Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I.

Es war ein Herbsttag und noch ziemlich früh am Morgen, als der Major von Neuendorf vom Grenadierregimente des Grafen Dohna durch einen Leibjäger des Königs Friedrich Wilhelm des Ersten von Preußen zu diesem vielgefürchteten Herrn beschieden wurde. Der Major hatte nichts Eiligeres zu thun, als seinen bequemen Morgenrock abzuwerfen und in die knappe Uniform zu fahren, sein Haar rasch zusammenbinden zu lassen und den dreieckigen Tressenhut darauf zu setzen.

Er war ein stattlicher, hochgewachsener Mann von einnehmenden Gesichtszügen; der zugespitzte, an den Enden zusammengedrehte braune Schnurrbart auf seiner Oberlippe erhöhte sein kriegerisches Ansehn. Nach dem Beispiele des berühmten Fürsten Leopold von Dessau wurde dieser Bart damals, im Jahre 1727, von vielen Offizieren getragen, obgleich der König selbst Nichts davon wissen wollte und in seinen Umgebungen keine bärtigen Gesichter duldete.

Der Major steckte den Degen an und machte sich auf den Weg, mehr neugierig als besorgt darüber, was der König von ihm wollen könne.

Es liefen damals eben allerlei Gerüchte um, die aus den Hofkreisen sich bis in die tieferen Schichten der Gesellschaft verbreitet hatten, wonach der König gesonnen sei, sich der Regierung zu entledigen, um als Privatmann den Rest seiner Tage zu beschließen. Mancherlei andere Gerüchte über seine Kränklichkeit wurden hinzugefügt, und in vertrauten Kreisen flüsterte man noch schlimmere Dinge über seine Gemüths- und Geisteszustände.

Inzwischen war nur so viel gewiß, daß der König seit längerer Zeit in Potsdam mit einem der Gichtanfälle kämpfte, durch welche er später so viel zu leiden hatte und denen er zuletzt unterlag. Seine Umgebung zitterte während dieser Zeit, wo er in übelster Laune war, vor den Ausbrüchen seines Zornes, die alles Maß überschritten, und es ist bekannt genug, daß er an solchen Tagen, wo er nicht nach seiner Gewohnheit mit dem Stock in der Hand seinen Dienern nachlaufen und sie kräftig durchprügeln konnte, zuweilen ein paar mit Salz geladene Pistolen neben seinem Stuhl liegen hatte, durch welche verschiedene dieser an Mißhandlungen gewöhnten Bedienten schwer verletzt wurden. –

Da aber der König plötzlich nach Berlin gekommen war, mußte es besser mit seiner Gesundheit gehen, und wenn dies der Fall, so schien es wenigstens für einen Soldaten und Offizier nicht gefährlich, vor ihm zu erscheinen. Ausweichen ließ sich seinem Befehl zudem nicht, denn der pünktlichste und schnellste Gehorsam war das einzige Mittel, um den Zorn des Königs zu mildern, und wie die Bürger und Arbeiter, welche auf's Eiligste davonliefen und ihre Häuser verriegelten, wenn sie den König kommen sahen, konnten es seine Beamten und Soldaten nicht machen, allein sie hatten es auch nicht so nöthig. Seine »blauen« Kinder, wie er sie nach ihren Röcken nannte, waren die einzigen Wesen auf Erden, für welche sein Herz Zärtlichkeit empfand, und je länger einer derselben gewachsen war, um so mehr konnte er darauf rechnen, Gnade vor den Augen seines Herrn zu finden.

Der Major von Neuendorf hatte verschiedentlich selbst diese Gnade an sich erproben können. Er war noch nicht dreißig Jahre alt und hatte Aussicht, bald ein Regiment zu erhalten. Diese Auszeichnung verdankte er jedoch nicht allein seiner Länge von fünf Fuß und zehn Zoll, sondern auch manchen besseren Eigenschaften. Als Junker hatte er sich bei dem blutigen Sturm der Peenemünder Schanze Die Erstürmung der Peenemünder Schanze war ein Gefecht des Pommernfeldzugs von 1715/1716 im Großen Nordischen Krieg. Die Erstürmung 21./22. August 1715) endete mit der Einnahme der von Schweden errichteten Schanze durch preußische und sächsische Truppen. hervorgethan, später war dies noch öfter der Fall gewesen. Herr von Neuendorf würde aber wahrscheinlich noch weit mehr ausgezeichnet und in seines kriegerischen Gebieters Nähe gezogen worden sein, hätte er nicht auch einige andere Angewohnheiten gehabt, die der König nicht leiden mochte. Man hatte ihm gesagt, daß der Major Bücher lese, sogar solche sammle, die Flöte blase und, was noch viel schlimmer war, keinen Eifer für die Anschaffung langer Rekruten beweise.

Der König hatte ihm mehrmals über diese letzte Untugend sein Mißfallen bezeigt, allein es doch nicht so gemacht, wie mit einem anderen Major in Berlin, den er auf der Stelle cassirte, als er bei einer Parade gar keine neuen, langen Rekruten in dessen Bataillon fand. Er schätzte trotz aller seiner Sünden den Major von Neuendorf als einen tüchtigen Soldaten, den er in seinem Heere nicht missen wollte, wo es wenigstens einige wissenschaftlich gebildete Offiziere gab, die trotz dieses Fehlers des Königs Wohlwollen besaßen.

Wenn der König von Potsdam nach Berlin kam, wohnte er gewöhnlich nicht in dem großen, kalten Schlosse, sondern in seinem Palais, dem Zeughause gegenüber, das daher auch des Königs Palais genannt wurde. Es war dies ein ziemlich einfaches, bescheidenes Haus, das später vergrößert wurde, ohne jedoch jemals ein glanzvoller Aufenthalt zu werden. In dem unteren Geschosse wohnte der König in einigen schlichten Gemächern, im anstoßenden Zimmer hielten sich seine Minister, Räthe und Generale auf, bis sie zum Vortrage gerufen wurden, und im Vorsaale befanden sich die wachthabenden Adjutanten und Ordonnanzen. An den Wänden umher standen auch wohl die Glücklichen oder Unglücklichen, denen befohlen war, hier zu erscheinen, oder die es wagten, den viel gefürchteten Herrscher aufzusuchen, bei dem Jedermann Zutritt hatte.

Da jedoch nicht selten die, welche von diesem Rechte Gebrauch machten, übel fortkamen, – denn der König empfing sie niemals ohne seinen Rohrstock, – so stellten sich meist nur sehr Wenige oder gar keine ein, und da es an dem Tage, wo der Major von Neuendorf in dem Palaste erschien, noch sehr früh war, fand er nur ein paar Offiziere dort, die vor dem großen Kamine, in welchem mehrere Holzklötze loderten, sich Hände und Füße wärmten. Der Major hatte keine Zeit, mit diesen Herren ein Gespräch zu beginnen, denn indem er sich ihnen näherte und sie begrüßte, öffnete sich die Thür zum Nebengemache, auf welchem der erste Cabinetssecretair von Marschall trat.

Ist der Major von Neuendorf noch nicht hier? fragte er.

Ich bin so eben gekommen, erwiederte dieser.

Gut, Herr Major, sagte der Secretär. Se. Majestät hat nach Ihm gefragt. Trete Er hier herein, Er wird sogleich gerufen werden.

Als er sich zurückzog und der Major ihm folgen wollte, wurde er plötzlich am Rockschoß festgehalten, und eine schwache, zitternde Stimme sagte hinter ihm:

Verehrter und hochgeborener Herr Major, ich bin aus tiefster Seele erfreut, Sie zu erblicken, da es mir in meinen Sorgen zum Troste gereicht, den mir der Himmel schickt.

Der Major sah sich um, und schien sehr erstaunt. Ein schwarz gekleideter kleiner Mann mit blassem, spitzen Gesicht verbeugte sich tief vor ihm.

Ist es möglich! sagte er, Herr Pastor Baumgarten Siegmund Jakob Baumgarten (1706-1757) war ein deutscher evangelischer Theologe. Viele Zeitgenossen sahen in ihm einen Anhänger der Philosophie Christian Wolffs, weshalb insbesondere Joachim Lange, der geschworene Feind Wolffs, innerhalb der theologischen Fakultät gegen Baumgarten intrigierte.. Wie kommen Sie hierher?

Weiß ich es? antwortete der Geistliche wehmüthig. Ich bin von Halle auf Befehl Sr. Majestät unter militärischer Begleitung nach Potsdam geschafft und von dort während der Nacht hierher geführt worden, da der König sich gestern Abend nach Berlin begeben hat. Man hat mir Nichts mitgetheilt, als daß Se. Majestät befohlen, mich sogleich vor sein Angesicht zu bringen.

Der Major blickte den geängstigten Pastor nachdenklich an und zuckte die Achseln. Er hatte ihn in Halle kennen gelernt, wo er als ein gelehrter und geachteter Mann von größter Friedfertigkeit und milden Sinnes bekannt war.

Können Sie gar nicht denken, weswegen der König Sie rufen läßt? fragte er. Haben Sie Nichts begangen, was Ihnen als Vergehen ausgelegt werden könnte?

Nichts! gar Nichts! stotterte der kleine Pfarrer mit noch hohleren Backen. Helfen Sie mir, bester und werthester Gönner, wenn ich bei dem hohen Landesherrn verleumdet sein sollte.

Lieber Herr Pastor, erwiederte der Major, sollte dies wirklich so sein, so ist in der That kaum jemand Anders im Stande Ihnen zu helfen, als Sie selbst. Ich bin am wenigsten dazu geeignet, denn ich komme selten in des Königs Nähe und bin heut' hierher gerufen worden, eben so unwissend wie Sie über das, was ich soll. Wäre ich aber auch General oder Feldmarschall, so könnte ich Ihnen doch Nichts versprechen. Was der König einmal beschlossen hat, daran vermag sehr selten ein Mensch Etwas zu ändern.

Während der kleine Prediger aus Halle sich ängstlich seufzend verneigte, erschien ein Leibjäger des Königs und forderte den Major auf, ihm zu folgen, zugleich wurde die Eingangsthür aufgerissen, und es erschien ein Herr im breitschößigen Tressenrock, einer weißen Halsbinde und einen kleinen schmalen Degen an der Seite. Das Gesicht dieses Herrn war hochmüthig und streng, auf seiner hohen, kahlen Stirn lag eine dichte Faltenreihe, der Mund mit den zusammengekniffenen Lippen und die unruhigen, kleinen Augen machten keinen angenehmen Eindruck.

Herr von Neuendorf kannte den Eintretenden sehr gut, es war der Generalauditeur und Minister von Katsch Christoph Katsch, seit 1705 von Katsch, (166-1729) war ein preußischer Justizminister. Er verdankte seinen Aufstieg der Unermüdlichkeit und Unerbittlichkeit, mit der er, neben seiner Tätigkeit als Oberauditeur der Marken, die Prozesse des landesherrlichen Fiskus mit dem märkischen Adel führte und 1717 die Allodifikation der Ritterlehen durchsetzen half., eine Person, beinahe eben so gefürchtet und weit mehr gehaßt, als der König selbst. Von ihm behauptete man, daß er an vielen der raschen Handlungen Friedrich Wilhelms des Ersten, womit dieser so häufig in die Urtheile der Gerichtshöfe griff, die Schuld trage, und mindestens ist so viel gewiß, daß dieser einflußreiche Minister die Cabinetsjustiz des Königs nicht hinderte, und daß der Henker nie so viele Arbeit gehabt hat, als zu der Zeit, wo Herr von Katsch Chef der Criminaljustiz war.

Als dieser mächtige Minister in's Vorzimmer des Königs trat, machte er sogleich seinen hohen Rang geltend. Ohne die ehrfurchtsvollen Verbeugungen der Anwesenden zu beachten, ging er bei ihnen vorüber und in das Rathszimmer, wo der Major von Neuendorf so eben bereit war, vor dem Könige zu erscheinen.

Halt! sagte der Minister, ich habe nothwendig mit Sr. Majestät zu sprechen. Warte Er hier, bis ich zurückkomme.

Dem jungen Major trat das Blut in's Gesicht.

Der König hat mich rufen lassen, erwiederte er, somit wird die Reihe zu warten an dem Herrn sein.

Er weiß wohl nicht, wer ich bin? fragte der Minister hochmüthig.

Das weiß ich mehr als zu gut, war die Antwort, die in einem unverkennbar verächtlichen Tone gegeben wurde.

Der Generalauditeur starrte den Verwegenen mit dem hageren, langen Gesichte drohend an, dabei ging er mehrere Schritte vorwärts, doch schneller als er eilte der Major bei ihm vorbei, und es gab eine ziemlich unsanfte Berührung, durch welche der Minister zur Seite stolperte, der kräftige Soldat dagegen auf der Schwelle stand und nun ohne Weiteres die Thür öffnete und hineintrat.

Der König saß vor ihm. Er saß an einem hölzernen schlechten Tische auf einem Holzschemel, wie gewöhnlich in der Uniform eines Obersten seines Leibregiments. Im blauen knappen Rock, kurzen weißen Beinkleidern und übergeknöpften langen Gamaschen, befand er sich bei seinem Frühstück. Ein Teller stand auf dem Tische, daneben eine Büchse mit Butter, ein großes Roggenbrot sammt einer Schüssel mit einem gewaltigen Stück gepöckeltem Rindfleisch. Der König hatte sich ein derbes Stück davon abgeschnitten und hielt in den Händen eine gewöhnliche eiserne Gabel und ein Messer in einer Hornschale.

Als die Thür sich mit mehr als gewöhnlichem Gepolter aufthat, sah er sich danach um, und als er den Majore erblickte, rief er mit seiner rauben, lauten Stimme ihm entgegen:

Warum bleibt Ihr so lange, und was ist das für ein Lärm da draußen?

Er kommt von Jemand her, der mich hindern wollte, Ew. Majestät Befehl nachzukommen.

Wer bat Euch hindern wollen?

Der Generalauditeur. Er wollte den Vorrang haben, obwohl ich Befehl hatte, bei Ew. Majestät einzutreten.

Der König stemmte das Messer, das er in der Hand hielt, mit dem Knauf auf den Tisch.

Wo ist der Generalauditeur geblieben? fragte er.

Er prallte von meiner Schulter ab, was weiter aus ihm geworden ist, weiß ich nicht, erwiederte der Major.

Einige Augenblicke blieb der König unbeweglich sitzen. Er war damals vierzig Jahre alt, und obwohl man ihm Krankheit nachgesagt, sah man ihm Nichts davon an. Sein Gesicht war fleischig und stark, die gewaltigen Kaumuskeln und Kopfmuskeln, welche seinem Geschlechte eigen sind, prägten sich an ihm auf's Kräftigste aus und gaben seinen keineswegs häßlichen Zügen etwas auffallend Hartes und Festes. Sein Mund besonders sah unerbittlich aus, die starke, gerade Nase verkündigte die Unbiegsamkeit seines Charakters, und obwohl dieser Fürst, der die langen Soldaten über Alles liebte, selbst nur eine mäßige Länge besaß, so war sein ganzer Körper doch äußerst kräftig und abgehärtet, und seine ganze Haltung stolz und kriegerisch.

Einige Augenblicke schien er zu schwanken, ob er das Benehmen des Majors gegen seinen Minister billigen sollte, allein bald war er mit seinem Urtheil fertig. Seine Augen fingen an zu leuchten, und der strenge Mund öffnete sich zu einem schallenden Gelächter.

Ihr habt also den Katsch in die Ecke gestoßen und habt ihn nicht herein gelassen? fragte er.

Weil Ew. Majestät mir Befehl gegeben hatten hereinzukommen.

Es ist recht! rief der König. Wenn ein Soldat Befehl bekommen hat, muß er ihn ausführen, und wenn der Teufel selbst ihn in die Quere kommt, muß er ihn bei den Hörnern fassen und aus Reih und Glied schmeißen.

Und indem er kräftig mit dem eisernen Messer aufschlug, fing er von Neuem an zu lachen.

Das ist dem Katsch sicherlich noch nicht passirt, sagte er dann, sich an dem, was er dachte, erfreuend, denn Mancher möchte es wohl lieber mit dem Teufel aufnehmen, als mit ihm. Nehmt Euch in Acht vor ihm, Major, gedenken wird er es Euch. Vergessen thut er Nichts, aber wenn er um dessentwegen gegen Euch sich moviren will, so will ich ihm zeigen, was Conduite ist.

Mit diesem Versprechen, das von einem wohlwollenden Ruck mit dem Kopf begleitet wurde, deutete der König auf einen anderen Holzschemel, der am Tische stand, und fuhr dabei fort:

Setzt Euch her zu mir und wenn Ihr Hunger habt, da steht Brot und Butter und ein Stück Fleisch. Ich hab's aus Königsberg bekommen, probirt's mal und nehmt ein Glas Ducksteiner dazu.

Ohne sich dann weiter darum zu kümmern, ob der Major seiner Einladung folgte, schenkte er sich selbst aus dem großen Deckelkrug ein Glas von dem dunklen, schäumenden Biere ein und nachdem er getrunken, sagte er:

Ich habe Euch kommen lassen, um ein paar Punkte mit Euch zu besprechen. Zuerst habe ich vernommen, daß Ihr Euren Onkel beerbt habt, der ein guter Wirth gewesen ist und Euch ein Gut und ein schönes Stück Geld hinterlassen haben soll. Damit hat es seine Richtigkeit?

Ja, Majestät, erwiederte der Major, ich bin jedoch nicht der einzige Erbe, sondern mein Bruder erbt mit mir, und ich erwarte ihn alle Tage, um die Erbschaft mit ihm zu ordnen.

Euer Bruder, der Werbeoffizier, lachte der König. Er hat's nicht klug genug gemacht, hat sich von den Holländern greifen lassen und ich habe ihm den Abschied geben müssen, um das Geschrei zu beendigen. Wo ist er jetzt?

In Cleve, Majestät. Ich habe für ihn sorgen helfen, so viel es anging.

Der König sah keinen Vorwurf darin, daß er einem Offizier, der sich für seine Liebhaberei, lange Rekruten auf fremden Ländern mit List und Gewalt herbeizuschleppen, in große Gefahr gestürzt, dafür den Abschied gegeben und seinem Schicksale überlassen hatte. Er war viel zu geizig. Geld bekam Niemand von ihm.

Euer Bruder ist ein toller Geist, sagte er, ich habe wilde Streiche von ihm gehört. Was er von der Erbschaft kriegt, wird bald genug durchgebracht sein.

Mein Onkel, versetzte der Major, hat ihm Beschränkungen aufgelegt. Er soll nach dem Testament ein Jahrgeld bekommen.

Wer seine Tasche nicht zuhalten kann, dem muß man sie zunähen, sagte der König. Ich habe davon gehört, Ihr seid der Haupterbe, und jetzt hab' ich Euch kommen lassen, weil mir gesagt wurde, es wäre Euer Plan, Ihr wolltet meinen Rock ausziehen und ein Landjunker werden.

Mein Onkel hat allerdings den Wunsch ausgedrückt, antwortete Herr von Neuendorf, daß ich sein Gut selbst bewirthschaften und ein so wackerer Landedelmann werden möchte, als er selbst einer war. Ich denke –

Was denkt Ihr? fragte der König barsch, als er einhielt.

Ich denke, Majestät, daß das der erste und vornehmste Stand im Staate ist.

Dummes Zeug! rief der König. Vornehmster Stand! Meine Unterthanen machen keinen Unterschied. Die Junker vom alten Adel gelten bei mir gerade so viel, wie alle übrigen; es soll mir keiner mit seinen Prätensionen kommen.

Er blickte den Major herausfordernd an, sagte aber dann gelassener:

Ihr könnt gar keinem vornehmeren Stand angehören, als dem, wobei Ihr jetzt seid, da Ihr meinen Rock tragt. Dem Stande gehöre ich selbst an, bin Offizier, wie Ihr es seid. Macht mir also keine Flausen, Major, ich denke, daß ich noch mehr aus Euch machen will.

Majestät, antwortete Herr von Neuendorf zögernd, ich glaube dennoch, daß ich Gründe habe –

Ihr sollt keine Gründe haben, und ich will Nichts davon hören, fiel der König ein. Wenn Ihr einmal alt seid, könnt Ihr immer noch Landrath werden und so viel Kohl bauen, wie Ihr wollt. Ich möchte auch ohne Sorgen leben in Wusterhausen, hab's mir manches Mal schon vorgenommen und gedacht, es sei besser, wie ein reicher Herr auf meinem Schloß zu sitzen; aber wohin uns Gott gestellt hat, da müssen wir stehen. Mich hat er an die Spitze eines Staates gestellt, Euch an die Spitze eines Bataillons, und da brauche ich Euch. Da thut, was Ihr könnt, um mein Wohlwollen zu erwerben.

Ich weiß nicht, ob ich Ew. Majestät Wohlwollen so zu erwerben im Stande bin, wie ich es gern möchte, erwiederte der Major.

Was meint der Herr? rief der König. Weil Ihr ein Federfuchser seid, weil Ihr mit gelehrtem Zeug umgeht, weil Ihr Euch keine Mühe um gute Rekruten gebt? Ich seh' Euch Vieles nach, was ich nicht thun würde, wenn's ein Anderer thäte, Ihr müßt Euch aber bessern, und je eher Ihr's thut, um so mehr wird's gut für Euch sein.

Es giebt noch andere Gründe, Majestät, aus welchen ich ein Landmann werden möchte.

Was habt Ihr noch? fragte der König.

Der Major schwieg einen Augenblick, dann erwiederte er: Erlauben Sie mir, allergnädigster Herr, daß ich zunächst nicht darauf antworte.

Ihr wollt nicht antworten? Ich will es aber wissen! rief der reizbare Monarch.

Majestät!

Wollt Ihr etwa in andere Dienste treten?

Ja, Majestät.

In andere Dienste? –

Der König warf das Messer fort und stand heftig auf. Sein Gesicht wurde dunkelroth und seine Stirnadern schwollen auf.

Was untersteht Er sich! In wessen Dienste will Er treten?

In die Dienste einer Dame, die mein Herz erobert hat, sagte der Major.

Der König sah ihn überrascht an, dann glättete sich seine Stirn, und ein spöttisches Lachen öffnete seine Lippen.

Heirathen wollt Ihr? fragte er. Er ist ein Narr! Warum sagt er das nicht einfach und gerade heraus? Heirathen kann Er, wenn Er Lust dazu hat, und wenn es nach Gottes und meinen Geboten geschieht; aber den Rock ausziehen soll Er nicht.

Die runden, lichtblauen Augen des Königs musterten den Major, und als er »nach meinen Geboten« sagte, setzte er den Finger auf seine Brust.

Wer ist das Frauenzimmer, das Ihr nehmen wollt? frug der König darauf.

Das, Majestät, muß ich für jetzt verschweigen, da ich gelobt habe, den Namen noch Niemandem zu nennen.

Niemandem zu nennen! schrie der Monarch, seinen Kopf in den Nacken werfend. Ich bin Sein König, der Alles wissen muß. Er ist mein Unterthan. Ich befehle ihm, mir den Namen zu nennen.

Wenn Ew. Majestät in meiner Lage Wort und Ehre verpfändet hätten, darüber zu schweigen, würden Sie den Befehl Ihres allergnädigsten Königs befolgen können? fragte der Major.

Der König runzelte die Stirn.

Das ist dummes Zeug, antwortete er darauf, ich würde mein Wort und meine Ehre keinem Weibe verpfänden. Wenn's ein ehrlicher Name ist, kann er auch vor ehrlichen Leuten genannt werden.

