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1.

Kehre um, Klaus, es kommt Nebel.
Noch nicht, noch ein Stück vorwärts.
Es ist die Zeit, die Rinnen laufen voll.
Fehlt noch beinahe eine Stunde daran.

Aber, Du alter Satan, wo willst Du denn hin? St. Peters Dünen liegen hinter uns, und in der Bucht kann ich kaum mehr den Kirchthurm von Büsum erkennen.

Hier ist's gewesen – ja hier muß es gewesen sein, sagte der Mann, an den diese Worte gerichtet waren, indem er stehen blieb und sich auf seine Hacke stützte, deren langer Schaft ihm zugleich die Dienste eines Springstocks leistete. –

Es war ein lederartig ausgedörrter langer Bursch, der über Fünfzig hinaus sein mußte, denn viele tiefe Falten kreuzten seine Stirn, und sein herabfallendes, rothblondes Haar schimmerte in's Graue. Darauf saß ein Ding, das wie ein Hut aussah, verbogen nach allen Seiten, abgeschabt, von Regen und Seewasser unzählige Male überspült und mit lächerlich kleinen Krempen versehen; darunter reckte sich ein schmales Gesicht aus, mit hohlen Backen, einer spitzen Nase, braungelb gebrannt von der Augustsonne und von jeglicher Art Wetter festgemacht, aber mit klaren, pfiffigen Augen und zwei Reihen breiter Zähne, die so weit vorsprangen, daß die dünnen Lippen sie kaum bedeckten. –

Mit seinen bis an's Knie aufgestreiften Leinenhosen, die nackten Füße in ein Paar dicksohlige Riemenschuhe gesteckt, die mageren Arme nackt bis zum Ellenbogen, über der Brust das grobe, graue Hemd weit geöffnet und auf den Rücken einen Sack, der mittels einer Schnur am Halse festhing, sah dieser sonderbare Gesell wie eines der fabelhaften Gespenster der Watten aus, von denen die Leute, welche in den Marschen und an den Deichen wohnen, so viel Grauenhaftes und Wunderbares zu erzählen wissen.

Um dem Leser jedoch sogleich die volle Wahrheit zu sagen, will ich bemerken, daß das, was er erfahren soll, sich vor einigen Jahrzehnten im Lande Dithmarschen zutrug, und für diejenigen, welche vielleicht mit den geographischen Eintheilungen unseres Vaterlandes nicht genau bekannt sind, mag es mir erlaubt sein hinzuzufügen, daß also das Stück Erdreich genannt wird, welches zwischen der Elbmündung und der Mündung der Eider liegt, und jetzt zum Herzogthum Holstein gehört. In alten Zeiten aber war es von diesem durch einen waldigen Landrücken getrennt, und bis tief ins sechszehnte Jahrhundert hinein bildete es die Republik der freien und edlen Dithmarschen, die keinen Herrn über sich, auch keinen unter sich duldeten. Diese kühnen sächsischen Bauern, einst der Schrecken der Fürsten und Ritter, sind nun freilich längst getreue Unterthanen des Dänenkönigs geworden, obwohl auch Angehörige des hohen Deutschen Bundes. Von der Streitaxt und dem Volksthing ihrer Väter in Heide wissen sie nichts mehr, aber um so besser wissen sie ihr reiches Land zu bebauen.

Von der Geest, d. h. dem höheren Lande, senkt sich der fette Kleiboden in die Marschen nieder, wie die tiefen, von Deichen geschützten Striche heißen, welche, von unzähligen Gräben durchzogen, je näher dem Meere je weiter unter seinem Fluthspiegel liegen. Diese hohen Deiche schützen das Land vor dem Einbruch der Springfluthen, und mit ihrer Hülfe hat man der wilden See nach und nach manch aufgeschwemmtes Stück Schlammboden abgewonnen, es mühsam eingekogt und fruchtbarer gemacht. Außerhalb dieser Koge aber und den hohen Krondeichen liegen die Watten, d. h. der Meeresstrand, von welchem das Wasser mit jeder Ebbe sich verläuft und mit jeder Fluth zurückkehrt. –

An manchen Stellen ist bei tiefer Ebbe auf Meilen hinaus kein Meer zu sehen. Ein schwarzer Schlamm- und Sandgrund liegt hart und zerrissen dann trocken, so weit das Auge reicht. Nur in den tief ausgespülten Stellen bleibt Wasser stehen, und das sind die Rinnen, die bald groß bald klein, bald breit bald schmal sind. Wenn aber die Fluth abläuft, laufen viele arme Menschen, Männer, Kinder und Weiber, hinter ihr der in die Watten hinein, um mit Handnetzen und Hacken in den Rinnen umherzustören und zu fischen, Krabben und Muscheln zu sammeln oder sonst aufzulesen und in ihren Sack zu stecken, was der liebe Gott ihnen bescheert hat, und zu dieser Art Wesen, zu den Schlickläufern, wie sie genannt werden, gehörte unzweifelhaft wenigstens der eine jener Männer, die wir weit draußen in den Watten gefunden haben.

Sein Begleiter war von ihm weit verschieden. Es war ein junger Mann von einigen zwanzig Jahren, in Sommerrock und Mütze, mit offenem blühenden Gesicht und einem Ausdruck darin, als sei er etwas Besseres, als etwa der Sohn eines wohlhabenden Bauers, der er wirklich war. Seinem Vater gehörte ein großer Hof in der Nähe von Weßliburen sammt anderen Gütern in den Kogen, und da er vor Kurzem erst nach mehrjähriger Abwesenheit nach Haus zurückgekommen war, hatte er den freien Tag benutzt, um nach Büsum hinunterzureiten, die Felder, die Ernten und das Meer zu sehen, und war dabei mit seinem alten Bekannten, Klaus, dem Schlickläufer, zusammen gerathen, den er, wie in der Knabenzeit, in die Watten hinaus begleitete.

Was ist das für ein Platz? schrie er dem Schlickläufer zu. Was ist hier geschehen? – Liegt ein Schatz da unten in der schwarzen Rinne? Schlag' mit der Hacke hinein, hol' ihn heraus.

Still, Herr Ludolf, still! sagte Klaus mit größerem Ernst, als gewöhnlich. Das ist ein Unglücksplatz, und ich habe ihn lange nicht gesehen. Manch' Boot ist hier umgeschlagen, manch' gutes Schiff vom schweren Südwest in diese Bucht getrieben, manch' Menschenleben verloren gegangen. Von hier geht das Riff hinauf bis an die Eider, und ich hab's mit meinen Augen gesehen, wie eine mächtige Barke mit einem Schlage auf diesen harten Thon auseinander sprang, als sei sie von Glas, und in einem Augenblick verschwand.

Es muß ein unangenehmer Augenblick gewesen sein, Klaus, lachte der junge Mann.

Es war ein Abend, wie heut, fuhr der Schlickläufer fort. Im Westen war es so roth, wie es jetzt ist; aber die Möven flogen ans Land und schrieen wild und warnend über uns hin.

Gerade so, wie sie es jetzt thun, Klaus.

Der Mann schwieg und sah in den Himmel hinauf nach den weißen Seeschwalben, die enge Kreise um die Köpfe der beiden Abentheurer zogen, dann in den röthlichen Dunstkreis, in welchem die Sonne strahlenlos, wie eine ungeheure Feuerkugel, stand, und endlich betrachtete er die Dünen, die Deiche und das Land, an denen ein düsterer Glutschimmer hing.

Die Thiere sind klüger wie die Menschen, sagte er dann bedächtig. Ich glaube, Herr Ludolf, wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir schneller sein wollen, wie das Wasser.

Siehst Du es nun endlich ein, alter Klaus, daß ich Recht hatte? erwiederte sein Gefährte. Ich fühle es naß und weich unter meinen Sohlen.

Und es wird eine wilde Nacht werden, sprach der Schlickläufer, indem er nochmals stehen blieb. – Morgen wird es anders hier aussehen, Herr Ludolf; andere Rinnen werden entstanden sein, die alten zugeschüttet vom Schlamm und neue aufgerissen. So ein Sturm, junger Herr, hat Glück und Unglück auf seinen Flügeln; dem Einen gräbt er sein tiefes Grab, dem Anderen wirft er Geld und Gut in den Schooß. Mancher Mast und manche Tonne und Kiste kann morgen hier liegen und aufgepickt werden von Händen, die das Ding verstehen, und wenn's ein Sturm ist, wie der rechte Schlickläufer ihn braucht, giebt's wohl noch andere Dinge in seinen Sack zu packen. Gerade hier ist der Ort, Ludolf Reimer, wo wir Beide zusammen, als Ihr noch ein Kind waret, mehr als einmal Bernsteinstücke aufgefunden haben. Da unten, unter dem Muld, sollen ganze Bernsteinberge liegen, und scheue Meerweiber mit langen blonden Haaren wohnen darin. Ja, wer weiß es, Herr? Aber erzählt wird's von Vielen, und ich selbst habe einmal in einer Nacht, wo der Mond über den Wellen hing und Nebel, wie helles Silber, darin niederfloß, seltsame Wesen hier gesehen und singen und sprechen hören, wie kein Mensch singt und spricht. Den Tag darauf ging ich hinaus in den Schlick, gerade an die Stelle, wo ich's gesehen hatte, und da lag ein Stück Bernstein, wie ein Kopf groß, wofür ich in Friedrichstadt vom Juden – Gott vergelt's dem alten Betrüger! – fünf Thaler bekommen habe. Nachher habe ich nie mehr was gefunden.

Und das war Dir Recht, Du alter Schwätzer, rief Ludolf. Hole der Henker Deine Bernsteinkugeln, Deine Meerweiber und Nebelgeister! Siehst Du dort unter dem letzten Sonnenroth das dunkle Ding, das wie eine Schlange sich auf und nieder windet? Das ist die Fluth, Klaus.

Ich sehe sie, sagte der Strandbewohner phlegmatisch seine Buxbaumpfeife stopfend.

Und ich fühle sie, fügte der junge Mann hinzu. Die Blasen steigen aus dem Boden auf, die Seewürmer stecken die Köpfe aus ihren Löchern. Nimm Deine Beine in die Hand, Klaus, und laß uns laufen was wir laufen können.

Mit diesem guten Beispiele wollte er eben beginnen, als der vorsichtige Schlickläufer sich von seiner Hacke aufrichtete, und ihn am Arm ergriff und festhielt. –

Halt da! zurück, Herr Ludolf, sagte er.

Warum zurück?

Dort hinüber geht es nicht mehr. Wir müssen auf die Dünen zu, wenn wir davon kommen wollen.

Während sie darüber stritten und der Junge sich nicht fügen wollte, weil die Entfernung bis zur Düne ihm weit größer dünkte, ging die Sonne ganz unter die schwarzen Wolken, welche den westlichen und südlichen Himmel bedeckten, und mit dem Verschwinden des rothen Schimmers veränderte sich die Scene. Ein drohendes Halbdunkel bedeckte das Land, die schwüle, feuchte Luftsäule, welche bisher still zu stehen schien, gerieth in Bewegung, ein leises Wehen kam vom Meere her und brachte ein dumpfes Rauschen mit, das über die Köpfe der beiden einsamen Wanderer fortzog und starb.

Wir müssen auf dem Riff bleiben, sagte Klaus, denn es liegt höher und hat wenige Rinnen, die sich vermeiden lassen. Wir dürfen nur geradezu gehen, so kommen wir gut fort. Folgt immer nach, junger Herr, und laßt Euch nicht irre machen. Aber Eure Augen sind besser als meine. Seht nach Büsum hin, liegen die kleinen Schlupps Schaluppe: ein kleines, einem Kutter ähnelndes Segelboot mit einem Mast und einem Vorsegel. – Anm.d.Hrsg. dort noch still auf der Seite?

Ludolf sah hinüber. Vier oder fünf kleine Küstenfahrer waren bei der Ebbe vor dem Hafen in dem flachen Wasser aufgelaufen, wie es immer geschieht, und warteten nun, seitwärts auf Kiel und Planken liegend, daß die neue Fluth sie flott machen sollte.

Ich sehe, sagte er, daß die Masten hin und her schwanken, und an der Hafenbrücke ist ein Schein, als steckten sie Laternen aus.

Dann halt' den Athem fest, Herr Ludolf, und vorwärts mit den Beinen, rief Klaus. Eine halbe Stunde haben wir Zeit, und ich weiß einen Ort, wo wir warm sitzen können. Holla! junger Herr, bleibt hinter mir und gebt Acht auf Löcher und Gerinn.

Ohne ein Wort weiter zu sprechen, setzte sich der hagere Bursche in einen anhaltenden Paß, den er nach und nach steigerte, bis es ein wirkliches Rennen war, das seinen Gefährten bald mit Schweiß bedeckte. Ein Zuschauer, der völlig antheillos gewesen wäre, hätte sich darüber belustigen können, welche Sätze und Sprünge der dünne zerlumpte Schlickläufer machte, aber es war ein Wettlauf um Tod und Leben. Sack und Netz flogen ihm dabei um die Ohren, seinen Hut hielt er in der Hand, und das gelbe zottige Haar wurde ihm wild um den Kopf getrieben.

Während er ohne sichtlich große Anstrengung vorwärts eilte, über die vollgelaufenen Rinnen setzte und seine Hacke dabei zur Hülfe gebrauchte, folgte Ludolf Reimer keuchend nach; mehr als einmal strauchelnd und dem Falle nahe, oder an den schwarzen Löchern still stehend und einen Umweg machend, um ihnen auszuweichen.

Der Boden war so weich geworden, daß die Füße daran festklebten und das Wasser daraus hervorspritzte; doch die Luft war noch immer klar, nirgend schien eine Gefahr nahe; plötzlich aber wälzte sich eine dunkle Wolke vom Meere her, dicht auf den Watten liegend wie ein schwarzes Gespenst, das von der Erde bis in den Himmel reicht und seine furchtbaren Arme nach Allem, was lebt, ausstreckt. Hinter den beiden Flüchtlingen jagte das Gespenst lautlos heran, und als der junge Mann scheu nach Büsum zurück blickte, sah er einen weißleuchtenden Schein der Dunkelheit vorangehen und mit ungeheurer Schnelle fortrücken.

Was ist das, Klaus, was ist das? schrie er dem Mann vor sich zu.

Fragt nicht! fragt nicht! rief sein Führer. Die erste Fluthwelle ist es. Sie geht gegen die ganze Bucht an. Kommt, kommt und dankt Gott, daß wir nicht in die Tiefe gelaufen sind, der weißköpfige Drache hätte uns jetzt schon in seinen kalten Fingern und zöge uns hinunter zu den Nixen in den Bernsteinhäusern.

So wenig Zeit und Ort dazu angethan waren, konnte sich Ludolf doch einer Spötterei nicht enthalten.

Die Nixen, rief er halb lachend, würden allerliebste Gesichter machen, wenn sie Dich kommen sähen, Klaus.

Aber Klaus antwortete nicht, und die letzten Worte des jungen Mannes starben in dem kalten Windstoß, der plötzlich sie ergriff und der nassen Wolke voranging, die unmittelbar folgte und sie einhüllte.

Hierher! schrie Klaus; faßt meine Hacke an, daß wir zusammen bleiben, und fürch Euch nicht vor dem Staubnebel. Der Wind wird ihn zerreißen und jagen, ehe wir fünf Minuten älter geworden sind. Aber fort, fort, Herr Ludolf! Hört Ihr ihn hinter uns?

Wen? – Wen?

Den Drachen – den weißen Drachen! schrie der Schlickläufer. –

Er zog seinen Gefährten weiter; rund umher lag dichte Finsterniß. Die Nebelwand wurde von Sturmstößen an ihnen vorübergerissen und hinter den beiden Fliehenden erhob sich ein Heulen und dumpfes Rollen und Rauschen, als sei die Meute des wilden Jägers an ihren Fersen.

Halt ein, Klaus – halt ein! – geh' langsamer – laß mich Athem schöpfen, sagte Ludolf endlich.

Jetzt nicht, hier nicht! schrie der erfahrene Mann zurück. – Der Sturm treibt uns, Herr – wäre er gegen uns, keine Menschenmacht könnte uns retten. – Setzt an – nehmt alle Kraft zusammen – es kann nicht mehr weit sein – seht da, seht da!

Und während er sprach, fuhr ein zackiger Feuerstrahl vom Himmel und leuchtete auf die hohen Dünenköpfe vor ihnen, und in demselben Augenblick rann der Nebel nieder und verschwand, wie ein Flor, der auf einer großen Schaubühne herabgelassen wird. Ein schmetternder Donnerschlag übertäubte das Heulen des Windes, ein neuer blendender Blitz folgte dem ersten, und mit Entsetzen erblickte Ludolf Reimer, wenige hundert Schritte hinter sich, eine weiße wogende Masse, die hoch aufgebäumt ihn zu erreichen suchte.

Er wußte, daß es die weißen Zähne der Fluth waren, die mit rasender Gewalt vom Sturme gegen die Küsten gejagt wurde; er wußte auch, daß er verloren war, wenn das Ungeheuer ihn beim Haar faßte. – Er stieß einen Schrei aus und strengte den letzten Rest seiner Kräfte an. Da war die Dünenkante dicht vor ihm. In verzweifelnder Hast klomm er empor – athemlos fiel er in den tiefen Sand, und zu seinen Füßen zersplitterte die mächtige Woge, dumpf brüllend, wie im Zorn um die verlorene Beute, die sie mit ihrem Geifer, mit Schaum und Wasserstaub bedeckte.

Höher hinauf, Herr Ludolf, schrie Klaus, der den Liegenden aufhob. Welle kommt auf Welle, eine höher wie die andere, alle Koge werden vollaufen. – Sagte ich's nicht, daß eine wilde Nacht kommen würde? Es ist ein Schrecken in der Natur, Herr Ludolf. Jesus hilf den armen Menschen, die draußen sind! – Kommt dort hinauf in den Einschnitt – da steht eine Hütte, wenn Schafe hier in den Dünen weiden. – Kommt, kommt! schrie er mit großer Heftigkeit, oder der Sturm wird uns niederwerfen und Keiner kann uns helfen.

Die Balkenhütte in der Düne war aufgefunden, und kaum hatten die beiden Männer davon Besitz genommen, als das Unwetter in seiner ganzen Gewalt losbrach. Der Regen stürzte in Strömen nieder. Blitz folgte auf Blitz, und Klaus begann ein Danklied auf Gottes rettende Gnade und Güte zu singen, während seine heisere Stimme von dem Wimmern und Pfeifen des Sturmes unterbrochen wurde.

Hier sitzen wir schön, hier sitzen wir trocken! rief der alte Bettler endlich, und eigentlich ist es sündlich, sich noch etwas Besseres zu wünschen.

Mein Vater wird Sorge um mich haben, wenn ich die Nacht ausbleibe, murmelte Ludolf, der sich auf die Thürschwelle niedergelassen hatte.

Laßt Eure Vater Sorge haben, so viel er will, erwiederte Klaus, morgen wird sie zu Ende sein. Ich habe oft gerungene Hände und blasse Gesichter gesehen um Einen, der hinausgegangen war und niemals wiederkehrte.

Ich habe Unrecht gethan, Dich zu begleiten, fuhr Ludolf fort.

Meiner Six! Recht habt Ihr gethan, schrie Klaus. Habt den schönsten Nachmittag erlebt, den ein Mensch erleben kann. Wo ist's wohl schöner in der Welt, als draußen in den Watten, wenn die Sonne scheint, die Krabben über den Schlick laufen und die Rinnen voll Fische, Austern und Muscheln sitzen?! Ich möcht' es nicht vertauschen mit all' ihrem Schnickschnack von grünen Bäumen und Kornfeldern. Und dann habt Ihr ein wildes Gestruggel mit Himmel und Meer erlebt und könnt was davon erzählen; Eure Füße sind kaum davon naß geworden, und jetzt sitzen wir warm und können lachen. – Haha! Wenn ich nur ein Licht hier finden möchte! Halt da – Gott's Lohn für die gute Vorsicht! – da ist die Laterne und ein Feuerzeug. Was fehlt uns nun noch, Herr? Wie die Könige sind wir eingerichtet.

Er bemühte sich das Licht anzuzünden und sprach dabei weiter.

Habe wohl andere Nächte erlebt, Herr Ludolf, rief er. – Mitten da außen in der brüllenden See – zur Winterzeit im Schneesturm – die Haare zusammengefroren von Reif und Schaum und Schnee – kein Brot, kein Wasser mehr im Fischerboot, und bis in den dritten Tag hinein nichts als Geheul und Nebel und's wüthende Element. – Dankt Gott, daß Ihr's nicht so gesehen habt; bewahr', Herr, jeden Christen davor! Geld und Gut und was ein Mensch besitzt, würde der Reichste hinwerfen, wenn er fort könnte. – Hört! wie's heult. Wenn wir Licht hätten, wär' Alles gut.

Das Licht kam glücklich in's Brennen und zeigte Ludolf seinen genügsamen Gefährten, der auf der Erde saß, den Rücken an die Wand der Hütte gelehnt, und ein hartes Stück Brot mit seinen Zähnen zermalmte. – Eine Zeit lang herrschte Schweigen, dann fragte der junge Mann:

Was war's für Jahreszeit, als das große Schiff auf das Riff stieß? Das Schiff, von dem Du mir erzählt hast, Klaus.

Es war auch im August, Herr – laßt mich sehen, was haben wir heut?

Den zehnten, sagte Ludolf, und Freitag ist's obenein.

Dann, Herr, ist's sonderlich genug, rief Klaus – denn es war auch am zehnten und an einem Mittwoch, als das Schiff verloren ging.

Und mit einem Schlage, sagst Du?

Ja, Herr, ja. Mit einem Schlag, wie eine Fliegenklappe zugeschlagen wird. Es war hineingeworfen worden vom tagelangen Sturm und konnte nicht wieder ab; aber es war Fluth, eine Springfluth, die mehr als zwanzig Fuß Wasser an unsere Deiche warf. Es hätte bis Büsum hineinkommen können, und wer weiß, was geschehen wäre; aber Sturm und Wellen brachten es auf das Riff; sie hoben es hoch auf und ließen es dann fallen, und die Masten stürzten alle drei, als wären's Schwefelhölzer. Ein jammervoller Schrei kam bis zu uns her, die wir auf der Düne standen; drei arme Leute, ich, der alte Schäfer, der den Schafen hier das harte Augustgras fressen ließ, und Euer Vater, Ludolf, der von Lunden herübergekommen war, um's reiche Kogland zu kaufen, das ihm noch gehört.

Mein Vater war dabei? fragte Ludolf verwundert. Und es wurde nichts gerettet?

Es war Abend, wie es jetzt Abend ist, als das Schiff mitten zerbrach, fuhr Klaus fort, und keine halbe Stunde nachher setzte der Sturm um, ging von Süd-West nach Süd-Ost, und trieb Kisten und Kästen aus der Bucht heraus, zum großen Leidwesen vieler Menschen, die sich auf den nächsten Morgen freuten. – Ein paar Ketten und Anker war Alles, was sie bekamen; aber wir – haha! wir hatten das Beste aufgefischt.

Was hattet ihr aufgefischt?

Da unten an der Dünenecke standen wir mit unseren Hafenstangen, und plötzlich kam eine hohe Waag' und hatte auf ihrem Gipfel ein schwarzes Ding.

Faß' zu, Klaus! schrie Wolf Reimer, und es war ein kühner Mann, ohne Furcht sein Leben lang. – Wir faßten das Ding mit den Haken und ließen es nicht wieder fahren, zogen es hoch herauf, ehe der Sog es wieder mitnehmen konnte – da sahen wir, was wir hatten.

Was war's?

Der große Hühnerkorb vom Schiffe.

Und Hühner darin? rief Ludolf lachend.

Leer, sagte Klaus, aber obenauf war etwas festgebunden.

Was?

Ein Kind, erwiederte der Bettler. Ein armes, kleines Kind. Nicht ein Jahr alt mochte das verlassene Wesen sein.

Todt? fragte der junge Mann.

Mausetodt, ganz von Seewasser durchgezogen, blau und starr. – Wir brachten's hier hinein in die Hütte. Wolf Reimer warf's auf den Tisch und sagte: mach ein Loch im Sande, Klaus, und leg's hinein das arme Ding; den Hühnerkorb kann ich brauchen. – Ich hob es auf, und ein Mitleid kam in mein Herz. Riß ihm die nassen Tücher ab, fing's an zu reiben, und denkt Euch, es lebte auf.

Lebte auf! rief Ludolf.

Es that einen schwachen Schrei und streckte seine Aermchen aus. – Wer soll das Würmchen haben? fragte ich.

Ich nicht, sagte Euer Vater und ging hinaus, nahm den Hühnerkorb und bracht' ihn nach Lunden. – Wenn's ein Kornsack gewesen wäre, den er nach Weßliburen auf den Markt bringen konnte, hätte er das Kind wenigstens durchgerissen. – Recht, sagt' ich, jedem sein Theil. Der reiche Wolf Reimer nimmt den Hühnerkorb, der arme Schäfer Peter Henke nimmt sich die Tücher und das Mäntelchen; ich behalte das Kind, das nichts mehr hat, wie sein Hemdchen, sammt dem Kreuzchen, das ihm um den Hals gebunden ist, und jeder geht vergnügt nach Haus.

Du hast es genommen? fiel der junge Reimer ein. Warum habe ich nie von dieser Geschichte gehört?

Es ist gerade zwanzig Jahre her, sagte Klaus, und wart Ihr nicht damals ein Kind und bei Eurem Großvater in Brunsbüttel? Nachher seid Ihr in Meldorf gewesen auf der Gelehrtenschule, habt nicht viel in Eures Vaters Haus verkehrt, überhaupt aber haben die Leute die Sache bald vergessen, denn damals war's unruhige Zeit: Franzosen in Hamburg, Schweden und Dänen im Lande, Krieg und Todtschlagen überall, und Jedermann in Angst und Sorgen.

Aber was hast Du mit dem Kinde gemacht, Klaus? rief Ludolf lebhaft. Lebt es denn noch?

Freilich lebt es, sagte der Bettler, und ist eine schmucke Dirne geworden, die sich sehen lassen kann. Ich brachte sie erst unter bei einem alten Vetter, der so arm war wie ich, aber ein Herz hatte, das immer ja sprach, wenn's gebraucht wurde. – So halfen wir dem armen Ding ein paar Jahre durch, und dann lief's in den Schlick, wo's anstellig suchte, was es finden konnte. Hierauf kam's in die Armenschule, half das Heu in den Kogen harken und binden, und endlich nahm's ein Pachter auf einen Grashof, um's Vieh zu beaufsichtigen. Da ging's ihr gut und sie schlug ein. Der Mann schickte sie zum Pastor, und der Pastor kümmerte sich um ihr Christenthum und ihren Namen, und als er die Geschichte gehört hatte, ließ er mich kommen, forschte hin und her, und sagte endlich, einen Namen müßte sie haben und getauft müßte sie auch werden, da Niemand wissen könnte, ob's geschehen sei; gefährlich säh's aus sonst mit der ewigen Seligkeit. – So sagt ich denn, in Gottes Namen laßt sie heißen wie ich heiße, und mein Kind mag's sein, weil's doch in der ganzen Welt Niemand hat, als den armen alten Klaus, der es aus dem Hühnerkorb gezogen. Auguste war sie immer genannt worden, weil's im August geschah, daß wir sie fanden.

Und wo ist sie jetzt? fragte Ludolf.

Oh, obendrauf! rief der Bettler. Beim reichen Wiebeking führt sie die Wirthschaft schon seit zwei Jahren, und obwohl die Dirne eben ihre Zwanzig hat, ist in ihrem Kopfe mehr Witz, als bei Anderen, die doppelt so alt sind.

Hörst Du nichts, Klaus? sagte der junge Reimer aufspringend.

Mir war's wie ein Schrei.

