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I.

Sie saßen Alle um den runden Tisch in dem großen Familienzimmer. Die alte Frau Lichtfeld in der breiten, hochstehenden Kantenhaube, die schwarze Brille auf der Nase, strickte an einem langen Strumpf. Onkel Tobias mit dem rothen Gesicht, an welchem zu beiden Seiten der steife Hemdkragen bis an die Ohren reichte, hielt die silberne Dose in der flachen Hand und nahm vergnügt eine Priese nach der andern; ihm gegenüber aber kreuzte Eduard Lichtfeld seine stattlichen Beine, ließ die Daumen um einander rollen und hörte in angenehmer Stimmung die Unterhaltung mit an, bei welcher er am Wesentlichsten betheiligt war.

Es kann sich in der ganzen Welt nichts besser passen, Frau Schwester, sagte der Onkel Tobias. Und wenn wir bis nach Amerika oder noch weiter bis China suchen wollten, es wäre Nichts.

Ich habe es auch immer gedacht, antwortete die alte Dame, indem sie den Kopf mit der hohen Haube und die kleine Nase mit der schwarzen Brille höher aufrichtete. Seit Jahr und Tag ist es mein Wunsch gewesen; denn ich will endlich in Ruhe kommen.

Eine Mutter will ihre Kinder glücklich sehen, fiel Onkel Tobias ein, ein jedes Geschöpf freut sich an seiner Nachkommenschaft, und dieser junge Mensch soll jetzt nicht mehr länger umher gehen, als ginge ihn die Menschheit Nichts an. Du weißt nun, wie es steht, Eduard, mein Junge. Jetzt also verlangt Deine Mutter zu wissen, wie Du darüber denkst, und eben so ich.

Es gefällt mir gar nicht übel, sagte der junge Mann lächelnd, aber man kann doch Nichts übereilen.

Wie so denn übereilen? entgegnete Onkel Tobias. Seit Du von Deiner Reise zurück bist, und das sind doch nun schon drei Monate, ist davon die Rede gewesen.

Vier Monate beinahe, Herr Bruder, fiel die Schwägerin ein, und so wie er ein paar Tage hier war, fing ich davon an. Du mußt jetzt Wirthschaft und Geschäft übernehmen, Eduard, sagte ich zu ihm, und dazu brauchst Du eine Frau. Die Anna war eben fort gegangen mit ihrer Mutter, also sagte ich: Das wäre Eine für Dich, was meinst Du dazu?

Gute Familie! nickte Onkel Tobias herüber, indem er zugleich den Zeigefinger der rechten Hand an den Daumen der linken legte und die Vortheile aufzählte. Vater Bürgermeister gewesen, Mutter hat Geld, Haus und Hof da und ein feines Mädchen, hat was gelernt, hübsch! Das giebt eine Frau ab, wo ein Mann stolz sein kann. Ha! was sagst Du dazu?

Weiß mein Bruder davon? fragte Eduard.

Onkel Tobias sah seine Schwägerin an und schien ungewiß zu sein.

Ich habe mit meinem Sohne gesprochen, Herr Bruder, wie es sich schickt ganz in der Stille und weil die Beiden niemals zusammen stimmten, aber er hat mir in Allem Recht gegeben.

Er kennt die Anna und kennt ihre Mutter, weiß von Beiden nur das Allerbeste zu sagen und freut sich auf die Stunde, wo er seinen Segen aussprechen kann über seinen einzigen Bruder.

Mache uns also keine Sperenschens länger! krähte Onkel Tobias. Hier sitzt Deine Mutter und hier sitze ich. Die Mutter giebt Dir das ganze Geschäft, sowie Du heirathest. Oder wie? Hast etwa was Anderes auf dem Korn?

Nein, Onkel, sagte Eduard, aber ich kenne Anna doch eigentlich nicht genug.

Das ist auch gar nicht nöthig, fiel Onkel Tobias eifrig ein, Ihr werdet Euch schon noch kennen lernen. Alles neumodisch verkehrt, Frau Schwester. Wie war es zu unserer Zeit? Da machten's die Eltern unter sich ab, und eines schönen Tages war Hochzeit.

Und Alles ging glücklich, fuhr die alte Frau fort. Mein seliger Mann hatte mich kaum ein paarmal gesprochen, und viel war es auch nicht; aber fünf und dreißig Jahre haben wir zusammen gelebt und haben uns vertragen.

Es ist aber doch die Frage, Mutter, sagte Eduard – er konnte jedoch nicht fortfahren.

Du elementscher Junge! schrie Onkel Tobias, was will er denn eigentlich? Will er ein hübsches, reiches Mädchen nicht haben, nach der zehn Andere sich die Hacken ablaufen? Will er das nicht haben?

Onkel Tobias schlug dabei auf die silberne Dose, faßte hinein und nahm eine furchtbare Priese, während sein leichtsinniger Neffe laut zu lachen anfing.

Ich will ja nur bemerken, rief er dabei, daß doch die Frage ist, ob Anna mich haben will.

Das ist abgemacht, antwortete die Mutter ihm gravitätisch zunickend, ohne mit Stricken einzuhalten.

Du hast mit ihr gesprochen?

Mit der Frau Bürgermeisterin, meiner guten Freundin.

So Etwas wird immer zuerst zwischen den mütterlichen guten Freundinnen abgemacht, grinste Onkel Tobias, es hat also gar Nichts zu sagen, mein Junge. Drücke Du ihr dreist die Hand, wenn sie kommt, und flüstere ihr in's Ohr: Schönste Jungfer Anna – ja so, jetzt heißt es Fräulein – also schönstes Fräulein Anna, ich bin glücklich Sie hier zu sehen, und Du wirst's erleben, mein Herzensjunge, was es für einen Erfolg haben wird. Sie wird Dich ansehen mit ihren nußbraunen Augen, als wollte sie Dich verzaubern; es wird Dir zu Muthe werden, wie Daniel in der Löwengrube; alle Furcht wird Dir vergehen, und Du wirst blos noch daran denken, wie himmlisch es sein muß, wenn Du an ihrem Herzen ruhst.

Aber Herr Bruder! sagte die alte Frau mit der hohen Haube kopfschüttelnd, ohne die Augen anfzuheben, die sie auf ihren Strickstrumpf richtete.

Was hier, was da! fuhr Onkel Tobias lustig fort. Es ist einmal so in der Welt, Frau Schwester, und es gehört zum Leben und zum Lieben. Ein schönes Weib mit rundem Leib ist meines Herzens Freud! wie es in dem alten Liede heißt. So ein junges Blut will was in seinem Arm haben. Heirathe Du sie, Eduard. Alle Wetter! Es wird ein Paar, Frau Schwester, wo die alten Weiber hinterher laufen, und es wird ihnen wieder warm dabei. So ein stattlicher Bursch aus dem rechten Korn und so ein schlankes Jüngferchen, frisch wie ein Apfel. Wenn Ihr zur Kirche geht, wird's ein Geschrei geben: Seht sie! seht sie! das ist noch ein Brautpaar, wie es sein muß, und der vor dem Altare, der Pfaffe, der – heilige Georg – hier hielt Onkel Tobias plötzlich inne, denn die Frau Schwester ließ den Strickstrumpf fallen und wandte sich nach ihm um, zugleich aber öffnete sich die Thür, durch welche ein schwarzgekleideter Herr hereintrat, der eine Dame am Arm führte.

Es war, wie sich sogleich erwies, der ältere Sohn der Frau Lichtfeld, Prediger an der Kreuzkirche, mit seiner Frau. Der Prediger war ein stattlicher Mann von freundlichem Ansehn und vollem, glattem Gesicht, die Frau schien blaß und zart neben ihm. Wie die Thür geöffnet wurde, stand die Mutter sogleich auf und nahm ihre Brille ab. Man sah ihr an, wie sie sich bei dem Anblick ihres Sohnes belebte, und die Art, wie sie ihren Ausruf: Mein Sohn Georg! betonte, konnte glauben lassen, daß sie nur das eine Kind besitze.

Der Prediger umarmte seine Mutter, die Mutter seine Frau, welche sich ihr furchtsam näherte. Inzwischen hatte der Prediger auch dem Onkel Tobias drei Küsse verabreicht, dann breitete er seine Arme wie Flügelthüren aus und ging auf seinen Bruder los, der diese Bewegung zwar nicht erwiederte, aber doch geduldig still hielt.

Nach dem Küssen hielt der Prediger seines Bruders Hände fest, schüttelte sie und blickte ihm dabei mit einer gewissen gerührten Feierlichkeit in die Augen.

Man hat mir Etwas von Dir mitgetheilt, Bruder Eduard, begann er, was mich innig rührt und erfreut. Unsere ehrwürdige Mutter hat mich damit bekannt gemacht, was Du unter Gottes Beistand vorhast.

Ihr seid also sämmtlich damit einverstanden? unterbrach ihn Eduard.

Stille, flüsterte der Pfarrer, ihn bei Seite führend, meine Frau weiß noch Nichts davon, somit stille, damit kein voreiliges Schwatzen stattfindet. Ich stimme allen Gründen unserer Mutter bei. Du bist jetzt nächstens dreißig Jahre alt, somit ein reifer Mann, bei dem es wohlgethan ist, ein Weib zu wählen, und Deine Wahl ist eine gute, denn es ist eine christliche, würdige Familie, und Anna Hellmuth eine reichbegabte Jungfrau, die auf dem rechten Pfade wandelt.

Eduard konnte den salbungsvollen Ton, den sein Bruder häufig annahm, nicht leiden. Er selbst war einfach und offenherzig, daher fiel er dem Pfarrer mit einer Antwort in die Rede, welche dieser nicht ganz gleichgiltig anhörte.

Du meinst wahrscheinlich damit, sagte er, daß Anna häufig in die Kirche geht und Deine Predigten hört? Das mag immerhin gut sein, allein als Beweis für mein und ihr zukünftiges Glück möchte ich es doch nicht gelten lassen. Ich glaube jedoch, fügte er rascher hinzu, als er sah, wie sein Bruder mitleidig lächelte und leise die Achseln zuckte, ich glaube dennoch, daß Du Recht hast, daß Anna eine gute Wahl ist, denn ich höre von Allen Gutes, und ich – nun, was mich betrifft, mir gefällt sie ebenfalls und ich werde sie gewiß in Ehren halten, daß sie nicht über mich klagen soll.

Es wird sich Alles schicken und fügen, sagte der Pfarrer, und für Dich wird es von Heil sein, wenn Dein Haus eine kräftige Stütze findet, die nicht mit leeren Händen kommt.

Allerdings auch das ist zu bedenken, erwiederte der jüngere Bruder. Heut zu Tage muß man nach Vermögen sehen, eine ganz arme Frau kann wenigstens ein Geschäftsmann, wie ich es bin, nicht nehmen.

Die Ehe ist nicht als ein Geschäft zu betrachten, Eduard, lächelte der Pfarrer, es ist ein heiliges Sacrament, in welchem der Mensch seinen höchsten irdischen Frieden finden soll. Im Uebrigen, fügte er leiser hinzu, weißt Du, daß meine Frau kein Vermögen besitzt. Der irdische Mammon kann am wenigsten Bürgschaft leisten.

Ich nehme das auch nicht als durchaus nothwendig an, versetzte Eduard verlegen. Es gehört nur mit zu den Gründen unserer Mutter und des Onkels Tobias, die ich ebenfalls in Betracht ziehen muß. Wir sind nicht arm, allein wenn die Mutter sich zurückzieht, und ich Dir, was Dir gehört, herauszahlen soll, so wird es sehr nützlich, wenn nicht nöthig sein, daß meine Frau mir Geld bringt.

Davon laß und jetzt nicht sprechen, fiel der Pfarrer ein, diese Familiensachen können und werden wir unter uns zu Aller Zufriedenheit abmachen. Zunächst freue ich mich, Dich entschlossen zu sehen, einen so heiligen und ernsten Schritt zu thun, zu dem ich Dir von ganzem Herzen Glück und Segen wünsche.

Wie schön leuchtet uns der Abendstern! schrie Onkel Tobias in diesem Augenblick hinter ihnen, und der Pfarrer, welcher seine Arme auf seines Bruders Schulter gelegt hatte, wandte sich um, während Eduard erröthete.

Fräulein Anna Hellmuth trat mit ihrer Mutter herein, der sie nachfolgte. Die Frau Bürgermeisterin war eine lange, dürre Dame mit eingefallenen Backen und einem außerordentlich magern langen Hals, auf welchem der Kopf sich mit Lebhaftigkeit bewegte. Ihre Tochter besaß ähnliche Körperformen, allein diese wurden verschönert durch Jugend und frische Fülle. Niemand konnte denken, daß diese anmuthigen Züge einst auch von ihrer Mutter getheilt wurden, aber Onkel Tobias erinnerte sich noch recht gut der Zeit, wo die Frau Bürgermeisterin eine schöne Frau genannt und als solche von vielen Verehrern bewundert ward. Die Lust, sich zu schmücken und damit das Alter um sein Recht zu betrügen, blieb allein von jener Zeit übrig. Die Frau Bürgermeisterin sah noch immer jugendlich aus, wenn man ihr Gesicht nicht sah. Sie trug modisch geschnittene. Kleider und modischen Putz, ganz so wie ihre junge Tochter, auch wußte sie alle Hilfsmittel anzuwenden, um sich deren üppige Formen anzukünsteln, ja selbst die blühenden Wangen des Fräuleins waren nachgeahmt, deren weiße Zähne von den prächtigen Zahnreihen ihrer Mutter noch überboten wurden.

Die Frau Bürgermeisterin nickte rechts und links den Herren zu, als sie mit jugendlicher Leichtigkeit durch das Zimmer schwebte, um sich auf die Hausfrau zu stürzen.

Meine liebste, beste Frau Lichtfeld, rief sie dieser entgegen, wie gut sehen Sie heut aus! Eine wahre Herzensfreude ist es, Sie zu sehen. Und der Herr Tobias Lichtfeld wird immer jünger. Es ist so viel Licht hier, man muß sich davor verstecken. Bester Herr Prediger, wie wahrhaft göttlich haben Sie am letzten Sonntag die Folgen der Eitelkeit und des Leichtsinnes geschildert. Kein Auge blieb trocken, es war ein Schluchzen, wie ich es nie gehört habe. Sie waren doch in der Kirche, Herr Lichtfeld?

Ich hatte sehr dringende Geschäfte, erwiederte Eduard.

O, Sie Sünder, Sie! drohte die Frau Bürgermeisterin. Was soll aus Ihnen werden!

Er muß eine fromme Frau bekommen, die ihn auf den rechten Weg bringt, krähte Onkel Tobias.

Ob das wohl helfen sollte? fragte die Frau Bürgermeisterin, indem sie schalkhaft lachend der alten Frau Lichtfeld zunickte und mit dem einen Auge zugleich den Blicken des Onkels Tobias folgte, der nach dem Ofen sah, wo Fräulein Anna sich mit der Frau Predigerin unterhielt.

Es hilft! rief Onkel Tobias, es hilft wie bei einer Geige, die erst den richtigen Ton kriegt, wenn man ihr den richtigen Steg einpaßt.

Auf den richtigen Steg kommt es allerdings überall an, lieber Onkel, lächelte der Prediger bedeutungsvoll umherblickend.

Sinnig und schön ist Alles, was er sagt! flüsterte die Bürgermeisterin der alten Frau ziemlich laut in's Ohr, indem sie ihre Hände drückte und äußerst lebhaft ihren Kopf wackeln ließ.

Während dessen hatte Onkel Tobias seine Faust in die Rippen seines Neffen gebohrt und ebenfalls ziemlich laut ihm zugemurmelt:

Frisch vorwärts, marsch! Stehe nicht hier wie ein Bogen ohne Haar. Spiel ihr Deine Melodie auf und laß sie danach tanzen. Hast Du nicht gesehen, wie sie darauf wartet?

Auf diese Mahnung, welche von einem neuen Stoße begleitet wurde, bewegte sich Eduard dem Ofen entgegen und als ob er sich Muth machen wollte, knöpfte er seinen Rock zu und strich mit der Hand über Stirn und Haar, als sei es dort sehr heiß. Im nächsten Augenblick sah Onkel Tobias, daß er das Fräulein anredete und daß Anna Hellmuth ihre blitzenden Augen auf ihn mit aller Macht strahlen ließ. Es dauerte auch nicht fünf Minuten, so kam der Prediger und gab seiner Frau einen Wink, der sie zu ihm rief, worauf er ihr Etwas leise in's Ohr sagte und dabei lächelte. Die Frau Predigerin blickte, als erschräke sie, nach dem Ofen zurück, allein ihr Mann faßte sie am Arm und führte sie an den Tisch.

Jetzt ist's richtig! lachte Onkel Tobias, sich auch umdrehend und auf die silberne Dose schlagend, jetzt hat er sie!

Und es war richtig, er hatte sie. –

Es kamen noch noch einige jüngere und ältere Leute, Herren und Damen, Verwandte und Freunde der Familie, welche sich verschiedenartig zu vergnügen suchten. Einige Herren spielten Whist, wenn auch der Pfarrer dies nicht gern sah, das Kartenspiel für Teufelswerk erklärte und hinzufügte, daß wenigstens in seinem Hause keine Karte sich blicken lassen dürfe. Die Kartenspieler flüchteten daher in ein entferntes Zimmer, wo sie heimlich unter Anführung des Onkel Tobias lachen, spotten und rauchen konnten.

Onkel Tobias selbst aber hatte wenig Ruhe zum Spielen, obwohl er es sonst sehr gern that. Er ließ sich ab und zu von einem Andern am Tische ersetzen und strich in dem Familienzimmer umher, bald bei dem Pfarrer Georg, der einige Zuhörer um sich gesammelt hatte, mit denen er über Sonntagsfeier, Kirchen- und Schulangelegenheiten, über den Verfall der Sitten und über die Nothwendigkeit sprach, eine strengere Zucht wieder einzuführen, bald bei den älteren Damen am Tische, wo die Frau Bürgermeisterin das Wort führte und Familien-, Gesellschafts-, Haus- und Küchengeheimnisse abgehandelt wurden, bald bei den jungen Leuten, die sich Räthsel aufgaben und einen Ring umhergehen ließen, der gefunden werden mußte.

Es ging sehr munter dabei her, Fräulein Anna war voll liebenswürdiger Heiterkeit. Der Ring gehörte Eduard und sollte von ihm gesucht werden. Eine Hand steckte ihn heimlich in die andere, aber alle Mühe ihn zu ertappen war vergeblich, bis ein lang anhaltendes Gelächter entstand, denn Eduard hatte den Flüchtling wirklich entdeckt, aber am Finger des übermüthigen Fräuleins. –

Onkel Tobias grinste darüber auf's Glückseligste, zog seinen steifen Hemdkragen herauf, daß er ihn in die Ohren schnitt, und bot auf's Feierlichste seine Dose umher. Sie hatte seinen Ring an ihren Finger gesteckt und zwar an den Goldfinger, wo der Trauring hingehört. Wenn das kein Zeichen war, wie sie es meinte, so gab es überhaupt keines.

Er packte daher auch seinen Neffen an der Brust, als dieser sich zu ihm umkehrte, sprach Anfangs kein Wort, sondern nickte und grinste ihn nur an, bis er ihn am Ohr hielt und dabei auf's Schlauste die Augen zukniff und die Stirn in Falten zog. Siehst Du, Freundchen? lachte er. Spiritus, merkst du was?! Jetzt keine Ziererei mehr!

Und es ist alles in Ordnung, flüsterte er dem Pfarrer zu, kannst immer an Deine Rede denken, Georg.

Mit Gottes Hilfe wird er sein Ziel erreichen, antwortete der Geistliche.

Diesmal kannst Du sagen: mit meiner Hilfe, lachte der alte Mann, denn wenn ich nicht gewesen wäre, so kämen wir heute nicht dazu. Aber der Teufel hole! ich komme mir selbst wie ein Bräutigam vor vor Vergnügen.

Aber Onkel, warum brauchst Du so unpassende Worte für Deine Freude?

Unpassend? meinetwegen! sagte Onkel Tobias, aber Georg, mein Junge, ich wollte Dein Vater wäre heut bei uns und könnte uns mit ansehen, der würde noch ganz anders zu seinem Vergnügen fluchen. Wenn ihm so recht was an's Herz griff, sehe ich ihn noch immer wie er: Kreuzdonnerwetter! schrie und dabei auf den Tisch schlug, daß Alles knackte. Und ist es denn nicht gleich um in die Lüfte zu springen? Ein Mädel wie Milch und Blut, so schlank wie ein Reh, eine Stimme wie Metall und dazu Metall in der Tasche. Alles Leben und Lust, kein Mehlsuppengesicht, kein Kopfhängen und Augenverdrehen oder allerlei Heuchelei. Die passen für einander, als wären sie dazu geschaffen, das kann man nicht von Jedem sagen.

Der Prediger machte sich mit Mühe los, und Onkel Tobias fühlte sich sehr erbaut davon. Er schielte nach dem Tische, wo die junge Frau seines Neffen neben ihrer Schwiegermutter mit der hohen Haube und dem großen Strickstrumpf ehrbar arbeitend saß, aber ihre Blicke zuweilen auf den Kreis der jungen fröhlichen Leute hinüber gleiten ließ.

Armes junges Ding, murmelte Onkel Tobias, es möchte auch dabei sein, da gehört es hin. Und wie sie blaß aussieht und verschüchtert, als wär's ein Verbrechen. Die Anna wird's besser haben, der wird's glücklicher gehen. Aber ich habe ihm Eines draufgegeben, und wenn's künftig lustig hier im Hause zugeht, wird's ihr auch zu Gute kommen.

Damit ging Onkel Tobias wieder an den Spieltisch, doch währte es kaum eine Stunde, so kam er von Neuem. Der Tisch war gedeckt worden, die Thüren zum Speisezimmer standen geöffnet, als er aber den Kopf hineinsteckte, sah er nur zwei Personen darin. Die eine hatte die Hand der andern an ihre Lippen gedrückt und gleich darauf neigten sich ihre Köpfe näher. Onkel Tobias hörte ein Geräusch, über dessen Bedeutung er durchaus nicht zweifelhaft sein konnte.

Bravo! bravo! rief er hereinspringend, habe ich es nicht gesagt, wie es kommen wird? Annchen! frisch, noch einmal so und dergleichen. Laß sie nicht los, Eduard. Halt sie fest, mein Junge, bis die Zuschauer da sind. Frau Schwester! Frau Bürgermeisterin! Hurrah, es lebe das Brautpaar!


II.

Die Hochzeit des jungen Fabrikanten Eduard Lichtfeld wurde zwei Monate darauf so prächtig begangen, wie Onkel Tobias es vorhergesagt hatte. Die zahlreichen Verwandten und Freunde beider Familien waren zu der Feier geladen; die Kirche war von der Eingangsthür bis zum Altare mit Blumen und frischem Laube bestreut, und der Pfarrer hielt eine Traurede, von der sich die Leute lange Zeit nachher noch erzählten. Die Rührung war allgemein.

Der Pfarrer wußte den Umstand, daß er ein Bruder des Bräutigams war und die greise Mutter neben ihren beiden Söhnen stand, auch der weißhaarige Onkel Tobias zu den Trauzeugen gehörte, ganz vortrefflich zu benutzen. Er pries das glückliche junge Paar aus allen Tonarten und malte den Segen seiner Zukunft in so schwülstigen, rhetorischen Bildern, wie es begabte, pietistische Kanzelredner gewöhnlich thun.

Außerordentlich eindringlich und in poetischem Schwung fiel die lange Ermahnung aus, eine christliche von Gott gesegnete Ehe zu führen, die als Muster voranleuchten solle für Viele, welche darauf schauten. Mit feuriger Beredsamkeit schilderte er das Glück eines schönen von Liebe und Frieden geheiligten Bundes, und manches Auge suchte die junge stille Frau, welche so demüthig unter den geschmückten Hochzeitsgästen stand, und beneidete sie um diesen Mann, der wie mit Engelszungen aussprach, was er an sich erfahren haben mußte.

Im Uebrigen hatte Onkel Tobias auch darin Recht, daß die Schönheit des jungen Paares Aufsehen erregte und viele Zungen sein Glück priesen. Es konnte auch nicht anders sein, denn zunächst war hier Alles vorhanden, was die Menschen zum Beifall auffordert. Braut und Bräutigam gehörten zu den bevorzugten Kindern Gottes, zwar nicht zu einer gebietenden Aristokratie, aber in jeder Beziehung doch zu denen, die Theil haben am Himmelreich. Der Kreis ihrer Verwandten und Freunde zeigte dies schon an. Alle waren mehr oder minder wohlhabend, einige sogar bekannt als reiche Leute. Sie trieben Geschäfte verschiedener Art, saßen im Stadtrathe und standen an der Spitze ihrer Mitbürger, waren mit Haus und Hof gesegnet und besaßen, wenn nicht Orden, Titel und berühmte Namen, so doch alle Mittel, um es, wenn sie wollten, manchen Grafen und Baronen in Luxus und Geldausgaben zuvorzuthun.

Die meisten jedoch waren weit davon entfernt, von solchem Dünkel besessen zu sein. Ihre engen Wohnungen, bürgerlich ausgeschmückt, genügten ihren Ansprüchen, ihr Stolz lag weit mehr darin, auf ihre Tasche schlagen zu können und zu sagen: Hier ist der richtige Klang! Aber wenn diese breitschultrigen, sparsamen und einfachen Männer auch für sich Verschwendung haßten, so waren ihre Frauen und Töchter doch meisthin nicht dieser Meinung. Die kostbaren Kleider und der vielfache, theure Putz der modernen Damentoilette hat noch keine Schranke an den Schranken der wiederbelebten ständischen Gliederung gefunden, und die Damen des dritten Standes sind am wenigsten Willens, in dem Kampfe der Gegenwart aristokratischen Ansprüchen zu weichen.

Wenn die Männer um gleiche bürgerliche Freiheit und Rechte streiten, so haben sie dagegen das Recht, den theuersten und höchsten Putz und Schmuck zu tragen, vollständig erobert, und da hierzu Nichts weiter gehört, als der vollste Geldbeutel und der beste Credit, so ist dieser Kampf des dritten Standes weit energischer und rascher entschieden worden als jeder andere.

Auch bei der Hochzeit des jungen Lichtfeld, der mit Strickgarn und Wollenwaaren Geschäfte machte und dessen Vater und Großvater schlichte Handwerker gewesen, strahlte es von Brillanten und gewaltigen Armbändern und Brustnadeln, von kostbaren Lyoner Atlaskleidern und Brüsseler Spitzen. Auf der Hochzeit eines hochgeborenen Herrn hätte schwerlich mehr Luxus entwickelt werden können, wie hier bei der Hochzeit eines Strumpfwirkers. Es war daher auch nicht zu verwundern, daß die Kirche mit Zuschauern gefüllt war, welche mit der größten Theilnahme diesen Glanz beschauten und bewunderten.

Ganz natürlich war die Braut Gegenstand der eindringlichsten Kritik. Alle Blicke und Gläser richteten sich auf sie, und auf allen Bänken und Chören der Kirche saßen strenge Richter, bereitwillig genug, um verwerfende Urtheile zu fällen. Als Anna Hellmuth aber an den Altar trat, durchlief ein Gemurmel den weiten Raum, das ihrer anmuthigen Schönheit und der Pracht ihrer Erscheinung galt. Ihr weißes schleppendes Seidenkleid vom schönsten Stoffe wurde von Rosen- und Myrthengewinden umschlungen. Durch die Myrthenzweige in ihrem Haar zogen sich Perlenschnüre, eine Kette von blitzenden Steinen trug sie um den weißen Hals.

Aber ihre hohe schlanke Gestalt, ihre feurigen Augen, die Rosen auf ihren Wangen und das entzückende Lächeln, mit welchem sie dem beglückten Bräutigam ihre Hand reichte, erregten in einem Theile der Zuschauer doch noch mehr Bewunderung und Neid. Wer hätte den Glücklichen auch nicht beneiden sollen, als er mit ihr den Ort verließ, wo sie zu seinem ewigen Eigenthum feierlich proclamirt ward, und er mit dem Rechte des Besitzes sie in seine Arme schloß und in den Wagen hob, der sie in die Wohnung ihres neuen Herrn brachte.

Diese war im Voraus schon zum Empfange eingerichtet und mit mancherlei neuen Geräthen versehen worden. Es war ein altes, aber geräumiges Haus, in welchem das junge Paar jetzt das erste Stockwerk bezog, das die alte Frau Lichtfeld vollständig geräumt hatte. Mehrere Wochen gingen damit hin, um die neuen Tapeten für verschiedene Zimmer auszuwählen, allerlei Verbesserungen anzuordnen, allerlei Einkäufe zu machen. Es war eine geschäftige und fröhliche Zeit, diese Zeit des Brautstandes.

Eduard übernahm Geschäft und Haus sammt allem Besitz von seiner Mutter. Die Familie setzte fest, was er zahlen sollte, trennte und ordnete alle Vermögensverhältnisse, an denen auch Onkel Tobias und der Pfarrer Theil hatten, und brachte mit Hilfe eines befreundeten Rechtsgelehrten sämmtliche Verträge in Richtigkeit. Onkel Tobias war mit Allem zufrieden. Er liebte seinen Neffen viel zu sehr und freute sich viel zu sehr über dessen glückliche Verheirathung, welche er überall mit Stolz als sein Werk anzeigte, um nicht Alles gut zu heißen, was geschah.

Seinetwegen wäre auch gar kein gerichtlicher Act nothwendig gewesen, um seine Ansprüche fest zu stellen, denn ein solcher war bisher auch nicht vorhanden. Onkel Tobias hatte sein Erbtheil im Geschäft seines Bruders gehabt und stellte einen Theilnehmer der Firma vor, aber er hatte, so lange sein Bruder lebte, sich nicht viel darum gekümmert. Er machte die Reisen für das Geschäft, besuchte die Messen, lebte ein lustiges, unbekümmertes Leben, verheirathete sich nicht, sondern blieb immerdar ein unterthäniger und galanter Verehrer seiner Frau Schwester in der hohen Haube, welche er sehr hoch schätzte ihres Verstandes und ihres Charakters wegen.

Neben ihr gab es nur einen Gegenstand, dem er mit Leidenschaft von Jugend auf huldigte und niemals treulos wurde, nämlich seiner Violine. Als der Vater seiner Neffen starb, kamen auch für ihn böse Zeiten. Die Last der Arbeit fiel auf seine Schultern, er mußte das Reisen aufgeben, im Comptoir sitzen, schreiben und rechnen, kaufen und verkaufen. Daher konnte er zuweilen nur noch des Nachts seine Hausgenossen mit den Tönen seiner Geige erfreuen.

Sein Bruder hatte, um alle Gerichtseinmischung abzuschneiden, seine Frau zur alleinigen Erbin und zur Vormünderin ihrer Kinder ernannt. Dies Vertrauen des Sterbenden rechtfertigte sie vollkommen, denn sie ordnete und befahl mit männlichem Geiste, und Onkel Tobias blieb ihr treuer Diener und Gehilfe. Die beiden Söhne waren bald so weit, daß der eine zur Universität geben, der andere in's Geschäft treten konnte. Und Alles ging vortrefflich, Nichts schlug fehl. Das Geschäft erhielt sich in gutem Fortgange.

Georg wurde nach dem Herzenswunsche seiner Mutter ein Diener des Herrn und mit Gottes und guter Freunde Hilfe bald Pastor an der Kreuzkirche. Er wurde seiner Mutter Stolz und Freude und blieb es auch, als er eine Frau nahm, die vielleicht nicht ganz nach ihrem Wunsche ausfiel. Es war die Tochter eines angesehenen Kaufmanns, ein feines, gutes Mädchen, allein, wie Frau Lichtfeld sagte, nicht danach erzogen, um die Finger in's Wasser zu stippen, und besser bekannt mit allerlei gelehrten Kunststücken, als mit der Kunst, ihrem Manne ein schmackhaftes Gericht auf den Tisch zu bringen. Ihr Lieblingssohn wollte jedoch diese Frau, und sie tröstete sich damit, daß ein Pfarrer auch dergleichen brauchen könne, er ihr auch schon beibringen werde, was sich schickt, endlich aber allerdings die Partie nicht zu verachten sei, wegen der fleischlichen oder vielmehr wegen der metallenen Vortheile, die davon zu erwarten standen.

Doch gerade in dieser letzten Beziehung wurden der Pfarrer und seine zum Rechnen geneigte Mutter unangenehm getäuscht. Kaum ein Jahr nach seiner Verheirathung machte sein Schwiegervater Bankerott, kurze Zeit darauf starb er mitten in der Verwirrung, und die Familie wurde noch mehr gebeugt durch die Gerüchte, welche über seinen Tod umliefen. Die junge Frau erkrankte damals dem Tode nahe, denn das Unglück ihres Vaters traf sie im Wochenbett, und es blieb ihr nicht verborgen, aber sie erholte sich doch, und wenn sie beklagt wurde, ward ihr Mann noch weit mehr bewundert, der mit solcher Ruhe so harte Schläge ertrug, von der Kanzel herunter Gottes Vaterhand segnete und mit der zartesten Liebe seine arme Lebensgefährtin zu trösten und zu schützen schien.

Der Bruder des Pfarrers blieb einer von den Wenigen, die anders darüber dachten, wie denn überhaupt die beiden Brüder niemals zu einem innigen Verhältniß kommen konnten. Als Eduard älter wurde, nahm die gegenseitige Kälte noch mehr zu, so daß sie selten sich besuchten. So war es bis jetzt geblieben, bis Eduard von seiner größeren Reise nach verschiedenen Hauptstädten zurückkehrte, um seiner Mutter Wünsche zu erfüllen. Er hatte manche neue Handelsverbindungen angeknüpft, hatte mancherlei Erfahrungen gemacht, Einrichtungen und Vortheile kennen gelernt, welche er zu benutzen gedachte, und trug sich mit weitgreifenden Plänen, sein Geschäft zu vergrößern.

Diese Absichten wirkten auch auf seine Heirath ein. Anna Hellmuth sollte ihm nicht allein ihr hübsches Gesicht mit in's Haus bringen, sondern auch ihr Vermögen. Von dieser Seite hatte seine Mutter sowohl, wie Onkel Tobias und Alle, die ihm sonst nahe standen, die Verbindung vornehmlich aufgefaßt. Sein Bruder, mit aller seiner Salbung über die Göttlichkeit der Ehe, dachte doch nicht anders, und so von allen Seiten belobt, war Eduard ein froher und glücklicher Bräutigam, der die Glückwünsche, welche ihm reichlich und zuweilen überschwenglich gemacht wurden, mit Wohlgefallen in Empfang nahm. Es schmeichelte ihm nicht wenig, ein so schönes Mädchen zu heirathen, von ihr erwählt und ohne Zweifel auch geliebt zu sein. Wie konnte es denn auch anders sein! Sie waren Beide jung, Beide stattlich, Beide lebhaft und heißblütig. Von allen Seiten lachten die Hoffnungen, nirgends waren Sorgen, überall winkten Freuden und frohe Tage.

Während dieser glücklichen Vorbereitung besuchte Eduard, so viel es nur anging, seine Braut, denn sie hatten immer viel zu verhandeln. Die Ausstattung wurde lebhaft besprochen, die Schwiegermutter zeigte sich liebenswürdig, und wenn ihr Wesen dem jungen Manne nicht besonders zusagte, ihre Art, jugendlich zu sein, sich herauszuputzen und Anordnungen zu treffen, sogar manches Widerwärtige hatte, so ward dies Alles doch schnell von anderen freundlichen Eindrücken überwältigt und keine Zeit, viel darüber nachzudenken.

