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1.

Ich führe den Leser dieser Blätter an einen ziemlich abgelegenen Ort im nördlichen Deutschland. Es ist eine Gegend, die den Charakter unseres Landes ausgeprägt an sich trägt. Eine Ebene breitet sich weit und ziemlich fruchtbar aus; kleine Hügel heben sich darin empor, die da und dort lang gestreckte Rücken bilden, welche unter den eisernen Händen des Pflugs sich gewölbt und abgedacht haben. Der Wald hängt schwarz in einzelnen Büschen und ausgedehnten Gewinden nah und fern zwischen den Feldern, ein Fluß läuft zwischen Wiesen, Haiden und Sumpfufern hin, drängt sich in schmalen Krümmungen zusammen und dehnt sich weiterhin seeartig aus. Binsen und Schilffelder wachsen außerhalb seiner Strömung, zwischen den Reusen der Fischer; und die weißen und gelben Wasserlilien und Kuhblumen bilden große farbige, duftige Felder; ihre bunten Blätter decken die Tiefe zu, und wo diese aufhört, ist das flache Ufer ganz blau von den dichten Kränzen des Vergißmeinnicht.

Da aber, wo der Boden höher wird, liegt eine Stadt, die groß genug ist, um drei oder vier Kirchthurmspitzen in die warme Sommerluft auszustrecken; auch ist sie culturfähig, begünstigt und strebsam genug, um einige der rauchenden Obelisken unserer Zeit, Dampfschornsteine genannt, aufgebaut zu haben. – Wo der Fluß sich biegt, liegen mehre kleine Schiffe, in denen aus- und eingeladen wird; Schiffer-ohi und lärmende Thätigkeit treiben an diesem Landungsplatze ihr Wesen in der Morgenkühle, während innerhalb der alten zerbröckelten Ringmauer, die von Epheu umwunden ist, noch tiefe Stille herrscht, und von der Höhe dicht an der Stadt ein einsamer zerstörter Thurm, auf welchem ein Baum steht, im vollen Sonnenglanz hinabschaut auf die kleinen Hütten und die kleinen Menschen, welche Staub sein werden, früher noch als er.

Und wirklich kann der alte Felsenthurm viele höhnende Betrachtungen dieser Art anstellen, denn die Stadt setzt sich, in einiger Entfernung am Flusse mit einer Reihe sehr kleiner Häuser fort, die von Gärtchen eingefaßt sind, in welchen Bohnen, Erbsen und Kohl wachsen. Die Zäune sind von roh gekreuzten, trocknen Fichtenzweigen geflochten; zuweilen neigt sich ein alter Birnbaum über ein Strohdach, hin, oder ein Wallnußbaum breitet seinen dichten Schattenkreis einladend über den Rasensitz. Hinter den Häusern aber plätschern nach einigen Dutzend Schritten die kleinen Wellen der seeartigen Bucht, welche sich von hier ab weit ausdehnt. Fischerkähne liegen am Ufer, Fischergeräth hängt zum Trocknen auf den Stangen, Ruder und Bootshaken stehen in den Ecken niedriger Breterverschläge.

Es ist das Fischerquartier der Stadt, der Kies, wie es in der Volkssprache heißt, und seit uralter Zeit ist es von Familien bewohnt, die von Urvater auf Sohn und Enkel viele Jahrhunderte lang ihren Stand und ihren Besitz darin erwarben, wie alte Adelsgeschlechter.

Die Hütten sehen sich fast alle gleich; selten ist eine darunter etwas geräumiger, oder die Cultur, die alle Welt beleckt, hat ihre etwas größeren Fenster, eine neu angestrichene braune Thür, oder ein neues Rohrdach aufgedrungen. Aber wie klein und alt sie sein mögen, von Fachwerk aufgebaut, zuweilen etwas schief und verbogen, sie liegen mit ihrem röthlichen und weißen Anstrich, die Balken schwarz oder braun gefärbt, gar freundlich zwischen dem blauen Wasser und den grünen Gärtchen. –

Der alte Thurm steht dicht über ihnen auf seiner Höhe, jenseit des Weges geht es hinauf zu ihm durch Ranken und Buschwerk aller Art, und wenn die Steine reden könnten, sie würden erzählen, daß diese Fischerhütten eher waren als die Stadt, und diese rauhen Männer die Urenkel der ersten Unterthanen jener alten Barone, welche einst dort oben wohnten, als noch ein Schloß da stand, von dem ihr ganzes Erdenglück und Unglück abhing.

Unter allen diesen Häusern aber war doch eines ganz am Ende, das sich aristokratisch von seinen Nachbarn unterschied. Es hatte zwar auch sein Rohrschilfdach so gut wie diese, trug den Kopf nicht höher wie sie, allein es war um zwei Fenster breiter und diese Fenster waren überhaupt viel schmucker, mit großen Scheiben versehen, hinter denen weiße und bunte Gardinen hervorsahen über die Nelken- und Rosentöpfe fort, welche auf den weißen Bretern standen. An der Seitenleiste des Fensters hing sogar ein kleines Thermometer; Haus wie Gärtchen bezeugten eine fremdartige Absonderungssucht. Selbst das Gitter davor war nicht aus Waldstecken, sondern aus Latten gemacht, die grün angestrichen zierlich zugespitzt endeten. So waren auch Hausthür und Fensterläden grün bepinselt, und zwischen Gitter und Hausthür lag der kleine Garten sauber und duftend, nicht mit Kohl und Bohnen besetzt, sondern in Beete getheilt, junge Obstbäume in der Mitte und rund eingefaßt mit Levkoien, Nelken, Reseda, großen Stiefmütterchen und allerlei anderen bunten, heiteren Sommerkindern.

Auf den ersten Blick konnte Jedermann erkennen, daß der reichste und vornehmste Mann in dieser kleinen Kolonie hier seinen Wohnsitz habe; wenn wir aber weiter hinein sehen hinter das Haus nach der Wasserseite, wo der frische Lufthauch des Sees hereintreibt, finden wir den Herrn der kleinen Besitzung in einer Laube von zierlich gezogenen Lindenbäumen, die über ihm ein liebliches grünes Dach bilden, während er ungehindert über See und Land blicken kann. Er trank aus einer großen Tasse seinen Kaffee und rauchte dazu aus einem kleinen Pfeifenkopfe von Meerschaum, der an einem ganz kurzen Rohre saß.

Ein Fischer war er nicht, er sah aus wie ein alter Soldat, und das war er auch. Der Bursche, welcher vor ihm stand und mit ihm sprach, nannte ihn Hauptmann, und der große kräftige Körper des alten Herrn, seine langen Beine, die in grauen Gamaschen bis ans Knie staken, der graublaue kurze Rock mit einer Knopfreihe, den er bis an den Hals zugeknöpft hatte, wie sein gewaltiges in Luft und Wetter Hart gegerbtes Gesicht, paßten ganz wohl zu diesem Titel.

Dichtes weißes Haar, kurz abgeschnitten, machte den Kopf des greisen Soldaten noch charakteristischer. Nur an der Stirn war es dünner und ließ die röthliche Kopfhaut durchschimmern. Seine blauen Augen hatten einen guten Theil ihres früheren Feuers bewahrt; sie sahen trotzig und entschlossen aus und trugen nicht wenig dazu bei, den Widerspruch seiner Jahre und seiner nervigen Stattlichkeit zu erhöhen.

Ein ganz anderes Bild bot dagegen der junge Mann dar, mit welchem er sprach. Dieser war ein Fischer von Kopf zu Fuß; in seiner blauen Jacke und hohen Wasserstiefeln hätte er einem Künstler zum Modell dienen können. Sein lächelndes, frohes Gesicht schien nicht zu wissen, was Lebenssorgen sind. Langes, braunes Haar lockte sich an Stirn und Nacken, und die gebräunte Farbe einer kräftigen Gesundheit war nicht so grob und roh, um die Beschwerden eines mühevollen Lebens darin zu erkennen. Ein heiteres und glückliches Selbstbewußtsein hatte sich ihm aufgeprägt, und wie er mit dem alten Herrn sprach, geschah es zwar in aller Höflichkeit, doch mit dem Gefühl der Gleichheit, als sei er ein Mann, dem seine angeborenen Privilegien den nöthigen Stolz geben.

Es ist heut also nichts mit uns, Hauptmann? fragte der Fischer lächelnd.

Heut nichts, Adam, war die kurze Antwort.

Soll's der Blitz holen! rief der Fischer. Solch' Tag kommt so bald nicht wieder. Ich habe früh um zwei Uhr gefüttert darum, drüben am Kreuzholz; sie bissen, es ist eine Lust. – Die Angeln sind gut im Stande, habe ihnen neue Haken angemacht, Erbsen ausgequollen, Würmer abgeköpft. – Nun, mag's drum sein, fuhr er fort, als der Hauptmann fortgesetzt den Kopf schüttelte, die aus der Stadt werden es sich schon zu Nutze machen. Da ist der alte Major und der Feldwebel, die kommen gewiß.

Der Teufel soll sie holen! brummte der Hauptmann, und meinetwegen Alle holen!

Alle ist ein Bischen zu viel, lachte der Bursche. Er brauchte gar keinen zu holen, wenn Sie nicht wollten.

Bist ein Narr, Adam, erwiederte der alte Herr besänftigter, indem er aufstand. Wenn ich wollte? als ob's an mir läge. – Sieh her, habe da gestern Abend spät noch einen Brief bekommen – er zog den Brief aus der Tasche. An den Herrn Hauptmann Hausberg. Kannst es lesen, Adam?

Ja wohl, sagte Adam. Wo ist er denn her?

Her? aus der Stadt. Da, sieh hinein, da steht es: Eugen von Werder.

Ein Fremder? fragte der Fischer.

,,Mein Vater,« las der Hauptmann indem er den Brief in der ausgestreckten Hand möglichst weit von sich abhielt, »mein Vater hat mir aufgetragen, wenn ich Ihren Wohnsitz berühre, Ihnen seine Grüße zu bringen und selbst zu sehen, wie wohl Sie sich befinden.« – Was das für dummer Schnickschnack ist, Adam. Er schreibt Buchstaben, wie ein albernes Schulmädchen.

Die Dinger sehen aus wie Fischschuppen, sagte Adam, eines gerade so groß wie das andere, und Alles so glatt, wie ein Netz voll Aale.

Keine Kraft und kein Saft darin, sprach der Hauptmann. Sein Vater war auch so ein Kerl, der die Klexerei verstand, und der da – meiner Seel! der hat es noch besser gelernt.

Also der Vater des Herrn – wie heißt er? haha! es ist ein curioser Name!

Eugen.

Ein sapperlotscher, wälscher Name, rief Adam. Kein Christenmensch heißt hier so.

Bah! erwiederte der Hauptmann, nimm die Mütze ab, Adam. Eugen hat ein großer Feldherr Prinz Eugen, »der edle Ritter«, Eugen von Savoyen (1663-1736), einer der bedeutendsten Feldherren des Habsburgerreiches, dessen Stellung als Großmacht er wesentlich ausbaute, und zu seiner Zeit der bedeutendste Feldherr überhaupt; die Eindämmung der Türkengefahr im Süden und Südosten Europas ist wesentlich sein Werk. – Mit dem folgenden ›Fridericus‹ ist natürlich der preußische König Friedrich II., der ›alte Fritz‹, gemeint. – Anm.d.Hrsg. geheißen, wie es so leicht keinen wieder gegeben hat, außer meinem König Fridericus. Der hätte ihn in die Pfanne gehauen.

Meinetwegen, sagte der Bursche mit einem listigen Blick auf den alten Soldaten; aber, wie ich meine, ist des Herrn Vater da Ihr guter Freund gewesen!

Ein Kamerad, Adam, ein Regimentskamerad, wie wir beide noch Junker waren, bis er durch seine Verwandten und Freunde weiter kam als ich.

Und was ist er denn jetzt?

General ist er, sagte der Hauptmann, indem er ein Paar große Schritte that, aber lange schon auf Pension, so gut wie ich, der Hauptmann Hausberg.

Ein Lächeln lief durch sein hartes Gesicht. –

Nun, Adam, Kopf in die Höh'! rief er dann, Du siehst wohl, Bursche, daß ich zu Haus bleiben muß, mögen sie beißen oder nicht; denn in dem Briefe steht auch, daß der Sohn des Generals, der mein alter Kamerad war, heut noch weiter muß. – Kreuz Element! Adam, was giebt's zu lachen? Er hat's Alles in den lumpigen Zettel geschrieben. Da steht's, daß er heut Vormittag herauskommen wird.

Steht denn eine Stunde da? fragte Adam listig.

Nichts steht da! schrie Hausberg mit dem Fuß stampfend. – Vormittag?! Alle Wetter! Ein Vormittag hat bei mir acht Stunden. –

Wenn ich es wäre, sagte der junge Fischer, ich wartete nicht.

Der Hauptmann schüttelte den Kopf.

Rechts um, marsch! rief er in barscher Commandoweise. Hole die Angeln her, Adam, zeige mir die neuen Haken und laß mich die Würmer sehen.

Der Bursche machte sich davon und der alte Soldat setzte sich wieder auf die Bank in der Laube, trank seinen Kaffee aus, rauchte in dichten Wolken und brummte allerlei seltsame Töne vor sich hin, aus denen sich nur dann und wann einzelne Worte wie: Subordination, alte Freundschaft, Narr, Alfanzerei, Himmel-Elementer! und ein Paar kräftige Flüche erkennen ließen.

Nach kurzer Zeit kehrte Adam zurück, drei Angeln auf der Schulter und einen wohlverwahrten Topf in der Hand. In seinen Augen glänzte eine Spottlust, die er nicht ganz unterdrücken konnte, und während er nun mit gekreuzten Armen sich neben den Hauptmann stellte, prüfte dieser die neuen scharfen Haken, die Fischbeinspitzen und Schnüre, sah in den Topf und betrachtete den Köder, wickelte und faßte dann an dem Jagdgeräth auf und ab, und probirte den Schwung der Ruthen. Aber je mehr er sich darein vertiefte und je trefflicher er Alles fand, um so mehr wurde sein Gesicht sehnsuchtsvoller und finsterer, bis er im hastigen Aerger die Angeln von sich warf.

He, sagte Adam, das sind Angeln!

Hm! ja – sprach der Hauptmann.

Möchte den sehen, der sie so und besser hat, Herr! rief der Fischer.

Halt's Maul, war die Antwort.

Und das Gewürm haben wir in Wochen nicht so gesehen.

Donnerwetter! schrie Hausberg auf.

Sehen sie da über's Wasser fort, meiner Seel! da fahren sie Beide, der Major mit dem Feldwebel.

Es ist ein vermaledeiter Junge! sagte der alte Herr aufspringend. Was willst Du, Du Elementer? Was plagst Du mich?

Nichts, Herr, nichts! lachte der Fischer, aber wenn Sie heut Abend etwa mit dem Major zusammenkommen, wird's einen Aerger geben, wie er lange nicht dagewesen ist.

Der Hauptmann strich durch sein weißes Haar und warf ein Paar ungewisse Blicke auf das Haus und auf den See.

Was meinst Du denn, lieber Adam? fragte er plötzlich mit einer gewissen Zärtlichkeit, indem er die Hand auf die Schulter seines Vertrauten legte und ihn anlächelte.

Ich meine, erwiederte der Bursche ebenso vertraut, wir könnten doch auch auf ein Paar Stunden hinüber. Ich führe dann den See hinab, sähe nach meinen Fallen, Puppen und Hölzern und wir wären wieder da, ehe es Jemand merkte.

Der Hauptmann hatte die Angeln aufgenommen und wog sie in seiner Hand. Sein Gesicht drückte jetzt einen Grad von siegesfreudigem Triumph aus, wie ihn ein Soldat empfindet, der vor der Schlacht die Schärfe seiner Waffen prüft. Schweigend zog er seine Gamaschen in die Höhe und ebenso schweigend griff er nach der breitschirmigen Mütze auf dem Tische. –

Ohne seinem Begleiter irgend einen Wink zu geben, ging er über den Grasplatz zum Wasser hinunter; aber Adam bedurfte auch keiner weiteren Belehrung. Er war behend an den Schoppen geeilt, wo er zwei Schalten ergriff, und schon die nächste Minute fand ihn an der Spitze des kleinen Bootes, das in den Wellen am Stege schaukelte.

In diesem Augenblicke ließ sich eine Stimme hören, welche dem Hauptmann durchs Mark ging. Er stand mit einem Beine in dem Boote und mit dem anderen auf dem Stege, und mochte weder rückwärts noch vorwärts.

Heda, Ihr Leute! rief ein junger Herr, der vom Hause her kam. Ihr werdet mir sagen können, ob hier der Hauptmann Hausberg wohnt?

Das werden wir bleiben lassen, flüsterte Adam lachend. Herein, Hauptmann, oder es geht nicht gut. Das ist der Eugen, so wahr ich lebe!

Heda! Ihr dort! wiederholte der Fremde, der bis zu der Laube vorgegangen war: wartet ein wenig.

Da kommt er herunter, sagte Adam, und meiner Seel! da drüben steht der Major und winkt.

Mit einen Satze saß Hausberg auf dem Sitz im Hintertheil des Bootes, und Adam legte seine Schalten ein und war mit einem halben Dutzend raschen Schlägen ziemlich weit ins Wasser hinaus, ehe der fremde Herr bis zu dem Stege gelangte.

Von hier aus rief er nochmals das kleine Fahrzeug an, aber die Antwort blieb wiederum aus. Adam schien weder zu sehen noch zu hören, obwohl er gerade seine Augen auf den Fremden richtete. Er lachte mit boshafter Genugthuung über seinen Streich, während der Hauptmann in vollkommener Ruhe seine Geräthe ordnete und überzeugt von seinem Rechte fragte:

Wie sieht er aus, Adam? Die Stimme ist gut, klingt beinahe so hell, wie damals, wo sein Vater Spontonjunker war – der Bursche schreit uns die ganze Compagnie heraus.

Na, sagte Adam lachend, wir sind zu weit, er wird schon aufhören. – Er ärgert sich und es wird ihm nicht schaden. Es ist ein Mensch mit einem Bart, Herr.

Pfui Teufel! sagte der Hauptmann. Es ist nicht wahr.

Mit einem schwarzen Barte und einem schwarzen Rocke, wiederholte der Fischer.

Fahr zu, Adam! Menschen mit Bärten und schwarzen Röcken bin ich immer aus dem Wege gegangen. Mag er laufen, wohin er will.

Der Bursche zog die Schalten mit doppelter Kraft. Das Boot flog so schnell über das Wasser fort, daß weißer Schaum aufspritzte, und der Herr am Ufer hörte bald dazu ein lustiges Fischerlied klingen, das der Wind ihm zubrachte.


2.

Das ist seltsames Volk, sagte er; blind und taub starrt der Bursch mich an und zeigt mir seine Zähne. Erst lacht er mich aus, dann singt er mich aus, und der Alte da – hier unterbrach er sich, denn hinter ihm rauschte es wie von schnellen Schritten, ein kleiner Hund bellte, und als er umblickte, sah er dicht bei sich ein junges Mädchen, die ihn fremd und überrascht anstarrte, aber doch ein freundliches und einladendes Gesicht machte.

Sie neigte grüßend den Kopf und wehrte den kleinen Hund ab, der sein Bellen nicht lassen wollte. – Lieblich und frisch röthete sich dabei ihr Gesicht, das, obwohl es nicht eben schön war, nicht zu den gewöhnlichen Gesichtern junger Mädchen gehörte, wie sie in solchen Hütten vorkommen. Ihr dunkel gelbliches Haar hatte sie ganz von der Stirn zurückgestrichen; Sonnenflecken waren da und dort über die kindlichen Züge gestreut, aber zwei große unschuldige Augen wischten wie Sonnen alle Schatten fort. – Ein bunt gestreifter Rock und ein Säckchen darüber ließen es ungewiß, ob es ein Fischermädchen sei oder ein anspruchvolleres Wesen darin stecke.

Der fremde Herr lächelte, weil er nicht wußte, wie er sie anreden sollte. Die Pantoffeln mit den Holzsohlen an ihren Füßen machten ihn noch zweifelhafter.

Mein liebes Kind, sagte er daher, Sie kommen zur rechten Zeit. Ich suche die Wohnung des Hauptmanns Hausberg.

Sie sind schon darin, erwiederte sie.

Und der Hauptmann – ist zu Haus?

Dort fährt er. – Sehen Sie den Kahn dort? Darin sitzt er.

Darin sitzt er? rief der Fremde. Ich habe wiederholt die Leute angerufen, Niemand hörte darauf. Es war beinahe, als wollte man absichtlich keine Antwort geben.

Das junge Mädchen erwiederte nichts, aber ihre Augen richteten sich so fragend auf ihn, als hörte er sie sagen: Was willst Du denn von uns? Was berechtigt Dich dazu, in solchen Eifer zu gerathen?

Ich habe dem Herrn Hauptmann einen Brief geschrieben, begann der Herr von Neuem. Ist dieser nicht in seine Hände gekommen, liebes Kind?

Gestern Abend ganz spät hat mein Vater einen Brief erhalten, sagte das junge Mädchen.

Ihr Vater! – Sie sind also Fräulein Hausberg?

Eva Hausberg, erwiederte sie.

Ein Lächeln und eine Verbeugung, die eine Entschuldigung sein sollte, folgten dieser Antwort. –

Aber wann wird Ihr Herr Vater zurückkehren?

Vielleicht vor Abend nicht, sagte sie dem Boote nachsehend.

Das wäre mir nicht lieb! war die Antwort. Ich will Nachmittag weiter reisen; habe das auch Ihrem Vater geschrieben. Hat er Ihnen gar nichts davon gesagt?

Nein; er sagte nichts. Aber wenn er es weiß, wird er früher zurückkehren. Haben Sie ihm die Stunde genannt?

Vormittag, schrieb ich.

Eva lachte.

Der Vormittag ist sehr lang, mein Vater ist kein Freund vom Unbestimmten. Sie werden warten müssen, wenn Sie ihn sprechen wollen.

Wie lange?

Nun, bis er wiederkommt.

Er hat ein wichtiges Geschäft abzuthun?

O ja, gewiß, erwiederte sie mit einem muthwilligen Blicke. Mein guter Vater hat nur das eine Geschäft.

Ich verstehe Sie nicht recht, sagte der Herr.

Er angelt auf dem großen See dort; das ist sein tägliches Geschäft.

Er angelt?! rief der Fremde zwischen Verdruß und Lachen schwankend. Ja, das ist eine Leidenschaft wie alle Leidenschaften, man kann darüber – Alles vergessen. Ich glaube beinahe, fuhr er fort, er hat mich mit Willen nicht sehen, nicht hören wollen, und der vertrackte Bursche, der die Ruder führte, lachte mich obenein aus. Was meinen Sie?

Das ist Adam, sagte das junge Mädchen, der lacht immer. Aber Sie haben Recht, ich glaube es auch. Mein Vater hat sich fortgemacht, weil Adam ihm heut früh berichtete, die Fische bissen besonders gut.

Die natürliche Weise, in welcher sie diese Entschuldigung aussprach, und der schalkhafte Blick, den sie dabei auf den Herrn warf, waren so versöhnlich wie möglich.

Was thun wir aber nun, Fräulein Eva? fragte dieser. Warten wir auf den Adam oder nicht?

Wenn Sie warten wollen, erwiederte das junge Mädchen, so steht Ihnen Alles zu Diensten, was wir besitzen, um die Zeit zu vertreiben.

Und was besitzen Sie? fragte er lächelnd.

Eigentlich nichts! sagte sie ihre Augen hell aufschlagend. Aber wenn Sie hier in der Laube sitzen, so will ich zu Ihnen herauskommen und der alten Marie das Haus allein überlassen; oder ist es Ihnen zu warm, so haben wir kühle Zimmer und ein Bretchen voll Bücher. Gefällt es Ihnen dann nicht mehr, so steigen wir hinauf zur Ruine. Die Haselbüsche geben Schatten und oben weht der Wind. – Ganz herrlich weit kann man von dort über das Land schauen, Dörfer und Städte sehen, über Wiesen und Wälder fort blicken bis an die blauen Grenzberge!

Sie bieten mir sehr Vieles, Fräulein Eva, antwortete der Herr, ich bin mit Wenigerem zufrieden. Zuvörderst also hier in der Laube, wenn es Ihre Zeit erlaubt und meine Gesellschaft Sie nicht belästigt.

Ich werde in einer Viertelstunde bei Ihnen sein, sagte sie. – Darf ich Ihnen Kaffee anbieten? – Oder Wein? Oder von unserem Brod und frischer Butter? Weiter habe ich, vor der Hand nichts, fügte sie hinzu, als er Alles ausschlug, nur des Vaters Pfeifen stehen Ihnen noch zu Diensten.

Ich rauche nicht.

Sie rauchen nicht? Das gefällt mir.

Ich komme aus einem Lande, wo man sehr wenig raucht, wenigstens nicht wenn man irgend sich zur guten Gesellschaft zählt.

Wo kommen Sie denn her?

Aus England.

So? sagte Eva ihn beifällig musternd: das ist schön. Da werden Sie mir Mancherlei erzählen können, wenn Sie wollen.

Ei gewiß, Ich will sehr gern. – Wir wollen uns gegenseitig belehren.

Gut, gut, rief sie freundlich lachend zurück, ich komme bald.

Nach einem halben Dutzend Schritten blieb sie dann nochmals stehen und kehrte um.

Eines möchte ich, aber doch gleich wissen, sagte sie, nämlich wie Sie heißen?

Ich heiße Werder.

Und wie weiter?

Eugen, wenn es Ihnen gefällt.

O ja, Eugen gefällt mir. – Eugen, Eugen! sie sprach den Namen voll und weich aus, der fremde Klang belustigte sie. – Gut, Herr Eugen Werder, daß ich Ihren Namen weiß. Das Namenlose ist nichts, man kann sich keine rechte Vorstellung davon machen. – Jetzt werde ich bald wieder bei Ihnen sein.

Sehr drollig! Eine Art Naturkind, sagte der junge Mann lachend, als sie fort war. Einsam aufgewachsen in dieser Lebensstille bei einem Vater, der ein eigenthümlicher Kauz sein muß, um solche Tochter zu haben.

Er setzte sich in die Lindenlaube, sah über den See und die Landschaft hinaus, und blätterte schreibend in seinem Taschenbuche umher, bis er wieder die Thür klappern hörte, aus welcher Eva heraustrat, die ihren Anzug in nichts geändert hatte, als daß sie statt der Holzpantoffeln jetzt Halbstiefeln von Leder trug.

Haben Sie sich umgeschaut, Herr Eugen? fragte sie schon von Weitem. Nicht wahr, wir wohnen ganz artig? – Der große See ist zwar kein Meer, aber er schäumt doch und rauscht und seine Wellen kommen und gehen, wie die Unruhe der Gedanken, die den Menschen durchs Leben treiben.

Ich sollte denken, erwiederte er, daß Sie von diesem unruhigen Treiben des Menschenlebens wenig wüßten, Fräulein Eva.

Es ist auch so, sagte sie, aber eben deswegen fühle ich sie um so mehr. Ich bin nie weiter gewesen, als dort in der Stadt; das ist Alles, was ich von der Welt kenne. – Wenn ich nun einsam sitze, und das Wasser fließt bei mir vorüber in die Weite, oder ich stehe oben an dem alten Kreuz und sehe über Wald und Berge hin, können Sie da nicht begreifen, daß ich unruhig darüber nachdenke, was hinter den Bergen und Wolken wohl sein mag?

Neuer Wald, neue Berge und Seen, fiel er lächelnd ein, und neue Menschen mit mancherlei Plage und Unruhe.

Das sagt der Vater auch, rief sie lebhaft. Nun gut, es mag so sein, ich will es glauben; aber dennoch ist es schön, zu denken, wie ein Vogel weit fliegt, die Wolke unaufhaltsam weiter zieht, und das Wasser rastlos weiter wandert.

Aber das Wasser läuft ins wüste Meer, fiel Eugen ein, die Wolke löst sich auf, und der Vogel, mag er noch so weit fliegen, kehrt doch zurück in seine Heimath und sucht das sichere Nest. – So geht es auch den Menschen, fuhr er fort. Ich bin drei Jahre von Haus gewesen, in Italien, dann in England und Schottland, und sehne mich recht herzlich danach, wieder unter den Bäumen unseres kleinen Gartens bei denen zu sitzen, die mich lieben.

Lieben uns denn nur die, welche dort mit uns wohnen? fragte Eva nachdenkend.

Wie alt sind Sie denn, liebe Eva? fragte Eugen lächelnd.

Beinahe siebenzehn Jahre.

Und Ihre Mutter lebt nicht mehr?

Ich habe sie gar nicht gekannt. Sie ist gestorben, wie ich kaum ein Jahr alt war.

Das ist nicht gut, sagte Eugen. Meine Mutter lebt zu meiner innigsten Freude.

Gewiß, es ist nicht gut, erwiederte das junge Mädchen. – Mein Vater war nicht mehr jung, als er meine Mutter heirathete. Sie lebte mit ihrer Mutter hier in diesem Hause, das damals aber viel kleiner war und lange nicht so schön aussah. – Es war eine arme Fischerwittwe, fuhr sie vertrauungsvoll weiter plaudernd fort. Mein Vater kam hierher, miethete sich ein, und die beiden Frauen führten seinen Haushalt. – O! meine Mutter muß sehr gut, sehr lieb und brav gewesen sein, denn mein Vater spricht noch mit Respect von ihr und stellt sie mir als Muster auf, wenn ich irgend eine Unordnung begehe, oder nicht schweigend schnell und pünktlich genug seine Befehle vollziehe.

Eugen warf einen Blick voll Theilnahme auf das junge Mädchen, das lächelnd sagte:

Das ist langweilig, nicht wahr? Wir müssen von etwas Anderem sprechen. Erzählen Sie mir jetzt etwas.

Nein, erwiederte er, Sie wissen nicht, wie sehr mich das Alles anzieht. Ihre Mutter starb also bald, und ihre Großmutter bald darauf?

Meine Großmutter hat noch vier Jahre gelebt, sagte Eva, dann hat mein Vater die alte Marie ins Haus genommen, die meine Pflegerin geworden ist.

Und wer hat Sie denn unterrichtet? fragte Eugen. Der Vater wohl nicht?

Der Vater, antwortete Eva, war hierher gezogen, um zu fischen und zu angeln. Seine Pension verwandte er größtentheils, um dies Häuschen auszubauen und einzurichten, wie Sie es jetzt sehen. Er hat keine anderen Freunde als einige alte Männer, die in der Stadt wohnen, ebenfalls angeln und zuweilen mit ihm trinken. Es sind gute Leute, aber unterrichten – doch ja unterrichten konnten sie mich auch.

Worin denn, liebe Eva?

Ei nun, wie man Welse fängt oder Aale, sagte sie lachend, wie man Fischplätze findet und wie man Puppen und Reusen legt, wie man Köder macht und welches die besten Würmer sind. – Ich glaube nicht, Herr Eugen, daß Sie das wissen, oder mit mir im Fischerkahn Wette fahren wollen, wenn der See hoch geht.

Und in die Schule hat man Sie nie geschickt? unterbrach der junge Mann ihre Lustigkeit.

Was denken Sie, sagte Eva, ich bin in die Küsterschule gegangen, und vor der Einsegnung hat der Herr Pfarrer mich ein Jahr lang unterrichtet. Ich kann schreiben, obwohl es mein Vater eine brotlose Kunst nennt; aber wer hier umher einen Brief haben muß, kommt zu mir, und Adam sagt, es könne es Niemand so gut machen.

Haben Sie denn keine Freundinnen, in deren Umgang Ihre Kenntnisse sich vervollständigen?

In der Stadt dort, meinen Sie? Nein, Herr Eugen. Die armen Kinder, welche meine Gefährten in der Küsterschule waren, müssen jetzt arbeiten, ihr Brot erwerben, wie es geht; die vornehmen Leute, welche dort wohnen, kenne ich nicht. Mein Vater geht mit ihnen niemals um. Aber die Fischermädchen kennen mich Alle, und mein bester Freund ist Adam.

Wer ist denn dieser Adam, liebe Eva? fragte der junge Mann lächelnd.

O! das ist unseres Nachbars Sohn, Adam Wilms. Sein Vater ist Vorsteher im Orte, ein gar wackerer Mann, der auch bei meinem Vater viel gilt. – Sehen Sie, das dritte Haus dort gehört ihm, auch den Berg hat er gekauft mit allem Holz, was darauf wächst, und drüben auf dem See liegt noch anderes Holz, das ihm gehört.

Er ist also ein Holzhändler? sagte Eugen.

Er ist gut, erwiederte Eva, aber auch klug. Er reist viel, das macht gescheidt. Adam bleibt zu Haus und ist überall. Bald auf dem Verg, bald auf dem See, bald in der Stadt. Sie haben ihn Alle lieb, mein Vater auch.

Und Sie auch, Eva, nicht wahr?

Ich habe ihn recht lieb. Er thut Alles, was ich gern möchte, und wenn es irgend angeht, ist er bei uns. Ja, rief sie hastig aufstehend und freundlich lachend, da fehlt er schon wieder. Bleiben Sie ruhig sitzen, Herr Eugen. Ich hätte es wirklich beinahe vergessen. Das macht, weil Sie hier sind.

Was hatten Sie denn vergessen? fragte er.

Die Enten müssen auf's Wasser hinaus; dann muß ich nach den Bohnen sehen, welche drüben gelegt sind, und muß sie angießen, weil es noch schattig ist.

So will ich Ihnen helfen, liebe Eva, sagte er.

Wollen Sie? rief das junge Mädchen mit glänzenden Blicken. Gut, Adam hilft mir oft. Nehmen Sie die Gießkannen, dort an der Hausseite stehen sie beide. Dann gehen Sie auf den Steg zum Schöpfen, aber fallen Sie nicht. Ich lasse inzwischen die Enten frei und komme nach. Gleich jenseits des Weges sehen Sie die Bohnen.

Eugen machte sich auf den Weg, und als wollte er zeigen, daß er eben so eifrig und willig sein könnte, wie der liebenswürdige Adam, sprang er fröhlich die großen Gießkannen schwenkend zum Stege hinab, wo er sie füllte und dann beladen seinen Weg zu den Bohnen antrat. Eva trieb inzwischen eine Heerde schreiender Enten bei ihm vorüber, nickte ihm beifällig zu und lachte herzlich, als sie die Zipfel seines Rockes auf der Wasserfläche der Gießkannen schwimmen sah.

Er war kaum bei dem Bohnenfelde angelangt, als sie auch schon dort erschien. Die Sonne brannte heiß auf dem Gärtchen und dem schattenlose Wege. Eva hatte einen breiten bunten Strohhut aufgesetzt, und während sie goß, füllte Eugen die geleerten Kannen wieder. Es dauerte jedoch nicht lange, als er völlig erhitzt und naß dabei geworden war. Der Schweiß perlte auf seiner Stirn, sein Gesicht war dunkelroth geworden.

Als das junge Mädchen es bemerkte, rief sie mit dem Ausdruck gutmüthiger Besorgniß:

Was ist denn das, Herr Eugen, sind Sie krank geworden?

Nicht doch, sagte er, nur heiß von der ungewohnten Arbeit.

Sie sah ihn verwundert an, als könne sie schwer begreifen, wie die wenigen Kannen voll Wasser ihn so sehr erhitzen und ermüden konnten. Plötzlich aber lief sie über den Weg fort durch den Garten in's Haus und nach wenigen Augenblicken kam sie mit einer grauen Leinenjacke und einem Fischerhut von Stroh zurück.

Geschwind, rief sie, das gehört meinem Vater, der es Ihnen gern leiht. Keine Umstände, Herr Eugen, Sie werden sehen, wie frisch und leicht Ihnen in der leichten Tracht sein wird.

Sie hielt ihm die Jacke mit den Hornknöpfen hin und ohne Besinnen warf er seinen Rock ab und setzte den schirmenden Hut auf.

Das steht Ihnen gut, sehr gut! sagte das junge Mädchen ihn betrachtend. Ei wahrlich, Sie sehen beinahe wie Adam aus.

Bei dieser Lobeserhebung, und während Eugen sich musterte, brach er in ein helles Gelächter aus.

Warum lachen Sie denn? fragte Eva mitlachend.

Wahrhaftig! nur über mich allein, war seine Antwort.

Und welchen Grund haben Sie dazu?

Ach! meine kleine Freundin, Sie wissen nicht, woran ich so eben dachte, ich will es Ihnen sagen. Ich kenne Leute, die um keinen Preis mich für fähig halten würden, Wasser zu tragen, um Bohnen zu begießen, und eine solche Jacke dabei anzuziehen. Nun denke ich mir, was diese Leute wohl sagen und wie ihre Gesichter aussehen würden, wenn sie mich überraschen könnten. –

Und er begann abermals heftig zu lachen.

So, sagte Eva nachdenklich, deswegen also!

Ihre Augen hefteten sich prüfend auf ihn, aber er sah sie so freundlich an, daß ihr Vertrauen sogleich wiederkehrte. –

Wenn es Ihnen nicht länger gefällt, Herr Eugen, fuhr sie dann fort, so lassen Sie es. Es ist überdies ziemlich genug, wir können aufhören.

Gewiß nicht! rief er mit neuer Lustigkeit. Ich hole Ihnen Wasser, liebe Eva, bis Sie sagen, Adam hätte auch nicht mehr gethan.

Nach einer halben Stunde voll Scherz und Lachen war die Arbeit vollbracht und Eugen saß wieder in der kühlen Laube; der Wind, der über den See strich, trocknete sein nasses Haar und fächelte sein heißes Gesicht; aber er befand sich ungemein wohl in der Leinenjacke des Hauptmanns. –

Eva brachte Brot und Butter aus dem Hause, dann dachte sie lächelnd nach und kam mit einer staubigen Weinflasche zurück, die ihr Vater im Kellerwinkel verwahrt hatte. Endlich brachte sie frische Enteneier, als das Letzte und Beste, was sie zu geben hatte, und Eugen hielt ein Mahl, von dem er behauptete, daß es ihm selten so lecker geschmeckt habe.

Evas Freude darüber war so schön, als sei ihr großes Heil widerfahren.

Nun, sagte sie, gehen wir zum Thurme hinauf. Der Wind hat die Wolken zusammengejagt, aber das Wetter bleibt gut. Wir wollen oben unter der Epheuwand sitzen, da ist es prächtig in der Schwüle, und während dessen wird Marie den Tisch bestellen. – Fische haben wir, auch wenn der Vater nicht zurückkommt, und Eier sind genug vorhanden, um einen Kuchen zu backen.

Wollte Sie mit diesen Tafelfreuden ihrem Freunde eine angenehme Fernsicht eröffnen, so erinnerte sie ihn doch zugleich daran, daß er seine Reise noch heut fortsetzen mußte. – Er zog seine Uhr; es war eine sehr kostbare goldene, wie Eva sie nie gesehen hatte. –

Zehn Uhr ist vorüber, sagte er. Um ein Uhr Nachmittag fährt die Post weiter, und wenn ich sie versäume, muß ich bis übermorgen bleiben, oder Extrapost auf eine ganze Reihe Meilen nehmen.

So bleiben Sie bis übermorgen, sagte Eva ganz unbefangen.

Aber meine Eltern erwarten mich sehnsüchtig, erwiederte er.

Ja, dann reisen Sie, Herr Eugen, fuhr sie eben so freundlich fort, und kommen Sie bald wieder zu uns.

Das dürfte schwer zu erwarten sein, bemerkte er dagegen. Mancherlei Geschäfte werden mich festhalten und mancherlei Unruhe mich umspinnen.

Und darüber werden Sie das Wiederkommen vergessen, lachte sie. Nun gut, vielleicht kommt der Vater bald; doch immer haben wir noch überflüssig Zeit, um zur Ruine hinaufzusteigen. Die müssen Sie sehen, vielleicht gefällt es Ihnen dort so, daß Sie doch wieder kommen.

Sie nahm ihren Hut mit den grünen Bändern, und nachdem sie der alten Magd gesagt, wohin sie gehe, schritt sie Eugen voran nach der Bergseite, wo ein ziemlich steil aufwärts führender Pfad zwischen Haselbüschen und Buchen die beiden Wanderer bald in die Nähe des Thurmes brachte. –

Das alte Gemäuer ragte aus einer kleinen grünen Ebene hervor, deren Rasen sehr rein gehalten war. Ein Paar mächtige Bäume begrenzten den freien Raum, an der Nordseite des Thurmes aber, welche sich gegen den See kehrte, zog hundertjähriger Epheu durch alle Ritzen und Fugen hoch empor. Menschenhände hatten dann viele seiner Ranken um schlanke Stäbe gewunden, die in das lose Gestein gesteckt und mit Fäden verbunden waren. Die grünen Gewinde bildeten dadurch ein breites hängende Schirmdach und unter diesem stand eine Bank und ein kleiner Tisch so lockend, wie sie irgendwo weit und breit stehen mochten.

Es war in Wahrheit ein schönes Panorama, das vor diesem erwählten Sitze sich ausbreitete. Der meilengroße See mit seinen Waldgestaden und tiefen Buchten ließ sich eben so wohl überblicken, wie das Land mit seinen wechselnden Tiefen und Hügeln. –

Eva setzte sich neben ihren Freund, zeigte ihm die fernen und nahen Dörfer und Höfe, nannte ihm ihre Namen und die Namen der Buchten und Berge und beantwortete alle seine Fragen mit überraschender Genauigkeit.

Wer hat Sie denn so gut von allen diesen Gegenständen unterrichtet? fragte Eugen endlich.

Bin ich gut unterrichtet? erwiederte sie. Das freut mich: aber wenn es Einer gethan hat, so ist es jedenfalls Adam gewesen, obwohl es keine große Sache ist. Denn sehen Sie, Herr Eugen, seit ich denken kann, bin ich täglich hier oben und ganze Tage lang habe ich, Jahr aus Jahr ein, unter diesen alten Steinen und Bäumen zugebracht. Da wird man bekannt mit Allem, was das Auge sehen kann. Jedes Haus, jeder Hügel, jeder Baum wird bemerkt, und geforscht, wo jeder steht. – So weit habe ich es gebracht, fuhr sie lachend fort, allein weiter reicht meine Gelehrsamkeit nicht, und Adams Gelehrsamkeit ebenso wenig, obwohl er Ihnen Manches noch genauer sagen könnte.

Aber was thun Sie da? fuhr sie neugierig fort, als sie Eugen aus der Tiefe seiner Tasche ein Etui hervorziehen sah, in welchem mehre Blätter Papier, kleine Näpfchen mit Farben und kleine Fläschchen mit Flüssigkeit lagen.

Ich werde Ihnen beweisen, sagte er, daß ich doch noch etwas gelehrter bin als der gelehrte Adam. – Wir wollen uns dort am Hügelrande unter die große Kastanie setzen, und mit diesem Stückchen Papier, diesen paar Farben und ein wenig Gummiwasser will ich meiner kleinen Freundin Eva ein Andenken hinterlassen, das sie an diesen Tag und an mich erinnern soll, wenn ich weit von ihr bin.

Er entwarf eine Skizze des Thurms und des Sees. Unten lag das Haus des Hauptmanns grün und still. Am Gemäuer rankte der Epheu; oben schwankte der kräftige Baum, unten lief die Schlucht der Haselnußbüsche auf den braunen staubigen Weg aus.

Eva setzte sich zu ihm unter den Baum und verfolgte seine Arbeit mit der Freude und der Wißbegier eines Kindes. Bei jedem Gegenstande, den er schöpferisch auf das Papier zauberte, drückte sie ihr Entzücken aus, und je mehr das Bild sich vervollkommnete und ein Ganzes wurde, um so größer wurde ihre Theilnahme. – Sie fand die fernen ihr bekannten Punkte heraus. Der Thurm, der See, das Haus, die Bäume gaben ihr immer neuen Stoff zu neuen Bemerkungen, und viele darunter waren so treffend richtig, daß Eugen ihr sagte, sie habe ein schönes klares Auge für die Kunst.

Was nennen Sie denn Kunst, Herr Eugen? fragte sie vor ihm sitzend und Gras und kleine Blumen zusammenwindend.

Kunst, erwiederte er lächelnd, indem er weiter malte, ist ein geheimnisvolles Leiden, das die Götter den Menschen mitgegeben haben. Es ist der Sehnsuchtstrieb, Evchen, der tief in ihre Brust gelegt wurde, die Welt noch einmal zu schaffen, und zwar schöner, als sie der Schöpfer schuf.

Also will die Kunst die Welt verschönern? fragte sie.

Welt und Menschen verschönern und veredeln, sagte er; aber es ist ein undankbares Stück Arbeit. – Die Natur ist so rauh und unschön oft, und die Menschen aus so grobem Stoff gemacht, daß die Kunst daran zu Grunde geht. Und doch wird alle Kunst zur Künstelei, wenn die Natur in ihrer Erhabenheit oder in ihrer lieblichen, prachtvollen Einfachheit und Wahrheit uns ihre Macht beweist.

Er sah dabei zu Eva hin, die horchend ihn betrachtete und dann den Kopf schüttelte.

Ich versteh' es nicht, rief sie aus, aber ich denke daran, Herr Eugen, was einmal der Pfarrer zu mir sagte, als ich noch zu ihm ging. Ich kam zu ihm und brachte den kleinen zottigen Hund mit, den ich unterwegs aus dem Weihergraben gezogen hatte. Böse Jungen hatten ihn hinein geworfen, ich nahm ihn in meine Schürze und sah übel aus, als der Herr Pastor die Thür aufmachte. – Er schalt mich dafür, ich vertheidigte mich, und da ich den Hund nicht lassen wollte, schickte er uns beide fort.

Du bist wie die zügellose Natur, sagte er. Niemand bekümmert sich um Dich, der Dich Sitte lehrte und Dir Anstand beibrächte. So bist Du denn wie eine wilde Ranke, die kein Gärtner bindet und schneidet; daher kann denn auch das Gute sich nicht entwickeln. –

Ich ging mit meinem Hündchen nach Haus und meinte immer, ich habe doch Recht gethan. Aber des Pfarrers Worte kommen mir oft wieder in den Sinn. Nun denke ich jetzt, die Natur in ihrer Zügellosigkeit sei auch so eine wilde Ranke, wie der Herr Pfarrer von mir gesagt hat, und die Kunst sei der Gärtner, der sie binde und schneide und sich Sitte und Anstand lehre.

Eugen hatte das Blatt und sein Geräthe fortgelegt, sein Blick ruhte auf Eva, als dächte er über etwas nach, was in weite Ferne reiche.

Gewiß, gewiß hatten Sie Recht! sagte er endlich hastig. Und dennoch, Eva, hat der verkümmerte Pfarrer nicht Unrecht. – O! wie schön ist es hier. Der Wind fühlt bis ins Herz hinein, und die alten Bäume rauschen. Die Wolken ziehen über uns hin, und mir ist es, als käme das, was Sie sagten, aus dem geöffneten Himmel und sei eines Engels Stimme gewesen. Werft die Farbentöpfe fort, ihr Narren, werft den ganzen angelernten Plunder fort und stürzt euch in die Arme der Natur!

Eva sah ihn erstaunt an. –

Kommen Sie, kleine Freundin, rief er aufspringend, wir wollen laufen und lachen. Das Blatt da muß trocken werden; später will ich es fertig machen.

Ich will Ihnen die schönsten Erdbeeren zeigen, rief Eva, und ehe eine halbe Stunde vergeht, sollen Sie so viele haben, als Sie essen wollen.

Eugen faßte ihre Hand, die Mappe wurde sicher unter dem Epheu geborgen, und nun liefen sie beide lachend und scherzend den Hügel hinab, wo er sich in einen Grund senkte, der mit duftigen Waldbäumen dicht bewachsen war. Die Sonne fiel hier nur gebrochen und in Streiflichtern hinein. Farrenkräuter und halmiges Gras, bunte Blumen in Fülle und mannichfache Schlingpflanzen bedeckten den Boden. Die Luft wehte lind und blüthengetränkt, Käfer und Insecten schwärmten farbig umher. Oben in den Bäumen riefen sich die Holztauben und schnelle Klettervögel stiegen auf und ab und beschauten mit ihren klugen Augen die übermüthigen Gäste.

Dann aber tauchte ein neuer Waldhügel auf und seine ganze Seite schimmerte röthlich. Ein Erdbeerfeld dehnte sich hier aus, überall nickten die zarten reifen Früchte unter dem Blätterschleier hervor, und ihr balsamischer Hauch strömte den Nahenden entgegen.

Das ist ein Waldparadies, sagte Eugen.

Es ist Alles mein, erwiederte Eva, ihre Hand ausstreckend, fast gebieterisch wie eine Königin.

Ich glaube beinahe, rief ihr Begleiter, Sie sind die Fee dieser Wälder, kleine Eva, die einen armen Sterblichen verlockt hat, sie in ihr Reich zu begleiten. Plötzlich nun wird alles Irdische abfallen und die Flügel wachsen und rauschen – da rauscht es schon! Ein Wunder! ein Wunder!

Ein großer Raubvogel schoß durch die Baumzweige und hob sich wieder mit raschen Schlägen, indem er einen schrillenden Schrei hören ließ.

Eugen hatte Eva festgehalten, sie blickte dem Vogel nach. Es ist einer der großen Falken vom See, sagte sie. Wie er mich erschreckt hat! Sonderbar, daß ich davor erschrecken konnte. – Wenn ich eine Fee wäre, er sollte nie mehr in mein Reich fliegen dürfen.

Und wer, fragte Eugen, hat Sie hier als Herrscherin eingesetzt?

Adam, erwiederte sie. Ihm gehören alle diese Bäume. Alle Erdbeeren aber hat er mir geschenkt.

Ein fürstliches Geschenk, lachte Eugen; ich fange an diesen Adam zu beneiden, weil er so viel besitzt und so viel zu geben hat.

Wenn er hier wäre, sagte Eva, wüßte er längst, wo die reifsten und süßesten wachsen. – Pflücken Sie, Herr Eugen; wir wollen sehen, wer die besten findet.

Sie suchten beide und ein Wettstreit begann. Bald glaubte Jeder die schönsten gefunden zu haben, und sie stritten darüber; Eva reichte ihm die besten, und seine Lippen bissen sie von den Stielen, die ihre Fingerspitzen festhielten; dann that er wie sie es gethan, und muthwillig streiften ihre Zähne an ihm hin. Es war ein Lachen und ein fröhliches Rufen in dem stillen Walde, bis endlich von ferne der dumpfe Ton einer großen Glocke erschallte.

Das schickt uns die Stadt, sagte Eugen.

Es ist die Mittagsglocke, erwiederte Eva.

Und sie mahnt uns nach Haus zu gehen.

Wenn wir gehen wollen, wird Marie uns gewiß schon erwarten. Dort führt der nächste Weg uns an den See und gleich ins Haus.

Wo der Vater uns entgegenkommen wird.

Eva schüttelte leise lächelnd den Kopf.

Nun, wahrhaftig! rief Eugen, dann zwingt er mich zu bleiben, was auch entstehen möge.

Nun müssen Sie bleiben, Herr Eugen, rief Eva, siegreich in die Hände schlagend. Ihre Mappe liegt oben im Thurm. Nachmittag steigen wir wieder hinauf, dann zeichnen Sie weiter, und wenn die Sonne sinkt, fahren wir in das Schloß der Herzogin, und ich erzähle Ihnen, was sich einst dort zugetragen hat.

Ja, meine kleine Fee, ich will bleiben, sagte er, denn ich bin ein verzauberter Ritter, der sich in sein Schicksal ergeben muß. Führen Sie mich wohin Sie wollen, durch Wald und See, durch Blumenduft und Mondschein und endlich in das Schloß der Herzogin. – Es ist ein seliger Tag, liebe Eva, der durch nichts gestört werden soll. Paradiesisch hat er begonnen und mährchenhaft muß er enden.

Eva führte ihren Freund in das grüne Haus ihres Vaters zurück, und sie fanden es so still unter seinem Lindendache wieder, wie sie es verlassen hatten. Von dem Hauptmann war nichts zu hören; Eugen war es lieb, daß er nicht gekommen war.

Eva zeigte nun ihrem Gaste Alles, was zu sehen war. Die niedrigen Zimmer waren einfach, aber behaglich eingerichtet. Sie glänzten in Sauberkeit und Ordnung. Der alte Soldat mußte Sinn dafür haben, vielleicht als Erbtheil aus der langen Zeit seines Lebens, wo jeder Knopf geputzt, jedes Haar nach dem Reglement geschnitten und kein Stäubchen am Kleid und Hut geduldet ward. Es hing und stand das kleinste, wo es stehen und hängen sollte. Die Dielen waren weißgescheuert, in Glasschränken blitzten Tassen und Geräth in langen Reihen. Weinlaub legte sich draußen über die Fenster und drinnen war es kühl und dämmervoll.

Während Eva hin und herflog und mit Freudigkeit bald zu der alten Magd in die Küche eilte, wo ihre helle Stimme erschallte, bald wieder hereinkam, um aus Schränken und Kasten zu nehmen, was sie nöthig hatte, Eugen saß in dem Lederstuhle des Hauptmanns und blätterte in den Büchern, die auf dem Bretchen in der Ecke aufgepflanzt waren. – Es war eine gute Zahl Hauskalender, eine Geschichte des siebenjährigen Krieges, ein halbes Dutzend abgegriffene Volksbücher und Rathgeber in Haus- und Wirthschaftsangelegenheiten voll Anekdoten und Geschichten mit Holzschnitten und Räthseln; ferner das Leben Friederichs des Großen, Soldatenlieder und Kartenkunststücke, mitten darunter aber standen Schiller's Gedichte in wohlerhaltnen goldverzierten Bänden, die Eugen mit einiger Genugthuung in dieser unebenbürtigen Gesellschaft sah.

Jetzt, Herr Eugen, rief Eva zur Thür herein, geschwind kommen Sie, es ist Alles bereit.

Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn in die Laube, wo das weiße gedeckte Tischchen stand. Eine Schüssel voll Fische dampfte in der Mitte, sie legte ihm das Beste vor, und ihr ganzes Gesicht strahlte vor Glück, als er sie trefflich pries und tapfer zulangte. – Dann kam der Eierkuchen und er wurde wiederum bewundert. Dazwischen gescherzt und gelacht, bis endlich das kleine Mahl vorüber war, das beiden so viel Vergnügen machte.

Es verging Stunde um Stunde und immer gab es neuen Stoff zum Plaudern. Eugen erzählte von seinen Reisen, von der großen Welt und ihren Freuden, von Theatern und Concerten, von Bällen und Prinzessinnen, und Evas Augen hingen gläubig und vertrauend an seinen Lippen; sie knüpfte tausend neue Fragen daran und schuf sich Bilder, die er ausmalen und entwirren mußte.

Was das schön ist, rief sie dann, und Sie haben das Alles erlebt, Sie haben es gesehen. Wie herrlich muß das sein!

Herrlich, liebe Eva, und doch, was ist es werth gegen einen Tag wie dieser, den ich mit Ihnen, abgetrennt von jener Welt verlebe.

Hier bei mir gefällt es Ihnen besser? fragte sie ungläubig und erstaunt.

Ich bin ja im Paradiese, rief er lachend, und nichts fehlt nur noch, als daß diese Hügel zu glatten Felsen aufwüchsen, um mich auf immer darin festzuhalten.

Wie mich das freut, sagte sie. Aber erzählen Sie mehr, Herr Eugen. Erzählen Sie mir von Ihrer Mutter und Ihrer Schwester. – Was würden die sagen, wenn Sie bei mir im Paradiese bleiben wollten?

Meine Mutter, kleine Eva, erwiederte Eugen belustigt von diesen Fragen, würde gern mein Paradies theilen. Sie sollten Sie nur kennen; sie ist so gut und sanft, wie ihre Mutter gewesen sein muß. Wenn ich ihr von Ihnen erzähle, wird sie es beklagen, daß Sie nicht bei ihr sein können.

Ach! das thut mir leid, sagte Eva.

Meine Schwester, fuhr Eugen fort, ist verheirathet. Es ist eine schöne kluge Frau, ihr Mann ist reich; sie bewohnen ein großes Haus und sehen viele vornehme Leute bei sich. Alle Herrlichkeiten des Lebens, das Sie nicht kennen, finden sich dort vereint.

Und Ihr Vater, Herr Eugen? sagte das junge Mädchen. Er ist ein Freund meines Vaters, wie Sie sagen, der ihm das Leben gerettet haben soll. Angelt er auch?

Ja, kleine Eva, rief der junge Mann heftig lachend, er angelt auch, aber nach ganz anderen Fischen, als nach Barsen und Bleihen. – Er angelt nur nach Raubfischen, fuhr er fort, oder vielmehr er hilft den Raubfischen die anderen kleinen Fische fangen.

Das ist eine seltsame Beschäftigung, erwiederte sie.

Ich will es Ihnen erklären, sagte Eugen, aber Sie werden es dennoch nicht verstehen. Mein Vater ist General und eigentlich zur Ruhe gesetzt; aber die großen Herren, welche die Menschheit regieren, brauchen ihn doch noch zuweilen zu allerlei Geschäften. Er reist dann weit fort zu anderen mächtigen Herren, richtet Aufträge aus, unterhandelt über die beste Art, um gemeinsam Fische zu fangen, über die leichteste Weise sie zu schuppen, daß sie es nicht merken, und über die bequemste Art ihnen die Zähne auszuziehen, damit sie keine Zahnschmerzen bekommen oder gar die Netze zerbeißen.

Er lachte ausgelassen über Evas komische Verwunderung und sprang auf, indem er ihr zurief:

Sehen Sie wohl, kleine Fee, Sie verstehen mich nicht, weil so etwas im Paradiese nicht vorgeht. Aber jetzt wollen wir zum Thurm hinauf. Ich mache meine Skizze fertig und dann fahren wir in's Abendroth hinein und träumen von blassen Wassernixen und schönen Menschenkindern.

So geschah es denn, und zu Evas unsäglicher Freude hielt sie nach einer Stunde das farbige Blatt in der Hand, das Haus und See und Wald so treu wiedergab.

Eugen fand in seiner Mappe ein zweites stärkeres Papier, auf welches er das kleine Bild heftete, und Eva gelobte, ihm den besten Platz an der Wand zu geben und es täglich zu betrachten.

Und dann werden Sie an mich denken, kleine Eva.

Oft werde ich an Sie denken, Herr Eugen, sagte sie. Wenn ich hier oben sitze, werde ich Sie sehen, wenn ich im Wald bin, werden Sie bei mir sein, und auf den See muß ich Sie auch mitnehmen, damit ich auch dort nicht allein bin.

Sie lief voraus, er folgte ihr langsam nach; seine Augen hefteten sich auf die flüchtige Gestalt. –

Wenn dies Kind wüßte, was es sagt, rief er sich selbst zu; wenn Eine aus dem großen Haufen so spräche, der so früh seine Erfahrungen macht! – Aber die sagen nicht was sie denken, fuhr er lachend fort, und sie, die mir so naiv ihre Geständnisse macht, denkt sich eben nichts dabei.

Nach einer kurzen Rast fuhr er mit ihr in den See hinaus, der im Abendschimmer unbeweglich lag. Eva lenkte das kleine Fahrzeug am Ufer hin, dann über eine Bucht fort und endlich in einen weiten Abschnitt des Wassers, das im Halbkreis sich ausdehnte. Ein Waldhügel trat hier weit in den See hinein und senkte sich steil hinab, überall waren die Ufer hoch und mit schönen Bäumen bewachsen, die träumerisch still hinunter schauten. Die Sonne glühte noch in den Gipfeln und schnitt deren brennenden Kranz scharf von den Schatten ab, die unten schwer und duftig den Wald einspannen. Auf dem See war es lautlos still. In weiter Ferne zogen ein paar Schiffe, die sich leise fortbewegten, ohne daß man sah, was sie trieb. Wälder von Wasserpflanzen schwankten hin und her, wenn das Auge in die Tiefe sah, und auf der Oberfläche lagen breite Blätter, aus denen zahllose Lilien schimmerten, die ihre großen Kelche geöffnet hatten und süßen feinen Duft ausströmten.

Eva leitete den Kahn auf schmalen Wasserstraßen durch diese blumigen Irrgärten, und Eugen betrachtete das schöne Bild mit künstlerischer Empfindung, es stimmte ihn nachdenkend und weich. Ihm fielen Goethes Schwermuth athmende Worte ein: »In allen Wipfeln ist Ruh,« und er sagte sie laut, indem er sich seinen Gefühlen überließ. Eva legte das Ruder fort, um ihm besser zuzuhören. Die Gedanken des großen Dichters regten sie lebhaft an.

Wie schön Sie das sagen können, Herr Eugen, rief sie, als er schwieg, und doch klingt es so traurig. Es ist mir, als habe ich es schon gehört.

Wer könnte es Ihnen gesagt haben?

Adam, erwiederte sie.

Wie, Adam hat es gesagt? fragte er.

Oft fahre ich hierher mit ihm, erwiederte sie, denn Dies ist ein Lieblingsort für uns beide. Wenn der Abend zu glühen aufhört, die Nebel leise über den See ziehen, und dann der Mond über den Wald kommt und sie verjagt, ist es wohl noch schöner hier, als jetzt. Wir fahren dann durch alle die kleinen Wasserstraßen, welche die Fische sich gemacht haben und obwohl Adam fast immer froh und heiter ist, kann er doch auch traurig sein. – So war es neulich einmal, als wir im Mondlicht nach Haus führen. – Der See war wie Silber so licht, die Lilien standen glänzend wie weiße Rosen in einem prächtigen Garten, und in der Ferne sah es aus, als wüchsen sie aus dem Wasser empor und ihre breiten Blätter schaukelten in der Luft. Dazu war der Wald dunkel und schwer und Alles so still und so geheimnißvoll im Himmel und auf Erden. – Da sah mich Adam lange an; er saß bei mir und faßte meine beiden Hände, bis seine Stirn darauf nieder. sank. – So trieb unser Schiffchen mit uns fort.

Endlich aber fragte ich ihn, was ihm sei, und ganz sanft antwortete er mir, wie es sonst nicht seine Art ist:

Ueberall ist Ruhe, Eva; kein Wind, keine Welle, kein Vogel im Wald, der nicht schläft; Frieden überall, nur in mir nicht, Eva. Ich möcht' da unten sein, wo die Herzogin wohnt, möcht' uns beide versenken, damit uns Keiner mehr sieht.

Eugen lachte auf, indem er sich über den Rand des Kahnes beugte und nach einer der Lilien haschte.

Lassen Sie los, Herr Eugen, rief das junge Mädchen. Das ist der Garten der Herzogin, und wer ihre Blumen bricht, den verfolgen ihre Geister, wohin er auch gehen möge, und bringen Unglück über ihn.

Aber mit kecker Hand brach Eugen die Blume ab, deren zähfaseriger Stiel seiner Hand entschlüpfte, daß nur der Kelch darin zurückblieb.

O! die arme Lilie, sagte Eva. Sie haben sie nur verderben und zerstören, aber ihre Wurzel nicht ausreißen können; die werden unten von den Wassergeistern festgehalten. – Werfen Sie sie fort!

Nein, erwiederte Eugen, möge Jeder behalten, was er hat. Alle Geister Ihrer Gnaden, der Herzogin, sollen mich nicht bewegen, von meiner Beute abzulassen. Ich will sie mitnehmen, kleine Eva, und zusehen, welches Unglück sie mir bringt.

Und nun erzählen Sie mir die Geschichte der erhabenen Fürstin, fuhr er fort. – Wie prachtvoll die Sonne sinkt! Wie der Feuerball dort unten auf den Wassern ruht, und alle Bäume röthlich schimmern, wie junge Mädchen, die in süßer Scham den Geliebten erwarten.

Still, sagte Eva lächelnd, alle diese Blumen sind die Hoffräulein der Herzogin. In der Nacht tauchen sie tief in den Grund und werden, was sie waren. Es steht ein Palast tief unten, da tanzen sie, bis der Morgen kommt, aber mit dem ersten grauen Tagesgeflimmer steigen sie wieder als Lilien auf.

Das ist ein lustiges Leben, kleine Eva, und wirklich, ich fühle Gewissensbisse, eine dieser jungen Damen so elendiglich ermordet zu haben.

Eva hob den Finger auf und sagte schalkhaft drohend:

Ich fürchte sehr, Herr Eugen, sie wird sich rächen. Kein Mensch hier umher würde das wagen, was Sie gewagt haben. Jede Blume wird sorgsam gehütet; selbst Adam, so keck er ist, streckte noch nie seine Hand darnach aus.

Der Himmel hatte sich inzwischen mit brennender Gluth bedeckt, welche weit über das strahlende Gewölbe zog. – Der große See spiegelte Alles zurück, als thäten sich seine Tiefen auf und ließen Ströme von Licht und Farben hervorquellen. Eva hatte ihre Augen erhoben, sie sah begeistert in den Himmel, und ihr Gesicht war so schön, daß Eugen sie still betrachtete.

Nach einer Weile begann sie:

 

Die Herzogin, Herr Eugen, war ein armes Fischermädchen, um welche viele Freier vergebens warben. Endlich, als sie einst am Ufer stand und ihres Vaters Netze trocknete, befand sich plötzlich ein junger Mann an ihrer Seite, ohne daß sie wußte, woher er gekommen war. Herrlich war er anzuschauen, aber blaß. Sein grünes glänzendes Jagdkleid schimmerte von Perlen und Edelsteinen; er bat sie um Liebe und gelobte Alles mit ihr zu theilen. – Wer bist Du? fragte sie. – Ich bin ein Herzog und Fürst, sagte er. Mein Reich ist groß, mir gehorchen Viele. Wenn die Nacht kommt, sei auf dieser Stelle, dann hole ich Dich und führe Dich in mein Schloß.

So geschah es. Sie kam, er reichte ihr die Hand. Einen feuchten Schleier, wie von Mondlicht gewebt, schlug er um sie, und hinter sich hörte sie es rauschen, während eine unsichtbare Macht sie in seinen Armen mit Blitzesschnelle fortriß. Aber in wenigen Augenblicken waren sie an den Thoren eines prächtigen Schlosses, das dort stand, Herr Eugen, wo jetzt die Landzunge und der Wald in den See laufen.

Viele Damen und Herren empfingen sie, alle waren glänzend weiß und wunderschön; alle trugen köstliches Geschmeide und alle waren bereit, dem armen Fischermädchen zu dienen und ihr ihre Huldigungen darzubringen. – Ich könnte Ihnen nun viel erzählen, wie jede Nacht ein Fest war, und wie der Herzog Alles that, um sein junges Gemahl heiter und froh zu machen. Was er aber auch thun mochte, die Herzogin ward immer trauriger, denn sie wußte wohl, daß sie nicht bei denen war, zu denen sie gehörte. – Mit der Morgenfrühe schlief sie ein, und nichts vermochte sie aufzuwecken; sie erwachte erst wieder, wenn in dem glänzenden Schloß zahllose Kerzen und Fackeln brannten.

Endlich, als ihre Sehnsucht nicht mehr zu stillen war, und ihre Thränen nicht aufhören wollten, versprach ihr der Herzog, daß sie ihre Eltern wiedersehen sollte, und ihre Brüder und Verwandten; doch mußte sie geloben, mit keinem Worte zu verrathen, wo sie gewesen sei und was mit ihr geschehen. Wenn aber der Mond wieder voll am Himmel stehe, müsse sie zurückkehren.

Nun brachte sie ein prächtiger Wagen vor ihres Vaters Hütte, den vier weiße Roße zogen. Es war eine Freude und ein Entzücken über alle Maßen. Jeder wollte hören, wo sie gewesen sei, allein sie sagte es Niemandem. Die reichen Geschenke, welche sie austheilte, beruhigten die Neugierigen vor der Hand; bald dann sah man das Fischermädchen in ihren bunten Röcken über Wiesen und Felder laufen, hörte ihre Lieder klingen, die einst von Allen bewundert wurden, und sah sie bei den Netzen sitzen, heiter lachend mit ihren Brüdern und Freunden.

Darunter aber war Einer, der hatte früher schon ihr gefallen, doch hatte sie es ihm nie merken lassen. Jetzt als sie ihn wieder sah nach Jahr und Tag, kam er ihr schöner als je vor, und auch er war ihr noch mehr gewogen. – Von Tag zu Tag wurde sie unruhiger, und je größer der Mond wuchs, um so höher stieg ihre Angst. Sie sagte nichts, wie man auch in sie drang, selbst dem Priester nichts, der geholt wurde; sie rang die Hände in Schmerz und Jammer und in der letzten Nacht lief sie an den See hinaus und bat in die Wellen hinein: Nur noch einen Mond schenke mir, nur einen Mond noch! – Aber ein dumpfes Murmeln zog über das Wasser und ein leiser, eiskalter Hauch drang ihr in's Ohr und sagte: Nein!

Da machte sie sich am nächsten Abend auf, als Alle zur Ruhe waren, die sie liebte. Sie küßte ihres Vaters Mund und ihre Mutter, und weinte und herzte sie zum letzten Male. Doch sie hörten nichts davon, die Geister der Nacht hatten sie eingeschläfert. Sie zog ihre schönen weißen Kleider wieder an und schmückte sich mit den Ketten von Edelsteinen; dann ging sie zitternd an den Busch hinaus, wo der Fremde sie zum ersten Male gesehen hatte.

Und als sie dort stand, faßte plötzlich eine Hand die ihre, aber es war eine warme Menschenhand, und eine Stimme, die Stimme ihres Freundes, sagte bittend:

Wo willst Du hin? Bleib bei mir, ich lasse Dich nicht! – Sage mir, was Dich von uns treibt, rief er dann noch inniger, ich will Dich frei machen und koste es auch mein Leben.

Sie sank in seine Arme und seufzte, doch eben als sie sprechen wollte, kam ein Windstoß und schleuderte ihn fort, und hinter dem Busche schnaubten vier weiße Pferde mit feurig rothen Augen.

Im nächsten Augenblick saß die Herzogin in dem Wagen von Krystall, und fort ging es, daß dem Fischer, der sich an eine Achse geklammert hatte, die Sinne vergingen. Aber er ließ nicht los, und plötzlich donnerte der Hufschlag über eine Brücke und vor ihm lag ein glänzendes großes Schloß; aus dem kamen viele wunderschöne Fräulein, Herren mit Fackeln und ein bleicher, großer Mann, der eine goldne Krone trug und lächelnd die Arme ausbreitete, als der Krystallwagen geöffnet wurde.

Da sprang der Fischer vor und öffnete auch die Arme, und die Herzogin stürzte sich hinein und schrie verzweiflungsvoll:

Rette mich! Rette mich und fliehe! Alles ist Lug und Trug, kein Blut, kein Fleisch, kein Herz und keine Seele wohnt in ihnen!

Das waren ihre letzten Worte. Denn kaum waren sie gesprochen, so krachte der Boden und spaltete sich. Ein Donnerschlag warf den Fischer nieder, und als er aufwachte war es Tag. Er lag dort unter den Bäumen auf der Landzunge, und nie hat man das Schloß wieder gesehen. –

 

Hier wurde Evas Erzählung durch einen hellen Fischerschrei unterbrochen. Sie waren ganz in der Nähe des Hauses und sahen im Abendschein eben vor sich hin einen Kahn an den Steg stoßen.

Es ist Adam, rief Eva. Und dort steht mein Vater.

Der Hauptmann stand wirklich am Lande mit einem Gefäße beschäftigt, in welches er seine ganze Kriegsbeute des langen Tages geschüttet hatte. Adam hockte neben ihm und untersuchte den Fang, der sehr reich ausgefallen sein mußte; denn Beide bemerkten das nahende kleine Fahrzeug, das geräuschlos an den Weidenbüschen hinschwamm, nicht eher, bis es wenige Ellen vor ihnen war.

Himmel Element! schrie der Hauptmann ganz erstaunt. Was ist das? Ist er's, Adam?

Ja, ja Herr, sagte dieser nicht weniger verwundert.

Eugen sprang auf den Steg und milderte die Verlegenheit des alten Soldaten, indem er sich ihm kurz und bündig vorstellte. –

Ich kam zu spät, sagte er, und da ich die Schuld trage, hielt ich es für Recht, zu bleiben und Sie zu erwarten.

Hausberg trocknete seine nassen Hände, und während der junge Mann ihm seinen Auftrag wiederholte, einige Fragen beantwortete und über sich und seine Reise ein paar allgemeine Bemerkungen hinzufügte, betrachtete er ihn aufmerksam. Das fein geschnittene Gesicht mit freier Stirn und lebhaften Augen mußte Erinnerungen in ihm erwecken, denn er nickte mehrmals leise und trat dann näher heran, um zu prüfen, ob er einen vollen Kopf höher sei als Eugen. Zuletzt warf er keinen eben günstigen Blick auf das Bärtchen, das seines Gastes Lippe bedeckte, und einen noch grämlicheren auf das kurze dunkle Haar, daß an den Seiten des Gesichts wuchs.

Es ist mir wahrhaftig lieb, Sie hier zu finden, sagte er dann, lieb Sie zu sehen, Herr von Werder. Sie erinnern mich lebhaft an Ihren Vater, der ziemlich auch so aussah, mit Abrechnung der Haare da, die damals nicht geduldet wurden. Nun, Jeder nach seiner Façon. – Geben Sie mir Ihre Hand; so, stehen Sie gerade. Wie viel Zoll?

Sie meinen meine Länge? fragte Eugen lachend. Ich weiß es nicht.

Sie wissen es nicht? – Adam hierher!

Adam richtete sich stolz neben Eugen auf. Er war beinahe so groß, wie der Hauptmann.

Adam hat zehn Zoll, Sie haben höchstens sechs, sagte er. Gerade so viel wie Ihr Vater. – Adam, trage die Fische fort, Angeln und Geräthe, wohin sie gehören. Suche aus, Eva, was dir gefällt, das Andere gieb dem armen Weibe nebenan. Marie soll kochen, rasch dabei sein, habe Hunger mitgebracht. Hierher, Herr von Werder, in die Laube, bis der Tisch gedeckt ist. – War ein prächtiger Tag; Zug um Zug. Beiß du und der Satan! – Sie müssen wissen, Herr, – was sind Sie? Lieutenant? – O, kann's wohl denken. In der Garde? Nicht so? Cavallerie, Husar?

Ich bin nicht Soldat, sagte Eugen.

Der Hauptmann hatte, nachdem er alle seine Befehle gegeben, sich in der Laube niedergesetzt, wo er seine Pfeife zu stopfen begann. –

Nicht Soldat! rief er innehaltend. Wenn ich einen Sohn hätte und er wäre nicht Soldat – ich wollte ihn! Aber haha! mein alter Kamerad ward auch so ein Federfuchser. Nun, Jeder nach seiner Façon. Sie sind in den Civildienst getreten. Wir haben ja Räthe und so Dergleichen auf alle Buchstaben.

Ich stehe in keines Herren Dienst, als in meinem eigenen, erwiederte Eugen.

Nicht im Dienst? fragte Hausberg, als könnte er nicht begreifen, wie Jemand nicht im Dienst sein könnte. – Aha! merk' es wohl, fuhr er dann spottend fort, arbeiten ist eine üble Sache; wer's erfunden hat, verdiente aufgehängt zu werden. Reisen ist angenehmer. Mein alter Kamerad hat das Geld dazu, den Herrn Sohn in die Welt zu schicken, um zu proben, wo der beste Wein wächst. – Nun, Jeder nach seiner Façon. Können der Frau Mama jetzt was erzählen, und als Gutsbesitzer das Ding mit ansehen.

Sie irren abermals, sagte Eugen. Ich bin nicht einmal Gutsbesitzer, und werde es auch schwerlich jemals werden.

Nun meinetwegen! rief der Hauptmann ungeduldig; aber Sie werden doch etwas sein?

O, ja wohl. Ich bin Maler.

Was? fragte der alte Soldat ihn starr betrachtend und den Arm aufstemmend.

Maler, sagte Eugen noch einmal.

Mord – Element! stöhnte Hausberg – Maler! Was? Dummes Zeug! Unsinn! Eines Generals Sohn – Ihr Vater, sagen Sie, gilt noch immer etwas bei den höchsten Herrschaften, und dabei Maler?! – Machen Sie das einem Anderen weiß, Herr von Werder. Maler Farbenklexer – Pinselkasten! – Donnerwetter! Pui Teufel! es ist nicht wahr.

Es ist allerdings wahr, theurer Herr Hauptmann, lachte Eugen auf's Höchste belustigt.

Nun, wenn es wahr ist so– geht die Welt bald unter, rief Hausberg. Freilich steht sie schon auf dem Kopfe. Zu meiner Zeit, Kreuz Element! Ein Maler war ein Ding, beinahe wie ein Priester oder wie ein Schulmeister. Es wurde das Einer nur, wenn er weiter gar nichts Anderes werden konnte.

Aber es gab doch auch Hofmaler?

Hofmaler und Hofnarren! schrie der Hauptmann noch immer voller Zorn. Es gab auch Hofpoeten und allerlei ähnliches Gesindel zur Belustigung für große Herren.

Sie haben nur zu Recht, erwiederte der junge Mann. Indeß, fuhr er lächelnd fort, mag es geschehen, warum es will, aus Eitelkeit, Hochmuth oder anderer Narrheit, es ist immer schon gut, daß der liebe Gott, der alle Dinge recht macht, es so fügt, daß seine Begünstigten auf Erden Kunstwerke sammeln und besitzen wollen, damit Farbenklexer sammt allerlei anderem unnützen Volt nicht ganz und gar umkommen mag. Ich komme soeben von England zurück. Sie glauben nicht, was die reichen Herren dort für wunderliche Käuze sind.

Brave Burschen, diese Engländer, rief der Hauptmann. Fahren bis nach Norwegen und ins Mittelmeer, um Fische zu fangen.

Und plündern Italien seit Jahrhunderten, um ihre Schlösser mit prachtvollen Bildern und Statuen zu versorgen, die dann Niemand wieder zu sehen bekommt.

Echte Kernmänner! fiel Hausberg wieder ein. Ich habe von Einem gelesen, der zehn Jahre lang in Norwegen, vom Frühjahr bis zum Winter, auf einer Klippe saß und Lachse fing, ohne ein Wort zu sprechen. – Es kriegt's keiner hier fertig. Der Major nicht, ich nicht, der Feldwebel nicht. – Haben Sie englische Lachsangeln gesehen, Herr von Werder?

Nein, fragte Eugen lachend, aber ich habe englische Lords gemalt.

So, sagte Hausberg, und nun wollen Sie nach Haus und weiter malen?

So ist es, erwiederte Eugen. Ich habe Aufträge auszuführen, und denke meinem Vater Freude zu bereiten, wenn ich ihm meine gefüllten Mappen mitbringe. – Ich habe seinen Wunsch erfüllt, und Ihnen meinen Besuch gemacht. Ein glücklicher, überaus glücklicher Tag ist mir dafür geworden; lange noch werde ich an ihn zurückdenken und ihn niemals vergessen.

Ein glücklicher Tag? fragte Hausberg. Wo haben Sie den verlebt? Hier?

Ja, hier.

Geangelt? rief der Hauptmann.

Ich will's meinen, geangelt.

Und was haben Sie denn gefangen?

Den schönsten Fisch, den dieser See hegt.

Wo, – wo?! schrie der alte Soldat lebhaft.

Lieber Hauptmann, sagte Eugen ihn festhaltend, merken Sie nicht, daß ich nur bildlich spreche? Ich habe mit Eva umhergeschwärmt, in Wald und See. Welche reich begabte schöne Natur ist in diesem Kinde. Es ist ein Edelstein, der nur geschliffen zu werden braucht, um den höchsten Werth zu haben.

Dummes Zeug! brummte der Hauptmann seine Stirn faltend.

Sie haben nur das eine Kind? fuhr Eugen fort.

Es ist ein Mädchen, sagte Hausberg verächtlich. Wollte, daß es ein Junge wäre.

Und weil es ein Mädchen ist, haben Sie sich nicht um sie bekümmert?

Was, bekümmert! fuhr der Hauptmann auf. Sie ist groß geworden, wird noch größer werden.

Aber sie ist aufgewachsen ohne mütterliche Pflege, ohne die liebende Hand einer sorgfältigen Erziehung, unter Fischern und rohen Leuten.

Was zum Henker, Herr! Was kümmern Sie sich darum? fragte der Hauptmann gereizt.

Ich denke, sagte Eugen, daß ich im Namen meines Vaters, Ihres alten Freundes, spreche. – Wenn er hier säße, wo ich sitze, so würde er Ihnen dieselben Vorstellungen machen. – Hausberg, würde er sagen, Du hast dies Kind nicht erzogen, wie es Deine Pflicht war.

Wie es meine Pflicht war! Junger Mann, Jeder in seiner Façon. Gewehr beim Fuß in meinen vier Pfählen!

Ich wiederhole es dennoch, fuhr Eugen fort. Eva ist Ihre Tochter; Ihrem Stande nach mußten Sie größere Sorge für sie tragen, sie nicht wild ohne Beispiel und Lehre aufwachsen lassen, ein Fremdling in der Welt, der sie angehören soll.

Donnerwetter! schrie der alte Soldat, wild auf den Tisch schlagend. Nun ist's genug!

Eins nur noch, sprach Eugen unerschütterlich. Haben Sie nie daran gedacht, was aus diesem Kinde werden soll, wenn Sie nicht mehr sein werden? – Sie haben nicht daran gedacht, denn Sie würden besorgter gewesen sein. Vermögen besitzen Sie nicht.

Nein! rief der Hauptmann ingrimmig. Schmale Pension, weiter nichts.

Wer würde als Freund, als Schützer und Sorger bei Eva stehen, wenn Sie heut' abgerufen würden? – Verlassen in einer fremden Welt, würde alles Unglück, das über sie einbricht, Sie anklagen, und mit welchem Herzen wollen Sie das vor sich selbst verantworten?

Der Hauptmann war stiller geworden. Er hatte die Pfeife auf den Tisch gelegt und die Arme gekreuzt.

Es ist etwas Wahres daran, murmelte er vor sich hin, aber Jeder in seiner Façon! und Herr – Sie sind ein Maler, Sie mischen die Farben, doch Ihre Bilder taugen nichts.

Ich denke doch, sie haben einigen Eindruck auf Sie gemacht.

Genug Herr, genug! fuhr Hausberg heftiger fort. Beleidigungen dulde ich nicht. – Fort! sage ich.

Eugen stand auf. –

Sie heißen mich gehen, erwiederte er gelassen, und ich werde geben. Beleidigen habe ich Sie nicht wollen; ich habe zu Ihnen offen und ehrlich gesprochen als der Sohn Ihres alten Freundes, ohne Umschweife und Winkelzüge. Leben Sie wohl, Herr Hauptmann, mögen Sie thun, was Sie für Recht halten.

Bleiben Sie! rief Hausberg, als Eugen einige Schritte gegangen war. – So war es nicht gemeint; ich will's bedenken, aber Jeder in seiner Façon und keine Narrenspossen weiter!

So will ich morgen noch einmal wieder kommen, sagte der junge Mann. Für heute gute Nacht, Hauptmann Hausberg!


3.

Der Hauptmann saß noch lange in der Laube. Er hatte alle Ungeduld und allen Hunger vergessen, und während er zum ersten Male in seinem Leben an Eva's Glück und Zukunft dachte und seinen heftigen Unwillen gegen den unverschämten Maler bedroht sah durch die Gewalt der Wahrheit dessen, was dieser ihm vorgeworfen, hatte Eva bei ihrem Freunde Adam auf einer Bank am Wasser Platz genommen. Diese Bank bestand aus einem schmalen Bret, das Adam über zwei Klötze gebreitet, welche sorgsam im Gleichgewicht gehalten werden mußten. Eva legte deshalb ihren einen Arm auf Adams Schulter, er den anderen um ihren Leib. So sahen sie auf den See hinaus. Der Mond beglänzte ihre Gesichter und funkelte in zahllosen kleinen blitzenden Furchen über den weiten Wasserspiegel. Die Halme nickten ringsum, die Weidenbüsche flüsterten; die Ferne, dämmernd und grenzenlos, ließ allen Ahnungen Raum, und durch die Stille dieser glänzenden Nacht drang das luftige Geschwätz und Lachen der beiden jungen Leute, die so viel zu sprechen hatten.

Eva erzählte Alles, was sich zugetragen, aber Adam unterbrach sie oft mit seinen Bemerkungen, die zum Theil über Eugen herfielen, doch so gutmüthig klangen, daß Eva mitlachte.

Du kannst den Eugen nicht leiden, sagte sie endlich, darum gefällt Dir nichts an ihm.

Meiner Treu, es ist wahr, erwiederte er. Ich hatte ihn noch gar nicht gesehen, allein sein Name schon machte mir ein Gruseln, ich weiß nicht warum. – Wie kann ein Mensch auch solchen Namen haben, den man kaum aussprechen kann!

Ei Adam, sagte sie, Eugen klingt besser wie Dein Name, und dann ist er ein Edelmann, sein Vater ist ein großer Herr, und was er kann, kannst Du nicht.

Und was ich kann, rief Adam eifrig, soll er bleiben lassen. Ein Edelmann! Was frag' ich darnach, Eva? Wir brauchen ihn nicht. Die da oben in dem alten Schlosse wohnten, waren auch Edelleute, und wo sind sie hingekommen? Das Volk hat sie zuletzt todtgeschlagen, kein Stein ist auf dem anderen geblieben. Wir wohnen hier unten immer noch in Frieden, als ehrliche Leute, und wenn es auf mich ankäme, Sackerment!

Er streckte den Arm in das Mondlicht aus und schüttelte ihn zornig. Das Bret kam in's Schwanken, beinahe wären sie beide gefallen, nur eine rasche Wendung Adam's, indem er Eva fest an sich drückte, stellte das Gleichgewicht wieder her. Als sie aufgehört hatten zu lachen, faßte sie ihm an's Kinn und sah ihn schelmisch an.

Wie Du böse aussiehst, sagte sie, beinahe wie Einer von denen, die das Schloß gestürmt und den wilden Baron todtgeschlagen haben. – Haft etwas gegen mich, Adam?

Ei nun, nein! rief er über seine Stirn fahrend, aber es wurmt mich, daß ich nicht hier war, und ärgert mich, wie es mich angeführt hat.

Wer hat Dich angeführt?

Was weiß ich es! Am Ende bin ich es selbst gewesen, sagte er lachend. Ich hatte es klug angefangen, Deinen Vater mit fortzunehmen, und meinte dabei, der fremde Umläufer sollte abziehen. Statt dessen ist der Sackerment den ganzen Tag hier geblieben und hat sich so lustig gemacht, wie er sagt, wie's ihm lange nicht geschehen ist.

Morgen reist er fort und kommt nicht wieder, Adam.

Glück auf die Reise! rief der Fischerbube, aber weißt' was, lieb Evchen, ich komme morgen schon in aller Frühe, und nehme Dich mit an die Flöße hinüber, wo ich heut' schon die Zeichen einschlagen sollte und es nicht gethan habe.

Närrischer Adam, lachte das Mädchen, ich darf nicht fort mit Dir, und Dein Vater hat längst schon gewettert, daß Du deine Zeit um nichts hältst.

Ei freilich, sagte Adam kopfschüttelnd, der alte Mann hat auch so Unrecht nicht. Er will einen besseren Beistand an mir haben in seinem Holzgeschäft, und ich versteh's auch gut genug, Eva; aber da müßte ich wochenlang den Fluß hinunter und hinauf, müßte handeln und mit allerlei Leuten umgehen, und könnte nicht bei Dir sein, Dich nicht sehen, nicht hören was Du sagst.

Mußt Du es denn hören, Adam?

Er sah sie an und nickte ihr zu. –

Weiß es Gott! Eva, es ist mir so, als dürftest Du kein Wort reden, als zu mir, und wenn ich denke, denke ich an Dich, wenn ich Dich sehe, ist Alles gut, und weißt', wenn ich fort bin, kommt's über mich, als sollt' 'ich laufen und Dich suchen, weil mir ist, als ob Du mich gerufen hättest.

Ich rufe auch oft, wenn ich allein bin, sagte sie.

Rufst mich? rief er sie fester haltend und anschauend. Ich glaube, ich höre Dich, wenn ich weit fort bin, und wär's viel weiter noch in der Welt, ich würde es doch immer hören.

Der Hauptmann hatte schon seit einiger Zeit nahe bei ihnen gestanden, jetzt trat er dicht heran und legte seine Hände auf ihre Köpfe. Es war eine so sanfte, freundliche Begegnung, wie sie Eva selten von ihm erfahren hatte. Sein rauhes Commandiren ließ sich nicht leicht zu einer Zärtlichkeit herab. War er gesund, so befahl er kurz und bestimmt, und war er krank oder verdrießlich, so verwandelten sich die Befehle in Regimentsflüche.

Sie sah daher verwundert auf und fühlte ein leises, sonderbares Beben, als der rauhe Vater mit weicher Stimme sagte: Ihr habt Euch wohl recht lieb, Kinder?

Beide schwiegen einen Augenblick, bis Adam muthig antwortete:

Ich wüßte nicht, was mir lieber wäre, Hauptmann.

Bist ein braver Junge, fuhr der alte Soldat fort, fürchtest Dich nicht. – Bleib sitzen, mein Sohn, bist ein Hans Narr so gut wie Einer; aber Jeder in seiner Façon, und – Himmel Element! bist mir lieber, wie zehn Schwarzröcke.

Wo ist Eugen, Vater? fragte Eva.

Still geschwiegen! rief Hausberg. – Nun sage mir, Adam – es ist eine kitzliche Frage, Bursche, aber wenn's nun so wäre – wenn ich in's Hauptquartier müßte, – weißt wohl, was ich meine: dahin, von wo noch keiner zurückgekehrt ist, wo sie beißen, mag's Wetter sein wie es will Element! Adam, Junge, den Kopf in die Höh'! – in's Grab meine ich, und ich ließe das dumme Mädchen da allein zurück: würd'st sie immer lieb haben und nicht verlassen?

Oho! sagte Adam, und es klang, als wollte er an Etwas ersticken, oho, Hauptmann, sprechen Sie nicht so! – Verlassen? Warum sollt ich sie verlassen? Da ist der See und der alte Thurm, und da sind wir; wir halten aus miteinander.

So ist's gut, sagte Hausberg, kannst jetzt nach Haus geben, Adam, bist permittirt bis morgen. Habe aber weiter ein Wort zu reden mit Dir. Wenn es Tag wird, Adam, geh zu dem Major und zum Feldwebel und mache eine Meldung, ich wünschte sie hier zu sehen, punkt sieben Uhr. Verstanden?

Ja, Hauptmann, erwiederte Adam.

Rechts um, rief der alte Soldat, und Eva's Hand fassend ging er dem Hause zu, wo er gerade zur rechten Zeit kam, als die alte Magd den Fischfessel vom Feuer hob.

Den ganzen Rest des Abends über war er schweigsam. Nur zuweilen, wenn er sich in dichte Rauchwolken gehüllt hatte, sah er daraus mit einem Ausdruck seines braunrothen mächtigen Gesichtes hervor, der für ein Lächeln gehalten werden konnte. Jedenfalls versenkte er sich in allerlei vergnügliche Betrachtungen, denn er brummte dann und wann ein paar Takte des Dessauer Marsches und trommelte dazu mit den Fingern auf den Tisch, pfiff auch ein paar Hornsignale und reckte endlich einmal sogar seinen langen Arm nach Eva aus, faßte sie an's Kinn und sagte freundlich: Bist vergnügt Eva? Zeigst die Zähne, wie ein junger Affe.

Eva hatte sich im Gedanken mit Allem beschäftigt, was sie den Tag über erlebte. Sie saß am Tische mit einer Näherei beschäftigt, doch während sie Stich auf Stich in das grobe Linnentuch machte, auf welches die kleine Lampe ein spärliches Licht warf, funkelten ihre Augen vor innerer Luft und ihre Lippen ließen sich kaum vom Lachen abhalten. – Sie lief mit Eugen wieder in den Wald, sie naschte aus seinen Händen die Erdbeeren und biß ihn in die Finger, sie fuhr mit ihm durch den wogenden Garten der Herzogin und hörte seine wohltönende Stimme, die so neckisch klang, wenn er kleine Eva sagte. Dann sah sie Adam ihn anstarren und die Hände in die Taschen stecken, wie eine wilde Katze aus seinem buschigen Haar die Augen auf ihn richten und ihr allerlei Spott zuflüstern. –

Sie biß mit ihren weißen Zähnen den Faden ab, um nicht laut aufzulachen; doch als jetzt der Vater zu ihr sprach, konnte sie es nicht lassen. –

Ei, sagte sie, es ist heut ein guter Tag gewesen, vom Morgen bis zum Abend, lauter Freude und Herrlichkeit.

Und meinst nun, das ganze Leben soll so sein, rief Hausberg.

Warum nicht, Vater? fragte sie.

Warum nicht? – Darum nicht, sagte er.

Eva sah ihn an, als wollte sie wieder loslachen.

Darum nicht, fuhr er fort, weil ein Menschenleben und alles Leben in der Welt sich eintheilt in gutes und schlechtes Quartier. Jeder Mensch, Eva, ist ein Soldat. Zuweilen hat er Ueberschuß, doppelte Rationen, kommt unter die Grenadiere, kriegt Feldzulage, hilft eine Kriegskasse erobern, macht Beute; aber allermeist geht's ihm schlecht. Die Proviant-Colonne bleibt zurück, der Speck fehlt, das Brot geht aus, kein Tabak mehr. Himmel Element! Da heißt's Subordination und nicht räsonirt. Verstanden?

Ich hab's verstanden, Vater.

Bist ein jung Ding, Eva, sagte er nach einigen kräftigen Zügen aus der Pfeife, hast noch Deine Zeit vor Dir, weißt aber doch nicht, ob Du jemals Gefreiter oder Unteroffizier wirst.

Will's auch nicht werden, fiel sie ein.

Papperlapapp! rief Hausberg, avanciren wollt ihr Alle, Tressen und Litzen ist eure Sache. Aber mag's drum sein. Bist ein Grundfisch, hast nichts obenauf zu schaffen, zu putzen und zu spiegeln.

Ein Fisch will ich nicht sein, lachte Eva. Lieber eine Fee.

Ist vorbei mit der Feenzeit, erwiederte der Hauptmann, aber Fische seid ihr Alle, beißt an jeder Angel. –

Er lachte vor sich hin, legte dann den Finger an seine gewaltige Nase und fuhr fort:

Merk auf, Eva, was ich Dir sagen will. Bist jetzt siebzehn Jahre alt, gerade so alt, wie Deine Mutter, als ich hier in's Haus kam.

Und als Du sie heirathetest, war sie drei Monate älter.

Richtig. War rasch abgemacht mit uns. – In einer Nacht, wo ich nicht schlafen konnte, fiel's mir ein. Willst mich haben, Anna? fragte ich am Morgen. Ja, sagte sie. Mittags ging ich zum Pfarrer, kaufte all den Pfaffenkram ab. Sonnabend war's, Tags darauf wurden wir zusammengegeben. Das nennt man heirathen, wie es sein muß.

Heirathen, wie es sein muß, wiederholte Eva nachsinnend.

Nun, sagte der Hauptmann ihr zunickend, weißt etwa Einen, Eva, mit dem Du es auch so machen möchtest?

Ich weiß zwei Vater, rief sie freudig.

Element! Zwei? fuhr der alte Soldat auf.

Eugen, fuhr sie fort, und Adam.

Den Farbenklexer! schrie er heftig.

O, Du weißt gar nicht, was er kann, sagte sie unerschrocken. Er ist so gut, und hat so viel gelernt. Den Thurm, den See und das Haus, Alles hat er mir geschenkt.

Sie sprang auf und holte das Bild, auf welches der Hauptmann einen Blick warf, es dann aber sogleich mit beiden Händen zusammendrückte, zerknillte und in die Tasche steckte. –

Marsch in's Bett! rief er in seiner rauhesten Weise. Jeder nach seiner Façon. Werde Dir morgen zeigen, wie ich's haben will.

Eva's Augen füllten sich mit großen Thränen, allein sie war gewöhnt zu gehorchen und zu schweigen. – Sie warf einen bittenden Blick auf den Vater und streckte die Hand aus ohne ein Wort zu sagen.

Rechts um! rief Hausberg. Wenn der Patron morgen wieder kommt, sprichst kein Wort mit ihm. Will's Dir rathen. Schweig still und geh.

Es war eine traurige Nacht. Zum ersten Male fühlte Eva einen Zorn gegen ihren Vater, der sie erbitterte, zum ersten Male weinte sie nicht, sondern sie saß mit funkelnden Augen und geballten Händen in der dunkeln Kammer auf ihrem Bett und trotzte seiner Ungerechtigkeit. Eine dürftige Freude füllte ihr Herz bei dem Gedanken, daß Eugen morgen wiederkommen werde. Der Hauptmann hatte mit seinen Schimpfreden auf ihn ein Gefühl angefacht, das bewußtlos, aber mit Heftigkeit Eugen zu schützen und zu vertheidigen suchte. – In der finsteren Kammer stand er mit seinem sanften Lächeln vor dem jungen Mädchen, und seine Augen, die so tief und dunkel waren, schienen seine Vertheidigung von ihr zu fordern.

Lange saß sie, und unzählige Gedanken fuhren verwirrt durch ihren Kopf; unzählige Pläne baute sie auf morgen, wenn er kommen würde. Endlich schlief sie mit dem festen Entschluß ein, dem Vater nicht zu gehorchen, und als sie aufwachte, der Tag hell in's Fenster schien und die Stimme des Hauptmanns polternd über die Langschläferei sich hören ließ, fiel ihr sogleich wieder das grausam zerstörte Bild ein, und ihr Herz zog sich vor Schmerz und Unwillen zusammen.

Sonst sprang sie leichtfüßig und lachend in den Morgen hinein, und wie die Commandoworte auch ihr nachflogen, sie ließ sich in ihrem Frohsinn davon nicht anfechten. – Der frische Morgenthau, die kühle Luft vom See, der duftige Hauch, den die jungen Sonnenstrahlen vom Walde herbrachten, und die Gewißheit, wenn der Vater hinaus war, ungestört thun zu können was sie wollte, nahmen allen Trübsinn fort. Das Gepolter des alten Soldaten erschreckte sie nicht, er meinte es auch so böse nicht, es war nur seine Façon so, und seit sie denken konnte, war es nicht anders gewesen.

Heut' aber, wo die Sonne so goldig aufgestanden war, wo der schönste Tag durch die leise grüßenden Blätter der Maienbäume am Berge rauschte, wo alle Blumen und alle Thiere voll Lebensluft ihn empfingen, heut zum ersten Male waren Eva's Augen trübe und gesenkt. Die alte Marie hörte vergebens nach ihrem Morgengesang, und dem Vater reichte sie nicht die Hand, noch sah sie ihn mit den glänzenden Blicken an und rief ihm wie sonst wohl schalkhaft zu: Heut beißt Alles, Vater. – Sie ging an ihm vorüber mit einem leise gemurmelten Gruß in die Küche, um den Kaffee zu machen, aber kein Lachen, kein Triller, kein Lärm und Geschwätz ließ sich vernehmen.

Der Hauptmann horchte bei jedem Gange durch die Stube, wenn er an der Thür still stand. Alle Fenster hatte er geöffnet, und geärgert blieb er endlich dort am Tischchen sitzen, trank seinen Kaffee ohne in die Lindenlaube zu gehen, bis er endlich aus dem großen Kleiderschranke seine hohen Stiefeln hervorholte, den blauen Frack und die schwarzen Beinkleider, den einzigen stattlichen Anzug, welchen er seit zwanzig Jahren besessen, zum unsäglichen Erstaunen der alten Magd reinigen ließ, während er sich rasirte, und eine unerhörte Sorgfalt mit Waschen und Putzen an sich verschwendete.

 

Während dies geschah, schwamm ein kleiner Kahn an dem Weidenufer entlang und legte sich an den Steg. Zwei alte Männer saßen darin, Angelruthen sahen zu beiden Seiten vor. Fischgeräth und Kober lagen auf dem Boden; hinterher schwammen zwei kleine Fischkasten. –

Die Männer stiegen aus. Der Eine war klein und dick, der Andere sehr dürr und lang. Der Dicke hatte ganz winzige Augen, welche hinter mächtige Fleischpolster sich zurückgezogen hatten; der Dünne eine große spitze Nase, die bläulich in die Welt schaute. –

Sie sprachen kein Wort, als sie kamen und ausstiegen, sahen auf den See hinaus und dann das Haus an, und dann wieder das Haus und den See, bis die Stadtuhr siebenmal schlug.

Es war der Major und der Feldwebel, welche jetzt zu gleicher Zeit die Köpfe schüttelten und neue Betrachtungen anstellten.

Zeit vergeht, brummte endlich der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Beste Zeit vorbei, murmelte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel noch einmal.

Können nicht fort, rief der Major mit sich selbst im Streit.

Bestellt, sagte der Feldwebel mit Anstrengung, indem er sich aufrichtete.

Der Major nickte; es trat wiederum eine lange Pause ein.

Lindenlaube da, sagte er endlich auf die Laube deutend.

Hm! antwortete der Feldwebel.

Beide machten sich auf den Weg und legten sich in der Laube nieder. Im Hause war Alles still, es kam kein Mensch an die Thür.

Curios! brummte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Beide saßen ohne Regung an dem Gegitter, die Augen unverwandt auf die Thür geheftet. Die Sonne trat über den Berg, brach durch das flüsternde Laub und beleuchtete die unbeweglichen Gesichter der Männer.

Anklopfen? sagte der Feldwebel endlich.

Warten, antwortete der Major.

Merkwürdig, sagte der Feldwebel mit einem tiefen Athemzuge.

Der Major drehte den Kopf nach ihm um und sah ihn. – Subordination! brummte er.

Hm! sagte der Feldwebel.

Plötzlich öffnete sich die Thüre, und da stand der Hauptmann im blauen Frack, zugeknöpft bis an den Hals, eine steife schwarze Binde mit weißem Vorstoß umgethan, einen Hut auf dem Kopf, die hohen Stiefeln blank und straff an den Füßen in die Höhe gezogen und ein spanisches Rohr in der Hand.

Ein Wallfisch oder eine himmlische Erscheinung hätte auf die beiden Männer keine größere Wirkung hervorbringen können. Die Augen des Majors öffneten sich so weit, daß sie hervortraten. Der Feldwebel schien zu wachsen; er drückte seine unermeßlichen Arme fest an den dünnen Leib und blieb in dieser Stellung, als der Hauptmann hereintrat, der sehr feierlich, ernsthaft aussah, an seinen Hut faßte und guten Morgen sagte.

Danke Major für ihr Kommen, sagte er. Danke Feldwebel.

Acht Uhr bald, murmelte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Der Hauptmann wurde dunkelroth. –

Habe den Verweis verdient, antwortete er; entschuldigt mich nichts, obwohl es eine Sache von Wichtigkeit ist. Suche nach Papieren und konnte sie nicht finden. Mußte sie aber haben, war sonst nichts mit der ganzen Affaire.

Seid entschuldigt, brummte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Fangt an, murmelte der Major.

Die Sache ist die, erwiederte der Hauptmann, daß ich eine Tochter habe. Kennt sie.

Der Kriegsrath nickte.

Bin alt, fuhr der Hauptmann fort; altes Holz bricht, braucht nicht wurmstichig zu sein. Eine Kugel hat mich nicht haben wollen, kann aber der Mann mit der Sense über Nacht kommen.

Der Major zog die Augen so weit zurück, daß gar nichts mehr von ihnen zu sehen war, und stieß ein tiefes, unheimliches Gebrumm aus.

Hm! sagte der Feldwebel.

Ist unangenehm zu denken, sagte der Hauptmann, muß aber doch gedacht werden. – Habe nichts als die Hütte da, und das Mädchen auf dem Halse, muß sorgen, daß Einer sie mir abnimmt.

Er sah seine beiden Gefährten an, als wollte er fragen: habt ihr Lust dazu?

Der Major schüttelte heftig den Kopf, der Feldwebel noch heftiger.

Weiß wohl, sprach der Hauptmann, könnt kein Weibsbild gebrauchen. Es muß aber doch Einer da sein, der sie nimmt. Habe Einen auch gefunden.

Er schwieg eine Minute lang und betrachtete die stieren Gesichter. –

Adam, fuhr er dann fort, der muß daran. Hab's mir überlegt nochmals in der Nacht. Sind hier beide zusammen aufgewachsen, hat das Mädchen auch lieb und wird sie gut halten. Ein frischer Bursche obenein; fünf Fuß, zehn Zoll; könnte unter die Garde treten. Will sie also zusammenthun.

Er sah den Major an und dann den Feldwebel, der einen respectvollen Seitenblick auf seinen dicken Nachbar warf. Der Major schien etwas zu überlegen, was sich seinem Kopf aufdrängte und darin gestaltete.

Hat einen Vater, brummte er endlich.

Richtig, erwiederte der Hauptmann, weiß es aber gewiß, daß der die Ehre anerkennt, die ich ihm anthue. Eva ist sein Augapfel.

Rangordnung! brummte der Major zu dem Hauptmann aufstarrend.

Hm! sagte der Feldwebel.

Habe auch das bedacht, fiel Hausberg ein, weiß, was ich mir schuldig bin. Habe meine Ehre acht und sechzig Jahre lang bewahrt, soll kein Fleck darauf kommen. Aber Adam's Vater ist Ortsvorsteher, hat Geld erworben, ist ein Mann besser als viele. – Wohne hier mit ihm nun manches Jahr, kenne ihn genau. Heirathen Grafen und Fürsten Kaufmannstöchter, wenn sie Geld haben, ist der Welt Brauch so, und Adam ist ein Bursch, der beste hier herum zu finden.

Mit dieser Lebensphilosophie beendete der Hauptmann seinen Vortrag. Sie war so gut, wie irgend eine in der Welt. Der Major konnte die praktische Richtigkeit nicht anders wie mit einem zustimmenden Brummen beantworten, in welches der Feldwebel einfiel.

Sind also meiner Meinung? fragte Hausberg.

Umstände danach, murmelte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Abgemacht, rief der Hauptmann, und die beiden Gerichtsbeisitzer standen auf und warfen einen sehnsüchtigen Blick nach dem Wasser. –

Halt, noch ein paar Minuten, fuhr er fort. Da sieht Adam über den Zaun. – Hierher, Adam, und heraus mit Dir, Mädchen. – Eva! schrie er mit seiner Commandostimme gegen das Haus gewandt.

Adam war mit einigen Sätzen schnell zur Stelle, und Eva folgte von der Thür her dem donnernden Rufe ihres Vaters. Plötzlich aber hielt dieser inne und stampfte wild mit dem Fuße auf, denn zu gleicher Zeit trat Eugen in den kleinen Garten, und Eva's Gesicht hellte sich auf. Sie hatte Alles vergessen, als sie in die Hände schlug und mit froher Stimme rief:

Da ist er! Herr Eugen, kommen Sie näher.

Stille geschwiegen! schrie Hausberg, und ohne sich darum zu kümmern, daß Eugen dicht in der Nähe war, sagte er in derselben gebieterischen Weise:

Kopf in die Höh', Mädchen, Augen links. Sieh den Burschen da an. Kennst ihn?

Ja, Vater.

Gut, wirst ihn heirathen. Abgemacht, kannst gehen.

Spaß oder Ernst, Herr Hauptmann? sagte Eugen.

Warum? fragte Hausberg stolz.

Weil das Eine eigentlich so unpassend wäre wie das Andere, erwiederte der junge Mann.

Ist meine Sache, rief der Hauptmann. Jeder nach seiner Façon. Verstanden Herr? Wollen heut' noch reisen, wie ich denke?