Beide horchten eine Weile. Der Wind brauste laut, ferner Donner schien sich darein zu mischen. Ludolf stieß die Thür auf, es regnete nicht mehr. Durch schwarze Wolken zeigten sich lichtere Stellen. Er lief auf den Kamm der Dämme und sah in das wild fluthende Meer hinab. Was er erkennen konnte, füllte sein Herz mit Schrecken. Der Sturm hatte abgenommen, er blies noch in Stößen, aber die brandenden Wogen zerstiebten über einander stürzend in Schaum und Wasserschauern, welche mit ungeheurer Gewalt weit über die Dünen geschleudert wurden. Mitten durch die Dunkelheit der Nacht leuchteten die Schaumflocken und Kaskaden des Meeres, wie mit Irrlichtsglanz. So weit das Auge reichte, war nichts als Gischt und kämpfende, ungeheure Wasserberge, die gegeneinander anstürmten und, mit weißen Kämmen sich zerbeißend, die Luft mit ihren zerstückten Leibern füllten.

Plötzlich richteten sich Ludolfs Augen auf einen nicht sehr fernen Gegenstand, der auf den Spitzen einer hohen Welle sichtbar wurde und verschwand. – Er stieß einen Schrei aus, der in dem Rauschen der Wogen unterging, aber Klaus herbeilockte. –

Ein Boot, rief er ihm zu, eine Fischerschlupp oder ein kleiner Kutter. Ich sehe den Mast – da ist der Rumpf – aber es ist kein Segel zu sehen – wenn Menschen noch darin sind, was soll aus ihnen werden?!

Klaus strengte seine Sehwerkzeuge an und sagte dann bedächtig:

Es muß ein Boot sein, das in den Heverstrom Gezeitenstrom im nordfriesischen Wattenmeer. – Anm.d.Hrsg. hinein wollte und in Dunkelheit und Sturm seinen Weg verfehlt hat. Wahrscheinlich ist es aus der Elbe, oder eine kleine Schlupp aus Helgoland, die von Husum oder Tönningen Fleisch holen wollte. Ohi! da ist eine Laterne am Mast. Menschen sind darauf, Herr Ludolf – wart ein Bischen –wart ein Bischen!

Was willst Du thun, Klaus?

Klaus sprang von der Dünenspitze hinunter der Hütte zu und kam nach einigen Augenblicken mit der Laterne und einer langen Stange zurück. In der nächsten Minute hatte er die kleine Leuchte festgebunden und hielt sie hoch in die Luft.

Sie werden Dein Zeichen nicht sehen, sagte Ludolf.

Eines Seemanns Auge in der Noth sieht Alles, erwiederte der Schlickläufer.

Und wenn sie es sehen, was kann es ihnen helfen? Es wird um so sicherer ihr Ende sein.

Nein, nein! schrie Klaus, wenn sie das Fahrzeug noch regieren können, will ich ihnen einen Rettungsweg zeigen. – Seht da, Herr, seht da! Kommt das Boot nicht näher? Könnt Ihr kein Segel jetzt erkennen? Sie haben einen Klüver Ein dreieckig geschnittenes Segel, das am Klüverbaum (woher sein Name rührt) vor dem Bug gefahren wird; der Klüver ist ein bewegliches Rundholz (eine ›Spiere‹), das über das Vorschiff eines Segelschiffes hinausragt. – Anm.d.Hrsg. aufgezogen und bringen es vor den Wind. Nur mir nach, ich will euch einen Hafen zeigen, wo das Leben gerettet werden kann.

Er lief auf der Düne hin, bis wo diese einen einwärts gedrängten Bogen bildete, an dessen entgegengesetztem Ende die Schutzwehr von künstlichen Deichen begann, an welchen Jahrhunderte gebaut und gebessert haben. – In diesem Einschnitt war ruhigeres Wasser zu beiden Seiten der Brandungen, welche außerhalb sich brachen, und hierher brachte die Leuchte des kundigen Strandbewohners endlich glücklich die bedrohte kleine Schlupp, welche hoch auf den Sand lief und liegen blieb, während sogleich Leinen ausgeworfen wurden und ein paar Männer ins Wasser sprangen, das wenige Fuß tief war.

Nur die Frauen heraus, rief eine starke Stimme. Gott sei Dank, daß wir hier sind! – Hierher, Marie! Niklas wird Dich ans Land tragen. Landvoigt Hegemann! – Wo ist der Landvoigt? Haltet die Laterne hoch, Ihr da am Lande. – Haha! die verdammte Seekrankheit hat uns gut zugesetzt. Aber besser krank, als da unten liegen. – Wer hat uns den Weg hierher gezeigt? Bei Gott! kein Anderer, als der alte Bursche da. Klaus, Du bist doch zu mehr nütze in der Welt, als ich gedacht habe. – Fast den Landvoigt an, er kann noch nicht auf seinen Beinen stehen. – Und Ihr da – setzt die Laterne nieder – kommt her, und tragt zur Belohnung das hübscheste Mädchen ans Land, das in ganz Dithmarschen zu finden ist.

Diese letzten Worte waren an Ludolf gerichtet, der auch folgsam ins Wasser trat und eine junge Dame in Empfang nahm, welche willenlos, zitternd und halb todt vor Angst, Nässe und Kälte, mit beiden Armen sich um seinen Hals klammerte und so fest andrückte, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. –

Ludolf hielt es daher auch für das Beste, sie die ganze Düne hinauf nach der Hütte zu tragen, was keine allzuleichte Arbeit war. Er fühlte ihr Herz an seiner Brust schlagen, ihr heftiges Athmen über seine heißen Wangen streifen, ihre zitternden Hände um seinen Nacken; Mitleid und ein sonderbar wonniges Gefühl waren in ihm. – Die zweite Dame folgte mit den beiden Herrn nach, von Klaus begleitet; die Schiffleute blieben mit der Laterne bei der Schlupp, um sie sicher zu legen und vor Umschlagen zu schützen.

Das war eine Luftfahrt, mein Leben lang will ich daran gedenken, rief der gesprächige Herr. – Wir sind am Morgen mit der ersten Fluth aus Wöhrden gefahren. Eine bloße Spazierfahrt auf dem Meere, Klaus, um meiner Cousine Henriette ein Vergnügen zu machen. Landvoigt Hegemann war mit uns; die Schlupp ist gut und rasch, sie gehört Peter Ruller.

Ein schmuck Ding, sagte Klaus. Gut für Euch, Herr Wiebeking, daß Ihr die hattet.

Und Alles war gut, fuhr der Andere fort, wenn mein Rath befolgt worden wäre. Aber die Frauen wollten wissen, wie die Welt aussieht, wenn man kein Land mehr erblickt, und dazu ließ ich mich endlich überreden, weil der Tag so schön war. Trau' Einer allen Dingen, nur nicht Wind, Wetter und Weibern! – Als wir draußen waren, starb jeder Luftzug, keine Katzenpfote weit und breit, bis der ganze Westen roth und schwarz wurde und endlich der Tanz los ging. – Bei Gott! Hegemann, ich habe für unser Leben keinen Schilling mehr gegeben; aber hier ist die Hütte, und nun lauf, Klaus, was Du laufen kannst. Lauf nach Lunden hinüber und verschaff uns einen Wagen, sammt etlichen Mänteln, Decken und was Du sonst bekommen kannst. Wir wollen inzwischen von Innen einheizen, denn glücklicher Weise haben wir bei uns, was des Menschen Sohn gern hat. – Marie, liebe Frau, ich hoffe, Du fühlst Dich wohler? Landvoigt Hegemann, Sie erholen sich, wie ich sehe, und holla! Ihr da, Freund, setzt meine hübsche Base vorläufig auf die Schwelle und geht mit Eurem Kameraden. Morgen kommt zu mir auf den Hof. Ich bin Karl Wiebeking, wenn Ihr's nicht wißt. Das Uebrige wird sich finden.

Ich hoffe, Herr Wiebeking, erwiederte Ludolf, daß ich im Stande sein werde, Ihnen und den Damen schnelle Hülfe in Lunden zu verschaffen, wo ich gut bekannt bin. Klaus wird nicht ermangeln, sich bei Ihnen einzufinden, und wenigstens werde ich morgen durch ihn hören, wie es geht.

Wer sind Sie denn, fragte der Hofbesitzer verwundert über diese Sprache.

Ludolf Reimer ist mein Name, sagte der junge Mann. Aber Klaus ist schon fort. In einer Stunde soll ein Wagen hier sein. –


2.

Am nächsten Tage war auf dem Hofe, welcher dem Herrn Wiebeking gehörte, viel Sprechen und Scherzen über das bestandene Abentheuer. Der Hof lag nicht weit von dem Hauptorte des ganzen Landes, von Heide, und war eine der bedeutendsten Besitzungen im Dithmarschen, wo es keine Rittergüter giebt, sondern die Bauern selbst die Herren sind. –

So groß aber auch für diese Verhältnisse das Gut war, so blieb es doch eigentlich, für den Besitzer nur Nebensache, denn Herr Karl Wiebeking trieb weit mehr Kornhandel als Ackerbau, und sein Onkel, Herr Johann David Wiebeking, hatte eines der ersten Geschäfte jener Art in Hamburg. Onkel und Neffe gingen dabei zusammen. Der junge Wiebeking kaufte in allen Marschen zwischen Elbe und Eider zur richtigen Zeit Weizen, Bohnen und Raps, oft in ungeheuren Quantitäten. Er erschien auf allen Märkten, sorgte für die Verschiffung aus den kleinen Küstenhäfen, und galt für einen verdammt fixen Kerl unter den schlauen Bauern und Kornhändlern im Dithmarschen, gerade so wie sein Onkel in Hamburg und Altona für ein höchst respectables Haus galt. –

Der junge Wiebeking lebte im Winter, wenn alle Käufe abgeschlossen waren und es nichts mehr zu verschiffen gab, ebenfalls in Hamburg, und ließ sein Gut unter Sorge des Rechnungsführers und der Wirthschafterin; aber vom Frühjahr ab bis in den Spätherbst war er ununterbrochen im Lande auf den Beinen, und es war ein Mann, vor dem die Besten an den Hut faßten und gern in seine ausgestreckte Hand schlugen.

Karl Wiebeking war ein Kaufmann, wie er sein mußte für dies Land, für die Menschen darin und für sein Geschäft. Er hatte größtentheils mit Bauern, Händlern, Schiffern und Arbeitern zu thun, die zum Theil hochmüthig und eingebildet genug waren; aber er verstand sie Alle zu nehmen, wie sie genommen sein wollten. – Einfach, freimüthig und im derben Plattdeutsch machte er seine Geschäfte. Rasch im Kauf und ohne zu knickern galt sein Wort, auch wenn er es zurückziehen konnte und Schaden dabei war. Niemand aber wußte dennoch seine Vortheile besser zu verfolgen und seinen Schaden zu vergüten, wie dieser mit großen Geldmitteln immer versehene Speculant. –

Obwohl er gestern eine arge Nacht verlebt hatte und erst gegen Morgen nach Haus gekommen war, saß er doch den Vormittag über schon am Schreibtisch. – Herr Wiebeking war stattlich von Gestalt, nicht elegant, aber kräftig gebaut, und was die Züge seines Gesichts betrifft, so waren diese mit ihrer Regelmäßigkeit, der gekrümmten Nase und den lebhaften grauen, scharfen Augen einnehmend zu nennen, obwohl die ungemein niedrige Stirn, von der ein Wald blondbrauner Haare steil in die Höhe stieg, den guten Eindruck störte.

Zur Mittagszeit hatten die beiden Damen ausgeschlafen und glücklicher Weise nicht die geringsten nachtheiligen Folgen einer Erkältung zurückbehalten. Im Gegentheil, sie fühlten sich, wie dies gewöhnlich nach überstandener Seekrankheit geschieht, ungemein leicht und froh gestimmt, und bemühten sich um die Wette, alle die üblen Situationen heut ausgelassen zu belachen, welche ihnen gestern so grausame Angst und Noth verursacht hatten.

Madame Wiebeking war eine muntere junge Frau, ebenfalls die Tochter eines respectablen Hauses aus Hamburg, und Henriette Wiebeking ein zwei- oder dreiundzwanzigjähriges Fräulein, deren gewöhnlich romantische Stimmung sich nicht abhalten ließ, zu dem allgemeinen Gelächter auch das Ihrige beizutragen.

Du hast es am besten gehabt, Henriette, sagte endlich ihr Verwandter. Zuerst hat Dich der Landvoigt auf alle Weise geschützt und seinen eigenen einzigen Rock ausgezogen, um Dich zu bedecken, und zuletzt hast Du ein Schlußtableau geliefert, das ich malen und auf die nächste Ausstellung liefern lassen werde.

Es war ein verdammt gescheuter Gedanke von Dir, Mädchen, fuhr er dann lachend fort, Dich dem Ludolf Reimer an den Hals zu hängen und durch den nassen Sand bis in die Hütte schleppen zu lassen. – Genial von Dir, haha! Er keuchte und spritzte, wie ein Mühlesel, aber ein wackerer Junge – er ließ nicht los, obwohl er halb erwürgt von Deiner Zärtlichkeit sein mußte.

Karl, verschone mich mit Deinen handfesten Bemerkungen, erwiederte Fräulein Henriette. Ich war in einem Zustande der Auflösung. Es war grausenhaft; ich konnte nicht denken, nicht fühlen.

Aber er hat um so besser gefühlt und gedacht, lachte der Gutsbesitzer. Wenn er kommt, empfange ihn, wie es einem Menschenfreunde gebührt.

Wen? sagte die junge Dame. Wird er denn kommen?

Natürlich, erwiederte Wiebeking. Ich habe heut schon eine lange Epistel an ihn geschickt und bin selbst neugierig, wie er eigentlich aussieht. Hegemann sagt, es sei ein gewiegter Bursche. Er hat ihn vor einigen Jahren gesehen, dann hat ihn der alte Reimer nach Frankreich geschickt, einer Speculation wegen, die er mit Pferden gemacht hat. In Paris ist er Jahr und Tag geblieben, ist dann in Deutschland, in Wien und ich weiß nicht wo noch gewesen, und jetzt ist er zurück gekommen, um bei dem Alten in die Schule zu gehen.

Ist es ein Schulmeister? fragte Henriette.

Ihr Vetter war sehr belustigt über diese Frage. –

Schnack! rief er, frage Marien, die kennt ihn, er ist öfter hier gewesen. Der durchtriebenste alte Pfiffikus, der im Dithmarschen wohnt. Ein Bauer zwar, aber einer von den aufgeklärten, der das Gras wachsen hört. – Er ist reich und versteht den Handel. Da ist kein großer Markt, wo er nicht wäre; er gehört zu meinen schlimmsten Concurrenten.

Dabei soll er über alle Maßen geizig sein, sagte Frau Wiebeking.

Wie man's nehmen will, fiel ihr Mann ein. Wo es was gilt, zeigt er sich. Für seinen Namen bei Sammlungen zu Schulen, Kirchen, Bauwerken, öffentlichen Dingen thut er mehr, als die meisten dieser Lords in Miststiefeln. – Es giebt keinen Bauer, der nicht engherzig und geizig wäre, denn es sind die größten Egoisten. Mit Ideen ist ihnen nicht beizukommen. Für Schönes, Großes, Edles, Erhabenes und was Idealisten sonst noch begeistern kann, Poesie, Kunst, Gelehrsamkeit – Romantik, Henriette! geben sich keinen Schilling. Ihre Lebensgenüsse sind ebenfalls billig, von Diners wissen sie nichts, Logen in den Theatern haben sie nicht, in Concerte gehen sie auch nicht, die Weiber kosten ihnen nichts – so sammeln sie denn fortgesetzt Geld und bringen zuletzt einen hübschen Haufen Spezies und Banknoten, Aecker und Hypotheken zusammen.

Nach meinem Urtheile, erwiederte Fräulein Henriette mit einem stolzen Lächeln, ist ein Mensch, der auf einer Stufe steht, wo er von Poesie, Kunst, Wissenschaft und was Du weiter Romantik nennst, nichts erfährt, mehr zu entschuldigen, als derjenige, der alle diese schönen Dinge zwar dem Namen nach kennt, aber sie als brotlose Narrenspossen betrachtet.

Ohne alle Hitze, mein Liebchen, ohne alle Hitze, lachte der Gutsherr. – Ich liebe die Kunst, ich belohne die Künstler. Ich lade sie ein, ich kaufe Bilder und kaufe Bücher, lasse mir was vorsingen und vorspielen, schaffe theure Dinge an und bezahle mit gutem Gelde. Was willst Du mehr von mir? – Marie hat einen ganzen Schrank voll Bände in Goldschnitt und Kalbleder. Sieh her, hier steht ein Erardscher Flügel Siehe Anm. 21 .. Sieh mein Haus an, Alles ist neu, glänzend, elegant. – Romantisch ist es aber freilich nicht, da mußt Du Deinen Retter besuchen, der mit seinem Vater in einem höchst schauerlichen, spukhaften alten Gebäude haust, das Dir gewiß ein paar Wochen lang Gänsehaut verursachen wird.

Fräulein Henriette kannte die Neckereien Ihres Vetters und mochte sich nicht weiter darauf einlassen. – Sie blickte zum Fenster hinaus in den Garten, und während dieser Zeit machte Frau Wiebeking ihrem Manne ein lachendes Gesicht und drohte ihm mit dem Finger. – Der Gutsherr trommelte mit den Fingern auf den Tisch und schien sehr vergnügt zu sein, indem er seine Verwandte beobachtete und rasche Blicke über seine artig ausgeschmückte Wohnung warf.

Ja, sagte er dann, ich bin kein Rittergutsbesitzer, wohne hier mitten unter Bauern, die mich als Ihresgleichen betrachten und immer noch etwas von dem alten groben Stolz ihrer Vorfahren in sich haben; aber es ist so übel doch nicht hier, wenn man nicht etwa nur mit der sogenannten feinen Welt verkehren will, und dazu habe ich keine Zeit und ist auch nicht mein Geschmack.

Er wandte sich nach der Thür um, die so eben geöffnet wurde. – Die Wirthschafterin trat herein, und Herr Karl Wiebeking nickte ihr wohlgefällig zu.

Nun, Jungfer Auguste, sagte er, was giebt es mit uns?

Die Wirthschafterin hatte eine ganze Reihe verschiedener Fragen und Mittheilungen zu machen, die sich auf Angelegenheiten des Haushaltes bezogen; sie hatte zu rechnen, Geld zu fordern, ihre Absichten darzulegen, ihre Handlungen zu begründen, und sie that dies mit solcher richtigen Kürze und überzeugenden Bestimmtheit, daß der Gutsherr mehr zu seinem Vergnügen als der Sache wegen Einwendungen machte, die das Gespräch zwischen Herr und Magd verlängerten. Der scherzende Ton, in welchem Herr Wiebeking sprach, drückte sein Vertrauen und seine Zufriedenheit aus, und seine Augen unterstützten seine Freundlichkeit, denn er sah die junge Dirne mit vieler Güte an.

Es war jedoch auch jedenfalls eine Gestalt, die ein Mann wie dieser gern ansehen mochte. Jung und frisch, tüchtig und verständig stand sie vor ihm. Ihr einfacher ländlicher Anzug war sauber gehalten. Das Kattunkleid, die weiße Schürze und das Schlüsselbund daran, bekundeten ihren Rang, ihr gebräuntes Gesicht hätte feine Formen gehabt, wenn Arbeit und die Mühen des Lebens diese wohlgebildeten Züge nicht fest und bestimmt gemacht hätten. Dabei drückten ihre dunklen, lebhaften Augen einen entschlossenen Willen aus; prächtige Zähne schimmerten hinter den trotzigen Lippen, und das tiefgescheitelte, üppige Haar war durch keine Sonne ausgeblaßt und fahl wie gewöhnlich bei diesen armen Kindern des Nordens, welche Luft und Wetter ertragen müssen, sondern es war schwarz und glänzend und gab der kleinen kräftigen Gestalt etwas Fremdartiges auf diesem Boden.

Noch Eins, Auguste, sagte Herr Wiebeking, als die Haushälterin mit ihrem Buche gehen wollte. Ist Klaus hier gewesen?

Heut früh, erwiederte sie, aber nur auf ganz kurze Zeit.

Und warum ist der alte Narr nicht zu mir herein gekommen?

Er wollte nicht, sagte sie. Meinte, er müßte hinüber zu Wolf Reimer's Hof; hätte es dem jungen Reimer versprochen, Nachricht zu bringen, daß alles im Hause gut stehe.

Hört an, Jungfer, antwortete der Herr. Wenn Klaus wiederkommt, schickt ihn her; ich will etwas für ihn thun, daß er aus seiner Noth kommt.

Die Wirthschafterin schien etwas erwiedern zu wollen, aber Fräulein Henriette am Fenster kam ihr zuvor. –

Ein Reiter, rief sie, ein Besuch! Ich glaube er ist es!

Ludolf Reimer? lachte Herr Wiebeking. – Du mußt ihn besser kennen, als ich, mein Bäschen. Bist ihm näher gewesen als ich. Herz an Herz, oder Gesicht an Gesicht. – Aber ein schmucker Bursch, sitzt gut zu Pferde, besser als mancher Baron, und was das Roß betrifft – ein gewaltiges Thier. Der alte Wolf hat die besten Pferde im Lande und kauft auf, was er nicht hat.

Die beiden Damen und der Gutsherr standen am Fenster, die Haushälterin blieb neugierig einige Augenblicke an der Thür stehen, dann ging sie hinaus, eben als der junge Reiter in den Hof sprengte, auf welchem kein Knecht zu sehen war.

Als er hielt und abstieg, trat Auguste eben aus dem Herrenhause. Die Wirthschaftsgebäude lagen diesem zur Seite, getrennt durch Hecken und Gartenräume.

Ruft Einen, der mein Pferd nimmt, sagte der junge Mann.

Geben Sie es her, Herr, erwiederte die Dirne, ich will's besorgen.

Nimm Dich in Acht, es ist jung und wild, sprach er ihr zu.

Werd's schon machen, sagte sie, dem Thiere die Zügel überstreifend. Nur dort hinein. Die Thür ist offen.

Sie deutete auf das Haus, er sah ihr nach; dann folgte er der Weisung, und Herr Karl Wiebeking kam ihm entgegen.

Ich denke, Herr Ludolf Reimer? rief er dem Gaste zu, indem er seine Hand ausstreckte.

Ja wohl, Herr Wiebeking, sagte der junge Mann. Sie haben mir einen freundlichen Brief geschrieben, mir mehr Dank gesagt als Recht ist; denn wenn Einer geholfen hat, so war es Klaus. Doch den rechten Schutz haben Sie von einer höheren Macht erhalten, die es gefügt hat, daß Sie Alle wohl und munter Ihr Abentheuer bestanden haben.

Davon mögen Sie sich selbst überzeugen, erwiederte der Gutsherr, der ihn in's Zimmer führte und den beiden Damen vorstellte. –

Was unser Aller Dank betrifft, fuhr er dann fort, so dürfen Sie nichts davon ablehnen, denn wenn wir nicht in so kurzer Zeit aus Lunden alle mögliche Hülfe erhielten, möchten wir heut schwerlich so heiter gestimmt sein.

Die beiden Damen bekräftigten dies, und Ludolf mußte sich ihr Lob gefallen lassen. Seine Höflichkeit und sein schickliches Wesen machten einen vortheilhaften Eindruck und halfen Fräulein Henrietten glücklich über die ersten Erröthen und Verlegenheiten fort, mit denen sie zu kämpfen hatte. – Wäre dieser junge Mann ein plumper einfacher Gesell gewesen, wie sie im Stillen zu denken geneigt war, so würde sie über die nächtliche Ausschiffungsscene sich schnell beruhigt haben, allein der Sohn des Bauers von Weßliburen war ein merkwürdig gebildetes Wesen, und obenein steckte er weder in einer Halbjacke, noch in Schmierstiefeln, sondern er trug sich wie ein Mann aus guter Gesellschaft. Sein Rock war vielleicht in Paris gemacht, seine Wäsche war fein, sein Gilet nach der Mode, und seine Hände, als er die Reithandschuh abzog, sahen nicht nach schwerer Arbeit aus.

Nach der ersten halben Stunde war eine Befreundung eingetreten, welche durch Ludolfs geleistete Dienste sowohl, wie durch sein offenes und zur Annäherung geneigtes Benehmen erleichtert wurde. – Der Kaffee wurde gebracht, Herr Wiebeking rauchte vortreffliche Cigarren und er besaß die Kunst zu fragen und die Verhältnisse seiner Mitmenschen zu erfahren im hohen Grade.

Bei Ludolf Reimer schien es nicht schwer zu sein, ihm die Zunge zu lösen, er erzählte was ihn selbst betraf, ohne den geringsten Anstoß. – Seine Mutter war gestorben, als er zwölf Jahre alt war. Sein Vater hatte ihn in die Gelehrtenschule nach Meldorf geschickt, und dort war er so weit gekommen, um studiren zu können; dagegen aber zeigte der alte Wolf eine starrsinnige Abneigung. Er hatte den einzigen Sohn, der ihm von dreien geblieben, in seine Wirthschaft zurückgenommen, hatte ihn in alle Geheimnisse des Ackerbaues in den Marschen und auf der Geest, in den Grashöfen und in den Kogen, bei Viehgräsung und Pferdezucht eingeweiht, hatte ihn für den Kornhandel, Rapshandel und Butterhantel auszubilden gesucht, war aber dabei auf so mancherlei widerstrebende Neigungen gestoßen, daß er schon nach drei Jahren Ludolf nach Paris schickte, wo er mit einem großen Händler seit längerer Zeit in Pferdelieferungen stand, die einträglichen Gewinn brachten. –

Ludolf hatte Frankreich bereist, er war in der Schweiz gewesen, hatte Wien und Berlin besucht, und sich in Hamburg öfter längere Zeit aufgehalten. – Alles, was er sagte, war verständig und zeigte von Unterrichtung. Er sprach mit Herrn Karl Wiebeking über Kornhandel und Handel überhaupt, daß dieser eine gewisse Achtung für ihn empfand; er sprach mit den Damen über Theater, Musik und Künstler, die er gesehen hatte, daß diese ebenfalls eine gewisse Achtung und Verwunderung fühlten.

Und jetzt, sagte Herr Wiebeking endlich, wollen Sie im Lande bleiben?

Was soll ich sonst thun? fragte Ludolf unbefangen. Mein Vater ist ein alter Mann, er will seinen Sohn nicht länger entbehren. Geschwister habe ich nicht, die Einsamkeit des Alters scheint daher meinen Vater zu plagen, und obwohl er so kräftig und gewaltig ist, wie ich ihn immer gekannt habe, meint er doch, es sei Zeit, einen Theil der Last auf meine jungen Schultern zu legen.

Und das scheinen ganz tüchtige, breite Schultern zu sein, lachte Wiebeking, indem er seine Hand auf Ludolf legte. Es fragt sich nur, ob Sie Lust zum Landleben haben?

Lust oder nicht, erwiederte Ludolf, für mich giebt es keine Wahl. Mein Vater kennt kein größeres Glück und keinen höheren Stolz, als ein freier Bauer in der Marsch zu sein und auf seinem Hofe zu sitzen. – Wir sind ein altes Geschlecht. Die Reimer von Weßliburen sind in der Landesgeschichte immer voran gewesen. Mein Vater würde, selbst wenn ich Fürst oder Prinz in Deutschland oder Dänemark werden könnte, es niemals zugeben, daß ich mein Erbgut in der Marsch verließe oder gar verkaufte.

Nun, mit den Prinzen und Fürsten geht das Geschäft jetzt nicht sonderlich, lachte Herr Karl Wiebeking, Ihr Vater ist ein kluger Mann. Ein Rothschild oder Baring Francis Baring, (1740-1810), britischer Bankier und Politiker. – Anm.d.Hrsg. oder ein anderer goldener Mann würde ihm für seinen Sohn besser behagen.

Und wenn ganz Hamburg und alle Goldmänner der Welt kämen, ihm ihre Schätze und Namen anböten, er würde es vorziehen, Wolf Reimer zu bleiben, sagte Ludolf, und würde mich für einen Narren erklären, wenn ich mit ihnen tauschen wollte.

Ich glaube es, rief der Gutsherr. Ich denke an den alten reichen Bauer aus der Marsch, der seinen Sohn, welcher reisen wollte, am Arm festhielt und zürnend sagte: Du Thor, wo willst Du hin? Hier ist die Marsch, die ganze übrige Welt ist Geest. Bleib, wo Du bist, wenn Du fünf gesunde Sinne hast.

