Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1.

An einem schönen Sommertage ging ein junger Mann, der ein leichtes Ränzchen von Wachstaffet an weißen Bändern auf dem Rücken trug und einen tüchtigen Stock zuweilen um seinen Kopf schwang, während er ein Liedchen pfiff, auf einer der Landstraßen, welche ins schlesische Gebirge führen. Rothe Abendstreifen zogen über den Bergkuppen am Himmel auf, die Schmetterlinge und Käfer versteckten sich in die leise nickenden Blumen, um sich von ihnen in den Schlaf wiegen zu lassen, und von den Abhängen des Gebirges brachte der Wind die melodischen Töne der Heerdenglocken mit, welche zum Frieden und zur Ruhe läuteten.

Von Menschen war weit und breit keine Spur zu entdecken. Aus einer Thalschlucht stieg ganz in der Ferne seitwärts der Knopf eines Kirchthurmes auf, den der letzte Sonnenblitz überzitterte; das Bellen eines Hundes und das Rauschen der Bäume unterbrachen von Zeit zu Zeit allein die Stille. Dann kletterten die schwarzen Schatten der Nacht immer höher an den Bergen hinauf, endlich hing ein röthlicher Glanz nur noch an ihren Spitzen, bis auch dieser zuletzt verschwand und aus den Spalten der dunstigen Wolken ein paar hellfunkelnde Sterne traten.

Der rüstige Wanderer ließ sich jedoch nicht davon anfechten. Er pfiff und sang fröhlich weiter und dachte in seinem Sinn: Einmal müssen doch die Menschen und ihre Wohnungen kommen. Müde bin ich nicht! je länger es also währt, um so größer wachsen meine Hoffnungen, meine Erwartungen und mein Hunger. – Dabei zog er aus seiner Tasche ein kleines Accordion und wußte diesem einfachen Instrumente eine lustige Marsch- und Tanzmelodie nach der anderen zu entlocken, indem er tüchtig weiter schritt.

So beschäftigt hörte er auch kaum das Stampfen von Pferden hinter sich, und daß ein Halbwagen herankam, in welchem mehre dunkle Gestalten saßen.

Halt! rief plötzlich eine männliche Stimme, da ist ein Mensch und obenein ein Musikant, der uns vielleicht aus der Noth hilft. – Heda, guten Abend, mein Freund! Könnt Ihr Feuer machen?

Feuer? erwiderte der Wanderer; nein! Aber mit Feuerlärm kann ich aufwarten.

Auf diese Antwort folgte ein unterdrücktes Lachen, das von zwei Damen zu kommen schien, von denen die eine sich neugierig ein wenig vorbeugte, während der Wagen weiter fuhr und der Wanderer nebenherging.

Das scheint ein naseweiser Bursche zu sein, hörte er den Herrn halb laut und gereizt sagen, und dann rief dieser im befehlenden Tone zum Schlage heraus: Wer sind Sie denn eigentlich, mein Freund?

Wie weit ist es wohl bis zum nächsten Gasthause? fragte der junge Mann dagegen.

Erst verlange ich eine Antwort von Ihnen, sagte der Herr.

Der Wanderer ließ die Finger über sein Accordion fliegen, und spielte das alte Lied: »Meinen Namen willst Du wissen? Ist mein Name Dir so werth,« indem er rüstig neben dem Fuhrwerk Schritt hielt.

Als er aufgehört hatte, sagte er:

Nun, wenn es durchaus nicht anders sein kann: Ich bin ein Musikant, wenn auch in diesem Augenblick kein fahrender.

Jedenfalls aber ein lustiger, versetzte der Herr, freundlicher gestimmt. Wo kommen Sie denn her?

Von Breslau.

Und wohin gedenken Sie? –

In die weite Welt. –

Sonderbar! –

Wie so, sonderbar?

In die weite Welt, ohne Zweck und Ziel?!

Ah so, sagte der Wanderer lachend, ich verstehe, was Sie meinen. Ich weiß nichts von Ihrem Rang, Stand und Namen; ja ich sehe nicht einmal Ihre werthe Gestalt, aber ich will darauf wetten, daß Sie jedenfalls zu den würdigen, bedächtigen Leuten gehören, die einen tiefen Abscheu vor Menschen hegen, welche das Nützlichkeitsprincip nicht kennen.

Für was halten Sie mich denn? fragte der Fremde lustig angeregt.

Halten? rief der Andere nach einer Pause. Nun, wenn es darauf ankommt, Ihnen meinen Scharfsinn zu beweisen, so denke ich nicht zu irren, indem ich behaupte die Ehre zu haben, mit einem vermöglichen, wackeren Gutsbesitzer aus der Nähe zu reden, der im Bebauen seiner Felder, in der Sorge um Veredelung seiner Heerden und in dem schönen Bewußtsein jeder Mehrung und Verbesserung seiner irdischen Habe eine Fülle von Freuden findet.

Merkwürdig getroffen! rief der Herr im Wagen, indem er das laute Lachen der Damen begleitete. Sie haben wirklich eine Prophetengabe. Wissen Sie aber auch, daß ich Sie für keinen wandernden Musikanten halte?

Nicht?! – Und wofür denn, wenn's beliebt?

Weit eher für einen wandernden Musensohn oder dergleichen, versetzte jener, der um irgend einen Streich ausgewiesen wurde, und nun mit aller Sorglosigkeit der Jugend in die weite Welt läuft, um zu sehen, ob Gott wirklich die Lilien auf dem Felde kleidet oder den Raben ihr Futter reicht – und den Taugenichtsen, sagte er leise zu den Damen.

Vortrefflich gezielt! rief der Musikus, ganz vortrefflich, mein werther unbekannter Herr, aber ganz und gar fehlgeschossen. Ich bin und bleibe in Wahrheit nichts, als ein lustiger Musikant, der durch die Gebirge und immer weiter der Nase nach läuft, weil er eben nicht weiß, was er sonst Besseres mit sich, seiner Zeit und seiner Lust anfangen könnte.

Nun denn, sagte der Herr nicht ohne Spott, so möge Ihnen die Zeit nicht lang und die Lust nicht verkümmert werden. Gute Nacht, Herr Musikant!

Gute Nacht, wackerer Herr Amtsrath.

Vorwärts, Jakob! rief der Herr im Wagen seinem Kutscher zu.

Könnten wir denn den jungen Wandersmann nicht mitnehmen? fragte eine hell und süß klingende Mädchenstimme.

Nein, meine mitleidsvolle Magdalene, erwiderte der Herr im tiefen Baß.

Es ist so finster und einsam hier auf der Landstraße, fuhr die Beschützerin des Musikanten fort, aber so leise, daß dieser es kaum hören konnte, obwohl er sehr aufmerksam war.

Und da möchte der Bursche wohl umkommen, von Räubern erschlagen werden oder gar verhungern? sagte der fremde Herr. Meinetwegen, viel ist sicher nicht daran verloren.

Aber es ist doch recht grausam, rief die belle Stimme mit einer gewissen Heftigkeit, gegen einen fröhlichen, unschuldigen Menschen so hart zu sein.

Fort; Jakob! schrie der Herr, und der Kutscher, welcher offenbar auch seinen Antheil an dem Abenteuer genommen hatte, gab den Pferden nun ein paar kräftige Beweise seines Aergers und seiner Herrschaft, daß sie pfeilschnell fortrannten.

Habe Dank, barmherzige Samariterin! rief der junge Wanderer und streckte seine Hände dem Wagen nach. Gott hat Dir eine Stimme gegeben, die tief in meine Brust gedrungen ist. Da soll sie klingen und immer von Neuem klingen, bis der arme junge Wandersmann Dich vielleicht einmal wieder findet. – Und wenn ich Dich nicht finde? sagte er nach einer Pause – nun dann so lebe freundlich in meinen Erinnerungen fort; ein ewiger Freundschaftsbund soll zwischen uns geschlossen sein.

Nun stand er still und hörte das letzte Rollen des Wagens in der Ferne ersterben, dann ging er weiter, bis er nach einer Stunde seitwärts von der Straße ein Häuschen entdeckte. – Es war dies der Anfang einer jener langen Gebirgscolonien, in denen fleißige Weber wohnen, die, der Herr der Welt weiß es am besten, mühselig ihr Stückchen Brod erringen.

Als er in der Nähe war, hörte er auch die Schiffchen fliegen, und wie er durch die kleinen trüben Fenster blickte, sah er einen Mann mit kahler Stirn und blassem Gesicht am Webstuhl sitzen. Ein sonderbares stilles Lächeln lag in seinen Zügen. Dann und wann nickte er mit seinem müden, bleifarbigen Kopfe, und streckte die eine freie Hand nach der Kinderschaar aus, die zu seinen Füßen lebte und webte. Der Gottesathem der Vaterliebe stieg von seinem Herzen auf und schimmerte als Freude in den matten Augen; er hätte wohl gern ein bischen gefeiert und seinen Kindern zugesehen oder gar mit gespielt, da kam der Kopf und sagte: Du darfst nicht, arbeite, arbeite! sonst müssen die Alle da morgen hungern. So flog dann das Schiffchen doppelt schnell, um die versäumte Minute einzuholen.

Vor dem dampfenden Kamine saß ein junges Weib mit gelben Flechten, welche über ihr Gesicht hingen. Mutter, Hausfrau und Gehülfin zugleich, herzte sie den Säugling in ihren Armen, theilte den anderen Kindern Lehren und Brodstückchen zu, quirlte in einem großen Topfe an der Gluth und legte dann Löffel und Kind in ihren Schooß, um das Spulrad umfliegen zu lassen.

Nachdem der Wanderer dies Alles eine Weile mit angesehen, trat er hinein und bot seinen guten Abend. Die Kinder flogen unter die Schürze der Mutter, die verwundert zum Fremdling aufblickte, der seinerseits den Gruß des Mannes nochmals erwiderte, welcher den Webebaum ruhen ließ.

Guten Abend, sagte er und trat an den Webstuhl, wo die kleine Lampe hing. Ich habe einen tüchtigen Marsch gemacht und bin müde; könnt Ihr mir Nachtherberge geben, lieben Leute?

Der Weber sah seine Frau fragend und zweifelhaft an, und diese gab den Blick zurück. Er zuckte die Schultern und blickte in alle Winkel. Die Vorflur und die Stube bildete das ganze Häuschen, und da stand ein Tisch, dort eine Bank, hier ein paar Holzschemel, an der Wand aber die Lagerstätten. Es war nirgend ein Raum leer.

Lieber Herr, sagte der Mann bedenklich, es ist ein Gasthaus hier im Orte. Zwar ist es ziemlich weit, man kann eine Stunde gehen, aber es ist doch halt besser da, als hier.

Ich möchte aber eben keinen Schritt mehr gehen, geschweige denn eine Stunde, versetzte der Musikant.

Und dann, fuhr der Mann zögernd fort, dann ist auch ein scharf Verbot ergangen vom Landrath und vom Grundherrn, keinen zu beherbergen. – Er sah dem Fremden in das offene blühende Gesicht und fuhr muthiger fort – nun das hat eben nichts zu sagen, der Herr wird nicht ohne Paß sein und ein armer Handwerker ist er wohl auch nicht, auf die es dabei abgesehen ist, wie überall auf die Armuth, aber – nein, lieber Herr, es geht nicht an.

Warum denn nicht? jagte der junge Mann. Bettet mich, wohin Ihr wollt. Ihr habt ja einen Boden da oben, ein Heu- oder Strohbund wird auch zu finden sein.

Aber Herr, fiel der Weber ein und ein finster spöttischer Blick lief über den Wanderer hin, wissen Sie auch, wie Sie satt werden?

Ist das die ganze Sorge? rief der Fremde. Da liegt ein Brod, dort Kartoffeln, Mehlbrei ist im Topfe am Feuer, was brauchen wir mehr?! – Wollt Ihr einen Gast nicht von der Schwelle weisen, so werdet Ihr schon sehen, wie es ihm schmecken wird.

Des Webers Gesicht wurde bei der herzlichen Art, wie der Fremde sich ausdrückte, freundlicher. Er blickte seine Frau wieder an, die Frau lächelte.

Nun, wenn Sie es nehmen wollen, wie es arme Leute geben können, sagte er, so seien Sie uns schön willkommen.

Er streckte seine dürre Hand aus, der Musikant schlug ein und wie er sich nach der Frau umdrehte, die eilig einen Schemel herbeibrachte, damit er sich niederlassen könnte, war auch sie schnell eingenommen von seinem zutraulichen Wesen. – Sie half ihm das Ränzchen von den Schultern, er hielt das Kind fest, das am Rock der Mutter schleppte und die Frau rief:

I, Jesus! der liebe Herr wird schon mit uns auskommen bis zum nächsten Sonnenschein. Was wir haben, soll er mit uns theilen; wenn die Kinder schreien, wird er denken, es ist nicht anders; aber satt soll er schon werden und an Stroh soll's auch nicht fehlen.

Sie machte ein froh Gesicht zu des Gastes Dank und überall waren frohe Gesichter. Nun schnurrte der Webstuhl wieder, die Frau trat ans Feuer, der lustige Wandersmann aber setzte sich auf den Klotz daneben, zog sein Accordion aus der Tasche und begann so schön zu spielen, daß alle Kinder bald ganz und gar seine guten Freunde waren. Wollte er aufhören, so kamen sie, baten und riefen ihm zu; dann tanzten sie schreiend und jubelnd umher, wenn die Musik von Neuem begann. Die Frau hob den Säugling in die Luft und nickte dankbar dem fremden Freudenbringer zu, der mit so wenigen Mitteln das Glück in der Hütte des Elends auferweckte. Selbst der Mann bei der Arbeit lächelte sinnend vor sich hin und putzte die Lampe, um seiner Kinder Freude besser zu betrachten.

Endlich war das Mahl bereit. Ueber den Holztisch breitete die Frau ein grobes reinliches Leinentuch. Irdene Teller und Blechlöffel legte sie auf, dann kam der große Topf mit dem Mehlbrei, eine Schüssel Kartoffeln und ein Brod, von dem aber nur der Hausvater und der Fremde ein Stück erhielten. Nun rief sie die Kinder und den Vater, den Fremden aber nahm sie bei der Hand und führte ihn zu dem Schemel am oberen Ende. Dort stand der beste Teller, bei ihm lag das größte Stück Brod und von der Suppe hatte der Gast sein vollgemessenes Theil.

Nehmt vorlieb, lieber Herr, sagte sie freundlich, und wenn es Euch schmeckt, wird uns Allen um so wohler sein.

Da seid unbesorgt, erwiderte der Fremde, indem er seinen Löffel ergriff und die Aufschläge an seinem Reiserock emporstreifte, so daß er einen herzhaften Angriff auf die Speise machen konnte. Die Frau warf einen Blick auf das Hemd, das zum Vorschein kam, und sie erschrak davor, denn es war von feinem weißen Leinen, wie es nur reiche Leute zu tragen pflegen.

Aber der Weber sprach:

Lassen Sie noch einen Augenblick den Löffel ruhen, lieber Herr, nach dem Gebetlein wird es gesegneter werden.

Hierauf faltete er seine Hände, Kinder, Frau und Gast thaten es ihm nach und so sprach er mit lauter Stimme ein Tischgebet, wie es im alten Gesangbuche als Anhang zu finden ist:

Gieb Herr uns unser täglich Brod,
laß uns nicht leiden des Hungers Noth.
O Herr! sei heut auch unser Gast,
und segne was Du bescheeret hast.

Nun erst setzte sich die arme Familie nieder und das Mahl begann.

Die vier Kinder und der fremde junge Mensch brachten tüchtigen Hunger dazu mit; die Frau mußte Ruhe stiften und Richter sein, damit keines mehr bekomme als das andere; der Mann sah still vor sich hin und nur zuweilen hinüber nach dem Gast, der so lange löffelte, bis der Brei ein Ende hatte, dann sein Messer aus der Tasche nahm und den Kartoffeln hart zusetzte, die er in Salz tauchte, das die Frau aufs Tischtuch in einem alten Löffel gelegt, bis er zuletzt, als das Brod an die Reihe kam, gesättigter schien, und sein Stück in vier Portionen den Kindern zutheilte, die dafür ihre Liebe zu ihm verdoppelten und mit beiden Händen zugriffen.

Nun, lieber Herr, sagte der Weber, es hat Ihnen geschmeckt, obwohl es Ihnen selten wohl so gering geboten wurde.

Wofür haltet Ihr mich, Freund, erwiderte der junge Mann. Ich bin ein wandernder Musikant, der nach Böhmen hinein will. Oft genug ist Brod und Wasser meine Speise und mein Bett der freie Himmel gewesen.

Der Weber betrachtete ihn prüfend.

Ich will's glauben, sagte er dann. Musikanten können wohl weiche feine Hände haben und lustig durch die Welt laufen. Es ist mir jedoch doppelt lieb, wenn Ihr zu uns gehört, Herr. Der Arme zum Armen, das paßt besser, wie wenn der Reiche zum Spaß einmal unsere Suppe theilt und morgen darüber, als über ein rechtes Kunststück, lacht.

Er sah dabei dem Musikanten fest ins Gesicht und dieser blickte ihn ernsthaft an.

Es wird Euch wohl sauer, Freund, das kleine Volk da groß und satt zu machen? fragte er.

Sauer? rief der Weber mit seinem sonderbaren Lachen auf den schmalen Lippen. I nun, wie man will, zuweilen wohl, heut aber sind wir alle prächtig satt geworden.

I, Jesus, was sorgst Du doch so sehr, Christoph, fiel die Frau ein und legte ihre Hand tröstend auf die seine. Das ist nicht recht von Dir; was soll's denn werden; wenn Du gar krank wirst? Gott wird es ändern mit uns armen Leuten; es werden auch wieder bessere Tage kommen.

Steht es denn so schlecht um Eure Arbeit hier im Gebirge? fragte der Gast mitleidig.

Schlecht? sagte der Weber; ach! wenn es blos schlecht stände, wollten wir es wohl ertragen. Lauft mal da hinein ins Gebirg, Ihr werdet sie ein hübsches Stücklein pfeifen hören. Hundert tausend Menschen trefft Ihr, die Abends nicht wissen, wie sie einschlafen sollen, weil's gar zu weh thut, wenn man hungert, und Morgens, wenn sie aufwachen, wollten die Steine noch immer kein Brod werden.

Das ist entsetzlich! rief der junge Mann, und indem er die Hand des Arbeiters lebhaft drückte, sagte er: Und doch theilt Ihr mit mir das Wenige, was Ihr habt. Ich kann Euch nichts vergüten, ich habe kein Geld.

Hab ich's verlangt von Euch? versetzte der Mann. Wer mit einem kleinen Ränzel auf dem Rücken bis in tiefer Nacht wandert, den wird der Geldbeutel wohl nicht drücken. Laßt's gut sein, Kamrad. Wir, die wir nichts haben, wir müssen uns helfen, wie es geht, und was ist's denn mehr! Hungern wir sonst drei Tage bei etwas Haferbrei und ein paar Kartoffeln, so geben wir diesmal einen halben Tag zu für das Vergnügen, daß Ihr unser Gast waret. Das ist das Ganze; und es ist eine lustige Geschichte.

Der Musikant zog eine kleine von Stroh geflochtene Zigarrenbüchse aus seiner Tasche und sprach:

So ist's recht, nehme Jeder sein Schicksal von der besten Seite und suche so leicht als möglich damit fertig zu werden. Ganz undankbar sollt Ihr mich nicht finden, Freund Weber. Hier sind Zigarren, die habe ich aus Breslau mitgebracht. Es ist ein Geschenk. Ein armer Teufel wie ich kann die Dinger sonst nicht kaufen; allein sie sollen gut sein, darum faßt zu und laßt uns probiren.

Mit lüsternen Blicken nahm der Mann die Gabe. Er wog sie zwischen seinen Fingern und brannte sie endlich an der Lampe an. – Die Kinder sahen ganz erstaunt, wie der Vater rauchen konnte, und dieser verfolgte vergnügt mit den Augen die blauen Ringe und streckte seine lange Nase nach dem aromatischen Duft aus. –

Himmel Sakrement! rief er, schmeckt das prächtig. Was sagst Du nun, Martha, was fehlt uns nun noch?

I, Jesus, sagte die Frau, was ist es mir lieb, daß der junge Herr zu uns gekommen ist. Ich habe Dich lange nicht so lustig gesehen.

Du bist ein Narr, Martha, sprach der Weber, ich bin immer vergnügt. Denkt einmal, Kamrad, warum sollte ich nicht vergnügt sein? – Ich habe eine Frau, eine gute herzliebe Frau; ich habe vier Kinder, eines immer feiner als das andere. – Sie sehen a bissel blaß aus, a bissel angegriffen, Du mein Jesus! das ist ja Mode, wer wird denn rothe Backen haben wollen?! – Da schaut hin, Herr, wie die Zähne glänzen, wie die Perlen; sie dürfen nicht viel beißen damit, die armen Dinger, das würde sie bald abnutzen. – Die Kinder sind auch schon schlank am Leibe, wie wir Alle. Pfui! was sind die Dickbäuche garstig, und wo wollten wir andere Kleider hernehmen, wenn wir mit einem Male fett und rund würden?

Ach! schweig still, Christoph! sagte die Frau weinerlich, ich kann's nicht anhören, wenn Du Dein Unglück so verspottest.

Was ist da zu spotten, rief der Mann; Wahrheit ist es, die reine volle Wahrheit, es thut mir nur leid, Martha, daß das Wasser Dir davon in die Augen läuft. Kannst die Wahrheit schlecht vertragen, herzliebster Schatz, andere Leute haben doch ihre Freude daran. – Komme ich letzten Sonnabend drüben ins große Fabrikhaus Der Begriff ›Fabrik‹ wird hier nicht in der modernen Bedeutung verwendet. Die schlesische Tuchproduktion funktionierte vielmehr auf der Basis des dezentralen Verlagssystems; der Verleger ist der ›Fabrikant‹, dem bestimmte Lagerstätten gehören: er übergiebt dem Heimarbeiter, dem Weber, der einen eigenen Webstuhl besitzt, das Rohmaterial (dieser Prozess des Vorsteckens wird als ›Verlegen‹ bezeichnet); der Rohstoff wird vom Arbeiter zu einem Zwischenprodukt, dem Tuch, verarbeitet und dem ›Fabrikanten‹ gegen Entgelt in der ›Fabrik‹ ausgehändigt. – Bei Feldmann zeigt sich in Kapitel 4, dass er in seiner ›Fabrik‹ allerdings das Rohmaterial durch eigene Produktionsmittel vorbereiten lässt (siehe Anm. 22). – Anm.d.Hrsg., habe meine Webe unterm Arm, zieh's Hütlein ab vor dem dicken reichen Herrn, der eben vor einem Teller mit Braten sitzt und eine Flasche Ungarwein steht daneben. Weiß der Himmel wie's kam, aber mir war's ganz weh zu Muthe. Hatte drei Stunden gelaufen über die Berge auf schlimmen Wegen, in Regen und Wind, und innen war auch nichts, nichts Warmes, nichts Kaltes. Wie ich den vollen Teller sehe, mußt ich lachen, daß es Braten und Wein dicht neben mir giebt und ich voll Schneiden vor Hunger daneben stehe, und wie ich lachen wollte, ward mir mit einem Male schwindlig und schwarz vor den Augen, ich schnappte nach Luft, schwankte 'nüben und drüben und wäre gefallen, wenn mich andere Leut', die im Comptoir waren, nicht gehalten hätten.

Bringt den Menschen hinaus, schrie der dicke Herr, und er kriegt im Eifer ein Stück Braten in die Luftröhre – Bringt ihn hinaus, und wenn er nochmals betrunken herkommt, soll er keine Arbeit mehr erhalten.

Das hört' ich wie im Traume und wachte davon auf.

Sapperment, sagte ich, laßt mich los, betrunken bin ich halt nit, lieber Herr Feldmann, es kam mir eine Schwäche an, die ist vorüber alleweil.

Der reiche Herr sah zu mir hin, und ich mochte wohl ein bissel blaß und krank aussehen, es kam ein Mitleid in sein Herz.