So kommen Sie nicht davon, Hauptmann Hausberg, sagte Eugen. Ich werde mich auch nicht daran kehren, wenn Sie heftig werden. Ich will nicht dulden, daß dies arme Kind, ohne in der wichtigsten Angelegenheit ihres Lebens gefragt zu werden, wie ein Musketier behandelt wird, der auf Wache ziehen soll.

Element! schrie Hausberg äußerst heftig, Sie – Sie wollen mich Mores lehren!

Das will ich erwiederte Eugen ruhig, wenn Sie Sitte annehmen wollen, Hauptmann Hausberg. – Ich habe Ihnen gestern schon gesagt, daß ich im Namen meines Vaters, Ihres alten Freundes, zu handeln glaube, wenn ich Ihnen die eindringlichsten Vorstellungen mache, Glück und Wohl Ihres Kindes zu sichern.

Hab's gethan, antwortete Hausberg mürrisch. Habe Ihre Worte gestern gehört, und will's nicht verheimlichen – habe Ihren Rath richtig gefunden. – Weil das Mädchen verlassen ist, wenn ich auf die grüne Wiese wandre, darum soll sie Adam's Frau werden, so rasch sich's thun läßt.

Wenn mein Rath solche Wirkung hatte, sagte Eugen, so ist es um so mehr meine Pflicht, mich selbst davor zu verwahren. Meine Absicht war eine andere, eine bessere. Ich will Ihnen Vorschläge machen, und wenn Sie fürchten, daß es Eva an Schutz mangelt: mein Vater, meine Familie und ich vor Allen, wir wollen Ihnen Bürgschaft leisten.

Bürgschaft – Sie? fragte Hausberg. Was wollen Sie?

Das Kind des Mannes, der meines Vaters Leben rettete, soll nicht in einer Fischerhütte verkümmern! rief Eugen mit Wärme.

Oho! Element, oho! rief der Hauptmann. Hab's gemerkt schon gestern Abend an den Reden des Mädchens, haben ihr allerlei Dinge in den Kopf gesetzt. Narrenspossen! Jeder in seiner Façon, ist aber meine Art so. – Will keine Sorge mehr darum haben, darum soll sie heirathen.

So erbiete ich mich, Ihnen die Sorge abzunehmen, erwiederte der junge Mann.

Der Hauptmann sah ihn starr an. Wollen sie heirathen? fragte er halb spöttisch, halb drohend.

Eugen schwieg lächelnd und sah Eva an, die ihre großen Augen wunderbar glänzend auf ihn richtete.

Abgemacht! rief Hausberg höhnend. Hierher Adam, bist der Mann dazu. Gieb ihm die Hand, Eva. – Gott's Donner und Blitz! Die Hand her.

In dem Augenblick that Eugen ein paar Schritte und sagte sanft:

Sie haben die Wahl, Eva, zwischen zwei Bewerbern. Wohlan, Herr Hauptmann, ich freie um Ihre Tochter.

Heirathen auf der Stelle? fragte Hausberg.

Auch dazu bin ich bereit, erwiederte Eugen. – Ich bin acht und zwanzig Jahre alt, fuhr er fort, als der Hauptmann schwieg, selbstständig, mein Vater wird mich nicht tadeln, meine Mutter mit Zärtlichkeit Eva's Mutter sein. Gott weiß es! ich habe nicht daran gedacht, eine Frau ihnen zuzuführen, aber ein edleres, unschuldigeres Herz konnte ich nicht finden. – Wollen Sie mir Ihr Glück anvertrauen, Eva? Wollen Sie mir folgen in das Leben, das ich Ihnen gestern mit allen Farben ausgemalt habe?

Halt! rief der Hauptmann. Wovon leben?

Ich bin nicht reich, sagte Eugen, aber auch nicht arm. Durch das Vermächtniß einer Tante bin ich sorgenfrei und kann es Ihnen beweisen. Meine Kunst bringt überdies mehr ein, als Sie glauben.

Der Hauptmann wandte sich zu dem Major und dem Feldwebel, die bisher regungslos gesessen hatten. –

Ist der Sohn des Generals von Werder, sagte er. Habt's gehört und seid meine Zeugen. – Frage Euch um Rath, Kameraden!

Der Major besann sich ein Weilchen, endlich machte er seine Augen weit auf und murmelte:

Wählen!

Hm! sagte der Feldwebel.

Wer? fragte der Hauptmann.

Eva! brummte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Und Du Adam, komm her, mein Sohn, was sagst Du? rief Hausberg.

Adam hob seine Augen auf und sah dem Hauptmann in's Gesicht, dann blickte er zu Eva hin mit einem Ausdruck von Ernst und Freundlichkeit, Kummer und Hoffnung, wie sie es nie gesehen hatte. In seiner groben Jacke stand er männlich und muthig neben Eugen; seine grobe große Hand legte er auf seine Brust, als wollte er dort etwas festdrücken, dann sagte er mit freier Stimme:

Thue was Du willst, Eva. Willst bei uns bleiben, so kennst mich ja; willst Dich von uns wenden, so muß es geschehen. Bist gut und schön, wie Keine; Andere wissen es nicht, ich weiß es. – Wollte wohl, rief er mit Heftigkeit, indem er einen zornigen, schnellen Blick auf Eugen warf – aber es hat so sein sollen, fügte er abbrechend milder hinzu, also wähle.

Einer kann es nur sein, sagte Eva.

Ja, Du Narr! schrie der Hauptmann. Heraus mit der Sprache!

Die grimmigen Augen, mit denen er sie anblickte, erfüllten sie mit Furcht. Eugen lächelte sanft und mitleidig; langsam streckte er die Hand nach ihr aus, und plötzlich ergriff sie diese und flüchtete sich in seine Arme.

So willst Du mein sein, liebe Eva? fragte er mit Zärtlichkeit.

Ja, sagte sie laut.

Und willst mit mir ziehen in die Welt?

Fort, fort! sagte sie weinend.

Dann werden Sie mir Eva nicht länger verweigern, Hauptmann Hausberg?

Nein, sagte der Hauptmann finster, bin sie los und habe jetzt nur noch die Pflicht, einen Pfaffen zu suchen, der es gleich in Ordnung bringt. – Die Zeugen sind da – er wies auf den Major und den Feldwebel – wo ist Adam?

Adam war unbemerkt aus der Laube verschwunden. Mit einem Sprunge war er über die Zaunwand; Hausberg rief und suchte vergebens.


4.

In der Nacht fuhr eine Extrapost die Chaussee nach der Hauptstadt. Der Halbwagen war zurückgeschlagen. Eugen hielt nach langem süßen Geplauder seine schlafende junge Frau in seinen Armen und horchte auf ihre sanften Athemzüge, während er entzückt im Sternenlicht ihre Züge durchforschte. Dann sann er über den verhängnißvollen Tag nach, und rechtfertigte sich vor sich selbst, indem er alle aufsteigenden Zweifel mit seinen Gründen erdrückte und alle Gedanken an die Zukunft mit seinem Willen zurückwies.

So haben wenige Augenblicke über mein ganzes Leben entschieden, sagte er vor sich hin, und alle die zahllosen Pläne für eine lange Zukunft mit einem rohen Schnitte zerstört. – O! meine Eva, was sie auch sagen mögen, Du sollst mein sein, mein Geschöpf, mein Trost, meine Seligkeit. Ich will Dich lieben und tragen, wie ein Künstler sein Ideal, und welche Genugthuung, wenn Du mit Deinem Frieden und Deiner Liebe meine neue Welt füllst.

Er dachte darüber nach, wie er Eva einführen wollte in diese neue Welt, die ihr so fremd war, und ergötzte sich im Voraus an den zahllosen ergötzlichen Auftritten, in welche er sie verwickelt sah. Ihr Erstaunen, ihr Gelächter, ihr Entzücken und ihre Einfälle beschäftigten ihn, bis er träumerisch die Augen schloß, um auffahrend, ungewiß ob nicht Alles Täuschung sei, sich zu überzeugen, daß Eva wirklich in seinem Mantel gewickelt an seiner Brust schlafe und daß das Schicksal dieses Mädchens unauflöslich an das seine gekettet sei.

Heimlich wachte dann plötzlich ein finsterer Gedanke in dieser dunkeln Nacht in ihm auf, und seine Stirn faltete sich zusammen, als er an den Hauptmann dachte, der es möglich gemacht hatte, einen Priester zu finden, welcher sich dazu verstand, eine solche Ehe einzusegnen.

Die Fischerkolonie gehörte zur Vorstadt. Der Prediger war arm und beweglich. Der Hauptmann wäre aber dennoch mit seinen Ueberredungskünsten schwerlich zum Ziele gekommen, wenn Eugen nicht geholfen hätte. Er besaß zufällig seinen Taufschein, verbürgte sich, daß nie ein Aufsehen entstehen, daß seines Vaters Einfluß jede Unannehmlichkeit abwenden werde, und im äußersten Falle nicht viel zu besorgen sei.

Der Prediger erwog, daß weder eine Entführung, noch eine heimliche Ehe vorliege. Der Vater der Braut war zur Stelle, der Bräutigam durch den Taufschein legitimirt, mündig und völlig befugt über sich zu verfügen. Es kam höchstens auf einen derben Verweis, eine Ordnungsstrafe und Geldbuße an, und diese zu decken war hier Bereitwilligkeit genug. Ausflüchte und Entschuldigungen gab es überdies gar manche. Am Abend ging das Brautpaar in aller Stille zum Pfarrer. Major und Feldwebel, vom Angeln heimgekehrt, folgten nach, und in einer Viertelstunde war der Act vorüber.

Der Hauptmann war ganz gleichgültig dabei. Es schien ihm lieb zu sein, sich Eva's völlig zu entledigen. Eugen hatte Post bestellt; in einem Bündelchen war das bewegliche Eigenthum der jungen Frau zusammengepackt, ihr Hochzeitskleid war ein buntes Cattunkleid; so stieg sie hinter dem Pfarrhause in den Wagen und fuhr in die Welt.

Glückliche Reise, brummte der Major mit Anstrengung.

Hm! sagte der Feldwebel.

Morgen früh fünf Uhr drüben am Grafenholz auf dem Platz. Beißen gut! rief der Hauptmann, und ohne sich umzusehen ging er nach Hause.

 

Eugen hatte im verzückten Taumel den Tag verlebt. Ein Schritt hatte den anderen zur Folge gehabt, er kam nicht wieder heraus aus diesem sonderbaren Reiz der Gefühle, die ihn fortrissen. Eva klammerte sich um seinen Nacken, er küßte ihre Lippen, er sah sie erröthen und in ihren Augen eine Gluth, die brennend Feuer durch seine Adern schickte. –

Sie saß mit ihm oben an dem Thurm und erzählte ihm, wie ihr Herz fast zerbrochen sei, als ihr Vater das Bild vernichtete, und wie sie die ganze Nacht an ihn gedacht, von ihm geträumt und mit Sehnsucht ihn erwartet habe. – In ihren süßen Bekenntnissen loderte die Liebe auf, welche Alles vergessen läßt um eine Stunde, und Eugen lag auf den Knieen vor dem Fischermädchen; er bedeckte ihre Hände mit Küssen, er versprach, sie ewig zu lieben, sie zu erheben und zu ehren, und lauschend, selig und beglückt saß sie vor ihm und hörte zitternd seine Erzählungen und seine Schwüre.

Jetzt in der Nacht, wo Eva schlief und die Pferde rasch vorwärts eilten zu einem Ziele, das Meile um Meile näher rückte, kühlte sich sein Blut und andere Gestalten drängten sich herbei. Ein unruhiges Ueberlegen trat an die Stelle der stürmischen Empfindungen, die jeden Rath verworfen hatten. Unmöglichkeiten fühlten sich nun erst heraus, nachdem das Unmöglichste möglich geworden war.

Ein beklemmender Druck warf sich auf seine Brust, als der Morgen dämmerte und er Eva anblickte, die blaß und schmal, die blonden Flechten aufgelöst und verworren über ihr Gesicht gestreut in der Wagenecke zusammengekauert schlief. Der Mantel war von ihren Schultern gefallen; da lag sie, das Bernsteinkettchen um ihren Hals, an den sich das ausgewaschene Kleid hinaufschob. Der grüne Friesrock, die harten Lederschuhe und die groben, derben Strümpfe sahen heute noch weniger bräutlich aus, wie gestern.

O! es war Alles rein und ganz, aber leise fuhren Eugen's Finger zurück, und ballten sich zusammen, als in diesem Augenblicke das Bild seiner schönen, stolzen Schwester vor seine Seele trat, die mit dem Auserwähltesten sich umgab und so schwer zu befriedigen war.

Seine Stirn wurde heiß und mit einem sonderbaren Widerwillen warf er sich in die andere Ecke des Wagens zurück.

Plötzlich aber regte sich Eva leise, sie schüttelte das Haar von ihrem Gesicht, sie lächelte und der erste Widerschein des Morgens röthete ihre Wangen, als sie die Augen aufschlug und erstaunt und erschreckt sich aufrichtete. Aber ihr erster Blick fiel auf Eugen, und mit ihm waren alle Schatten verschwunden, welche so eben noch ihn halb entmuthigt hatten.

Ich bin bei Dir, sagte Eva. O! nun ist Alles gut.

Mit diesen Worten kehrte die ganze Kraft seines Willens zurück, sich über die Verhältnisse zu stellen. – Er legte den Arm um sie, er nannte sie seine kleine Frau und stimmte in das unauslöschliche Gelächter ein, das dieser fremde Name bei ihr erregte. –

Dann versuchte Eva sich darin, ihn »Du« zu nennen und »mein Mann« zu sagen. Ihr Lachen, ihr Geplauder, ihre Verwirrungen und naiven Fragen unterhielten ihn Stunden lang, bis der Wagen eine Provinzialstadt erreichte, wo eine kurze Rast gehalten wurde.

Eugen benutzte diese, um Einkäufe zu machen. Es gab ein paar Magazine hier, in welche die Modehändler der Hauptstadt ihre veralteten Vorräthe ablieferten. Nach einigen Stunden war Eva umgestaltet. Mit einem Kleide von blumigem Mousselin, wie es vor zwei Jahren getragen wurde, und welches obendrein etwas zu lang und zu weit war, mit Stiefelchen von schwarzem Atlas, die jede Krämertochter in den Winkel geschleudert haben würde, als viel zu spitz und unmodisch, mit feinen gewebten Strümpfen, welche etwas vergilbt aussahen, einem Mantel mit gezacktem Kragen und einem grünen Seidenhut, der jeder Dame in der Hauptstadt Entsetzen eingeflößt hätte, stieg die junge Frau wieder in den Wagen. Sie war unendlich glücklich und stolz und brachte keine geringen Verlegenheiten über Eugen, der selbst die Kellner und die Tochter des Wirths lachen und sich Bemerkungen zuflüstern hörte. – Mit sonderbaren Blicken wurden die beiden Reisenden gemustert, die Einkäufe mit Vermuthungen begleitet, die Metamorphose der auffallenden Begleiterin des jungen Herrn mit skandalöser Kritik begleitet.

Er nimmt sie mit. Wo hat er sie her? – Gott weiß es, aber man kennt das ja. Hast es gehört, er sagte kleine Frau zu ihr. – Die hat im Leben noch keinen Federhut aufgehabt und schreit vor Freude über das Kleid vom Juden Meyer-Hirsch.

Das hörte Eugen, als er die Treppe hinabstieg, und ein unbändiges Gelächter kam aus der Küche. – Er wurde glühend heiß dabei. Eva sprang hinter ihm her und stolperte bei jeder Stufe der kleinen Treppe über den langen Rock, mit dem sie nicht fertig werden konnte, zur größten Belustigung des herbeilaufenden Personals.

Wenn ich zu Hause wäre, rief sie übermüthig, wie wollt' ich damit die Enten aufs Wasser jagen. Und die Gießkannen für die Bohnen – weißt Du, Eugen? – das wäre eine Lust, damit Wasser zu tragen.

Eugen war froh, als der Wagen fortrollte. Er ließ hinter sich für ein paar Tage Hohn, Spott und so viel Schande zurück, als sechs Weiberzungen aufzubringen vermögen; aber Eva war glücklich und in dem grünen Hute und dem Blumenkleide sah sie allerliebst aus.

Nach einer Viertelstunde dachte er nicht mehr an die Schreckgestalten, welche ihm eingefallen waren. Er lachte wieder mit ihr und war entzückt, wie sie den Mantel ordnete, ihre kleinen Füße zeigte, ihre Hände in die knappen Handschuh steckte und die drolligsten Bemerkungen über die wunderbaren, kostbaren Geschenke machte, mit denen sie überhäuft worden war. –

Mitten in den Scherzen kamen dann Minuten, in denen Eva plötzlich ernsthaft wurde, die Blicke zurückwandte oder unruhig in die Weite schickte. Sie dachte plötzlich nach Hause; dann fiel ihr der Vater ein, der See, die alte Marie und Adam. Sie sprach nicht von ihm, denn als sie es am Morgen gethan, hatte Eugen spottend gesagt:

Der wird sich schon trösten. Es ist ein guter Junge, der aber gar nicht für Dich paßte und an den Du nicht weiter denken mußt. Mich hast Du gewählt, kleine Eva, hast den Adam in seinem Paradiese sitzen lassen, vergiß also die Herrlichkeiten, und ihn dazu. –

Lachend rechnete er ihr vor, was aus ihr geworden sein würde, wenn nach der weisen Fügung eines mächtigen Schutzgeistes er nicht zur rechten Zeit gekommen wäre, um sie zu hindern, Adam's Suppe zu kochen, seine Strümpfe auszubessern und seine Jacke zu trocknen.

Das sollte Dein niederes Loos sein, arme Eva, sagte er dann schmeichelnd. Es ist das Loos so niederer Menschen, die das sonnige Glück des Lebens nicht kennen und in harter Arbeit, im Schmutz einer elenden Hütte, unter Entbehrungen und Plagen, fern von allen heiteren Genien, die allein das Dasein auf dieser Erde erträglich machen können, ihre Tage in stumpfsinniger Verthierung hinbringen. – Nun aber sollen sich Dir die Pforten öffnen, an welche Du noch nie geklopft hast. Du wirst Vieles sehen, kleine Eva, viel bunten Tand, viel Eitelkeit und Thorheit; ich werde Dir zeigen, wie leer und nichtig das Meiste davon ist. Flitter und Dunst sollst Du verachten. Gott behüte Dich, Kind, daß Du nicht wirst wie Viele da; aber Deine reine, edle Natur wird sich Bahn brechen. Du wirst lernen müssen, Eva, das Leben und die Menschen verstehen lernen, und obenein allerlei Künste, die Deinen Geist bilden und empfänglich machen.

Eine Reihe von Lehren und Mittheilungen, welche er hinzufügte, wurden von dem jungen Mädchen aufmerksam vernommen. Sie schmiegte sich dankbar an ihn, von dem Gefühl erfaßt, daß sie Niemanden in der Welt habe, als ihn allein, und diese Welt kam ihr, je weiter der Wagen rollte, um so unermeßlicher vor.

Nach den Scenen im Wirthshause hielt ihr Eugen eine neue Lehrstunde, in welcher er ihr vorstellte, was man thun und lassen müsse, um kein Aufsehen und kein Gelächter zu erregen. – Sie wußte nicht, was sie begangen haben könnte, um Uebles von ihr zu denken.

Die Menschen verhöhnen Alles, was sie nicht verstehen, erwiederte Eugen lächelnd. Jeder belauscht den Anderen, Jeder merkt darauf, was Einer thut, was er spricht, wenn er sich bewegt, was er an ihm erkennt. Die Menschen haben sich Figuren ausgeschnitten, und mit allerlei Kram behängt; wer den nicht hat und dem nicht gleicht, den belachen sie. – Später wirst Du mich besser verstehen; für jetzt sage ich Dir nur, Du mußt lernen äußeren Schein zu behaupten. – Von einer Dame, die in einem Wagen sitzt, den drei Extrapferde ziehen, erwarten die Menschen kein lautes Gelächter, keine Enten-, Gießkannen- und Bohnengeschichten, kein buntes Cattunkleidchen, und keine dicken Lederschuhe.

Nun bist Du mir wohl böse? sagte Eva betrübt.

O nein! rief er lachend, und er küßte die Traurigkeit von ihren Lippen; ich weiß ja, wie Alles kommen muß. Du wirst künftig nicht wieder davon sprechen, wenn Andere zugegen sind, und lieber schweigen, beobachten und lernen.

 

Die Wirthshausabenteuer hatten Eugen aber doch so besorgt vor ähnlichen Auftritten gemacht, daß er keine neue Probe versuchen mochte. Um die Mittagszeit war eine größere Stadt erreicht, ein Mittelpunkt für verschiedene lebhafte Landstraßen, welche von hier aus vereinigt auf die Hauptstadt mündeten. Der Wagen hielt vor der Post auf dem Markte, der mit Soldaten und einer glänzenden Offizierschaar angefüllt war. Rauschende Militairmusik erscholl; die Fenster der Häuser und des großen Gasthofes waren mit Damen und Neugierigen besetzt, viele Menschen gingen und kamen.

Für Eva war dies Schauspiel vollkommen neu. In dem entlegenen Landstädtchen war keine Garnison; es lag in den Wald- und Hügelzipfel so hineingeschoben, daß sie kaum je einen Soldaten gesehen hatte. Die Musik, die funkelnden Uniformen, die stolzen, bärtigen Männer, das Klirren ihrer Waffen und die Wirbel ihrer Trommeln, Alles erregte ihre höchste Theilnahme. – Die Erzählungen ihres Vaters fielen ihr ein; sein Kriegsleben, seine Schlachten und Heldenthaten. Ganz starr vor Staunen und Entzücken saß sie in dem Wagen, während Eugen ausgestiegen war, um neue Pferde zu bestellen, und dachte nicht daran, daß sie selbst Gegenstand großer Neugier werden könnte.

Erst nach langer Zeit sah sie dicht bei sich eine Gruppe von Offizieren, welche sie beobachteten, lachten und ziemlich laut ihre Bemerkungen machten. Einer war darunter, der ein schönes, stolzes Gesicht und glänzend dunkle Augen besaß, die mit herausfordernder Keckheit Eva's Blicke auf sich zu ziehen suchten. – Als sie ihn anblickte, war er nahe herangetreten; aber plötzlich verschwand die Freude aus den Zügen des jungen Mädchens. Sie blickte ihn fremd und fragend an, lehnte sich in den Wagen zurück und zog mit vieler Fassung den Schleier vor ihr erröthendes Gesicht.

Da hast Du es, Waldenau! rief eine lustige Stimme.

In diesem Augenblicke trat Eugen aus der Post, gleich hinterher kamen die Pferde. – Er blieb an dem Portal stehen, musterte die Offiziere und betrachtete Eva, welche in ihren Schleier gehüllt sich um Nichts zu kümmern schien.

Vortrefflich! sagte Eugen. Sie lernt schnell.

Eva winkte ihm freudig, als sie ihn erblickte.

Du hast Dich gut verwahrt, sagte er.

Es wurde mir lästig, mich anstarren zu lassen, rief sie unmuthig laut, die Leute sind hier noch schlimmer wie die Aufwärter in jenem Wirthshause.

Eugen lachte über die Abfertigung des jungen Herrn, der sich umwandte, während der Wagen sich in Bewegung setzte.

 

Nach einer Stunde war eine neue Station erreicht, ein einzeln liegendes Posthaus, wo er auszuruhen und bis zum Einbruch des Abends zu verweilen dachte. Auf diese Weise war es möglich, am frühen Morgen die Hauptstadt zu erreichen, und auszuführen, was er beschlossen hatte.

Besondere Fremdenzimmer waren in dem engen Hause nicht vorhanden, nur kleine Schlafgemächer für den Fall der Noth; allein ein geräumiges Gastzimmer war da und eine freundliche Wirthin, die für ein Mittagsessen, so gut es zu haben sei, zu sorgen versprach.

Auf eine Stunde bot der an das Haus stoßende wohlgepflanzte Frucht- und Blumengarten dem einsamen Paare schattige Wege und mancherlei Unterhaltung. Am Ende des Gartens war ein Hügel mit Lindenbäumen besetzt und hinter ihm einer jener zahllosen kleinen Seen, welche dem Norden Deutschlands so eigenthümlich sind. Jenseit lag ein Wald, aus welchem einzelne höhere Berge aufstiegen, und Eva jauchzte auf, als sie diese heimische Landschaft überblickte. –

Sie lief mit Eugen durch die Wiesen; sie wand ihm Kränze von Vergißmeinnicht und dunkelrothen Feldnelken; sie fand Erdbeeren zwischen den nahen Hügeln und spielte mit ihm dieselben Spiele wie damals, als er sie zuerst gesehen hatte. Als sie dann wieder auf der Lindenbank saß, Blumen in ihren blonden Haaren, das Gesicht so lieblich überglüht, Sehnsucht und Glück in den blitzenden Augen, die liebeheiß zu ihm aufblickten, war er entzückt und hingerissen. Er nahm sie in seine Arme und träumte die stolzesten und schönsten Träume. Er wußte, daß ihm allein dies Herz gehörte, das unter seinen Fingern fühlbar schlug, daß dies liebliche Wesen weiches Wachs sei, aus dem sich Alles formen und gestalten ließ.

Unter Scherzen und Gelächter führte er sie endlich in das Haus zurück. Eva hatte ihr langes Kleid aufgeschürzt, ihr Haar war verworren, ihr Gesicht erhitzt; so flog sie voran, um sich von Eugen greifen zu lassen, und sprang die Stufen hinauf durch die geöffnete Glasthür des Gastzimmers, wo sie plötzlich vor zwei Damen stand, welche an einem Tischchen saßen. Es waren Reisende, denen der Wagen gehören mußte, welcher vor der Hauptfront des Hauses soeben abgespannt wurde. – Ein Bedienter brachte ein paar Kissen und eine Reisekasette, eine Jungfer trug ein krauses prächtiges Wachtelhündchen herein.

Eva flog bei den beiden Fremden vorüber. Eugen, der ihr auf dem Fuße folgte, seinen Rock ausgezogen, seine Halsbinde abgelegt und die Weste geöffnet hatte, blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen und folgte dann Eva zum Fenster nach, wo er unbekümmert sich auf einen Stuhl warf und in trotziger Nichtachtung der Schicklichkeitsgesetze sich nicht beeilte, seinen Anzug herzustellen.

Haben Sie kein anderes Zimmer? fragte die ältere der Fremden die eintretende Wirthin, welche mit Tischzeug und Tellern erschien.

Nur dies eine, gnädige Frau, war die Antwort.

Dann wäre es fast besser, wenn wir weiter führen, erwiederte die Dame mit scharfer Stimme.

Der Kaffee wird gleich bereit sein, sagte die Wirthin dem Blick folgend, der sich hochmüthig gegen das Fenster richtete. –

Eugen stützte den Kopf in die Hand und beschäftigte sich mit Eva, welche die Füße auf den Rand eines Stuhls gesetzt hatte und den Staub von ihren spitzen Stiefeln schlug. Die jüngere Dame neigte sich zu ihrer Begleiterin und flüsterte ihr leise einige Worte zu, die ein langsames Kopfnicken bewirkten. –

So eilen Sie mit dem Kaffee, sagte sie dann, wir haben keine Zeit zu verlieren.

Bei dem Klange dieser Stimme richtete sich Eugen auf. Sie war so wohllautend und rein, wie Musik. Seine Augen schauten die Sprecherin fest an, welche aufgestanden war und an die Gartenthür trat. Eine stolze, schlanke Gestalt, ein feingeschnittenes Gesicht, glänzende Haarflechten, die an den Seiten der schön geformten Stirn tief niederfielen, ließen sich zunächst erkennen. Dann sah er nach dem Hofe hinaus auf den Reisewagen, ein großes englisches Coupé mit allen comfortablen Bequemlichkeiten, und endlich wieder auf die ältere Dame, die aus ihrem Hute unter dem Spitzenschleier noch immer sehr streng hervorschaute.

Die fleischige Fülle ihrer Züge wurde durch eine stark hervortretende Nase nicht verschönt. Es war ein stolzes, festes Gesicht, so aristokratisch ausgeprägt, daß kein Zweifel entstehen konnte, es gehöre einer Dame, die an Repräsentation und Befehlen gewöhnt sei. Sie streichelte den kleinen Hund auf ihrem Schoos, der bei jeder Bewegung, die Eva machte, und bei jedem Worte, das Eugen sprach, sein Knurren und Kläffen hören ließ, als wolle er dem Unwillen seiner Gebieterin Sprache verleihen.

Endlich hatte Eva ihren Anzug leidlich hergestellt, und Eugen that die Binde um, knöpfte die Weste zu und griff nach seinen Rocke.

Laß das doch, sagte Eva, es ist heiß. Ich möchte, wie Du, im Stande sein meine Arme aus diesen warmen, langen Aermeln zu ziehen. Wie war es schön zu Hause, wo mein Kattunjäckchen mich nirgends hinderte.

Er lachte und winkte ihr zu, aber sie kehrte sich nicht daran.

O! wie sieht Dein Rock aus, sagte sie, wir haben ihn zu lange zum Sitze benutzt, und unsere Erdbeeren daran zerquetscht. Sieh nur mein Kleid an, das hat auch seine Flecke, und sogar einen Riß, weil Du mich mit Gewalt in's Gras ziehen wolltest. Kreuz Element! würde mein Vater sagen, halt die Uniform in Ordnung, Du Himmel-Sacermenter!

Die junge Dame war von der Thür zurückgekehrt, sie betrachtete Eva mit einem raschen Blicke, und Eugen, der den Arm auf ihre Schultern legte, indem er leise zu ihr sprach, und doch nicht ernsthaft sein konnte, denn Eva ahmte dem Hauptmann drollig nach. Dann wandte sie sich zu ihrer Begleiterin, die in französischer Sprache sagte:

Wir sind hier übel angekommen. Ist kein Plätzchen im Garten zu finden, wo wir den Kaffee erwarten können?

Da kommt er schon, erwiederte sie nach der Thür deutend. Geduld, Mama.

Gott sei gelobt! rief die Mama.

Eugen, rief Eva von der anderen Seite, geh' nicht fort, endlich giebt es zu essen.

Bei dem Namen drehte die junge Dame nochmals den Kopf ihren munteren Gesellschaftern zu, welche sich an den gedeckten Tisch setzten und ihr Mahl begannen, das von Eva's Geplauder und ihrem lauten Lachen mehr wie einmal unterbrochen wurde.

Die Anwesenheit der beiden Fremden hatte sie nicht schüchtern gemacht. Da Eugen nichts sagte, was dies bewirken konnte, fuhr sie fort halblaut die buntesten Fragen an ihn zu richten und in der unbefangensten und natürlichsten Weise sich über tausend Dinge zu äußern. Ihre Auffassungen ergötzten ihn sehr, er fand die liebenswürdigste Naivetät darin, und mit Heiterkeit und Genugthuung zog er dann und wann seine Augen fort von Eva's muthwilligem Gesicht und sandte herausfordernde Blicke auf die beiden stillen Gestalten am Kaffeetische, welche unwillig ihnen den Rücken zuwandten.

Endlich fing der kleine Hund wieder an zu kläffen. Bedienter und Jungfer kamen und empfingen Befehle. Die Pferde standen bereit und die beiden Damen verließen das Zimmer ohne Wort und Gruß, begleitet von der unterthänigen Wirthin.

Draußen hörte Eugen die ältere Dame ziemlich laut fragen, wer die beiden Personen seien, und er freute sich, daß er in der Postcharte sich Herr Eugenius genannt hatte.

Sie fragen nach uns, sagte Eva.

Wir aber fragen nichts nach ihnen, erwiederte Eugen lachend. Wir haben sie sehr geärgert.

Mein Gott, womit?!

Ach, meine kleine Eva, rief er belustigt, kümmere Dich nicht darum, aber erinnere Dich, was ich Dir gesagt habe. Jeder will uns so haben, wie wir nach seinen Vorstellungen sein sollen, und wenn es nicht so geht, sind wir entweder zu warm oder zu kalt, zu stolz oder zu gemein, zu vornehm oder zu gering. – Dressiren und in spanische Stiefeln schnüren wollen sie Alles; aber plaudere Du weiter, mein süßes Herz. Du kommst frisch aus der Wildniß, und ganz zahm haben sie mich auch nie machen können. Morgen sind wir in der Hauptstadt, da beginnen Deine Studien; heut' wollen wir sein, wie wir sind, und durch kein Nasenrümpfen uns irre machen lassen.

 

Die Stunden vergingen, und als es Abend wurde, ward die Reise fortgesetzt. Am Morgen lag die Hauptstadt im Dampf ihrer unzähligen Essen und Herde vor ihnen, und Eva hatte unausgesetzt rechts und links zu schauen auf die Reihen der Landhäuser, auf prächtige Gärten und zierliche Eisengitter, dann auf mächtige Gebäude, auf unabsehbare Straßen, auf ein Menschen- und Wagengewühl, das ihr jetzt schon unermeßlich und betäubend vorkam.

Eugen hatte auf der letzten Station den Wagen völlig schließen lassen; kein neugieriger Blick konnte so leicht ihn oder seine Begleiterin hinter den Scheibenfenstern erkennen. – Endlich hielt der Postillon vor einem prächtigen, himmelhohen Hause still, an dessen Balkonen und blitzenden Fensterreihen Eva's Augen wie bezaubert hingen.

Hier werden wir wohnen! rief sie jubelnd.

Erwarte mich, erwiederte Eugen. In ganz kurzer Zeit kehre ich zurück.


5.

Der Portier wies Eugen auf seine Frage nach dem Baron Ortenstein in das erste Stockwerk, aber er hatte nicht nöthig die Klingel dort zu ziehen, denn die Glasthür des Corridors ward aufgerissen, als er die letzte Treppenstufe erreichte, und ihm entgegen flog mit geöffneten Armen der Baron in einer Art Pudermantel von geblümter Seide, einen indischen Shawlstreif um den Hals gewunden, feine langgeschnäbelte bunte Saffianschuhe an den Füßen und eine persische Mütze mit goldener Troddel auf dem Kopfe.

Es war ein Herr, nicht jung, nicht alt, vielleicht vierzig Jahre oder darüber, aber jedenfalls älter, als er sein wollte. Er duftete am frühen Morgen von verschiedenen Wohlgerüchen, welche er über sich ausgegossen hatte; seine Hände waren äußerst fein und weiß, sein wohlgeformtes, etwas verlebtes Gesicht ohne irgend einen hervortretenden Zug, alle seine Bewegungen und sein Benehmen durchaus in den Schranken guter Sitte und guter Gesellschaft.

Ich habe Dich aussteigen sehen, theuerster Eugen, rief er. Wohl mir, daß ich heute so früh aufgestanden bin, um ein Bad zu nehmen. Herzlich willkommen, wir erwarten Dich seit drei Tagen.

Ich fuhr zu Dir heran, um zu hören, wie es in unserem Hause steht, sagte Eugen.

Alles durchaus vortrefflich, war die Antwort. Deine Frau Mutter befindet sich wohl, Dein Vater ist seit vorgestern wieder hier, seine Reise ist, – wie man sagt, fügte er mit einem diplomatischen Lächeln hinzu, vom glücklichsten Erfolge gekrönt worden. Deine Frau Schwester wird morgen eines ihrer zauberischen Feste geben und eben deswegen siehst Du mich so früh in Bewegung, weil ich meine Mitwirkung bei mehreren Arrangements versprochen habe. Dein Schwager endlich ist derselbe lebensfrohe, heitere, liebenswürdige Gemahl der schönsten Frau, und was mich betrifft, mein lieber Eugen, so bin ich, wie ich denke, vollkommen unverändert Dein Freund, Dein Bewunderer und der treuste und ergebenste Diener Deiner Familie.

Mein Vater ist also zurück und meine Schwester noch hier? sagte Eugen halb für sich.

Alles trifft sich herrlich, sagte der Baron. Deine Schwester hat die Reise nach Wiesbaden und dann auf ihr Gut hinaus verschoben, um Dich zu umarmen und den Papa zu erwarten. Du wirst uns sehr heiter und erwartungsvoll finden. Köstliche Lage, theuerster Freund, die Du verleben wirst. Die Crême des Lebens will mit Bewußtsein abgeschlürft werden. Auf der Reise kann man das nicht. An der Unruhe klebt Entbehrung, an der Entbehrung der rohe, feste Stoff des Daseins, etwas Barbarei, etwas Cynismus, man mag von der Salamandernatur so viel empfangen haben, wie man will. –

Er warf einen lächelnden Blick auf Eugen, der mit seinem bestaubten Reiserock, dem überwachten Gesicht und verworrenen Haar sich in die Ecke eines Dammastfauteuils geworfen hatte. – Der Baron fuhr fort von Allem zu erzählen, was Eugen interessiren konnte. Eine Reihe von Mittheilungen über den Zustand der Gesellschaft, über Personen und Verhältnisse wurden ihm gemacht. Dazwischen kamen Fragen über Eugens Reise und Betheuerungen, daß Jeder begierig sei auf den genialen Künstler, der sein Vaterland ehre.

Eugen rührte sich nicht; seine Blicke flogen dann und wann durch das Zimmer, das den Geschmack seines Besitzers ausdrückte. In der Mitte stand ein großer Tisch, rund um ihn Bergeren und mächtige Lehnstühle. Einige kostbare Möbel zierten die Wände, ein paar Bilder von namhaften Meistern glänzten in schönen Rahmen. Auf dem Tische lagen Bücher in Prachtbänden, eine Fülle der verschiedenartigsten Luxusgegenstände lagen und standen auf einigen Ecktischchen und Etageren. Das Schreibbureau von Polysander stand geöffnet, ein paar Flacons auf jeder Seite der Sammeteinfassung. In der Mitte ruhten die goldenen Federn auf einem prächtigen Schreibzeug von gemaltem Porzellan. Die Fenster nach der Straße waren geschlossen, die Flügelthüren eines anstoßenden Salons geöffnet, der nach einem Garten hinaussah, welcher reine Luft hereinschickte, während auf dem Marmorconsol des Spiegels in einer kleinen Schale, die ein geflügelter Genius trug, ein Feuer von wohlriechenden Holzstückchen brannte.

Plötzlich stand Eugen auf und schaute nach dem Wagen hinab. Ich muß fort, sagte er, ich bin nicht allein.

Der Baron nahm sein Glas. Du hast einen Freund mitgebracht. – Mein Himmel, Eugen! warum sagst Du das nicht?

Er ist ganz fremd hier. Unbekannt mit Euren Sitten.

Ein Novice, rief Ortenstein lachend, wir wollen ihn in die Welt einführen. Ich denke, Niemand versteht das besser, wie ich.

Ich bin gekommen, um Deinen Beistand zu erbitten.

Tausend Dank, lieber Eugen. Dein Freund ist mein Freund.

Es ist eine Freundin, für die ich Dein Interesse anrufe, sagte Eugen lächelnd.

Wie? Was? rief der Baron laut lachend. Bei Gott! ich glaube, daß ich einen Damenhut sehen kann. Eine Künstlerin, Eugen? Eine Engländerin? – Und sie ist mit Dir gereist? – Ach, vermuthlich war keine Gefahr dabei. Antike Kunst aus einem vergangenen Jahrhundert! Haha!

Falsch gerathen, Baron. Sie ist jung und schön, kaum siebenzehn Jahre alt.

Auf Cavalierparole! schrie Ortenstein, ich beneide Dich und verspreche Dir jeden Beistand.

Ich halte Dein Wort fest, erwiederte Eugen. Du kannst denken, daß ich ein sehr nahes Interesse für meine schöne Begleiterin habe.

Also ein Verhältniß? fragte der Baron sanft lächelnd, indem er Eugen's Hand ergriff.

Ein sehr inniges.

Eine förmliche Liaison?

In bester Form.

Und mitgebracht, förmlich mitgebracht, als Freundin und Gesellschafterin?

Unzertrennlich! sagte Eugen.

Der Baron rieb sich lachend die Hände und nickte vertraulich, indem er zugleich Blicke der Verwunderung auf den jungen Mann warf. –

Auf Ehre! rief er dann, das habe ich nicht von Dir erwartet, eines solchen Aufschwungs zur heiteren Lebensanschauung habe ich Dich nicht für fähig gehalten, theurer Eugen. Aus dem prüden England hast Du das hübsche Kind mitgebracht?

Das nicht. Es ist auch keine Engländerin, sagte Eugen.

Eine Französin also, eine Pariserin! Ich dachte es gleich.

Es ist eine Deutsche, fiel Eugen ein.

O! Schade, sagte der Baron. Ich wollte, Du hättest eine Französin gewählt. Niemand versteht so zu fesseln, und eine petit-maison angenehm zu machen. – Die deutschen Mädchen sind sentimental, werden lästig anmaßend, klammern sich wie Kletten an, wenn man sie los sein will.

Ich denke Eva auch nie los zu werden, erwiederte Eugen.

Eva heißt die Kleine? fragte Ortenstein. Gut Eugen, sei ihr Adam so lange, bis Du vom Baume der Erkenntniß gegessen hast. – Es wird kommen; aber ich sehe ein, daß es nöthig ist, das Geheimniß zu bewahren, denn unsere Damen verstehen in solchen Dingen keinen Spaß. Dein Ruf könnte leiden, und wer weiß dann, wie bald Du Ueberdruß empfindest und wechseln willst, oder Deine Verhältnisse einen seriösen Charakter annehmen.

Bei diesen Worten drückte er schelmisch die Augen zusammen und öffnete sie dann sehr bedeutungsvoll. –

Nun, mein Freund, rief er, laß uns überlegen, was geschehen muß. Für's Erste also eine stille, verschwiegene Wohnung, sauber und bequem, in der es an nichts fehlt.

Eugen bejahte es.

Dafür ist gesorgt, sagte Ortenstein. Ich weiß eine Art Landhaus mitten in einem großen Garten, in einer entfernten, entlegenen Straße. Ein Freund hatte es zu einem ganz ähnlichen Zwecke gemiethet und einen ganzen Winter hindurch bis in's Frühjahr herein ein allerliebstes Schätzchen dort verborgen, mit der sich's köstlich leben ließ. Kein Mensch verstand den Ananascardinal Eine Bowle aus Rheinwein, Champagner, Orangen und Ananas. – Anm.d.Hrsg. besser zu machen. Sie war so witzig, so elegant und mit Anstand begabt, spielte, sang, hatte den Schiller, Göthe, sogar Shakespeare gelesen. Man konnte wahrhaftig eine Abendpartie mit ihr machen ohne Betisen zu fürchten.

Eine dunkle Wolke schwebte auf Eugens Stirn, die jedoch sogleich wieder klar wurde.

Ist das Haus geräumig? fragte er.

Elegant und geräumig, sagte der Baron.

Also auch für mich, für ein Atelier?

Für Dein Atelier, rief Ortenstein heftig lachend, ist dort ausgezeichnet gesorgt.

Und es ist zu vermiethen?

Die Eigenthümerin war erst gestern hier, um es mir mit der ganzen Einrichtung anzubieten. – Verschwiegene Bedienung, Alles ist vorhanden. Services und Geräthe zu den Abendgesellschaften.

Die werden ausfallen, sagte Eugen.

Vor der Hand also zwei Herzen und ein Schlag, zwei Seelen und ein Gedanke! rief der Baron spottend. Das wird langweilig werden. Auf Cavalierparole! nicht vier Wochen hältst Du es aus.

Verschaffe mir Lehrer für Musik, Sprachen und die nöthigen Wissenschaften, sagte Eugen.

Was? rief Ortenstein lachend, Du willst sie erziehen lassen?

Das will ich. und selbst ihr Lehrer sein.

Gieb Dir keine undankbare Mühe, erwiederte der Baron. Zum Henker! Du mußt höchst tugendhaft verliebt sein, um diesen moralischen Gedanken zu fassen.

Eugen warf stolz den Kopf auf, seine Lippen öffneten sich, er schien etwas aussprechen zu wollen, was er rasch wieder zurückdrängte.

Meine arme kleine Frau, sagte er dann, weiß nichts von den Künsten, die uns von Kindesbeinen an eingetrichtert werden. Sie hat auf dem Lande gelebt in harmlosester und süßester Natureinfalt.

Also eine Bäuerin, ein Pachter- oder Müllerkind? lachte der Baron. Das ist poetisch.

Ein Fischermädchen klingt noch romantischer, sagte Eugen. Ihr Vater ist ein alter Soldat, der Eva seiner Angelruthen und Netze wegen ganz vernachlässigt hat.

Und Du hast sie aufgefischt, rief Ortenstein entzückt die Hände reibend. Köstlich, auf Ehre! Nun, bon appetit! Eugen, ich darf doch kommen und Deinen Fang bewundern? – Hier ist die Adresse, ich sehe Dir's an, daß Du nicht länger warten willst, und ich selbst muß in einer halben Stunde bei Deiner Schwester sein, um Einkäufe zu machen.

Du schweigst doch gänzlich? fragte Eugen bittend.

Auf Cavalierparole! rief der Baron, ich werde Dich in einigen Stunden umarmen, und kein russischer Diplomat soll wittern können, daß wir uns gesehen haben.

Eugen nahm Abschied. Unten sprach er mit dem Postillon, dann sprang er in den Wagen, wo Eva mit dunkelrothen Wangen und Thränen in den Augen ihn empfing.

Was ist denn geschehen? fragte er.

Du hast Dich geängstigt, mein armes Kind?

Ach! Eugen, sagte sie, so allein gelassen, getrennt von Dir, wie ist es fürchterlich in der fremden Welt. Das Herz zitterte mir in der Brust, so viele Menschen liefen vorüber; kein einziges Gesicht flößte mir Vertrauen ein, und eine Angst kam über mich, als wollte sie mich erdrücken.

Er tröstete sie mit sanften Worten und gab ihr alle Schmeichelnamen, die er wußte. – Der Wagen kreuzte rasch eine Anzahl Straßen, Brücken und Plätze voller Menschen und Gewühl.

Deine Eltern wohnen also nicht in jenem großen Hause? sagte Eva.

Nein, erwiederte er, ich führe Dich auch jetzt nicht zu ihnen.

Du führst mich nicht zu ihnen? rief die junge Frau erstaunt. Ich hatte mich darauf gefreut.

Lieb' Ev'chen, sagte Eugen, ich habe Alles wohl überlegt. Ich muß meine Eltern erst auf den Schritt vorbereiten, den ich ohne ihren Willen gethan habe. Denke Dir, wie erstaunt sie sein müßten, wenn ich plötzlich Dich als meine Frau in ihr Haus führte. Nicht wahr, Du begreifst das?

O ja, sagte sie leise den Kopf wiegend, aber es muß so sein, Eugen.

Und es soll so sein, antwortete er, allein ist es nicht besser, wenn Du erst ein wenig vertraut mit vielen fremden Verhältnissen wirst? Denke Dir, wenn Du plötzlich mit Menschen täglich und stündlich leben solltest, wie jene beiden Damen im Posthause, die Dir so sehr mißfielen!

Nein, nein! rief Eva, das wäre unmöglich.

Darum führe ich Dich zunächst in Dein und mein Haus, fiel er ein, wo wir beide eine Zeitlang ganz still für uns leben und glücklich sein wollen. Du lernst, ich zeichne und male, ich unterrichte Dich, wir jagen in dem weiten Garten umher, gerade so, meine kleine Fee, wie damals in Deinem Reiche. Ich schenke Dir Bücher, viele schöne Dinge, Kleider, Ketten, Goldgehänge, Alles, was Du willst, und putze und schmücke Dich, und Du liebst mich dafür alle Tage mehr.

Unter Küssen und Scherzen sagte er ihr Alles, was er beschlossen, und leicht fand sie sich darein, voller Verlangen nach Erfüllung seiner reich ausgeschmückten Bilder.

Nach geraumer Zeit fuhr der Wagen durch stillere und schmalere Straßen, wo lange Gartenwände und Mauern mit einzelnen Gebäuden abwechselten, die alt und unansehnlich waren. Zuweilen konnte man Glaswände erkennen und lange Beete mit allerlei Gewächsen bepflanzt; zuweilen waren die Gärten parkartig und zwischen den Kronen alter Bäume versteckte sich das steile Dach eines einsamen Hauses. Endlich hielt der Wagen vor einem solchen mit schattigen Bäumen bedeckten Garten, der von einer ziemlich hohen Mauer umschlossen war. Es war eine Pforte darin und ein Klingelzug an der Seite, der eine weit schallende Glocke in Bewegung setzte. – Nach einiger Zeit wurde die Thür von einem Mädchen geöffnet; Eugen sprach leise mit ihr und ging dann in dessen Begleitung einen Baumweg entlang, aber schon nach wenigen Minuten kehrte er zurück, hob Eva aus dem Wagen und führte sie in den Garten.

Ich glaube, daß es Dir gefallen wird, sagte er. Alles das gehört uns allein und was irgend noch fehlen sollte, wird sogleich herbeigeschafft werden.

Der Gang von schönen alten Bäumen führte zu dem Hause, das in Eile aufgeschlossen und dessen Fenster geöffnet wurden. Eine Reihe geräumiger und schöner Zimmer, bestäubte, aber kostbare Mobilien, Teppiche und Luxusgegenstände, ein großer Flügel, eine Büchersammlung, und viele bequeme und elegante Einrichtungen boten mehr als Eugen vermuthet hatte.

Er war sehr zufrieden, und Eva lief mit glänzenden Augen rufend und lachend durch diese hellen Räume, die ihr des Neuen und Ueberraschenden so viel boten. Das Alles gehörte ihr. Hier sollte sie wohnen, auf diesen weichen Polstern liegen, auf dem Perron unter prächtigen Blumen sitzen, durch alle diese blühenden Boskets laufen, lachen, singen, schreien, so viel sie wollte, und Eugen wählte sich schon ein Zimmer aus, wo er zu wohnen und zu malen dachte.

Nach einer halben Stunde griff Eugen nach dem Hute, sprach mit der Frau, welche in einem Seitengebäude wohnte und mit vielem Lächeln und Knixen ihm zuhörte, und nahm dann Abschied von Eva.

Wohin willst Du? fragte sie.

Du weißt es ja, erwiederte er. Draußen hält der Wagen noch, der mich zu meiner Familie bringen soll. Adieu, meine kleine Frau, heut Abend komme ich zurück. Richte Dich inzwischen ein, wie Du willst, ordne an, was Dir beliebt. Die Frauen hier sind zu Deiner Bedienung. Die werden Deine Befehle erfüllen, und heute noch oder morgen soll Deine Toilette im Stande sein. Dann wollen wir Deine Beschäftigung zu ordnen suchen.

Er ließ die junge Frau betrübt und doch gefaßt zurück; sie hatte sich mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß es nicht anders sein könnte. Sie begleitete ihn bis an die Pforte, und auf diesem kurzen Wege wiederholte er ihr alle guten Lehren und seine Pläne.

Es soll mit Deiner Gefangenschaft in diesem Versteck gar nicht lange dauern, mein liebs trauriges Vögelchen, sagte er schmeichelnd. Du sollst nur geputzt und ein wenig abgerichtet werden, um mit der Gesellschaft, in welche ich Dich bringen muß, umgehen zu lernen. Brächte ich Dich so zu ihr, wie Du bist, meine kleine Eva, und wie ich Dich, weiß es Gott, am allerliebsten habe, sie würden spotten und höhnen, und Dich betrügen, ohne daß Du es dächtest. Zu Deiner eigenen Sicherheit und Deinem wie meinem Glücke muß ich Dich also davor behüten. Lerne, meine Eva, lerne ihre Zauberkünste, so schnell Du kannst. Dann tritt vor sie hin und sie werden Dich wenigstens dulden.

Er warf sich in den Wagen und war bald in den Armen seiner Mutter und seines Vaters. –

 

Der greise General war eine Mischung von Diplomat und Soldat, aber er gehörte zu den Menschen, die in Gestalt und Wesen einen freimüthigen offenen Charakter ausgeprägt an sich tragen, der ihnen nach allen Seiten den Namen eines verständigen, einsichtsvollen und redlichen Mannes sichert.

Als er den Sohn in seine Arme genommen, nachdem ihn die Mutter abgelassen hatte, sah er ihm in die Augen, als wollte er bis auf den tiefsten Grund schauen, und sagte dann:

Ich denke, es steht Alles gut mit Dir, Eugen. Als ein braver Bursch bist Du ausgezogen und kommst zurück als ein wackerer Mann. – Wir werden viel zu sprechen haben. Setze Dich und laß hören.

Nach einem langen Gespräche kam endlich der General bei dem Namen des Orts, den sein Sohn nannte, auf Hausberg. – Nun, rief er lebhaft, was treibt mein alter Waffenbruder; wie geht es ihm?

Eugen erzählte in lustiger Weise, wie er den Hauptmann getroffen und wie viele: Pfui Teufel! und unerhört! er gegen das Malerwesen geschleudert hatte. Er malte ihn aus mit Angelruthe und Würmertopf, mit seinen Kernflüchen und Kreuz-Elementen! bis der General aufs Herzlichste lachte. –

Daran erkenne ich ihn, sagte er; aber steht er ganz verlassen in der Welt?

Er hat eine Tochter, erwiederte Eugen.

Das mag ein gutes Früchtchen sein, lachte der General.

Ein schönes, liebreizendes Kind von siebenzehn Jahren, sagte Eugen; voll prächtiger Anlagen, aber gänzlich vernachlässigt.

Das arme Kind! rief die Mutter bedauernd.

Vielleicht können wir etwas ändern, meinte der alte Herr. Du hättest es anregen sollen.

Ich denke Einiges gethan zu haben, sagte Eugen.

Das freut mich, antwortete der Vater. Wir sprechen noch darüber. Vielleicht ist es möglich, dem jungen Mädchen eine Erziehung zu verschaffen.

Das Gespräch wendete sich anderen Gegenständen zu; eine dreijährige Abwesenheit gab Grund zu erneuten Liebkosungen der Mutter und vielen Fragen und Mittheilungen. Plötzlich aber rollte ein Wagen vor die Thür und mehrere Personen stiegen die Treppe herauf.