Ein anhaltendes Gelächter belohnte die Erzählung dieser Anekdote.

Ich finde diesen Stolz aber dennoch schön, sagte Fräulein Henriette zuletzt. Um Gold und Gut nichts aufgeben, seinen Namen erhalten, von seinem Erbe nicht lassen, mit Keinem auf Erden tauschen wollen, ist gewiß sehr selten in unserer Zeit.

Es ist sehr romantisch, rief Herr Wiebeking mit einem spottenden Blick auf seine Cousine.

Nenne es wie Du willst, erwiederte sie. Ihr Vater, Herr Reimer, muß ein ungewöhnlicher Mann sein, da er so zu denken vermag.

Mein Vater, Fräulein Wiebeking, sagte Ludolf, dem das Gelächter mißbehagte, das die Uebrigen anstimmten, ist ein einfacher Landmann, aber in dem, was er für Recht, hält, von unerschütterlichem Sinn. Ich danke Ihnen in seinem Namen für die gute Meinung, welche Sie von ihm haben.

Die Antwort erregte eine augenblickliche Unterbrechung des Gespräche, dann sagte Wiebeking:

Da Sie also unser lieber Nachbar und Ihres Vaters Beistand, wohl oder übel, werden, so hoffe ich, daß immerdar gute Freundschaft zwischen uns walten möge. Kommen Sie zu uns, so oft es Ihnen behagt, je öfter je lieber. Sie werden immer gern gesehen sein, Herr Reimer, und wo ich rathen oder helfen kann, soll's mir Freude machen. – He, wie? fuhr er lachend fort, indem er Ludolf die Hand schüttelte, was sagen Sie, habe ich nicht Recht? Gute Freundschaft rund umher und am eigenen Heerde volle Töpfe und lustige Gesichter, damit das alte Haus der Reimer aus seiner Einsamkeit aufwache, und die langen Winterabende abgekürzt werden.

Wodurch? fragte Ludolf lächelnd.

Wodurch? sagte der Gutsherr. Durch gute Gesellschaft, Herr Reimer, durch eine praktische Bethätigung des alten Bibelspruches: Und es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei.

Ich glaube allerdings, erwiederte der junge Mann, indem er die Augen aufhob und zufällig vielleicht Fräulein Henriette ansah, die sogleich auf ihre Arbeit niederblickte, daß mein Vater auch solche Wünsche hegt.

Nun, und Sie?

O! ich muß sagen, daß er Recht hat. Jeder Mensch, wenigstens die meisten, bringen das Gefühl für häusliches Glück und Familienglück als ein Erbtheil Gottes mit ins Leben, ein Landmann aber muß in seiner Einsamkeit eine getreue Gefährtin haben, die ihm Alles ersetzt, was er sonst wohl missen muß.

Sie sprechen so idyllisch von Familienglück, rief Herr Wiebeking, daß man annehmen kann, es bezieht sich schon auf einen gewissen Gegenstand.

Das ist nun freilich nicht der Fall, sagte Ludolf ehrlich.

Aber Herr Reimer ist so lange in Paris und in anderen großen Städten gewesen, fiel Frau Wiebeking ein – wer weiß, wo er sein Herz in der Fremde gelassen hat?

Ich habe es heil und ganz wieder mitgebracht, antwortete Ludolf. Was sollte ich mit einem Modepüppchen auch wohl hier in der Marsch anfangen?

In diesem scherzenden Tone wurde das Gespräch fortgesetzt, bis der Gutsherr auf Wirthschaftsverhältnisse, Ernte und Viehstand zurückkam, und endlich seinen Gast aufforderte, ihn durch Melkerei, Böden und Kammern zu begleiten.

Die beiden Damen blieben zurück und ihre Unterhaltung bewegte sich um den jungen Mann, der ihren Beifall gefunden hatte. Nach einigen Minuten aber rollte ein Wagen in den Hof, er brachte den Landvoigt von Heide, der mit Vergnügen fand, daß Angst, Kälte und Durchnässung glücklich überwunden waren.

Als der Landvoigt hörte, daß Ludolf Reimer hier sei, drückte er sein Wohlgefallen aus, ihn zu sehen.

Es scheint ein wackerer und gefälliger junger Mensch zu sein, sagte er, denn nicht allein, daß er uns geholfen hat, auch für unseren Schlupp hat er gesorgt. Seines Vaters Arbeiter haben auf seinen Befehl heute in der Frühe das Boot von der Düne herunter in die Watten gebracht, und mit der ersten Fluth ist es glücklich nach Wöhrden gekommen.

Es ist ein sehr höflicher junger Mann, sagte Frau Wiebeking.

Ein gebildeter Mann, fügte Fräulein Henriette hinzu.

Von vortheilhaftem Aeußeren –

Er hat Jahre lang in der großen Welt gelebt.

Sehr angenehm.

Sehr bescheiden –

Und dennoch, sehr männlich und bestimmt.

Ja, wirklich, sagte Fräulein Henriette lächelnd, er sieht nicht aus wie Einer, der zu bücken und zu schmeicheln versteht.

Der Landvoigt nickte dazu und dachte seinen Theil. Es war ein Herr zwischen dreißig und vierzig, etwas mager und engbrüstig; ein Bureaukratengesicht, das sehr scharf und durchfahrend werden konnte, für gewöhnlich aber lächelte und im gesellschaftlichen Verkehr sehr liebenswürdig aussah.

Landvoigt von Hegemann war ein feiner und gewandter Herr, dessen einflußreiche Familie ihn rasch in die Höhe gebracht hatte. Er hatte eine dänische Frau aus Kopenhagen gehabt, die kinderlos gestorben war, jetzt wußte man viel von seinen häufigen Besuchen bei dem Gutsbesitzer Wiebeking zu erzählen. Im vergangenen Sommer war die nähere Befreundung entstanden, aber damals war die dänische Frau eben gestorben. Im Winter hatte der Landvoigt die Familie in Hamburg besucht und jetzt kam er fast täglich auf den Hof hinaus, besonders seit Fräulein Henriette wieder dort war.

Die Absichten des hohen Beamten, der in Norder-Dithmarschen regierte, waren nicht zu verkennen. Er bemühte sich um die Tochter des reichen Hamburger Kornhändlers unter Aufbietung aller seiner Liebenswürdigkeit. – Bald gab er Gesellschaften in seinem stattlichen Hause in Heide, bald fuhr er die Damen in seinem neuen Holsteiner Halbwagen nach Rendsburg oder Meldorf, oder ans Meer, oder zu Freunden; bald veranstaltete er Wasserluftfahrten, deren letzte eben einen so gefährlichen Ausgang genommen hatte. Der heitere, schmeichelnde und diensteifrige Landvoigt ließ keine Gelegenheit vorbeigehen, um der Dame seines Herzens zu beweisen, was in seinem Inneren vorgehe, und ihre Sprödigkeit zu erweichen; allein Fräulein Henriette schien zu keinem rechten Entschlusse kommen zu können. –

Der Landvoigt im Dithmarschen war allerdings eine Art Regierungspräsident, ein Mann von Rang, der weiter kommen und eine höhere Stellung einnehmen konnte; aber Herr von Hegemann war nicht mehr jung, ein Geschäftsmann, und trotz aller seiner Schmeicheleien eigentlich doch ein weit mehr praktischer als phantastischer Verehrer, der sich wahrscheinlich inniger angezogen fühlte von der halben Million Mark Banko, die Fräulein Henriette baar auf den Hochzeitstisch legen konnte, als von allen ihren übrigen Reizen.

Fräulein Henriette dagegen wollte keinen Geschäftsmann und keinen armen Beamten, wenn er sie nicht etwa durch seinen hohen Rang entschädigen könnte. – Sie hatte ihren Vetter Karl Wiebeking vor drei Jahren entschieden abgewiesen und dafür dessen Heirath mit ihrer Freundin Marie vermittelt. Sie wollte keinen Mann, der Tag für Tag, Jahr aus Jahr ein in Handelsbüchern oder Acten umherwühlte. Sie war wählerisch, wie reiche Erbinnen sind, und eben deswegen war sie beinahe drei und zwanzig Jahre alt geworden, ohne den Rechten finden zu können. –

Ihr Vetter neckte sie mit ihrer Romantik, und wenigstens darin hatte er Recht, daß seine Cousine vor allen ihren hochmüthigen Forderungen selbst nicht wisse, was sie wolle. – Ihr Erwählter sollte ein Ideal sein. Hochgeboren, stolz, schön, jung, geistvoll, ritterlich, und er sollte sie anbeten mit ritterlicher Hingebung. – Sie war allerdings nicht von hinreißender Schönheit, vielmehr, wie Herr Karl Wiebeking in seiner Derbheit oft sagte, »gute Hauskost und nichts weiter«; aber Fräulein Henriette war empfindsam, sie hatte viel gelesen, sie wußte, daß sie reich war, und sie wußte, daß ihr Vater sich jeden Schwiegersohn gefallen lassen würde, den sie ihm brachte.

Als der Landvoigt von Hegemann in Winter in Hamburg war, hatte der Papa mit ihr darüber gesprochen und ihre Meinung erforscht. –

Am liebsten, hatte er gesagt, wäre mir freilich ein firmer Kaufmann, der ins Geschäft treten könnte; wenn's aber nichts damit ist, so mag's auch ein Landvoigt sein. Es läßt sich wohl so drehen, daß er in Altona Oberpräsident wird, und dann ist es so gut, als hätte ich ihn im Comptoir. – Mach' also was du willst, Mädchen, aber heirathe. Es ist mein liebster Wunsch, dich mit deinem Manne an meinem Tische zu sehen und meine Aalsuppe mit euch zu essen.

Ich werde heirathen, Vater – nur jetzt noch nicht, erwiederte sie schmeichelnd und ihn küssend.

Bah, Henriette. Ein Mädchen von drei und zwanzig Jahren ist wie ein Wechsel, bei dem die drei Respecttage ohne Zahlung vorüber gegangen sind.

Laß mich nur machen, Väterchen, laß mich nur machen, rief sie lachend. Ich bringe dir den schönsten Schwiegersohn, der dir gefallen wird.

Den Landvoigt? fragte der Kaufmann.

Wir werden sehen, ich werde ihn näher kennen lernen.

Er ist von Adel, sagte Wiebeking, daran ist mir freilich gar nichts gelegen – eine gute Firma hat einen ganz anderen Klang, als solch unnützer Titel. Mein Großvater war Schiffsmakler, mein Urgroßvater Gildenmeister, mein Vater Senator, das ist mehr werth, als Graf oder Baron. Johann David Wiebeking ist ein Name, der in Neuyork und London respectirt wird; ob ein Prinz oder General auf seinen Namen einen Groschen dort bekommt, ist sehr zu bezweifeln. Aber Mädchen sind Mädchen, bei ihnen gilt ein Mann mit einem Titel Alles. Somit ist es was werth, daß der Landvoigt von Adel ist, und somit wirst du ihn nehmen, um eine sogenannte gnädige Frau zu werden.

Papa, erwiederte Fräulein Henriette stolz und bestimmt, wenn ich heirathen soll, will ich allerdings einen Mann von Namen und Rang. Einen Mann, der die Ansprüche befriedigt, welche ich an der Welt zu machen habe. Sei ohne Sorgen um mich. Ich werde meine Wahl so treffen, daß meine Wünsche erfüllt werden, oder ich werde niemals heirathen. Entweder einen Mann, der meiner würdig ist, oder gar keinen.

Der Papa wagte nicht mehr ernsthaft in seine Tochter zu dringen, und der Landvoigt, welcher seiner Sache nicht sicher war und sich keiner Vortheile rühmen konnte, reiste ab, ohne sich zu erklären. Inzwischen blieb er mit seinem Freunde Karl Wiebeking in fortgesetztem Verkehr, und da die Freundschaft des Landvoigts für den Gutsherrn und Getreidespeculanten mancherlei Werth hatte, so war dieser nicht abgeneigt, ihm beizustehen, so viel er vermochte. –

Marie mußte Henriette einladen, ein paar Sommermonate wiederum mit ihr zu verleben. Die junge Frau sollte nun als Vertraute des Landvoigts zu dessen Besten ihre weiblichen Ueberredungskünste anwenden, und Alles ließ sich gut an. Fräulein Henriette schien wirklich mehr erweicht zu sein, als früher. Herr von Hegemann sah die glückliche Stunde nahen und ging Tag für Tag mit sich zu Rathe, ob es Zeit sei, den Pfeil abzuschießen, und eben jetzt – heut – nach dem das Abentheuer von gestern alle Empfindungen höher aufgeregt hatte, war er zu dem Entschlusse gekommen, daß er nicht länger zögern dürfte.

Das Lob der Damen auf den jungen Reimer rief endlich ein spöttisches Lächeln des Landvoigts hervor.

Ich kenne den jungen Menschen nicht, sagte er, habe ihn früher kaum einmal gesehen, aber ich beneide ihn um den Antheil, den er erweckt. Mein eigener Dank soll nicht dahinter zurückbleiben, und wenn es so ist, wie Sie sagen, wenn er einige Bildung mit nach Haus gebracht hat, so wird es mir um so lieber sein, ihn kennen zu lernen. Sein Vater ist ein Muster unserer hartnäckigen alten Bauern, die von ihrem Recht und ihren alten Sitten kein Haar ablassen. Dabei ist er einer der reichsten Leute im Lande, aber sein Geld ändert nichts an ihm. Er lebt, ißt und arbeitet, wie es herkömmlich ist unter Seinesgleichen und seit uralten Zeiten üblich war. Da wohnt er. Sie können das Haus hinter Weßliburen sehen, denn der Hof liegt auf einer hohen Werft.

Er öffnete die Thür, welche in den Garten führte, und trat mit dem Fräulein hinaus.

Sind die Bauern im Dithmarschen alle von solchem Schlage? fragte sie.

Im Gegentheil, erwiederte der Landvoigt. Sie sind mehr wie zu sehr geneigt, die großen Herren zu spielen. Sie bauen sich neue, prächtige Häuser, schicken ihre Söhne auf Universitäten, ihre Töchter in Pensionsanstalten, schaffen Tapeten, Silbergeschirr und Flügel an und treiben zuweilen den lächerlichsten Luxus, ohne doch den Bauer ablegen zu können.

Herr von Hegemann lachte geringschätzig und fuhr dann fort:

Es ist nicht allzu angenehm, unter solchen reich gewordenen und selbstsüchtigen Menschen zu leben, die von höheren Genüssen und von der Feinheit des Lebens nichts wissen. Kein Adel, kein Militair, nichts als Bohnen und Raps, Butter und gemästete Rinder. Ich ehre und achte Handel und Ackerbau, fuhr er fort, als er Fräulein Henriette ernsthaft vor sich hin blicken sah, namentlich in diesem Lande sind beide die Grundlagen des Lebens und Wohlstandes; allein man muß das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, die edlen Culturgenüsse, die Reize des geistigen Lebens sich dafür erkaufen, welche doch allein für die Beschwerden und Plagen des materiellen Schaffens und Strebens Ersatz gewähren können.

Der Landvoigt empfing einen freundlichen, beistimmenden Blick, denn was er sagte, war ganz im Sinne der jungen Dame.

Nichts kann wahrer sein, erwiederte sie. Und hier weiß man noch weniger von Poesie, als unter den Pfeffer- und Kaffeesäcken in Hamburg.

Darum, fuhr Herr von Hegemann fort, bin ich erfreut, bald diese blühende Wüste verlassen zu können.

Sie wollen fort? fragte das Fräulein.

Es ist noch ein Geheimniß, erwiederte er vertraulich. Ich habe meine Versetzung lange betrieben und jetzt das Versprechen erhalten, in kurzer Zeit meine Bitte gewährt zu sehen.

So werden Sie uns verlassen? Das wird meinem Bruder sehr leid thun.

Er wird mir hoffentlich Glück wünschen, fiel der Landvoigt ein, denn ich werde Ihnen dadurch um so näher kommen.

Fräulein Henriette erröthete.

Noch näher? sagte sie lächelnd. Wohin denn?

Rathen Sie?

Damit habe ich kein Glück.

Ich werde Präsident in Altona, flüsterte er. Dann bin ich dicht bei dem schönen Hamburg, und dicht bei den schönsten Augen in der Welt, von denen all mein Glück abhängt.

Er führte Henriette's Hand an seine Lippen, die entscheidende Minute war da. Der ziemlich wohl vorbereitete Mann richtete sich zur Anrede auf; seine Blicke glänzten sanft und bittend, als das Fräulein plötzlich ihre Hand ihm entzog und nach der Thür zurückblickend, ausrief:

Mein Vetter Karl und Herr Reimer, unser Retter aus der Noth, da sind sie beide!


3.

Ludolf Reimer blieb bis zum Abend bei der Familie Wiebeking, und als er Abschied nahm, mußte er versprechen, recht bald wieder zu kommen.

Es muß Zug um Zug gehen, sagte er, wenigstens müssen Sie nächstens einmal kommen, um den alten Hof der Reimer anzusehen.

Wird Ihr Vater seine Ruhe gern stören lassen von solchen ungereimten Gästen, wie wir sind? fragte Fräulein Henriette, da Ludolf sich auch an sie zu wenden schien.

Sie haben von meinem Vater eine zu gute Meinung, erwiederte der junge Mann, daß Sie gewiß auch glauben, er besitze die uralte Tugend unseres Volkes, ehrliche und herzliche Gastfreundschaft. – Ich habe Ihre prächtig eingerichtete und trefflich verwaltete Wirthschaft bewundert, fuhr er fort, indem er sich an den Gutsherrn wandte, und will zu Haus eine Schilderung davon machen. Manches, was Sie hier haben, finden Sie nicht bei uns, aber Anderes zu sehen, wird Ihnen doch auch Vergnügen machen. Kommen Sie nur recht bald, und wenn es sein kann, kommen Sie morgen.

Mit einer ungewissen Zusage ritt er davon und nahm die verschiedenartigsten Eindrücke mit sich. –

Die tiefen Marschwege waren von dem Gewitterregen noch nicht abgetrocknet, er mußte vorsichtig reiten, und erreichte den Hof eben, als die Sonne im Versinken war. Seine Blicke hefteten sich nachdenkend auf das niedre lange Gebäude von Backsteinen, das den Hof der Reimer von Weßliburen bildete. – Da lag es auf einer hügelartigen Erhebung, den sächsischen Pferdekopf, als altes Stammzeichen, am Giebel. Vor dem Hause standen alte Linden in einer langen Reihe, die Schatten und Kühlung gaben, und jetzt von der Sonne rothstrahlend beleuchtet wurden. Wo der Hügel in die Marsch lief, wurde er von einem tiefen, schilfigen Wassergraben eingeschlossen, und wenn man sich da, wo jetzt Gartenanlagen und Blumenbeete waren, Mauern oder Wälle dächte, so würde das Haus mit seinen dahinter liegenden Wirthschaftsgebäuden ein Kastell gewesen sein. – Unregelmäßige, kleine Fenster, bald höher, bald tiefer gelegen, deuteten die verschiedenen Kammern und Gemächer an; in der Mitte aber gehörten die drei größten Fenster dem Hauptwohngemach des Hauses, und hier erblickte Ludolf seinen Vater, der auf das Fensterkreuz gelehnt, ihm zunickte, als er draußen am Graben anhielt.

Der greise große Mann in seiner Leinenjacke und hohen, schweren Stiefeln war eine ungewöhnliche Gestalt, bei der man wohl an die alte Zeit denken konnte, wo Dithmarschens kühne Bauern sich selbst regierten. Sein langes weißes Haar war von dem Scheitel und den Seiten nach hinten gekämmt und hing in reicher Fülle in seinen Nacken. – Die hohe, faltige Stirn war vollgewölbt, die starken Gesichtszüge streng und fest ausgeprägt, die Augen klar, klug und groß. Wenn ein Alterthumsforscher sich einen der alten Acht und Vierziger vorstellen wollte, die einst diesem Lande Gesetze gaben, seine Oberrichter und Heerführer waren, so hätte er kein besseres Modell dafür wählen können, als diesen alten Mann.

Nach einigen Augenblicken wandte er sich vom Fenster fort, und sah ins Zimmer hinein, das tief und niedrig war. – Ein paar ungeheure alte Schränke mit Schnitzwerk, breiten Metallplatten und Zierrathen standen an den Wänden, ein gewaltiger Tisch von Nußbaum in der Mitte, hohe Holzstühle, auf welchen Kissen von Seegras lagen, vermehrten die einfachen Geräthe. – Den Winkel zur Rechten füllte ein mächtiger schwarzer Ofen, um den eine Bank lief, und auf dieser saß Klaus, der Schlickläufer, ein Messer und ein tüchtiges Stück Brot in der Hand, das er Schnitt für Schnitt eifrig verkleinerte. – Sein Sack lag über seinen Knieen, sein Hut steckte auf seiner Hacke, er selbst sah vergnügt und zufrieden aus und lachte dem alten Wolf zu, als dieser bei ihm vorüber nach der Thür ging.

Macht ihm auf, Herr, rief er, er wird euch die Sache besser sagen, als ich es kann. Aber ein wackerer Junge ist Euer Sohn, kein besserer im Lande. Was er angreift, das muß vorwärts, das läßt er nicht, und wenn er nicht mit mir gewesen wäre, möcht's schlimmer geworden sein, als damals, Herr, wo wir den Hühnerkorb ans Land zogen. Ich hätt's allein nicht schaffen können, und die reichen Leute aus Hamburg, sammt dem Landvoigt, wären ersoffen wie Mäuse. – Seid also zufrieden, Wolf Reimer, und denkt, Gott im Himmel hat es so gewollt, daß Ludolf mit hinaus in die Watten laufen mußte.

Gott im Himmel, erwiederte der Greis, der die Thüre wieder zugemacht hatte, hat mehr zu thun, als sich um solche Tagedieberei zu bekümmern.

Eh, Herr, Herr! rief Klaus schalkhaft, die Hand mit dem Messer aufhebend, Schlicklaufen ist ein mühsam Brot. Gott im Himmel hat wunderbar gezeigt, wie er dabei war, und wirds Euch noch weiter beweisen.

Was meinst? sagte der Bauer stillstehend.

Je nun, wie wär's denn, fuhr Klaus lachend fort, wenn der Ludolf dabei zu einer Frau käme?

Das strenge Gesicht des alten Mannes erhielt einen noch schärferen Ausdruck. Er sah den Bettler schweigend an.

Es ist mein Ernst, sprach dieser. Er hat die Dirne aus dem Wasser getragen, und als wir zusammen nach Lunden gingen, sagte er:

Klaus, ich bin zehnmal glücklicher als Du. So ein süßes Kind aus dem Wasser zu holen und nach Haus zu tragen, ist eine andere Sache. Ich fühl's noch, wo ihr Herz an mir geschlagen hat.

Habt Ihr sie denn gesehen, Herr? fragt' ich. Es war ja Nacht.

Ich habe sie gesehen, Klaus. Sie ist schön und jung und deswegen will ich sie besuchen. – So ist er denn heut hinübergeritten, und noch sind keine zwei Stunden vergangen, wo ich sie beide gesehen habe, lauter Lust und Lachen, im Garten bei Herrn Wiebeking. Es ist eine mächtig reiche Dirne, Herr. In Hamburg gehört ihr Vater zu den Ersten, und heirathen möchte sie, der Landvoigt selbst ist hinter ihr her.

So, sagte Wolf Reimer. Und wer hat Dir das Alles erzählt?

Ich hab's von Einer, die es jeden Tag mit ansieht, antwortete Klaus. – Die Ihr einst von Euch geworfen habt, mein Pflegekind, und es ist ein Mädchen, die ein paar richtige Augen im Kopfe hat.

Ist es die, sprach der Bauer, so lass' sie hinsehen, wohin die Magd sehen soll, ihrem Herrn und seinem Haus keinen bösen Leumund machen. Mein Sohn hat nichts zu schaffen mit den Leuten da, die ins Land kommen, um uns auszupressen. Merke es dir, Klaus, und sage es, wo du willst.

Ja, Herr, ja! rief Klaus, sein Messer zuklappend und vor sich hin lachend. Seht zu, wie Ihr Euch helft, da ist Euer Sohn.

Der alte Mann drehte sich um und gab Ludolf die Hand.

Bist lange ausgewesen, sagte er.

Auf Wiebeking's Gut, erwiederte Ludolf.

Hast ihn heut Nacht aus dem Wasser gezogen, gab der Vater zurück.

Ja, Vater, sagte der Sohn. Hast es gehört von Klaus oder anderswo? Als ich heut Nacht zu Haus kam, schliefst Du, und als ich aufstand, warst Du fort.

In die Koge, antwortete Wolf. Sind alle voll Wasser gelaufen von der hohen Fluth; ist ein großer Schaden für uns und viele gute Leute.

Es gab ein langes Gespräch darüber, in welches auch Klaus sich einmischte; dann erzählte Ludolf, während sein Vater am Fenster saß, die mächtigen Füße über einander kreuzte und im Zwielicht still auf seinen Sohn blickte.

Ludolf sprach von der Freundlichkeit, die Wiebeking ihm bewiesen, von der Familie, von dem Gute und der Wirthschaft, und plötzlich wandte er sich zu Klaus und sagte lebhaft:

Deine Pflegetochter habe ich auch gesehen. Eine rothe, schmucke Dirne, die das Hauswesen in seltener guter Ordnung hält und von ihrem Herrn hoch gehalten wird.

Ihr könnt lange umhersuchen, und werdet keine finden, die es ihr gleichthut, rief Klaus. Ehe die Hähne krähen, ist sie auf, und die Letzte, die in's Bett steigt.

Für solche Leute und solche Wirthschaft mag sie passen, sagte der alte Mann. Wo der Herr nichts versteht, wird der Diener bald gelobt.

Nein, Vater, fiel Ludolf ein, es ist eine große Wirthschaft und Herr, wie Diener, sind besser, als Du meinst. –

Er begann wieder zu erzählen, lobte Vieles und sprach dann von dem neuen Hause, das Wiebeking gebaut, und von der prächtigen Einrichtung, die er ihm gegeben hatte.

Wolf hörte eine Zeit lang zu, dann unterbrach er seinen Sohn:

Es ist Sitte geworden, sagte er, neue Häuser zu bauen und allerlei Plunder darein zu thun, wie die Stadtleute ihn haben. Einer macht es dem Anderen nach; sie blasen sich auf wie die Frösche, wenn sie auf ihren Sophas sitzen und in die großen Spiegel sehen. Schande genug für ehrbare Leute; seit aber der Wiebeking aus Hamburg hergelaufen ist, sind ihnen vollends die Köpfe verdreht.

Ei Vater, rief Ludolf, Du bist übel zu sprechen auf den Mann, den Viele für einen tüchtigen und wackeren halten. Daß er gern in einem hohen, neuen Hause wohnt, ist ihm nicht zu verargen. Ich möchte wünschen, wir könnten es ihm nachmachen.

Möchtest Du? sagte Wolf mit seiner tiefen, zürnenden Stimme. Dann möchte ich den Tag nicht erleben, wo Du Macht dazu hättest; möchte Dich niemals als Herr hier schalten und walten schon.

Es entstand eine lange Pause. Ludolf setzte sich still an den Tisch und blickte in die nebelnde Marsch hinaus.

Nach einer Weile erst begann der alte Mann zu fragen:

Kennst die Geschichte der Dithmarschen, Ludolf?

Wie sollte ich sie nicht kennen, Vater? war die Antwort.

Gut, fuhr Wolf fort, aber kennst nicht die Geschichte der Reimer von Weßliburen und ihres Hauses hier auf der Warft, will ich meinen?