Du mußt nicht krank werden, Mann, sagte er, dazu hast Du keine Zeit. Geh' Einer 'naus und hol' einen Trunk frisches Wasser für ihn.

Ja, ja, Wasser, rief ich, holt mir Wasser, Nachbar, das ist ein wahres Labsal. Gott in der Höh' weiß es, was Wasser eine wunderbare Stärkung in sich trägt; darum trinke ich's auch alle Tage; und die Nahrung schlägt an, man wird so mächtig dick und stark davon, bleibt so frisch und munter dabei; ich möchte allen Wein und allen Braten in der Welt nicht um das prächtige Wasser geben.

Da lachte der Herr und sagte, das sei recht von mir so zu denken. Wein und Braten seien schlechte Erfindungen, das Natürlichste sei das Beste, und weil ich ein genügsamer Mann sei, würde ich es auch gut aufnehmen, daß bei der schlechten Zeit der Arbeitslohn wieder um einen Groschen gefallen sei. –

Freilich, freilich, lieber Herr, rief ich und strich das Hungergeld ein, vielen tausend Dank, daß es noch so viel ist. – Wasser ist ja wohlfeil und wie schön wird es sein, wenn wir erst ganz und gar von Wasser und ein bissel Heu leben werden; denn Brod ist zu theuer und obenein ist es auch nicht natürlich genug.

Da lachte der reiche Herr wieder, und wie er lachte, lachten sie Alle mit. – Das ist ein schnurriger Kerl, rief er mir nach, ein lustiger Kerl, der kann Euch zum Beispiel dienen, die Ihr immer klagt und murrt, daß es viel Arbeit und wenig Geld giebt. Trinkt Wasser, das ist ein natürliches, gesundes Nahrungsmittel.

Der Musikant hörte bewegt die Erzählung des Arbeiters, dessen mattes Auge nach und nach einen hellen, wilden Glanz erhielt.

Und wie viel könnt Ihr wöchentlich verdienen, Freund? fragte er.

Wie viel, Kamerad? lachte der Weber und blies den Rauch wirbelnd auf. Geld vollauf, man muß nur fleißig sein, nicht so faul wie ich hier, nicht müßig sitzen und lachen und schwatzen, eine halbe Stunde um die andere. – Seht, wenn ich alle Tage anfange, wenn der Hahn kräht, und Abends ende, wenn die alte Kuckuksuhr da Mitternacht schreit; wenn mein Schatz dort fleißig ist bei der Haspel und die Kinder rumoren läßt, so viel sie wollen, kann ich's am Wochenende wohl auf einen Gulden In den preußischen Landen, zu denen Schlesien um 1850 gehörte, war eigentlich der ›Thaler‹ die kurrente Währung, während der ›Gulden‹ in den süddeutschen Staaten kursierte. 3 ½ Gulden entsprachen 2 Talern bzw. einem Doppeltaler. – Der durchschnittlich Wochenlohn eines Webers lag um 1850 bei 2 Talern, 3 Silbergroschen, die Wochenkosten eines 5-Personenhaushaltes allerdings bei 3 ½ Talern. – Anm.d.Hrsg. gebracht haben.

Auf einen Gulden! sagte der Musikant erschrocken.

Es ist viel, nicht wahr? es ist ein ganzer Haufe Geld; aber Du lieber Gott, was haben wir nicht auch Alles nöthig. Kartoffeln, Mehl, Grütze und ein Brod für den Sonntag, dazu Schuh und wohl gar einen Strumpf dazu. Ich sage Euch, Kamrad, vier Kinder sind ein edles Gottesgeschenk und Segen, aber wenn's auch wirkliche Engel wären, die nicht äßen und keine Kleider brauchten, ich glaube, der Gulden würde doch verthan; denn ich bin ein gar großer Verschwender, das sagt mein herzliebster Schatz da alle Tage, weil ich die Frühkartoffeln in Salz tauche.

Er lachte hell auf, aber es war ein gewaltsames Lachen. Er fuhr mit der Hand durch sein dünnes Haar über Stirn und Augen hin und stand auf.

Die Kinder waren im Winkel eingeschlafen, und wurden von der Mutter aufs Lager geschichtet ohne aufzuwachen.

Wie sie glücklich sind, sagte der junge Mann herantretend, sie schlafen so fest, als wäre ihr Vater ein Millionair.

Geht zu Bett, lieber Herr, rief der Weber in seine Betrachtungen, Martha soll Euch hinauf leuchten. Ich muß noch ein paar Stunden die Hände rühren, doch morgen früh wollen wir weiter plaudern, ehe Ihr geht.

Die Frau nahm die Lampe und führte den Gast an die Bodenlucke, wo eine Leiter schon bereit stand. – Dann kletterte sie hinter ihm hinauf und zeigte ihm am Schornstein ein Strohlager hoch und breit genug, um darauf weich zu ruhen. –

Zur Decke, sagte sie, habe ich freilich nichts, aber die Nacht ist warm und um Füße und Leib kann der Herr sich meinen Wollrock schlagen, den habe ich mitgebracht.

Sie legte den Rock auf das Stroh, der Fremde ließ es geschehen.

Habt vielen Dank, ihr wackeren Leute, sagte er, für Alles, was Ihr an einem armen unbekannten Wanderer thut. –

Die Frau entzog sich seinen Danksagungen so schnell sie konnte, als schämte sie sich davor. –

Morgen früh, rief sie, als sie auf der Leiter stand, soll es auch an einem Teller Suppe nicht fehlen auf die Reise. Und nun gute Nacht, Herr, laßt Euch durch den Lärm am frühen Morgen nicht stören.

Der Fremde schlief fest, denn der Weber ließ seit dem ersten Schimmer des Tages wohl eine Stunde lang sein Schiffchen fliegen, und die Frau saß am Spulrade und bereitete die Suppe, ohne daß es sich oben im Stroh regte. – Als dann die Sonne höher herauf kam und mit ihren rothen Strahlen die ärmliche Hütte freundlich und schön machte, sah der Mann die Gesichter seiner Kinder im Winkel an, deren blonde Köpfe von dem Himmelslichte glänzten, und er ließ seine Arbeit ruhen und betrachtete sie, während etwas in seinen Mundwinkeln zuckte, das wie ein Lächeln aussah.

Geh hinauf, Martha, sagte er, aus seinem Nachsinnen die Frau anblickend; geh und wecke den Musikanten. Die kleinen Dinger da werden bald auf den Beinen sein und Dir zu schaffen machen; unser Gast aber muß fort, je früher je besser, denn es wird ein heißer Tag werden und sein Weg über die Berge ist rauh und lang.

Die Frau stand auf und ging hinaus, doch schon nach einigen Minuten kam sie zurück und sagte aufgeregt und verdrießlich:

Er ist fort über alle Berge, längst auf und davon, ohne Gruß und Dank. Hätte das nicht erwartet von ihm.

Der Mann arbeitete weiter, er schüttelte nur den Kopf und lachte in sich hinein. – Endlich hörte er auf.

Ist doch auch wie alle Musikanten sind, sagte er, leichtfertig und ohne Sorgen. – Hätte uns wohl die Hand drücken und Abschied nehmen können, hätte es gern gethan bei ihm; denn er hatte etwas, was mir absonderlich gefiel.

Er hatte ein gutes Gesicht, wo man gern hinein sah, fiel die Frau ein.

Aber, sagte der Weber, mochte dem armen Schelm leid thun, uns Gottes Lohn zu wünschen, denn Musikanten sind hochmüthige Leut'. – Nun fort ist er, mag es ihm wohl gehen auf der Reise. – Schütte jetzt Deinen Brei aus, Martha, und sieh da, wie die Kinder sich umdrehen. Ist Zeit, daß Du nach ihnen siehst, wird ihnen der Magen schief hängen vom langen Schlafen.

Martha ging gehorsam an das breite Bettgestell, wo auf dem Strohsack die Kinder sich unter der hundertfach geflickten Decke regten, und plötzlich kam ein sonderbarer Klang in ihr Ohr, der sich gar selten hier vernehmen ließ. Es klang, als ob ein paar große Geldstücke an einander schlügen, und wie sie neugierig hastig die Decke betrachtete, that sie einen jähen Schrei, denn da rollten wirklich drei, vier blitzende Doppelthaler im Sonnenschein durch die Falten. – Sie glaubte zu träumen; ihre Knie wankten, die arme Frau zitterte am ganzen Körper, und wie der Weber herbeisprang, konnte sie nur die Hand aufheben und nach dem Gelde zeigen, von der geheimen Furcht geängstigt, daß doch Alles nichts sei, als Täuschung. –

Aber der Mann nahm es auf, und wie sie es anfaßte, sah sie wohl, daß es festes und wahrhaftes Metall war. – Sie standen beide, ihre sähe Freude im Herzen verbergend, die aus ihren Augen strahlte, und drückten sich die Hände.

Wo kommt es her? sagte der Mann.

Ja, wo kommt es her, Christoph? antwortete die Frau.

Der Musikant muß es hergelegt haben.

O, Jesus! der gute Musikant.

Vier Stücke sind es, für jedes Kind ein Stück.

Ach, Christoph, was sind wir glückliche Leut'!

Aber wie ist es möglich! rief der Weber nach einer Pause.

Ich habe es gleich gedacht, daß es ein reicher Herr sein mußte, sagte die Frau, die Hände ringend.

Wie ist er aber herein gekommen? hast Du ihn gehört? –

Ich habe keinen Laut gehört.

Und ich schlafe so leise, fuhr der Mann fort, eine Maus kann mich aufwecken. – Wenn er es doch nicht gewesen wäre?

Jesus, wer kann's denn gewesen sein? schrie die Frau ängstlich.

Wer weiß es? – Können wir's dann nehmen, Martha?

Die Frau machte ein trauriges, bestürztes Gesicht, aber im nächsten Augenblicke sagte sie entschlossen:

Nehmen werden wir's, nehmen müssen wir's, oder sollen wir's etwa aufs Gericht tragen? – Höre, fuhr sie geheimnißvoll fort, weißt nicht, was sie erzählen, Christoph, wie zuweilen ein Herr, den Niemand kennt, in allerlei Gestalt zu armen Leuten kommt, Nachtlager sucht und Morgens fort ist, kein Mensch weiß, wo er geblieben?

Wer soll es sein? erwiderte er und sah sie fragend an.

Nun wer kann's sein, rief die Frau lachend und doch scheu umherblickend, wer kann es sein, als der Herr des Gebirgs: Rübezahl!


2.

In einem lieblichen Badeorte Schlesiens wurde einer jener Bälle gefeiert, die zu den seltsamsten Vergnügungen der Kurgäste aller Bäder gehören. – Es war ein glühend heißer Tag gewesen; selbst der Abend hatte die schwüle Luft nicht abgekühlt. Am Himmel zuckte elektrisches Leuchten, aus den Bergen murrte es dumpf, aber die rauschende Musik des Bausaales drang bewältigend durch die geöffneten Fenster und drinnen flogen die geschmückten Paare im Walzer auf und nieder.

Zwei junge Männer, welche vor der Thür standen, schienen so eben herausgetreten zu sein.

Wollen Sie denn schon gehen, lieber Bergheim? sagte der Eine. Sie sind ja kaum gekommen.

Ich habe vollkommen genug, Doctor, erwiderte der Andere. Welch abscheuliches Vergnügen ist das, im heißesten Monate des Jahres zu tanzen. Statt den schönen Abend im Freien zu verleben, pferchen sie sich in schwülen Sälen ein und hören nicht auf zu rennen und zu toben, bis sie athemlos umsinken.

Der Doctor lachte.

Sie glauben nicht, sagte er, was die schwächsten Dämchen darin leisten können; übrigens aber ist solch ein russisches Bad gar nicht nachtheilig, und wenn man vorsichtig ist, sogar nützlich und nöthig. Bleiben Sie hier, Assessor, und freveln Sie nicht gegen die Weltordnung. Sie haben unsern Damenflor noch gar nicht im Glanz beisammen gesehen. Zeigen Sie sich als Kunstkenner und Kritiker, ich will Ihnen heut einige ausgezeichnete junonische und medizeische Gestalten zeigen.

Medizinische Gestalten! rief der junge Mann lachend, ja leider Gottes, deren giebt es genug, denen Pillen und Pulver, Elixire und Latwergen überall deutlich aufgedrückt sind.

Wie ungerecht Sie sind, sagte der Arzt. Wir haben hier eine Auswahl renommirter Schönheiten, und wenn Sie nur noch ein wenig warten wollen, sollen Sie von Ihrer Ungläubigkeit bekehrt werden. – Da ist die junge Gräfin Pahlen, Sie können sich keine aristokratischere Schönheit denken; da sind die drei Töchter des Landraths von Zobelwitz, diese Zobelwitze sind schwarz, blond und braun, Eins ins Andere übersetzt, zum Entzücken; da ist Fräulein Seligmann aus Breslau, und so kann ich Ihnen ein Dutzend nennen, bei denen der arme Junge, der Paris, wenigstens ein paar Jahre sich besinnen würde, welcher er den Apfel reichen sollte.

Der Assessor lachte noch, als ein Wagen heranrollte, aus welchem ein Herr zwei Damen hob, die er in den Tanzsaal führte. – Sie eilten an den Lustwandelnden hin, welche stehen blieben und sie betrachteten.

Es muß entsetzlich heiß im Saale sein, sprach die eine der Damen, ich fürchte mich fast.

In einer Viertelstunde ist man daran gewöhnt, rief die Andere.

Bravo Agnes! fiel der Herr lachend ein, Du hast immer mehr Muth wie Emma, die doch einen Kopf größer ist als Du.

Gehören die auch zu Ihrer heiligen Schaar, Doctor? fragte Bergheim, als sie verschwunden waren.

Freilich, sagte der Arzt, sie stehen obenan auf meiner Liste. Es sind zwei allerliebste Mädchen und dabei talentvoll, aber das nicht allein, sondern auch im Besitz einer Eigenschaft, ohne welche, wie unsere jungen Herren sagen, alle Schönheit und aller Geist verblassen, nämlich im Besitz von Geld und Gut, und was des Menschen Sohn gern hat.

Wer sind denn diese Wunderkinder? fragte der Assessor lebhafter.

Sehen Sie, wie das wirkt, sehen Sie, Freundchen! rief der Doctor lachend. O! über den Horror, den mir diese Jugend einflößt! Was man auch sagen mag von der Schönheit, der Liebenswürdigkeit, den hohen Talenten, den edlen häuslichen und wirthschaftlichen Tugenden, die einzige Frage dagegen ist: Hat sie Geld? und wenn darauf ein Nein! erfolgt, so ist es aus mit aller Anziehungskraft, aller Verehrung und Anbetung.

Wollen Sie nun antworten und mir nähere Auskunft geben? sagte Bergheim.

Doctor Ludwig! rief eine Stimme von der Thür.

Was giebt's? fragte der Arzt.

Wo sind Sie denn, Doctor? fragte der rufende Herr. Kommen Sie einen Augenblick in den Saal, meine Nichte scheint ein wenig unwohl, Mädchenlaune, wie ich denke, aber sie will nicht tanzen, ehe sie nicht mit Ihnen gesprochen hat. Da ist der junge Zobelwitz, der läßt nicht nach. Sie hat es ihm abgeschlagen, ich hätte es jedoch gern, Doctor. Sagen Sie ihr also, daß der Tanz nichts schaden wird, sagen Sie ihr, was Sie wollen, aber lassen Sie sie tanzen; ich bin überzeugt, daß es ihr gut thut.

Der Herr war dicht an den Doctor getreten, hatte ihn vertraulich unter den Arm genommen und war mit ihm davon gegangen, ohne sich im Geringsten um den Begleiter des Arztes zu kümmern.

Das ganze Benehmen des Herrn hatte etwas sehr Entschiedenes, Anmaßendes und Herausforderndes, was Unmuth erregen konnte und bei dem Zurückbleibenden auch wirklich erregte.

Der ist gewiß aus einem edlen Haus, rief er ihm nach, aber er ging doch langsam hinterher, denn die Lust zum Nachhausegehen schien ihm vergangen zu sein.

Als er in den Saal trat, sah er den Doctor an der anderen Seite an einem Tischchen bei den beiden Damen, ohne Zweifel mit dem Beweise beschäftigt, wie vortheilhaft das Tanzen bei fünfundzwanzig Grad Hitze sei.

Das junge Fräulein, schlank und mit feinem ernsthaften Gesicht, das von großen, klaren Augen belebt wurde, schien jedoch die Gründe sehr wenig überzeugend zu finden, weit weniger wenigstens wie ihre lachende und lebhafte Nachbarin, welche mit dem Ballbuch in der Hand während der Pause sich eine Unzahl Tänze notirte, die von ihr begehrt waren. –

Drei andere junge Damen nahmen Theil an der Scene, und ganz zweifellos waren es die drei Zobelwitze mit unverkennbarster Familienähnkeit in schwarz, braun und blonder Ausgabe. Ein junger Mann mit spitzem Bärtchen und schlanker Figur stand vor der tanzunlustigen Nichte des starken Herrn, der auf der anderen Seite saß und sichtlich geärgert die geballte Hand auf das Marmortisch den drückte. Sein breites röthliches Gesicht mit dem dichten Backenbart sah leidenschaftlich und hart aus; es paßte zu seinem kurz angebundenen, heftigen Wesen vollkommen gut.

Bergheim blieb in der Nähe stehen, wo er, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, sehen und hören konnte, was seinen Antheil beanspruchte. Er war erzürnt über den geschwätzigen Doctor, der ihn mit seiner Neugier allein gelassen hatte und nicht Miene machte, sobald den Platz zu verlassen; dann und wann warf er einen langen Blick auf die Damen, und einmal begegnete er den Augen des großen Fräuleins, die sich noch immer mit dem jungen schlanken Herrn beschäftigte.

Nun da kommt ja der Landrath auch, rief in diesem Augenblick der Herr an der anderen Seite, und Bergheim erhielt plötzlich einen ziemlich unsanften Stoß von einem Mann, der gegen ihn anstreifte. Er fuhr aus feiner Behaglichkeit auf und erblickte eine lange dürre Gestalt mit martialischem Gesicht und grauem Bart, die etwas verdrießlich eine Art Entschuldigung brummte.

Sie sind spät gekommen, lieber Feldmann, sagte der dürre Herr, indem er die Damen begrüßte und ihrem Begleiter die Hand reichte.

Sie wissen wohl, wie es die Mädchen machen, lieber Zobelwitz, erwiderte dieser. Eine Balltoilette läßt sich unter drei Stunden nicht herstellen, und dann giebt es noch immer Aufenthalt genug in den letzten Minuten.

Also Feldmann heißt er, sagte der junge Mann. Das ist Herr Feldmann.

Der Landrath wandte sich zu den Damen, seine Kinder umringten ihn. Es wurde über den Ball gesprochen und gescherzt; geklagt, daß Mangel an Tänzern vorhanden sei und keine rechte Begeisterung sich zeige.

Das ist die alte Litanei, rief der Landrath. Unsere jungen Herren haben mit anderen Grundsätzen auch den eingesogen, daß es unter ihrer Würde sei, die Füße zu rühren.

Wir leben im philosophischen Zeitalter, sagte der Doctor.

Der Henker hole die Philosophen! rief der dicke Herr.

Wo die Köpfe so angestrengt werden wie bei uns im Staate der Intelligenz, fuhr der Doctor fort, bleiben die Füße stecken. Wir lösen uns zuletzt ganz in Gedanken und Ideen auf.

Bleiben sie mir mit den Ideen vom Halse! lachte der Landrath.

Denken Sie sich die Ideen eines Balls, fuhr der lustige Arzt fort. Die reinen Ideen, wobei jeder zu Haus bleibt, sich ruhig hinsetzt und den Grundgedanken des Geistes in sich aufsucht, der dem Begriff Ball entspricht. Raum und Zeit entschwinden, die ästhetische und harmonische höchste Stufe der Vervollkommnung ist erreicht. Wir empfinden das reine Glück der Seele, wir fliegen, wir schweben, wir berauschen uns in zauberhaften Schwingungen und entzückenden Tönen, und dabei bleibt jeder trocken, ohne Hitze, ohne Staub. Es fehlt nicht an Tänzern, keine Dame bleibt sitzen, die Musikanten greifen nie falsch; es ist ein himmlisches Vergnügen!

Ein allgemeines Gelächter belohnte den Doctor, Bergheim konnte nicht umhin, daran Theil zu nehmen, der Arzt forderte ihn dazu auf, denn er nickte ihm zu.

Wer ist denn das? fragte der dicke Herr halblaut.

O! sagte Ludwig, indem er aufstand und Bergheims Hand ergriff, ich weiß, wir sind leider noch nicht so idealisch, um in der Idee leben zu können. Da also das Materielle sein Recht fordert, so stelle ich Ihnen hier meinen Freund, den Assessor Bergheim, vor, der noch nie vor einem Ball gebebt hat und unter den Tropen nur Galopp begehren würde.

Die musternden Blicke der Gesellschaft richteten sich jetzt auf den also Empfohlenen, der nichts Besseres thun zu können glaubte, als in den Scherz des Arztes einzugehen. Er that es jedoch mit bescheidener Zurückhaltung und mit der feinen Sitte, welche Damen zu würdigen wissen. Der freundliche Empfang, welcher ihm zu Theil wurde, mischte sich mit der Neugier, die er rege machte. Sein offenes blühendes Gesicht, seine gewählte Sprache und die Ungezwungenheit seines Wesens trugen so wohl dazu bei ihn zu empfehlen, wie seine nach den Regeln der Mode und des guten Geschmacks gewählte Kleidung. – Der Rock macht den Mann, und der gelbe Handschuh giebt allein Recht in der Gesellschaft.

Selbst der dicke Herr mit dem Backenbart schien einige gütige Annäherungsgedanken zu fühlen, denn er richtete ein paar leutselige Fragen an den Assessor, und nur der Landrath betrachtete ihn mit mißtrauischen Seitenblicken.

Als der Tanz von Neuem begann, bemühte sich Bergheim die Empfehlung seines Freundes zu Ehren zu bringen, aber er war sichtlich kein besonderer Tänzer. Nach dem die drei Zobelwitze dies erprobt hatten, kamen sie überein, daß der Doctor gelogen habe, und als sie den Assessor neben ihrer Freundin Emma sitzen sahen, die nach den ersten Tänzen schon nichts mehr vom Tanz wissen wollte, erklärten sie, es sei dies das unnützeste und überflüssigste Paar, das auf dem Balle zu finden sei.

Trotz dieses einstimmigen Ausspruches aber schien den beiden davon Getroffenen die Zeit nicht lang zu werden.

Die Unterhaltung war lebhaft, zuweilen kam der Doctor und mischte sich hinein, dann erschien der dicke Herr, welchen das Fräulein Onkel nannte, der mit einigen Anderen und dem Landrath in einem Nebenzimmer bei der Bowle und beim Spiel saß; einige Male kam auch der Landrath, und wenn ein Tanz beendigt war, flogen die Zobelwitze und die kleine Cousine wie gejagte Vögel herbei und suchten Athem und Kühlung, um die Jagd von Neuem anfangen zu lassen.

Mit einer gewissen Mütterlichkeit nahm das Fräulein sich dann ihrer Freundinnen an, schalt und warnte, und ließ sich doch wohl von Bergheim erbitten, ihm einen Tanz zu bewilligen, was den Zobelwitzen zu spöttischen Bemerkungen über diese prächtigen, leichtfüßigen Tänzer Anlaß gab.

Es ist kein Spaß, sagte der junge Herr zu seinen Schwestern, Emma herumzubringen.

Nun so ist es Gottes Wunder, erwiderten sie, wie es jetzt geschehen kann; denn mit diesem Assessor scheint die ganze Gerechtigkeit sich zu drehen.

Während sie lachten, waren die Verspotteten sehr erfreut zurück gekehrt.

Ich bin sonst keine besondere Tänzerin, sagte das Fräulein, aber heut' bin ich wirklich mit mir zufrieden.

