevaliers kehrte zurück; er verbeugte sich mit Anstand und sagte mit seinem feinen Lächeln:

Widerstand würde Thorheit sein, und da ich überdies die Absicht hatte, mich nach Berlin zu begeben, wie Sie dies wissen und wie es nicht anders sein konnte, liebwertheste Jungfer Charlotte, so bin ich Sr. Majestät sehr verbunden, mir eine so angenehme Gesellschaft zu geben, wie den Herrn Major und seine Freunde, welche ihm gewiß gleichen.

Hier sind diese schon! versetzte Dumoulin, und die Thür aufreißend zeigte er auf die Dragoner, welche mit gezogenen Schwertern draußen standen.

Ich hoffe, theuerste Mademoiselle Charlotte, sagte Herr von Clement sich zu mir wendend, daß diese Herren mir wenigstens Zeit gestatten werden, um von Ihnen Abschied zu nehmen.

Eine Stunde, sagte der Major bestimmt und kalt, und indem er sich mir näherte, setzte er hinzu: diese wird hinreichen, um die hochedle Jungfer – weiter hörte ich nichts, denn ich lief meinem Onkel entgegen, der mit dem Ausdruck tiefster Niedergeschlagenheit hereintrat, und warf mich in dessen Arme.


10.

Am darauf folgenden Tage erfolgte unsere Rückreise, welche wir um so mehr beeilten, da wir keine Ursach hatten, länger in Cleve zu verweilen, wo das Vorgefallene kein geringes Aufsehen machte. Herr von Clement wurde, nachdem die Stunde verflossen, welche Dumoulin bestimmt, in seiner Kutsche fortgebracht, in welcher der Major und ein Dragoneroffizier ebenfalls Platz nahmen, während zwei Dragoner sich auf den Bock setzten.

Mit leichtem, ungezwungenem Anstande und in würdigster Haltung nahm Herr von Clement von uns Abschied, und der Eindruck, welchen sein sicheres und feines Benehmen, die edle Offenheit seines ganzen Wesens machte, war ein so überaus günstiger, daß nicht allein mein Onkel von seiner Unschuld überzeugt blieb, sondern Alle, die ihn sahen, selbst der steife galante Präsident von Strunckede, nicht daran zweifelten. Dieser hohe Beamte entschuldigte sich gegen den Herrn von Clement, daß ihm so übel mitgespielt werde, doch sicherlich sei es ein Mißverständnis, daß der König seine Verhaftung befohlen habe, und Alles werde sich aufklären, sobald der Herr in Berlin anlange.

Es fielen dabei einige verständliche Winke über das Betragen des Major von Dumoulin, und dieser wurde von allen Seiten kalt und abweisend behandelt, als wolle man dem Spion möglichst weit aus dem Wege gehen, der einen so fürtrefflichen und edlen Herrn verläumdet und ins Malheur gebracht hatte.

Ich selbst machte davon keine Ausnahme, denn wie hätte ich es wagen können, mich gegen Dumoulin freundlicher zu bezeigen, da Herr von Clement von meinem Onkel und dem Präsidenten mit Trostworten und Zeichen der lebhaftesten Theilnahme bedacht wurde.

Der Major machte auch keinen Versuch, sich mir nochmals zu nähern. Soldatisch kurz und bestimmt traf er seine Anordnungen, ohne sich an unwillige Mienen zu kehren, und mit der Minute forderte er zuletzt den Herrn von Clement auf, ihm in den Wagen zu folgen.

Mein Herr Chevalier, sagte er zu ihm, ich habe den gemessensten Befehl, Euch nach Berlin zu schaffen, sonst aber Euch höflich zu behandeln, und ich wiederhole, daß Ihr alle Bequemlichkeit haben sollt, solange Ihr nicht zu entfliehen versucht.

Mein Ehrenwort darauf, antwortete Herr von Clement lächelnd, daß ich keinen solchen Versuch machen werde, denn ich habe keinen Grund dazu. Ihr wißt es selbst, Herr von Dumoulin, daß ich in wenigen Tagen freiwillig nach Berlin gereist wäre.

Wenigstens habt Ihr so zu mir gesagt, versetzte der Major.

In diesem Falle würde es aber doch wohl genügen, vermittelte Herr von Strunckede, sintemal Herr von Clement sein Ehrenwort giebt, daß Ihr mit ihn allein reiset, Herr Major.

Oder, sagte mein Onkel, da ich selbst auch nach Berlin zurückkehren muß, könnten wir diese Reise zusammen machen.

Bei diesem Vorschlage belebte sich das Gesicht des Chevaliers und seine schönen, dunklen Augen hefteten sich auf mich mit zärtlichem Feuer, das selbst nicht erlosch, als der Major antwortete, daß er nach Vorschrift des Königs handle, somit von den Einrichtungen seiner Majestät nicht abgehen könne.

Leben Sie wohl, meine Theuere, sagte Herr von Clement, indem er von mir Abschied nahm. Es ist eine schmerzliche Trennung, der ich mich unterwerfen muß, allein ich zweifle nicht daran, daß ich die Freude haben werde, Sie in Berlin zu empfangen, da ich eher dort anlange, als meine theuerste Freundin.

Er umarmte meinen Onkel, und der Präsident entließ ihn mit den wärmsten Wünschen; Dumoulin aber erhielt nur kalte Grüße, die er mit eisiger Gleichgültigkeit aufnahm und erwiederte.

Am nächsten Nachmittage folgten wir nach, und entgingen damit allen Fragen und Unterhaltungen der Neugierigen, und nun erst theilte mir mein Onkel mit, was der König ihm damals aufgetragen, als er ihn hierher schickte. Daß er den ausgebrochenen Streit zwischen Lutheranern und Reformirten schlichten sollte, war ein Vorwand gewesen. Der König hatte ihm unter heftigen Zornesworten mitgetheilt, daß Dumoulin ihm berichtet, Herr von Clement sei nicht aus dem Haag fortzubringen und wolle sich nächstens, wie es ihm als gewiß erscheine, nach England begeben, was er nicht zu verhindern vermöge. Man müsse ihn daher nach Cleve locken und dort festnehmen, dies aber könne nur geschehen, wenn ich mich dort befände und ihn zum Besuche einlüde.

Es wurde damit bestätigt, was ich von dem Major selbst erfahren hatte, allein ich erfuhr obenein, daß Dumoulin gerathen, mich nichts davon wissen zu lassen, da ich ein so hartnäckiges stolzes Frauenzimmer sei, daß ich mich gewiß entschieden weigern würde, an einem solchen Vorhaben Theil zu nehmen. Der König hatte daher meinem Onkel befohlen, mir bei seiner höchsten Ungnade Alles zu verschweigen, jedoch dafür zu sorgen, daß ich seinen Befehlen gehorchte. Eine demüthige Vorstellung meines Onkels hatte ihn in Wuth versetzt, und obwohl er selbst über die Schuld oder Unschuld des Herrn von Clement voller Zweifel schien, hatte er doch geschworen, er wolle ihn haben, und müsse ihn haben, und würde Jeden, der sich unterstände, dies zu verhindern, an den Galgen bringen.

Jetzt erst wurde mir die Angst und Noth meines Onkels mit dieser Reise erklärt, auch sein Widerwille gegen meine Begleitung verständlich. Bei seiner großen Freundschaft für den Herrn von Clement war ihm auch der Auftrag, diesen verrathen und fangen zu helfen, ein Greuel; auch dachte er ehrlich und menschlich genug, um, was ihm und mir zugleich angesonnen wurde, als sündige Falschheit zu verachten.

Bei alledem jedoch war er zu sehr ein getreuer Diener und kluger Weltmann, um sich ernsthaft dem Ansinnen des Königs zu widersetzen, sondern er unterwarf sich mit der Ueberzeugung, daß er nichts Besseres zu thun vermöge. Er führte aus, was er sollte, und tröstete sich damit, daß sein verrathener Freund jedenfalls unschuldig sei, und daß sich dies in kurzer Zeit glänzend bewähren müsse.

Ich theilte diese Hoffnung nicht so schnell mit ihm, denn ich wußte mehr als er, und meine Theilnahme wandte sich von dem Verfolgten zu dem Verfolger. Ich zürnte auf Dumoulin, und doch bebte mein Herz, wenn ich an ihn dachte, und aus Vorwürfen und Zweifeln rang sich immer lebendiger die Gewißheit heraus, daß Alles wahr sei, was er bei seiner Ehre betheuerte, daß er jenen Brief nicht geschrieben, daß er wie ich betrogen worden sei.

Betrogen, aber von wem? Von diesem süßen, sanften, edelmüthigen Herrn, der die Wahrheit selbst schien, der jeden Menschen zu bezaubern verstand, der diesen schrecklichen König selbst betrogen hatte? Wenn ich das dachte, zürnte ich Dumoulin nicht mehr. In unverbrüchlicher Treue hatte er seines Monarchen Befehle erfüllt, und was hatte er dafür zu ertragen! Herr von Clement hatte ihn verhöhnt, seinen Namen mißbraucht, mich in seine Gewalt gebracht, ihn gequält mit seiner Zärtlichkeit zu mir, mich gegen ihn erbittert, und bis zur letzten Stunde wurde er mit Mißtrauen und Geringschätzung behandelt, während sein Gefangener als das Opfer schändlicher Verläumdungen bedauert und bewundert wurde.

Wenn dies so war, wenn Herr von Clement in Berlin sich rechtfertigte, wenn es ihm gelang, seine Unschuld so glänzend darzuthun, wie mein Onkel überzeugt war, was sollte dann aus Dumoulin werden, und aus mir – aus mir?! Welcher Lohn erwartete den stolzen kühnen Mann, der so rauh auf seine Ehre und Pflicht pochte, und was erwartete mich? – Die Hochzeit!