Ludolf blickte forschend zu ihm hin. –

Sieh' hier, sagte Wolf, in diesem Hause hat unser Geschlecht gelebt, so lange Menschen ihre Nachrichten auf Nachkommen vererben. Die Reimer von Weßliburen sind immer voran gewesen, wo Dithmarschen in Noth oder in Rath war. – Hier ist der Friede geschlossen worden, als Henrik Reimer Landesältester war, und Herzog Gerhard an der Norder-Hamme erschlagen lag mit mehr als dreihundert Fürsten und Herren. – Hier wohnte Rolf Reimer, Ludolf, der Erste, von dem die Bücher sagen, daß er in der Schlacht von Bornhöved Am 22. Juli 1227, zwischen dem Königreich Dänemark und einer Koalition aus norddeutschen Landesherren und Städten; sie bedeutete das Ende der dänischen Hegemonialstellung im Norden und ein Scheitern der großdänischen Kolonialpläne. – Anm.d.Hrsg. die Dithmarschen frei machte von der Dänenherrschaft. – In diesem alten Hause wurde auch der Kriegsrath gehalten in der Nacht vor der Schlacht bei Hemmingstedt Am 17. Februar 1500; die Dithmarscher Bauern schlugen die zahlenmäßig weit überlegenen Truppen des dänischen Königs und bewahrten die faktische Unabhängigkeit der Bauernrepublik Dithmarschen. – Anm.d.Hrsg., die Dithmarschen von seinen Feinden rettete. Von hier zog die fromme Jungfrau von Hohenwörden Die Jungfrau Telse von Hochwöhrden war eine sagenumwogene Gestalt in der Schlacht bei Hemmingstedt. Belegbare Daten zu ihrem Leben sind jedoch nicht bekannt. – Anm.d.Hrsg. aus mit Wolf Isebrand und Hans Reimer, in die Schanze auf dem Dusendüvelswarf, wo die schwarze Garde ihr Ende fand. Hans Reimer, Dein Ahne, Ludolf, schlug den wilden Junker Schlenz vom Rosse, daß die Streitaxt im Panzer sitzen blieb und der Riese, der sich vermessen hatte, er allein wolle die frechen Bauern an die Kette legen, mit seinem Rosse zu Boden stürzte. –

Hier in dieser Stube hat der Ritter gelegen, so lang er war, kalt und steif, und neben ihm lagen die beiden Grafen von Oldenburg sammt Hans Alefeldt, dem Marschall, mit der großen Dannebrogfahne, bis die Holsten ihre Leichen um schweres Geld kauften und in Rendsburg begruben.

Die weißen Haare des Greises glänzten durch das einbrechende Dunkel; Klaus am Ofen glaubte seine Augen funkeln zu sehen, wie Löwenaugen. Seine Stimme klang, als sei er selbst der Sieger gewesen, und seine Hand deutete auf die Diele nieder, als läge dort noch der fürchterliche General der schwarzen Garde. – Die Schauder der Vergangenheit wachten nun auch bei solchen Erinnerungen in dem Herzen des jungen Mannes auf. Es kam ihm vor, als säßen alle die Landesältesten, die Acht und Vierziger und Oberrichter, um den großen Tisch, blickten nach ihm, ihrem letzten Sprößling, und zeigten ihm ihre ernsten, kühnen und bärtigen Gesichter.

Das also ist ein Haus, fuhr Wolf endlich fort, an welches Keiner, der Reimer heißt, seine Hand anlegen soll, denn seine Ehre sitzt in den alten Steinen. – Mögen die auch schwarz aussehen, mögen die Fenster klein sein, nach oben oder unten hängen, die Decken niedrig und die Thüren zum Bücken, es ist doch ein edler Haus, als was der beste Meister neu bauen könnte. Die Reimer von Weßliburen brauchen kein anderes, und wenn Einer wäre, der es anrühren möchte, der müßte sein Blut verwandelt haben, und müßte von Allem, was ihm ziemt, weniger wissen, als Klaus da, der nicht weiß, wer sein Vater war, und den's auch nicht kümmert, wo sein Ende kommen wird.

Der Bettler stand von der Ofenbank auf, und an der Stimme war's zu hören, daß er lachte. –

Hört, Wolf Reimer, sagte er, Ihr seid ein reicher Mann, und Euer Geschlecht ist alt, aber meines ist wenigstens eben so alt, wie sollte ich sonst hier lebendig stehen. Mag mein Vater gewesen sein wer er will, Gott habe ihn selig! Was habt Ihr aber davon, daß Eure Vorfahren hier in dem alten Steinkasten wohnten, den Ihr wie einen Heiligen anbetet? Die Leute sind klüger, wie Ihr, die ihr Geld für gute Dinge zu nützen wissen. Der Wiebeking da drüben ist ein Mann, der versteht's. Ist klug im Handel, hat aber auch eine offene Hand. Geht hin, und seht Euch seine Sache an; es ist manches Neue besser wie's Alte, und mancher Junge gescheuter, wie ein grauer Kopf, der nur ans Schaffen denkt und geizt und zusammenhält, anderen Leuten Hochmuth vorwirft, und den Balken nicht sieht, der ihm im Auge sitzt.

Geh Deiner Wege, rief Wolf, will Dich nicht länger hier haben.

Ich mag auch nicht länger bleiben, sagte Klaus. Möchte aber wohl fragen, ob's zu den Tugenden der Reimer von Weßliburen gehört, einen armen Mann bei Nacht aus dem Hause zu jagen? – Will's versuchen bei dem Wiebeking. Gute Nacht, Herr, und macht's besser mit Anderen, wie mit mir.

Narr! rief Wolf Reimer hinter ihm her, bleib oder geh, bist nicht berufen zu meinem Rath.

Dann schritt er auf und nieder, ließ Licht bringen und setzte sich an den Tisch, der gleich darauf von einer Magd gedeckt wurde. – Nach einer Weile brachte die Haushälterin eine große Schüssel Suppe, sammt Butter und Käse herein, ein gewaltiges Brot wurde von dem alten Mann in Stücke geschnitten und diese neben jeden Teller gelegt. Dann kamen ein halbes Dutzend Knechte und mehrere Mägde. Der erste Knecht setzte sich neben den Herrn, an der anderen Seite saß dessen Sohn. Die Hände wurden gefaltet und die Köpfe gesenkt, darauf nahm jeder Löffel und Messer und nun ging es an die Mahlzeit.

Wolf sprach mit seinem Großknecht über den Schaden auf den Feldern und über die Tagesarbeit. Er hatte eine bedeutende Zahl Tagelöhner zur Hülfe genommen; die Haushälterin, eine alte Frau, gab ebenfalls Rechenschaft, von Allem aber schien der reiche Hofbesitzer nicht besonders befriedigt zu sein.

Er legte bald sein Messer fort, sah auf den Tisch und blieb endlich allein mit seinem Sohne sitzen, der schweigsam geworden war, wie er selbst, und endlich aufstand, um sich zu entfernen.

Ich habe Dir noch etwas zu sagen, Ludolf, habe es bedacht und sollst es auch bedenken, sagte Wolf Reimer. Sitz' nieder und hör' an.

Was ist es, Vater?

Bist jetzt sechsundzwanzig, fuhr Wolf fort, bist mein Jüngster und Einziger, der übrig geblieben ist, von vielen. – Als ich so alt war, wie Du, nahm ich den Hof von meinem Vater und heirathete. Mein Vater saß auf dem Altensitz und half redlich bis an sein Ende. Dazu bin ich auch bereit in meiner Weise. – Ich will Dir den Hof geben, sammt Allem, was dazu gehört, will Handel treiben, davon kann ich nicht lassen; will Dich unterstützen mit Rath und That, wenn Du meinen Rath annehmen willst.

Laß die Zeit noch vergehen, Vater, bis ich besser in Zug und Zeug bin, erwiederte Ludolf nach einem kurzen Schweigen.

Nein, sagte Wolf den Kopf schüttelnd, so soll's sein, weils das Beste ist. Sollst auf Deinen Füßen stehen, mitten in Deinen Erbe. Bist jung und bist ein harter Stein, ich auch, mit harten Steinen läßt sich nicht mahlen. – Sollst darum Dein eigener Herr werden. Bist verständig, Ludolf, wirst als Herr besser wissen, was Du thun mußt, denn als mein Gehülfe und von meinem Willen abhängig, der Dir häufig nicht gefallen möchte.

Ich bin Dir nie ungehorsam gewesen, sagte der Sohn.

Weiß es, erwiederte der alte Mann, aber die Zeit ist da, wo Du es sein könntest. Sollst darum frei sein von der Vaterhand, damit kein Unkraut zwischen uns wächst und uns trennt.

Gott verhüt' es, Vater!

Wolf Reimer nickte ihm bedächtig zu.

Sieh' her, Ludolf, sagte er dann, der Hof macht Sorgen, es ist ein großer Besitz. Früh wirst Du auf müssen, die Augen überall haben, immer voran auf dem Platz, und dennoch, wirst Du's nicht schaffen können, ohne Eines Hülfe neben Dir zu haben, die Du nicht missen kannst.

Was, Vater?

Eine Frau, Ludolf. Die fehlt hier. Habe es kennen gelernt jetzt manches Jahr, jeder Tag hat's mir zugerufen.

Ueber das Gesicht des jungen Mannes zog ein freudiger Schein. Seine Augen sahen vor sich hin, als schwebe ihnen etwas vor.

Hast Recht, Vater, sagte er lächelnd, ich habe heut schon zu Wiebeking gesagt, daß ein Landmann nicht ohne Frau sein kann.

Wolf Reimer's Stirn zog sich zusammen, als er den Namen Wiebeking hörte. –

Eine Frau, ja, sagte er, aber nicht etwa ein Püppchen aus Hamburg mit Handschuhen auf den Fingern und einer Golduhr am Gurt, wo das Schlüsselbund sitzen soll. – Hast Deinen Verstand von Gott bekommen, Ludolf, und bist ein Reimer; wirst keine Narrenstreiche machen. Wirst eine suchen, die für Dich paßt. Da sind Manche noch, bis nach Brunsbüttel hin, die zu den alten Geschlechtern gehören, deren Namen im Landesbuche vom Jahre 1447 verzeichnet stehen; auch Dirnen giebt es noch, die in alter Zucht und Sitte aufgewachsen sind, rasch und rüstig, wie Du sie brauchen kannst. – In solchen Familien ist alter Wohlstand; die Frau bringt dem Manne Geld ins Haus; Ludolf Reimer kann anklopfen, wo er will, es wird keine Nein sagen.

Das Geld thut es nicht, Vater, fiel Ludolf ein.

Das Geld thut es nicht, fuhr Wolf fort, ist aber doch eine Sache, die nicht fehlen darf. Mags aber darum sein. Wenn Eine Dir so scheint, daß Du sie nicht lassen kannst wenn's Eine ist von altem Stamm und Namen, und dabei, wie Deine Mutter war, vom rechten Korn geschnitten, so frag' ich nicht nach dem Gelde. Solch Weib ist ein Schatz, der hohen Zins giebt. – Nun bedenk's, Ludolf, und sieh um her, wo die Richtige wohnt. Am Tage, wo Du sie herbringst, soll der Hof Dein sein. Gute Nacht.

Der alte Mann nahm ein Licht und ging in seine Schlafkammer, der Sohn blieb noch lange nachdenkend sitzen.


4.

Am anderen Tage, Nachmittag, kam ein schöner Halbwagen den Dammweg herauf, der zu dem Hofe auf der hohen Warft führte, und schon von Weitem erkannte Ludolf die Familie Wiebeking. Herr Karl Wiebeking lenkte selbst die stattlichen Rosse, und hinter ihm saßen seine Frau und Fräulein Henriette. Die großen Strohhüte der Damen ließen lange bunte Bänder durch die Luft flattern, und als sie näher kamen, winkten sie freudig dem jungen Gutsherrn zu, der ihnen entgegen ging, und selbst das Thor an der Brücke öffnete.

Der Wagen fuhr die Warft hinauf, alle Leute waren im Felde beschäftigt. Ludolf wies den Kutscher an, sich selbst zu helfen, hob die Damen herunter und bat sie einzutreten. Seine Blicke hingen an Fräulein Henriette, die allerliebst aussah und doch so einfach gekleidet war, daß er heimlich dachte, selbst sein Vater müsse damit zufrieden sein. Weder Gold, noch theurer Putz war zu sehen. Ihr röthliches Mousselinkleid schloß fest an die schlanke Gestalt, der breite Strohhut fiel tief in den Nacken, und ihr Gesicht lachte schelmisch darunter vor.

Wenn wir ungelegen kommen, Herr Reimer, sagte Wiebeking, so haben Sie es meiner Base zu danken. Sie hat es so gewollt, daß wir heut schon unseren Besuch machen, und meine Frau hat redlich mit geholfen.

Wir werden uns nicht verlegen machen lassen, erwiederte das Fräulein. Erstlich ist es wahr, was er sagt, weil wir Beide begierig sind, Ihrem Vater zu erzählen, welchen Dank wir Ihnen schulden. Zweitens aber hat mein Vetter große Lust, einen Handel zu schließen. – Wirft er uns Neugier vor, so werfen wir Eigennutz auf ihn zurück. Er will Ihre Pferde sehen, die Sie ihm gepriesen haben; wir, Herr Reimer, wollen sehen, ob es wirklich hier so schön ist wie Sie uns versicherten. –

Sie sind willkommen, sagte Ludolf. Treten Sie ein in unser altes, stilles Haus, das solche Gäste lange nicht gehabt hat. Mein Vater ist bei den Arbeitern, er wird bald zurückkehren.

So führte er die Damen in das geräumige Wohnzimmer und bot ihnen die Bequemlichkeiten, welche er gewähren konnte. –

Es fehlt hier Vieles, was Sie vermissen werden, sagte er lächelnd, die weichen Polster und die blanken Geräthe; das Beste, was ich geben kann, ist der Schatten unserer Linden und die weite Aussicht in die Marsch, welche freilich auch eine eintönige ist.

Trotz dieser Entschuldigungen fand er reichliche Anerkennung. Die alten Schränke mit dem Schnitzwerk wurden ganz besonders von Wiebeking bewundert; der Großvaterstuhl mit alterschwarzem borstigen Leder und geschnörkelten Füßen gefiel Fräulein Henrietten, da er ein Erbstück war, von welchem Ludolf meinte, daß er vielleicht zur Zeit schon dagewesen sei, wo seine Vorfahren, die Landrichter und Acht und Vierziger, ihr Mittagsschläfchen darin gehalten hätten. – Er erzählte, was er gestern von seinem Vater gehört, und die Damen begeisterten sich für die halbdunkeln, steingepflasterten Kammern und Räume, durch welche er sie führen mußte.

Haben Sie keine Bilder von Ihren Vorfahren übrig behalten? fragte Fräulein Henriette.

Nein, erwiederte Ludolf lachend, ich glaube auch nicht, daß ein Maler jemals Arbeit bei ihnen gefunden hätte. Es waren einfache Männer, die auf dem Markt in Heide jeden Sonnabend saßen und vor allem Volk Recht sprachen.

Wenn ich hier wohnte, sagte das Fräulein, würde ich von ihren Gestalten umgeben sein und wachend davon träumen. Ich denke mir diese Volksrichter und Volkshelden alt und ehrwürdig, mit langem Haar und strengem Gesicht. Bald ritterlich im Panzer von Stahl, die Streitaxt in der Hand, bald friedlich Grabscheit und Pflug führend, wie die großen Römer, von denen die Geschichte erzählt, welche bei der Feldarbeit oder in enger Kammer gefunden wurden, wenn das Vaterland sie rief.

Sie öffnete dabei neugierig eine Seitenthür und prallte mit einem Schrei zurück, denn vor ihr in dem halb dunklen Raume stand eine hohe Gestalt mit weißem Haar, unbeweglich auf einen langen Springstock gestützt, das ernsthafte Gesicht streng auf sie gerichtet.

Es ist mein Vater! sagte Ludolf, und dem Schrecken folgte ein allseitiges Gelächter, als der greise Mann jetzt hervortrat, und den Beweis führte, daß er von Fleisch und Bein sei.

Herr Reimer, rief Wiebeking, indem er ihm die Hand schüttelte, hier also im dunklen Versteck muß man Sie aufsuchen, wenn man Sie sehen will.

Sie sollen mich auch im Sonnenschein haben, erwiederte Wolf freundlich, und Niemand soll sagen, er habe es mit einem Gespenst zu thun gehabt.

Er führte die Gäste in das große Zimmer zurück und erzählte ihnen, daß er so eben nach Haus gekommen, von ihrer Ankunft gehört habe, und in seine Kammer gegangen sei, um seinen Rock anzuthun. –

Nun haben Sie mich, wie ich bin, fuhr er fort. Die Damen müssen es einem alten Manne verzeihen, wenn er ungeputzt bleibt und es den jungen Leuten überläßt, sich angenehm zu machen.

Es war nicht ohne Würde, wie der alte Bauer diese Entschuldigung vortrug, aber er versüßte sie durch die Höflichkeit und Freundlichkeit, mit welcher er zu seinen Gästen sprach. Alles, was er sagte, trug den Stempel der Verständigkeit und des Wohlwollens, und was er mit Wiebeking über Land, Regierung, Ernte, Handel und Menschen sprach, zeugte von scharfer und sicherer Beobachtung und genauer Kenntniß aller Verhältnisse.

Unter den Linden im Garten wurde der Tisch aufgestellt, und hier lag ein schönes Panorama weit hin ausgebreitet. Der Garten auf der Warft stand voll prächtiger feuerrother Marschnelken und blühender Levkoyen, die nirgend so schön wachsen und duften, als in diesem fetten Kleiboden. Die mächtigen Bäume schirmten vor der Sonne; unter ihrem laubigen Dache saß die Gesellschaft im weichen Dämmerschein und sah über die unermeßlichen Weizenfelder hin, die in verschiedenartigster Färbung prangten, und an der Eiderseite auf die reichen Grasfluren, welche mit bunten und braunen Viehheerden bedeckt waren. –

Die Kirchspielflecken lagen in dichten Gruppen und streckten ihre Thürme in die blaue Luft; aber zerstreut über das Land hoben sich viele Höfe auf ihren Warften empor und bildeten mit den Baumgruppen, die sie umgaben, Inseln, die aus der tiefen fruchtbaren Marsch überall aufstiegen.

Die Haushälterin brachte dann den Thee, und Fräulein Henriette übernahm es, die Wirthin zu machen. Die Tassen waren englisches Fajence, wie es gewöhnliche Leute haben, der Zucker war gröber und der Thee nicht von solcher Güte, wie Wiebeking ihn besaß. Ebenso wenig war das Brot so weiß und fein, die Butter so frisch und süß, und Rauchfleisch und Schinken so trefflich zubereitet, wie man es häufig in diesem Lande findet, und wie es der verwöhnte Gutsherr täglich genoß.

In seiner von Natur derben Weise und bekannt mit der Art, wie man mit Bauern umgehen müsse, machte Wiebeking einen Scherz darüber, daß der reiche Wolf Reimer nicht besseres Brot und bessere Butter genieße. Er, der den schönsten Weizen und das schönste Vieh nach Hamburg schicke, lasse den Schinken ranzig werden und das Rauchfleisch holzig.

Der alte Mann blieb nicht unempfindlich bei dem Vorwurf, man sah es ihm an, daß er ihn ärgerte, aber er entschuldigte sich, indem er die Wahrheit zugab, und sich dabei wiederum schicklich an die Damen wandte. – Sie müssen es nicht streng mit uns nehmen, sagte er. Wir leben hier einsam, Freunde kommen selten. Mein Sohn ist seit einer Woche erst wieder bei mir, und ich habe keine Zeit mich um die Vorräthe zu kümmern.

Es liegt an der Wirthschafterin, erwiederte Wiebeking. Früher ging es mir wenig besser, seit aber Jungfer Auguste mein Haus verwaltet, ist es auf einen anderen Platz gekommen.

Unsere Frauen verstehen davon nichts, fuhr er lachend fort; so etwas muß von Jugend auf gelernt werden; man muß Neigung und Talent dafür haben, die beste Milchkammer zu besitzen, den besten Käse und die beste Butter zu machen, in Boden, Keller, Küche und Rauchkammer zu regieren, und wie ein General voll Stolz auf seine Soldaten, so auf Fässer, Kisten und Kasten voll Vorräthe sehen und unter strengem Commando halten, was damit zusammenhängt. Meine Base hier hat heut plötzlich einen Anlauf dazu genommen und ist bei Augusten in die Lehre gegangen; aber ich fürchte, es wird nicht lange dauern, denn solche Händchen sind für Dergleichen nicht gemacht. –

Er hielt Henriette's Hand fest, die sich dagegen sträubte, und sagte lustig:

Jedes in seiner Weise. Auguste ist ein Schatz, es giebt keine Zweite im Lande, die ihre Stelle so ausfüllte; dafür bist du am Theetisch die Erste, am Clavier eine Virtuosin, und hast dem Papa viel Geld gekostet, um bei den ersten Meistern zu lernen, was eine Dame ziert.

Als ob man nicht Alles lernen könnte, was man will, sagte Fräulein Henriette. – Ist es denn eine so große Kunst, eine Wirthschaft zu verwalten? Ich bin nicht daran gewöhnt, mein Leben und meine Verhältnisse haben mich nicht dazu geführt. Wäre ich eines Landmanns Tochter, so würde ich tüchtig mit gearbeitet haben, wo es Noth thut, und würde keiner nachstehen in Allem, was sich schickt.

Das Gespräch wurde unter Scherzen fortgesetzt, und Henriette zeigte sich in ihrem Amte, als Hausfrau, gewandt und sorgsam. Sie lief in die Küche und füllte die Theekanne, schnitt Brot und Fleisch und reichte davon umher, schlug Zucker, als der vorhandene verbraucht war, und brachte unter allgemeinem Gelächter, mit Ludolfs Hülfe, aus der Vorrathskammer einen ungeheueren Käse herbei, den sie sonst schwerlich angefaßt haben würde. – Dem alten Wolf nöthigte sie seine Pfeife auf und steckte sie mit einem selbst gefertigten Fidibus an. Es sah allerliebst aus, wie sie geschäftig hin und her lief, die Locken ihr vom Luftzuge geweht wurden, und ihr fröhliches Gesicht von der Arbeit sich röthete.

Endlich setzte sie sich neben Ludolfs Vater und widmete ihm ihre besondere Aufmerksamkeit. Sie ließ sich von ihm erzählen und erzählte ihm den Gewittersturm auf der See, mit dankbaren und lächelnden Blicken auf Ludolf. –

Wir wären alle verloren gewesen, sagte sie, wenn wir nicht solchen Beistand gehabt hätten. Es kann nichts Schrecklicheres sein, als dies wilde, entsetzliche Meer.

Der alte Mann schüttelte den Kopf.

Sie haben es noch nicht gesehen, erwiederte er, wie ich es oft gesehen habe. Wenn die Südweststürme kommen, mag kein lebendes Wesen davor aufrecht stehen. Die See steigt brüllend dann an unseren Deichen auf, wie ein rasender Drache, der seine langen Mähnen über das Land flattern läßt. Dampfwolken und Nebel füllen die Luft. Da ist nichts zu blicken, als Berge von kochendem Metall, die sich zerschmettern und aufbäumen und in Schaum hochauffliegen. Ich habe gesehen, wie ein solcher Sturm drei Tage lang die See über Dithmarschen warf. Alle Koge liefen voll, viele Deiche brachen; das Wasser stieg aus den Gräben auf, über das ganze Land hin, bis an die Geest. Die Marsch war ein Meer, das hohe Wellen schlug; Alles verloren, was Menschenfleiß ausgesäet hatte, alle Warften Inseln.

O Gott! rief Henriette, die Hände faltend, und Sie wohnen hier dennoch?

Ich wohne hier, erwiederte Wolf, und möchte an keinem Orte in der Welt lieber sein. So wird's auch mein Sohn thun, denn wo wäre es schöner, als im Dithmarschen?!

Ich will Ihnen meine Pferde zeigen, sprach er zu Wiebeking, als die Damen lächelnd schwiegen, wir wollen sehen, ob sie Ihnen besser gefallen, als mein Brot.

Damit brach er das Gespräch ab und führte den Gutsherrn, dem sich die Anderen anschlossen, in seine Hoflage, die groß und geräumig war. Acht junge Pferde ließ er vorführen, alle von der besten Art, gewaltig groß, von edlem Gliederbau, muthige schöne Thiere, die das vollste Lob fanden.

Das sind Rosse, sprach Wolf mit Stolz, wie ich sie jährlich im Herbst nach Frankreich schicke für die Staatswagen der großen Herren in Paris. Es ist kein Roß im Lande, das sich damit vergleichen könnte, keine Zucht so gut, wie meine eigene. Von alten Zeiten her haben die Reimer die besten Thiere in ihrem Stalle gehabt.

Seinen Lobsprüchen entsprach der Preis, den er forderte, als Wiebeking Anstalt machte, auf zwei der schönsten zu bieten. Jetzt zeigte sich der Handelsgeist bei den beiden Speculanten. Der Eine bot alle Künste auf, seine Waare zu rühmen, der Andere suchte Mängel hervor, tadelte die lichtbraune Farbe, mäkelte an Kopf und Schweif und that zuletzt ein Gebot, das weit hinter der Forderung zurückblieb.

Wahrscheinlich wäre aber doch zuletzt durch Ablassen und Zugeben eine Einigung erfolgt, wenn nicht plötzlich ein dritter Käufer sich eingemischt hätte.

Ich verstehe nichts von solchem Handel, rief Fräulein Henriette, aber da Herr Reimer versichert, daß diese beiden prächtigen Thiere weit mehr werth sind, als er nachbarlicher Freundschaft wegen fordert, so will ich sie kaufen.

Du? sagte Wiebeking verdrießlich.

Ja, ich, fuhr Henriette fort, sie sollen ein Geschenk für meine liebe Marie sein, und ihren Wagen ziehen, statt nach Frankreich unter die Franzosen zu wandern. – Morgen wollen wir sie holen lassen, und wenn mein Vater kommt, der uns in einigen Tagen besuchen will, soll er zuerst mit ihnen fahren.

Nicht mehr wie billig, sagte Wiebeking erfreut – weil er sie bezahlen muß, fügte er leise hinzu, indem er die großmüthige Cousine umarmte und seine Frau aufforderte, sich für das Geschenk zu bedanken.

Aber, liebe Henriette, rief die Freundin vorwurfsvoll.

Ich will es so, ich will Dir eine Freude machen, erwiederte die reiche Erbin. Ich weiß, wie gern du schöne Pferde hast.

Und so lassen wir ihr den Willen, lachte ihr Vetter. Warum soll der Papa nicht einmal ein schlechtes Gesicht machen, und um ein paar tausend Mark ärmer werden? Ich lasse die Pferde morgen holen und schicke das Geld mit. – He, Herr Reimer, das war ein Handel, kurz und bündig, wie er selten vorkommt. –

Er begleitete die Pferde in den Stall und sagte lachend:

Von mir hätten Sie fünfhundert Mark weniger genommen, und wären vergnügt zu Bett gegangen; wo aber ein Weib sich einmischt, geht es entweder weit besser oder weit schlechter, als wir denken. – Nun, ich gönne es Ihnen, Reimer. Die Pferde habe ich, und Johann David Wiebeking kann für die Streiche seiner Tochter aufkommen. – Kinder sind ein Segen und eine Plage. Ich habe bis jetzt keine, und weiß nicht, ob es ein Schaden ist. – Eines kann einem Vater zu schaffen machen, und ein Mädchen manchmal noch mehr, als ein Sohn, wenn es den Kopf voll Narrheiten hat, wie diese da.

Das Fräulein scheint verständiger zu sein, als Viele, erwiederte Wolf.

Oh! alter Praktikus, rief Wiebeking, sitzt darin der Verstand etwa, daß sie auf den Tisch wirft, was gefordert wird? Im Uebrigen ist meine Base allerdings ein gescheutes Mädchen, die ihre eigenen Gedanken und dabei einen reichen Vater hat, der Alles gut findet, was sie thut.

Und ist noch keiner gekommen, der sie haben wollte? fragte Wolf.

Gekommen? sagte Herr Karl Wiebeking auflachend, gekommen sind sie zu Dutzenden. Ein Mädchen mit so vielem Gelde hat Anbeter, wie Sand am Meere, aber keiner wurde bisher angenommen. Jetzt aber, denke ich, soll es Ernst werden. Wenn der Papa aus Hamburg kommt, wird die Sache in Richtigkeit gebracht. –

Wolf starrte in das pfiffige, halb vertrauliche Gesicht seines Nachbars. –

Hier soll's geschehen? fragte er.