So haben wir das gleiche Bewußtsein, erwiderte der junge Mann. Es kommt überall darauf an, ob sich die rechten Tänzer finden, wenn man gut fortkommen will.

Sie nickte ihm freundlich zu. Es gehört Verständniß zu Allem, sagte sie, und wie im Großen so im Kleinen wollen sich Kräfte finden, die zu einander passen.

Glücklich dann der Augenblick, sprach er leiser, wo das Verwandte sich erkennt. Oft geht ja ein Leben mit fruchtlosem Suchen hin, und meist sind die Menschen so unglücklich, niemals zum Verständniß zu gelangen.

Gehören Sie zu denen, erwiderte das Fräulein lächelnd, die von den Menschen erwarten, daß sie weise und vernünftig sein sollen?

Und finde ich bei Ihnen den Zweifel an unserer Besserung und Bekehrung? fragte er.

In der That, sagte sie, ich mache Erfahrungen genug, daß es damit wenigstens sehr langsam geht.

Sie leben hier im Schoße einer schönen, herrlichen Natur, gab er zurück. Grüne Thäler und Berge, Wälder voll Duft und Farben, frische Luft und Heilquellen, die aus der Mutter Erde strömen.

Die Welt ist vollkommen überall, wo der Mensch nicht ist mit seiner Qual, erwiderte sie lächelnd. Ein großer Dichter Friedrich Schiller, in: Die Braut von Messina (1803). – Anm.d.Hrsg. hat es gesagt, wer will ihn Lügen strafen. –

Nun, sagte Bergheim, die Qualen der Meisten sind erträglich genug. Sehen Sie sich in diesem Saale um, wie glücklich und froh alle diese geputzten Menschen sind.

Sie trinken, sie lachen und tanzen, sprach das Fräulein, doch was beweist das? – Ich habe oft genug das Elend lachen und tanzen sehen. Hier sind die Auserwählten beisammen, welche die Lichtseite des Lebens bilden, wie sollte es da an äußerem Schimmer fehlen! –

Fiele dieser Schimmer fort, sagte Bergheim, was würde übrig bleiben?

O! bei den Meisten nichts, erwiderte sie. Könnte man sie geistig anatomiren, man fände eine leere Stelle, wo man ein Herz vermuthen sollte, oder einen Geldsack, oder ein paar Tanzschuhe oder Pandoras Büchse mit allen Eitelkeiten und Lastern. –d durch den Saal.

Lieber Bergheim, rief der Doctor, lassen Sie sich einige Minuten stören.

Er nahm den jungen Freund bei der Hand und sagte:

Ich muß Sie von Ihrem Platze bringen. Sie sitzen wie angenagelt und erregen Aufmerksamkeit und Unruhe.

Weshalb Unruhe und bei wem?

Bei allen Zobelwitzen, lachte der Doctor; ich will Sie in ein Familiengeheimniß einweihen. – Sehen Sie dort den jungen Herrn mit dem Bärtchen, der sogleich Ihre Stelle ersetzt hat. Er hat seit einer halben Stunde schon jedes Haar zusammen gedreht, um seinem Zorn einen Ableiter zu schaffen.

Was geht das mich an? fragte Bergheim.

Das geht Sie sehr viel an, erwiderte Ludwig. Dabei hat der Landrath dort drinnen sich so geärgert, daß die Bowle fast leer ist.

So lassen Sie ihm eine neue geben.

Nein, theurer Freund, fuhr der Arzt fort, Ihnen werde ich die Medizin eingeben, die den Landrath heilt. Sehen Sie dort den jungen Herrn mit dem Backenbart, das ist Herr Feldmann, der reichste Fabrikant auf zehn Meilen. Der Herr Landrath Zobelwitz ist der Vater des jungen Herrn da, Fräulein Emma ist die Nichte des Herrn Feldmann. Der junge Herr verwaltet das Gut seines Vaters, das nahe an Herrn Feldmanns weitläufigen Besitzungen liegt. Die beiden alten Herren sind Freunde, sie brauchen sich, also lieben sie sich und haben den gerechten Wunsch, daß es ihren Kindern auch so wohl werden möge. Bälle und Bäder sind die großen Gelegenheitsmacher für alle zärtlichen Verständnisse; wenn aber Jemand sich dazwischen stellt, und nicht wankt und weicht, so ist das zum Haarausraufen, was der kleine Bart des armen jungen Herrn von Zobelwitz zu seinem Schaden erfahren hat.

Sie haben mir etwas gesagt, was ich hätte wissen können, sagte Bergheim. Aber dieser junge Herr scheint von der allergewöhnlichsten Art zu sein.

Da irren Sie, erwiderte der Doctor, er ist weit eher selten in seiner Art.

Leer im Kopf und leer im Herzen.

Total leer, darin besteht die Seltenheit.

Während das Fräulein Kopf und Herz besitzt.

Um so besser, so mögen sie theilen. In einer guten Ehe muß Alles getheilt werden. Jetzt wissen Sie alles. Lassen Sie den Zobelwitz nun so witzig und verführerisch wie möglich sein, ich schaffe Ihnen Ersatz und mache Sie mit der Gräfin Pahlen und Fräulein Seligmann bekannt, die dankbarer für Ihre Opfer sein werden.

Das leise Sträuben des jungen Mannes half nichts, er wurde von dem unbarmherzigen Doctor den harrenden Damen zugeführt und in die gewöhnliche Salonunterhaltung verwickelt.

Die Gräfin war die junge, schöne Frau eines Regierungsraths, der zu Haus geblieben war, unter seinen Acten vergraben, während sie mit ihrer Freundin im Bade verweilte.

Fräulein Seligmann war nicht mehr in der ersten Blüthe ihrer Jugend, aber sie besaß dunkle, große Augen voll Feuer, und beide Damen waren lebhaft und geistig regsam, bekannt mit den verschiedenen Persönlichkeiten der Badegesellschaft und geneigt zu spötteln und zu witzeln, wenn sich ihnen Gelegenheit bot.

Die Unterhaltung rollte über Breslau und Berlin, über Kunst, Theater, Sänger und Maler endlich wieder in den engsten, nächsten Kreis zurück, und knüpfte an die Fragen an, von denen sie ausgegangen war. – Die Damen fanden Gefallen an den geschmeidigen und pointirten Antworten des Assessors, der ihnen drollig genug erzählte, daß er an eine Vorsehung zu glauben beginne, denn vor einer Stunde sei er in Begriff gewesen, nach Haus zu gehen, zu packen und mit dem Frühroth auf immer zu scheiden.

Und nun werden Sie bleiben? fragte Fräulein Seligmann.

Ich glaube, daß ich bleiben muß, erwiderte er, sich zu ihr wendend.

Dann werden wir hoffentlich von Ihnen nicht vergessen werden, fiel die Gräfin ein.

Es wäre ein Verbrechen, wenn dies möglich sein könnte, sagte er sich verbeugend.

Die beiden Damen sahen sich lächelnd und befriedigt an.

Ja, bleiben Sie, rief die Gräfin. Es ist überall langweilig in der Welt, folglich fehlt es auch hier nicht daran; man erträgt es jedoch leichter in guter Gesellschaft und vergnügt sich, wenn es nicht anders sein kann, an den lächerlichen Exemplaren, mit denen man hier leben muß.

Und daran ist wahrscheinlich hier kein Mangel, war die Antwort.

Köstliche Exemplare! lachte Fräulein Seligmann. Wir sind vier Wochen hier und können Sie einweihen.

Fangen wir an, sagte die Gräfin. Der Tanz ist obenein abgeschmackt, die Musik abscheulich, die Hitze zum Ersticken.

Fangen wir mit dem Landrath an, sprach das Fräulein. Ich liebe die sämmtlichen Zobelwitze, aber der alte Zobelwitz geht mir über alles.

Nein, den Vorrang hat unser Freund der Coquerill John Cockerill (1790-1840), englischgebürtiger belgischer Industrieller, der u.a. auch in den deutschen Ländern wesentlichen Anteil hatte an der Maschinisierung der Textilproduktion, die wiederum die traditionelle handwerkliche Fertigung bedrohte, so dass es in den 1840er Jahren zu den im ersten Kapitel thematisierten Existenznöten der Weber in Schlesien kam (siehe das naturalistische Drama »Die Weber« (1892) von Gerhart Hauptmann, das in jenen Jahren spielt). – Anm.d.Hrsg. dieser Thäler, der uns erst neulich ein glänzendes Fest in seinem Palaste gegeben hat.

Wen meinen Sie? fragte Bergheim.

Dort kommt er so eben aus seinem innersten Heiligthum, fuhr die Gräfin lachend fort. Sehen Sie, das ist Herr Feldmann, der unter diesem bescheidenen Namen die Tugenden und Vorzüge großer Feldherren und Staatsmänner verbirgt, und ein mächtiger König eben so gut ist, wie die, welche Kronen und Zepter tragen.

Er ist also reich, sagte der junge Mann.

Sehr reich und darum sehr respektabel, rief Fräulein Seligmann. Mein Vater, der mit ihm Geschäfte macht, hat mich versichert, daß er keinen achtungswertheren Mann kenne.

Wenn ich ihn betrachte, wie er dasteht, sagte Bergheim, gespreizt, den Kopf in die Höh, sogar den Backenbart aufgerichtet, und der ganze Mann von Selbstbewußtsein, möchte ich behaupten, daß er wie ein oben knapp zugebundener Geldsack aussieht.

Vortrefflich charakterisirt! riefen die Damen.

Ganz und gar ein Geldsack! sagte die Gräfin und das Original eines reich gewordenen Leinwebers, der alle Kniffe und Pfiffe kennt, wie man den armen Teufeln die Haut über die Ohren zieht, um sie in gehöriger Ehrfurcht zu erhalten. Fräulein Seligmann hatte einen Brief an ihn, der uns seine werthe Bekanntschaft verschaffte, und eine Einladung obenein zu einem wahrhaft fürstlichen Diner, wo nichts fehlte als ein liebenswürdiger, feiner Wirth, um sich ganz behaglich zu fühlen.

Nun aber mein Ideal, da kommt mein Ideal! flüsterte das Fräulein.

Geben Sie Acht, sprach die Gräfin. Sehen Sie dort den alten Herrn, grau in grau, das ist der Landrath. Man weiß nie genau, wohin er sieht, aber er sieht Alles, er weiß Alles, er ist ein Musterbild der von Gott eingesetzten Obrigkeit. – Sein Appetit ist vortrefflich, sein Durst unauslöschlich, aber er weiß stets, was er soll und will, und wenn Sie ihn dann und wann einen Blick nach jener Saalecke thun und behaglich den Schnurrbart streichen sehen, so hat er Alles im Fluge aufgefaßt; mich, Sie, die zwanzig Paare, welche sich drehen, und sämmtliche Zobelwitze, Feldmänner und Feldmänninnen. – Daß er sich aber den Bart streicht, ist ein besonderes Zeichen seiner innersten Zufriedenheit mit den Talenten seines Erstgeborenen, der seit einer halben Stunde dort in der Ecke an seinem Meisterstück arbeitet.

Wie kannst Du unsere theure Emma mit einem Meisterstück vergleichen? fiel die Freundin ein.

Ich nenne sie sein Meisterstick der Schöpfung, sagte die junge Dame, dazu dürften ihr freilich einige Kleinigkeiten fehlen, aber ich sage, der junge Herr von Zobelwitz, dessen Witz uns schon so oft belustigt hat, arbeitet daran, zur Ehre des ganzen Hauses und im Schweiße seines Angesichts, sein Meisterstück abzulegen.

Sie kennen das Fräulein? fragte der Assessor.

Sehr gut, war die Antwort. Ich kann Ihnen ihre ganze Geschichte erzählen. Ihr Vater war ein Leinweber, so gut wie sein Bruder, der knapp zugebundene Geldsack.

Ich kann mich nicht zufrieden geben über diesen köstlichen Vergleich! rief Fräulein Seligmann dazwischen.

Die beiden Leinweber wurden Fabrikanten und wurden reich, fuhr die Gräfin fort. Emma's Vater starb, die Mutter hinterher, der Onkel wurde ihr Vormund, seit sechs oder acht Jahren; aber es ist kein rechtes Einverständniß unter ihnen zu Stande gekommen. Der dicke Herr duldet keinen Widerspruch, er ist ein Tyrann; die Nichte will das nicht leiden, und scheint es wirklich dahin gebracht zu haben, daß er eine große Furcht vor ihr empfindet, oder Achtung oder wie man es sonst nennen will.

Er will sie also aus dem Hause schaffen, verheirathen, sagte Fräulein Seligmann, die längst darauf wartete, das Wort zu ergreifen, aber nach seinem Geschmack, und dort sehen Sie nun den glücklichen, jungen Zobelwitz, der seit einem halben Jahre des seligen Augenblicks entgegen harrt, seinen Gefühlen Worte zu leihen.

Woher wissen Sie das Alles? fragte Bergheim.

Gott, sagte das Fräulein lachend, das ist ein lautes Geheimniß hier im Bade. Der ganze Ball weiß es. – Ganz unter dem Siegel der Verschwiegenheit habe ich von der blonden, der braunen und der schwarzen Zobelwitz erfahren, daß eine Verlobung am Schluß des Balles stattfinden soll. Onkel Feldmann hat seine besten Freunde zusammen gerufen, der Landrath seine Sippen und Vettern aufgeboten; der Champagner ist in Eis gestellt, die Zimmer dort in Beschlag genommen. Herr Feldmann hat uns mit gewohnter Liebenswürdigkeit und einigen geheimnißvollen Verzerrungen seines ausdrucksvollen Gesichts zum Souper eingeladen; ich glaube Ihnen versichern zu können, daß Sie bei dieser Verlobung nicht fehlen werden.

Das glaube ich allerdings auch, sagte Bergheim.

Und jetzt ist mein Zobelwitz im vollen Gange, rief die Gräfin. Sehen Sie, wie er sich näher beugt.

Er ergreift ihre Hand, sprach das Fräulein.

Er küßt diese etwas große, starkgliedrige Hand.

Er läßt den Arm vom Stuhl auf ihre Taille sinken.

Er wird sie nicht zerbrechen. Es ist Alles höchst solide an diesem junonischen Wuchs.

Aber was ist das? riefen beide zugleich.

O! sie steht auf. Welch majestätischer Blick! rief die Gräfin.

Nein, sie lacht, aber sehen Sie seine Bestürzung. Armer Zobelwitz. Sie geht wahrhaftig fort und läßt ihn sitzen.

Nun das ist jedenfalls besser, als wenn der umgekehrte Fall einträte, sagte der Assessor, der mit lebhaftem Antheil die Entwickelung dieses Familiendrama's betrachtet hatte.

Inzwischen rauschte die Musik, man tanzte einen der wildesten Lannerschen Joseph Lanner (1801-1843) war ein österreichischer Komponist, Violinist und Musikdirektor. Er gilt neben Johann Strauss (Vater) als derjenige, der die Popularität des Wiener Walzers entscheidend voranbrachte. – Anm.d.Hrsg. Walzer und durch die offene Thür des Herrnzimmers steckte der Landrath den grauen Kopf und warf einen vernichtenden Blick auf seinen Sohn, der mit rothem, beleidigtem Gesicht sein Bärtchen zusammen drehte und dann die Arme stolz über die Brust schlagend in den Saal starrte.

Nach einigen Minuten waren sein Vater und Herr Feldmann bei ihm. Sie hatten ein kurzes Gespräch, unter dessen Einfluß der reiche Fabrikant in die heftigste Aufregung zu gerathen schien. Er ballte die Hände und fuchtelte damit so wild umher, daß der Landrath selbst ihn zu beruhigen strebte. Die boshaften Zuschauerinnen wurden dadurch ungemein belustigt. Der ganze mächtige Kopf des Fabrikanten war in Gluth versetzt, seine Blicke suchten die Verbrecherin, und während noch einige Freunde und Freundinnen sich um die beiden Damen sammelten, um gemeinschaftlich sich zu freuen und zu lachen, schlüpfte der Assessor davon und erreichte glücklich die andere Seite des Salons und die Balkonthür, welche der Hitze wegen geöffnet war.

Er hatte sich nicht getäuscht, als er glaubte, daß Emma hierher ihre Zuflucht genommen habe. Er sah sie am Rande des Gitters stehen, den Arm auf die Balustrade gelehnt und schweigend in die Nacht hinaus blickend. – Er wagte nicht sie zu stören und trat in den Schatten der Außenthür, dicht an die Mauer, als Herr Feldmann plötzlich ebenfalls auf dem Balkon erschien.

Da bist Du ja, Emma, war seine Anrede. Warum bist Du so allein?

Lieber Onkel, sagte sie sich umwendend, Du hast mich auf wunderliche Weise überrascht.

In wie fern überrascht? fragte der Fabrikant.

Gestehe es nur ohne Umschweife, fuhr sie fort und der Ton klang sehr belustigt, daß der gute Hugo mit Deiner Einwilligung eine halbe Stunde lang mir wohlgesetzte Reden halten mußte.

Nun, und wenn ich darum wußte? fragte Feldmann, was dann?

Dann sage ich Dir, daß er vortrefflich gelernt hat, erwiderte sie leise lachend.

Du bist sehr thöricht, sehr übermüthig, sagte der Onkel verdrießlich. Auswendig gelernt! vortrefflich gelernt! Du weißt nie, was sich paßt und schickt.

Gewiß, ich weiß es, entgegnete sie, und wenn Du mich ernsthaft haben willst, Onkel, so kann es auf der Stelle geschehen.

Du hast den armen jungen Mann in Verzweiflung, gebracht, gab Feldmann zurück. Du hast ihn ausgelacht, Du hast ihn wie einen Knaben behandelt und bist ihm Genugthuung schuldig.

Wem? fragte das Fräulein mit der stärksten Betonung.

Höre, Mädchen, rief Herr Feldmann mit unterdrückter Heftigkeit, sei jetzt verständig, die Sache ist kein Scherz, es ist Ernst und Wahrheit darin. Seit langer Zeit bemüht sich Hugo um Dich; Du mußt das wissen und weißt es, hast aber nichts dagegen eingewendet. – Ich habe Dich lieb, wie mein eigen Kind, aber mache mich nicht böse. Du hast mir oft Anlaß zum Aerger gegeben, sei dies eine Mal gut und laß uns Freunde bleiben.

Das heißt, Onkel, Du willst im Ernst, daß ich dies eine Mal nur Hugo heirathen soll? sagte sie mit heller spottender Stimme lachend.

Potz Narrheit und kein Ende! versetzte der Onkel rauh, indem er ihr näher trat. – Du bist freundlich und zutraulich zu dem jungen Zobelwitz gewesen, er liebt Dich mit wahrer Zärtlichkeit. Wie Dein Schatten läuft er Dir nach und sucht nach Aufmerksamkeiten, welche er Dir erzeigen kann.

Ich bin ihm dafür auch immer dankbar gewesen.

So sei zuletzt nicht undankbar, Emma, fuhr der Onkel milder fort. Er hat Deinen kleinsten Wunsch erfüllt; ist immer sanft und dienstfertig, Du kannst keinen besseren Mann wünschen. Der Landrath ist nicht reich, er hat sehr viele Kinder, aber er ist wohlhabend, seine Familie angesehen und einflußreich. Du wirst in Kreise kommen, die zu den angenehmsten gehören, und wenn wir auch gar nichts auf seinen Adel geben, so ist das doch auch zu beachten. Was ihm fehlen kann, hast Du. So wie Du heirathest, bekommst Du die Hälfte Deines Vermögens, wie Dein Vater dies bestimmt hat, die andere Hälfte bleibt im Geschäft. Ihr kauft euch an, ihr bleibt im Winter in der Residenz; es fehlt Dir nichts, gar nichts. Also sei kein Närrchen. Komm in den Saul zurück, ich werde den Hugo zu Dir schicken; gieb ihm die Hand und seid einig.

Das sind wir wirklich, Onkel, erwiderte sie. Wir sind einig, den Scherz nicht weiter zu treiben.

Mädchen, rief der Fabrikant, mach mich nicht toll. Die ganze Welt weiß es, was hier vorgehen wird. Alle Augen sind auf uns gerichtet. Ich habe ein Souper bestellt, Einladungen gemacht, der Landrath auch; ich kann den Landrath nicht so beleidigen.

Nun denn, theurer Onkel, so bleibt nichts übrig, als Du versöhnst ihn durch eine andere Heirath. Gieb ihm Agnes zum Ersatz.

Willst Du mich verhöhnen! rief der erzürnte Mann. Agnes ist ein Kind, ein Jahr jünger als Du.

Agnes ist achtzehn Jahre, sagte das Fräulein.

Aber ich will nicht! gab er zur Antwort. Ich will meine Tochter noch behalten, mein Haus nicht veröden.

Und ich kann die Ehre, die man mir zudenkt, nicht gebrauchen.

O, Du starrsinniges Mädchen! sagte Herr Feldmann seinen Unwillen beherrschend, als ob es Hugo gleich wäre, wen er nähme.

Ich glaube wirklich, rief sie lachend, es ist ihm durchaus gleich. Frage ihn nur. Er liebt die Braunen wie die Blonden, ist so gemüthlich, daß er den Tausch vielleicht kaum merkt.

Genug, genug! sprach der Onkel. Ich bitte Dich: zum letzten Male, sei vernünftig, Emma, und laß mich nicht in dieser peinlichen Lage stecken.

Onkel! sagte das Fräulein sich aufrichtend, und Bergheim glaubte ihre Augen leuchten zu sehen, bis diesen Augenblick habe ich mich hinter den Scherz verschanzt, um Dich zu überzeugen, daß Du abstehen mußt von Deinen gutgemeinten Plänen mit mir. Jetzt erkläre ich Dir jedoch, daß ich niemals auf Deine Wünsche eingehen werde, und daß ich den rechten Namen dafür nicht weiß, wenn ich Zumuthungen höre, die ohne ihre lächerliche Seite mich empören müßten.

Also Du willst nicht? rief er erbittert. Es ist kein einziger vernünftiger Grund dafür vorhanden. Warum willst Du denn nicht?

Wenn ich es Dir sage, erwiderte sie, so wirst Du mich nicht verstehen. – Weil ich keine Neigung zu Hugo habe; weil ich ihn nicht liebe. Dazu lachst Du.

Liebe – dummes Zeug! antwortete der dicke Herr. Es ist ja ein hübscher, junger Mann; sitzt zu Pferde wie eine Puppe, tanzt wie ein Franzose und hat keinerlei Laster. Ist ordentlich, häuslich, ein ausgezeichneter Landwirth, der die große Wirthschaft im Stande hält. Du mit Deinen häuslichen Tugenden bist ganz für ihn geschaffen. Ich gebe Dir mein Wort: Du wirst ihn lieben, glücklich sein, und mir danken. – Willst Du?

Ich denke, Onkel, daß ich deutlich genug gesprochen habe.

Das heißt Du willst nicht?

Nein.

Besinne Dich! Wahrhaftig nicht?

Das Fräulein wendete sich schweigend ab.

Nun so – Gott verdamme die Stunde, wo ich mir die Bürde auflud, Dich groß zu ziehen! rief er in voller Wuth; aber ich will mich davon befreien, ich will mein Haus davon befreien!

Mit raschen Schritten verließ er den Balkon, Emma blieb unbeweglich stehen. – Sie sah in die Wolken hinauf, die sich dunkel über das Thal wälzten. Ein Windstoß fuhr durch die schwüle Luft, die Balkonthür fiel zu, die Musik mit ihren schmetternden Tönen der Luft verhallte drinnen, dichte Finsterniß ließ die vorgebeugte Gestalt nur ungewiß erkennen. Plötzlich aber schlug der Himmel die glühenden Augen auf und verwandelte die Nacht in glänzendes Tageslicht. –

Berge, Wälder und die weißen Häuser rund umher erschienen und verschwanden. Bergheim sah in das leuchtende, ruhige Gesicht; er sah ihr wallendes Gewand, ihre Loden im Winde flattern. Es kam ihm vor, als wisse sie, daß er ihr nahe sei, als erwarte sie ihn und suche ihn hier. Leise trat er zu ihr hin und ergriff ihre Hand. Sie wandte sich um, ohne zu erschrecken. –

Ein neuer Blitz erhellte das Thal, sie schauten sich beide an. Dann legte er den Arm um sie und sagte sanft:

Warum sollen wir nicht bekennen, daß wir uns lieben, Emma? – Gott hat Zeichen und Wunder für die Liebe, die ein Reich ist. – Noch ehe ich Sie sah, hörte ich Ihre Stimme, und seit ich sie gehört, klang der Ton tief in meinem Herzen wieder; ich konnte ihn nicht vergessen.