Doch alle diese bangen Fragen und Vorstellungen verloren sich wieder unter neuen Zweifeln und Betrachtungen, und sie erneuten sich jeden Tag und wurden zur nagenden Pein, je länger unsere Reise dauerte. Es trat Thauwetter ein, wir konnten nur kleine Wegfahrten machen; dazu wurde mein Onkel von einem Unwohlsein befallen, das uns zwang, an verschiedenen Orten mehrere Tage zu verweilen.

Anfangs zogen wir Erkundigungen ein über den Wagen mit dem Gefangenen, bald aber wurden diese unsicher; so viel nur erschien gewiß, daß der Major ohne alle Rast auch bei Nachtzeit gereist war. Endlich konnte uns Niemand mehr Auskunft geben, und als wir Berlin erreichten, brachte mein Onkel die Zuversicht mit, daß Herr von Clement längst befreit sei und uns empfangen werde, wie er es versprochen, während ich in ungestümer Aufregung von einem Nervenfrost geschüttelt wurde.

Aber er empfing uns nicht, als wir in der Brüderstraße anlangten. Niemand wußte von ihm, er hatte sich nicht blicken lassen, ebensowenig Dumoulin, oder ein Bote des Königs. Keiner hatte bis jetzt nach und gefragt. Dennoch mußte der Wagen mindestens acht bis zehn Tage vor uns eingetroffen sein, wenn er überhaupt das Ziel erreicht hatte.

Da es schon spät war, ließen sich keine Erkundigungen einziehen; viele Vermuthungen blieben uns dafür offen. Herr von Clement konnte krank danieder liegen, oder auch sein Begleiter, oder der Wagen war umgeworfen, oder es war ihm gelungen, zu entkommen, und er hatte dies trotz seines Ehrenwortes ins Werk gesetzt; oder aber er war in Potsdam beim Könige, oder der König hielt ihn so in seiner Nähe, daß er uns nicht aufsuchen konnte. Das Letzte schien meinem Onkel das Gewissere, während ich die verschiedensten Meinungen verfolgte.

Am Morgen in der Frühe verließ mein Onkel das Haus, um bei seinem Collegen Reinbeck Erkundigungen einzuziehen. Schon nach einer Stunde kehrte er mit Unglück weissagendem Antlitz zurück.

Was ist geschehen, herzliebster Onkel? fragte ich erschrocken, als er sich kraftlos in seinen Lehnstuhl setzte. Wo ist Herr von Clement?

In Spandau, antwortete er mit leiser furchtsamer Stimme und scheuen Blicken.

Der Name »Spandau« hatte einen schrecklichen Klang, es mochte ein Jeder davor bangen. Es war das preußische Staatsgefängniß, schon zu den Zeiten des großen Kurfürsten, die preußische Bastille, in welcher mehr als ein Mal schon Minister und Generale und die zu den Ersten im Lande gehörten, sicher verwahrt wurden. Ich schicke Ihn nach Spandau! war ein Lieblingsausruf des jähzornigen Königs geworden, vor dem auch der höchste seiner Diener und Unterthanen zagen mochte, kein Wunder also, daß auch mich ein Zittern befiel, als mein Onkel mit schreckensbleichem Gesicht diesen fürchterlichen Ort nannte.

Warum hat man ihn dorthin geschleppt? fragte ich.

Geschleppt? Wie kannst du das sagen? fiel er mit vermehrter Aengstlichkeit ein. Se. Majestät hat es so befohlen, der Mensch – der Betrüger – ist sofort dahin gebracht worden. – Es laufen die schrecklichsten Gerüchte über seine Schandthaten um, und ich – mein Herr und Heiland! ich habe diese Natter an meinem Busen dulden können! Aber ich bin unschuldig! Ich weiß von nichts, habe mich in nichts eingemischt. Ich bin rein in meinem Gewissen, du mußt es mir bezeugen.

Das kann ich gewißlich, herzliebster Onkel, antwortete ich; denn wenn es wahr sein sollte, so hat der König selbst diesen Herrn uns ins Haus gebracht. Sein Wille war es, daß ich ihn heirathen sollte, so daß Sie es mir ebenfalls befehlen mußten.

Nein! rief er, ich nicht, ich nicht! Du hast dazu deine Inclination kund gegeben. Will man jetzt undankbar sein? Will man mich meinen Feinden überliefern?

Seine Angst that mir leid, aber ein heimliches Gefühl von Genugthuung mischte sich mit meinem Mitleid.

Herzliebster Onkel, sagte ich, das werde ich niemals thun, weit lieber jede Schuld selbst tragen. Allein ich sehe keine solche, und warum sollen wir uns fürchten? Noch wissen wir nicht einmal, ob Herr von Clement wirklich ein Verbrecher ist; wenn dies jedoch auch so wäre, würde man uns doch wahrlich nicht nach Spandau bringen können.

Statt ihn zu beruhigen, hatte ich damit das Gegentheil bewirkt. Er starrte mich an, wie ein Irrsinniger, fuhr dann mit den Armen nach seinem Kopf und sagte mit hohler bebender Stimme:

In den Kerker geworfen! Ich, ein Bischof, ein Priester, ich entehrt, beschimpft!

Das kann nicht geschehen, und wird nicht geschehen, tröstete ich ihn.

Stille! flüsterte er – Du weißt nicht. Viele vornehme Personen sind verhaftet. Der Minister von Kamecke, der Minister von Blaspiel. Die Oberhofmeisterin der Königin, dessen Gemahlin, ist nach Spandau gebracht, der Geheimrath von Bieberstein, andere Geheimräthe, hohe Staatsbeamte, Damen vom Hofe. Haussuchungen sind gehalten, alle Briefe aufgebrochen. –

Bei diesen letzten Worten sprang er auf und schrie:

Meine Bücher meine Briefe – wer weiß! O, wer weiß!

Er lief erhitzt fort in sein Studirzimmer und schloß sich dort ein. Kam auch nicht zum Mittag heraus, sondern ließ sich einige Nahrung hinein bringen, und obwohl er sicherlich keine gefährlichen Papiere besaß, suchte er doch alle Briefe zusammen und verbrannte sie, was allerdings, wie sich später zeigte, nicht so lächerlich war, als es mir vorkam.

Der Tag verging uns in Stille, auch von meines Onkels Collegen und Freunden fand sich keiner ein, denn in der Stadt herrschte schon seit einer Woche Furcht und Schrecken wegen der vielen Verhaftungen, und mancherlei Gerüchte darüber hatten sich durch alle Schichten der Einwohner verbreitet.

Dies wurde ich inne an unseren eigenen Dienstleuten, welche sich scheu und ängstlich benahmen und mich fragten, ob ich schon von der großen Verschwörung gehört habe, welche gegen des Königs Leben entdeckt worden sei? Sie wußten zum Theil gut genug, was in unserem Hause vorgegangen, und hatten große Lust, mir ihre Herzen auszuschütten, allein ich mochte es nicht hören, als ich jedoch gegen Abend allein war, kam der alte Gottfried herein und machte eine wahrhafte Armsündermiene, indem er seine Hände faltete und mich angstvoll anblickte.

Als ich ihn fragte, was er wollte, sagte er kläglich:

Ach! hochedle Jungfer, ich bin ein schlechter Kerl, und jetzt geht's nicht länger mehr, ich muß es bekennen, wenn ich auch dafür vors Gericht muß, oder an den Galgen.

Wofür? fragte ich.

Ach! Ach! stotterte er, ich habe gelogen und betrogen, damals, wo die hochedle Jungfer – Sie weiß doch, damals –

Ich kam ihm zur Hülfe.

Als ich Euch den Brief gab an den Major Dumoulin, begann ich, ich weiß schon von Eurer schlechten Handlung. Ihr trugt ihn nicht hin, Ihr gabt ihn dem Herrn von Clement, der Euch die Antwort dafür einhändigte.

Als ich dies mit voller Gewißheit sprach, war der alte Mann nahe dabei, zu Boden zu sinken. Daß ich Alles schon wußte, betäubte und entsetzte ihn.

Ja, ja! rief er, ich hab's gethan. Er hat mir zwei Ducaten dafür gegeben und noch mehr versprochen, wenn ich auf Alles genau aufpassen wollte, was die hochedle Jungfer that. Ich habe das Sündengeld nicht angerührt, hier ist es, mach Sie mich nicht unglücklich, hochedle Jungfer! Jetzt soll er festsitzen und die mit ihm zu thun gehabt haben, und der Herr Hofprediger und Alle – Alle, die, – mein Gott, wie wird es mir gehen! –

Er sah mich voller Entsetzen an, aber dieses galt zumeist ihm selbst und kam aus seinem bösen Gewissen. Er fühlte Spandau und die Peitsche schon in allen Gliedern und hatte sicherlich fürchterliche Qualen ausgestanden, daß er gepackt und als Helfershelfer des schrecklichen Königsmörders werde gemartert werden.

Das Aussehen und die Schrecken des alten Mannes schlugen die Lust, ihm sein Theil zu gönnen, nieder. Unter den »Allen«, welche mit ihm zu thun gehabt, war auch ich, und der Gedanke, daß ich wirklich zu fürchten habe, überfiel mich plötzlich mit voller Wahrheit.

Schweigt vor allen Dingen, sagte ich, wenn Ihr Euren Hals vor dem Strick bewahren wollt, und hört –

In dem Augenblicke aber schrak ich selbst zusammen, denn auf der Flur rief eine laute Stimme:

Bringt Licht hieher und ruft den Hofprediger! Hier herein, Dumoulin, schafft das Weibsbild herbei.

Wo der alte Gottfried blieb, weiß ich nicht, er hatte sich irgendwo verkrochen, so wie er die Stimme vernahm, mir aber das Papier mit seinem Sündenlohn in die Hand gedrückt. Ich hielt dies noch zwischen meinen Fingern, als die Thür geöffnet wurde, und der König hereintrat. Mein Onkel folgte ihm nach mit einem Lichte in seiner Hand, welche so schrecklich zitterte, als wollte er es fallen lassen. Er war auf dem Gange gewesen, als er den König rufen hörte, was eine solche magische Wirkung hervorbrachte, daß es ihn zwang, ihm entgegen zu eilen.