Hier, alter Freund, hier im Lande, war die lustige Antwort. Meine Base ist ein seltsames Mädchen. In Hamburg haben sich Männer aus den ersten Familien um sie beworben, deren Name alle Hüte an der Börse in Bewegung setzt. Die Geldmenschen, welche Geldsäcke oder Kaffeesäcke da zu sitzen haben, wo bei Anderen das Herz zu sitzen pflegt, wie sie sagt, sind ihr aber ein Gräuel. – Verstehen Sie, Reimer, fuhr er spottend fort, meine kleine Base ist von lebhafter Einbildung. Sie schwärmt für das Edle und Erhabene, für Tugend und Menschheit, was Alles man so romantisch nennt.

Es ist also hier nicht ganz richtig mit ihr? sagte Wolf auf die Stirne deutend.

Herr Wiebeking brach in ein schallendes Gelächter aus. –

Das heißt den Nagel auf den Kopf treffen, rief er. Ganz richtig ist es allerdings nicht, sie ist verkehrt, verdreht in ihren Ansichten. Einen Mann, der Millionen in der Tasche hat, behandelt sie mit Verachtung, aber einen Bauer oder dergleichen, der ihr gefällt, weil er ihr poetisch oder romantisch vorkommt, könnte sie heirathen und, mit einer Handschürze vorgebunden, Küche und Stall regieren, obwohl die Herrlichkeit nicht lange dauern würde.

Jetzt verstehe ich, sagte Wolf.

Das heißt, Reimer, Sie begreifen jetzt, wie Sie Ihre Pferde verkauft haben, und wünschen sich lauter romantische Käufer. In Weßliburen werden morgen aber dergleichen nicht vorkommen. Zähe Gewissen werden da um einen viertel Schilling handeln.

Er sprach von dem Kornmarkt, der morgen am Sonnabend in Weßliburen gehalten wurde, und da Wolf Reimer dort bedeutende Vorräthe in Gebäuden aufgeschüttet hatte, die ihm gehörten, und steigende Preise vorhersagte, was der Hamburger Speculant erst eifrig bekräftigte und dann wieder bezweifelte, so folgte ein verwickelter Streit, der endlich damit endigte, daß Herr Wiebeking es für die höchste Zeit hielt, nach Haus zu fahren.

Während dies Alice im Hofe auf der Warft abgemacht wurde, ging Ludolf mit der reichen Erbin in dem Gartenstücke auf und nieder, das vor der anderen Seite des Hauses lag. Der Weg war so schmal, daß sie dicht neben einander geben mußten und ihre Hände sich berührten; der ganze Raum, nicht fünfzig Schritte lang, endete mit einem spitzen Winkel, von dem die Warft sich steil in den Wassergraben senkte. – Kleine Taxushecken faßten die Blumenbeete ein, und eben so prachtvoll, wie gestern, senkte sich die Sonne eingehüllt in die Nebel der Marsch und überstrahlte mit rother Glut das alte narbige Haus und die jungen blühenden Gestalten.

Das Gut, welches Wiebeking besaß, lag auf höherem Lande am Rande der Geest, und wie es neu und prächtig gebaut war, so war auch der Garten groß und mit Sorgfalt gepflegt. –

Hier ist Alles eng, gewaltsam Meer und Stürmen abgerungen, sagte Ludolf. Die Warft ist künstlich durch Menschenhände gemacht; die Deiche, unsere einzige Schutzwehr vor der wilden See, müssen fort und fort sorgsam gehütet und gebessert werden, und wie oft sind Tausende hier Abends fröhlich beisammen gewesen, die am Morgen, blaß und kalt, ein Spiel der Wogen waren, welche in einer Stunde ihnen Alles genommen hatten, was sie besaßen.

Darum hat in der Marsch auch immer ein so kräftiges, muthiges Volk gewohnt, erwiederte das Fräulein.

Es ist wahr, sagte Ludolf, man sagt den Leuten, die hier geboren sind, Treue, Ausdauer und Festigkeit in allen ihren Neigungen nach, während oben auf der Geest Herzen und Sinne wankelmüthiger sein sollen.

Glauben Sie das? fragte Henriette lächelnd.

Warum sollte ich es nicht glauben? Ich habe die große Welt kennen gelernt, erwiederte Ludolf. Gute und böse Menschen giebt es überall, aber je bewegter der Kreis des Lebens ist, je mehr die Menschen zu fordern und zu sorgen haben, je mehr sie sich in Klassen theilen, je größer die Bedürfnisse sind und je weiter die Wünsche steigen und die Leidenschaften geweckt werden, um so leichter wird ihr Sinn. – Unsere Tugenden und unsere Fehler lassen sich nicht so leicht bedecken, wie in der großen Welt. Wir kennen uns Alle und sehen auf uns. Jeder hat in der Einsamkeit und Stille seines Lebens weit mehr Zeit für seine Erinnerungen. – Wenn Sie nicht mehr hier sein werden, Fräulein Wiebeking, werde ich oft noch des Tages gedenken, und wenn Sie in dem Strome vieler Vergnügungen dies alte Haus zwischen den Linden und Wassergräben längst vergessen haben, werden die Leute darin immer noch von der schönen, jungen Dame sprechen, die so fröhlich hier den Tisch bestellte und so großmüthig, ohne allen Handel, des alten Wolf Reimer's Pferde kaufte.

Wollen auch Sie denn wirklich immer hier wohnen? fragte das Fräulein nachdenklich lächelnd, indem sie sich niederbeugte und eine der feurigen Nelken pflückte.

Wo sollte ich sonst wohnen, als im Hause meiner Väter?

Gewiß, ja, fuhr sie lebhaft fort, dies Haus mit seinen merkwürdigen Sagen dürfen Sie nie veräußern. Ich habe vorher mit Ihrem Vater darüber gesprochen und ihm dasselbe gesagt. Es muß stolz machen, solch altes Erbe zu besitzen und eine lange Geschichte ruhmreicher Vorfahren.

Die keine adeligen Herren und Grafen waren, fiel Ludolf lachend ein, sondern Bauern mit rauhen Händen.

Aber Heerführer, die Könige und Herzoge zur Flucht zwangen, Kaiser und stolze Reichsfürsten zittern machten. – Das ist größer, als der Ruhm und Ruf vieler Hunderte unbedeutender Adeliger. –

Sie hob die blitzenden Augen zu ihm auf und sagte lächelnd:

Wir haben einen gewissen Verwandtschaftsgrad, wir stammen beide aus republikanischem Blute. Meine Voreltern sind, so lange wir davon wissen, Bürger der freien Stadt Hamburg gewesen. Senatoren, Rathsherren, Stadthauptleute, Viertelsmeister und wie man sie weiter genannt hat. Ihre Vorfahren sind, trotz aller ihrer Würden und Ehren, ebenso wohl Bauern geblieben, wie die meinigen Bürger. Die neue Zeit hat Vieles verändert, und doch stehen wir uns im Stande nahe. Ihr Vater treibt Kornhandel, mein Vater ebenfalls. Der Bauer und der Bürger werden zu Kaufleuten, nur daß der Eine in seinem Comptoir sitzt und seine Schiffe über die Meere ausschickt, der Andere in Weßliburen und Büsum seine Speicher hat, und seine Geschäfte nicht so weit ausdehnt.

Ihr Papa, Fräulein Henriette, lachte Ludolf, würde sich schön bedanken, in meinem Vater seinen Collegen zu sehen.

Mein Vater, sagte Henriette, ebenfalls lachend, ist ein Mann, der nach dem Bankcredit seine Hochachtungsregister berechnet, der aber recht gut weiß, wie viel Verstand und Tüchtigkeit werth sind. – Meine Meinung über Sie, Herr Reimer, ist jedoch die, daß ihr Vater eine falsche Rechnung gemacht hat, wenn er Sie auf diese einsame Warft und in dies alte Haus Zeit Ihres Lebens einsperren will. Er konnte es wohl, Sie aber sind aus dem stillen Kreise herausgetreten. Sie haben von den süßen Früchten gekostet, welche bevorzugten Menschen gehören. Sie lieben die Künste, Sie haben Studien gemacht: wie können Sie in einem Bauernhause in der Marsch bleiben, wo kein Mensch lebt, der Ihrem Geiste und dessen Verlangen einen Trunk reichte? Zur Sommerzeit dann und wann hier ein paar Wochen bleiben, das mag hingehen. Unter diesen alten Linden sitzen, das Sonnenmeer der Marsch schauen, und in der Mittagsschwüle dort in den alten Kammern von alten Zeiten träumen, das mag ich gern gestatten; allein in unserer Villa an der Alster lebt es sich wenn doch angenehmer, und was kann man nicht sonst thun, wohin kann man fliegen, wenn man Geld und Zeit hat! – Die ganze Welt gehört uns, alle ihre Genüsse sind unser Eigenthum. Und das Leben ist so kurz, wie thöricht wenn man nicht genießt, was dem gebildeten Geschmack Genuß gewährt.

Es ist wahr, was Sie sagen, erwiederte Ludolf, und meine eigenen Zweifel wachen auf, indem ich Sie höre. Ich weiß nicht, ob ich das Leben in diesem engen Hause aushalten werde; ich könnte es sicher nur, wenn ich in ihm meine Welt fände. Ich bin hier geboren und Niemand hängt so fest an seiner Hütte zwischen Sumpf und See, wie wir. Es giebt nichts Schöneres auf Erden, als dies wunderbare Land. Kein edler Leben als in dem stillen Hause auf der Warft, wenn Eines mit uns darinnen wohnt.

Was? fragte sie lächelnd.

Die Liebe, sagte er mit fester Stimme. –

Wo bist Du denn? – Henriette, wir wollen nach Haus, rief Herr Wiebeking in den Garten tretend. – Wo ist Marie?

Hier, rief die junge Frau von der anderen Seite, indem sie mit der Haushälterin zum Vorschein kam.

Nehmen Sie diese Nelke, sagte Fräulein Henriette, ich weiß nicht, was sie in der Blumensprache bedeutet, aber roth soll das Zeichen der Freundschaft sein. – Kommen Sie morgen zu uns, fuhr sie flüsternd fort, als Ludolf die schöne Blume schweigend an seine Brust steckte; ich denke, wir haben und noch vieles zu sagen.

Ich komme gern, erwiederte er und ihre Augen trafen aufleuchtend zusammen. –


5.

Am nächsten Tage waren Vater und Sohn auf dem Markte in Weßliburen. Es war ein Hauptmarkttag und ein großes Gewühl. Aus der ganzen Landschaft kamen die Grundbesitzer; viele hatten ihre Frauen und Kinder mitgebracht, die Reichsten und Angesehensten waren da. Theils wollten sie Geschäfte machen und abschließen, theils Arbeiter miethen, oder mit Freunden und Verwandten zusammentreffen.

An solchem Markttage geht es lustig und bunt zu, es ist ein Festtag mit allerlei Genüssen. Mehrere tausend Menschen füllten den Flecken, die Wohlhabenden kamen mit Roß und Wagen, die Armen, welche sich selbst zu Markt brachten, mit Hacke und Haue. Alle Gasthäuser waren voll, und auf dem Markt ein gewaltiges Drängen, Rufen und Lärmen der allerverschiedensten Art. Hier wurde um Rosse gehandelt, und die reichen jungen Bauern zeigten voll Stolz oder Neid ihre bäumenden Hengste; dort wurde Getreide verkauft, auf Wort und Handschlag, heimliche Preise geboten und laut geschworen, geflucht, gelacht und geeifert; dort endlich drängten sich rüstige Männer und Burschen, kräftige Weiber und Dirnen um die, welche sie miethen wollten, und auch hier gab es Gebote, die verworfen wurden, Forderungen, welche Zank und Hohn hervorriefen. –

Die Weiber mit schwarzen Tüchern und bunten Röcken, die Männer und Burschen in ihren farbigen Jacken, braungebrannt von Sonne und Wetter, und zwischen ihnen hin- und herziehend die geputzten Frauen und Töchter der vornehmen Leute im Lande, gaben ein malerisches Bild.

Da waren manche stattliche Mädchen, denen es weder an Hüten und Seidenkleidern, noch an Ringen, Ketten und Uhren, und an dem erlernten Wesen fehlte, wie es sich dazu schickt und paßt. Neben ihnen und um sie her bewegten sich die jungen Herrn aus der Marsch, ihre Brüder oder Anbeter, mit mehr oder weniger Geschick, und vielen sah man es an, daß der Geist der Zeit auch über sie gekommen war und die einfachen Sitten und Trachten ihrer Väter längst verdrängt hatte. Sie stolzirten in feinen, modischen Röcken umher, schnippten mit ihren Reitgerten, ließen ihre goldenen Uhren sehen, und sprachen hochdeutsch mit den jungen Damen, welche zu Haus ein Klavier hatten, und Noten und Bücher aus Altona oder Hamburg kommen ließen.

Der größte Theil der Grundbesitzer, Kornhändler und Kaufleute, die hier beisammen waren, hatte jedoch mit den Modethorheiten des jüngeren Geschlechts nichts zu schaffen. Es waren breite, kräftige Gestalten mit gewaltigen Schultern und dicken Köpfen, deren Sinnen und Trachten auf die Weizen- und Bohnenproben gerichtet war, welche von Hand zu Hand gingen, und auf die Preise, welche dafür gemacht wurden. In ihren bequemen, derben Ueberwürfen, die Hände in den Taschen, die Beine gespreizt, und den Hut im Genick, standen sie beisammen, und nichts konnte man so deutlich in diesen breiten Gesichtern lesen, als die Zuversicht des Geldes und das Selbstbewußtsein, zu den ersten im Lande zu gehören. –

In dieser auserlesenen Versammlung erschienen bald auch die beiden Reimer, und ihre Ankunft machte einiges Aufsehen, denn hier war Einer, von dem der Markt zum Theil abhing. Der alte Reimer wurde sogleich von seinen Genossen umringt, die ihn begrüßten, befragten und beobachteten; Ludolf wurde beglückwünscht, betrachtet, gemustert und in die Kreise seiner Bekannten gezogen, die ihn in Beschlag nahmen. Unter Neckereien, Gelächter und derben Späßen frischten sie seine Erinnerungen für die jungen Schönheiten auf, welche er in Weßliburen beisammen fand, und er erneuerte seine Bekanntschaft mit einer ganzen Anzahl, die er halb vergessen hatte.

Nach einigen Stunden trat er in ein Gasthaus, wo er seinen Vater erwarten wollte; rund umher an den Tischen in dem großen Gastzimmer ging es herrlich her. – Die reichen Leute ließen bei solchen Gelegenheiten sehen, daß sie Geld verthun konnten und nichts zu sparen brauchten. Wo Ludolf sich hinsetzte, um zu plaudern, war er freundlich empfangen, neidische Blicke flogen auf die Bevorzugten.

Der Markt in Weßliburen war nicht allein für Kornsäcke und Pferde, es wurde auch feinere Waare hierher gebracht. Die jungen Herren und die jungen Mädchen kamen nicht umsonst. Viele Versprechungen und Hochzeiten wurden hier verabredet, denn ein solcher Markt ist für ein Land voll Bauern, was für die feine Welt ein Bad ist. Die jungen Leute sahen sich und lernten sich kennen, und da hier Jedermann genau wußte, wie viel Denat Land ein Freier besaß, und was jedes Mädchen an Mitgift zu hoffen hatte, so war man vor Täuschungen im wichtigsten Punkte weit sicherer, als es die vornehmen Leute sind. –

Ludolf Reimer war aber ein Erbe, bei dessen Nähe jedes Herz zu schlagen und jeder Kopf zu rechnen begann. Die großen Höfe in der Marsch waren allein vierzig oder fünfzig tausend Thaler werth, und was der Alte sonst noch besaß, betrug gewiß nicht weniger. Dazu war kein Anderer vorhanden, als dieser junge Mann, der obenein so fein und artig aussah und so freundlich zu reden wußte, wie kaum ein Zweiter. Ueberall steckten die Damen daher die Köpfe zusammen und flüsterten mit den Männern. Die Mütter und Tanten betrachteten ihn mit Kennerblicken, und die Stolzesten und Schwersten dachten in sich hinein: Wenn der käme und wollte mein Schwiegersohn sein, wär's gut.

Wie genau die jungen Damen aber auch aufmerkten, ob und welcher er wohl einen Vorzug geben möchte, sie konnten nicht sagen, daß ers gethan hätte. – Alle freundlichen Nöthigungen und alles Zurücken und Einschenken half nichts, Ludolf stand bald wieder auf und plötzlich war er aus dem Zimmer verschwunden und kam nicht wieder. Endlich erhob sich Eine, der er zumeist gefallen hatte und die etwas hoffen durfte, denn ihr Vater mochte es wohl mit den Reimers aufnehmen können. Sie trat an das Fenster, sah auf die Straße hinaus, wurde roth und lachte spöttisch auf. Dann kamen mehrere, und alle machten es eben so; denn da saß Ludolf Reimer auf der Bank am Thorwege, und rechts saß ein alter Bettler mit nackten Beinen und einer Jacke voll Flicken, links ein dralles Mädchen, das schwarze Zipfeltuch um ihren Kopf gebunden, den kurzen Kattunrock bis auf die halben Waden, die Füße in Landschuhe gesteckt, welche mit Riemen zugeschnürt waren.

Der Bettler war kein Anderer, als der alte Klaus, und das Mädchen die Wirthschafterin von Wiebeking's Gut. Klaus blies aus seinem Pfeifenstummel eine Wolke von Tabacksqualm über seine Freunde hin und schien eifrig zu sprechen, wobei er mit den Armen um sich focht, während die Wirthschafterin an einem groben, großen Strumpfe strickte.

Solcher Gesellschaft und Unterhaltung opferte der stumpfsinnige Mensch alle Genüsse auf, die ihm in der Stube geboten wurden. Es war beleidigend, zu sehen, wie er mit dem gemeinen Volke schwatzte und der Wirthschafterin seine Aufmerksamkeit zuwandte, die ihm mit Klaus um die Wette viel zu erzählen hatte. – Mit Unwillen wandten sich die Damen von diesem Schauspiel fort, und brachen den Stab über den entarteten Erben, der sittenlos aus der Fremde zurückgekommen sei.

Die Magd, sagte einer der Herren, der nun auch erfahren was vorging, ist eine rasche Dirne geworden, und gut genug sieht sie aus; aber es ist ein Findling, ohne Namen und ohne Freunde. Ich erinnere mich der Geschichte, die wohl an zwanzig Jahre her ist. Der alte Lungerer hat sie aus dem Wasser gezogen, und wie sie durchgekommen und groß geworden ist, mag Gott wissen. Jetzt ist sie bei dem Herrn Wiebeking, der sie überall rühmt.

Der Wiebeking weiß was hübsch ist, rief ein anderer, sein Glas aufhebend, und seine Genossen lachten wiehernd auf, indessen die Damen die Augen niederschlugen und roth wurden.

Schmuck ist sie, und so ein Hamburger Herr calculirt sich's heraus, was es ihm kosten und einbringen kann, schrie ein Dritter dazwischen.

Aber es kommt, ehe man's denkt, ein frischer Liebhaber und legt die Hand auf den Schatz, sprach noch Einer zu gleicher Zeit. Seht da, seht hin! – Die Augen wandten sich nochmals hinaus, und wirklich hatte Ludolf seine Hand auf den Arm der Wirthschafterin gelegt und redete zu ihr, als sagte er recht was Liebes und Gutes.

Das ist doch eine Schand', riefen mehre der jungen Damen und wandten sich fort. Sich so gemein zu machen, als wäre er ein Einlieger oder Knecht. Mit uns soll er nichts mehr zu thun haben.

Gerade als dies Urtheil über ihn erging, sagte Ludolf draußen:

Das ist nicht Recht von Dir, Klaus, daß Du dem guten Kinde nicht folgen willst, die sich's sauer werden läßt, um Dir zu helfen. Der Wiebeking meint's gut, wenn Du aber sein Brot nicht annehmen willst, so komm zu mir auf den Hof, ein Platz wird sich für Dich finden.

Zu Euch, Herr? rief Klaus lachend. Sollt bedankt sein für alle Güte, aber denkt daran, wie vor zwei Tagen erst Euer Vater mich aus dem Hause fortgewiesen hat.

Ei, sagte Ludolf verlegen, Du mußt es so nicht nehmen. Mein Vater ist barsch, meint's aber nicht so.

Kenn' ihn, Herr, kenn' ihn! nickte Klaus spöttisch.

Und wenn er's nicht thut, thue ich's, fuhr Ludolf fort. In einen paar Wochen ist der Hof mein, kommst dann zu mir.

So, sagte der Bettler, ihn scharf ansehend, steht's so, Herr Reimer? Wollt also hochzeiten?

Warum nicht, Klaus? Ich bin alt genug dazu, soll ich meinen.

Und wo habt Ihr den Schatz, Herr? Ist er nicht auf dem Markt?

Wer weiß, Klaus, näher vielleicht, als Du meinst. Ich nehme, die mir am besten gefällt.

Seh' Eins! rief der alte Mann. Ihr geht also auf die Freie und kommt darum nach Weßliburen. Nun, sind Goldfische genug hier. Da sitzt drinnen der dicke Lamprecht von Wilmerstädt mit zwei Töchtern, sind beide glatt und fest, und haben an jedem Finger einen Ring und einen Geldsack.

Ich will sie mir beschauen, lachte Ludolf; willst Du kommen, wenn ich die Glättste nehme?

Nä, sagte Klaus, und wenn Ihr sie beide nehmt, ich komme nicht. Es ist mit euch, ihr Herren, kein gut Fischeessen, die Gräten bleiben für uns übrig. – Wer sich verdingt, darf nicht thun, was er will, und wer's Gnadenbrot nimmt, dem werden die Bissen zugezählt. Ich dank' meinem Gott, daß ich mein Lebtag ein freier Mann geblieben bin, und will's enden, wie's angefangen wurde. Habe meine Hacke und meinen Sack, und so lange es Schlick giebt und Krabben und Fische, wird der alte Klaus nicht umkommen.

Aber wenn Du frank wirst, Klaus?

Es giebt arme Leute genug, die mir helfen; ein Armer hilft dem anderen, das ist eine alte Sache, Herr. Den Klaus kennt Jeder; wo er kommt, schreien die Kinder: da kommt der Klaus; was hast in deinem Sack, Klaus? Willst ein Stück Brot, Klaus? Komm herein, Klaus, setz' dich, ruh' aus, es giebt eine Suppe, und da ist dein Platz auf der Ofenbank. – So geht's zur Winterzeit, aber wenn's warm wird, muß ich draußen sein. Wer sollte in der Düne die Grünlinge fangen, die Schnepfen und die flüggen Enten? Das bringt Geld, Herr, und wenn der Klaus nicht immer munter wäre, wie wär's mit der Dirne hier geworden, die dem alten Mann jetzt Strümpfe strickt und ihre Sparpfennige mit ihm theilt?

Er legte seine magere knochige Hand auf des Mädchen Schulter, er lachte, während sie ihre Augen warm und dankbar zu ihm aufhob.

Ihr nehmt nur nicht, Vater, was ich geben möchte, sagte sie. Es ist schlimm mit Euch auskommen.

Härm Dich nicht, Kind, erwiederte Klaus, wenn's Zeit ist, will ich nehmen, und wenn's einmal gar nicht mehr geht und Du hast einen Platz auf der Ofenbank, zu Dir will ich kommen. – Denken Sie, Herr Reimer, was sie für mich thun wollte. In drei Jahren, und wohl noch länger, hat sie fünfzig Thaler zusammengespart, und was wollt' sie damit anfangen? Wollte mir einen Platz im Hospital in Meldorf kaufen. Nicht einen Pfennig für sich behalten, Schulden machen obenein auf Jahr und Tag hinaus, um das Geld zusammenzubringen. Nun sage Einer, Herr, ob Menschenwerke sich nicht lohnen. – Wenn's mir zuweilen wüst und bang ist, lauf ich zu ihr hinauf, seh zu, wie es so geht, und wie sie Alles flink schafft und für alles Rath weiß. Das ist ein Trost, Herr Reimer, ihr so recht in die Augen zu sehen und zu wissen, die meint es gut. Da ist kein Haar falsch, ist Alles auf dem rechten Fleck.

Schweigt, Vater – rief die kleine Haushälterin, Ihr müßt mich nicht so loben vor dem Herrn Reimer. Der weiß, wie lieb Ihr mich habt, und wer uns lieb ist, an dem bleibt kein Fehler.

Da war es, wo Ludolf die Hand auf Augustens Arm legte und mit so vieler Theilnahme zu ihr sprach. –

Er soll Sie immerhin loben, sagte er, denn er hat ein Recht dazu, Jungfer Auguste. Was er sagt, ist die helle Wahrheit, und ich meine, er sagt noch viel zu wenig.

Sie wandte sich zu ihm mit ihren großen dunklen Augen, die wie Feuer blitzten, und mit sonderbarer Gewalt sah sie ihn an. Sein Herz begann lebhafter zu pochen, er blickte auf ihren lächelnden Mund, auf die weißen frischen Zähne, und es überkam ihn ein heißes Gefühl, er wußte selbst nicht, was es war, aber er nickte ihr zu und wiederholte noch einmal:

Er sagt noch viel zu wenig, der alte Klaus.

Und was wißt Ihr denn davon, Herr Reimer? fragte sie lachend.

Ich hab's gehört, Herr Wiebeking sagt es.

Das ist die rechte Quelle nicht, rief das Mädchen, den Mund aufwerfend.

Alle Menschen sagen es, Jungfer Auguste.

Die Menschen sagen lieber Schlechtes als Gutes von einer armen Dirne, wie ich bin.

Nun, wenns Keiner sagt, so fühle ich's, rief Ludolf.

Die großen Augen blitzten wieder zu ihm auf, und lachend schüttelte sie den Kopf.

Dank ihnen, Herr, sprach sie, wenn Sie es fühlen. Ich fühle es aber nicht, und muß es doch am besten wissen.

He, Ludolf! rief eine Stimme vom Thorwege her, und den langen Stock in der Hand stand der alte Reimer da. Er sah den Klaus an, der seinem Hut an die Krempe faßte, und dann mit der Gleichgültigkeit eines nordländischen Strandbewohners den Hals zurückwandte und weiter rauchte.

Wolf Reimer betrachtete dafür das Mädchen, und ehe Ludolf, der aufgestanden war, seinem Befehle folgen konnte, that er ein paar Schritte näher heran, und hob die Spitze seines Stockes auf, die er auf Auguste richtete.

Ist sie das? fragte er Klaus, der sich langsam umsah.

Der alte Bettler machte verdrossen ein zustimmendes Zeichen, und schien sich nicht weiter um den reichen Bauer bekümmern zu wollen, der seinem Sohne einen Auftrag gab und sich an dessen Stelle auf die Bank setzte. Er nahm seinen Hut ab, wischte den Schweiß von der Stirn und begann dann mit der Haushälterin ein Gespräch, das bald auf Dinge sich erstreckte, die dem greisen Manne von großem Interesse waren. –

Es war von Viehgräsen die Rede, von der Fütterung der jungen Thiere, vom Melken und Buttern, von der Milchkammer, wie sie sein muß, und von allerlei anderen landwirthschaftlichen Künsten und Beschäftigungen, und Wolf, so klug und erfahren er war, mußte sich gestehen, daß er von der jungen Dirne Manches hörte, was ihm vortheilhaft schien. Was sie sagte, wurde, ohne anmaßend zu sein, mit einer gewissen Bestimmtheit ausgesprochen, die überzeugen konnte. Sie schien sich vor dem großen, strengblickenden Mann weder zu fürchten, noch zu scheuen, sah ihn so klar und fest an, wie alle anderen Leute, und gab ihm derbe, kurze Antworten, als er in seiner Weise derb und kurz war und über den Hamburger Herrn zu spotten anfing.

Nun, sagte er mit einem Seitenblick, was thut Ihr hier auf dem Markt, Jungfer? Helft dem Herrn Wiebeking den Weizen aussuchen, oder flickt die Säcke dazu?