Bei den Einrichtungen und Einkäufen gab es manchen kleinen Streit zwischen Mutter und Tochter, aber Eduard freute sich heimlich, mit welcher Entschiedenheit Anna ihren Willen durchzusetzen wußte; bei anderen Gelegenheiten kam es auch wohl zum Meinungsstreit zwischen ihm selbst und seiner Braut, allein er war ebenso geneigt nachgiebig zu sein, wie er durch die vereinte Macht der beiden Frauen dazu gezwungen wurde. Männer müssen gleich von Anfang an gezogen werden, lachte die Frau Bürgermeisterin bei einer solchen Gelegenheit. Eine Frau muß sich sofort in den nöthigen Respect zu setzen wissen und sich ihr Recht nicht nehmen lassen.

Das soll Anna auch immer im reichlichsten Maße haben, erwiederte er darauf, aber –

Um des Himmels Willen, nur kein Aber! fiel Anna ein. Du wirst sehen, wie gut Alles überlegt ist, was ich thue.

Er schwieg lachend dazu, aber daß Anna gewaltig eigensinnig sei, drang sich ihm doch bei verschiedenem Anlaß auf.

Die Einrichtungen waren kostspieliger, als Eduard gedacht hatte, allein er war Schuld daran. Er liebte den Glanz, und da es ihm schien, als freue sich Anna darüber, sparte er um so weniger an allerlei Schmuck und Putz der Zimmer, welche seine junge Frau bewohnen sollte. Sie dagegen sorgte eifrig für eine gewaltige Masse Leinen und was zur reichen Füllung aller Schränke eines neuen Haushaltes gehört. Sie hatte Freude daran, alles auch weniger Nothwendige zu ganzen Dutzenden aufstapeln zu können, und ihre Kenntnisse aller dieser Dinge, ihre Ordnungsliebe und Genauigkeit, die Art, wie sie mit den Arbeiterinnen zu handeln verstand, und die Lust am Besitz, wie der haushälterische Geist und Stolz, welche sich häufig kund gaben, erhielten vieles Lob.

Die alte Frau in der hohen Haube war besonders erfreut darüber.

Das wird eine Frau werden, sagte sie, die Alles gut zusammenhalten und ihn von seinen Verschwendungen abbringen wird; denn leichtsinnig ist er von jung auf gewesen.

Vielleicht war es aber nur Eine Verschwendung, welche Eduard sich vorzuwerfen hatte. Nach üblicher Sitte war für die Ausstattung eine Summe bestimmt worden, von welcher dieselbe bestritten werden sollte. Es fand sich jedoch bald, daß dieselbe nicht reichen würde, aber ebensowohl stellte sich heraus, daß die Frau Bürgermeisterin keine Lust hatte, ihren Geldbeutel weiter aufzuthun.

Nachdem die Ueberschläge gemacht und was zu bezahlen war, bezahlt war, fand sich, daß das Geld für einen Gegenstand fehlte, den Anna für durchaus nothwendig erklärte. Es fehlte ein Klavier. Anna spielte und sang, aber ihre Mutter spielte ebenfalls, sie war früher Mitglied der Akademie gewesen. Das vorhandene Instrument ihrer Tochter mitzugeben, schien die Frau Bürgermeisterin durchaus nicht Willens, auch hatte Anna keine allzu große Sehnsucht danach, denn vorzüglich war es nicht, und längst stand es fest, daß Anna bei ihrer Verheirathung ein neues Instrument haben müsse.

Jetzt war die Verheirathung da, aber das Instrument fehlte. Die Frau Bürgermeisterin wußte sich zu helfen.

Da Sie ein galanter Bräutigam sind, sagte sie zu Eduard, müssen Sie Anna's größten Wunsch erfüllen. Sie müssen ein Instrument kaufen und sie damit überraschen. Sie haben die Freude und das Vergnügen davon, denn Sie werden Anna spielen und singen hören, obenein machen Sie sie glücklich damit, denn sie liebt Musik leidenschaftlich.

Dagegen hegte der Bräutigam einigen Zweifel, da Anna selten spielte, auch keine besondere Kunstfertigkeit besaß, allein was wollte er machen? Er erklärte sich bereit dazu, galant zu sein, und die Frau Bürgermeisterin übernahm es, ein gutes Instrument auszusuchen, wofür er um so dankbarer war, als er Nichts davon verstand.

Und jetzt, als Eduard Lichtfeld seine junge Frau in das blumengeschmückte Wohnzimmer führte, stand der prächtige, große Flügel in der Mitte desselben. Während der Trauung in der Kirche wurde er hierher geschafft und aufgestellt. Anna lief darauf zu, betrachtete ihn mit stolzen, frohen Blicken und wandte sich dann lebhaft zu ihrem Mann, dem sie die Hände entgegen streckte.

Du hast mich auf die angenehmste Weise überrascht! rief sie aus. So habe ich es gewünscht. Das ist herrlich, das ist prächtig! Es ist ein köstliches Instrument, deren giebt es nicht viele.

Ueber ihrer Freude vergaß Eduard einen störenden Nebengedanken, der ihm beim Anblick des Flügels eingefallen war. Er dachte nicht mehr an dessen Preis, mit Leidenschaft preßte er die schöne Geliebte an sich, um den süßesten Lohn von ihren Lippen zu holen; dabei vergaß er alle Rücksicht auf den köstlichen Putz des Brautkleides, und nun wollte es sein Unstern, daß, als sie eine Bewegung machte, um sich diesem Ungestüm zu entziehen, seine Finger in den breiten Kantenbesatz griffen und diesen zerrissen. Voller Unwillen stieß sie ihn zurück und sah ihn so böse an, daß er davor erschrak.

Das ist unverschämt! rief sie ihm zu, und diese drei Worte vermehrten den peinlichen Eindruck, mit dem er kämpfte. Er versuchte eine Entschuldigung, aber diese kam abgebrochen und unvollständig hervor, er konnte das unmuthige Gefühl nicht sogleich überwinden, auch als er sah, daß sie ihn versöhnen wollte.

Der schöne Besatz wird gar nicht mehr zu gebrauchen sein! sagte sie, den Schaden betrachtend; wie ist es denn nur möglich gewesen!

Er antwortete nicht darauf.

Die Wagen mit den Hochzeitsgästen hielten schon vor dem Hause, und eben kam Onkel Tobias mit den beiden Müttern an beiden Armen lustig schreiend zur Thür herein.

Jetzt kann der Tanz losgehen, Kinder, schrie er, indem er einen zierlichen Sprung machte, die Musikanten sind schon da.

Anna lachte fröhlich auf, drückte ihrem Manne die Hand und nickte ihm zu. Jede Spur von Verdruß war aus ihrem Gesicht verschwunden.

Kein Mißton soll unser Glück stören! sagte sie, indem sie ihm ihre Lippen bot. Wie hätte er dieser Versöhnung widerstehen können!


III.

Die nächsten Wochen waren lauter Festtage, jeder brachte vergnügte Zerstreuungen. Viele Besuche kamen und mußten erwiedert werden, Einladungen erfolgten, und die Abende wurden meist außer dem Hause in befreundeten Kreisen oder im Theater verlebt. Die junge Frau hatte genug zu thun, um ihren Freundinnen ihre Wohnung und deren Schätze, die vielen Hochzeitsgeschenke und alle übrigen Herrlichkeiten zu zeigen.

Sie besaß in der That vielerlei Prächtiges und Ueberflüssiges, es war an Allem zu sehen, daß sie, wie man zu sagen pflegt, eine gute Partie gemacht hatte, und mit Selbstgefälligkeit beobachtete sie den Eindruck, den diese Ueberzeugung hervorbrachte.

Sie wurde ebensowohl beneidet, wie ihr Mann; es war Manches doch gar zu hübsch und angenehm, um nicht die Sehnsucht mancher jungen Dame danach zu erregen; eben durch den Aufwand, welcher gemacht war, wurden die Vorstellungen von der Wohlhabenheit der Familie Lichtfeld bedeutend vergrößert.

Viel trug dazu auch der prachtvolle Concertflügel bei, auf welchen Anna besonders stolz war, und welcher viel zu sprechen gab. Er stammte aus der berühmtesten Fabrik und kostete eine bedeutende Summe, die Eduard, was man freilich nicht wußte, mit geheimen Seufzern bezahlt hatte.

Der Preis blieb unter den Freundinnen nicht verschwiegen und wurde sogar noch vergrößert. Manche bedächtige Leute, die zu den reichsten gehörten, schüttelten den Kopf dazu, auch fehlte es nicht an boshaften Bemerkungen, allein sie wurden in der Stille gemacht, und die zunächst sich eine Bemerkung erlauben konnten, thaten es nicht, um kein Aergerniß herbeizuführen. Der Einzige, welcher sein Mißfallen über Manches, was er sah, äußerte, war der Prediger, aber er schüttete sich nur gegen den Onkel Tobias aus, der ihm so wenig als möglich beistimmte.

Was sind das für thörichte Verschwendungen, sagte er, doch Eduard ist immer eitel und leichtsinnig gewesen. Das ist das Verderben der jetzigen Zeit, daß sie die Einfachheit und Stille des Lebens verachtet, Jeder höher hinaus will, als es sich für ihn schickt, und in flitterhaftem Tand und Prunk seinem eitlen Trachten nachläuft, statt in Ehrbarkeit und Gottesfurcht seiner Familie und seiner Arbeit zu leben.

Laß ihn laufen, Georg, fiel der Onkel Tobias ein, laß ihn laufen! Er ist ein Weltmensch, er hat die Welt kennen gelernt. Nun hat er die junge, hübsche Frau, die muß er doch zeigen, und sie sieht es natürlich gern, wenn die Leute sich über den Glanz wundern und über die hübschen Sachen die Hände zusammenschlagen.

Wenn Frauen in ihrer Schwäche dem Andringen des bösen Feindes, das heißt böser Neigungen unterliegen, so tragen diejenigen die Schuld, welche ihre Wächter und Schützer sein sollen, erwiederte der Prediger. Ich fürchte, Onkel Tobias, hier wird bald das Gegentheil eintreten: hier wird die Frau den Mann ermahnen müssen, von bösen Neigungen, von Vergnügungs- und Verschwendungslust abzulassen, und ich fürchte – er schwieg und blickte ernsthaft vor sich hin.

Wie die Engel leben sie zusammen! sprach Onkel Tobias, indem er auf die silberne Dose schlug. Ein Herz und Eine Seele vom Morgen bis auf den Abend. Was ist denn auch an ein paar hundert Thaler gelegen, die er mehr ausgegeben hat. Laß ihn laufen, Georg, er wird seine Sache schon machen. Lustig ist er und liebt die Weltlust, aber ein fermer Geschäftsmann ist er auch. Es arbeitet ihm so leicht Keiner nach, wenn er an dem Pult sitzt. Ihr werdet schon sehen, wie er seine Sachen anfaßt. Neue Maschinen hat er bestellt, die kommen aus England; und einen Techniker oder Ingenieur, oder was er für ein neumodischer Satanskerl ist, hat er ebenfalls fest gemacht, der die neue Fabrikation aus dem Grunde versteht; der wird bald ankommen. Es wird Geld verdient werden, Georg, und Geld ist die Hauptsache! Verdient man Geld, kann man auch was daraufgehen lassen. Eine junge Frau will Vergnügen haben, und ein Mensch ist ein Mensch, er ist dazu da, vergnügt zu sein.

Der Pfarrer war durch diesen Beweis nicht überzeugt, allein er mochte nicht weiter streiten. Wir wollen es abwarten, sagte er. Mein innigster Wunsch ist, daß er unserer Mutter keinen Kummer macht.

Setz' ihr Nichts in den Kopf, Georg! fiel Onkel Tobias ein. Sprich Nichts gegen Deinen Bruder und gegen die junge Frau.

Was diese anbelangt, antwortete der Pfarrer, so habe ich Nichts gegen sie zu sagen. Es ist meiner Mutter Wunsch gewesen, unser Aller Wunsch, daß diese Heirath zu Stande kommen möge, und ich weiß nicht, warum wir jetzt anderer Meinung sein sollten. Wie ich von meiner Mutter gehört habe, ist Anna so dankbar und zuthunlich, wie sie es erwarten durfte. Sie ist wirthschaftlich und verständig, holt sich Rath und Beistand bei ihr und hält musterhafte Ordnung.

Onkel Tobias grinste und nickte, indem er eine ungeheure Priese nahm und in seiner Freude dem Pfarrer auch eine anbot, welche dieser ausschlug.

Sie versteht das Hausregiment! rief er, es ist eine Lust zu sehen, wie sie regiert und polirt, wie der Handfeger und die Staubwischer immer in Bewegung sind, und wie die Mägde Respect haben und fliegen. Das ist ein Genuß für Deine Mutter, darüber vergißt sie, was sie sonst kränken möchte. So eine Schwiegertochter, die keinen Staub leiden kann und in alle Kochtöpfe sieht, ist ein Labsal für ihr Herz.

Die ersten und höchsten Tugenden aller Frauen, Ordnungssinn und wirthschaftliche Sorgfalt, werden doch nicht von Dir verspottet werden, sagte der Pfarrer. Ich weiß, was es zu sagen hat, wenn diese Eigenschaften einer Frau mangeln, von welchen das ganze Wohl und der ganze Frieden des Hauses abhängt.

Nicht doch! nicht doch! antwortete Onkel Tobias begütigend, ich verspotte es ja nicht.

Und eben weil Anna diese schöne Neigung hat, fuhr der Prediger fort, darum glaube ich, daß Eduard ihr dankbar sein muß und zur Erkenntniß kommen wird; überhaupt aber denke ich, daß er auf den rechten Weg gelangt mit ihrer Hilfe. Ich sehe sie auch jetzt noch jeden Sonntag in der Kirche und hoffe –

Wie Onkel Tobias diesen Punkt berührt sah, eilte er darüber fortzukommen, denn er fand sich selbst schuldig. Versteht sich! fiel er ein, sobald nur nicht mehr so viel zu thun ist, geht Eduard mit ihr, und wir kommen Alle.

O! antwortete der Prediger lächelnd, wofür gäbe es nicht Entschuldigungen, aber wird der damit getäuscht, der die Herzen und Nieren prüft? Wenn Deine Geige mitginge, Onkel Tobias, kämst Du sehr gern, nicht wahr?

Es wäre so übel nicht, sagte der alte Mann, beifällig nickend, indem er auf seine Dose schlug. Aber laß Jeden seine Musik machen, wie er Lust hat, Georg, und wer sich auf seine Weise erbaut, und wer da denkt, es sei besser, er bleibe zu Haus, den schilt nicht darum oder halt ihn für schlechter, als Du selbst bist. Dein Bruder hat das Herz auf der rechten Stelle, aber einen Kirchenstuhl hat er nicht, und er hat's gestern der Frau Bürgermeisterin abgeschlagen, die ihn dazu bewegen wollte, er sollte für sich und seine Frau jetzt zwei besondere Plätze in der Kirche ankaufen, auf den neuen Sitzen voran, und seinen Namen mit goldnen Buchstaben darauf anschreiben lassen, wie es jetzt Mode ist.

Das glaube ich wohl, daß er der würdigen Frau eine solche an sich geringe Ausgabe abgeschlagen hat, sagte der Pfarrer, denn er braucht sein Geld ja nothwendiger für Komödienplätze und andere Komödiantereien.

Damit entfernte er sich, aber Onkel Tobias grinste ihm vergnüglich nach, und als der Pfarrer kaum die Thür zugemacht hatte, hörte er, wie die alte Geige darinnen zu kratzen und zu quäken begann. Der alte Mann stampfte dabei mit dem Fuße auf und lachte aus Herzenslust.

Der meint es nimmer gut mit seinem Bruder, dachte er, obgleich es ein Mann Gottes ist, und ich glaube, es wäre ihm gar nicht besonders schmerzlich, wenn's hier unglücklich ginge, und er könnte sich hinstellen und wie ein Pharisäer rufen: hab ich's Euch nicht gesagt, da habt Ihr nun die Geschichte! Aber es soll glücklich gehen und es wird glücklich gehen, nur will ich gelegentlich doch dem Eduard einen Wink geben, was die Leute über ihn schwatzen.

Diese Gelegenheit fand sich für den Onkel Tobias, als nach einiger Zeit eine häusliche Verdrießlichkeit über Geldverhältnisse entstand, die mit dem Vermögen der jungen Frau zusammenhingen. Was ihr Vater ihr hinterlassen, war nicht allzu bedeutend, da von der Mutter das Meiste herrührte, was die Familie besaß; allein die Frau Bürgermeisterin war sehr freigebig mit Versprechungen gewesen, nicht allein sofort das ihrer Tochter Gehörige zur Auszahlung zu bringen, sondern auch aus ihren eigenen Mitteln ein Kapital herzugeben, wenn ihr Schwiegersohn es zu seinen Unternehmungen nöthig haben würde.

Der junge Fabrikant rechnete auf Beides, indem er Baupläne zu einem neuen Fabrikhause anfertigen ließ, den Grund dazu ankaufte, Contracte über allerlei Lieferungen abschloß und sehr bedeutende Ankäufe von Rohstoffen machte, zu denen ein günstiger Zeitpunkt erschienen war. Dazu wurde die Vermehrung des bisherigen Betriebskapitals nothwendig. Doch er hatte keine Sorge darum, denn Alles war hinreichend gedeckt, wenn er zu seinem eigenen Vermögen das Vermögen seiner Frau und ein, wie er voraussetzte, leicht zu erreichendes Kapital seiner Schwiegermutter legte.

In Beidem sah er sich jedoch getäuscht. Anna war noch nicht mündig. Die Zahlung ihres Geldes fand unerwarteten Einspruch von Seiten der Frau Bürgermeisterin und endlich sogar von Anna selbst.

Das Geld Ihrer Frau steht ja vollkommen sicher, meinte die Schwiegermutter, und trägt gute Zinsen, warum wollen Sie es da fortnehmen?

Ich will es so anlegen, antwortete er, daß es noch weit bessere Zinsen tragen soll. Ein Kaufmann muß aus seinem Gelde doch mindestens das Doppelte gewinnen, und bei der Ausdehnung meiner Geschäfte kann ich Anna's Geld noch vortheilhafter benutzen.

Ein Kaufmann kann bei seinen Speculationen aber auch leicht sein Geld verlieren, sagte die Frau Bürgermeisterin, und es ist sogar schon recht häufig der Fall gewesen, daß die armen Frauen Alles, was sie selbst besaßen, dabei einbüßten.

Das wird hoffentlich hier nicht geschehen, antwortete Eduard. Meine Unternehmungen sind keine Börsenspeculationen.

Ich verstehe Nichts davon! rief die Frau Bürgermeisterin, aber ich glaube doch, daß ich erst kürzlich versichern hörte, das allersicherste Unternehmen könne verunglücken. Nein, nein, fügte sie hinzu, und wahrscheinlich fiel ihr bei, was sie früher geäußert hatte, ich habe darüber mit verständigen Männern gesprochen und würde niemals mein Geld einem Kaufmann anvertrauen, möchte er sein wer er wollte. Lassen Sie Anna's Geld aus dem Spiele. Die paar tausend Thaler müssen nicht angegriffen werden. Eine Frau muß auch Etwas für sich haben, damit sie nicht jeden Groschen, den sie braucht, von dem Manne fordern muß.

Wenn Anna ebenso denkt, so habe ich nichts dagegen, entgegnete er heimlich entrüstet, doch so gleichgiltig wie möglich.

Er war überzeugt, daß seine Frau gewiß nicht nein sagen würde, aber zu seinem Erstaunen stimmte sie ihrer Mutter bei.

Ich finde diese Gründe ganz gerechtfertigt, sprach sie in entschiedenem Tone, und halte es für das Beste, daß mein kleines Kapital für mich bewahrt bleibt.

Sehr richtig, Anna, auf jeden Fall richtig, und Dein Mann liebt Dich viel zu sehr, um das übel zu nehmen, versicherte die Frau Bürgermeisterin, denn es gehört zu Deiner Selbstständigkeit. Mein seliger Mann hat niemals über mein Vermögen disponirt, er würde das auch nicht verlangt haben. Das Vermögen der Frau muß immer gesichert bleiben, es sei denn, daß der Mann sich vielleicht in großer Noth befände. Allein das ist ja doch nicht bei Ihnen der Fall, wie?

Sie lachte wie über etwas Unmögliches und über einen Scherz, während er sich zwang, ebenfalls zu lächeln.

Sie sind doch nicht etwa in üble Laune gerathen?! Mein Gott! rief sie in ihre Hände schlagend, es ist ja ganz natürlich, daß Anna gern ihr Geld behalten will.

Ich bin in keine üble Laune gerathen, fiel er hastig ein, aber lassen Sie uns davon abbrechen. Anna soll ihr Geld behalten, ich werde es niemals anrühren.

Das Blut war ihm in's Gesicht gestiegen, er konnte keine Freundlichkeit heucheln. So wandte er sich nach dem Fenster um, wo Anna mit einer Stickerei beschäftigt saß. Kein Tag ihrer jungen Ehe war bis jetzt vergangen, an welchem er nicht gesucht hätte, ihr irgend eine Freude zu machen, irgend einen Wunsch zu erfüllen, sie mit irgend einem Geschenk zu überraschen. Er fühlte sich schmerzlich erregt, gekränkt von ihrem Benehmen, das seiner großmüthigen Gesinnung so wenig entsprach. Und dennoch, hätte sie ihm zugelächelt, ihm die Hände entgegengestreckt, ein bittendes, versöhnendes Wort für ihn gehabt, so würde sein Mißmuth geschmolzen sein, wie Winterschnee an der Frühlingssonne. Allein sie blickte auf die bunten Fäden, ohne ihren Kopf aufzuheben, und selbst als er nahe an ihr vorüberging, sah sie nicht zu ihm auf.

So grüßte er denn die Schwiegermutter in frostiger Weise, entschuldigte sich mit seinen Geschäften und ging hinaus. In seinem Arbeitszimmer fand er Onkel Tobias, der über sein mürrisches Gesicht zu lachen anfing, denn er hatte es noch nicht so gesehen.

Was ist denn los? fragte der alte Mann. Was hat es denn gegeben? hast Du Dich geärgert?

Ja wohl, Onkel Tobias.

Mit dem herzallerliebsten Schatz?

Mit dem Schatz, den Ihr mir gegeben habt.

Du hast wohl einen Fleck auf den Teppich gemacht, oder die Stiefeln nicht gehörig gesäubert, oder ist es noch was Fürchterlicheres?

Er fing laut an zu lachen, streckte seinen Kopf vor, kniff die Augen listig zusammen und flüsterte ihm zu:

Neulich, wie ich bei ihr saß und eine Priese genommen hatte, hat sie eine halbe Stunde lang an der Erde umhergewischt und jedes Körnchen Tabak aufgesucht, als wären es Diamanten.

Eduard stützte den Ellenbogen auf das Pult, legte den Kopf in seine Hand und murmelte vor sich hin:

Der Teufel hole das Heirathen!

Bisch! winkte Onkel Tobias, daß Dich Keiner hört. Dein Bruder würde Wehe schreien, und Deine Mutter bekäme das Zittern. Was ist denn geschehen? Will sie nicht mitgehen in's Theater, oder auf einen Ball, oder in eine Gesellschaft? Ich muß Dir sagen, Eduard, es giebt ein altes Sprichwort: Allzuviel ist ungesund. Es wird ihr zu viel, sie denkt wohl ein Bischen anders darüber wie Du.

Es wäre wohl mit ihr fertig zu werden, fiel der junge Mann ein, aber die Mutter ist Schuld daran.

Mit der Schwiegermutter ist es eine schlimme Geschichte, sagte Onkel Tobias, seine Achseln hochziehend, aber in diesem Falle mußt Du vorsichtig sein. Der Wind bläst aus der frommen Ecke. Dein Bruder ist nicht erbaut von Eurem Leben.

Was geht meinen Bruder mein Leben an? fragte Eduard heftig. Ich glaube wohl, daß Du Recht hast, aber mag er sich um sein eigenes Leben bekümmern, an dem Viel zu bessern bleibt.

Stille, stille, mein Sohn! winkte Onkel Tobias. Es ist ein heiliger Mann, und wenn er den Kopf über Dich schüttelt, wackeln die Köpfe aller respectablen Leute. Es ist ein Musterbild, worauf ein Jeder mit Ehrfurcht schaut; wer ihn schmähen wollte, würde gesteinigt werden.

Der junge Fabrikant zog die Stirn in finstere Falten.

Du mußt Dich besser mit ihm stellen, flüsterte der alte Mann, indem er näher trat und seine Hand auf Eduard's Schulter legte. Du mußt auch Deine Mutter bedenken, und dann mußt Du die Meinung der Leute bedenken. Es ist gar zu leicht, daß man einen schlechten Ruf fort hat.

Aber was wollen denn die Leute von mir, Onkel Tobias? rief Eduard ungeduldig. Wodurch soll ich in den schlechten Ruf kommen?

Nur nicht hitzig! lachte der alte Mann, auf die silberne Dose schlagend. Du bist jung und liebst das Leben. Ihr schwärmt umher und genießt es. An allen Orten sieht man Euch, und es geht Geld darauf. Keinen Abend zu Haus, immer was Neues, immer Vergnügen. Dein Bruder sitzt in seinen stillen vier Pfählen, die alte Mutter sitzt in ihrem Stübchen, die Frau Bürgermeisterin ärgert sich vielleicht, daß sie nicht überall mitgenommen wird, aber sie sitzt auch zu Haus, oder läuft zu Georg, oder zu der alten Frau dort oben, oder zu Verwandten und Bekannten, und sorgt, daß die Leute sie bedauern, weil sie ihre einzige Tochter kaum zu sehen bekommt. Und die rechtschaffenen Leute empören sich über solch leichtsinniges Leben in Saus und Braus, mit dem es ein schlimmes Ende nehmen muß.

Erbärmliches Geschwätz! murmelte Eduard, indem er sich die Stirn rieb. Ich weiß, was ich thun kann.

Aber die junge Frau selbst hat keinen großen Gefallen daran, fuhr Onkel Tobias fort. Es ist ein häuslich Wesen, das seine Freude daran hat, daß die Leute sagen, es sieht bei ihr nobel aus wie bei einer Fürstin, und Alles ist im Ueberfluß vorhanden, aber die Besen und Bürsten sind ihr weit lieber als Gäste und Feste, und das Hausregiment macht ihr mehr Vergnügen als alle Lust und Eitelkeit, die draußen zu finden ist. Darum loben die frommen Leute sie auch und seufzen, daß der eigene Sohn und Bruder nicht besser gerathen ist.

Sie beurtheilen mich falsch! rief Eduard in stolzem Tone. Es ist wahr, ich habe Anna viele Zerstreuungen verschafft, mehr als nöthig war, weil ich ihr meine Liebe oder wie man es sonst nennen will, meine Aufmerksamkeit beweisen wollte. Wenn es aber so steht, fügte er langsam hinzu, so wollen wir es aufgeben. Die Flitterwochen sind ja überhaupt vorbei, und was die Liebe anbelangt so fürchte ich, Onkel Tobias, daß ich mich getäuscht habe. Er strich mit der Hand über seine Augen, als wollte er Etwas fortwischen, und erzählte dann dem alten Mann in ruhiger Weise, was er mit seiner Frau und deren Mutter eben verhandelt hatte.

Das ist nicht sehr schön! es ist sogar sehr unangenehm! rief Onkel Tobias, aber das geht von der Frau Bürgermeisterin aus, und wer weiß, wer noch dabei mitgeholfen hat. Der selige Bürgermeister war ein Löwe, wenn er vor Rath und Bürgerschaft stand, es durfte Keiner mucksen; zu Hause dagegen war er ein Lamm, das alle Tage geschoren wurde.

Sie sollen nicht denken, es mit mir auch so zu machen, fiel Eduard in gereiztem Tone ein. Ich habe von dieser Frau, die nun meine Schwiegermutter ist, Mancherlei erzählen hören, möchte aber um keinen Preis, daß ich ähnliche Erfahrungen machte, wie der Herr Bürgermeister.

Sie ist ja fromm geworden, winkte Onkel Tobias beruhigend, ist mit Deinem Bruder überall dabei, wenn fromme Werke geschehen sollen, und Deine Mutter auch, – was Dein Bruder lobt, lobt Deine Mutter auch. Was geschehen ist, ist geschehen, mein Junge, aber ein kluger Mann nimmt die Menschen und die Verhältnisse, wie sie sind. Was nicht zu ändern ist, nützt er so gut er kann. Es ist recht, wie Du es gemacht hast. Laß Deiner Frau ihr Geld; will sie es behalten, so ist es gut. Denk nicht weiter daran.

Das ist leichter gesagt, wie gethan, Onkel. Vergessen kann ich es nicht.

Bah! lachte Onkel Tobias, Du wirst doch nicht zanken wollen? Wirst doch nicht thun, es sei Dir daran gelegen? Was ist denn dabei? Und im Grunde hat sie doch so Unrecht nicht. Laß sie die Zinsen beziehen, so ist es ein Nadelgeld für ihren eigenen Bedarf. Willst Du Dich verschreien lassen? Sollen sie umherlaufen und klagen: Weil wir's Geld nicht herausgeben, ist der Frieden gestört? Soll die Frau Bürgermeisterin mit Klatschgeschichten umherziehen?

Der werde ich nächstens meine Meinung sagen.

Das wirst Du nicht thun, mein Junge, dazu wirst Du zu klug sein, philosophirte Onkel Tobias, denn es könnte nur schädlich werden. Wär's eine gutherzige Frau, wär's eine andere Sache; aber – er legte den Mund an seines Neffen Ohr – es ist eine alte falsche Katze! Also, siehst Du wohl, weil's so ist, muß sie geschmeichelt und gestreichelt werden. Lobe ihr buntes Fell, so wird sie vergnügt schnurren und spinnen.

Aber Onkel, lachte der junge Mann erheitert, sie spinnt mir doch keinen goldenen Faden.

Wer kann's wissen, sagte Onkel Tobias, schlaue Falten ziehend und auf die silberne Dose schlagend. Kauf die neuen Kirchenplätze und mach ihr einen zum Geschenk.

Heucheln kann und will ich nicht.

Was heucheln, Narrenspossen! rief der alte Mann. Menschenkenntniß soll man haben, und das Wenigste, was Du thun kannst, ist, daß Du so freundlich bleibst, wie Du je gewesen. Willst mit Deiner Frau zürnen, weil sie sagt, am liebsten möcht' ich mein Geld behalten? Wohin soll's dann führen mit Euch Beiden? Ich habe das Heirathen niemals versucht, Eduard. Ich weiß nicht, wie es gekommen ist; ich glaube aber, es haben mir immer zu Viele gefallen. An allen Orten, wohin ich kam, gab's Mädchen, die ich gleich hätte mitnehmen mögen, doch kaum war ich fort, ging's mir in anderen Städtchen gerade ebenso. Vielleicht wär's am Ende doch noch was geworden, und ich wäre irgendwo hängen geblieben, hätte ich meine alte Geige nicht immer bei mir gehabt. Kam allerlei Träumerei über mich, faßte ich sie bei den Ohren, und das liebe alte Geschöpf fing gleich an zu singen: Schlag's Dir aus dem Sinn, schlag's Dir aus dem Sinn, es bringt kein Gewinn!

Eduard lachte herzlich auf, aber Onkel Tobias hielt ihn am Knopfloch fest und klopfte ihm auf die Backen. Na, siehst Du wohl, mein Söhnchen, wer es versucht hat, der kann nicht mehr singen: Schlag's Dir aus dem Sinn, sondern muß immer daran denken, was an ihm hängt.

Eine Kette!

Bah! Bah! so ein allerliebst rosig Weib, das Blumen näht, und Keiner kann's ansehen, ohne zu wünschen, hätt' ich es doch, schmiedet kein glühend Eisen für ihren Mann. Aber ich hab's einmal gelesen in einem Buche, da stand geschrieben: Das ehelich Kleid ist ein Gewebe vom feinsten Stoff, man muß es wohl behüten vor dem ersten Riß, denn ist der einmal darin, so kommen bald auch ihrer mehrere, und wie es gestopft und geflickt werden mag, mit Glanz und Schönheit ist's vorbei.

Ja, man muß sich davor hüten, sagte Eduard nachdenkend mit leiser Stimme.

Geh hin und gieb ihr einen Kuß! rief Onkel Tobias, indem er den versöhnlichen Mann selbst küßte, so wird Alles gut sein. Was die Frau Bürgermeisterin betrifft, so mußt Du es ebenfalls versuchen, denn erstens hat sie Geld, zweitens sind alle Menschen sterblich, und drittens können sie Nichts mitnehmen. Diese drei Punkte überlege Dir wohl unter Weges.

Damit schob Onkel Tobias seinen Neffen zur Thür hinaus.


IV.

Es war zwischen den beiden Verwandten verabredet worden, daß Eduard seine begonnenen Unternehmungen ohne Bedenken fortsetzen sollte, ob auch die Aussicht auf die Beihilfe des Vermögens seiner Frau oder auf die Unterstützung seiner Schwiegermutter fehlte. Onkel Tobias war ja selbst nicht arm, auch glaubte er, daß die alte Frau nicht abgeneigt sein würde, ihrem Sohne Vorschüsse zu machen, besonders wenn dieser seinen Bruder zu gewinnen suche und überhaupt allen Anlaß vermeide, Aergerniß zu erregen.

Der alte Mann in seiner Theilnahme für seinen Neffen schärfte diesem daher auch wiederholt ein, keinen Zank mit seiner Frau zu beginnen und die Frau Bürgermeisterin zuvorkommend zu behandeln. Daß dieser Rath klug war, sah Eduard ein, und was auch in ihm sich widersetzte, so zwang er sich doch, so gut es immer ging, danach zu handeln. Aber er gehörte doch nicht zu den Diplomaten, denen das Wort dazu bestimmt scheint, die Gedanken zu verbergen, und welche fröhlich scherzen können, während sie auf Verrath sinnen. Seine Freundlichkeit bekam etwas zurückhaltend Steifes, die offene Weise, mit welcher er zeither über Alles gesprochen hatte, was ihm einfiel, schrumpfte zusammen, er beschränkte sich auf Nothwendiges, und indem er seine Unbefangenheit verlor, gab er sich Beobachtungen hin und wurde auf Mancherlei aufmerksam, was ihm bisher entgangen war.

Onkel Tobias hatte ihm Etwas über den Charakter seiner Frau gesagt, woran er bisher nie gedacht hatte. Er hatte überhaupt eigentlich noch nicht über deren Charakter gegrübelt, denn es ging ihm wie den allermeisten Menschen, die sich auf vereinzelt empfangene Eindrücke beschränken, ohne diese zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Er hatte sich daher nicht einmal ernstlich gefragt, ob Anna ihn liebe, und ebensowenig hatte er sich eine solche Frage in Bezug auf die Frau, der er sich zugeschworen, vorgelegt.

Zunächst hatte er die ganze Angelegenheit vorherrschend als einen Act nothwendiger Geschäftssache betrachtet. Er mußte eine Frau haben, diese wurde ihm angewiesen, und weil die Heirath Allen vortheilhaft schien, war sie ihm selbst vortheilhaft vorgekommen. Dazu hatte sich der sinnliche Reiz nach dem Besitz eines so schönen Mädchens gesellt und die Eitelkeit, beneidet zu werden. Ein anderes Bild war nicht in seinem Herzen. Er hatte viele Mädchen kennen gelernt, dieses und jenes hatte ihm gefallen, und es war zuweilen zu einer Liebelei gekommen; allein die Liebe, von der er zuweilen gehört oder gelesen, wie sie als Leidenschaft auftritt, hatte er niemals empfunden.

Das ist auch eine Thorheit, sagte er zu sich selbst. Die verständigen Leute haben ganz Recht, es führt nur zu Unglück.

Mit Leidenschaft hatte er daher niemals an Anna gedacht, und von den Millionen Ehen, welche auf Erden geschlossen werden, machte die seinige keine Ausnahme; sie war zu den besten darunter zu zählen. Die Verhältnisse passen, Eltern und Freunde finden es räthlich, Manches reizt und lockt, eine Abneigung ist nicht vorhanden, die Zukunft scheint dem Bündniß gewogen, und die Phantasie erhitzt sich mit allerlei Vorstellungen.