Wie der König mich sah, lief ein grimmiges Lachen über sein Gesicht.

Da ist sie ja schon, rief er. Oho! Dumoulin, Er hat nicht nöthig, sie zu suchen.

Er wandte sich nach meinem Onkel um.

Was weiß Er von diesem Clement? herrschte er ihm zu.

Ich weiß nichts, Majestät.

Glaubt Er noch, daß es ein ehrlicher Kerl ist?

Ich – ich – Majestät – Ich bin unschuldig!

Unschuldig? In Seinem Hause, unter Seinen Augen hat der Schelm gewohnt. Was ist hier vorgegangen?

Im Namen des allmächtigen Gottes! sagte mein Onkel seine Hände faltend und seine Augen so feierlich erhebend, wie seine Angst es ihm erlaubte, aber der König ließ ihn nicht weiter sprechen.

Mit wem ist der Mensch hier umgegangen? hat ihn besucht? schrie er mit dem Fuße aufstampfend.

Niemand, Majestät, ich weiß von keinem Besuch.

Die dicken Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn; die Augen des Königs funkelten vor Zorn, aber er mußte dennoch glauben, daß mein Onkel die Wahrheit sagte.

Dann war Er blind in Seinem Hause! fuhr er fort, und mich ansehend: Sie weiß es! Heraus mit der Sprache! Wer ist hier gewesen? Mit wem hat der Spitzbube sein verfluchtes Complott geschmiedet?

Wie kann ich das wissen! erwiederte ich.

Läugne Sie nicht! fuhr er auf mich los. Ich befehle Ihr den Augenblick die Wahrheit zu sagen.

Seine zornige Heftigkeit brachte eine andere Wirkung auf mich hervor, als auf meinen Onkel. Statt davor zu verzagen, fühlte ich, wie mein Muth sich vergrößerte, ihm zu widerstehen, und hierzu trug gewißlich bei, daß Dumoulin an der Thür stand und dies Alles mit anhörte. Er, der den unglücklichen Herrn von Clement ins Gefängniß geschleppt hatte, er wollte in seinem grimmigen Hasse nun auch mich zum Ankläger und Verderber benutzen; aber ich wollte es nicht sein und durfte es nicht sein. Es erschien mir gemein und niederträchtig, durch meine Aeußerungen das Unheil zu vermehren.

Um die Wahrheit zu gestehen, muß man die Wahrheit wissen, antwortete ich, so ruhig ich es vermochte.

Sie weigert sich! Sie spielt die Unschuld! rief der König. Hieher, Major Dumoulin. Sage Er es ihr ins Gesicht, was Er von ihr gehört hat.

Der Major trat mir gegenüber mit soldatischer Steifheit und begann im Tone des Berichts:

Zu Befehl, Majestät. Ich sprach in Cleve mit der Jungfer Jablonskien, wie kein Mensch begreifen könne, woher der Gefangene Geheimnisse erfahren habe, welche sonst kein Mensch kenne, und sie antwortete mir darauf: Ich kann es mir wohl erklären, wie es möglich wurde. Er hat Helfershelfer gehabt, die ihm solche Geheimnisse zutrugen und verkauften.

Will Sie das läugnen? fiel der König ein.

Nein, Majestät.

Was sagt Sie also dazu?

Was ich damals gesagt habe, doch sind dies nur Vermuthungen gewesen.

Vermuthungen? Was hat Sie vermuthet? Wen hat Sie gesehen?

Majestät, versetzte ich, stolzer vielleicht als es sein sollte, dieser Herr von Clement ist mir zum Bräutigam eingesetzt worden, wie könnte ich also, ohne mich selbst zu erniedrigen, ihn in Schaden und Schande bringen.

Ha! rief der König, Sie ist mit in dem Complott! Will Sie bekennen, oder – er hob seinen schweren Stock auf, feine Augen stierten mich wie rasend an, und sein Gesicht war von Wuth entstellt.

Aber ich blickte ihn mit verzweiflungsvollem Muthe an, und ehe sein Schlag auf mich wieder fallen konnte, stand Dumoulin vor mir, als meine Schutzwehr.

Was untersteht Er sich! sagte der König verwirrt, was will Er?

Majestät, sagte der Major, ohne aus seinem soldatischen Respect zu fallen, der Wagen ist soeben vor der Thür angekommen. Es gelingt vielleicht dem hochwürdigen Herrn Hofprediger, seine Nichte von ihrer Hartnäckigkeit zu erretten.

Diese Worte machten Eindruck auf den fürchterlichen Herrn. Vielleicht schämte er sich auch, daß er ein wehrloses Frauenzimmer mißhandeln wollte, und die Erinnerung, daß ich die Nichte seines Hofpredigers und Bischofs sei, kam gewiß zur rechten Zeit.

Er ließ seinen Stock sinken, während Dumoulin noch immer vor mir stand.

Sage Er ihr, rief er meinem Onkel zu, daß Sie zu Kreuze kriechen soll, oder ich will es ihr eintränken. Die infamen Komödiantenstreiche, daß der Mensch Ihr Bräutigam ist, sind Faselei. Ich spreche Sie los von aller Verantwortung. Mir hat Sie zu gehorchen, ich bin Ihr Herr! Wenn Sie es aber nicht thut, so steht draußen der Wagen, der sie auf der Stelle nach Spandau bringen soll, da wird man schon hinter Ihre Schliche kommen. Bei Gottes Wort! Sie soll bekennen, oder ich will Ihr den Mund mit glühenden Zangen aufreißen lassen!

Bei dieser schrecklichen Drohung schlug mein Onkel seine Hände zusammen und schrie voll Bangen und Entsetzen:

Im Namen des Heilandes, unglückliches Kind, falle auf deine Kniee nieder und rufe die Gnade Sr. Majestät wegen deines Ungehorsams an. Läugne nicht länger, bekenne, was du weißt. Rette mein graues Haupt vor Unglück und dich selbst vor Schmach und Schande!

Ich habe nichts zu bekennen, Onkel, antwortete ich mit äußerster Standhaftigkeit und funkelnden Augen. Mein Leben steht in Gottes Hand, mag es mir entrissen werden; ich weiß von keiner Schande!

Nach Spandau! schrie der König, ganz dunkelroth in größter Wuth. Fort mit Ihr! Im Spinnhaus soll sie beten lernen. Major Dumoulin! Bring' Er sie fort. Er überliefert sie dem Commandanten, morgen komme ich selbst.

Charlotte! Charlotte! sagte mein Onkel bebend und erstickt.

Lebt wohl, herzliebster Onkel, antwortete ich.

Er, sagte der König ingrimmig ihn anstierend, Er ist von seinem Amte suspendirt. Ich werde eine Commission einsetzen, die Sein Betragen untersuchen soll. Fort mit der Dirne jetzt! Ins infame Loch soll sie in Spandau geschmissen werden!


11.

Nach einer halben Stunde saß ich in der Kutsche und fuhr dem fürchterlichen Staatsgefängniß entgegen. Es war stockfinster, ich konnte den Major in der anderen Ecke des Wagens nicht sehen, auch ließ er lange Zeit keinen Laut hören. Inzwischen wickelte ich mich in mein Mäntelchen und schwieg ebenfalls, unterdrückte jeden Seufzer, jede Klage; aber nach Allem, was mir geschehen, war ich doch nicht so schrecklich bange, um mir nicht fort und fort zu sagen, daß ich recht gethan habe, mich der tyrannischen Gewalt zu widersetzen, und daß nichts mich zwingen solle, niederträchtig zu handeln, gegen Gott, Gewissen und Pflicht.

Zuweilen gerieth ich dabei in Zorn, wenn ich dachte, wie ich behandelt worden, und noch mehr darüber, daß Dumoulin Schuld daran sei. Dann wieder mischten sich andere Empfindungen und Erinnerungen ein, welche mir vorhielten, wie er mich vor dem König geschirmt, mit welchem traurigen Ernst und Schmerz er mich nachher betrachtet, auch besorgt gewesen, sich so rücksichtsvoll als möglich zu beweisen.

Ich konnte gehen und einige nothwendige Kleidungsstücke zusammenpacken, während er bei meinem Onkel zurück blieb und ihn zu beruhigen suchte, denn mein Onkel war bei Weitem mehr zerschmettert als ich, und dachte mehr an sich, an seine Absetzung, und die ihm angedrohte Untersuchung als an mein untergeordnetes Schicksal. Es glückte dem Major auch, ihn zu einiger Fassung zu bewegen, aber er entließ mich doch nicht mit seinem Segen, sondern mit seinen Vorwürfen über mein unwürdiges Betragen, das auch ihn in den Abgrund gebracht.

Ich erwiederte nichts darauf, allein der Major nahm sich meiner an.

Ihre Anschuldigungen sind nicht richtig, hochwürdigster Herr, sagte er, denn ich wiederhole Ihnen, daß der König Ihre Suspendirung vom Amte und eine Untersuchung über Ihre Aufführung in Sachen dieses Abentheurers beschlossen hatte, mochten die Aussagen der Jungfer auch lauten, wie sie wollten. Ich hoffe jedoch, es wird auch jetzt noch Alles gut enden, fuhr er fort. Sie werden sich rechtfertigen, und auch die Jungfer Charlotte wird bei Besonnenheit und Einsicht bald zu Ihnen zurückkehren. Jetzt können wir nichts weiter thun, als den Befehlen des Königs gehorchen.