Mit dem Mißtrauen, das ihm eigen war, forschte er im Gesichte des Majors umher und schien dabei nachzudenken, was der Grund dieses Geheimnisses sein möchte. Da aber Herr von Neuendorf keine Antwort gab, auch in seinen Mienen sich Nichts entdecken ließ, trat der König einen Schritt näher und sagte in seiner entschiedenen Sprechweise:

So behalte Er es für sich, ich will's nicht wissen. Wenn Er kein Vertrauen zu mir hat, so thue Er, was Er will. Aber gegen meine Gesetze unternehme Er Nichts, davor warne ich ihn. Es ist mir einerlei, wen die Junkers heirathen. Ein bürgerlich Mädchen, wenn es aus guter Familie ist, kann Jeder nehmen, auch meine Offiziers, aber keines Schusters oder Schneiders Tochter, keine Bauerndirne, und vor allen Dingen keine unehrbare Person, mag sie sein, wer sie will. Kinder von Spitzbuben, Betrügern und Schelmen aller Art sollen den Staupbesen bekommen, wenn sie sich unterstehen, Connaissancen mit vornehmen Personen anzufangen, und diese verführen wollen, sie zu heirathen; Offiziers aber, welche dergleichen unternehmen, sollen infam cassirt werden.

Indem der König dem Major seine strengen Gebote vorhielt, beobachtete er ihn, um die Wirkung zu bemerken, aber Herr von Neuendorf veränderte sich auch jetzt nicht im Geringsten. Als der König schwieg, sagte er:

Ich kenne die Gesetze, Majestät.

Dann richte Er sich danach. Es ist Alles gerecht, was ich thue. Unzucht und Unehre darf ich nicht dulden. Heirathe Er also, wenn Er will, aber ein Frauenzimmer, das für ihn paßt. Ihr seid groß und kräftig, Major, also nicht etwa ein jämmerlich kleines Ding von Weib, aus der Zwerge und Kakerlaken herauskommen.

Sein Gesicht heiterte sich auf, er lachte und sah den Major wohlwollend an.

Also den Rock zieht Ihr nicht aus, daraus wird Nichts. Das hab' ich Euch sagen wollen. Nun geht Eure Wege, und wenn Ihr Etwas habt, was ich Euch zu Gefallen thun soll, so sagt es mir, und ich will zusehen, ob ich es machen kann. Geld, fügte er rasch hinzu, das fordert nicht von mir, denn das habe ich nicht.

Der Major konnte sich nur mit Mühe ernsthaft halten. Vieles mochten die Lieblinge und Günstlinge dieses strengen Monarchen von ihm erlangen. Er änderte auf ihre Bitten nicht selten selbst die Beschlüsse und Gebote seiner Behörden und die Urtheile der Gerichtshöfe, und wenn seine langen Leibgrenadiere, von den Advokaten bestochen, ihm Vorstellungen überreichten, war er schwach genug, zu bewilligen, was gegen Recht und Gesetz sprach. Aber kosten durfte es ihm selbst Nichts. Geld geben war das Schlimmste, was ihm zugemuthet werden konnte, und er verwahrte sich dagegen sofort, wenn er glaubte, seine Börse könnte in Gefahr gerathen.

Dem Major fiel jedoch nur der Pastor aus Halle ein, und er beschloß, zu dessen Gunsten wo möglich Etwas zu thun.

Ich habe Ew. Majestät um Nichts zu bitten, was mich selbst betrifft, sagte er, dagegen steht draußen ein armer Sünder, dem die Zähne vor Furcht klappern, vor Ew. Majestät zu erscheinen.

Wen meint Ihr? fragte der König.

Den Pastor Baumgarten aus Halle.

Ist der Coujon da! Der Kerl soll Christum erkennen lernen. Ich will ihm zeigen, wer Gottes Sohn ist!

Majestät! sagte Herr von Neuendorf erstaunt, ich kenne den Pastor Baumgarten, er ist ein verständiger und geachteter Mann und gewiß ein eben so guter Christ wie getreuer Unterthan.

Was versteht Er denn unter einem guten Christen? fragte der König, und wie kommt Er dazu, sich für einen solchen prahlhansigen Teufelskerl zu interessiren?

Ein prahlhansiger Teufelskerl ist das gewiß nicht, sagte der Major lächelnd; der arme kleine Geistliche fiel ihm leibhaftig ein.

Glaubt Er, was in der Bibel steht? fragte der König ärgerlich.

Wenn's vernünftig ist, ja, antwortete Herr von Neuendorf.

Wenn's vernünftig ist! rief der König. Will Er die heilige Schrift hofmeistern? Alles soll Er glauben, Alles! In dem Höllennest, dem Halle, brütet der Satan seine Eier aus. Den Wolf Christian Wolff (1679-1754), einer der wichtigsten Philosophen der Aufklärung zwischen Leibniz und Kant. Wolffs Philosophie ist eine systematische Ausprägung des Rationalismus; in den 1720er und 1730er Jahren wurde er vor allem von der lutherischen Orthodoxie und von protestantisch-pietistischer Seite scharf angegriffen und unter Atheismus-Verdacht gestellt. habe ich fortgejagt mit seinen verfluchten Lehren, daß jeder Mensch seinen freien Willen habe, also thun könne, was ihm einfiele. Ich hätte ihn aufhängen lassen sollen. Er ist damals auch in Halle gewesen, Major; mit seinem Christenthume sieht's auch danach aus, wie ich sehe. Und dieser Schelm, dieser Baumgarten – der Kerl, der behauptet hat, er wollte es mit der ganzen Kirche aufnehmen

Das hat er gewiß nicht behauptet.

Wie kann Er sich unterstehen, mir zu widersprechen! rief der König zornig. Ich werde dem Burschen einen anderen Platz anweisen, wo er seine Stärke beweisen kann. Weiß Er, was ein Socinianer ist?

Socinianer sind, wie ich glaube, Sectirer, die Nichts von der Göttlichkeit Christi wissen wollen, sagte der Major.

Schurken, Canaillen sind es! sagte der König, die Gott und sein Wort verleugnen. Die ganze geoffenbarte Religion, das ganze Christenthum verspotten sie. Der ehrwürdige Hermann Franke August Hermann Francke (1663-1727), evangelischer Theologe, Pfarrer, Pädagoge und Kirchenlieddichter; einer der Hauptvertreter des Halleschen Pietismus; seine Kontakte reichten bis zum preußischen Herrscherhaus. hat mir das Alles erklärt. Einen von den Schelmen habe ich einmauern lassen wollen, habe ihn aber pardonnirt, weil er widerrufen hat; dieser hier soll mir nicht so fortkommen. Solche Leute, die es mit der ganzen Kirche aufnehmen, kann ich brauchen. In mein Leibregiment soll der Kerl, ich will einen Unteroffizier aus ihm machen.

Das geht denn doch auf keinen Fall an! sagte der Major erstaunt und bestürzt.

Das will ich ihm zeigen! fuhr der König hitzig fort. Ich bin der Herr hier im Lande und kann thun, was ich will. Gott lasse ich so wenig verspotten, wie mich, und das merke Er sich, Major, wer nicht an die Bibel glaubt und meinen Willen pünktlich befolgt, der soll an den Galgen glauben! Heda, Feldmann! Ist keiner von den Canaillen da draußen!

Der Leibjäger trat hastig und demüthig herein.

Draußen wird Einer warten, sagte der König, der Baumgarten heißt, ein Pastor aus Halle, bring ihn her. Halt! stell' ihn vorher unter das Maß und miß ihn, wie lang er ist.

Wir wollen schon mit seiner Stärke, fertig werden, fuhr er fort, und indem er seinen Hut aufsetzte, ergriff er mit einem vielsagenden Lachen den Rohrstock, welcher neben dem Tische stand.


II.

Es dauerte einige Minuten, ehe der Leibjäger zurückkehrte, und während dieser Zeit ging der König mit großen Schritten auf und ab, ohne den Major anzusehen, der das Zimmer nicht verlassen durfte, ehe er Erlaubniß dazu erhielt. Einige Male wandte der König sich heftig um, stieß mit dem Stock auf und schien seine Rede an den Major richten zu wollen, aber er that es nicht, doch wurde sein Gesicht noch grimmiger.

Menschen ohne Religion, sprach er in seinem rauben Tone vor sich hin, sind zu Allem fähig. Ich habe das Beispiel in meinem eigenen Hause, an meinem eigenen Sohn, aber lieber soll er auf dem Rabenstein sterben oder unter meinen Händen, ehe ich es dulde, daß er von Gott und von meinen Geboten abfällt. Bei mir hat Keiner auf Erbarmen zu rechnen, der nicht Gottesfurcht und Gehorsam kennt. Aha, da kommt der Patron!

Mit diesen Worten drehte er sich um, legte beide Hände auf seinen Stock und blickte nach der Thür, welche sich aufthat. Aber seine Augen öffneten sich, so weit sie es vermochten, und der Jähzorn, welcher ihn oft so plötzlich überkam, verzerrte sein Gesicht. Mit einer Stimme, die fast dem Gebrüll eines wilden Thieres glich, fuhr er auf den Leibjäger los, der mit dem Pastor aus der Halle hereingetreten war.

Spitzbube! Canaille! schrie er, indem er den fürchterlichen Stock schwang, was bringst Du mir da für eine Vogelscheuche! Wart, ich werde Dich aufpassen lehren. Wart! wart!

Der Stock fiel mit aller Gewalt ein viertel Dutzend Male auf den unglücklichen Jäger, der kläglich jammerte, daß dies der Pastor Baumgarten aus Halle sei, auch kein anderer Mensch sich im Vorzimmer befinde.

Was! sagte der König innehaltend. Du Racker! Du willst mich noch belügen? Und der fürchterliche Stock schwebte von Neuem über dem Kopfe des Dieners, als der Major dagegen Einsprache that.

Auf mein Ehrenwort, Majestät! begann er, dies ist der Pastor Baumgarten, was er auf Ihr Befragen Ihnen auch selbst bezeugen kann.

Der zitternde, kleine Geistliche hatte sich in seiner Angst bis in die tiefe Ecke zwischen Fenster und Wand geflüchtet und stand dort, seinen Rücken fest an die Mauer gedrückt, todtenbleich, mit klappernden Zähnen, die Hände zusammengefaltet, ein Bild des Jammers.

Wie der König nach ihm hin sah, hob er die Hände noch höher auf und gurgelte mit halberstickter Stimme:

Gnade, oh! – Oh! Gnade!

Was zum Teufel! schrie der König, noch immer mit aufgehobenem Stock, ist Er wirklich der Pastor Baumgarten?

Ja – ja! stöhnte der arme kleine Pater, ich kann es nicht leugnen – ich trage diesen unglücklichen Namen.

Und habe keinen anderen Menschen gefunden, heulte der Leibjäger, als diesen, der so klein ist, daß er unter das Maß durchgeht.

Hast Du heut einmal Etwas gekriegt, was Du nicht verdient hast, sagte der König unempfindlich, so sollst Du ein andermal leer ausgehen, wenn Du Etwas verdienst. Daran kannst Du mich erinnern.

Hiermit war die Sache abgethan. Der König war so gewöhnt, seine Diener zu schlagen, daß es ihm sehr gering vorkam, wenn Einer ohne Ursache seinen Stock fühlte. Gaben sie ihm lange keine Gelegenheit diesen zu benutzen, so führte er solche herbei, denn das Prügeln war ihm Bedürfniß. Es ist bekannt genug, wie er dieser Leidenschaft in seiner eigenen Familie genügte, und wie die geistvolle Prinzessin Wilhelmine in ihren Memoiren mittheilt, gab es Zeiten, wo sie sich kaum eines Tages erinnern kann, an dem sie und ihr Bruder, der Kronprinz, nicht geschlagen und von dem zornigen Vater an den Haaren umhergeschleift wurden.

Er ist also der Bursche, der es mit der ganzen Kirche aufnehmen will, sagte der König, indem er sich wiederum zu dem Pastor wandte. Er will ein Socinianer sein? Er will unserem Herrn Jesu den Krieg erklären? Er will die heilige, christliche Lehre umstürzen?

Mit jedem Satze, den er sprach, wurde seine Stimmung fröhlicher, und als er geendet hatte, brach er in ein dröhnendes Gelächter aus. Als jedoch der kleine Pastor den schrecklichen Stock nicht mehr sah und als er aus den Ausrufungen des Königs erfuhr, um was es sich handelte, kehrte sein Muth schneller zurück, als man meinen durfte. Auf dem geistlichen Felde war Pastor Baumgarten keineswegs verzagt, und wo es galt, sich mit Werten gegen Worte zu vertheidigen, war er nicht der Mann, widerstandslos zu leiden.

Allergnädigster Herr und König, sagte er mit dem Muthe des guten Gewissens, ich bin verleumdet worden. Ich lehre, was mir Wahrheit scheint, ohne Menschenfurcht und berufe mich auf den hier anwesenden Herrn Major von Neuendorf, welcher häufig mein Zuhörer gewesen ist.

Ich kann für den Pastor gutes Zeugniß ablegen, schaltete der Major ein, als der König sich umsah.

Ich bin kein Frömmler und kein Priester, der auf den Buchstaben schwört, allergnädigster Herr, fuhr der Pastor fort, ich gehöre vielmehr, wie ich zugeben will, zu denen, welche nach dem Geist der heiligen Schrift forschen und ihn zu finden streben nach Wissen und Gewissen.

Der Major legte hinter des Königs Rücken warnend den Finger auf seine Lippen, und glücklicher Weise bemerkte der kleine Pastor dies Zeichen.

Ich bin aber auch ein demüthiger Diener Gottes, fuhr er fort, kein Socinianer, kein Mann des Streites, sondern ein Mann des Friedens und in tiefster Ehrfurcht ein getreuer Unterthan Ew. Majestät.

Der König lachte während dieser Zeit noch immer vor sich hin und sah voll Spott auf die krumme, elende Gestalt des Priesters, den er zum Unteroffizier in seinem Leibregimente hatte machen wollen. Es war ihm ganz unmöglich zu denken, daß ein so gebrechliches Wesen, wie dies, ein Socinianer und ein Mensch sein könnte, der es mit der ganzen Kirche aufnehmen wollte. Dazu gehörte seines Erachtens wenigstens eine Länge von sechs bis sieben Fuß, nebst der entsprechenden Breite. Ein solcher Knirps mußte ein völlig unschädliches Wesen sein. Bei der Versicherung des kleinen Pastors, daß er zu den Auslegern der heiligen Schrift und zu der Aufklärungspartei gehöre, loderte sein Unwille auf, allein diese Anwandlung ging schnell vorüber, und sein verächtliches Gelächter brach um so lauter aus.

Schweige Er stille! rief er mit dem Stock aufstoßend, was Baumgarten sofort verstummen ließ, Er hatte nicht weiter nöthig sich zu vertheidigen. Gehe Er in Gottes Namen nach Halle zurück und lehre Er fleißig fort; Er kann der christlichen Kirche keinen Schaden thun. Er wäre mir der richtige Mann dazu; auch nicht einmal ein Tambour kann aus ihm gemacht werden.

Mit diesen Worten wandte sich der König zu dem Major und fuhr lachend fort:

Nehmt ihn mit, Neuendorf, da er Euch kennt, und laßt ihn draußen laufen. Bei und bleibt's dabei, was ich gesagt habe. Glück auf die Reise, Herr Pastor. Mach Er, daß Er zu den Eseln kommt, die ihn für einen Socinianer gehalten haben.

Der Pastor ließ sich das nicht zweimal sagen, er richtete seinen Rücken aus der wagerechten Lage auf, in welcher er sich befand und suchte so schnell als möglich die Thür, der Major folgte ihm nach, und hinter Beiden erscholl die harte Stimme des Könige, unterbrochen von seinem rauhen Gelächter.

Ruf den Minister von Katsch herein, wenn er da ist, befahl er dem Leibjäger, und der Major bemerkte den Generalauditeur im Zimmer der Räthe, wo er an dem großen Tische saß und in einem Actenstoß blätterte, der vor ihm lag. Als er vorüberging, begegnete ihm ein Blick des Ministers, der kalt und finster auch über den Pastor hinstreifte; gleich darauf hatte er die Papiere geordnet und ging zu dem Könige hinein.

Guten Morgen! rief ihm der König entgegen. Wie seht Ihr aus, Herr von Katsch? Ist Euch Etwas begegnet, was Euch geärgert hat?

Ich wüßte Nichts, Majestät, erwiederte der hohe Beamte, indem er sich verbeugte.

Nicht? nicht! fuhr der König lachend fort. Es ist mir lieb, daß Ihr's dem Major von Neuendorf nicht übel genommen habt, daß er Euch den Vortritt verweigerte.

Der Minister zuckte leicht mit den Schultern, ohne eine Antwort zu geben.

Er war in seinem Recht, sagte der König, denn es war meine Ordre so, die hat Jeder zu respectiren.

Herr von Katsch breitete seine Papiere auf dem Tische aus und antwortete dabei:

Wenn Ew. Majestät Ordres nur in allen Dingen von dem Herrn Major pünktlich respectirt werden.

Wie so? fragte der König, dessen Mißtrauen sogleich erregt wurde. Was wißt Ihr von ihm?

Ich kenne den Herrn nicht näher, erwiederte Herr von Katsch, habe nur gehört, daß er nicht eben in besonderem Ansehen bei manchen hoch über ihn gestellten Männern steht. Der General von Derschau hat mir gesagt, es sei einer von den neumodischen Raisonneurs, die sich einbilden, Alles besser wissen zu wollen, und sich unterstehen, Vieles zu tadeln.

Was tadelt er denn? fragte der König.

Wie der General mir sagte, hat er neulich sich ungebührlich darüber ausgelassen, daß Ew. Majestät befohlen haben, alle Soldaten zu verabschieden, welche das Maß nicht haben, auch hat er über die Rekrutenbeschaffung und Werbeangelegenheiten geschimpft.

Ei was, lachte der König, das thut der nicht allein, das thun die Meisten. Ihr müßt bedenken, Katsch, daß die Majors und Obersten die Rekruten aus ihrem Beutel bezahlen müssen, und wegen der Entlassung der alten Soldaten, die in den Kriegen trotz dessen, daß sie das Maß nicht hatten, tapfer fochten, hat sogar Seine Liebden der Fürst Leopold von Dessau auf mich geschimpft. Aber, was wißt Ihr noch von ihm?

Nichts, sagte der Minister. Daß er den Pastor Baumgarten eben Arm in Arm führte, spricht aber schwerlich für sein Renommé.

Wie meint Ihr das? fiel der König ein, indem er ein Lachen hören ließ.

Dieser Mensch, dieser Baumgarten, ist in Halle ein Gräuel für alle frommen und rechtschaffenen Leute.

Narrenspossen! schrie der König, ich habe ihn kommen lassen, um den Burschen zu sehen, der die christliche Kirche umstürzen will. General Natzmer hat mir davon geschrieben, und der Teufel hätte ihn holen sollen; aber es ist ja ein Kniehoch, ein Knirps, ein Kerl, dem beim dritten Wort die Lunge an zu pfeifen fängt.

Majestät, erwiederte der Minister, das Gelächter des Königs unterbrechend, man braucht keinen langen Athem und keine langen Beine zu haben, um Böses anzustiften. Dieser Baumgarten hat einen Anhang von ruchlosen Menschen, die so würdigen Professoren und Dienern Gottes, wie Joachim Lange, Franke und Breithaupt mit größtem Wohlgefallen Aergerniß bereiten. Er hat, wie ich gewiß weiß, gegen die Erbsünde und gegen die Dreieinigkeit gepredigt.

Der Spitzbube! fuhr der König auf, seinen Rohrstock fassend, wenn ich ihn hier hätte, wollte ich ihm beweisen, was Erbsünde ist. Aber beruhigt Euch, Katsch, es hat Nichts auf sich. So ein Kerl, der kaum fünf Fuß mißt, wird die Welt wahrhaftig nicht umkehren. Er wird doch zuletzt nur ausgelacht, aber wenn er nicht aufhört, soll er karren. Habe ich bei Karrenstrafe verboten, daß keiner meiner Unterthanen Wolf's Schriften lesen soll, so werde ich mit diesem Knirps noch weniger Umstände machen.

Der König wußte nicht, daß trotz seiner strengen Verbote von Wolf's Schriften, diese um so eifriger gelesen wurden, allein der Minister wußte es, natürlich aber war er zu klug, dem Monarchen, der sich einbildete, er könne Alles, was er wolle, zu sagen, daß er gar keine Macht über die Geister habe. Er entgegnete:

Ew. Majestät haben ganz Recht. Dieser Baumgarten ist an sich ein Tropf, allein um so schlimmer ist es, wenn Männer, wie der Major von Neuendorf, sich an ihn machen, ihm beistehen, wohl gar seinen Irrlehren selbst anhängen.

Wißt Ihr das gewiß? fragte der König drohend.

Das weiß ich zwar nicht gewiß, jedenfalls aber ist der Herr Major in vertrauter Freundschaft mit ihm.

Der Knirps hat mir selbst gesagt, daß Neuendorf ihn oft gehört hat, und er hat Zeugniß für den Cujon abgegeben.

Dann ist um so weniger Zweifel vorhanden, daß der Eine eben so denkt wie der Andere, sagte Herr von Katsch, den Kopf schüttelnd.

Der König dachte einen Augenblick nach, und regte sich dabei noch mehr auf. Von allen Sünden und Lastern, die er haßte, war ihm die sogenannte Freidenkerei das widerwärtigste und strafbarste. Er glaubte mit größter Gläubigkeit Alles, was ihm seine Priester als wahr darstellten, und was er für wahr hielt, das sollten und mußten alle seine Unterthanen ebenfalls für wahr und gewiß annehmen, oder er brachte ihnen in seiner Weise die Wahrheit bei. Irrlehrer und Verführer wurden schonungslos verfolgt, und der Gedanke, daß selbst einer seiner Offiziere ein Gottesleugner sein könnte, brachte ihn gewaltig auf.

Wenn ich das wüßte, sagte er, rauh auf den Boden stampfend, ich ließe ihm vom Henker die Uniform vom Leibe reißen. –

Eine halbe Stunde vorher hatte er es dem Major rund abgeschlagen, diesen Rock freiwillig ausziehen zu dürfen, jetzt in seiner Wuth wollte er ihn entehren. Zugleich fiel ihm etwas Anderes ein, und in diesem Augenblicke verstärkte es seinen Unwillen gegen den Herrn von Neuendorf.

Ich will schon hinter seine Schliche kommen, sagte er, denn richtig ist es nicht mit ihm. Er hat Recht, mein lieber Katsch; von einem Menschen ohne Gottesfurcht, der mit solchem Knirps vertraulich thun kann, hat man sich nichts Gutes zu versehen.

Der Generalauditeur mit Ministerrang war zu lange schon der Vertraute seines Herrn, um nicht zu wissen, was in dessen Seele vorging. Er hatte in den schwierigsten Lagen, während der mannichfaltigen Staats- und Hofintriguen, und in Zeiten, wo die ersten Männer gestürzt, verbannt oder gefangen gesetzt wurden, sich oben erhalten; ihm schien es daher nicht eben schwer, an diesem anmaßenden Offizier, der ihn beleidigt hatte, schnelle Rache zu nehmen. Er sah auf der Stelle, daß der König mit dem Major unzufrieden war, daß er ihm schlimme Dinge zutraute, und daß es Etwas geben mußte, was der gebieterische Herr gern erfahren hätte.

Man muß dem Major auf die Finger sehen und ihn beobachten lassen, sagte er.

Der König warf ihm einen grimmigen Blick zu.

Bestehlen thut er mich nicht, erwiederte er, dazu ist er zu stolz. Zum Aufpassen habe ich meinen Generalfiscal und die Fiscale.