In dem Stande, dein Eduard angehörte, dem geschäftlichen Bürgerstande, ist es auch ganz gewöhnlich, die Ehe aus dem Gesichtspunkte der Nützlichkeit für beide Theile zu betrachten und so zu sagen, wie er es gesagt hatte: Ein armes Mädchen kann in jetziger Zeit kein Geschäftsmann nehmen. Was bekommt die mit, die ich heirathen soll?

Trotz dieser selbstsüchtigen Prosa war aber dennoch mehr Lust und Neigung zu einem poetischen Liebeshauch in Eduard's Herzen, als er geglaubt hatte. Die allermeisten Leute seines Standes gehen wohl bald in ihrer gewerblichen Thätigkeit auf oder empfinden es überhaupt nicht allzu tief, wenn ihre Ehe von der alltäglichsten Sorte ist und bleibt. Nach mancherlei Hader und Zänkerei kommt es zu einem gegenseitigen Verbündniß, bei dem entweder der Mann oder die Frau der nachgiebige Theil ist. Zu dieser Ausgleichung tritt dann die Gewohnheit, und wenn beide Steine nicht allzu hart sind, fangen sie doch an, zusammen zu mahlen.

Der größte Theil der Menschen ist gutmüthig; in der Ehe schickt und findet sich der eine Charakter in den anderen, eine gewisse Zuneigung entwickelt sich in den allermeisten Fällen, und Liebe und treue Anhänglichkeit erblühen häufig in der Ehe selbst da, wo Anfangs geringe Neigung oder sogar Zwang war.

Das Alles hatte Eduard wohl öfter gehört, und einige Male, wo er flüchtig daran dachte, ob er seine Braut wirklich liebe, war er ebenso geschwind damit fertig gewesen. Sie war jung, hübsch und hatte Geld, warum sollte er sie also nicht lieben und warum nicht eben so gut glücklich werden, wie so viele andere Leute!

Es lag auch bis jetzt nicht an ihm, wenn Störungen eintraten. Er hatte den besten Willen, seiner jungen Frau sich zärtlich anzuschließen, und seine Wünsche, ihr zu gefallen und jedes Zeichen ihrer Neigung lebhaft zu erwiedern, kamen aus einem empfänglichen Herzen. Wäre Anna ein lebensfrohes, unbefangenes Kind gewesen, sie würde mit ihren Plaudereien, ihren Einfällen und frohem Gelächter ihren Mann leicht zu ihrem Liebhaber gemacht haben, aber vom Hochzeitstage an, wo sie mit rücksichtsloser Heftigkeit ihn schalt, war eine kältere Stimmung zurückgeblieben, und diese entwickelte sich weiter bis zum Bruch.

Wenn Eduard Lichtfeld wenig daran dachte, wie er zu der Frau passe, die er gewählt, so hatte er noch weniger danach gefragt, mit welcher Neigung sie ihm ihre Hand reiche. Sie hatte ihr Jawort gegeben, hatte seine Küsse erwiedert, hatte ihn freundlich empfangen, wenn er kam, und mit anständiger Wohlgefälligkeit alle Glückwünsche angenommen. Was wollte er also mehr? Er, der stattliche junge Mann, der wohlhabende Mann, der manche begehrte Eigenschaft besaß und von Vielen gelobt wurde, er konnte wohl denken, daß auch Anna Hellmuth ihn gern sehe und mit Freudigkeit ihm folgen werde.

Jetzt saß er grübelnd vor ihr und blickte in das stolze Gesicht, das ihn nicht anschauen, nicht mit einem vertraulichen Worte, mit einem versöhnenden Lächeln die bösen Geister verscheuchen wollte, die durch seine Augen huschten. Anna kam ihm auch gar nicht mehr so schön vor. Ihr Gesicht war lang, um ihre Lippen lag ein Zug, der, wie er sich erinnerte, geizigen und eigensinnigen Leuten ankleben soll. Er ging von der Nase herunter nach dem Mund und gab diesem etwas Hartes und Hochmüthiges. Ja, das war der Ausdruck, der ihm jetzt zum ersten Male verständlich wurde, und blitzartig fuhr Etwas durch seinen Kopf, so daß er mit der Hand danach faßte, als wollte er es halten.

Niemals hat sie Etwas für dich gefühlt! rief ihm die böse Stimme zu. Sie wollte Frau werden, das wollen alle Mädchen, und die Gelegenheit war günstig, sie sagte ihrer Eitelkeit zu. Zugleich hörte er, was Onkel Tobias ihm in's Ohr geflüstert hatte, sich dort wiederholen: Besen und Bürsten sind ihr das Liebste, und das Hausregiment will sie führen. Beneiden sollen die Anderen sie wohl, doch noch mehr bewundern. Menschenkenntniß muß man haben, Menschenkenntniß und – klug muß man sein!

Ein rachedürstiges Gefühl erfüllte ihn.

Klug muß man sein, o! ich will klug sein. Onkel Tobias hat Recht, ich bin im größten Nachtheile, alle Stimmen erheben sich gegen mich. Ich will ihr beweisen, daß ich anders sein kann.

Mit diesem Entschlusse stand er auf und näherte sich der jungen Frau, welche emsig an ihrer Arbeit stickte. Die Frau Bürgermeisterin hatte sich entfernt, dies gab ihm Veranlassung, das Gespräch einzuleiten.

Wir sehen Deine Mutter selten, sagte er, das macht, wir haben zeither viel geschwärmt. Es ist rathsam, daß wir häuslicher werden.

Das ist sehr rathsam, antwortete sie.

So wollen wir heut den Anfang machen, fuhr er fort. Meine Mutter hat auch Grund, sich über uns zu beklagen. Wir haben fast noch nie einen Abend bei ihr zugebracht

Das ist nicht meine Schuld, sagte Anna, über mich hat sie sich nicht zu beklagen.

Du bist viel zu liebenswürdig, lachte er, um Grund zur Klage zu geben. Ich nehme es auf mich, aber ich will mich bessern.

Er machte dabei eine Bewegung, als wollte er sie umfassen, aber seine Antwort hatte schon ihre Empfindlichkeit erregt.

Meine Liebenswürdigkeit ist leider nicht groß genug, mich vor Deinem Spott zu schützen, antwortete sie.

Ich meine es gut, fuhr er fort, innerlich erfreut über ihren Aerger. Wir wollen heut meine Mutter besuchen und morgen meinen Bruder, oder wir wollen ihn zu uns einladen.

Mache das, wie Du willst, war ihre Antwort.

Er ging mit großen Schritten auf und ab und trat dann nochmals an ihren Stuhl.

Du bist doch nicht böse auf mich? fragte er.

Nein, sagte sie.

Ich wüßte auch nicht warum, fuhr er fort. Was Dein Geld anbelangt, so ist das abgemacht. Du sollst es behalten und wie es Dir beliebt damit verfahren.

Die junge Frau erwiederte Nichts darauf. –

Bist Du nun zufrieden? fragte er lächelnd.

Ich weiß nicht, entgegnete sie, ob Du glaubst, daß ich Dir dafür dankbar sein muß, wenn Du mir erlaubst, was mein ist, zu behalten.

Der herausfordernde Ton regte ihn auf. Dankbar, o nein! Dankbarkeit ist überhaupt Etwas, worauf ich keine Ansprüche mache.

Ich wüßte auch nicht wofür, antwortete sie, weiter stickend.

Er sah schweigend durch das Fenster.

Aber verträglich muß man doch sein! rief er plötzlich laut, und daran soll es nicht von meiner Seite fehlen. Es fehlt uns Etwas, Anna, wir müssen uns besser verstehen lernen. Ich lege Deinem Willen Nichts in den Weg, aber Du mußt auch – nein, nicht dankbar dafür sein, doch anerkennen, wie gern ich alle Deine Wünsche erfülle.

Das ist ein sonderbarer Vorwurf, daß ich nicht verträglich sein sollte, begann die junge Frau nach einem augenblicklichen Bedenken.

Nicht doch, unterbrach er sie, ich mache Dir keine Vorwürfe. Ich bitte Dich nur, von mir zu glauben, daß ich alles thun möchte, was Dir gefällt.

Was mir gefällt? sagte sie kopfschüttelnd. Das möchte ich bezweifeln.

Bezweifeln? Oh!

Du bist sehr wenig zart in Deinem Benehmen, wie in Deinen Ausdrücken.

Wie ist das zu verstehen? fragte er erstaunt.

Erst eben jetzt zum Beispiel, sowohl gegen meine Mutter, wie gegen mich. Da wir Deinem Willen nicht beistimmten, liefst Du umher wie ein Rasender, fochtest mit den Armen, stampftest mit den Füßen und warfst zuletzt die Thür zu, alle Rücksicht und alle Achtung vergessend.

Eduard verstummte. Er hatte sich eingebildet, ein Uebermaß von Mäßigung bewiesen zu haben, nun wurde ihm vorgehalten, ungeschliffen und beleidigend gewesen zu sein. Was sollte er thun? Sollte er seinen Gefühlen nachgeben, sich vertheidigen, anklagen, den Streit erneuen? Das hieß offenbar Oel in's Feuer gießen. Menschenkenntniß! Klugheit! schrie ihm Onkel Tobias in's Ohr, und es ging ihm so, wie vielen Männern – um des Friedens willen unterwarf er sich.

Liebe Anna, begann er mit dem Ton eines reumüthigen Sünders, wenn dies wirklich der Fall sein sollte, so muß ich um Verzeihung bitten. Das ist in Wahrheit nicht meine Absicht gewesen. Ich wollte Dich eben so wenig wie Deine Mutter kränken und hoffe, Du wirst mir glauben.

Bei diesen Worten zog er ihre Hand an seine Lippen, und der frühere Zug um ihren Mund verschwand und machte einem Lächeln Platz, in den schönen braunen Augen malte sich ein Triumph, als er sich vor ihr beugte.

Er hatte sich vor ihr gedemüthigt, wo kein Grund dazu vorhanden war; sie hatte ihre Herrschaft erprobt, damit war die Versöhnung besiegelt.

Am Abend machten sie Beide der alten Frau ihren Besuch. In der hohen Haube, mit dem Strickstrumpf bewaffnet, saß sie in der einen Ecke des Sophas, in der anderen saß Anna mit ihrer Stickerei. Onkel Tobias stellte sich nicht ein, obwohl er sonst regelmäßig die Frau Schwester besuchte, so blieb denn für Eduard Nichts übrig, als entweder die Unterhaltung zu führen oder zuzuhören, was Eins fast so schlimm war als das Andere.

Eduard Lichtfeld hatte nicht studirt, wie sein Bruder, aber er besaß doch eine nicht geringe allgemeine Bildung. Er sprach mehrere Sprachen, kannte und liebte die Dichter seines Volkes, hatte Viel gelesen, Sinn und Urtheil für Kunst und liebte Musik und Gesang. Den schönen, theuren Flügel hatte er mit dem Gedanken gekauft, daß Anna dafür ihn auch fleißig benutzen werde, allein dies war fast gar nicht der Fall. Selten einmal ließ sie sich bewegen, seine Bitte zu erhören, sie hatte niemals Zeit dazu, oder sie war müde, oder sie fand einen anderen Vorwand, und wenn sie Nein gesagt hatte, blieb es dabei.

Im Uebrigen war ihre Fertigkeit nur untergeordnet, und auch das mochte dazu beitragen, sie eigensinniger zu machen. Ihr Mann bewunderte nicht genug ihr Talent, und sie verlangte es doch von ihm noch mehr, wie von allen Anderen. Sie gehörte zu den selbstgefälligen Frauen, die sich musterhaft dünken, mögen sie thun was sie wollen, und deren Eitelkeit durch Nichts so sehr beleidigt wird, als durch einen Zweifel an ihrer Unfehlbarkeit. Ihre Erziehung war so mangelhaft gewesen, wie dies gewöhnlich mit weiblicher Erziehung der Fall ist. Ihre Mutter konnte ihr kein Beispiel für Bildung jeder Art, sowohl für Erlerntes, wie für Bildung des Herzens und des Charakters sein. Schmeicheleien hatten sie früh verwöhnt, eigensinnig zu werden, und was ihrem Geiste mangelte, hatte Herzensgüte niemals ersetzt.

Aber sie galt bei alledem unter ihren Freundinnen als sehr gebildet und begabt und war davon zumeist selbst überzeugt. Geistig sich zu beschäftigen, war allerdings niemals ihre Sache gewesen, an Büchern fand sie wenig Geschmack, aber ihre zahlreichen und prächtigen Arbeiten mit Nadeln und Fäden aller Art wurden um so mehr bewundert, und ihr Ruf, daß sie nicht allein eine Gesellschaftsdame, sondern auch häuslich und wirthschaftlich sei, hatte ganz besonders zu ihren Gunsten bei der alten Frau Lichtfeld gesprochen, als diese eine Frau für ihren Sohn suchte.

Und hierbei hatte die Empfehlung des Predigers mitgewirkt. Durch ihn war die alte Frau mit der Frau Bürgermeisterin näher befreundet worden. Durch einen Verein zur Hilfe armer Familien, den der Prediger begründet hatte, und welchem auch Anna mit ihrer Mutter beitrat, um das Manna des Leben in die Hütten der Verlassenen zu bringen, war die Freundschaft entstanden, aus welcher das Ehebündniß entsprang. Eduard mußte es verschiedentlich an diesem Abende hören, daß er sein Glück eigentlich seinem Bruder zu verdanken habe.

Die alte Frau sprach von »ihrem Sohne« mit größter Verehrung, während sie den anderen Sohn noch immer nicht als ganz reif zu betrachten schien. Sie war von »ihrem Sohne« daran gewöhnt worden, ein gewisses Mißtrauen in ihn zu setzen und an seinen Leichtsinn so fest zu glauben, wie an das heilige Evangelium. Auch in neuester Zeit mußte der Prediger Aeußerungen gethan haben, welche seinem Bruder nicht besonders günstig waren. Zwar nicht was dessen Ehe betraf, denn er hatte Gründe, diese zu schonen, allein es gab andere Gegenstände, die ihm Anlaß genug boten.

Nach mancherlei Abhandlungen über Mägde und Bratöfen, wirthschaftliche Preiscourante und Recepte für Mandeltorten kam das Gespräch auch auf Eduard's Unternehmungen und Bauten. Der junge Fabrikant erzählte Mancherlei darüber, und daß er in einigen Wochen schon die neuen Materialien erwarte, welche weit vorzüglichere Arbeiten liefern sollten, endlich auch seinen Freund, den Techniker und Doctor Bärwald, welcher ihm seinen Beistand zugesagt.

Der alten Frau schien das Alles nicht besonders zu gefallen. Ihr strenges Gesicht zeigte keine vermehrte Theilnahme, und endlich schüttelte sie den Kopf mit der hohen Haube und sagte zu ihrer Schwiegertochter:

Sonst fragten die Männer ihre Frauen, wenn sie etwas Wichtiges vorhatten, und beriethen mit denen, was geschehen sollte. Mein Seliger that Nichts, was ich nicht wußte. Das ist aber jetzt abgekommen. »Mein Sohn« sagt, Jeder will zu hoch hinaus, davon kommt das Verderben.

Aber Mutter, erwiederte Eduard, von solchen Sachen verstehen Frauen Nichts, namentlich jetzt, wo die Gewerbe keine Handwerke mehr sind, sondern wissenschaftlich betrieben werden.

Ohne alle neumodische Wissenschaft hat Dein Vater seine Geschäfte getrieben und das Seinige erworben, sagte sie, ein wenig heftiger mit der hohen Haube wackelnd, und habe ich mein Einsehen auch gehabt. Die Maschinen machen die Welt unglücklich, sagt mein Sohn. Es ist ein Ringen und ein Jagen unter die Menschen gekommen. Jeder hält sich für Klüger, und Alles ist doch eitel Lug und Trug. Auf Gott vertraut Keiner mehr.

Es blieb Nichts übrig, als, so gut es anging, freundlich zuzustimmen und nachgiebig zu scheinen; aber die alte Frau hob doch noch mehrmals bedenklich ihrer Kopf auf, nickte ihrer Schwiegertochter zu und sagte wohlgefällig:

Kurz müssen solche leichtsinnige Männer gehalten werden, das thut ihnen gut. Mein Seliger hatte auch wohl manchmal Lust, leichtsinnig zu sein, aber dafür war Eine da, die ihn auf den richtigen Weg brachte. Manchmal freilich ist es umgekehrt, da muß die Frau in Ordnung gebracht werden, wenn sie ihre Wirthschaft nicht versteht. Aber das kommt davon, wenn sie es zu Haus nicht gelernt haben; dann, sagt mein Sohn, muß leider der Mann erziehen und nachholen, was verabsäumt wurde.

Die beiden Frauen wechselten einige Blicke des Einverständnisses, und Eduard wußte recht gut, wer gemeint sei. Seine stille, blasse Schwägerin, die Frau seines Bruders, hatte nie besondere Gnade vor den Augen ihrer Schwiegermutter gefunden, die sie von Anfang an als ein verzogenes und verwöhntes Püppchen betrachtete, gut genug, um auf dem Stuhle zu sitzen, aber am wenigsten gut genug für einen Mann von solcher Art. Eduard erinnerte sich in diesem Augenblick mit lebhafter Theilnahme, wie fröhlich und regsam die kleine Schwägerin Anfangs gewesen sei, bis sie still und schüchtern wurde und ihre frischen Wangen verblaßten. Er erinnerte sich auch, wie oft er sie heimlich bedauert und sogar mehrmals offen für sie Partei genommen, aber nur, um ihr und sich zu schaden.

Jetzt war keine Zeit, sich damit zu beschäftigen, wo er an sich selbst genug zu denken hatte. Seine eigene hübsche junge Frau hatte auch ohne die Beistimmung seiner Mutter sicherlich Lust genug, die Rolle seines Bruders zu übernehmen und ihm ihre Erziehung angedeihen zu lassen. Als seine Mutter ihr die Lehre ertheilte, daß leichtsinnige Männer kurz gehalten werden müßten, bemerkte er wohl, wie Anna ihn anblickte, und ihr Lächeln ihm zu sagen schien: Hörst Du wohl, guter Freund, was Dir bevorsteht.

Er lachte ebenfalls und küßte ihre Hand, als wollte er um Gnade bitten, aber im Stillen sagte er sich dabei: Es soll Dir schwer genug werden. Du bist herrschsüchtig und herzlos, in dieser Beziehung passest Du zu meinem Bruder; aber meinst Du, Deinen Fuß auf meinen Nacken setzen zu können, so werde ich Dir zeigen, wer Herr ist. Ehe das geschehen soll, eher mag Alles reißen und brechen, was uns bindet und hält.

Mit diesem Entschlusse stand er endlich vom Tische seiner Mutter auf, als die Uhr zehn schlug, denn die alte Frau hielt pünktlich ihre Stunde. Er hatte sich entsetzlich gelangweilt, aber was Onkel Tobias Menschenkenntniß und Klugheit nannte, machte gute Fortschritte bei ihm; er heuchelte eine Gleichgiltigkeit und Nachgiebigkeit, die er nicht besaß.


V.

Am folgenden Abend ging er mit Anna zu seinem Bruder, wo er seine Verwandten und die Frau Bürgermeisterin traf. Der Prediger hatte eine Dienstwohnung im Predigerhause, der Kirche gegenüber, die nach alter Sitte von dem ehemaligen Kirchhofe umgeben war. In neuerer Zeit war aus dem Kirchhofe ein Kirchplatz mit Gartenanlage geworden, aber aus den Gras- und Blumenstöcken ragten noch manche Denksteine hervor, und unter den alten Bäumen befanden sich mehrere eingegitterte Gehege, in welchen Familiengräber noch gepflegt wurden. Auch die hohe, gothische Kirche war in ihren Pfeilern und Winkeln mit mancher Grabschrift auf verwitterter Gedächtnißtafel versehen, und obwohl lebendige Straßen nach allen Seiten hin den Kirchplatz umgaben, lag dieser selbst doch in feierlicher Schweigsamkeit, den bröckelnden Mauern des alten Domes, den verwitternden Urnen und Platten an den grauen stillen Häusern entsprechend, die auf ihn niederschauten.

Die Wohnung in dem Predigerhause war sehr geräumig, und wenn ein Ausbau in moderner Weise stattgefunden hatte, würden die hohen großen Zimmer und Kammern, die weiten Flure und Treppen zu stattlichen Einrichtungen benutzt worden sein. Gegenwärtig herrschte auch hier jedoch die alte Zeit und die alte Einfachheit, denen das entsprach, was der geistliche Herr zur Ausschmückung seiner irdischen Behaglichkeit gethan hatte. Es war Nichts vorhanden, was an den Luxus erinnerte, den man so häufig jetzt auch in den Wohnungen der arbeitenden Klassen trifft. Nichts von Polsterstühlen und schwellenden Kissen, Nichts von glänzenden Zierrathen und theuren Geräthen. In den meisten Zimmern befanden sich nur Stühle, Tische und Schränke der gewöhnlichsten Art, nur zwei waren wohnlicher als Familienzimmer mit weißen Gardinen und mit Sophas versehen. Ein paar schmale Spiegel in dunklen Rahmen blickten kümmerlich von den breiten Wandpfeilern, und einige fadenscheinige kleine Teppiche lagen auf den weißgescheuerten Dielen.

Durch einen engen Gang hingen diese Räume mit dem Studirzimmer des Predigers zusammen, der innersten heiligen Kaba, in welcher derselbe den größten Theil des Tages verlebte, und wo ihn Niemand unberufen stören durfte. Mit vielen gewaltigen Büchern ausgeschmückt, die in ihren Gestellen bis an die Decke reichten, mußte ein frommer Schauder jedes ehrfürchtige Herz ergreifen, das den frommen Priester hier in Arbeit und Entsagung fand. Ein Teppich von schwarzer Farbe bedeckte den ganzen Boden, auf dem Tischchen zwischen den Fenstern ragte statt des Spiegels ein hohes Crucifix von Ebenholz empor, und über dem schlichten Schreibtische hing an der einzigen freien Stelle an der Wand das Bild des Erlösers, der sein Kreuz gen Golgatha trägt.

Der Prediger kam seinem Bruder freundlich entgegen, als dieser mit seiner Frau bei ihm eintrat. Das Würdige und Gemessene in seinem Wesen schien von einer wärmeren Empfindung zurückgedrängt, auch war der Ton seiner Sprache ein natürlicherer, als es häufig der Fall war. Es machte ihm Freude, seinen Bruder bei sich zu sehen, wenigstens wollte er dies kundgeben, um verschiedenen Personen zu beweisen, wie weit er davon entfernt sei, seinen Bruder nicht zu lieben und zu achten. Er umarmte ihn daher und schüttelte ihm mit vieler Herzlichkeit die Hände, wobei die Frau Bürgermeisterin auf dem Sopha entzückt die Augen verdrehte und der alten Frau neben ihr Etwas in's Ohr flüsterte, was diese mit einem gravitätischen Nicken der hohen Haube beantwortete.

Sei mir von ganzem Herzen mit Deiner Herzliebsten willkommen, Eduard, sagte der Prediger. Ihr habt uns noch keinen Abend geschenkt, um so mehr freuen wir uns, daß Ihr endlich heut an uns gedacht habt.

Eduard versuchte eine Entschuldigung, aber sein Bruder ließ ihn diese nicht beenden.

Warum willst Du Dich entschuldigen, fiel er ein, ich bin zufrieden, daß das Weltkind endlich an den Propheten denkt, und glaube Dir gern, daß Eure ersten Wochen viele Zerstreuungen und allerlei Zwang mit sich brachten. Das wird nun vorüber sein, und Du wirst öfter derer gedenken, die nach Gottes Willen Dir die Nächsten sein sollen, wenn sie auch, was leibliche Genüsse und des Fleisches Herrlichkeit betrifft, wenig Lockendes zu bieten haben.

Er blickte dabei lächelnd auf die schmucklosen, düsteren Wände und auf die einfachen Geräthe. Eine gewöhnliche Schieblampe und ein paar dünne Lichter auf schwarzen Leuchtern waren nicht im Stande, das große Zimmer glänzend zu erhellen, und hierauf Bezug nehmend, setzte der Pfarrer hinzu:

Bei alledem und trotz ihrer großen Kronleuchter und strahlenden Kerzen wandeln ja doch die Meisten in Finsterniß. Wir halten es mit denen, von welchen der Apostel sagt: Erschrecket nicht vor der Dunkelheit, in Euch wird das Licht sein.

Er ist lauter Gemüth, sagte die Frau Bürgermeisterin gerührt der alten Frau in's Ohr, welche würdevoll weiter strickte und nur die hohe Haube beistimmend bewegte.

Wir besitzen allerdings noch ein paar große Lampen von unserer Hochzeit her, fuhr der Prediger fort, welche uns damals verehrt wurden, als etwas Neues und Prächtiges, jetzt würde sie Eduard schwerlich dafür anerkennen und bei seinen Gesellschaften benutzen wollen, uns aber verbrennen sie zu viel Oel, das jetzt sehr theuer ist. Es ist traurig, was die jetzige Theuerung für Noth hervorruft, wie viele arme Familien um Hilfe bitten. Also schränken wir uns selbst ein Wenig ein und bitten unsere lieben Gäste um Nachricht.

Diese himmlische Güte! flötete die Frau Bürgermeisterin der alten Frau in's Ohr, welche die hohe Haube eine ganze Zeit lang wackeln ließ und ihren Sohn zärtlich ansah.

Eduard versicherte, daß er vortreffliche Augen habe, und nachdem er einige scherzende Worte hinzugefügt hatte, daß er hoffe, ein Wenig mehr oder weniger Licht werde ihre brüderliche Freundschaft nicht ändern, erkundigte er sich nach seiner Schwägerin, die an dem Tische fehlte.

Sie ist in ihrem Berufe, sagte der Prediger, bei den Kindern und in ihrem Hauswesen thätig, um gastlich für uns zu sorgen. Die beiden jungen Pflanzen bedürfen der Sorgfalt des guten Gärtners, und Mathilde ist voll mütterlicher Rastlosigkeit, um über das Wohl dieses kleinen Gartens zu wachen.

Sie hat sich den Müßiggang abgewöhnen müssen, setzte die alte Frau hinzu. Ihr Theil hat sie jetzt. Bei der einen Magd im Hause muß sie die Hände rühren.

Aber das scheint mir beinahe zu viel verlangt, redete Eduard, indem er daran dachte, daß es in seinem kleinen Haushalt mehrere Dienstleute gab.

Im nächsten Augenblicke schon bereute er jedoch diese Bemerkung, denn seine Mutter wandte den Kopf nach ihm um und sah ihn durch die schwarze Hornbrille feindselig an.

Ich habe meiner Zeit auch meine Wirthschaft mit einer Magd allein geführt, begann sie mit derselben Härte, und meine Kinder dabei gewartet, meinem Manne beigestanden und Nichts versäumt. Morgens war ich die Erste auf und Abends die Letzte im Bett. Gott sei Dank! wo noch gute Sitte ist. Aber wenn man alle neuen Moden mitmacht, wenn man den großen Herrn spielen will, so kann es die Frau mit aller Arbeit nicht beschaffen. Wenn sie es auch wollte, es gehört ja zur Eitelkeit, daß mehrere unnütze Brotesser gehalten werden.

Sie haben ganz Recht, liebste Freundin, lispelte die Frau Bürgermeisterin. Man darf in den Gesellschaften gar nicht mehr sagen, daß man nur ein Mädchen für Alles besitzt. Man wird bemitleidet und nahezu verachtet. Es muß ihnen doch recht knapp und elend gehen, daß sie nur ein Mädchen halten können, heißt es gleich, und die jungen Damen schaudern zusammen vor dem Gedanken, daß ihnen selbst dergleichen passiren könnte. Gott sei Dank! ich habe meine Tochter nicht so erzogen, darum schämt sie sich auch nicht, Hand anzulegen und Ordnung zu halten.

Wenn die Männer besser waren, würden auch die Frauen besser sein, sagte die alte Frau; aber von denen kommt der Leichtsinn und die Strafe. Wenn Einer auch eine häusliche gute Seele zur Frau bekommt, so sucht er sie zu verderben, verspottet sie und verhöhnt sie, wenn sie keine Unordnung dulden will, behängt sie mit Tand und Flitter und schleppt sie umher zu allerhand Narrenspossen und Lustbarkeiten, damit sie so werden soll, wie er selbst ist.

So ging es noch eine Zeit lang fort mit Seitenblicken auf die wenigen Männer, welche es verstanden, den Schatz, den ihnen Gott gegeben, gehörig zu erkennen, und auf diejenigen, welche Nichts von dem Leben in Babel wissen wollten, sondern ihr Haus rein davon hielten und kein leichtfertiges Wesen darin duldeten. Eduard hütete sich wohl, dagegen Einwendungen zu machen, auch sein Bruder that es nicht. Er saß mit gekreuzten Füßen und übergeschlagenen Armen auf seinem Stuhle, als höre er einen Vortrag an, der ihm Vergnügen mache und ihm zu denken gebe.

Glücklicher Weise ließ sich bald von Außen der Onkel Tobias hören, nach welchem Eduard Lichtfeld in seiner Bedrängniß sich längst gesehnt hatte.

Wäre er doch hier gewesen, dachte er, so würden sie entweder gar nicht gewagt haben, über mich herzufallen, oder er hätte für mich das Schwert gezogen. Wie die alte Katze, wie er sie so treffend nennt, meine theuerste Schwiegermutter, beim Tone seiner Stimme die grünlichen Augen aufreißt, und Anna, die so erfreut es anhören kann, wie man mich verdammt, weil ich in meiner Einfalt sie schmücken und erfreuen wollte, wie sie die Augenbrauen zusammenzieht, als nahe eine Staubwolke! Selbst mein guter, gemüthlicher Bruder, der edle Menschenfreund, welcher im Halbdunkel sitzt, um die Lampe der Wittwe mit Oel zu tränken, selbst er rollt auf seiner hohen Stirn, wo die Weisheit thront, ein Rad von Falten zusammen bei diesem Krähen eines alten Hahns, der in seinen Hühnerstall dringt.

Dieser spottende Monolog wurde durch Onkel Tobias unterbrochen, der den Hut auf seinem weißhaarigen Kopf zur Thür hereindrang, welche er mit einem Fußtritt so heftig aufstieß, daß sie von der Ofenecke zurückprallte. Dies kam daher, weil der alte Mann seine Hände nicht gebrauchen konnte, denn er trug auf jedem Arm ein Kind, und alle vier Aermchen schlangen sich um seinen Hals, und die beiden Köpfchen versteckten sich an seinem rothen Gesicht, und die blonden Haare bedeckten seine weißen Haare und seine Augen. Es waren des Pfarrers Kinder, ein kleines Mädchen von wenig mehr als drei Jahren und ein Knabe, der eben halb so alt geworden war. Jedes hielt eine große Zuckerdüte zwischen den Fingern, suchte diese aber, wenig nach Kinderart, zu verbergen; überhaupt schienen die Kinder in ihren Nachtkleidchen nicht besonders freudig über die Promenade gestimmt zu sein, welche der alte lustige Onkel mit ihnen machte.

Holla! heda! schrie der alte Mann, wir wollen uns der verehrten Gesellschaft präsentiren.

Aber Onkel, antwortete der Pfarrer aufstehend, wo hast Du die Kinder gefunden?

Geraubt habe ich sie, lachte Onkel Tobias. In ihren Krippen lagen sie, doch kein Stern stand über ihren Häuptern. Unsere Christine hat der Papa abgeschafft, sagten sie, und nun bringe ich sie her, um sie bei Licht besehen zu können, denn das Nachtlämpchen ging uns vor der Nase aus.

Aber, Herr Bruder, wer wird denn die Kinder aus dem Schlaf reißen, sagte die alte Frau, ihre hohe Haube schüttelnd.

Sie werden sich erkälten! rief die Frau Bürgermeisterin.

Wo ist denn Mathilde? fragte der Prediger dazwischen.

Was haben sie denn in den großen Düten? fügte Anna hinzu, die sich ihnen näherte.

Zuckerwerk von Onkel Tobias, sagte der kleine Knabe, der den meisten Muth hatte.

Aber, Herr Bruder, rief die alte Frau vom Tische, lassen Sie doch die Kinder in ihrer Ruhe.

Zuckerwerk! obenein des Abends! jammerte die Frau Bürgermeisterin.

In meine Kinderstube hätte mir Niemand kommen dürfen, meinte die alte Frau, indem sie wieder zu stricken anfing. Das ist keine Ordnung, eine Mutter muß nach Allem sehen.

Der Prediger hatte mit einem Griffe die beiden Zuckerdüten gefaßt und in die Tasche gesteckt.

Morgen mehr davon, sagte er, ihr müßt fort in's Bett, ihr kleinen Sünder. Kommt her zu mir.

Die Kinder ließen den Onkel aber nicht sogleich los, sie fingen an zu zittern.

Es ist ja Spaß, rief Onkel Tobias, versteht doch Spaß. Ich habe sie Beide mitgebracht, weil sie in ihren Bettchen weinten, und weil's noch so früh war. Wie zwei kleine Engel sehen die Puppen aus, und heda! Frau Schwester, es fällt mir eben ein, wie wir am Tage, wo der Eduard getauft wurde, das Taufkind und seinen Bruder dazu aus dem Schlafe holten und am Tisch herumgehen ließen. Und der Eine gab sie dem Anderen, und es wurde ein Vivat darauf ausgebracht, daß es ein paar lustige Burschen werden sollten, die kein leeres Glas leiden und kein fröhlich Herz meiden sollten.

Im Augenblick kam die junge Wirthin herein, der man es ansah, wie bestürzt sie war. Ihr blasses Gesicht färbte sich dunkelroth, und ihre Augen suchten das Gesicht ihres Mannes, während sie die Arme nach ihren Kindern ausstreckte.

Wie kommt Ihr hierher? rief sie aus, indem sie sich ihrer bemächtigte.

Onkel Tobias, liebe Mathilde, hat und damit überrascht, lächelte der Prediger. Er hat die beiden kleinen Menschen weinend und allein angetroffen.

Ich hatte so viel zu thun, es ging nicht anders, flüsterte sie entschuldigend, aber ich war eben dort, um nach ihnen zu sehen, und sehr erschrocken, als ich sie nicht fand.

O, mein liebes, armes Mathildchen! sagte Onkel Tobias mit vieler Zärtlichkeit, indem er ihr die freie Hand küßte, denn den Knaben hielt er noch immer auf seinem Arm, wir müssen es wieder gut zu machen suchen. Komm her, Eduard, nimm den Jungen da und bring ihn zu Bett, fuhr er mit schalkhaftem Geblinzel fort, Du mußt bei Zeiten was davon zu lernen suchen. Aber das sage ich Dir, mein Sohn, wenn wir Kindtaufe haben, wird's gemacht, wie es mit Dir damals gemacht wurde. Der Junge wird hereingebracht, mag's Tag oder Nacht sein, und den Gevattern am Tische umher gereicht, damit jeder ihm seinen Segen gebe. Wär's bei dem Georg gleich geschehen, wie bei Dir –

Aber, Herr Bruder! fiel die alte Frau warnend ein.

Nein, dieser Herr Tobias! rief die Frau Bürgermeisterin, in ihre Hände schlagend.

Wenn es aber ein Mädchen ist, Onkel? lachte Eduard, indem er ihm das Kind abnahm und es in seinen eigenen Arm legte.

Um so besser, mein Sohn! rief der alte Mann hinter ihm her, da wird's eine gehorsame Frau werden, die Alles gern thut, was ihr Mann von ihr verlangt.

Gegen diesen Ausspruch des Onkels Tobias erhob sich ein lebhafter Widerstand, und Eduard hörte noch an der Thür Anna's spottendes Gelächter und ihre scharfe Stimme, die dem übermüthigen Onkel antwortete:

Es kommt darauf an, wer von uns Gehorsam verlangt und unser Herr sein will. Schwache Frauen gehorchen aus Furcht, andere nur aus Ehrfurcht.