Darauf bot er mir seinen Arm an, allein ich nahm diesen nicht, sondern ging hinaus, wo ich die Kutsche fand und bei ihr drei von den Profossen des General-Auditeurs und Ministers von Katsch. Diese durften mich jedoch nicht anfassen, denn der Major war schon bei mir, hob mich hinein und setzte sich neben mich, worauf wir sogleich fortfuhren.

Der tiefe Schmutz und die Löcher auf der schlechten Straße, welche durch den Thiergarten nach Charlottenburg und Spandau führte, machte, daß der Wagen sich meist nur langsam fortbewegen konnte. Ein Mal glaubte ich, daß er umgeworfen würde. Die Polizeisoldaten zündeten Stocklaternen an und leuchteten damit, und wie der Lichtschein durch das Fenster herein fiel, sah ich, daß Dumoulin sich aufgerichtet hatte, als wollte er mir beistehen.

Sie haben sich doch nicht wehe gethan? fragte er theilnehmend, denn es war ein sehr harter Stoß gewesen.

Was liegt daran, antwortete ich, da ich doch weit größeren Leiden entgegen gehe!

Wer ist die Ursache davon? versetzte er.

Doch jedenfalls der, welcher mich verrathen hat.

Also ich! ich! Seine Stimme klang, als schlüge ein Eisenhammer auf einen Stein. Ich habe meine Pflicht gethan, wie meine Ehre es gebot, weiter nichts, sagte er darauf.

Und ich, mein Herr Major, ich that nichts mehr und nichts minder.

Aber Ihr zürnt mir – Ihr haßt mich darum! rief er mit ausbrechender Leidenschaft.

Und was thut Ihr denn?

Ich? Er holte tief Athem und schwieg, plötzlich aber sagte er: Wenn Ihr wüßtet, was ich ertragen habe um Euretwegen, Ihr würdet Euch selbst die Antwort geben.

Ich sehe nur und weiß nur, daß Ihr neben mir sitzet, um mich ins infame Loch in Spandau abzuliefern.

Ehe das geschehen soll, ehe ich das thäte, rief er seine Zähne zusammenpressend, lieber wollte ich Euch mit diesen meinen Händen tödten!

Wie? sagte ich innerlich bebend, wollt Ihr mich nicht nach Spandau bringen?

Ich muß, es muß gesehen! sprach er in dem eisernen Tone. Steckte Gottes Hand sich aus seinem Himmel und wollte Euch fortführen, ich duldete es nicht. Ihr müßt tragen, was Ihr Euch auferlegt, und ich muß es vollziehen.

So vollzieht es denn und gebt Euch keine Mühe, Euch weiter bei mir rechtfertigen zu wollen.

Bei Euch? Nein bei mir! bei mir! antwortete er. Daß ich Euch helfen möchte, und hätte ich tausend Leben einzusetzen, wißt Ihr das jetzt noch nicht?! Aber meine Ehre! meine Pflicht! Schande und Schmach über mich, wenn ich sie vergessen könnte. Schande und Schmach über mich, wenn ich Euch verlassen, verrathen kann!

Mit dem Schauder, der mich faßte, fühlte ich doch zur gleich ein süßes liebliches Gefühl, mit der Angst um ihn vergaß ich meine eigene Angst.

O! rief ich, da Ihr mich retten möchtet, so sagt mir, was ich thun soll. Könnt Ihr wollen, daß ich gemein und schlecht handeln und mich erniedrigen soll?

Nein, versetzte er. Ihr habt recht gethan, aber dieser elende Mensch verdient es nicht. Klug und vorsichtig seid Ihr nicht gewesen.

Das mag in meinem unbesonnenen Wesen liegen, versetzte ich gereizt. Ihr habt mir dies oft schon gesagt, denn ohne Zweifel seid Ihr viel klüger und einsichtiger als ich.

Er schwieg dazu, und eine geraume Zeit verging, bis der Wagen den Berg hinabrollte und sich der Festung näherte, aus welcher Lichter in die Nacht glänzten. Wir fuhren über Brücken und tiefe Gräben, wurden von Schildwachen angerufen und gelangten endlich an hohe düstre Mauern.

Wenn Ihr niemals klug und vorsichtig waret, sagte Dumoulin jetzt zu mir, so seid es jetzt. Wißt, daß nicht allein Euer Leben, daß auch mein Leben davon abhängt. Ohne Euch würde es mir zur Qual und Last sein. Der König wird morgen nach Spandau kommen, ich bleibe in Eurer Nähe. Auch der Fürst von Dessau wird hier sein. Ihr habt einen Freund an ihm, und jetzt seid gefaßt und bedenkt, daß Alles, was Menschen thun können, geschehen soll zu Eurem Besten.

Als der Wagen auf dem inneren Hofe still hielt, sprang er heraus und ging fort. Nach einiger Zeit kam ein langer Mann mit einer Laterne und hieß mich aussteigen. Als das geschehen war, wurde ich in das Haus des Commandanten geführt und endlich in dessen Zimmer. Es war der General von Glasenapp, ein alter dicker Herr mit einem Bullenbeißergesicht, der mich von oben bis unten ansah, als wollte er mich verschlingen. Er war aber ganz allein, vergebens suchte ich nach dem Major.

Sie ist also meine Gefangene, Jungfer Jablonskien, sagte der General, ich rathe Ihr, sich danach zu betragen. Nicht zu heulen, nicht zu schreien, oder andern Spectakel zu machen, sonst wird Sie in den Thurm gebracht. Also verständig, Jungfer Jablonskien, wenn es Ihr nicht noch viel schlechter gehen soll. Woltmann! rief er darauf und drehte sich nach dem langen Mann um, nehm Er sie mit und sperr Er sie ein.

Der lange Mann klapperte mit einem ungeheuren Schlüsselbunde, und ich mußte ihm nachfolgen wieder über den Hof fort in ein Quergebäude, vor welchem Schildwachen standen, dann eine Treppe hinauf, und durch einen gewölbten Gang, bis er eine Thür aufschloß und mich eintreten ließ.

Ich befand mich in einer schmalen Zelle, doch ich war allein, und dies war nimmermehr das infame Loch. Ein dankbares Gefühl überkam mich, ich empfand den Freund, der dies für mich gethan, und mein Herz schlug in Dankbarkeit und Hoffnung. Nach einiger Zeit erhielt ich Licht, und im Ofen wurde Feuer gemacht, dann brachte ein Weib ein Bett, endlich auch Speisen, und zwar nicht Wasser und Brot, sondern ein gutes Essen und eine Flasche Bier.

Der Gefangenwärter erklärte mit keinem Worte, wem ich diese Gunst zu verdanken hatte; gleichgültig und schweigsam verrichtete er sein Amt. Nur zuletzt befahl er mir, sobald ich gegessen, das Licht auszulöschen und mich nieder zu legen, und so ließ er mich allein, und ich befolgte seinen Befehl schon nach wenigen Minuten, denn ich fühlte mich sehr erschöpft.

Daß mich dennoch der Schlaf floh, daß ich in einem Fieberzustande lag, meinen Kopf mit wirren glühenden Vorstellungen gefüllt, wer möchte daran zweifeln? Grabesstille umgab mich, und doch war ich sicherlich umringt von Unglücks- und Leidensgefährten. Mir fiel Herr von Clement ein. Wo war er? Vielleicht dicht neben mir. In der Finsterniß richtete ich meine Augen auf die Mauern, als sollten meine Blicke sie zerbrechen, und ich meinte ihn zu sehen, bleich, wahnsinnig vor Entsetzen seine Arme voll Ketten flehend nach mir ausgestreckt, heiser wimmernd: Verrathe mich nicht! verkaufe mich nicht!

Es war jedoch nichts, als der Ruf der Schildwachen und das Geklirr ihrer Gewehre. Bald hatten mich andere Fantasien wieder in Beschlag genommen: Dumoulin, mein Onkel, der König mit dem schrecklichen Gesicht und seinem Schwur, mich zu vernichten. Der kommende Morgen, die Ungewißheit, was mit mir geschehen werde, welche furchtbaren Dinge mich erwarteten, Alles ballte sich zu einem höllischen Knäuel zusammen.

Aus einem halb traumartigen Zustande fuhr ich endlich auf, als es Tag geworden und ich die Schlüssel rasseln hörte. Der Wächter kam und brachte mir Kaffee und Backwerk, räumte das Essen vom Abend fort, füllte einen Wasserkrug und setzte einen Topf daneben, Alles wieder ohne ein Wort zu sprechen.

Erst als er damit fertig war, drehte er sich nach mir um und sprach:

Um neun Uhr kommt Se. Majestät der König. Ich soll Ihr sagen, daß Sie sich bereit hält.

Was soll denn geschehen? fragte ich.

Verhör, erwiederte der Mann. Der General-Auditeur Excellenz von Katsch ist schon hier.

Ich wußte genug von diesem fürchterlichen Mann, um vor seinem Namen zu erschrecken. Er war als erbarmungsloser Chef der Criminaljustiz bekannt.

Wie viel Uhr ist es jetzt? fragte ich.

Acht Uhr vorbei.

Und, lieber Mann eine Bitte – sagt mir, wo ist der Herr von Clement, und wie geht es ihm?

Statt jeder Antwort schlug er die Thür zu und ließ mich allein.

Eine unbeschreibliche Muthlosigkeit, welche mich überfiel, machte, daß ich eine Zeit lang wie in Erstarrung auf dem Bette saß. Alles Unglück und Elend, das mich erwartete, fiel auf mich nieder und löschte mein Hoffen aus, doch eben dies hülflose Verzweifeln bewirkte, daß um so lebendiger auch bald meiner Seele Kraft und Gläubigkeit wiederum erwachte.