Ich weiß es, erwiderte sie. An jenem Abend im Gebirge und heut hier im Saale empfand ich, daß es Wahlverwandtschaften giebt.

So kanntest Du mich wieder? rief er entzückt sie an sich ziehend.

Am ersten Wort, sagte sie lächelnd.

Nach einigen Minuten voll leisen Geflüsters und zärtlicher Betheuerungen zog das Feuer des Himmels von Neuem den Vorhang auf, und fand das volle Verständniß.

Emma lehnte in Bergheims Armen und Blitz auf Blitz wechselten Licht und Nacht. Der Donner grollte über den Bergen, sie sprachen heimlich und vertraut, und wenn es hell wurde rund umher, suchten sich ihre Augen und blickten sich freudig an.

Wir müssen scheiden, sagte Emma endlich, wenn man uns nicht entdecken soll.

Und wann sehen wir uns wieder? fragte er.

Die Thür wurde halb geöffnet, Herr Feldmann steckte den Kopf heraus und fragte spottend:

Bist Du noch hier, Emma?

Ja, lieber Onkel. –

In der Finsterniß? Vielleicht klärt der Blitz Dich auf.

Das thut er wirklich, Onkel. Mir ist außerordentlich hell im Kopf und Herzen.

So sei wenigstens so aufgeklärt und errege kein Aufsehen. Komm herein und nimm Theil an dem Souper.

Sogleich. –

Auf der Stelle, erwiderte er rauh, und höre: Du hast mir heut einen bösen Streich gespielt, aber der Landrath und ich, wie auch Hugo, wir wollen ihn von der besten Seite nehmen. – Auf einen Schlag fällt kein Baum, sagte Zobelwitz, und er hat Recht. Wir werden Dir also Zeit lassen und weiter überlegen.

Morgen, sagte Emma, die Hand ihres Freundes drückend.

Gut, morgen, oder so bald wie möglich, antwortete der Onkel, und nun komm. Das Gewitter bricht los, es wird ein gräulicher Platzregen werden.

Glücklicher Weise wandte er sich um, denn das neue Leuchten hätte ihm den dritten Anwesenden zeigen müssen. – Gleich darauf wurde die Thüre geschlossen, Bergheim sprang über die Balustrade und eilte rasch davon. –

Gefunden! rief er jubelnd in die Nacht, gefunden habe ich Dich, barmherzige Samariterin, und ehe ich Dich lasse, müssen alle Zobelwitze zu Grunde gehen!

Der Regen fiel dicht, er kam im heftigsten Gewitter nach Haus.


3.

Am nächsten Morgen auf der Promenade traf Bergheim mit der Gräfin und ihrer Freundin zusammen, die sich seiner sogleich bemächtigten und über seine Flucht schalten.

O, wären Sie doch geblieben! sagte Fräulein Seligmann, Sie hätten einen köstlichen Abend erlebt. – Fräulein Emma hatte sich auf dem Balkon versteckt, sie mußte förmlich von dem Onkel gesucht und geholt werden, aber ihre Locken waren vom Winde zerzaust, ihr Gesicht glühte, ihr ganzer Anzug war in solcher Unordnung, als hätte der unglückliche Zobelwitz ihn mit blinder Leidenschaft verheert; ihre Augen selbst schienen von den Blitzen gelitten zu haben.

Du machst es zu arg, Sophie, sagte die Gräfin, sie hat sich wirklich gut genug aus der Affaire gezogen. – Ganz unbefangen nahm sie ihren Platz neben dem armen verschmähten Junker, und obwohl sie sonst gewöhnlich sehr ernsthaft um sich blickt, war sie so fröhlich gestimmt, daß Niemand wußte, was er glauben sollte.

Und die Meisten wissen das wahrscheinlich noch nicht, fiel Bergheim ein.

Das Geheimniß ist nicht groß, sagte die Gräfin. Unser guter Freund, Herr Feldmann, hat uns ins Vertrauen gezogen. – Wir werden heut keine Verlobung halten, sagte er, aber was heut nicht ist, kann morgen werden. Gut Ding will Weile haben, und eigensinnige Mädchen bestehen auf ihrem Willen. Vorläufig macht es mir Vergnügen, mit schönen Damen ein Glas Champagner zu trinken, wenn er nur nicht so schlecht wäre. – Ich hoffe jedoch, Sie morgen bei mir zu sehen, und Ihnen besseren vorzusetzen, denn was Champagner betrifft, so stelle ich meinen Mann.

Und Sie wollen ihn heut besuchen? fragte Bergheim

Gewiß wollen wir, rief Fräulein Seligmann, wir müssen die Komödie der Neigungen weiter verfolgen. – Das Nachspiel war gestern gar zu ergötzlich.

Sie hätten die Zärtlichkeit sehen sollen, mit welcher sämmtliche Zobelwitze beim Schluß Abschied nahmen, und sie sind heut alle wieder auf den Beinen. Der Landrath war so gerührt, daß er Emma küßte und gar nicht los lassen wollte, die drei Schwestern küßten Alles, was ihnen in den Weg kam, und der junge Zobelwitz trug die stolze Geliebte unter lautem und jubelndem Beifall im Triumph in den Wagen, damit sie die Füßchen nicht beschmutze, denn es hatte tüchtig geregnet, wie sie wissen.

Es thut mir in der That leid, so viel versäumt so haben, sagte der Assessor.

Darum holen Sie es heut nach und begleiten Sie uns, sprach das Fräulein. – Das Wetter ist schön, wir werden uns vortrefflich belustigen.

Diese Einladung erwartete Bergheim und nahm sie gern an.

Sie werden um so mehr willkommen sein, meinte die Gräfin, da Herr Feldmann Ihre Entfernung gestern lebhaft bedauerte. Er hätte sie gern zu seinem Gaste gemacht.

Und wenn ihm alle Tugenden abgesprochen werden sollten, fügte das Fräulein hinzu, die Tugend der Gastfreundschaft besitzt er im hohen Grade. Sein glänzendes Haus steht allen Fremden offen, seine Tafel ist für Alle gedeckt, und nichts verlangt er dafür als einige billige Lobeserhebungen, denn er ist eitel wie alle reichen Leute.

Sonderbar, sagte Bergheim, daß dieser reiche und gastfreie Mann im Rufe des Geizes steht, und, wie man mir gesagt hat, seine Arbeiter sich bitter über ihn beklagen.

Darüber soll der Doctor uns Auskunft geben, rief die Gräfin. Dort kommt er. Niemand kennt die Zustände und Verhältnisse besser.

Der Arzt that einige in sein Amt eingreifende Fragen und ertheilte seinen Rath, ehe er Antwort gab, dann aber sagte er mit wichtiger Miene:

Was nennt man Geiz und was ist Geiz? Nichts als eine mehrseitige, vielseitige oder allseitige Sparsamkeit. – Ist nun die Sparsamkeit eine Tugend, so kann die gesteigerte Sparsamkeit doch kein Laster sein. – Was mich betrifft, so habe ich eine große Zärtlichkeit für alle Sparsamen, und einen tiefen Abscheu gegen die Verschwender. Leider aber leben wir mitten in der trostlosesten Verschwendung. Der Eine verschwendet sein Geld, der Andere seine Zeit, der Dritte seine Gesundheit, und die am Wenigsten übrig haben, verschwenden das Meiste, wäre es auch nur, um durch verschwenderische Geschwätzigkeit das Dasein ihrer Nebenmenschen in Gefahr zu bringen.

Nein, Doctor, rief Fräulein Seligmann lachend, mit diesen Sophisterein sollen Sie heut nicht fortkommen. Es liegt ein bestimmter Fall vor. Es wäre entsetzlich, wenn dieser reiche Fabrikherr wirklich seine Arbeiter so arg drückte, da er doch selbst aus ihren Reihen hervorgegangen ist,

O! was das betrifft, versetzte Ludwig, so sind bekanntlich die Offiziere immer die schlimmsten, welche von der Pike auf gedient haben. Aber es ist baare Verläumdung, wenn man meinen geschätzten Freund verunglimpft. – Sie wissen ja selbst, wie nobel er ist; wie nichts ihm zu schwer wird, um seine Freunde heiter zu stimmen, und wie weit und breit der Ruf seiner vortrefflichen Küche reicht. – Er ist für unser kleines Bad der großmüthigste Nabob; seine Nähe übt einen Zauber, dem so leicht Keiner widersteht, und wer einmal ihn kostete, wird auf immer dankbare Erinnerungen bewahren.

Es ist wahr, sagte die Gräfin, es ist das angenehmste Haus, das wir hier haben. Aber die Arbeiter!

Nun, die Arbeiter, rief der Doctor, was diese betrifft, so ist die Verläumdung erst recht groß. – Wir leben Gott sei Dank in einem Staate, wo es nur freie Leute giebt. Kein Mensch kann einen anderen zwingen für ihn zu arbeiten, wenn er nicht will. Arbeit ist eine Waare, meine Damen, die feilgeboten wird für Jeden, der sie kaufen will. Ist Ueberfluß daran, so fällt der Preis, tritt Mangel ein, so steigt er. – Sie werden das bei Ihren Einkäufen gewiß immer gefunden haben. Nur ist, dem Himmel sei Dank! der Ueberfluß außerordentlich groß. Der liebe Gott hat diese Welt vortrefflich eingerichtet, daß die Zahl derer, welche ihre Arbeit als einzige Waare zur Verwerthung besitzen, sich zum Erstaunen mehrt; wäre dies nicht der Fall, so würden wir schöne Dinge erleben. – Mein werther Freund Feldmann thut nun nichts weiter, als was alle weisen und vernünftigen Leute thun. Er kauft sich seine Waare, so billig er sie haben kann, und das thun wir jedenfalls auch, meine Damen, das thut die ganze Welt, das ist der oberste Grundsatz jeder guten Staats- und Wirthschaftsökonomie: man kauft ein, wo man es am billigsten findet.

Die Damen waren damit einverstanden, Bergheim schwieg. Der Arzt sah ihn lustig an und sagte:

Sie sind vielleicht anderer Meinung, und scheinen mir zu den Freunden verbotener Associationen zu gehören, die sich gegen die Herrschaft des Capitales auflehnen und Revolutionen verbreiten.

So ist es, erwiderte Bergheim darauf eingehend. Ich hasse nichts mehr als die Unterdrückung der Arbeit durch das Geld, und habe die größte Neigung für geheime Verbindungen.

Schweigen Sie, unglücklicher junger Mann, rief Ludwig, dort kommt der Landrath. Wenn er wüßte, was Sie im Schilde führen, er würde sofort die nöthigen Mittel ergreifen, Sie unschädlich zu machen.

Während die Damen lachten, kam der Landrath ihnen näher und ließ den finsteren Ausdruck in seinem Gesicht ein wenig verschwinden.

Ei, Herr von Zobelwitz, redete die Gräfin ihn an, Sie haben uns heut keinen Sonntagsblick mitgebracht.

Der dürre alte Herr richtete sich noch gerader auf, schlug mit dem Stock an seine hohen Stiefeln und sagte dann verbindlich:

In Ihrer Nähe, gnädigste Frau, verschwinden die Sorgen; aber das fehlte uns noch, daß das trotzige, undankbare Volk unsere Noth mit ihm durch rebellische Umtriebe vermehrt, sich zusammenrottet und allerlei Unsinn ausheckt.

Was giebt es denn? fragte der Doctor.

Aufruhr, Rebellion! erwiderte der Landrath.

Gütiger Himmel! rief Fräulein Seligmann.

Erschrecken Sie nicht zu sehr, meine Damen, fuhr der Landrath tröstend fort, noch ist es nicht so weit; aber wir haben die Entdeckung gemacht, daß geheime Verbindungen hier bestehen und satanische Pläne geschmiedet werden.

Bei den Worten »geheime Verbindungen« konnte die Gräfin den Lachreiz nicht bezwingen. Sie warf ihre muthwilligen Augen auf den Assessor und schlug in die kleinen Hände. –

Nun, Herr Bergheim, sagte sie, davon müssen Sie jedenfalls etwas wissen. Gehören Sie zu dieser Verschwörung oder nicht?

Der Landrath betrachtete den Angeklagten streng und forschend. –

Oho! sagte er, ich kann nicht glauben, daß irgend ein Ernst dahinter steckt.

Scherz! Scherz! schrie der Doctor, aber unser junger Freund ist, wie er selbst bekannt hat, ein Freund aller geheimen Verbindungen und Verschwörungen.

Es ist leider nur zu wahr, sprach der Landrath, daß unsere jungen Herren auf den Universitäten schon den Hang zu dergleichen Freveln einsaugen, dem die Damen besonders entgegen wirken sollten. Einem Menschen, der sich in geheime Verbindungen einläßt, sollte keine Dame vertrauen. Aber wie dem auch sei, man darf nicht damit scherzen. Eben diese Jugend ist es, die mit ihren unreifen Gedanken das Volk aufwiegelt und größeren Schaden stiftet. Sie wissen, wie ruhig und still es bei uns war, bis nach und nach auch hier ein zerstörender Geist eingegangen ist. Da schmieren sie die Zeitungen mit allerlei Glücklichkeitsfantasien voll, streuen Blätter aus, in denen die Zustände der Arbeit und der Arbeiter beleuchtet werden, und hängen Schilderungen des Unrechtes und Elends daran, daß Einem die Haare zu Berge stehen. Durch solche Unwürdigkeiten wird Unruhe erzeugt, und die Folge davon ist, daß sich die Menschen nicht mehr so glücklich fühlen wie früher.

Sie lernen ihr Elend empfinden, sagte Bergheim; aber wo giebt es eine Macht, die das hindern könnte?

Das sind die Folgen der sogenannten Aufklärung, rief der Doctor. Wie glücklich war die Menschheit, als sie diese Teufelskunst noch nicht kannte; als die Welt noch in stiller frommer Einfalt wandelte und was man Bildung oder Aufklärung nannte, was aber auch nicht weit her war, das Privilegium der Gelehrsamkeit blieb: damals glaubte jeder aufgeklärte Mensch nicht allein an Gott, sondern auch an Hexen, Kobolde, Gespenster und Rübezahl. Man konnte nicht lesen und nicht schreiben, aber man wandelte vor dem Herrn in Tugend und Herzensstille; seit aber die Liebesbriefe von jeder Dorfschönheit selbst geschrieben werden, ist es mit aller idyllischen Unschuld in Hütten und Palästen vorbei.

Es ist dahin gekommen, sagte der Landrath, daß Briefe durch alle Thäler gehen, welche zu Versammlungen auffordern, um gemeinsam zu berathen, was gegen den Druck der Fabrikherren und zur Verbesserung der Lage der Arbeiter geschehen könne. Die Regierung hat leider Theil an der Schuld dieser unerhörten Frechheit, denn sie läßt nicht allein zu, daß sich Vereine zum Wohl der Arbeiter und zur Abhülfe ihrer bedrückten Lage, wie man es heißt, bilden; es sind sogar hohe Beamte Mitglieder und Vorstände dieser Klubs. Commissionen werden ernannt, Regierungsräthe müssen officielle Schriften ausarbeiten und Reisen machen, um die wahre Sachlage zu untersuchen, und dazu wählt man, unverantwortlicher Weise, Fantasten aus, die als Weltverbesserer schon von der Universität kommen.

In der That, sagte Bergheim lachend, ich hätte nicht geglaubt, daß der Herr Landrath selbst die Regierung zum Mitschuldigen der Verschwörung machen würde.

Ich sage nichts gegen die Regierung, erwiderte der Landrath ärgerlich den Sprecher betrachtend, aber ich scheue es nicht, mich gegen Mißgriffe zu erklären. Und Mißgriffe sind es, wenn man es zuläßt, daß die Hülfevereine Agenten ausschicken, welche in die Fabrikdörfer kommen, sich bei den Webern eindrängen, horchen, forschen, auch wohl ein halbes oder ganzes Dutzend zusammentrommeln lassen, ihre Beschwerden anhören – denn daran fehlt es diesen Leuten nie und endlich mit eingetragenen Notizen abziehen unter allerlei Versprechungen, daß ihnen geholfen werden solle.

Das geschieht hier unter Ihren Augen? fragte das Fräulein.

Und trotz Ihrer Berichte? fügte der Assessor hinzu.

Man wird sehen, was daraus entsteht, rief der Landrath höhnisch. Ja, trotz meiner Berichte, was Sie so scharf hervorheben, Herr – wie ist doch Ihr Name?

Bergheim, erwiderte der Assessor.

Herr Bergheim, fuhr der Landrath fort. Trotz meiner Berichte geschieht es, aber die Folgen können nicht ausbleiben.

Sehen Sie da! rief er und wendete sich um, indem er auf einen Mann zeigte, der in einiger Entfernung vorüberging. – Es war ein großer, dürftig gekleideter Mann, blaß und hager, im graublauen Kittel, über welchen sein lang flatterndes Haar fiel. Ein kleiner Hut mit breiten Krämpen saß fast auf der Spitze seines langen Kopfes; auf dem Rücken trug er einen Quersack und neben ihm ging eine junge Frau in reinlich weißen Tüchern, die im Korb auf dem Nacken ein Kind trug.

Sehen Sie den Menschen dort, das ist einer der allerschlechtesten Galgenstricke unter dem aufrührerischen Gesindel.

Aber der Mann sieht kränklich und friedlich aus, sagte die Gräfin.

Es ist ein bitterböser Kerl, er heißt Petermann, sprach der Landrath zornig. Sie werden meinen Worten mehr glauben als seinem Gesicht. Stellen Sie sind vor, ich ließ ihn heut morgen zu mir kommen, denn es war mir gestern rapportirt worden, daß er die Weber aufhetze und Versammlungen veranstalte. – Was giebt mir der Mensch zur Antwort: »Herr Landrath, ich läugne nicht, daß ich mit daran helfe, meine Arbeits- und Leidensgenossen zu vereinigen, um gemeinsam über unsere Lage zu berathen. Auch Sie, Herr Landrath, kommen gewiß mit Ihren Herren Collegen zusammen und sprechen mit ihnen über gemeinsame Angelegenheiten, so geht es uns auch, und was wir thun, ist nichts Unrechtes. Es ist vielmehr ein Recht, das alle Menschen für sich in Anspruch nehmen müssen.« – Die Menschenrechte proclamirt er wie ein Franzos, der Galgenstrick.

Das ist ja ein frecher Bursche, rief der Doctor.

In dem Augenblick ging der Weber an der Gruppe hin. Demüthig zog er seinen Hut, und die Frau mit dem Kinde knixte freundlich, ehe sie ihren Weg fortsetzte.

Er muß viel Noth erfahren haben der arme Mann, wenn man seinem bleifarbigen Gesicht und dem kummervollen Blick seiner Augen trauen darf, sagte Bergheim.

Solchen verhungerten Gesichtern muß man am wenigsten trauen, rief Zobelwitz, und dieser da ist ein besonderer Bursche. Er hat etwas mehr Grütze im Kopf wie die Anderen, kann reden und schreiben, und weiß eine ganze Litanei herzusagen von dem Grund der Uebel, die ihr Unglück zusammensetzen. Aber diese Weber sind überhaupt ganz andere Menschen; wie etwa Bauern. Sie sind hochmüthig, eingebildet, anmaßend, dünken sich mehr zu sein, wie Tagelöhner, und haben hinter ihren Webestühlen Zeit zu grübeln und über Dinge nachzusinnen, die sich gar nicht für sie passen.

Was wird denn nun aber daraus? fragte eine der Damen, deren sich nach und nach ein ganzer Kreis um den Landrath gesammelt hatte.

O! nichts, rief dieser ingrimmig lachend. – Wenn die Burschen zu übermüthig werden, so haben wir Mittel sie zu bessern. Ich denke jedoch, sie werden vernünftig sein beim ersten Exempel, das unser Freund Feldmann ihnen ganz väterlich geben wird.

Das Gespräch wandte sich auf den Besuch der Fabrik, der Landrath wurde freundlicher. – Fahren Sie nur recht bald, sagte er, Sie treffen meine ganze Familie und ich selbst komme nach, sobald meine Geschäfte es gestatten. Wir werden sehr vergnügt sein; Feldmann hat Alles dazu eingerichtet und mir beim Abschied noch Aufträge ertheilt, um verschiedene Einladungen zu machen.

Er behielt den Arzt zurück, als die Anderen sich entfernten, und sagte mit einem Blick auf Bergheim, der mit den Damen von ihm ging:

Kennen Sie diesen jungen Herrn?

Er hält sich seit einer Woche ungefähr hier auf.

Aber wissen Sie etwas Näheres über ihn?

Nichts, als daß er in Berlin zu Haus ist.

Aber seine Legitimation?

Danach habe ich wirklich nicht zu fragen, erwiderte der Doctor. Ich halte ihn jedoch für ein harmloses Blut, das losgelassen von seinen Berufsgeschäften ein paar Wochen durch unsere Berge streift.

Mir gefällt er durchaus nicht, sagte der Landrath. Er hat etwas in seinem Gesicht, was mir Mißtrauen einflößt.

Der Doctor lachte.

Mir ist lange nicht ein so offenes, rundes Gesicht vorgekommen, gab er zur Antwort. Diese Art Gesichter gehören Leuten an, welche mehr empfinden als denken, und mehr genießen als verlangen. – Er hat sich an die Gräfin gehängt, die Gefallen an ihm zu finden scheint. Sie wird ihn beschäftigen, bis er in einigen Tagen verschwindet.

Meinen Sie? sprach der Beamte nachsinnend. Gut; ich will ihn laufen lassen, aber ziehen Sie doch in der Stille einige Erkundigungen über ihn ein. Feldmann hat mir aufgetragen, ihn zu sich hinaus zu nöthigen, ich habe es jedoch vergessen. – Der Mensch paßt nicht zu uns, und ich irre mich selten, wenn ich das sage: Meinen Mädchen hat er auch nicht gefallen.

Dafür gefällt er den beiden Damen dort um so besser, erwiderte Ludwig. Sie gehen zur Kapelle hinauf und theilen sich in ihn.

Der Landrath stützte sich auf seinen Stock und schüttelte sein graues Haupt.

Es ist eine leichtsinnige Welt, sagte er, und dieser Bursche da mit seinem Geschwätz und dreisten Blick gewinnt in einer Stunde mehr, wie ehrliche Leute in Jahr und Tag. Erkundigen Sie sich nach ihm, Doctor, und schaffen Sie ihn fort, so bald Sie können.

Der Doctor versprach es und beide gingen auf die Promenade zurück.


4.

Einige Stunden später fuhr Bergheim mit seinen beiden Beschützerinnen nach der Fabrik, welche über die Bergrücken fort in einem benachbarten Thale lag.

Der Weg voll schöner wechselnder Fernsichten führte bald über die Höhen hin, bald wieder durch Schluchten und Waldleisten abwärts in kleine Thäler, welche durch rauschende Bäche belebt wurden. Große Gebäude lagen hier und dort zwischen den zerstreuten kleinen Häusern, es dauerte jedoch nicht lange, so verschwanden die duftig grünen Wiesen und Gartengebäude wieder, um einer Gebirgsnatur Platz zu machen, die hart und felsig aus den Rippen der Erde gebildet war.

Der Wagen rollte ziemlich rasch mit seinen munteren Besitzern fort, deren Unterhaltung so lebendig wie möglich war. – Es war vom Alter und von der Ehe die Rede, was zu allerlei scherzenden Fragen Anlaß gab und Bekenntnisse herbeiführte.