Aus Liebe, Annchen, aus Liebe! krähte Onkel Tobias.

Man kann nicht lieben, ohne zu achten und zu ehren, antwortete sie.

Weiter hörte Eduard nicht, denn er folgte seiner Schwägerin in das Kinderzimmer am Ende des Ganges und half ihr dort die Kleinen beruhigen, die schmeichelnd baten, daß die Mutter bei ihnen bleiben möge. Mit Antheil hörte er zu, welche süße Worte und Versprechungen diese anwandte, um das Begehren abzuschlagen, und welche immer neue Tröstungen sie bereit hatte, wenn ihre Mühen Nichts fruchteten. Die kleine Lampe zitterte auf dem Tische hinter einem deckenden Schirm hervor und warf einen einzigen helleren Strahl auf das sanfte, freundliche Gesicht der jungen Mutter, die, über die Bettchen der Kinder hingebeugt, ihnen viele schöne Geschichtchen und mancherlei Herrlichkeiten zusagte, wenn sie nur heute artig sein wollten. Endlich wurde der Vertrag auch abgeschlossen und mit zärtlichen Küssen besiegelt. Die kleinen Arme umschlangen den Hals der gütigen Fee, die zum Abschiede noch so viele köstliche Dinge versprach, während ihre liebevollen Augen noch viel mehr hinzufügten.

Was es liebliche, gute Kinder sind, sagte Eduard, als sie sich aufrichtete, und welche gute Mutter sie haben.

Sie wandte sich zu ihm hin und nickte ihm zu.

Eine schwache Mutter, flüsterte sie, aber wer weiß denn, wie lange es mir vergönnt ist, sie zu lieben.

Er sah in ihr blasses Gesicht, das still auf die Kinder niederlächelte, und er erschrak vor dem Gedanken, der ihn überkam.

Liebe Mathilde, verbannen Sie so trübe Vorstellungen. Diese lieben Kinder werden Ihnen noch viele Freude – vielen Ersatz, murmelte er leiser – gewähren.

Ja, sie sind ein großes Glück! antwortete sie tiefathmend.

O, ich wollte! rief er lauter – aber er vollendete den Satz nicht. Er nahm ihre Hand und küßte sie.

Indem er dies that, sprach sie:

Jetzt müssen wir fort, aber kommen Sie doch recht oft, wir haben zeither uns recht wenig gesehen.

Ehe er aber darauf antworten konnte, wurde die Thür geöffnet, und Anna trat herein, ebenso schnell aber wieder zurück.

Es war eine Ueberraschung, bei welcher Eduard die Hand seiner Schwägerin fallen ließ.

Komm doch herein, Anna, sagte er nach der Thür schreitend.

Ich danke, antwortete sie, ohne sich aufzuhalten, ich will die vertrauliche Zusammenkunft nicht stören.

Nun, so folge ich Dir, lachte er, seinen Verdruß verbergend, denn unsere Zusammenkunft hat ihr Ende erreicht.

Damit war er neben ihr und begleitete sie zu der Familie zurück, wo Onkel Tobias mit seinem Neffen zwar nicht mehr über gehorsame Frauen und Liebessegen stritt, aber nicht weniger alle Stimmen gegen sich hatte, denn er behauptete, daß alle die frommen Vereine, welche jetzt wie Pilze aus der Erde wüchsen, eine viel gefährlichere Modekrankheit seien, als alle Crinolinröcke und alle sündige Leichtfertigkeit und Vergnügungssucht. Vertheidigen wollte er Keines von Beidem, wenn's übertrieben würde, aber immer sei es noch besser, als übertriebene Frömmigkeit, die an aller Lust einen Anstoß nähme und die ganze Welt zum Hause voll armer Sünder machen möchte, welche durch Heulen und Zähneklappen sich zu Tode jammerten.

Der Pfarrer widerlegte mit seiner lächelnden Würde alle Angriffe, und die Frauen auf dem Sopha kamen mit leidenschaftlichen Widerreden ihm zu Hilfe. Vor der Frau Schwester in der hohen Haube hatte Onkel Tobias Respect; denn er hatte sie einen guten Theil seines Lebens über kennen gelernt, und seine Verehrung vor ihrer Tüchtigkeit in vielerlei Lebenssorgen und Schicksalen war viel zu fest gewurzelt, um nicht auch jetzt sie vor seinem Spott zu sichern. Er entschädigte sich aber, indem er »ihrem Sohne« gehörige Hiebe versetzte und die Frau Bürgermeisterin ohne Gnade behandelte.

Aber dem lustigen Onkel wurde so leicht Nichts übel genommen, er mochte sagen, was er wollte. Er gehörte zu den glücklichen Menschen, denen Keiner etwas Böses zutraut, auch wenn sie die schrecklichsten Grundsätze predigen. In seinen freundlichen Augen mischte sich so viel Schalkheit mit so vieler Gutmüthigkeit, daß der Getroffene immer zweifelhaft blieb, wie es eigentlich gemeint sei, und selbst wenn er auffahren und beleidigt sein wollte, konnte er es nicht, denn ein Blick auf das harmlose Gesicht reichte hin, um sogleich wieder zu versöhnen, und was das Ohr auch gehört, für Scherz und Laune zu erklären. Niemand lachte herzlicher über seine Ausfälle, wie er selbst, und Nichts konnte ihn mehr ergötzen, als wenn er tüchtig dafür gescholten wurde. Mochten aber auch seine Anstrengungen bewirken, daß Alle über ihn herfielen, er ließ es sich wenig kümmern, und wenn er seine Pfeile verschossen hatte, schloß er von selbst Frieden und war mit jedem Feind und Gegner bald wieder im besten Vernehmen.

He, rief der lustige Onkel Tobias, wie machen es denn die frommen Leute gewöhnlich, wenn sie ihre Wohlthaten spenden? Sagen sie etwa: kommt her zu uns, ihr Mühseligen und Geplagten, wir wollen euch erquicken? Prost Mahlzeit! fuhr er auf die silberne Dose schlagend fort, das lassen sie bleiben. Die sich nicht bekehren lassen und nicht demüthig die Augen verdrehen wollen, bekommen Nichts. Armuth und Unglück sind Nebensachen. Bekehrt sollt ihr werden, oder ihr könnt weiter hungern und frieren, so viel ihr Luft habt.

Aber, Onkel Tobias, sagte der Prediger mit würdigem Lächeln, Du kannst doch nicht wollen, daß man die unverbesserliche Sittenlosigkeit durch Wohlthaten bestärkt und zu Hohn und Spott auffordert!

Wer sagt Dir denn, daß sie unverbesserlich ist, mein Sohn? entgegnete Onkel Tobias trotzig. Es gilt bei den frommen Leuten Mancher für unverbesserlich leichtsinnig und moralisch verdorben, der das Herz auf der richtigeren Stelle hat, als Viele, die über ihn den Stab brechen.

Er schielte dabei nach Eduard hin, der wie im tiefen Nachdenken in die lange kohlende Schnuppe eines Lichtes sah. –

Mit all' den frommen Vereinen und milden Gaben, die das arme Volk zum Beten bringen sollen, lockt Ihr zuletzt doch nicht den Hund aus dem Backofen, meinte der alte Mann.

Aber, Herr Bruder! sagte die alte Frau, indem sie die hohe Haube schüttelte.

Pfui über diesen abscheulichen Vergleich! rief die Frau Bürgermeisterin.

Meiner Seele! lachte Onkel Tobias, indem er eine ungeheure Priese nahm, so ist es gerade. Wie einem hungrigen Hunde hält man dem Sünder einen fetten Brocken unter die Nase und streichelt ihm über die mageren Rippen. Das bekommst Du, aber erst tanz' ein Bischen.

Die alte Frau warf den Kopf in den Backen und hörte auf zu stricken.

Dieser Herr Tobias ist der ärgste Spötter, den es geben kann! raunte ihr die Frau Bürgermeisterin in's Ohr.

Natürlich tanzen sie Alle, so lange sie gefüttert werden, fuhr der lustige Onkel Tobias fort, doch wenn's Nichts mehr giebt, hören sie eben so schnell wieder auf. Das ist die richtige Weise, Heuchler und Taugenichtse zu ziehen. Aber sind denn die frommen Leute etwa Tugendmuster?

Bei dieser verfänglichen Frage zog Onkel Tobias seine breiten schneeweißen Augenbrauen mondförmig in die Höhe, fast bis auf die Mitte der Stirn, und während seine großen schwarzen Augen schelmischer als bisher umher blitzten, schlug er mit aller Kraft auf die silberne Dose und hielt sie dem Pfarrer hin.

Werft Euer Gold und Silber von Euch und folget mir nach, sprach der Prediger sanftmüthig lächelnd, indem er nach der Dose faßte, aber der alte Mann zog diese geschwind zurück.

Es ist ein herrlicher Spruch! rief er, den merke Dir, mein Sohn. Geiz ist die Wurzel alles Uebels, Hochmuth ist ein schreckliches Laster. Eitelkeit ist auch nicht zu verachten, und die in ihrer Jugend so recht sündhaft leichtsinnig lebten, haben's nöthig, in ihren alten Tagen alle Schminke und alles falsche Wesen von sich abzuthun und sich zu bessern. Von mir aber bekommt Ihr Nichts, nicht einen Groschen, nicht einen Pfennig! Denn ich werde mich niemals bekehren und bleibe dabei: der Eduard hier, wenn er dreihundert Arbeitern Brot verschafft, thut dreihundertmal mehr Gutes, als Ihr mit Euren Wohlthaten. Holla, mein Junge! habe ich Recht?

Indem er seinem Neffen dies zurief, fuhr dieser auf und sah ihn an, wie Jemand, der nicht recht weiß, wovon die Rede war.

Allerdings, Onkel, sagte er, aber meine Schuld ist es nicht, wenn – er besann sich, hielt inne und stimmte dann in das schallende Gelächter des Onkels Tobias ein, der ihn an den Schultern rüttelte.

Er ist eingeschlafen! jubelte er. Ein schönes Compliment für unsere geistreiche und lehrreiche Unterhaltung. Nimm eine Priese, mein Junge; aber da kommt Mathildchen, bei deren Anblick seine Gefühle aufwachen.

Die Schwägerin trat herein, in jeder Hand eine große Schüssel, gefüllt mit verschiedener Speise für ihre Gäste. Anna lachte scharf und höhnisch bei ihrer Anmeldung auf.


VI.

Diesem Tage folgten eine Reihe anderer, in welchen Eduard's häusliche Verhältnisse sich nicht besserten, obwohl er sich verschiedentlich Mühe gab, seine junge Frau günstiger zu stimmen. Sie war reizbar und herrschsüchtig, verlangte eine Unterwürfigkeit, gegen welche er nicht immer nachsichtig sein konnte, und sie bestand auf ihrem Willen mit solcher Hartnäckigkeit, daß es ihn erbittern mußte.

Wegen seines Benehmens bei dem Besuche im Hause seines Bruders hatte er nicht wenig zu leiden. Zunächst drückte sich das Mißvergnügen seiner Frau durch ein beleidigendes Schweigen oder größtmöglichste Einsilbigkeit aus. Mit aller Zuvorkommenheit und wiederholten Versuchen, sich ihr zu nähern, war Nichts zu erreichen. Am nächsten Mittage saßen sich Beide stumm gegenüber, am Abend nahm er mit Ingrimm seinen Hut und ging in ein Kaffeehaus, wo er Bekannte traf und bis Mitternacht blieb. Am nächsten Tage war das Verhältniß noch drückender, aber seine Geduld ging zu Ende.

Warum schmollst Du denn mit mir? fragte er so mild er konnte, habe ich Dich beleidigt?

Sie antwortete erst, als er seine Frage nochmals wiederholte, dann sagte sie mit Kälte:

Ich wüßte kaum, wen Du nicht beleidigt hättest.

Wodurch hätte ich das gethan? Selbst in die Scherze des Onkels habe ich nicht eingestimmt, und wenn etwa – er hielt einen Augenblick inne, dann sagte er: Was meine Unterredung mit Mathilde betrifft, so ist es doch unmöglich, daß Du –

Darüber wollen wir kein Wort verlieren, fiel sie ein.

Aber ich will Dir erklären, was mich veranlaßte, ihr meine lebhafte Theilnahme zu beweisen. Gut und sanft, wie sie ist, rührte mich eine Aeußerung, die aus ihrem Herzen kam.

Du kannst ja recht bald diese Scene wiederholen, wenn es Dir Vergnügen macht und Du dazu eingeladen bist, sagte sie höhnend.

Das Blut stieg ihm in den Kopf.

Das wird ohne Zweifel geschehen, antwortete er, aber ich kann nicht denken, daß die Achtung und Freundschaft, welche ich für sie empfinde, Dich beleidigen können.

O nein, erwiederte sie, ich finde es so passend, wie Alles, was Du thust.

Er ging heftig im Zimmer umher und ballte seine Hände.

Klugheit! Geduld! murmelte er vor sich hin, und laut sagte er darauf: Sei doch nicht ungerecht, sowohl gegen mich, wie gegen die arme Mathilde, die sich so sehr bemüht, Dein Wohlwollen zu erwerben, während Du so wenig ihrem Beispiele folgst.

Ihr Beispiel kann für mich kein Muster sein.

Wärst Du ihr ähnlich! rief er mit ausbrechender Heftigkeit, wärst Du – aber ach! was helfen solche Worte, sie machen das Uebel ärger.

Er strich mit der Sand über seine heiße Stirn und fuhr dann sanfter fort:

Warum wollen wir uns gegenseitig das Leben verbittern? Wir haben doch Beide keinen Grund dazu. Ich bin ja ein Mann des Friedens und der Arbeit und habe so viel Geschäftssorgen in meinem Kopf, daß mir ein treues Herz ein rechtes Bedürfniß ist.

Er blickte sie dabei versöhnt und bittend an, und wieder war die Stunde da, wo ihre Herzen sich finden konnten, wenn das möglich gewesen wäre. Aber Anna sagte pedantisch:

Warum hast Du Dich in solche Sorgen gestürzt, statt auf den Rath verständiger Leute zu hören?

Diese verständigen Leute kleben an ihren alten Vorurtheilen fest.

Es ist nicht Deine gute Mutter allein, fuhr sie fort, sondern viele einsichtige Männer fragen, wo das hinaus will.

Das sind Zwischenträgereien, auf die Du nicht hören mußt, erwiederte er lebhafter. Du müßtest mich dagegen vertheidigen und mir mehr glauben, als allen anderen Menschen.

Der Blick, welcher ihm darauf antwortete, schien zu sagen: Dir glaube ich am wenigsten, und plötzlich fiel ihm ein, was er an jenem Abend gehört hatte, als er mit Mathilden aus dem Zimmer ging.

Liebst Du mich denn nicht? fragte er, indem er vor ihr stehen blieb. Du bist ja meine Frau! Du sollst mich lieben und achten.

Er legte seine Hand auf ihre Hand, sie rührte sich nicht. Ein Schmerz arbeitete in seiner Brust und malte sich in seinem Gesicht; sie schlug die Augen zu ihm auf und sagte unbewegt:

Richte Deine Frage an Dich selbst und gieb Dir Antwort.

Er antwortete Nichts darauf, aber dies Schweigen genügte.

Es ist immer besser als Lüge, murmelte er endlich tief Athem holend, immer besser als Heuchelei. Man muß vor keiner Wahrheit erschrecken.

Wer das Höchste verachtet und verspottet, fuhr sie fort, wie sollte der einen Menschen lieben können!

Genug! genug! rief er heftig, wir müssen uns Beide trösten, und mit diesen Worten entfernte er sich.

Von diesem Tage an widmete sich Eduard noch weit mehr seinen Geschäften, als er es bisher gethan, und Onkel Tobias erzählte der Frau Schwester mit wahrer Bewunderung, was er für ein Arbeiter sei, für ein fermer Kaufmann, Einer, vor dem man den Hut abziehen müsse. Was er anfange, das habe Hand und Fuß, immer treffe er den Nagel auf den Kopf, und wenn erst Alles in den gehörigen Gang gebracht sei, würden die Leute, die jetzt noch etwa den Kopf schüttelten und meinten, er stürze sich in unüberlegte Unternehmungen, bald sehen, daß er der richtige Mann dazu sei.

Onkel Tobias bereitete die Frau Schwester damit darauf vor, mehr Geld herzugeben, andererseits sparte er keine Ermahnung an seinen Neffen, das gute Einvernehmen aufrecht zu erhalten, keine Gelegenheit zu geben, daß die Familie sich über ihn erzürne und seine eigene Frau etwa zum Ankläger werde.

Es ist eine gute Frau, eine sehr gute Frau, sagte er, alle Leute sagen's, und ich sage es auch. Deine Mutter nennt sie ihre Tochter, gerade so, wie sie Deinen Bruder ihren Sohn nennt. Sparsam ist sie, sittsam ist sie, fromm ist sie auch. Ich glaube, Du weißt wohl nicht einmal, daß sie einen neuen Verein gebildet haben, der das neue Gebetbuch für Haus und Familie, was Dein Bruder geschrieben hat, überall vertheilt und Geld dafür sammelt.

Ich weiß nur, daß Anna seit einiger Zeit noch häufiger zu meinem Bruder geht und mit ihrer Mutter sich zusammen thut.

Hindere es ja nicht, winkte Onkel Tobias, laß sie ihr Wesen treiben. Bringe Du selbst lieber Dein Scherflein für das gottselige Unternehmen und bitte Deinen Bruder, den heiligen Georg, Dich in den Verein aufzunehmen.

Das würde er doch nur als Spott betrachten.

Freilich! rief Onkel Tobias achselzuckend, Du giltst einmal als ein leichtsinniger Mensch, also sei klug, mein Sohn.

Diese Lehre befolge ich längst, antwortete der junge Mann, ich demüthige mich geduldig, aber – Alles hat sein Ende.

Das versteht sich! rief Onkel Tobias, und indem er einen heftigen Schlag auf die silberne Dose that und sie ihm hinhielt, zog er die breiten Augenbrauen pfiffig in die Höhe. Wie ist es dem Columbus gegangen, sagte er, als er Amerika entdecken wollte? Die Bischöfe und Erzbischöfe, die Gelehrten und Weisen wackelten mit den Köpfen ärger, als Deine Mutter mit ihrer hohen Haube, schimpften ihn Ketzer und Leichtsinniger, Narr und Taugenichts. Nachher aber holten sie ihn im Triumph ein, und das ganze Land war stolz auf ihn. Und so werden sie Dich auch im Triumph einholen, wenn Du Dein Amerika entdeckt hast, mein Junge. Bis dahin aber mache es wie der große Columbus. laß sie reden, was sie wollen, denke immer an das Geld für Deine Schiffe.

Daran hatte Eduard auch immer als guter Kaufmann gedacht. Er hatte viel Geld nöthig gehabt, hatte sich, wie es in solchen Fällen üblich ist, mit seinem Credit geholfen, mit Wechseln, die er so lange als möglich laufen ließ, auch in manchen Fällen sie auf spätere Zahlungsfristen verlegte. Er war mit aller seiner Gewandtheit aber nicht im Stande, seine Verlegenheiten ganz zu verdecken, und sah daher den Tag kommen, wo er auf jeden Fall sich an seine Mutter wenden mußte.

Während dieser Zeit gab es oft Stunden voll trüber Vorstellungen und Zweifel, und wo sollte er sich ermuthigen, da ihm dies in seinem Hause nicht möglich war? Mit Anna konnte und wollte er nicht von seinen Sorgen und Entwürfen sprechen, denn er wußte zu gut, daß er dafür nur Theilnahmlosigkeit oder Vorwürfe finden würde. Ihre Gesellschaft wurde immer mehr langweilig und peinlich, weil er nicht wußte, wie er sie und sich unterhalten sollte, ohne Aergerniß zu erleben.

Häufig fand er auch seine Frau nicht zu Haus, denn sie besuchte fast täglich ihre Mutter, oder diese kam zu ihr, was seine Laune nicht verbesserte. Sie gingen Beide zu gleichgesinnten Freundinnen, hielten Conferenzen in frommen Angelegenheiten oder besuchten die Andachtsstunden ihres verehrten Freundes, des Pastors an der Kreuzkirche.

Diese Andachtstunden besuchte Eduard nicht, aber er kam doch nicht selten in seines Bruders Haus, und es war ganz natürlich, daß er Georg häufig nicht dort antraf. Der Prediger besaß für Belebung und Förderung seiner heiligen Sache einen ebenso unermüdlichen Eifer, wie Eduard als Fabrikant, und war ebenso rastlos thätig für die Arbeit, welche, wie er gern salbungsvoll sagte, der Herr auf seine schwachen Schultern gelegt, wie sein Bruder für die Arbeit mit Dampfkesseln und Doppelspindeln.

Wenn Eduard aber seinen Bruder nicht antraf, traf er dafür doch meist seine Schwägerin, und es blieb nicht ganz unbemerkt, daß er nach und nach immer öfter kam, und zwar fast immer zu einer gewissen Nachmittagsstunde, wo er wissen mußte, daß Georg ihn nicht störte. Die blasse junge Frau saß dann in dem kleinen Vorgarten des Predigerhauses, der an den Kirchhof stieß, auf welchem gewöhnlich die Kinder spielend umherliefen. In dem Gärtchen stand eine Laube von spanischen Weiden, die ein dichtes Gewinde tief fallender Zweige bildeten, dennoch aber erlaubten, zwischen dem Geblätter hindurch die Kinder und alle Umgebung zu beobachten.

Hier traf Eduard meist seine Schwägerin, immer fleißig arbeitend, sowohl für ihre Kinder, wie für sich, und er setzte sich zu ihr, plauderte eine halbe oder wohl eine ganze Stunde und ging dann meisthin wieder fort. Wenn er kam, sprangen ihm die Kinder jubelnd entgegen, und er hatte mit ihnen zu lachen und zu laufen. Er nahm sie auf seinen Arm, sie kletterten an ihm auf, saßen auf seinen Knieen und untersuchten seine Taschen. Er hörte ihr unschuldiges Geplauder mit Vergnügen, streichelte ihre blonden Haare und ließ sich von ihnen erzählen, während er sie oft lange still betrachtete und zuweilen, seinen Empfindungen nachgebend, an seine Brust drückte. Die blasse Frau arbeitete inzwischen weiter, aber es war, wenn er bei ihr war, als sähe sie nicht so leidend aus, als blickte ihr Auge muthiger, und der schmerzhafte Zug um ihren Mund verlöre sich in der angeregteren Stimmung.

Waren die Kinder zu ihren Spielen fortgelaufen, so begannen die beiden Verwandten ihre Gespräche. Eduard hatte seiner Schwägerin immer Vieles mitzutheilen. Er kam zu ihr, wie er sagte, zu seiner Erbauungsstunde, denn was er zu Haus nicht fand, fand er hier bei ihr: Theilnahme, Aufmerksamkeit, guten Rath, Verständniß und Glauben. Er erzählte ihr von seinen Geschäften, seinen Arbeiten, was sich ereignete und was er beabsichtigte, und sie sagte ihre Meinung dagegen, wobei er immer Vieles sehr richtig und zutreffend fand und sich herzlich freute, wenn sie ihm beipflichtete. Mit derselben Freundlichkeit und Theilnahme erkundigte er sich nach allen den kleinen Vorgängen ihres stillen Lebens, nach Allem, was der Tag mit sich brachte, was die Kinder betraf, aber nur nach Einem nicht – nach dem Leben und Treiben seines Bruders.

Es schien ein schweigendes Uebereinkommen zwischen ihnen abgeschlossen, weder von Anna noch von Georg zu sprechen. Eine allgemeine Erkundigung genügte, um den Gegenstand sogleich zu verlassen. Beide fühlten, daß an diesem Thore nicht gerüttelt werden dürfe, denn wenn es einmal aufgesprengt war, wohin führte da der Weg, der dahinter lag? Ein Geheimniß blickte daraus hervor, das mit seinen Ahnungen Beide bang und furchtsam machte, und doch konnte es nicht ausbleiben, daß dann und wann die Schlösser und Riegel klangen.

Je mehr Eduard sein Unglück empfand, um so sehnsüchtiger wurde er nach dem Troste, den ihm der Umgang mit seiner Schwägerin gewährte. Es war ein unschuldiger Ersatz für seine Schmerzen und Sorgen, den er sich verschaffte, aber er kannte bald nichts Wohlthuenderes, als wenn er bei ihr sitzen, ihr Gesellschaft leisten konnte.

Es war beruhigend, in ihr sanftes Gesicht zu sehen; wenn sie ihre Augen auf ihn richtete, war es, als kämen wärmende Lichtstrahlen über ihn, der Klang ihrer Stimme machte ihm Freude. Und wie theilnehmend sie war für so Vieles, woran er selbst Theil nahm, und was sie verbergen mußte. Sie war gut unterrichtet, weit besser, als Anna, war sorgsam erzogen worden und liebte noch heimlich Vieles, was ihrem Manne als Sünde galt, und was sie vor ihm nicht erwähnen durfte.

Jetzt sprach sie von der Zeit, wo sie noch tanzte, wo sie in ihres Vaters gastlichem Hause manche Künstler, Dichter, selbst Schauspieler und Sänger gesehen, wie von geheimnißvollen Sagen aus einem alten Märchenbuche. Eduard half ihr dabei; er erzählte ihr von manchem Neuen und Schönen, einigemale brachte er ihr sogar Bücher mit, und wie froh machte es ihn, wenn er sah, daß es sie erfreute. Längere Zeit kam er nicht weiter mit seinen Gedanken, es war ihm genug, was er damit an Trost gewann; allein je unmuthiger und sorglicher er wurde, um so höher wand sich der schwarze Wurm in seinen Kopf, der sein Denken verwirrte und anreizte.

Eines Tages saß er ungewöhnlich still in der Laube, niedergeschlagen von dem Benehmen seiner Frau, die ihm weder Achtung noch Rücksichten bewies. Warum achtete sie ihn nicht? Warum war sie ohne Vertrauen? Warum jagte ihr Anblick ihm ein unbeschreibliches Gefühl von Widerwillen ein? – Es war schon dahin gekommen, daß Beide sich nicht mehr neben einander ertragen konnten, ohne daß spitzige Bemerkungen den Bruch anzeigten, der nur noch mit einer dünnen Schicht äußerer Ruhe und höflicher Form bedeckt wurde. Sobald der gewöhnliche Wechsel nothwendiger Worte irgend eine eingänglichere Beziehung nahm, fand sich auch sofort ein Funke, welcher auf das Feuer fiel, das unter dieser Hülle brannte.

Eduard war zu reizbarer Heftigkeit geneigt, der kalte Hohn, mit dem er sich bedroht sah, brachte ihn bald zum Zittern, und um einer Unklugheit zu entgehen, wurde er genöthigt, fortgesetzt nach dem Recept seines Onkels ein Columbus zu sein. Er lächelte so freundlich, wie er es vermochte, er sprach so sanft und nachgiebig, wie ein Kind, das die Ruthe fürchtet, er heuchelte seine Abbitten wie ein Verurtheilter, der Gnade erwartet, und konnte dennoch meist Nicht8 weiter erlangen, als andere anzügliche Worte und Winke. Aber die äußere Hülle wurde doch aufrecht erhalten.

Manche Gesellschaften konnten nicht vermieden werden, und Niemand bemerkte den finsteren Geist, der hinter den beiden Gatten herschlich. Sie waren Beide freundlich, sie kamen Arm in Arm, er war bemüht, aufmerksam zu sein, und sie gingen wohl endlich fröhlich lachend fort. Sobald sie jedoch allein waren, erstarrten ihre Gesichter, ein Panzer von Eis schien darüber zu sinken und ihre Zungen zu lähmen. Einsilbig oder gänzlich stumm langten sie zu Haus an, schweigend trennten sie sich oder mit einem kalten Gruß.

Weder der Onkel Tobias, noch die alte Frau in der hohen Haube durchschauten diesen Zustand. Daß nicht Alles so war, wie es sein sollte, konnten sie nicht verkennen; aber daran war nach der einen Meinung Er, nach der anderen Sie Schuld, nach gemeinschaftlichem Urtheil jedoch mußte sich Alles ausgleichen, wenn nur noch einige Zeit vergangen sein würde.

Von den häufigen Besuchen Eduard's bei seiner Schwägerin war bisher nirgend die Rede gewesen. Seit jenem Tage, wo Anna sich mit solcher Härte über Mathilde äußerte, hatte er nie wieder ihrer erwähnt, auch gab ihm keine Aeußerung Anlaß, sie oder sich selbst zu vertheidigen. Heut aber hatte er zufällig Etwas vernommen, was die Frau Bürgermeisterin sehr laut aussprach, als sie ihre Tochter besuchte.

Er befand sich im Nebenzimmer, und wie er ihr Lachen und lautes Reden vernahm, horchte er auf.

Es ist eigentlich doch merkwürdig! hörte er sie sagen. Sie ist doch sehr häßlich, mager und blaß zum Erbarmen. Was erlebt man nicht Alles in der Welt!

Als Eduard aus dem Nebenzimmer herein trat, brach die Schwiegermutter das Gespräch ab und machte sich zuvorkommend mit ihm zu schaffen, was er mit gleicher Münze bezahlte. Er wußte endlich nicht, ob er recht gehört hatte, ob Mathilde wirklich mit ihrer christlichen Aeußerung gemeint worden oder eine Andere, als er aber jetzt in der Laube saß, bohrten sich seine Blicke auf den Zügen der blassen Frau ein, und er dachte über das nach, was er fand.

Ja, es war allerdings so, hartherzige Beurtheiler konnten diese Frau häßlich finden. Sie war klein und schwach, ihren feinen Zügen mangelte alle Frische, ihren Formen der Reiz, welcher bestechen kann; aber ihre furchtsamen Augen konnten so groß und klar werden, auf ihren blassen Lippen schwebte zuweilen ein so liebliches Lächeln, und wenn sie sprach, verschönte sich ihr Gesicht und erhielt einen Ausdruck, der ihre Empfindungen wiedergab.

Wenn aber diese Frau häßlich war, was bewog ihn denn, sie aufzusuchen, während die Schöne seine Abneigung erweckte? Sie in frischer Jugendfülle und diese bleiche, zerfallende Gestalt! Ein sonderbarer Schmerz zuckte durch ihn hin. Ein Gedanke, den er zum ersten Male dachte, vor dem seine Augen sich zusammenzogen, ließ er mit einem Seufzer den Kopf sinken ließ.

Was fehlt Ihnen? fragte sie. Sie sind doch wohl?

Bei Ihnen, Mathilde, ist mir immer wohl, erwiederte er gewaltsam lächelnd, aber das Lächeln starb sogleich wieder, und mit dem Feuer, das in ihm aufloderte, setzte er hinzu: Sonst fühle ich mich so wohl, wie ein Verdammter!

Langsam ließ sie die Arbeit, welche ihre Hände hielten, in den Schoß fallen. Die schmalen, weißen Finger falteten sich wie in aufsteigender Angst zusammen.

Da soll Gott für sein! sagte sie mit leiser Stimme. Was fehlt Ihnen?

Was mir fehlt? – Leiden wir nicht an demselben Uebel? Ja, Mathilde, wenn das möglich wäre, wenn Anna –

Still, sagte sie, ihn unterbrechend, klagen Sie nicht an. Anna ist gut, sie ist gewiß sehr gut – Georg ist es auch – er meint es zum Besten. Wir haben Alle unsere Schwächen, sagte sie mit einem bittenden Lächeln, und müssen mild sein, damit uns vergeben werde.

Und wenn unsere Milde nur dazu dient, uns verächtlich zu machen, weil wir uns wie Schwächlinge oder Schuldige mißhandeln lassen?

Nein, nein, lieber Freund, o nein! denken Sie das nicht, fuhr sie fort. Anna besitzt so viele edle Eigenschaften, und wo sie fehlt – ja, wo sie fehlt oder irrt, da ist es Ihre Pflicht, den rechten Weg zu finden.

Wo ist dieser rechte Weg, wo?! fragte er finster vor sich niederblickend. Ich sehe Nichts als einen Abgrund ohne Erlösung. Glauben Sie denn, Mathilde, daß ich Nichts gethan habe, um zu versöhnen?

Hören Sie nicht auf, das Rechte zu thun, entgegnete sie, und indem sie ihre Augen mit Innigkeit zu ihm aufschlug, fügte sie hinzu: Es liegt ein großer Trost darin, in den Leiden auszuharren mit dem Glauben, das Rechte zu thun.

Sie sind ein Engel! rief er leidenschaftlich, indem er ihre widerstrebenden Hände an seine Lippen zog, aber ich kann Ihnen nicht folgen. Es mag sein, daß Sie Recht haben. Anna mag Alles besitzen, was Glück verspricht, Eines aber besitzt sie nicht. Sie hat kein Herz, Mathilde, kein Herz für mich! Herzlos, selbstsüchtig, dünkelvoll! Mein Gott! wie soll ich ausharren. Gliche sie Ihnen, ich wollte sie anbeten!

Indem er dies sagte, fiel ein dunkler Schatten durch das Gitter des Gartens auf das kleine Blumenbeet, und gleich darauf stand Mathildens Gatte vor der Laube und sah hinein.

Bist Du hier, Eduard? begann er freundlich grüßend und seinem Bruder die Hand reichend. Es ist mir lieb, Dich zu sehen, obwohl ich zu solcher Stunde kaum auf Deinen Besuch hoffen durfte.

Ich bin schon öfter zu dieser Zeit hier gewesen, erwiederte Eduard.

So! rief Georg verwundert, als höre er etwas ganz Neues.

Ich zweifle nicht, daß Du es erfahren hast, fuhr Eduard fort.

Es ist wohl möglich, ich habe Viel in meinem Kopfe. Ja, es ist mir so, als hätten die Kinder davon erzählt. Du hast sehr gute Freunde an den Kindern und wirst einmal ein vielleicht allzu zärtlicher Vater sein.

Wenn ich ein Kind hätte, ich wollte es auf's Zärtlichste lieben, sagte Eduard.

Liebe zunächst die, von der Du dies Glück erwarten mußt, erwiederte der Pfarrer, und flehe Gott an um seinen Segen. Er hat Dir Viel gegeben, ohne daß Du batest, fuhr er fort, denn er beschenkte Dich mit einer treuen und standhaften Lebensgefährtin; er wird auch Deine Augen öffnen und Dich weiter blicken lassen, als Du es jetzt vermagst.

Meine Augen sind sehr gut, versetzte Eduard.

Für Deine weltlichen Geschäfte, lieber Bruder, das höre ich mit Freuden von verschiedenen Seiten, wie auch vom Onkel Tobias. Im Vertrauen hat dieser mir auch mitgetheilt, daß Du Geld bedarfst, und daß er selbst schon Dir ausgeholfen hat. Ich verstehe Nichts von Deinen Unternehmungen, will aber gewiß nicht dagegen sein, wenn unsere Mutter meinen Rath etwa verlangt. Nur sieh Dich vor, Eduard, damit wir kein Unglück zu beklagen haben.

Das Gespräch war damit auf einen Weg gebracht, der alle Verlegenheit beseitigte. Georg schien diese auch gar nicht in den Gesichtern der Ueberraschten bemerkt zu haben, wechselte mit seiner Frau einige Worte, bat sie darauf, ihm ein Glas frisches Wasser besorgen zu lassen, und verschaffte ihr dadurch Gelegenheit, sich zu entfernen und nicht wieder zu kommen.

Nach einiger Zeit stand dann auch Eduard auf, und sein Bruder gab ihm wiederholte Versicherungen, wie wohl es ihm thue, so viel Gutes von ihm zu hören, und wie gern er zu aller Hilfe bereit sei, die er zu leisten vermöge.