Solden Verdacht hegte der König also nicht, und allerdings waren die Fiscale und ihr Oberhaupt dafür da, allen Unterschleifen und Unordnungen auf die Spur zu kommen. Sie bildeten in manchen Beziehungen die damalige geheime Polizei, mußten Alles anzeigen, was sie auswittern konnten, und je eifriger sie anklagten, um so mehr hielt der König von ihnen. Wer sich lässig im Denunciren zeigte, wurde abgesetzt; die Fiscale waren daher fürchterliche und verabscheute Männer, und es gab manche unter ihnen, welche ihren Ruf nur zu sehr rechtfertigten. Inzwischen war diese Polizei doch mehr gegen Sachen als gegen Personen gerichtet; sie spionirte nicht auf Meinungen und bürgerliche Verhältnisse, sondern auf die Rechtschaffenheit und Thätigkeit der Beamten und Behörden, der Minister sagte daher aus guter Ueberzeugung:

Die General-Fiscale sind allerdings gute Wächter gegen Betrüger und Diebe, wo es aber darauf ankommt, die geheimen Kniffe und Ränke eines schlechten Menschen zu enthüllen, der vielleicht Ew. Majestät belügt und dero allergnädigste Gebote verachtet, taugen sie Nichts.

Der König hörte aufmerksam zu.

Ich glaube auch nicht, daß der Neuendorf lügt, antwortete er, denn wenn er das gewollt hätte, würde er sich anders benommen haben. Aber es kann dennoch sein, fuhr er misstrauisch fort, vielleicht war sein ganzes Gerede erfunden und erlogen. Jedenfalls wollte er nicht mit der Wahrheit heraus. Ihr sollt ihm aufpassen lassen, Katsch; ich will wissen, was er für Umgang hat.

Das wird nicht schwer zu erfahren sein, lächelte der Minister.

So hört an, was er mir erzählt hat. Er möchte den Dienst verlassen, da er ein Gut geerbt, und will sich verheirathen. Aber er will nicht bekennen, was es für ein Frauenzimmer ist, weil er sein Wort darauf verpfändet haben will, den Namen noch vor Jedem zu verschweigen.

Dann ist es entweder noch gar nicht so weit, sagte Herr von Katsch, oder es ist eine Dame, die wegen ihrer Stellung oder ihrer Verwandten Schwierigkeiten fürchtet, oder aber –

Nun? fragte der König ungeduldig.

Es ist eine gemeine und unanständige Person von niedrigster Herkunft oder von so schlechtem Ruf, daß der Herr Major es nicht wagen darf, Ew. Majestät die Wahrheit zu gestehen, lieber also den ehrlichen und ehrenvollen Rock von sich werfen und auf ein Dorf mit ihr ziehen möchte.

Oho! rief der König heftig stampfend, ein Donnerwetter soll ihm auf den Kopf fahren, wenn es sich so verhält. Kein Edelmann soll ein gemeines Mensch heirathen, das hab' ich streng anbefohlen. Bringt es heraus, Katsch, und wenn es so ist, soll er nach Spandau gebracht werden.

Ich werde Ew. Majestät Befehle eifrig befolgen, sagte Herr von Katsch. Darf ich jetzt meinen Vortrag beginnen?

Der König setzte sich auf den hölzernen Schemel, legte die Hände auf den Knopf seines Rohrstockes und hörte den Vortrag seines Ministers für die Criminaljustiz.


III.

Während dessen war der Major von Neuendorf mit seinem Begleiter über manche weite Plätze und zwischen den langen Bretterzäunen fortgegangen, welche damals noch den bei weitem größten Raum des neu angelegten Stadttheiles im Westen des alten Berlin's bildeten. Wo jetzt die prächtigen Gebäude und Paläste stehen, die den Opernplatz umringen, befand sich wüstes Tannengebüsch, durch welches ein sumpfiger Graben lief. Sumpflöcher mit schwarzem Wasser gefüllt, blickten überall, von verrätherischem Grün umwuchert, hinter den Zaunwänden hervor, überall aber waren die Straßen in regelmäßigen, sich kreuzenden Vierecken abgesteckt, und an manchen Stellen stiegen Gebäude auf, an anderen wurde der Sumpf ausgefüllt, wurden Pfahlvesten gelegt und Bogen darüber geschlagen. Eine große Zahl verschiedener Arbeiter schaffte hier in voller Thätigkeit. Wagen mit Steinen beladen wanden sich mühsam durch den weichen Boden. Geschrei und Gelärm durch die Schläge der Axt klangen durch die Morgenluft, in deren bleicher Sonne nah und fern ähnliche Bilder auftauchten.

Der kleine Pastor aus Halle war erstaunt über das, was er sah.

Es entsteht hier eine ganz neue Welt, sagte er. Es ist erstaunlich, was der Wille eines einzelnen Mannes vermag, der aus Sumpf und Wald eine Stadt hervorzaubert; wo sollen jedoch die Menschen dazu herkommen? Berlin hat ja schon beinahe neunzig Tausend Einwohner, wie soll das noch werden?

Mein lieber Pastor, antwortete der Major, die titanische Kraft, welche diese Häuser dem Boden abzwingt, der bis jetzt nur Schilf und Wasserschierling trägt, wird in ihrer Weise auch die Menschen dazu schaffen. Wo Alles gewaltsam geschieht, werden auch die Menschen gewaltsam herbeigeholt werden, wenn sie den Lockspeisen, welche man ihnen vorhält, frei von Steuern, frei von der Rekrutenstellung zu sein, nicht gutwillig folgen. Des Königs Wille ist ein eiserner Wille. Er fragt nicht danach, was der Einzelne leidet, ob Gewalt und Unrecht geschieht. Was er für Recht hält, muß geschehen; er kennt kein anderes Recht, als das seine.

Der Pastor seufzte. Sind die Gewaltigen unserer Zeit denn anders als er? antwortete er leise. Sind die Meisten denn nicht noch weit schlimmer, wenn sie ihrer Mitmenschen Rechte achten sollen?

Sehen Sie alle diese Häuser, fuhr der Major fort, sie sind mit Zwang und Gewalt erbaut worden. Die Glücklichsten haben es mit ihren Wehklagen dahin gebracht, daß ihnen Holz oder Steine geschenkt werden, den Meisten aber wurde bei Auspfändung geboten, zu bauen auf der Sumpfstelle, die ihnen dazu angewiesen wurde. Der General Derschau an der Spitze der Baucommission beachtet keine Klage, keine Vorstellung; es hilft keine Verwendung, kein Rang, keine Weigerung. Minister und hohe Räthe, Generale und Bürger sind in dieser Beziehung völlig gleich. Wo der König und sein vertrauter Generaladjutant irgend Geld wittern, wen man fähig glaubt, Geld herbeizuschaffen, wem man nicht wohl will, wer gestraft werden soll, der bekommt plötzlich den Befehl, ein Haus zu bauen, und man sucht ihm den möglichst schrecklichen Platz dazu aus. Manche sind schon davongelaufen, nachdem sie Alles, was sie besaßen, hergegeben hatten, um den Sumpf auszufüllen, Andere haben sich in Schulden stürzen müssen, während doch jeder Bankerotteur als Dieb und Fälscher betrachtet und mit Staupenschlag und hartem Gefängniß oder mit dem Strang bestraft werden soll.

Das ist entsetzlich! seufzte der Pastor. Wie kann so Etwas unter den Augen des Monarchen geschehen, der sich doch rühmt, daß die Welt eher untergehen möge, ehe das Recht gebeugt werde?

Er glaubt fest daran, daß Alles, was er thut, eben so unumstößlich recht sei, wie er glaubt, daß er Alles thun kann, was er will, erwiederte der Major. Aber wissen Sie nicht, daß er den für den Glücklichsten seiner Unterthanen erachtet, der ihn nie zu Gesicht bekommt, und von dem er niemals Etwas vernimmt? Und das ist wahr, fuhr er mit einem bitteren Lachen fort. Ich wollte, für mein Theil, daß ich es von mir selbst sagen könnte. Sie, mein armer Freund, haben erfahren, was es heißt, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wären Ihre Gliedmaßen einen Fuß länger gewachsen, so säßen Sie jetzt auf der Hauptwache. Morgen zöge man Ihnen die Jacke eines Unteroffiziers an, und Ihre Verzweiflung würde Ihnen zu Nichts helfen, als zum Spießruthenlaufen und zum Strick des Henkers.

Gott hat mich gnädiglich davor bewahrt! rief der kleine Geistliche, seine Hände faltend, aber Ihnen, mein theuerster Gönner, Ihnen habe ich nächst dem zu danken. Sie waren in meiner Noth an meiner Seite.

Der Major lehnte Baumgarten's Dank ab.

Ich habe sehr wenig thun können, sagte er; hätte ich Ihren Geist und Ihre Gelehrsamkeit mit Engelszungen gepriesen, es würde Nichts gefruchtet haben, wenn Ihr Körper ihm bewiesen, daß Sie die Kirche umstürzen könnten.

Nein, fiel ihm der Pastor in die Rede, ich wäre dennoch verloren gewesen ohne Ihr Zeugniß. Lehnen Sie meinen Dank nicht ab; wollte Gott, daß ich Ihnen anders, als mit Worten, meine innigste Ergebenheit bezeugen könnte!

Bei dieser Versicherung schwieg Herr von Neuendorf nachdenklich still, und unterbrach seinen Begleiter nicht, als dieser einige andere Betheuerungen hinzufügte, daß er zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sei; nach einigen Minuten aber drückte er Baumgarten's Hand, und fragte ihn anblickend:

Würden Sie wirklich Etwas um meinetwillen thun? Würden Sie mir einen Dienst erweisen, der in Ihrer Macht steht und für mich eben jetzt vom allerhöchsten Werthe ist?

Was ich Ihnen leisten kann, gerne, gerne soll es geschehen, erwiederte der Pastor.

Auch, wenn es Etwas wäre, das mit den Gesetzen des Könige sich nicht vereinigen läßt?

Oh! antwortete der Pastor verwirrt, ich kenne Sie zu gut, Herr Major! daß Sie mir kein Verbrechen zumuthen, eben so wenig aber auch selbst ein solches begehen werden.

Sie haben Recht, lieber Baumgarten, entgegnete Herr von Neuendorf, stolz den Kopf aufhebend. Nein, es ist kein Verbrechen, es handelt sich – um eine heimliche Ehe!

Sie Sie wollen eine solche schließen?

Ich, ja. Ich muß es thun.

Bedenken Sie auch, welche Folgen das haben kann?

Man kann Sie dafür absetzen, wenn es heraus kommt.

Ich denke nicht an mich, ich denke an Sie, fiel der Pastor sanftmüthig ein. Ich weiß ja, wie unerbittlich der König ist.

Unerbittlich ist er. Sie sagen die Wahrheit, erwiederte der Major, düster seine Stirne faltend. Ich habe es heut erprobt. Niemals würde er mir erlauben, der Frau meine Hand zu reichen, welche ich mir erwählt habe. Den Rest der Gnade, welche er mir noch zuwendet, würde ich in Haß und Wuth verwandeln, wenn er erführe, wer sie ist.

Mein Gott! flüsterte der erschrockene Pfarrer, dann lassen Sie davon ab.

Niemals! versetzte Herr von Neuendorf mit größter Bestimmtheit. Und wenn es mein Leben kosten sollte, und wenn er alle seine Henker auf mich hetzte, es soll dennoch geschehen!

Bester, theuerster Major, sagte Baumgarten zitternd, es sind uns erst neulich die allerstrengsten Befehle zugekommen, keine Ehe eines Edelmanns einzusegnen mit Töchtern von Bürgern, Handwerkern oder Leuten geringen Standes, es sei denn, daß die ausdrückliche Erlaubniß Se. Majestät vorgezeigt werden könne.

Sie irren sich, erwiederte der Major, meine Geliebte gehört nicht dahin.

Aber ein Offizier muß auf jeden Fall des Königs Consens haben und – und –

Ich wollte fort, unterbrach ihn Herr von Neuendorf erregt, ich wollte diesen Rock von mir werfen; der König zwingt mich zum Bleiben. Und wenigstens für jetzt, für die nächste Zeit, vielleicht für die nächsten Jahre, muß ich ihn noch tragen. Zu Knechten hat er uns Alle gemacht, denn wo ist ein Mann noch, der seinen Kopf frei aufheben könnte! Die alten Privilegien, die alten Rechte sind zerrissen; was unsere Väter in Jahrhunderten erwarben, ist zu Boden getreten. Nichts gilt hier mehr, als dieses einen Mannes Willen, Nichts wird geachtet, als Unterwürfigkeit und Knechtssinn, Nichts ist sicher mehr vor seinen Befehlen.

Um des Himmels Willen! mäßigen Sie sich, flüsterte der Pastor, scheu umherblickend.

Es hört uns Niemand, und ich habe zu schweigen gelernt, sagte Herr von Neuendorf. Dieser Rock macht mich vollends zum Sklaven; dennoch soll er mir mein bestes Lebensglück nicht nehmen. Der elende Arbeiter dort, der Steine schleppt und Wasser trägt, kann wenigstens ein Weib nehmen, wie es ihm behagt. Ich, aus einer edlen Familie stammend, will darin wenigstens nicht zurückstehen und den Machtsprüchen eines Despoten nicht das Recht meines Herzens, meiner Menschenwürde opfern.

Lieber, verehrter Gönner, lispelte der kleine Pastor, seine Hände ringend, bedenken Sie auch, daß – daß der König ausnehmend streng gegen junge Frauenzimmer denkt, welche vielleicht bei ihm verleumdet wurden, leichtfertigen Sinnes zu sein.

Nichts davon! unterbrach ihn der Major unwillig, auch die frechste Lüge kann meiner Erwählten nichts Unehrliches nachsagen, Nichts, was auf ihren Charakter oder auf ihre Ehre den leisesten Makel werfen könnte. Sie ist die Beste, die Reinste ihres Geschlechts, dennoch aber – er hielt inne und fuhr im entschiedenen Tone fort: Ich will Sie nicht langer damit quälen, Herr Pastor Baumgarten; Sie wollen Nichts mit meinem gefährlichen Unternehmen zu schaffen haben. Schweigen wir davon.

Nein, mein theurer Major, antwortete Baumgarten, so ist es nicht gemeint. Ich habe noch nie einen Freund verlassen, der meine Hilfe anrief, und wenn es sich so verhält, wenn Sie durchaus eine heimliche Ehe schließen müssen, und trotz dessen, was Sie mir sagen, Umstände vorhanden sind, welche Sie zwingen, vor aller Welt Ihr Gelübde zu verbergen, so will ich – ja, so will ich diese Ehe einsegnen.

Wollen Sie das, rief der Major erfreut, dann thun Sie, ein gutes Werk; auch denke ich, daß die Gefahr nicht allzu groß ist. Sobald ich den Dienst verlassen kann, auf meinem Gute wohne, nicht mehr von Launen abhänge, werde ich meine Ehe öffentlich machen. Niemand kann und wird dann Einspruch erheben können; was mich jetzt zur Heimlichkeit zwingt, sollen Sie erfahren, und Sie werden mir beipflichten.

Wo und wann soll es geschehen? fragte der Pastor. Morgen möchte ich gern nach Halle zurückkehren.

Also heute noch. Haben Sie einen priesterlichen Ornat bei sich?

Ich bin mit meiner Amtstracht versehen, da ich nicht wußte, ob der König mich vielleicht auf der Kanzel hören wollte.

Wo wohnen Sie?

Ich wohne gar nicht, lächelte Baumgarten. Man brachte mich auf die Wache, wo mein Reisesack verblieb, als man mich zum Könige führte.

Wir wollen Ihren Reisesack abholen, und ich will Sie in ein Gasthaus begleiten, wo Sie ausruhen können.

So geschah es denn. Herr von Neuendorf führte seinen Schützling in die innere Stadt, wo es damals zwei oder drei bescheidene Gasthöfe gab, in denen Reisende ein Unterkommen fanden. Nach einem heimlichen Gespräch verließ er ihn, denn es war hohe Zeit, an seine Dienstgeschäfte und an die unvermeidliche Wachtparade im Schloßhofe zu denken, bei welcher der König jeden Tag erschien, und kein Offizier ohne Entschuldigung fehlen durfte.

Nachdem der Dienst abgethan, begab sich der Major in seine Wohnung, und er blieb, bis es finster wurde. Zu jener Zeit gab es weder Schauspiel- noch Kaffeehäuser, noch andere öffentliche Vergnügungsorte. Es gab zwar sogenannte Ressourcen und Tabagien, sowohl für die Offiziere und Beamten, wie für die Bürger, und der König selbst hielt seine Tabagie im Schlosse oder in Potsdam, wo er meist lebte, in dem dort noch jetzt gezeigten Häuschen, aber Herr von Neuendorf. war ein höchst seltener Gast an solchen Orten, wo Tabak geraucht und starkes Bier und andere hitzige Getränke genossen wurden. Der König, welcher mit seinen Generälen und Vertrauten täglich bei holländischem Kanaster und Ducksteiner Bier zusammen saß, lud ab und zu auch manche Majore und Capitaine dazu ein, was als Zeichen seiner besonderen Gnade galt. So war auch der Herr von Neuendorf zuweilen dazu befohlen worden, allein er gehörte zu den sogenannten »kalten Rauchern,« das heißt, er hielt eine Pfeife in seinem Munde, denn ohne Pfeife wurde Niemand im Tabakscollegium geduldet, aber diese Pfeife war ohne Feuer und Rauch, und nicht weniger Spott als darüber hatte der Major über sein mädchenhaftes Trinken zu erdulden, denn er nippte nur von dem dicken, braunen Safte.

So war er denn an sein Zimmer gewöhnt, und mancher lustige Kamerad, welcher spät Abends mit rasselndem Schwert vorübertaumelte, schlug ein höhnisches Laden über den Federfuchser und Tintenklexer auf, wenn er zu der erleuchteten Stube hinauf sah, wo der gelehrte Krippensetzer noch las und schmierte. Bei alledem war der Major aber doch ein wohlgeachteter Offizier, denn sein tapferes Benehmen, wie seinen Charakter wagte Niemand anzutasten. Wer guten Rath haben wollte, ging zu ihm, wer in Geldverlegenheit war, fand eine offene Hand. Sein Ernst sowohl wie seine Milde hatten ihn selbst bei den tollköpfigsten und rohesten Kameraden in Respect gesetzt, und wenn auf ihn geflucht wurde, galten diese Flüche nur seinem verdammten Einsiedlerleben und seiner unausstehlichen Nüchternheit und Ruhe.

Es gab nur ein paar Familien, welche der Major dann und wann besuchte, sonst zog er sich auch von allen Kreisen dieser Art zurück; wo es aber heirathsfähige Töchter gab, ließ er sich am wenigsten blicken. Der stattliche Mann in seiner Stellung, mit seinen Aussichten, obenein nicht ohne Vermögen, und jetzt der Erbe eines alten, geizigen Oheims, wäre an vielen Orten gern gesehen worden. Es gab manche einflußreiche Familie, die ihm eine Tochter gegeben hätte, manch' schönes, stolzes Fräulein auch, das nicht Nein gesagt haben würde, wenn der Major von Neuendorf als Freier gekommen wäre. Allein er wurde bald ein Weiberfeind betrachtet, und als einige Versuche, ihn zu curiren, mißglückten, verspottete man ihn auch dessentwegen und lachte über die Schätzchen in Schweinsleder, für welche er allein zärtliche Neigungen entwickelte. Die Frauen und Mädchen der damaligen Zeit waren jedoch in ihrer Erziehung unendlich mehr vernachlässigt, als es jetzt der Fall ist. Waren die Männer roh und unwissend genug, und hielt ein großer Theil der vornehmsten Stände es kaum für nöthig, daß ihre Söhne gehörig zu lesen und zu schreiben verstanden, weil dafür das bürgerliche Pack sei, so waren die Töchter natürlich noch viel weniger zu solcher künstlerischen Höhe geeignet. Vielfach wurde es sogar als sittenverderblich und gefährlich erachtet, wenn ein Mädchen schreiben könne, weil sie alsdann Liebesbriefe und Intriguen aushecken werde; so gab es denn nur ausnahmsweise gebildete Frauen, nur ausnahmsweise geistreiche junge Mädchen, die sich nicht damit begnügten, ihren Corsets und Reifröcken, und der pedantischen Steifheit und Eintönigkeit ihres gesellschaftlichen und häuslichen Lebens ihr Dasein zu widmen.

Glücklicher Weise gab es aber auch wenige Männer, welche diese Mängel empfanden. Die allermeisten verlangten von ihren Frauen Nichts weiter, als was diese an Genüssen geben konnten, und wer, wie Herr von Neuendorf, nicht damit zufrieden gestellt ward, galt als Narr und Kameel. Die eiserne Strenge, mit welcher König Friedrich Wilhelm der leichtsinnigen Wirthschaft an seines Vaters Hofe ein Ende gemacht hatte, war aber dennoch nicht eisern genug, um die Gesellschaft so umzuformen, wie er sie haben wollte; Jeder versteckte seine Sünden gegen die Befehle und Gesetze so viel er konnte, gesündigt aber wurde vor wie nachher, und so war es auch mit diesem einsiedlerischen, unempfindlichen Major. Hätte ein Spion das Zimmer untersucht, in welchem man meinte, er studire bis in die tiefe Nacht hinein, so würde er gefunden haben, daß die Lichter darin Niemandem zu irgend einer Arbeit leuchteten. Der Major war nicht zu Haus. Ein alter Diener, der seinem Herrn mit Leib und Seele zugethan war, lag gewöhnlich auf dem ledernen Kanape, wachte ab und zu auf, um die Lichtputze zu gebrauchen, und horchte so lange auf jedes Geräusch, bis er seines Herrn Schritt und Tritt erkannte, wenn dieser in der Nachtstille heimkehrte.

Auch heute ließ Herr von Neuendorf, als es dunkel geworden, die Lichter auf seinem Schreibtische anzünden, gab dem Diener einige Verhaltungsregeln, hüllte sich in einen Mantel, dessen Kragen er dicht um sein Gesicht zusammenzog und verließ dann seine Wohnung. Er schlug einen Weg ein, der ihn, wenn auch nicht in geradester Richtung, zu jenem neu angelegten und im Bau begriffenen Stadttheile brachte, wo vereinzelte Häuserzeilen und Häusergruppen die Straßen andeuteten, welche im Entstehen begriffen waren. Wohlbekannt mit jeder Oertlichkeit, schlug der Major verschiedene Nebenwege ein, schmale Gassen, zwischen Gartenmauern und wüsten Plätzen, Pfade, welche durch Gebüsch und Sumpfstellen ihn bis in die Nähe eines entlegenen Thores brachten. Die innere Stadt wurde mit öffentlichen Laternen in den Hauptstraßen erleuchtet, hier jedoch, herrschte eben sowohl tiefes Schweigen, wie vollkommene Finsterniß.

Der König hatte vor einiger Zeit auf Beschädigung und Zerstörung der Laternen Brandmarkung an der Stirn und mehrjährige Karrenstrafe gesetzt, auch war streng befohlen worden, daß jede ehrbare Person aus dem Bürgerstande Abends mit einer Handlaterne versehen sein sollte; wer dawider handelte, sollte von den Patrouillen festgenommen und an Geld oder Leib gestraft werden. Solche Bestimmungen schienen einerseits nöthig der öffentlichen Sittlichkeit wegen, andererseits waren die nächtlichen und entlegenen Straßen nicht allzu sicher. Die Soldaten, meist zusammengeraubt aus aller Herren Ländern, bestanden zum Theil aus verwegenen Gesellen; Raubanfälle und Mordthaten blieben daher nicht aus; über Einbrüche, Diebstähle und brutale Mißhandlungen hilfloser Frauen und später Wanderer hatte die einzige Zeitung, welche zweimal wöchentlich erschien, häufig zu berichten.