Sagen Sie uns doch aufrichtig, Herr Bergheim, fragte die Gräfin, wem die nachdenkenden Minuten gehören, in welchen wir Sie zuweilen erblicken.

Meinem gütigen Schicksale, erwiderte er, das mich gestern so viel finden ließ.

An wen von uns wenden Sie sich? fuhr die Dame fort, indem sie seinen lächelnden Blick verfolgte.

Nicht an mich, rief Fräulein Sophie.

Also an mich, sagte die Gräfin, aber das wäre Verrath. Du bist zunächst berechtigt, denn vermöge des Zauberreifs, den ich hier an meinem kleinen Finger trage, bin ich von allen Schicksalsverheißungen ausgeschlossen.

Aber nicht von der Verehrung, die der Schönheit und Liebenswürdigkeit überall gewidmet wird, erwiderte Bergheim.

Sehr galant, mein schöner Herr, lachte die Dame, aber ich bitte Dich, Sophie, heirathe nicht. – Es ist ein gewaltiger Unterschied zwischen der Verehrung, die eine Frau empfängt, und der, welche einem Fräulein zu Theil wird, das noch die ganze himmlische Zukunft ihrer Huld und Hoffnungen zu vergeben hat.

O! meine arme Clara, gab das Fräulein zurück, Du hast Erfahrungen über das Schicksal gesammelt, welches die Ehe bietet; nein, ich heirathe nie, außer – ich will es nicht abschwören, es wäre vermessen, aber – sie lachte laut, indem sie den Kopf schüttelte.

Nun außer, aber? Bitte, lassen Sie Ihre Bedingungen hören, sagte Bergheim.

Außer, ich fände das Ideal, von dem ich überzeugt wäre, es würde alle meine Wünsche erfüllen.

Heilige Unschuld! rief die Freundin, Du weißt nicht, daß alle Männer Ideale sind, wenn sie vor uns auf den Knieen liegen und falsche Eide schwören.

Glauben Sie nicht, Fräulein Sophie, daß sie alle falsch schwören, fiel Bergheim ein.

Traue keinem, sagte die Gräfin von der anderen Seite, am wenigsten aber denen, die ihre Ehrlichkeit betheuern.

Wem soll ich glauben? fragte das Fräulein sich die Ohren zuhaltend.

Ach! rief die schöne Frau lachend, nach dieser Frage bist Du verloren! Ich gebe Dich auf und sage Dir Dein Schicksal vorher. Es wird Dir nicht besser gehen, wie es Zahllosen vor Dir gegangen ist und nach Dir gehen wird. – Du wirst getäuscht werden, und nichts thun können, als höchstens Dich rächen.

Nein, nein! erwiderte Fräulein Sophie mit einem sentimentalen Blick in die Ferne. Rächen würde ich mich nie. Ich würde leiden, ich würde verzweifeln und in Verzweiflung enden. – Es giebt nichts Furchtbareres, als ein betrogenes Herz. Was sagen Sie, Herr Bergheim?

Ich bewundere ihr edles, schönes Gemüth, und gebe mich der Hoffnung bin, daß es immer so bleiben möge.

Sie erwiderte den Wunsch mit einem dankbaren Blick.

Die Gräfin fuhr muthwillig zwischen diese Augensprache und sagte: Nun aber bekennen auch Sie, in diesem feierlichen Augenblick, mein schöner Herr, welchen Standpunkt Sie zu unseren Bekenntnissen einnehmen. – Verheiratet sind Sie nicht?

Nein. –

Verlobt?

Nein. –

Verliebt?

Das wage ich kaum mehr zu läugnen.

Gut, aber, seit wann? – Sagen Sie die Wahrheit.

In voller Wahrheit, seit gestern.

Hier warf sich die Gräfin lachend in die Polster zurück, aber Fräulein Sophie fuhr auf, legte die Hand auf ihren Mund und sagte erröthend: So beruhige Dich doch; es ist indiscret, so zu fragen. Ich widersetze mich aller Fortsetzung eines solchen Verhörs. Wir sind ja auch dicht bei der Fabrik und dort steht Emma auf der Terrasse im Garten. Emma und Agnes und die drei Zobelwitze, die uns längst bemerkt haben.

Es war so, wie sie sagte. Bergheim wandte sich um und erblickte die Damen in schimmernden Kleidern unter dem großen chinesischen Sonnenschirm, den Herr Feldmann auf der Spitze einer kleinen Anhöhe am Schlußpunkt seines Gartens errichtet hatte.

Das prächtige Haus des Fabrikanten lag vor ihnen in dem lieblichen Thale und erschien in dieser einsamen Gegend ungemein großartig. Weitläufige Fabrikgebäude wurden durch einen breiten Platz getrennt, den sie umschlossen, hohe Dampfschornsteine kündigten mächtige Maschinenwerke an. Pack- und Waarenhäuser waren daneben erbaut; ganz getrennt von dem geschäftigen Lärm aber lag das Wohngebäude, von zierlichen Eisengittern umgeben, am Rande des schönen Gartens, der sich weit ins Thal zurückzog. –

Der freundliche Anblick wurde durch Blumen und Rasenstücke vermehrt, die symmetrisch abgetheilt in Strahlenform von der Hauptfront ausliefen. Orangenbäume und blühende ausländische Gewächse beschatteten in Fülle und prächtiger Auswahl die Stufen der großen Freitreppe, deren bunte indische Matten farbenvoll glänzten. Die Jalousien der meisten Fenster waren niedergelassen, wo dies aber nicht der Fall war, sah man durch die großen Spiegelscheiben in reichgeschmückte Gemächer, deren Kühle und Wohlbehaglichkeit man empfand, ehe man sie betreten hatte.

Der Wagen rollte an der Gartenspitze vorüber, wo eine rasche wechselseitige Begrüßung erfolgte. Die Zobelwitze schienen sehr verwundert, Bergheim zu sehen, der einen langen Blick auf Emma warf, welche freundlich seinen Gruß erwiderte.

Sie sind Alle da, sagte Fräulein Sophie lachend, und haben Alle ihr hochzeitlich Kleid an. Nur Emma ist, wie immer, einfach und schmucklos, wie das Veilchen auf der Heide. –

Weißt Du nicht, erwiderte die Gräfin, daß diese Einfachheit mitten unter dem aufgeputzten Glanz höchst verführerisch ist?

Es ist geziert und gesucht, rief die junge Dame aus der Stadt. Ueberhaupt ist dies Schweigen, dies Lächeln, dies mit wenigen bestimmenden Worten sich Einmischen, sich Abwenden oder plötzlich eine Antwort Geben, die wie ein Orakelspruch klingt, höchst unnatürlich, altklug und anmaßend. Was sagen Sie, Herr Bergheim?

Ich habe zu wenig Erfahrung, gab dieser zur Antwort, aber ich werde mich bemühen, sie zu erwerben.

Es wird eine undankbare Mühe sein, lachte das Fräulein. Sie werden nichts finden, was Sie belohnen könnte, es sei denn, daß Sie sich belehren lassen wollten über Blumenzucht, Gartencultur oder alte Musik: Solfeggien des Porpora, Fugen von Sebastian Bach oder Pergolesi. Sie wird Ihnen das Stabat Mater vorspielen und sehr gerührt sein.

Du magst sie nicht, das arme Kind, sagte die Gräfin, aber was kann sie dafür, daß ihr Geschmack sich verirrt hat in dieser rauchenden Heimath der Cyklopen? Nehmen Sie sich ihrer an, Herr Bergheim, und führen Sie sie auf den rechten Weg.

Es soll an mir nicht fehlen, erwiderte er, indem er aus dem Wagen sprang, der so eben vor dem Gartenthor anhielt und die Damen heraushob.

Aber hüten Sie sich vor allen bösen Folgen, flüsterte Fräulein Sophie.

Ich werde alle Ihre Warnungen beherzigen, sagte er in derselben spöttischen Weise.

Dem Gartenthor gegenüber lag ein Gebäude innerhalb der hohen Mauer, welche die Fabrik umgab. Es war das Kauf- und Zahlhaus, welches Comptoir, Kasse und Geschäftsräume enthielt. Die Fenster dieses Hauses waren vergittert, hinter ihnen sah man schreibende Buchhalter und emsige Arbeiter; auf dem Platz vor dem Hause aber und in der geöffneten Halle standen eine große Zahl Männer und Frauen in ländlicher Tracht, Quersäcke und Packen neben sich oder auf dem Rücken. Sie lehnten an den Mauern oder saßen auf den Bänken am Hause und richteten ihre neugierigen Blicke theils gegen das Innere des Comptoirs, theils gegen den ankommenden Wagen, der ihre Aufmerksamkeit erregte.

Es waren Weber, die ihre Arbeit ablieferten oder verkaufen wollten, je nachdem sie selbst das Material beschafften oder empfingen. Größtentheils waren es dürre, ärmliche Leute mit jener eigenthümlichen fahlen Blässe des Gesichts, welche sitzende, anstrengende Lebensweise, verbunden mit Sorgen und schmaler Kost, giebt. Ein großer Stumpfsinn lag in den Augen der Meisten; Andere blickten ernsthaft vor sich hin, als hätten sie Manches zu bedenken, und gewiß war es auffallend, daß nirgend ein frohes, belebtes Gesicht sich erkennen ließ, nirgend ein munteres Lachen und Plaudern, sondern ein tiefes Schweigen unter diesem ganzen Menschenknäul herrschte, der doch meilenweit aus den verschiedensten Richtungen hier zusammen gekommen war und sich allerlei mitzutheilen haben mußte.

Bergheim machte diese Bemerkung auf der Stelle. Die Damen sprangen inzwischen durch die Gartenthür und schon wollte er ihnen folgen, als er die laute und heftige Stimme des Fabrikanten drüben in der Halle hörte. –

Packt Euch den Augenblick fort! tönte seine zornige Stimme, und untersteht Euch nicht noch einmal, diese Schwelle zu betreten.

Eine kleine Pause erfolgte, gleich darauf aber hörte Bergheim einen jammervollen Schrei und nun sah er einen Graukittel aus der Halle fliegen, der unsanft zu Boden fiel, im nächsten Augenblick aber wieder auf den Beinen stand und langsam den Hut aufsetzte, der ihm nachgeworfen worden war.

Gleich darauf kam eine Frau aus der Thür, die ein Stück Leinen unter dem Arm und ein Kind trug, dessen klagende Stimme das Schweigen allein unterbrach. – Sie suchte den Mann zum Fortgehen zu bewegen, der unbeweglich stand, ihr das Leinen abnahm und zu den anderen Webern sprach, welche die Augen zu Boden schlugen und nichts erwiderten. – Der Mann deutete mit dem Finger auf das Stück, schlug mit der Hand darauf und hob sie dann zum Himmel empor, als wolle er ihn zum Zeugen rufen.

Da trat der Fabrikant heraus, und wer den breiten kräftigen Herrn sah, mit gerunzelter Stirn und mächtiger Faust, die er drohend gegen den blassen, dünnen Weber ausstreckte, war überzeugt, daß er drei davon mit einem Schlage niederwerfen könnte.

Wollt Ihr nun gehen, rief er mit seiner Donnerstimme, oder soll ich Euch auf die Beine helfen.

Sie haben mich mißhandelt, Herr, erwiderte der Weber standhaft, trotz seiner Schwäche, das ist keine große Heldenthat. Muthwillig haben Sie mich beschimpft, mir erklärt, daß Sie einem Menschen, wie ich bin, keine Arbeit geben und nichts von ihm kaufen wollen. Das mochten Sie thun, ich kann es nicht ändern, dabei aber haben Sie mit Ihrem Rothstift mein Leinen bezeichnet, und ihm das Brandmal aufgeheftet, wie es Sitte ist, um uns den letzten Blutstropfen auszupressen.

Unverschämter Kerl! schrie der Fabrikant, ich will Dir die Hetzereien verleiden. – Ob der rothe Strich darauf steht oder nicht, ist einerlei; Niemand wird Dir überhaupt mehr Arbeit geben und abnehmen. – Und Ihr, wandte er sich an den Haufen der Umstehenden, laßt es Euch gesagt sein. Wer von Euch wieder eine Versammlung besucht, wer mit dem Petermann da in irgend eine Verbindung tritt oder darin bleibt, dem wird es eben so gehen. – Wir haben es unter uns beschlossen, sämmtliche Fabrikanten ohne Ausnahme, daß wir mit solchen Subjecten nichts mehr zu schaffen haben wollen. – Nehmt Euch ein Beispiel daran, und jetzt macht, daß Ihr fort kommt und seht zu, wie es Euch geht. Beklagen könnt Ihr Euch nicht, denn was man aussäet, das erntet man. –

Ja, sprach der Weber mit einer gewissen Feierlichkeit, indem er sich aufrichtete und den Arm ausstreckte, das ist ein wahres Wort, Herr, Sie sollten es wohl bedenken: Was man säet, das erntet man, und mit dem Maße, womit man mißt, soll uns gemessen werden. Das also ist der Grund Ihres Zornes. Nicht meine Arbeit, die ohne Tadel und Makel ist, nicht weil ich die Mittel aufbrachte, um dies feine Stück zu weben, sondern weil ich meine Freunde aufforderte, verständig und ordentlich zu berathen, wie uns wohl Abhülfe werden könne in unserer tiefen Noth, darum stoßen Sie mich aus, darum werde ich geächtet und geschlagen. Mein Gott und Herr! wie weit ist es mit uns gekommen und mit unserer Sklaverei, daß wir das alles dulden müssen!

Herr Feldmann deutete mit dem Rothstift auf das offene Thor und sagte ruhiger:

Sklaven habe ich nicht, Sklaverei besteht nicht, Jeder kann frei thun, was er will, arbeiten oder faulenzen, wie es ihm beliebt; aber auch mir steht es frei, mit wem ich zu thun haben mag, und mit Euch will ich nichts zu thun haben. – Solche Reden, wie Ihr sie ausstoßt, bezeugen Eure bösen Vorsätze, also haltet Euch nicht auf und geht.

Der Weber nahm den Quersack und folgte der Frau, die ihn bittend fortzog. Eine tiefe Traurigkeit lag auf feinem Gesicht; Scham und Stolz ließen ihn die Augen niederschlagen, wie er weiter ging.

Sie werden nicht alle so unmenschlich sein, Christoph, seufzte die Frau ihm tröstend zu.

Komm nur, komm, wir gehen zu Richter hinüber. Ach Jesus! wie ist es doch so schlimm in der Welt.

Herr Feldmann kam inzwischen über den Weg. Er hatte den Wagen und die Damen wohl gesehen und begrüßte sie und ihren Begleiter. Ich bin Ihnen doppelt dankbar für Ihren Besuch, sagte er, denn Sie befreien mich von dem unangenehmen Geschäft einer weiteren Execution. –

Sie haben gewiß mancherlei Verdruß, fiel Fräulein Sophie ein.

Der fehlt mir nicht, erwiderte der Fabrikant, denn je größer der Wirkungskreis eines Mannes ist, desto mehr stellt auch der Verdruß sich ein.

Aber desto belohnender ist auch das Bewußtsein, in großen Kreisen Segen zu verbreiten, sprach Bergheim. Und gerade in Ihrem Kreise, Herr Feldmann, umringt von vielen hundert Arbeitern, deren Wohl und Weh und ganzes Lebensglück von Ihnen abhängt, müssen Sie das Gefühl eines Familienvaters haben, der für das Ganze sorgt und wirkt, und am Gedeihen jedes Einzelnen sein eigenes Gedeihen erkennt.

Das klingt ganz artig, rief Feldmann, aber die Wahrheit lautet anders. Schöne Vaterschaft das, wo die Kinder gern davon laufen möchten, wenn sie nur könnten, und alle Tage aufsässiger werden. – Wenn wir nicht gut zusammenhielten, wir Fabrikanten, sie würden uns bald Gesetze vorschreiben.

Das sieht ja aus wie Kriegszustand, sagte die Gräfin.

Und so ist es auch wirklich, gab er zur Antwort. Handel und Fabrikation sind Kriegszustände, wo der Eine den Anderen beständig zu überlisten sucht, und alle Vortheile gelten; wo täglich Pläne und Combinationen gemacht werden, um die Gegner und Nebenbuhler zu überlisten und den Platz zu behaupten. –

Und die Soldaten in diesem Kriege sind die Arbeiter, fiel Bergheim lächelnd ein, die für den ruhmvollen Feldherrn um's Leben kommen, der die Orden und Kriegsbeute in Empfang nimmt.

Wie es kommt, sprach der Fabrikant, zuweilen gehen aber auch die Schlachten verloren. Es ist jedoch überall so in der Welt, die nichts als ein großer Kriegsschauplatz ist, auf welchem die Menschen unaufhörlich sich kleine und große Gefechte liefern. Nicht einmal die Liebe ist davon ausgeschlossen, das wissen die Damen am besten. Wer ist nicht schon getäuscht worden und hat Wunden erhalten, wo er Rosen erwartete? Heimliche Bündnisse kommen zu Stande, von denen kein Mensch etwas ahnet; Väter und Mütter mögen so wachsam sein, wie sie wollen, es hilft zu nichts, und diese Soldaten Amors sind noch weit hartnäckiger wie meine Weber, weit schlauer wie der schlaueste Fabrikant, sie sind unerschöpflich in Verstellungen, und was das Schlimmste ist, sie brauchen nicht einmal lange Unterhandlungen, denn ein Augenblick reicht hin, sich ewige Treue zu schwören, und mit einem leisen Händedruck oder einem einzigen Lächeln ist die Verschwörung fertig.

Die Damen bestätigten durch ihr muthwilliges Lachen und halb zustimmende Antworten die Bemerkungen des Fabrikanten. Fräulein Sophie fühlte sich von einem bedeutungsvollen Blick ihrer Freundin erröthen, sie hielt sich an Bergheims Arm und dieser glaubte einen sanften Druck zu empfinden, den er wohl in freudiger Ueberraschung erwidert haben mochte, denn plötzlich sah er sich dicht vor Emma, die mit ihren Begleiterinnen aus einem dicht umlaubten Lindengange trat.

Da sind sie ja Alle, rief der Hausherr; aber ich erwarte außer dem Landrath und seinem Sohn heut noch mehr Gäste und an mir soll es nicht liegen, wenn wir nicht einen recht frohen Tag feiern.

In dem Salon, der dem Garten zunächst lag, fand die Gesellschaft die Frühstückstafel aufgeschlagen, an der nichts vergessen war, und während Jeder nach Belieben hier wählen mochte, war Herr Feldmann mit seiner Tochter beschäftigt, die er aufs Zärtlichste zu lieben schien.

Nach einigen Minuten wußte Bergheim, daß sie ein verzogenes Kind und völlig unbedeutend, aber so eigensinnig sei, wie dies gewöhnlich der Fall ist. – Sie hatte schnelle und abweisende Antworten für ihren Vater bei der Hand, die dieser in Scherze verwandelte und belachte; sie weigerte sich aufs Sprödeste etwas zu spielen und zu singen, was Herr Feldmann dringend wünschte, und wendete sich beleidigt ab, als er es ernstlicher zu fordern schien. Alle Bitten der Gesellschaft halfen zu nichts, und endlich ertheilte sie den guten Rath, es möge eine andere der Damen sich dazu verstehen, oder Emma sich dazu bequemen.

Feldmann hatte inzwischen den Flügel aufgeschlagen, den er aus Paris vor einiger Zeit direct kommen ließ. – Es war ein Erard'scher Flügel Der französische Instrumentenbauer Sébastien Érard (1752-1831) hatte u.a. mit der Entwicklung des Double Echappements dem Hammerklavier 1821 eine wesentliche Leistungssteigerung verschafft, durch die eine wesentlich bessere, viel schnellere Anschlagswiederholung bereitgestellt wurde, was die Virtuosität von Liszt und Chopin in jener Zeit überhaupt erst ermöglichte. Die Flügel der Firma Érard waren daher bis in die 1860er Jahre weltweit führend, bis die US-Firma Steinway die Innovationen Érards aufgriff und weiter entwickelte und diese schließlich übertraf. – Anm.d.Hrsg. der schönsten Art. Er kostete eine Summe, die Erstaunen erregte, das süß lohnend von dem reichen Herrn eingestrichen wurde. – Als Bergheim einige Accorde versuchte, sammelten sich sogleich die Damen um ihn. Die Zobelwitze und die Tochter des Fabrikanten betrachteten ihn mit lästiger Neugier und baten ihn etwas vorzutragen.

Singen Sie auch? fragte Agnes mit einem spöttischen Blick.

Ich habe es zuweilen versucht, erwiderte er.

O! so müssen Sie uns etwas hören lassen, rief der Chor.

Bergheim war ohne Weigerung bereit. Er setzte sich und sang mit ungewöhnlich schöner voller Stimme ein Lied, das mit den Worten begann: »Ich habe Dich verstanden, als ich Dich kaum gesehn«, und dessen Verse mit einer Liebesbetheuerung schlossen.

Während er sang, richteten sich seine Augen in die Tiefe des Zimmers. Emma stand am Fuße des Flügels. Ohne eine Bewegung in ihrem Gesicht, ohne ein Zucken ihrer Lippen sah er die Geliebte alle Liebe ihres Herzens über ihn ausströmen. Die schlanke große Gestalt hatte sich ein wenig vorgebeugt, ihre klaren Augen durchforschten seine Züge und ruhten mit Befriedigung und glücklicher Sicherheit darauf. Er mußte sich abwenden, um nicht aufzuspringen und zu enden, aber da stand Fräulein Sophie, den Arm um die Gräfin geschlungen, den Kopf an deren Schulter gedrückt und den lächelnden, süß verwirrten Blick niederschlagend, als sie dem seinen begegnete. – Eine unangenehme Empfindung flog durch seinen Kopf. Mit einem raschen Schluß hörte er auf und verließ das Instrument.

Bergheim erntete allgemeinen Dank. – Allerliebst! Vortrefflich! riefen die Damen.

Aber es muß auch so feurig vorgetragen werden, sagte die Gräfin.

Von wem ist das Lied? fragte Agnes.

Die Wahrheit zu gestehen, von mir selbst, erwiderte er.

Und wie ich vermuthe, eine ganz neue Arbeit? rief die Gräfin mit scharfem Tone.

Wenn ich es bekennen muß, ja, die allerneueste, sagte er lächelnd.

Die beiden Damen blickten sich bedeutungsvoll an.

Fräulein Sophie schien sehr belebt. Sie hob den Kopf triumphirend auf, wiederholte die Anfangsworte des Liedes und rief dann lachend:

Ich habe Dich verstanden, das ist eines von den geheimen, süßen, betäubenden Zaubermitteln, Herr Feldmann, von denen Sie sprachen. Von dem Niemand etwas weiß, Niemand etwas ahnet, was aber zwei Herzen zum innigen Verständniß führt.

So muß man um so aufmerksamer sein, um hinter das Geheimniß zu kommen, erwiderte Feldmann, sie schelmisch anblinzelnd. O! mir entgeht nichts. – Warum werden Sie denn roth, Fräulein Sophie?

Ich, roth! rief das Fräulein. Wie könnte ich roth werden?

Wie Scharlach, lachte der Fabrikant, wie echter Scharlach; aber es ist immer besser als erblassen. Wer roth wird, hat ein unschuldiges Herz; wer bei jedem kleinen Schreck erblaßt, hat ein böses Gewissen. – Meine Weber werden nie roth, sie werden immer blaß, es mag ihnen geschehen, was da will, und mit jedem Jahre nimmt das zu, weil's immer schlechter mit ihrem Gewissen aussieht. Aber lassen wir es gut sein. Herr Bergheim, ich wünsche Ihnen Glück und freue mich, Sie kennen gelernt zu haben. Ein junger Mann mit solchen Talenten, der componirt, spielt und so schmachtend singen kann, ist höchst gefährlich und muß von uns polizeilich beaufsichtigt werden.