Wenn Du besser mit Deiner Schwiegermutter ständest, sagte er lächelnd, oder unserer Gemeinde Dich mehr genähert hättest, als es bis jetzt der Fall ist, so würdest Du manche dienstfertige Freunde finden. Nein, verstehe mich recht, fügte er hinzu, indem er seines Bruders Arm nahm und ihn begleitete, nicht um dessen wegen bitte ich Gott, daß er Dich inniger mit mir und Allen, die Dich lieben, vereinige, sondern Deines eigenen wahren Heiles wegen.

Eduard gab keine Antwort, aber es schien, als kämpfe er mit sich selbst, um sich nicht zu vertheidigen. Er sah umher, als suche er Etwas, und der Prediger errieth, was es sei.

Mathilde wird ihren häuslichen Geschäften nachgeben, sagte er, ich will ihr Deinen Gruß ausrichten. Ueberhaupt wirst Du wohlthun, nicht zu dieser Zeit zu kommen, denn Du wirst mich selten finden. Aber jeden Abend bist Du mir angenehm; und nun behüt Dich Gott, wenn Du Dich nicht länger halten lassen willst.

Die Worte: »Du wirst wohlthun, nicht zu dieser Zeit zu kommen« hatte der Pfarrer mit so besonderem Nachdruck gesprochen, daß Eduard sein Gesicht davon brennen fühlte, und als er durch die Straßen eilte, sagten sie gespenstisch durch seinen Kopf und ließen alle seine Pulse klopfen. Er schämte sich vor dem Verdacht, welcher darin lag, vor der Warnung, die ihm in's Gesicht geschleudert wurde, und er fühlte sich doch nicht so schuldlos, um nicht von seinem Gewissen gemahnt zu werden.

Statt nach Haus zurückzukehren, irrte er lange Zeit umher, ohne doch aus dem Hader mit sich selbst zu kommen. Bald entschuldigte er sich mit unerschöpflichen Gründen, bald wieder sank sein Muth dazu, und eine tiefe Traurigkeit lähmte seine hastigen Schritte. Die Freundlichkeit seines Bruders, die Wärme, mit der er ihm seinen Beistand anbot, die Unbefangenheit, mit welcher er Nichts von seinen Besuchen wissen wollte, war das nicht Alles Heuchelei?

Es fiel ihm ein, daß es sicher nicht zufällig gewesen, wie Georg die geduldige Frau fortgeschickt hatte, ein unmerklicher Wink seiner Augen hatte dazu genügt. Welch' tyrannische Herrschaft übte er über sie aus, und während er ihm Liebe predigte, war er weit davon entfernt, diese selbst als höchstes Gesetz zu befolgen. –

Einige Male stand er still und bedachte, ob er umkehren und seinem Bruder nochmals entgegen treten sollte. Aber was wollte er ihm erklären? Worüber ihn zur Rede stellen? Wovor wollte er sich und Mathilde schützen? Indem er ihren Namen aussprach, fiel ihm die bekümmerte, flehende Miene ein, mit welcher sie ihn an seine Pflicht gemahnt hatte. Zu Anna hatte sie ihn gewiesen, zu ihr sollte er zurückkehren. Mit keiner Silbe hatte sie ihm verrathen, was sie selbst leide, keine Klage war von ihr gehört worden. Und je mehr er sich daran erinnerte, um so mehr verwandelte sich sein Schmerz in Wehmuth.

Weichere Empfindungen verdrängten die Begierde, sich vor sich selbst zu rechtfertigen und die Schuld der Leiden, welche ihn drückten, auf Andere zu werfen.

Wir müssen tragen, was wir über uns brachten, sagte er; und hat Mathilde nicht Recht, ist es nicht würdig, wenn man das Unabänderliche stolz und muthig trägt, und ist es nicht trostvoll, immer das Rechte zu thun, immer zu versöhnen und auszuharren?

Auf diesem Wege gelangte er zur Ruhe durch die Bewunderung, welche er dem Benehmen seiner Schwägerin zollte. Er zweifelte nicht, daß sie weit mehr noch zu vergeben und zu versöhnen hatte, und mit welcher geduldigen Liebe unterwarf sie sich! Wie ein leuchtendes Bild schwebte sie vor ihm, immer bereit, den Zeichen der Unzufriedenheit ihres Gatten mit doppelter Freundlichkeit zu begegnen, immer bereit, seinen Winken zu folgen, immer unterwürfig und immer geneigt, durch ihren Eifer sein Wohlwollen oder doch sein Mitleid zu erzwingen. O! und das Alles half ihr Nichts, aber sie ermüdete nicht darin.

Er begeisterte sich an diesen Gedanken und gelobte sich, ihr nachzustreben. So wollte er es machen. So sollte Anna von ihm behandelt werden, bis sie von seiner Güte überwältigt würde.

Auf dem Wege nach Haus fiel ihm ein, daß eine neue Oper, welche viel Aufsehen machte, heut gegeben wurde, und daß er neulich Anna vorgeschlagen hatte, die nächste Aufführung mit ihm zu besuchen. Sie antwortete ihm eingänglicher darauf, als er gewohnt war, und nun eilte er, sein Versprechen zu erfüllen, was sich nicht mehr ganz leicht thun ließ, denn es war schon ziemlich spät, und Billets nur durch Vermittelung und um doppelten Preis zu haben. Endlich gelang es ihm dennoch, und in Eile sprang er die Treppe hinauf in's Zimmer, wo er Anna zu finden hoffte.

Sie saß wirklich an ihrem gewöhnlichen Platze, aber gewiß nicht ihn erwartend, denn ihre Kleidung war vielmehr auffallend häuslich und einfach.

Verzeihe, daß ich so spät komme, rief er ihr entgegen, aber ich glaubte, Du würdest nicht vergessen, was wir beabsichtigten, und Dich danach eingerichtet haben.

Ich weiß nicht mehr, was wir beabsichtigten, antwortete sie.

Die Oper zu besuchen, fiel er ein. Es war mir auch aus dem Sinn gekommen. Glücklicher Weise sah ich eine Ankündigung, worauf es mir denn gelang, noch zwei schöne Plätze zu erhalten.

Du hast jedenfalls so viel Wichtiges zu denken, daß eine so unbedeutende und überflüssige Sache sehr leicht vergessen wurde, erwiederte sie.

Sei darum nicht böse, sagte er, an Mathildens Beispiel denkend. Wir haben noch hinreichend Zeit, wenn Du ein wenig eilen willst.

Sie gab keine Antwort, aber sie las in dem Buche weiter, das sie in der Hand hielt.

Ja, wenn Du länger zögern willst, werden wir den Anfang versäumen, fuhr er fort.

Ich werde nicht hingehen, sagte sie theilnahmlos.

Du willst nicht hingehen? Aber Du hast doch selbst gewünscht, diese Musik zu hören.

Es entstand wieder eine Pause.

Ich bin zu einer anderen Ansicht gekommen, erwiederte sie dann.

Liebe Anna, Du solltest doch meine Bitte erfüllen. Wir gehen ja so wenig mehr zusammen.

Dafür kann ich nicht.

Wenn Du nur willst, so wird es mir Freude machen, Dich an manche Vergnügungsorte zu führen, wo wir Freunde und Bekannte antreffen. Wir können Landpartien verabreden, auch habe ich schon daran gedacht, ob Du nicht gern für den Sommer anderswo, vor den Thoren oder auf dem Lande wohnen möchtest. Im nächsten Jahre denke ich so weit zu sein, daß wir eine Reise machen können.

Alle diese Vorschläge wurden mit einer gewissen krampfhaften Eile gemacht und mit Unempfindlichkeit angehört. Die junge Frau blickte fortgesetzt in das Buch und sagte zuletzt nur darauf:

Ich danke für Alles.

Aber mein Gott! rief er aus, und dann schwieg er wieder still und blickte sie an. Ja, sie war schön. Hals und Nacken marmorartig glatt und fein. Das Gesicht mit seinen edel geformten Zügen so wohlgestaltet. Es dunkelte vor seinen Augen; Mathilde schwebte an ihm vorüber mit den bleichen Wangen, mit der eingefallenen Brust, und dennoch, dennoch – schöner als diese schöne Frau.

Es kann doch Dein Ernst nicht sein, begann er nochmals. Thue es mir zu liebe, liebe Anna. Komm, kleide Dich an, oder meinetwegen bleib wie Du bist, aber begleite mich.

Nein, sagte sie. Aller dieser Tand ist mir gleichgiltig, ich werde überhaupt nicht mehr an solche Orte gehen, die nur dazu dienen, den Leichtsinn zu vermehren.

Du ziehst eine interessante Lectüre vor, wie es scheint, antwortete er, unfähig, länger in seiner Rolle zu bleiben, und diese beschäftigt Dich so sehr, daß Du keine Zeit behältst, mich eines Blickes zu würdigen. Darf ich fragen, was für ein merkwürdiges Buch das ist?

Es ist eine Schrift Deines Bruders, sagte sie, welche die Ursachen angiebt, aus welchen Gottesfurcht und Ehrbarkeit immer mehr abgenommen und der Sünde und Schande Platz gemacht haben, die jetzt Alles, was recht und wahr ist, verspotten. Ich kann Dir diese Schrift dringend empfehlen, vielleicht findest Du darin einigen Stoff zum Nachdenken.

Von meinem Bruder! antwortete er. Und auflachend faßte er die Opernbillets, riß sie in Stücke und warf sie ihr zu Füßen, indem er sich umwandte und das Zimmer verließ.


VII.

Einige Tage darauf traf der längst erwartete Techniker ein, den Eduard früher in Wien kennen lernte, und welcher in England und Frankreich die neuen Erfindungen, um welche es sich handelte, gründlich kennen gelernt hatte. Mit dem Erscheinen des Doctors Bärwald in dem Hause seines Freundes kamen aber auch mancherlei Veränderungen. Es wurden ihm einige Zimmer eingeräumt, er war der Tischgenosse der Familie und brachte den größten Theil seiner freien Zeit in deren Gesellschaft zu.

Da ein Dritter somit meist bei der häuslichen Geselligkeit Eduard's und seiner Frau zugegen war, mußten Beide ebensowohl mehr auf sich selbst achten, wie in Folge davon jeden Anlaß zu Mißhelligkeiten mehr vermeiden. Das bisherige schweigsame und mürrische Gegenübersitzen hörte auf, und eine bessere Stimmung trat um so mehr an dessen Stelle, da Doctor Bärwald ein anziehendes und anregendes Vermittelungsglied bildete. Er besaß alle Eigenschaften, ein solches Amt zu übernehmen, denn von vielseitiger Bildung und wohlbewandert in der Art, diese geltend zu machen, verband er damit alle Formen des Umgangs, die sein Uebergewicht einzuschmeicheln wußten.

In körperlichen Vorzügen stand er hinter Eduard zurück. Er war weit kleiner, aber breit von Schultern und Brust, und auf diesen saß ein Kopf mit markigen, festen Zügen, denen eine ihren Eindruck nicht verfehlende Mischung von Energie und Kraft eingeprägt war. Alle Muskeln dieses mächtigen Kopfes waren außerordentlich ausgebildet und sprachen für heftige Leidenschaften. Das dichte dunkle Haar stand wie ein undurchdringlicher Wald über seiner breiten Stirn, und er wußte vergnüglich darüber zu spotten, wie sein Name dadurch zur richtigsten Bedeutung gelange, da sein Haupt mit einem wahren Bärenwalde bewachsen sei.

Ein Kopf solcher Art würde keinen ganz angenehmen Eindruck gemacht haben, wenn die Augen darin nicht das Besorgniß Erregende verdeckt hätten. Diese lebhaften, durchdringenden Augen verwandelten, wenn sie wollten, das Ganze. Sie waren ebenso beweglich wie leuchtend und konnten ebenso sanft und freundlich bitten, wie feurig auflodern oder befehlen. Alle Empfindungen und Regungen des Doctors drückten sich darin aus, und er gebrauchte sie mit Meisterschaft, wie stolze Rosse, die an Fäden gelenkt werden.

Nach den ersten drei Tagen war er mit der gesammten Familie bekannt, und überall wurde er gelobt, denn er hinterließ die günstigsten Erwartungen. Bei aller seiner Höflichkeit und Lebendigkeit fühlte doch Jeder, daß dies ein Mann von männlichen Wesen sei, der mit Ernst und Nachdruck zu handeln vermöge. Dies bestätigte sich denn auch sehr bald, denn der Doctor griff entschieden in die Fabrikeinrichtungen ein, verwarf Manches, was Eduard begonnen hatte, ordnete und befahl dagegen Anderes, woran bisher Niemand dachte, und traf Einrichtungen, deren große Vortheile und Erfolge er so praktisch einleuchtend darstellte, daß Onkel Tobias alsbald sein größter Verehrer wurde.

Es kam auf verschiedene neue Farbenmischungen für die Wollfabrikate an, und sogleich war ein Laboratorium eingerichtet, in welchem der Doctor als Chemiker eine solche Thätigkeit und Kenntniß entwickelte, daß seine Versuche keinen Zweifel übrig ließen und sogleich im Großen angewandt werden konnten.

Alles, was er anfaßte, geschah mit der größten Schönheit des Gelingens, und jetzt, sagte Onkel Tobias zu der Frau Schwester, indem er auf die silberne Dose schlug und eine ungeheure Priese nahm, jetzt ist Alles in Ordnung. Das ist ein Hexenmeister! Der und Eduard zusammen kehren die Welt um.

Die ist schon umgekehrt genug, antwortete die alte Frau in der hohen Haube. Aber »mein Sohn« lobt ihn auch. Er hat Sinn für das Gute und gehört nicht zu den Spöttern.

Der Prediger hatte allerdings diesen Ausspruch gethan, denn auch ihm hatte der Doctor gefallen. Was er ihm über den Zustand der Industrie mittheilte, war von einleuchtender Wahrheit, noch viel mehr aber gefielen dem Geistlichen die Schilderungen, welche Bärwald damit über die Lage der Fabrikarbeiter verknüpfte. Deren Beschützung vor der Willkür der Fabrikanten, die socialistischen Ideen, um ihnen Rechte zu ertheilen, sie zur besseren Einsicht und Ordnung zu leiten und die Einwirkungen von Vereinen edler und frommer Menschen zu solchen Zwecken fanden seine volle Billigung.

Nach allgemeinen Kundgebungen sprang der Doctor von diesem Gegenstande ab, aber was er von der sittlichen Verwilderung der englischen Fabrikarbeiter und von den socialen Zuständen in Paris, wo er erst kürzlich gewesen, erzählte, war geeignet, den eifrigen Pfarrer in seiner Meinung zu bestärken. Das war kein Mann, der auf Seite der Umwälzer stand, der auch in seinen politischen Ansichten nicht den neumodischen Lehren huldigte. Und dies war ohne Zweifel richtig, denn der Doctor verspottete alle sogenannte Volksfreiheit und zeigte sich als entschiedener Anhänger des alten, unbeschränkten Staatswesens, indem er behauptete, daß nur dadurch der Volksmasse wirklich wohlgethan werden könne. Ein Mann von solcher Gesinnung konnte kein Leichtsinniger und kein Verächter sein. Wer in der Politik auf solchem Standpunkte stand, konnte auch in der Religion nicht zu den Abgefallenen gehören.

Mit aufrichtiger Freude sagte ihm daher der Prediger seine Glückwünsche, während er heimlich daran dachte, welchen Einfluß dieser Freund auf seinen Bruder üben müsse, der auch in politischer Beziehung zu den sogenannten Liberalen gehörte und kirchlich wenigstens ein Ungläubiger war.

Und in der That wurde der Einfluß sehr groß, den Bärwald über den jungen Fabrikanten in kurzer Zeit gewann. In der Fabrik trat er an dessen Stelle, aber auch im Geschäft gewann er leitendes Ansehen, denn seine Rathschläge wurden von der genauesten Kenntniß der besten Handelsverbindungen und dem Einschlagen der zweckmäßigsten Wege unterstützt. Alles nahm einen rascheren und umfassenderen Gang, bei Allem, was geschah, war des Doctors Urtheil entscheidend, und diese Oberherrschaft wurde ausgeführt, als verstände sie sich von selbst. Der Doctor hatte immer Recht, sein Rath war immer gut, er überzeugte ohne allen Widerspruch, und seine Mitwirkung war ebenso wohlthuend für Eduard, wie sein freundschaftlicher Umgang, der ihm unentbehrlich wurde, denn er fühlte sich dadurch erlöst oder doch befreit von einem verborgenen Seelenleiden.

War diese Befreiung auch vielleicht ähnlich der, die ein Rausch giebt, und glich sie daher einer Betäubung, in welcher Schmerzen und Sorgen vergessen werden, so blieb es darum nicht weniger wahr, daß Eduard manche Verhältnisse anders betrachtete, seit er diesen Freund an seiner Seite hatte. Er war heiterer gestimmt, denn er sah Sonnenschein um sich her, die düsteren Wolken an seinem Horizont hatten meist ihr Drohendes verloren.

Gewiß trug auch dazu bei, daß er mit Zuversicht auf den Erfolg seiner Unternehmungen blicken konnte. Er mußte schon in diesem Jahre ein bedeutenden Gewinn bringendes Geschäft machen. Bestellungen liefen von allen Seiten ein, vortheilhafte Anträge kamen ihm entgegen; eines der größten Handelshäuser schlug ihm vor, daß es allein Alles übernehmen wolle, was er in den betreffenden Artikeln fabriciren würde, und bot ihm das für seinen gewichtigen Credit an.

Auf des Doctors Rath ging Eduard nicht darauf ein, um freie Hand für zahlreiche Verbindungen zu behalten, wenn auch dadurch augenblickliche Vortheile verloren gingen. In wenigen Jahren ließ sich um so sicherer Alles doppelt gut machen, glänzende Aussichten auf Reichthum erschienen nicht mehr als eitle Vorspiegelung, und was das Menschenleben mit solcher Hilfe auszuschmücken vermag, lagerte sich um ihn her, wenn er die Zukunft bedachte.

Und schon warf diese ihren Widerschein auf die Gegenwart. Bei seinen für das, was er begonnen, beschränkten Mitteln hatte er, als guter Wirth, sich im Stillen Vorwürfe gemacht, daß er zuweilen mehr Geld ausgegeben, als nöthig, und daß seine Verwandten in ihrem Mißtrauen gegen ihn so ganz Unrecht nicht hätten. Seit Anna, für welche er das Meiste darin geleistet haben wollte, ihm obenein alle Schuld aufbürdete, und nur der gute alte Onkel Tobias ihn entschuldigte, war es mit seinen Selbstanklagen noch schlimmer geworden; jetzt jedoch empfand er keinen Zweifel mehr. Der Luxus, den er bisher verübt, war im Ganzen doch nur ein untergeordneter. Er hatte gesehen, wie in den Welthauptstädten reiche Fabrikanten und Geldmänner leben, und warum sollten die, welche viel Geld gewinnen, nicht auch das Metall wieder nach ihrem Gefallen verthun, kostbar wohnen, kostbar leben, sich mit allen Genüssen umringen? –

Da auch Anna seit einiger Zeit wieder zugänglicher für solche weltliche Dinge wurde, als es bisher der Fall gewesen, stärkten sich seine Neigungen mit seinen Hoffnungen, und hierzu kamen verschiedene andere Bemerkungen, an denen er sich freute. Er hatte gefürchtet, daß seine eigensinnige Frau dem Gaste im Hause keine besonders liebenswürdige Wirthin sein werde, allein darin hatte er sich getäuscht. Beim ersten Empfange trat Anna allerdings in derselben Weise dem Doctor gegenüber, wie ihrem Gatten, allein schon nach einigen Stunden war ein Unterschied merklich; das gemessene und bescheidene Wesen des Doctors, die Art, wie er jedes Gespräch zu beleben wußte, die Kunst, mit der es ihm gelang, wie mit dem Mosesstabe aus dem härtesten Stein den Duell zu locken, waren unwiderstehlich. Er fand das Buch des Predigers auf dem Arbeitstische der jungen Frau, nahm es auf, las darin und vertiefte sich beim Lesen.

Das ist ein vortreffliches Buch, sagte er endlich, voller Gedanken und mit eben so vielem Geist wie Gefühl geschrieben. Sie müssen es mir leihen, damit ich es ganz lesen kann.

Lesen Sie denn dergleichen Schriften ohne zu lachen? antwortete sie mit einem Seitenblick auf Eduard.

Ich glaube nicht, daß ein Mensch von Bildung und Nachdenken überhaupt darüber lachen kann, sagte er, denn es handelt sich dabei um die höchsten Interessen der Menschheit, und lachen oder spotten ist das Schlechteste, was man thun kann, wenn man eine Richtung bekämpfen will.

Mit dieser Antwort hatte er die gute Meinung der jungen Frau gewonnen.

Sie hatte den Freund ihres Mannes als dessen zweites Selbst im Voraus angenommen, jetzt sah sie, daß ein großer Unterschied zwischen Beiden war, und mit jedem neuen Beisammensein verstärkte sich diese Gewißheit.

Es verging auch kein Tag, an welchem sich nicht andere Tugenden des Doctors offenbarten. Er hatte ein sehr freies, offenes, selbstbewußtes Wesen; selbst in seinem Schritt und Gang und in der Haltung seines Körpers drückte sich dies aus. Der Ton seiner Stimme war bestimmt, sein Urtheil oft absprechend, und sein Gesicht konnte kühn und stolz, sein Auge streng und drohend sein; aber wie verwandelte sich dies Alles in dem höflichen Umgange mit der schönen, jungen Frau!

Nicht, daß er etwa ihr fade Schmeicheleien sagte oder sich bemühte, ihr geflissentlich zu huldigen; er war weit entfernt von beiden und beschäftigte sich mit ihr keinesweges vorherrschend; allein wenn er es that, geschah es mit der zartesten Achtung und mit solcher unnachahmlichen Mischung von Ergebenheit und Ritterlichkeit, daß es der eitelsten Frau gefallen mußte. Wenn ein hochfahrender Mann einer Frau in dieser Art huldigt, wird auch die sprödeste ihm gewogen werden. Seine leichten und gefälligen Formen übersprangen niemals die Schranken der strengsten Schicklichkeit, bei aller Lebendigkeit seiner Rede, bei der Fülle von treffenden Einfällen, der guten Laune und dem Witze, der ihm zu Gebote stand, entschlüpfte ihm nie ein unpassendes Wort. Immer war er unterhaltend, niemals hartnäckig; im Gegentheil fand die junge Frau, daß das, was er behauptete, größtentheils mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmte, nur daß er die leitende Richtung gab und oft ganz überraschende Schlüsse daraus zog.

So erklärte er sich als abgesagter Feind aller großen Gesellschaften und wußte die Langweiligkeit und Unfruchtbarkeit derselben in sehr komischen Zügen zu schildern, dagegen aber pries er die Geselligkeit gleichgestimmter Freunde als das größte irdische Glück, denn worin wollte und sollte ein geistig erregter Mensch seine Lebensfreude suchen, als im Zusammensein mit ihm ähnlichen Menschen und im Austausch seiner ernsten und frohen Einfälle und Gedanken mit ihnen.

In ähnlicher Weise fielen seine Urtheile über Musik aus, welche er in künstlerischer Ausübung hochschätzte. Sehr lehrreich konnte er auch darüber sprechen, welchen Rang die Musik schon bei den ältesten Culturvölkern eingenommen habe. Mit ungewöhnlicher Bibelfestigkeit bewies er aus dem Buche der Bücher, daß Musik das edelste Mittel geistiger Erhebung sei, während er zugleich die Ausartungen derselben zum gemeinen Sinnentaumel verachtete und verspottete.

Aber der Doctor trieb selbst Musik und war kein gewöhnlicher Clavierspieler. Er brachte das schöne Instrument zu Ehren, das bis jetzt fast unbenutzt gestanden hatte, und seine Fertigkeit diente ihm zugleich dazu, sein Ansehen zu vermehren. Onkel Tobias jubelte, wie er ihn spielen hörte, und als es sich fand, daß der Tausendkünstler sogar auch auf der Geige Bescheid wußte, rief er der Frau Schwester zu, daß es so einen Kerl wie diesen nicht zum zweiten Male gebe.

Bärwald vollbrachte jedoch ein größeres Wunder, indem er die junge Frau bewog, ihren strengen Vorsätzen ungetreu zu werden. Sie setzte sich zu ihm an den Flügel, und Beide übten vierhändige Sonaten. Er lobte in seiner feinen Weise, gab guten Rath, verbesserte ihre Fehler und brachte es bald dahin, daß sie fast täglich die Uebungen fortsetzte und endlich auch sang, was er mit dem freundlichsten Danke vergalt.

Es begab sich eine Umwandlung auch mit Anna, die vom größten Einflusse für das ganze Verhältniß war. Die Staubwischer und Kehrbesen begannen auszuruhen. Die Mägde hatten nicht mehr fortgesetzt zu putzen und zu waschen, die junge Frau hielt dies Alles nicht mehr für ihre besondere Lebensaufgabe, ebensowenig das unausgesetzte Sticken und Nähen und das abwechselnde Lesen in den Büchern, welche der Prediger ihr geliehen. Auch darüber hatte der Doctor seine Meinung geäußert, welche nicht ohne praktischen Erfolg blieb.

Es ist eben so zweckmäßig als nothwendig, sagte er, daß man den höchsten Gegenständen sich zuwendet, und Frauen besonders müssen religiös sein, weil ihnen der Glaube nöthig ist, aus dem sie Kraft und Zuversicht schöpfen. Eine Frau ohne Religion ist ein Baum ohne Wurzeln. Nichts ist widerwärtiger, als aus einem weiblichen Munde Religionsspötterei zu hören, Nichts ist schöner an einer Frau, als die sanfte, vertrauende Hingebung an Gott. In den Werken des Mitleids und des Mitgefühls für das Unglück stärkt sich die Liebe in ihrem Herzen, und was ist eine Frau, der die Liebe fehlt?!

Er richtete seine dunklen Augen dabei auf sie, und seine feste, starke Stimme verklang wie eine Klage.

Aber den Frauen ist, wie allen Menschen, doch auch Kenntniß darüber nöthig, fuhr er dann lächelnd fort, wie es in der wirklichen Welt hergeht, und diese Kenntniß schöpft sich nur aus dem Leben selbst oder aus Büchern, die das wirkliche Leben wahr und treffend schildern. Man würde nur einseitig urtheilen, wollte man sich davor zurückziehen. Jeder muß sich auf dem Markte des Lebens bewegen, denn Jeder gehört ja auf diesen Markt. Man muß die Welt sehen, wie sie ist, mit all' ihren Narrheiten und Thorheiten, und darf nicht davor Augen und Ohren zuhalten, auch niemals sich so weise dünken, hoch darüber zu stehen. Mit unseren menschlichen Schwächen müssen wir doch immer Menschen bleiben, und unser Gott hat doch jedes seiner Wesen, wie die fromme Lehre lautet, zum Glück geschaffen. Daher müssen wir, Jeder in seiner Weise, vor allen Dingen so glücklich wie irgend möglich zu werden suchen.

Diese Lehren enthielten sehr viel Verlockendes, und die Art, wie sie vorgetragen und praktisch gemacht wurden, gab ihnen Nachdruck. Es währte nicht lange, so besuchte Anna ohne Widerstreben die verschiedenen Vergnügungslokale der höheren Klassen, Theater, Spaziergänge und Gesellschaften. Was ihrem Manne nicht geglückt war, das glückte dem Doctor ohne alle Mühe; eben so wenig weigerte sich die junge Frau, die Bücher zu lesen, welche Bärwald ihr lieh. Größtentheils waren es französische Romane, und es machte ihm Vergnügen, ihr zugleich in der fremden Sprache seinen Unterricht angedeihen zu lassen, mit ihr gemeinsam zu lesen und ihr dabei seine Ansichten über den Zustand der Gesellschaft, über deren sittliche Verwilderung und über die Macht und den Einfluß der Frauen der Gegenwart zu allen Gestaltungen derselben zu erörtern.

Gewöhnlich geschah dies in größter Heiterkeit und glücklicher Laune, mit vielen lustigen Einfällen und Zügen aus dem Leben ausgeschmückt. Er nahm dabei einen Ton an, bei dem es zweifelhaft blieb, was Ernst oder Scherz, Wahrheit oder Uebertreibung in seinen Behauptungen sei. Die Herrschaft der Crinoline gab ihm zu zahllosen Spöttereien Anlaß, in welche Eduard lebhaft einstimmte, allein es lag nicht in der Absicht des Doctors, seinem Freunde die Erlaubniß dazu zu geben; häufig wandte er sehr bald das Spiel, und was er bisher angegriffen, wurde von ihm nun ebenso lebhaft und mit allen Waffen vertheidigt.

Diese Streite zwischen den beiden Männern gewährten der jungen Frau besonderes Vergnügen. Es war nicht zu leugnen, daß der Doctor ihrem Manne in allen Arten des Gefechtes überlegen war, und nicht zu verwundern, wenn Bärwald mit seinen sophistischen Querfragen, seinen dreisten Behauptungen und seinen witzigen Einwürfen die Lacher auf seiner Seite hatte. Aber diese Lacher waren im Voraus geneigt, für ihn Partei zu nehmen. Anna vergalt es mit den dankbarsten Blicken, wenn ihr Mann recht abgeschmackt erschien; der Prediger hörte wohlgefällig zu, wenn er nicht dabei mithalf, und die alte Frau in der hohen Haube nickte so behaglich zu den Niederlagen ihres Sohnes, als sei es ein Werk zu Gottes und aller Gerechten Freude.

Die Frau Bürgermeisterin endlich sah Nichts lieber, als wenn ihr Schwiegersohn in Verwirrung gerieth. Sie hatte den Doctor längst für einen einzigen Menschen erklärt und wechselte mit diesem Prädikat nur ab, wenn sie ihn »reizender Doctor« nannte. Er hatte diese Zuneigung aber auch nicht umsonst erworben. Die lange, dürre Frau mit dem jugendlichen Ausputz war von ihm sofort gewonnen, als er ihre Aehnlichkeit mit ihrer Tochter bewunderte. Sie grinste ihn mit zärtlicher Genugthuung an, und jetzt verging kein Tag, wo sie nicht kam, und wo er nicht irgend Etwas mit seiner feinen Artigkeit an ihr zu loben hatte. Sie erklärte ihn nicht allein für reizend und geistreich, sondern er war sehr bald ihr Vertrauter, dem sie offene Mittheilungen über alle ihre Lebensverhältnisse machte, dabei aber auch nicht die ihrer Mitmenschen verschwieg, so daß Bärwald über die gesammten Familien- und ehelichen Verhältnisse seines Freundes sehr vollständig unterrichtet war.

Wie weit die Frau Bürgermeisterin ihr Vertrauen ausdehnte, bewies jedoch schon nach einiger Zeit ein Vorfall, der von Einfluß für die weiteren Ereignisse war. Eduard hatte von seiner Mutter das Kapital, welches er nöthig zu haben glaubte, erhalten, allein als der Techniker anlangte und seine Einrichtungen geltend machte, wurden die Ausgaben durch Maschinen und Vermehrung der vorhandenen Arbeitskräfte beträchtlich erhöht. Es schien daher wünschenswerth, ein weiteres Kapital aufzunehmen; doch woher sollte es kommen? Eduard hegte Bedenken, die Unterhandlungen mit seinen Verwandten zu erneuern; er wollte lieber eine schwebende Schuld durch Wechsel so lange offen halten, bis er sie nach und nach tilgen konnte; allein sein Freund widerrieth ihm dies gänzlich, da solcherlei Schulden fressende Geschwüre seien, die das beste Geschäft zu Grunde richten könnten.

Hat denn Deine Frau kein Vermögen? fragte er, und wozu hast Du denn eine reiche Schwiegermutter, wenn sie nicht bei solchen Gelegenheiten ihren Geldkasten aufthun will?

Eduard schüttelte den Kopf und weigerte sich, mit der Frau Bürgermeisterin zu sprechen. Endlich theilte er dem Freunde die dahin schlagenden Vorgänge mit.

Du hast Dich von Anfang an nicht mit den beiden Damen zu stellen gewußt, sagte der Doctor.

Das ist wirklich nicht meine Schuld.

Wessen Schuld denn? Wenn sich eine Frau nicht in ihres Mannes Willen fügt, so ist dieser jedenfalls dafür verantwortlich.

Das sagst Du, weil Du den Eigensinn und die Launen der Frauen nicht kennst.

Weil ich die Frauen nicht kenne? antwortete der Doctor mit einem seiner stechenden Blicke, während er lachte. Ich denke, einige kleine Beweise für meine Kenntniß dieser liebenswürdigen Hälfte der Menschheit habe ich Dir schon gegeben, denn Du hast mir gesagt, daß Deine Frau mit meiner geringen Beihilfe sich sehr geändert, ich will nicht sagen, gebessert habe.

Das ist wahr, und ich danke Dir, erwiederte der junge Mann, aber es kam ihm doch nicht recht von Herzen, und er fügte nachdenklich hinzu: Ich weiß nicht, ob dieser Zustand vorübergehend war oder wohin er sich geändert hat, allein so viel ist gewiß, daß ich meine Schwiegermutter so wenig wie meine Frau nochmals bitten will, ihr Geld herzugeben.

Sei doch nicht thöricht, lachte Bärwald, von Niemandem ist leichter Geld zu bekommen, als von der vortrefflichen Frau Bürgermeisterin. Du hast aber überhaupt Deine Lage nicht begriffen. Man muß die Weiber zu führen wissen, wie Mephistopheles dem Schüler erklärt. Jeder Mann muß das verstehen, dazu hat man nicht nöthig, Medizin zu studiren.

Wenn man aber mit unbesiegbarem Widerwillen kämpft, wenn eine eisige Kälte jeden aufkeimenden Halm neuer Hoffnungen sofort wieder erfrieren läßt, sagte Eduard, indem er finster vor sich niederblickte. Wenn man vor seinem Lächeln erschrickt und seine Kehle zugeschnürt fühlt, sobald man sich bestrebt hat, freundlich zu sein?

Das ist allerdings ein fataler Zustand, versetzte der Doctor, und im Fall man ihn ändern kann, wird man ihn ändern. Glücklicher Weise giebt es doch Mittel dagegen.

Was meinst Du?

Was ich meine? Der Mittel giebt es verschiedene. Scheidung zum Beispiel. Dafür sind wir Protestanten.

Das Wort fiel wie ein Feuerballen in die Seele des Aufhorchenden. Er hob seinen Kopf einen Augenblick in die Höhe, und seine Augen sahen starr den Rathgeber an, aber er dachte weit über ihn fort an Andere. Dann senkte er seine Blicke wieder und murmelte trübsinnig:

Das ist oft nicht möglich!

Wenn das der Fall ist, nun so muß man sich trösten und anderweitige Abhilfe verschaffen. Es giebt ja zahllose Ehen, bei denen sich die unzufriedenen Theilnehmer auf einen respektablen Standpunkt der Freiheit und Gleichheit setzen. Verhindern Rücksichten die äußere Trennung, so gewährt Jeder dem Anderen die ungestörte Berechtigung, glücklich zu sein, wo das Glück ihm winkt.

Aber das ist der Gipfel der Unsittlichkeit! rief Eduard mit einer raschen Bewegung, und indem er den Doctor, wie von einem Gedanken ergriffen, anblickte, fügte er hinzu: Das kann doch Dein Ernst nicht sein!

Von meinem Ernst ist hier gar nicht die Rede, so wenig wie von dem Deinen, denn wir sind Beide ja nicht in solcher verzweifelten Lage. Aber wenn ich mir denke, daß ich von einer Frau gefesselt wäre, in deren Nähe ich das Gefühl einer Schlange hätte, so würde ich, wenn ich sie ertragen müßte, doch wahrlich ihr und mir gerecht werden. Zum Teufel! sind wir denn da, um von einem Weibe uns das Leben zur Hölle machen zu lassen? Giebt es nicht andere genug, die es besser mit uns meinen? Und wenn es ihr nun ebenso geht wie uns, wenn sie an uns geschmiedet wurde und dasselbe Schlangengefühl sie quält, welches Recht haben wir dann, um von ihr Liebe, Treue und alle die vortrefflichen Eigenschaften zu fordern, die ihr gesetzlich zugemuthet werden?