Da kommt Cäcilie und ihr Mann, sagte die Mutter. O! wie wird sie sich freuen. Du mußt Dich verstecken, Eugen.

Ich werde ihr entgegen laufen, erwiederte er, und die Thüre öffnend, hielt er die überraschte Schwester in seinen Armen und drückte Kuß auf Kuß auf ihre Lippen.

Eugen, sagte sie endlich, nachdem der erste Theil der Empfangs- und Erkennungsscene vorüber war, Du bist der Alte.

Ja, Cäcilie, ich hoffe es, will's Gott! erwiederte er lachend.

Er ist größer geworden, rief der Baron Walny, ein eleganter junger Mann.

Aber nicht hübscher, fügte die Schwester hinzu.

Männlicher und so recht stattlich ist er geworden, sagte die Generalin den Sohn mit rechten Mutteraugen anschauend.

Wenn Du hier einige Aufmerksamkeit erregen willst, begann die Baronin, so vertilge gleich auf der Stelle den abscheulichen Kinnbart und Schnurrbart.

Ich will keine Aufmerksamkeit erregen, liebe Cäcilie, lachte Eugen, und finde meinen Bart ganz vortrefflich.

Aber er ist völlig aus der Gesellschaft verbannt, sagte Cäcilie ihn zupfend.

Einerlei, erwiederte Eugen, so führe ich ihn wieder ein.

Da streiten sie schon wieder, lachte der Baron, und der General lachte mit.

Aber sie lieben sich doch so herzlich, sagte die Mutter, wie es Geschwister selten thun.

Ihr habt an Allem Schuld, rief die Baronin. Ihr habt ihn verdorben, allen seinen Launen und Grillen freien Weg gemacht. Erst habt ihr gestattet, daß er Maler werden durfte, dann bestärkt ihr ihn in seinem zügellosen Treiben. Unerhört, Maler! Ist das ein Beruf für einen jungen Edelmann, dessen Vater ihm eine glänzende Laufbahn öffnen konnte?

Gerade wie der Hauptmann Hausberg, sagte Eugen seinen Vater ansehend.

Was ist mit dem Hauptmann Hausberg? fragte sie.

Er hat es mir auch gesagt, lachte Eugen.

Nun bist Du in Rom, Paris und England gewesen und kommst zurück wie ein echter Künstler, fuhr die Schwester anmuthig fort; genial vom Wirbel bis zum Bart. Wir müssen ihn in strenge Aufsicht nehmen, damit er keine genialen Streiche macht, Papa.

Nimm Du ihn in Aufsicht, Cäcilie, sagte der General.

Da kommt Ortenstein, rief die Baronin. Das ist der rechte Mann ihn fashionabel zu machen. – Was sagen Sie, Ortenstein? Wer ist das?

Ortenstein stand mitten in der geöffneten Thür mit ausgebreiteten Armen und verklärtem Lächeln. –

Also wirklich, sagte er mit der Fassung des Mannes der guten Gesellschaft, der nie aus der Form geräth. Endlich ist unser Wunsch erfüllt, wir haben Dich wieder, theurer Eugen.

Aber wie sieht er aus, lieber Ortenstein!

Jeder Zoll ein Edelmann! rief der Baron. Die Metamorphose der Aeußerlichkeiten läßt sich in einer Viertelstunde bewerkstelligen. Der Künstler wird leicht zum Freiherrn umgeschaffen.

Aber der Freiherr nicht zum Künstler, sagte Eugen lachend.

Die junge Baronin schlug ihn mit dem Sonnenfächer leicht auf die Schultern und sagte mit süßer Schmeichelei:

Je mehr ich Dich ansehe, Eugen, umso mehr muß ich zugestehen, daß die Mutter Recht hat mit ihren Lobsprüchen. – Verdirb mir die Freude nicht, übergieb Dich Ortensteins Lehren und erscheine bei mir wie ein junger Cavalier, der einem guten Hause angehört. Ich verspreche Dir dafür schöne Augen, die Dich bewundern, und neue Bekanntschaften, welche Dich interessiren werden.

So geschehe Dein Wille, erwiederte Eugen. Der Bart ist nicht der Mann, und was Kamm und Bürste, Salben und Ambra vermögen, wird Ortenstein schon aus mir herauspressen.

Das Gespräch wurde nun allgemein; Eugen war froh und mittheilend. Seine künstlerischen Bestrebungen kamen zur Sprache, seine Entwürfe für die Zukunft wurden erörtert; er redete über mehrere große Arbeiten, mit denen er sich eifrig zu beschäftigen denke.

Vor der Hand, sagte die Baronin, gehörst Du uns und der Gesellschaft; überhaupt aber hoffe ich von Dir, daß die Kunst zwar Deine Lebensfreude, doch nicht – wie soll ich sagen – Dein Handwerk sein wird.

Nein, gewiß nicht, rief Eugen spottend.

Nimm es wie Du willst, fuhr Cäcilie fort. Der Vater hat Dich Deinen Neigungen überlassen, aber selbst wenn Du ein großer Künstler wärst, dessen Name durch die Welt dränge, würde ich von Dir erwarten, daß Du darüber nicht vergäßest, was das Leben von Dir fordert.

Ich verstehe Dich sehr wohl, sagte Eugen. Rubens war auch ein Künstler, bei alledem jedoch Edelmann und Diplomat. Mehr wie ein Maler hat den Degen getragen und sich an Höfen bewegt. Glaube nicht, daß ich bei meinen Farbentöpfen im Winkel sitzen bleibe.

So will ich Dich haben, rief die Baronin. Denkst hier beim Vater zu wohnen?

Für jetzt gewiß.

Aber Du findest nirgend Raum für ein gutes Atelier. Ich biete Dir unser Haus an, komm zu mir.

Nein, erwiederte Eugen lächelnd, Dein glänzendes Haus kann keine Werkstätte für mich sein. – Ich werde mich irgend wohin zurückziehen, irgend ein schattiges einsames Haus auftreiben, das meine Kunstgeheimnisse umschließt, bis sie reif sind ans Licht zu treten.

Ortenstein nickte satyrisch der Baronin zu, die ihn verwundert anblickte. –

Ist das eine Deiner Künstlerlaunen? fragte sie.

Ja, wenn Du willst, sagte Eugen. Es ist mir Bedürfniß, ganz allein zu malen und meine Bilder erst zu zeigen, wenn sie fertig sind.

Vermuthlich um die Geheimnisse der Technik nicht zu verrathen, sagte Ortenstein.

Oder der Modelle wegen, lachte Walny.

Damit war die Sache abgethan, denn Eugen wurde von seiner Mutter aufgefordert, etwas von seinen Zeichnungen und Skizzen zu zeigen, und wohl eine Stunde lang legte er allerlei Blätter vor, die vielen Beifall fanden, bis endlich Cäcilie und ihr Mann aufbrachen, nachdem Eugen versprochen hatte, mit seinen Eltern den Nachmittag bei ihr zu verleben.

Ortenstein hielt seinem Schutzbefohlenen hierauf eine gelehrte Abhandlung über die neuesten Rockschnitte, über die geniale Auffassungsweise derjenigen Künstler, welchen er seine Person anvertraue und die nach seinen Entwürfen arbeiteten. Er versprach Eugen, diese aufgezeichneten Männer sogleich in Bewegung zu setzen, um bis morgen das Nothwendigste herzustellen, und der junge Mann ließ ihn gewähren, ohne mit einem Worte ihn zu unterbrechen. Seine Gedanken waren bei Eva. Eine peinliche Unruhe ergriff ihn bei der Gewißheit, daß er heute sie kaum wiedersehen könne, auch morgen nicht, und daß Tage und Wochen kommen würden, wo er kaum auf Stunden oder Minuten bei ihr sein werde.

Endlich ging Ortenstein und er begleitete ihn. – Draußen sagte der Baron leise:

Es ist doch Alles in Ordnung?

Vortrefflich, erwiederte Eugen.

Nach Deinem Geschmack?

Es ist für Alles gesorgt.

Mit einem Musiklehrer und einem französischen Professor habe ich schon gesprochen, fuhr Ortenstein fort. Sie stehen Dir zu Diensten, sobald Du sie haben willst.

Gut, morgen, sagte Eugen, oder sobald ich freie Hand habe. In einigen Tagen denke ich mich dort einzurichten.

In Deinem Atelier, sagte der Baron lachend. Ich werde die Kleine morgen besuchen.

Nicht eher, bis ich es erlaube, erwiederte Eugen rasch und bestimmt.

Wie? Auch ich? fragte Ortenstein.

Auch Du, sagte Eugen.

So werde ich in einer Woche wieder anfragen, flüsterte der Baron spöttisch nickend. Bleibe für jetzt zu Haus, ich schicke in einer Stunde meine Künstler.

Als Eugen zurückkehrte, fand er seinen Vater noch mit den Mappen beschäftigt.

Du hast fleißige Studien gemacht, sagte der General; aber ist es denn Dein Ernst, Eugen, willst Du wirklich Dein ganzes Leben dieser Kunst widmen?

Wenn man überhaupt ein Künstler sein will, erwiederte der Sohn, muß man, wie ich glaube, nichts Anderes sein wollen.

Vom einseitigen Standpunkte aufgefaßt, magst Du Recht haben, antwortete der General, und heute ist kein Tag, um weiter darüber zu sprechen. Du bist unabhängig und wenn nicht reich, kannst Du doch leben, wie Du willst. Der Beruf eines Künstlers ist ehrenvoll und Deine Abneigung gegen jede andere Laufbahn hat Dich weit abgeführt. Jetzt bist Du zu alt, um von der Pike auf, wie es sein muß, nach Staatsämtern und Würden zu streben; das schließt jedoch nicht aus, auf außerordentlichen Wegen einen Vorsprung zu gewinnen.

Ich weiß nicht, welche Wege, fiel Eugen verstimmt ein.

Erstens durch meinen Einfluß, sagte der General, und dann durch Verbindungen. Zum Beispiel durch eine Heirath, Eugen, die Dich mit Familien in Verwandtschaft bringt, welche aus dem Maler einen Staatsmann oder doch einen reichen Grundbesitzer machen, dem jedes glänzende Loos offen steht.

Ich ziehe es vor, erwiederte Eugen stolz abbrechend und seine Zeichnungen zusammenpackend, daß meine Frau mir Alles verdankt und ich aus ihr mache, was mir gefällt.

Der General lachte dazu.

Geh nur zu Deiner Schwester in die Lehre, sagte er, und studire Ortensteins Abhandlungen.

Ich hoffe nicht, das Du mir den als Vorbild anempfiehlst.

Bei Leibe nicht! rief der alte Herr. Der ci-devant jeune homme ist ein alter Geck geworden. Sein Vermögen ist verpraßt, seine Schulden werden dann und wann von vornehmen reichen Freunden bezahlt, die ihn nicht stecken lassen und seine Commissionärdienste damit belohnen. Aber Eugen, ich bin öfter schon von hohen Gönnern nach Dir gefragt worden. Man hat mich aufmerksam gemacht, wie Dir zu helfen sei.

Durch eine sogenannte gute Partie, nicht wahr? sagte Eugen. Ich danke, lieber Vater. Du wirst es recht finden, daß ich darin für mich selbst sorge.

Der General legte lächelnd die Hand auf seines Sohnes Schulter.

Die Ehre muß uns überall leiten, erwiederte er, aber wir dürfen die Klugheit nicht hintenan setzen. Ich denke, Cäcilie wird auch darin guten Rath für Dich wissen.

Eugen senkte finster den Kopf. Sein Herz klopfte heftig, und dennoch wagte er sein Geheimniß nicht zu enthüllen.


6.

Eva hatte in dem einsamen Gartenhause einen betrübten Tag verlebt. Eugen war nicht gekommen. Er hatte am Nachmittage durch Ortensteins Vermittlung ihr ein Briefchen geschrieben, das mit kurzen Worten Alles sagte, was er sagen konnte, um sein Ausbleiben zu entschuldigen. Er bat sie nachsichtig zu sein, verständig und freundlich zu bedenken, was ihn hindere, und knüpfte die süßesten Klagen und Tröstungen daran, welche ihre Sehnsucht vermehrten. – Sie sollte sich mit Büchern beschäftigen, spazieren gehen, froh und heiter sein.

Eva ließ das Köpfchen hängen, Thränen füllten ihre Augen. Was sollte sie in dem schön geputzten Hause, was unter den schattigen Baumgängen ohne ihn, ohne irgend einen Freund!

Sie saß in einem Bosket und dachte an den frischen großen See, an den Thurm auf der Höhe, an den kühlen, rauschenden Wald. Zuweilen fuhr sie auf, denn es war, als ob ihres Vaters rauhe Stimme ihren Namen rief, oder als ob die alte Marie ihr leise gute Worte zuflüsterte, und Adam sein treuherziges Gesicht durch die Zweige steckte.

Die Leute hier waren freundlich und gefällig, aber sie betrachteten sie mit sonderbaren Blicken und flüsterten sich zu. Neugierige ausforschende Fragen wurden an sie gerichtet; Eugen hatte sie jedoch gebeten, kein Wort über sich und ihre Verhältnisse zu sagen, und Eva hatte so viel schon gelernt, um schweigen und ausweichen zu können. – Man versorgte sie aufs Reichlichste mit Speisen, Wein und Backwerk, und forderte sie auf, Alles zu begehren, was sie wünsche; allein sich begehrte nichts, sie war genügsam wie ein Vögelchen. Die Aufwärterin lachte dazu und meinte, das sei die Art nicht, um hier zu leben.

 

So verging der Tag und eine halb schlaflose Nacht, die auch für Eugen unruhevoll genug gewesen war. Er hatte den Nachmittag mit seinen Eltern bei seiner Schwester zugebracht. – Das Haus des Baron Walny gehörte zu den elegantesten; er war einer der reichsten Leute im Lande und völlig dazu geeignet, seinen Reichthum geltend zu machen.

Die schöne geistvolle Frau, welche ihn gewählt, versammelte Alles, was durch Geburt oder Talent hervorragte, in ihren Kreisen, und auch heute am Vorabende ihres großen Festes fanden sich verschiedene Begünstigte ein, welche sich willkommen wußten.

Man nahm den Thee in dem glänzenden Gartensalon. Die Unterhaltung war lebhaft; Eugen, der zurückgekehrte Reisende, war der Mittelpunkt der Mittheilungen, und Ortensteins Künstler hatten Wunder an ihm bewirkt: sie hatten ihn zu einem feinen Salonherrn umgestaltet. Sein Haar war nach der Mode frisirt und mit aromatischem Oel getränkt, sein Bart fortgezaubert bis auf das letzte Härchen, kurz er war mit Allem ausgerüstet, was dazu gehört, um untadelhaft vor den verwöhntesten Augen zu erscheinen.

Cäcilie war entzückt über diese Umwandlung. Ihre zärtlichen und ermuthigenden Blicke hingen an ihm wie an einem Geliebten. Sie sagte ihm Schmeicheleien und Scherze und freute sich an der Gewandtheit seiner Rede- und Erzählungsweise.

Du wirst gesucht werden, sagte sie, als er neben ihr stand; ich finde Dich aus einer glücklichen Mischung zusammengesetzt, aber der Cavalier kann sich doch nicht verleugnen. Bringe man das edle Blut wohin man will, es wird bei allen Verirrungen nicht zu Schanden werden. Das ist ein Triumph der guten Sache. Also, mein Herr Künstler, wird es geschehen. Ich fange an große Hoffnungen für Dich zu hegen.

Ehe Eugen eine Antwort geben konnte, meldete ein Diener die Gräfin Arnheim, und dieser Name reichte hin, die kleine Gesellschaft lebhaft zu erregen. Cäcilie eilte nach der Thür, ihr Gemahl begleitete sie. Ortenstein drängte sich an Eugen und sagte ihm leise:

Gieb Acht, es kommt ein Goldfisch der schönsten Art, den Viele schon fangen wollten, ohne daß es jemals gelungen wäre.

Wer ist die Gräfin? fragte er.

Die Gräfin ist die Wittwe des ehemaligen Staatsministers; ein Knauser, von dem die köstlichsten Geschichten existiren. Der schändlichste Wein und das schlechteste Essen charakterisirten seine Gesellschaften; ich schaudre bei ihrem Andenken. Die Gräfin ist nicht viel besser, aber sie hält doch auf Anstand. Du kennst sie nicht; sie hat lange allein auf ihrem Schlosse gelebt; erst seit drei oder vier Jahren besucht sie uns wieder, um sich einen Schwiegersohn auszusuchen.

Und das ist ihr noch nicht gelungen?

Bst! sagte der Baron. Deine Schwester und Comtesse Diana sind gleich gestimmte, innig verbundene Seelen.

Die Thüren wurden aufgethan, und auf den ersten Blick erkannte Eugen in den eintretenden beiden Damen seine Reisebegegnung im Posthause. Er wurde vorgestellt, und die alte Excellenz war sehr erfreut, den Bruder ihrer lieben Walny und den Sohn eines so ausgezeichneten Mannes kennen zu lernen. – Sie schien keine Ahnung davon zu haben, daß der bärtige zügellose Mensch, der ihr so viel Degout verursacht, und dieser glatte und höfliche junge Cavalier ein und dieselbe Person sein könnten. – Lange unterhielt sie sich mit ihm, betrachtete ihn aufmerksam, fragte nach seinen Reisen, forschte, ob er in England bei Hofe erschienen sei, und als er dies bejahte und die Namen einiger Herren vom hohen Adel nannte, in deren Familienkreise er eingeführt war, betrachtete sie ihn noch aufmerksamer und gütiger.

Sie waren nicht in Staatsgeschäften dort? fragte sie endlich.

In meinen eigenen Geschäften, erwiederte Eugen.

Mein Bruder, sagte Cäcilie, hat es vorgezogen, Welt und Menschen in völliger Unabhängigkeit zu beobachten, ehe er sich entschließen kann, seine Dienste in vorkommenden Fällen dem Staate anzubieten.

Und bis dahin, fügte Eugen lächelnd hinzu, wo ich anfangen werde, ein großer Diplomat zu sein, beschränke ich mich darauf, mit Griffel und Pinsel umherzuziehen.

Sie müssen wissen, Excellenz, rief Cäcilie, daß Eugen eine Art Kunstreise gemacht hat, um seinen Geschmack und Schönheitssinn zu verfeinern.

Die Excellenz nickte mit einem neuen wohlwollenden Blicke. Es ist nobel, sagte sie, wenn ein junger Cavalier für die Künste etwas thut. Auch mein Gemahl besaß viel Gefallen an Bildern und anderen Kunstwerken.

Das heißt, er preßte armen Künstlern, wenn sie in Noth waren, um ein Lumpengeld ihre Arbeiten ab, murmelte Ortenstein.

Sehr viel von diesem Sinne ist auf Dianen übergegangen, fuhr die Gräfin fort. Sie interessirt sich für Alles, was Kunst heißt, mit äußerster Wärme.

Also auch für die Künstler, flüsterte der Baron.

Die junge Gräfin war neben ihrer Mutter stehen geblieben und hatte einige freundliche Worte mit verschiedenen Personen gewechselt. Cäcilie hielt ihre Hand fest, dann und wann glitten ihre Blicke über Eugen hin, ein feines Lächeln spielte um ihren Mund. Die harmlose und unbefangene Art, mit welcher sie jetzt ein Gespräch mit Eugen anknüpfte, konnte diesen über den Verdacht eines Wiedererkennens beruhigen, mochte er auch begründet sein. Eugen sagte sich bald, daß er von dieser so klar und sicher sich bewegenden Dame keine compromittirende Scene zu erwarten habe.

Der Nachmittag verging ihm sehr angenehm. Gräfin Diana war in der That eine von jenen Erscheinungen, die leise magische Schlingen um sich ausstreuen, denen so leicht Niemand entgehen kann. Es fand Jeder hier etwas zu bewundern. War es nicht die schöne Ruhe der Begegnung, das anmuthige Lächeln, das dunkelblaue tiefe Auge, aus welchem geistige Gewalt sprach, so mochte es die metallene Stimme sein, oder das ungewöhnliche Wissen, das überall aus dem Gespräche hervorblitzte, oder die Feinheit und die Glätte der Form, in der sie sich bewegte.

Groß und schön ging sie mit Eugen durch den Garten und sprach mit ihm über Kunst, über verschiedene Gallerieen, welche sie gesehen, über Künstler, welche sie kennen gelernt hatte. Eugen erfuhr, daß sie selbst ein wenig male, und dies erhöhte sein Interesse. Was sie sagte, war immer verständig, zuweilen überraschend und kühn, aber nie überspannt. Sie sprach über Dichtkunst und Musik mit Begeisterung und ließ sich in kleine Streite ein, die sie hervorrief und mit Gedankenschärfe durchführte. Endlich kam es dahin, daß sie den Platz am Flügel einnahm, und Eugen mußte ihre Kunstfertigkeit bewundern, während er ihren Geschmack noch höher stellte. Sie liebte die alte Musik, die deutsche Musik; sie spielte eine Beethovensche Sonate mit andächtigem Feuer und hing eine Etude von Chopin daran, um darüber zu scherzen, obwohl sie dem Genie Bewunderung zollte.

Als die Gesellschaft am Abende sich zerstreute, ging Cäcilie am Arm ihres Bruders noch einige Male auf und ab. –

Du bist zerstreut, Eugen, sagte sie; was fehlt Dir? – Von Zeit zu Zeit sah ich Dich gleichsam wie in ein Meer versinken und fast kamst Du mir vor wie ein Ertrinkender. Du hobst eine Hand zuweilen bis über den Kopf und faßtest Dein Haar an, als wolltest Du Dich daran festhalten.

Möglich, erwiederte er, daß ich einen Rettungsversuch mit mir selbst machte. Wir leben ja in der Zeit der rettenden Thaten.

Dann müssen gefährliche Zustände vorhanden sein, rief sie spottend.

Die man unterdrücken muß, sagte er.

Und wie gefällt Dir meine Freundin Diana? fragte die kluge Schwester.

Sehr gut, war seine kurze Antwort.

Das klingt höchst nüchtern und erbaulich, fuhr sie lachend fort. Sie ist entzückend, ein höheres, vollendetes Wesen, ein Wonnetraum für Sterbliche und dergleichen, würde ein Anderer gesagt haben. – Du bist ja Künstler, Eugen; solche Naturen weben sich Ideale. Empfindest Du nichts davon in ihrer Nähe?

Ich bin mit dem Realen zu sehr beschäftigt.

Also praktisch, sagte Cäcilie; nun auch daran ist gut denken bei ihr. Diana ist die Erbin eines bedeutenden Namens und großen Vermögens. Graf Arnheim hat wie ein Phönix auf seinem goldnen Neste gesessen, und seine würdige Wittwe läßt kein Hälmchen umkommen. Wer Diana heimführt, bekommt Alles, und den Namen dazu; das Beste aber bleibt sie jedenfalls selbst. Die schönste, liebenswürdigste, talent- und geistreichste Frau, die mich verdunkeln wird; ich sehe es leider vorher.

Sie fuhr in ihrer Lobrede fort und sagte dann:

Du mußt den Damen morgen einen Besuch machen. Der alten Excellenz hast Du ganz besonders gefallen. Sie findet Deinen Ernst, Dein Schweigen und Deine Beredtsamkeit, kurz Dein ganzes Wesen musterhaft. Verständige Dich dabei mit Diana, sie soll Deine Dame bei unserem Feste sein. Ich habe es hier heute schon gesagt, und beifällige Zeichen gesehen. Du willst doch, Eugen?

Er sagte ja, und sie klopfte lachend auf seine Stirn. –

Schlaf gründlich aus, sagte sie, Du scheinst etwas müde, blaß und abgespannt zu sein. Sammle alle Deine Liebenswürdigkeit für morgen, und sei ohne Sorge, theurer Freund. Ich habe mir vorgenommen, Dich zum glücklichsten Sterblichen zu machen, und was ich, will, wollen die Götter.

 

Früh am Morgen war Eugen schon auf dem Wege zu dem einsamen Garten. Er hatte sich aus dem Hause geschlichen, ging eilig durch einige Straßen, warf sich dann in einen Miethswagen, und zog mit voller Gewalt die Klingel an der Pforte, als fürchte er überrascht zu werden.

Drinnen hörte er in einem langen Freudenruf seinen Namen, und als die Thür geöffnet ward, hing Eva an ihm, so selig bewegt, wie er sie nie gesehen hatte. – Ihr unschuldvolles Gesicht strahlte vor Glück, und ihre leuchtenden Augen strömten unnennbares Entzücken aus.

Da bist Du ja, sagte sie, o nun ist Alles gut. Warum hast Du mich so lange allein gelassen? Ach, es war unmöglich, Du hast es mir ja geschrieben. Aber nun komm, Eugen, komm geschwind. Ich habe vor lauter Weh im Herzen nicht gefrühstückt; jetzt bringe ich Dir den Kaffee dort in die Laube und – Himmel! wie siehst Du aus? –

Sie bemerkte jetzt erst die Veränderung in seinem Gesicht, und die schlanke Gestalt im knappen Rocke.

Wie schön Du bist, sagte sie, das steht Dir Alles recht gut; ich habe gar Nichts, worin ich Dir gefallen könnte, als mein Röckchen und Bäckchen, und mein Hochzeitskleid. Wo ist es denn?

Das starre Feststehen seiner Augen und eine Blässe, die über sein Gesicht lief, bemerkte Eva nicht. Sie lehnte sich an ihn, legte ihre Hände auf seine Schultern, und sah mit der freundlichen Innigkeit eines Kindes zu ihm empor.

Komm, komm! meine kleine Eva, rief er endlich wie erwachend, und mit einem Ruck, der alle Glieder straffte, den Kopf aufrichtend. Theile Dein Morgenbrot mit mir und lege Deine Hand auf mein Herz, fühle, ob es für Dich schlägt.

Ich fühle gar nichts, sagte sie aufrichtig.

O! Schelm, hier, hier! fuhr er lebhaft fort, es ist keine Lüge. Glaubst Du, Eva, daß ich Dich betrügen kann?

Sie schüttelte den Kopf befremdet und erstaunt. Er küßte sie, und erzählte ihr, was er gestern gethan und durchlebt; aber er sagte nichts von der Gräfin. Bald war die herzliche Vertraulichkeit wieder erwacht; Eva plauderte, lachte, erzählte Alles, was sie dachte, brachte hundert Einfälle und naive Fragen zum Vorschein, und schlug in die Hände vor Freude über seine Antworten.

Nach einer Stunde harmlosen Glücks ließ Eugen die Vermietherin der Wohnung rufen, und gab ihr Aufträge, Sie sollte für einige Wäsche und Kleider sorgen, für den einfachen, aber ausreichenden Bedarf seiner Frau, wie er mit scharfer Betonung sagte, und dann fügte er einige, für Eva unverständliche, aber ausreichende Erläuterungen hinzu, welche jeden Verdacht beseitigen sollten.

Die Frau versprach Alles und entfernte sich voller Zweifel über den wahren Charakter ihrer seltsamen Pflegebefohlenen. Eugen blieb noch einige Zeit; endlich ging er, nachdem er alle Mittel erschöpft hatte, um Evas Betrübniß zu zerstreuen.

Wenn es irgend möglich ist, sagte er, komme ich heut Abend noch zu Dir. Sei gut, kleine Eva, ich liebe Dich ja. Du mußt an mich glauben. Willst Du?

Ich will! ich will! rief sie ihr Gesicht verbergend. Ich habe ja Niemand auf der Welt, wie Dich allein!

Er blickte sie gerührt an, seine Hände zitterten, als er sie auf ihren Kopf legte. Eva begleitete ihn bis zur Thür, und als der Wagen fort fuhr, sah und hörte sie ihm so lange nach, bis das letzte Gerassel verstummte. Dann ging sie lächelnd zurück; es war viel Trost in ihre Brust gekommen.

Sie überdachte Alles, was Eugen ihr gesagt hatte, und ihr Kopf füllte sich mit unzähligen süßen Vorstellungen. Sie kannte vom Leben der meisten Menschen nichts, aber es schwebte in luftigen Traumgestalten an ihr vorüber. Sie sehnte sich danach in dies Zauberreich einzutreten, um dort selbst zu empfinden und zu erfahren, wovon Eugen ihr so Vieles erzählt hatte. So eilte die durch die Gänge des Gartens wie ein Kind, pflückte Blumen, lief den Schmetterlingen nach, und ihr langes weiches Haar löste sich auf, ihre Füße berührten kaum den Boden. Sie nickte den Vögeln zu, die durch die Bäume flatterten, und mit den Vögeln flogen ihre Gedanken weit fort über alle Mauern in die dunstige Bläue des Sommerhimmels, der so still und warm sich ihr anschmiegte.

Plötzlich aber mitten im Laufen stand sie erschrocken still, denn vor ihr stand ein fremder Herr, den sich nie gesehen hatte. Es war Ortenstein, der fein lächelnd seinen Hut zog, und mit der Unbesorgtheit des erfahrenen Mannes ihr näher trat.

Ich bitte tausend Mal um Vergebung, daß ich Sie erschreckte, sagte er. Ich suche Eugen, ist er hier?

Er ist nicht mehr hier, sagte sie zögernd.

Also hier gewesen, fuhr er fort, indem er Eva mit sanftem Kopfneigen musterte. Gefällt es Ihnen hier?

Es gefällt mir sehr gut hier, flüsterte sie, indem sie ihr Haar in Ordnung zu bringen suchte.

O, lassen Sie doch, rief der Baron. Das sieht allerliebst aus. Nymphenartig, höchst malerisch. Hat denn Eugen einige Sorge für Ihre Garderobe genommen?

Er hat mir davon gesagt.

Mit der Frau hier hat er gesprochen, man hat es mir mitgetheilt, fuhr Ortenstein fort; aber das ist nichts, ich werde es übernehmen; Sie sollen heut noch damit versorgt werden, spätestens morgen. Eugen ist reich genug, um alle Ihre Wünsche zu erfüllen, und eine junge Dame braucht Schmuck, Spitzen, Putz. Wir müssen sehen, was sich thun läßt.

Er zog eine sehr dünne goldene Uhr aus der Tasche, die an einem feinen Goldkettchen hing, und sagte dann:

Eine Viertelstunde habe ich gerade noch übrig, um mit Ihnen zu plaudern, Fräulein Eva. Nicht wahr, Eva ist Ihr Name?

Eva, erwiederte sie, so heiß' ich.

Nun setzen wir uns hier, Fräulein Eva, geben Sie mir Ihre Hand. Ei, das ist eine kleine, feine Hand. Lange schmale Fingerchen, ein wenig rauh zwar noch, aber ganz dazu eingerichtet, um Kultur anzunehmen.

Rauh ist sie von mancherlei Arbeit, antwortete Eva.

Das ist vorbei, lächelte Ortenstein, Damen Ihres Standes haben der Arbeit Adieu gesagt. Wir müssen gute Freunde werden, Fräulein Eva. Eine Uhr besitzen Sie schon, nicht wahr?

Nein, sagte Eva.

Wie? rief der Baron entrüstet, nicht einmal für eine Uhr hat der Bösewicht gesorgt. Nehmen Sie diese, meine schöne Freundin, bis wir eine bessere finden.

Er legte ihr Uhr und Kette in die Hand; Evas Blicke hingen wie bezaubert an dem blitzenden Geschenk, und Ortenstein betrachtete mit Kennerblicken ihr vor Freude, Neugier und Verlangen strahlendes Gesicht.

Das war ein Pfand des Vertrauens. Eva setzte sich zu ihm, Ortenstein sagte ihr Schmeicheleien, er überhäufte sie mit Artigkeiten und Lobsprüchen und ließ sich von ihr Alles erzählen, was seine Fragen herauspreßten. – Nach einer Viertelstunde wußte er genug, aber er konnte sich des Lachens nicht erwehren, als er die Heirathsgeschichte hörte.

Und nun sind Sie seine Frau, Fräulein Eva, sagte er. Eugen hat es den Leuten hier eingeschärft und ganz recht daran gethan. Ich werde Sie von jetzt an auch gnädige Frau nennen.

Eva sah ihn treuherzig freundlich an.

Sie sind so gut, erwiederte sie, Sie müssen mich Eva nennen, wie Eugen.

Ein Mitleid kam über den Baron.

Armes Kind, rief er, es ist allerdings höchst reizend, so unschuldig zu sein, und ich beneide Eugen um solchen Besitz, aber ich werde dafür sorgen, daß er niemals undankbar sein soll.

Undankbar? sagte Eva lachend. Was hat er mir zu danken?

Ortenstein rieb sich sanft die Hände.

Es wird sich Alles machen lassen, erwiederte er. Wo war es denn schöner, hier oder zu Haus an dem großen See? und wie heißt der gute Junge, den Sie vorhin nannten? Adam, nicht wahr? Was wird er traurig sein, wie wird er seine Eva suchen! – Möchten Sie ihn nicht gern wiedersehen?

O gern, sehr gern, rief sie. Eugen hat mir versprochen, daß ich in einiger Zeit Alle wiedersehen soll.

Sehr weise vorbedacht! sagte der Baron, ich werde diesen Wunsch unterstützen, liebe kleine Eva. Er muß Ihnen Wort halten.

Er nahm die dankbar glücklichen Blicke in Empfang, und hörte Evas Geplauder mit neuem und vermehrtem Wohlgefallen. Unter Scherz und Heiterkeit verging noch eine Viertelstunde, dann stand Ortenstein auf und nahm seinen Hut.

Auf Ehre! rief er, es ist mir leid, daß ich fort muß, man befindet sich wohl in Ihrer Gesellschaft. Aber ich komme wieder, meine kleine Freundin. Zählen Sie ganz auf mich, und wenden Sie sich an mich, wenn irgend etwas geschieht, was Ihnen mißfällt.

 

Als er zu Eugen kam, war dieser nicht mehr zu Haus.

Er erkundigte sich näher, Eugen war zu der Gräfin Arnheim gefahren.

Mit dieser frohen Nachricht trat er in das Zimmer der Baronin Walny, die ihm lebhaft entgegen kam, in sein lächelndes Gesicht sah und dann ausrief:

Sie haben Sie gesehen, Ortenstein und es steht Alles gut.

Ich habe sie gesehen und gesprochen, gnädige Frau, erwiederte der Baron lachend, indem er sich behaglich niedersetzte und ausstreckte. Es ist ein liebenswürdiges, unschuldiges Kind.

Ein Kind! sagte die Baronin mit ironischem Nachdruck.

Ja, ein Kind, rief Ortenstein, wie ein junger Maitag. Mir ist bei ihr gewesen, als ginge ich durch einen frisch grünenden Wald, auf dessen neue Blätter die Morgensonne scheint.

Sie werden poetisch, Ortenstein! fiel die schöne Frau unmuthig ein.

Beruhigen Sie sich, gnädigste Frau, sagte er, es ist gar keine Gefahr dabei. Eugen ist heut früh ein Stündchen bei dieser kleinen Nixe vom See gewesen, hat sie getröstet und ist dann zur Comtesse Diana gefahren, wo er noch ist.

Und was wird geschehen?

Was wird geschehen! wiederholte der Baron sanft den Kopf neigend. Ich wette was sie wollen, Eugen kommt heut noch sehr weit. Sie haben ihm das Feld excellent geebnet.

Diana, sagte die Baronin, wünscht sich zu vermählen; sie will sich von ihrer Mutter emancipiren, deren Herrschaft ihr lästig wird. Ich habe vor Jahr und Tag schon auf meinen Bruder gedeutet und Hoffnungen genährt. Jetzt muß der Zufall es fügen, daß sie ihn rasend und roh wie einen Wilden mit dem unschuldigen Kinde, wie sie es nennen, in dem Posthause findet und ihn auf der Stelle erkennt.

Es ist köstlich, lachte der Baron die Hände reibend. Der Zufall ist der wunderbarste Schicksalsgott der Menschheit; aber wie fein durchbildet ist Gräfin Diana, daß sie diese ganze Affaire zu den gewöhnlichen Betisen zählt und mit einigen Randbemerkungen zu den Todten wirft.

Die Baronin sah ihren Vertrauten spöttisch an.

Sie sind ja ein Menschenkenner oder doch ein Frauenkenner, Ortenstein, sagte sie. Wissen Sie, was der Grund dieser hochherzigen Großmuth ist? – Gut, ich will es Ihnen sagen. Diana liebt Eugen. – Wenn wir lieben, verzeihen wir Alles, das heißt, wir vergeben dem Sünder unter der Bedingung, daß er sich bessere. – Diana ist zu klug, um zu glauben, Eugen sei ein heiliger Antonius, aber das fordert sie wie jede Frau, daß in den Flitterwochen wenigstens Gottes Gebot gilt: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Was schlagen Sie also vor, Ortenstein?

Der Baron erzählte umständlich und sagte dann:

Eugen hat die Angelegenheit zwar durch eine Heirathskomödie erschwert, wahrscheinlich aber ließ es sich nicht anders machen. Die Sache bleibt dieselbe. Das Kind hat zu Haus noch einen alten Vater, der von geringer Pension lebt, dann ist ein junger Fischer da, der mit ihr aufwuchs und an dem es sehr hängt. Wenn Eugen will, läßt sich Alles mit einer Scene abschließen. Man schickt sie nach Haus und giebt den Leuten ein Stück Geld. Damit ist glücklicher Weise heut zu Tage Alles zu machen.

Und je eher je besser! rief Cäcilie.

Richtig, gnädigste Frau, je eher je besser. Wenn Eugen heut sich entschließt, kann morgen Alles abgethan werden. Ich nehme es auf mich.

Dank Ihnen, lieber Ortenstein, sagte die Baronin. Eugen muß wollen und wird wollen. Es giebt keine andere Wahl für ihn. Er war gestern schon für Diana entzündet; ich glaube, wir haben es Alle bemerkt. Er ist zu verständig, um nicht einzusehen, was ihm geboten wird. Dies Feuer heut noch zu schüren, muß unsere Sache sein. Mein Vater ist ganz einverstanden, meine gute Mutter weint über Eugens Glück, und daß er meinen Rath befolgt hat und in aller Frühe zu der Gräfin gefahren ist, macht mich ganz sicher, daß er das unschuldige Kind nach Haus schickt, sobald man ihm ernsthaft zeigt, daß es so sein muß.

Der Baron blieb, bis Walny kam, der ihn einlud, die Vorbereitungen zum Feste, an dessen Schluß ein Feuerwerk im Garten abgebrannt werden sollte, nochmals mit ihm durchzugehen. Es war in einem Saale ein Theater errichtet worden, auf welchem zur Feier der Rückkehr des Generals verschiedene beziehungsvolle Scenen aufgeführt werden sollten; dann wollte man unter Eugens künstlicher Leitung lebende Bilder stellen, dazwischen tanzen und endlich Raketen und Girandolen steigen lassen.

Eugen hatte versprochen, früh zu kommen, und er kam bald. Die Unruhe und Hast seines Wesens war unverkennbar; man sah es ihm an, daß, während sein Schwager ihm erzählte und seine Mitwirkung beanspruchte, er völlig abwesend war und nichts davon hörte.

Ja wohl, sagte er endlich aufschreckend, wir wollen die Bilder stellen, die Damen um Theilnahme ersuchen. Es läßt sich so Etwas am besten erst einrichten und wählen, wenn man weiß, welche Mittel man hat.

Die Stunden vergingen. Eine glänzend gewählte Gesellschaft fand sich zu einem späten Diner ein, bei welchem Baron Walny Alles aufgeboten hatte, was seinen Ruf rechtfertigen und erhöhen konnte. – Eugen hatte seinen Platz neben der jungen Gräfin Arnheim erhalten. Cäcilie lächelte ihm zu, und drückte ihm im Vorbeigeben die Hand.

Benutze Deine Zeit, sagte sie. Du hast Diana schon heute früh gesehen.

Flüchtig, weil die Excellenz mich mit zu vieler Güte überhäufte.

Du weißt, flüsterte Cäcilie, daß die Gunst der Mütter ein glückliches Zeichen ist. Halte Dich jetzt schadlos; es ist Dir erlaubt.

So hielt sich denn Eugen schadlos. Er war den ganzen Tag und den Abend dieses Festes der begünstigte Begleiter der schönen Gräfin, und diese Bevorzugung konnte nicht unbemerkt bleiben.

Die alte Excellenz ging am Arme des Generals durch den Garten; dann sah man sie von Eugens Mutter begleitet im vertrauten Gespräch. – Es wurden endlich die lebenden Bilder dargestellt. Eugen ordnete sie an, und Gräfin Diana erschien nach einem bekannten Bilde als Fürstin, die einem jungen, vor ihr knieenden Ritter den Siegerkranz aufsetzt.

Der Ritter war Eugen; seine Schwester hatte es so veranstaltet. Es war ein prächtig gelungenes Bild, das lebhaften Beifall erhielt und verdiente, aber es gab zu verschiedenen Bemerkungen Anlaß.

Endlich am Abend, als es dunkelte, wurde auf einem freien Platze im Garten das Feuerwerk abgebrannt. Der Namenszug des Generals, von Sonnen umgeben, in Brillantfeuer und farbigen Lichtern bildete das Hauptstück. Die Girandolen flogen, Feuergraben sprühten; Eugen stand neben der Gräfin und sah in ihr erregtes, schönes Gesicht.

Wenn ich ein Feuerwerk sehe, rief Ortenstein, der an der anderen Seite stand, muß ich immer unser Leben damit vergleichen. Natürlich kein Leben in Dunkelheit. Was dafür geboren ist, kann niemals zur Sonne werden; aber was heißt denn Leben überhaupt, wenn es nicht ein Leben ist, das unsere Tage in glänzende Funken auflöst, und Meteore aus uns macht?

Darin ist Wahrheit, sagte die Gräfin, indem sie sich zu Eugen wandte. Ein wenig Feuer, ein wenig Glanz, Geräusch und Geprassel, und endlich nichts, als einige Schlacken und Asche, die der Wind verweht, das ist das Loos derer, die da meinen, Sonnen zu sein.

Und was verlangen Sie Anderes von dem besten Menschenleben? fragte Eugen.

Von dem besten Menschenleben? erwiederte sie. Glauben Sie, daß das beste Leben ein glänzendes Leben sei?

Die Höhe des Lebens, gab er zur Antwort, verlangt den Glanz, um die Schwere zu vergessen.

Nein, sagte die Gräfin, die wahre Höhe des Lebens mag den Glanz nicht verachten, aber sie wird ihm einen untergeordneten Platz anweisen. Ich bin nicht erfreut von der Unruhe dieser Feste, nicht gesättigt von dem Glück, das sie geben können.

Und welches Glück sättigt das Verlangen? flüsterte Eugen vor sich hin.

Das Glück, Herr von Werder, daß wir aus uns selbst schöpfen, erwiederte Diana. Ich kann die Kräfte nicht bemessen, die einen Mann treiben; aber sei es wie es sei, ein schönes Leben kann nur ein Leben sein, das uns mit Stolz und Freude über die bewußte Anwendung der Zeit erfüllt, die uns gehört. Ein Mann, und stehe er noch so hoch, muß, wie ich denke, immer sich sagen können, Du hast gestrebt, wie Du sollst; kein Vorwurf trifft Dich, Deine Ehre hat keine Forderung an Dir zu machen. – Das muß Ruhe geben, ein schönes Ebenmaß zwischen Wollen und Können, einen Frieden, der ganz anderen Trost giebt, wie der Vergleich mit einem Feuerwerke, das wild seine brennenden Funken auswirft.

In diesem Augenblicke richtete sich Eugens Aufmerksamkeit auf einen Haufen von Zuschauern, der jenseit einer gezogenen Schranke stand, wo er Erlaubniß erhalten hatte, dem Schauspiele beizuwohnen. Es waren meist die Angehörigen der Dienstleute des Barons, mit Bekannten und Verwandten, Frauen und Kindern; aber plötzlich zuckte Eugen zusammen, denn von dem letzten Sprühen der Sonnen beleuchtet, sah er in Evas Gesicht, die ihn starr und lächelnd anblickte.

Im nächsten Augenblicke war es dunkel, aber Eugen war aufs Heftigste erschüttert. Er konnte nicht glauben, daß es Täuschung war. Nein, es war Eva, es war ihr heiteres, reizendes Lachen, ihr strahlendes, entzücktes Auge, nur ihr Anzug war ihm fremd. Er war modisch fein, sie war geschmückt wie eine Dame, mit blumenvollem Sommerhut und in einen weiten Shawl eingewickelt.

In der nächsten Minute wollte Eugen sich überzeugen, aber Gräfin Diana legte ihren Arm in den seinen; er führte sie durch die erleuchteten Gänge in den Salon zurück.

Die letzte Rakete ist verpufft, sagte sie, wir müssen nach Haus, und für die nächste Zeit dürften wir uns nicht viel mehr wiedersehen, Herr von Werder. Uebermorgen spätestens kehrt meine Mutter auf ihr Gut zurück; in ländlicher Abgeschiedenheit wird uns dann der Sommer vergehen, bis der Winter uns in die Residenz zurückbringt.

Es war, als erwarte sie eine Antwort. Sie neigte den Kopf und lächelte; vielleicht glaubte sie, irgend eine Bitte oder Betheuerung zu hören, aber Eugen schwieg. –

Sie wissen, Herr von Werder, fuhr Diana fort, daß wir nur kamen, weil meine Mutter eine persönliche Unterredung mit ihrem Advokaten halten mußte. Das ist abgemacht, wir kehren jedoch beruhigt nach Haus zurück, denn der Proceß, um welchen es sich handelte, ist glücklich entschieden. Es stand der größte Theil meines Vermögens dabei auf dem Spiel; der Verlust ist abgewendet.

Und Sie müssen fort, morgen schon fort! sagte Eugen stockend.

Wir wohnen ja nicht allzuweit, erwiederte sie; Grünau, unser Gut, liegt reizend genug, um es zu vermissen. Wald und Seen, blumenvolle Gründe und hübsche Fernsichten giebt es dort in Fülle, auch besuchen uns zuweilen liebe Freunde, denen es wohl bei uns behagt.

Die Antwort, welche Eugen zu geben hatte, lag nahe, aber er gab sie noch immer nicht. –

Cäcilie wird in einigen Wochen nach Wiesbaden gehen, sagte die Gräfin. Ihr Vater sagt mir, daß er ebenfalls ein Bad zu besuchen denke und die Mama dahin mitnimmt.

So ist es, antwortete Eugen. Ich werde Zeit haben, um zu sehen, wie weit das Glück reicht, das wir aus uns selbst schöpfen.

Er wollte noch etwas sprechen, denn er hob den Kopf auf und blickte in die Augen der Gräfin, aber er schwieg, und fügte erst nach einer Weile zögernd hinzu:

Darf ich glauben, daß ich in Grünau zu den Freunden gerechnet werde, die sich dort wohl gefallen?

Ein Künstler sucht nach Idealen, erwiederte Gräfin Diana lächelnd; was wir geben können, soll gern geboten werden.

Hier unterbrach die Excellenz das Gespräch, und es erfolgte eine förmliche Einladung zu einem Besuche, der in verbindlichster Weise recht bald gefordert wurde.

Eugen war noch stiller und bescheidener, formenvoller und höflicher als bisher, was die alte Gräfin Arnheim so sehr an ihm rühmte. Der tiefe Ernst seines Gesichts wurde zuweilen von einem zuckenden Lächeln unterbrochen, sein Auge schien erhitzt, seine Stirne feucht zu sein, und während er mit den Damen sprach, wechselte er mehr als einmal die Farbe.

Kommen auch Sie im Sommer einmal zu uns, lieber Ortenstein, sagte die Excellenz zu dem Baron, und bringen Sie Herrn von Werder mit. Es ist mir Ihretwegen lieb, daß er einige Zeit bei Ihnen in der Hauptstadt bleibt.

Meinetwegen? sagte Ortenstein verwundert.

Er wird Sie zur Tugend anhalten, lachte die alte Dame, denn das ist der Einzige unter euch Allen, dem ich Tugend zutraue.

O, was das betrifft, rief der Baron, so ist er ein wahrer Oberpriester an Frömmigkeit und Heiligkeit, – und leise, während er ihr den Abschiedskuß auf den Handschuh drückte, murmelte er in sich hinein: Es ist süperb, was sie von ihm glaubt, aber wie unschuldig sieht der Schelm auch aus!

Als endlich Ruhe eingetreten war, hielt Cäcilie Eugen fest und bat ihn noch einige Augenblicke zu bleiben. –

Ich habe mit Dir zu sprechen, begann sie, möchte mich aber nicht gern weiter in Deine Angelegenheiten mischen, als Noth thut, und weiß nicht recht, wie weit ich meiner Frauennatur folgen, wie weit ich meinen diplomatischen Charakter annehmen soll. Vor der Hand wünsche ich Dir Glück.

Ich verstehe Dich nicht, Cäcilie, erwiederte Eugen.

Gut, wenn Du meinst, Dein Vertrauen oder mein Rath könnten in dieser Sache nichts nützen oder schädlich werden, so lassen wir es, sagte sie. Nur das weise nicht von der Hand, Eugen; ordne Deine kleinen Affairen so schnell und so still, wie möglich. Man kann Alles in der Welt thun, seinen Leidenschaften, Einfällen oder Tollheiten jedes Opfer bringen, aber man darf es niemals zum Skandal kommen lassen.

Du meinst mich, meine Tollheiten, meine Leidenschaften, rief Eugen erstaunt. Was weißt Du davon? Wer ist so indiscret gewesen?

Sei ruhig, sagte sie. Diana hat mir scherzend eine Scene mitgetheilt, die sie in einem Posthause erlebt hat. Ein junger Herr hielt dort mit seiner Schönen Rast, die er aus irgend einer Hütte mitgenommen haben mußte. Diana beschrieb diese Auftritte sehr belustigend mit der feinen Satyre, die ihr eigen ist. Zuletzt sagte sie mir, jener junge Herr habe einige Aehnlichkeit mit Dir gehabt, und seltsam sei es vom Zufalle, daß Du an demselben Tage desselben Weges kommen mußtest. – Nun leugne Eugen, wenn Du willst!

Ich leugne nicht, erwiederte er.

Und ich frage nicht weiter, fiel sie ein. Du mußt wissen, was jetzt zu thun bleibt, um Deinen Faschingsspaß am besten zu enden.

Ich bitte Dich, sagte Eugen tiefathmend, Deinen Spott zurückzuhalten.

Eugen, mein Bruder! sagte Frau von Walny zärtlich, indem sie die Hände auf seine Schultern legte, der heutige Tag muß Dir deutlich gesagt haben, wie schön und stolz Dein Leben vor Dir liegt. – Diana liebt Dich! Es hängt von Dir ab, die reiche Erbin zu erobern. Reise nach Grünau, und Du wirst zurückkommen als beglückter Bräutigam; aber zögere keine Stunde, aus einem Sommernachtstraum aufzuwachen, der Dir angenehme Zerstreuung versprochen haben mag, doch nicht länger fortgeträumt werden darf.

Du weißt nicht, was Du forderst, sagte Eugen leise.

Bist Du denn wirklich ein so leichtsinniger Roué, rief die Baronin ärgerlich und spöttisch, daß selbst, während Du die Hand nach Diana ausstreckst, Du ein Geschöpf nicht missen willst, das, wie ich höre, keine anderen Vorzüge besitzt, als über die Maßen kindisch und albern zu sein?

Weil Du sie nicht kennst, urtheilst Du also, erwiederte Eugen. Es ist das liebenswürdigste, heiterste Gemüth. Es ist ein Kind, dem die Natur zahllose Reize verliehen hat, ein Geist, der nur geweckt zu werden braucht, um sich aufs Reichste zu entfalten.

Nun wahrlich, lachte die Baronin gereizt, Du machst mich theilnehmend für Deine Gesellschafterin. Schicke sie nach Haus, sorge für sie, suche sie später wieder auf, wenn es nicht anders sein kann, wenn Deine Leidenschaft sich nicht lindern läßt, doch für jetzt: fort mit ihr!

Es ist überflüssig, davon zu reden, sagte er. Eva wird sich nie von mir trennen.

Nie von Dir trennen? Sie hat Dich bezaubert! Eva heißt die Person? Soll ich mich herabwürdigen, ernsthaft mit Dir von ihr zu reden? rief Cäcilie heftig. Mein Gott! Eugen, man kann einem jungen Mann aus der Gesellschaft jeden Leichtsinn oder jede Thorheit verzeihen, aber wenn diese ernsthaft wird, wenn Methode in den Wahnsinn kommt, wird er unerträglich. – Geh nach Haus, besinne Dich, und morgen mache der Gräfin Arnheim Deinen Abschiedsbesuch. – Was die Person anbelangt –

Sprich mit Achtung von ihr, sagte Eugen plötzlich sie unterbrechend. Eva ist meine Frau!

Du hast also eine vollständige Komödie aufgeführt, erwiederte Cäcilie, ohne Ueberraschung zu zeigen. Ich bedaure das Kind, beklage seine Leichtgläubigkeit und mache Dir die ernstlichsten Vorwürfe. Es ist sogar ungesetzlich, Heirathen zu fingiren, und könnte zu Unannehmlichkeiten mit der Justiz führen.

Wie! rief Eugen, indem er sich stolz aufrichtete, Du könntest glauben, daß ich so sittenlos und verderbt genug wäre, eine Heirath zu fingiren, um ein Mädchen zu betrügen?

Dann ist es also nicht wahr! fiel die Baronin ein. Um so besser, lieber Eugen.

Es ist wahr, sagte er mit einer Kraft, die unwiderstehlich wirkte. Mag es sein, daß ich in Ueberraschung und gedrängt von Verhältnissen eine rasche und unbesonnene That beging, die ich bedauern könnte, wenn Bedauern etwas zu ändern vermöchte; aber sie ist unwiderruflich wahr. Eva ist meine Frau; die Trauung ist vollzogen worden, wie es das Gesetz vorschreibt; morgen will ich dem Vater Alles eröffnen. Hausberg hat ihm einst das Leben gerettet; wollte ich Eva nicht untergehen lassen, so blieb nichts übrig, als ihr meine Hand zu reichen. Ich habe damit die Schuld unseres Vaters bezahlt; er wird mir vergeben, ich weiß es. Der Liebe und Treue meiner Mutter bin ich gewiß, und auch Du, Cäcilie, auch Du mußt Dich mit uns versöhnen; Eva wird Dir lieber werden, wie Du denkst.