Die Gesellschaft belustigte sich auf Kosten der Angegriffenen, die sich der weiteren Scherze nicht entziehen konnten. Glücklicher Weise trafen nach einigen Minuten noch mehre Gäste ein und erweiterten den Kreis. Mit ihnen kam Doctor Ludwig, der, wie er sagte, wenigstens hier einmal wie ein anständiger Mensch essen und trinken wollte, ehe er in seinem wässerigen Beruf wiederum untergehe, und bald war der Arzt der Mittelpunkt der Unterhaltung.

Er brachte die Nachricht mit, daß der Landrath so bald nicht kommen werde, da er Kunde über allerlei Uebelthäter erhalten habe, denen er nachspüren müsse.

Die verteufelten Weber wollen heut wieder eine Versammlung halten, sagte er, und diesmal sogar im Walde, Gott weiß in welcher Teufelsschlucht. Da ist denn unser eifriger Freund hinterher, um Staat und Gesellschaft zu des hüten und das ganze Nest einzufangen.

Die Zobelwitze beklagten ihren Papa, der so viel Unruhe und Aerger habe, und erzählten Geschichten von den Bosheiten, welche gegen ihn verübt würden.

Wenn Hugo verheirathet ist, sagte die Aelteste, und ein eigenes Gut hat, wird der Papa das Amt niederlegen und sich hüten, mit dem Gesindel sich ferner einzulassen.

O! rief Ludwig, zum Wohle der leidenden Menschheit muß er solche Gedanken fallen lassen. Was sollte denn aus uns werden, wenn der vortreffliche Landrath nicht Zucht und Ordnung aufrecht erhielte; wenn er die Gerechten nicht mehr beschützte, und das Gesindel ihn nicht mehr fürchtete. Wo aber ein berühmter Vater ist, da fällt der Ruhm auf sein ganzes Haus. Die Söhne und Töchter eines ausgezeichneten Mannes sind selbst ausgezeichnet. Sein Fest und sein Ball im ganzen Kreise soll gefeiert werden, wo die landräthliche Familie nicht obenan steht, und wer empfände nicht die Ehre, mit ihr in Verbindung zu treten; wer scheute sich nicht, ihr Mißfallen auf sich zu ziehen. Ich schätze mich glücklich, zu Ihren ergebensten Dienern zu gehören und verabscheue Jeden, der meinem edlen landräthlichen Herrn und Freunde ein Aergerniß bereitet.

Er blickte dabei nach verschiedenen Seiten ernsthaft umher; die Töchter des Landraths waren erfreut über seine Huldigungen und Feldmann nickte ihm zu, als er von der ehrenhaften Verbindung sprach. Er sah nach seiner Nichte hin, die geräuschlos häusliche Befehle ertheilte, die Dienerschaft mit Winken anwies, was geschehen sollte, überall die ordnende Hand hatte und doch an den Gesprächen Theil nahm.

Bergheim hatte sich mit dem Fabrikanten unterhalten und dessen Antheil mehr erregt als zu vermuthen war. Es war von der Fabrikation die Rede und zum Erstaunen des Herrn Feldmann und anderer Herren von Fach, die in der Nachbarschaft wohnten und ähnliche Geschäfte betrieben, war der junge Mann sehr genau von allen einzelnen Zweigen dieser umfassenden Industrie unterrichtet. Er sprach von den Spinnschulen in Westphalen, von der neuesten Art verbesserter Spinnräder, von der belgischen Art der Röste und Brake Das ›Rösten‹ bzw. die ›Röste‹ umfasst verschiedene Verfahren, um den Leim am holzigen Teil des Flachsstengels zu lösen. – Anschließend werden die Stengel durch die ›Breche‹ oder ›Brake‹ mechanisch gebrochen, bis die Fasern in einem Büschel zurückbleiben, nachdem die hölzernen Stengelteile zu Boden gefallen sind. – Anm.d.Hrsg. und von der irländischen Industrie und der Ausfuhr nach Westindien. Was jedoch am meisten die praktischen Herren in Verwunderung und Verlegenheit setzte, war die ungeheure Menge statistischer Notizen, Zahlen und Nachweise, welche Vergleiche anstellen ließen, und eine außerordentliche Belesenheit in alten und neuen Schriften voraussetzte, die er geltend machte, um seine Aussprüche zu unterstützen.

Es konnte nicht fehlen, daß bald streitige Punkte aufgefunden wurden, welche Bergheims Behauptungen entgegenstanden. Herr Feldmann war keinen Widerspruch gewöhnt und er als der erste und reichste Fabrikherr besaß eine solche Autorität, daß auch jetzt Niemand ihm zu widersprechen wagte. Seine Collegen unterstützten ihn, so viel sie konnten, aber Bergheim sprach so überzeugend von den verschiedenen Verbesserungen, die er ihnen vorschlug, daß seine Gegner wankend wurden.

Sie kennen die Praxis nicht, sprach Herr Feldmann endlich mit dem gewöhnlichen Hochmuth der Praktiker. In der Theorie klingt das alles sehr weise und gut, aber wenn es angewendet werden soll, kommen die Mängel zum Vorschein.

Was ich Ihnen mittheilte, erwiderte Bergheim bescheiden, ist allerdings für mich nur Theorie und ich bin weit davon entfernt, mich nicht belehren zu lassen; allein praktisch ausgeführt ist das Alles in verschiedenen Ländern, wo die Industrie gedeiht. Es kommt nur darauf an, ob praktisch erfahrene Männer nicht auch bei uns versuchen wollen, wie die Verhältnisse dazu passen.

Diese Bescheidenheit versöhnte den hochmüthigen Mann. –

Sie setzen mich in Erstaunen, sagte er freundlich, über die seltenen Kenntnisse, die Sie besitzen. Wo haben Sie das her? Und aus welchen Gründen haben Sie sich so vielfach mit unserer Industrie beschäftigt?

Ich habe, gab Bergheim zur Antwort, aus Pflicht sowohl, wie aus Neigung mancherlei Studien machen müssen. Auch habe ich Reisen gemacht, viele Fabriken gesehen und mich an Ort und Stelle belehrt.

Ei, rief Feldmann, ihn aufmerksam betrachtend, sei es wie es sei, aber wenn es so mit Ihnen steht, wenn Sie ein Mann von Fach sind, so müssen Sie auch meine Fabrik sehen, die ich sonst nicht gern müssiggehenden Maulaffen zum Zeitvertreib aufsperre.

Er nahm ihn bei der Hand, die er freundlich drückte, und führte ihn fort.

So kann man sich täuschen, sagte er. Ich hielt Sie für nichts weniger wie für einen tüchtigen Industriellen. Aber ich hätte es denken können, fuhr er mit einem schlauen Lächeln fort, denn die Industrie, welche Sie heut hier vor aller Welt Augen treiben, ist ein so feines Gewebe, daß nur ein erfahrener Blick es erkennen kann.

Ich weiß nicht, Herr Feldmann, sagte Bergheim verwirrt.

Nun davon nachher, fiel der Fabrikherr ein; jetzt sehen Sie meine Arbeitssäle, meine Röstmethode, meine Räder und Preisen und meine Maschinen und Vorräthe. Die hier gezeigte ›Fabrik‹ fertigt also, ganz im Sinne des Verlagssystems (siehe Anm. 15 ), noch kein Produkt, sondern nur dessen Rohmaterial, indem aus dem Flachs durch Rösten und Brechen der Rohstoff für den Leinenweber vorbereitet wird, der ihn mit Spinnen und Weben zum Tuch verarbeitet. – Anm.d.Hrsg.

Eine volle Stunde führte er ihn umher und schien mit Vergnügen zu hören, was Bergheim lobte und was er zu tadeln fand. Aufmerksam ließ er sich erklären, wie es in fernen Fabriken und in fremden Ländern gemacht werde; welche Einrichtungen und Verbesserungen man eingeführt habe und endlich sagte er:

Es ist Schade, daß Sie kein Kaufmann sind, aber Ihr Rath soll bei mir nicht auf Sand gefallen sein. Sprechen Sie mit Niemandem weiter darüber, ich will den Anfang machen. Sie haben ganz Recht. Handgespinnst bleibt Handgespinnst, man muß es nur vervollkommnen durch alle möglichen Mittel und es wird seinen Preis behalten, trotz aller Maschinenfabrikate.

Es wird im Preise steigen und trotz dessen das Maschinengespinnst vielfach verdrängen. Nur muß man gute Arbeiter erziehen und diesen Arbeitern auch die Arbeit bezahlen.

Nun das überlassen Sie uns, Freundchen, fiel Feldmann ein. Gute und theure Arbeiter ist nichts, aber gute und billige Arbeiter, das ist die Aufgabe. – Wir müssen uns vor einer Empörung der Glieder und des Magens gegen den Kopf hüten und Uebermuth nicht aufkommen lassen. Aber eine Hand wäscht die andere, wie man sagt, und so will ich Ihnen auch einen kleinen Dienst erweisen. Sie haben ein Herz im Sturm erobert, gestern auf dem Ball in aller Stille.

Herr Feldmann, sagte Bergheim, lebhaft betroffen.

Kein Läugnen, Freundchen, lachte der Fabrikant; mir ist Alles klar und ich sehe nicht ein, warum Sie noch hinter dem Berge halten.

Wenn ich überzeugt sein dürfte –

Von ihrer Liebe? Da kann ich Ihnen die vollste Gewißheit geben. Mit dem ersten Blicke hatte ich es fort. –

Und Sie – Sie, rief Bergheim, indem er Feldmanns Hand mit seinen beiden Händen faßte – was rathen Sie mir?

Ich rathe Ihnen, keine Zeit zu versäumen. Man muß das Eisen schmieden, wenn es warm ist, aber einem Mädchen muß man nicht einen Augenblick zum Besinnen übrig lassen, wenn das Herz einmal Zunder gefangen hat.

O! ihres Herzens bin ich sicher, aber –

Die Verwandten, meinen Sie? – Wer wird danach fragen, wenn die Liebe winkt. Im Uebrigen fürchten Sie nichts. Ich kenne die Verhältnisse genau. Es ist ein schönes Vermögen da, aber ganz jung ist sie nicht mehr, sie hat zu viel gewählt, wollte zu hoch hinaus.

Ah! sagte Bergheim erschrocken.

Aber immer noch eine convenable Partie, nur die Gräfin schaffen Sie sich vom Halse. Das ist eine Dame nach der Mode, allerliebst, aber leichtsinnig. – Wenn Sie wollen, will ich die Sache zu Stande bringen, ehe der Hahn kräht, und wer weiß, ob wir heut Abend nicht eine doppelte Verlobung feiern. Sie haben meine Nichte kennen gelernt?

Bergheim verbeugte sich.

Nun weiter brauche ich wohl nichts hinzuzufügen. Machen Sie ihr Muth. Nur Muth, Herr Bergheim. Wir wollen uns verbünden, ich will Ihnen beistehen. Sie sollen haben, was Sie begehren.

Dies Versprechen nehme ich dankbar an, erwiderte der junge Mann lebhaft.

Und verlassen Sie sich darauf, daß ich Wort halte, lachte Feldmann. Sagen Sie mir nur, wenn ich zur Hülfe kommen soll.


5.

Sie hatten inzwischen die Fabrik verlassen und traten wieder in den Garten ein, wo Emma ihnen in der Nähe des Hauses entgegenkam.

Wo hast Du unsere Gesellschaft gelassen? fragte der Onkel.

Sie hat sich zerstreut, erwiderte sie, je nach Geschmack und Gefallen. Die Herren sind im Billardsaale und beim Tivolispiel, oder sie gehen spazieren und begleiten die Damen.

Und der Landrath ist noch nicht gekommen? fuhr Feldmann ungeduldig fort.

So wenig wie Hugo. Ich denke, sie werden zusammen kommen.

Dann müssen wir noch warten; ich hoffe, Du hast die Küche danach eingerichtet.

Alles in Ordnung, sagte sie lächelnd. Wir haben noch ein Stündchen Zeit, ohne in Gefahr zu gerathen, Dein Diner in Unehre zu bringen.

Du bist ein Schatz, mein Emmchen, rief Feldmann.

Sehen Sie, Herr Bergheim, solch Glück ist jedem Christen zu wünschen. Emma lenkt das ganze Haus wie an einem Fädchen. Ich werde Dich sehr vermissen, wenn Du mich verläßt, um einem anderen Herrn zu folgen.

Wer wird an Trennung denken, erwiderte sie, wo diese so schwer wird. – Haben Sie unseren Garten schon gesehen, Herr Bergheim?

Was ich davon sah, ist so schön, daß es auf mehr begierig macht.

Und was Sie sehen, fiel Feldmann ein, ist zum guten Theil aus Emma's Anordnungen entstanden. Sie hat dem Gärtner die Gedanken dazu gegeben und meine Blumenflor zu der besten weit und breit gemacht. Der Hügelrücken dort ist zum Park umgeschaffen worden, die Aussicht von oben ist wunderschön. Steigen Sie hinauf, Emma wird Sie führen. Wahrscheinlich treffen Sie mehr Gesellschaft oben; vergessen Sie aber nicht, was ich Ihnen sagte, theurer Freund. Es bleibt dabei.

Es bleibt dabei, sagte Bergheim und langsam ging er mit Emma zwischen den Blumen hin, durch Hecken von blühenden Sträuchern, durch Laubengänge und Rasengelände, bis sie unter jungen Eichen und Buchen an der Hügelwand hinaufstiegen.

So lange hatten sie wenige Worte gesprochen, und nur dann und wann berührte er mit verlangendem Herzen ihre Hand; nur einige Male blickten sie sich an, um in ihren Augen zu lesen, als aber der kühle Wald sie einschloß, umfaßte er die Geliebte und führte sie die Stufen hinauf.

Wie lange habe ich mich nach diesem Augenblick gesehnt, rief er, wie war ich gepeinigt, und welches Glück in einer belohnenden Minute.

Sie legte die Hand auf seine Schulter und sagte leise:

Die Minute vergeht, aus vielen tausend Minuten besteht das Leben. Was das Glück der einen uns gegeben hat, können wir es festhalten? Ach! wenige Stunden reinen Glücks soll des glücklichsten Menschen Leben kaum einschließen! – Ich habe eine bange Nacht verlebt. Als ich allein war, kam es mir vor, als hätte ich einen schönen, aber schmerzlichen Traum geträumt. Wir waren zu rasch, kaum weiß ich selbst, wie es geschah. Aber war es Ahnung, war es eine göttliche Macht, deren Namen ich nicht weiß, war es mein wundes, beleidigtes Herz, ich weiß nicht was mir so großes Vertrauen zu dem Unbekannten gab. Ich erwachte erst, als ich träumen sollte, und fand erst Kraft zum Widerstehen, als jeder Widerstand unmöglich war.

Unmöglich! rief er, ihre Hände mit Küssen bedeckend, das ist das richtige Wort für die Macht der Liebe.

Auf der Höhe des Hügels stand eine Bank an einem kräftigen schattenvollen Baum, Gesträuch zur Seite verdeckte sie halb. Der Wald vor ihr war fächerartig durchschnitten und ließ den Blick über die sonnige Berglandschaft in weite Ferne fliegen. Die grünen Thäler thaten sich auf, die klaren Bäche rieselten glänzend durch blumige Auen, ein Strom milder, freier Luft drang herauf und fühlte das überheiße Blut.

Was die Minute uns gegeben hat, rief Bergheim, soll das Leben uns nicht entreißen. – Ich habe Muth darum zu kämpfen, ich bin darum gekommen, Emma, mit dem stolzen Bewußtsein, was ich gestern erworben, mit heut zu sichern.

Ich habe immer geglaubt, erwiderte sie, ihn froh betrachtend, daß unser Schicksal an der Gewalt des Augenblicks hängt. Auch über mich hat er entschieden. Sage mir nur, was Du willst, ich werde Dir vertrauen. Ich kann nicht zweifeln, denn ich vermöchte es nicht. Ruhe in meinem Hoffen, der Friede in mir hat alle Zweifel getödtet.

Und dieser Friede soll auch mich beschirmen, sagte er, sie an sich ziehend, denn selig macht mich dies Bekenntniß. –

Im vertrauten Gespräch saßen sie lange, die Hände vereint, durch welche der Strom ihrer Empfindungen feuriger von Herz zu Herz lief. Emma erzählte ihm von ihrem Leben, ihrer Einsamkeit und ihren Kämpfen mit den Härten und Launen ihres Onkels, der es endlich sich in den Kopf gesetzt, sie zu verheirathen.

So sind die Menschen, sagte sie lächelnd; wer das Opfer ihres Egoismus werden will, den machen sie dazu, und lassen nichts unversucht, um ihn zum Verrath an sich selbst zu bringen. – Ich habe jedoch keine Neigung mich zu unterwerfen und keinerlei Furcht. – Tritt vor meinen Onkel hin, sobald Du willst, fordere mich von ihm; sage ihm kühn, was Du zu sagen hast. Wenn er gesprochen hat, werde ich antworten.

Ein lautes Lachen hinter ihnen war eine eben so unerwartete wie erschreckende Störung. – Ein Blick reichte bin, um den Landrath zu erkennen, der hinter den Bäumen am Rande des Weges stand und freundlich grüßte, während seine Augen eine ganz andere Sprache führten.

Da steige ich über Berg und Thal, sagte er näher tretend, um ganz unverhofft meine Freunde zu überraschen, und werde nun plötzlich gar sehr selbst überrascht. Ich treffe mein liebes Töchterchen so in Gedanken vertieft, daß sie meinen festen Schritt nicht hört.

Ohne ihre Hand aus Bergheims Hand zu ziehen, erwiderte Emma seinen Gruß und lud ihn ein bei ihnen auszuruhen.

Das Unerwartete und Ueberraschende bedarf zunächst der ruhigen Betrachtung, sprach sie lächelnd. –

So ist es nicht gemeint, rief der Landrath. – Ich glaube, Sie haben nicht einmal die Glocke in der Fabrik und das Rufen im Garten gehört? Geben Sie mir Ihren Arm, Herzenskind. Der Weg ist abschüssig, den Sie gehen, daher ist es gut, wenn wir uns gegenseitig stützen.

Mit einer Mischung von Gewalt und Scherz führte er Emma fort, ohne sich um ihren Begleiter zu bekümmern, den er gar nicht zu bemerken schien. –

Da geht Feldmann in Garten umher, sagte er; ich denke ihm heut eine besondere Freude zu bereiten. Haben Sie Hugo gesehen?

Das Fräulein verneinte es.

Der arme Junge, fuhr er fort; er ist voller Unruhe. Aber so geht es her in der Welt, was thun die Frauen uns nicht alles zu Leide! – Nun, jedem Kriege folgt der Frieden, und jedem Streit die Versöhnung. Sie haben viel zu verantworten, Herzenskind, doch Ende gut, Alles gut.

Gewiß, das ist auch meine Meinung.

Nur keine Ueberraschungen mehr, flüsterte der Landrath, wenn Sie wieder da oben sitzen. – Es bleibt Alles unter uns, rief er lachend; ich bin kein Beichtvater, aber ich vergebe dennoch die Sünden und heut zumal ist mir absonderlich wohl ums Herz. Sehen Sie zu, Herzenskind, daß wir Alle einen frohen Tag haben.

Der Fabrikant kam ihnen entgegen, und während er den Landrath bewillkommnete, schloß sich auch Bergheim den Weitergehenden an.

Jetzt sind wir endlich beisammen, sagte Feldmann, und können endlich an des Leibes Nahrung und Sättigung denken, worauf doch Alles hinausgeht, mögen die geistreichen vom Duft lebenden Tröpfe sagen, was sie wollen. – Aber Ihr Spaziergang hat lange gedauert, Herr Bergheim; Fräulein Sophie ist voller Unruhe; die Aussicht auf der Höhe muß Ihnen ganz besonders gefallen haben.

Ich habe nie eine so schöne Stunde erlebt, erwiderte der Befragte.

Die Aussicht ist gut, fiel der Landrath ein, aber an Einsicht fehlt es leider gar zu oft.

Die beste Einsicht, sagte Feldmann, indem er durch die offene Salonthüre auf die gedeckte Tafel deutete, haben wir dort vor uns. Keinen Augenblick länger wollen wir zögern, uns in Besitz zu setzen.

Als sie hereintraten, war die Gesellschaft schon versammelt. Der junge Herr von Zobelwitz eilte Emma entgegen und überreichte ihr einen Strauß sehr schöner, seltener Blumen, die sie freundlich dankend annahm. – Seine Schwestern erzählten, daß er zwei Meilen weit darum geritten sei, um sie aus den Gärten des Fürsten Lobenstein zu holen, und alle blickten gerührt auf den jungen Cavalier, dessen Liebe kein Opfer scheute.

Ich bin Ihnen vielen Dank schuldig, lieber Hugo, sagte Emma ihm die Hand reichend, die er an seine Lippen zog, und muß wirklich daran denken, wie ich Ihnen so viele Aufmerksamkeit vergüte.

O! rief der junge Herr, einen ganzen Tag wollte ich reiten, um eine Blume zu holen, die Sie lieben; wenn Sie mir Dank sagen, macht es mich glücklich.

Die Damen sahen sich bedeutungsvoll an und der Landrath nickte vergnügt seinem Sohn zu, der Emma den Arm bot und sie zur Tafel führte, wo Herr Feldmann die Plätze mit weißer Vorsicht geordnet hatte. – Mitten zwischen Vater und Sohn hatte er seine Nichte gesetzt, ihnen gegenüber aber den Assessor an Fräulein Sophie und die Gräfin überantwortet. Der Doctor sollte die junge Welt unterhalten, er selbst aber war von einigen vertrauten Freunden umringt, die den Genuß durch Hingebung zu veredeln verstanden und mit empfänglichem Gemüth alles Schöne zu würdigen wußten.

Bald war die Unterhaltung allgemein und lebhaft, nur Bergheim. schien zerstreut und zog den Spott seiner Nachbarinnen auf sich, deren Fragen er meist überhörte oder verkehrt beantwortete. Eine Unruhe peinigte ihn, die er schwer beherrschen konnte. Wenn er seine Blicke auf Emma richtete, begegnete er den Augen des Landraths, der ihn scharf und höhnisch beobachtete, und wenn ein leises Zeichen des Verständnisses ihn ermunterte, kam es ihm vor, als wollte der alte Herr aufstehen und ihn anreden.

Plötzlich stand der Landrath aber wirklich auf und schlug an sein Glas. Eine tiefe Stille entstand, Niemand wußte, was geschehen sollte.

Meine Damen und Herren, begann er, es ist Jemand unter uns, mit dem ich ein ernstes Wort zu reden habe.

Alles Blut drängte sich in Bergheims Herz zusammen, der alte Herr schaute mit verrätherischem, rachsüchtigem Grinsen auf ihn nieder. –

Wenn ich sage ein ernstes Wort, fuhr er fort, so meine ich damit ein Wort des Vertrauens, und schätze mich glücklich, daß ich es bin, der Ihnen allen ein Geheimniß offenbaren kann, das Sie mit Erstaunen und Freude erfüllen wird.

Die Gesellschaft horchte athemlos, der Landrath stützte sich auf den Tisch und sah triumphirend umher. –

Selten, sprach er dann in bewegtem Tone, werden Verdienste anerkannt, noch seltener belohnt; um so erhebender ist es, wenn dies geschieht, wenn Auszeichnungen und Ehren auf den fallen, dem sie gebühren. Meine Damen und Herren, es ist uns Allen gewiß eine unvergeßliche Freude zu erfahren, daß die großen Verdienste um das Vaterland, Verdienste um das Wohl so vieler Tausende seiner Mitmenschen, Verdienste aller Art, die unmöglich hier alle ausgesprochen werden können, Se. Majestät den König bewogen haben, unseren verehrten, edlen Freund Feldmann zum Geheimen-Commerzienrath zu ernennen!

Ein allgemeiner Freudenruf folgte diesen Worten. Die ganze Gesellschaft erhob sich.

Hier ist das Patent, rief der Landrath, ein großes Schreiben hervorziehend. Ich habe es heut erhalten. – Und nun erheben Sie Ihre Gläser mit mir. – Es lebe der Geheime-Commerzienrath Feldmann, zum Heile des Vaterlandes, zum Heile seiner Familie und seiner Arbeiter, deren Vater er ist!