Weder das Eine, noch das Andere, erwiederte sie. Ich habe meine Geschäfte hier, um die kein Dritter sich zu kümmern hat. Weizen mag kaufen wer Lust hat, wer's aber thut, wird sein Geld dabei verlieren.

Meinst so? rief Wolf auf das Mädchen herunterblickend, die ihren Strumpf zusammenpackte. – Hat's der Herr Wiebeking etwa gesagt?

Ich hab's gesagt, lachte sie, und sah ihn mit den großen Augen scharf an. Der Herr Wiebeking ist diesen Morgen nach Hamburg gefahren, darum ist er nicht auf dem Markt. Er will's abwarten, wie der Preis sein wird, wenn man die Ernte genau kennt, und das ist gescheidt von ihm. Die Ernte ist überall gut, wohin man hört, und höhere Preise wird's niemals geben, wie heute.

Der Alte sah eine Weile vor sich hin, als überlegte er Mancherlei, dann stand er auf, und mit einem gewissen Wohlgefallen blickte er auf die Jungfer.

Wie lange seid Ihr denn auf dem Gute jetzt? fragte er.

Zwei Jahre sind's, sagte sie.

Und wie lange wollt Ihr da noch bleiben?

So lange es mir gut scheint, Herr!

Habt nicht Luft, es auf einem echten Marschhofe zu versuchen?

Bei Euch, Herr? fragte sie nach kurzem Besinnen.

Nicht just bei mir vielleicht, aber bei meinem Sohn könnt's sein.

Mein Herr, sagte sie, dank' Euch, aber ich will nicht.

Dann guten Tag. – Meinte beinahe, Ihr wäret hier, um unter der Hand nach einem anderen Dienst umzuschauen?

Die Jungfer wurde blutroth, aber sie sagte nochmals nein, und der alte Wolf nickte einen stummen Gruß und ging fort.


6.

Die Nachmittagsonne senkte sich, als Vater und Sohn Weßliburen verließen. Das war ein langer Markt gewesen, der mit manchem guten Glase geendigt hatte, denn an solchen Tagen wußte Jeder, was er that, wenn er seine Thaler wie Rechenpfennige auf den Tisch warf, und Champagnerpfropfen knallen ließ. In allen Häusern wurde Wochen lang davon gesprochen, wie der und jener sich gezeigt, und daß er kein Knicker sei in guter Gesellschaft. –

Wolf Reimer war nun zwar der Mann nicht, der darnach trachtete, Geld fortzuwerfen, aber sein Sohn that es für ihn, und er selbst hatte ihn dazu ermuntert. Mit manchen Genossen hatte Ludolf ein Mahl gehalten, bei dem Jeder willkommen war, der zugreifen wollte; der Alte hatte zuletzt den Beutel weit aufgethan, die ganze Zeche bezahlt, und dennoch war er in guter Laune, als er mit seinem Sohne auf dem Marschwege nach Haus ging.

Die Reimer müssen dem Volke zeigen, sagte er, daß sie noch die Alten sind, immer voran und die Hand in der Tasche, sobald es sein muß, was es auch kosten mag. – Du hast ihnen einen Willkommen gegeben, woran sie lange denken sollen, und wird Dir's Keiner so bald nachmachen. Wo Andere fahren und reiten, können die Reimer zu Fuß gehen, es weiß doch Jedermann, daß die besten Rosse ihnen gehören. – Was ich heut bezahlte, wird sich aber gut einbringen, Ludolf. Haben zuletzt noch mehr Weizen und Bohnen verkauft, als ich aufschütten kann. Es ist alles fort; gierigen Leuten muß man zu Willen sein.

Ich habe es gemerkt, sagte Ludolf, und begreife nicht, warum Du es gethan hast, da so viele auf höhere Preise hielten.

Es ist eine Speculation, antwortete Wolf. Einer war nicht da, der sonst nicht fehlt, wo es zu kaufen giebt. Der Wiebeking ist lieber nach Hamburg gefahren; dachte, laß den Wolf Reimer hineinrennen, aufkaufen was er mag, es wird ihm gut bekommen.

Herr Wiebeking ist in Hamburg? fragte Ludolf. Wer hat es Dir gesagt?

Die Jungfer Naseweis, die er auf den Markt geschickt hat. Aber höre an, Ludolf, das ist eine Dirne, die ihre Sache versteht; schlecht fahren würdest Du nicht, wenn Du sie auf den Hof nehmen könntest.

Auf den Hof nehmen, Vater? rief der junge Mann verwundert.

Der Alte schwieg ein Weilchen, dann blieb er am Wege stehen und sah seinen Sohn forschend an:

Ich will Dir eine Frage thun, sprach er bedächtig. Hast heute auf dem Markt manch Mädchen gesehen, die den Ring am Finger haben möchte, und nicht nein sagen wird, wenn der Ludolf Reimer bei ihr anklopft. Da ist der Lamprecht aus Wilmerstädt, der geht mit obenan, aber Richtmann's Anna aus Büsum hat reichlich eben so viel, oder sollt's sein, daß Konrad Henke's Tochter aus Wöhrden Dir besser gefällt, wär's kein Schaden. Es ist eine dralle, schmucke Dirne; die Familie gehört mit zu den alten, hat drei Grashöfe, die ihr zufallen, und obenein eine Tante, die Geld und Gut ins Haus wirft.

Mag sie hineinwerfen, so viel sie Lust hat, sagte Ludolf, es ist nichts damit, Vater. – Ich habe mir die Mädchen angesehen; es ist keine dabei, die ich lieben könnte.

Bist ein Narr! rief Wolf, langsam weitergehend. Sollst eine Frau nehmen, das ist die Sache. Wirst mit ihr fertig werden, so gut wie andere Leute. Willst keine Häßliche haben, so wähle Dir die schönste aus.

Sind das Frauen, wie ich sie brauche? erwiederte Ludolf geschickt ablenkend. Gehen da in Seidenkleidern und Ketten zu Markte, und sind schlimmer wie die Stadtdamen im Zieren und Schnüren.

Die alte gute Zeit ist vorbei, brummte der greise Mann, aber he! – möchtest eine Stadtdame lieber haben?

Ich könnte es nicht sagen, antwortete Ludolf sich abwendend.

Wo siehst' da hinaus? fragte Wolf, und sein hartes Gesicht verzog sich zu einem Lachen. Da drüben geht der Weg hinauf zu Wiebeking's Gut. – Willst Du hin?

Ich habe es versprochen, Vater.

Wem hast Du es versprochen? – Der Wiebeking ist nicht zu Haus.

So sind andere Leute da, die ich gern sehe, lachte Ludolf.

Ist es das, sagte der Alte. Ich hab's wohl gemerkt; höre zu, was meine Meinung ist. Bist ein Mann, der auf seinem Erbe sitzt, und bist ein Reimer, der zu den Ersten gehört. Nimmst Du eine Frau, die das weiß, so wird sie stolz auf Dich sein. Auch wenn sie Seide trägt und eine Kette um den Hals hängt, wird sie doch gern auf der Warft wohnen und Dein Haus in Ehren halten. Nimmst Du Eine aber, die sich besser und feiner dünkt wie Du, so wird sie Dich wie Einen betrachten, den sie zum Manne gemacht hat.

Das wird niemals geschehen! antwortete der junge Mann.

Thue, was Du willst, fuhr Wolf fort. Eine feine Dirne ist es, freundlich von Sinn, hochmüthig ist sie nicht, und anstellig im Hause. Aber geh' nicht in die Welt, wo Du nichts giltst. Bleib da, wo Deine Väter lebten, laß Dich nicht hinauslocken. Willst mir das versprechen?

Ja, Vater, sagte Ludolf.

So mag's sein, erwiederte Reimer. Geh' hin und frage sie. Das Kleid thut es nicht, feine Hände thun es auch nicht, es thut's der Wille. – Arbeiten können auch Andere, die es verstehen, und darum, Ludolf, sieh zu, daß Du die Haushälterin mit bekommst. Das ist eine Dirne, die ein Haus in Ordnung bringt, wenn die Frau nichts dazu taugt. Sie will fort von Wiebeking, obwohl sie es leugnet. Mach's ab mit ihr, wenn sich's paßt; es ist ein stolzes, rasches Wesen darin, und wenn die – hier schüttelte der Alte den Kopf und sagte dann: Geh also Deinen Weg, und sieh' zu, daß Du nicht zu Schaden kommst. Ei ja! die Geldsäcke in Hamburg klingen gut. Bring' sie herein in Reimer's Hof, es ist eine schöne Sache damit; aber hänge Dich nicht daran, Ludolf, so wird's gehen. –

Er ließ seines Sohnes Hand los und verfolgte den eigenen Weg.

Ludolf dagegen eilte auf einer schmalen Straße den Höhen zu, die in der Ferne aufstiegen. – Er überließ sich seinen Gedanken, die ihn lebhaft beschäftigten; seine Sinne waren gereizt, sein Gesicht glühte, denn trotz aller Vorsicht hatte er doch Wein in reichlichem Maße getrunken. So fühlte er seinen Kopf schwerer und seine Füße leicht, und als er um ein Gehöft bog, hinter welchem Hecken von Weißdorn anzeigten, daß die Marsch aufgehört habe, sah er vor sich plötzlich das Pflegekind des alten Klaus gehen, einen Korb am Arm und ganz allein.

Mit freudiger Empfindung verdoppelte Ludolf seine Schritte, und eben als die Jungfer sich umsehen wollte, hatte er sie erreicht, und legte lachend den Arm um ihren Leib. – Aber er ließ sogleich wieder los, als er in ihr Gesicht blickte. – Sie mußte geweint haben; ihre Augen waren naß, und obwohl sie es verbergen wollte, sah er die großen Tropfen an ihren langen Wimpern hangen, und eine Traurigkeit in ihren Zügen, die ihn erschreckte.

Was giebt es denn? rief er. Wo ist der Klaus? Was ist geschehen, Jungfer Auguste? Wo fehlt's?

Nichts, sagte sie, und zwang sich zum Lachen.

Umsonst lacht man wohl eher, als man weint, fuhr er fort. Heut ist ein froher Tag für Viele.

Für mich ist's keiner, sagte sie.

Und warum nicht? – Wenn's ein Kummer ist, wo ich helfen kann, so sprecht ihn aus. Zwei tragen's immer besser, wie Einer.

Es war ein herzliches Mitgefühl auf seinem Gesicht. –

Ihr meint's wohl gut, Herr, sprach sie dankbar, aber da kann Niemand helfen.

Niemand? Das ist ein hartes Wort. Vielleicht ist's falsch. In Weßliburen ging's so lustig her. Seid Ihr nicht froh geworden unter so vielen Leuten, die mit ihren Freunden beisammen saßen?

Das Mädchen schwieg einen Augenblick, dann sagte sie:

Können die sich mit ihnen freuen, die feine Freunde haben? Ich habe Niemand, lieber Herr, als den alten Mann. Es ist einmal nicht anders, Gott hat es so gewollt! aber es kommt zuweilen schwer über Einen, besonders wenn Rath Noth thut.

Ludolf sah voll Theilnahme auf seine Begleiterin. Ohne Eltern, ohne Freunde, ohne Heimath, ganz allein in der Welt ging sie neben ihm her, mit gesenktem Kopf. Er fühlte ihren Kummer und konnte ihr doch keinen Trost sagen.

Ist es wahr, begann er endlich, daß Ihr Wiebeking's Haus verlassen wollt?

Es könnte wohl wahr sein, antwortete sie, ohne aufzublicken.

Wer hat Euch etwas gethan? Er lobt Euch ja so sehr?

Ihr Gesicht glühte, sie antwortete nicht.

Wenn Ihr fort wollt, sagte Ludolf, so kommt zu uns. – Kommt zu mir auf den Hof, Jungfer Auguste.

Sie zog ihre Hand leise zurück, die er ergriffen hatte, aber er hielt sie fest. –

Glaubt Ihr denn nicht, daß ich es ehrlich meine? fragte er.

Die Jungfer schlug die Augen zu ihm auf und nickte ihm lächelnd zu.

Ich glaube es, lieber Herr, sagte sie. Klaus spricht, Ihr seid Einer, der es mit allen Menschen gut meint, so meint Ihr's auch mit mir nicht anders. Aber da ist Euer Weg, der führt zum Hause hinauf. Gute Nacht, Herr! –

Wollt ihr nicht mit mir gehen? fragte er.

Nein, sagte sie, mein Weg geht in's Gehöft. – Laßt meine Hand los, es ist keine, die für Euch paßt.

Schnell hatte sie ihm die Hand entzogen und ging auf einem Stege fort, der hinter dem Garten des Hauses hinlief. Es war ihm einen Augenblick, als sollte er umkehren und davonlaufen, oder ihr nachspringen. Endlich schritt er langsam vorwärts, dicht an einer hohen Heckenwand von spanischem Flieder, und seine junge Stirn zog sich in Falten zusammen.

Es geht doch nimmermehr! rief er, den Hut von Kopf reißend. Bin ich wirklich ein Narr, wie mein Vater sagt, oder was ist's mit mir? – Hat Einer Glück, so bin ich es, und da –

Er stand still, denn jenseits der Hecke hörte er eine laute Stimme, die ihm das Blut zum Herzen trieb. –

Lieber Herr von Hegemann, sagte Fräulein Henriette, sehen Sie nicht so verzweifelt aus. Sie werden Präsident, das ist doch wahrlich eine Gewißheit, die Sie für heut zufrieden stellen muß. Zu viel muß man vom Schicksale nicht auf einmal verlangen.

Sie sind grausam, Fräulein Wiebeking, sehr grausam, erwiederte der Landvoigt, daß Sie mir verbieten, Ihnen endlich zu sagen, was ich so lange empfinde.

Jedes Wort zu seiner Zeit, werther Freund, rief sie. Ein Wort, einmal ausgesprochen, ist nicht wieder zurückzurufen, und wie oft haben weise Männer bereut, zu voreilig gewesen zu sein.

Könnten Sie glauben, daß ich jemals bereuen könnte? flüsterte der Landvoigt betheuernd.

Nein, sagte Fräulein Henriette in sehr stolzem Tone, Sie nicht. – Morgen, denke ich, wird mein Vater kommen, Karl wird ihn mitbringen.

Sie wollen Ihren Vater zu Rathe ziehen, antwortete Herr von Hegemann, den Trost begierig aufgreifend. Dies schöne, kindliche Gefühl beruhigt mich. Ja, ich darf hoffen, theure Henriette, daß der Papa mir günstig ist. Erhören Sie meine letzte Bitte, sagen Sie mir, wann ich zu Ihnen reden darf.

Wann? – Sie sind ein Mann des Gesetzes, der seine bestimmte Zeit auf Stunde und Minute fordert, rief das Fräulein lachend. Nun gut, wenn es nach drei Tagen Ihnen noch gefällig ist, mich mit einem vertrauten Gespräch zu beehren, so bin ich bereit, Sie zu hören.

Tausend Dank! o tausend Dank! sprach der Landvoigt, drei Tage werden mir lang werden, aber sie mögen eine Probe meiner innigen Ergebenheit für Ihre Befehle sein.

Ludolf hörte die beiden Sprechenden weiter gehen, er rührte sich nicht.

Drei Tage, murmelte er, in drei Tagen muß es entschieden sein. – Der dürre, abgelebte Mann oder – ich! –

Ein spöttisches Lachen kam auf seine Lippen, er fühlte alle seine Vortheile, und mit raschen, bestimmten Schritten legte er den Rest des Weges zurück und trat in den großen Gang des Gartens.

Da ist Herr Reimer, rief Henriette, die mit ihrem Begleiter so eben das Haus erreicht hatte, und die Stufen des Perrons hinunterspringend, ließ sie den Landvoigt stehen und ging Ludolf entgegen, dem sie unbefangen die Hand reichte und ihn ausschalt, daß er so lange sich erwarten lasse.

Ludolf antwortete in munterer Weise, indem er sich mit dem Markte entschuldigte und eine lustige Erzählung von dessen Herrlichkeiten machte. Er begrüßte den Landvoigt in leichter Art, wie ein Mann von Welt, und küßte der hübschen Frau Wiebeking die Hand, wie ein junger Cavalier.

Mein Mann ist nicht zu Haus, sagte sie. Sie finden uns allein.

Um so glücklicher für mich, antwortete er galant, zwei schönen Damen Gesellschaft leisten zu dürfen, ohne einen Nebenbuhler zu haben.

Sie vergessen Herrn von Hegemann, rief Fräulein Henriette.

Ja wirklich, erwiederte Ludolf übermüthig. Der Herr Landvoigt wird es mir verzeihen.

Aber der Landvoigt verzieh es ihm nicht. Er sah mit Unmuth auf den jungen Bauer, der sich mit der Dreistigkeit eines Emporkömmlings vor ihn hinpflanzte, sich des Gespräches bemächtigte, die Aufmerksamkeit auf sich zog, und so unbefangen plauderte, als sei er unter Seinesgleichen. – Er sagte nichts Rohes und Unangenehmes, er that nichts, was zu tadeln gewesen wäre, er erzählte vielmehr in drolliger und angenehmer Weise, und seine Bemerkungen waren zuweilen scharf und treffend.

Die Damen lachten darüber und ermunterten ihn durch ihre Antworten; sie waren offenbar für diesen jungen Menschen sehr eingenommen und behandelten ihn mit einer Vertraulichkeit, die den Landvoigt ärgerte, besonders auch deswegen, weil er bemerkte, daß Fräulein Henriette's Blicke und Mienen zuweilen einen ganz besonderen Antheil ausdrückten. Eine Zeit lang glaubte er, sie wollte ihn eifersüchtig machen, dann aber ergriff ihn ein Gefühl der Unruhe, und als Ludolf sich immer mehr mit der Dame seines Herzens beschäftigte, als sie auf seinen Wunsch spielte und sang, was sie vorher dem Landvoigt hartnäckig verweigert hatte, als Ludolf hinter ihrem Stuhle stand, die Notenblätter umkehrte und mit ihr flüsterte, steigerte sich sein Grimm bis zur Ironie.

Sie scheinen ja ein großer Musikkenner zu sein, Herr Reimer, sagte er spottsüchtig.

Ich thue es mehr mit dem Gehör, als mit den Fingern, erwiederte Ludolf. Unterricht habe ich wenig gehabt, aber ich liebe Musik, wie ein Seemann das Meer. Wie ihm bei den Wellen, geht mir bei den Tönen das ganze Herz auf.

Ein naives Geständniß, lachte Herr von Hegemann. Welle ist Welle, und Ton ist Ton. –. Aber diese Musikliebe ist unseren Landleuten angeboren; Dithmarschen steckt voll Künstler und Talente, in jeder Hütte sitzt eine Catalani.

Und unser lieber Freund, der Herr Landvoigt, fiel Henriette boshaft ein, meint, daß die Töne der gesegneten, musikalischen Töchter dieses Landes Ihnen ganz dasselbe Vergnügen machen, welches meine unbedeutende Stimme Ihnen gewährt.

Was Herr von Hegemann meint, muß ich ihm überlassen, sagte Ludolf, wenn aber Dithmarschen auch kein Arkadien ist, wofür die Regierung schon sorgen hilft, so ist es doch immer ein Beweis fortschreitender Bildung, wenn die Musik bei uns einkehrt, und jeder sein Bestes thut.

Was hindert die Regierung, Herr Reimer? fragte der Landvoigt in höheren Tone.

Ludolf lachte.

Sie hindert uns daran, Arkadier zu werden, sagte er, das will heißen, sie beglückt uns so hinreichend mit Steuern, Abgaben, Beamten und Stützen der Staatsmaschine, daß wir praktische und nützliche Leute bleiben müssen, die sich dem süßen Müssiggange der Kunst nicht hingeben dürfen.

Es wäre noch besser von der Regierung, sagte der Landvoigt, wenn sie der Ausartung der einfachen und naturgemäßen Verhältnisse ein Ziel setzen könnte, damit nicht jeder über seinen Stand hinaus wollte und sich in Dinge mischte, die weit über seinen Gedankenkreis liegen.

Sehr weise und sehr wahr, antwortete Ludolf, den hohen Beamten fest ansehend.

Es ist kein Glück, fuhr dieser gereizt fort, wenn es in einem Lande eine Anzahl Bauern giebt, denen der Boden gehört, während das Volk gar nichts hat, und auch zu nichts kommen kann.

Auch darin haben Sie Recht, erwiederte Ludolf, aber immer ist es besser so, als wären wir Alle arm, oder als hätten wir Beamte und adelige Herren, die sich in Dithmarschen theilten.

Es wäre denn doch die Frage, sagte Herr von Hegemann stolzblickend, ob das Land sich nicht besser befände unter der Leitung von Männern, deren Bildung, Erziehung und Fähigkeiten ihnen ganz andere Bahnen öffnen, deren Familien über Bauerndünkel und Anmaßung hinaus sind.

Ich wollte, mein Vater wäre hier, antwortete Ludolf, heiter lachend, und könnte Ihnen Bescheid geben. – Wir, Herr Landvoigt, sind hier zu Lande der alte Landesadel. Wenn ich nicht irre, ist Ihr Vater oder Großvater geadelt worden für seine Verdienste als Beamter. Meine Vorfahren haben vor mehr als fünfhundert Jahren schon Helm und Panzer getragen in Dienste der Landesfreiheit. Als echte Freiherren haben sie gegen Unterdrückung gekämpft, bis sie erlagen; aber wenigstens so viel ist ihnen geblieben, daß sie als freie Männer ohne adelige Herren neben sich noch auf ihren Höfen sitzen, die einst von Kaiser und Reich ihr Erbe waren. Unser Geld und unsere Wohlhabenheit ist die Frucht unserer Arbeit. Unser Haus auf der Warft ist noch immer unser Ritterschloß. Niemand zieht aus, um in Residenzen zu verschwenden, was seine Arbeiter und Pächter erwerben müssen, sondern er arbeitet selbst, und nichts geht ihm über sein einfaches Familienglück.

Die Damen mischten sich ein und hinderten die Fortsetzung eines Streites, der peinlich geworden war. Herr von Hegemann schwieg, aber sein Gesicht wurde noch graugelber, als er sah, daß Fräulein Henriette stolze und freundliche Blicke auf Ludolf richtete, und noch mehr als bisher sich mit ihm beschäftigte.

Bei Tisch schenkte sie ihm Wein ein und hob ihr Glas auf.

Sie haben wie ein Held Dithmarschen vertheidigt, sagte sie, trinken wir jetzt auf Frieden und Versöhnung. Ich wünsche, daß jeder Mensch ein Freiherr sein und wie ein solcher denken und handeln möge; auch wünsche ich, daß in jeder Hütte auf der ganzen Erde Musik erschallt, denn Musik und Glück gehen Hand in Hand.

Der Spruch wurde lachend angenommen, und spät erst entfernten sich die beiden Gäste, da der Landvoigt nicht eher aufbrach, bis Ludolf zum Gehen bereit war.

Wenn Sie morgen Abend zu uns kommen wollen, Herr Reimer, sagte Fräulein Henriette laut, so kann ich Sie mit meinem Vater bekannt machen.

Und was sagen Sie mir? flüsterte Herr von Hegemann.

Auch wir scheiden harmonisch, es bleibt bei unserem Accord, lachte sie. – »Drei Tage will ich Dir schenken.« So der Tyrann gegenüber dem Attentäter Damon in Friedrich Schillers Ballade »Die Bürgschaft«. – Anm.d.Hrsg.

Ich werde aber doch kommen, sprach der Landvoigt, als sein Wagen fortrollte, und dieser anmaßende Bauer – es ist ja unmöglich, daß es mehr sein sollte, als die Laune eines Mädchens.


7.

Ludolf hatte seinen Vater am folgenden Tage fast gar nicht gesehen. Er war spät nach Haus gekommen. Wolf hatte in Meldorf zu thun gehabt; erst am Vormittage, der darauf folgte, trafen sie beide zusammen.

Nun, sagte der alte Mann ihn scharf anschauend, Du verlebst Deine Zeit lustig hin. Ist der Wiebeking aus Hamburg zurückgekommen?

Ja, Vater, antwortete der Sohn.

Was ist es mit Dir? fragte Wolf Reimer. Siehst nicht aus wie Einer, der große Freude im Sinn hat.

Ludolf schwieg ein Weilchen und antwortete dann:

Er wird kommen und seinen Oheim mitbringen, der aus Hamburg ihn begleitet hat.

So, sagte der Alte. Was ist es für ein Mann?

Da siehst ihn schon, rief der Sohn aufstehend, indem er zum Fenster hinaus deutete. Ein stolzer, kurzer Mann. Es wird gut sein, Vater, ruhig zu hören, was er sagt, und ihn zu nehmen, wie er ist.

Reimer sah auf den Weg hinaus. Ein Halbwagen fuhr rasch auf seinen Hof los. Er erkannte seine lichtbraunen Hengste, die hell in die Luft wieherten, als sie die Brücke hinaufrannten. Auf dem bequemen Polster im Wagen saß ein wohlbeleibter Herr, der sich neben Herrn Karl Wiebeking ausgestreckt hatte. – Ludolf war vorangeeilt, Wolf folgte langsam nach, und kam eben zur rechten Seit, um die beiden Gäste aussteigen zu sehen.

Da ist er ja! rief Herr Wiebeking, seine Hand ausstreckend, Willkommen Herr Reimer! Hier ist mein Onkel David Wiebeking aus Hamburg. Das ist unser erster Praktikus im Lande, Onkel. He, Herr Reimer, wie war's in Weßliburen? Hohe Preise, enormer Schwindel, haha! – Zieh' meinen Hut ab, Herr. Sie haben einen Blick, vor dem man Respect bekommt. – Haben losgeschlagen; ehe wir drei Wochen älter sind, wird sich zeigen, wer eine feine Nase hatte.

Unter solchen Reden traten sie in's Haus, und als Herr Wiebeking den Hausherrn zu Wort kommen ließ, hieß dieser die Gäste freundlich willkommen, und quetschte dabei die weichen, wulstigen Finger des Hamburger Handelsherrn in seiner knochigen Hand mehr zusammen, als diesem lieb war.

Der Blick, mit welchem Herr David Wiebeking diese Zärtlichkeit vergalt, war nicht der angenehmste, aber er sagte nichts. Er betrachtete den gewaltigen Körper seines Wirthes mit musternder Aufmerksamkeit und schien Vergleiche anzustellen, welche die bedenkliche Ernsthaftigkeit seines Gesichtes vermehrten. –

Es konnte nicht leicht Verschiedeneres geben, als diese beiden Männer. Wolf Reimer in seiner groben Halbjacke, den weiten Leinenhosen und den hohen, harten Stiefeln, reichte fast bis zur Decke auf. Der Kaufmann in seinem feinen braunen Rock, der weißen Weste, dem glatt gefalteten Halstuch und der dicken Goldkette, an welcher seine Uhr hing, stand vor ihm wie eine jener sonderbaren, lächerlichen französischen Karrikaturen. Der Greis, mit seinem langen, weißen Haar, feinem harten, muskelvollen Gesicht und den breiten Falten darin, der Kaufmann mit dem spitzen Leib, der braunen Perücke, den Hängebacken und den kleinen, kalten Augen, waren Wesen, die verschiedenen Welten anzugehören schienen. –

Aber Wolf Reimer war nicht der Mann, sich von irgend einem Geschöpfe, stamme es woher es stamme, beirren zu lassen. Er schob die schweren Stühle an seinen Tisch, setzte sich und nöthigte die Gäste zum Sitzen. Dann ließ er auftragen, was sein Haus geben konnte, Wein bringen, so gut er ihn hatte, und nun kreuzte er seine Füße, stützte den Arm auf, sprach von Handel und Preisen, Land und Verhältnissen, wie er mit Klaus oder jedem Nachbar gesprochen haben würde.

Nach einiger Zeit nahm Herr Karl Wiebeking Ludolf beim Arm und führte ihn hinaus.