Herr von Neuendorf verfolgte seinen Weg mit einiger Vorsicht. Der Nachtwind wehte kalt hinter ihm her und raschelte mit dürrem Laub und Gerüll. Zuweilen kam es ihm vor, als hörte er Schritte hinter sich und zurückschauend strengte er seine Augen an, um aus dem Schatten in der Ferne eine menschliche Gestalt zu erkennen, oder er glaubte eine solche in anderen Gegenständen zu entdecken, welche er vor sich erblickte. Immer aber täuschte er sich und mit dem blanken Degen unter dem Mantel stand er endlich vor einem Hause still, in dessen oberem Stockwerke einige Fenster erleuchtet waren.

Wenn der König oder sein General-Adjutant Derschau zu bauen befahlen, wurde den Betroffenen zugleich ein Bauplan übergeben, nach welchem gebaut werden mußte. Es mußten massive, große Häuser aufgeführt werden, die nicht selten Palästen glichen. Das Haus, vor welchem der Major jetzt still stand, war keines der ansehnlichsten Gebäude, doch sah es mit seinen doppelten Stockwerken wohl eingerichtet aus. Einige Augenblicke spähte der Major nach allen Seiten hin und als er nichts Verdächtiges bemerkte, klopfte er leise an eines der Fenster im Erdgeschoß, das mit einem Laden geschlossen war.


IV.

Nach kurzem Verweilen wurde ein Riegel zurückgeschoben und die Thür geöffnet. Eine ältliche Frau, ihren Kopf mit faltiger Haube bedeckt, empfing ihn mit zutraulichem Lächeln.

Guten Abend, gnädigster Herr Major, sagte sie knixend und ihre Lampe zu ihm emporhaltend.

Guten Abend, Frau Kästner, erwiederte er. Es ist doch Alles wohl?

Freilich, freilich! flüsterte sie, freundlich nickend, das Herzchen kann sich kaum länger gedulden. Dreimal war es schon bei mir unten.

Der Major stieg die Treppe hinauf; er hatte jedoch den Weg noch nicht zur Hälfte zurückgelegt, als es hell auf dem Flur wurde, und eine junge Dame, einen Leuchter mit einer brennenden Kerze in der Hand, ihm entgegeneilte.

Ihr heiteres und liebliches Gesicht strahlte ihm heller noch als der Lichtschein, und wie er seine Arme öffnete und ihre Lippen sich zum Kusse boten, waren alle seine Sorgen vergessen.

Da bist Du endlich, theurer Georg! rief sie voll schöner Freudigkeit, seit einer Stunde habe ich mich geängstigt, denn – ich weiß nicht warum – aber mir war so beklommen, so weh, als ob ein Unglück über mich hereinbrechen sollte.

Ich bringe Dir Glück, meine liebe Agathe, erwiederte Herr von Neuendorf zärtlich.

Wenn Du bei mir bist, ist alles gut! rief sie, ihn fortziehend. Alle Gespenster verschwinden, ich denke nur an Dich.

Fürchtest Du Dich denn? fragte er, indem er den Mantel abwarf.

Ich nicht, wenigstens um mich selbst nicht, aber ich fürchte mich um Dich, geliebter Georg, ich fürchte mich, weil ein Wesen wie ich, wenn Glück sich vor ihm zeigt, so sehr an Unglück gewöhnt ist, daß eine geheime Stimme ihm beständig in's Ohr ruft: Thörichte, glaubst du wirklich daran? Es wird doch Nichts daraus, es wird sich doch in Unheil verwandeln

Arme, liebe Agathe! Du fürchtest zu viel und dennoch – setzte er leiser hinzu, dennoch hat Dich Deine Ahnung nicht ganz betrogen.

Siehst Du wohl! erwiederte sie, ihr Gesicht zu ihm erhebend, während ein schmerzliches Lächeln sich darüber verbreitete.

Ich war bei dem Könige, sagte er, indem er sich setzte und sie auf sein Knie niederzog.

Bei ihm!

Er hatte, ich weiß nicht wie, gehört, daß ich den Dienst verlassen wollte. Er erklärte mir, daß ich bleiben müsse.

Der Tyrann! flüsterte sie.

Er war gütig gegen mich. Ich sollte ihm sagen, warum ich seinen Rock nicht mehr tragen wollte. Ich konnte und wollte nicht lügen. Ich sagte ihm, daß ich heirathen möchte.

Du hast meinen Namen genannt?

Nein. Doch wollte ich, ich hätte mich anders bedacht, ihm Nichts gesagt oder die ganze Wahrheit. Aber ich sah den Sturm, der mich treffen würde, und ich zitterte davor; denn kann er nicht Alles thun, was er will, kann er nicht – Dich, Dich geliebte Agathe, seiner Wuth opfern?

Was kann er mir thun? erwiederte sie, ihr dunkles Haar schüttelnd, während ihre Augen kühn und verächtlich blitzten.

O still, still! erwiderte er. Er sagte mir Etwas, was mein Blut stocken machte. Denkst Du nicht daran, wie seine eigenen Kinder vor ihm zittern?

Es ist schmachvoll! schmachvoll! rief das Fräulein, ihre Hände zusammenschlagend, daß das Alles geschehen kann.

Wir müssen vorsichtig sein, fuhr Herr von Neuendorf fort, damit er nicht Gelegenheit erhält, uns seinen Zorn fühlen zu lassen. Ich werde ihn zu täuschen suchen; werde ihm sagen, daß meine Aussichten auf eine Vermählung sich zerschlagen haben.

Willst Du das? Er wird Dir Ersatz anbieten. Wird irgend ein starkknochiges, breitschultriges Fräulein für Dich ausgesucht haben.

Der Major blickte lächelnd auf die feine und zarte Gestalt seiner Geliebten.

Ich werde sein gewichtiges Geschenk nicht annehmen, sagte er.

So wird er Dich dazu zwingen.

Das kann er mit all' seiner Macht nicht.

Ja, ja! rief sie von ihrer Einbildung erhitzt, er wird Dir drohen, wird seine Häscher rufen; er hat ja so viele Tausende, die immer bereit sind, seine schrecklichen Befehle zu vollziehen. Er wird Dir die Wahl lassen zwischen Entehrung und Altar und Du – Du –

Zweifle nicht, fiel er ein, daß, wenn er mir auch diese Wahl ließe, ich den Gang zum Altare nicht wählen würde, der mich mehr entehrte, als Alles, was er thun kann. Doch wir müssen bedenken, was geschehen kann, und müssen auf Mittel sinnen, dem strengen Herrn solche Befehle unmöglich zu machen.

Was können wir anfangen, Georg?

Es können möglicher Weise noch einige Jahre vergehen, ehe ich im Stande bin, dies lästige Kleid von mir zu werfen, um mit Dir in friedlicher Stille glücklich zu sein. Ich will jede günstige Zeit wahrnehmen, des Königs Tadel nicht scheuen, seine Vorwürfe ertragen, ein schlechter oder nachlässiger Soldat zu sein. Vielleicht bin ich eher so weit mich zurückziehen zu können, als ich es denke.

Du denkst, wie Du es fühlst, rief sie mit ihrer natürlichen Lebendigkeit. Er wird Dich festhalten, was Du auch beginnen willst, und je mehr er Ursache hat, unzufrieden mit Dir zu sein, um so mehr wird er Dich zu quälen suchen.

Kommt es zum Aergsten, antwortete Herr von Neuendorf, kann ich nicht vermeiden, was ich vermeiden möchte, so bin ich bereit, mein Recht zu behaupten. Doch so lange es angeht, müssen wir es vorziehen, die Spitze des Schwertes abzubrechen, das sich auf uns richtet. Du weißt, daß ich meinen Bruder erwarte. Sobald unsere Erbschaftsverhältnisse geregelt sind, will ich Urlaub nehmen und um mein Gut mich kümmern, dort leben, so lange ich kann, und mich hier in Vergessenheit bringen. Du, meine geliebte Agathe, mußt mich begleiten.

Dich begleiten? erwiederte sie fröhlich. Ei gerne, gerne! Aber als was, Georg?

Als meine Frau, sagte er sie umarmend und entzückt anschauend, als meine unzertrennliche Lebensgefährtin.

Wird Er, der meinen Namen nicht hören kann, das zugeben?

Er wird es nicht zugeben, aber wir werden ihn nicht darum fragen.

Das wolltest Du?

Das will ich, das ist mein fester Entschluß.

Eine Ehe ohne seine Erlaubniß?

Eine heimliche Ehe.

Wann?

Heute noch.

Ihre dunklen Augen füllten sich mit einer Gluth, die frei von aller Ungewißheit war. Ihr Gesicht drückte ihre Zustimmung aus, es war belebt von einem Triumph, der feurige Liebe, befriedigten Stolz und gesättigte Rachelust vereinigte.

Nimm mich, Georg, heut' noch, ich will – ich will Dein Weib sein! rief sie mit liebeheißen Blicken. Dieser furchtbare König, dieser Tyrann, vor dem Alle zittern, er soll es nicht hindern. Ich, ein kleines, schwaches Mädchen, ich, die er für den Geringsten seiner Grenadiere zu schlecht finden würde, ich entreiße ihm den Mann, den er mit allen Gaben überschütten möchte, um ihn zu halten, und es doch nicht vermag.

Du bist eine gefährliche Zauberin, Agathe, sagte Herr von Neuendorf unter ihren heißen Küssen.

O! daß ich es wäre, geliebter Georg! rief sie mit ihrem Ungestüm, daß ich mit Zaubermitteln Dich vor allen Gefahren beschützen könnte.

Plötzlich sich aufrichtend, ließen ihre weißen Arme seinen Hals los, und sie stemmte ihre kleinen Hände an seine Schultern und sah ihn bestürzt an, während die beweglichen, glücklichen Mienen sich in Schmerz verwandelten.

Gott im Himmel! rief sie aus, was will ich thun, was soll geschehen, wozu bestärke ich Dich?! Ist es nicht ein Verbrechen gegen seine Gesetze? Könnte er Dich nicht entehren? Dich bestrafen? Furchtbar! Furchtbar!

Du guter Engel! antwortete Herr von Neuendorf entzückt über ihre Aufregung, was träumt Dein kleines verzagendes Herz für böse Träume! Es kann im schlimmsten Falle nicht so schlimm werden. Selbst wenn man es entdeckte und ein Kriegsgericht über mich urtheilte, würde ich doch nur cassirt werden können, und im Nothfalle würdest Du auch wohl mit dem aus dem Königsdienst gestoßenen Major zufrieden sein.

Alles mögen sie Dir nehmen, Georg, lachte das schöne Mädchen getröstet, mir bleibt noch immer genug. Aber Du sagst, heut' noch – heu noch soll unsere Hochzeit sein. Wo soll sie sein? Wer soll den Priester schaffen und wo sind die Zeugen?

Ich hoffe, es ist Alles vorhanden, was wir nöthig haben, erwiederte Herr von Neuendorf und aufhorchend fügte er hinzu: Es war mir, als hörte ich die Hausthür öffnen. Mein alter treuer Sebastian bringt den Prediger hierher, Deine Amme und ihr Mann werden die Trauzeugen sein, somit fehlt uns Nichts, um eine giltige Ehe zu schließen.

Wirklich! wirklich! rief Agathe, ihre Hände auf ihr ungestüm klopfendes Herz drückend. Ist es Wahrheit, ist es kein Traum?!

Der Pastor Baumgarten ist mein Freund, morgen in der Frühe reist er nach Halle zurück und nimmt unser Geheimniß mit.

Lieber, bester Georg! flüsterte sie, ich bin berauscht von Freude und Hoffnung. O, fort mit allen Zweifeln! Meine Liebe ist gläubig und vertrauend, Gewalt und Unrecht werden nicht immer siegen.

Mit einem zärtlichen Blicke antwortete Herr von Neuendorf: Wir thun das Rechte, wir begehen keine Sünde. Der Gewalt sich zu entziehen, ist jedem Menschen erlaubt. Fürchte Nichts, meine theure Freundin, ich schütze Dich und mich.

Wer hätte dem stolzen, kriegerischen Mann nicht geglaubt, der in seiner Jugendkraft wie ein Held aussah, dem die Welt gehört. Mit liebeheißen Blicken betrachtete sie ihn, dann schlug sie freudig ein, und Beide gingen der Thür zu, welche eben geöffnet wurde.

Der grauköpfige Sebastian ließ den Pastor Baumgarten eintreten und blieb hinter ihm stehen. Der Pastor war in der vorgeschriebenen Amtstracht, dem schwarzen Talar und den weißen Bäffchen. Seinen weiten, mantelartigen Rock hatte er draußen abgelegt, Sebastian hielt ihn auf seinem Arm.

Willkommen, mein lieber Freund! sagte der Major, ihm die Hand schüttelnd. Wir erwarten Sie und sind bereit. Hier ist meine Braut, ich führe sie Ihnen zu.

Baumgarten verbeugte sich tief und feierlich und richtete sich dann vor dem Fräulein auf. Ihr Anblick vermehrte seine Verwirrung, denn selten hatte er ein lieblicheres junges Weib gesehen. Obwohl klein von Gestalt, war ihr Körper doch zierlich und edel geformt, und ihr Gesicht mit den großen dunklen Augen und dem süßen Lächeln von überwältigender Macht. Der Puder wurde damals wenig in der Hauptstadt des allen Prunk hassenden Monarchen gebraucht, er hatte ihn mit den Schnabelschuhen und goldgestickten Damastkleidern, die am Hofe seines Vaters strahlten, ausgetrieben; nur an großen Gallatagen durften die Hof- und Staatsdamen sich schmücken, wie an anderen Höfen. Das ringelnde Haar dieser jugendlichen Braut fiel in vollen Locken auf ihren weißen Hals und bis auf ihr einfaches Gewand, das, so schmucklos es auch war, ihre Reize doch zu vermehren schien.

Verehrtes und gnädiges Fräulein, sagte der Pastor verwirrt, ich bin von meinem hohen Gönner und Freund aufgefordert worden, mich zu Ihnen zu begeben, um um eine Handlung zu vollziehen, eine heilige Handlung, die – die –

Die ich sehnlich wünsche, fiel sie ein, weil sie mich mit meinem lieben Georg auf ewig vereint.

Wenn dies der Fall ist, fuhr Baumgarten muthiger fort, und ich zweifle nicht daran, so – er blickte umher und nahm aus der tiefen Tasche seines Kleides ein schwarzes Buch, wobei er den Major ansah – so bedürfen wir dreier Zeugen.

Geh' hinunter, Sebastian, sagte der Major, rufe Dorothee und ihren Mann herauf. Setzen Sie sich zu uns, lieber, getreuer Freund, fuhr er fort, nehmen Sie unser Beider Dank und erfrischen Sie sich. Ein Hochzeitsmahl können wir nicht feiern, aber hier steht Wein, und meine gute Agathe wird eine sorgsame Wirthin sein.

Das Fräulein reichte ihm ein volles Glas, er nahm es aus ihrer Hand mit einem scheuen Lächeln und forschenden Blicken.

Möge Gott segnen, was wir thun, mein liebes, theures Fräulein, sagte er, und alles zu seines Namens Ehre ausfallen, wie auch – hier hielt er inne und fügte dann leise hinzu: in der That weiß ich noch nicht – an wen ich meine Worte richte.

Sie wissen meinen Namen nicht?

Nein, erwiederte der Prediger.

Sie wandte den Kopf gegen ihren Bräutigam. Sage Du selbst, wie Du heißt, antwortete dieser.

Ich beiße Agathe von Heidekamm.

Als er dies hörte, setzte der Prediger das Glas auf den Tisch, denn sein Arm fing an zu zittern, und sein blasses, mageres Gesicht schien noch bleicher und fahler zu werden.

Heidekamm! stotterte er, wenn das – o! ich denke nicht, aber das ist – ja das ist ein sehr unglücklicher Name.

Sie haben Recht, sagte sie, ihre Hände faltend, doch mit fester, stolzer Stimme.

Es gab einen Baron von Heidekamm – fuhr er niederblickend fort.

Das war mein Vater.

Wie? wie? fragte Baumgarten erschrocken, Sie sind die Tochter dieses –

Landesverräthers! fiel sie mit standhafter Ruhe ein, der angeklagt, seinen Herrn und König verrathen zu haben, im Gefängnisse starb, ehe vielleicht der Henker ihn erdrosseln konnte.

Mein Gott! mein Gott! stotterte der Pastor aufstehend, und wie nach Hilfe umherblickend, wandte er sich zu dem Major, der mit gekreuzten Armen sitzen blieb.

Mein Vater war unschuldig, sagte Agathe, ihre großen, blitzenden Augen auf ihn heftend, indem sie ihre Finger wie zum Schwure aufhob, ich, seine Tochter, glaube daran und weiß es gewiß. Aber wenn das nicht wäre, was habe ich verbrochen, warum soll ich leiden, ich, die diesen harten Herrn niemals beleidigt hat? Mein Vater war ein schlechter Haushalter, sein großes Vermögen wurde vergeudet, was er besaß, war mit Schulden bedeckt. Als er starb, ward das Letzte uns genommen, meine Mutter grämte sich zu Tode, ich ward auf die Straße geworfen. Ein paar mitleidige Freunde halfen heimlich, endlich blieb ich ganz verlassen und wohin würde ich gerathen sein, hätte meine Amme sich nicht meiner erbarmt und Gottes Güte mir meinen lieben Georg geschickt. Er verließ mich nicht, als Alle mich verließen, fuhr sie feuriger fort, er sorgte für mich, er liebte mich, und meine Seele hängt an ihm dafür mit aller Liebe, die ein Menschenherz einschließt.

Komm her zu mir, unterbrach sie Herr von Neuendorf, laß uns ruhiger sein, Agathe. Unser Freund soll in wenigen Worten den Rest Deiner Geschichte hören. Der Baron Heidekamm mag schuldig oder unschuldig gewesen sein, jedenfalls ist er hart behandelt worden und was wahr oder falsch an seiner verrätherischen Verbindung mit dem Betrüger Clement, ist unaufgeklärt geblieben. Ein Verschwender war er jedoch gewiß, sein großes Haus stürzte mit seinem Fall zusammen und seine Familie gerieth in eine traurige Lage. Ich kannte Agathe schon als Kind, und als ihre Mutter starb, veranstaltete ich es, daß sie in diesem Hause eine Zuflucht fand. Ein Geheimrath hatte es erbauen müssen auf des Königs Befehl; ein fleißiger, tüchtiger Weber, der Agathens Amme geheirathet hatte, kaufte es für geringes Geld, und hier lebte sie in tiefster Stille seit einigen Jahren.

Unterrichtet, getröstet, gestärkt, geliebt von meinem einzigen geliebten Freunde! fiel das Fräulein leidenschaftlich ein. Geliebt von dem Besten der Menschen, sein Eigenthum mit Seele und Leib. O! mein Herr, mein Herr! rief sie mit brennenden Blicken auf den bleichen Prediger, sehen Sie mich an, hier bin ich. Erkennen Sie ein Kainszeichen auf meiner Stirn? Bin ich eine Ausgestoßene? Verdiene ich die Verachtung der Menschen, verdiene ich den Fluch Gottes? Oder spricht mein Unglück auch zu Ihrem Herzen?!

Gott segne Sie! Gott mache Sie glücklich! sagte Baumgarten, hingerissen von ihrem Schmerz.

Sie wollen sich nicht von uns wenden? Wollen unsere Ehe einsegnen?

Das will ich! Das will ich! antwortete er. Vergeben Sie meine menschliche Furcht und Schwäche, die mich überfiel, als ich daran dachte, welche Folgen eine Entdeckung herbeiführen könnte.

Ihre Augen senkten sich nieder und die Begeisterung in ihrem Gesichte verwandelte sich in Trübsinn.

Warum muß es denn so sein, sagte sie mit einem leisen Seufzer, daß die Gewalt der Gewaltigen mich verfolgt? Niemandem auf Erden habe ich je ein Leid zugefügt, aber auch ich will nicht leiden, will nicht dulden! fuhr sie muthiger fort. Verbirg mich, wo Du willst. Führe mich auf Dein einsames Gut, verleugne mich, ich will warten, bis Du kommst und mich zu Ehren bringst.

Eben traten die Zeugen herein. Dorothee und ihr Mann folgten dem alten Sebastian. Die Frau hatte eine reine Schürze vorgebunden und ihre Haube gerade gerückt, der Mann, mit einem ehrlichen, anstelligen Gesicht, sein spärliches Haar glatt gekämmt und seinen langen Sonntagsrock angezogen.

Meine lieben Freunde, sagte der Major, der ihnen entgegen ging, Euch ist es bekannt, wie innig ich Eurem Fräulein zugethan bin. Jetzt will ich mich mit ihr trauen lassen, Ihr sollt als Zeugen zugegen sein, vor der Hand jedoch darf Niemand Etwas davon erfahren; also bitte ich Euch, was Ihr seht und hört als Geheimniß zu bewahren.

Der Mann verbeugte sich und versprach es, seine Frau faltete die Hände und weinte Freudenthränen, als das Fräulein zu ihr lief und ihr um den Hals fiel.

O! du lieber Vater im Himmel, schluchzte sie, o, daß ich das erlebe! Mein Herzchen, mein Lämmchen! ich habe es immer gedacht und oft zu dem Christian da gesagt, es wird doch dahin kommen, sie werden ein Paar werden, denn anders kann es ja nicht sein, wie auch die vornehmen Herrschaften darüber schreien mögen.

Nein, anders kann es nicht sein, gute Dorothee, erwiederte Herr von Neuendorf, und indem er die Hand seiner Braut ergriff, fügte er hinzu: Jetzt, Herr Pastor, macht's kurz und gebt uns zusammen.

Der Prediger trat vor den Tisch, auf welchem die Kerzen brannten. Er las die Trauformeln und die Gebete. Die Ringe wurden gewechselt, der Segen über das junge Paar gesprochen. Nach einer Viertelstunde waren sie Mann und Frau.


V.

Drei Tage darauf befand sich der König auf der Wachtparade im Kreise seiner Generäle und Offiziere, mit denen er vertraulich umging. Er war besser gelaunt, als seit langer Zeit, denn die Gicht hatte seine Beine vollständig verlassen, er fühlte gar Nichts mehr davon. Daher sollten denn auch bald die großen Jagden bei Wusterhausen beginnen, dem Jagdschlosse, eine Meile von der Hauptstadt, das ihm schon als Kronprinz von seinem Vater geschenkt worden war, um seinem Lieblingsvergnügen dort genugthun zu können. Eine ungeheure Zahl Hirsche und Wildschweine wurden dort jährlich erlegt, wochenlang verweilte der Hof in Wusterhausen. Die Königin und die königlichen Kinder mußten mit hinaus, die Prinzen mußten jagen, die Prinzessinnen ihre erlauchte Mutter in Wagen auf die Wildstände begleiten. Es war ein Familienfest, bei dem Keiner fehlen durfte, und worüber sich Jedermann freuen mußte. Auch die Minister mußten hinaus und ihre Vorträge halten, die Generäle und die Stabsoffiziere wurden eingeladen, nur wen der König nicht leiden konnte, blieb davon ausgeschlossen.