Das ist unmöglich, rief Frau von Walny, die wie betäubt vor ihrem Bruder gestanden hatte und jetzt mit Heftigkeit seinen Arm anfaßte. – Um Gottes Willen! Eugen, rede. Sage es ist ein Scherz, ein Traum, ein Nichts. Es ist nichts! Nicht wahr? – Es ist nichts, Du willst mich peinigen.

Es ist Alles wahr, erwiederte er mit Festigkeit. Jeder muß sich darein finden.

Nun denn, wenn ich es glauben muß, sagte die Baronin mit bitterer Heftigkeit, was bewog Dich denn, uns alle zwei Tage zu täuschen? Warum kamst Du nicht und zeigtest uns in der ersten Minute Deine ganze Thorheit und unsere Schande? – Warum wecktest Du Hoffnungen bei Dianen, widmetest ihr Deine Huldigungen, warfst neue Täuschungen in ihre Seele?

Du hast Recht, murmelte Eugen den Kopf senkend. Ich hätte dies Gefühl bekämpfen, diese Nähe meiden müssen. Es ist vorbei, sie selbst hat mich auf meine Ehre gewiesen, nirgend soll diese sich verdunkeln. Gute Nacht!

Nein, ich halte Dich fest, rief Cäcilie. Was willst Du thun? Morgen vor den Vater treten, ihm das Kind zeigen und sagen: Vater, Mutter, das ist meine Frau, nehmt sie auf als eure Tochter? – Es wäre lächerlich, abscheulich, sinnlos! Es machte uns zur Zielscheibe alles Hohns und aller Bosheit. – Hättest Du es vorgestern, gleich auf der Stelle gethan, es wäre eher möglich gewesen, heut ist es unmöglich.

Der Vater ist von frohen Hoffnungen, die Mutter von stillen Wünschen erfüllt. Man hat gesehen, daß Gräfin Arnheim sich für Dich interessirt, Dein Benehmen bestärkt die Gerüchte. Morgen weiß es die ganze Gesellschaft, der Hof, alle Freunde, Feinde und Neider. – Denke Dir die Lage des Vaters, denke Dir den Hohn auf ihn, auf uns und auf Diana, wenn Du morgen eine junge Bäuerin präsentirst, ein Naturkind, das in aller Sitteneinfalt die Frau des Freiherrn von Werder darstellt, des Abentheurers, des Phantasten, des Malers, des Ideologen, der ganz so gehandelt hat, wie man es von ihm erwarten durfte, der aber der einzige Sohn seines Vaters und mein Bruder ist. –

Die Baronin war erschöpft, blaß und fassungslos.

Sie gingen lange stumm neben einander her, bis Cäcilie ruhiger sagte:

Es muß ein Ausweg gefunden werden, Unvermeidliches muß man ertragen.

Und wo ist der Ausweg, den Du mir nach allen diesen Anklagen zeigen willst? sagte Eugen kalt.

Nach Allem, was ich gehört, erwiederte sie, bleibt uns nichts mehr übrig, als die Gestaltung Deiner Zukunft Dir selbst zu überlassen. Du hast die Brücke abgebrochen: nun trage, was sich nicht ändern läßt. Diese Heirath ist ein Streich auf Dich selbst; uns liegt nur ob, dafür zu sorgen, wenigstens das äußerste Aufsehen von uns abzuwenden, Dich mit der Gesellschaft thunlichst zu versöhnen.

Der Vater reist in drei oder vier Tagen, Du willst dann mit Deiner Lieben allein sein. Verbirg sie und Dich wo Du willst vor der Welt Augen; doch wie sehr Du mich auch getäuscht hast, Eugen, wie tief betrübt ich bin, mein schwesterliches Mitgefühl und meine Hülfe sollen Dir nicht fehlen.

In einigen Wochen reise ich. Ich werde Deine Frau sehen und werde Dir Vorschläge machen. Vielleicht ist es am besten, ich nehme sie mit mir; sie bleibt in meinem Hause, lernt sich bewegen und das Leben verstehen, und dann proclamiren wir eines Tages Eure in der Stille vollzogene Heirath.

Dieser Ausweg fiel wie ein Sonnenstrahl in Eugens Kopf. – Er umarmte seine Schwester, drückte sie mit Innigkeit an sich und sagte bebend vor Rührung:

Du bist ein Engel, Cäcilie, Du hast den rechten Weg gefunden. Das ist die sanfteste und beste Lösung; nimm meine ewige Dankbarkeit dafür.

In einem langen Gespräche erzählte er ihr Alles, und zwischen seine Entschuldigungen mischten sich Liebes- und Lebensträume, und eine innige Anhänglichkeit an Eva, die er mit den süßesten Namen belegte und rühmte.

Ich wünsche, daß sie Dir genügt, erwiederte die Baronin verschiedene Male. Wir werden zusehen, wie es sich macht, und behalten Zeit genug, um uns zu verständigen.

 

Baron Walny hatte inzwischen mit einigen anderen Herren ein Spiel gemacht, und eine ziemlich bedeutende Summe verloren, welche Ortenstein größtentheils mit nach Haus nahm. Eine lärmende Luftigkeit, Lachen und Schwüre drangen aus dem Salon herüber.

Ich kann mir denken, sagte Cäcilie, als sie ihren Mann laut nach Eugen rufen hörte, daß Du nicht viel Lust empfindest, Dich unter diese fröhlichen Herren zu setzen, um mit ihnen zu trinken. – Walny würde Dich in seiner geistreichen Weise mit Dianen aufziehen, und Ortenstein nach satyrischen Pointen suchen.

Auf morgen denn, erwiederte Eugen.

Auf morgen, antwortete sie. Es bleibt so, wie wir es verabredeten. Sei heiter, Eugen, laß den Vater reisen und überwinde die wenigen Tage. Wenn sie vorüber sind, werden wir weitere Beschlüsse fassen. Walny darf nichts erfahren, er ist ein Schwätzer.

Steht ihr euch so fremd? sagte Eugen.

Nicht doch, wir leben vortrefflich, hindern uns niemals und sind die besten Freunde; aber unsere Geheimnisse behalten wir für uns. Walny ist liebenswürdig; ein sehr guter Gesellschafter, ein vortrefflicher Reiter, ein Tänzer, wie man ihn wünschen muß, und er interessirt sich für Alles, ist freigebig ohne Verschwender zu sein, spielt alle Spiele, trägt und bewegt sich noch immer als Muster und Meister für zahlreiche Nebenmuster, hält auf Ehre und Sitte, und erfüllt alle meine Wünsche.

Cäcilie hatte ihn bis zur Gartenthür begleitet, dort nahm er Abschied.

Wo ist Eugen? rief Walny ihr entgegen, als sie zurückkehrte.

Er hat sich davongemacht, und will weder mit Wein noch mit Würfeln zu thun haben.

Aber mit dem schlimmsten aller Weh's, mit den Weibern hat er es zu thun, lachte der Baron. – Der arme Junge sieht ganz blaß und krank aus, und schleicht sich nach Haus. Du mischst die Karten, Cäcilie; nimm Dich in Acht! Deine Comtesse Diana ist reich, klug, schön, Alles was Du willst, aber kalt wie Eis, ohne Herz und Blut, und geizig obenein, noch mehr wie die alte Excellenz und der sparsame Papa.

Cäcilie strich leise und lächelnd über sein Gesicht und sagte dann:

Gieb Dich zufrieden, lieber Arnold, und laß mich machen. Eugen ist mein Patient; er soll geheilt werden und dann wird er mit Dir trinken und Ecarté spielen, wie hoch Du willst.


7.

Nach drei Tagen war Eugen frei. – Er hatte sie verlebt in einer Reihe von Selbsttäuschungen, in Vorsätzen und Entschlüssen, die in Qualen zusammen fielen und aus ihrer Asche sich wieder aufrichteten.

Sein Vater hatte mit ihm aufrichtig gesprochen, am Tage vor seiner Abreise. Er kam vom Hofe zurück und war verstimmt. –

Wir werden uns nun auf einige Zeit trennen, Eugen, sagte er, ich bedarf der Ruhe und der freien Luft. Du willst arbeiten und Dich einrichten; thue was Du willst, aber Du stehst jetzt am Scheidewege. Wenn Du willst, wird es nicht schwer sein, Dir eine andere Laufbahn zu öffnen, die äußeren Glanz auf Dein Leben bringt.

Macht es denn der äußere Glanz, Vater? erwiederte Eugen lächelnd.

Du meinst, ob er das Leben schön macht? fragte der General. Ich weiß es nicht, Eugen, es kommt auf die Individualität an, um zu entscheiden, was schön, was glücklich heißt. – Jeder in seiner Weise; aber ich muß Dir mit einem Gemeinplatz antworten: es ist in der Hütte oft mehr Frieden als im Palast.

Er strich über seine tiefgefurchte Stirn und sagte mit einem Anflug von Bitterkeit:

Mein Leben ist hingegangen im Selbstaufgeben meiner wahren Neigungen, und doch bin ich ein bevorzugter Mann geworden. Du bist Deiner Selbstbestimmung gefolgt; Dein Wille hat sich Gesetze gemacht; Deiner persönlichen Freiheit hast Du die Vortheile des Zufalls geopfert. Ich rathe Dir zu Nichts, Eugen. So weit ich Dich kenne, strebt Dein Geist nach Unabhängigkeit; das ist nichts für das Räderwerk des Staatsdienstes; aber es können Verhältnisse eintreten, die Dich nach oben reißen gegen Deine innerste Natur. Jeder denkende Mensch muß den Rücksichten Rechnung tragen; es fragt sich, wie weit diese Dich leiten werden.

Ich weiß nicht genau, welche Rücksichten es sein könnten, war die Antwort.

Der alte Staatsmann lächelte. –

Eine junge Seele, sagte er, hat manche geheime Triebfeder. Der Ruhm, die Ehre, die Eitelkeit, und die Macht der Verbindungen, die ihn umgeben. Ein Keil treibt den anderen. Der Mikrokosmos der Welt spiegelt sich in Fausts Zaubereimern, die ewig auf und nieder steigen; Du glaubst zu schieben, und Du wirst geschoben. Sieh meinen alten Kameraden Hausberg in der Fischerhütte; ich habe seit einigen Tagen oft an ihn gedacht und ihn zuweilen beneidet. Er hat die Welt vergessen, er will nichts als gute Angelhaken und Wetter zum Fischfang. Von seiner Umgebung verlangt er keinen anderen Ehrgeiz, und wenn Du sein Schwiegersohn wärest, Eugen, würde er Dich aufs Höchste achten, wenn Du Tag für Tag mit ihm auf dem See im Nachen umherzögst. – Wähle aber ein Fräulein aus alter Familie, hochgeboren, reich und welterfahren, sie wird mit dem Maler eben so wenig zufrieden sein, wie der Hauptmann.

Und wärst Du der erste Künstler Deiner Zeit, es würde Mühe machen, ihre Ansprüche mit der Bescheidenheit einer Werkstatt auszusöhnen. Nenne das nicht schlechthin Vorurtheile, mein Sohn; die Menschen machen damit die Weltgeschichte, und Jeder sein eigenes Loos. Der Gesandte am kleinsten Hofe ist einer Gräfin lieber, als der erste Künstler von dem sie sich malen läßt, ihn in ihren Kreis zieht, aber die Kluft zwischen sich und ihm nicht ausfüllt. – Wenn Dein Herz oder Deine Wünsche, Dein Ehrgeiz oder Deine Vernunft Dich zu einer solchen Verbindung führen, dann bereite Dich auch auf die Macht der Verhältnisse, und wenn es Dein Wille sein sollte, ihnen nachzugeben, so hat der Minister des Auswärtigen mir zugesagt, Dich im auswärtigen Amte zu beschäftigen, und dort die Anfangsgründe der Geheimnisse, die Völker zu beglücken, Dir aufzuschließen.

Ohne Eugens Antwort abzuwarten, fuhr der General fort:

Du hast Zeit, das zu überlegen. Ich höre, die Gräfin Arnheim hat Dich nach Grünau eingeladen. Die junge Gräfin ist eine glänzende Erscheinung, voller Verstand, geistreich, wie man es nennt, ganz geeignet für eine erste Rolle auf dem Theater der Gesellschaft.

Aber einfach, und dem Lärm der Menge abgewandt, sagte Eugen.

Meinst Du? erwiederte der General mit einigen spöttischen Blicken aus seinen hellen, grauen Augen. – Glaube das nicht zu fest. Sie steht über der Menge, verachtet sie, langweilt sich, aber missen will sie sie nicht. Glaube nicht, mein guter Junge, sagte er lachend Eugens Kopf reibend, daß ihr mit einem idyllischen Künstlerleben gedient sei, mit einen einsamen Grotten- und Waldleben. Werde Gesandter in Rom, öffne dort Deine Salons der Künstlerwelt, gieb Feste, zu denen sich Alles, was berühmt sein will, drängt, und sie wandert mit Dir durch die Kunstwerkstätten, und sieht mit Vergnügen, wenn Du selbst in Deinem eleganten Atelier dann und wann ein Bild malst, das von Kennern nicht übel gefunden wird.

Das Gespräch wurde unterbrochen und nicht wieder angeknüpft; dagegen hatte Eugens Mutter manche Beweise ihrer Zärtlichkeit in zahlreichen Anspielungen.

Cäcilie ist glücklich verheirathet, sagte sie, jetzt haben wir für Dich zu sorgen, Eugen.

Und wenn ich Dir eine Tochter bringe, antwortete er aufblickend, willst Du sie gütig aufnehmen?

Mein einziges Kind, wie kannst Du fragen!

Aber wenn sie arm wäre, Mutter? wenn sie nichts hätte als ihre Liebe zu mir?

Du Schelm! sagte die Generalin, bringe sie mir nur. Comtesse Diana hat mir aufgetragen, Dir nochmals zu sagen, daß Grünau ein Plätzchen sei, wo auch ein Maler sich Stoff holen könne. Das merke Dir, Eugen, vergiß den Stoff nicht.

Eugen lachte verwirrt und küßte seiner Mutter die Hände, die sie dann um seinen Hals legte, und ihn liebevoll und stolz betrachtete. – Er war froh, als seine Schwester kam, Ortenstein den Besuch vermehrte und in der Unruhe der letzten Stunden kein neuer Angriff auf ihn erfolgte.

Als sein Vater Abschied nahm, sagte er: Da fällt mir ein, Eugen, daß Du an Hausberg in meinen Namen schreiben mußt. Sage ihm, wie sehr ich erfreut gewesen bin, Gutes von ihm zu hören. Verwendet habe ich mich schon, seine Pension soll durch eine persönliche Zulage verbessert werden; aber in Betreff seiner Tochter schreibe ihm, daß ich bereit sei, für ihre Erziehung und Versorgung zu helfen, so viel ich vermag.

In dieser Beziehung, fiel Cäcilie ein, habe auch ich schon mit Eugen gesprochen und ihm Anerbietungen gemacht.

So bringt es in Ordnung, sagte der General. Nimm Dich ihrer an, Eugen, und vergiß sie nicht über anderen Geschäfte.

Mit diesem Scherz, der tief in Eugens Herz ging, fuhr er davon, und kaum war er allein, als er zu Eva eilte.

 

Er hatte sie in den vorhergehenden Tagen nur flüchtig gesehen, jetzt endlich war die Stunde gekommen, wo er ganz ihr leben konnte. Seine Entschlüsse waren befestigt, und nichts hatte so sehr dazu beigetragen, als das Abschiebegespräch mit seinem Vater.

Als er die Thür öffnete und sich die Klingel hören ließ, kam Eva ihm entgegen, und wie frisch, wie sehnsuchtsvoll und lieblich sah sie aus! In dem einfachen blauen Kleide von leichtem Sommerstoff, das Eugen für sie ausgewählt hatte, sah sie anmuthig aus, wie ein Götterkind. Eine Fülle dunkelblonder Löckchen ringten sich um ihre Stirn, und die Freude, welche ihre Augen beseelte, färbte ihre Wangen und machte sie schöner, als Eugen sie je gesehen hatte.

Er legte entzückt seine Arme um sie und sah sie mit Blicken an, aus denen Schwüre loderten, von denen sie nichts wußte.

Ich habe mich für Dich geschmückt, Eugen, sagte sie. Sieh doch, wie mir das Alles herrlich steht. Frau Bernard hat mir die Locken gemacht und mir gesagt, so müßte ich Dir gefallen.

Und wie sehr gefällst Du mir, kleine Eva!

Bin ich wieder Deine kleine Eva? Bist Du nicht mehr böse? fragte sie sich an ihn schmiegend.

Gewiß nicht. Ich war niemals böse auf Dich.

Aber Du warst böse, daß ich mit der Bernard zum Feuerwerk in den großen Garten gegangen war. – Der fremde, gute Herr, wie heißt er – Ortenstein, nicht wahr? er hatte ihr davon gesagt, und sie nahm mich mit, weil es so schön sein sollte.

Ja, ja, Du gutes unschuldiges Kind, unterbrach er sie. Ich habe nicht mit Dir, sondern mit ihr gescholten.

Ich habe wenig von dem Feuerwerk gesehen, denn plötzlich sah ich Dich, sagte Eva. – Ich war so überrascht, Du sahst so wunderbar und so fremd aus. Du standest neben der schönen Dame wie in einem Meer von Strahlen, aber Dein Gesicht war so ernst, Dein Auge so starr. Ich rief laut Deinen Namen und wäre zu Dir gelaufen, wenn die Frau mich nicht festgehalten hätte, und plötzlich war es dunkel.

Nun sollst Du mich nicht mehr suchen, sagte er, denn ich werde bei Dir bleiben.

Du willst mich nicht zu Deinen Eltern führen?

Sie sind verreist, und bis sie wiederkehren, haben wir Zeit, uns ganz allein zu gehören.

Er führte sie in dem Garten umher und erzählte ihr, was er für nöthig hielt. Eva hörte aufmerksam zu, sie fand Alles recht und gut.

Nach einer Stunde voll Geplauder und Fröhlichkeit suchte er sich die Zimmer aus, die er bewohnen wollte, bestellte die Einrichtungen, welche er wünschte und beschäftigte sich dann wieder mit der jungen Frau, der er seine Pläne vorlegte, die Zeit einzutheilen, zu lernen, zu arbeiten und ein idyllisches Liebesleben zu führen.

Eva war folgsam, sie war willenlos. Mit Verwunderung sah sie, wie Eugen seinen Anordnungen Achtung zu verschaffen wußte, wie seine Worte Befehle waren. Bei aller Freundlichkeit war etwas in seinem Wesen, was Gehorsam forderte; sein Gesicht wurde ernst und bestimmt, wenn er nicht sprach, und seine Augen ruhten oft nachsinnend auf einem Punkt.

Mittags aßen sie beide unter den laubigen Bäumen vor dem Hause. Die Speisen wurden gebracht. Eugen hatte angeordnet, wie es täglich sein sollte.

Wie fein Deine Händchen schon geworden sind, sagte er Eva's Hände in den seinen haltend, und sie werden noch feiner werden. – Nichts sollst Du jetzt thun, mein Kind, als Dir selbst und mir leben. Ich werde Dich unterrichten und Deine Augen für Manches öffnen, was Du noch nicht kannst; wenn dann wieder ein Feuerwerk im Garten meiner Schwester abgebrannt wird, sollst Du bei mir stehen mitten unter den geputzten Leuten.

Und ich werde mich schmücken, rief Eva. – Du weißt noch nicht, wie Vieles ich schon besitze. Eine Uhr und eine Kette und einen großen Korb voll herrlicher Sachen hat mir der gute freundliche Herr Ortenstein geschickt.

Eugen hörte mit Verwunderung zu, aber Eva erschrak vor den düsteren Falten auf seiner Stirn und seinen schnellen zornigen Blicken.

O lieber Eugen, sagte sie bittend, die Hände vor ihre Augen deckend, sieh mich nicht so böse an, ich fürchte mich vor Dir!

Seine Aufregung war vorüber. Mitleidig und gütig nahm er Eva auf seine Knie und preßte sie unter Küssen an sich.

Nicht auf Dich zürne ich, mein Herzenskind, rief er zärtlich. O wüßtest Du doch, wie ich strebe, um auszugleichen, wo ich sündigte, und harmonisch aufzulösen, was unserem Glücke sich entgegenwirft, Du würdest nicht denken können, daß ich Dich betrüben will. Einst wirft Du es verstehen, kleine Eva, und wirst dann empfinden, wie die Menschen mit ihren Rathschlägen und Geschenken Dich betrachten und wie Recht ich habe, ihnen Beides zu verwehren.

Er ließ sich die Geschenke zeigen, welche Ortenstein geschickt hatte, und lachte dazu. Es war eine Auswahl feiner Wäsche, Kleiderstoffe, theurer Putz und einige modische Bijouterien.

Ich werde Dich davon befreien, sagte er. Ortenstein ist im Irrthum; aber sieh – da! da kommt er selbst.

Es war wirklich der Baron, der lächelnd und grüßend den Perron heraufstieg und Eva mit seinen Kennerblicken aufs Huldvollste betrachtete.

Allerliebst, kleine Frau, Sie sehen zum Entzücken aus! rief er sein Glas einklemmend. Eugen, Dein Geschmack ist anzuerkennen. Du mußt sie malen, sobald Du vernünftig genug dazu geworden bist. Als Hebe, als Grazie, als Terpsichore, oder als Pomona oder Flora. Es kann ein Seitenstück zu Titians Tochter werden; aber diese Formen sind weit reizender. Dies Lächeln und diese süße Verwirrung erinnern an Leda. Das Correggianische Halbdunkel hast Du schon um sie gelegt, nur siehst Du nicht wie der göttliche Schwan aus. Auf Ehre! Eugen, lachte er ausgelassen, Du mußt Dich zum Schwan umgestalten; wir können den Jupiter, der den Donner trägt, nicht gebrauchen.

Wir können Manches hier nicht gebrauchen, sagte Eugen, am wenigsten störende Einbrüche in unsere Einsamkeit.

Schweig, Egoist! fiel Ortenstein ein, und gönne meiner kleinen Freundin die Theilnahme, welche ich ihr widme. Das Wetter ist schön, ich habe einen Wagen an der Straße. Wir fahren aufs Land hinaus, zeigen ihr die Welt und üben uns in epikuräischer Philosophie. Wenn wir zurückkommen, speisen wir hier, und Evchen bereitet uns einen Göttertrank, den ich ihr bereiten lehren will. Du kannst sicher sein, daß nichts Dich compromittirt, und wenn es Dir gefällt, hüllen wir Evchen in doppelte Schleier.

Es gefällt mir vor allen Dingen, erwiederte Eugen, Dir einige Aufklärungen zu geben, lieber Ortenstein. Fürs Erste bist Du im Irrthum gewesen, daß Eva keine hinreichende Garderobe besäße. Ich habe für Alles gesorgt und bitte Dich daher, wohl aufzunehmen, wenn ich Deine freundliche Beihülfe abweise.

Bah! rief Ortenstein, keine Kleinigkeitskrämerei. Wenn einer meiner Freunde sich einrichtete, habe ich immer für die Ausstattung seiner kleinen Frau einige Sorge getragen. Es ist Sitte so unter uns, Eugen.

Eine dunkle Röthe färbte Eugens Gesicht. Meine Frau, sprach er mit Stolz, wird haben, was ihr gebührt. – Ich bin zu arm, um sie mit theurem Tand auszuputzen, sich wird sich darein schicken, ihm zu entsagen, und Eva wird es gern thun. Ich habe ihr dereinst nur ein bescheidenes Loos zu bieten, keinen Reichthum, kein Leben voll Feste und Genüsse. Komm von Deinem Irrthum zurück, Ortenstein, und richte Dich danach ein. Eva ist meine Frau, zugleich aber ein mir anvertrautes Gut, das ich vor allem Schaden behüten muß. Unser Leben wird immer einfach und still sein, aber an Recht und Ehre soll es nie Mangel leiden. Ich hoffe, Du bist damit zufrieden gestellt.

Ortenstein lächelte zu dieser bündigen Erklärung und ließ den Gegenstand fallen.

Von der Spazierfahrt und seinen weiteren Vorschlägen war nicht mehr die Rede. Er blieb einige Stunden, aber er wagte kein Wort weiter, das Anstoß erregen konnte. Eugen behandelte Eva mit liebevoller Aufmerksamkeit und feinen Rücksichten; der Baron konnte keinen Scherz machen, er war gezwungen sich zu bewegen, als sei er einer Dame gegenüber, die genau jede Grenzlinie abmißt.

Als er ging, begleitete ihn Eugen den Weg hinauf. –

Wir werden diesen Monat über hier allein wohnen, sagte er; meine einzige Beschäftigung wird sein, Eva abzumalen, aber weder als Flora noch als Leda, sondern in dem blauen Kleide mit der frischen Rosenknospe an der Brust. Kein Kabinetsstück, sondern für mich allein bestimmt.

Ortenstein stand an der Schwelle still. –

Ich weiß nicht, antwortete er Eugen betrachtend, aber zuweilen kommt es mir vor –

Was kommt Dir vor? fragte Eugen, als er schwieg.

Ich habe von Menschen gehört, sagte Ortenstein, die über ihre Lügen weinen können und jedes Wort als Wahrheit beschwören. Sie glauben an das Unglaublichste und muthen sich jede Selbsttäuschung zu.

Andere aber, erwiederte Eugen lächelnd, die nie an Wahrheit glaubten, die in der Verwilderung ihrer Sitten das Sittenlose als das allein Rechte preisen, und mit dem Firniß ihres hohlen Lebens jede Lüge glänzend bestreichen, vermögen die einfachsten Dinge nicht zu begreifen, die eben keine Lügen sind.

So dienst Du also hier als Ritter der Wahrheit und der Tugend, rief der Baron spottend.

Komm so oft Du willst, sagte Eugen, und betrachte diesen Dienst. Lernen wirft Du nichts davon, aber wenn Du kommst, Ortenstein, so merke Dir das Eine: ich werde niemals dulden, daß meiner Frau ein Wort gesagt wird, das mir nicht gefällt.

Er ging zu Eva zurück voll Befriedigung und Ruhe. Der Abend kam schön und roth, im Mondschein ging er mit ihr spät noch umher unter lebhaften Gesprächen, die sich alle an ihre Zukunft knüpften.

Ich betrachte Dich wie meine Schwester oder wie mein Kind, kleine Eva, sagte er zuletzt, und will Dein innigster Freund sein, der Dich trägt und hütet, bis Du groß geworden bist und unterscheidend denken kannst. Dann sollst Du an meinem Herzen mit Bewußtsein wiederholen, was Du willenlos mir zugestanden hast. Denn bewußte Liebe will ich haben, Eva, dann will ich Dein Gatte sein und stolz vor aller Welt mich glücklich preisen.

Von dieser Schwärmerei seiner Empfindungen erfüllt, küßte er sie zärtlich und ließ sie allein.

 

Und wie dieser erste Tag vergangen war, reihten sich andere ihm an; es kam Ordnung und Ruhe in dies stille Beisammenleben. – Eugen richtete sich seine Werkstatt ein und Eva saß ihm täglich zu ihrem Bilde. – Waren diese Stunden vorüber, die bei froher Unterhaltung und Eugens belehrenden Erzählungen vergingen, so erschienen nach einander die beiden Lehrer, welche ihren Unterricht begannen. Am Nachmittag saßen sie in einer der fühlen Lauben und Eugen las aus einem Buche; oder Eva las und er verbesserte, was daran fehlte. – Eva lernte bewunderungswürdig rasch; sie war begierig nach Eugens Lob, und fürchtete seinen Tadel; er hatte eine zwingende Gewalt über sie erlangt.

Nach einer Woche bat er sie, einen Brief an ihren Vater zu schreiben, der wissen müsse, daß sie sich glücklich fühle. Eva war erfreut über diesen Vorschlag. – Sie schrieb einen langen Brief über ihr Leben, über ihr Lernen, über Eugens unaussprechliche Güte und über den Zeitpunkt, wo sie bald auch Eugens Eltern kennen lernen werde, die jetzt verreist seien. Die Rückerinnerungen an ihr vergangenes Leben waren voll kindlichen Frohsinns und lebendigen Gefühls. Ein gewisses Bewußtsein der Aenderung, die mit ihr erfolgt war, ließ sich nicht erkennen, und ihre Zufriedenheit damit beruhigte Eugen. Eva hatte kein Heimweh, keine Sehnsucht, sie fühlte sich wohl und blickte erwartungsvoll freudig auf die Zukunft.

Auch das dünkte Eugen ein Zeichen von guter Bedeutung, daß Adam fast gar nicht von ihr erwähnt wurde. Eva ließ ihn grüßen und knüpfte einige unschuldige Fragen daran, ohne irgend seiner weiter zu gedenken.

Eugen schrieb dem Hauptmann in seines Vaters Namen über die erhöhte Pension. Er versicherte ihn, daß für Eva alle Sorge getragen werde, daß sie froh und glücklich sei und ihm selbst die größte Freude gewähre. Nach manchen allgemeinen Nachrichten bat er um Antwort, und gab seine Wohnung an, um den Brief sicher in seine Hände zu bringen.

Und wieder vergingen Wochen, in denen Eugen alle Güte und liebende Pflege an Eva wandte, die er erdenken konnte. – Immer sann er darauf, was noch zu thun sein möchte, unablässig beschäftigte er sich mit ihr und mit jedem Tage glaubte er, daß ein Theil seines Lebens, seines Empfindens, seiner eigenen Seele in ihre Seele hinüberströme. – Jedes Belauschen der neuen Regungen ihres geistigen Erwachens beglückte ihn, und ganz abgeschlossen von der Außenwelt, obwohl mitten in einer großen geräuschvollen Stadt, lebte er wie auf einer glücklichen Insel. Künstlerisch gestimmt erwachte er, um in Evas Augen neues Glück zu lesen, unter heiteren Anschauungen vergingen die Tage, und mit stolzer Freude war er Abends allein, um die Zukunft in den schönsten Bildern vor sich auszubreiten.

 

Eines Tages aber, als Eugen eben im Garten arbeitete, Blumen pflanzte und Eva mit der Gießkanne ihm half, wurden sie von einem unerwarteten Besuch überrascht.

Die Glocke läutete vor der Thür; Eva öffnete, eine fremde schöne Dame stand vor ihr, die sie lächelnd betrachtete.

Sie sind Eva, nicht wahr? fragte sie. Wo ist Eugen?

Dort, sagte Eva auf den Gärtner deutend.

Er wühlt in der Erde umher, rief die Dame lachend, statt im Himmel zu leben. Ihr genießt die Einsamkeit paradiesisch. Wie gefällt es Ihnen, liebe Eva?

O! sehr gut, erwiederte Eva freudig sie anstaunend.

Aber etwas schmutzig, fuhr die Dame fort. Ich kann Ihnen die Hand nicht geben, aber ich freue mich doch, Sie zu sehen, und denke, wir werden herzliche Freundschaft schließen.

Eva sah auf die zarten gelben Handschuhe der Dame und auf ihre eignen feuchten Finger. Der Sommerhut von gelbem Flor, die Blumen und das kostbare Kleid, Alles überraschte sie. Die jugendlich schöne Frau bemerkte mit Befriedigung, welchen Eindruck sie erregte.

Eugen hatte sich inzwischen aufgerichtet und seine Schwester erkannt. Er kam ihr entgegen in seinem Ueberwurf, die Aermel aufgestreift, die Hände schwarz von der Arbeit.

Wie muß man Dich suchen, um Dich als Sohn der Natur zu finden, sagte Cäcilie lachend. Du kommst nicht zu mir, kein Mensch weiß, was aus Dir geworden ist. Walny glaubt Dich in Grünau versteckt. Andere sagen, Du irrtest in irgend einem Arkadien umher; ich sehe, Du hältst es mit den Philosophen, die ihre Rüben pflanzen und pflegen, welche ihnen schmecken sollen.

Sie warf einen schelmischen Blick auf Eva, die sich möglichst gereinigt hatte, und setzte dann in der leichten Weise das Gespräch fort, indem sie Garten, Haus und Einrichtungen betrachtete, von Menschen und Dingen erzählte, welche Eva fremd waren, und viele Fragen an sie richtete, die gütig und theilnehmend, ermunternd und einladend klangen.

Nach einer halben Stunde war Eva voller Vertrauen. Nie in ihrem Leben war eine Frau so schön und mild ihr nahe gekommen, und diese Frau war Eugens geliebte Schwester. – Während Eugen seinen Anzug herstellte, hatte Cäcilie Alles erreicht, was sie beabsichtigte.

Wissen Sie denn, liebe Eva, was ich vorhabe, sagte sie endlich. Hat mein Bruder Ihnen nichts mitgetheilt? Sie sollen mich begleiten.

Ich! rief Eva freudig erschrocken, und wo bleibt er?

Hier, erwiederte Cäcilie, indem sie Evas Stirn küßte. Er muß seufzen und schmachten lernen, so geht es nicht länger mit euch.

Sie setzte sich neben sie und fuhr dann fort:

Das ist kein passender Platz für Sie, liebe Eva, ich muß Sie aus dieser Lage bringen, das geschehene Ungehörige ins Geschick richten. Darum müssen Sie sich jetzt von Eugen trennen, aber nur auf kurze Zeit. Wir reisen, Sie werden viel Schönes und Neues sehen, und alle Betrübniß wird bald schwinden. Nicht wahr, Eugen, rief sie dem Nahenden entgegen, du übergiebst mir Deine Eva? Ich bin gekommen, durch einen raschen Abschied Dein Leid abzukürzen. Walny ist gestern schon fort, ich werde ihm morgen folgen.

Eugen war mißmuthig überrascht. –

Ich hatte vermuthet, sagte er, noch einige Wochen mein stilles Leben hier weiter zu führen.

Walny weiß, fiel Cäcilie ein, daß ich Fräulein Eva Hausberg mitbringe; er wird uns in Weimar erwarten und ist begierig, das Naturkind kennen zu lernen. – Du hast Eva noch nichts von unseren Absichten mitgetheilt?

Nein, erwiederte Eugen.

Das ist mir lieb; ich übernehme es, Sie selbst davon zu unterrichten und ihr alle nöthige Verständigung für die Rolle zu geben, welche sie auf einige Zeit auszufüllen hat. Sie ist verständig, wie ich merke, gelehrig, und ich will wetten, sie hat Talent, wie alle Frauen, zur Intrigue und Komödie.

Bei diesen Worten umarmte sie Eva, die in einer großen Betäubung nicht recht wußte, sollte sie der Freude oder Betrübniß Raum geben. Mit einer Reihe schmeichelnder Betheuerungen und kleiner Scherze, deren Pointen für die junge Frau verloren gingen, versprach sie ihr Freude, Genuß und Glück. Evas Augen leuchteten dankbar zu ihr auf. Ihre lebhafte Phantasie klammerte sich an diese lockenden Bilder, und wie eine der Feen, mit deren Zauberthaten die alte Marie ihre Kindheit reich ausgeschmückt hatte, erschien ihr diese holde Dame, deren feine warme Finger wohlthätig schützend auf ihrer Stirn ruhten.

Was willst Du denn mit Deinem Lernen und Lehren, Eugen, rief Cäcilie endlich lachend. In diesem Paradies wächst kein Baum der Erkenntniß, obwohl ich vor der Schlange nicht gut sagen will. Ich finde Eva weit gelehrter wie ich dachte; sie spricht anziehend, sie beobachtet scharf, sie ist allerliebst, was ihr fehlt kann sie nur im Umgange mit Menschen erhalten.

Ich besorge, erwiederte Eugen nachdenkend, Du wirst ihr deren zu Viele zeigen.

Man kann nicht genug sehen, sagte Frau von Walny. Was liegt in dieser heiteren Natur und was willst Du denn aus ihr machen? – Eine stille Hausfrau? Dann laß sie stricken und nähen, lehre sie kochen und braten und bilde ihren Geschmack für die Kinderstube. – Du bist aber kein Handwerker, Gott behüte Dich vor der Noth engherziger Lebensverhältnisse! Du bist ein Künstler, der eine Frau haben muß, die mit freien Blicken das Leben auffaßt, Dich anregt, nicht niederzieht. Mancher Künstler, manches Talent ist untergegangen daran, daß eine Frau an ihm klebte, wie ein Bleigewicht, das in die Tiefe zieht. Ideale Begeisterung schöpft kein Mensch aus einer Wüste, deren Sand ihm beständig ins Gesicht fliegt. Endlich aber bist Du der Freiherr von Werder, und Eva, Deine Gemahlin, hat von Dir ein Leben zu fordern, das diesem Namen gebührt. – Ich weiß recht gut, was Du sagen willst, rief sie ihre Hände erhebend; eine Salondame ist nicht nach Deinem Geschmack, aber im Salon leben und sich bewegen können, das muß Deine Frau. – Was fehlt ihr denn dazu? – Der äußere Schliff, die Gewohnheit. Sie wird in drei Monaten davon annehmen, was sie nöthig hat; dann thue was Du willst; erziehe sie nach Deinem Geschmack weiter. Der schöne Kern in der polirten Schale wird glänzender werden, und nichts Deinen Wünschen entgegenstehen.

Eugen konnte nichts darauf erwiedern, es war ja der einzige aussöhnende Weg, der ihm blieb. Die Abreise wurde weiter besprochen, es stand ihr nichts im Wege. Die Baronin war im Wagen gekommen, der sie in der Nähe erwartete, und nach ihrem Plane sollte Eva sie sogleich begleiten, die Nacht in ihrem Hause zubringen, am nächsten Morgen dann mit ihr die Stadt verlassen.

Was Eva besaß, war bald zusammengepackt, es war nicht viel, Eugen hatte nur das Nothdürftigste angeschafft. Cäcilie lachte über den Eifer Evas, nichts von diesen Kostbarkeiten zu vergessen; es ging Alles in einen Koffer Eugens, der dazu benutzt wurde.

Wenn Sie nicht eine Reisende wären, die doch etwas mitbringen muß, sagte Frau von Walny, so wäre es am besten, Eugen mit diesen Reliquien für feurige Gebete in sentimentalen Stunden zu beglücken. Ich werde selbst mein Pflegetöchterchen ausstatten. Meine eigene Garderobe ist reich genug dazu, und was uns fehlt, wollen wir schnell ersetzen.

Bis es Abend wurde, blieb Cäcilie und ihre frohen Worte und lebhaften Gedanken hinderten Eva, bangeren Empfindungen nachzuhängen. Auch Eugen zeigte sich heiter und ließ sich nicht merken, wie nahe es ihm ging, daß er allein zurückbleiben sollte.

Seine Schwester ging mit ihm und Eva endlich in sein Arbeitszimmer, wo das Bild halb vollendet auf der Staffelei stand. Der Kopf war ziemlich fertig, das liebliche Gesicht ausdrucksvoll und geistig aufgefaßt, die ganze Arbeit aber noch weit von der Vollendung.

Hier hast Du Deine Aufgabe, rief Cäcilie; während Eva entfernt ist, belebe diese Leinwand; sieh noch einmal in ihr Auge; präge Dir Alles ein, und denke Dir, wie sie wiederkehren wird, gewachsen an Weisheit und Selbstbewußtsein. Ich gebe Dir fünf Minuten Zeit dazu, und will während dessen Hut und Shawl nehmen.

So komm denn her, meine Eva, sagte Eugen, und blicke mich noch einmal an. –

Er führte sie ans Fenster, der letzte Abendschein fiel roth herein und bestrahlte das kindliche von Hoffnung und Erwartung verklärte Gesicht.

Du bist traurig, lieber Eugen? fragte sie mit sanfter Stimme.

Und in Dir, erwiederte er, hat Cäcilie ihre bunte Saat ausgestreut. Sie hat Dir so viel erzählt von den Freuden, die Deiner warten, daß ich fürchte, Du könntest den Freund darüber vergessen.

Dich! rief sie mit Heftigkeit ihre Arme um seinen Hals pressend, Dich werde ich nie vergessen.

Willst Du immer bei mir sein? sagte er mit Innigkeit, immer zurückdenken an mich, immer Dich fragen, wenn ein Begebniß Dir nahe tritt, was würde Eugen dazu sagen?

O lieber Eugen, flüsterte sie, muß ich Dich denn verlassen?

Er legte die Hand auf ihre Stirn, und seine Augen nahmen den düsteren Blick an, vor dem sie immer erschrak; dann wandte er sich zu dem Bilde und nochmals zu ihr, bis er endlich lächelnd den Kopf schüttelte. –

Es ist mit uns beinahe, wie mit Deiner Herzogin, sagte er, die dem Geisterfürsten sich überliefert hatte, nur kommt kein so greller Gegensatz dabei heraus. Geh Eva, ich habe es so gewollt, obwohl es mir im Innersten widerstrebt. Aber in drei Monaten fordere ich Dich zurück, und dann, Du theueres Kind, dann soll uns nichts mehr trennen.

Cäcilie klopfte an die Thür, sie brachte Evas Hut und Tuch mit.

Ich habe den Koffer forttragen lassen, sagte sie, jetzt geschwind und froh geschieden. – Auf Wiedersehen, Eugen. Schreiben werden wir, so wie wir in Ruhe sind und einigen Stoff gesammelt haben. Wird es Dir zu langweilig, so mache Ausflüge, oder zieh' in des Vaters Haus zurück.

Ich bin hier glücklich gewesen, sagte Eugen.

Und es gehörte so wenig dazu, rief Cäcilie. Idyllen müssen kurz sein, wenn sie nicht ermüden sollen; Du hast Dein Theil davon gehabt.

Sie standen unter den Bäumen. –

Hier ist das Ende, sagte Eugen. So geh denn hin, meine kleine Eva, ich warte auf Dich.

Cäcilie faßte Evas Hand und führte sie schnell weiter.

Fort, fort! rief sie lachend, meine Pferde schaudern. – An der Thür wollen wir ihm einen letzten Blick gönnen.

Sie drehte Eva an der Pforte um und winkte ihm einen Gruß zu. –

Lebe wohl, lebe wohl Eugen! rief Eva zum Lachen und Weinen angeregt. –

Die Thür fiel zu und er war allein.


8.

In seine künstlerischen Beschäftigungen vertieft, unter Arbeiten, die ihn befriedigten, und hingegeben an Entwürfe, die seine ganze Seele füllten, lebte Eugen längere Zeit ohne irgend eine Sehnsucht zu empfinden, sich um die Außenwelt zu kümmern. –

Aus seinen Skizzenbüchern suchte er sich den Stoff für verschiedene bedeutende Werke, welche er mit Liebe begann; in Stunden, wo Evas Andenken und seine Hoffnungen ihn ganz erfüllten, malte er an ihrem Bilde, und was jeder Tag ihm übrig ließ, füllte er mit Lesen, mit Musik und Schreiben aus. – Er schrieb Erinnerungen aus seinem Leben, Briefe für Eva, die sie einst lesen sollte, kleine Gedichte, in welche seine Empfindungen ausströmten. – Als wäre sie noch in seiner Nähe, sprang er zuweilen von der Arbeit auf, um sie zu suchen, und wenn er durch die Gänge des Gartens lief, schlug er oft die Gebüsche auseinander, wo sie sich zu verstecken pflegte, und lachte, wenn er sie nicht fand.

Endlich kam ein Brief aus Frankfurt, wo Walny sich einige Tage aufgehalten hatte. Eva schrieb viel von den Eindrücken des Neuen und Ueberraschenden, aber doch nicht so, wie Eugen es erwartet hatte. Es waren lauter kurze Ausrufungen über die Wunder, in welche sie sich versetzt sah, fast kein Wort über sich selbst und ihre Umgebungen; ein ruheloses Durcheinander dessen, was ihr der Augenblick eingab, und nirgend ein selbstthätiges Denken, nirgend ein Ordnen oder Rückwärtsblicken.

Sie hat keine Zeit dazu, sagte Eugen. Da steht es ja. Jeden Tag wird sie umhergeschleppt vom Morgen bis in die Nacht. Solche Leute, wie Walny, wollen für jede Stunde etwas Neues und Vergnügliches. Sie laufen durch die Säle der Museen, laufen durch Straßen, Kirchen und Paläste, laufen durch Gesellschaften und laufen durch die Natur; in ihren Beinen und ihren Augen steckt Alles, was sie brauchen, um Alles zu verstehen und zu genießen.

Zum ersten Male ging er, als es dunkelte, an diesem Abende aus seinem Asyle hinaus und durchstreifte die Stadt. – Es war eine prächtige Sommernacht, phosphorisches Leuchten am Himmel, ein drohendes Gewitter im Süden, die Straßen ziemlich leer, weil die meisten Spaziergänger den Regen fürchteten. Die Steine waren ein wenig benäßt, und ein kühlender Luftstrom thätig, um die heißen Dünste aus den Mauern dieser riesenhaften Häuser zu jagen. –

Eugen wanderte, wie ein Fremdling ohne Heimath, an den lichthellen Gebäuden hin. –

Es kennt mich Niemand hier, sagte er, unter den Hunderttausenden denkt kein Mensch an mich. Wie schwer wird es doch in dem langen Leben eine Seele zu finden, die uns gehört; ein Wesen, das sich unlöslich mit uns verschmilzt! Das Leben ist eine Jagd, jeder jagt für sich sein Wild, und wenn zwei ihre Beute theilen, geschieht es, um sich zu betrügen.

In diesem Augenblick hörte er seinen Namen mitten aus einem Menschenstrome, der ihm entgegenkam. Er war in der Nähe des Theaters, in welchem soeben eine neue Oper geendet hatte. Als er aufblickte, hörte er sich nochmals rufen, und plötzlich sah er Comtesse Diana vor sich.

Sie sind ein Himmelsbote, Herr von Werder, sagte die Gräfin, oder es ist wenigstens der glücklichste Zufall, der mich Sie finden läßt. Ich bin mit meiner Mama in der Oper gewesen, Ortenstein führte sie dicht vor mir, nur einen Augenblick sah ich mich nach unserem Diener um und wurde von ihnen getrennt.

Wo ist Ihr Wagen? fragte Eugen.

Ich weiß es nicht, sagte sie. Vielleicht haben wir keinen. Wir wohnen im British Hotel, und der Abend war schön genug, den kurzen Weg zu Fuß zu machen. Wir sind an weitere Promenaden gewöhnt.

Eugen bot ihr den Arm, sie suchten und warteten; nach einigen Minuten erblickten sie den Bedienten, der beauftragt war, das Fräulein zu finden und zu begleiten, da Ortenstein die alte Excellenz weiter geführt hatte.

Sie sind von Ihrem Ausfluge also zurück? sagte Diana.

Seit einigen Stunden, erwiederte er.

Und wir begegnen uns sogleich, rief sie lächelnd. Ortenstein wußte nichts von Ihnen, nur daß Sie, wie er boshaft behauptete, in Sümpfen umherirrten und vielleicht darin schon umgekommen wären.

Im Gegentheil, sagte Eugen, um nicht in Sümpfen umzukommen, eilte ich in die Berge und ergötzte mich an der ursprünglichen Schönheit und Lieblichkeit einer höheren Natur.

Sie haben Recht gethan, antwortete die Gräfin. Nichts ist entnervender, als die flache Gewöhnlichkeit dieses Brütofens aller miasmatischen Fieber Dahinter steht die Lehre von den Miasmen, der giftigen Ausdünstungen des Bodens, die mit der Luft fortgetragen werden und so zur Weiterverbreitung von Krankheiten beitragen sollten, eine Auffassung, die in der Medizin bis in die Mitte des 19. Jh. fortwirkte, bis Robert Koch den Zusammenhang zwischen Bakterium und Krankheit überzeugend nachwies. – Anm.d.Hrsg.. Wir sind wiederum drei Tage hier gewesen und werden morgen früh in unser grünes stilles Dorfleben zurückkehren, wie die Schnecke in ihr Haus. Es ist ganz artig, dann und wann die Fühlhörner herauszustrecken und befriedigt zurückzuziehen. – Unser Prozeß ist gestern in letzter Instanz entschieden, ich bin dadurch etwas reicher geworden; das Beste aber, oder das Schlimmste, sind die Erfahrungen über die Zustände der Menschen und der Gesellschaft, welche man dabei macht. Man erschrickt und erstaunt vor diesem Gewebe der Cultur, die so sehr gerühmt wird, und zieht sich gern auf sich selbst zurück, um bescheiden mit Wenigem vorlieb zu nehmen.

Eugen wurde durch diese Bemerkung erregt, die so sehr zu seinen eigenen Empfindungen paßte. Das Gespräch wurde in dieser Richtung weiter geführt und endlich abgebrochen, als in der Nähe des Hotels die alte Gräfin und Ortenstein erreicht wurden. – Die Excellenz freute sich sehr über den günstigen Zufall und machte Eugen Vorwürfe, daß er, statt lange Wochen in der Sommerhitze umherzuwandern, nicht in Grünau sein Versprechen erfüllt habe. –

Jetzt gleich wiederholen Sie es, sagte sie. Baron Ortenstein hat mir in nächster Woche einen Besuch zugesagt, lassen Sie uns die Gewißheit mitnehmen, daß Sie ihn begleiten wollen.

Eugen blickte zu Dianen hin. –

Sie finden bei uns keine ursprüngliche höhere Natur, sagte diese lächelnd, Alles ist sehr einfach und doch vielleicht nicht ganz gewöhnlich.

So erwarten wir Sie, sagte die Gräfin, und nach einer Reihe von Familienfragen fügte sie hinzu:

Von der Baronin Walny hat Diana vor einigen Tagen Briefe aus Wiesbaden empfangen. Sie richtet sich dort ein, die Saison ist außerordentlich glänzend; aus allen Weltgegenden strömen die Gäste herbei, aber es ist fürchterlich theuer. Nun, Walny ist reich genug, er kann es thun, doch nichts geht über Einfachheit und Ruhe. – Kommen Sie recht bald, Herr von Werder, Cäcilie schreibt uns, daß sie eine Gesellschafterin mitgenommen hat, gegen deren Vater Ihre Familie einige Verpflichtungen erfüllen zu müssen glaubt. Das Kind soll drollig sein und macht ihr viel zu schaffen. Kennen Sie es?

Ja wohl, sagte Eugen lächelnd. Cäcilie will die Tochter des alten Freundes meines Vaters erziehen.

Die alte Excellenz lachte auch, indem sie den Kopf schüttelte, aber sie sagte nichts weiter. Nach einigen Abschiedsworten war Eugen mit Ortenstein allein.

Nun, rief der Baron, indem er Eugens Arm nahm, ich habe zwar meine Hand von Dir abgezogen und will mit Deinen Affairen nichts weiter zu schaffen haben, denn Du hast mich danach behandelt. Aber ich freue mich doch, Dich zu sehen, denke, daß Du wieder menschlich leben und empfinden willst und kann mich somit doch wieder in soweit um Dich kümmern, daß ich Dich einlade, diesen Abend mit mir zu speisen, was Du mir nicht abschlagen darfst.

Nach einigen Weigerungen mußte sich Eugen darein ergeben, und Ortenstein führte ihn mit sich fort in einen auserwählten Kreis, wie er sagte, von dem der Sommer einige Reste übrig gelassen habe, die mit einander auszukommen suchten. Es war ein Gesellschaftslocal, wo ungefähr ein Dutzend Herren beisammen saßen, die alle aus der Zahl der Begünstigten stammten. –

Einige davon kannten Eugen aus früherer Zeit, den Anderen wurde er vorgestellt und mit Zuvorkommenheit empfangen. Der Baron war sein unverdrossener Beschützer und Bewunderer. Man aß vortrefflich und trank noch besser; die Unterhaltung drehte sich um alle großen und kleinen Begebnisse; nur Politik und was damit zusammenhänge, erklärte Ortenstein, sei ein für alle Mal ausgeschlossen, um sich den Appetit nicht zu verderben.

Eugen hörte ein buntes Wischi-Waschi über die neue Oper, über Sängerinnen und Tänzerinnen, über Hoffeste und Reisen, über ein paar Schönheiten aus der letzten Zeit, und über mancherlei Leute, die er nicht kannte. – Ortenstein war aber auch hier bald der bemerkbare Mittelpunkt der Geselligkeit. Er wußte Alles und kannte Alle. Seine Kritik war belustigend, seine Anekdoten erregten schallendes Gelächter, und seine gastronomischen Betrachtungen füllten die Pausen.

Was ist aus Ihrem Vetter Waldenau geworden? fragte endlich einer der Herrn. Er hat den Abschied genommen.

Oder nehmen müssen, fügte ein zweiter leiser hinzu.

Ist er nicht mehr hier? rief ein dritter.

Mein Vetter, sagte der Baron, läßt sich bestens empfehlen. Er hat den Dienst quittirt, um unter Amors und Fortunas Fahnen zu fechten. Ein liebenswürdiger Gentleman wie er, der alle Herzen in Bewegung setzt, kann meines Erachtens etwas Besseres thun, als Lieutnant in einer kleinen Garnison sein.

Er hat merkwürdiges Glück, fiel ein anderer ein. Solche Genies sind selten. Wo ist er denn?

Auf Reisen, sagte Ortenstein.

Nachdem Sie ihm hier die höheren Weihen ertheilt haben, Baron, konnte er nichts Besseres thun.

Ich habe ihn vor einigen Tagen noch in Gesellschaft der Gräfin Arnheim gesehen, sagte einer der Herren.

Bei diesem Namen wurde Eugen aufmerksam. Man sprach hin und her, er hörte verschiedene Urtheile, welche darin übereinstimmten, daß Gräfin Diana jetzt unbestritten eine der ersten Partien geworden sei, nachdem der gewonnene Proceß ihr das ganze große Vermögen gesichert habe. – Sie wurde liebenswürdig und geistreich, aber auch absprechend und verkehrt gefunden.