Wir wollen die beiden alten Herren allein lassen, sagte er leise. Haha! Reimer, Sie sind schlauer, als ich dachte. Nehmen wir eine Flasche und setzen wir uns draußen unter die Linden. Von dort können wir nach meinem Hause hinüber sehen, wo Henriette umherwandelt und Sie erwartet. – Na, meinetwegen, es ist ihre Sache, ich habe nichts dagegen, obwohl der Landvoigt Hegemann – haha! Na, es ist mein Freund, aber Jeder sieht nach seinem Geschäft, und wenn Sie es machen, Reimer, kann er nicht die Factura bekommen.

Das Geschäft ist aber noch nicht abgeschlossen, Herr Wiebeking, lachte Ludolf.

Weiß es, rief der Nachbar; aber das Mädchen kann Alles mit dem Alten machen, der gegen jeden Anderen zähe ist wie ein Eichenblock. Gestern Abend hat es noch eine Scene gegeben. Er stampfte mit den Füßen wie ein Chinese, dem der Zopf abgeschnitten wird, aber sie blieb dabei: ich will! – Was hat sie Ihnen gestern noch gesagt, als Sie gingen? Sie würde den Papa heut' zu uns schicken. Ist es nicht so?

Ludolf nickte.

Sehen Sie wohl, lachte Wiebeking. Gestern schrie der Alte, es wäre eine Narrheit, ein Wahnsinn, eine Schande. Eher wollte er sich an der Börse fallirt erklären, als mit einem Schritt zu einem alten Bauer ins Haus gehen, um sein einziges Kind einem solchen – Na, Reimer, Sie werden's vertragen können – solchen Bauerjungen an den Hals zu werfen. – Was machen Sie für ein Gesicht? Um solch Mädchen, wie die, kann man sich mehr sagen lassen.

Ich bin ja auch eines Bauern Sohn, sagte Ludolf.

Liebster Freund, rief Herr Wiebeking, mit den Händen lustig durch's Haar fahrend, es sind Leute in Hamburg, Leute, die fest stehen an der Börse, aber vier und zwanzig Stunden vor David auf den Knieen lägen und sich mit seinem Hauptbuche rechts und links auf den Kopf schlagen ließen, wenn er sie nachher aufheben und mit einigen Dutzend Verwünschungen zu seinem Schwiegersohn machen wollte. Der Landvoigt wälzte sich von hier bis Altona, wenn er's erreichen könnte, und was geschieht oft im Leben! Was machen Väter und Mütter für Rabengesichter! Möchten dem Bräutigam lieber einen Stein um den Hals hängen, und finden sich endlich in Alles, werden zuletzt die besten Freunde.

Wenn ich wüßte, daß es solcher Gewalt bedürfte, sagte der junge Mann.

Lirum, Larum! fiel Wiebeking lachend ein, der Alte sagt Ja, verlassen Sie sich darauf, und das ist die Hauptsache. Mit ihm werden Sie leichter fertig werden, als mit ihr. Sie sehen mich groß an? Ich will Ihnen einen guten Rath geben. Bringen Sie ihr so bald wie möglich die romantischen Raupen aus dem Kopf, sonst sind Sie verloren. Sie hat sich knall und fall verliebt, weil Sie ein netter Bursch sind, über Ihren Stand gebildet, der Sohn eines Mannes, der wie ein Acht und Vierziger aussieht.

Er schlug ein schallendes Gelächter auf.

Das wird in kurzer Zeit Alles zusammenstürzen, aber wenn Sie sie erst fest haben, dann zeigen Sie ihr, daß Sie Herr sind. Sie wird Ihnen zu schaffen machen, wenn Sie nicht nach ihrer Pfeife tanzen wollen. Ich bin zufrieden, daß ich meine Marie nahm. Eine Frau wie ein Engel, kümmert sich um nichts, genirt mich nicht, und das ist das Beste, Reimer. Wenn die Weiber uns geniren, wenn sie uns quälen, eifersüchtig, empfindlich, launisch sind, uns zu ihrem Bedienten machen wollen, so hole der Henker selbst eine Million Mark! –

Während in dieser Weise unter den Linden verhandelt wurde, saßen die beiden alten Herren am Tische und verhandelten denselben Gegenstand in anderer Manier. – Herr David Wiebeking hatte hin und her gefragt über die liegenden Gründe Wolf Reimer's, über Vermögensverhältnisse und Familienverhältnisse, und der alte Mann, der wohl wußte, was das bedeuten sollte, hatte ihm ziemlich klaren Wein eingeschenkt.

Der Handelsherr lächelte freundlicher vor sich hin, indem er die Summen zusammenzählte, und schüttelte dann wieder den Kopf, wenn er die rauhe Einfachheit und Aermlichkeit dieses Haushaltes betrachtete. – Nach allerlei vorbereitenden Umschweifen kam er dann endlich zur Hauptsache.

Sie haben also nur den einen Sohn? fragte er.

Es ist Alles, was übrig geblieben ist, sagte Wolf.

Es geht mir ebenso, erwiederte Herr David Wiebeking, sanft lächelnd, indem er beide Hände auf seinen Bauch faltete. Ich habe nur die eine Tochter.

Es entstand eine kleine Pause, der reiche Handelsherr sah wieder in dem großen, stillen Gemach umher, und dann zum Fenster hinaus. – Eine hübsche Gegend, sagte er, feines Land hier, sehr fruchtbar.

Fruchtbar durch unseren Fleiß, Herr, antwortete Wolf.

Aber Sie, rief David, Sie sind wohlhabend, warum wohnen Sie in dem alten Ziegelhause, mitten zwischen Sumpfgräben? Es muß Fieber hier geben; und das ganze Ding liegt auf einer Hand voll Erde zusammengepreßt. –

Er schüttelte sich, als fühle er schon das eisige Gruseln.

Die Reimer geheißen, haben alle hier gewohnt, antwortete Wolf.

Was heißt das? fuhr Wiebeking fort. Ich habe auch ein altes Haus von meinem Vater geerbt, habe es niederreißen lassen, und ein neues gebaut.

Es wird nimmermehr geschehen, sagte der alte Mann streng. Ich bin geboren worden in den alten Mauern und werde darin sterben.

Hm! meinetwegen, Jeder nach seiner Art, erwiederte der Handelsherr. Ich habe auch meine Eigenheiten, esse nichts lieber als meine Suppe, mein Rindfleisch und mein Rundstück; aber die jungen Leute denken anders. Na, wir haben Beide genug, um ihnen zu geben, daß sie es machen können. Ist es nicht so?

Wenn mein Ludolf heirathet, bekommt er den Hof und Alles, was dazu gehört, sagte Wolf.

Was bringt er jährlich? fragte der Kaufmann.

In Mitteljahren mit dem Grashof an der Eider und dem Land in den Kogen werden's nicht unter viertausend Thaler sein.

Und ein guter Pächter würde fünftausend Thaler geben können?

Der alte Reimer sah ihn starr an.

Fünftausend Ihr und ich das Doppelte, macht fünfzehntausend, sagte sein Nachbar bedächtig. Damit läßt sich auskommen. Sollte noch etwas fehlen, so schießen wir Beide zu.

Was meinen Sie, Herr? Was soll's? Wer schießt zu? rief Wolf.

Pst! nicht so laut, antwortete der Handelsherr, seine fette Hand auf die Faust des Bauers legend. Wir können die Sache in aller Stille abmachen, wie es bei mir Sitte ist. Wissen Sie darum, daß meine Tochter – es ist einmal ein Factum – seufzte er leise, Ihren Sohn heirathen will?

Reimer nickte ihm stumm zu.

Nun also, fuhr der Kaufmann fort. Sie heirathet ihn, der Hof wird verpachtet, ich gebe die zehntausend und meine Villa an der Alster, dann mögen sie reisen, wiederkommen, Narrheiten treiben, die Welt ist groß. Vielleicht kommt Einsicht – dann kann er am Geschäft theilnehmen, oder auch ein Narr bleiben – wie er will. Henriette wird sehen, was aus ihm zu machen ist.

Während er sprach, richtete sich Wolf von seinem Stuhle auf, und vorgebeugt, den Arm aufgestemmt, öffneten sich die Flügel feiner mächtigen Nase, als ob ein Sturm im Innern tobte. Sein Gesicht nahm einen strengen und starren Ausdruck an, und seine Augen erhielten einen so drohenden Glanz, daß der Handelsherr, von einer unbestimmten Furcht ergriffen, seinen Platz verließ.

Der Hof wird nicht verpachtet, mein Sohn bleibt hier – die er zur Frau nimmt, wohnt hier; das Ding hier ist gut genug für jede, die er sich aussucht, sagte Reimer hart und langsam. Ein Narr wäre er, wollte er in die Welt laufen; ein Narr, wenn er ein Weib nähme, die etwas aus ihm machen sollte. Was er ist, ist er – hier hat er sein Nest; wem's nicht gefällt, der braucht's nicht zu theilen. Mein Sohn wär's nicht mehr, wenn er anders dächte.

Herr David Wiebeking war keines Wortes mächtig. Er setzte seinen Hut auf und steckte die Hände in beide Taschen, wie er an der Börse immer that, wenn ein Geschäft nicht einschlug. So stand er eine volle Minute, und die beiden Männer sahen sich an, ohne ein Glied zu rühren. Wolf schlug die Arme über einander; David Wiebeking's Hochmuth brach sich an dieser eisernen Starrheit eines Hochmuths, den er nicht fassen konnte, und der noch viel gewaltiger war, als sein eigener.

Bah! rief er endlich, was wollt Ihr, Mann? – Meine Tochter soll hier wohnen? Meine Tochter! Im Bauernhause bei Kühen! Wißt Ihr, wer ich bin? Wißt Ihr, was es bedeutet, wenn sie ihm ihre Hand reicht? – An jedem Finger hängen hunderttausend Mark, und es bleibt dennoch genug übrig.

Und wenn Eure Geldsäcke den Weg pflastern wollten von Hamburg bis an meine Warft, antwortete der Bauer, ich frage nichts darnach. Lieb aber wär's mir, der Junge hätte sich wo anders umgesehen.

Eine dunkle Röthe bedeckte den dicken Kopf des Kaufmanns. Meint Ihr etwa, schrie er auf, ich drängte mich nach der Ehre? – Verdammt soll der Schritt sein – es ist eine Verrücktheit, eine Schande ist es –

Was ist Schande, Herr? fragte Wolf.

Hm! antwortete David Wiebeking bedenklich, ich habe nicht Lust, meiner Tochter Narrheiten weiter zu verfechten. Ich will nach Haus. Hat sie Lust, hier zu leben, so mag sie es thun. – Habe aber doch eine andere Vorstellung von Ihrer Einsicht gehabt, Herr Reimer.

Die beiden jungen Männer kamen vom Garten herein, die Unterredung war beendet, und keiner begann sie wieder.

Nach wenigen Minuten brachen die Wiebekings auf, und nur beim Abschied sagte Henriette's Vater zu Ludolf:

Wenn's Ihnen paßt, kommen Sie Nachmittag herüber; wenn's aber nicht sein sollte, so – guten Tag!

Was hat's gegeben? fragte Ludolf, als der Wagen fort war.

Geh hin, sagte Wolf, und sieh' zu, ob Du als mein Sohn wiederkommst, als ein Mann, der seine Ehre bewahrt, um einem Weibe nachzulaufen, die ihn sonach behandeln wird.

Er drehte sich um und ging über den Hof fort. –


8.

Am Nachmittage ging Fräulein Henriette lachend mit ihrem Vater unter den Bäumen auf und ab, und ließ sich nochmals die ganze Historie seines Aergers erzählen.

Bauern sind immer grob und eigensinnig, sagte er, aber sie haben wenigstens Respect vor reellen Dingen.

Vor dem Geldkasten, rief Henriette.

Vor Männern, die an volle Taschen schlagen können; doch dieser alte Grobian hat einen Dünkel, der mit nichts sich vergleichen läßt.

Er hat nicht allein Geld, er hat auch einen alten Namen, also einen doppelten Dünkel.

Einen Namen! rief der Papa belustigt. Alle Wetter! ja, einen Namen, der von Weßliburen bis Büsum reicht.

Mehr wie Dein Name in Hamburg, sagte das Fräulein. Das alte Haus unter den alten Linden, wo die Reimers seit Jahrhunderten wohnen, ist in diesem Lande bekannter, als Dein Haus, Papa.

Wie ein Hundestall sieht es aus, antwortete der Handelsherr, und von Innen ist es nicht besser. Mit altem Gerumpel ausgestopft, Holzstühle mit Seegraskissen; unser Gärtner ist besser bestellt.

Das läßt sich bald mit Seidenpolstern und Roßhaarsitzen verbessern, lachte sie.

Was Henriette? Was Mädchen? schrie David auf, indem er stehen blieb. So weit wird Deine Tollheit doch nicht gehen, um in diese Kajüte zu ziehen und am Sumpffieber zu sterben!

Fräulein Henriette nickte schelmisch. – Sehe ich recht, rief sie, da kommt Ludolf. – Sei ohne Sorge, Papa, mische Dich in nichts, höre ruhig zu, wenn Du willst, oder lass' mich mit ihm allein.

Nein, sagte Herr Wiebeking nach einigem Bedenken fest entschlossen, ich will dabei bleiben. Marie ist überdies nach Heide gefahren, und Karl hat zu thun. Ich wollte, daß ich heut noch nach Hamburg zurückkönnte und nähme Dich mit mir.

Du nimmst uns Beide mit, sagte Henriette.

Wen?

Mich und Deinen Schwiegersohn, den dort! lachte sie, indem sie den Arm um den Hals des zürnenden Papa's legte.

Herr Wiebeking schwieg, er sah auf Ludolf, der eben durch die Pforte trat, und sein Mißfallen vermehrte sich. Als ob er es ihm zum Aerger thäte, sah Ludolf so recht wie ein junger Bauer aus den Marschen aus. Ein breitkrämpiger, grober Strohhut mit grünem Bande saß auf seinem Kopfe; eine blaue Halbjacke mit Taschen, aus denen sein Sacktuch hervorguckte, und weite, weiße Leinenhosen bildeten seinen Anzug. Der Hemdkragen war weit übergeschlagen, und um den Hals ein schwarzes Seidentuch lose geschlungen, dessen lange Zipfel durch die Luft flatterten.

Einige Minuten lang waren Vater und Tochter mit der Musterung beschäftigt; auch Fräulein Henriette schien davon überrascht.

Wie ein Matrose sieht er aus, der seinen Lohn bekommen hat, brummte der Kaufmann verächtlich.

Allerliebst! rief Fräulein Henriette. Willkommen Herr Reimer, Sie wollen sich uns in der Nationaltracht vorstellen, ein Dandy aus Weßliburen. Es ist kleidsam genug für einen jungen frischen Mann. Lieber Papa, das erinnert an das Bild von Lord Byron. Wenn man auf dem Lande wohnt, ist diese Tracht vortrefflich, und wenn ich je dazu Gelegenheit habe, werde ich mit Vergnügen bunte Röcke anziehen, und ein schwarzes Mieder mit weißen Ermeln, wie es Jungfer Auguste Sonntags zur Kirche trägt, worin sie reizend aussieht.

Die Göttin, welche herabsteigt von ihrem Thron und unter den Hirten sitzt, bleibt immer die Tochter des Olymps, sagte Ludolf.

Was sagt mein Papa Jupiter zu diesem feinen Compliment? rief Henriette sich zu ihm wendend.

Schuster bleib bei deinem Leisten! antwortete Herr David Wiebeking in trockenster Weise.

Fräulein Henriette lachte laut auf. – Wenn Sie ihm gefallen wollten, Ludolf, rief sie, so hätten Sie im braunen Rocke kommen müssen, ehrbar zugeknöpft bis ans Kinn, die Schiffslisten und den Nelkenbrecher Johann Christian Nelkenbrecher, deutscher Mathematiker des 18. Jh. und Lehrer der kaufmännischen Rechenkunst; sein Werk »Johann Christian Nelkenbrechers Taschenbuch eines Banquiers und Kaufmanns«, das hier gemeint ist, wurde bis in die Mitte des 19. Jh. immer wieder nachgedruckt. – Anm.d.Hrsg. unter dem Arm, und hinter jedem Ohr eine Federpose Federkiel. – Anm.d.Hrsg..

Was jedenfalls besser wäre, als einen Prügel in der Hand, wie ein wandernder Handwerksbursche, sagte David mit einem Blick auf den langen Stecken von Kreuzdorn, den Ludolf führte.

Pst, Papa! drohte Fräulein Henriette, den Finger aufhebend. Geben Sie mir Ihren Arm, Ludolf, und erzählen Sie mir, was Ihr Vater Ihnen mitgetheilt hat.

Kein Wort, sagte der junge Mann. Er hat mich hergeschickt, um von Ihnen zu erfahren, was sich in unserem Hause zutrug.

So will ich Ihnen mit dürren Worten eröffnen, fiel Herr Wiebeking ein, daß Ihr Vater ein Mann ist, mit dem – es ist ein Unsinn, ich kann mich nicht weiter damit einlassen!

Still, Papa, ich will mich damit einlassen, unterbrach ihn das Fräulein. Ihr Vater, Ludolf, ist, wie alle Väter, hartnäckig und eigenwillig.

Ja, das weiß Gott! rief Wiebeking.

Aber er wird weich und gütig werden, wie mein lieber Papa, wenn er sieht, es geht eben nicht anders. – Er hat nichts dagegen, wenn Sie mir die Ehre anthun, mich zu heirathen; aber er ist etwas zu gütig für mich gesinnt. Er verlangt, daß ich, immer das Vergnügen haben soll, in seinem Hause zu wohnen.

Ich konnte es mir denken, sagte Ludolf.

Im Fall Sie jedoch ohne diese Bedingung mir anhängen, mir folgen, mich begleiten, wie es in der Bibel steht –

Da irren Sie, rief Ludolf lachend, genau das Umgekehrte steht da. Die Frau soll Vater und Mutter verlassen, und dem Manne folgen.

In unserer aufgeklärten Zeit hat der Mann keine Vorrechte, antwortete Henriette. Wenn Sie also meine Liebe über seine Autorität setzen, so will er Sie enterben.

Das wird er ganz gewiß thun.

Wirklich? Das ist dramatisch! rief Fräulein Henriette. Aber er wird bei der Versöhnung, wenn er sich in sein Schicksal gefunden hat, um so liebenswürdiger sein.

Wenn Sie meinen Vater kennten, antwortete der junge Mann, würden Sie überzeugt sein, daß er mir niemals vergiebt.

Glauben Sie, Ludolf? – So würde es tragisch! – Und was bleibt übrig?

Das schwarze Haus da drüben und sein Segen, sagte Ludolf, indem er mit dem Stab hinüber deutete.

Schauderhaft! rief Fräulein Henriette. Meine Cousine Marie, die so genügsam ist, wie ein Kind, und wenigstens den Winter in Hamburg lebt, möchte um keinen Preis hier immer wohnen. – Es bleibt nur Eines, Ludolf. –

Sie sah mit ihren großen, glänzenden Augen an ihm auf und lächelte ihm zu, als wollte sie ihm Muth machen. –

Es ist schwer, sagte sie, einen Vater zu entbehren, aber selbst auf diese Gefahr hin müssen wir unsere menschliche Freiheit und unser Glück bewahren. Sind Sie wirklich fest überzeugt, daß Ihr Vater weder Ihren noch meinen Vorstellungen nachgeben wird?

Er wird es niemals thun, erwiederte Ludolf.

So begleiten Sie uns, fuhr Henriette fort, wir kehren noch heute nach Hamburg zurück. Ich reiche Ihnen meine Hand, mein gütiger Papa wird auch Ihnen Vater sein. Er hat genug für uns Beide, genug, um seiner Tochter Wünsche zu erfüllen.

Der gütige Papa stieß einen Ton hervor, der aus der tiefsten Kehle heraufgurgelte, als wollte er ersticken, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, als sei er wirklich seinem Ende nahe. Er schnappte nach Luft, krümmte seine Finger zusammen, und stierte den aufgedrungenen Sohn mit grimmiger Verachtung an.

Fräulein Henriette, sagte Ludolf lächelnd, ich fühle mich von Ihrem Vertrauen beglückt und hoch geehrt, aber kann es sein, daß ich, einfach wie ich bin, eines Landmannes Sohn, so gering mein Stand, so mannigfach vernachlässigt meine Bildung, dauernd Ihre Liebe erwerben könnte?

Herr David Wiebeking nickte heftig mit dem Kopfe. –

Da sitzt es, rief er, das ist die Sache!

Ist es mehr als ein augenblickliches Gefallen, fuhr Ludolf fort, mehr – wie soll ich sagen – als eine romantische Neigung, lieben Sie mich in Wahrheit, dann steht da drüben mein Haus, hier ist mein Land, hier ist der Ort, wo ich leben und glücklich werden muß.

Und da kannst Du nicht leben, da willst Du nicht leben! schrie der Papa seiner Tochter Arm fassend.

Können Sie glauben, sagte Ludolf, daß ich, ein Bettler, ausgestoßen von meinem Vater, Ihnen folgen soll, um vom Gelde meiner Frau im Müssiggange zu leben? Ein abhängiges Werkzeug, ein untergeordneter Mensch, den Sie zu sich emporgehoben haben, und der Ihnen bald lästig werden würde?

Verständig gesprochen, fiel der Handelsherr ein. Es ist Verstand in diesem jungen Mann. Höre ihn, Henriette!

Niemals, rief Ludolf, sich aufrichtend, soll man mich verachten, niemals sollen die Angehörigen meiner Frau, vielleicht wohl diese selbst, sich meiner schämen. Es ist ein Irrthum mit uns, Fräulein Wiebeking. Ich glaubte eine kurze Zeit, es könnte möglich sein, daß eine edle schöne Dame zu mir herabsteigen und mein bescheidenes Glück theilen könnte. Sie glaubten mich zu sich heraufzuziehen, und aus dem Bauer einen Herrn machen zu können. – Wir gehören aber zwei verschiedenen Welten an – Sie der besseren, das will ich nicht sagen – aber zwischen beiden liegt eine Trennung, die nicht aufzuheben ist. – Schenken Sie Ihr Herz einem Mann, der Ihnen näher steht, als ich; der nicht fürchten darf, was ich fürchten muß. – Machen Sie Ihren Vater glücklich, und wählen Sie den Landvoigt, der Ihnen Rang, hohe Stellung und ein reiches Leben sichern kann.

Richtig! richtig! rief Herr David Wiebeking mit frohen Mienen. Die Rechnung stimmt! Stimmt auf den Schilling!

Fräulein Henriette stand schweigend neben ihrem Vater, sie lächelte hochmüthig und ihre Stirne röthete sich. Plötzlich machte sie ihren Arm frei und wandte sich um.

Sie sind ein Narr! sagte sie, indem sie dem Hause zuging.

Sie sind ein gescheuter junger Mann, schrie Herr Wiebeking. Es ist mir lieb, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. – Ich bin Ihr Freund, bin dankbar. Brauchen Sie einmal Geld, kommen Sie zu mir.

Ludolf schüttelte den Kopf und legte beide Hände auf seinen großen Kreuzdornstecken.

Ich brauche nichts, rief er. Weisheit ist so wohlfeil, wie Narrheit auf der Welt. Dem Einen ist's dies, dem Anderen ist's Jenes. Wie wär's, Herr Wiebeking, wenn ich doch Ihr Schwiegersohn würde?

Abgeschmackter Bursche! brummte der Handelsherr, und ohne weiteren Gruß, die Hände in seine Taschen steckend, ging er seiner Tochter nach.

Ludolf blieb ein Weilchen stehen und sah das Haus an. –

Da darf ich nicht mehr hinein, lachte er, es ist vorbei mit mir; aber weil's eben das letzte Mal sein soll, muß ich noch Eins versuchen. Er ging durch das Gehege und trat in den Hof. Am anderen Ende lag das Wirthschaftsgebäude. Niemand ließ sich sehen.

Als er unter den Fenstern hinging, hörte er laute Stimmen und blieb stehen. Ein paar Minuten lang horchte er. Herr Karl Wiebeking sprach und flüsterte in dem Vorrathsraume, dann ließ sich Jungfer Auguste scheltend vernehmen. Aus dem Schelten wurde ein Geflüster, dem Geflüster folgte ein Schreien, und mit drei Sätzen war Ludolf im Hause und stieß so heftig an eine Thür, die Innen verriegelt war, daß Riegel und Kramme herausflogen.

Da stand die Haushälterin mit flammenden Augen und glühendem Gesicht. Ihre schwarzen glänzenden Flechten hingen auf ihren Schultern, und Herr Karl Wiebeking hielt sie fest und hatte beide Arme um ihren Leib geschlungen.

Im nächsten Augenblick jedoch ließ er mit einem fürchterlichen Fluche los, denn der Kreuzdornstecken knallte über seinen Rücken hin, und Ludolf hielt das Stück ungebrannte Asche so drohend über seinem Kopfe, daß er in eine Ecke davor flüchtete.

Du wagst es, mich anzurühren?! schrie er, die Hände ballend und mit dem Anstand, als wollte er sich auf den Angreifer stürzen.

Komm heran, sagte Ludolf, und ich will Dich zeichnen, Du Schelm. Ich will Dich brandmarken vor allen Leuten, wie Du es verdienst.

Aus dem Hause! schrie Wiebeking. Aus meinem Hause! Meine Knechte sollen Dich in den Pfuhl werfen.

Ruf sie, sagte Ludolf, ich will's abwarten. Werde aber gehen ohne sie; ich mag nichts mit Euch weiter gemein haben. Nur Eines will ich fragen, ob die Jungfer mit mir gehen oder bleiben will?

Jungfer Auguste hatte sich aufgerafft, ihr Haar befestigt und ihre Kleider geordnet. – Sie nahm das Schlüsselbund und warf es vor Wiebeking's Füße.

Nicht eine Stunde, sprach sie, will ich länger bleiben, ich kann's nicht. Lange habe ich's im Stillen ertragen und wollte fort, so bald sich's thun ließ. Jetzt muß es geschehen; ich denke, Herr, Sie müssen es selbst billigen.

Geh zum Teufel! schrie Herr Karl Wiebeking. Dem Bauernbengel da will ich's gedenken. Ich will Dich schon treffen, Du sollst es nicht umsonst gethan haben.

Zu diesen und anderen Drohungen lachte Ludolf, und keine Viertelstunde war nöthig, so hatte Jungfer Auguste ein Päckchen mit dem Nothwendigsten unter dem Arm, ihren Kasten verschlossen, der abgeholt werden sollte, und ihren Strohhut auf dem Kopf. – Der Gutsherr warf die Thür mit einer letzten Drohung hinter Beiden zu, und der frische Wind wehte ihnen aus der grünglänzenden Marsch entgegen, als sie aus dem Hause traten.

Gerade wie damals, als Ludolf mit Klaus in die Watten ging, lag eine schwarze Wand über dem westlichen Himmel, und die Sonne tauchte in blutrothe Nebel, die über den blassen Himmel flatterten. – Eine Zeit lang gingen die Beiden, ab und zu leise sprechend, neben einander her, endlich verstummten sie ganz; jeder schien für sich nachzusinnen, bis sie endlich an den Scheideweg kamen, der hier auf Reimer's Hof, dort nach Weßliburen hinab führte.

Ludolf stand still und sah auf seine Begleiterin. –

Wo nun hinaus, Jungfer Auguste? fragte er.

Weiß ich's? erwiederte sie. Ich will meinen Pflegevater aufsuchen, in den Hütten an den Kogen. Gott wird weiter helfen.

Es entstand wieder eine Pause. Plötzlich ergriff Ludolf ihre Hand und sagte hastig:

Du sollst nicht fort. Ich will Dich nicht lassen. Komm mit.

Wohin? fragte sie.

Vertraust Du mir? antwortete er. Hast da meine Hand, halte sie, ich meine es recht.

Sie antwortete nicht, aber sie folgte ihm.

Habe keine Furcht, sagte er entschlossen. Mein Vater ist ein harter Mann, aber er will Dir wohl, und meinen Willen habe ich auch.