Ich fühlte mich schuldlos. Gottes allmächtiger Wille hatte diese Prüfungen über mich gebracht, so richtete ich mein Gebet zu ihm, mich nicht zu verlassen, sondern mein Hort und Schützer gnädiglich zu sein. Und in meinem tiefsten Herzen loderte es auf wie ein wärmend Feuer; die Stimme, der ein leidender Mensch immerdar vertrauen darf, rief mir zu: Gieb Zeugniß dafür, daß du recht gethan, und fürchte dich nicht vor dem Zorn der Gewaltigen. Laß dich nicht zum Unrecht und zur Sünde verlocken, Gott wird dir beistehen in deiner Noth! Und so stand ich auf voll Gewißheit und voll Ruhe, brachte meinen Anzug in Ordnung, so gut ich es vermochte, und erwartete gefaßten Muthes die Stunde des Gerichts.

Es ließ mich diese auch nicht lange warten. Nach einiger Zeit entstand viel Lärm auf dem Hofe, in welchen ich nicht hinabsehen konnte, da das Fenster meiner Zelle sehr hoch war. Ich hörte nur Wagen rollen und Pferde schnauben, hörte den Schritt marschirender Soldaten, und die Commandoworte ihrer Offiziere, endlich aber wurden die Trommeln gerührt, und dies nahm ich als das Zeichen, daß der König gekommen sei.

Wiederum Stille und wiederum banges Erwägen, Nachsinnen und Vorstellen, was mit mir geschehen werde, bis endlich unten im Hause Schritte dröhnten und Gewehre klirrten. Der Lärm näherte sich, und die Schlüssel rasselten an meiner Zelle. Gleich darauf stand der Gefangenwärter darin und forderte mich auf ihm zu folgen.

Als ich hinaustrat, sah ich dort vier Grenadiere und einen Unteroffizier in zwei Reihen mit aufgepflanztem Bajonnet, so grimmig, als gälte es einen fürchterlichen Räuber in Empfang zu nehmen.

Nehmt die Gefangene in die Mitte! schrie der Unteroffizier, und die Soldaten stellten sich rechts und links und hinter mich, er an die Spitze; so ging es über den Hof fort, nach dem Commandantenhause. Auf dem Hofe stand eine ganze Compagnie und allerlei Volk, auch Offiziere und Herren mit Amtsmienen, die mich theils zornig theils ernsthaft oder mitleidig betrachteten, und es regte sich bei mir, trotz aller Noth, die Lust zum Spotten, wie ich all' dies Treiben um meine arme kleine Person sah.

Als ich endlich im Commandantenhause anlangte, fand ich dessen Vorhalle gefüllt mit Ordonnanzen und Bedienten, Gerichtsdienern und Wachen. Doch hier sprach man nicht mehr laut. Ich wurde weiter geschoben durch den Gang, der das Haus durchschnitt, dann einem Paar Profossen übergeben, und jetzt öffnete sich eine Flügelthür und ich stand in einem Saal. Vor mir befanden sich mehrere Offiziere, die eine Wand bildeten, durch welche ich keinen Blick thun konnte. Allein ich hörte sogleich des Königs laute starke Stimme, und plötzlich bemerkte ich Dumoulin neben mir, der meinen Wächtern einen Wink gab, daß sie stehen blieben.

Der Major sprach kein Wort, jedoch seine Augen schauten mich voll ängstlicher Sorge an. Zugleich war es, als wollte er mir Muth einflößen; er legte seine Hand auf seine Brust, und hob seinen Kopf mit stolzer Miene auf. Gleich darauf zog er sich zurück, und meine Aufmerksamkeit wurde von dem gefesselt, was ich hörte.

Er bleibt also noch immer dabei, daß nichts von dem erlogen war, was ich von ihm erfuhr? fragte der König.

Ich kann mit gutem Gewissen es betheuern, erwiederte eine Stimme, die mich zittern machte. Nur die reinsten Absichten haben mich zu Ew. Majestät geführt.

General Bork! rief der König, tret Er ein. Ich habe Ihn nach Wien geschickt, Er ist auch in Dresden gewesen, wie der Fürst von Dessau, mein Freund und Verwandter, es mir anrieth. Er besitzt mein ganzes Vertrauen, Bork; ich weiß, Er lügt nicht, und wenn Ihm der Teufel die ganze Welt dafür anböte. Er hat mit dem Prinzen Eugen gesprochen, mit dem Kaiser selbst, mit den allerersten Männern in Dresden, mit dem König von Polen, und mit dem Feldmarschall von Flemming. Was haben die Ihm gesagt?

Geschworen haben Sie bei ihrer fürstlichen Ehre und bei alle dem, was Menschen heilig sei, daß sie nicht ein Wort von diesen Abscheulichkeiten wissen, die ein niederträchtiger Schelm erfunden hat.

Was weiter? fragte der König.

Weiter, sagte der alte General, indem er einen Augenblick zögerte, daß sie nicht begreifen könnten, wie Ew. Majestät von einem solchen Schwindler und Betrüger sich solche handgreifliche Lügen konnten aufbinden lassen.

Weiter! schrie der König mit großer Heftigkeit.

Der Prinz Eugen, fuhr Bork fort, war freilich auch erstaunt darüber, wie gut seine Handschrift nachgemacht sei, dennoch –

Was sagte er von diesem da? fiel der König ein, indem er wahrscheinlich auf den Herrn von Clement deutete.

Er kannte den Vogel, so wie ich ihm den Namen nannte. Oho! sagte er, der also. Das ist ein durchtriebener, ränkevoller Schelm. Er hat bei den Utrechter Friedensunterhandlungen sein Wesen getrieben; war Secretair bei dem Fürsten Ragoczy, der ihn als Baron von Rosenau dorthin schickte, allein er ist weder Baron noch Edelmann, sondern von dunkler, gemeiner Abkunft und schlechtem Charakter, ein Abentheurer, obwohl von großen Fähigkeiten. Als sein Fürst im vorigen Jahre aus Paris nach Konstantinopel flüchtete, stahl er ihm seine Briefschaften und bot diese mir zum Kaufe an. Er wollte in Wien sein Glück machen, trat auch zur katholischen Kirche über; als er jedoch sah, daß man ihn verachtete, verschwand er, und ist, wie ich nun erst erfahre, nach Dresden gegangen.

Was hörte Er in Dresden, Bork? unterbrach ihn der König.

Man wollte mit der Sprache nicht heraus, versetzte der General, denn ich glaube, man schämte sich; doch gewiß ist es, daß er allerdings mit dem Feldmarschall von Flemming in genauem Verkehr gestanden hat, und dadurch manches Geheime erfuhr. Er dagegen hat den Feldmarschall auch gehörig hinters Licht geführt, hat ihm österreichische Staatsgeheimnisse verkauft, und soll dafür viel Geld bekommen haben. Als es dann nicht mehr weiter ging, machte er sich nach Berlin auf den Weg, um mit Ew. Majestät dasselbe Spiel zu treiben.

Der General schwieg, und es erfolgte eine Stille, welche erst nach einigen Minuten der König unterbrach.

Ihr habt jetzt gehört, wie es mit Euch steht, begann er ruhiger, als man es erwarten konnte. Was habt Ihr darauf zu sagen? Wollt Ihr Euren Betrug erkennen?

Ich bin kein Betrüger, Majestät, erwiederte Clement mit sanfter, fester Stimme. Erwägen Sie, Sire, daß die hohen Personen, welche mich anschuldigen, nicht anders konnten, als mich Schelm und Lügner heißen. Allein welche Vortheile habe ich gesucht? Welcher Eigennutz hat mich getrieben? Welche Gnade habe ich dafür von Ew. Majestät begehrt? Ich bin gekommen, um Ihnen zu dienen, Sire, um der Menschheit zu dienen gegen die hinterlistigen Pläne der katholischen Fürsten und Priester; ich habe mich nach dem Haag begeben, um gegen diese Pläne und Ränke zu wirken, ohne auf einen Lohn zu rechnen. Das ist das einzige Verbrechen, das ich begangen habe.

Der König antwortete nicht darauf, aber ein Anderer, der Fürst von Dessau, rief:

Der Spitzbube soll mit seinen Finten Ew. Majestät nicht wieder irre machen! und eine widerliche scharfe Stimme fiel darauf ein:

Ich will es Ihm beweisen, daß Er die Briefe gefälscht und die Handschriften nachgemacht hat. Geruhen Ew. Majestät, das Verhör fortzusetzen und das Frauenzimmer zu vernehmen, das mit diesem Angeklagten in Bekanntschaft gerathen ist.

Führt sie herein! rief der König, da er jetzt an mich erinnert wurde.

Die Offiziere wichen vor mir, und ich trat auf den Schauplatz. Nach der Wandseite stand ein langer, mit einem rothen Tuche bedeckter Tisch. Hinter diesem stand ein Herr mit einem Stern auf dem Rocke, zu beiden Seiten befanden sich einige andere gepudert und schwarzgekleidet. An der Seite des Tisches saß der König in seinem blauen Rocke, und neben ihm der Fürst Leopold von Dessau, der sein Gesicht mit der kleinen breiten Nase und dem spitz gedrehten Schnurbart zu einem Grinsen verzog, als er mich sah. Ich schaute nicht lange darauf hin, denn als ich mich tief und anstandsvoll verneigt hatte, fielen meine Augen sogleich auf den Herrn von Clement.

Dieser stand einige Schritte vor dem Tisch, so würdig, edel und in ruhiger Haltung, wie ich ihn jemals gesehen. In derselben Sauberkeit seiner Tracht, in seidenen Unterkleidern, Strümpfen und Schnallenschuhen, gefälteltem Jabot und langen Manchetten, aus denen seine zarten weißen Hände hervorsahen, am Finger den großen Brillantring und andere kostbare Kleinodien, sah er nicht aus wie ein auf den Tod angeklagter Gefangener.

Als er mich erblickte, lief ein Schrecken durch sein Gesicht, doch gleich darauf auch eine mit Trauer und Kummer gemischte Freude, und seine Arme bewegten sich, als wollte er diese aufheben und auf mich zueilen, doch geschah beides nicht.