Er lachte auf, während Eduard schweigend über seine Stirn strich und dann eintönig antwortete:

Alles das giebt keinen Ersatz für den verlorenen häuslichen Frieden, und wenn wir Nichts auf die Religionsgebote geben, muß uns doch die sittliche Grundlage der Familie heilig sein.

Du bist ein Schwärmer! rief Bärwald. Ich berufe mich auf das Naturrecht, das von solchen Scrupeln und Zweifeln Nichts weiß. Warum soll ich nicht mit diesem Rechte in der Hand mich über alle Gesetzmacherei stellen und die Aepfel pflücken, wo sie süß und schön sind, statt kläglich fortgesetzt in den einen wurmstichigen und sauren zu beißen, den ein böses Geschick mir in den Schooß warf? Du bist ein Moralist, Eduard, und würdest wahrscheinlich wie der heilige Joseph ausreißen, wenn eine schöne Potiphar Dir entgegen käme. Um so besser, daß das Glück Dich so reich bedachte. Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Weib! Dies fromme Gebot schwebt Dir vor. Wie viele Weiber sind herrenloses Gut, mein Freund, trotz des Ringes, den sie am Finger tragen! Wenn ein Herr es nicht vermag, seine Herrschaft zu behaupten, so hat jeder Sklave sein gutes Recht zur Freiheit, und wenn ich Etwas für albern und thöricht halte, so ist es das, wenn ein Mann sich darüber beklagt.

Du treibst Deine Aussprüche auf die Spitze, fiel Eduard unruhig ein.

Nichts da, erwiederte der Doctor, was ich sage, ist einfache Wahrheit. Wenn ich ein Roß nicht bändigen kann, mag es ein Anderer versuchen, ich werde mich hüten, den Hals dabei zu brechen. Lieber suche ich mir ein anderes sanfteres und geduldigeres Thier.

Das ist ein unpassender Vergleich.

Unpassend immerhin, doch hat er seinen richtigen Inhalt. Ein Mann muß stolz sein, ein stolzer Mann wird als solcher zu handeln wissen. In einem Falle nur würde ich ihn bedauern oder auslachen.

In welchem Falle? fragte Eduard.

Wenn er sich etwa dadurch trösten wollte, daß er, statt praktisch seinen Schaden zu verbessern, in neue Thorheiten verfiele und sich etwa in irgend ein sentimentales Liebesabenteuer verstrickte. Vielleicht mit irgend einer Schwärmerin oder Tugendheldin. Eine, die mit ihm seufzte und weinte, statt ihm um den Hals zu fallen und zu sagen, ich will die Rose sein und Dir den Dornbusch ersetzen. Solche Pinsel giebt es, und ihr Schicksal wäre tragisch, wenn das Komische darin nicht Alles überwältigte. Aber was zum Henker haben wir Beide damit zu schaffen! lachte er auf. Wie kommen wir zu diesen Jeremiaden? Der Ausdruck Jeremiade bezieht sich ursprünglich auf das biblische Buch der Klagelieder, deren Autorschaft man bis ins 19. Jh. dem Propheten Jeremia zuschrieb. In der Literatur bezeichnet der Ausdruck ein den allgemeinen gesellschaftlichen Verfall beklagendes Werk. In der Folge verblasste der Begriff, wurde allgemein im Sinne von Klagelied, Jammerrede verwendet und erhielt häufig einen abwertenden Beigeschmack. Du mußt Geld haben, das ist die Sache, und wenn Du mit Deiner verehrungswürdigen Schwiegermutter nicht sprechen willst, so werde ich es thun. Ich bin überzeugt, sie trägt Dir ihren Beistand selbst an, denn ein vortheilhafteres Geschäft kann sie gar nicht machen. Du giebst ihr freiwillig ein Procent mehr und versicherst ihr dabei, daß sie alle Tage jünger würde, so wird sie bereitwillig zärtlich sein, wie Du es irgend wünschen kannst.

Mit diesem groben Spott endete das Gespräch, das Eduard nicht fortzusetzen wünschte, aber am nächsten Tage schon wurde er inne, wie der Doctor sich in seiner Macht nicht getäuscht hatte. Die Frau Bürgermeisterin war die Bereitwilligkeit selbst, ihr Geld in seine Hände zu legen.

Aber mein lieber Eduard, sagte sie außerordentlich freundlich, warum haben Sie sich denn nicht schon früher an mich gewandt? Mit Vergnügen würde ich Ihnen beigestanden haben.

Eduard erinnerte sich wohl, was sie ihm damals geantwortet hatte, und daß sie es war, die auch Anna's eigensinnigen Widerstand unterstützte, er war jedoch, unklug genug, darauf anzuspielen.

Ich wollte Ihnen keine Unruhe verursachen, erwiederte er, da ein Fabrikgeschäft doch keine gehörige Sicherheit bietet.

Ein augenblickliches Erschrecken glitt über ihr hohles Gesicht, das sich zu verlängern schien, allein ihr Muth kehrte schnell zurück.

Ach, das hat gar Nichts zu sagen! rief sie entschlossen. Da dieser einzige Mensch Ihnen hilft, bin ich ganz beruhigt und Anna ebenfalls. Sie sollen unser Geld haben, es ist schon Alles abgemacht.

So geschah es denn auch. Es fehlte nun nicht an Mitteln, um die Einrichtungen kräftig und rasch zu vollenden, und der junge Fabrikant sah seine Geschäfte einen außerordentlich günstigen Aufschwung nehmen.


VIII.

Die Fülle an Beschäftigungen und die Anwesenheit des Doctors hatten die Folge, daß Eduard weniger als je den Wünschen seines Bruders nachkam, ihn fleißig zu besuchen. Seine Scheu davor hatte weit eher zugenommen, denn seit jenem Tage, wo Georg seine Besuche in der Laube so unerwartet unterbrach, blieb ihm ein unheimliches Gefühl zurück, ein Gewissensdruck, den er früher nicht gekannt, der aber seinem Bruder gegenüber sich merklich machte.

Früher wußte er Nichts von der Oberhoheit dieses Bruders, im Gegentheil machte er ihm diese entschieden streitig und betrachtete dessen Wirken und Streben und die Verehrung, welche ihm von so Vielen und von seiner eigenen Mutter gewidmet wurde, mit herausforderndem Stolz und dem festen Entschlusse, sich ihm niemals zu unterwerfen. Jetzt konnte er seine Augen nicht mehr so sicher aufheben. Er fühlte sich beklommen und verlegen im Bewußtsein einer Schuld, die allerdings in seinem Herzen fortwucherte, wenn er auch den Versuch gemacht hatte, sie auszureißen.

Nachdem Georg ihm angedeutet, in den Nachmittagsstunden nicht zu ihm zu kommen, war er fortgeblieben, doch eben so wenig kam er zu anderer Zeit. Kurz darauf traf der Doctor ein, der ihn in Beschlag nahm, und er fand eine große Erleichterung, sich selbst sagen zu können, daß es unmöglich sei, in das Pfarrhaus zu gehen. Die Dinge in seinem eigenen Hause nahmen zudem bald eine solche Wendung, daß allerlei Zerstreuungen wieder vorkamen, und wenn ein Besuch bei dem Prediger gemacht wurde, befand sich Eduard niemals allein, sondern immer wenigstens in Gesellschaft des Doctors, oder er fand dort seine Mutter, den Onkel Tobias und Anna, sammt der Frau Bürgermeisterin.

Gewöhnlich war er bei solchen Gelegenheiten ein schweigsamer Gast, der keinen Versuch machte, die Unterhaltung zu unterbrechen, deren Kosten der Pfarrer und der Doctor vornehmlich bestritten. Beide schienen viel Wohlgefallen an sich zu finden, und eine weit größere Annäherung fand zwischen ihnen statt, wie zwischen den ungleichen Brüdern. Der realistische Doctor schien weit davon entfernt, alles Uebersinnliche zu verwerfen, seine lebhafte Phantasie überbot zuweilen noch den Spiritualismus des Geistlichen, denn er vertheidigte Tischrücken und Klopfgeister ebensowohl mit Lebendigkeit als Thatsachen, gegen welche bisher keine genügenden Gegenbeweise trotz alles Ableugnens und aller Verspottung geführt worden seien, wie er überhaupt sich nicht selten als Verfechter des strengsten Kirchen- und Bibelglaubens bis zur äußersten Spitze erwies.

Eduard nahm meist weniger Antheil an solchem Streit, als der tapfere alte Tobias, der so ungläubig war, wie es Thomas kaum je gewesen sein konnte, auch niemals sich bekehren ließ, sondern in seiner unerschütterlichen Laune laut krähend und lachend und allmächtig auf die silberne Dose schlagend so vielen Spott zusammenbrachte, daß die alte Frau in der hohen Haube meist sehr unwillig ihr Haupt wackeln ließ, während die Frau Bürgermeisterin mit ihrem besten »Pfui über diesen schrecklichen Herrn Tobias!« secundirte.

In solchen Augenblicken, wo er die Aufmerksamkeit genugsam beschäftigt glaubte, wagte es Eduard, seine Schwägerin forschend anzublicken. Mit gedankenschneller Eile durchmusterte er dann ihre Gesichtszüge und deren Ausdruck. Er hatte nicht wieder mit ihr ein vertrautes Wort gesprochen, vielmehr mit erzwungener Absichtlichkeit sich so gleichgiltig wie möglich gezeigt. Kam er, so hieß sie ihn mit der ihr eigenen sanften Freundlichkeit willkommen, aber vergebens suchte er einen Blick des Einverständnisses, vergebens blieb sein sehnsüchtiges Verlangen, daß sie vielleicht eine Frage an ihn richten würde, in welcher sich ihre Theilnahme zeigte, oder daß ihm durch irgend ein Zeichen Gelegenheit gäbe, ihr merklich zu machen, wie gern er sich ihr nähern möchte und wie betrübt er sei, es nicht zu dürfen.

Die stille, junge Frau, welche in ihrer geräuschlosen Weise alle Geschäfte abthat, ihre Gäste bewirthete und bediente, immer aufmerksam zu lauschen und eines jeden Wunsch zu errathen schien, war öfter auch um ihn beschäftigt, ihre Berührung, ihr Kleid, das an ihm hinrauschte, ihre Aufforderungen zu den üblichsten Dingen brachten eine fast elektrische Wirkung auf ihn hervor. Nur einmal hätte er ihre Hände drücken und ihr sagen mögen: Es ist anders mit mir geworden, Mathilde, aber glücklicher bin ich dennoch nicht; allein wie hätte er dies sagen können, selbst wenn sich Zeit dazu gefunden hätte?

Bei aller Freundlichkeit bemerkte er eine gewisse Zurückhaltung, Nichts von dem Antheil mehr, den er früher in ihren Zügen wahrnahm. Er glaubte zu verstehen, daß sie für nothwendig hielt, ihm diese Kälte zu bezeigen, aber war es nothwendig, ihn gar nicht zu beachten? Wie oft er auch nach ihr blickte, nie begegneten sich ihre Blicke. Ihre Theilnahme schien von dem Doctor weit mehr angeregt zu sein, was er sagte, ihre ganze Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Eduard bemerkte, wie unverwandt sie häufig seinen Freund betrachtete und mit leisem Kopfneigen den Urtheilen beistimmte, welche Anna und deren Mutter fällten.

Neid gegen den Glücklichen stieg dabei zuerst in ihm auf, und mehrmals wurde er dadurch bewogen, mit dem Onkel Tobias gemeinschaftliche Sache zu machen und diesen auf's Kräftigste zu unterstützen. Er stritt jedoch nicht mit solcher Harmlosigkeit, wie der alte Mann, sondern mehrmals mit steigender Heftigkeit und Erbitterung, so daß, wenn Bärwald nicht immer bereit gewesen wäre, seinen Antworten die Spitze abzubrechen und den Ernst in Scherz zu verwandeln, das Wortgefecht bald einen beleidigenden Anstrich erhalten haben würde.

Nachdem dies einige Male vorgekommen war, suchte Eduard allerlei Ausflüchte, sich ganz von diesen Besuchen zurückzuziehen. Er schützte drängende Arbeiten vor oder er hatte noch ein nothwendiges Geschäft abzuthun und versprach nachzukommen, aber er kam nicht oder er kam kurz vor dem Aufbruch. So war es auch mit anderen gesellschaftlichen Vergnügungen. Anna brachte oft den Abend bei ihrer Mutter zu, aber ihr Mann begleitete sie nicht, sondern Bärwald fand sich bei den Damen ein, deren vertrauter Günstling er so schnell geworden war.

Es kam auch vor, daß, wenn Eduard endlich erschien, er in einem merklich aufgeregten Zustande sich befand, daß sein Gesicht glühte, seine Augen funkelten, und daß er gegen seine Gewohnheit viel sprach und über Alles lachte. Er hatte mit alten Freunden zu Abend gespeist und ohne Zweifel auch ebenso vortrefflich getrunken, seine muntere Laune fand jedoch nirgend Anerkennung und rief Bemerkungen hervor, die dafür zeugten, wie wenig dies Betragen geeignet war, sein Ansehen und feine Achtung bei Frau und Schwiegermutter zu erhöhen; aber um so mehr bezeugte diese künstlich bewirkte Heiterkeit, daß darunter eine Nacht verborgen lag, welche damit bedeckt werden sollte.

Und wie sollte diese auch verschwunden sein? Das Verhältniß zwischen Eduard und seiner Gattin war allerdings kein schroff widerstrebendes mehr, es hatte sich in vollkommene Gleichgiltigkeit aufgelöst. Bei Allem, was in seinem Hause geschah, war von ihm selbst am wenigsten die Rede. Der Doctor war die Hauptperson darin geworden. Er ordnete an, er bestimmte, was geschehen sollte, obwohl es aussah, als geschehe Alles nach dem Willen der jungen Frau. Aber was er auch vorschlagen mochte, er konnte sicher sein, keinen Widerspruch zu finden. Er hatte eine vollständige Herrschaft erlangt.

Und diese Herrschaft war so gleichmäßig groß auch über den Freund, daß dieser lange Zeit Nichts dagegen zu sagen wagte. Viele und verschiedene Gründe wirkten dazu mit. Zunächst hatte sich Eduard über des Doctors Einwirkungen gefreut, er war ihm als ein vom Himmel gesandter Messias erschienen. Er hatte ihn mit seinem Bruder versöhnt, mit seiner Mutter und endlich mit seiner Frau. Alle hatte sein Lob erst überzeugt, daß er doch wohl kein so leichtsinniger Mensch sei, wie sie glaubten; sie hatten eine bessere Meinung von ihm bekommen; und von welcher Qual seiner unglücklichen Ehe hatte er ihn erlöst!

Mit schlecht verhehlter Freude hatte er es angesehen, daß Bärwald, wie er bei allen Menschen in Gunst stand, so auch in der Gunst seiner Frau immer höher stieg, und eine Zeit lang gab er sich einem Traume hin, daß wirklich zuletzt dadurch ein leidlich freundliches Verhältniß zwischen Anna und ihm selbst befestigt werden könnte. Diesen Traum gab er freilich bald auf, als er sich überzeugen mußte, daß der gegenseitige Widerwille nur eine andere Form angenommen hatte, von einem innigeren Verständniß aber weniger denn je die Rede sein konnte. Das Gefühl gänzlicher Mißachtung trat bei Beiden sogleich grell hervor, wenn irgend ein Anstoß kam, der Vertrauen oder Zuneigung verlangte, und so war es denn für Eduard auch nicht allzu erschreckend, wenn er nach und nach darüber zu grübeln begann, daß sein Freund Bärwald zu einer Vertraulichkeit mit seiner Frau gelangt sei, die zur Eifersucht geneigte Männer wohl besorgt machen konnte.

Er war weder eifersüchtig, noch glaubte er Grund dazu zu haben. Er schätzte den Doctor und hielt ihn für einen Mann von stolzem Charakter und hohem Ehrgefühl, dem keine ehrlose Handlung zuzutrauen. Zuweilen dachte er mit einer Art Selbstberuhigung daran, wie er selbst seines eigenen Bruders Frau heimlich innig zugethan sei, so könne wohl auch sein Freund Anna lieben. Wenn er in diese Gedanken sich versetzte, erschrak er nicht davor, sondern er fühlte sich erregt davon und malte sich Verhältnisse aus, in denen er großmüthig sein und diese Liebe durch Entsagung und Trennung gewähren und heiligen könnte.

Zuweilen kam ihm dies so natürlich vor, daß er es für gewiß hielt, und seine Zuneigung wie sein Zutrauen zu dem Doctor verdoppelte, der seine Dankbarkeit nach allen Seiten hin so sehr in Anspruch nahm. Aber er konnte sich nicht ableugnen, daß diese Freundschaft nach und nach bedenklicher wurde, je mehr er den Doctor kennen lernte, dessen Aeußerungen über den Umgang mit Frauen und über Frauenliebe oft von so leichtfertiger Art waren, wie sein glattes Wesen. Eben so wenig ließ sich aus der Geschmeidigkeit, mit welcher Bärwald die verschiedensten Grundsätze vertheidigen konnte, an einen streng ehrlichen Charakter glauben.

Bei alledem war es jedenfalls ein Mann von großem Wissen und noch größerer Geschicklichkeit. Wenn Eduard daran dachte, daß zwischen ihnen ein Zerwürfniß stattfinden könnte, fühlte er sich äußerst niedergeschlagen, denn er sah eine endlose Reihe von Verlegenheiten um sich her aufsteigen. Er konnte den thätigen, geschickten Freund nicht entbehren, ohne dessen Beistand seine Unternehmungen in's Schwanken kommen mußten; auch dachte er mit Bestürzung daran, daß Jeder ihm die Schuld beimessen würde; endlich aber fragte er sich, aus welchen Gründen er sich verstimmt zeigen sollte, und immer fiel ihm zuletzt wieder ein, was aus seinem häuslichen Verhältniß werden sollte, wenn Bärwald wirklich sich zurückzöge.

Vor der Wiederkehr des früheren Zustandes fühlte Eduard ein Grausen. Jetzt konnte er seine Frau fliehen; er konnte Gesellschaften aufsuchen, in denen es ihm besser behagte, oder mit Onkel Tobias die Zeit verplaudern, während der Doctor mit Anna musicirte oder mit ihr las, oder bei der Frau Bürgermeisterin fromme Zusammenkünfte leitete, oder mit dem Prediger beisammen saß. Er konnte über die Spötteleien des alten Mannes sich freuen und hatte zuweilen eine glückliche Stunde, wenn Onkel Tobias, nachdem er den Priester und die ganze Sippschaft lächerlich gemacht, die gute duldsame getreue Frau zu loben begann, welche wie ein Friedensengel über dieser Gesellschaft schwebe. Solche Stunden half er herbeiführen, und so lange es immer anging, hielt er den Onkel dabei fest.

Von dem Doctor hatte Onkel Tobias mit überschwänglicher Anerkennung gesprochen, dann war er stiller geworden, und endlich sprach er sehr wenig mehr davon. Dasselbe war mit der jungen Frau der Fall. Er hatte ohne Zweifel Bemerkungen gemacht, die ihm nicht gefielen, und doch wollte er nicht mit der Sprache heraus. Endlich aber konnte er es nicht länger lassen, als Eduard eines Tages wiederum bei ihm war, und nachdem von Geschäften und Bestellungen die Rede gewesen, das Gespräch wie gewöhnlich auf die Familienverhältnisse kam.

Siehst Du wohl, mein Junge! begann Onkel Tobias, indem er auf die silberne Dose schlug, ich hab's immer gesagt, Du wirst ein reicher Mann werden und wirst sie Alle auslachen. Alle Neider und alle Schelme, alle Betbrüder und alle Heuchler werden die Hörner einziehen; ehrlich währt doch am längsten, mein Sohn! Du kannst Deine Augen aufschlagen besser als Alle.

Es giebt Andere, Onkel, die mehr ohne Fehl sind und mehr zu ertragen haben, sagte Eduard.

Das arme Kind, Mathilde, das Lamm! rief Onkel Tobias, ja da hast Du Recht. Es muß wieder etwas gegen sie im Werke sein. Deine Mutter spricht von ihr, als wär's ein Abgrund von Leichtsinn und Schlechtigkeit. Der heilige Georg wird wohl wieder ein Liebeswerk verrichtet und der Frau Schwester sein betrübtes Herz ausgeschüttet haben.

Eine plötzliche Gluth trat auf Eduard's Stirn.

Sie wissen nicht, was es für ein Schatz ist! murmelte er.

Es ist wahr, sagte der alte Mann, und weißt Du, mein Junge, was ich in der letzten Zeit oft bedauert habe? Meiner Seele! ich wollte ich könnt's zu Stande bringen, oder es ließe sich mit Geld machen, oder wir könnten ein Stück von unserem Leben fortstreichen und von Neuem anfangen; aber das ist die Sache. An geschehenen Dingen ist Nichts zu ändern, und es ist ein Unglück, daß kein Tag wiederkommt, der verflossen ist, sonst – sonst –

Er machte einen langen Strich durch die Luft und zog seine weißen Augenbrauen in die Höhe, indem er seinen Neffen bedeutsam anblickte und anlachte.

Nun, Onkel? fragte Eduard.

Wenn's so wäre, mein Junge, so wollte ich Manches ausstreichen und Manches anders setzen. Es ist ein verdammtes Ding mit dem Heirathen. Ein wahres Glück ist es, daß ich niemals Zeit dazu gehabt habe.

Es kommt darauf an, wie man es trifft, sagte Eduard niederblickend.

Hältst es für einen Zufall, haha! lachte Onkel Tobias, und es ist Alles Zufall auf. Erden! sprechen manche weise Leute. Oho, o! man kann sich irren! Ja, ja, man kann sich irren!

Er ging achselzuckend umher, indem er einen mitleidigen Blick auf den jungen Mann warf. Dann nahm er die alte Geige, welche auf dem Tisch lag, und fing ein lustig Stückchen zu spielen an.

Schlag's Dir aus dem Sinn! Schlag's Dir aus dem Sinn, denn hin ist hin! lachte und sang er dazu, und wie er wieder vor Eduard stand, schlug er auf die silberne Dose und griff tief hinein.

Siehst Du wohl, mein Sohn, sagte er, es kommt ein Jeder zuletzt zur Ruhe, sei's mit einem Weibe, sei's ohne Weib; wir wollen's nicht weiter untersuchen, was besser ist; aber wenn ich den Hochzeitstag von Deinem Bruder ausstreichen könnte, den strich ich aus, und dann, oh! ich weiß nicht – auch Du wirst es wohl nicht übel nehmen, ich wüßte noch einen anderen, den striche ich auch aus.

Eduard nickte leise, ohne den Kopf aufzuheben.

Und wenn die Namen vertauscht werden könnten im Kirchenbuche, mein Junge, fuhr der alte Mann fort, indem er ihn an der Schulter rüttelte. Die Mathilde und Du! es wäre mehr Segen dabei.

Ein Feuerballen schien sich in den Augen des jungen Mannes zu entzünden, und wie er aufblickte, erschrak Onkel Tobias.

Es ist aber doch nicht anders; wie es ist, so muß es bleiben! rief er, also muß Jeder behalten, was er hat, und weil's einmal so ist, muß Jeder die Waare auf seinem Lager auch gut conserviren und zusehen, daß nicht etwa eine Motte oder eine Maus oder eine Ratte hineinbeißt und Schaden anrichtet. Verstehst mich wohl, mein Junge, das ist so meine Idee von der Sache, denn ich verstehe zwar Nichts davon, aber –

Er nahm die alte Geige wieder vor, kratzte darauf herum und sang lustig lachend aus einem alten derben Singspiel »Gehörn am Kopf zu tragen, dazu gehört ein Magen, der Vieles kann vertragen. Nein, ich vertrag es nicht! nein, ich vertrag es nicht!«

Mit komischen Verbeugungen hüpfte er hin und her und schlug ein schallendes Gelächter auf, während die düstere Gluth auf Eduard's Gesicht brannte.

Soll das einen Bezug auf – auf mich haben? murmelte er halb erstickt.

Bah! bah! rief Onkel Tobias erschrocken die Geige fortwerfend, wie kannst Du das denken, mein Junge? Es ist ein altes Lied, aus dem Schneider Fips »Schneider Fips oder die gefährliche Nachbarschaft« (1808) war ein Lustspiel von August von Kotzebue, das in späteren Jahren im Stil von Nestroys ›Possen mit Gesang‹ aufgeführt worden sein mag. Ein konkretes Singspiel ist erst 1908 mit der Musik von Victor Hollaender nachweisbar., weiter Nichts.

Sprechen die Leute etwa schon von meiner Schande? fuhr der junge Mann tiefathmend fort, indem er das Haar von seiner heißen Stirn warf.

Du bist nicht gescheut! entgegnete der alte Mann, der mit seinen kalten knochigen Händen über die glühenden Wangen seines Neffen strich und den Sturm jetzt zu beschwören suchte, den er angefacht. Wer soll Etwas wissen? Wen geht es Etwas an? Es ist ja Unsinn! Es kann's kein Mensch behaupten, ich glaube es nicht, und Keiner glaubt es. Aber wenn ich aufrichtig sagen soll, mein Junge, so wär's meine Person nicht, so ein Hausfreund, und ich würde mich ein Bischen mehr darum bekümmern, damit eben kein Gerede entstehen könnte.

Hast Du mit meiner Mutter davon gesprochen, Onkel?

Bei Leibe nicht! versetzte Onkel Tobias, von solchen Geschichten muß man mit keinem Menschen sprechen, und dann, was diesen Doctor betrifft, der hat sie Alle in der Tasche, sie halten ihn ja sämmtlich für den Herrn Jesus selbst oder doch für einen gesalbten Apostel, und wenn – ja wenn's gewiß wäre, Eduard, sie glaubten es doch nicht. Er würde es ihnen beweisen, daß es eine Lüge sei, hätten sie es auch mit eigenen Augen gesehen.

Das würden sie wirklich, erwiederte der junge Mann verächtlich lachend.

Aber ich will's Dir sagen, was ich von ihm halte, fuhr Onkel Tobias fort, indem er sich zu seinem Neffen niederbeugte: Ich glaube von ihm, daß er mit all seiner Kunst und seinen Gaben ein Kerl ist, der kein Gewissen im Leibe hat; ebenso wenig Gewissen, wie der andere Heilige, der neben der Kreuzkirche wohnt; darum passen sie auch so gut zusammen. Nimm Dich in Acht, mein Junge; oh! sieh nicht so wild aus. Damit macht man Nichts in der Welt besser. Klug muß man sein, Menschenkenntniß muß man besitzen, und der alte Gott lebt noch!

Wenn Du Etwas weißt, sagte Eduard, so verschweige mir Nichts. Was es auch sein mag, ich will es ruhig anhören.

Ich weiß Nichts, Nichts! meiner Seele Nichts! betheuerte Onkel Tobias, aber ich bitte Dich, mache keinen dummen Streich, sondern sei klug und vorsichtig.

Das werde ich sein, und ich danke Dir herzlich, erwiederte Eduard. Er legte den Kopf auf des alten Mannes Schulter und schlang seine Arme um ihn. Oh! stöhnte er schmerzlich, Du bist mein einziger, bester Freund, Du hast Mitleid und Erbarmen mit mir.

Mein Junge! mein armer Junge! rief Onkel Tobias mit zitternder Stimme, rede nicht so närrisch, so verwirrt. Man kommt über Alles fort, mein Sohn, und siehst Du, ich will Dir ein altes Lied vorspielen, ein altes prächtiges Lied: Alle die Beschwerden dieses Lebens sind doch Nichts als Schnick und Schnack, warum soll ich sorgen so vergebens – So hör' doch zu, mein Junge, hör' doch zu! schrie Onkel Tobias mit dem Bogen auf die Geige schlagend; aber Eduard nickte ihm stumm seinen Dank und war fort, ehe der alte Mann ihn aufhalten konnte.

Es dämmerte, als er die Treppe zu seiner Wohnung hinaufstieg. Auf dem Corridor stand er still und hielt den Athem an. Er wollte hören, ob drinnen auf dem Flügel gespielt werde, aber er hörte Nichts. Auf der weichen Strohmatte, welche den Fußboden bedeckte, ging er leise an die Thür und stand dort wieder still. Er wollte hören, ob drinnen gesprochen werde, ob Bärwald im Zimmer sei und wer mit ihm; aber er konnte Nichts vernehmen.

Seit langer Zeit war er um diese Stunde nicht gekommen, jetzt schien Niemand zu Haus zu sein, und er dachte darüber nach, wo sie sein könnten. Bei seiner Mutter, bei seinem Bruder – was thaten sie da? Er senkte den Kopf, ein banges Gefühl kam über ihn und ein unwilliges. Er schämte sich hier zu stehen und dachte mit Scham daran, wenn Jemand ihn so fände, das Ohr horchend an den Spalt gelegt.

Plötzlich entstand ein Geräusch auf der Treppe, und er fuhr davor zusammen wie ein ertappter Dieb und trat zurück; aber im nächsten Augenblick, eben als er sich so leise wie er gekommen wieder davon schleichen wollte, blieb er abermals stehen und horchte mit vorgebeugtem Körper. Er hatte ein unterdrücktes Gelächter gehört, woher war das gekommen? aus welcher Ecke, aus welchem Winkel oder – dort aus der Thür?

Seine Augen flogen wild umher, und wiederum drückte er sein Ohr an, und über seinen Körper lief ein Fieberschauer, als er ein Flüstern zu hören glaubte. Erst dachte er, es sei Täuschung, dann kam ein stärkerer Laut – der ihm Gewißheit gab, endlich zweifelte er nicht mehr, daß es Bärwald's Stimme sei. Und mit wem sprach er, mit wem?! Er konnte Nichts verstehen, nach einer Minute hörte er gar Nichts mehr, dann wieder einen einzelnen Ton. Seine Hände bebten, aber warum sollte der Freund nicht hier sein, warum sollte er nicht – mit einem plötzlichen Entschluß griff er nach dem Drücker und drehte ihn um, allein die Thür war von innen verriegelt.

Er rüttelte heftig daran, es antwortete ihm Niemand.

Was ist das! rief er laut und that einen heftigen Stoß dagegen.

Wer ist denn da? fragte der Doctor drinnen. Bist Du es, Eduard?

Oeffne die Thür.

Ist sie nicht offen? lachte der Doctor.

Wart einen Augenblick, vielleicht ist der Haken herunter gefallen und eingesprungen. Aber nein, fügte er gleich darauf hinzu, indem er die Thür öffnete, es ist Alles in Ordnung. Die Thür war offen, Du hast es ungeschickt gemacht.

Ich nicht, antwortete Eduard. Wer ist hier?

Nun ich und wer hierher gehört, Deine Frau.

Anna saß auf dem Sopha. Er trat einige Schritte näher und blickte scharf auf sie hin. Sie stützte den Kopf in ihre Hand und blieb unbeweglich.

Es ging eine Minute vorüber.

Setze Dich zu uns und laß und weiter plaudern, sagte Bärwald, indem er einen Stuhl nahm.

Dazu möchte ich überflüssig sein, antwortete Eduard in rauher Weise, und den Stuhl fortstoßend, daß er umfiel, entfernte er sich.

Was fällt Dir ein? rief Bärwald erstaunt.

Er erhielt keine Antwort, doch als er dem Freunde folgte und seine Frage wiederholte, antwortete Eduard gelassener:

Ein ander Mal, wenn es Dir beliebt, doch jetzt nicht. Dann will ich Dir sagen, was für Alle das Beste sein wird.

Lange Zeit saß er in seinem einsamen Arbeitszimmer und rang mit den Gedanken, die hungrig über ihn herfielen, um ihn zu zerfleischen. Er wußte mit Gewißheit, daß er betrogen sei, und dennoch wollte sein Herz noch immer zweifeln. Wem sollte er sein Leid ausschütten, bei wem versuchen Trost zu finden, wem mittheilen, über was er jetzt sann? Seine Mutter fiel ihm ein. Sie liebte ihn nicht, er war nicht »ihr Sohn,« sie hatte von frühester Jugend an immer viel an ihm zu tadeln gehabt, aber sie war doch immer seine Mutter und eine Frau von altem, strengem Schlag, eifrig für ihre Ehre, für die Familienehre, sie mußte ihm beistehen, was er wollte für Recht erklären.

Aber je mehr er überlegte, desto verworrener wurde Alles, und endlich blieb Nichts fest stehen, als sein eigenes Unglück. Was konnte er beweisen, was nicht widerlegt werden konnte? Was wollte er anklagen, was nicht auf sein eigenes Haupt zurückfiel? Aber er konnte doch nicht schweigen, was sollte aus ihm werden! Sollte er wiederum klug sein und Menschenkenntniß besitzen? Sollte er sich morgen abermals demüthigen und abbitten, um sich verspotten zu lassen?

Indem er zweifelte und zagte, trat er endlich den Weg zu seiner Mutter an, doch hatte er kaum den Gang erreicht, welcher zu der Wohnung der alten Frau führte, als er andere Schritte hinter sich hörte, und eben konnte er sich in einer tiefen, dunklen Ecke bergen, als er Bärwald kommen sah, der Anna begleitete.

Seien Sie doch ganz unbesorgt, sagte der Doctor, indem er vorüberging, morgen wird er zu Kreuze kriechen; für den Fall aber, daß er Methode in seine Tollheit bringen wollte, müssen wir dem vorbeugen und uns bei der guten Mama zeigen.

Ich fürchte mich vor ihm, flüsterte sie.

Der Doctor lachte. Wie können Sie sich vor ihm fürchten – das ist doch wahrlich kein fürchterlicher Gegenstand. Morgen wird er vor Glückseligkeit außer sich sein, wenn er hört –

Mehr konnte Eduard nicht verstehen, denn Bärwald zog die Klingel, welche zu lärmen begann, und die Beiden verschwanden hinter der Thür, welche die alte Frau mit der hohen Haube in Person öffnete.

Liebe, gute Mutter, wir wollen sehen, wie es Ihnen geht, sagte Anna schmeichelnd. Eduard ist, wie gewöhnlich, davon gelaufen.

So komme ich denn an seiner Stelle, wenn Sie es mir erlauben, fügte der Doctor hinzu.

Es giebt keinen, den ich lieber sähe, Herr Doctor, antwortete die alte Frau. »Mein Sohn« ist auch bei mir, der wird sich eben so freuen, wie ich.

Es ist Nichts, Nichts! stöhnte der unglückliche junge Mann, die Hand auf seine Stirne legend, überall komme ich zu spät, überall meine Feinde! Aber morgen – morgen.

Er knirschte mit den Zähnen und schüttelte seine Faust gegen die Thür.

Welche verfluchte Lüge habt ihr ersonnen, die mich zu Kreuze kriechen lassen soll? Wir wollen sehen, ob es gelingt, wir wollen sehen, ob ich dabei bin!

Er stürzte fort aus dem Gange in die sternlose Nacht hinaus.

Abends spät lag die junge Frau in ihrem Bette und sie träumte einen schönen Traum, zu dem sie lächelte, als plötzlich ein Lichtschein auf sie fiel. Zuckend schlug sie die Augen auf, schloß sie wieder und öffnete sie dann noch einmal, blickte starr auf die Gestalt an ihrem Bette und schloß sie wiederum fest zu, als wollte sie Nichts davon sehen, oder als hielte sie Alles für ein gespenstisch Bild.

Aber es war kein Scheinen und keine Täuschung. Die Gestalt hielt in der linken Hand ein brennendes Licht, mit der rechten hatte sie den Vorhang des Bettes gefaßt und zurückgeschlagen; so blickte sie auf die Schlafende.

Nach einer Minute wachte diese wieder auf, und jetzt regte sich ihr ganzer Körper und drängte sich in dem Bette bis an dessen äußersten Rand zurück. Der Schreck machte ihr Gesicht blaß und eiskalt, ihre Zunge schien gelähmt, ein paar unverständliche Laute kamen hervor, bis steigendes Entsetzen ihr die Sprache wieder gab.