Sie ist durchdrungen von ihren Vorzügen und wünscht ein Charakter zu sein, sagte Eugens Nachbar. Ueber Alles ein Urtheil haben, überall ihren Geist bewundert sehen, von allen Berühmtheiten aufgesucht und anerkannt werden, das ist ihre Eitelkeit und ihr Ehrgeiz. – Ich habe sie früher gekannt, als ihr Vater noch lebte, der, so geizig er war, doch gern mit allerlei Gelehrten, Professoren und Künstlern verkehrte, vielleicht weil die mit dem schlechtesten Essen vorlieb nehmen. Comtesse Diana machte schon damals ihre Kunststücke. – Sie hatte Bücher in Masse gelesen, malte in Oel, spielte vortrefflich, sprach vier Sprachen und schnitt dabei eigenhändig die dünnsten Theebutterbrötchen, zur Freude der beglückten Mama.

Ein lustiges Gelächter belohnte die Spöttereien, welche von mehreren Seiten fortgesetzt wurden. Ortenstein vermehrte sie durch seinen Vertheidigungen, denen man die boshafte Absicht anmerkte. Die alte Excellenz und ihre geistreiche Tochter wurden die Zielscheibe allerlei platter Witzeleien, und Eugen fühlte in seiner aufsteigenden Verachtung große Lust, sich, der Geschmähten anzunehmen.

Er that dies auch zuletzt, indem er ruhig die Bemerkung hinwarf, daß auch er die Ehre habe, die Gräfinnen zu kennen, doch nur achtungswerthe Seiten entdeckt habe; Gräfin Diana aber wohl Gelegenheit geben könne, in ihren Besonderheiten anders zu erscheinen, als Viele. –

Es ist ein Vorrecht mancher Frauen, fügte er dann hinzu, sich von der gewöhnlichen Unbestimmtheit ihres Geschlechts abzutrennen und sich dem allgemeinen Maßstabe zu entziehen. Wir sind jedoch nur zu gern geneigt, nach den Worten des Dichters, was uns nicht gefällt, zu verwerfen.

Mit einem stolzen Lächeln schwieg er, als Einwände gemacht wurden, und bald darauf benutzte er die Gelegenheit, als Ortenstein ein Spiel einrichtete und Bank legte, sich unbemerkt zu entfernen. –

 

Schon am nächsten Morgen suchte ihn Ortenstein auf, als er arbeitend in seinem Zimmer saß und ganz in der gewohnten Weise sich beschäftigte.

Hier sieht es ja vortrefflich aus, rief der Baron sich umschauend, ganz wie bei einem Weltweisen. Da steht ein Schrank voll Bücher, da der Flügel, dort ein Tisch voll unsterblicher Manuscripte, und hier das Bild der lieblichen kleinen Frau. – Aber Du mußt hinaus, Eugen, oder Du versauerst. – Wir haben heut eine Partie vor. Wir speisen bei Forstner, man ißt dort ganz vortrefflich, und machen dann einen Ausflug mit Damen. Allerliebste Kinder von der Oper und vom Ballet, Du wirst Dich excellent amüsiren.

Eugen schlug es ab, Ortenstein lachte ihn aus. –

Du bist ein Moralist, sagte er, und Du wirst Dich zu Grunde richten. – Für wen schwärmst Du denn eigentlich? Gestern, als Du Dich fort gemacht hattest, war man überzeugt, Du seist nicht umsonst für Comtesse Diana in die Schranken geritten, und als ich mittheilte, eine Stunde vorher hättest Du sie nach Haus geführt und in wenigen Tagen würdest Du mit ihr in Grünau die Welt vergessen, gab es ein homerisches Gelächter.

Das kann ich ertragen, erwiederte Eugen. Wann wollen wir reisen?

Sobald ich Kraft und Muth für die frugale Küche in Grünau gesammelt habe, sagte Ortenstein.

Er stellte sich vor den Spiegel, betrachtete sich, und besprengte sich mit einer Essenz, die er bei sich trug. –

Es wird sehr langweilig werden, sagte er dann, seine Binde zu einem neuen Knoten knüpfend. Aber warum soll es nicht langweilig sein?

So solltest Du zu Hause bleiben, antwortete Eugen.

Das würde ich thun, sagte Ortenstein, wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, der schönen Diana mein Herz zu Füßen zu legen.

Eugen lachte laut auf. Doch der Baron ließ sich davon nicht anfechten.

Du beleidigst mich durchaus nicht, rief er, obwohl Du als Freund mir anders antworten könntest. – Du hast gesagt, Diana sei nicht wie die gewöhnlichen Weiber, und hast vollkommen Recht. Ich verliere kein Wort weiter, aber ich würde Dich zu vernichten suchen, wenn ich nicht wüßte, daß Du unschädlich wärst. Versprich mir also, daß Du mich unterstützen willst, wenn sich Gelegenheit dazu bietet.

Eugen versprach es in voller Lustigkeit, und Ortenstein rieb sich lächelnd die Hände, blies die Stäubchen von seinem Baronfrack und zeigte sein neues Stöckchen aus Paris mit der eidlichen Versicherung, es sei das einzige, was bis jetzt in der Stadt zu haben sei. –

Und nun eile Dich, rief er, ich geh' nicht von der Stelle ohne Dich; wir wollen einen köstlichen Tag verleben.

Er ließ nicht ab, bis Eugen sich bequemte; er wußte selbst nicht, was ihn zum Nachgeben trieb. –

Ermüdet und unbehaglich kam er spät in der Nacht nach Haus, am nächsten Tage war Ortenstein jedoch wieder da und brachte einige neue Freunde mit, und nun war es aus mit der Einsamkeit und Ruhe des stillen Hauses; Eugen sah sich in tägliche Zerstreuungen und Besuche gerissen.

 

Endlich nach zwei Wochen, als der größte Theil der Gesellschafter Ortensteins sich zerstreut hatte, stellte dieser die Abreise fest. – Er war sehr froh gelaunt und unterhielt seinen Reisegefährten während der eintönigen Fahrt auf staubigen Landstraßen mit den lustigsten Geschichten, bis am Abend in der Ferne der Kirchthurm eines Dorfes auftauchte.

Da liegt Grünau, sagte er, wir sind am Ziel unserer Wünsche. Hoffe nicht zu viel, armer Eugen, vor Allem aber bitte ich Dich, sei mir jetzt nicht hinderlich durch sentimentale Einfälle; wundre Dich auch nicht, wenn ich meine Zeit dem Gegenstand meiner Wünsche widme und Dich vernachlässige.

Du hast Deinen Einfall also nicht aufgegeben, obwohl Du kein Wort mehr darüber gesprochen hast? lachte Eugen.

Aufgegeben, rief Ortenstein, gewiß nicht! Ich bin einmal Diplomat gewesen in früherer Zeit und weiß, daß man dies Wort nicht kennen darf, selbst wenn es unmöglich scheint zu siegen. Aber welch glücklicheres Loos könnte Diana ziehen, nachdem Du ihr verloren bist? Gefälliger, nachgiebiger, freiheitsliebender kann kein Mann sein. Alle ihre Neigungen und ihre Selbstständigkeit bleiben unberührt; ich hasse allen Zwang, alle Beschränkung, weil darin die einzige Möglichkeit liegt, eine Ehe angenehm zu machen.

Und Du wirst ihr Deine Grundsätze vortragen, sagte Eugen.

Ich werde ihr beweisen, daß sie nur mit mir glücklich werden kann, erwiederte Ortenstein.

Der Wagen fuhr durch das Dorf, das nicht zum besten aussah, denn es bestand aus kleinen, schlechten Höfen. Am Ende lag der Edelhof auf einer Erhebung des Bodens. Es war ein ziemlich großes Gebäude mit hohem gebrochenen Dach aus dem vorigen Jahrhundert. Eine Reihe trüber Fenster zeigte sich, jenseit einer niedrigen Hecke, die von einem schilfigen Graben eingefaßt war. – Kalkstücke waren von den Mauern gefallen, das Ganze sah öde und fast unbewohnt aus. Als der Wagen zur Seite des Hauses durch ein Hofthor fuhr, über welchem ein Wappen von Stein ausgehauen war, kam ihnen Niemand entgegen, kein Hund selbst bellte auf. Die Abenddämmerung lag mit falbem Schimmer auf einem weiten Gartengehege, hohe Bäume rauschten ihnen allein ihre Grüße entgegen.

Ich rieche nichts von Feuer in der Küche, sagte der Baron; aber ihr Engel und Heiligen! da kommt die liebliche Diana von der Jagd.

Es war in der That die junge Gräfin, welche mit einem Schlüsselbunde in der Hand und einem Körbchen am Arm aus einem Seitengebäude trat.

Endlich sagte sie nach den ersten Begrüßungen, sehen wir Sie. Die Leute sind beim Essen; Niemand hat Ihr Kommen gehört. Ich habe soeben eine Wirthschaftsinspection gehalten, und meine Befehle ausgetheilt.

So befehlen Sie denn auch über uns, erwiederte Ortenstein galant, indem er ihr den Arm bot. –

Eugen folgte die Treppe hinauf, und nach einigen Minuten befand er sich Angesichts der Excellenz, empfangen von dem heftigen Gebell des Wachtelhündchens, das von Anfang an sein Widersacher gewesen war.

Der Abend füllte sich mit Mittheilungen aus, welche sich meistentheils auf das häusliche Leben der beiden Damen bezogen. Große Güter, Wälder und Gefälle gehörten zu den Besitzungen, und obwohl es ihnen nicht an den nöthigen Verwaltern fehlte, blieb doch eine oberste Aufsicht zu führen, die Kenntniß, Geschick und Thätigkeit erforderte.

Mir würde es nicht möglich sein, sagte die alte Gräfin, trotz aller Aufmerksamkeit, diese Herrschaft auszuüben, aber seit mein Mann nicht mehr bei mir ist, hat Diana das Meiste übernommen. Sie hat ein Auge, das Alles sieht, ein Gedächtniß, das sich nie irrt, und eine Kenntniß der Geschäfte, welche Manchen abhält, sich auf schlechte Dinge einzulassen. Sie prüft alle Rechnungen, erscheint, wo man sie nicht vermuthet, und läßt sich nicht irre machen, wenn man sie anführen will.

Eugen sah Ortenstein lächelnd an und betrachtete die zierlichen weißen Hände der jungen Dame, welche vor ihm den Thee bereitete und auf die emphatischen Lobeserhebungen nichts erwiederte.

Sie werden sehen, sagte sie endlich, sich zu Eugen wendend, wie gütig meine Mama für meine Beihülfe in ihren Sorgen ist. In unserem kleinen Haushalt giebt es wenig zu thun; einige Dienerinnen sind unser ganzes Gefolge. Die Hofwirthschaft und was dazu gehört, wird von den alten erprobten Dienern meines Vaters geführt; eine Oberaufsicht ist daher leicht gemacht, und diese läßt mir immer Raum, um für mich selbst so viel Zeit zu verwenden, als ich verbrauchen will.

Eugen überließ es dem Baron, mit Höflichkeiten zu antworten, er selbst verfolgte gern die anmuthige Geschäftigkeit der jungen Gräfin, welche so einfach und natürlich sich bewegte, und so geräuschlos die kleinen häuslichen Geschäfte besorgte, daß der alte Diener kaum nöthig war, der ehrerbietig hinter ihrem Stuhle stand.

Nach einigen Stunden befand Eugen sich ganz behaglich und vertraulich zwischen lebhaften Plaudereien über die verschiedensten Dinge. Er ergötzte sich über Ortensteins Bemühungen, sich liebenswürdig und angenehm zu zeigen und diese Aufgabe zwischen den beiden Damen zu theilen, und bedauerte es, als die Gräfin, um ihren Gästen Ruhe zu gönnen, sie verabschiedete.

Wir sind daran gewöhnt, sagte Diana, nach ländlicher Sitte nicht allzuspät zu wachen, um früh in den Tag hinein zu leben. Die Herren mögen sich jedoch keinen Zwang thun und nach ihren Gewohnheiten verfahren.

Der alte Diener leuchtete ihnen die Treppe hinauf, und wenn nichts an diesem Hause zu rühmen war, war es jedenfalls seine Bequemlichkeit aus der guten alten Zeit.

Ortenstein, der dies besonders anzuerkennen wußte, verklärte sich jedoch noch mehr, als er beim Eintritt in das große Zimmer einen gedeckten Tisch erblickte, welcher mancherlei Speisen und mehrere gefüllte Flaschen aufzeigte.

Der wehmüthige Zug verschwand aus seinem Gesicht, er schickte den Diener fort, umarmte Eugen und sagte dann:

Welche bewunderungswürdige Sorgfalt. Diana ist ein Engel! – Ich hatte mich in mein Schicksal ergeben, mit einer Tasse Thee wie ein Soldat im ausgeplünderten Lande zu schlafen, aber hier ist Noahs göttlicher Stoff Laut dem 1. Buch Mose 9,20 ist Noah der Urvater des Weinbaus. – Anm.d.Hrsg.. Ach! wie Schade, daß der alte würdige Graf – ich muß von meinem Schwiegervater mit Ehrfurcht sprechen – immer die allerschlechtesten Weine kaufte.

Er versuchte ein Glas und es fand eine neue Begeisterung statt.

O! Fluch über die Verleumdung und Bosheit der Menschen! rief er. Dieser Wein ist vortrefflich. Hierher Eugen, wir sind eingezogen in das Land Kanaan, hier ist Wohlsein, hier laß uns Hütten bauen.

Es war spät und die letzte Flasche geleert, als Ortenstein sich endlich zur Ruhe begab. – Zu beiden Seiten des großen Zimmers befanden sich kleinere, in denen gewaltige Himmelbetten die müden Gäste erwarteten.

Lange aber hatte Eugen das Licht ausgelöscht und noch immer wollte der Schlaf nicht kommen. Als er die Augen öffnete, fiel dämmerndes Mondlicht herein und belebte die Schäfer, Schäferinnen und Reiter auf den alten Tapeten. Es kam ihm vor, als bewegten sie sich und nickten ihm zu, und je länger er hinsah, um so mehr glaubte er in den Gesichtern Dianas feines, gewinnendes Lächeln zu entdecken. Er stützte sich auf den Arm und gab sich einer Täuschung hin, die er mit halb umstrickten Sinnen träumerisch verfolgte.

Plötzlich klangen von unten herauf die Töne eines Instruments, tiefe volle Accorde, welche regellos aus dem Boden zu quellen schienen und in seiner Seele verhallten. – Seine Blicke hefteten sich glühend am Boden fest, als könnten sie ihn durchbohren; sein Herz schlug mit heftigen Schlägen, eine Stimme flüsterte ihm ins Ohr: Sie denkt an Dich! – Er lachte laut auf und warf sich auf die andere Seite.

Am Morgen, als er erwachte, schien die Sonne hell zu ihm herein. Es war spät, Ortenstein war fort, er begleitete die junge Gräfin auf einem Spazierweg, den sie früh schon nach einem nahen Meierhofe gemacht hatte.

Als Eugen in das Familienzimmer trat, fand er die alte Excellenz mit Briefen und allerlei Zuschriften beschäftigt, welche an sie eingegangen waren. –

Da ist auch ein Brief von Ihrer Schwester, sagte sie, worin sie anfragt, ob Sie bei uns seien, und für diesen Fall hat sie eine Einlage gemacht, die Ihnen sonst aufbewahrt werden sollte.

Sie reichte Eugen ein gefaltetes Blättchen und fügte freundlich hinzu:

Es ist mir lieb, Herr von Werder, daß wir es nicht aufzubewahren brauchen, sondern Sie bei uns haben. Nun richten Sie sich ein und bleiben Sie recht lange. Ich sagte gestern zu Diana, unser abgeschiedenes Leben in diesem alten Hause würde Ihnen nicht behagen, und etwas liege in Ihrem Gesicht, was wie Unruhe und Schmerz aussehe. Diana meint jedoch, Künstler hätten immer Dissonanzen in sich, die aufgelöst werden müßten, um zur Harmonie zu kommen, und was Sie von Ihnen wisse, berechtige Sie zu glauben, daß Sie gern gekommen wären und besser aushalten würden, wie der gute Ortenstein, der so sehr daran gewöhnt ist, in den buntesten Kreisen zu leben.

Eugens Versicherungen beruhigten sie, und wohlgefällig setzte sie das Gespräch fort, das zutraulich auf Familienverhältnisse einging. –

Lesen Sie doch, was Ihre Schwester schreibt, sagte sie; aus dem ganzen Briefe an Diana geht nichts hervor, als daß ein Vergnügen das andere jagt, eine Masse neuer Bekanntschaften gemacht werden und nichts so sehr zu bedauern sei, als daß wir das reizende Leben nicht theilen können, wovor wir uns bedanken.

Eugen warf einen flüchtigen Blick in das Papier, das mit einer ganz kleinen Oblate geschlossen war, die dem leichtesten Drucke nachgab. Seine Stirn wurde heiß, als er Evas Schriftzüge erkannte; er erschrak bei dem Gedanken, daß diese Zeilen von fremden Augen gelesen werden konnten.

Ich bin zu alt, fuhr die Gräfin fort, und Diana sehnt sich glücklicher Weise nicht nach solchem geräuschvollen Treiben. Sie liebt freilich auch den Glanz, und bei ihren Ansprüchen, ihrer Jugend und ihrem jetzt ganz gesicherten Vermögen, ist es sogar nöthig, daß wir in nächster Zeit ein wenig mehr hervortreten. Wir werden zum Herbst wieder in der Hauptstadt wohnen; aber an Feste freilich können wir dann erst denken, wenn Diana, was ich herzlich wünsche, eine glückliche Wahl getroffen hat, ich meine einen Gatten, der ihrer ganz werth ist. Habe ich dies Glück noch erlebt, so habe ich Alles erreicht, was ich vom Leben fordern konnte; meine Stunde mag dann kommen, wann sie will, sie wird mich vorbereitet finden.

Eugen hatte gelesen, Eva schrieb in den lustigsten Ausdrücken über ihr freudenvolles Leben, und wie gütig und voller Zärtlichkeit Cäcilie für sie sorge. –

»Deinen Brief habe ich erhalten,« fuhr sie dann fort, »aber sorge nicht um mich, lieber theurer Eugen, ich denke Dein, ich küsse Dich, wo ich auch sein mag. – Du mußt sehr traurig gewesen sein, Deine Worte drücken das aus. Es war mir, als ich sie las, als ob Thränen an den Buchstaben hingen, als ich aber genau hinsah, waren es meine eigenen nassen Augen. Ich sah Dich stehen so liebevoll, wie Du immer bist, wenn Du die Hand auf meine Stirn legst und tief in meine Augen schaust. So habe ich Dich immer am liebsten gehabt, aber Du mußt nicht schelten, nicht zürnen, kein so strenger Moralist sein, wie Deine Schwester sagt. Wir bleiben noch vier Wochen hier, dann wollen wir nach Spaa, wo es auch herrlich sein soll, und Baron Walny meint, eine rasche Tour nach Brüssel und über Paris zurück würde uns gewiß nicht schaden.

Was werde ich Alles sehen, theurer geliebter Eugen, und wenn ich endlich zu Dir zurückkehre, wie Vieles werde ich Dir erzählen können! – Hier ist alle Lage fast Tanz im großen Cursale, und wöchentlich Ball. – Ich habe tanzen gelernt, ich glaube in einem Tag; Cäcilie nennt mich ihr kleines Genie. Nun tanze ich gern, und Alle sagen, ich tanze himmlisch. Walny hat mich auf den Winter getröstet, wo Ball sich an Ball reihen soll. – O! wie glücklich bin ich, lieber Eugen: wie entsetzlich einfältig war ich, ehe ein göttlicher Wille Dich zu mir führte, und was würde aus mir geworden sein, wenn ich Dich nie gesehen hätte! Ich friere bei dem Gedanken an das elende Häuschen und das Leben darin. – Liebe mich, Eugen, liebe mich, Du hast es mir zugesagt. Wie selig macht mich der Gedanke, wo Du mit mir alle Freuden des Lebens theilen wirst, ich immer Deine kleine Frau, Dein Evchen, der Du Alles opferst.«

Mit einer raschen Bewegung drückte Eugen das Papier zusammen und steckte es ein; jede Antwort auf die Mittheilung der Gräfin wurde ihm erspart, denn eben kamen Diana und Ortenstein von ihrem Spaziergange zurück.

Sie sind, wie ich merke, sagte das Fräulein lachend, einer der Maler, die den Sonnenaufgang wunderbar schön darstellen, aber ihn nie selbst erleben mögen. – Mein ganzes Lob und aller Ruhm daher auf den Scheitel meines tapferen Ritters, der mit den Lerchen um die Wette singend mit mir auszog und fröhlich heimkehrt.

Der arme Baron sah jedoch nicht so aus, als wäre ihm besonders lustig zu Muthe. Er war naß vom Wiesengrase; seine sauber lackirten Stiefeln schienen unrettbar verdorben, seine Morgentoilette war gänzlich verwildert, bestäubt und schmutzig, er selbst schweißbedeckt und erschöpft. – Aber er ermannte sich bei dem Lobe, und die Hand seiner Dame küssend, sagte er mit feinem Lächeln:

Ihr Ritter für immer, Comtesse Diana. Die Kreuzfahrer haben schwerlich mit größerer Sehnsucht die Zinnen von Jerusalem erblickt, als ich das hohe Dach dieses edlen Hauses, das so viel Schönes und Herrliches hegt und pflegt.

Er streckte sich in dem Polstersessel aus und es blieb zweifelhaft, welcher Sinn seinen Worten gegeben werden sollte. Nach einer Stunde Ruhe hatte er sich jedoch völlig erholt, und mit der Entfernung der bestäubten Kleider war er wieder der höfliche, galante Vertreter der neusten Moden und der besten Gesellschaft, welcher seine ganze Aufmerksamkeit und Anbetung einer Schönen widmete, die scherzend sich gefallen ließ, was sie nicht zu ändern vermochte.

Es ward ein schöner, froher Tag. Gräfin Diana zeigte ihren Gästen Alles, was das Haus, der Garten, der Park und der anliegende Wald enthielt. Ortenstein war endlich müde gemacht, sie ging mit Eugen in den Bibliotheksaal, wo es kühl war, und zeigte ihm die Bücherschätze, welche drei Großväter und ihr Vater hier aufgestapelt hatten; das Beste aus der Masse hatte sie ausgelesen und in einigen Schränken besonders zusammengestellt.

Hier bin ich, wenn ich allein sein will, sagte sie, und hier sollen Sie sein, so oft es Ihnen gefällt.

In dem Nebenzimmer wohnte sie, dort stand ihr schöner Flügel, und sie setzte sich und sang ihm Lieder, die er oft schon gehört, aber nie so gehört hatte. Alles, was sie sagte, kam ihm bedeutungsvoll vor. Es waren Gedanken darin, wie er sie selbst schon gedacht zu haben glaubte; Alles, was sie that, hatte etwas Wohlthuendes und wurde von ihm empfunden.

Eugen sah auch heut mit Freude, wie ihr Ordnen und Walten sich bis auf die kleinsten Dinge erstreckte und wie ihr geistiges Erfassen weit darüber hinausging, bis in Gebiete des Wissens, wohin so leicht keine Frau gelangt.

Als er am Abend allein war, dachte er mit Freuden an den nächsten Morgen, wo er ihr Begleiter sein würde. Er dachte an Alles, was sie zu ihm gesprochen, und süßer hatte er nie geträumt; dann aber streckte er die Hände aus, als plötzlich Evas Bild sich zwischen ihn und seine Erscheinungen drängte.


9.

Eine Reihe heiterer Tage schlossen sich diesem ersten an, und als man zu einer Zeiteintheilung gelangte, ließ sich jede Stunde in bestimmter Weise benutzen. – Ganz früh am Morgen war Diana mit ihren häuslichen Audienzen beschäftigt, und dann immer fertig und bereit zu Spaziergängen, die nach dem Frühstück sich oft bis an einzelne schöne Waldpunkte ausdehnten. – Es war ein gewisser Wetteifer zwischen Ortenstein und Eugen entstanden, Alles gut zu heißen, was die Gräfin vorschlug, und sich darin zuvorzuthun, ihr kleine Dienste zu leisten. Der Baron fehlte nie, sich geltend zu machen, überall bei der Hand zu sein, voraus zu sehen, was das Fräulein wünschen konnte, und mit unverkennbarer Absichtlichkeit Eugen womöglich zurückzudrängen, der duldend es geschehen ließ.

Waren die Spaziergänge beendet, so mochte jeder bis zur Mittagszeit sich beschäftigen nach Gefallen. Ortenstein verfehlte dann nicht, nachdem er sich gesalbt und gebürstet und nach neuestem Geschmack untadelhaft gekleidet hatte, bei den Damen zu erscheinen, ihnen aus den verschiedenen Journalen vorzulesen, welche aus der nächsten Stadt gesandt wurden, die alte Excellenz bei ihrer Promenade durch den Garten zu führen, den kleinen Hund zu streicheln und über zahllose Abwesende epigrammatische Skizzen und Glossen zu zu machen. – Er verstand diese Art der Unterhaltung vortrefflich; sein Gedächtniß war ausgezeichnet, seine Personenkenntniß sehr groß, es gab fast keinen Menschen aus der Gesellschaft der höheren und höchsten Kreise, von dem er nicht etwas zu erzählen wußte, und er erzählte mit dem nöthigen Grade von Witz und Bosheit, um das Interesse seiner Zuhörer zu beleben.

Die alte Gräfin lebte auf, wenn er kam. Ortenstein war ein Buch, das man aufschlagen mochte, wo man wollte, es enthielt eine Anekdote, eine pikante Geschichte, eine Erinnerung an Personen und Zustände, die man gut kannte und gern verspotten half. – Daneben konnte der Baron aber auch ernsthaft sein, wenn er wollte, guten Rath ertheilen, leicht alle Verhältnisse auffassen und alle Schwächen auf der Stelle benutzen. – Wenn Diana am Flügel saß, schlug er die Noten um und klatschte Beifall, wenn sie ein Buch haben wollte, lief er um es zu holen, wenn irgend eine Sache von der alten Gräfin gewünscht wurde, war er immer der dienstgefällige, launige, lachende Freund, der Niemanden sich zuvorkommen ließ.

Während dessen malte Eugen auf seinem Zimmer ein paar landschaftliche Skizzen, welche er als Andenken hier zu lassen dachte, die aber nicht so werden wollten, wie er es wünschte. Es kam ihm oft vor, als wenn irgend ein feindlicher Kobold neben ihm stände und ihn hinderte, das richtige Maaß und die richtige Färbung zu treffen. Es gefiel ihm nichts und er ärgerte sich darüber. Er hatte, wie er meinte, früher ohne alle Mühe weit Besseres geleistet, und jetzt, wo er gern das Beste geben wollte, erschien ihm Alles ungenügend, schal und kalt.

Wenn er dann zur Mittagszeit wieder im Familienzimmer war, vergaß sich der Unmuth bald. Er saß neben Dianen, sie blickte ihn oft so fragend und nachsinnend an, und wenn sie lächelte, lag in der schönen Ruhe ihres Gesichts ein wunderbarer Muth und Trost.

War das Wetter gut, so wurde am Nachmittage zuweilen ein Besuch bei befreundeten Familien in der Nähe, zuweilen eine Spazierfahrt oder ein Spazierritt gemacht. – Comtesse Diana war keine unerfahrene Reiterin. Es machte ihr Vergnügen, ihr rasches Pferd zu kleinen Wagestücken zu bringen, und den Baron und Eugen, die auf den Gäulen der Gutsverwalter sie begleiteten, in Verlegenheit zu setzen. – Bei Förstern und Holzschlägern, oder oft mitten im Walde unter einem alten Baum, oder auf einem Hügel, der einen weiten Blick gestattete, wurde dann Rast gehalten und unter Scherz und Gelächter frohe Stunden hingebracht.

War das Wetter trübe und ungewiß, so führte die Gräfin Eugen in die Bibliothek und las dort mit ihm Shakespeare und Dante, Goethe und was die neue Literatur der Franzosen und Deutschen wöchentlich durch den Buchhändler aus der Hauptstadt ihr zuschickte. – Sie suchten dann beide aus, was behalten werden sollte, und Diana kannte alle Schriftsteller, sie urtheilte so richtig über ihre Vorzüge und Fehler, sie las so schön und ausdrucksvoll die Gedichte der Poeten, machte sich lustig über die Art, wie die Gedanken jetzt verfolgt würden vom politischen Parteienhasse, daß Eugen Manches lernte und gern sich in Streite einließ, welche sie anzettelte.

Meine Mutter, sagte Diana einst, ist eine eingefleischte Aristokratin, die gegen alle modernen Gleichheitslehren einen unüberwindlichen Abscheu hat. – Nur keine Standesunterschiede aufgehoben, die von Gott eingesetzt sind, nur keine Herabwürdigung, die den Pöbel übermüthig macht. – Sagen Sie ihr bei Leibe nichts von Ihrer vielgerühmten Geistesaristokratie, welche Sie soeben vertheidigten; alle diese Dichter, Maler, Musiker, Bildhauer, Gelehrte und Künstler aller Art scheinen ihr nicht viel besser, als Seiltänzer und Komödianten. Herr von Goethe, ja das ist ein adliger Herr und obenein ein Minister, sie hat ihn in Weimar selbst kennen gelernt und wird Ihnen gern davon erzählen.

Ich werde mir nächstens ein Pröbchen ausbitten, erwiederte Eugen lachend, aber Sie, meine theure Freundin, sollten zur besseren Erkenntniß mitwirken.

Grundsätze und Lehren, mit denen man geboren, erzogen und alt geworden ist, lassen sich nicht fortschaffen, sagte sie. Meine Mama ist besser, wie Sie meinen. Sie thut Niemandem Unrecht, ist wohlgesinnt gegen Jeden, der ihr Ansehen beachtet, und läßt ihre Gnade aufgehen über den Geringsten. Die Leute haben alle großen Respect vor ihr, und sie vergilt es ihnen durch manche Wohlthaten.

Das thun Sie, liebe Diana, rief Eugen lebhaft. Ich habe Gelegenheit gehabt, zu erfahren, in welchem Grade Sie die Wohlthäterin der Armen sind. Sie sorgen für Unterstützung der Kranken, Sie helfen wo es fehlt, nehmen sich der Kinder an, besuchen die Schule, ermuntern zum Lernen, treiben überall zum Fleiß und zur Ordnung, und dulden kein Unrecht.

Das thue ich wirklich, lachte die Gräfin, allein deswegen bin ich eben so wohl eine Aristokratin, wie meine Mutter, denn ich finde die meisten Bestrebungen unserer Zeit höchst abgeschmackt und verderblich. – Ich achte jedes Wissen, ehre jede Kunst, freue mich jeder fortschreitenden Erkenntniß, aber ich finde mich beleidigt von dem rohen Drange derer, die Lehrer der Menschheit sein wollen, Alles in Auflösung und Unordnung zu bringen, und alle Unterschiede aufzuheben. – Es giebt aber Unterschiede, die göttlichen Ursprungs sind, und wehe dem, der sie antastet. Sie sind geheiligt durch Jahrhunderte und Gesetze. – Mensch ist nicht Mensch, wir gleichen uns nicht wie ein Ei dem anderen. Es ist ein großer Unterschied zwischen einem Bauer oder Fischer und dem Freiherrn Eugen von Werder, wie es ein großer Unterschied ist zwischen einem Fischermädchen und der Gräfin Diana von Arnheim.

Eugen hob die Augen rasch zu ihr auf, ein Blitz zuckte durch seinen Kopf.

Die Gräfin sah ihn lächelnd an. – Sie wollen das angreifen, sagte sie. Sie wollen vielleicht sagen, legt das Fischermädchen in die Wiege der Gräfin, und Niemand wird einen Unterschied bemerken. O! das ist vollkommen richtig, aber eben die Wiege thut es, und es ist unmöglich, daß lauter Gräfinnen gewiegt werden sollen. Aber was wir sind, das sind wir, Geburt und Erziehung haben uns abgetrennt, und so lange man die Welt nicht anders machen kann, wie sie ist, muß es bleiben. Wir können nicht Alle ein genußvolles Leben führen und den Musen und Grazien opfern.

Ungefähr dasselbe, erwiederte Eugen, sagt unser Freund Ortenstein, und mit denselben Gründen läßt sich jede Sünde an dem heiligen Geist vertheidigen.

Ich gebe Ortenstein Recht, rief die Gräfin, wenn ich auch anders mir den Mann denke, der seine Aufgabe im Leben versteht. Aber das kann nicht Jeder, dazu muß man von Geburt, Glück und Geist begünstigt sein, und der Messias der Menschheit soll noch immer kommen. – Freuen wir uns, mein theurer Freund, wenigstens zu denen zu gehören, die, was die Menschen seit Jahrtausenden Schönes und Gutes errungen haben, verstehen und würdigen können; freuen wir uns, daß ein gütiges Schicksal sich unserer annahm, um das Elend schwieliger Hände und verdumpfender Armuth in abgelegener Hütte von uns fern zu halten; aber hüten wir uns zu glauben, es könnte ein Wunder geschehen und Jeder das erreichen. Jede Pflanze hat ihren Boden, wo sie wächst und gedeiht, jedes Wesen sein Glück und seine Freude, doch kein Zaunkönig wird jemals ein Adler werden, mag man ihn noch so hoch in die Luft tragen. Abrichten lassen sich Tiger, aber eine edle Natur läßt sich ihnen nicht einimpfen.

Eugen brach nach einigen Bemerkungen das Gespräch ab, er fühlte sich unruhig und verletzt. – Diana spielte wie gewöhnlich am Flügel, und als die ersten Töne klangen, kam Ortenstein, um sein Amt zu übernehmen. Eugen saß gegenüber, dann und wann sah sie zu ihm hin, sie hatte etwas in ihm aufgeweckt, woran er absichtlich wenig gedacht hatte; jetzt aber arbeiteten die Gedanken in ihm und schaufelten an einem Abgrund, dessen Schwärze ihm Entsetzen einjagte.

Er fragte sich, leise, was sie von ihm und seinem Geheimniß wüßte, und zum ersten Male trat dies mit wilder Angst vor seine Seele. Es kam über ihn, als müßte er fort auf der Stelle, und dann folgte der elastische Gegendruck jedes kräftigen Willens gegen die schwarze Hand, welche Verhängniß oder Schicksal heißt. Er wollte sich nicht unterdrücken lassen, er fühlte, daß er verloren wäre, und er athmete auf, lachte laut, als Ortenstein einen seiner zahllosen Scherze machte, und stimmte ein in den emphatischen Beifall, den der Baron spendete, als Diana aufstand.

Das Wetter ist besser geworden, sagte die Gräfin, und sie schlug einen Spazierritt vor, zu welchem sie Eugen aufforderte. Sie wußte, wie ungern sich Ortenstein dazu verstand, und heut schien es ihr besonders darauf anzukommen, ihn zu Haus zu lassen.

Sie ziehen es vor, mit meiner Mutter eine Partie zu machen, sagte sie, ich dispensire Sie daher. In einer Stunde sind wir wieder hier; ich berichte Ihnen Alles, was wir erlebten.

So ritten die beiden bald darauf allein durch Waldwege, wo es geregnet hatte; jetzt schien die Abendsonne mit feurigen Strahlen auf dunkelnde Baummassen, welche ihren kühlen belebenden Athem ausströmten, der sänftigend in Eugens heiße Augen drang. – Die Gräfin auf ihrem raschen Pferde blieb ihm voraus, und ohne umzublicken, schien sie beinahe ihren Gefährten vergessen zu haben, der bald die schlanke Gestalt in den Windungen der Pfade verschwinden sah, bald ihren grünen wehenden Schleier erblickte, der durch die sonnige Luft ihr folgte. – Eugens Blicke jagten ihr nach, schneller als sein unbehülfliches Roß es vermochte, und endlich erwartete sie ihn auf einer Höhe, von welcher weit umher die Gegend zu übersehen war.

Blaue Waldberge dämmerten jenseits der reichen großen Ebene, auf welcher das grüne Meer der Fruchtfelder wogte. Die Schlangenstreifen eines blitzenden Stromes wanden sich durch ein Wiesenthal, über welches die Sonne auf fahle, dunkelgelbe Sand- und Lehmwände fiel, die schroff und spaltig jene saftigen Gründe umringten.

Hier waren Sie noch nicht, sagte die Gräfin, aber das ist der schönste Punkt, und oft habe ich unter diesem Baume allein gesessen und mir mein Horoskop gestellt.

Das klingt geheimnißvoll und romantisch, erwiederte er.

Und doch, sagte sie, halte ich von Beidem nichts. Wenn ich hier saß und auf Blüthenbäume und Erntefelder, auf den Strom und in das blumige Thal, auf die Waldberge und die nackten Sandhügel schaute, kamen meine Fragen an das Schicksal ganz natürlich. – Ein Mann, fuhr sie den Kopf lächelnd aufhebend fort, macht aus sich selbst, was er werden will; wir haben diese Freiheit nicht; wir müssen warten, welcher Zufall uns günstig ist, ob wir zum Sandhügel werden, ob zur Wiesenblume, zur dürren Waldhaide oder zum glänzenden Stern.

Und was hat Ihnen Ihr Horoskop gesagt? fragte Eugen.

O! was es Allen sagt, rief sie lachend; doch nein, ich will nicht ungerecht sein. Sie kennen mich ja genug, um zu wissen, daß ich nicht zu den ganz Willenlosen gehöre, die der Spielball jeder Laune sein müssen. – Ich habe früh gelernt mich mit mir selbst zu beschäftigen, mich vom Augenblick nicht fortreißen zu lassen, um nicht das Glück einer Minute mit dem Glücke meines Lebens zu bezahlen.

Ein Seufzer, halb unterdrückt, preßte sich aus Eugens Brust.

Wehe denen also, sagte er, die, von der Minute ergriffen, nicht zu retten sind!

Wer wäre nicht zu retten, wenn er es wollte, erwiederte sie lebhaft. Es ist Frauen, die nichts haben als ihr Herz, zu verzeihen, wenn sie dieses Herzens Irrthümer mit eigenem Untergange büßen; wer aber mehr zu geben hat als heißes Blut und bethörtes Empfinden, der wird aus Irrthümern sich erheben, sie von sich schleudern können.

Was sagen Sie da! rief Eugen, indem er die Hand nach ihr ausstreckte.

Ich sage, erwiederte sie lächelnd, daß die Hand, welche ich Ihnen reiche, zu einem Wesen gehört, das fest entschlossen ist, so glücklich zu werden, als es vermag, und darum sich vor Täuschungen bewahrt.

O! Sie verdienen das reichste, das höchste Glück, theure Diana, sagte Eugen. Nur ein Mann, dessen Seele ganz erfüllt ist von den Schätzen, die eines Königs Haus zieren würden, darf um Ihre Liebe werben.

Meine Liebe! rief die Gräfin den Kopf schüttelnd. Ich bin gar nicht romantisch oder ehrgeizig, um höher zu streben, als mir zukommt; aber der Mann, welcher mich liebt, muß geistig frei und mir verwandt sein im Wollen und im Trachten. Seine Seele muß mir gehören, ich muß wissen, daß er mich nicht niederzieht, und daß wir beide uns nicht verderben.

Eugen schwieg, er hielt Dianas Hand noch fest und blickte sie mit heißen Blicken an. Die Abendsonne überstrahlte ihr Gesicht, das ihm lächelnd zugewandt war.

Das ist ein hoher Preis, rief er endlich aus, es ist unmöglich, nicht darum zu ringen.

Ich gebe Ihnen die Erlaubniß dazu, sagte sie, aber wohin sind wir gerathen?! – Eine Sonne geht unter, die andere geht auf. Der aufgebenden Sonne entgegen, lieber Eugen! Lassen Sie uns ins sichere Haus zurückkehren; morgen am hellen Tage wollen wir weiter berathen, was uns nöthig ist.

Mit diesen Worten wandte sie rasch ihr Pferd, aber sich reichte Eugen nochmals die Hand, die er mit Küssen bedeckte, und ihre Stimme klang so süß, der Name Eugen kam so oft über ihre Lippen, in ihren Augen lag Etwas, das ihn immer neu heiß anfaßte und beseligende Gewißheit gab.

Als sie das Haus erreichten, war es Abend geworden, und nie war Gräfin Diana so fröhlich und geistig erregt gewesen. – Ihre Stimme war noch klingender und lieblicher, ihre stolze Gestalt schwebte leicht durch die Zimmer. Ein strahlendes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, scherzende übermüthige Worte sprudelten von ihren Lippen.

Beim Abschied sagte sie: Morgen wird ein schöner Tag werden. Wenn Sie früh aufstehen wollen, Herr von Werder, sollen Sie mich bereit finden, mit Ihnen zu wandern, wohin uns der Geist treibt.

Ein leiser Druck der Hand begleitete ihre Worte und Eugen fühlte ihn noch elektrisch zucken, als er von Ortenstein, nachdem beide allein waren, angefaßt und mit scheinbarer Entrüstung betrachtet wurde.

Ich bin empört über Dich, rief der Baron. Heraus mit der Sprache, wie weit bist Du mit ihr? – Was schüttelst Du Dein weises Haupt? Ich sehe alle Zeichen meines Verderbens in Deinen Blicken. Einen ganzen Monat bin ich hier umhergelaufen, habe den Hund gekämmt, die Noten umgedreht, Ecarté gespielt, Leben und Gesundheit in die Schanze geschlagen, und Alles umsonst. – Sie liebt Dich!

Sie liebt mich – und ich! sagte Eugen mit beiden Händen seinen Kopf haltend.

Du liebst sie wie ein Narr, wie ein Besessener! fiel Ortenstein ein; was soll daraus werden?

Was kann ich thun? murmelte Eugen vor sich hin.

Ortenstein lachte laut auf. – Alles oder nichts, Du Ritter von der traurigen Gestalt. Wer heißt Dich hier die Hand nach verbotenem Gut ausstrecken? Hast Du es aber gewagt, nun dann – so habe auch den Muth zu besitzen oder zu verlieren. – Deine kleine Frau, haha! Eva!

Sprich den Namen nicht aus, stöhnte Eugen heftig. Ortenstein, wenn Du mein Freund bist, rathe mir, – ich bin entsetzlich elend!

Elend, wo das schönste, reichste Mädchen Liebe in jeder Fingerspitze für Dich hat, sagte der Baron. – Wirf Dich morgen ihr zu Füßen, sage ihr, ich kann nicht leben ohne Dich, aber erst muß ein kleiner Irrthum berichtigt werden, der mir zufällig passirt ist.

Nein, nein! rief Eugen, es ist unmöglich, ich kann nicht.

Gut, so sage ihr nichts. Wirf Dich in ihre Arme und vergiß darin den ganzen albernen Spaß.

Du willst mich verhöhnen, schrie Eugen mit erstickter Stimme. Es ist Ernst, grausamer qualvoller Ernst, an dem ich untergehen muß.

Wie Du willst, erwiederte der Baron gelassen, es liegt Alles in Deiner Hand. – Sei verständig, und es ist kein Grund zum Verzweifeln da. – Du willst, es soll hier für jetzt von Deiner abentheuerlichen Heirathsgeschichte nichts verlauten, und kannst Recht darin haben, obwohl ich eigentlich nicht einsehe, warum Du sie, hochherzig und ritterlich aufgefaßt, nicht in der nächsten süßen Stunde erzählen willst. Das romantische Licht wird Dir nicht schaden, und Comtesse Diana ist zu aufgeklärt, um nicht leicht darüber fortzukommen.

Fortkommen! – Mein Gott! sagte Eugen, wie kann sie darüber fortkommen? Ich habe eine Frau.

O! Possen, lachte Ortenstein. Deine ganze Ehe ist ungültig, sobald Du willst. Alle Tage kann sie aufgelöst, der elende Priester, der sich dazu hergab, bestraft werden. Das kann Alles, Gott sei Dank! in der Stille bei uns geschehen; die Verhältnisse liegen so günstig dazu, wie sie liegen können. Der alte Hauptmann ist ruhig zu machen, das Mädchen bekommt ein Stück Geld, ihren Adam, den Fischerbuben obenein, und höchst angenehm und natürlich löst sich in einigen Wochen Alles bei Deiner kleinen Eva, wie ein Traum der Scheherazade auf.

Ueberlege das, Eugen, fuhr er gähnend fort, und umneble Dich nicht mit Hirngespinnsten. Ein klein wenig kalter praktischer Verstand hilft aus dieser ganzen Verwirrung. Du wirst daran denken und künftig klüger sein. Morgen früh erhebe Dich als Endymion In der griechischen Mythologie der schöne und ewig jugendliche Liebhaber der Mondgöttin Selene, die später mit Artemis (römisch Diana) gleichgesetzt wurde. – Anm.d.Hrsg., sinke in die Arme dieser keuschen Diana und genieße ein Glück, das noch keinem Gotte und keinem Sterblichen zu Theil wurde. – Ich verzeihe Dir, alles Uebrige wird sich finden. Baue auf Deine Freunde.

Eugen blieb sitzen, er war in fieberhafter Glut. Bald war es ihm, als hätte der böse Geist Recht, der ihm Ortensteins Rathschläge geschäftig wiederholte und ausspann, bald legte sich eine ungeheure Gewalt auf seine Brust und eine Donnerstimme rief ihm zu, daß es sich darum handle, ehrenvoll zu leben oder auf immer gebrandmarkt. Je länger er nachdachte, um so unlöslicher schien ihm der Knoten. Das Licht brannte nieder und erlosch, und vor seinen heißen Augen schwebte Eva, bleich und traurig. Die Hände zu ihm aufgehoben, kniete sie am Rande des alten Thurmes, und über ihr schwebte das rothe, finstere Gesicht ihres Vaters.

Nein! rief er entsetzt aufspringend, seine kalte, nasse Stirn trocknend, nein und tausend Mal nein!

Er stand in der Mitte des Zimmers, Alles war lautlos still. Leise öffnete er das Fenster und sah in den nächtlichen Himmel hinauf, der mit hellen Sternen, wie mit zahllosen Augen, ihn anblickte.

Plötzlich hörte er Ortensteins Stimme, die ihn erschreckte. Er irrte nicht, es war der Baron, den er im tiefen Schlaf glaubte, welcher aber jetzt den breiten Gang des Gartens heraufkam und am Hause hinging. Er war nicht allein, denn er sprach und lachte mit seinem Begleiter, und schon in der nächsten Minute wußte Eugen, daß seine Ahnung ihn nicht täuschte.

Reden Sie leise, Ortenstein, sagte Diana, als sie nahe waren.

Bah, erwiederte der Baron, er schläft und träumt von Ihnen. Ich habe, wie ich denke, ihm den süßesten Trank gereicht, der ihm kredenzt werden konnte. Morgen werden Sie die Wirkung spüren.

Armer Eugen! flüsterte Diana aufblickend. Er hat Recht, ich darf seine Verirrungen nicht eher erfahren, bis wir beide darüber lachen können. Er bereut, das ist mir genug.

Er bereut in Sack und Asche, lachte Ortenstein.

Ich will ihn dafür von jedem Flecken rein waschen, sagte sie. Meiner Liebe soll er sein neues Leben danken. – Ich weiß nicht, Ortenstein, was mich mehr beglückt. Ich habe keinen Haß gegen das arme Geschöpf, das ihn mir nehmen wollte, aber wenn ich denke, daß Cäcilie in mir seit Jahren den Gedanken befestigte, er müsse der sein, den ich wählen würde, dann scheint es mir ein höheres Werk, ihn aus den Schlingen seines kummervollen Untergangs zu erlösen.

Sie rechtfertigen sich ohne Noth, theure Gräfin, sagte der Baron. Vollenden Sie morgen Ihr samaritisches Werk. Gießen Sie Oel in seine Wunden, diese werden unter Ihren Händen heilen. Mit dem Mädchen wollen wir säuberlich verfahren. Das Herz wird ihr nicht brechen, dafür ist gesorgt.

Machen Sie mit ihr was Sie wollen, und nun, gute Nacht!

Morgen, flüsterte Ortenstein, wird Eugen diese süßen Finger küssen, und wenn er nicht ewig Ihr dankbarer Sclave bleibt, verdient er seiner Eva wieder ausgeliefert zu werden.

Nennen Sie den Namen nicht mehr, mir graut vor ihm, rief die Gräfin. Fort mit ihm auf immer, er ist widerlich zu denken.

Eugen hatte Alles gehört. Er stand noch auf derselben Stelle, als er draußen den Baron leise durch den Saal gehen hörte. – Alle gegen dies arme Kind, rief er endlich, und es hat nichts als mich; ich bin auf Gottes weiter Erde sein einziger Beschützer.

 

Als der erste Schein des Morgens kam, stand er auf und leise wie ein Verbrecher schlich er die Treppe hinunter, öffnete das Haus und eilte fort. Er hatte eine gute Stunde zu gehen, um das nächste Posthaus zu erreichen. – Er forderte Extrapost und schrieb während dessen einen kurzen Brief an die Gräfin.

Eine plötzliche, wichtige Nachricht, die er gestern erhalten, schrieb er, habe ihn gezwungen, sogleich abzureisen. Er habe nicht Abschied nehmen wollen, um sich den Schmerz des Abschiedes zu ersparen. Was er zurückgelassen, empfehle er Ortenstein, in der nächsten Zeit aber werde er selbst umständlicher seine Verzeihung nachsuchen.

Und während sein Wagen rasch mit ihm weiter eilte, brachte ein reitender Bote diesen Brief nach Grünau und gab denselben in Dianas Hände, welche so eben, heiter wie der junge Morgen, an der Thür erschien. Hastig brach sie das Schreiben auf und las es. Ohne daß das Lächeln aus ihrem Gesicht verschwand, faltete sie es zusammen und setzte ihren Spaziergang fort.

Nach einer Stunde kehrte sie zurück; Ortenstein kam ihr entgegen. –

Wo ist er denn? fragte er. Wo haben Sie ihn gelassen?

Lesen Sie, sagte die Gräfin, indem sie ihm den Brief reichte.

Er ist davon gelaufen! schrie der Baron, ich habe es beinahe gedacht. Ich war in seinem Zimmer, das Bett ist unberührt, das Fenster offen.

Er hat uns gehört, sagte Diana. Wir müssen uns trösten.

Und wir können uns trösten, erwiederte Ortenstein lächelnd, es ist nicht das Geringste verloren. – Er will sich Ueberzeugung verschaffen, will eine letzte Anstrengung machen, lassen wir ihm das Vergnügen. Ich kann mir denken, was er sich ausgesonnen, aber reuevoll wird er wiederkehren und Sie werden ihm verzeihen.

Er geht nach Wiesbaden, sagte sie.

Ganz gewiß, nach Wiesbaden.

Ihre Lippen zuckten verächtlich.

Lassen Sie ihn, theuerste Freundin, bat der Baron, nichts kann besser sein. Er muß den Unterschied kennen lernen, wissen was Himmel und Hölle ist.

Meine Mutter wird uns erwarten, sagte Diana nach einem kurzen Schweigen. Sagen Sie ihr, daß er reisen mußte; lügen Sie, Ortenstein. Scham über mich, daß ich mit Ihnen lügen muß, und dennoch will ich ihn nicht aufgeben.


10.

Eugen reiste schnell. Er blieb nur zwei Tage in der Hauptstadt, aber er wandte sie nach allen Seiten an, um, was er beabsichtigte, völlig zu ordnen; dann verschwand er plötzlich und war am Ende der Woche in Wiesbaden.

In dem Augenblick, wo er aus dem Wagen stieg, rollte ein prächtiger Phaeton die Straße herunter. Zwei Damen saßen darin, ein junger schöner Mann lenkte die Mohrenköpfe, welche pfeilschnell vorüber flogen. – Alles war das Werk einer Minute, aber Eugen hatte genug gesehen. Er hatte seine Schwester erkannt, hatte einen Blick auf die junge schlanke Gestalt an ihrer Seite geworfen, und er stand, wie von einem Traum ergriffen – es konnte nicht anders sein, er hatte Eva erblickt.

Waldenau wollte sie durchaus noch einmal nach Bieberich fahren, sagte eine Stimme hinter ihm. Mag er sehen, wie weit er kommt; die Pferde sind excellent, Nachmittag wollen wir nach dem Sonnenstein.

Er will fort? fragte eine andere Stimme.

Wir wollen Alle fort, ich habe es satt hier.

Nun, die Bank wird nicht böse darüber sein.

Hole der Henker die Bank! Ich wäre artig gerupft fortgegangen, hätte Waldenau mich in den letzten Tagen nicht herausgerissen.

Er hat enormes Glück, sagte die andere Stimme.

Eugen drehte sich um, es war sein Schwager, der eben antwortete:

Es ist überhaupt ein Lion, wie er sein soll, und nobel dabei – All' ihr Heiligen! Eugen, so wahr ich lebe!

Eine Ueberraschung, Walny, erwiederte Eugen.

Also doppelt willkommen, rief der Baron. – Raum hast Du nicht bei uns, wir wohnen beschränkt und übermorgen wollen wir fort, aber da drüben wohnt Waldenau, bei ihm kannst Du unterkommen, und Deinetwegen geben wir noch ein paar Tage zu.

Ich habe meine Bestimmung schon getroffen, erwiederte Eugen abwehrend.

Wie Du willst, aber mache keine Umstände. Waldenau macht sich ein Vergnügen daraus, Dich aufzunehmen; oder wenn Du nicht willst, giebt es zwei Zimmer neben den seinen, die Du haben kannst. – Geschwind, wo sind Deine Habseligkeiten, hier muß man rasch zufassen.

Er ließ das Gepäck von einem Diener aufnehmen und zog Eugen mit sich fort. Nach einigen Minuten befand sich dieser in einem eleganten Hause und im Besitz der beiden Zimmer.

Nach einigen raschen Fragen sagte Walny:

Cäcilie ist mit Waldenau und Fräulein Hausberg auf einer Morgentour begriffen; sie wird entzückt sein, Dich zu sehen.