Inzwischen hatte der Herr hinter dem Tische sich vor dem König tief geneigt und dieser dazu genickt.

Trete Sie hierher, begann er zu mir und wies auf eine Stelle, dem Herrn von Clement gegenüber. Kennt Sie diesen Mann?

Es ist der Herr von Clement, erwiederte ich leise.

Hierauf begann er ein Kreuzverhör von raschen scharfen Fragen, und sah mich dabei mit seinen grauen röthlichen Augen an, daß meine Sinne sich verwirrten. Seine hohe kahle Stirn voll Falten und Puder, der Mund mit dem zusammengekniffenen Lippen, die erbarmungslose Härte in diesem langen hohlen Gesicht, waren entsetzlich. So konnte kein Anderer aussehen, Niemand anders konnte dies sein, als der General-Auditeur von Katsch, von dem man behauptete, daß ihm die meisten der fürchterlichen Bluturtheile zur Last fielen, zu denen der König sich hinreißen ließ.

Ich antwortete aber doch so, daß ich meine Worte wohl erwog, und nichts sagte, als was bekannt und richtig war. Plötzlich aber hielt er mit seinen Fragen inne, und indem er seinen kleinen Augen und dem ganzen Gesicht einen Ausdruck von einladender Vertraulichkeit gab, fuhr er fort:

Wenn Sie Alles läugnen will, so wird Sie doch zugeben müssen, daß Sie einen Brief erhalten hat, von dem Sie weiß, daß dieser Herr von Clement ihn fälschte und nachmachte, so daß Sie selbst dadurch betrogen wurde.

Ich schwieg stille und antwortete nicht.

Rede Sie die Wahrheit, rief Herr von Katsch, Sie hat diesen Brief erhalten, Sie weiß, daß die Handschrift nachgemacht wurde, und eben so gut weiß Sie, von wem dieser Herr hier die Geheimnisse erfuhr, welche ihm verkauft wurden. Bedenke Sie wohl, was Sie thut, Sie steht vor Ihrem Höchsten Richter, dem Sie Wahrheit schuldig ist.

Mein gnädigster Herr, sagte ich leise, aber doch mit fester Stimme, läge es in meiner Macht, die Wahrheit zu gestehen, so würde ich gestern schon, als Se. Majestät mich selbst darum befragte, nicht gezögert haben.

Sie will nicht antworten? Will Sie Nein sagen? fragte der General-Auditeur.

Ich senkte meinen Kopf und schwieg. Es war still umher.

Major Dumoulin, sagte Herr von Katsch, erzähle Er, was Er davon weiß.

Dumoulin trat vor, er schritt dicht zu mir heran und sprach:

Als dieser sogenannte Herr von Clement nach Berlin und in das Haus des Hofpredigers Jablonski kam, war ich dort bekannt, und mit der Jungfer hier hatte ich ein zärtlich Einvernehmen. Er aber wußte es dahin zu bringen, daß sie ihm zugesagt wurde, und als sie in ihrer Herzensnoth an mich schrieb und mich aufforderte, daß ich sie von ihm befreien möge, fing er den Brief auf und schrieb dafür eine Antwort mit meiner Handschrift, so täuschend nachgeahmt, daß sie nicht zweifeln konnte, er komme von mir, und sich nun den Befehlen unterwarf.

Wie? rief der König auffahrend dazwischen. Das bekennt Er jetzt erst, und hat mir niemals etwas davon gemeldet!

Majestät, erwiederte der Major, dies Geheimniß betraf mich selbst nicht allein, sondern auch die edle Jungfer Jablonskien.

Er hätte reden sollen! fuhr der König fort, und indem er sich zu besinnen schien, hielt er inne, und schrie dann auf: Oho! darum kam Er mir gestern in den Weg! Und zu mir sich hinwendend: Jetzt bekenne Sie, ich, der König, befehle es Ihr noch einmal. Sie soll die Wahrheit sagen, die Sie mir schuldig ist.

Majestät, antwortete ich demüthig, es giebt noch einen höheren Richter, vor dem auch die Könige sich beugen müssen. Sie sind zu edel denkend und zu gerecht. Ich kann gegen diesen Mann nicht zeugen, dem ich anhängen sollte, und Ja und Amen gesprochen habe.

Ha! rief der König mich furchtbar anblickend, habe ich Ihr nicht gesagt, daß der Henker Ihr den Mund öffnen soll?

In dem Augenblick hatte der General-Auditeur sich zu Herrn von Clement gewandt, und in der Hand eine Klingel haltend, welche er von dem Tische nahm, sagte er zu ihm:

Will Er es abwarten, daß man ihn auf der Folter zum Geständniß bringt? Es ist alles bereit dazu.

Nein! antwortete Herr von Clement mit bewegter lauter Stimme. Niemand soll um meinetwillen Henkersknechten überliefert werden, und ich selbst – er blickte in das hohle grimmige Gesicht des Ministers, dann wie von einem Schauder ergriffen auf seine eigenen weißen Hände.

Plötzlich fiel er auf seine Knie nieder, senkte seinen Kopf, hob seine Arme zu dem Könige auf und rief:

Gnade, Ew. Majestät, ich will Alles bekennen. Ich habe Ew. Majestät, betrogen, ich bin schuldig!

Welche Aufregung diesen Worten folgte, kann man sich vorstellen.

Der König schien so überrascht zu sein, als hätte er noch immer heimlich an Clements Unschuld geglaubt.

Er hat alle Briefe, die Er mir gezeigt, nachgemacht? fragte er.

Ja, Majestät.

Und wer hat ihm die Geheimnisse entdeckt, die er mir mittheilte?

Alles, was ich wußte, erfuhr ich von dem Baron von Heidekamm, dem Residenten Lehmann, und einem Secretair des Feldmarschalls von Wartensleben mit Namen Bube.

Verfluchtes Gesindel! schrie der König im wildesten Zorn; in Ketten mit den infamen Halunken! Und auf mich deutend fuhr er fort: Diese hier, dies Weibsbild hat um Alles gewußt!

Nein, Majestät, so wahr ein Gott lebt, sie ist unschuldig! Sie konnte nichts wissen. Auch was der Major Dumoulin aussagte, ist wahr. Ich habe jenen Brief geschrieben, ich habe auch sie getäuscht.

Der König stand mit funkelnden Augen umherblickend, als suche er ein anderes Opfer, da ich ihm entgangen war, dann folgte er seinem Mißtrauen.

Will Er Andere retten, rief er, damit sie ihm helfen sollen? Steh' Er auf, geh' Er an den Tisch, nehm Er Feder und Papier, schreib Er mit meiner Hand, daß ich dem General-Auditeur befehle, ihm den kurzen Proceß zu machen und ihn aufhängen zu lassen, als einen meineidigen, verfluchten Schelm und Verräther. Schreib Er das!

Und Clement stand auf und schrieb:

»Dem General-Auditeur, Minister von Katsch, befehle ich hiermit, dem Johann von Clement als einem meineidigen, verfluchten Schelm und Verräther kurzen Proceß zu machen und ihn hängen zu lassen. Friedrich Wilhelm.«

Bei Gott! rief der König, indem er den Bogen, der ihm überreicht wurde, erstaunt vor seine Augen hielt, jetzt glaube ich es; wüßte ich nicht gewiß, daß es nicht wahr ist, ich würde darauf schwören, daß ich dies selbst geschrieben hätte.

Er gab das Papier an den Fürsten Leopold, und die Generale umringten diesen; er selbst wandte sich an den Verbrecher, den er stolz und ernsthaft, ohne Zorn anschaute.

Er ist ein seltener Mensch, sagte er. Niemand kann sich rühmen, mich jemals so betrogen zu haben. Ich möchte Ihn zu meinem Geheimerath machen, wenn ich Ihn begnadigen könnte, aber das kann ich nicht. Was auf dem Bogen geschrieben steht, das soll geschehen. Sein Proceß soll Ihm gemacht werden, Gerechtigkeit soll Ihm werden. An den Galgen muß Er, aber es thut mir leid, daß ich Ihn nicht retten kann. Hat Er mir noch etwas zu sagen?

Nein, Majestät, erwiederte Herr von Clement sich verbeugend. Nur eine demüthige Bitte.

Wenn ich sie gewähren kann, soll es geschehen.

Daß man mich nicht mißhandelt, Majestät, und in ein schreckliches Loch steckt.

Er soll bleiben, wo er ist, soll gut gehalten werden, und sein Proceß soll rasch gehen, sagte der König. Jetzt geh Er, Ich habe nichts mehr mit Ihm zu schaffen, der General-Auditeur wird Ihn weiter verhören.

Auf einen Wink des Herrn von Katsch ging Herr von Clement, nachdem er sich würdig mehrmals verbeugt, nach der Thür, wo ihn die Profosse in Empfang nahmen.

Der König blieb nachsinnend stehen; er heftete seine Augen auf den Boden, seine Stirn war faltig zusammengezogen, die Lippen in einander gekniffen. Plötzlich hob er den Kopf auf und sah mich an.

Major Dumoulin! schrie er.

Der Major trat vor.

Was hat er vorher eingestanden? Er hat ein zärtliches Verhältniß mit dem Frauenzimmer da?

Ja, Majestät.

Mit der Nichte meines Hofpredigers! Hat Er das nicht vergessen?

Nein, Majestät.

Er hat sie also heirathen wollen?

Ja, Majestät.

Und jetzt, wo sie in Spandau gesessen hat, will Er sie noch heirathen?

Seine Lippen zuckten dabei, doch ehe er fortfahren oder Dumoulin antworten konnte, begann der Fürst von Dessau zu reden.

Ein Wort, Majestät, sagte er. Mit gnädigster Permission bitte ich darum.

Was wollen Eure Liebden? fragte der König rauh zu ihm hin.