Was willst Du von mir! rief sie, indem sie sich auf dem Kissen aufrichtete.

Statt der Antwort beugte sich der rothe erhitzte Kopf ihres Gatten näher zu ihr hin, seine Augen thaten sich weit auf.

Verlaß mich! schrie sie auf. Elender Mensch! Ich schreie um Hilfe!

Seine Hand umspannte ihren Arm mit eiserner Gewalt.

Schweig! flüsterte er ihr zu, oder Du sollst es bereuen. Antworte mir, auf was ich frage.

Sie verstummte vor seinem furchtbaren Blicke. Er schien berauscht zu sein, aber er sprach mit entsetzlicher Bestimmtheit.

Die Wahrheit will ich wissen, die volle Wahrheit.

Willst Du mich ermorden? fragte sie zitternd.

Er antwortete nicht. Hohn über ihre Angst verzerrte seine Züge.

Um Gottes Willen, hab' Erbarmen! rief sie seine Hand umklammernd, wenn nicht mit mir, so mit dem Kinde unter meinem Herzen!

Er blickte starr auf sie nieder, plötzlich aber lachte er auf.

War es das, was ich morgen erfahren sollte? murmelte er zwischen den Zähnen. Sollte ich darüber vor Glückseligkeit außer mir sein? Falsche Weib! Dein Kind – rede, sieh mir in's Gesicht, Auge in Auge! Sprich, wenn Du kannst, schwöre, schwöre einen falschen Eid, ist es mein Kind?!

Sie sah ihn nicht an, ihre Augen schlossen sich, ihr Kopf sank auf die Kissen zurück, ohnmächtig lag sie vor ihm.

Und auch jetzt lügst Du noch! rief er, indem er ihre Hand von sich schleuderte, auch jetzt noch willst Du mich betrügen, aber beruhige Dich und fürchte Nichts. Du sollst von mir erlöst sein, ich von Dir!


IX.

In der Frühe des nächsten Morgens trat Eduard in das Haus seines Bruders. Von den Aufregungen in dieser Nacht war jetzt Nichts mehr an ihm zu erkennen. Sein Gesicht war ruhig, seine trüben Mienen drückten seine Entschlossenheit zu diesem Gange aus. Im Hause war es still, Niemand kam ihm entgegen. Sonst sprangen wohl die Kinder herbei, klammerten sich mit frohem Lachen und Fragen an ihm fest, und er selbst stimmte ein. Jetzt fragte und lachte Keiner hier.

Als er in dem Wohnzimmer an dem Spiegel vorüberging, sah er hinein und betrachtete sich. Aber es war keine Eitelkeit und kein Wohlgefallen an dem Bilde, das sich ihm zeigte, trübsinnige Betrachtungen drängten sich ihm auf. Seine Augen lagen tief unter ihren entzündlichen Rändern, seine Wangen waren schlaff, lange Falten liefen zum Munde nieder.

Er bemerkte zum ersten Male, daß er wüst und verfallen aussehe. Wo waren die frischen Farben hin, die ihm so oft nachgerühmt wurden, wenn man ihn als Bild der Gesundheit pries? Wo war der Frohsinn, der aus seinen bellen Augen blitzte, die heitere Lebenslust, die sorglose Kraft, mit welcher er Widerstrebendes abschüttelte? Noch war ein Jahr kaum vorüber, und es hatte seine Jugend verzehrt. Er hatte nicht geglaubt, daß es so kommen könnte, nicht geahnt, welchem Loose er sich überlieferte, als er ohne eigene reife Wahl denen folgte, die für ihn gewählt hatten.

Mit einem langen Seufzer senkte er seinen Kopf und hob ihn dann mit größerer Heftigkeit wieder auf. Seine Entschlüsse kehrten zurück, und mit festen Schritten ging er der Thür zu, die nach dem Zimmer seines Bruders führte; aber indem er die Hand aufhob, ließ er sie wieder sinken, denn er hörte Georg's Stimme und er fürchtete sich davor, als sei es die Stimme eines Feindes.

Der Pfarrer schien den, mit welchem er sprach, bis an den Eingang begleitet zu haben, und Eduard war schnell überzeugt, daß Mathilde bei ihm sei.

Merke Dir meine ermahnenden Worte, sagte der Pfarrer, und handle danach. Du bist leider niemals an ein richtiges Nachdenken gewöhnt worden, sonst hättest Du die Grenzen des Schicklichen besser beobachtet.

Ich glaube mich nie davon entfernt zu haben, lieber Georg, erwiederte sie mit ihrer sanften Stimme.

Eben weil Du solchem falschen Glauben anhängst, fuhr er fort, darum wird Dir die Erkenntniß Deiner selbst so schwer. Ich erwarte jetzt von Dir, daß Du meinen Willen befolgst und mir den Beweis dadurch giebst, daß Du Dein früheres Benehmen bereust.

Ich habe Nicht zu bereuen, lieber guter Georg.

Das meinst Du leider sehr oft, und dennoch verhält es sich anders. Es giebt Viele, die entgegengesetzt darüber denken. Meine Mutter zum Beispiel ist eine gottesfürchtige, strenggerechte Frau: warum tadelt sie Dich so oft, warum bedauert sie mich so oft, daß ich – keine andere Wahl getroffen habe.

O, Georg! Georg! sagte die junge Frau schmerzhaft bittend.

Du kannst nicht dafür, daß Dein Vater ein schlechter Verwalter war, fuhr er fort, ich mache Dir keine Vorwürfe; aber wenn man kein Vermögen besitzt, muß man sich um so mehr anstrengen, durch Häuslichkeit, Fleiß, Ordnungsliebe und strenge weibliche Tugend dem Manne das Leben zu versüßen.

Was kannst Du fordern, das ich nicht gern thäte? fiel sie ein.

Du giebst Dir Mühe, manche unpassende Gewohnheit abzulegen und Deine Pflichten zu erfüllen, aber der alte Sauerteig ist noch immer nicht ganz ausgetrieben. Wo die Keime zum Leichtsinne so tief gelegt sind, wuchert das Unkraut fort.

Ich bitte Dich! ich bitte Dich! flüsterte sie im erschöpften Tone. Ich will mich gern bessern.

Thue das, ein jeder Mensch muß an sich bessern, allein ich fürchte, Du hast noch immer nicht den rechten Eifer. Antworte Nichts dagegen, denn ich lasse mich nicht täuschen. Als ich Dir mittheilte, wie sich dieser thörichte Mann benommen, sah ich nicht in Deinen Mienen einen Antheil für ihn, den er nicht verdiente? Und als ich Dir meine Muthmaßungen mittheilte und von Dir verlangte, im Fall er etwa Dich wiederum zu seiner Vertrauten machen wollte, ihm sein Unrecht streng vorzuhalten, damit er vom Bösen lasse, bemerkte ich da nicht, wie Deine Augen naß wurden?

Darf ich nicht über sein Unglück weinen? sagte sie leise.

Nein! rief er mit strenger Stimme, sein Unglück ist seine Sünde! Sein Leichtsinn gesellt sich jetzt zu seiner Bosheit. Aber Leichtsinn paßt zu Leichtsinn, und vergebens ist es, von der Nessel zu erwarten, daß sie Mispeln tragen soll. Ich rathe Dir jedoch jetzt, keine neue Schuld auf Dich zu laden.

Ich hoffe von Dir, Georg, antwortete sie in festerem und stolzerem Tone, daß Du Deine Frau in mir achtest.

Das thue ich wahrlich, allein ich verlange von meiner Frau, daß sie keinen Verdacht auf sich ladet, und das würde sie, wenn sie für diesen von wüsten Leidenschaften getriebenen Mann Partei nehmen wollte, nicht aber für eine beschimpfte, mißhandelte Frau, die in ganz anderem Maße ihr Mitgefühl verdient. Schweigen wir jetzt davon. Deine Kinder rufen Dich, geh zu Deinen Kindern, und der Herr sei mit Dir!

Eduard hörte die Thür öffnen und schließen, welche auf den Gang hinaus führte. Mathilde hatte das Zimmer verlassen, in welchem sie mit so unwürdigen Vorwürfen überhäuft worden war. Und um wen geschah das, um wen? Ein Fieberschauer flog durch sein Blut, ein Strom von schneidendem Eis, der sein Herz durchwühlte und an einem anderen Strom zerschmolz, welcher aus der Tiefe eines Vulkans zu kommen schien.

Ihn hatte sie vertheidigt, um ihn hatte sie geweint. Ach! er zweifelte nicht, daß er der leichtsinnige Sünder, der wüste boshafte Mann sei, der kein Mitleid verdiente. Feuerstrahlen liefen durch seinen Kopf, er freute sich darüber, legte die geballte Faust auf seine Brust und drückte sie dort so fest, als wollte er, daß sie das heftige Klopfen seines Herzens hindere.

Während dessen sammelten sich seine Gedanken, und er fühlte sich ruhiger. Weit entfernt, vor dem, was er gehört hatte, zu erschrecken und eine Unterredung mit seinem Bruder zu vermeiden, steigerte sich jetzt sein Verlangen danach, denn seine Furcht war verschwunden. Er horchte einige Minuten lang, und als er Nichts hören konnte, öffnete er die Thür und blickte hinein.

Sein Bruder stand vor dem großen Schreibtische und hielt seine gefalteten Hände vor sich ausgestreckt, während er nach dem Christusbilde blickte, das darüber hing. Seine Lippen bewegten sich wie in leisem Gebet, und zunächst ließ er sich darin nicht stören, bis er den Kopf umwandte und den Eindringling bemerkte. Als dies geschah, behielt sein Gesicht denselben ernsten Ausdruck, doch wurde es freundlicher, als er sich seinem Bruder näherte und ihm die Hand bot.

Du kommst zu mir, Eduard, sagte er, in dem Augenblicke, wo ich bei Dir war und den Beistand unseres Herrn für Dich erbat.

Ich muß mit Dir sprechen, Georg, erwiederte der junge Mann, muß Dir sagen, wie es mit mir steht; obwohl ich glaube, daß Du wenigstens zum Theil von meiner unglücklichen häuslichen Lage unterrichtet bist.

Setze Dich zu mir und laß uns sprechen, antwortete der Pfarrer, indem er den einzigen Stuhl näher zog, der sich im Zimmer befand, und sich selbst in dem Sessel am Schreibtische niederließ. Du hast wohl daran gethan, zu mir zu kommen. Schütte Deinen Kummer vor mir aus und laß uns gemeinsam nach Trost und Hilfe forschen.

Mein Kummer ist Dir bekannt, sagte Eduard seufzend. Sieh mich an, was er aus mir gemacht hat, und wohin ich gekommen bin.

Armer Bruder! rief der Geistliche wehmüthig, Du bist, statt wie ein Starker mit dem bösen Feinde zu kämpfen, schwachherzig zu seinen Füßen gesunken und hast Dein Haupt vor ihm gebeugt. Ich habe mit Schmerzen gehört, Eduard, daß Du seit einiger Zeit zu einem wüsten Lebenswandel neigst, Wirthshäuser und lockere Gesellschaften besuchst und nicht selten in einem Zustande nach Haus kommst, der Aergerniß erregt und Deine guten Freunde in Furcht und Sorgen bringen muß.

Ohne mich zu hören, den Du trösten oder dem Du helfen wolltest, bist Du zum Ankläger geworden, fiel Eduard ein. Weißt Du denn, was mich dahin gebracht hat, daß ich, um mich vor der Verzweiflung in meinem Herzen zu retten, meinen Kopf zu betäuben suche?

Ich weiß nur, daß es eines rechten Mannes nicht würdig ist zu verzweifeln, versetzte sein Bruder, und daß diejenigen, welche dies thun, vor keinem Richterstuhle bestehen können. Wer da glaubt, daß ein Vaterauge über ihm wacht, eine Hand, die keinen Sperling vom Dache stößt, es sei denn, weil es so sein muß, der wird in keiner Bedrängniß der Sünde unterliegen.

Und mit dieser Lehre läßt sich Alles entschuldigen, Alles, selbst das Schlechteste, weil Gott es zuläßt und weil es dennoch sein Wille gewesen sein muß! rief Eduard, indem ein bitteres, höhnendes Lachen um seinen Mund lief. Nein, auf diesen Standpunkt kann und will ich mich nicht stellen. Nicht Gottes Wille ist es gewesen, daß ich unglücklich werden sollte, ich selbst habe mich dazu gemacht und trage nun die Schuld. Ich habe ohne Nachdenken eine Ehe geschlossen, von der ihr Alle sagtet, sie sei passend und werde glücklich sein. Leichtfertig, wie so viele Tausende mit mir, habe ich es geglaubt und habe mich getäuscht. Vom ersten Tage an habe ich dafür gebüßt, jetzt kann und will ich es nicht länger. Die Ketten sind mir unerträglich geworden, ich verlange meine Freiheit, und wenn ein Funken menschlicher, brüderlicher Liebe in Dir ist, Georg, mußt Du mir beistehen. Ich kann nicht länger mit Anna leben!

Du willst Dich von ihr trennen? fragte der Prediger, seine grauen Augen weit und zürnend öffnend und auf ihn richtend.

Ja, denn es kann nicht anders sein.

Eine Scheidung soll stattfinden?

Es giebt kein anderes Mittel.

Deiner Familie willst Du solche Schmach bereiten! Deiner alten Mutter, die vor Kummer in ihre Grube fahren müßte; mir, der ich ein Diener Gottes bin! Ist es so weit mit Dir gekommen, daß alle Scham und Scheu vor den höchsten Geboten von Dir gewichen ist?

In dieser Sache, die meines Lebens Heil betrifft, stehe ich allen Menschen und allen Meinungen voran, erwiederte Eduard; das höchste Gebot ist nicht, eine Ehe aufrecht zu erhalten, die uns Beiden zur schrecklichen Qual geworden ist.

Die Ehe ist ein heiliges Sacrament, sagte der Prediger. Hast Du leichtsinnig gehandelt, so mußt Du die Folgen tragen. Aber, mein Bruder, ich bitte Dich, bringe nicht dies Unglück über uns. Häufe nicht Schuld auf Schuld, Leichtsinn auf Leichtsinn. Wirf Dich nieder und bete zu dem Erlöser, daß er Dich mit seinem Geiste erleuchte und auf den Weg seiner Gnade führe.

Er griff nach der Hand seines Verwandten, der mit düster gefurchter Stirn vor ihm saß, und legte sie in seine beiden Hände.

Du willst dem Unglück entfliehen, fuhr er fort, und würdest doch viel unglücklicher werden, als Du warst. Du willst frevelnd gegen Gottes Gebote eine Frau verstoßen, der Du geschworen hast, bis an Deinen Tod treu zu sein, sie zu schützen und zu lieben. Du bedenkst nicht, daß Du mit diesem Schritt einen dem Allmächtigen geleisteten Eid brechen willst, daß, statt in Demuth und Geduld auszuharren und mit guten Werken und Thaten die Versöhnung herbeizuführen, Du zerreißen und zersprengen willst, was Gott gefügt hat und was kein Mensch scheiden soll, der den Namen eines Christen trägt.

Woher weißt Du das? fragte Eduard seine Hand zurückziehend. Die Ehe ist kein Zuchthaus, worin wir mit unzerbrechlichen Ketten belastet Zeit unseres Lebens sitzen müssen. Ein gerechter Gott kann das nicht wollen, ein gerechtes Gesetz kann mich nicht so grausam verdammen. Wenn ich statt Liebe Haß, statt Neigung Abscheu empfinde, wenn statt Frieden und Glück nur Unfrieden und Streit das Haus füllen, wenn wir uns fliehen statt uns zu suchen, Hohn statt Mitleid unsere Herzen füllt, ist es da nicht besser, die Bande zu zerbrechen, die uns so unermeßlich elend machen?! Wo ist dann noch Heiliges und Göttliches darin, wo ist das Sacrament mit Gottes Segen? Es ist ein Vertrag in unseliger Stunde geschlossen, der aufgelöst werden muß, um größeres Unglück zu verhüten.

Nein! rief der Pfarrer voll Zorn und Heftigkeit, Fluch über solche Lehre! Gottes Gebote müssen bestehen, mag verderben, wer darin rütteln und deuteln will.

Er schwieg einen Augenblick, und indem er seine Hände faltete, senkte er seinen Kopf nieder und sagte sanfter:

Glaube mir, mein Bruder, es haben Viele ihr Leid zu tragen, aber sie tragen es mit Ergebung in den höchsten Willen und nehmen demüthig an, was Gott ihnen geschickt hat. Sie suchen ihres Lebens Frieden zu Gottes Ehre einzurichten und preisen ihn, dieweil sie wissen, daß Alles sein Werk.

Diese Hinweisung auf sein eigenes Beispiel brachte eine plötzliche Wendung in dieser Unterredung hervor. Die Anklage, welche in des Pfarrers Worten lag, machte einen tiefen Eindruck auf seines Bruders gereiztes und verwundetes Gemüth. Seine Blicke waren voll Verachtung, und seine Stimme zitterte, als er antwortete:

Heuchelei und Lüge sind die schlimmsten Sünden gegen Gottes Gebote, und diejenigen, welche fanatisch anklagen, sind oft die härtesten Sünder; lieblose Tyrannen, um unglückliche Wesen zu quälen, die das Schicksal an sie gefesselt hat. Heuchler, ja Heuchler, die alle Menschen täuschen und mit dem Heiligenschein um den Kopf doch nichts Anderes werth sind, als verachtet zu werden.

Der Pfarrer stand langsam auf und blieb vor seinem Bruder stehen. Die Strenge in seinen Mienen erhielt einen Glanz der Verklärung, welche aus seinen Augen strahlte.

Willst Du mich schmähen, sprach er, so sei willkommen, ich fürchte mich nicht. Hier stehe ich und kann Antwort geben auf alle Fragen: mag mein Meister mich abrufen zu jeder Stunde, ich bin bereit dazu. Siehe, ich bin arm und lebe dürftig; Alles, was ich habe, theile ich mit den Armen und Unglücklichen, alle meine Zeit arbeite ich für die, welche leiden, alle meine Sorge geht dahin, denen zu helfen, die mühselig und beladen sind. Wo ich streng bin, bin ich es zunächst gegen mich, wo ich zürne, geschieht es gegen das Sündige und Gemeine. Und Du willst Deine Hand gegen mich aufheben, Du willst mich lieblos und heuchlerisch nennen?

Seine Blicke hatten etwas Durchbohrendes, als er langsam mit erhobener Stimme fortfuhr:

Wer heuchelt von uns Beiden? Was trägst Du in der Tiefe Deines Herzens? Wonach trachtest Du? Worauf sinnst Du?

Die dunkle Röthe in Eduard's Gesicht bezeugte seine Verwirrung. Einige Augenblicke lang suchte er vergebens nach einer Antwort; endlich sagte er:

Ich trachte nach nichts anderem, als nach meiner Freiheit von einem unerträglichen Joche, und indem ich dies abwerfe, befreie ich zugleich ein anderes Wesen, das sich ohne Zweifel ebenso unglücklich fühlt, wie ich selbst.

Welche Gründe giebst Du dafür an? fragte der Prediger.

Ich wünsche die möglichst sanfteste Art der Trennung und bin bereit zu allen Opfern. Ich will schuldig sein! Willst Du mir beistehen?

Nein, sagte der Geistliche, dazu nimmermehr.

Nicht dazu? Wozu dann?

Anna kann sich nicht von Dir trennen und wird es nicht thun.

Sie kann sich nicht von mir trennen? murmelte Eduard. Sie wird, sie muß! Mein Leben, meine Ehre hängt daran.

Besser als Du kennt sie ihre Pflichten, fuhr Georg fort, besser als Du weiß sie, daß sie eine christliche Ehefrau ist.

Das eben hat sie vergessen! rief der junge Mann empört. Du weißt noch nicht, was ich zu sagen habe, von welcher Schande ich bedrückt bin.

Ich weiß Alles, antwortete der Pfarrer. Ich habe heute bei Tagesanbruch einen Brief der unglücklichen Frau erhalten, in welchem sie mir mittheilt, welche Raserei Du im trunkenen Zustande in dieser Nacht gegen sie verübtest, daß selbst ihr Leben bedroht war.

Sie lügt, erwiederte Eduard. Ich verlangte Nichts von ihr als Wahrheit, ihr Bekenntniß, daß ich betrogen bin.

Unter mörderischen Drohungen. Was kannst Du thun? Wessen klagst Du sie an?

Wenn es so sein muß, des Ehebruchs. Wenn keine anderen Gründe vor Deinem Tribunal gelten, setzte er triumphirend hinzu, so wird dieser Gültigkeit erlangen, denn das ist ein testamentarischer Grund.

Georg faltete seine hohe kahle Stirn und blickte ihn strafend an.

Willst Du es sein, der den ersten Stein auf sie wirft? fragte er. Wo sind Deine Beweise ihrer Schande, und wer wird es Dir glauben? Soll diese Frau, von der die Welt nur Gutes weiß, öffentlich gebrandmarkt werden? Die Schande fällt auf Dich, auf uns, auf Deine Mutter. Bei ihrem grauen Haar, daß sie in Ehren trägt, beschwöre ich Dich, gieb Deine entsetzliche Absicht auf. Gott und Menschen erheben sich gegen Dich.

So verlangst Du also, daß ich mit einer Frau weiter leben soll, sagte Eduard gelassen, die mir nicht allein so widerwärtig ist, daß ich die unüberwindlichste Abneigung gegen sie habe, sondern von der ich auch, trotz aller Deiner Zweifel, sicherlich betrogen bin? Du verlangst also, daß ich mich darüber beruhige und ihr Kind als mein Kind anerkenne? Mit welchen Empfindungen soll ich das thun, wie soll ich lieben und vertrauen können, was soll aus meinem und ihrem Leben werden?

Ich glaube Deinem Mißtrauen nicht, sagte der Pfarrer, denn Alles spricht dagegen. Du hast Dich schwer vergangen, an Dir ist es zu bereuen. Wäre aber selbst wahr, was Du Dir einbildest, so müßtest Du schweigen, der öffentlichen Schande wegen. Ich will zu Dir nicht darüber sprechen, wie es gegen Gottes Gebot ist, daß ein schuldloses Kind leiden soll, noch ehe es geboren, durch die Sünden seiner Eltern; weit mehr will ich Dich an weltliche Klugheit mahnen. Wenn Du bei Deinem Vornehmen beharrst und das Aergerniß zum Ausbruch bringst, so wird Deine bürgerliche Existenz gefährdet sein. Gegen Dich werden sich alle Stimmen vereinigen, denn Du hast Anstoß dazu gegeben. Jedermann wird die schuldlose Frau beklagen, den Freund beklagen, dem Du so Viel zu danken hast; alle redlichen Menschen werden sich von Dir wenden.

Die sich von mir wenden, mögen es thun, sagte Eduard.

Und fürchtest Du nicht, daß die bedeutenden Summen, welche Dir von uns Allen vorgestreckt sind, dann zurückgefordert werden? Daß wir Alle, die wir mit Dir sein sollen, gegen Dich sein müssen? Zum letzten Male höre mich, Du bringst den Tod über Deine Mutter! Fürchtest Du auch ihren Fluch nicht?!

Ihren Fluch! rief der junge Mann heftig. Du wagst es, mir damit zu drohen? Oh! ich weiß, Du bist zu Allem fähig!

Unsinniger! sagte Georg, so geh' in Dein Verderben. Versuche es, Schande und Schmach über uns zu bringen, sie werden Dich verzehren. Verlästere Dein Weib, man wird Dich dafür verachten; stoße den Freund von Dir, keine andere Hand wird Dir Hilfe bringen. Versinke in dem Pfuhl Deiner Sünden, Du, der Du andere Menschen der Laster bezüchtigst, die Du selbst genährt und gehegt hast.

Ich, sagst Du, ich! unterbrach ihn sein Bruder stolz und heftig.

Greif in Deinen eigenen Busen, fuhr der Prediger drohend fort. Steht dort Nichts geschrieben, was Dich schamroth machen müßte? Worauf waren Deine bösen Gedanken gerichtet, als Du – er senkte seine Stimme bis zum Gemurmel – mein Weib verführen wolltest!

Todtenblässe bedeckte Eduard's Gesicht. Er stierte seinen Bruder an, als sähe er ein Gespenst, dann deckte er seine Hände über seine Augen und zog sie mit Heftigkeit wieder fort.

Arme Mathilde! rief er voll Schmerz aus, das habe ich über Dich gebracht. Weil Du Mitleid hattest mit meinem Unglück, ich mit Deiner Noth, darum wirst Du geachtet, wie ich.

Er sah seinen Bruder mit brennenden Blicken an.

Du frommer, heiliger Mann, der für Gottes Ehre streitet, der Mitleid hat mit jedem Armen, Erbarmen für Jeden, der heuchlerisch die Hände faltet, Du bist erbarmungslos, wie gegen Weib und Kind, so gegen mich. Was Du sagst ist Lüge! Um alle Schätze der Welt möchte ich keine Schmach über sie bringen. Aber wisse, ja wisse – könnte ich sie frei machen von dem Elend, das sie drückt, das an ihrem Herzen nagt und das Du über sie gebracht hast, das würde ich freudig thun, denn ich – ich liebe sie! – Ja, ich liebe sie!

Sein hochaufgehobener Arm sank nieder. Rasch und stolz wandte er sich um und entfernte sich. Georg blieb in der Mitte des Zimmers stehen.

Unglücklicher! rief er aus, ich vergebe Dir!

Und indem er nach dem Schreibtische zurückging und zu dem Christusbilde aufblickte, falteten sich seine Hände, und in feierlichem Tone fügte er hinzu:

Ich handle nach deinen Geboten, mein Gott und Herr, wie es Pflicht und Gewissen mir befehlen. Dieser leichtsinnige, elende Mann darf nicht solche Schande über sich und mich bringen. Erleuchte Du sein Herz und führe ihn gnädiglich zur Reue und Buße!

Während dessen war Eduard durch den Corridor zur Treppe geeilt, und plötzlich stand er vor Mathilden.

Großer Gott! wie sehen Sie aus, sagte sie, als er ihre Hand ungestüm ergriff und an seine Lippen zog.

Lassen Sie sich nicht davon erschrecken, erwiederte er, es steht nicht schlecht mit mir. Aber ich muß Sie sprechen, heut noch sprechen. Versagen Sie mir diese – ja diese letzte Bitte nicht. Heut Abend um elf Uhr will ich in der Laube sein und Sie erwarten. Liebe, theure Mathilde, Sie werden, Sie müssen kommen.

Er wartete die Antwort nicht ab, die sie nicht zu geben wagte, aber er blickte noch einmal nach ihr zurück, und der wilde und flehende Glanz seiner Augen füllte ihre eigenen Augen mit Thränen.


X.

Der Doctor war in seinem Laboratorium beschäftigt, unter Retorten, die auf Kohlenbecken standen, und unter Farbenmischungen der verschiedensten Art, welche in Glasschalen einen Arbeitstisch bedeckten. Er betrachtete und schüttelte diese Mischungen und rührte mit Glasstäben darin umher, tauchte Läppchen und Lappen hinein und trocknete sie unter verschiedenen Wärmeeinwirkungen, blies die Kohlen mit dem Blasebalg an und hantirte mit beißenden und fressenden Substanzen, bei alledem aber blieben seine Finger sauber und sein Rock ohne den geringsten Fleck.

Seine Hände waren fein und schmal, seine Wäsche blendend weiß, er sah auch bei der Arbeit wie ein eleganter Herr aus. Sein dichtes Haar bedeckte ein rothes Sammetbaret mit einer Goldquaste und zwischen den Zähnen hielt er eine brennende Cigarre der allerfeinsten Art. Er schien sehr zufrieden mit seinen Werken, und als Jemand an die Thür klopfte, sah er sich um und sah sehr schalkhaft aus.

Wart einen Augenblick! rief er, ich muß erst nach meinen Casserollen und Schmiertöpfen sehen. So, jetzt ist Alles in Ordnung.

Der Riegel wurde zurückgeschoben, Eduard stand draußen.

Komm herein, sagte er. Du kommst zur rechten Zeit, ich will Dir Etwas zeigen. Jetzt habe ich es heraus, sowohl die echte Goldfarbe, wie das brennende Scharlachroth. Sieh hier, schöner kann es nicht sein. Mit dieser Farbe allein machst Du ein Geschäft, wie es kein Anderer kann. Die Köpfe sollen sie sich sämmtlich zerbrechen, ehe es Einer nachmacht.

Er sprach noch weiter so fort, ohne das Aussehen und die Stimmung des Freundes zu beachten, bis dieser, als er nach einer anderen Stelle gehen wollte, ihn festhielt.

Ich habe mit Dir zu sprechen, begann er.

Mit mir, wovon? fragte der Doctor. Sieh dort erst alle meine Proben.

Ich habe mit Dir zu sprechen von dem, was mir näher liegt. Von dem, was ich erlebt und erfahren habe.

Was meinst Du? oh, von Deinen Sünden willst Du beichten, lachte der Doctor. Behalt's für Dich, sprich kein Wort darüber. Du wirst, heut Einsehen bekommen haben und ein verständiger Mensch geworden sein.

Das hoffe ich zu sein.

Bah! es sind Nichts als Bagatellen. Komm her und nimm eine Cigarre, eine bessere hast Du nie geraucht. Ich sage Dir, Eduard, Du bist jetzt im Stande, alle Deine Feinde auszulachen. Dein nächster Abschluß wird einer sein, bei dem jede Sorge schwindet.

Mein nächster Abschluß, murmelte Eduard vor sich hin – das denke ich auch.

Wenn die Industrie nicht Reichthum brächte, was wäre sie werth! Wir haben schon öfter darüber verhandelt. Du bist ein Mann, der sich auf Lebensgenuß versteht, und wirst genießen, wie ein großer Industrieller. Dahin sind wir endlich gekommen, daß wir mit unserem Gelde das Feld behaupten. Was kann ein Graf oder ein Prinz mit seinen angeborenen Vorrechten noch thun, wenn kein großes Vermögen diese unterstützen? Hat man eine Million in der Tasche und für zehn Millionen Credit, so giebt es Nichts, worüber man nicht lachen könnte. Für Gold ist Alles zu haben. Die prächtigsten Landhäuser, Rittergüter, Broncen, Statuen und Gemälde, Gewächshäuser voll Palmen und Tropenblumen. Der Teufel soll mich holen, wenn ich mir nicht selbst wie der Teufel vorkomme, rief er heftig lachend, der Dir die ganze Welt voll Glückseligkeit zu Füßen legt.

Auch Liebesglück, sagte Eduard.

Liebe so viel Du davon willst. Die schönsten Weiber sind Dein, sobald Du Deine goldne Hand nach ihnen ausstreckst.

Genug! rief der junge Mann, zum Spaßmachen kam ich nicht hierher, denn meine Lage ist mehr als ernsthaft. Ich will eine Frage an Dich richten, die Dich nicht befremden kann: Liebst Du Anna?

Das ist in der That eine etwas befremdliche Frage, erwiederte Bärwald, spöttisch den Kopf schüttelnd, indem er seinen Freund fixirte.

Ich will nicht mit Dir rechten, fuhr Eduard fort. Ich trete Dir alle meine Ansprüche ab, wir wollen in Frieden den Knoten lösen. Mache sie glücklich und sei glücklicher, als ich es bin.

Du bist sehr gütig, sagte der Doctor, sehr großmüthig, das muß ich zugeben, aber ich kann wirklich keinen Gebrauch davon machen.

Er brannte die Cigarre dabei an und rauchte heftiger.

Du siehst wirklich schrecklich ernsthaft aus, fuhr er fort. Dennoch hat die Situation etwas Komisches.

Du willst nicht? Du leugnest! rief Lichtfeld heftig.

Ich bitte Dich dringend, sprich nicht so laut, fiel der Doctor ein, nicht sowohl meinet- wie Deinetwegen..

Du sollst mir Rede stehen! murmelte Eduard die Zähne zusammenbeißend.

Setze Dich nicht in Wuth, erwiederte Bärwald kaltblütig, Du hast Proben genug von übel angebrachter Leidenschaft abgelegt. Ich nehme die Sache noch immer nicht ernsthaft, fuhr er fort, weil ich hoffe, Du wirst mit größerer Ueberlegung wie ein besonnener Mann zu Werke geben.

Willst Du leugnen, fragte Eduard ihn finster anstarrend, daß Du ein Verhältniß mit Anna angesponnen hast?

Darauf könnte ich Dir einfach antworten, was hast Du für Beweise dafür? Ich will jedoch mich in keinerlei Streit einlassen, sondern Dir dagegen mittheilen, wie ich Dein Verhältniß betrachte. Höre zu. Du hast eine unpassende Heirath gemacht, das heißt, Ihr paßt Beide nicht für einander. Das geht vielen Tausenden so, die Meisten wissen sich darein zu schicken, die Wenigsten kommen bis zu dem Skandal einer Scheidung.

Ich komme dahin!

Du wirst kein solcher Narr sein und hast zu Vieles zu berücksichtigen. Zunächst Dich selbst, dann Deine Verwandten, endlich Deine Frau, und obenein sehe ich keinen Grund zu einer Scheidung. Es würde ein ärgerlicher, schändlicher Prozeß voll skandalöser Auftritte, aber zuletzt würdest Du ihn verlieren.

Meine Ehre! fiel Eduard ein.

Deine Ehre! sagte Bärwald die Achseln zuckend, was hat Deine Ehre damit zu schaffen? Wenn Deine ganz unerwiesenen Vermuthungen wirklich wahr wären, so hättest Du erst recht Ursache, Deiner Ehre wegen zu schweigen. Jeder Mann von feinem Gefühl wird dies wahrlich thun, besonders wenn er Ursachen hat, die in sein ganzes Lebenswohl, in das Wohl und die Ehre seiner Familie, in sein Vermögen und in seine bürgerliche Existenz eingreifen. Mächtige Fürsten haben schon ganz andere Geschichten mit ihren Frauen erlebt und haben geschwiegen. Ich, deß sei versichert, mein guter Freund, ich würde, wenn es mir so ginge, keinen Laut von mir geben, denn wen trifft das Hohngelächter? Auch giebt es nur einen Fall, wo Zorn und Schmerz gerechtfertigt sind, das ist der Fall, wo man wirklich liebt und von einem Weibe, das Liebe heuchelt, betrogen wird; in allen anderen Fällen ist Zürnen und Rasen lächerlich und thöricht. Aus der Barbarei des Mittelalters, wo man blutige Rache nahm, sind wir glücklich heraus. Der gebildete Mann rächt sich, indem er vergißt und sich schadlos hält. Was hat er davon, wenn die Leute mit Fingern auf ihn weisen? Was hat er im glücklichsten Falle davon, wenn sie ihn bedauern? Ist das etwa eine besondere Empfehlung für ihn bei anderen Frauen, wenn eine Ungetreue ihn verrathen hat?

Mit allen Deinen Sophistereien sollst Du mich nicht dahin bringen, besser von Dir zu denken, grollte Lichtfeld.

Von mir ist nicht die Rede. Ich sage Dir, wie ich darüber denke. Was mich betrifft, so sollst Du nicht über mich zu klagen haben. Ich kann heut noch gehen und werde jedenfalls bald gehen. An's Heirathen denke ich nicht, verliebt bin ich nicht; aber wenn ich verheirathet wäre, und mein Weib mir eine Last, die ich doch einmal nicht abschütteln könnte, bei Gott! ich würde den Freund nicht mit einem Verdachte verfolgen, der meine Last mir erleichterte. Ich würde wahrlich nicht den Eifersüchtigen spielen, würde tobende nächtliche Scenen nicht aufführen und mich auf keinen Fall der Gefahr aussetzen, als Trunkenbold oder Wütherich verschrieen zu werden.

Was würdest Du thun?