Der König theilte auf der Wachtparade die Meldungen mit, welche ihm von seinem Hofjägermeister über den Wildstand und dessen Prachtstücke gemacht waren. Es wimmelte von feisten Zwölf- und Sechszehnendern und von gewaltigen Ebern und Sauen, die im Saugarten zusammengetrieben wurden. Bei der Masse rüstiger Nimrod's erregten die Aussichten auf reiche und ausgezeichnete Jagdbeute lebhaften Beifall, der dem Könige wohl gefiel. Seine launigen Anreden und Aufmunterungen riefen Lust und Gelächter hervor. Die blauen, runden Augen des Monarchen funkelten nach allen Seiten, sie sahen Alles und bemerkten Alles, und daß ihnen Nichts entgehen konnte, war eine Eigenschaft, auf welche der König besonders stolz war. Er sah den offenen Knopf an der Stiefelette des geringsten Soldaten sowohl, wie die Falte in der Binde eines Generals. Der Minister war so wenig sicher vor der Entdeckung einer Nachlässigkeit im Dienst, wie der Thorschreiber. Diese unruhigen Augen leuchteten überall, ihrem durchdringenden Feuer konnte Niemand entgehen, das Heimlichste war vor ihnen nicht heimlich genug.

Mitten in seinen Gesprächen und Scherzen wandte der König verschiedentlich den Kopf, als suche er nach Jemand, und plötzlich entdeckte er den Major von Neuendorf, der so entfernt als möglich sich in die hintersten Reihen des weiten Kreises gestellt hatte. Sogleich rief der König ihn heran, und sein Gesicht erhielt einen spöttischen Ausdruck, als der Major vor ihm stand, nach der Sitte die eine Hand an seinen Hut gelegt, die andere mit dem Stock von sich abgestreckt.

Wie sieht Er denn aus? fragte der König. Ist Er krank?

Nein, Majestät.

Er studirt gewiß zu fleißig. Er sieht so aus, als könnte Er nicht schlafen. Was thut Er denn des Nachts?

Was Ew. Majestät thun, antwortete der Major.

Das ist nicht wahr, fuhr der König gut gelaunt fort. Er arbeitet an absonderlichen Werken. Es soll ja das Licht bei Ihm oft bis an den Morgen brennen. Macht Er Verse?

Die harten, rothen Gesichter der Generale verzogen sich zum Lachen. Der Major konnte den Unmuth nicht unterdrücken.

Ich thue Nichts, sagte er, was ich nicht thun dürfte.

Man sachte! rief der König, wir glauben es Euch auf's Wort, Major, aber Ihr kommt dabei herunter. Es ist eine Schande, wie schlottrig die Uniform sitzt. Ihr müßt in's Freie hinaus, durch Regen und Wind, bei Nacht und Nebel, damit das Mark wieder in Euren Knochen wächst. Darum sollt Ihr nach Wusterhausen auf die ganze Jagdzeit, und ich will Euch bei mir behalten, damit Ihr nicht echappiren könnt.

Diese Einladung des Königs rief neue Lustigkeit bei den Offizieren hervor, welche wohl wußten, wie wenig ihr wissenschaftlich gebildeter Kamerad sich aus den Jagden und Jagdfesten machte, bei denen gewaltig geschmaust und gezecht wurde, oft bis tief in die Nacht hinein. Aber ihre Gesichter wurden schnell wieder ernsthaft, als sie die Antwort des Majors hörten. Statt unterthänigst für die Gnade zu danken, und wohl oder übel in den Apfel zu beißen, sagte dieser:

Mit Eurer Majestät allergnädigster Permission wage ich zu bitten, mich entschuldigen zu wollen.

Er will nicht nach Wusterhausen kommen? fragte der König. Er soll kommen!

Wenn Ew. Majestät allergnädigst hören wollten, was ich zu erbitten habe.

Der König sah unwillig und gereizt aus. Plötzlich schien ihm Etwas einzufallen, und sein strenges Gesicht heiterte sich auf. Gut, sagte er, indem er sich umwandte und den Kreis verließ. Er kann mich begleiten und mir sagen, was Er will. Wie steht es mit Seiner heimlichen Geliebten? Ist Er mit ihr in Richtigkeit? Will sie Ihn nicht fortlassen?

Das ist eine Affaire, Majestät, mit der ich nicht weiter komme, wie ich bin, erwiederte Herr von Neuendorf.

So schlage Er sich die Flausen aus dem Kopf! rief der König, und komm' er nach Wusterhausen, da giebt's hübsche Mädchen genug, mit denen kann Er tanzen und ihnen die Cour machen. Da ist das Fräulein Hake, die will ich Ihm verschaffen, die hat Geld und ist eine angenehme Person, beinahe so lang, wie Er selbst ist. Ich habe an Euch gedacht, fuhr er vertraulich fort, und mit der Königin darüber gesprochen, die meiner Meinung ist.

Ich danke Ew. Majestät für so viele Gnade, sagte der Major im entschlossenen Tone, zur Lust mit jungen Damen habe ich jetzt keine Zeit.

Wozu bat Er denn Zeit?

Ich habe mit meiner Erbschaftsangelegenheit zunächst zu thun und allerlei Aerger.

Ist Sein Bruder angekommen?

Ja, Majestät. Er ist heut angekommen und unzufrieden mit dem Testamente unseres Onkels.

Das glaube ich wohl, lachte der König. Er hat das Meiste bekommen, Sein Bruder wenig.

Ich will gern thun, was Recht ist, sagte der Major, zunächst aber doch selbst nach meiner Erbschaft sehen und darum Ew. Majestät bitten, mich gnädigst beurlauben zu wollen, um Ordnung zu stiften.

Ordnung stiften und nach dem Rechten sehen waren für den Monarchen zu angenehme Worte, um ihren Eindruck zu verfehlen. Er war selbst ein viel zu guter und strenger Haushalter, um sich nicht darüber zu freuen. Aufmerksam hörte er daher zu, was der Major ihm über die Verwirrungen und Vernachlässigungen mittheilte, welche während der Krankheit und nach dem Tode seines Oheims eingerissen seien, daß die Kammer die Stempeltaxe gezahlt haben wolle, daß Pächter da wären, die ihre Pflichten nicht erfüllten, und daß die Unterschleife und Diebereien untersucht werden müßten. Er war mit dem Eifer des Majors zufrieden und lobte ihn dafür.

Den Urlaub sollt Ihr haben, sagte er, wie lange denkt Ihr fortzubleiben?

Während des Winters, meinte der Major, hat ein Soldat wenig in der Garnison zu versäumen.

Nein, Herr, lachte der König, es giebt diesmal doch noch andere Dinge für Euch zu thun. Bis zu den Frühlingsmanövern kann ich Euch nicht missen, nach Neujahr müßt Ihr wieder hier sein. Im Januar sollen Hoffeste und Bälle stattfinden. Mein Sohn, der Flötenbläser, soll tanzen. Da muß Er auch dabei sein, und ich will Ihn mit der Hake zusammenbringen. Die soll Er heirathen, Major Neuendorf, die paßt für Ihn. Also richt Er sich danach, und jetzt reist in Gottes Namen und jagt die Spitzbuben und Betrüger aus Eurem Hause. Die Canaillen sollen hängen, übergebt sie nur dem Gericht.

Mit diesem gnädigen Bescheide war der Major entlassen, in dessen Gemüth die letzten Befehle des Königs geheimes Bangen wach riefen, welches jedoch, von dem, was er glücklich erreicht hatte, besänftigt wurde. Er hatte drei Monate Zeit gewonnen, was konnte darin nicht geschehen, und wenn der Januar kam, gab es mancherlei Ausflüchte, um den Hoffesten zu entgehen. Diese Vorstellungen würden jedoch noch besser gewirkt haben, wenn der Herr von Neuendorf nicht in dem Augenblick, wo er den König verließ, Etwas bemerkt hätte, was seine Gemüthsunruhe erneute.

Der König hatte ihn bis an seinen Palast mitgenommen, und dort stand an einem Fenster des Rathszimmers der Generalauditeur von Katsch, welcher die Unterredung des Königs mit dem Major beobachtete. Als Herr von Neuendorf den Minister erblickte, überfiel ihn ein eigenthümliches Erschrecken. Das Herz des tapferen Offiziers fing an zu schlagen, er, der sich vor den Bajonetten und Kugeln der schwedischen und französischen Grenadiere nicht gefürchtet, fürchtete sich vor dem hohlen, bleichen Gesicht des dürren Ministers und vor dessen stieren Blicken, die sich, wie es ihm vorkam, mit einem schrecklichen, spöttischen und boshaften Ausdruck auf ihn hefteten.

Er konnte dies Gesicht auch nicht sogleich wieder los werden; es fiel ihm immer wieder ein, als er zur Wachtparade zurückkehrte, wo er den General Dönhof aufsuchte, um ihm mitzutheilen, daß der König ihn beurlaubt habe. Mehrere Offiziere gesellten sich dort zu ihm, man umringte und beglückwünschte ihn, daß er so hoch in des Königs Gnade stehe; einige Generale und Obersten, welche den Major besonders schätzten, befragten ihn über seine Reise und seine Erbschaft, und endlich trat noch ein Herr in den Kreis der Offiziere, welcher mehrere unter diesen freundschaftlich begrüßte, und eben so freundlich mit lautem Willkommen und Handschütteln empfangen wurde.

Meiner Treu! rief Einer aus, da ist der tolle Neuendorf! Er sieht aus wie das ewige Leben!

Der Major sah sich um und erblickte seinen Bruder. Der kräftige, breitschultrige Hauptmann außer Dienst war nicht so hoch gewachsen wie der Major, aber es war eine noch markigere Gestalt als jener. In seinem halb militairisch geschnittenen Rock mit hohem Kragen, an den Beinen hohe Stiefeln von gebranntem Leder mit großen Sporen, auf dem Kopf einen dreispitzigen, aufgeschlagenen Hut mit einer Tresse, war der Soldat nicht zu verkennen. Sein Gesicht war roth und roh, mit ursprünglich regelmäßigen und selbst männlich schönen Zügen, aber ein wildes Leben und heftige Leidenschaften hatten darin gewirthschaftet. Seine funkelnden, röthlichen Augen, seine lebhafte Sprache und die Heftigkeit seiner Bewegungen bezeugten, daß seine Gemüthsart sich schwerlich geändert hatte, und Niemand befand sich in diesem Kreise, der nicht wußte, daß dieser verabschiedete Werbeoffizier durch seine List und seine Gewalt beim Einfangen von Rekruten in anderer Herren Ländern einen gefürchteten und bewunderten Ruf sich erworben hatte.

Der Hauptmann erzählte lärmend und lachend seinen alten Freunden, daß er gekommen sei, um seine Erbschaft in Empfang zu nehmen, bei dieser Gelegenheit aber auch in den König dringen werde, ihn wieder anzustellen. Der Teufel solle alle verdammten Ohrenbläser reiten, die ihn verleumdet hätten, und mit einer Reihe von Flüchen, welche damals so üblich waren, betheuerte er, daß er sich Recht verschaffen werde.

Was hast Du denn Neues mitgebracht? fragte Einer der Offiziere.

Neues Nichts, es bleibt Alles beim Alten, versicherte der Hauptmann. Aber einen unermeßlichen Durst habe ich mitgebracht, und heut Abend wollen wir ihn stillen.

Ich lade Euch Alle dazu, wer kommen will, soll kommen sein. Wir müssen einmal wieder beisammen sitzen wie früher und lustig mit den Gläsern klappern.

Wo wohnst Du denn? fragten Mehrere.

Bei meinem Bruder, lachte der Hauptmann. Was hier, was da! Die Heiligen sind auch keine Filze, wenn die Geldsäcke ihnen in's Haus fallen. Mein alter Onkel wird wohl so viel übrig gelassen haben, um uns satt zu machen.

Ihr werdet Eure Noth bekommen mit Eurem Bruder, sagte der General Dönhof zu dem Major.

Darum, Excellenz, möchte ich womöglich morgen schon reisen, erwiederte dieser.

Das mögt Ihr thun, Herr von Neuendorf, auf Euren Weg! Haltet das wilde Volk heut Abend in Ordnung. Ihr seid mit Eurem Ansehn und Eurer Ruhe der rechte Mann, daß keine Excesse begangen werden.

Nach einigen Abschiedsworten ging der Major zu den Offizieren, welche seinen Bruder umstanden. Den meisten schien es äußerst ergötzlich, daß in der Wohnung des Eremiten, wie sie spottend den Verächter aller Gelage nannten, ein scharfes Trinken gehalten werden sollte. Jetzt kam dieser Eremit selbst; doch statt seinen gewöhnlichen Ernst geltend zu machen und sich aus Schlinge zu ziehen, lud auch er die Herren ein, seines Bruders Aufforderung zu folgen, und einen frohen Abendschmaus bei ihm zu halten. Ohne Zweifel blieb dem Major von Neuendorf doch nichts Besseres übrig, als gute Miene zu solchem Spiel zu machen, und da er einige Stabsoffiziere zu dem Gelage zog, konnte er hoffen, diesem dadurch eine gemessenere Haltung zu geben, wenigstens Scenen zu vermeiden, die sonst wohl vorkamen und mit Unfug aller Art, Excessen, wie der alte General Dönhof sagte, endeten; dergleichen aber haßte der König und bestrafte sie mit rücksichtsloser Strenge.

Der Major nahm endlich seinen Bruder unter den Arm und führte ihn fort, und die Offiziere zerstreuten sich, nachdem manche von ihnen noch ihre Bemerkungen über das ungleiche Paar gemacht hatten. Der Eine, ein Muster von strenger Schicklichkeit, der Andere ein heftiger, regelloser Wildfang. Dieser stolz, ruhig und jeder Ausschweifung entgegen, Jener allen übeln Lastern zugethan, welche der Adel der damaligen Zeit eher als etwas Ehrenhaftes, denn als Sünde betrachtete. Bei alledem waren denn doch die Allermeisten nicht sowohl die Bewunderer des Capitains, der so viele tolle Abenteuer erlebt und aus zahllosen gefährlichen Lagen sich glücklich befreit hatte, wie sie sich darauf freuten, eine Menge lustiger und wilder Geschichten zu hören, die der schlaue Werbeoffizier erzählen konnte. Daß dieser über seinen Bruder spottete, hatte er bewiesen, es mußte also jedenfalls ein luftiger Abend werden, und Wenige waren darunter, die nicht aus der einen oder anderen Ursache gern dabei waren.

Während aber die Herren von der Wachtparade des Regiments Dönhof sich mit dem Major von Neuendorf beschäftigten, geschah dies auch im Palaste des Königs, nur in etwas anderer Manier. Als der König Degen und Feldbinde abgelegt hatte, befahl er dem Minister von Katsch hereinzutreten, den er im Rathssaale wartend gefunden. Der König befand sich noch immer in seiner guten Laune. Er hatte den Major vergessen und dachte an seine Jagden in den Wäldern von Wusterhausen. Er setzte sich auf seinen Holzschemel, kreuzte die Beine, nahm ein Blatt Papier und schrieb darauf mit Schriftzügen, welche wenige sterbliche Menschen enträthseln konnten, wie viel Ungarwein, Rheinwein und französischen Wein sein Kellermeister nach Wusterhausen schaffen sollte, indem er sich dabei zugleich einen Ueberschlag machte, was ihm die Jagd diesmal wohl kosten könne, wenn so und so viele Hirsche und Wildschweine getödtet würden, welche letztere die Juden kaufen und bezahlen mußten, da sie ihnen sonst in ihre Häuser geworfen wurden.

Der König rechnete ruhig weiter, als sein Minister für die Criminaljustiz hereintrat.

Seid Ihr da, Herr von Katsch? fragte er, ohne aufzublicken. Ich hab' Euch gestern und heut' nicht gesehen.

Ich hatte viele Geschäfte, Majestät, antwortete der Minister.

Die habe ich immer, fuhr der König fort. Ihr habt bloß ein Departement zu regieren, ich den ganzen Staat und muß Tag und Nacht alert sein, daß die Spitzbuben und betrügerischen Canaillen mir nicht die Haare vom Kopf stehlen.

Und trotz aller Ihrer Wachsamkeit können Sie sich doch nicht vor abgefeimten Betrügern sichern, sagte der Minister mit seiner scharfen, pfeifenden Stimme.

Ich kriege Alles heraus, es bleibt mir Nichts verborgen! rief der König. Wenn's die Hallunken auch noch so fein anfangen, ich fasse sie doch endlich und dann bekommen sie ihren Lohn.

Aber das dauert zuweilen lange, sagte Herr von Katsch.

Der König sah auf.

Was meint Er damit? fragte er.

Es giebt Betrüger, Majestät, fuhr der Minister fort, die den Schlangen gleichen, welche man im Busen nährt. Auch der allervorsichtigste Fürst glaubt nicht, daß solche Schelme möglich sein können.

Meint Er mich? fiel der König ein. Ich will's wissen, was Er auf dem Rohre hat.

War das nicht der Major von Neuendorf, der Er Majestät bis an das Palais begleitete? fragte der Minister.

Was hat Er mit dem Major zu thun? antworte der König weiter rechnend.

Ich für meine Person eigentlich gar Nichts; allein ich möchte von Ew. Majestät erfahren, was dieser Herr gewollt hat, ehe ich weiter mich über ihn auslasse.

Urlaub hat er gewollt und ihn erhalten, sagte der König.

Wohin?

Auf seine Güter zu reisen und sich die Spitzbuben da vom Halse zu schaffen.

Auf wie lange geht er fort, Majestät?

Bis die Hoffeste im Januar anfangen, dann kommt er zurück und soll die Hake heirathen.

Bei dem feinen, pfeifenden. Lachen des Ministers blickte der König wiederum ärgerlich auf.

Was lacht Er denn? fragte er.

Es ist sehr pfiffig angefangen.

Was ist pfiffig angefangen?

Der Betrug.

Der König warf die Feder fort und stand auf. Wie ein Löwe, der den Schrei eines Zebras hört, drang das Wort Betrug in sein Ohr und erweckte seine Begierden und seinen Zorn.

Wer hat mich betrogen? fuhr er auf den Minister ein.

Er wird entweder gar nicht wiederkommen, sagte dieser gelassen, oder aber andere betrügerische Machinationen vorspiegeln.

Wer? Der Major von Neuendorf? Wie kann Er das behaupten?

Auf keinen Fall wird er das Fräulein von Hake heirathen.

Nicht heirathen? Er soll sie heirathen! Warum glaubt Er, daß der Major nicht pariren wird?

Weil ich glaube, daß er schon verheirathet ist.

Der König schien Lust zum Lachen zu haben, unterdrückte es aber und runzelte seine hohe Stirn. Wenn ich nicht wüßte, sagte er darauf, daß er ein ernsthafter Mann ist, so würde ich denken, Er sei ein Narr geworden.

Herr von Katsch achtete darauf nicht, der König drückte sich gegen seine Minister eben so kräftig aus, wie gegen andere Leute.

Sie wissen, Majestät, erwiederte er, daß ich nichts sage, wozu ich nicht Grund zu haben glaube.

Aber woher nimmt Er seine Gründe? fragte der König unwillig.

Erinnern Sie sich, Majestät, daß Sie mir den Auftrag ertheilten, den Major beobachten zu lassen?

O, richtig! Also seine Spione haben Ihm das erzählt.

Ich kann mich auf das, was ich berichte, verlassen, sagte Herr von Katsch. Der Major von Neuendorf hatte den Prediger Baumgarten aus Halle, der des Socianismus verdächtig ist –

Dummes Zeug! fiel der König ein.

In dem schwarzen Adler einquartiert, fuhr de Minister fort, wo er Nachmittags einen Brief des Majors empfing, den dessen alter Bedienter ihm brachte. Der Major blieb zu Haus, bis es spät wurde, dann ging er aus, und nach längerer Zeit ging auch der alte Bediente aus. Die Lichter in des Majors Zimmer blieben jedoch brennen, und wie in Erfahrung gebracht wurde, ist dies sehr häufig seit langer Zeit schon so gewesen. Während man glaubte, der Major von Neuendorf sitze und studire bis in die Nacht hinein, war er weit davon.

Wo war er?

Er begab sich in ein entlegenes Haus, in der Nähe des neuen Thores, wählte aber dazu den wüstesten Weg und stand oft still, nach allen Seiten umschauend, ob er nicht verfolgt oder beobachtet würde. Endlich schlüpfte er in das Haus, das ihm auf sein Klopfen geöffnet wurde, und nach einiger Zeit brachte der alte Bediente auch den Pastor aus Halle dahin. Der Wirth vom schwarzen Adler hatte bemerkt, daß derselbe seinen Chorrock angezogen und ein schwarzes Buch in die Tasche gesteckt hatte. In seinem Zimmer ist er mehrmals in großer Unruhe umhergelaufen, und man hat allerlei verdächtige Worte gehört, die seine Angst anzeigten.

Wer wohnt in dem Hause?

Unten wohnt ein Weber mit seiner Frau, oben aber ein lediges Frauenzimmer.

Metze! schrie der König.

Nein, sagte der Minister, sie ist nicht von der Art gewöhnlicher Weibsbilder von schlechtem Ruf.

Wer ist sie? fragte der König ungeduldig.

Es ist dies ein Fall besonderer Art, Majestät. Dies junge Frauenzimmer hat, wie ich glaube, schon seit Jahr und Tag Bekanntschaft mit dem Major von Neuendorf. Er hat sich ihrer angenommen und heimlich für sie gesorgt, wohl in der Absicht, sie später zu heirathen.

Halt Er nicht länger hinter dem Berge! rief der König. Ich will wissen, wer sie ist.

Sie ist die hinterlassene Tochter des Barons von Heidekamm, sagte der Minister, als welcher – dieser Verbrecher –

Er hielt inne, denn sein Gebieter ließ ihn nicht fortfahren. Die jähzornige Wuth überkam den Monarchen, in welcher er zu den gewaltsamsten Handlungen geneigt war. Seine Stirnadern schwollen auf, sein Gesicht wurde dunkelroth. Er griff nach seinem schweren Stock, als wollte er um sich schlagen. Der Name hatte ihn berührt, als würde er von einem giftigen Thiere gestochen.

Hierher auf der Stelle! schrie er, der Major soll geholt werden. In's Spinnhaus soll die Vettel, und wenn er sie wirklich geheirathet hat, lass' ich ihm von dem Profoß die Uniform vom Leibe reißen.

Der Minister hielt den ganzen Sturm aus, ohne ein Wort zu erwiedern, erst als der König inne hielt und einen der wachthabenden Offiziere rufen lassen wollte, den Major herbeizuschaffen, begann er seine Einwände.

Uebereilen Sie Nichts, Majestät, sagte er, noch sind nicht alle Fäden in meiner Hand; die Wahrheit muß zunächst unleugbar feststehen. Hat Herr von Neuendorf wirklich diese Ehe geschlossen, so können Ew. Majestät nicht viel dagegen einwenden.

Wie? rief der König mit neuem Zorn. Er hat mich belogen und betrogen, hat ohne meine Erlaubniß heimlich eine Person genommen, die ich nicht mit den Füßen von mir stoßen möchte.

Sie können ihn dafür kriegsrechtlich bestrafen lassen, Majestät, erwiederte der Generalauditeur, und wenn Sie wollen, ihn aus dem Dienst jagen; die Ehe aber ist jedenfalls giltig und wenn auch heimlich geschlossen, wenn auch strafbar für den Prediger, der sich dessen unterfing, so doch nicht leicht aufzulösen.

Ich kann Alles, was ich will! schrie der König mit dem Stocke aufschlagend. Ich bin der erste Bischof der Landeskirche; ich will befehlen, daß sie für Null und Nichts erklärt wird.

Dann bleibt den Getrennten übrig, sich anderswohin zu begeben, um sich von Neuem trauen zu lassen.

Laßt ihn das wagen!