Für dies junge Frauenzimmer mich einlegen, versetzte der Fürst. Ich habe ihr Revenge versprochen, wenn ich sie ehrlich fände, und das Herz ihr auf dem rechten Fleck säße, und so wahr ein Gott lebt! ihr Herz hat sie bewiesen, wir können's ihr Alle bezeugen. Ehrlich und treu ist sie auch, ein Hundsfott nur kann sagen, daß sie nicht gehandelt hätte wie Eine, die Ehre im Leibe hat. Was aber den Major Dumoulin betrifft –

Halt! rief der König. Das ist Seine Sache, Major Dumoulin. Will Er das Frauenzimmer noch heirathen?

Ja, Majestät, antwortete der Major mit solcher Festigkeit, daß mein Herz vor Freuden bebte.

Besinn' Er sich wohl, fuhr der König drohend fort. Ich könnt Ihn nicht mehr um mich leiden.

Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, nahm Dumoulin mich bei der Hand, sah mich an, als wollte er sagen: fürchte dich nicht, ich verlasse dich nicht! wandte sich dann nach dem Könige hin und sprach mit bescheidener Festigkeit:

Ich bitte um meinen Abschied, Majestät.

Seinen Abschied? Wo will Er hin? fragte der König.

Ich besitze etwas an Geld, Majestät, und in Preußen ein kleines Erbe.

Nach Preußen will Er? rief der König ihm zunickend, dahin soll Er. Er ist mir nicht so gehorsam gewesen, wie Er hätte sein sollen, darum kann ich Ihn bei mir nicht länger brauchen, aber Seinen Abschied kriegt Er nicht. Ich habe in Preußen einen General-Inspector nöthig, der gut schreiben kann und auf dem Platze ist. Er ist solch ein Federfuchser, auch sonst Einer, der seine Sache versteht. Dahin werde ich Ihn schicken. Morgen früh Punkt neun Uhr ist Er bei mir. Da werde ich Ihm schon weiter meine Meinung sagen.

Mit diesen Worten ging er fort, und seine Generale und Adjutanten folgten ihm nach. Der Fürst von Dessau aber blieb stehen und klopfte auf meine Schulter.

Nun, Jungfer Jablonskien, rief er in seiner rauhen Weise lachend, wie ist Sie mit der gnädigen Strafe zufrieden? Frau General-Inspectorin, was meint Sie zu der Revenge?

Ich konnte ihm keine Antwort geben, denn ich lag an Dumoulins Brust, bebend und schluchzend, seine Küsse verschlossen meine Lippen.


12.

Ich spreche nicht davon, wie mein geliebter Freund mich in das Haus meines Onkels zurückbrachte, wie wir den Alten in seiner Betrübniß fanden, wie er staunte, als wir ihm erzählten, was geschehen, und wie unter unseren Tröstungen seine Hoffnung und seine Freudigkeit erstarkten. Dumoulin wußte ihn besonders damit zu beleben, daß der König in seinem innersten Gemüth sicherlich zumeist beschämt sei über den Betrug, den er so leichtfertig geglaubt, daß er jetzt die Schuld gern von sich auf Andere schrieben möchte, daß er jedoch in einiger Zeit ohne Zweifel seine treuen Diener mit Ehren und Gnaden bedenken würde; denn in der rauhen herben Schale war ein wunderbarer Kern von Wahrheit und Gerechtigkeit.

Dumoulin führte ihm sein eigenes Beispiel dafür an. Er wollte ihn nicht mehr um sich haben, da er ihn in dieser schlimmen Geschichte so viel gebraucht hatte, aber er gab ihm eine Stelle, welche viel höher und besser war, als der Major sie jetzt besaß. Auch mich wollte er nicht sehen, denn sein Unrecht mußte ihm dabei einfallen; so auch werde er gewiß zwar den hochwürdigen Hofprediger noch längere Zeit von sich entfernt halten und die Untersuchung gegen ihn betreiben lassen, allein es sei gar nicht zu bezweifeln, daß diese bald niedergeschlagen, und seine Unschuld glänzend werde gerechtfertigt werden; denn der König sei jetzt schon davon überzeugt.

Solchen Gründen konnte mein Onkel nicht widerstehen, und es versteht sich von selbst, daß er mit Freuden uns seinen Segen gab, als wir ihn darum baten. Welch Morgen war es gewesen, welch Abend wurde daraus! Wir saßen einsam in der Laube, der Frühlingsvollmond über uns, bis Dumoulin sich wiederum losriß und mich verließ. Wie viel Menschenleid, wie viel Menschenglück kann ein einziger Tag bescheinen!

Am nächsten Morgen kam mein geliebter Freund als ein stolzer Mann. Er war zum Obersten ernannt und zum General-Inspector, bei alledem hatte der König ihn doch rauh angefahren, daß er sein Glück verscherzt habe, gemacht habe, daß er ihn aus seiner Nähe fortschaffen müsse.

Es gehörte zu den sonderbaren Einbildungen des Königs, daß er diejenigen für unglücklich hielt, welche er aus irgend welchen Gründen von seiner Person entfernte, mochten sie auch die besten Stellen bekommen. Warum er den Major eigentlich ungehorsam hieß, sagte er nicht, und Dumoulin hütete sich, danach zu fragen. Es war aber sicher genug, daß es geschah, weil er wußte, daß Dumoulin dem Fürsten von Dessau Mittheilungen gemacht, und so auch meinetwegen, weil er mir mehr anhing als ihm, zwischen ihn und mich getreten war, und ihn mit seinem stolzen ernsten Willen gehindert hatte, mich grausam zu behandeln. Das konnte er nicht ertragen und vergessen. –

Die schönsten und herrlichsten Tage kamen uns nun. Die Untersuchung gegen meinen Onkel wurde wirklich eröffnet, doch nach dem ersten Verhöre stand sie schon still, und es kam so, wie Dumoulin es vorher gesagt, denn nach einigen Monaten wurde mein Onkel völlig unschuldig erklärt und wieder in sein Amt eingesetzt.

Der König sah ihn jedoch noch lange nicht, und überhaupt ging die Schreckenszeit in Berlin nicht etwa mit der Aufdeckung des Betrugs des Herrn von Clement zu Ende. Noch bis in's folgende Jahr hinein schlief der König mit seinen geladenen Pistolen unter dem Kopfkissen, und sein Mißtrauen blieb unverändert. Die Verhaftungen dauerten fort, und als die drei von Clement angegebenen Verräther in Spandau saßen, preßte Herr von Katsch so viele Mitschuldige aus ihnen heraus, daß die Gefängnisse in der Festung diese kaum fassen konnten. Jammer und Elend wurde über viele Unschuldige gebracht, und Jeder zitterte, daß auch er angegeben werden könnte.

Unter diesen Umständen sehnten wir uns trotz unserer Glückseligkeit doch fort aus Berlin, denn Dumoulins Rechtsgefühl empörte sich heimlich über Manches, was er sah, auch über das Benehmen seines größten Gönners, des Fürsten von Dessau. Es gab viele vornehme Personen, die den Fürsten verspottet hatten, und von seiner Roheit und Unwissenheit, wie von seinem großen Einflusse auf den König beleidigt waren; daher sie ihm die Hauptschuld beimaßen, daß Kunst und Wissenschaft verachtet wurden, und nur das Soldatenwesen etwas galt. An diesen Personen rächte er sich jetzt und lieferte dem Könige Briefe in die Hände, wodurch immer mehr Gewaltthätigkeiten veranlaßt wurden.

Wir eilten daher, um unsere Abreise zu beschleunigen. Unserem Aufgebot als Brautpaar stand nichts mehr entgegen, und schon am 15. April erfolgte unsere Hochzeit in aller Stille. Wenige Freunde Dumoulins waren gegenwärtig, später jedoch kam auch der Fürst von Dessau und beschenkte mich unter vielen gnädigen Späßen mit reicher Gabe an Silber und Goldgeräth.

Von den Gefangenen in Spandau und dem großen Processe, welcher dort geführt wurde, hörte man inzwischen nichts oder ganz verworrene Gerüchte. Bald hieß es, es sei Alles doch richtig und wahr, was der Herr von Clement dem Könige mitgetheilt, und er habe nur zuletzt gelogen, damit die fremden Mächte sich seiner annehmen sollten; bald wieder, er sei ein nichtswürdiger Betrüger und habe auf der Folter jetzt Alles bekannt, auch daß es seine eigentliche Absicht gewesen, den König und die königlichen Kinder zu vergiften. Die abentheuerlichsten Geschichten wurden erzählt, und wir selbst nicht wenig geängstigt, denn man suchte uns auszuforschen; allein wir hüteten jedes Wort, denn der König hatte Dumoulin aufs Strengste anbefohlen, daß wir schweigen sollten.

So trieb es uns von allen Seiten, die Gefahren und traurigen Erinnerungen hinter uns zu lassen und nach Königsberg zu entkommen. Am zweiten Tage aber nach meiner Hochzeit kam Dumoulin Mittags nach Haus, und ich sah ihm sogleich an, daß etwas Schweres sein Herz belastete.

Was ist geschehen? rief ich ihm entgegen.

Du mußt nach Spandau, antwortete er.

Ich war darüber sehr erschrocken, er nahm jedoch meine Hand und sagte:

Ich begleite dich, es wird dir auch nichts Uebles geschehen, aber Clement hat es sich als letzte Gnade ausgebeten, dich noch einmal zu sehen.

Als letzte Gnade! sagte ich erbleichend.

Er nickte mir schweigend zu.

Eile, fuhr er darauf fort, der Wagen wird bald hier sein. Der König hat es genehmigt und befohlen; der Commandant ist davon benachrichtigt. Du kannst dich diesem Wunsche und Befehle nicht entziehen. Jeder Einwand würde vergebens sein.