Was würde ich thun! Ich würde den äußeren Anstand bewahren, würde meine werthe Frau Gemahlin mit der größten Höflichkeit behandeln, im Uebrigen aber mich so wenig wie möglich um sie bekümmern. Wenn Du ein ordinärer Mensch wärest, Eduard, der mit der Frau, die ihm fatal ist, in einem Raum von wenigen Quadratfußen zusammengepfercht leben müßte, so wäre eher Sinn in Deiner Tollheit. Du aber, der auf dem besten Wege ist, in wenigen Jahren auf dem einen Flügel eines weitläufigen Hauses wohnen zu können, sie auf dem anderen, der allem Drückenden und Störenden ganz aus dem Wege geben, der leben kann, wie es ihm gefällt, was hast Du mit gemeinem Zank und rohen Auftritten zu schaffen? Fort damit! Obenein würden sie Dir Nichts helfen, denn wohin sollen sie führen? Was Du erreichen möchtest, kannst Du nicht erreichen.

Der Blick, den er auf Eduard Lichtfeld heftete, verwirrte diesen.

Was kann ich nicht erreichen? fragte er.

Nun, ich meine, Deine Frau wird sich hüten, in eine Trennung zu willigen.

Wenn Du das meinst, weißt Du es gewiß.

Der Doctor schüttelte den Kopf.

Ich weiß Nichts, aber wenn ich um Rath gefragt würde, müßte ich es widerrathen, aus Freundschaft für Dich und für Euch Alle. Wenn es wirklich dahin käme, würdest Du in ein Meer von Sorgen und Kümmernissen gerathen und darin verderben. Du darfst nicht wollen, was Du willst! fuhr er mit Nachdruck fort. Jetzt bist Du schuldlos an manchen mißlichen Zuständen, dann würdest Du schuldig sein und Andere, die Du zu lieben glaubst, in Deinen Untergang ziehen.

Und jetzt laß uns davon aufhören, bis wir einige Tage älter werden. Ueberlege reiflich, was ich Dir sagte, und handle wie ein Mann, der Energie besitzt und Welt und Leben begreift. Versöhne Dich mit den Verhältnissen, so gut Du kannst. Ich werde noch eine Woche bei Dir bleiben, dann verlasse ich Dich und kehre nach Paris zurück. Sei kein Thor, Eduard! Wie kann ein Mann sein Leben um eines Weibes willen so zerrütten wollen? Ich sage Dir noch einmal: Giebt es nicht volle Becher genug, frische, überschäumende, um Dich satt zu machen? Was ist ein Menschendasein, wenn es verronnen ist? Ein Nichts, weniger als Nichts! Von all dem Quark, mit dem wir uns gequält, bleibt nicht einmal ein Staubkorn übrig, das in eine Retorte gebracht werden könnte. Fleisch und Knochen kann man wenigstens in ein paar Grasarten verwandeln und kann dann sagen, seht hier, daraus besteht die Menschheit! Aber das fabelhafte Wesen, das man Seele nennt, mit ihren Gefühlen und Gedanken, ihren Qualen und Seligkeiten, was bleibt davon zurück?!

Er lachte wild auf und warf seines Freundes Hand von sich, indem er sich zu seinem chemischen Herde wandte.

Geh hinauf zu ihr, sprich mit ihr und versöhne sie, rief er zurück. Dann befolge meinen Rath, und Du wirst ein geachteter, beneideter, glücklicher Mann bis an Dein seliges Ende sein.

Als Eduard in das Zimmer seiner Frau trat, fand er sie an ihrem Arbeitstische sitzend. Sie las in einem schwarzen Buche oder blickte darauf nieder, ihre Hände lagen in ihrem Schooß und zitterten leise, ihr Gesicht sah bleich und düster aus und schien nervös zu zucken, als er sich ihr näherte.

So sehr verabscheut sie mich! murmelte er vor sich hin, und indem er an ihre Seite trat, sagte er, so mild er es vermochte: Ich fürchte, Dir mit meiner Nähe wehe zu thun, doch ist es nicht zu ändern. Gerne wollte ich alles aufbieten, um Dich davon zu befreien – und ausgesprochen muß es werden. Ich möchte Dich von den Fesseln unserer traurigen Ehe befreien, allein auch das ist schwierig, und Du – was ist Dein Wunsch?

Ich werde das Loos, das mir auferlegt ist, zu tragen wissen, erwiederte sie ruhig.

So dachte ich mir Deine Antwort, sagte Eduard, und in diesem Falle müssen wir auf andere Mittel zur Versöhnung denken. Ich bitte Dich um Vergebung und rechne darauf. Ich werde Dir keinen Kummer mehr durch meine Heftigkeit machen.

Du wirst finden, daß ich mir vorgenommen habe, Dich ebenfalls zufrieden zu stellen, antwortete Anna tonlos.

Dann sind wir ja einig, fuhr er fort, indem sein Gesicht sich zu erheitern suchte, und warum sollen wir nicht dazu gelangen? Wir wollen, was uns bedrückt hat, vergessen; im Grunde sind wir doch Beide nicht böse Menschen, die sich quälen müssen.

Er nahm einen Stuhl, setzte sich zu ihr und fing an von verschiedenen Dingen zu sprechen, und ohne einen sichtlichen Zwang, mit mehr Artigkeit und Gewandtheit als gewöhnlich, brachte er ein Gespräch in Fluß, als sei nichts Störendes vorgefallen. Die junge Frau blickte einige Male verwundert auf, als er von dem Vergnügen sprach, das er bei dem Gedanken empfinde, sie werde in Zukunft sich glücklicher fühlen, als es jetzt der Fall sei, und als er besorglich sich nach ihrem Wohlsein erkundigte und fragte, ob sie nicht wünsche, daß er einen Arzt rufen lasse, trat ein Schimmer von Theilnahme in ihre Augen.

Ich danke Dir, sagte sie, Du bist ausnehmend gütig gegen mich.

Ich werde mir Dein Lob immer zu verdienen suchen.

Daran wurde ich bisher allerdings nicht gewöhnt.

Oh, denken wir nicht mehr an die Vergangenheit, fiel er lebhaft ein. Ich verspreche Dir noch einmal, Du sollst nicht wieder über mich zu klagen haben. Ich will ein stiller, freundlicher Mann werden.

Er nahm ihre Hand und drückte sie an seine Lippen.

Eben kam die Frau Bürgermeisterin dazu und grinste vergnüglich, wie sie Beide so beisammen erblickte.

Das ist ja ein reizender Anblick! rief sie. Es geht doch Nichts auf Erden über häusliches Glück! Mein seliger Mann hat mir die Hände geküßt noch am Tage, wo er starb, und wenn ein Mann das thut, – die meisten sind Barbaren genug, diese zarte Huldigung sehr bald gänzlich zu vergessen – ich sage aber, wenn ein Mann das thut, so ist es ein Zeichen, daß er glücklich ist. Aber sagen Sie mir, fuhr sie in ihrer Weise fort, dieser einzige Mensch, dieser Doctor, kommt mir unten entgegen mit seiner türkischen Mütze, so reizend wie ein echter Türke, und wie ich ihm das bemerklich mache, antwortet er mir, ihm sei auch ganz türkisch zu Muthe, denn er habe so eben das köstlichste türkische Roth zu Stande gebracht, und damit könnten Sie heut noch Ihrer Frau eine prächtige Equipage anschaffen.

Bärwald hat allerdings durch seine Versuche so glückliche Erfolge gehabt, erwiederte Eduard, daß ich glaube, die Fabrik wird daraus großen Nutzen ziehen.

Eine Equipage, Anna! rief die Frau Bürgermeisterin. Wir sind bescheiden, wir sehnen uns nicht nach Pracht und Putz, wie manche hochmüthige Frauen reicher Fabrikanten, aber eine Equipage ist jedem gebildeten Menschen angenehm und eigentlich nicht einmal Luxus, wenn man bedenkt, wie die Füße bei den jetzigen engen Schuhen leiden.

Ich hoffe, sagte Eduard, daß Anna in kurzer Zeit auch diesen Wunsch erfüllt sehen wird.

Was Sie liebenswürdig sind! rief die Frau Bürgermeisterin, so falsch als möglich grinsend. Eben war ich bei Ihrem Bruder, unserem verehrten Freund, der so kummervoll aussah, daß ein Stein sich erbarmen könnte. Aber was hat dieser edle, gottergebene Mann nicht auch zu dulden! Die Frau ewig krank, und keine Aufsicht und Ordnung im Hause. Nichts als Gram und Aergerniß.

Hast Du sie gesehen, Mama? fragte Anna.

Nein! Ich glaube, sie hatte so eben eine Art Brustkrampf oder Weinkrampf gehabt. Lange wird es wohl überhaupt nicht mehr mit ihr dauern. Die liebe gute Frau Lichtfeld hat auch keine große Freude an dieser Schwiegertochter, und wenn man bedenkt, wie viel ihr Sohn leidet, und was sich da Alles zugetragen hat, kann man es ihr auch nicht verdenken.

Anna sah nach ihrem Manne hin, aber er blickte so freundlich, wie vorher, sie an. Sein Gesicht war ruhig, ein leises Lächeln schwebte sogar um seine Lippen.

Wer weiß, wie bald sich Alles ändern kann, sagte er, unter diesen Verhältnissen wäre es kein Unglück zu nennen. – Doch jetzt muß ich an meine Geschäfte. Bleiben Sie doch bei uns zu Mittag, Bärwald kann Ihnen dann mehr erzählen, und wir können uns unsere türkische Zukunft weiter ausmalen.

Die Frau Bürgermeisterin lachte ihm nach. Dann legte sie den Arm um ihre Tochter, küßte sie und flüsterte ihr zu:

Ich weiß Alles. Aber sei ruhig, armes Kind. Sein Bruder hat ihm einen Spiegel vorgehalten, an den er denken wird, und Bärwald läßt Dir sagen, Du solltest Dich nicht ängstigen.


XI.

Am Abend saß die alte Frau in der hohen Haube auf dem Sopha, den Strickstrumpf in der Hand und die schwarze Brille auf der Nase; an der anderen Seite des Tisches aber saß Onkel Tobias, mit den Fingern auf der silbernen Dose spielend. Ein Zeitungsblatt lag vor ihm, aus welchem er der alten Frau Etwas vorgelesen hatte.

Sogar die Zeitungsschreiber wissen es schon, sagte er vergnüglich zu der Frau Schwester. Weiß der Henker! wo es die Kerls her haben, aber hier steht es:

»Die Fabrikanlagen des Herrn Lichtfeld haben einen Aufschwung genommen, daß sie bald zu den großartigsten in unserer Stadt gehören werden. Man sieht hieran abermals, was ein talentvoller Industrieller vermag, der sich an die Spitze der fortschreitenden Industrie stellt. Aus dieser berühmten Anstalt geben schon jetzt Artikel hervor, welche es mit den besten des Auslandes aufnehmen, aber sie an Billigkeit übertreffen.«

Es ist wahr! rief Onkel Tobias, es ist meiner Seele wahr! Und es gehen nicht ein halbes Dutzend Jahre mehr hin, so ist es der Erste unter Allen. Was habe ich gesagt, Frau Schwester? Es ist ein Mann, habe ich gesagt, der es mit der ganzen Welt aufnehmen wird.

Die alte Frau bewegte gravitätisch den Kopf, ohne zu antworten. Es schien ihr allerdings nicht übel zu gefallen, was sie hörte, und doch mochte sie nicht beistimmen.

Leichtsinnig war er immer, von jung auf war er leichtsinnig, erwiederte sie endlich, und heut war »mein Sohn« bei mir, der hatte auch seine Betrübniß über ihn.

Ehe! rief Onkel Tobias, auf seine Dose schlagend, hat der heilige Georg wieder seine Lanze eingelegt? Was hat er vorgebracht, Frau Schwester? Wart, Du schwarzer Betbruder, wir wollen Dich stille machen!

Die alte Frau ließ ihre hohe Haube zornig wackeln. Nichts hat er vorgebracht, denn er wollte mein Herz nicht beschweren, versetzte sie nachdrücklich, aber was mein Sohn sagt, das glaube ich, und es ist eben so bekannt, daß der Herr Bruder von jeher zu den Verächtern gehörte.

Die das Verleumden verachteten! entgegnete Onkel Tobias unerschrocken. Aber da kommt Eduard, der kann sich selbst verantworten. Komm her, mein Junge, setz Dich hierher. Hast die Zeitung gelesen, was da von Dir steht? Hab ich's nicht gesagt, daß es so kommen wird? Alle Neider und Feinde kommen zu Falle. Es ist ein Stolz zu sagen: dieser ist mein Sohn!

Er schüttelte ungestüm seinen eintretenden Neffen, küßte ihn rechts und links und betrachtete ihn mit Liebesblicken.

Wo bist Du denn gewesen? fragte er, Du siehst so roth und frisch aus, daß es eine Pracht ist.

Der junge Mann hatte ein erhitztes Gesicht. Ich habe den ganzen Tag viel gearbeitet, Onkel, meine Bücher und Geschäfte in Ordnung gebracht, dann bin ich mit Bärwald und Anna spazieren gefahren und jetzt, wo die Beiden bei meiner Schwiegermutter sind, bin ich gekommen, um meine Mutter und Dich heut noch auf einen Augenblick zu sehen.

Recht, mein Junge! rief Onkel Tobias mit einem kräftigen Schlag auf die silberne Dose. Nimm eine Priese Contenance und dann verantworte Dich gegen allerlei Anklagen, die bei der Mutter vorgebracht sind.

Anklagen gegen mich? sagte Eduard, indem er die Hand der Matrone küßte. Wer hat mich bei meiner Mutter verklagt?

Wir wollen es nicht weiter untersuchen, erwiederte die alte Frau, aber lockere Gesellschaft und ein volles Glas hast Du immer geliebt.

Und ich habe es gern zu einem leeren Glase gemacht, lachte der Sohn, doch das ist nichts Böses. Aber man hat Dir wahrscheinlich gesagt, daß ich zu viele Gläser leerte.

Die alte Frau mit der hohen Haube schien zu einem verdächtigen Nicken geneigt, doch Onkel Tobias kam ihr zuvor. Er fing plötzlich an zu singen: Wer niemals einen Rausch gehabt, das ist kein braver Mann, juchhe, das ist kein braver Mann! und indem er mit der silbernen Dose den Takt dazu schlug, sagte er hinterher:

Er ist so wie sein Vater war; Frau Schwester, der kein Spielverderber war, kein Mückenseiger, kein Kamelverschlucker, kein Kerl, der die Augen verdreht, als sei er vergiftet, wenn's lustig hergehen soll.

Aber, Herr Bruder! fiel die alte Frau heftig mit der hohen Haube wackelnd ein, indem sie den Strickstrumpf sinken ließ, es ist schon genug Aergerniß vorhanden, das »meinen Sohn« betrübt.

Nein, liebe Mutter, sagte Eduard sanftmüthig, Dein Sohn soll noch viele Freude erleben und Du mit ihm. Gott weiß es, das ist mein inniger Wunsch, doch das Geschwätz ist lügnerisch, wenn es mir Fehler aufbürdet, die ich nicht besitze.

Er schwieg einen Augen: blick, dann blickte er zu seiner Mutter auf und fuhr fort:

Was reden die Leute nicht. Vielleicht haben sie Dir noch ganz andere Dinge erzählt. Nicht? – Nun vielleicht, daß meine Ehe durch meinen grenzenlosen Leichtsinn unglücklich sei, und daß – ja daß ich daran denke, mich scheiden zu lassen.

Die alte Frau richtete sich starr auf und saß wie eine Bildsäule. Sie dachte über Etwas nach, was ihr einfiel, Worte und Winke, welche nun ihre Bedeutung erhielten. Sie nahm die schwarze Hornbrille ab, und ihre Lippen preßten sich streng zusammen.

Wenn das sein könnte, sagte sie, so wollte ich lieber, ich hätte Dich niemals geboren.

Schnick und Schnack! schrie Onkel Tobias, wer wird solch' Wort in den Mund nehmen, Frau Schwester. Scheiden! Glauben Sie, daß er toll geworden ist? Warum soll er sich scheiden lassen wollen? lachte er auf, indem er ein paar halb ängstliche Blicke auf seinen Neffen warf: es ist ja Alles voll Glück und Segen. Wenn Einer Unfrieden stiften will, so wird er zum Hause hinaus geschmissen; ein paar tüchtige Arme am Leibe sind zuweilen das beste Mittel, um ein Haus in Ordnung zu halten. Sehen Sie ihn an, Frau Schwester, wie er den Kopf hält, wie er da steht mit rothen Backen und breiten Schultern, wie ein Simson. Der wird sich nicht die Haare abschneiden lassen. Laß Haare auf Deinen Zähnen wachsen, mein Junge. Scheiden, pfui Teufel! Wie wird ein Mann, wie der dort, daran denken!

Mit Fingern soll Keiner auf mich weisen, sagte die alte Frau noch immer erregt von dem Gedanken. Eher möchte er sterben und verderben, ehe solche Schande auf die ganze Familie käme. Und »mein Sohn« –

Sie schüttelte den Kopf mit der hohen Haube und und fing wieder an zu stricken.

Beruhige Dich, liebe Mutter, begann Eduard sie freundlich umfassend, ich versichere Dich, Du hast nicht das Geringste davon zu besorgen. Ich stimme Dir bei, eher sterben und verderben, als diese Gott und Menschen wohlgefälligen Bande zu zerbrechen. Ich bin so glücklich, wie ich sein kann, was bleibt mir noch zu wünschen übrig! Habe Du Dank, meine beste Mutter, für alle Deine Liebe, und Du, mein alter guter Tobias, für Deine große Freundschaft, die mich immer vertheidigt hat.

Die alte Frau rührte sich nicht, aber Onkel Tobias fuhr bewegt auf:

Daran soll's Dir nimmer fehlen, mein Herzensjunge! Thue was Du willst, ich werde für Dich fechten, nur wenn Du etwa – er hob drohend den Arm auf, fing an zu singen: Scheiden thut weh! Scheiden thut web! und faßte ihn dabei an beiden Ohren.

Und es muß doch geschieden sein, sagte Eduard aufstehend. Leb wohl, Onkel Tobias. Gute Nacht, liebe Mutter! Auf frohes Wiedersehen!

Ist es nicht ein herrlicher Junge! rief Onkel Tobias hinter ihm her, ein Prachtstück voll Saft und Kraft! Gottes Segen über ihn, Frau Schwester! Wie die Stimme klingt, die ihm aus der Brust kommt! Bis mitten in's Herz geht's hinein. Da ist Alles gesund vom Kopf bis zu den Zehen, und ich begreif's nicht, Frau Schwester, ich begreif's nicht –

Er that einen Schlag auf die Dose und sah sie vorwurfsvoll an.

Die alte Frau in der hohen Haube strickte weiter, ohne zu antworten. Wenn »mein Sohn« morgen zu mir kommt, murmelte sie endlich, will ich ihn fragen, was er davon weiß, was die Leute reden, und was wahr ist.

Nach einiger Zeit ging Onkel Tobias fort, es war ihm bange zu Muthe, er wußte nicht recht warum. Sein Neffe lag ihm im Sinn, denn er hatte gar nicht wie sonst ausgesehen, und daß er heut so lustig that, wollte dem alten Mann gar nicht gefallen. Noch gestern saß er mit gefurchter Stirn, und man sah ihm seine Sorgen an; heut war sein Schritt so leicht, wie damals, wo er in's väterliche Haus zurückkehrte. Er trug den Kopf im Nacken und lachte und sprach so froh, als sei er über allen Kummer hinaus. Seine Augen rollten beweglich umher, als wären es des Doctors brennende Augen. Das ganze Wesen schien dem alten Manne umgewandelt.

Er konnte es nicht verstehen und suchte darum nach Eduard, um ihn zur Rede zu stellen, allein er konnte ihn nicht auffinden. Als er die Dienstleute im Hause befragte, hörte er, der Herr sei fortgegangen; wohin, wußte keiner zu sagen. Onkel Tobias stieg in seine Wohnung hinauf und wartete, nicht selten besuchte ihn Eduard noch spät, und heut hatte er die Ahnung, er werde kommen. Es mußte was Besonderes vorgegangen sein, das war gewiß, ob aber etwas Gutes, das schwankte, je mehr er darüber nachdachte.

Er nahm die alte Geige vom Nagel und fing an alle die alten Lieder darauf zu kratzen, die ihm einfielen, allein bei jedem Satze hörte er auf und horchte und riß zuweilen die Thür auf, weil er glaubte, er höre ihn auf der Treppe. Aber es kam Niemand, und je später es wurde, um so mehr kam eine Angst über ihn, und endlich konnte er es nicht länger aushalten, er mußte fort und noch einmal nach ihm fragen.

Es war freilich schon in der elften Stunde, aber den Hausdiener traf er wach, er schaute nach dem Wetter aus.

Die Herrschaft ist noch nicht zurück, sagte der Mann, als er den Onkel Tobias sah.

Ich will zusehen, woran es liegt, Wilhelm.

Gehen Sie nicht fort, lieber Herr, das Wetter kommt herauf, es dauert nicht lange mehr.

Onkel Tobias sah den Himmel an, der nicht sehr tröstlich aussah. Düstere Wolken bedeckten ihn, schwüle zusammengepreßte Luft füllte die Gassen, die Firsten der dunklen Häuser wurden ab und zu von einem elektrischen Geflimmer beleuchtet, das zwischen dem treibenden und zerrissenen Gewölk zuckte.

Der alte Mann ließ sich von diesem drohenden Anblick nicht abhalten zu thun, was die Stimme in ihm begehrte. Er machte sich auf den Weg, um seinen Neffen zu suchen, und dachte ihn zu finden, wenn er es zunächst bei der Frau Bürgermeisterin versuchte.

Die Dame wohnte ziemlich weit ab, es war daher beschwerlich genug für den greisen Onkel, in solcher Nacht dorthin zu tappen, aber es war ihm, als müßte es so sein. So schritt er tapfer vorwärts. Durch die öden Straßen kamen ihm Wenige entgegen, andere Wenige eilten rasch vorüber, denn das Leuchten und Zucken am Himmel wurde stärker und feuriger.

Endlich stand er vor dem Hause, aber hinter den Fenstern schimmerte kein Licht; Onkel Tobias konnte nicht zweifeln, daß hier weder Eduard, noch dessen Frau, noch der Doctor mehr verweilten. Begegnet hatte er sie auch nicht, er war aufmerksam genug gewesen, und einen anderen Weg konnten sie nicht nehmen. Die Frau Bürgermeisterin lag wohl schon im Schlaf, oder sollten sie – es fiel ihm plötzlich ein, daß sie Alle bei Georg sein könnten, gleich darauf lachte er jedoch darüber. Der heilige Georg litt niemals Gäste bis über die zehnte Stunde hinaus, er selbst verließ um diese Zeit jede Gesellschaft und legte sich schlafen. Nachtschwärmerei war ihm sehr verhaßt, öfter schon hatte er gegen solche moderne Greuel, welche die Nacht zum Tage und den Tag zur Nacht machen will, auch in seinen Reden geeifert.

Bei alledem war der alte Mann seiner Sache nicht gewiß. Er konnte einen Umweg nehmen, so kam er zur Kreuzkirche, und nach einigem Zögern machte er diesen wirklich und steuerte durch eine lange, enge Gasse auf sein neues Ziel los.

Als er aus dieser Schlucht trat, lag die Kirche vor ihm. Das hohe, düstere Gemäuer des alterthümlichen Doms trat dann und wann aus seinen schwarzen Hüllen, wenn die zuckenden Lichter an seinen Spitzbogenfenstern vorüberzitterten, aber Onkel Tobias hatte gute Augen. Er blickte vom Rande des grünen Kirchplatzes nach dem Pfarrhause hinüber und sah es finster dort stehen, als sei es wie die Kirche unbewohnt.

Es ist ein Geizhals, der fromme Heilige, murmelte der alte Mann. Alles Licht ist ihm verhaßt; auch wenn der Blitz sein Haus träfe, würde es doch nicht hell darin werden.

Er wurde von einem Strahl unterbrochen, der den mächtigen Thurm, die Kirche und den ganzen Platz überglänzte und dann in dunklere Nacht zurückwarf, aber Onkel Tobias hatte Etwas gesehen, was ihn bestürzt machte. An der zerbrochenen Säule des alten Grabmals in der Mitte des Kirchplatzes hatte er eine Gestalt gesehen, die Gestalt eines Menschen, eines Mannes. Unbeweglich stand sie dort mit gekreuzten Armen, das Pfarrhaus anblickend. Es war nur ein Augenblick gewesen, allein er wußte, daß er sich nicht getäuscht hatte. Eben noch wollte er umkehren, jetzt ging er darauf zu und meinte, es müsse der sein, den er suchte. Wie er vorwärts schritt durch Gras und Birken, half ihm ein neues, mattes Geflimmer, und eben hob die Uhr im Thurme aus und schickte elf dumpfe Schläge durch die schweflig schwüle Nacht.

Die Säule war bald erreicht, aber die Gestalt, welche sich daran gelehnt, war nicht mehr dort.

Eduard! sagte Onkel Tobias mit leiser Stimme, indem er sich suchend niederbeugte, mein Sohn, ich bin es!

Niemand gab ihm Antwort, aber ein mürber Stein fiel von dem mürben Denkmal und rollte in das lange trockene Gras. Ein Schauder flog über den Greis. Es murmelten Stimmen um ihn her; war es das leise Grollen am Himmel, waren es die Todten unter seinen Füßen, die sich in dem Staub ihrer Gräber regten, weil ein Lebendiger ihnen nahe war, der bald zu ihnen gehören sollte?

Ich fürchte mich nicht, flüsterte Onkel Tobias weitergehend, ich bin alt genug zum Sterben, aber er – er.

Und wiederum stand er still, dicht vor ihm war das Pfarrhaus, hier die hohe spanische Ginsterhecke, dort die Laube, und wer sprach darin? Das war Er – allmächtiger Gott! mit wem sprach er – wer antwortete ihm?!

Zitternd legte er sein Ohr an die Reiser. Seine Füße wurzelten fest, er war unfähig sich einzumischen.

Daß ich Dich liebe, ja, daß ich Dich ewig lieben werde, das habe ich ihm gesagt, hörte er Eduard ausrufen. Ich weiß, was uns trennt, Mathilde, aber einmal im Leben will ich die Seligkeit haben, Dir das zu gestehen, einmal im Leben sollst Du mir antworten. Zürne nicht, daß ich Dich Du nenne, zürne nicht, daß ich zu Deinen Füßen kniee. Nie wird es wieder geschehen. Ich bin ruhig, geliebte Freundin. Ein unermeßliches Glück soll auf meinem dunklen Wege mich begleiten: sage mir, daß Dein Herz mir gehört! sage mir, daß Du mich nie vergessen willst.

Ein sanftes Weinen vernahm Onkel Tobias, und es währte einige Zeit, ehe Worte folgten.

O! Eduard, antwortete endlich ihre zitternde Stimme, wenn meine Liebe doch die göttliche Kraft hätte, Ihr Leben schön und froh zu machen.

Nein, erwiederte er rauher und lauter, das kann nicht geschehen. Froh könnte mein Leben nur sein mit Dir vereint. Ich kann nicht lebendig aus den ketten, die man Ehe nennt, Du kannst es auch nicht. Wir haben uns eingeschmiedet, Mathilde, nun stehen fürchterliche Wächter um uns her, die uns brandmarken, wenn wir die Eisen brechen wollen. Wir haben keine Gründe, sagen die Gesetze. Gott und Menschen sind gegen uns, gegen die zahllosen Opfer, die in Verzweiflung untergehen.

Wir werden ausharren und stark sein.

Bis wir todt sind, fiel er ein. Der Tod macht frei von allen Banden, und wer nicht athmen kann ohne Qual, der freut sich auf den Erlöser. Sie werden Dich quälen, bis Du todt bist, und ich – welche Qualen erwarten mich! Wir können zusammen sterben, setzte er mit fester Stimme hinzu, in der eine Frage lag.

Lebe, lebe, geliebter Mann! flüsterte sie flehend und ihre Arme um ihn schlingend. Ergieb Dich keinem solchen Gedanken. Hat Dir Gott nicht Kraft und Macht gegeben, viel Gutes zu thun, und wenn Du zu den Geprüften gehörst, wirst Du nicht zu den Gesegneten gehören, die edlen Menschen ein Vorbild sind?

Segnest Du mich? fragte er.

O! aller Segen des Himmels auf Dich!

Und Du mußt leben?

Weil es Gottes Wille ist; und meine Kinder, ach! meine Kinder – was sollte aus ihnen werden!

So lebe, lebe, Du guter Engel! rief er gerührt, und nun laß uns scheiden. Es war mir, als hörte ich ein Geräusch im Hause.

Georg kam in mein Zimmer vor einer Stunde, als er nach Haus gekommen war, und sagte mir gute Nacht.

Lebe wohl, geliebte Mathilde. Zum letzten, letzten Male.

Warte noch, flüsterte sie ängstlich. Mein Gott! – verbirg Dich.

Sie ließ seine Hand los, die Hausthür wurde geöffnet. Georg stand dort mit einem Lichte unter einer Glasglocke. Er war vollständig angekleidet, hinter ihm befanden sich noch andere Personen.

Was ist das? fragte der Prediger. Die Thür ist offen. Wer ist hier im Garten?

Ich, antwortete Mathilde, indem sie ihm entgegenging.

Du! Aus dem Bett aufgestanden, um hier das Gewitter zu erwarten, oder – Wer ist dort in der Laube?

Ich bitte Dich, sagte sie, frage mich nicht und glaube mir. Ich werde Dir Nichts verheimlichen.

Ich will es selbst sehen! rief er in bestimmtem Tone, und ihren Arm fassend trat er der Laube näher und leuchtete hinein. In diesem Augenblicke riß ein blendender Blitz den Himmel auf, ein betäubender Donner brüllte dem Feuerballen nach; zugleich mit ihm sprühte ein rother Strahl auch in der Laube auf, und der Knall, welcher ihn begleitete, verlor sich unter dem Krachen der Wolken.

So verlor sich auch der Seufzer, mit welchem die unglückliche Frau in ihren Knieen zusammensank, welche sie nicht länger tragen wollten.

Der Pfarrer hielt das Licht noch immer hoch dem Pulverdampfe entgegen; aus der Thür des Hauses aber traten der Doctor und Anna und die Frau Bürgermeisterin, welche ihre Hände rang.

Allerliebster Doctor! schrie sie, ich komme um vor Angst. Es war ein Schuß!

Bärwald nahm dem Pfarrer das Licht aus der Hand und leuchtete in das Geblätter.

Da liegt er! schrie die Frau Bürgermeisterin.

Gott des Erbarmens! sagte der Geistliche mit feierlicher Stimme seine Hände faltend und hochhebend, gehe nicht mit ihm in's Gericht!

Eine andere Hand riß seine Hände herunter. Gottes Gericht über Dich! rief Onkel Tobias. Oh! mein Sohn, mein Sohn! wer hat Dich dahin gebracht, Hand an Dein junges Leben zu legen? Ihr Alle, Ihr! Du, Du hast Deinen Bruder ermordet, wie Dein unglückliches, gequältes Weib! schrie er seine Arme schüttelnd.

Vor Gott und vor Menschen will ich hintreten ohne Zagen, erwiederte Georg. Ihren Sünden sind sie erlegen!

Still, sagte der Doctor, hier ist kein Streit mehr zulässig. Vor Gott mag sich Jeder rechtfertigen, wenn es dereinst von ihm gefordert wird, vor den Menschen aber müssen wir zu verbergen suchen, was hier geschah, denn Vieles hängt davon ab. Bringen Sie Ihre Frau in's Bett, theurer Freund, und schaffen Sie ihr Hilfe, und Sie, Onkel Tobias, führen Sie diese beiden Damen fort, das ist kein Platz mehr für sie. Für meinen unglücklichen Freund werde ich Sorge tragen, nachdem er selbst dafür gesorgt hat, sich von aller Sorge frei zu machen.

Es geschah, wie er es gebot, und als das Wetter losbrach, fuhr ein Wagen von dem Pfarrhause fort, in welchem der schwer erkrankte Fabrikant Lichtfeld saß, den ein Schlaganfall getroffen hatte, als er im heiteren Familienkreise bei seinem Bruder sich befand.

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Es bleibt wenig mehr für den Schluß dieser Erzählung hinzuzufügen. Das Schicksal des jungen Lichtfeld erregte allgemeine Theilnahme; sein Begräbniß war sehr prächtig, es nahmen Viele daran Theil, aber dieser Antheil vergrößerte sich noch mehr, als einige Wochen darauf auch der Prediger seine Frau begrub. Ein Nervenfieber hatte sie niedergeworfen, und man theilte sich mit, daß der Schreck über das schreckliche Ende ihres Schwagers, der in ihrer Gegenwart am Herzschlage starb, auch ihr Ende herbeigeführt habe. Die alte Mutter und der greise Oheim, mehr noch der Bruder, der schwer heimgesuchte fromme Prediger an der Kreuzkirche, und die beklagenswerthe Gattin des so früh aus seiner großartigen Wirksamkeit fortgerissenen talentvollen jungen Fabrikherrn gaben zu verschiedenen rührenden Zeitungsartikeln Anlaß. Es war ein Glück, daß der treue Freund des Verewigten, der Doctor Bärwald, sich an die Spitze des Geschäftes stellte und dies in ununterbrochenem Fortgange erhielt, wodurch wenigstens die zahlreichen Arbeiter nicht arbeitslos wurden.

Die unglückliche Gattin erregte aber die höchste Theilnahme aller fühlenden Seelen dann erst, als es bekannt wurde, daß sie in gesegneten Umständen sich befand. Vier Monate später war sie Mutter eines Sohnes, in dessen Zügen alle Freundinnen die Züge des Vaters entdeckten und dies als einen großen, von Gott ihr gegebenen Trost priesen.

Aber die Zeit verrinnt, und aller Schmerz sinkt in ihre heilenden Arme. Nach einem Jahre heirathete Doctor Bärwald die junge Wittwe, und es ward ein glänzendes Fest gefeiert. Nach nicht viel längerer Zeit vermählte sich auch der Prediger an der Kreuzkirche zum zweiten Male – mit der Frau Bürgermeisterin. Er zeigte der Welt, daß keine fleischlichen und irdischen Wünsche ihn dazu trieben, aber seine Kinder bedurften der Pflege, und er gab diesen verlassenen Kindern eine gute Mutter, sich selbst aber eine fromme Gefährtin für alle seine Werke. Sie verehrte ihn aus tiefer Ueberzeugung; es war kein Eber im Weinberge des Herrn; sie vermachte ihm, als der Herr nach einigen Jahren sie zu sich rief, ihr ganzes Vermögen, denn Anna und ihr Gemahl ergaben sich bald so arger, sündiger Weltlust, daß vielerlei Aergerniß zwischen den Verwandten entstand.

Manche lobten, Manche tadelten den frommen Geistlichen, aber die alte Frau in der hohen Haube glaubte fest an »ihren Sohn« und fand, daß er nach Gottes Willen das Beste gethan habe. Von Eduard sprach sie niemals mehr ohne Zwang, und wenn es geschehen mußte, bekam ihr Gesicht einen strengen Ausdruck; die hohe Haube wackelte hin und her; und sie murmelte vor sich hin: Leichtsinnig war er, so ist er auch gestorben!

Onkel Tobias war der Einzige, der nicht vergessen konnte, was er verloren hatte. Er schlug nicht mehr auf die silberne Dose, über das Kratzen auf der alten Geige konnte sich Niemand mehr beschweren, er sang auch nicht mehr, aber wenn der Abend kam, sah man ihn oft noch einsam durch das Haus laufen, alle Thüren öffnen und hineinblicken, stillstehen und horchen, als suche er Jemand, den er nicht finden könnte.

Als sie ihn hinaustrugen, legten sie ihn, wie er es gewollt, an seines Neffen Seite; was er an irdischer Habe besaß, hatte er dem Kinde vermacht, das Eduard's Namen trug.


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