Eva! erwiederte Eugen sich rasch umwendend.

Du kennst ja unsern kleinen Schmetterling, lachte sein Schwager. Cäcilie hat Dir von ihr geschrieben, Du hast sie ihr empfohlen. Auf Ehre! Eugen, das ist ein gefährliches Kind; ich habe meine Freude, wie ihm die Flügel wachsen. Eine geniale Natur, einzig in ihrer Art, wie von Luft und Licht gewebt, empfänglich und eine Leidenschaft dabei, die das kälteste Herz verbrennen kann.

Ich werde sie sehen, erwiederte Eugen sich zum Fenster kehrend.

Du wirst sie sehen, wiederholte Walny, hoffentlich schon zu Mittag, Waldenau versäumt das Spiel nicht und Eva hat was von ihm gelernt; sie spielt nach seinen Regeln und hat Glück; Zweihundert Louisdor hat sie in den letzten Tagen gewonnen.

Eugen wandte sich rasch und erschreckend um, Walny lachte laut auf.

Wir spielen Alle, sagte er, und unsere Kasse hat sich trefflich gefüllt, seit Waldenau bei uns ist. Unsere Reise über Brüssel und Paris nach Haus wird uns keinen Pfennig kosten. Man muß die Gimpel bezahlen lassen, sagt Waldenau sehr richtig. Doch jetzt, Eugen, mach Deine Morgentoilette und begleite mich auf die Promenade; ich will Dich vorläufig bekannt machen, Cäcilie mag dann das Uebrige thun. Um zwölf Uhr gehen wir an die Roulette, hoffentlich finden wir Waldenau und Eva.

Eugen gehorchte, Walny schleppte ihn überall hin, um ihm Neues zu zeigen und seinen zahlreichen Bekannten vorzustellen. Dazwischen erzählte er pikante Geschichten von verschiedenen Damen, rühmte sich allerlei Abentheuer, versprach Eugen glückliche Tage und spöttelte über sein ernsthaftes Gesicht.

Ich mische mich nicht in Deine Geschichten, Eugen, sagte er dann, doch was ich gehört habe von Deiner Partie mit Diana Arnheim, freut mich aufrichtig, nur mußt Du bei Zeiten Deinen Plan machen und Dich nicht stören lassen. – Diana ist für das Anschauen vortrefflich; Dein Haus kann nicht besser versorgt sein. Bildung, Geist, Feinheit des Umganges, alle Talente, die einen Mann stolz machen können und beneidungswerth erscheinen lassen, muß man an ihr bewundern; aber neben solchen Frauen, denen die Leidenschaft fehlt, geht es etwas nüchtern her, und diesen Mangel muß man sich ersetzen. Man heirathet eine Dame, allein man verkauft sich nicht etwa und läßt sich die Augen ausstechen. Du wirst die kleine Eva wiedersehen, aber sie nicht wieder erkennen. Das ist ein Götterkind, bei der Du Ersatz suchen könntest, leider nur kommst Du zu spät. Waldenau hat sie in Beschlag genommen und läßt keinem Anderen etwas übrig.

Es kommt darauf an, erwiederte Eugen spöttisch.

Allerdings, rief Walny, Du siehst in diesem Augenblick so feurig wie der Kriegsgott aus. Aber nimm Dich in Acht, Eugen, Waldenau ist ein Hitzkopf, jeder Zoll ein Ritter. Er ist teufelmäßig mit dem Pistol bei der Hand, und ist ein Schütz, wie er selten zu finden ist.

Ich denke nicht, daß er solche Proben seiner Ritterlichkeit gegen mich nöthig haben wird. Aber wer ist der Waldenau, von dem ich 10 Vieles hören muß?

Er ist durch sein glückliches Spiel reich geworden, fuhr Walny fort. Ich meinte, der Mann würde Dir nicht ganz fremd sein, da er ein Vetter Ortensteins ist, was ihn mit uns bekannt machte.

Ich glaube allerdings schon von ihm gehört zu haben.

Solche Spieler, gewissermaßen von Profession, sind immer wild leidenschaftlich und der verwegensten Entschlüsse fähig, sagte Walny.

Ich würde mich sehr besinnen, mich in solchen Umgang zu begeben, sagte Eugen stolz.

Du willst mir doch keinen Vorwurf machen? rief sein Schwager. Waldenau ist durchaus untadelhaft, ein Cavalier, der überall Zutritt hat. Er spielt alle Tage eine Stunde und spielt mit entschiedenem Glück, das ist Alles, was auf ihn fällt. Aber Prinzen und Fürsten spielen eben so wie er, nur daß sie meist verlieren, während er gewinnt; das ist der ganze Unterschied. – Er wird Dir gefallen, wie er Jedem gefällt und den Damen vor Allen. Man kann sich keine schönere Gestalt, keine schönere Sitte, keine gewinnendere Galanterie denken. – Grau, theurer Freund, ist alle Theorie So Mephistopheles zum Schüler in Goethes »Faust«. – Anm.d.Hrsg.. Wenn Du bei Deiner Diana bist, so moralisire, hier lebe und genieße, und laß Jedem das Seine.

Damit bin ich zufrieden, sagte Eugen lächelnd. Jedem das Seine, das wird uns von Staatswegen gelehrt.

Und nun komm, lachte Walny, und versuche Dein Glück gegen ihn, wenn Du willst, denn wenn ich nicht irre, geht er dort in den Cursaal und Eva schwebt an seinem Arm.

Sie traten in den Saal, wo das Spiel im vollen Gange war. –

Da Cäcilie nicht hier ist, sagte Eugen, so laß mich ganz unbeachtet bis zur passenden Zeit.

Walny nickte ihm zu und drängte sich durch den Kreis, der die Roulette dicht umgab. Eugen suchte die entgegengesetzte Seite; er richtete seine Augen auf den schlanken großen Herrn, der seines Schwagers Fragen verbindlich zu beantworten schien, und beide beschäftigten sich dann mit der jungen Dame, die dicht am grünen Tische saß und mit vielem Eifer in einem Pointirbüchelchen mit der Nadel die Treffer zählte. Sie hatte den Kopf niedergebeugt, er war in einen feinen Basthut versteckt; plötzlich aber hob sie das Gesicht auf, und Eugens verzehrende Blicke irrten über diese rosigen kindlichen Züge. Es war Eva, es war ihr leuchtend blaues unschuldiges Augenpaar, aber welche Veränderung war in wenigen Monaten mit ihr vorgegangen! – Sie schien größer zu sein, ausgebildeter an Leib und Seele; ihre Formen bestimmter, der Ausdruck bewußter, ihr Blick schärfer, ihr Lächeln so hinreißend lieblich, wie es je gewesen und die schmale, kleine Hand so weiß und zart, als hätte sie nie in Sonnenhitze gearbeitet.

Sie bog sich empor, um mit dem Herrn zu sprechen, der ihr lachende Worte zuflüsterte, und welcher kein anderer sein konnte, als der Glücksritter Waldenau.

Unverwandt starrte Eugen hinüber, das Blut drängte sich in seinen Kopf, er glaubte, sie müsse seine Nähe ahnen; aber sie lachte muthwillig weiter, und plötzlich streckte Waldenau seine Hand aus, die eine Anzahl Goldstücke hielt, und warf sie auf Roth, während er Eva zunickte, dasselbe zu thun.

Sie befolgte den Wink und gleich darauf war das Gold verloren. Beide lachten mit Walny und wiederholten das Spiel mit demselben schlechten Erfolg. Ein halbes Dutzend Sätze gingen hinter einander fort; Eugen sah die Aufmerksamkeit sich auf Waldenau richten, der verächtlich mit den Lippen zuckte und Eva zu trösten schien, die ihr seidenes Geldbeutelchen ausleerte.

Das ist selten bei dem, sagte ein Nachbar Eugens. Er hat heut entschiedenes Unglück.

Um so mehr Glück winkt ihm an seiner Seite, lachte ein Nebenstehender; Glück in der Liebe und Glück im Spiel sind unvereinbar.

Eine Frage denn an das Schicksal, murmelte Eugen vor sich hin, indem er seine Börse zog und zu setzen begann.

Ohne alle Aufmerksamkeit auf das Spiel warf er sein Geld hin, aber Zug um Zug war es ihm günstig. Er erhöhte und verdoppelte seine Sätze, der Zufall war ihm immer gewogen. Ein Goldhaufen lag vor ihm, man beachtete und betrachtete ihn; Waldenau sah ihn scharf an, ihre Blicke trafen sich starr und fragend, dann neigte sich jener zu Walny hin und sagte ihm etwas, was der Baron belachte, bis dieser dann zu Eva gewendet, welche immer wieder in ihrem Buche zählte, sie aufmerksam zu machen wußte. –

Sie sah über die lange Tafel fort nach der anderen Seite hin und wie emporgeschnellt von jäher Freude stand sie auf, um sich sogleich wieder niederzusetzen. – Mitten in dem Gewühl, das den Tisch umgab, in dem Gespräch, das in zehn Sprachen geführt wurde, in dem Klingen des gewonnenen und verlorenen Goldes, in dem Scharren der geschäftigen Groupierstöcke und dem eintönigen Rufe des Bankiers, ging ihre heftige Bewegung ganz unbemerkt vorüber, und die Blässe, welche der glühenden Röthe ihres Gesichts folgte, wurde vielleicht von Niemandem gesehen, als von Eugen.

Aber dies erbleichende Gesicht lächelte, die Augen funkelten darin wie Freudensonnen. Sie streckte den Arm einen Augenblick aus, als wollte sie ihn ergreifen, und zog ihn schnell wieder zurück, weil sie sich besann, oder weil Eugen bedeutungsvoll den Finger auf den Mund legte.

Noch ein halbes Dutzend Mal rollte die verhängnißvolle Kugel, dann hörte das Spiel auf. Eugen hatte Mühe, seinen bedeutenden Gewinn zu bergen, und während er noch damit beschäftigt war, faßte ihn Walny am Arm und rief ihm frohgelaunt zu:

Das nenn ich einen Anfang machen. Die Taschen voll Gold und Bankzettel und der Bankier voll Aerger; wer hätte das von Dir geglaubt!

Eugen sah sich um; hinter Walny stand Waldenau, der Eva führte.

Zum ersten Male in meinem Leben habe ich das Glück des Spieles versucht, sagte er lächelnd, und sobald wird es nicht wieder geschehen.

Das wäre Verbrechen an Dir selbst, erwiederte der Baron, denn allem Anschein nach gehörst Du zu den Auserwählten, denen die spröde Frau Fortuna sich bereitwillig in die Arme wirft. – Mein Schwager, Eugen, ist Ihnen ein würdiger Rival, lieber Waldenau, fuhr er fort, ich muß die beiden Nebenbuhler um die Gunst der schönsten Frau gleich hier bekannt' machen, mögen sie ihren Wettkampf dann glorreich beginnen.

Einer kann nur Sieger bleiben, sagte Eugen sich verbeugend.

Und ein Tag entscheidet nichts, fügte Waldenau hinzu.

Fräulein Eva Hausberg, fiel Walny ein, Sie kennen meinen Schwager schon.

Ich hoffe, Sie haben mich nicht vergessen, sagte Eugen rasch, indem er dicht an Eva trat und ihr die Hand reichte. Als wir uns zum letzten Male sahen, geschah es freilich unter ganz anderen Umständen, doch immer waren meine Wünsche dieselben und meine ergebene Theilnahme unverändert.

O! Herr Eugen, rief Eva glühend roth, und wie von ihren Gedanken bewältigt, wissen Sie noch, damals, als wir am Thurm saßen und dann – und dann!

Fort mit der blassen Vergangenheit! rief Walny. Der Saal wird leer. Nachmittag wollen wir nach dem Sonnenstein. Da können Sie wieder mit ihm an einem alten Thurm sitzen und Geister beschwören, Fräulein Eva.

Waldenau führte das Fräulein fort, Eugen folgte mit seinem Schwager; mitten auf der Promenade aber erblickten sie Cäcilie, die an Ortensteins Arm ihnen entgegen kam.

Schickt der Himmel uns alle seine Heiligen! rief Walny lachend, als er den Baron erblickte. Der fehlte uns noch. Du hast ihn heimlich mitgebracht, Eugen.

Eugen schwieg, er war von dem plötzlichen Erscheinen des Barons weit mehr überrascht und tiefer getroffen, als Alle. – Seine Schwester war im so lebhaften Anhören dessen, was Ortenstein ihr mittheilte, daß sie nicht aufsah. Er zweifelte nicht, daß es seine Geschichte sei, die ihr erzählt wurde, und ingrimmig blickte er auf den Verräther, den er gern durch irgend ein Mittel verwünscht oder vernichtet hätte.

Aber es war und blieb der immer lächelnde, immer heitere und duftende Ortenstein, der jetzt seine gelblackirten Hände ausstreckte, Walny umarmte, Waldenau umarmte, Eugen umarmte, mit einigen Witzworten sich nach allen, Seiten wandte, und mit einer Reihe lustiger Bemerkungen seine Sommerreise charakterisirte.

Cäcilie hatte inzwischen sich mit ihrem Bruder verständigt und seinen Arm genommen, während der Baron seine Begleiter unterhielt. –

Du kommst unvermuthet, aber sehr willkommen, Eugen, sagte sie. Ich nehme an, daß Dich die Ungeduld zu uns getrieben hat.

Du wirst es verzeihlich finden, wenn ich die aufsuche, welche ein unlösliches Band mit mir verbindet.

Verliere kein Wort darüber, erwiederte Frau von Walny, Du liebst und Liebe ist ungeduldig. – Eva ist unsäglich liebenswürdig, sie bezaubert Jeden, der ihr näher kommt, mein ganzes Herz hat sie gewonnen. In den wenigen Monaten hat ihr scharfer Verstand ihre ganze Lage begriffen; sie weiß genau den Maßstab für ihre Vergangenheit zu finden, und mit natürlicher Schlauheit berechnet sie die Zukunft.

Ich werde ihr diese nicht ganz in der Weise öffnen können, wie Du es gethan hast, sagte Eugen.

Sie ist gelehrig und wird lernen, erwiederte die Baronin lächelnd, Du hast hier Zeit, Dich mit ihr zu verständigen. In Bädern geht Alles rasch, es wird selbst nicht auffallend sein, wenn Eva nach einigen Tagen als Deine Versprochene bekannt wird. Wir gehen dann nach Spaa und weiter nach Brüssel. Du begleitest uns, und ehe wir zurückkehren, schreibst Du den Eltern Deinen Entschluß, und bekennst vorläufig, was Du für gut hältst.

Alles, sagte Eugen.

Nun gut, Alles, lieber Eugen. Ich sehe Dein Auge hell werden und von Deiner Stirn die Wolken verschwinden. – Spiele Deine Komödie gut und sei ein zärtlicher und feuriger Verehrer, aber auch ein besonnener. Du hast Talent darin bewiesen.

Ortenstein hat Dir wahrscheinlich von den Proben meiner Besonnenheit erzählt, sagte er erröthend.

Du hast das Hasenpanier ergriffen, lachte Cäcilie, ja das hat er mir erzählt, aber er hat Dich darum gelobt, und ich thue es ebenfalls, denn nachdem Du gewählt hattest, war es das Beste, was Du thun konntest. – Jetzt erobere Deine Eva zum zweiten Male und dann sei mit ihr so glücklich, daß Du Alles vergessen kannst, was Du ausgeschlagen hast.

Die heitere Stimmung, welche Ortenstein erweckt hatte, belebte das gemeinsame luxuriöse Mahl, das erst nach mehren Stunden sein Ende erreichte. – Ortenstein erzählte viel und Eugen schien wenige Aufmerksamkeit für Eva zu haben, mit der sich Waldenau auch jetzt zumeist beschäftigte. Sie saß Eugen gegenüber, der nur zuweilen einige freundliche Worte an sie richtete, und die Befangenheit, mit welcher sie ersichtlich kämpfte, durch seine heiteren Blicke und seine Fröhlichkeit zu verscheuchen suchte.

Waldenau's eleganter Wagen wartete, und seine englischen Pferde boten wiederum Anlaß zu manchen bewundernden Aeußerungen. Waldenau fuhr selbst, die Gesellschaft konnte daher ungestört sich über ihn auslassen.

Er führt ein interessantes Leben, sagte Ortenstein, man kann es beneidenswerth finden. Vor wenigen Monaten war er arm, plötzlich in einer Nacht gewann er von einem Gutsbesitzer zwölftausend Thaler und kurzweg nahm er den Abschied, um jetzt vielleicht zehnmal so viel in der Tasche zu haben.

Aber wie gewonnen so zerronnen, warf Cäcilie lächelnd ein.

Fehlgeschlossen, erwiederte Ortenstein; Waldenau weiß sehr gut, was er thut. Er will Güter kaufen, sein Geld anlegen und verwerthen. Er hat ein reizendes Schloß, wie er mir erzählte, im Sinn, das ihm angeboten wurde. Dort wird er ausruhen, wenn er allein sein will, umringt von Genüssen, die man auf der Höhe des Lebens mit Geschmack um sich ausstreut. Im Sommer wird er reisen, Bäder besuchen, abwechselnd in Paris oder Wien, oder wo es ihm gefällt, den Winter zubringen. Ich weiß nicht, wie ein gebildetes Glied der menschlichen Gesellschaft angenehmer und süßer den Frühling seines Daseins hinbringen kann.

Walny stimmte ihm bei, die Pferde flogen dem Sonnenstein zu. Endlich lag die schöne Ruine vor ihnen, wo andere Gesellschaft angetroffen wurde und bald ein ganzer Kreis von Bekannten sich zu gemeinsamer Unterhaltung und zu Spaziergängen vereinigte.

Und hier war es, wo Eugen endlich die ersehnte Gelegenheit fand, Eva unbemerkt an sein Herz zu ziehen und sie mit seinen Küssen zu bedecken.

Meine Eva, meine Geliebte! rief er, wie habe ich nach diesem Augenblick verlangt, um Dir endlich sagen zu können, daß ich gekommen bin, um mich nie wieder von Dir zu trennen.

Man kommt, man sucht uns, flüsterte Eva ängstlich.

Nein, sagte er, Alle gehen dort hinab nach dem Grunde; sie glauben uns voraus. Setze Dich her zu mir, und sage mir, daß Du glücklich bist.

O! Alle sind gütig gegen mich, Alle lieben mich, erwiederte sie, und Dir allein muß ich es danken, denn ohne Dich – ich weiß es ja – ohne Dich wäre ich noch in Dürftigkeit und Unwissenheit, so roh und gemein, daß ich davor erschrecke.

Und doch warst Du in Deiner unschuldsvollen Armuth so schön und lieb, wie ein lichter Engel, erwiederte Eugen. Deine Augen haben das süße Nichtwissen, was sie wollen, verloren, meine kleine Frau, aber wenn sie vom Baume der Erkenntniß Dich kosten ließen, wird Dein Herz doch geblieben sein, was es war. Es ist mein, nicht wahr, Eva?

Dein, flüsterte sie erröthend, als seine brennenden Blicke auf ihr ruhten.

Er erzählte ihr hastig Vieles, auch was er mit seiner Schwester gesprochen.

Ich mußte kommen, fuhr er dann fort, weil ich Dich nicht länger missen will und meine Ehre mir sagt, daß es hohe Zeit sei, Dich vor aller Welt offen als meine Frau anzuerkennen. Vielleicht ist es dabei nicht einmal gut, daß ich Cäciliens Rath annehme und in die Rolle Deines Verlobten mich hineinzwänge; oder willst Du, meine kleine Eva, daß ich mit Nebenbuhlern mich abkämpfe, und, wie Cäcilie sagt, Dich noch einmal mit Bewußtsein wählen lasse?

Er schloß sie fester in seine Arme und fuhr dann fort:

Ich werde immer Dein Geliebter sein, immer um Deine Gunst werben; aber wahrlich, ich sollte es kurz machen, sollte Dich und mich nicht erst nach Brüssel und Paris schleppen lassen, um endlich zu meinen alten Eltern zu kommen und ihnen zu sagen, was ich längst hätte sagen sollen: Da habt ihr eure Tochter!

Deine Schwester, sagte Eva mit ungewissen Blicken, wünscht das nicht.

Und Du, Eva? fragte er.

Ich denke, erwiederte sie, es wird gut sein, wenn wir thun, was sie uns räth.

Eugen schwieg, er sah nachdenkend vor sich hin. Wohl, sagte er endlich, und der starre Blick, welcher Eva früher schon so oft erschreckt hatte, verwandelte die Freundlichkeit seines Gesichts; ich werde es einige Tage über bedenken und dann entscheiden, was ich für das Passendste halte.

Seine Worte schnitten tief ein. Sie ließ den Kopf sinken und zog die leise zitternde Hand zurück. –

Du zürnst mir doch nicht, kleine Eva? sagte er gewaltsam lächelnd und so sanft er es vermochte. – Mit dem väterlichen Tone, den er ehemals angenommen, fügte er dann hinzu: Ich habe Alles vorbereitet zu unserer stillen Häuslichkeit. – Den Garten, wo wir unsere geheimnisvollen Flitterwochen verlebten, habe ich gekauft. Er wurde mir angeboten von der Besitzerin, jetzt lasse ich das Haus nach meinem bescheidenen Geschmack einrichten, aber es wird Dir gefallen, liebe Eva.

Es ist sehr einsam da, erwiederte sie halblaut, die Blumen und Grashalme zerpflückend, welche über der Bank wuchsen, auf welcher sie saßen.

Einsam ist es wohl, fuhr Eugen unangenehm berührt von diesem Einspruche fort, aber ein Künstlerleben, wie ich es führen will und muß, verträgt den lauten Lärm nicht. – Und habe ich Dich denn nicht, hast Du mich denn nicht? fragte er wärmer. Ist Dir denn wohl hier in dem wüsten Gewirr der Menschen, die für nichts leben, als für den hohlsten Müßiggang, in deren ausgedörrten Adern nichts sich regt, als die Gier nach Sinnenlust, kein einziger besserer edlerer Gedanke. – Nein, meine kleine Frau, es ist hohe Zeit, Dich ihnen zu entreißen. – Ich habe das Erbe meiner Tante flüssig gemacht, Dir und mir das kleine Eigenthum gesichert; es bleibt uns jedenfalls so viel, um genügsam und sparsam auszukommen, selbst mein Vater soll nicht sagen, daß er mich unterstützen müßte. – Meine Arbeiten werden ihren Lohn finden, was wir brauchen, werden meine Hände erwerben, und zurückgezogen in unsere Einsamkeit, wird es uns doch nicht an einigen Freunden fehlen. – O! ich sehne mich sehr danach, in meinem alten Paletot wieder ohne Zwang umherzulaufen, und wohlbehalten hängt Dein hochzeitliches Cattunkleid schon in meinem Schranke neben der wundervollen Staatsrobe, die wir dem Juden Meyer abkauften.

Er lachte vergnügt auf, aber Evas Lippen zwangen sich vergebens, es ihm gleich zu thun. –

In diesem Augenblicke hörten sie nicht weit von sich zwischen dem Gebüsche laute Stimmen, und Eva sprang erschreckt von der Bank, als sie Waldenau erkannte, der mit Ortenstein sich ihnen näherte.

Wir haben Sie gesucht, sagte der Baron, in der Ruine, in allen Klüften und Trümmern der Vergangenheit, und da sitzen die Flüchtlinge einsiedlerisch mitten im Gestrüpp.

Ohne alle Aussicht, fiel Waldenau ein.

Vielleicht thaten wir es der Einsicht wegen, erwiederte Eugen, indem er Eva weiter führte, eben als Waldenau Miene machte, ihr den Arm zu bieten.

Der schüchterne, verstörte Blick des jungen Mädchen schien eine Klage zu enthalten; Waldenau nahm ihr lächelnd das Tuch und sagte:

Etwas muß ich als Pfand von Ihnen darauf haben, Fräulein Hausberg, daß ihre sonst so heitere Laune bald wiederkehrt, die heut zum ersten Male, seit ich die Ehre habe, Sie zu kennen, ich weiß nicht durch welche Trauernachricht verscheucht worden ist.

Einsicht! rief Ortenstein dazwischen, das ist ein wundervolles, tiefsinniges Wort von höchster Bedeutung. Aber was ist denn Einsicht, welche Jeder im Munde führt, während die Meisten so wenig wie möglich danach handeln? Einsicht ist ganz dasselbe ungefähr wie Vernunft, Wahrheit, Tugend, Weisheit und andere Begriffe, mit denen die Menschen ihr Spiel treiben. Ach, Eugen, ehe ich es vergesse, muß ich Dir mittheilen, daß am Tage meiner Abreise ein Bursch bei mir war, der sich angelegentlich nach Dir erkundigte. – Er war in Deines Vaters Haus gewesen, um nach Dir zu fragen. Nachdem er Dich überall gesucht hatte, schickte man ihn zu mir, und ich hatte meine Freude an seiner Einfalt, die aber dennoch höchst einsichtig war.

Eugen warf einen fragenden Blick auf den Baron, der lachend fortfuhr:

Es war ein stattlicher Junge, etwas tölpelhaft in seinem Friesrock und seinen furchtbaren Stiefeln, aber ein prächtiger Kopf. Eine Stirn wie ein Apoll, Haare braun und lockig, wie das schönste Mädchen, Augen, so trotzig blau, wie der kühnste Gardeoffizier, und gerade und schlank aufgeschossen, als sei er ein Jahr lang in der Armee gedrillt worden.

Wer kann es denn sein? fragte Eugen. Etwa Adam?

Richtig Adam! rief Ortenstein, ich hatte den Namen fast vergessen. Er wollte durchaus wissen, wo Du Dich befändest, sprach aber so seltsame Dinge durcheinander, daß ich Mühe hatte, nur Einiges zu begreifen. – Sein Vater habe ihn nach der Stadt geschickt, einen Handel mit Holz abzuschließen, zu Haus sei Gram und Noth, alle Freude sei fort. Er faselte allerlei von dem alten würdigen Capitain, der es nicht mehr aushalten könne, er rauche nicht mehr, und Fische fangen wolle er auch nicht; was aber ihn betreffe, so liefe er gern in die weite Welt, oder würde Soldat, wenn der alte Vater nicht wäre und die Einsicht dazu käme.

Ich bot ihm an, ihn bei einem Freunde unterzubringen, denn aus dem Jungen kann sicher etwas gemacht werden, und dachte an einen Jäger oder Kammerdiener für Walny; allein seine Einsicht erlaubte ihm nicht, darauf einzugehen, und wie ich sah, hatte er gute Gründe. Sein Vater scheint einige Mittel zu besitzen, einige Geschäfte zu betreiben, die sich jetzt bis auf die Holzmärkte der Hauptstadt ausdehnen. So viel ist gewiß, der gute Adam wird nächstens wiederkommen und Dich aufsuchen.

Eva hatte während dieser ganzen Mittheilung geschwiegen, doch sichtlich war sie dadurch sehr beunruhigt. –

Wenn Adam kommt und mich besuchen will, sagte Eugen, so wird er mir willkommen sein, obwohl wir eigentlich keine sehr guten Freunde gewesen sind.

Aber Sie, Fräulein Eva, fuhr der unermüdliche Ortenstein fort, Sie haben mit diesem Adam paradiesische Jugendjahre verlebt?

Ich, erwiederte Eva, kenne ihn allerdings viel besser. Es war unseres Nachbars Sohn; die Zeiten sind vorüber, ich wünsche jetzt nichts weiter von ihm zu wissen. – Es weht kalt über die Berge, fuhr sie fort, indem sie sich zu Waldenau wandte, geben Sie mir das Tuch.

Waldenau hatte es verloren, er eilte zurück. Eva folgte ihm und schweigend blieb Eugen an dem Bergabhange stehen, seine Lippen schmerzlich zusammengepreßt, seine Augen auf den goldigen Abendhimmel geheftet und auf das Thal zu seinen Füßen, aus welchem fröhliches Lachen heraufscholl, das in sein gramerfülltes Herz mit qualvollen Dissonanzen drang.

Das nennt man Einsicht erhalten! sagte Ortenstein leise lachend, indem er sich die Hände rieb. Es ist allerliebst hier oben; doch laß uns hinunter steigen, mein Vetter wird das Tuch finden, und es sammt der schönen Besitzerin schon abliefern.

So war es allerdings. Nach einiger Zeit, als die Gesellschaft sich vereinigt hatte, erschien auch Eva. Sie sah beruhigt und froh aus. Das Tuch war gefunden; der junge galante Waldenau machte den Damen Entschuldigungen über seine Nachlässigkeit und führte die Unterhaltung im Bewußtsein seiner Ueberlegenheit. Eva lachte über seine lustigen Anklagen. Cäcilie schalt ihn aus, andere Damen mischten sich ein und während dieses scherzhaften Streites, in welchem sich alle Kunst des Gesellschaftstons geltend machte, hatte Eugen Zeit, zu bemerken, wie wenig dazu gehörte, um hier zu glänzen, und wie schwer es doch für ihn selbst sei.

Waldenau mit seiner gefälligen, höflichen Form, seiner Biegsamkeit und seiner kecken Lebendigkeit war ihm weit überlegen. In seinen Augen lag etwas Brennendes, jähe gewaltthätige Leidenschaft. Sein Gesicht war schön, aber regellos, und ein gewisser herausfordernder Trotz spielte um seine Lippen.

Solche Männer, sagte Eugen leise zu sich, mögen bei vielen Frauen Interesse erregen, sie sehen aus, als scheuten sie nichts und fürchteten sie nichts, aber wie kann Eva an diesem Menschen Gefallen finden, der sein jämmerliches Nichts so offen kund giebt?

Es war, als ob Cäcilie errieth, was in ihm vorging. Sie ging mit ihm voran, man erwartete die Wagen. –

Es scheint, sagte sie, als wärst Du nicht ganz mit Eva zufrieden und zürnest ihr, weil sie sich Waldenau's Huldigungen gefallen läßt. Du bist eifersüchtig, Eugen.

Nicht im Geringsten, erwiederte er stolz lächelnd. So viel weiß Eva, daß es eine Grenze dafür giebt, und was mich betrifft, so glaube ich nicht nöthig zu haben, mich mit dem da zu vergleichen.

Sage das nicht, rief die schöne Frau, Waldenau wird von Vielen gefürchtet. Wir Frauen sind einmal so; wir lieben das Leichte, das Ritterliche und Romantische. Du bist zu ernsthaft, Eugen. Du siehst aus wie ein Kolumbus, der über einer weltbewegenden Entdeckung brütet. Sieh Dich um, und mache es wie er. Sei liebenswürdig und aufmerksam, schwatze gefällig über Kleinigkeiten, suche Dir wenigstens Eine aus, der Du zu gefallen strebst, widme Dich Deiner Eva mit merklicher Bewunderung. Das arme Kind muß sich entsetzen vor Deiner kalten, wortlosen Steifheit. Sie ist an Scherz und Freude gewöhnt, lacht so gern und neckt so gern. Du hast sie eingeschüchtert, was soll sie von den Sultanslaunen denken, die sie erwarten?!

Die Wagen kamen, und Cäcilie rief Walny herbei, der Eugen jeder Antwort überhob, aber ihre Vorwürfe waren nicht ohne Eindruck geblieben; Eugen schien zu fühlen, daß etwas Wahres darin sei, er bestrebte sich heiter und gesprächig zu erscheinen, und wandte wirklich seine Aufmerksamkeit und sichtliche Theilnahme mehr als bisher Eva zu.

Wir besuchen die Reunion, sagte Frau von Walny, als sie am Cursale ausstiegen; die Herren mögen spielen, wenn sie wollen, dann speisen wir zusammen, aber heut darf es nicht zu spät werden, denn morgen ist ein Gallatag, ein Ball, zu dem wir uns vorbereiten müssen. Du bist doch ein guter Tänzer, Eugen?

Ich tanze gar nicht, erwiederte er, am wenigsten mitten im Sommer und im Bade.

So tanzen wir, lachte Cäcilie. Nicht wahr, Eva? Waldenau ist der beste Tänzer, den ich kenne.

Der junge Edelmann, welcher in der Nähe war, hatte sein Lob gehört, und Ortenstein versicherte, daß er ihm morgen seinen Ruf streitig machen wolle.

Nun, Herr von Werder, sagte Waldenau, Sie haben heut mit großem Glück gespielt, und scheinen überhaupt ein viel begünstigter Sterblicher zu sein. – Geben Sie uns den Beweis, daß Ihr Glück keine Zufallslaune ist, sondern daß Sie ihm vertrauen können.

Das Spöttische und Vertrauliche dieser Aufforderung vermehrte Eugens geheimen Verdruß.

Ich werde nicht spielen, sagte er kalt, ich hasse den Zufall.

Wir leben Alle davon, erwiederte der junge Herr.

So sagen die, welche Alles auf ihn setzen, gab Eugen zurück.

Und haben Sie denn, fragte Waldenau ihn mit seinen kecken Augen scharf betrachtend, dem Zufalle gar nichts zu danken?

Eugen fühlte sich erröthen.

Was ich ihm zu danken habe, will ich wenigstens nicht leichtsinnig wieder verlieren, sagte er.

Er wendete sich ab, um das Gespräch nicht weiter zu treiben, das ganz geeignet war, einen beleidigenden Ton anzunehmen. Waldenau aber richtete seine Worte an Eva, und bat sie, mit ihm an die Roulette zu treten.

Wir müssen unseren Verlust von heut gut machen, sagte er, und da wir mehr auf die Gunst des Zufalls halten, als Herr von Werder, so wird er es billig finden, daß wir zusammengehen, wohin der Geist uns treibt.

Wollen Sie mich aufgeben, Fräulein Hausberg? fragte Eugen.

In seiner Stimme lag ein schmerzlich warnender Klang. –

Wählen Sie zwischen uns, rief Waldenau lächelnd, indem er sich neben Eugen stellte und, seines Vorzuges gewiß, ihr den Arm bot.

Das ist allerliebst, lachte Cäcilie, aber am besten, wir gehen Alle und sehen dem Spiel zu.

Sie führte Eva rasch in den Saal, und nach einer halben Stunde hatte Waldenau dort alle Verluste reichlich ersetzt. Er spielte eben so kühn wie glücklich, und Eva nicht allein, auch Cäcilie, Ortenstein und Walny hatten mit ihm gemeinsam gewonnen.

Als sie Eugen suchten, war er nicht zu finden. –

Er ist müde von der Reise, sagte seine Schwester.

Und ans Ausreißen gewöhnt, fügte Ortenstein hinzu. – Lassen wir ihn ausruhen, aber verderben wir uns den Abend nicht. Endlich ist der Augenblick da, wo Fräulein Eva uns als Hebe den Göttertrank reichen wird.


11.

Am nächsten Morgen war Eugen ziemlich früh bei seiner Schwester, die mit Eva eine Musterung über eine große Zahl Kleider, Putz und Schmuck hielt, welche vor ihnen ausgebreitet lagen.

Bei seinem Erscheinen starb die Freude auf Evas Gesicht; ein verlegenes Lächeln trat an deren Stelle, und ihre Augen wandten sich scheu nieder, als er sie küßte und freundliche Worte an sie richtete.

Du kommst zur guten Zeit, sagte Cäcilie, unterstütze uns mit Deinem Künstlerblick bei unserer Toilette zu dem heutigen Ball. Was soll Eva tragen, weiß, blau oder roth?

Ihr wollt also durchaus den Ball besuchen? fragte Eugen.

Mit Deiner Erlaubniß, ja, erwiederte Frau von Walny. Hoffentlich willst Du kein grausamer Tyrann sein.

Nichts weniger, war seine Antwort. Wenn Eva es so will, ordne ich meine Wünsche gern unter.

Und dabei hat es sein Bewenden, rief Cäcilie. Sieh, wie freudig Du sie gemacht hast. Jetzt bestimme die Blumen, hier sind Kränze, sucht Beide aus, was diesen blonden Locken am besten steht.

Sie verließ das Zimmer. Eugen stützte den Kopf in den Arm, es war ihm unmöglich, seine schmerzliche Verstimmung zu verbergen. – Komm zu mir, liebe Eva, sagte er endlich seine Hand ausstreckend, zeige mir die Blumen, die Du gern möchtest. Sei wie sonst, vertraulich und unbefangen; glaube mir, Niemand in der Welt kann mehr wünschen, Dich froh und beglückt zu sehen, aber zwischen uns muß Vertrauen und Hingebung sein, wie sollten wir es machen wollen für alle Zukunft? Und was habe ich gethan, um Dein Herz von mir zu wenden? Was kann es sein, meine kleine Eva, das Dich so scheu und unheimlich macht?

Er hielt ihre Hand in seinen Fingern und fühlte sie zucken. Eva ließ das Köpfchen niederhängen und sagte leise:

O! Du bist sehr gut, aber Du betrachtest mich so fremd und kalt, und die sonderbaren Umstände – Du forderst zu viel von mir.

Zu viel? erwiederte Eugen. Doch vielleicht hast Du Recht, ich habe es mir selbst gesagt, und meine Entschlüsse danach gefaßt. – Tanze heut, liebe Eva, morgen wollen wir reisen.

Morgen! rief sie erschrocken.

Morgen, sagte er. Du darfst nicht länger in dieser Umgebung bleiben. Macht Dir der Gedanke keine Freude, mit mir zu sein? Ich führe Dich zu meiner Mutter, Niemand soll mehr zwischen uns treten, Niemand mich hindern, Dir den Platz anzuweisen, der Dir gebührt.

Und Du willst mich und Dich von Deiner Schwester trennen?

Ich wollte, sprach Eugen die Stirn zusammenziehend, daß ich nie ihren Rath gehört hätte.

Und wenn ich Dich bitte, sagte Eva ängstlich, wenn ich es als Beweis Deiner Liebe betrachte, nicht so streng mit mir zu sein?

Eugen schwieg, aber nach einigen Augenblicken schüttelte er den Kopf. Wenn Du wüßtest, Eva, was ich um Dich jetzt leide, erwiederte er. Später wirst Du einsehen, daß ich Nein sagen muß, und doch betrübt es mich aufs Tiefste, Dich nicht froh zu sehen, armes Kind.

Ja wohl, Kind! rief Eva plötzlich, indem sie ihre Augen zornig leuchtend zu Eugen aufhob. Das ist das richtige Wort. Du behandelst mich wie ein Kind, befiehlst über mich rücksichtslos und machst Deinen Willen zum Gesetz.

Die Thränen, welche ihre Augen füllten, erstickten ihre Stimme. –

Um Gottes Willen, Eva! rief Eugen erstarrend, wer hat Dir das gesagt? Was haben Sie aus Dir gemacht? Was soll daraus werden? Wer kann diese Wunde heilen? – Himmel! ich hätte es wissen können und jetzt – jetzt ist es zu spät.

Er schlug die Hände über sein Gesicht, das die Verzweiflung seiner Seele ausdrückte, und wie er todesbleich unter seinen Schmerzen sich aufzuraffen strebte, kam eine entsetzliche Angst über Eva. Sie wußte nicht, was sie Schreckliches gethan hatte, aber Reue, Mitleid und ein Gefühl von Schuld ergriffen sie zugleich.

Ach! Eugen, sagte sie zitternd, vergieb mir, steh mich an, sage mir, daß ich Deine Eva, Dein Kind bin. – Ich will Alles thun, was Du forderst. Mein Gott! was hab' ich denn verbrochen?

Sie warf sich an seine Brust und glitt an der Seite des Stuhls nieder, indem sie mit krampfhafter Gewalt seine Hände festhielt. –

O! wie blaß Du bist, rief sie flehend, wie todt sehen mich Deine Augen an! Rede zu mir, Eugen, nenne mich Deine Eva, lege Deine Hände auf meine Stirn, wie Du sonst es thatest. Laß uns fliehen; ich will Dich begleiten, wohin Du willst; ja, wohin Du willst. Jetzt auf der Stelle, ja jetzt – jetzt gleich!

Eugen beugte sich zu ihr nieder, er versuchte zu lächeln, aber er vermochte es nicht.

Wenn ich Dir wiedergeben könnte, was ich Dir genommen habe, murmelte er, indem er seine Hände auf sie legte: die unschuldsvolle Stille Deines Herzens, Deinen Frieden, der so reich und glücklich war, mit meinem Leben wollt ich es erkaufen; aber ich habe Dich an mich gefesselt. War es Leichtsinn, war es Frevel, einerlei, ich muß es tragen. Meine Ehre ist dafür verpfändet. Ich kann ich nicht erlösen, wie ich mich nicht erlösen kann, meine Ehre ist Deine Ehre.

Er stand rasch auf und fuhr sie umfassend fort:

Du willst nicht mein Kind sein, und Du hast Recht; Du bist meine Lebensgefährtin, meine Vertraute, die selbst einsehen muß, was gut ist und geschehen muß. – So gieb mir denn Deine Hand, liebe Eva, und wirf neue Hoffnung in mein wundes Herz. Sage mit, daß Du meinen Gründen glaubst, daß Du mich lieb hast und mir vertraust.

Ich will, gewiß ich will, erwiederte sie leise und zitternd.

So wird Alles gut werden, fuhr er sich selbst tröstend fort. Ich verspreche Dir eine einfache, aber frohe Häuslichkeit.

Er malte sie ihr aus, indem er sie auf sein Knie setzte und die alten Töne anzuschlagen, Erinnerungen aufzuwecken und ihr Lächeln zu erhaschen suchte; aber es waren die Anstrengungen eines Ertrinkenden, der sich an den Halm klammert. Sein Gesicht glühte fieberisch dabei, seine Augen leuchteten, als versengten seine Gedanken jede aufkeimende Saat. Es war keine Ruhe, kein Glauben in ihm, der diese zerrissenen Fäden wieder verknüpft hätte.

Endlich sagte er:

So wollen wir uns verständigen. Morgen werde ich bereit sein, meiner Schwester eine kurze Erklärung geben und Dich zurückfordern. Sei heiter, liebe Eva, und schweige gegen Jeden. Verständig, wie Du bist, wirst Du die gerechten Wünsche Deines Mannes zu den Deinigen machen. Alles, was ich habe, bringe ich Dir dafür; meine Liebe soll Dein Leben versüßen, wie sie es vermag. – Mein Gott! ich habe ja nichts als Dich; keinen Ersatz als Dein Herz, alle meine Träume, all mein Sinnen richtet sich darauf, dies Herz mir zu erhalten.

Frau von Walny kam zurück, Eva wand sich aus Eugens Armen. –

Da kommt ein Billet von Waldenau, sagte Cäcilie, er erwartet uns mit Ortenstein auf der Promenade um zehn Uhr zu irgend einem Ausfluge. Walny hat zugesagt, wir müssen eilen. Willst Du von der Partie sein, Eugen, so mache Deine Vorbereitungen.

Eugen blickte fragend zu Eva hin, sie schien unschlüssig zu sein.

Ich will nicht stören, sagte er, wenn Eva nicht lieber zu Haus bleibt.

Thorheiten! erwiederte Cäcilie lachend. Ihr werdet Zeit haben oft genug noch allein zu Haus zu sein, um es langweilig zu finden. – Geschwind, Eva, schicke ihn fort, seine Launen sollen uns den köstlichen Morgen nicht verderben.

Zum letzten Male soll sie mich fortgeschickt haben, sagte Eugen, als er ging, und er bemühte sich, seinen Unmuth mit der Gewißheit zu verscheuchen, daß wenige Stunden hinreichen würden, um ihn aus allen diesen bedrängenden Verhältnissen zu bringen.

Er irrte durch die Stadt, dann auf möglichst einsamen Wegen in der Umgegend umher und überlegte Alles. – Nur nicht zurückdenken, rief er endlich, nur nicht nachsinnen über Dinge, die nicht zu ändern sind. Mit vollendeten Thatsachen muß kein Mann von Verstand sich einlassen, um sie fortschaffen zu wollen; man muß sie gestalten, muß ihrem Unheil zuvorkommen, sie regeln, daß sie zum Glück umschlagen. – Allein mit Eva wird meine Hand wieder die Hand des Gärtners werden, und meine Sorge muß es sein, sie dann vor schädlichen Auswüchsen zu behüten.

Ein froheres Gefühl ergriff ihn bei diesen Gedanken, und gewaltsam warf er zurück, was sich dazwischen stellen wollte. Ich will mich nicht herunter bringen lassen, rief er endlich energisch aus, ich will nicht hören, was ein böser Geist mir ins Ohr flüstert.

Mitten in seinen Selbstgesprächen, als er eben wieder in die Stadt zurückgekehrt war, sah er sich plötzlich von Ortenstein aufgefangen. – Der Baron betrachtete ihn sehr ernsthaft und sagte dann tadelnd:

Du siehst aus, mein lieber Eugen, so staubig und sonnenglühend, wie ein reisender Müller.

Ich habe auch eben frisches Wasser für meine Mühle gefangen, erwiederte Eugen.

Das heißt, gab Ortenstein zur Antwort, Du hast, indem Du unsere Gesellschaft verschmähtest, Dir einige Don Quichottische Mühlen aufgebaut.

Wir werden sehen, versetzte Eugen spottend, wer unter ihre Flügel geräth.

Du nicht, lachte der Baron, aber geben wir alle Gleichnisse auf. Ich will kein Wort über eine gewisse, lustige Retirade verlieren, sie war sehr wohl gethan; im Uebrigen habe ich Alles zum Besten geordnet. Die alte Excellenz beklagt es aufs Innigste, daß ein Brief Deines Vaters Dich zu ihm gerufen hat und Gräfin Diana fand es völlig gerechtfertigt, sogar äußerst zart, daß Du ohne schmerzlichen Abschied Dich empfohlen hast. Sie freut sich der Stunde, Dich wieder zu sehen.

Was Du auch thun wolltest, sagte Eugen, meinen Vater hättest Du aus dem Spiele lassen sollen.

Es ist aber wirklich ein Brief Deines Vaters für Dich da, der Dir allerlei schöne Fernsichten zeigt, fuhr Ortenstein fort. Der Minister will Dich sehen, er hat einen Platz für Dich. Du sollst in seiner Umgebung einige Zeit arbeiten; dann, meinte der gute Papa, sei nach Deiner Vermählung mit Dianen Dir jede wünschenswerthe Stellung gewiß. Deine Schwester hat Dir von dem Allen nichts mitgetheilt, denn wozu kann es helfen?

Sehr wahr, rief Eugen, es hilft zu nichts.

Und Du hast Recht, sagte Ortenstein, Deine kleine Eva ist jedes Opfers werth. Sie hat sich zum Entzücken gebildet, noch ein paar Monate und sie ist vollkommen.

Ich bin ganz Deiner Meinung, erwiederte Eugen.

Sie ist schön geworden, süperb! und ihre Formen versprechen noch mehr. Es ist Leidenschaft darin, etwas Bachantisches, wenn sie ein wenig warm wird, und sie tanzt wie ein Engel. Heute Abend auf dem Balle wird sie zum Entzücken sein. Auf der Promenade wurde sie von allen Seiten im Voraus bestürmt; sie wird keinen Tanz für Dich übrig haben.

Den letzten wird sie mir nicht versagen, antwortete Eugen lächelnd, aber es wurde ihm schwer, seine muntere Laune zu erhalten.

Endlich verließ ihn Ortenstein; Eugen kehrte nach Haus zurück und hörte nebenan Waldenau in seiner Wohnung Opernarien pfeifen, dazwischen lachen und sprechen, wobei er an der Stimme seinen Schwager erkannte.

Nach einiger Zeit wurde an seine Thür geklopft. –

Bist Du zu Haus, Einsiedler? fragte Walny. Kommen Sie herein, Waldenau, hier haben wir ihn.

Waldenau folgte der Einladung; er war äußerst elegant und höflich. Ein kostbarer Brillant steckte als Nadel in der Battistkrause, ein prächtiger Ring blitzte an seinem Finger. – Der schöne stolze Mann war in der feinen Tracht einnehmender als je; sein Gesicht selbst hatte den herausfordernden kecken Zug abgelegt, ein anmuthiges sanftes Lächeln schwebte darüber.

Er bat Eugen, ihm die Ehre zu erzeigen, Mittag sein Gast zu sein bei einem kleinen Diner, dem auch Walny und dessen Familie sich anschließen werde, und da kein Grund vorhanden war, es abzulehnen, sprach er seine Freude aus über das Glück, Eugen überhaupt kennen zu lernen.

Ich hoffe, fuhr er dann im Laufe des Gesprächs fort, daß unser Zusammentreffen kein bedeutungsloses, flüchtig vorübergehendes sein wird, daß ich vielmehr Gelegenheit habe, Ihnen meine Ergebenheit auch ferner zu beweisen.

Was Eugen erwiederte, gab Anlaß zu weiteren Höflichkeiten, aber eine freundlichere Stimmung machte sich dabei geltend. Der Antheil des jungen Edelmanns schien warm und offen zu sein, er plauderte unbefangen und lebhaft.

Waldenau hat die Absicht, sagte Walny, den Herbst und den Winter in Italien zuzubringen, Du kannst ihm einige behülfliche Mittheilungen machen.

Eugen erbot sich gern dazu. Waldenau fragte Mancherlei, und endlich fuhr er mit der Hand über die Stirn und durch sein reich fallendes Haar.

Es ist recht gut, rief er aus, wenn ich bald fortgehe und mein unruhiges Blut unter den Einfluß anderer Sterne bringe.

Aber in Italien wird es sich nicht abkühlen, lachte Walny.

Das soll es auch nicht, erwiederte er. Ich sehne mich nach schwarzlockigen Römerinnen, nach griechischem Feuer und arabischer Liebesglut. Ich will reisen, mein theurer Walny, um aus allen Bechern zu trinken, bis ich gesättigt bin. – Aber es ist Zeit, daß wir aufbrechen. Die Damen erwarten uns, und der Schönheit ritterlich huldigen ist Pflicht jedes Cavaliers.

Sie gingen zusammen, und Eugen fühlte sich, er wußte selbst nicht wodurch, erleichtert. Mit dem verwegenen Abentheurer konnte er sich in körperlichen Vorzügen nicht messen, und dennoch empfand er eine stolze Genugthuung an seiner Seite.

Von diesem Gefühle bestimmt, bewegte er sich mit weit größerer Leichtigkeit und so unbefangen während des ganzen Tages, daß Ortenstein ihm beifällig zuflüsterte, er fange an mit ihm zufrieden zu werden. –

Waldenau beschäftigte sich wie gewöhnlich mit Eva, er hatte zahllose Aufmerksamkeiten für sie; aber Eugen war ganz ruhig darüber. Er lachte und scherzte mit seiner Frau und blickte sie zuweilen mit dem Ausdruck des innigen Verständnisses an.

Der Lag verging im heitersten Beisammensein, und endlich kam die Stunde des Balls, der eine große glänzende Versammlung in den prächtigen Räumen vereinigte.

Alle Nationen Europas waren hier vertreten, und ebensowohl der Orient, wie transatlantische Länder hatten ihren Antheil dazu geliefert. Es war ein Gewühl eleganter Frauen und Männer, man hörte alle Sprachen reden, und drängte sich sowohl um den Kreis der Tanzenden, wie zu den Sitzplätzen und in den Nebensälen.

Die einfache schwarze Gestalt Eugens blieb in diesem Zauberkreise unbemerkt. Er hatte den Tanz niemals geliebt, hier schien es ihm vollkommen genug, ein beobachtender Zuschauer zu sein. Seine Schwester flog durch die Reihen, und mancher Blick flog der schönen Frau nach; aber weit eifriger verfolgte Eugen Eva, um welche sich nach und nach ein ganzer Kreis versammelt hatte, der ihn in den Pausen hinderte, sich ihr zu nähern.

Er stand von fern und betrachtete sie und Waldenau, der sich jedoch nicht minder heut beinahe verdrängt sah. In dem glänzenden Ballkleide, unter dem Kranz von Maiblumen war sie so reizend, daß sein Herz heftiger schlug, wenn ihre glänzenden Blicke die seinen trafen, und mitten aus den Reihen des Tanzes wandte sie sich suchend nach ihm um und lächelte ihm bedeutungsvoll zu; einmal sogar ließ sie alle die, welche sie umringten unbeachtet, um mit ihm zu sprechen und ihn durch den Saal zu begleiten.

O, wie Schade, sagte sie, daß Du gar nicht tanzen willst!

Du thust es für mich mit, erwiederte er lächelnd.

Und Du vergiebst es mir? bat Eva leise.

Was würde ich Dir nicht vergeben, war seine Antwort. Tanze, theure Eva, wir haben ja Zeit genug, um ernsthaft zu sein. Ich bin überhaupt viel zu ernsthaft, zu blaß und still gewesen, fast wie der fürchterliche Geisterfürst, von dem Du mir einst erzähltest, der die arme Herzogin nie fröhlich machen konnte, die so gern tanzte, wie Du. Das soll anders werden.

Ach! woran denkst Du? rief Eva, und mit sonderbarer Hast fügte sie hinzu: Weißt Du auch, daß Du eine Blume aus ihrem Garten abgebrochen hast?

Unglück über uns, sagte er lachend, doch das ist vorbei, das Glück wird kommen. Du bist so lieb und schön, es wird sich Alles fügen, und morgen sind wir frei von allem Zwange, keine Verstellung, keine Trennung mehr.

Die Musik begann von Neuem. Ihr Tänzer kam, um sie fordern.

Auf morgen also, sagte er sich verbeugend.

Auf morgen! rief sie zurück.

Eugen ging in den Saal, wo gespielt wurde. Da stand Waldenau lebhaft im Spiel begriffen. Er spielte sehr hoch, und gewann. Als er Eugen erblickte, winkte er ihn näher. Nehmen Sie Theil, sagte er, versuchen Sie gegen mich zu halten. Sie sind der Einzige, der es wagen kann.

Eugen besetzte die Gegenfarbe, sie schlug für ihn aus; er spielte weiter und immer war er glücklich. Waldenau's Gewinn zerfloß unter seinen Händen, bis dieser aufhörte, den Rest einsteckte und mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit sagte:

Ich darf mit Ihnen nicht rivalisiren und muß mich mit dem Reste meiner Habe in Sicherheit bringen.