Ich zweifle nicht daran, daß der Major von Neuendorf Alles wagt, fuhr Herr von Katsch fort. Es ist ein Mann, der bewiesen hat, wie wenig er seines Königs Willen respectirt, andererseits aber weiß er auch gut genug, daß er Vieles wagen darf, da er bei Eurer Majestät so gut angeschrieben steht.

Der Zorn des Königs war im Verrauchen, und Herr von Katsch hatte das rechte Mittel nicht angewandt, um ihn noch mehr aufzudringen. Der König dachte daran, daß der Major wirklich hoch in seinem Wohlwollen stand, er fühlte daher mehr Schmerz als Aerger über seinen Ungehorsam.

Wenn es eines Bettlers Tochter wäre, sagte er halb vor sich hin, so wollte ich ihm verzeihen. Vielleicht ist sie schön und gefällt ihm besser als alle Anderen, aber die Tochter eines verfluchten Verräthers soll er nicht nehmen, und wenn es wahr ist, Katsch, wenn Er Recht hat, so will ich alle diese Betrügereien bestrafen; mögen die Rechtsverdreher schreien, so viel sie Lust haben. Ich bin Herr im Lande, und nach meinem Willen muß es doch gehen!

Der König fragte allerdings nicht nach den Gesetzen bei seiner Cabinetsjustiz, allein es gab doch viele Fälle, wo die Vorstellungen seiner Minister nicht fruchtlos blieben. In diesem Falle mochte der rechtsgelehrte Generalauditeur wohl bedenken, daß, wenn der Major wirklich cassirt würde, unter den hohen Generalen selbst manche Fürsprecher aufstehen würden. Zugleich war er seiner Sache doch keineswegs völlig gewiß, und wie er auch der Gnade seines Herrn sicher war, die ihn lange Jahre begleitete, eine falsche Anklage gegen einen ehemaligen Liebling hätte doch üble Früchte tragen können. Der harte und boshafte Charakter des Ministers wurde genugsam und von Vielen verdammt. Der König allein achtete und liebte diese unbestechliche Gewissenhaftigkeit, wie er es nannte, und diese rasche, nie rastende, unermüdliche Thätigkeit, welche jedem Uebelthäter wie das Schwert in Nacken saß.

Herr von Katsch wollte den Major verderben, denn dieser hatte ihn beleidigt, und eine Beleidigung vergab der hochfahrende Mann nie, aber er wollte sicher gehen, darum bat er den König dringend, nur bis morgen warten. Bis dahin werde er völlig im Klaren sein, Sr. Majestät die bündigsten Beweise vorlegen und alle Anstalten treffen, daß die verbrecherische, leichtsinnige Person ihren gerechten Lohn bekommen könne.

Der »gerechte Lohn« erregte das Wohlgefallen des Königs; es war ein Ausdruck, den er besonders liebte. Alles, was er befahl, war gerechter Lohn; er die Fackel der Gerechtigkeit, der Statthalter Gottes auf Erden, in dessen Namen und nach dessen Geboten er ein strenger und unerbittlicher Richter gegen alle Sünder blieb. Nach kurzem Bedenken bewilligte er daher, was sein Minister begehrte.

Gut, sagte er, zieht ihnen die Schlingen über die Köpfe, aber seht Euch vor, daß sie nicht entwischen. Ihr seid mir verantwortlich, daß der Major mit dieser Person nicht etwa echappirt. Nehmt sie Beide fest, wenn es nicht anders geht; morgen will ich ihn hier verhören und curiren; mit dem Weibe aber macht keine Umstände. Wenn sie nicht gutwillig ihr verfluchtes Spiel aufgiebt und den Major frei läßt, damit er die Hake heirathen kann, so soll sie gepeitscht und gestäupt werden, und dann in's Spandauer Spinnhaus mit ihr. Da kann sie bis an ihr Lebensende Wolle spinnen, Platz genug ist für sie da!


VI.

Am späten Abend saß der Webermeister Christian Kästner allein in seiner Wohnstube bei der kleinen Lampe. Der Webebaum, der in seiner schwieligen Hand den ganzen Tag über auf und nieder geflogen war, ruhte jetzt von dem langen Geklapper aus, und der Meister saß an dem großen eichenen Klapptisch, auf welchem die Reste seiner Abendmahlzeit noch standen. Vor sich hatte er ein halb geleertes Deckelglas schaumigen Hausbiers und im Munde hielt er eine kurze Thonpfeife, aus welcher er rauchte. In dem narbigen, alten Juchtenstuhl saß es sich bequem und weich, und behaglich schaute der Meister in das röthliche Lampenlicht und versenkte sich in Gedanken, die sein freundliches Grinsen wohl erklären konnten.

Es ist gut, daß sie morgen fortreist, murmelte er, und noch besser, wenn sie gar nicht wieder kommt. Es ist ein liebes, gutes Fräulein – oder jetzt vielmehr Frau – ich habe Nichts dagegen, aber Dorothee kann sagen was sie will, es ist doch ein unheimlich Ding damit. Sind sie fort, so ist es gut, so haben wir Nichts mehr damit zu schaffen. Dankbar wird sie uns bleiben und der Major auch. Der hat Geld, viel Geld, und ein Knicker ist er auch nicht. Wenn Dorothee wollte –

Hier wurde der Monolog des Meisters von einem leisen Klopfen an dem Fensterladen unterbrochen, daß er aufsprang und horchte.

Meiner Seele! sagte er, da ist er! Er wollte ja aber nicht kommen, sagte Dorothee, weil er Gesellschaft bei sich hat, nun ist er doch da! Der ist viel zu verliebt, daß er es aushalten könnte. Gleich! Gleich! solche Leute haben kein Warten gelernt.

Mit dieser Bemerkung eilte der Meister auf die Hausflur, wobei er die Stubenthür offen ließ, damit der Lichtschein ihm leuchten möge, und schob den Riegel zurück.

Guten Abend, gnädigster Herr Major! sagte er beim Oeffnen. Na, die gnädige Frau wird eine große Freude haben!

Das denke ich auch, antwortete der Herr, welcher hereintrat.

Im Augenblick bemerkte der Meister an Gestalt und Stimme, daß es ein Fremder sei; ehe er jedoch seine Bestürzung bewältigen konnte, fuhr der Herr fort:

Halt Er Sein Maul! Keinen Laut geb' Er von sich. Hier herein mit Ihm, und rühre Er sich nicht, oder es geht ihm schlecht.

Ein fürchterliches Zittern kam über den Weber. Der Herr war in einen langen Regenrock mit kurzem Kragen gehüllt, von der Art, die man Roquelor nannte. Er trug einen Tressenhut, den er tief in's Gesicht gedrückt hatte, und hielt in der Hand ein Rohr mit großer, goldiger Krücke. Vor ihm allein würde sich der Meister wohl nicht allzu sehr gefürchtet haben, aber er kam mit einem Gefolge von handfesten Kerlen in blauen Uniformsröcken, Pallasche um den Leib und blanke Schilder an den Mützen. Das war der Profoß mit seinen Gehilfen, und wie er den erkannte, zitterte der Weber, daß ihm die Zähne klapperten, so daß er kaum ein Wort hervorbringen konnte, als der hohläugige Herr sein scharfes Gesicht vorstreckte und mit eben so scharfer Stimme fragte:

Kennt Er mich?

Nein! – nein! stotterte der Weber.

So will ich es Ihm sagen. Ich bin der Generalauditeur von Katsch. Im Namen des Königs befehle ich Ihm, die volle Wahrheit zu gestehen.

Eine unermeßliche Angst ergriff den armen Mann. Der Name Katsch war schrecklich genug. Der Name des Königs aber noch zehnmal schrecklicher. Er konnte kaum seine Hände falten und die in Silben und Buchstaben gebrochenen Worte: Gnade! Gnade! hervorbringen.

Das wird davon abhängen, ob Er aufrichtig beichtet, antwortete der Minister, sonst nehme Er sich in Acht. Wer wohnt hier oben bei Ihm?

Das – die – das Fräulein von Heidekamm.

Er lügt! fiel Herr von Katsch ein. So hat die Person früher geheißen, jetzt heißt sie anders. Wie nennt sie sich jetzt?

O! – o, seufzte der Weber. Der gnädigste Herr weiß es also schon.

Ich will es von Ihm hören. Will Er antworten! Wie heißt sie?

Ja, ach! gleich, gleich, allergnädigster Herr, – sie heißt – sie heißt – anders heißen kann sie jetzt nicht,, als Frau – Frau Majorin von Neuendorf.

Die Augen des Ministers leuchteten.

Hier ist die Trauung gewesen, fuhr er fort, in Seinem Hause hat das Verbrechen stattgefunden. Er sieht, ich weiß Alles. Der Pastor Baumgarten aus Halle ist dazu hierher gebracht worden. Wer sind die Zeugen gewesen?

Meine Frau, stotterte der Weber, ich – ich und der alte Sebastian.

Warum hat Er keine Anzeige gemacht?

Oh, mein hochmächtigster Herr, flehte der Weber, wir – wir sind arme Leute, und Dorothee – sie hat – sie ist – die gnädige Frau –

Wo ist sein Weib? fragte Herr von Katsch.

Oben, bei der jungen Dame.

Was thut sie da?

Sie hilft – hilft einpacken.

Ah, sagte der Minister mit einem Lachen in den tiefen Falten seines Gesichts, sie will den Major begleiten.

Morgen früh, half der Weber ein. Der Herr Major wollte einen Wagen schicken. Sie wollen Beide abreisen.

Der Minister schien einen Augenblick nachzudenken, dann sagte er:

Leuchte Er mir.

Dienstfertig nahm der zitternde Meister die Lampe und leuchtete seinem schrecklichen Gast die Treppe hinan. Der Profoß hatte das Haus wieder verriegeln lassen, zwei seiner Leute blieben unten stehen, die anderen folgten mit ihm ihrem Gebieter nach.

Welches ist die Thür? fragte Herr von Katsch.

Der Weber deutete auf den mittlern Eingang, der Minister blieb horchend davor stehen. Er hörte eine helle Stimme sprechen, dann ein helles Lachen.

Was Du nicht Alles einpacken willst, Dorothee, rief die Stimme. Fort mit dem fatalen Gesicht! Aus welchem Winkel hast Du es hervorgeholt? Dieser Mann ist einmal ein Freund meines armen Vaters gewesen, nachher wurde er sein Verfolger.

Ah, mein Lämmchen, mein Herzchen! bat Dorothee, seht's nicht weiter an, es macht Euch traurige Gedanken.

Herr von Katsch stieß die Thüre auf. Die er suchte, stand vor dem Tische und betrachtete ein Brustbild, das in einem Futterale lag. Verschiedene offene Koffer und Kasten bedeckten sammt den Kleidungsstücken und anderen Gegenständen den Fußboden.

Als er herein trat, sah Agathe mit freudigem Erschrecken sich nach ihm um, sie hatte einen Anderen vermuthet. Eben so schnell aber erlosch das glückliche Lächeln in ihrem Gesicht und machte einer lähmenden Bestürzung Platz. Dorothee stieß einen schwachen Schrei aus und faltete die Hände vor Schreck.

Was wollen Sie? fragte Agathe mit schneller Fassung.

Der Minister trat ihr einige Schritte näher und sah sie forschend an.

Kennen Sie mich? fragte er.

Agathe zeigte auf das Bild auf dem Tische:

Das sind Sie, war ihre Antwort.

Da bin ich, erwiederte er, und wie von einer Gefühlsregung ergriffen, fügte er hinzu: Ich wollte, daß ich nicht nöthig hätte, mit Ihnen zu sprechen.

Das ist auch mein Wunsch! rief die muthige Frau. Was verschafft mir die Ehre, Sie bei mir zu sehen?

Keine Unbesonnenheit, Fräulein von Heidekamm, sagte der Minister mit seinem gewöhnlichen, kalten und finsteren Wesen, Sie haben deren schon genug begangen.

Und mit welchem Rechte setzen Sie sich als Richter darüber ein?

Mit dem Rechte des ersten und obersten Criminalrichters in diesem Lande, antwortete er.

O, versetzte sie stolz lächelnd, mein unglücklicher Vater hat das genugsam kennen gelernt. Was hat der Herr Generalauditeur mit mir zu schaffen?

Das hohle Gesicht des Herrn von Katsch schien sich noch mehr zusammenzuziehen, seine Farbe noch graubleicher zu werden.

Sie haben eine ungehörige, ungesetzliche Handlung begangen, sagte er. Unterbrechen Sie mich nicht, hören Sie mich an. Nur eine unbedingte Unterwerfung kann Sie vor den Folgen retten. Ihre heimlich geschlossene Ehe mit dem Major von Neuendorf ist ungiltig. Der König wird sie dafür erklären lassen, er will und wird sie nicht dulden. Wagen Sie Nichts dagegen einzuwenden, fliehen Sie vor seinem Zorne; ich selbst –

Meine Ehe ist giltig, fiel Agathe ein. Will man einen Gewaltstreich ausüben, so mag es geschehen, wir werden ihn erwarten. Aber mit welchem menschlichen oder göttlichen Recht kann man dem Herrn von Neuendorf und mir verbieten uns zu verheirathen?

Der König ist Herr über seine Unterthanen, sagte der Minister.

Dann können wir, die wir freie Leute sind, das Land verlassen, wo man uns in unseren heiligsten Rechten verfolgt.

In Ihrem Falle, fuhr Herr von Katsch fort, dürfen Sie nicht vergessen, daß der Major von Neuendorf, des Königs Offizier, schwer gegen seine Pflichten gefehlt, daß er den König belogen und getäuscht hat, und daß die beschimpfendste Strafe ihn treffen kann.

O, mein Gott! rief die junge Frau erbleichend und ihren Kopf senkend fügte sie hinzu: Armer Georg! ich habe ihn also in's Unglück gestürzt.

Was Sie selbst betrifft, begann der Minister von Neuem, so kann die Tochter eines Mannes, der –

Halten Sie ein! unterbrach sie ihn, und ihre Stirn hoch aufrichtend, während ihre Augen sich mit brennenden Thränen füllten, sah sie den hartherzigen Mann gebietend an. Er ist todt! sagte sie. In Verzweiflung und Jammer hat er geendet. Warum verfolgen Sie mich bis in diese letzte Zuflucht meines Lebens? Was that ich Ihnen? Ist es nicht genug an meines Vaters Elend und Schande? Spricht keine Stimme zu Ihnen für mich und mein Unglück?

Das unaussprechliche Leid in ihrem Gesicht und der Ton sanfter Trauer und Klage, in welche ihre Stimme verhallte, rührte den strengen Beamten. Jahre waren vergangen, seit er Nichts von diesem Mädchen gehört hatte. Der Gedanke an sie war ihm unangenehm, er haßte sie, weil er wußte, daß sie ihn hassen mußte; jetzt aber, als sie jung und schön in ihren Schmerzen vor ihm stand mit ihren vorwurfsvollen Klagen und Mahnungen, regte sich etwas in ihm, was er selten empfand: ein Gefühl des Mitleids und der Theilnahme, der Wunsch, ihr zu helfen und ihr Gutes zu thun.

Ich verfolge Sie nicht, sagte er, es ist vielmehr meine Absicht, den Zorn des Königs von Ihnen abzuwenden.

So lassen Sie mich reisen. Er soll nie wieder von mir hören.

Das geht nicht an.

Mein Gemahl ist beurlaubt.

Sie dürfen Beide nicht aus der Stadt, der König will morgen Gericht über ihn halten.

So soll er auch mich hören, auch mich richten! Er soll mich nicht wie einen Wurm zertreten.

Der König darf Sie nicht sehen, sagte der Minister, denn er würde Sie – zertreten. Wenn Ihnen eine Hoffnung bleibt, so ist es die, daß Sie sich verborgen halten. Ich befehle Ihnen, dies Haus nicht zu verlassen, bis ich es Ihnen erlaube. Ich werde Wächter aufstellen, daß es nicht geschehen kann. Ihr eigenes Nachdenken muß Ihnen sagen, daß Sie gehorchen müssen. Sie verderben mit Ungehorsam nicht sich allein, sondern auch den Major von Neuendorf.

Mit diesen Worten wandte er sich um, und machte Miene sich zu entfernen.

Noch einen Augenblick! rief Agathe ihm nacheilend, und seine Hand ergreifend sah sie ihn flehend und bewegt an. Ich will gehorchen, flüsterte sie, und will Ihnen vertrauen. Eine Stimme sagt mir, daß Sie mich beschützen wollen.

Seine Blicke durchforschten ihr Gesicht; eine Minute lang sah er hinein, als lese er in einem Buche der Vergangenheit und der Erinnerungen.

Wir wollen sehen, antwortete er dann, ob ich es vermag. Was geschehen kann, soll geschehen. Ich komme wieder.

In sich gekehrt ging der Minister die langen, öden Straßen hinab. Er war voll unruhiger Gedanken, denn er wußte nicht, wie er die Frau, an deren Unglück er gearbeitet, aus den Gefahren befreien sollte, in welche er sie gestürzt. Dem Könige konnte er nicht verschweigen, was er erforscht, und wie sollte er dessen Jähzorn beschwichtigen, wie endlich wohl gar dem Major und seinem Schützlinge Verzeihung verschaffen? Dies schien ihm ganz unmöglich zu sein, und als einziger Ausweg blieb er immer wieder dabei stehen, daß die Ehe aufgelöst werden, der Major sich des Königs Willen fügen müsse, und um diesen Preis der König dahin gebracht würde, das Fräulein Heidekamm einfach aus dem Lande zu weisen. Es kam darauf an, daß der Major ein offenes Geständniß ablegte und die Gnade des Königs anflehte, daß er einwilligte, diese unbesonnene Ehe zu trennen, und keinen Widerstand gegen des Königs Befehle leistete. Er konnte der unglücklichen Frau eine Entschädigungssumme geben, und sie konnte damit nach Dresden fliehen, wohin Viele damals flohen, die den Zorn des Königs zu fürchten hatten. Der Minister dachte sich diese Vermittlung nicht allzu schwer, wenn nur der Major zur Einsicht zu bringen sei. Morgen in der ersten Frühe ließen sich Anstalten treffen, das ehemalige Fräulein von Heidekamm auf den Weg nach Sachsen zu bringen, und daß der Major dann das reiche, wenn auch nicht eben schöne und rothblonde Fräulein von Hake zur Frau nähme, schien ihm gar der Ordnung.

Aber dieser Major war ein eigensinniger, stolzer Narr, der wahrscheinlich äußerst schwer Vernunft annehmen würde, überdies dachte der Minister noch immer mit großer Abneigung an ihn, und sein rachsüchtiger Charakter verleugnete sich nicht.

Ich weiß nicht, sagte er vor sich hin, warum ich eigentlich mich in die Anlegenheiten dieses ungeschliffenen Junkers mischen soll. Wenn es nicht diese unglückliche Person wäre – Heidekamm's Tochter – und wenn ihr Gesicht und Sprache nicht einen solchen seltsamlichen Eindruck mich gemacht, alte Tage aufgeweckt hätten – so möchte ihm geschehen, was da wollte, mich sollte es Wenig kümmern.

Aber ich will mit ihm sprechen, fuhr er nach einer Weile fort, wenn es möglich ist, noch heut, obwohl Nachtwächter eben zu rufen anfangen. Er wird zu Haus sein und sich zur Reise rüsten, die er nicht antreten soll. Ich werde ihm des Königs Befehl mittheilen, die Stadt nicht zu verlassen, und wenn er sich weigert, sein Ehrenwort zu geben, werde ich ihn verhaften. Dabei kann ich ihm sagen, was ich über seine Lage denke, und was ich in seiner Stelle thun würde. Hier in der Nähe muß seine Wohnung sein.

Er blieb stehen und wandte sich zu seinen Begleitern, welche ihm in einiger Entfernung folgten.

Wo wohnt der Major von Neuendorf? fragte er.

Dort unten in der Straße, Excellenz, in dem Hause, vor dem die Laterne brennt.

Der Minister blieb vor dem Hause stehen. Die Fenster oben waren hell erleuchtet. Mehrere Gestalten bewegten sich hin und her, es schien, als ob viele Stimmen durch einander schrieen. Der Lärm drang in die stille Straße hinab.

Es scheint dort lustig herzugehen, sagte Herr von Katsch.

Die Herren Offiziere vom Regiment werden wohl einen Abschiedsschmaus halten.

Der Minister bedachte, was er thun sollte; die Gesellschaft dort oben kam ihm sehr ungelegen. Während dieser Zeit wurde der Lärm in der Wohnung des Majors noch ärger, er artete in ein wildes Getöse aus. Ein Tisch, so schien es, wurde umgeworfen, zerbrochenes Geschirr und fallende Gläser klangen. Dann entstand eine plötzliche Stille, aber gleich darauf war es, als ob Degen aneinander klirrten.

Alle Wetter! sie haben vom Leder gezogen, brummte der Profoß.

Das wird kein Ernst sein, erwiederte der Minister, da Jedermann weiß, wie streng die Befehle Sr. Majestät sind.

Im Augenblick begann das Geschrei von Neuem. Es mußten viele Menschen dort beisammen sein. Gleich darauf wurde die Hausthür aufgerissen, und ein Mann sprang heraus, zwei andere hinter ihm her. –

Ein Arzt! Den Ersten, den Besten! Reißt ihn aus dem Bette. Her mit ihm, her mit ihm! schrie eine Stimme aus dem Fenster.

Die Hausthür blieb offen. Ein Leuchter mit brennender Kerze stand auf der Treppe. Der Generalauditeur begab sich in's Haus und befahl dem Profoß voranzuleuchten. Je höher er stieg, um so vernehmlicher wurden die Stimmen, und jetzt befand er sich vor einer Thür, die ihm erlaubte, einen Blick in das Innere eines Zimmers zu, werfen, worin die größte Verwirrung herrschte. Hier wurde das nächtliche Fest gefeiert, von welchem noch alle Spuren zeugten. Ein Tisch, mit den Resten von Speise und Wein bedeckt, war zur Seite geschoben, ein anderer kleinerer, auf welchem Flaschen und Gläser gestanden hatten, lag umgestürzt daneben, mehrere Stühle schienen zerbrochen zu sein, und der Fußboden war mit Trümmern und Flüssigkeiten bedeckt. Der Minister übersah diese Verwüstungen mit einem Blick, dann hefteten sich seine Augen auf die Gäste, die munteren Offiziere, welche das Kanapee umstanden, auf dem einer aus ihrer Zahl leblos ausgestreckt lag. Weiter abwärts beschäftigten sich mehrere mit dem Major, der vor sich niederblickend mit finsterem Gesicht und lautlos anhörte, was sie sagten. Herr von Katsch sah ein Paar Degen vor ihm am Boden liegen, mitten in einer dunklen Lache, und er zweifelte nicht, daß dies Blut sei.

Er ist hin! schrie Einer aus dem Kreise, der das Kanapee umstand. Das Blut läßt sich nicht stillen. Schafft den Major fort. Fort, auf der Stelle.

Flieht, Neuendorf! sagte einer der Offiziere, welche bei dem Major standen, indem er ihn am Arm ergriff. Laßt Euer Pferd satteln und reitet, was Ihr könnt, damit Ihr über die Grenze kommt, ehe man Euch einholen kann.

Ich will nicht, antwortete der Major, und ich darf nicht.

Ihr müßt! Ihr müßt! schrieen Mehrere zugleich. Ihr seid verloren!

Ich habe Nichts gethan, als mein Leben gegen einen Wahnsinnigen vertheidigt.

Wir können es Alle bezeugen, aber es war dennoch Euer Bruder.

Gott weiß es! ich wollte ihn nicht verletzen.

Er hat Euch auf niederträchtige Weise beschimpft, aber Ihr müßt Euch dennoch verbergen, sagte ein ältlicher Stabsoffizier. Es bleibt Nichts weiter übrig; geht dem Ungewitter aus dem Wege, bis es ausgetobt hat.