Der Jubelruf erscholl zu drei wiederholten Malen, Alle drängten sich um den glücklichen Fabrikherrn, der in den Armen des Landraths lag und bis zu Thränen erschüttert ausrief:

Zobelwitz, das vergesse ich Ihnen nie. So lange ich lebe, will ich dieser Stunde gedenken.

Nur Geduld, erwiderte der Landrath in seiner Umarmung; wo der Geheimrath ist, bleibt auch der Orden nicht aus. Unsere Freundschaft wird uns zu einer Familie machen; wir werden vereinigt weiter streben und uns gegenseitig beglücken.

O, gewiß! rief Feldmann mit einem strengen Blick auf seine Nichte. Wer kein Herz von Stein hat, muß ja nichts sehnlicher wünschen als solchem Familienkreise ans zugehören. –

Fröhlicher noch und heiterer als bisher wurde die Gesellschaft durch die Reihe von Toasten und Scherzen, welche zu Ehren des neuen Geheimraths ausgebracht wurden, der in der frohsten Laune war, als der Landrath plötzlich eine neue Unterbrechung herbeiführte, die dem Gastmahl ein plötzliches und völlig unerwartetes Ende bereitete.

Wissen Sie wohl, Feldmann, sagte er, daß ich dem Menschen auf der Spur bin, der seit längerer Zeit hier umherschleicht und die Weber aufwiegelt?

Ich wollte, Sie hätten ihn schon, erwiderte der Fabrikant.

Ich kann ihn jeden Augenblick haben, fuhr Zobelwitz fort. Man hat ihn mir aufs Genauste beschrieben. Ein junger Mann, dunkelblond, mit lebhaften braunen Augen, und einer Narbe am Kinn, die von der Lippe ausgeht.

Fräulein Sophie sah entsetzt ihren Nachbar an, und ließ das Messer fallen.

Warum erschrecken Sie denn? rief der Landrath lachend, etwa weil der Herr Assessor da auch eine Narbe am Kinne hat?

Weil der Steckbrief so ziemlich auf mich paßt, erwiderte Bergheim.

Sagen Sie mir doch, mein Herr – Bergheim, wenn ich nicht irre, fuhr Herr von Zobelwitz ruhig fort, haben Sie nicht vor einiger Zeit einmal eine Nacht bei einem Weber im Gebirge zugebracht und ihm beim Abschied eine bedeutende Geldsumme als Geschenk zurückgelassen?

Darf ich fragen, weshalb Sie dies Verhör mit mir anstellen? erwiderte der junge Mann.

Der Weber, von dem die Rede ist, fuhr der Landrath gegen den Fabrikanten gewendet fort, ist nämlich der Petermann, der böseste Bursche, den wir hier haben. – Es ist seltsam mit unseren gesellschaftlichen Verhältnissen. Man kann nicht genau genug wissen, mit wem man zu thun hat, um nicht mit Abenteurern in unangenehme Berührung zu kommen.

Eine tiefe Stille folgte diesen Worten, alle Augen richteten sich auf den fremden Gast, der einige Minuten lang vor sich nieder sah, bis er mit vollkommener Ruhe aufstand und sich zu dem Herrn des Hauses wandte, der seine Stirn in die finstersten Falten gezogen hatte.

Es kann kein Zweifel obwalten, sagte er, daß ich absichtlich an Ihrem gastlichen Tische beleidigt werde. – Ich bitte Sie, mir einige Minuten Gehör zu schenken, wobei der Herr Landrath gegenwärtig sein mag.

Ich glaube nicht, daß wir eine weitere Aufklärung bedürfen, erwiderte der Fabrikant den Kopf wegwendend. Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, aber meine Zeit ist sehr beschränkt.

Sie werden mein billiges Verlangen nicht abschlagen.

Ich schlage es ab, sagte Feldmann ebenfalls aufstehend, weil ich kein Interesse dabei habe, mich näher damit einzulassen. Im Uebrigen danke ich sehr für die Ehre Ihres Besuchs und bin Ihr ganz ergebenster Diener.

Eine hohe Röthe flog über Bergheims Gesicht, die plötzlich wieder verschwand. – Er richtete sich stolz auf und warf seine Blicke über den Kreis der verlegenen und zurückweichenden Herren und Damen, welche jetzt sämmtlich ihre Plätze aufgaben. –

Doctor Ludwig allein trat ihm näher und sagte beruhigend:

Hier walten offenbar Mißverständnisse, die der Aufklärung bedürfen; aber wir haben jetzt keine Zeit dazu. Geben Sie mir Ihren Arm, Bergheim, die frische Luft wird uns Auen wohl thun.

In diesem Augenblick war Emma an seine Seite getreten und ihre klare Stimme gab ihm Antwort.

Wenn Du ihn nicht hören willst, Onkel, sagte sie, so wird es mir vielleicht vergönnt sein, Dich um Gehör zu bitten.

Was soll ich von Dir hören? fragte der Geheimrath heftig.

Sie nahm Bergheime Hand und deutete auf das Nebenzimmer. –

Was wir Dir beide zu sagen haben, ist für jetzt nur für Dich bestimmt.

Emma! rief der Landrath, lassen Sie die Hand des Menschen da los; zwingen Sie mich nicht weiter zu gehen. Er ist weder Assessor noch heißt er Bergheim.

Was ist denn das?! schrie Feldmann in ausbrechender Wuth. – Sie ist wahnsinnig!

Willst Du mich hören? fragte das Fräulein.

Nein! nicht ein Wort – mir schwindelt der Kopf – welches höllische Complott ist denn hier geschmiedet worden?

Geh, mein theurer Freund, sagte Emma, sich zu Bergheim wendend, sie wollen Dich nicht hören und ich habe es nicht nöthig. Mir gegenüber bedarfst Du keiner Rechtfertigung.

Bergheim küßte ihre Hände und blickte sie freudig an.

Sei überzeugt, sagte er, daß alle Verläumdung mich nicht berührt. Du glaubst an mich, mehr bedarf es nicht. Herr Feldmann, ich hoffe auch Sie zu bestimmen, besser von mir zu denken.

Doctor Ludwig faßte den Arm des jähzornigen Mannes, der mit hochgeschwollenen Adern und geballten Händen Hohngelächter ausstieß und dem Zustande nahe war, wo er alle Herrschaft über sich verlieren mußte.

Ich befehle Ihnen Ruhe, rief der Arzt, Sie setzen Ihr Leben in Gefahr!

So befreien Sie mich von ihm, um Gotteswillen! befreien Sie mich, keuchte er, seine Stirn trocknend. Noch giebt es Gesetze – Rechte – Irrenhäuser für Närrinnen, Besserungsanstalten für Landstreicher, die Familienglück und Ehre zerstören. Fort! oder ich schaffe mir Ordnung in meinem Hause.

Der Arzt führte bald gewaltsam seinen Schützling hinaus, dem die heftigsten Schmähungen nachklangen.


6.

Einige Minuten lang gingen die beiden Männer schweigend neben einander durch den Garten einem Heckenthore zu, das auf die Landstraße führte. –

Wenn Sie dort warten, oder langsam die Straße hinabgehen wollen, sagte Ludwig endlich, so soll mein Wagen Sie bald einholen.

O, Freund! rief Bergheim, Sie hätten mich lassen sollen, ich hätte Emma nicht verlassen dürfen.

Ludwig faßte ihm an den Puls und sagte lächelnd:

Sie scheinen ziemlich fieberfrei zu sein, ich kann somit hoffen, daß Sie mich verstehen. – Der Leidenschaft läßt sich keine Vernunft predigen, aber das Vernünftige ist doch immer allein das Rechte. Ich frage nicht darnach, wie Sie es angefangen haben, das reiche, schöne und sonst so kluge Mädchen zu erobern; Mädchenherzen sind nicht zu enträthseln, man sieht die Wunder, aber man begreift sie nicht. Ich habe gestern Abend schon etwas davon gemerkt und Sie heut auf der Promenade gewarnt.

Wir erkannten uns und der Augenblick entschied, murmelte Bergheim.

Und wer den Augenblick ergreift, der ist der Mann! lachte der Arzt. – Von Widerwillen gegen den aufgedrungenen Bräutigam erfüllt, gekränkt von der Rohheit, empört über Drohungen und ekle Ueberredungskünste, hat eine rasche That begonnen, womit bedächtige Leute enden. – Bei Gott! ich wollte, es wäre mehr Gesundheit in der Welt, das ist der äußerste Wunsch, den ein Arzt thun kann; aber wenn es irgend möglich wäre, ich böte meine Hand dazu, um Euch glücklich zu machen.

So ganz hoffnungslos wollen Sie mich verlassen, sagte Bergheim, und Ihre Theilnahme für uns unterdrücken?

Ich sinne hin und her, wo ich helfen könnte, rief der Arzt, aber ich weiß keinen Rath. – Die eingeknöcherten Seelen da drinnen werdet Ihr nimmermehr weich machen. – Jetzt ist mein würdiger Freund sogar Geheimer Commerzienrath geworden und seine Dankbarkeit hat sich verzehnfacht. – Das Einzige, was ich rathen kann, was ein Arzt räth, wenn er kein Mittel mehr weiß, ist eine » Luftveränderung!« Das Wetter ist prächtig, in wenigen Stunden können Sie auf der Reise sein und vergessen, was vergessen sein muß.

Niemals! rief Bergheim, und er drückte die Hände seines Freundes. Glauben Sie nicht, daß ich mich schrecken lasse. – Welchen Verrath an Ehre und Gewissen, an Liebe und Treue würde ich begehen! – Ich würde die beschimpfenden Verläumdungen verdienen, die man gegen mich gebraucht hat. Sagen Sie mir nichts von den Schwierigkeiten unserer Lage, von der Macht des Willens, der uns entgegensteht. Ich erkenne ihn an, doch ich beuge mich nicht vor ihm.

Aber wo sind die Mittel, ihn zu unterwerfen? sagte Ludwig.

In unserer sittlichen Kraft, in dem Muthe, ihm zu begegnen, erwiderte Bergheim.

Theurer Freund, rief Ludwig. der Glaube versetzt zwar Berge, aber hoffen Sie nicht auf eine Bekehrung derer, die Sie hassen. Ich warne Sie aufrichtig vor allen weiteren Versuchen. Bringen Sie sich in Sicherheit; morgen dürfte es zu spät sein. Der Landrath hat schwere Anklagen gegen Sie ausgesprochen. Er hat es in seiner Gewalt, Sie zu verfolgen, Untersuchungen anzustellen, Sie wohl gar fest zu nehmen. Bedenken Sie alles.

Sagen Sie Emma, daß ich glaube und vertraue, gab er zur Antwort; stehen Sie ihr bei, Doctor, helfen Sie uns.

Gehorsamer Diener! rief Ludwig. – Sie wollen nicht hören und ich kann nicht helfen. Ich bin eine neutrale Macht, das ist Alles, wozu ich mich verstehen kann. – Da liegen die Berge mit ihren blauen Spitzen und Kronen. Drinnen haust der mächtige Herr des Gebirgs, der Geisterfürst Rübezahl. Das ist der einzige Verbündete, der helfen könnte, ich weiß wahrlich sonst keinen, der Macht genug besäße. Rufen Sie ihn an, daß er seine Gnomen aufsteigen läßt mit Gold beladen, oder sein Heer ausschickt, um diese feste Burg der Selbstsucht zu umringen, und unter Angst und Schrecken die stolzen Herren zwingt, ihre Pläne aufzugeben. – Er hat es sonst wohl gethan, hat stolze Barone vermocht, den Bauern zu sich zu erheben, und Liebende vereint, die von hartherzigen Vätern getrennt wurden. – Aber wo laufen Sie denn hin? Dort hinaus geht der Weg!

Zum Rübezahl! antwortete Bergheim, indem er rasch den Hügel hinaufstieg, der zum Park umgewandelt war.

Hören Sie doch, schrie der Arzt ihm nach. Dort ist kein Weg; Sie laufen durch Wald und Feld und werden sich verirren.

Er erhielt keine Antwort und sagte ärgerlich:

So lauf, wohin Du Lust hast! Aber wahrhaftig, es thut mir weh, daß ich es mit ansehen muß, denn er hat Etwas, was mich zu ihm zieht, und ganz neutral werde ich nicht bleiben. Emma soll wenigstens wissen, daß er glaubt und vertraut.

Während er zurückkehrte, stieg Bergheim den Hügel hinauf und blieb einen Augenblick bei der Bank stehen, wo er am Morgen so glücklich war. – Das Thal von der Abendsonne beglänzt, lag zu seinen Füßen, Alles ums der war so friedlich und so still. – Vögel flogen durch die Bäume, ein Fink sang über ihm im Buchenlaube und sah mit klugen Augen auf ihn herunter.

Die Menschen quälen Alles und am meisten sich selbst, murmelte er. Wo aber sind die gütigen Feen, die früher wenigstens zuweilen sich der Gequälten annahmen?! O! wenn ich ihn finden könnte, den mächtigen Herrn der Berge, er sollte nicht von mir gehen, ohne mich gehört zu haben. – Die aufgeklärte Zeit hat die alten Geister begraben, und die neuen Geister der Civilisation haben kein Herz für die Leiden der Sterblichen.

Stimmen im Garten schollen zu ihm herauf und schienen sich zu nähern. Er stand schnell auf und schlug einen schmalen Fußpfad ein, der an der anderen Seite des Hügels nieder führte, über ein kleines Wasser leitete, das in der Senkung von Stein zu Stein sprang und dann durch hohes Gerüll und Gras einen anderen höheren Berg hinauf leitete, wo er sich im Walde verlor.

Länger als eine Stunde ging der einsame Wanderer in dem Bergwalde fort. Der Pfad hatte längst aufgehört, er hatte ihn verloren, aber unbekümmert schritt er weiter auf hochschwellendem Moosteppich, zwischen schönen Bäumen, die ihre Kronen zu einem erhabenen Gewölbe fügten, das von tausend schlanken Säulen getragen ward. –

Die Stille umher, die liebende Ruhe der Natur, und der rothe Sonnenschein, der wunderbar auf den farbenwechselnden Boden fiel, umgaben ihn mild. Dann und wann öffnete sich ein Thal in blumenvoller Friedlichkeit, hohe Berge stiegen vor ihm auf, Felsen sprangen aus dem Walde mit steilen Spitzen empor, da und dort stand eine einsame Tanne darauf, wie ein kühner Wächter auf verwegenem Posten, und um die Häupter des Gebirges lag der blaue verlockende Schimmer, der sie so schön und Sehnsucht weckend macht.

Endlich blieb er am Rande einer steilen Tiefe stehen und sah auf einen seltsamen Waldkessel nieder, der zwischen Felsen so rund ausgeschnitten war, als hätten die Arme eines Riesen die Berge von einander geschoben und diesen lieblichen Grund gebildet. Aus einem schmalen Spalt drang das Rauschen eines Wasserfalls, auf der Höhe der Felsen hing der Wald in träumerischer Dunkelheit und beugte sich mit gewaltigen Bäumen über den Rand hinaus. Unten war der Grasteppich so dicht und duftig, so reich mit Blumen durchstickt und leuchtend wie in einem wohlgepflegten Garten. Mitten darin aber erhob sich ein gewaltiges Felsenstück, viereckig mit Vorsprüngen und Mauerkronen, daß es fast wie eine moosige Ritterburg mit Warten und zackigen Scharten aussah.

Bergheim erinnerte sich, daß nach dem Volksglauben der Herr des Gebirges manche Vesten und Gärten besaß, in denen er wohnte, und von wo er erst hinausging in das helle Licht der Erde, wenn es in seinen Silbergrotten ihm nicht mehr behagte, wo die funkelnden edlen Steine alle Pracht und Herrlichkeit beglänzten.

O, Rübezahl! Rübezahl! rief er trübe lächelnd, ich fürchte mich nicht, Dich bei dem verhaßten Namen zu rufen. – Rübezahl! Rübezahl!

Plötzlich hörte er aus dem Grunde eine Antwort. – Eine weiche, klagende Stimme wiederholte seinen Ruf, und es konnte kein Echo sein, denn in längeren Pausen und öfter hörte er den Namen.

Nach einigen Augenblicken, wo er erstaunt und erregt umherblickte und nichts entdecken konnte, stieg er vorsichtig an dem Felsen nieder. Espengesträuch zog am Rande des Grundes hin, auf den er endlich hinaustrat und sich dem Felsen in der Mitte näherte. – Seine leisen Schritte waren unhörbar; das tiefe Schweigen wurde durch nichts unterbrochen. Die Sonne überglühte abendlich den Wald, unten war Schatten und Kühle; das Rauschen des Wasserfalls, dessen silberner Bogen in der Schlucht sichtbar wurde, ließ sich leise vernehmen.

Und eben legte er die Hand an den mächtigen Stein, als ein Seufzer, dem einige unverständlich klingende Worte folgten, ihn erschreckte. Es war, als kämen sie aus dem Schoß der Erde hervor, aber Alles war erklärt, als er um die Ecke des Felsens tretend, wenige Schritte weiter eine Frau erblickte, die auf ihren Knieen und die Hände bittend aufgehoben mit ängstlicher Geberde den Granitblock betrachtete. – Vor ihr lag etwas in ein weißes Leinentuch Gewickeltes; neben ihr im Grase aber schlief ein Kind in einem Korbe, wie er auf dem Rücken der Landleute getragen wird.

Bergheim erkannte, auf der Stelle die Frau wieder, die so freundlich mit ihm getheilt hatte, was ihre Armuth besaß. – Es war des Webers Frau, die er am Morgen schon gesehen; es war ihr gutes Gesicht, von Treuherzigkeit in den hellen großen Augen, jetzt aber waren diese mit Thränen gefüllt und dem trostlosen Kummer, der sie hierher getrieben hatte.

Er hört mich nicht, sagte sie seufzend, er will mich nicht hören. – O Rübezahl! Rübezahl! Herr, erbarme Dich meiner und komm hervor aus Deinem Schloß.

Plötzlich unterbrach sie sich durch einen heftigen Schrei. – Sie hatte die Gestalt am Felsen erblickt und erkannt. Ein unsägliches Grauen bedeckte ihr Gesicht; ihre Augen hefteten sich starr auf den wohlbekannten Gast, der ihr näher trat. – Er begriff den Weg ihrer Gedanken.

Erschreckt nicht so sehr, Martha, sagte er, was wollt Ihr von dem Rübezahl?

O Herr! erwiderte sie, kaum fähig zu einer Antwort, zürnt nicht, verdammt mich nicht.

Warum sollte ich Euch zürnen? Ich bin Euer Freund, sprach er beruhigend.

Aber Ihr hört es nicht gern, fuhr sie ermuthigter fort, wenn man den Namen ausspricht, der Euch beleidigt, und doch wußte ich kein anderes Mittel Euch zu mir her zu bringen.

Bergheim wußte nicht, ob er seine neue Würde als Geisterfürst behaupten oder sogleich zerstören sollte. –

Ach! rief er, an den Fels schlagend, glaubt mir, Martha, ich habe den Rübezahl so nöthig wie Ihr, doch laßt mich hören, was Ihr von ihm wollt, und nehmt an, daß er Euch helfen wird durch mich, wenn es in seiner Macht steht. –

Seht, Herr, sprach die Frau, Ihr habt keine Undankbaren beschenkt. O Jesus, wie glücklich hat uns Euer Geld gemacht! – Christoph wollte es zwar nicht glauben, daß Ihr es waret, der es uns gegeben, aber er nahm es und wandte es gut an. Es sei von Gott gesandt, sagte er, und von der Zeit an, wo er es hatte, kam neue Hoffnung in sein Herz und er meinte, es könne besser werden mit uns. – Er sprach mit anständigen Leuten und Nachbarn über die Arbeit und wie sie zusammen halten müßten, um aufrichtig und ehrlich ihr Brod zu essen.

Ich weiß es, fiel der Fürst der Geister ein, ich weiß auch, daß dies Benehmen den Herren nicht gefiel, und daß Euer Mann heut harte Unbill erlitten hat, als er sein Leinen verkaufen wollte.

Mein Jesus! rief die Frau, Ihr wißt Alles, Herr; doch wie solltet Ihr auch nicht wissen, was auf Eurem Gebiet geschieht? – So wißt Ihr auch, daß wir überall abgewiesen worden sind. Ach! überall hat man uns mit Scheltworten von den Thüren gejagt und Verdorbene gescholten. Wir sind arme Leute, aber mein Christoph hat ein warmes, gutes Herz. – Er wollte den Herren zeigen, was er könnte, und was Andere auch können, wenn es nur geht, wie es gehen soll. Er hat ein Stückel Leinen gewebt, so rein und fein, wie man es selten sieht. Alle Mühe und allen Fleiß haben wir beide darauf verwendet. Das wollte er hinlegen auf den Tisch und dann zu den Herren reden und bitten, sie möchten es menschlich und christlich machen mit uns; möchten dem Arbeiter nicht mehr den letzten Blutstropfen auspressen, so würd es immer so schöne Arbeit geben können, die sich verkaufen läßt auf allen Märkten, und wollt ihnen allerlei Sätze vorschlagen, die gehalten werden sollten, damit nicht endlich Verzweiflung über uns käme.

Und nirgend hat man Euch angehört?

Nirgend, weinte die Frau leise. – Was sollen wir nun beginnen, Herr? Sie wollen uns verderben. – Seht her, hier liegt das Stückchen. – Sie wickelte das Tuch auf und hob das Leinen daraus hervor. – Es ist so gut und so schön, man hat seine Freude daran, aber wir können's nicht essen, und Hunger thut weh. Der Christoph konnt' meine nassen Augen nicht mehr sehen, er ist gegangen, um mit anderen Männern zu sprechen. Ach Jesus! sie haben wohl Böses im Sinn, aber es ist zum Letzten gekommen; wie soll's mit uns enden! – Erbarmen ist bei den Menschen nicht, und Gott will uns nicht hören. – In meiner Angst dacht' ich an Euch, Herr. Da bin ich hergekommen mit dem Leinenstück. Es ließ mir keine Ruh, ich lief über Berg und Stein. – Er wird Dir helfen, rief's in mir, und so ruft es auch noch. Herr, helft einer armen Frau, kauft ihr das Stückel Leinen ab, geschenkt will ich nichts haben. Seht, es ist schön; oh! sprecht ein Wort. Ihr habt ja oft schon gekauft und Thränen getrocknet. Nehmt es hin, Herr, nehmt es hin!

Die rührende Angst, sie könnte vergebens bitten, der Geist, den sie heraufbeschworen, könnte plötzlich in Luft zerfließen, machte, daß sie aufsprang und seine Hand ergriff. – Die tiefe Stille im Walde, der letzte Scheideblick der rothen Sonnengluth auf den höheren Baumkronen und die wilde Scenerie des einsamen Grundes, aus welchem ein Nebelrauch aufzusteigen begann, wirkten mächtig mit zu dem wunderbaren Bilde.

Eure Hand ist warm, rief die arme Frau, Eure Augen glänzen feucht und mild. Ihr habt ein Herz, lieber Herr, für armer Leute Noth und Unglück. Ich seh' es Euch an, daß Ihr helfen wollt.

Ich will helfen, Martha, erwiderte er gerührt. Was fordert Ihr?

Nicht mehr, als was wir von dem Fabrikanten forderten, nicht einen Groschen mehr, lieber Herr; sagte sie eifrig. – Zwanzig Thaler ist es geschätzt, aber wenn es Euch zu viel ist, zieht noch etwas ab, die Herren machen es ja noch schlimmer.

Er zog aus seiner Tasche vier neue blanke Goldstücke und legte sie in ihre zitternde Hand. – Das ist etwas mehr, als Ihr gefordert habt, sagte er; was drüber ist, soll für die Kinder sein. Nehmt jetzt das Leinen mit nach Haus, ich werde es abholen, wenn ich es brauche.