Unsere Nähe scheint sich wirklich an diesem Platze nicht zu vertragen, erwiederte Eugen.

Daher ist es nöthig, daß Einer ihn räumt, lachte Waldenau.

Der Eine werde ich sein, war die Antwort.

Nein, bleiben Sie, sagte Waldenau, und gute Nacht!

Sie wollen Spiel und Tanz aufgeben? fragte Eugen.

Ich gebe nie etwas auf ohne Ersatz, antwortete Waldenau, indem er vertraulich Eugens Arm faßte. Sie können denken, daß es ein interessantes Abentheuer sein muß, wenn ich den Ball darum verlasse. Auf Wiedersehen also, da schlägt es zwölf. Entschuldigen Sie mich bei Walny.

Auf Wiedersehen! sagte Eugen und indem er sich dem Spiel zuwandte, murmelte er leise vor sich hin: Sind Wesen dieser Art, leichtsinnig und tief verdorben, nichts achtend und nicht scheuend, nicht die Pest der menschlichen Gesellschaft? Will's Gott, daß ich Dich nie wiedersehe.

Nach einiger Zeit kehrte er in den Saal zurück, man tanzte noch immer, obwohl es unerträglich heiß war. – Er suchte umher nach Walny, nach Cäcilie, nach Eva, Niemand war zu finden. Endlich entdeckte er seine Verwandten, die mit Ortenstein in einem entfernten Seitenzimmer beim einladenden Souper saßen.

Hierher, Eugen! Hierher, erhabener Philosoph, rief Ortenstein ihm entgegen. Nimm Deinen Platz und erfreue Dich der Gaben einer gedeihlich entwickelten Civilisation.

Wo ist Eva? fragte Eugen.

Nach Haus, erwiederte Cäcilie. Sie klagte über plötzlichen Kopfschmerz.

Nach Haus! rief er. Allein nach Haus?

Waldenau hat seinen Wagen dazu angeboten, sagte Walny.

Und er, fragte Eugen mit schwankender Stimme, wo ist er?

Wer? Waldenau? – Ich weiß es nicht. Er tanzt.

Ohne ein Wort zu sagen, wandte sich Eugen um. Er war von Ahnungen ergriffen, die ihn mit rücksichtsloser Hast durch die Säle trieben. Ein düsterer Himmel lag gewitterschwer auf der Stadt. Er rannte durch die Straßen und erreichte athemlos das Haus, wo Walny wohnte. Alles war dunkel, nach langem Pochen öffnete eine Dienerin.

Eva war nicht nach Haus gekommen. Er riß dem erschrockenen Mädchen das Licht aus der Hand, lief durch die Zimmer und warf den Leuchter zu Boden, indem er wieder hinauseilte.

Gott steh' uns bei! er ist wahnsinnig! hörte er hinter sich rufen, und wie ein Wahnsinniger, seinen Hut vom Winde fortgeweht, sein glühendes Gesicht von großen Regentropfen bedeckt, sein Haar wild über die blassen verzerrten Züge geschleudert, erreichte er seine Wohnung.

Wo ist Dein Herr? schrie er Waldenau's Diener entgegen.

Auf dem Balle, sagte der Mensch.

Du lügst, Schurke! Er stieß die Thür auf; die Zimmer waren leer, ein großer Koffer stand in der Mitte.

Wo ist er? fragte er mit den Zähnen knirschend.

Der gnädige Herr war hier, vor einer Stunde vielleicht, sagte der erschrockene Diener. Er ließ nur ein Billet an den Herrn von Ortenstein zurück; dann ist er wieder fortgefahren.

In dem Augenblick kam Ortenstein. Walny und Cäcilie folgten ihm, sie waren durchnäßt, der Regen stürzte in Strömen herunter.

Wo ist das Billet, fragte der Baron rasch. Cäcilie warf sich schweigend in einen Stuhl, Walny sah sehr bestürzt aus.

Der Diener brachte es, Ortenstein riß es auf, und winkte dem Manne, sich zu entfernen. Nach einigen Augenblicken reichte er es Eugen bin.

Es steht gar nichts darin, sagte er, als daß er es für angemessen hält, sogleich nach Mainz zu fahren. Seine sämmtlichen Effecten soll ich ihm morgen durch seinen Diener nachschicken, in der Post wird er zu finden sein.

Ich, rief Eugen, ich will sie ihm bringen, auf der Stelle bringen. Schafft mir Pferde.

Halt! sagte Frau von Walny, indem sie aufstand und ihn festhielt, was willst Du thun? – Es ist außer Zweifel, daß Eva ihn begleitet, aber welche Mittel er auch anwandte, auf sie allein fallen Schuld und Schmach. – Er wußte nicht, in welchem Verhältniß sie zu Dir stand, sie aber wußte es. Frage Ortenstein, frage Walny, was Du thun mußt; zunächst aber frage Dich selbst, was Deine Ehre fordert.

Sie fordert, daß ich ihm das Gehirn zerschmettere, wo ich ihn finde! rief Eugen.

Falsch, sagte Cäcilie; für wen und warum? Sie ist Deine Frau, sagst Du; es läßt sich bestreiten; aber angenommen, es wäre so – Eines, Eugen, muß Dir gewiß geworden sein – daß sie Dich nicht liebt, daß sie Dich fürchtet, daß sie vor dem Gedanken zittert, mit Dir Dein bescheidenes Glück zu theilen.

Er senkte den Kopf und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

Wahr! o, nur zu wahr! stöhnte er. Aber dennoch – es darf nicht sein, und wer trägt die Schuld, wer hat sie dahin gebracht?

Er richtete sich mit glühenden Augen auf.

Du, antwortete seine Schwester. Keine Vorwürfe, Eugen, und eben so wenig neue Uebereilungen. –

Sie trat dicht vor ihn hin und indem sie ihn zärtlich küßte, sagte sie mit leiser Stimme:

Hast Du sie denn geliebt? Liebst Du sie noch? – Ich fühle Deine Schmerzen, aber ich antworte aus Deinem Gewissen mit der Stimme Deiner Ehre: Nein!

Eugen, sagte Walny, ich habe nichts gewußt, erst in der letzten Viertelstunde auf dem Wege hierher habe ich gehört, wie nahe Dir Eva stand. Ich beklage Dich, allein als Dein Verwandter und Freund muß ich Dir dennoch Glück wünschen. Den Flüchtlingen nachsetzen, wäre die größte Thorheit. Was wolltest Du im glücklichsten Falle mit einer Frau wie diese anfangen? Laß sie laufen; sie hat es so gewollt. Es ist ein dummer Streich von Waldenau, den er bald bereuen wird, aber Jeder mag seinen Theil davon tragen. Du bist sie los, und lange kann es Dich nicht schmerzen, denn Du wirst stolz genug sein, um einzusehen, daß ein Weib dieser Art Deiner nicht würdig war.

Und dennoch dennoch bin ich schuldig! sagte der unglückliche junge Mann dumpf vor sich hin, beide Hände über sein verzagendes Gesicht deckend.

Richte Dich auf, erwiederte Cäcilie, o! richte Dich auf, mein armer Bruder, wir wollen Dir treulich helfen! – Du mußt fort, wir müssen Alle fort, ehe hier von den leichtsinnigen Thaten dieser Nacht etwas bekannt wird. Wir geben unsere Reise auf, Du gehst mit uns auf Walny's Gut.

Der alte Vater und welche Zukunft! rief Eugen krampfhaft stöhnend.

Man kann Alles bedenken, für Alles sorgen, fiel Cäcilie ein. Vor allen Dingen Verschwiegenheit und Lösung in aller Stille. Die Ehre unserer Familie ist dabei betheiligt, sie muß bewahrt werden. – Sobald Du Dich erholt hast, der Vater wieder zu Haus ist, wollen wir ihm unsere Eröffnungen machen. Daß diese sogenannte Ehe keiner Scheidung bedarf, ist gewiß. Sie wird ganz in der Stille aufgelöst werden; Du wirst frei sein.

Frei! sagte Eugen mit einem tiefen Seufzer. Welche Freiheit!

 

In der nächsten Morgenfrühe fuhr die Familie nach Neuwied und mit dem ersten Dampfer den Rhein hinab. Die ganze Nacht war Cäcilie bei ihrem Bruder gewesen, Walny hatte die Reisevorbereitungen getroffen, ohne jede Störung war man zur Ausführung gelangt.

Eugen ließ sich willig leiten, wie Cäcilie es wollte; er war vollständig gebrochen. Ortenstein blieb, um Waldenau's Aufträge zu erfüllen; er hatte klüglich so wenig wie möglich sich eingemischt, nur beim Abschiede sagte er:

Dein Zustand, mein theurer Eugen, wird zunächst der eines Schiffbrüchigen sein, welcher die morsche Planke unter sich versinken sieht. Nach einiger Zeit aber werden die Wellen Dich auf festes Land werfen, und mit Vergnügen wirst Du finden, daß es grün und hoffnungsvoll aussieht. Meine Gesinnung kennst Du, ich habe sie nie verleugnet. Verachte mich, wenn Du willst, ich bin jedoch überzeugt, Du wirst bald einsehen, daß ich immer Recht gehabt habe. Ich werde meinem Vetter nicht weiter zürnen; es ist das Schlimmste nicht, was er thun konnte. Er wird sich jedenfalls anders zur Zukunft stellen, wie Du. Dann werde ich nach Grünau gehen, und wenn ich Dich wiedersehe, hoffe ich Dich heiter zu finden.

 

Nach einer Woche war Walny's Gut erreicht. Ein prächtiges neues Herrenhaus lag in schönen Umgebungen, und Alles, was sich aufbieten ließ, um Eugen zu zerstreuen und zu erheitern, wurde im reichsten Maße angewandt. Bald wurden die Nachbarn eingeladen, bald Besuche gemacht, bald waren es ländliche Feste oder Jagden, die seinen schwermüthigen Ernst verbannen sollten, bald Ausflüge in das nahe Gebirge, an dessen Vorbergen Walny's große Besitzungen lagen. – Eugen that Alles, was man von ihm forderte, aber er vermied jedes nähere Eingehen auf die Vergangenheit. Eva's Name kam nicht über seine Lippen, und wenn irgend eine Andeutung gemacht wurde, welche seine Verhältnisse berührte, brach er so kurz und finster das Gespräch ab, daß sein Wille unverkennbar war.

Er hatte sich zu beschäftigen begonnen, allein es fehlte ihm die Ruhe dazu, wie zu aller Gedankenarbeit.

Was soll daraus werden? sagte Walny endlich, er hat für nichts Sinn.

Wir müssen ihm Zeit geben, erwiederte Cäcilie, er reibt sich nicht auf, sondern reibt sich ab, wenn ich so sagen darf. Große innere Kraft hat er nie gehabt, um leicht mit sich selbst fertig zu werden. Solche Charaktere quälen sich mit ihren Sorgen und Zweifeln über Recht und Unrecht, Gutes und Böses, selbst dann noch, wenn sie längst mit der Wahl fertig sind. Ich will jedoch die Krisis beschleunigen.

Nach einigen Tagen, als sie Eugen zu einer Fahrt in das nahe Städtchen aufgefordert hatte, um Walny abzuholen, dem das Rentamt dort angehörte, sagte sie plötzlich:

Halt, noch einen Augenblick. Hier ist ein Brief von Ortenstein, lies den, ich komme sogleich zurück.

Sie reichte ihm ein offenes Schreiben und entfernte sich lächelnd. Eugen sah widerwillig hinein und erblickte sogleich seinen Namen.

»Ich fand,« schrieb der Baron, »in Mainz, was ich erwartet hatte. Waldenau ist nicht der Mann, feige vor dem zu erschrecken, was er thut. Eva hatte ihm Alles mitgetheilt, was ihre Geschichte mit Eugen betrifft, aber eben sowohl, daß sie willenlos und von ihrem Vater gezwungen, ohne zu wissen was sie thue, ihm überliefert worden sei. – Ich war Zeuge einer sehr leidenschaftlichen, romantischen Scene. – Waldenau beschwor seine Liebe, Eva betheuerte nur ihm ewig und allein anzugehören, möge es gehen, wie es wolle. Ich empfahl sie auf jedem Fall seiner zärtlichen Sorge, und als moderner Paris gelobte er seine Helena gegen die ganze Welt zu schützen und sie niemals zu verlassen. So sind wir denn als die besten Freunde geschieden, nachdem wir einen höchst vergnügten Tag verlebten. Eva war glücklich, ein ganz anderes Wesen wie in Wiesbaden, voller Humor, wie ein Singvogel, der dem Käfig entgangen ist. Waldenau ist mit ihr in die Schweiz gegangen, sich gilt als seine Frau; was er ihr versprochen hat, weiß ich nicht, aber das weiß ich ganz gewiß, daß Eugen sich vollständig über sie beruhigen kann. Sie hat zu ihrem und seinem Wohl gehandelt; Reue wird sie niemals empfinden.«

Nun, rief Cäcilie vor der Thür, ich bin bereit.

Eugen reichte ihr den Brief hin. Er sprach fein Wort, aber seine Augen hatten die trüben Schleier verloren, seine Gestalt sich stolz aufgerichtet, die Aufgeregtheit, in welcher er sich befand, war eine freudige.

Als sie im Wagen saßen, nahm er die Hand seiner Schwester.

Du bist ein Arzt, sagte er, der mit kräftigen Mitteln heilt. Ich danke Dir.

Ich nehme Deinen Dank an, erwiederte sie, doch will ich mich erst daran freuen, wenn ich Dich kräftig und muthig ins Leben und in die Gesellschaft an den Platz treten sehe, der Dir gebührt. Muthig und stolz sollst Du sein, wie ein Mann, der sich frei fühlt, und darauf Deine Hand, Eugen, daß Du von jetzt an Deinen wahren Empfindungen ohne Phrasen folgen willst.

Er versprach es lächelnd, Cäcilie blickte ihn heiter an und strich das Haar von seiner Stirn.

Du bist noch interessanter geworden, sagte sie, ein Hauch von geistigem Leid und Melancholie hat für uns einen geheimnisvollen Reiz, nur muß das schwärmerische Feuer der Augen nicht dabei erlöschen und das ganze Bild krankhaft werden. Was wird Diana sagen, wenn Sie Dich wiedersieht?

Nenne den Namen nicht, erwiederte er.

Nicht? sagte sie lachend, nun so mag der Name denn auf immer verbannt sein. Aber da sind wir an Ort und Stelle. Ich dachte es wohl, daß Deine Herstellung noch andere Mittel nöthig hat, und vielleicht sind sie bei der Hand.

Der Wagen hielt vor dem Rentamte. Sie stiegen aus, Walny kam ihnen entgegen.

Deine Geschäfte sind gut abgelaufen? fragte Cäcilie.

Alles gut, nur hier herein, war seine Antwort. Oeffne die Thür, Eugen.

Diana! schrie Eugen auf. Die Gräfin stand mitten im Zimmer. Sie hob die Hand zu ihm auf, ihr kluges schönes Auge ruhte mit magischer Gewalt auf ihm.

Das ist der rechte Arzt und das rechte Mittel! rief Cäcilie, indem sie ihren Bruder sanft hineinführte und die Thür hinter ihm zumachte.

 

Vier glückliche Wochen vergingen, dann reiste Eugen mit Diana und seiner Schwester zu seinen Eltern, wo die Verlobung erklärt werden sollte. Der General war von Allem unterrichtet, er selbst hatte bei der alten Excellenz für seinen Sohn geworben und das Jawort erhalten; Eugens Mutter hatte in den zärtlichsten Briefen die geliebten Kinder gesegnet. – Welche glückliche Reise war es, und wie anders kam Eugen zurück!

Diana's Gegenwart und Einwirkung hatten den Lebensplan seiner Zukunft festgestellt, und von Allem, was er früher als seine Bestimmung betrachtete, war nichts übrig geblieben. Er hatte an den Minister geschrieben, für dessen huldvolle Güte gedankt und den gebotenen Platz angenommen; sein Vater hatte ihm dafür die wiederholte Zusicherung ertheilt, daß es keiner großen Anstrengung bedürfen werde, um in Jahresfrist ihm eine angenehme und ehrenvolle Stellung zu verschaffen, und jetzt eröffnete ihm Diana selbst weitere Fernblicke, die einen größeren Ehrgeiz befriedigen konnten.

Am Morgen als sie die Hauptstadt erreicht und in Walny's Hause die erste flüchtige Stunde verlebt hatten, eilte Eugen zu seinen Eltern, um ihnen die frohe Nachricht ihrer Ankunft selbst zu bringen und seinem Vater seine ganze Lage zu eröffnen.

Dem Diener, der ihn an der Thür empfing, winkte er Schweigen zu, und voll freudiger Erregtheit trat er in das Empfangzimmer, wo er seines Vaters Stimme zu hören glaubte. – Seine Arme waren geöffnet, seine Miene so freudenvoll: plötzlich aber blieb er stehen, und erblassend schlug er die Augen nieder, denn dicht vor sich sah er den Hauptmann Hausberg in seinem blauen Rocke und den hohen Stiefeln, genau so, wie er sich am Hochzeitstage geputzt hatte.

Aber in den wenigen Monaten war eine große Veränderung mit dem alten Capitain vorgegangen. Er war sehr mager geworden, seine Nase ragte noch viel weiter in die Luft, seine Gestalt beugte sich nach vorn, und seine lange knochige, braune Hand stützte sich auf seinen jungen Begleiter, auf Adam, der in seiner groben Jacke dicht neben ihm stand und aufmerksam zuhörte.

Müssen warten, sagte der Hauptmann, ist vornehmer Herren Sache so, aber Kreuz Element! Adam, ich will mich nicht länger abweisen lassen.

In diesem Augenblick öffnete Eugen die Thür, und mit einem Ruck richtete sich der alte Soldat in die Höhe.

Herr Eugen! schrie er freudig auf, da bin ich, hab's nicht länger aushalten können zu Haus; ist eine eigene Sache mit einem Kinde, hätt' es nimmermehr geglaubt! Habe den Adam hier zweimal abgeschickt um Nachrichten, kam immer ins Quartier zurück und schüttelte den Kopf. – Es ist nicht richtig damit, meint der Bursch, haben ihm Flausen vorgemacht und ausgelacht. So habe ich mich selbst denn in Marsch gesetzt, bin gestern abgewiesen worden und heut wiedergekommen. Kreuz Element! will wissen, wie es geht. Rechts um, Herr! Will weiter nichts, als sagen: da bin ich, Eva, und damit Punktum.

Eugen hatte den Schrecken überwunden, er wußte, daß er nichts verschweigen konnte. –

Haben Sie meinen Vater gesprochen, Hauptmann Hausberg? fragte er.

Nein, erwiederte er; scheint, er will mich nicht sprechen. Mag sein, aber Eva, das ist die Hauptsache. Er sah in Eugens Gesicht, der düstere Ernst darin, den er jetzt erst zu bemerken schien, schnitt ihm die Worte ab. – Was ist es denn? fragte er mit Heftigkeit. Reden Sie, Herr! Wo ist Eva?

Fort! sagte Eugen.

Fort! schrie der alte Mann auf. Fort! Was war's? Was sagte er, Adam?

Sie ist nicht todt, es ist nicht wahr! rief Adam, indem er Eugen starr ansah.

Nicht todt? Was soll's also? Was heißt fort? Heraus mit der Sprache; klares Deutsch, wenn ich es verstehen soll!

Das will ich mit Dir reden, Hausberg, sagte der General, der plötzlich aus seinem Zimmer trat.

Er war in Uniform, die ganze Brust mit Orden bedeckt. Der Hauptmann stand militairisch gerade vor ihm, überrascht von vielen Erinnerungen.

Du hast eine Uebereilung begangen, sagte der General im zurechtweisenden Tone, deren Folgen jetzt auf Dich zurückfallen. Die Heirath zwischen Deiner Tochter und meinem Sohne da ist von Gesetzes wegen schon ungültig, weil gegen alle gesetzliche Formen verstoßen wurde. – Der Pfarrer ist zur Verantwortung gezogen; um aber das Unheil nicht größer zu machen, wie es schon ist, wird er versetzt, die Ehe aus dem Kirchenbuche gestrichen werden.

Ungültig? fiel Hausberg ein. Macht es mit Eurem Gewissen aus, aber ich verstehe – Gut – gut, sagte er heftig mit dem Kopfe nickend, ich verstehe – gebt mir die Eva wieder.

Wenn ich früher gewußt hätte, fuhr der General fort, was erst später zu meiner Kenntniß kam, so hätte es wenigstens anders kommen sollen, wie es das Schicksal jetzt gefügt hat.

Schicksal! rief der Hauptmann rauh, indem sein ganzer Kopf sich röthete, so nennt Ihr Alles, was geschieht. Kenne das, bin ein Narr gewesen; aber nimm Deinen Sohn. Mag jeder seine Schande tragen, wie er kann; mag er sich rein waschen, wie er will, daß er das Weib verläßt und hinwirft, das er geschworen hat zu schützen. Bin zu alt und steif, um nach dem Degen zu fassen, zu arm, um gegen große Herren zu streiten. – Rechts um also, will nichts weiter. Wo ist Eva, Herr? Her mit meinem Kinde!

Mäßige Dich, Hausberg, sagte der General ihn beim Arm ergreifend, indem er nach der Thür blickte. Ich bedaure Dich, aber klage meinen Sohn nicht an, er hat gehalten, was er Dir versprach. Eva hat ihn verlassen.

Der alte Soldat starrte ihn an, als begreife er nicht, was das Wort bedeute. – Er hörte zu, was der General ihm weiter mittheilte; der große Körper schwankte, alle Kraft verließ ihn. Adam setzte ihn auf einen Stuhl, sein Kopf sank auf die Brust nieder, er preßte seine Hände still zusammen.

Wohin ist sie geflohen? fragte er endlich dumpf.

Nach Italien mit dem Abentheurer, dem sie sich überliefert hat, sagte der General. Beruhige Dich, armer, alter Hausberg; Alles, was für Dich geschehen kann, soll geschehen, und wenn das unglückliche Mädchen je in die Lage kommt, meinen oder meines Sohnes Beistand aufzusuchen, wird es ihr nicht daran fehlen.

Ich werde sie nie wiedersehen, murmelte der Hauptmann vor sich hin; aber plötzlich stand er auf, und sein düsterer Blick richtete sich auf Eugen, der kaum dann und wann mit einigen Worten die Angaben seines Vaters unterstützt hatte.

Jetzt trat der alte Mann dicht vor ihn hin, betrachtete ihn von Kopf zu Fuß, als wolle er sein Bild sich einprägen, und sagte dann mit harter Stimme laut und verächtlich:

Hab' es immer gesagt, die Schwarzröcke taugen nichts, und ist kein männlich Wesen in einem Mann, der zu Schanden wird an seinem Weibe. Verflucht sei der Tag, wo ich Dich sah, verflucht der Rath, der mich um mein Kind gebracht! Geht hin und wärmt Euch an Euren Thaten!

Mit seiner ganzen Kraft, stolz und fest, als sei er wieder jung geworden, wandte er sich um und ging zur Thür hinaus.

Der General hielt seinen Sohn fest. –

Schweig, sagte er, daran läßt sich mit Worten nichts ändern. – Ich weiß Alles; für Hausberg soll gesorgt werden; sammle Dich, so gut Du kannst. Die alte Excellenz ist bei Deiner Mutter. – Unsere Jugendfehler und Irrthümer büßen wir nicht durch Thränen und Reue, aber durch unsere Handlungen ab. – Wo ist Diana?

Hier ist sie! antwortete die helle Stimme der Gräfin, die von Cäcilien begleitet hereintrat.

Meine herrliche, schöne Tochter! rief der General. Eugen ist ein Träumer, führen Sie ihn zum Verständniß des Lebens, heilen und bewahren Sie ihn vor allen Mißgriffen.

Diana reichte Eugen die Hand.

Ich liebe ihn, sagte sie, und will ihm geben, was ihm fehlt, eine sorgende treue Freundin, die seinen inneren Reichthum auszuprägen versteht.

Die Verlobung wurde gefeiert, sechs Monate später stand die Vermählung des Legationsraths Eugen von Werder mit der Gräfin Diana von Arnheim in den Zeitungen.


12.

Und sechs Male war der Frühling wieder gekehrt seit jener Zeit und hatte das Gärtchen vor dem Hause des Capitains mit Blumen gefüllt. Der alte Thurm stand noch immer auf seiner Höhe zwischen Epheu, Buchen und Kastanien, der See lag blau und sonnig in der Tiefe, im Walde rauschte der Wind über die Erdbeerfelder, unten schaukelten die Fischerkähne an den Weidenbüschen, und aus der tiefen Bucht glänzte der Garten der Herzogin mit zahllosen weißen prächtigen Kelchen.

Es hatte sich nichts verändert, auch an dem netten Häuschen nicht, das zwischen dem grünen Gegitter still und friedlich wie sonst lag. Die Fenster mit den weißen Gardinen schauten licht auf die Fruchtbäume, welche nur ein wenig höher und dichter geworden waren. Der alte Birnbaum beugte sich noch krummer wie ehemals, und die Laube von Linden hatte sich geschlossen und wölbte oben ein schattenvolles Dach.

Und wie an jenem Lage, der so verhängnißvoll gewesen war, saß auf der Bank der alte Major in demselben gelben Rock, denselben spitzen Hut auf dem Kopfe, ihm gegenüber der Feldwebel, grau und lang mit der Mütze von Glanztaffet. – Aber der Major war noch dicker geworden und der Feldwebel noch magerer. Seine Nase war so wunderbar spitz und seine Backen so seltsam dünn und gelbbraun, wie die Haut einer alten Trommel. – An dem Pfosten am Eingange lehnte Adam in seinen Wasserstiefeln und der blauen Jacke mit den Hornknöpfen. Seine Augen waren hell und groß wie ehemals, sein schönes braunes Haar fiel gerade so auf seine Stirn, aber sein Gesicht war ernsthafter und klüger geworden, und seine Gestalt zeigte an, daß er zum Manne gereift sei.

Die drei Männer schwiegen. Der Major und der Feldwebel sahen starr auf den leeren Platz, wo der Hauptmann sonst immer gesessen hatte. Der Major hatte seine kleinen Augen fast ganz zugemacht, der Feldwebel hatte sie so weit wie möglich aufgethan.

Schade! murmelte der Major endlich.

Hm! brummte der Feldwebel.

Ist fort zur großen Armee! sagte der Major kopfschüttelnd. Weiß nichts.

Hm! schnarrte der Feldwebel tief aus der Kehle.

Todt ist er, sagte Adam. Das ist gewiß. In meinen Armen ist er gestorben, heut sind es zwei Jahre, und hat mir Alles gelassen, was er besaß, weil Niemand da war, dem er es geben konnte.

Da ging die Thür am Hause drüben auf und Eva trat heraus. Sie trug ihr buntes Jäckchen, den grünen Rock, die Lederschuhe mit den dicken Sohlen. Die blonden Flechten fielen in tiefen Scheiteln nieder, sie sah zur Laube hin und nickte leise. Dann ließ sie die Enten aus ihrem Gefängniß, die schreiend dem Wasser zuliefen, und endlich nahm sie die Gießkannen, welche standen, wo sie einst Eugen gefunden hatte, und verschwand damit.

Adams Blicke hingen fest an jeder ihrer Bewegungen, es waren Blicke der Sorge und einer starren Betrachtung, welche er ihr nachsandte. Plötzlich wandte er sich wieder zu den Beiden in der Laube um, und sagte mit unterdrückter Stimme:

Ihr Herren wißt es, was im vorigen Herbst geschah. Mein Vater war damals eben auch zur großen Armee gegangen, wie ihr es nennt, da traf ich Eva eines Abends, als sie am Gitter dort stand und hereinschaute.

Landstreicher! murmelte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Es kostete Künste sie hereinzubringen, fiel Adam ein.

Wie geht's meinem Vater? fragte sie.

Warst sein letztes Wort, Eva, sagte ich. – Beißen heut gut, rief er, prächtige Würmer, aber kalt. Nimm sie fort, Eva.

Also todt, sagte sie, das ist gut.

Ich brachte sie ins Haus, da ist sie geblieben. Die alte Marie pflegte sie lange Zeit, mir schnitt es ins Herz, wenn ich sie ansah.

Wo gewesen? brummte der Major.

Hm! nickte der Feldwebel.

Weiß es nicht, sagte Adam, will's auch nicht wissen. Sie hat mir nie etwas gejagt. Das Unglück lag ihr auf jeder Augenwimper, habe nimmer das Herz gehabt, eine Frage zu thun.

Haut und Knochen, murmelte der Major den Feldwebel anblinzelnd, der sonderbar grinste und seinen fetten Kameraden ansah.

Aber es ist doch die Eva, rief Adam. Der Winter ist vergangen, nun erholt sie sich. Seht sie nur an, wie sie umherläuft und zu allerlei Dingen Muth bekommt. Die bunten Lappen und Lumpen hat sie von sich geworfen und aus dem Schrank hervorgeholt, was ihr sonst so schön stand. Das Gärtchen pflegt sie, kein Stäubchen liegt drinnen auf der Diele, und schaut hier umher, ob nicht Alles so blank und rein ist, wie es je gewesen.

Muß ja sagen, brummte der Major.

Hm! röchelte der Feldwebel.

Und's Auge wird auch wieder hell, sagte Adam den Kopf aufwerfend, indem er unruhig sich seitwärts drehte, der Schritt wird schneller, die Lippen thun sich auf, als wollten sie wieder lachen lernen. Es kommt eine Kümmerniß da hinein, rief er sich auf die Brust schlagend: sie fragt mich doch nach diesem und jenem, und hört, was ich ihr erzähle.

Der Major nickte und der Feldwebel machte es nach.

Habe ihr gestern gesagt, fuhr Adam stockend fort, daß Alles, was da sei, ihr gehöre, und des Hauptmanns Testament in Stücke zerrissen. Es muß so sein, konnt's nicht länger lassen.

Der Major und der Feldwebel sahen sich an und nickten sich wieder zu.

Es ist nicht viel, Eva, sprach ich, aber das Häuschen hier und das Feldstück drüben und das Gärtchen sind doch etwas, und wo es Arbeit giebt, ist der Adam da. – Haben genug für uns beide. Mein Vater hat ein Stück Geld gespart, der Holzhandel geht gut; Fische giebt es auch noch; bin dazu ein Mann, der auf seinen Beinen steht und den Hut auf dem Kopf hat.

Ein fröhlicher Ton lag in seinen Worten, seine Augen thaten sich stolz auf.

Brav gemacht! rief der Major so deutlich, daß der Feldwebel davor erschrak und kaum Hm! sagen konnte.

Was brav! rief Adam, es ist nicht anders, muß so sein. Bin mit der Eva aufgewachsen, und hätte mein Lebtag nicht gewußt, wie lieb sie mir war, wenn nicht – er legte die Arme gekreuzt über seine Brust – wenn nicht das Unglück über sie gekommen wäre, murmelte er vor sich hin.

Nun! rief er, als er sah, daß keiner antworten wollte, es ist so geschehen und Gott selbst könnt es nicht ändern. Wenn ich nicht dumm war damals, dumm wie ein Grundfisch, hätt' ich es anders machen können. Habe darum eben sowohl meine Schuld daran, wie Jeder, und habt auch mit daran zu tragen, Ihr Herren, denn Euer Rath hat mitgeholfen.

Kriegsrath damals, murmelte der Major.

Hm! brummte der Feldwebel.

Hebe also keiner den Stein auf, sagte Adam. Die Leute schwatzen Allerlei, erzählen sich schändliche Dinge, Jeder ist gern da, wenn es gilt seinen Nächsten anzufallen. Sie lachen hinter ihr her, wenn sie sie sehen; ich will ihnen das Lachen austreiben.

Nichts zu machen, flüsterte der Major vor sich hin.

Nichts zu machen? rief Adam. Es muß Einer kommen, der ihnen die Worte am Munde abschneidet, und der bin ich. – Verlange Euren Rath nicht, Ihr Herren, aber will Euch mittheilen, daß, wenn Eva will, wie ich, ja wenn sie will – nun, sagte er langsam, was dann kommen soll könnt Ihr Euch denken.

Es entstand eine lange Pause. Der Major sah starr vor sich hin, seine Augen verschwanden unter den Wulsten, die sie umgaben; der Feldwebel dagegen schien gar keine Augenlieder mehr zu haben.

Endlich murmelte der Major einige dumpfe Worte, zu denen der Feldwebel einen gurgelnden Kehlton fügte.

Ihr meint nicht? fragte Adam.

Vorsehen, brummte der Major.

Hm! sagte der Feldwebel.

Wer soll sich vorsehen? rief der junge Mann. Es nagt an Eva's Herzen ein Wurm, den wird sie nimmermehr los werden. Es ist derselbe Wurm, Major, der ihrem Vater das Herz abfraß. Es war ihm immer kalt, er saß immer und dachte an sein Unglück und an seine Ehre, wie er es nannte, und konnte keinen mehr ansehen, glaubte, es stehe Etwas auf seiner Stirn, das da eingebrannt sei mit glühendem Eisen.

So sitzt die Eva im Winkel, fürchtet sich, wenn die Thür aufgeht, und wenn ihr Herz friert, brennen ihre Hände. – Ich kann's nicht länger ansehen, Major. Mag auch geschehen sein, was da wolle, ich will sie aufrichten, daß sie es tragen kann, was an ihr verbrochen wurde.

Schande bedenken, murmelte der Major.

Hm! gurgelte der Feldwebel.

Sagt mir nichts mehr, rief Adam sich aufrichtend, und eine brennende Röthe bedeckte sein Gesicht. Es ist das Kind Eures alten Freundes, das bedenkt. Ich weiß, was ich thue, und wenn alle Welt mir den Rücken zeigt, ich wollt dazu lachen und Eva an mein Herz drücken. – Nichts will ich auch von Euch, fuhr er ruhiger fort, als wenn es dazu kommt, Euch bitten, daß Ihr mir dieselben Dienste leisten mögt, die Ihr einst schon willig übernommen habt. Sollt dabei sein als Zeugen, wenn wir uns die Hände geben, und könnt sicher sein, diesmal sollen Eure Namen nicht aus dem Kirchenbuche gestrichen werden.

Bleibt dabei, murmelte der Major nach einem langen Schweigen, indem er Adam die Hand reichte.

Hm! sagte der Feldwebel, diesem Beispiele folgend.

So habt vielen Dank, sagte Adam. Will mein Wort halten und denke, Eva wird einsehen, was ich für sie thue.

Die beiden Männer standen auf und gingen zum Ufer hinab, wo der kleine spitze Kahn stand, der sie erwartete.

Wetter gut, sagte der Major, indem er auf den jungen Fischer einen einladenden Blick richtete.

Glück auf den Fang, erwiederte Adam, muß zu Haus bleiben bei meinem Netz.

Hört an, Adam, sprach der Major. Wenn's so weit ist, meine Sache wär's nicht, aber verspreche es noch einmal, kommen will ich, um den, der todt ist.

Es war der längste Tag, den er seit vieler Zeit gesprochen. Der Feldwebel ließ vor Erstaunen das Ruder fallen, aber er ermannte sich und sagte mit Anstrengung: Ich auch. Hm! Uff!

Das kleine Fahrzeug entfernte sich, und Adam ging zurück in dem Augenblick, wo Eva mit den Gießkannen wiederkehrte.

Hast Deine Bohnen begossen? fragte er freundlich.

Ja, Adam, antwortete sie.

Es wächst und blüht Alles, liebe Eva, fuhr er fort und wo was welken will, muß man nachhelfen. Du darfst Dich aber nicht anstrengen und Dich heiß machen.

Ich strenge mich gar nicht an, sagte sie. Du thust ja Alles, ehe ich dazu komme, Du guter Adam.

Bin ich gut? rief er und seine Augen glänzten, während er ihre beiden Hände nahm. Ach! Eva, was mich das freut, wenn ich in Dein Gesicht sehe, und es kommt mir vor, als ginge der Frühling darin wieder auf.

Das Lächeln verschwand einen Augenblick von ihren blassen Lippen, aber gleich darauf kam es wieder.

Der Frühling kann nicht wieder kommen, Adam, sagte sie, aber daß mir wohler ist, meine Füße leichter fort wollen, und es ruhiger geworden ist, da, Adam – sie legte die Hand auf ihre Brust, – das ist wieder Dein Werk, und willst nichts davon wissen.

Ei freilich, weiß ich es, fiel er lachend ein. Meinst nicht, daß ich gesehen habe, wie wohl es Dir thut, wenn ich zu Dir komme und bei Dir bleibe, Bücher bringe aus der Stadt, Rath von Dir hole in allerlei Sachen, und vor Dir ausschütte, was mir auf dem Herzen liegt. – So ein einsamer Mensch, wie ich bin, und obenein ein Mensch mit einem Kopfe, in den nie viel hineinwollte, muß einen klugen Rathgeber haben. –

Er drückte mit Herzlichkeit ihre Hände und sah sie mit seinen braunen, runden Augen freundlich an.

Schau auf, Eva, rief er; ist der Himmel auch so blau, daß kein Wölkchen am alten Thurm vorübersegelt, in meiner Seele sieht's doch noch lustiger aus.

Ja, lustig, daß ich Dich wieder habe, fuhr er fort, als sie nicht antwortete. Ich wüßte nicht, wie ich's machen sollte, wenn ich nicht alle Tage früh schon nach Dir aussehen könnte.

Eva schüttelte leise den Kopf. Ich werde Dir immer rathen, so gut ich kann, sagte sie. Jetzt geh'; ich weiß, Du mußt fort zu Deinen Arbeiten, hast Handel in der Stadt und Geschäfte, die auf Dich warten. Wenn Du wieder kommst und willst weiter mit mir reden, werde ich Dich erwarten.

Nach einigem Bedenken antwortete er:

Bist immer gescheut, Eva; Arbeit geht vor, und habe heut einen besonders guten Tag, denn ein ganzer Haufen Geld soll mir ausgezahlt werden.

Du bist ein reicher Mann, sagte sie lächelnd.

Und ein Mann, der's zusammenfaßt, fiel er ein. Weiß, was es heißt Geld in der Tasche haben, und was eine Hand werth ist, wie Deine, Eva, die das Haus in Ordnung hält.

Eva machte sich los; er sah ihr vergnügt nach und sprang dann mit einem Satze, wie er früher gethan, über die Umzäunungen.

Nach einer halben Stunde ging er in die Stadt in seinem blauen Staatsrock, eine Geldkatze an den Leib geschnallt, und sein buntgewürfeltes Halstuch umgebunden, das Eva manchmal so schön gefunden hatte.

Sie saß am Fenster, er nickte ihr zu und schlug auf den leeren Gurt.

Ehe es Abend wird, bin ich wieder da, rief er herein. Sitz aber am Thurm, Eva, und erwarte mich. Habe Dir dann Allerlei zu erzählen.

Sie ließ die Nadel fallen und versuchte freundlich zu sein. Er ging und sah sich oft nach ihr um, aber er sah sie nicht mehr.

Sie saß in der Ecke ihrer Kammer, und aus dem tiefen Schoß eines alten Schrankes hatte sie ein vergilbtes schmutziges Papier hervorgeholt, auf welchem ihre Hände und Blicke ruhten. Wenn man es genau betrachtete, konnte man eine Zeichnung erkennen, den Thurm, den See, das Haus und ein paar halbverwischte Gestalten.

Es war Eugens Werk, sein einziges Andenken. – Sie beugte ihr Gesicht darauf nieder und sah es an wie eine Sterbende, mit irrem, trostlosem Blick und einem Seufzer, der in ein leises Wimmern sich verlor. – Als die Thür aufging und die alte Magd hereintrat, verbarg sie schnell das Blatt und stand auf.

Weißt schon vom Adam? fragte die Alte schlau lächelnd.

Ich weiß nichts, sagte Eva.

Nun, er wird's Dir heut wohl noch selbst sagen. Der Major und der Feldwebel sind darum hergekommen, haben ihm abreden wollen, aber wird's doch thun.

Was thun? fragte Eva.

Dich nehmen, lachte Marie. Ja, meiner Seel!! das will er. Evchen, hast Glück. Sie reißen Alle die Mäuler auf, kannst es wohl denken, gönnen es Dir nicht, denn den Adam nähme jede gern, die eine Krone von Myrthen tragen darf.

Und mich verspotten sie, sagte Eva die Hände faltend.

Laß sie doch, rief die Alte vergnügt und schmeichelnd; sie werden es nicht wagen, Dir Häcksel zu streuen und Possen zu spielen. Adam hat Geld und ist der Erste. Genau ist er wie sein Vater, aber er ist Dir gut, wird Dir in allen Dingen zu Willen sein, und wenn Du Sonntags mit ihm in die Kirche gehst, wird keiner mehr mit Fingern auf Dich zeigen.

Die tödtliche Blässe in Eva's Gesicht bewirkte endlich, daß die Trösterin schwieg und bedauernd ihre kalte Stirn streichelte. – Ach Kind! sagte sie, siehst aus, wie Deine selige Mutter, aber wirst schon wieder roth werden, wenn Du eine ehrbare Frau bist, die sich sehen lassen darf. Kannst dann alle Tage Fleisch essen, Adam ist reich genug, und kannst auch eine Magd halten, die da thut, was Du nicht thun willst.

Als die Sonne im Sinken war, ging Eva hinauf auf die Höhe und setzte sich auf den Rasensitz unter den alten Baum, wo sie einst mit Eugen gesessen hatte.

Wie an jenem Tage waren Schönheit und Frieden über das weite Land ausgegossen. – Die Winde schwiegen, die rothe Sonne glänzte über den Wald und über ferne Berge, unten blitzte der blaue und strahlende Schild des Sees. Leise nickten die Halme und kleinen Blumen, leise sangen Vögel in den hohen Bäumen, oben am Himmel schwebten Adler in langsamen Kreisen.

Eva lehnte sich müde an den Stamm des Baumes. Sie sah zu den Adlern auf und verfolgte sie. Ihre Gedanken beschäftigten sich damit, ob es dieselben seien, welche damals über ihr geschwebt hatten, dann riß sie Halme aus und knüpfte sie zu einer Kette zusammen, und als ein Kranz geworden war, faßte sie ein Schrecken, und doch lächelte sie und betrachtete ihn mit geheimer Freude. Wiedersehen! murmelte sie mit hohler Stimme, O, nein! O, niemals, niemals!

Hoho, Eva! rief Adam hinter ihr, und bebend zerriß sie das Gewinde. – Er stieg den steilen Abhang herauf, seinen Rock trug er auf der Schulter. Eine wilde Rose steckte auf seinem Hute, der schief auf der sonnenverbrannten Stirn saß, und um den Leib trug er den breiten Gurt, ganz gefüllt und schwer von Geld.

Holla, da bin ich! fuhr er fort, indem er den Rock auf den Rasen warf und sich neben Eva setzte. Er schnallte den Gurt los und legte ihn lachend in ihren Schooß.

Habe ein gutes Geschäft gemacht, sagte er froh, aber habe immer an Dich gedacht, und wie Du hier sitzen würdest und wie ich Dich anschauen könnte, wenn ich das Geld da vor Dich niederlegte.

Du siehst erhitzt aus, lieber Adam, antwortete sie.

Weil ich Allerlei trinken mußte, Wein und gute Sachen in Menge, und mußte an des Herrn Tisch sitzen und mit ihm essen. Es war ein Rühmens über meine guten Eigenschaften und was aus mir werden könnt' mit der Zeit, denn ich hätte den Kopf auf dem rechten Fleck und Augen, die zu sehen verständen. – Waren auch drei Töchter da, fuhr er lachend fort, drei große hübsche Mädchen, ausgeputzt wie die Stadtdamen, und gaben sich alle daran, mir tapfer einzuschenken.

Glaub's wohl, sagte Eva leise lächelnd, indem sie ihre Augen auf ihn richtete.

Aber glaube auch, rief er lachend, daß ich sie schwatzen ließ, was sie wollten. Sprachen, ich sollt in die Stadt ziehen, sollte den Handel im Großen treiben, sollte mit meinem Gelde Käufe machen, wo es sich lohnte; würde bald ein Mann werden, der an jede Thür klopfen könnte.

Das war ein guter Rath, Adam, erwiederte sie.

Meinst, sagte er, indem er rasch den Arm um sie legte, meinst wirklich, ich könnte Dich jemals verlassen, Eva? Meinst, ich könnt da drinnen mit einer Anderen leben, wenn Du in dem Häuschen säßest und keinen mehr hättest?

Ich – ich! antwortete sie bewegt. So darfst Du nicht fragen, lieber Adam. Du bist jung, bist ein rascher Mann und kannst weiter kommen.

Ich will nicht weiter kommen, rief Adam, wo Du nicht bei mir bist. Was soll's mit den Ausflüchten, Eva. – Weißt noch an jenem Abend, wo Dein Vater plötzlich hinter uns stand?

Mein Vater! flüsterte sie leise schaudernd.

Der Mond stand über dem See, wir saßen auf dem schmalen Bret, ich hielt Dich fest in meinen Armen. Adam, sagte er, Kopf in die Höh', Junge, hör zu, was ich Dir sagen will. Wenn ich fort muß ins Hauptquartier, von wo noch Keiner wieder gekommen ist, und ich ließ das Mädchen hier zurück, würdest sie immer lieb haben und nie verlassen?

Da hob ich meine Hand hoch auf und rief: Da steht der Thurm und da ist der See, so lang die aushalten, soll's niemals geschehen.

Ach, Adam! aber dann – dann! sagte Eva bebend.

Weißt noch, fuhr Adam fort, was ich, an jenem Morgen sagte, wo ich vor Dir stand und nicht begreifen konnte, was mir geschah? – Eva, sagte ich, bist gut und schön wie Keine. Niemand kennt Dich so, ich kenne Dich. Und wenn Alle Dich verlassen, ich halt' aus, mag kommen was da will, ich bin der Adam.

Laß mich, laß mich! rief sie ihre Hände aus den seinen ziehend, zwischen damals und jetzt liegt eine Kluft, über die keine Brücke führt. Sie werden mit Fingern auf Dich zeigen, sie werden Dich verspotten, wie sie mich verspotten; und habe ich es nicht verdient, habe ich es nicht verschuldet? – Nimm eine Frau, Adam, die Dich ehrt, nimm eine, die Dich glücklich macht; ich kann es nicht.

Sie bedeckte ihr Gesicht; er zog sie fester an sich und sagte rasch:

Ich hab's überlegt, Eva, hab's bei Tag und Nacht bedacht, und meinst nicht, ich hätte mir Alles gesagt, was ein Mann sich sagen kann?

Damals war es anders wie jetzt, ich will's wohl glauben, aber beide sind wir anders geworden. Bin ein schlichter Mann, Eva, und biete Dir Alles an, was ich geben kann. Was ich Deinem Vater versprochen habe, will ich halten, und kümmere mich nicht darum, was die Leute sagen. Hoho! rief er, sie haben mich heut auch gefragt in der Stadt, wie es denn stände mit der gnädigen Frau, und wollten ihren Spaß damit treiben; habe es ihnen aber gerade herausgegeben; seist mehr werth als sie, und verdammt Alle, die Dich dazu machten.

Wozu machten? rief Eva, und ihr blasses Gesicht röthete sich fieberhaft.

Nun wozu – wozu? murmelte Adam. Laß es gut sein, arme Eva, ich will's nicht wissen, will nichts wissen! Habe es Deinem Vater zugeschworen und mir geschworen. Sind geschehene Dinge, an denen Niemand etwas ändern kann. Und bist mir ja so lieb, Eva, wie Keine, denn in mir stehst Du, wie Du warst; in mir ist eine Stimme, die mich zu Dir ruft wie damals, wo ich sie überall hörte.

Sie neigte tief den Kopf nieder, er hob ihn sanft auf und seine rauhe Hand hielt sie fest. – Schlag ein, sagte er, sollst meine ehrliche Frau sein. Arbeiten wollen wir und lieb will ich Dich haben, mehr wie je Einer Dich lieb gehabt hat.

In diesem Augenblick stieß Eva einen gellenden Schrei aus, denn wenige Schritte von ihr stand Eugen. Sein Gesicht war voll Schmerz und Mitleid; mager und gelblich blaß stand er da. Nichts mehr von seiner jugendlichen Schöne war an ihm; ein ernster Mann mit tiefen großen Augen und jenem unheilvollen melancholisch düsteren Zuge, vor dem sie oft gezittert, streckte die Hände nach ihr aus, wie nach einer Erscheinung, in dem Augenblick, wo eine große schöne Dame und ein anderer Herr, der diese führte, auf der Höhe des Hügels erschienen, während ein schwerer Reisewagen unten auf der Landstraße langsam sich fortbewegte.

Hier also ist der Schauplatz Deiner Thaten, rief die Dame lachend.

Hier ist der süße Tummelplatz, sagte der Herr, wo die reizende Eva ihm ihre Aepfel reichte.

Eva! rief Eugen, halt ein, bleib!

Aber wie in den Tagen, wo ihr leichter Fuß kaum die Erde zu berühren schien, floh sie an dem Thurm vorüber und die Schlucht hinab, welche nach dem Ufer des Sees führte. Adam sprang ihr nach, so schnell er konnte, und Eugen folgte ihm. Ihr lautes Rufen drang der flüchtigen Gestalt nach, die zwischen den Bäumen sichtbar blieb, eingehüllt und umspielt von dem glänzenden rothen Lichte der Abendsonne, das zauberisch in den stillen Wald drang. – Es war kein Weg hier, keine Menschenwohnung, nur die tiefe Bucht des Sees lag vor ihnen, die mit dem Blumengarten der Herzogin gefüllt war.

Dorthin nahm Eva ihren Weg. Einen Augenblick sah Eugen sie auf der Spitze der Höhe, auf welcher das Zauberschloß gestanden hatte; er sah Adam dicht neben ihr, dann hörte er einen wilden Schrei und mit athemloser Eile sprang er den Hügel hinauf, an dessen Seite das tiefe Wasser lag.

Unter sich am Ufer erblickte er den jungen Fischer, der Eva's leblose Gestalt in seinen Armen hielt und auf den Rasen niederlegte. Ihre triefenden Gewänder zeigten an, was ihre Verzweiflung gethan; ihr Haar hatte sich aufgelöst und floß schön und weich über den grünen Teppich; Lilien mit ihren langen Stielen und großen weißen Blüthen schlangen sich um Hals und Brust, und über Allem lag der rothe Abendschein mit seinem Lebensathem und seiner Täuschung.

Wach auf! rief Adam, indem er den schlaffen Körper unterstützte. Schafft Hülfe, Ihr da! schrie er, als er Eugen jetzt neben sich erblickte, und mit seiner kräftigen Hand faßte er den vornehmen Herrn am Arm und sah ihm grimmig starr ins Gesicht.

In diesem Augenblick waren zwei andere Männer dicht in der Nähe. Der kleine spitze Kahn, in welchem der Major und der Feldwebel saßen, stieß ans Land und mit größerer Eile als gewöhnlich waren sie zur Stelle.

Todt! murmelte der Major sich niederbeugend.

Hm! sagte der Feldwebel.

Todt! rief Adam Eugen zornig schüttelnd; hört es, Herr, todt und hier liegt sie! Verrathen und verstoßen habt Ihr sie im Leben, und ermordet, als sie nichts mehr hatte, worum sie betrogen werden konnte.

Mord! murmelte der Major, indem er sich bemühte seine Augen so weit als möglich zu öffnen.

Hm! grunzte der Feldwebel aus tiefster Kehle.

Unbesonnener! sagte Eugen, laßt meinen Arm los. Helft ihr, vielleicht ist noch Hülfe möglich.

Rührt sie nicht an, schrie Adam, indem er über den Körper hintrat. Gott weiß es! ich könnte es nicht dulden. Geht, so weit Ihr gehen könnt, und macht es mit Euch aus, was Ihr an ihr verbrochen habt, was nicht.

Ich habe in Rom fünf Jahre gelebt, sagte Eugen stolz, und kehre von dort soeben zurück. Mich sowohl wie meine Frau trieb der Wunsch hierher, von Eva's Schicksal zu hören, ihr beizustehen, wenn ich es vermöchte. Ich habe sie nicht verlassen, nicht vergessen. Ein anderer gewissenloser Mann, um dessentwillen sie mich vergaß, stieß sie von sich, nachdem sie viel Leid erfahren. Was dann mit ihr geschehen, weiß ich nicht; meine Absicht war, ihr Trost zu bringen und für sie zu sorgen.

Braucht nichts mehr, als ein Grab! sagte der Major mit Anstrengung.

Grab! wiederholte der Feldwebel. Hm!

Und dafür sorge ich, rief Adam. Ich allein.

Eugen! rief die Stimme der Gräfin von der Höhe. – Was ist es? – Ist sie wirklich todt, Ortenstein?

Ihr Begleiter, auf den sie sich stützte, klemmte das Glas ins Auge und sagte lächelnd:

Sie ist ins Wasser gesprungen, die arme kleine Eva, und wie es nicht anders sein konnte, hat ein Schlagfluß sehr sanft alle fernere Sorge um sie unnöthig gemacht. Der rohe Bursche; der Adam, schreit wie ein Besessener; es ist das Beste, ihm den Willen zu thun. Sehr fatal in seiner Nähe zu sein.

Eugen! rief die Gräfin nochmals mit stärkerer Stimme, indem sie unwillig ihm zuwinkte.

Er warf einen letzten kalten, scheuen Blick auf die Todte, dann stieg er den Hügel hinauf und nach wenigen Minuten verschwand der Reisewagen in einer Staubwolke.

 

Neben der Kirche, an deren Altar Eva einst so freudig stand, liegt sie an der Seite ihres Vaters. Nach einem Jahre zog Adam in die Stadt, und bald darauf wurde er der Compagnon seines Schwiegervaters.

Eva's Grab war grün, so lange die alte Marie lebte, jetzt liegt es öde unter dem Sand. Nur zuweilen kommen der Major und der Feldwebel und sehen es schweigend an.

Alles vorbei, murmelt der Major.

Hm! sagt der Feldwebel.



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