Ich mußte gehorchen, und nach einer Stunde fuhr ich nochmals in tiefster Bangigkeit dem Staatsgefängnisse entgegen. Dumoulin tröstete mich, so gut er konnte, und ermahnte mich, standhaft und gefaßt zu sein, da ich nichts zu ändern vermöchte. Auch habe Clement sein Schicksal wohl verdient, denn es sei unzweifelhaft wahr, daß er den beispiellosen Betrug verübt habe. Nicht allein seien die sichersten Nachrichten darüber aus Wien und Dresden gegeben worden, er selbst auch habe in den Verhören Alles zugestanden und nichts widerrufen.

Auf der Folter! rief ich schmerzlich aus.

Nein, antwortete Dumoulin, es ist ihm nichts abgepreßt worden. Leider ist die Tortur noch nicht abgeschafft, aber der König selbst haßt sie. Sie soll nur noch gegen Hexen und die allerhartnäckigsten Verbrecher angewandt werden, welche durchaus nicht die Wahrheit bekennen wollen, wo man doch gewiß ist, daß sie nicht unschuldig sind. Was man auch gegen den König sagen mag, grausam ist er nicht, er will gerecht sein.

Ich dachte an das, was uns geschehen, allein ich wagte nicht weiter zu widersprechen.

Der Abend wollte kommen, als wir die Festung erreichten, und als wir bei dem Commandanten eintraten, gab er sogleich Befehl, mich zu dem Gefangenen zu führen, und wohl war es zu merken, wie selbst dieser harte alte General Theilnahme und Mitgefühl für den unglücklichen Mann empfand.

Nimmer werde ich diesen Gang, nimmer dies letzte Begegnen vergessen.

Es war ein luftiges großes Gefängniß, in welchem Herr von Clement mir entgegen kam, und nicht wie ein Verurtheilter sah er aus, der den nahen Tod erwartet. – Ich erkannte sogleich, daß man ihn nach des Königs Versprechen nicht gequält, sondern gut behandelt haben mußte, daß also alle die schrecklichen Geschichten gelogen hatten. Er war wie immer in feiner Tracht, gleich einem Herrn von Ansehen und Geburt, und sein schönes edles Gesicht war wohl bleicher geworden, doch hatte es sich nicht verändert. Als er mich erblickte, füllte es sich mit Freude, und seine Augen strahlten vor Entzücken.

O! wie sehr danke ich Ihnen, rief er aus, daß Sie meinen innigsten Wunsch erfüllen, mich so glücklich zu machen, Sie noch einmal sehen zu dürfen.

Ach! Herr von Clement, antwortete ich zitternd, wollte Gott – nie – nie!

Vergeben Sie mir! unterbrach er mich. Ihre Vergebung allein fehlt mir zu meinem Frieden, denn an Ihnen habe ich mich vergangen, und es nagt dafür ein Wurm in mir, den ich nicht bewältigen kann.

Er warf sich auf sein Knie nieder und nahm meine Hand, die er küßte, während ich weinend und mein Gesicht bedeckend vor ihm stand.

Ich habe wenig zu verzeihen, flüsterte ich zitternd, doch was es auch sein möchte, wie gern vergebe ich es. Der König – O! mein Gott, ist er nicht zu erweichen?

Nein, antwortete er mit sanfter Stimme, doch mit vieler Festigkeit. Ich werde morgen sterben, beklagen Sie mich nicht! Was ich versucht habe, ist mir mißlungen, allein verdammen Sie mich nicht darum. Es war das Schlechteste nicht, das Menschen ersannen.

Bei diesen Worten hob er seinen Kopf auf, und seine Mienen erhielten einen Ausdruck begeisterter Würde.

Ich habe sie kennen lernen, fuhr er fort, diese Gewaltigen und ihre Diener. Ich habe sie gesehen in ihren Sünden, in ihren Lüsten, frevelnd gegen Gott und seine Geschöpfe, gegen die Menschheit. Unbarmherzig und gefühllos werden die Völker zertreten, grausame blutige Tyrannei macht sie zu willenlosen Werkzeugen ihrer Herren. Ich sah und wußte, was man wünschte und wollte; ich sah den Haß gegen diesen unbeugsamen Fürsten, der streng und kraftvoll seine eigene Fahne erhob, die zum Besseren führen muß. Ich sah die Lust, ihn zu vernichten, die Begier, dies protestantische Haupt, dies protestantische Land in Verderben zu stürzen, Nacht und fanatisches Pfaffenthum wieder herzustellen. Ich wurde der Herold der Gedanken der Feinde dieses Königs. Auf immer wollte ich ihn von ihren Wegen trennen, auf immer ihn mit Mißtrauen erfüllen, seinen Willen stählen, seine Kraft verstärken. Und dies – rief er mit triumphirenden Blicken – dies ist mir gelungen! dafür will ich sterben!

Dann fielen seine Augen wieder auf mich, und wieder ergriff er meine Hände und sprach demüthig:

An Euch allein habe ich mich vergangen, und ich flehe Eure Gnade und Gottes Gnade an. Hätte ich Euch geliebt, o! dann brauchte ich keine Vergebung. Aber meine Eitelkeit, meine Selbstsucht, mein Widerwillen gegen den Mann, dem Ihr Euer Herz geschenkt hattet, machten, daß ich heuchelte, daß ich log und Euch betrog. Macht Euch keine Vorwürfe, daß Ihr mich nach Cleve gelockt hättet; ich kam, um Euch zu verderben. Ich verließ Euch in Berlin mit heimlichem Spott über mein verliebtes Abentheuer, mit der halben Gewißheit, Euch nicht wieder zu sehen, mit Hohn über den betrogenen Major Dumoulin. Als ich aber Euren Brief erhielt, war dieser Mann, der wie ein höllischer Wächter sich an meine Fersen heftete, mir noch mehr ein Gegenstand des Hasses geworden. Ich beschloß zu Euch nach Cleve zu gehen, Euch mit mir zu nehmen, zur Flucht zu überreden, nach England, oder wohin mich mein Schicksal treiben würde. Euch dann vielleicht zu verlassen, Schmach, Schande, Verzweiflung über Euch zu bringen

Er hielt inne, sah mich an und stürzte plötzlich vor mir nieder auf seine Kniee, indem er seine Arme zu mir aufhob.

Da Ihr dies nun Alles wißt, rief er, dies grausame, elende Bekenntniß vernommen habt, so sprecht es aus: Könnt Ihr mir noch vergeben, oder wollt Ihr mich verfluchen?!

Gottes Wille ist geschehen, sagte ich leise bebend, er hat mich behütet! Von ganzem Herzen vergebe ich Euch Alles, was Ihr Böses an mir thun wolltet.

Dank! rief er, o Dank für Ihre Milde! Wenn ich Sie dafür segnen dürfte, wenn mein Gebet Gottes reichsten Lohn Ihnen sichern könnte, so sollte mein letzter Hauch dazu bereit sein.

Ach! rief ich aus, kann ich nichts weiter thun, kann ich Ihnen zu nichts mehr verhelfen? Warum, ach! warum –

Er unterbrach mich rasch.

Kein Wort mehr! fiel er ein, kein Vorwurf. Es ist alles vergebens, mein Loos ist geworfen, und ich zage nicht. Bitten Sie den ehrwürdigen Herrn, Ihren Onkel, mir zu verzeihen; bitten Sie, – ja bitten Sie auch ihn – Ihren Gatten darum, und nun leben Sie wohl, Gottes Segen über Sie! – auf ewig, ewig leben Sie wohl!

Als er sich überwunden hatte, Dumoulins Vergebung anzurufen, sprach er das letzte rasch wie erleichtert und von seinem Gefühl überwältigt. Dann stürzte er in eine Ecke des Zimmers, beide Hände vor sein Gesicht gedrückt, als wollte er mich nicht mehr sehen, zuletzt winkend, daß ich ihn verlassen möchte, und ich wankte zitternd nach der Thür.

Auf dem Gange draußen fand ich Dumoulin und warf mich krampfhaft weinend um seinen Hals. Er führte mich fort und in den Wagen, welcher sogleich mit uns den Rückweg antrat. Als ich ihm Alles mitgetheilt hatte, was ich von diesem schrecklichen Auftritte behalten, schwieg er lange stille, bis er endlich ausrief:

Er endet wie er gelebt, Lug und Trug auf seinen Lippen! Sterbend noch betrügt er sich selbst. Aber welche Welt, welche Verhältnisse, geliebte Charlotte, wo dieser Mensch ohne Stand, ohne Familie und Namen, so gefährlich werden kann, daß die mächtigsten Fürsten, von deren Willen Wohl und Leben von Millionen Menschen abhängt, in solche Angst und Wuth versetzt werden können, von ihm, von einem ohnmächtigen Abentheurer. – Doch eben diese schrankenlose Allmacht, fuhr er dann nach einem langen Schweigen fort, diese unnatürliche Herrschaft flößt ihnen dies fürchterliche Mißtrauen ein. Jeder hat von dem Anderen das Schlimmste zu denken und zu fürchten. – O! rief er darauf zärtlich, indem er mich an sich drückte, wir wollen es besser machen, geliebte Charlotte. Ewig treu, ewig einig laß uns sein, voll Vertrauen und voll Liebe!

Am nächsten Morgen begann unsere Reise. Dumoulin sagte mir nichts davon, daß zu derselben Zeit Johann von Clement diese Erde verließ, ich erfuhr erst später, daß er am 18. April in Spandau hingerichtet wurde. – Niemals aber hat man genaue Nachrichten über seine Abkunft und Lebensverhältnisse erhalten, es ist Manches in dieser merkwürdigen Historie dunkel und ungewiß geblieben.

Aber die Segenswünsche sind an uns erfüllt worden. Lange und glücklich haben wir in Friede und Eintracht beisammen gelebt. Hat Dumoulin auch des Königs Gnade nimmer wieder wie ehemals erlangen können, so hat Gottes Gnade uns doch nie verlassen. –


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