Nein, fielen Andere ein, der Major konnte nicht anders. Kein Kriegsgericht kann ihn verurtheilen.

Hört nicht auf die Wildfänge, mahnten die ernsteren Stimmen. Ihr müßt fort, und wenn's selbst Eure Güter kostet. Sattelt sein Pferd. Schnell, schnell!

Bleibt! rief der Major den Davoneilenden nach. Ich will keinen Schritt thun, mein Schicksal will ich abwarten.

Die nach der Thür gelaufen waren, prallten zurück, denn ihnen entgegen trat der Generalauditeur. Sein Anblick machte, daß Alle verstummten.

Welch' Verbrechen wurde hier begangen? sagte der Chef der Criminaljustiz. Ein Brudermord! Ein Brudermörder!

Schweigen Sie! schrie der Major von Neuendorf empört. Ich hoffe bessere und gerechtere Richter zu finden, als Sie sind.

Im Namen des Königs verhafte ich Euch, Major von Neuendorf, erwiederte der Generalauditeur, seinen Arm aufhebend. Führt den Gefangenen auf die Hauptwache!


VII.

Am nächsten Morgen, als der Tag anbrach, war Herr von Katsch schon im Palaste und ließ sich dem Könige melden. Ehe dieser einen Rapport vom Commandanten erhalten konnte, sollte er durch ihn erfahren, was geschehen war.

Als der Minister hereintrat, saß der König fertig angezogen auf dem Holzschemel am Tische, auf welchem zwei dünne Lichter auf eisernen Leuchtern brannten. Der strenge Monarch war am strengsten gegen sich selbst. Er verschmähte jede Bequemlichkeit, die er Verweichlichung nannte. Seine enge Uniform war bis an den Hals zugeknöpft, sein Zopf fest gebunden und gewickelt. Mit dem Tagesgrauen stand er auf von dem harten Lager, und jetzt saß er vor einem Haufen Eingaben und Bittschriften aller Art, die er mit Randbemerkungen beantwortete und seine Secretaire dann später zu Cabinetsschreiben verarbeiten mußten.

Als der Minister hereintrat, wandte der König den Kopf nach ihm hin und lachte.

Aha, sagte er, da ist Er ja schon, hat Er sie jetzt beim Fell?

Ja, Majestät.

Alle Beide?

Ja, Majestät.

Es ist also wirklich richtig mit der heimlichen Heirath?

Ja, Majestät.

Dann sollen sie sämmtlich ihren Lohn kriegen. Der Pastor soll vor's Consistorium, das soll ihn absetzen. Das Weibsbild habt Ihr doch gleich in's Loch bringen lassen?

Sie ist verhaftet, Majestät.

In's Spinnhaus soll sie! Wo ist der Major?

Auf der Hauptwache, Majestät.

Der König warf die Feder fort und stampfte auf. Wer hat Euch das erlaubt? fragte er rauh. Meine Stabsoffiziere überliefere ich selbst nur dem Profoß, sie müßten denn ein Capitalverbrechen begangen haben.

Der Major von Neuendorf hat ein Capitalverbrechen begangen, erwiederte Herr von Katsch mit seiner kalten Ruhe.

Was meint Er? Nennt Er diese heimliche Narrheit so?

Der Major von Neuendorf hat in dieser Nacht seinen Bruder erstochen.

Wie?! fragte der König, indem er wie erstarrt stehen blieb. Es ist unmöglich!

Es ist so, Majestät. Er hat ihn im Zweikampf erstochen.

Es kann nicht sein! sagte der König, den Kopf schüttelnd. Neuendorf ist ein Tintenklexer, ein Komödiant, aber kein Bösewicht.

Er hat es im Rausch gethan, sagte der Minister, und ist auf's Aergste gereizt und beleidigt worden.

Hat er das wirklich gethan, antwortete der König mit feierlichem Ernst, so muß er sterben. Seinen Bruder ermorden! Es war ein schlechter Kerl, sein Bruder, aber es war sein Bruder. Erzähle Er mir, wie es hergegangen ist.

Sie haben in der Wohnung des Majors ein scharfes Trinken gehalten, es sind viele Offiziere dabei gewesen. Als die Köpfe erhitzt waren, ist es zum Streit gekommen. Der Bruder des Majors, der Capitain von Neuendorf, hat diesem vorgeworfen, daß er ihn bei der Erbschaft seines Onkels betrogen habe, hat ihn Erbschleicher, Schuft und Schurke titulirt, und obwohl der Major lange Zeit an sich gehalten, ist er endlich auch hitzig geworden und hat sich vertheidigt.

Das kann ich ihm nicht verdenken!

Darauf ist der Capitain in äußerste Wuth gerathen und hat noch viel schlimmere Worte und Ehrenkränkungen gebraucht.

Hinausschmeißen hätten sie ihn sollen, hätten es nicht dulden sollen von dem schlechten Kerl! fiel der König ein.

Alle Beruhigungen halfen Nichts. Er sprang auf, riß einen Degen aus der Scheide, rannte auf seinen Bruder los und begehrte, wenn er kein ehrloser Wicht und kein feiger Hund sein wollte, müsse er ihm auf der Stelle Genugthuung geben.

Bestie! schrie der König, mit dem Fuße stampfend. Ich wollte ihm Genugthuung geben!

Dem Major blieb Nichts weiter übrig, als sich zu vertheidigen, sagte Herr von Katsch.

Was? Wie? versetzte der König im strengen Tone. Er will doch nicht solche Gräuel gut heißen? Man hätte dem tollen Capitain den Degen entreißen und ihn binden müssen.

Majestät wollen bedenken, daß ein Offizier, der ehrlos und feige genannt wird –

Der König unterbrach seinen Minister. Ich bedenke nur meine Gesetze! Die soll Jedermann heilig halten, sei er, wer er sei, ein Bettler oder mein eigener Sohn. Fiat justitia, pereat mundus! Das ist mein Wahlspruch. Wer einen Anderen mit dem Degen entleibt, der soll als Todtschläger betrachtet werden. Ich habe mein Mandat gegen Duelle nicht etwa zum Spaß erlassen. Duell ist Unsinn, ist Barbarei. Ich will es auf keinen Fall dulden. Jeder meiner Unterthanen soll in seiner Ehre und seinen Rechten geschützt werden, daher giebt es Gesetze und Obrigkeit, aber wie wilde Thiere, die mit Hörnern und Zähnen sich zerfleischen, das soll in meinem Staate Keiner – wer er auch sei – Keiner!

Der Major von Neuendorf hat, streng genommen, seinen Gegner nicht getödtet, wandte der Generalauditeur ein, sondern dieser hat sich in blinder Wuth auf ihn gestürzt und sich selbst den Degen in den Leib gerannt.

Das sind Advocatenkniffe! rief der König, bleib' Er mir damit fort. Der Major hat seinem Bruder das spitze Eisen entgegen gehalten, sonst konnte es nicht geschehen. Der mit ihm an einer Brust gelegen, den er hätte vertheidigen sollen mit seinem eigenen Leben, der ist von ihm jämmerlich aus der Welt geschafft worden.

Mit hastigen Schritten ging er auf und nieder. Der Gedanke, daß ein Bruder den anderen umgebracht, empörte ihn.

Zwei Jahre später wollte er seinen eigenen Sohn in Wesel erstechen, und die Geschichte erzählt, welche Vorstellungen seiner höchsten Diener und der mächtigsten Fürsten Europa's nöthig waren, um ihn davon abzudringen, den Kronprinzen als Deserteur hinrichten zu lassen. Jeden Deserteur traf der Tod, auf jedes Duell waren furchtbare Strafen gesetzt. Ja, bloße Herausforderung wurde mit dreijährigem, harten Gefängniß und Vermögensentziehung während dieser Zeit geahndet. Vollzogener Zweikampf hatte zehn Jahre Gefängniß, darunter zwei bei Wasser und Brot, zur Folge. Wurde einer der Duellanten getödtet, so wurde dessen Leichnam vom Schinder unter dem Galgen begraben; war es ein Unadeliger, ward die Leiche an den Galgen gehängt, den Raben zum Futter. Jeder Zeuge bei einem Duell verlor den vierten Theil seines Vermögens auf Lebenszeit.

Der König wollte das Duell ausrotten, darum gab er das fürchterliche Gesetz und ließ es erbarmungslos vollziehen. Der adelige Duellant wurde, wenn er seinen Gegner tödtete, für ehrlos erklärt und mit dem Schwerte hingerichtet. Der Unadelige wurde aufgehängt, daß war der ganze ständische Unterschied.

Als Herr von Katsch die flammenden, finsteren Blicke des Königs sah, und die gewaltigen, harten Schritte, mit denen er aufstampfte, wußte er, was in der Seele des Monarchen vorging. Er kämpfte mit seinen Grundsätzen und Gefühlen. Er hatte mehrere Offiziere hinrichten lassen, ohne mächtige Verwendungen zu beachten, diesen wollte er retten, und doch war es gegen sein Gewissen. Der Minister glaubte seinem Herrn zu Hilfe zu kommen, indem er achselzuckend sagte:

Der Major von Neuendorf wird viele Vertheidiger finden, denn er ist eben so bekannt als ein besonders ruhiger und ernster Mann, wie geschätzt wegen seiner Kenntnisse und aimablen Eigenschaften. Endlich ist allerdings die That beim Trunk und in der dadurch bewirkten Sinnesverwirrung geschehen.

Diese letzte Aeußerung war unglücklich gewählt. Der König warf wüthend den Kopf auf, und schrie mit größter Heftigkeit:

Was Er sagt, verstärkt das Verbrechen. Habe ich nicht in meinem Mandat anbefohlen, daß Trunkenheit die Strafe verschärfen soll? Anstatt des Schwertes soll alsdann der Galgen, statt des Galgens das Rad zuerkannt werden. Ich muß das Land von solcher Barbarei befreien, ich würde sonst nicht vor Gottes Thron treten können, aber ich wollte, setzte er leiser hinzu, indem er seinen Kopf sinken ließ, seine Hände auf den Rücken legte und wieder zu geben anfing ich wollte, der Major wäre davon gelaufen, wie manche Andere, die sich nach Sachsen geflüchtet haben.

Der Major wollte nicht entfliehen, erwiederte der Minister, weil er milde und gerechte Richter zu finden hofft, die bedenken werden, wie schwer er gereizt und beschimpft wurde.

Es soll ein Kriegsgericht gehalten werden! sagte der König. Sofort soll es zusammentreten. Ich will sehen, ob mein Gesetz beachtet wird. Derschau soll kommen. Geh Er an seine Geschäfte. Ich werde Ihm meine Befehle schicken.

Am späten Abend begab sich Herr von Katsch wiederum zu dem einsamen Hause auf der Friedrichsstadt, und auf sein Klopfen wurde ihm sogleich geöffnet.

Wie geht es – der gnädigen Frau? fragte er den demüthigen Wirth, der ihn mit scheuen Blicken empfing.

Ach, allergnädigster Herr, erwiederte der Weber, sie – sie weiß schon Alles. Der Herr Major hat von der Hauptwache geschrieben.

Die Mienen des Ministers verdüsterten sich, ehe er jedoch seinen Unwillen äußern konnte, eilte Agathe von Neuendorf die Treppe hinab ihm entgegen, und er sah in ein von Hoffnung und Erwartung belebtes Gesicht.

Ich danke Ihnen, gnädiger Herr, daß Sie zu mir kommen, ich erwartete es von Ihrer Güte, sagte sie. Es ist ein großes Unglück geschehen, aber Georg ist unschuldig. O, ich weiß, auch Sie werden ihn nicht schuldig finden.

Beruhigen Sie sich, erwiederte der Minister, wir wollen das Beste hoffen.

Er begleitete sie in ihr Zimmer und setzte seine Tröstungen dort fort.

Immer aber wäre es besser gewesen, setzte er dann hinzu, wenn der Major den Rath seiner Freunde befolgt hätte und entflohen wäre.

Daran hinderten Sie ihn, fiel Agathe lächelnd ein.

O, sagte Herr von Katsch, er hätte es dennoch ausführen können, er würde wenig Widerstand gefunden haben. Ich kam zur unglücklichen Zeit. Ich wollte mit dem Major in Ihrem Interesse sprechen, wollte ihm meinen besten Rath ertheilen.

Wie gut Sie sind! rief die schöne Frau, ihn dankbar anblickend, indem sie eine seiner schmalen, kalten Hände an ihre Lippen drücken wollte. Ach! wir haben Beide Viel gut zu machen, ich sowohl, wie Georg. Er warnt mich vor Ihnen in seinem Briefe, nennt sie seinen Feind und Verfolger. Er kennt Sie nicht, auch ich habe Sie nicht gekannt. Sie sind unser Beschützer, unser Freund!

Der Minister konnte seine Bewegung nicht ganz verbergen. So hartgesotten er war, rührte sich sein Gewissen. Er dachte daran, daß er den Major gestern aufsuchte um ihn zu bewegen, diese Frau zu verstoßen, die ihn Freund und Schützer nannte und seine Hände, welche er einst gegen ihren Vater erhoben, küssen wollte.

Seien Sie ruhig, sagte er, ich will allen meinen Einfluß anwenden, um dem Major Pardon zu verschaffen.

Wer kann ihn verurtheilen? fragte sie erregt. Wo ist ein Mann von Ehre, der solche Beschimpfungen ertragen könnte? Dieser Elende hat ihn gezwungen, den Degen zu seiner Vertheidigung zu ziehen; geschah es nicht, würde er ihn durchbohrt haben.

Das Kriegsgericht kennt alle Umstände, versicherte der Minister. Es besteht aus Männern, die den Major gewiß zu retten suchen, wenn sie ihn auch nicht von aller Strafe freisprechen können.

Glauben Sie das? fragte sie erbleichend.

Ich halte es für das Beste, sagte Herr von Katsch, wenn es nicht geschieht. Mein liebes Kind, der König weiß von Ihrer Heirath, und wenn dieses Duell nicht so unerwartet dazwischen gekommen wäre, gäbe es kein Mittel Sie zu retten, als schnelle Flucht.

Ich würde nicht entflohen sein!

Sie würden meinen Rath befolgt haben, erwiederte er kalt. Jetzt hat sich Alles geändert, ich rathe Ihnen zu bleiben, doch bewahren Sie die tiefste Verborgenheit. Versprechen Sie mir das.

Gern, sagte sie, denn auch Georg befiehlt mir, mich zu verbergen und abzuwarten, was mit ihm geschieht. Sein Wille muß geschehen.

Sie sind eine gehorsame Frau, lächelte Herr von Katsch, aber gewiß auch eine verständige. Der König darf durch Nichts an Sie erinnert werden. Die wichtigere Angelegenheit des Majors hat jetzt die minder wichtige zur Seite gedrängt; entscheidet sich sein Schicksal, wie ich es wünsche und hoffe, so wird dies unglückliche Duell vielleicht von Ihnen zu segnen sein.

Sie hoffen also, daß Georg freigesprochen wird?

Ich hoffe, daß er drei bis vier Jahre in's Gefängniß gesetzt wird.

Mein Gott! rief Agathe, ihre Augen mit ihren Händen bedeckend.

Natürlich wird er auch als Offizier cassirt, doch nicht ehrlos und seines Adels, wie seiner Güter nicht verlustig erklärt werden, wenn seine Einkünfte ihm auch während der Gefangenschaft entzogen bleiben.

O, ich will für ihn arbeiten! rief sie erregt. Aber Georg gefangen, drei, vier Jahre sagen Sie? Das ist schrecklich! das ist eine Ewigkeit! – Ich kann es nicht ertragen! Er wird krank werden und sterben.

Sie werden es ertragen, und er wird nicht sterben, fuhr der Minister unerschütterlich fort. Das Gefängniß wird sich öffnen, es geht Alles vorüber auf Erden, alle Qualen und Schmerzen, wie alle Freuden und alles Glück des Lebens. Er wird dann aber das blonde Fräulein von Hake nicht zu heirathen brauchen, er wird in Ihre Arme eilen, und Sie werden die Zeit der Trennung und des Kummers, vergessen. Sie werden in Frieden auf dem entfernten Landgute wohnen und Ihre Ehe ohne Gefahr veröffentlichen können.

Sie zeigen mir eine freudige Zukunft, damit ich die entsetzliche Gegenwart vergesse, erwiederte Agathe, traurig lächelnd. Lieber Gott! wie ist es denn möglich! Nein! o, nein! so hartherzig können die Richter nicht urtheilen. Drei, vier Jahre ohne ihn! Wie entsetzlich, ewig lang ist mir dieser eine Tag geworden.

Die blassen Lippen des Generalauditeurs zuckten bei dieser Liebesklage. Er hatte so viele Urtheile ausgesprochen, die auf ewige Trennung von Allem, was ein Menschenherz liebt, lauteten; er hatte so viele Scenen voll wilden und trostlosen Jammers gesehen, und dennoch war in den Wehelauten dieser jungen Frau Etwas, das ihn rührte – ihre Unwissenheit, ihre Gläubigkeit und ihr kindliches Lieben und Empfinden. –

Wenn man krank wird, sagte er, und der Arzt dem Patienten mittheilt, daß er Wochen oder Monate lang im Bette liegen müsse, glaubt dieser auch nicht, daß er aushalten könne. Ein Tag scheint ihm unerträglich, aber Tag reiht sich an Tag, Woche an Woche, vielleicht endlich Jahr an Jahr. Man erträgt Alles, selbst das Fürchterlichste, mein Kind, sobald man sich daran gewöhnt hat.

Sie schüttelte den Kopf.

Daran werde ich mich niemals gewöhnen, o, niemals! Und warum soll Georg so unschuldig leiden?

Vergessen Sie nicht, daß der Major ein Capitalverbrechen begangen hat, sagte der Minister.

Was ist ein Capitalverbrechen?

Ein Verbrechen, auf welches der Tod steht.

Sie sah ihn starr an, ein Lächeln irrte über ihr Gesicht.

Der Major von Damitz und verschiedene andere Offiziere wurden trotz aller Bitten hoher Personen nicht begnadigt. Die Königin selbst –

Herr des Himmels! flüsterte Agathe, ihre Hände faltend. Ist das wahr?

Nicht doch, sagte der Minister, haben Sie Vertrauen. Der Generalauditeur von Katsch ist Ihr Freund, und ob der Major von Neuendorf auch übel von ihm denkt, um Ihrentwegen und alter Freundschaft wegen, ist er auch sein Freund. Er hat dem Könige in solchen Fällen niemals zur Gnade gerathen, jetzt wird er es thun, also fürchten Sie Nichts. Nur Geduld, nur Vorsicht und – jetzt schlafen Sie ohne Sorge.


VIII.

Die Geschichte des Majors von Neuendorf machte das größte Aufsehen, rief aber auch die allgemeinste Theilnahme hervor. Der Major wurde von den verschiedensten Seiten bedauert und beklagt. Er hatte viele Freunde, sowohl unter seinen Grenadieren, die er menschlich behandelte, wie unter den Bürgern, mit denen er in Berührung gekommen war, wie endlich auch unter den Obersten und Generalen und unter den Umgebungen des Königs. Das Kriegsgericht wurde eingesetzt, und die Verhöre begannen. Alle gesellschaftlichen Kreise in den Ressourcen und Tabagien beschäftigten sich damit; diejenigen, welche den Verhören beiwohnten, sprachen sich voller Eifer für den Major aus. Alle Zeugen reinigten ihn von Schuld. Er hatte nicht den geringsten Anlaß zu dem Streite gegeben, hatte lange Zeit seinen Bruder zu beschwichtigen gesucht, hatte mehrere der Anwesenden gebeten, den Capitain fortzubringen. Als die Beschimpfungen sich verdoppelten, war er noch immer bemüht gewesen, seine Ruhe zu behaupten, und erst als er sein eigenes Leben bedroht sah, gab er der Aufwallung des Augenblicks nach, ergriff einen Degen, der in seiner Nähe sich befand, und schirmte sich vor den Stößen, die auf ihn gethan wurden. – Es gab keine Stimme, welche nicht für ihn Partei nahm, und man war überzeugt, daß das Kriegsgericht ihn freisprechen werde.

Je mehr die öffentliche Meinung sich für den unglücklichen Major erklärte, je weniger war sie dagegen mit dem Benehmen des Generalauditeurs von Katsch zufrieden. Er leitete auf des Königs Befehl persönlich die Verhöre, und seine Strenge, mit welcher er alle Milderungs- und Entschuldigungsgründe zu entkräften suchte, erbitterte nicht allein die Zuhörer, sondern selbst der gefangene Major vertheidigte sich mit Heftigkeit gegen diese Verfolgungsgier. Der Präsident des Kriegsgerichts nahm sich selbst seiner an und verwies dem Generalauditeur seine geflissentlichen Verdächtigungen und harten Worte.

Mit manchem lauten und geheimen Schimpfworte wurde daher auch in diesen Tagen der Minister belegt; sein hoher Rang schützte ihn nicht vor beleidigenden Reden, welche bis in sein Ohr drangen, als er beim Schluß der Verhöre seine Anklage zusammenfaßte und die ganze Strenge des Gesetzes gegen den Verbrecher forderte.

Das Kriegsgericht verkündigte dagegen nach kurzem Bedenken, daß der Major von Neuendorf durch einen unglücklichen Zufall seinen Bruder getödtet habe und daß er dazu auf's Aeußerste gereizt worden sei. In Betracht aller erörterten, durch eidliche Zeugen bestätigten Umstände sei der Major von Neuendorf mit dreijähriger Gefängnisstrafe zu belegen. Dies Urtheil kam Manchem zu hart vor, den Meisten jedoch schien es völlig gerechtfertigt. Eine Strafe für solche That mußte sein, das Kriegsgericht hatte die mildeste, nach dem Duellmandat zulässige gewählt, welche für Herausforderungen bestimmt war. Freude verbreitete sich durch die ganze Stadt, wo der Major gekannt und genannt wurde, und man lachte nebenher über den Aerger des grimmigen Generalauditeurs, der mit aller seiner Wuth Nichts mehr erreichen konnte.

Inzwischen sah man am Nachmittage mehrere Generale nach dem königlichen Palaste gehen, darunter manche, die als hoch angesehen galten, den alten Feldmarschall Wartensleben und den General Dohna, sammt Anderen, die im Tabakscollegium den König täglich sahen. Nach einiger Zeit kamen sie wieder heraus, aber ihre Gesichter waren finster und ihre Lippen stumm. Es dämmerte schon, als der Minister von Katsch den Palast verließ; er ging über den großen, öden Platz, den Linden zu, hüllte sich in seinen Mantel ein und vermied es, sich ansehen zu lassen.

Abermals ging sein Weg nach dem einsamen Hause, und wie es ihm geöffnet wurde, stand Dorothee mit freudestrahlendem Antlitz vor ihm und knixte rechts und links.

Ach, allerliebster, gnädiger Herr, sagte sie, Gott sei Lob und Dank! Ehre und Preis ihm in der Höhe! Gerechtigkeit, o du himmlischer Vater! Gerechtigkeit ist von seinen Lippen geflossen –

Höre auf zu schnattern, unterbrach sie der Minister. Wo ist Deine gnädige Frau?

Mein Lämmchen! mein Herzchen! versetzte die Amme, fort ist es. Seit sie gehört hat, was geschehen, war kein Halten mehr.

Wo ist sie – die Unglückliche!