So sprechend erreichte er mit ihr den Hof, trat in das alte Haus und führte sie in das Wohnzimmer. – Der alte Reimer ging darin mit großen Schritten auf und nieder. Die Fenster waren geöffnet, der rothe Sonnenglanz, gebrochen von den Zweigen und Schatten der Linden, fiel in das Gemach und überglühte Wände und Geräthe, und den alten, riesigen Mann, der sein Gesicht aufhob und stillstand, als er die Eintretenden erblickte.

Seine strengen Augen hefteten sich zuerst auf das Mädchen, dann auf seinen Sohn, und eine unheimliche Ahnung schien ihn zu überkommen. – Wer ihn ansah, konnte keinen Muth finden. – Die harten Züge regten sich für keine Empfindung; seine borstigen Brauen zogen sich an der Nase tief zusammen.

Vater, sagte Ludolf, ich habe es gefunden, wie ich dachte. Mein Ernst ist es nimmer gewesen, ich habe nur aufgedeckt, was in mir war. Auf der Warft ist mein Platz, den will ich behalten.

Und die dort, antwortete Wolf, den Arm ausstreckend. Was ist es mit der?

Die Jungfer habe ich mitgebracht, fuhr Ludolf fort, sie wollte und konnte nicht länger bei Wiebeking bleiben.

Was soll's? fragte der Alte rauh und scharf, als er bemerkte, daß sein Sohn dem Mädchen die Hand bot und sie näher führte.

Will's Dir sagen, Vater, sprach Ludolf fest. Sonderbar ist es mir überkommen, als ich sie zuerst sah. Dann auf dem Markt in Weßliburen hat sie mir besser gefallen, wie irgend Eine, und heut weiß ich's gewiß, das ist eine Frau, wie ich sie brauche. Die Beste im Lande wird's ihr niemals gleich thun.

Wer bist Du? fragte Wolf, ohne sich vom Platze zu rühren, aber seine Augen glühten. Wo bist Du her? Wer sind Deine Eltern?

Gott weiß es allein, antwortete sie, und indem sie ihn plötzlich anblickte, fügte sie hinzu: Ihr wißt es am besten, Herr, wem ich die Erhaltung meines Lebens zu danken habe.

Ein grimmiges Lachen flog über den Mund des Alten. Und wer bist Du? rief er seinem Sohne zu.

Ich denke, Vater, Du darfst nicht fragen, antwortete Ludolf.

Bist ein Reimer, trägst meinen Namen, und willst eine Dirne in mein Haus führen, auf die alle Leute mit Fingern zeigen? Die ausgeworfen ist von der See und nichts hat, nicht einmal einen ehrbaren Menschen, der sagen kann, ich gehöre zu ihr!

Vater, schrie Ludolf auf, höre mich an!

Nichts da, Du Narr! antwortete Wolf Reimer, und wie ein Bild von rostigem Eisen blickte der gewaltige Mann ihn an. – Fort, Dirne, schlecht wie Du bist, aus meinem Hause. – Fort mit Dir, oder es soll Dich reuen!

Ohne ein Wort zu erwiedern, wandte das Mädchen sich um und ging hinaus. Ludolf wollte ihr nach, aber beim ersten Schritte stürzte sich sein Vater auf ihn und schleuderte ihn von der Thüre.

Du bleibst! sagte er mit dumpfer Stimme, und sollte ich mit meinen Händen Dich erwürgen – Du bleibst! – Deine Schande soll nicht meine Schande sein. Besser todt, als so zu Schimpf und Spott geworden.

Mein Wille gegen Deinen Willen! schrie Ludolf sich aufrichtend. Meine Ehre gegen Deine Ehre! Ich bin ein Mann geworden, ich habe mein Recht, ich will nicht von ihr lassen.

Willst Du – willst an Deinen Vater, Bube?! sagte Wolf, seinen Arm schüttelnd.

Vater und Sohn standen sich gegenüber. Die düstere Röthe des Himmels lag auf ihren Gestalten. Das weiße Haar des alten Mannes sträubte sich auf, Muskeln und Adern traten dick hervor; eine fieberhafte Wuth durchbebte ihn, als er auf die flammenden Augen und in das todtenbleiche Gesicht seines Sohnes sah.

In diesem Augenblicke dröhnte das Haus von einem Donnerschlage, und ein Feuerballen fuhr aus den Wolken. Ein Sturmstoß zerschmetterte die offenen Fenster. Finsterniß und herabstürzender Regen kamen urplötzlich. – Wolf ließ den Arm sinken und wandte sich ab. –


9.

Eine Woche lang war das Wetter böse. Ein grauer Sturm- und Regenhimmel hing auf Dithmarschen; an den Deichen brüllte die See und manche Nachrichten liefen um von Unglücksfällen, Schleusenbrüchen, schweren Schäden an den kostbaren Schutzwerken, zertrümmerten Fischerböten und Verlust an Menschenleben.

Das waren aber Dinge, die Niemand sehr erschrecken konnten, weil man sie genugsam kannte; trübseliger als an der menschenfeindlichen See sah es auf Wolf Reimer's Hof aus. Seit jener Stunde, wo Ludolf vor seinem Vater stand, war eine schlimme Veränderung mit ihm vorgegangen. – Sein frohes Gesicht war verschwunden, er lachte nicht mehr; er blieb einsam in seinem Zimmer, kam nur, um sich an den Tisch zu setzen, meist ohne dem Essen zuzusprechen, ohne durch seine heiteren Fragen und Scherze die Munterkeit aufzuwecken, die wohl auch seinen Vater ergriffen hatte. –

Die Leute wußten nicht, was es war; aber sie sahen, daß ihren alten Herrn sowohl wie den jungen etwas Schweres drücken mußte. Sonst hatte er oft auf Ludolf stolze Blicke gerichtet, jetzt sah er ihn finster und flüchtig an. Was Beide sprachen, war kurz und ging nicht über das Nothwendige, und wenn Einer dem Alten sagte: sein Sohn sei krank, fuhr er auf und gab harte Antworten.

Spät Abends jedoch, wo Wolf sonst längst schlief, sahen sie noch Licht, sowohl oben im Erker, wo Ludolf wohnte, wie unten im Wohnzimmer, das darunter lag. Sie hörten die Schritte des alten Mannes, wenn er auf und ab ging, und durch die Thürspalte konnte die Haushälterin ihn betrachten, wie er am Tische allein saß, sein greises Haupt auf die Hand gestützt, ingrimmig und doch auch kummervoll nach der Decke aufschauend, und auf jedes Geräusch horchend.

Endlich kam Klaus auf den Hof, seinen Hakenstock in der Hand, seinen Sack auf dem Rücken, und handelte im Hause um ein paar Dorsche, die er im Netze mitgebracht hatte. – Als Wolf die Stimme des Schlickläufers hörte, stellte er sich an die Thür, aber drei Mal hob er die Hand auf und drei Mal besann er sich, ehe er sie öffnete und hinaussah.

Friede in's Haus, Herr, sagte Klaus. Das Wetter wird gut.

Wolf Reimer nickte und wartete dann, bis der Handel fertig war. Komm herein, sagte er, setz' Dich, trink einmal. Wie sieht's an den Deichen aus?

Wild genug, antwortete der Bettler. Seht's Euch an, Herr. Die Stürme haben die Watten zerwühlt, wie seit vielen Jahren nicht. Ein ganzes Stück ist von den Dünen fort, und vor der Bucht von Büsum liegt der Schlick hoch aufgespült.

Bist hinausgewesen? fragte der Hofbesitzer.

Gestern, sagte Klaus. Ebbe und Fluth kamen unregelmäßig, es könnt' es keiner wagen. Alles umgekehrt, Herr, Alles voll neuen Rinnen, bloßgelegt und aufgerissen, was tief unten war. –

Und machst Dich davon? sprach Wolf.

Ich möchte hinüber nach Friedrichsstadt, erwiederte der Bettler, seine dünnen Lippen zu einem Lächeln verziehend.

Reimer sah ihn scharf an und stieß mit dem Fuß an den Sack. – Bringst den Juden etwas zum Kauf? fragte er.

Ohne eine weitere Antwort steckte Klaus seine Hand hinein und holte einen Gegenstand hervor, der wie ein Stein aussah. Doch unter der schwärzlichen, unregelmäßigen Außenseite schimmerte es gelb und klar, und als der Schlickläufer den Klumpen gegen das Licht hielt, funkelte es durchsichtig darin, hell wie Gold.

Es war ein Stück Bernstein von großer Reinheit, das wenigstens eine gute Hand voll Thaler werth wer. – Wolf prüfte das Gewicht, er fand es leicht und nirgends einen Riß. Der Geist des Besitzes regte sich in ihm. Wo hast's aufgepickt? begann er nach einer Weile.

Wo mehr liegt, rief der Bettler lachend. Ihr kennt den Ort gut genug, wir sind mehr als einmal dort gewesen; aber Ihr seid reich, was liegt Euch an einem ganzen Nixenhaus von Bernstein. Habt des Segens genug, und einen Sohn obenein, schmuck, schlank und bei Allen beliebt. Wo ist der Herr Ludolf?

Der alte Reimer antwortete nicht, er ging an die Gewichtsuhr, sah auf das alte Barometer, das daneben hing und kehrte wieder um.

Wie ist's mit der Dirne? fragte er halblaut.

Ihr meint mein Pflegekind? sagte Klaus. Dank, Herr, die ist bei guten Leuten. Liegt freilich etwas krank noch nieder, weil's arme Ding mitten im Gewittersturm auf offenem Wege war, doch jetzt geht's besser. – Von dem Wiebeking hat sie Kasten und Geld bekommen; er mochte sie auch wieder haben. War zweimal bei ihr. Aber es ist ein wüster Mensch, sie will nicht. Eine Dirne, wie die, findet bald den Tisch, ihre Füße darunter zu stecken.

Wolf sagte nichts dazu, er schien etwas zu überlegen. –

Ihr habt doch gehört, fragte der Bettler weiter, daß unser Landvoigt fortkommt nach Altona in hohe Stelle, und daß er die reiche Jungfer Wiebeking aus Hamburg heirathet? Heut ist ein Abschiedsfest auf dem Hofe. Viele Leute aus Heide und rund umher sind eingeladen. Seit nicht dabei, Herr?

Hör zu, erwiederte der Alte, ich will Dir einen Rath geben und soll Dein Schaden nicht sein. In Itzehöe habe ich einen Vetter, der soll die Dirne aufnehmen, und wird ihr einen guten Dienst verschaffen. Willst es machen?

Ich kann's nicht sagen, antwortete der Bettler. Was sie thun will, mag sie thun.

So rede mit ihr, fuhr Wolf Reimer mürrisch fort. Es wird gut für sie sein. Will ihr ein Stück Geld in die Hand geben, wenn sie geht.

Geld! rief Klaus. Ihr seid ein stolzer Mann, Herr Reimer, aber es läßt sich nicht Alles mit Geld machen.

Willst bleiben oder gehen? fragte der Alte.

Klaus nahm seinen Sack auf. Es gefällt Euch nicht, sagte er, darum will ich gehen. Lebt wohl, Herr.

Er ging hinaus, und nach einiger Zeit sah ihn Wolf jenseit der Warft. Ludolf hörte er über sich; am Abend blieb er allein mit seinen Gedanken, sein Sohn lag im Bett, wie die Haushälterin berichtete.

Am nächsten Morgen aber war Reimer schon früh auf, und als die Sonne die Dünste überwältigte, hatte er den halben Weg nach den Kogen und Deichen zurückgelegt. Auf einem starkknochigen, raschen Pferde saß er so fest, wie ein rüstiger Mann, und lenkte es von dem großen Wege ab, auf schmale Pfade, wo er Gräben und Hindernisse nicht achtete, die sich ihm entgegenstellten. –

Die hohen Eiderdämme blieben zu seiner Rechten, tief unter ihm lag die dampfende Marsch, wie in Schleier gewickelt, die der Wind aufwirbelt, und ein frisches, junges Gesicht zeigt. – Der Luftstrom kam bald kälter, bald wärmer, dicht und grau lag eine Nebelbank vor dem Reiter am Horizont, aber Sonnenblitze brachen durch und zeigten die gelben Dünenköpfe, die vorgebirgartig an der Eidermündung sich ausstreckten.

Nach einiger Zeit trat das Pferd weich in den Flugsand, dessen Wellen leise rieselnd die Hufspuren ausfüllten. Brombeerranken und hart schilfige spärliche Halme tauchten da und dort aus der Decke auf; kleine Thäler und kleine Hügel senkten und hoben sich in diesem Reiche des Todes; das Schnauben des keuchenden Pferdes war der einzige hörbare Laut.

Endlich hielt der Greis an der Balkenhütte hinter dem Dünenkamm und schaute durch das zerbrochene Fenster hinein. Auch da war kein lebendiges Wesen. – Nach einigen Augenblicken stieg Wolf ab, das Roß blieb geduldig stehen. Er öffnete den Holzriegel an der Thür, trat hinein und kam mit einem Hakenstock zurück, den er aus der Ecke genommen hatte. Als er wieder im Sattel saß, richteten sich seine Blicke auf den alten Tisch, der in der Hütte stand, und er sah ihn an und murmelte etwas, was Niemand hören konnte, dann ritt er auf die Höhe der Düne, hielt dort an und schaute umher. Vor ihm in der Tiefe lagen die Watten kalt und still im matten Sonnenschein.

Wolf prüfte ihr Ansehen und schüttelte den Kopf. Es war so, wie Klaus gesagt hatte; die Stürme mußten wild gewüthet haben. Da waren weite Rinnen und Löcher aufgerissen, überall wo sonst keine gewesen. Die Seitenwand der Düne war fortgespült, Muscheln, Steine und Trümmer lagen an anderen Orten hoch aufgeworfen. Der alte Mann sah nach seiner Uhr und dann in die Weite hinaus, und er besann sich, ob er hinunter sollte, denn ein graublauer Kreis hüllte die Ferne ein, da und dort dampfte der zerklüftete Boden, doch diese Dämpfe zerrannen, so wie sie aufstiegen. –

Nach einigem Bedenken war er unten, und sein Pferd antreibend, ließ er es rasch auf der harten Bank fortlaufen. Das Thier senkte den Kopf nieder und schien seine eigenen Schritte aufmerksam zu prüfen, als traue es ihnen nicht. Es spitzte seine Ohren und schnaubte laut, während es über die Rinnen sprang, und die breiten Wasserlöcher zu vermeiden suchte. Nach und nach wurde der Schlick weicher, Wasser und Erdstücke schleuderten nach allen Seiten; das Roß stampfte stärker auf und schüttelte sich, als wollte es seinen Herrn mahnen; allein dieser achtete es nicht, bis er endlich vor sich ein breites Gerinne sah, und in die Zügel faßte.

Er hielt an, und blickte das Wasser an. – Hier muß es gewesen sein, sagte er, und das ist der Ort, den der Narr meinte. –

Er richtete seine Augen auf den Boden nieder und stieg ab, indem er kleine schwarze und bunte Steine aufhob, die am Rande der Rinne lagen.

Es ist Bernsteingesplitter, murmelte er vor sich, indem er den Hakenstock faßte, und ohne ein weiteres Wort schlug er in den Schlamm ein und riß ihn auf. Seine mächtigen Schläge wiederholten sich eine Zeit lang ohne Erfolg. Nur Schlick und Muschelstücke und schwarze Fadenwürmer brachte seine Arbeit zum Vorschein, plötzlich aber fiel der eiserne Haken mit solcher Gewalt auf einen harten Gegenstand, daß er zerbrach. – Hinter dem greisen Mann stemmte das Pferd seine Füße fest und streckte, die Nüstern weit öffnend, seinen Hals aus. – Wolf hatte den zerbrochenen Stock mit einem Fluche fortgeworfen, er fiel auf seine Kniee nieder, und seine nervigen Hände gruben gierig den nassen Schlamm zur Seite.

Jetzt faßte er auf den harten Gegenstand, und seine Anstrengungen verdoppelten sich, seine Augen funkelten, als er inne wurde, was er aufgefunden hatte. – Es war kein Stein, wie er Anfangs meinte, es war ein kleiner viereckiger Kasten, mit rostigen Metallbeschlägen und einer Kramme, die nach oben stand; in demselben Augenblick aber, wo der alte Mann seinen Fund mit aller Kraft heraushob, sprang er entsetzt auf, und ober ihm prallte das Pferd zurück. Ehe er es halten konnte, hatte es sich aufgebäumt, einen gewaltigen Satz zur Seite gemacht, und nun lief es, was es laufen konnte, gerade aus in die Watten hinein, ohne auf den Ruf seines Herrn zu achten.

Eine kurze Zeit stand Wolf, seine Augen starr auf die Grube geheftet. Mit dem Kasten hatte er ein großes Stück Erdreich zur Seite gerissen, und deutlich sah er die Umrisse eines menschlichen Körpers, der darunter lag. Ein Arm und eine Hand ragten auf, die seinen Raub noch im Tode festgehalten hatten; langes Haar lag über einem Kopf, von dem nichts übrig war, als eine unförmige Masse. – Ein Grauen ging durch seine Brust; er that einige Schritte zurück, dann sah er nochmals hin. Schwarzes Wasser quoll in der Grube auf und bedeckte das Gebein. Seine Augen suchten sein Pferd, er erblickte es in weiter Ferne, und hastig nahm er den Kasten unter den Arm, sprang über die Rinne, wo diese am schmalsten war, und lief dem Thiere nach.

Nach einer Weile war er erschöpft. Der Kasten war nicht ganz leicht, der Schweiß lief von seiner Stirn; es schien ihm nutzlos, das flüchtige Roß zu verfolgen, und doch mochte er es nicht aufgeben. Er sah nach der Küste zurück, und zu seinem Schrecken konnte er sie nicht mehr erkennen. Dünen und Deiche waren in Nebel gewickelt, nach dem Meere zu war die Luft frei, aber er wußte gut genug, wie bald sich das ändern konnte. Er blickte auf das Wasser in den Löchern und Rinnen, sie waren bis nahe an den Rand voll; in einer halben Stunde mußten sie überlaufen. – Ohne sich zu bedenken, kehrte er um, und lief der Nebelbank zu; doch noch war er nicht weit, als der Boden um ihn her zu rauchen begann, als wären böse Geister unter ihm beschäftigt, die jede Spalte und Fuge öffneten, und geheimnißvolle Schlingen um seine Füße legten. –

Eine sonderbare Angst kam über ihn. So weit er blicken konnte, hüllten sich die Watten ein. Er sah über eine graue endlose Wüste, die still an ihm heraufkroch und ihn verschlang. Erst bis ans Knie reichend, stieg sie an seinen Leib und schlug nach wenigen Minuten über seinem Kopf zusammen. Einige Augenblicke lang sah er die Sonne noch hell, dann roth, dann dunkelbraun, und dann löschte sie aus in schwärzlicher Dämmerung; auf wenige Schritte war nichts mehr zu erkennen.

Die Angst wuchs in dem Hofbesitzer, denn bald stand er an tiefen Rinnen, die er umgehen mußte, bald in Löchern, in denen das Wasser sich düster kräuselte, weil es wuchs. Er wußte nicht mehr, ob er die rechte Richtung halte, ob er dem Lande zulaufe, ob nicht der See zu, deren dumpfen Ton er kann und wann zu hören glaubte. Zuweilen stand er still, um auf den Wind zu achten, aber es regte sich kein Hauch, kein Vogel schrie; wie ein lebendig Begrabener drang kein Laut zu ihm. Er erhob seine Stimme zu einem Hülfsschrei, aber es kam ihm vor, als könne sie nicht die beweglichen Mauern zerbrechen, die ihn schweigend einschlossen.

Plötzlich fiel er in einen tiefen Pfuhl, und als er aufsprang, wußte er nicht, gar nicht mehr, woher er gekommen war und wohin er nun sollte. In seiner Noth flüsterte er ein Gebet, und alle seine Sünden traten vor sein Gewissen. Er blickte auf, und es dünkte ihn, als sähe er blasse Gesichter, die ihn anschauten. Er dachte an seinen Sohn, an sein Geld, an sein Ende, und wieder begann er zu laufen, bis seine Sinne sich verwirrten.

Athemlos hielt er ein und dachte nach. Sein Mannesmuth überwältigte die Schrecken. Er suchte umher, was er thun müsse, er horchte und merkte auf alle kleinen Zeichen, er bat zu Gott, ihn zu erlösen und strengte seine Stimme an; aber Alles vergebens; nach wenigen Minuten faßte ihn die Angst von Neuem mit wilder Fieberglut. Er glaubte die Fluth zu hören, wie sie, leise plätschernd und große Blasen voranschickend, aus den Boden stieg; er glaubte zu fühlen, wie der Sand unter seinen Tritten sich in Wasser auflöse, und sein Schreien wurde zum Gebrüll, seine Verzweiflung machte ihn unfähig, zu überlegen.

In dieser äußersten Noth drang eine Stimme zu ihm, die ihm die Stimme eines Engels zu sein schien. – Zagend horchte er auf, und ein Strom neuen Lebens drang in den alten Mann, als er sich nicht getäuscht sah.

Wo? Wo?! schrie er auf. Helft hier! Helft hier!

Nach einigen Augenblicken sah er eine Gestalt neben sich, die ihn am Arm ergriff. Es war ein Weib – ein schwarzes Tuch war um ihren Kopf gebunden – es war das Pflegekind des Schlickläufers.

Kommt, rief sie, wir suchen Euch lange, Herr. Euer Roß ist wohlbehalten. Gott sei gelobt! daß er Euch bewahrt hat.

Vater! schrie eine andere Stimme, und eine zweite Gestalt näherte sich. Es war Ludolf, der seine Arme um ihn schlang, ihn herzte und drückte. –

Reimer ließ sich weiter führen, ohne Verwunderung zu äußern, seinen Sohn hier zu finden. Nach einiger Zeit wurde der Nebel leichter, und da lagen die Koge im matten Lichte, da lagen die hohen Deiche mit ihren Strohstickungen, da ging es hinauf an dem Schleusenwerk, und oben stand der alte Klaus, der seinen Hut schwenkte. Jenseit befanden sich ein paar ärmliche Hütten, aus deren vorderster dünner Rauch aufstieg. An der Seite unter dem Schirmdache erblickte Wolf sein entlaufenes Pferd, über dessen Hals ein anderes den Kopf reckte, das Ludolf zu reiten pflegte.

Im Triumphzug wurde der Greis in die Hütte geführt. Jungfer Auguste zog einen großen Holzstuhl an den Herd, schob die Seegraskissen schnell zurecht und lehnte sorgsam den erschöpften Mann hinein, der sich alles gefallen ließ. Rasch sprang sie dann zum Feuer, brachte Thee und trug liebevolle Sorge. Die Blicke des alten Mannes begleiteten sie; er ließ die Anderen noch immer sprechen, während er nur stumme Zeichen gab.

Ruht aus, Herr, sagte Klaus, Ihr sitzt auf meinem Stuhl, davon soll Euch Niemand vertreiben. – Habt einen Kasten gefunden, und habt ihn festgehalten in aller Noth. – Muß einmal ein schmuckes Ding gewesen sein. Ich will die Augen verlieren, wenn's nicht Beschläge von Silber sind.

Wolf schaute den Kasten an, der auf seinen Knieen stand.

Alle sahen darauf hin, und viele Fragen folgten.

Macht ihn auf, schrie Klaus, seht zu, was darin ist.

Thu' Du es, sagte der Alte, indem er den Kasten dem Mädchen gab, die bei ihm stand.

Der Deckel war verschlossen, allein er gab bald nach; das mürbe Holz brach zusammen. Schlamm und Schmutz lag oben, und eine Masse, die Papier gewesen sein mußte, doch längst vermodert war, folgte nach. Unter dieser Hülle aber lagen große Geldstücke; einst in Rollen gepackt, reihten sie sich dicht zusammen. Blind und grünlich, wie sie waren, wurde ihr Werth doch sogleich, selbst von dem Bettler, erkannt. – Er schlug die Hände zusammen und schrie laut auf. –

Es ist eitel Gold, Herr, das helle, richtige Gold!

Französisches Gold, sagte Ludolf, es sind lauter Vierzig-Frankenstücke.

Heh, Herr, sprach Klaus, sich zu Wolf Reimer wendend, soll es nicht ein französisches Schiff gewesen sein, die Bark, die damals verloren ging? – Damals – er nickte Reimer zu und sah sein Pflegekind an.

Und was ist das hier? fuhr er fort, und faßte nach einer dünnen Kette, an der ein Kreuz hing, das ganz unten im Kasten lag, den er auf dem Tisch umkehrte.

Zeig' das Ding her, das Du da trägst! Zeig' das Kreuz her, Mädchen!

Mit zitternder Hand zog sie das Kreuz hervor, während Klaus das andere an seiner Jacke rieb und dagegen hielt. Beide waren länglich, von ganz gleicher Größe, hatten dieselben Verzierungen, in der Mitte ein kleines, erhabenes Medaillon, mit einem geflügelten Engelskopfe.

Die passen zusammen! rief Klaus. – Seht her! wem das Kind gehörte, der hat auch das Kreuz getragen, und das Gold hier war sein.

Wo lag es? Wo habt Ihr es gefunden? Was mehr, o lieber Herr! was mehr? rief Auguste bittend.

Nichts, erwiederte Wolf aufstehend. Es lag tief im Schlick auf dem Riff; aber ich glaub's, daß es Dein ist. Nimm es!

Das Mädchen ließ den Kopf sinken, ihre Hände falteten sich langsam. Was soll es mir, sagte sie. Ich habe Niemand. Wer bin ich? Keiner ist da, der mich kennt.

Ein banges Schweigen folgte ihren Worten. Plötzlich that Wolf Reimer einen Schritt und nahm ihre Hand –

Glaubst Du, sprach er, auf seinen Sohn deutend, daß der Dich kennt?

O, Herr! Herr! rief sie – zu ihm aufblickend.

Antworte, fuhr er fort. Glaubst Du, daß er's treu meint? Willst aushalten mit ihm auf Reimer's Hof und ihm anhängen?

Ich hänge ihm an, sagte sie hastig, und kann's nicht lassen.

Hast keinen Vater, hast keinen Freund – nimm ihn hin und komm zu mir. Ich will Dein Vater sein.

Mein Vater! mein Herzensvater! schrie Ludolf auf.

Bleib da! sprach Wolf, ihn mit der Hand abhaltend. Bring sie heim, meinen Segen hast Du.

So ging er hinaus, und gleich darauf hörten sie ihn reiten. – Laßt ihn, sagte Ludolf, die Braut in seinen Armen festhaltend, ich kenne ihn. Er kann's noch nicht fassen, und muß allein sein, muß es weiter mit sich abmachen. Aber was er sagte, ist gesagt, als seine Tochter wird er Dich aufnehmen, und Alles ist gut.

Aber was wär's geworden, sprach Klaus, pfiffig den Finger an seine lange Nase legend, wenn der alte Schlickläufer nicht da wäre? Ich sah den Jammer der Dirne, und konnt's nicht länger tragen. Lockte ihn herunter mit dem Bernsteinklumpen, und that's Euch zu wissen, wie es hier stand. Ich wollt ihm das Herz weich machen, Ihr solltet helfen, da nahm's ein Anderer in seine Hand, und machte es besser, wie es je gelingen konnte. Die Braut nicht allein, auch ein Heirathsgut hat er Euch geschenkt.

Das Gold ist Dein, soll Dein bleiben, riefen Beide.

Gott behüt's! sagte Klaus lachend, ich würde ein Leben voll Sorgen haben. Nehmt's mit, aber wenn's einmal gar nicht mehr gehen will, wenn's Bücken mir allzusauer wird, wenn Krabben und Dorsche und Rochen sich nicht mehr von mir fangen und auflesen lassen wollen, dann gebt dem alten Klaus einen warmen Platz und ein Stück gutes, festes Brot.

Zwei Monate später, als die Octoberstürme über Dithmarschen fuhren, ward in Reimer's Hof das Hochzeitsfest des jungen Paares gefeiert, von dem man lange noch erzählte. Wolf Reimer tanzte den Großvatertanz mit seiner Schwiegertochter, und pries sie laut als sein herziges bestes Kind vor allen Leuten. –

An demselben Tage wurde in Hamburg der Präsident von Hegemann mit der reichen Erbin, Fräulein Henriette Wiebeking, ehelich verbunden.



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