Am neuen Markt, gerade bei der Hauptwache, habe ich einen Vetter, der einen Butterhandel treibt, auch Backwerk verkauft er und Branntwein, viele Soldaten kommen zu ihm. Durch ihn haben wir mehr als ein Briefchen von unserem lieben, gnädigen Herrn Major bekommen, und heut' kam gleich ein Bote, der meldete, was das Gericht gesprochen hat. Es ist freilich hart – drei Jahre! O, du meine Zeit, was kann in drei Jahren geschehen! – aber sie geben auch vorüber, und dann kommen die guten Zeiten, die guten Jahre.

Bei Eurem Vetter ist sie also? fragte der Minister.

Freilich bei ihm, gleich ging sie fort, und er hat ihr ein Stübchen eingeräumt. Da ist sie dicht bei dem lieben Herrn, kann ihm schreiben, vielleicht sogar ihn sprechen und sehen, was mit ihm geschieht.

Vor dem Gesichte des hohen Beamten verstummte die geschwätzige Frau. Er sah sie mit seinen stechenden Augen so schrecklich an, daß sie ein Zittern überkam, dann ließ er sich nochmals beschreiben, wo der Vetter wohnte und ging ohne Wort und Gruß fort.

Christian! sagte die Frau erschrocken, wo bist Du denn? Hast Du ihn gesehen?

Der Weber hatte sich in der tiefen Ecke hinter seinem Webestuhl verschanzt.

Ich mag ihn gar nicht sehen, brummte er.

Wie der Gott sei bei uns! sah er aus. Es war mir, als hätte er mich schon beim Wickel.

Sie sagen es ja auch, daß der Teufel selbst nicht ärger sein könne, erwiederte der Mann. Ich wollte, daß ich weder von ihm, noch von allen den vornehmen Leuten jemals etwas gesehen hätte.

Während Dorothee ihm das verwies und Luftschlösser für ihr Lämmchen baute, war Herr von Katsch auf dem Wege nach der inneren Stadt. Als er am Schlosse vorüberging, sah er nach einer Reihe erleuchteter Fenster hinauf, dann wandte er sich der Brücke zu, wo eben die Laternen angezündet wurden, und nachdem er einige Straßen durchwandert, in denen damals, wie jetzt, der Handelsverkehr seinen Sitz hatte, befand er sich auf dem neuen Markt, dem Hauptplatze in der alten Stadt. Alte Giebelhäuser faßten das geräumige Viereck ein, und darüber hinaus streckte sich der hohe Thurm von St. Marien in die neblige Nachtluft.

Der Minister stand einige Augenblicke still und sah hinüber, wo die Lichter aus der Hauptwache schimmerten. Dort hatte der Profoß seine Gefängnisse über den Wachtstuben, und hinter den dichten Eisenkreuzen der kleinen Fenster saß schon Mancher, der von dort aus seinen letzten Gang gemacht. Die Blicke des hohen Beamten blieben an einem düsteren Gerüste hängen, das auf der Mitte des Marktes stand. Einige hohe Pfeiler schienen ein Dreieck zu bilden, eine Umgitterung faßte dies ein, und die Lichtblitze, welche daran vorüber zitterten, zeigten, daß es der Galgen sei.

Auf dieser schrecklichen Stelle hatten fünf Jahrhunderte lang zahllose Menschen unfreiwillig und schrecklich geendet. Es war der Richtplatz der Stadt Berlin zu allen Zeiten gewesen, und wenige Plätze in der Welt giebt es, die mehr Menschenblut getrunken, mehr Angst und Wehegeschrei gehört haben. Grafen und Barone, Juden und Kesselflicker, vornehme Rathsherren und Zigeuner, christliche Ritter und wendische Leibeigene wurden hier geköpft, verbrannt, in Oel gebraten, mit Keulen zerschlagen und geviertheilt, Räuber und Diebe zuweilen in ganzen Reihen aufgeknüpft. Einige Bildnisse entflohener Verbrecher, meist adeliger Herren oder ungetreuer Beamten, hingen mit dem Strick um den Hals an den Pfeilern des fürchterlichen Gerüstes. Der Wind rasselte mit den eisernen Halseisen und Ketten, an welche die zum Pranger, zur Stäupung oder zur Brandmarkung Verurtheilten gelegt wurden.

Der Generalauditeur hatte Viele hierher geliefert, die es nicht gedacht hatten, jetzt starrte er auf die düsteren Pfeiler mit einem Ausdrucke des Abscheus, als wollte er sie vernichten; endlich aber wandte er sich um und ging mit eiligen Schritten auf das Haus zu, das ihm als Aufenthalt der Frau von Neuendorf bezeichnet war.

Als die Klingel an der Hausthür läutete, streckte sich aus dem Nebenzimmer ein Kopf hervor, und eine Stimme, welche Herr von Katsch sogleich erkannte, fragte lebhaft und laut:

Nun, lieber Mann, bringt Er mir Nachricht? hat er einen Brief abgeben können?

Ich bringe Ihnen genauere Nachrichten, als ein Anderer sie zu geben vermag, antwortete der Minister, indem er in das Zimmer trat.

O, Sie sind es, Excellenz! rief die junge Frau überrascht, und in schärferem Tone fügte sie hinzu: Sie haben Alles, was Sie konnten, in der That gethan, aber nicht um meinem Gemahl zu helfen, sondern um ihn zu verderben. Trotz Ihrer freundschaftlichen Bemühungen ist er dennoch nur zu dreijährigem Gefängniß verurtheilt worden. Wohin er jetzt auch gebracht werden mag, ich werde ihm nachfolgen.

Ich habe mich bemüht, daß er verurtheilt werden sollte, erwiederte der Minister. Sie haben Recht. So viel es mir möglich war, hinderte ich seine Freisprechung durch das Kriegsgericht.

Und Sie wagen es, sich dessen zu rühmen! sagte Agathe mit Augen, die vor Zorn funkelten.

Ich wage es, denn ich glaubte, ihn dadurch zu retten.

Welche Heuchelei! rief Agathe empört. O! mein gnädiger Herr, keine Verstellung! Das Kriegsgericht würde ihn freigesprochen haben, wenn Sie es nicht gehindert hätten.

Unglückliches Kind! sagte der Minister in schwermüthigem Tone, wissen Sie nicht, daß der König über allen Gerichtshöfen steht? Wenn die Urtheile ihm nicht gefallen, verwirft er sie; sein Befehl gilt dann als Gesetz.

Aber diesmal – diesmal – was meinen Sie? fragte Frau von Neuendorf mit wachsender Angst.

Ich hoffte, daß eine Verurtheilung zu mehrjährigem Gefängniß, von dem Kriegsgericht einstimmig beschlossen, dem Könige genügen würde.

Es hat ihm genügt – nicht? nicht?! flüsterte sie.

Nein.

Wie? Was sagen Sie? Nein?!

Er hat die dringenden Bitten mancher seiner ersten Generale, er hat meine eigene dringende Bitte um Gnade verworfen!

Verworfen – oh! stöhnte die junge Frau, während sie zu erstarren schien. Was soll nun mit ihm geschehen?

Herr von Katsch antwortete nicht, er blickte vor sich nieder.

Was soll nun mit ihm geschehen? wiederholte sie bebend, indem sie langsam ihre Hände erhob und an ihren Kopf drückte.

Das Duellmandat ist ein sehr strenges Gesetz, murmelte der Minister.

Heiliger Gott! – Es ist ja unmöglich! Georg ist ja unschuldig! Das Kriegsgericht hat seine Unschuld anerkannt.

Der König nicht, sagte Herr von Katsch.

Ich muß zu ihm! schrie sie ihre Hände ringend, indem sie aufsprang. Ich muß ihm sagen, daß Georg unschuldig ist. Sie haben es ihm nicht gesagt. Sie haben ihm die Wahrheit verschwiegen!

Ich habe ihm Nichts verschwiegen, antwortete er, erschüttert von ihrem Anblick. Es ist Nichts gespart worden, sein Herz zu rühren.

Nein! o nein! rief sie im verzweifelnden Jammer. Es war Niemand da, der Georg liebt, der dem Könige Alles gesagt hätte, was sein Herz ihm eingab. Ich will zu ihm, ich will fort! Halten Sie mich nicht auf, ich muß – wo er auch sein mag, er soll mich hören.

Es giebt in Wahrheit kein anderes Mittel mehr, als dieß letzte, sagte der Minister sie festhaltend. Ich bin zu Ihnen gekommen, um es Ihnen vorzuschlagen. Ich weiß nicht, was die Folge sein kann. Es ist möglich, daß der König seinen Zorn auch auf Sie erstreckt. Ich verhehle Ihnen nicht, daß er vielleicht wahr macht, was er drohte, daß Sie mißhandelt, nach Spandau geschleppt werden können, vielleicht aber auch – er blickte sie an und fuhr dann fort: Die Macht großer Seelenschmerzen und die Leiden einer unglücklichen Frau rühren zuweilen auch einen strengen Fürsten. Haben Sie Muth, dies zu wagen, so mag es geschehen.

Alles will ich wagen, Alles! erwiederte die unglückliche junge Frau. Was kann der König mir noch nehmen, wenn er mir meinen Gatten nimmt? Was habe ich noch zu verlieren, was ich nicht gern von mir werfen würde?!

Wenn das Ihr fester Wille und Entschluß ist, sagte Herr von Katsch, so kleiden Sie sich an und folgen Sie mir; wir haben keine Zeit zu verlieren.

Sogleich! sogleich!

Nehmen Sie Ihren Mantel, hüllen Sie den Kopf in ein Tuch, das Sie abnehmen können, wenn der König kommt.

Wohin führen Sie mich?

In's Schloß, sagte der Minister. Der König befindet sich dort in seiner Abendgesellschaft. Doch ich vermuthe, er wird nicht lange bleiben, wie es gewöhnlich der Fall zu sein pflegt, wenn sein Gemüth beschwert ist. Er wird die Angelegenheit des Majors in der Gesellschaft besprechen, mehrere der Anwesenden, wohl Wenige ausgenommen, werden ihm Vorstellungen machen, ihn mit Bitten bestürmen.

Er wird sie erhören! rief Agathe mit aufglimmender Hoffnung.

Er wird sich entfernen, erwiederte Herr von Katsch.

O, mein Gott!

Dann treten Sie ihm entgegen, werfen Sie sich ihm zu Füßen, seien Sie standhaft, was er auch antworten mag. Reden Sie, was Ihnen Ihr Herz eingiebt.

Er soll mich hören – er soll! murmelte sie.

Aber bedenken Sie auch, daß es der König ist, an dessen Recht und Gerechtigkeit Niemand zweifeln darf, der keinen Vorwurf ertragen kann, – wie ich!

Ich will mich demüthigen, tief, tief demüthigen!

So lassen Sie uns gehen.

Er nahm ihren Arm und führte sie hinaus. Es war völlig Nacht geworden, wenige Leute waren auf der Straße. Durch den Herbstnebel leuchteten die Laternen an der Hauptwache wie dunkelrothe Punkte. Agathe zitterte am ganzen Körper, als sie danach hinblickte, aber Herr von Katsch ging weiter und sprach ihr Muth ein.

Als sie das Schloß erreicht hatten, stieg er mit ihr eine Treppe hinauf. Dort standen an einer Thür zwei Wachtposten, die wie Statuen unbeweglich ihre Gewehre im Arm hielten. Sie rührten sich auch nicht, als der Minister mit seiner Begleiterin an ihnen vorüberging und in einen weiten Vorsaal trat, der mit einigen Lichtern erleuchtet war. In diesem Saale befand sich ein alter Mann mit weißem Haar in der Tracht der königlichen Diener, der auf einem Sessel an einer anderen Thür saß. Als er den wohlbekannten hohen Beamten kommen sah, stand er auf und verbeugte sich.

Ist der König noch hier? fragte der Minister.

Se. Majestät befinden sich in der Gesellschaft, antwortete der greise Diener.

Wie sieht er aus? fuhr Herr von Katsch fort.

Der alte Mann zuckte bedenklich die Schultern und sah die fremde verhüllte Gestalt an.

Auf ein Wort, Berger, sagte der Minister, indem er zu einer der Marmorsäulen ging, die das Gebälk des Saales trugen. Was er dort flüsterte, verstand die junge Frau nicht, sie war halb betäubt von verwirrenden Eindrücken. Die leisen Stimmen murmelten hohl an den Marmorwänden hin; andere Stimmen, welche aus einem inneren Gemache kamen, vermischten sich dumpf damit.

Endlich hörte sie deutlich, wie der alte Diener sagte:

Es ist alles vergebens gewesen. Der Herr Graf von Dohna hat geweint, wie er fortging. Es ist ein Unglück, Excellenz, und wenn der Herr kommt und er findet hier –

Frau von Neuendorf verstand Nichts mehr, endlich hörte sie, daß der Minister erwiederte:

Ich werde es verantworten, wenn es dazu kommt.

Aber es könnte ein noch größeres Unglück geschehen, seufzte der Alte, wenn der Herr in seinem Zorne –

Ich bleibe in der Nähe, fiel Herr von Katsch ein. Es geht nicht anders, Berger; wir müssen es versuchen und Alle Etwas wagen.

Ich will es gerne thun, auch wenn ich schlecht fortkomme. Es kann nicht mehr lange dauern; hören Sie nur, wie still es drinnen ist, Keiner will sprechen. Das hält der Herr nicht lange aus.

Der Minister wandte sich zu seinem Schützling. Sehen Sie diese Thür, sagte er, hier heraus muß der König kommen. Ich kann Nichts weiter thun, aber ich werde in Ihrer Nähe sein, und wenn etwa – er hielt inne und fügte hinzu: auf jeden Fall bin ich bei Ihnen, wenn es Noth thut.

Und hier ist ein Stuhl, flüsterte der alte Mann. Setzen Sie sich dort an den kleinen Tisch, wo die Lichter brennen, und wenn der Herr kommt, weinen Sie nicht, das kann er nicht leiden. Sprechen Sie so deutlich und laut, wie Sie können. Gott mag uns Alle behüten!

Frau von Neuendorf that mechanisch, was ihr geheißen wurde. Sie setzte sich auf den Stuhl, nahm das Tuch von ihrem Kopf, häkelte den Mantel auf und ließ ihn von ihren Schultern fallen. Ihr langes, dunkles Haar rollte in ihren Nacken nieder, ihre Hände falteten sich zusammen, ihr blasses Gesicht heftete sich auf die züngelnden Flammen der Wachskerzen. Sie konnte nicht denken, ihre Gedanken nicht sammeln. Bald waren diese bei ihrem Gatten, bald bei dem Könige, bald bei allen den Vorgängen, die sie erlebt und die nun geisterhaft bei ihr vorüberklangen. Ihre Augen suchten nach dem Minister, er war nicht zu entdecken. Auch der alte Diener hatte sich zurückgezogen hinter eine der Säulen, wahrscheinlich um dem ersten Zorne seines Herrn zu entgehen, wenn dieser über die Anwesenheit der Bittenden losbrechen mochte.

Je länger Agathe von Neuendorf in die Lichter starrte, um so mehr schienen diese zu verschwinden. In ungeheurer Entfernung kreisten Feuerkäfer umher in Nacht und Finsterniß. Der Saal dehnte sich aus als Raum ohne Ende. Wesen ohne Gestalt bewegten sich darin in verworrenen Schwingungen; eine erstarrende Kälte durchschauderte die unglückliche junge Frau, im Herzen und Kopf aber bebte ihr Blut mit Fieberhitze.

So saß sie lange Zeit, ohne sich rühren zu können, in einem halb ohnmächtigen Zustande, mit wachsender Angst kämpfend, daß die schwarze Hand, welche auf ihr lag, sie erdrücken möchte. Und sie wollte wachen, sie wollte dieser Schwäche nicht erliegen, sie wollte stark sein.

Jetzt, jetzt! flüsterte eine Stimme. Es war wie eine Donnerstimme, die durch den Saal dröhnte, als öffnete sich das hohe Gewölbe, und ein blendend Licht führe nieder. Sie sprang auf und sah umher. Das Licht kam aus der Thür, welche weit geöffnet wurde. Sie sah einen Herrn vor sich in Uniform, den Tressenhut in die Stirne gedrückt, das rothe, erhitzte Gesicht auf sie gerichtet.

Plötzlich wußte sie Alles und erkannte Alles. Das war der König. Seine strengen Augen blitzten sie zornig an. Sie faltete ihre Hände und warf sich auf ihr Knie.

Was will Sie? fragte der Monarch laut und rauh.

Gnade! Majestät, Gnade!

Wer ist Sie? fuhr der König fort.

Ich bin die Gattin des Majors von Neuendorf.

Einen Augenblick erfolgte keine Antwort. Der König trat einen Augenblick zurück, dann schrie er mit größter Heftigkeit:

Sie untersteht sich mir unter die Augen zu kommen? Wer hat sich erfrecht, Sie hierher zu bringen?

Strafen Sie mich, Sire, vernichten Sie mich, antwortete die junge Frau, aber hören Sie mein Flehen.

Fort! Auf der Stelle hinaus! Ich will Nichts hören! schrie der König seinen Stock erhebend, aber er ließ diesen wieder sinken, als er sah, daß die Dame sich erhob und ihr Haar aus dem Gesicht streichend mit fester Stimme antwortete:

Ein gerechter König, wie Sie, Sire, soll jeden Bittenden hören.

Diese Antwort besänftigte seinen Zorn. Seine Augen ruhten auf ihr, und es war, als ob sie milder und seine harten Mienen weicher würden.

Was will Sie von mir bitten? fragte er.

Um Gnade für meinen Mann, für den unglücklichen Major von Neuendorf.

Ihren Mann? rief der König aufstampfend. Weiß Sie wohl, was ich mit Ihr machen könnte?

O! gnädigster Herr, antwortete Agathe von Neuendorf. weich und flehend, Alles was Sie über mich beschließen, will ich in Demuth tragen. Ich bitte nicht für mich, ich bitte für den Mann, der mein einziges Gut auf Erden ist. Ich bin schuldig durch meine Liebe, Majestät, ich will leiden, ich will entsagen. Er ist unschuldig. Gnade, Gnade für ihn!

In ihrer Herzens Angst streckte sie ihre gefalteten Hände aus, und ihre Augen voll unsäglicher Schmerzen hefteten sich auf des Königs ernstes Gesicht.

Ich kann den Major nicht begnadigen, erwiederte er im strengen, festen Tone. Könnte ich es, so würde es geschehen sein.

Nicht?! Nicht?! sagte sie verzweifelnd.

Von dem Menschenblut, von dem Bruderblut, das er vergossen, kann ich ihn nicht lossprechen, fuhr der König fort. Blutschuld vergebe ich keinem, wer er auch sein möge. Ich bin Gott im Himmel Verantwortung schuldig.

Und das Herz in Ihrer Brust, Sire, ist es von Eisen? rief die unglückliche Frau außer sich.

Von Eisen, wo es Gerechtigkeit gilt! sagte der König seinen Arm gebietend aufhebend. Ich kann Ihr nicht helfen. Der Major soll nicht sterben, wie ein Hund, den man aufhängt. Aber sterben muß er, kein Mensch kann ihn retten!

Gott! Gott! wo ist Dein Gericht?! rief Agathe von Neuendorf aus tiefster Brust. Die Hände über ihr Gesicht deckend, wankte sie und sank auf den Boden nieder.

Der König blieb eine Minute lang bei ihr stehen und blickte auf sie nieder, dann wandte er sich um.

Bringt sie fort und sorgt für sie, sagte er, indem er sich in stolzer Haltung entfernte.


Als Agathe ihre Augen öffnete, befand sie sich wieder in dem Hause am Markt. Sie lag in einem Bett, ihr Arm war mit einem Linnenstreif umwunden, auf welchem sich einige Blutflecke befanden, ihr Kopf war mit Tüchern umwickelt, und vor dem Bette saß eine Frau, welche zuweilen diese Tücher befeuchtete, zuweilen sich über die Kranke beugte und seufzende leise Worte murmelte.

Lange Zeit dauerte dieser Zustand tödtlicher Ermattung und Erstarrung, in welcher die Kranke Nichts empfand, als das dumpfe Schlagen ihrer Pulse, denen ihr verlöschendes Bewußtsein folgte. Endlich hörte sie deutlicher, daß Jemand hereintrat, der mit der Wärterin sprach, und wie sie die Augen wieder aufschlug, erkannte sie einen Mann, welcher an ihrem Bette saß und ihre Hand in seiner Hand hielt.

Sie zuckte zusammen und versuchte sich aufzurichten, er drückte sie sanft in die Kissen zurück.

Was ist mit mir geschehen?

Sprechen Sie nicht, erwiederte er.

In ihren Augen blitzte es auf; sie irrten über das Zimmer fort auf sein Gesicht, in welches der Lichtschein der Lampe fiel, die auf dem Ofensims so gestellt war, daß das Bett im Schatten blieb. Auf dem Tische standen mehrere Flaschen mit stärkenden Tropfen und geistigen Essenzen, durch das Fenster fiel das graue Dämmerlicht des Morgens.

Sie sind bei mir, sagte Agathe. Wo war es doch? Gestern – oder wann war es – Oh! wir gingen in das Schloß. Barmherziger Gott! wo ist Er? der König!

Schweigen Sie, fiel Herr von Katsch ein. Das Unvermeidliche müssen Sie als Christin mit Fassung ertragen. Der König will Ihnen wohl, Sie haben Nichts zu besorgen. Ihre Ehe wird nicht angefochten werden; was geschehen kann zu Ihrem Troste, soll geschehen. Es ist des Königs Befehl, daß Sie alle Rechte genießen sollen, welche Ihnen gebühren; ich selbst werde dafür Sorge tragen, daß von dem Vermögen Ihres Gemahls Nichts verloren geht. Es wird keine Confiscation seiner Güter stattfinden, auch soll Ihnen Niemand einen Vorwurf machen. Was Sie thaten, hat den König gerührt. Er wünscht Ihnen zu beweisen, daß er ein menschlich fühlendes Herz besitzt, das zum Vergeben geneigt ist, wenn –

Er hat vergeben! rief sie mit erwachender Freude.

Wenn er mit seinem Gewissen es vereinigen kann, sprach der Minister mit gedämpfter Stimme.

Aber Er! – Heiland der Welt! – Er? – Georg? Wo ist er?

Ein dumpfer Trommelwirbel dröhnte vom Markte herauf, sie fuhr vom Bette in die Höhe. Was ist das? Sie führen ihn fort!

Nein, nein! es ist Nichts. Rühren Sie sich nicht.

Geschrei im Hause! rief sie mit ihm ringend. Das ist Dorothee. Warum heult sie? Was soll der Lärm auf der Straße? Ich will hinaus!

Ein neuer Trommelwirbel folgte. Herr von Katsch vermochte nicht mehr zu widerstehen.

Unglückliche Frau! rief er, halten Sie ein. Fallen Sie auf Ihr Knie nieder, beten Sie zu Gott!

Sie war bis an's Fenster gelangt. Vor der Hauptwache stand eine Compagnie. Bis zur Mitte des Marktes, zu dem schrecklichen Gerüste, bildeten die Soldaten eine Gasse. Auf dem Gerüste stand ein Mann im rothen Mantel, in der Gasse der Soldaten ging der Major von Neuendorf mit unbedecktem Haupt von einem Priester begleitet.

Georg! Georg! schrie Agathe gellend auf. Er ist unschuldig! Unschuldig Blut! Haltet ein! haltet ein.

Sie fiel in die Arme des Ministers, er war mit einem Blutstrom bedeckt. Die alte Dorothee stürzte heulend herein, draußen wirbelten die Trommeln zum dritten Male.

Ah! mein Lämmchen, ah! meine Seele! heulte die Amme. Hier ist der Doctor – helft ihr! helft ihr!

Agathe von Neuendorf hatte keinen Arzt mehr nöthig.


 << zurück