Martha stand mit verklärtem Gesicht vor ihm. Sie blickte die Goldstücke an, dann den Käufer. Plötzlich fiel sie vor ihm nieder und hob anbetend ihre Hände auf. – Sie wollte etwas sagen und vermochte es nicht, allein im nächsten Augenblick war sie wieder auf den Füßen und sprang an dem großmüthigen Helfer vorbei, der im Umblicken hinter sich den Weber entdeckte, welcher auf seinen schweren Stock gestützt zehn Schritte von ihm an dem Felsen stand.

Jesus! rief die Frau, ihm um den Hals fallend, Christoph schau her! – Hier ist Geld, ich habe es verkauft, das Stückel. Ach! der liebe Herr, wir wollen es ihm danken, so lange wir leben.

Der Mann mit seinem ernsten, bleifarbigen Gesicht sah seinen Bekannten streng prüfend und bedenklich an. –

Ich habe es gedacht, daß Du hier sein würdest, sagte er, und seltsam genug sieht es aus, daß der Herr Musikant eben auch da an dem alten Steine steht. – Aber, Martha, so geht's halt nimmermehr. Mit dem Rübezahl ist es aus für alle Zeit, der steigt nicht wieder aus den Bergen auf.

So schweig doch, Christoph, so schweig doch! rief die Frau ängstlich winkend.

Herr, fuhr der Weber fort, Sie haben mir wohlgethan, ich will's nimmermehr vergessen, und was ich jetzt da in meiner Hand halte, ist gutes Geld im letzten Jahr geprägt. Doch der Rübezahl hat es nicht schlagen lassen und in meinen Kopf will's nicht hinein, was alter Aberglauben ist.

Daß ich kein Schatten bin, erwiderte Bergheim, ihm die Hand reichend, sondern von Fleisch und Bein, wie Ihr, fühlt Ihr wohl.

Und Sie haben das Stückel da gekauft?

Gekauft und ehrlich bezahlt.

Ich glaub's, daß es ehrliches Geld ist, sagte der Weber, und wenn ich's gewußt hätte – er legte die Hand an die Stirn und sagte zu der Frau: Mach Dich auf, Martha, nimm das Kind und das Leinen, wenn's der Herr so will, und geh nach Haus. Die Nacht bricht herein, begleiten kann ich Dich nicht.

Was hast Du vor, Christoph? rief Martha. – Gott woll's behüten, daß es nichts Böses ist.

Böses ist es nicht, erwiderte der Mann, doch was geschehen muß, muß geschehen. – Wir sind zusammengekommen, haben es festgestellt und wollen's vollbringen.

Bleib fort, Christoph, bleib davon, fiel die Frau bittend ein. Es sind wüste Bursche darunter. Ich habe Dinge sagen hören, davor mir's graut.

Geh heim, sprach er, und sei gescheut. Wie sollt' ich fortbleiben, da ich der Erste gewesen bin, der die Sache angefangen hat. Geschehen soll nichts, als was Recht ist, aber zeigen wollen wir ihnen, daß kein Wurm sich todttreten läßt, ohne sich zu wehren, und ein Bissel Angst kann ihrem Hochmuth nicht schaden. –

Er half der Frau den Korb auf den Rücken, sprach leise mit ihr, suchte sie zu beruhigen, und sah dann wieder nach dem Fremden hinüber, aus dem er das Rechte nicht zu machen wußte.

Sie will es sich nun einmal nicht ausreden lassen, Herr, daß Sie mehr wissen, wie Menschen gegeben ist, sagte er dann, und meint, ich soll mich an Sie wenden, um Rath in unserer Lage. – Rath zu hören ist immer gut, aber man muß sicher sein, daß Aufrichtigkeit auch auf den rechten Boden fällt.

O Jesus! rief die Frau, als ob der Herr nicht wüßte, wie es uns heut gegangen ist. Er hat mir ja Alles erzählt, und weiß auch, daß ihr Nachmittags beisammen gewesen seid, oben im Holz aus dem ganzen Kreis. –

Ich hoffe nicht, Freund, daß Ihr da etwas beschlossen habt, was Eure gute Sache zum Schaden bringen könnte, sagte Bergheim.

Nichts, Herr, als was sein muß, um endlich aus dem Elend zu kommen, erwiderte der Weber. – Wir sind beisammen an die dreitausend Männer, die es nicht länger ertragen können, sich so gemißhandelt, verachtet und geschunden zu sehen.

Und was wollt Ihr thun? fragte Bergheim. – Begeht keine Gewaltthat, die Euer Unglück vollenden muß. –

Meinen Sie, Herr, es gebe einen Weg, der uns zum Recht helfen könnte, und den wir nicht versucht hätten? rief der Weber.

Wählt eine Deputation, sagte Bergheim, tragt Eure Klagen vor, sprecht zu ihnen wie Männer, die billig und gerecht sind.

Es hilft nichts! rief Petermann. Was Sie rathen, ist oft schon geschehen. Die Männer, die das wagten, würden ausgestoßen werden, wie sie mich ausgestoßen haben. – Nichts hilft gegen die Unmenschen, die so hart sind wie ihre Geldsäcke, als daß wir ihnen endlich zeigen, wir wollen nicht länger ihre Sklaven sein.

Er hob den schweren Stock vom Boden auf und sein Gesicht bekam einen röthlichen Glanz. –

Hindern kann es keiner mehr, fuhr er entschlossen fort, und wenn es ein Mittel giebt, das uns helfen kann, so ist es dies. Wir wollen ein Wort mit ihnen reden; zunächst mit dem ärgsten Blutsauger unter allen, mit dem reichsten und schlimmsten, der die Andern antreibt, immer neue Mittel herauszufinden, uns zu zertreten.

Ich warne Euch, fiel Bergheim ein. Was Ihr thut, kann Euch weiter führen, als Ihr selbst wollt.

Und wenn es so wäre, wie Ihr sagt, sprach der Weber nach einem augenblicklichen Nachdenken, so mag's drum sein. – Und wenn es mein Leben kosten sollte, ich will's nicht bereuen. Sie müssen's endlich erfahren, die Herren, daß wir Menschen sind, wie sie. Vor uns zittern müssen sie lernen, da sie uns nicht achten wollen, und was sie aus Liebe und Gerechtigkeit nicht thun mögen, muß die Furcht ihnen abzwingen.

Ach! Christoph, Christoph! sagte die Frau jammernd, bedenkst Du auch Dein Weib und Deine Kinder?

Habe Alles bedacht, Martha, in mancher schlaflosen Nacht voll Angst und Schrecken; hast aber heut gesehen, wie es den Redlichen geht, und was uns übrig bleibt, wenn wir länger uns mit Füßen stoßen lassen.

Ich will nicht von Dir weichen, rief die Frau in großer Angst, ich kann nicht, Christoph, ich hielt's nicht aus. – O, Herr! fuhr sie mit einem flehenden Blicke auf ihren Schutzgeist fort, sprecht Ihr zu ihm, sagt ihm, was gut und recht ist.

Meinen Rath habe ich gegeben, sagte Bergheim. Hört auf ihn, Freund, und scheut alle Gewalt. – Mächtiger Beistand für Eure Leiden ist nicht fern; denn ich kann ihn Euch versprechen, wenn Ihr mir vertrauen wollt. –

Der Weber schüttelte verwundert den Kopf. – Wer Ihr auch sein mögt, junger Herr, sprach er nachdenkend, dagegen kommt Ihr nicht auf; Ihr müßtet denn wirklich der Rübezahl sein. Aber wenn Ihr's wäret, würdet Ihr uns nicht abhalten, hineinzuziehen ins Thal, um von den Ungerechten unser Recht zu fordern. – Rübezahl ist immer der Freund des Volks gewesen. Wo Leidende waren, hat er sie geschützt. An unsere Spitze würde er sich stellen, und für uns seine Macht gebrauchen.

So zieht hin, rief Bergheim, von einem plötzlichen Gedanken ergriffen. Ihr sollt mich finden.

Wie? sprach der Mann, ihn anstarrend; was meint Ihr? –

Geht, nehmt die Frau mit Euch, führt aus, was Ihr beschlossen habt, aber hütet Euch vor Frevel, wenn Ihr wollt, daß ich mit Euch sein soll.

Seine Stimme klang befehlend. Im Dämmerlicht des Abends stand er an der Felsenwand, mit der Hand deutete er dem Weber an, sich zu entfernen, der von einem Grauen ergriffen wurde. – Die Frau zerrte ihn schweigend an dem Rock und mit einem scheuen Blick auf den Zurückbleibenden zog sie den wenig Widerstrebenden fort. –

Sprich nicht mehr zu ihm, flüsterte sie, und steh Dich nicht um, Christoph. O Jesus! sieh Dich nicht um, daß er nicht zornig wird.

Das ist eine seltsame Geschichte, murmelte der Weber. Ich kann's nicht glauben, ich kann's nimmermehr, aber begreifen kann ich's auch nicht. – Wie kommt er in Rübezahls Grund? Wo ist er her? Wer kann er sein? und hat er nicht gesagt: Ihr sollt mich finden? – Wo ist er geblieben, Martha?

Er stand an dem schmalen Pfade still, der aus dem Grunde führte; am Felsen war nichts mehr zu entdecken.

Mit rascheren Schritten eilte er weiter und hinter ihm der klomm die Frau über den Bergrücken.

 

Während dies geschah, hatte Bergheim längst an der anderen Seite die Höhe erstiegen und suchte den Weg zurückzufinden, den er gekommen war. – Es war auf jeden Fall ein schwieriges Unternehmen, denn bald brach die Dunkelheit ein, aber das Glück war mit ihm. Er fand Merkmale, die ihm anzeigten, daß er die Richtung verfolge, welche er nöthig hatte; endlich entdeckte er auch den Fußpfad wieder, und noch hing ein röthlicher Schimmer am westlichen Himmelssaume, als er auf dem Hügel stand und zwischen den Bäumen das Licht aus dem Hause des Fabrikherrn glänzen sah.

Durch die Stille des Abends drang Musik aus den geöffneten Fenstern zu ihm hin; man war also fröhlich und hatte ihn vergessen. Leisen Schrittes ging er durch den Garten und näherte sich dem großen Gebäude. Jetzt stieg er auf einen der zierlich geflochtenen Sessel, welche zum Ausruhen zwischen den prächtigen Blumengruppen standen, und nun konnte er in den hellerleuchteten Saal schauen, als beim ersten Blick eine Hand ihn anfaßte und von seinem Platze zog.


7.

Emma! rief er, als er eine Dame neben sich erblickte. Welch Glück, Dich zu finden.

Schweigen Sie, flüsterte die Dame ihm zu, und lassen Sie uns weiter gehen.

Bergheim erkannte die Gräfin und folgte ihrem Gebot. Sie haben dies Haus in schöne Unruhe versetzt, sagte sie, und uns Allen vergnügliche Belehrungen gegeben.

Was ich dagegen empfangen habe, wiegt mehr wie zu sehr das Gegebene auf, erwiderte er.

Nein, mein leichtsinniger Herr, sprach sie lachend. Sie haben uns vollständig getäuscht, alles Vertrauen gemißbraucht und meine arme Freundin Sophie in Verzweiflung gestürzt. – Als Ariadne sitzt sie jetzt in einer Ecke des geheimräthlichen Naxos und denkt des Treulosen, der sie hierher brachte.

Ach! scherzen Sie nicht so unbarmherzig, bat er, ihre Hände küssend. Sagen Sie mir zum Trost, daß Ihre Güte mir geblieben ist.

Meine Güte, rief sie spottend, was wollen Sie mit meiner Güte? Wenn diese Ihnen helfen könnte, würde ich Ihnen antworten: Lassen wir sie seufzend sitzen an den Wassern von Babylon und weinen, bis sie aufhören. – Dort steht mein Wagen, er erwartet uns. – Es ist entsetzlich langweilig in dem kleinen Bade; morgen freilich wird Lärm an allen Ecken sein. Man wird sich von dem Abentheurer erzählen, der allen diesen Rumor angerichtet hat. Man wird Häscher nach ihm aussenden, um ihn zu fahnden, denn der Landrath ist fürchterlich in seinem Zorne. Er hat geschworen, daß er den Verwegenen in Fesseln nach Breslau liefern will. Kaum hat der Doctor ihn abhalten können, auf heut sich nicht den Appetit daran zu verderben. Morgen aber wird der Tag des Gerichts erscheinen und alle guten und tugendhaften Seelen werden Zeter schreien. Bei meiner Güte! ich wüßte daher nichts Besseres, als man machte sich auf, lieferte ein Nachtstück in Callots Manier Kontamination aus zwei Titeln von Erzählungssammlungen von E.T.A. Hoffmann: Fantasiestücke in Callots Manier (1814/1815), Nachtstücke (1816/17). – Anm.d.Hrsg. und führe ohne Fesseln – wenigstens ohne eiserne – fort, an einen Ort, wo es uns besser gefällt.

Sagen Sie mir, was mit Emma geschehen ist, meine gütige Freundin, bat Bergheim.

Dacht' ich es doch, rief sie. Wie Julia's Amme In Shakespeares »Romeo und Julia«. – Anm.d.Hrsg. soll ich ihm berichten: Sie liegt am Boden, winselnd und wehklagend, wehklagend und winselnd; weint und weint, fällt auf ihr Bett und fährt dann wieder auf, weil der nicht kommt, den ihre Sehnsucht ruft. – Ist es so recht?

O wie hartherzig, grausam können Sie spotten!

Was könnten Sie denn lieber hören? fragte die Gräfin. – Wenn ich Ihnen sagte: Nachdem Sie sich entfernt hatten, kehrte die Ruhe zurück. Herr Feldmann that noch einige wilde Schwüre, aber der Landrath streckte segnend seine Rechte über den erzürnten Freund aus und ermahnte ihn, an einem solchen Ehren- und Freudentage nachsichtig und vergebend zu sein. Mit der Linken ergriff er Fräulein Emma's Hand und führte sie dem Onkel näher, der seinen Zorn mit der Würde eines Geheimraths bekämpfte, bis er endlich seine Arme öffnete und einen Kuß auf ihre Stirn drückte. – Wie würde Ihnen dieser Bericht gefallen?

Nun, und dann – und dann?

Dann sagte er: Ich will nicht weiter an diesen fatalen Auftritt denken. Wir wollen ihn vergessen und Alles, was daran klebt, denn ich bin überzeugt, Du wirst vernünftig werden.

Ich glaube es zu sein, erwiderte sie.

Und ich übernehme die Bürgschaft, fiel der Landrath ein. – Wir sind ja Alle hier nahe Freunde der Familie, wir werden kein Wort über den häuslichen Zwist ausplaudern. In kurzer Zeit werden wir darüber lachen; wenn aber der Störenfried, der wie der böse Feind über uns gekommen ist, nicht von selbst so gescheut ist, sich davon zu machen, so überlassen Sie es mir, ihm die Wege zu weisen.

Er ist zum Rübezahl gelaufen, um sich Hülfe zu holen, lachte der Doctor. Also warten wir bis morgen.

Das gab Anlaß zur Lustigkeit. Der Geheimrath ließ neuen Champagner bringen, die Gesellschaft war froh und bemühte sich jeden Mißton zu verscheuchen, der zurückkehren konnte.

Und auch sie war froh? sagte Bergheim leise.

Wenigstens so ruhig, wie sie immer ist, erwiderte die Gräfin, und das war nicht leicht, Herr Bergheim, denn wie man es auch machen mochte, die Blicke blieben doch auf sie geheftet, und aller Lärm, alles Lachen, alle Fröhlichkeit war hohl und erzwungen. Ich habe mich köstlich amüsirt über die Angst, mit der sämmtliche Zobelwitze im Schweiße ihres Angesichts sich bestrebten, recht lustig zu sein und Emma lustig zu machen.

Mein Gott, welche Pein! murmelte der junge Mann.

Es ging ganz vortrefflich, fuhr die Gräfin fort. Nie habe ich einen unangreifbareren Charakter gesehen. Immer freundlich, aber immer stolz; auf jede Frage eine Antwort, immer ruhig und immer sicher. – Ich beneide Sie um diese Eroberung, Herr Bergheim. Ich begreife, wie Sie den Muth haben, auf Emma zu vertrauen, und bedauere nur, daß sie nicht meinem Rathe folgen will, obwohl ich ihre Gründe anerkenne.

Im Ernst gesprochen, fuhr sie fort, so sollen Sie wissen, daß ich mich lebhafter für Sie interessirt habe, als Sie meinen. – Ich fand die berechnete Bosheit des alten Zobelwitz abscheulich und glaubte ihm kein Wort. Als Sie fortgeschickt waren, sprach ich dies unbedenklich gegen Emma aus, und da ich das Romantische liebe und erzwungene Ehen tödtlich hasse, wurde ich Ihre Beschützerin, trotz Ihres Verrathes, Sie leichtsinniger junger Herr. –

O, wie danke ich Ihnen dafür! sagte er.

Da kam der Doctor und flüsterte mir zu, Sie seien ganz und gar besessen und allem guten Rath unzugänglich. Keinerlei Luftveränderung wollten Sie annehmen, und sicherlich schweiften Sie hier in den Bergen umher, um den günstigen Augenblick wahrzunehmen, Emma zu sehen und zu sprechen. In wenigen Minuten wußte sie Alles, was er mir anvertraute, und wissen Sie, was ich ihr vorschlug?

Ich bin begierig, es zu hören.

Ich sagte ihr, daß sie nicht zögern möge, sich dieser anmaßlichen und ungerechten. Beschränkung ihres freien Willens zu entziehen, und daß ich ihr meine Hülfe dazu anböte. – Eine Entführung, Herr Bergheim! – Ein guter Wagen mit raschen Pferden und ein feuriger unerschrockener Geliebter können hier am besten helfen, aber für romantische Entschlüsse hat Emma keinen Sinn. – Wir haben hier in der Nähe kein Gretna-Green In diesem an der Grenze zu England gelegenen schottischen Dorf nahm der Schmied seit Mitte des 18. Jh. über 200 Jahre lang Trauungen Minderjähriger vor, zu denen nach englischem Recht die Eltern ihre Zustimmung hätten geben müssen, was in Schottland nicht erforderlich war. Auch vom Kontinent kamen zahlreiche Paare. – Heute ist die Schmiede ein Museum und der Ort eine Touristenattraktion. – Anm.d.Hrsg., war ihre Antwort; auch fühle ich kein Verlangen, heimlich zu entlaufen, um mich allen Zufälligkeiten eines solchen äußersten Schrittes preiszugeben. – Alles, was ich thue, soll öffentlich geschehen, und wenn ich dies Haus verlasse, muß es frei und mit Ehren sein.

Aber mein Himmel! sagte ich, diese Menschen sind des Aeußersten fähig. Der junge Zobelwitz ist noch der beste, der ist complet gutmüthig dumm, und ein so dummer Mann hat jedenfalls seine Vorzüge; aber die Schwestern sind Gänse, der Vater ein bösartiges Geschöpf und der neugebackene Geheimrath, Ihr vortrefflicher Onkel, ein Ungeheuer an Hartnäckigkeit und Wildheit.

Man muß nur nicht davor erschrecken, erwiderte sie lächelnd, ich bin nie ruhiger gewesen. – Wollen Sie etwas für mich wagen, so suchen Sie Bergheim auf. Ich glaube, daß er in der Nähe sein wird. Sagen Sie ihm, ich erwarte, daß er thue, was ein Mann thun muß, der so gröblich beschimpft und verläumdet wurde, daß er öffentlich Genugthuung fordere, öffentlich den Beleidigern entgegentrete, und daß er sich nicht irren lasse von allen Schritten, die er für nöthig hält. – Ich glaube und vertraue fest auf ihn.

In diesem Augenblick ertönte von der Höhe des Hügels ein scharfes Pfeifen, das von der entgegengesetzten Seite im Thale beantwortet wurde. – Ein fernes Geschrei wie von vielen Stimmen ließ sich hören, dann wurde Alles still.

Lassen Sie uns zurückgehen, sagte Bergheim. Ich begleite Sie.

Wohin? – Es ist nicht gut gethan; bleiben Sie zurück.

Es muß so sein, sagte er, ich muß noch einmal mit Feldmann sprechen, und jetzt, wie ich denke, mit größerem Erfolg.

Gehört es zu den Schritten, die Sie für nöthig halten, sprach die Dame, so mag es geschehen. Aber ich fange an mich zu fürchten. Hören Sie das Geschrei und Gepfeife. Was kann es bedeuten?

Es ist Rübezahls Heer, erwiderte er, der mächtige Geisterfürst schickt es mir zur Hülfe.

So lassen Sie sehen, wie weit diese Hülfe reicht. –

Er führte die Gräfin die Stufen hinauf, beide standen an der großen Glasthür still, die den Blick über den ganzen Saal erlaubte, und was sie erblickten, mußte ihren höchsten Antheil erregen.

Ganz in der Nähe der Thür führten der Landrath und Feldmann ein eifriges Gespräch mit Emma, die vor ihnen stand, während mehr im Hintergrunde noch immer getanzt wurde. – Was sie sprachen, konnte nicht verstanden werden, aber es war deutlich genug aus allen Bewegungen und Mienen zu erkennen. Es war ein neuer Ueberredungsversuch, der wenig zu fruchten schien; denn die beiden Herren schienen wenig zufrieden mit den Antworten, die sie erhielten; plötzlich aber, eben als die Musik schwieg, rief der Landrath laut lachend:

Es ist unmöglich, daß Sie noch länger an einen Abentheurer denken können, der, wie ich fest überzeugt bin, sich längst aufgemacht hat, um den Folgen seiner schlechten Streiche zu entgehen.

Sie täuschen sich, erwiderte Emma, sehen Sie dort den Beweis. Sie deutete auf die Glasthür, hinter welcher Bergheim deutlich genug sichtbar war.

Ist es möglich! schrie Feldmann, während der Landrath ganz erstarrt vor Ueberraschung stand, denn Bergheim hatte die Thür geöffnet und war hereingetreten. –

Sie wagen es, sagte der Fabrikant, Sie wagen es wirklich, mein Haus noch einmal zu betreten?

Ich wage es, weil ich glaube, daß meine Gegenwart Ihnen erwünscht sein wird.

So erwünscht, rief der Landrath, daß wir Sie gar nicht wieder fortlassen werden. Er rennt von selbst in sein Schicksal.

Entfernen Sie sich auf der Stelle! – sagte Feldmann so ruhig er konnte. Wir wissen jetzt genau, daß Sie der nicht sind, für den Sie gelten wollen. – Es giebt keinen Assessor Bergheim, der Name ist fingirt. Der Herr Landrath hat die Beamtennachweise genau durchgesehen. Lassen Sie es nicht auf eine Untersuchung ankommen; zwingen Sie uns nicht, junger Mann, die Hand des Gesetzes gegen Sie aufzurufen.

Lieber Geheimrath, rief Zobelwitz, nur Ihretwegen und um einer liebenswürdigen Dame willen, die ich sehr hochachte, will ich es diesem Herrn gestatten, sich davon zu machen, so schnell ihn seine Füße tragen können. – Wäre es nicht Ihr Haus, das mir so theuer ist, er sollte es büßen.

So reden Sie doch, Herr Bergheim, fiel die Gräfin ein. Vertheidigen Sie sich; was wollen Sie hier?

Sie Alle warnen, erwiderte er, und diese beiden Herren dort zunächst und zumeist – Viele tausend Arbeiter, bis zur Wuth erhitzt durch Ihre Mißhandlungen, sind auf den Beinen. Sie sind bewaffnet mit allen Waffen, welche Verzweiflung ihnen in die Hände gab; Leben, Ehre und Vermögen stehen hier auf dem Spiel.

Narrenspossen! rief der Landrath. Sie werden es nicht wagen, sie kennen das Zuchthaus.

Sie werden es wagen, ohne zu erschrecken, erwiderte Bergheim, denn sie sind so weit, die Gesetze nicht mehr zu fürchten.

Es ist eine Lüge! schrie der Beamte, aber seine Stimme sank bei dem letzten Worte, denn ein wild gellendes Geschrei antwortete ihm und plötzlich sah man Fackeln und Laternen auf der Straße und vor der Fabrik. Die folgenden Ereignisse sind den Vorgängen beim schlesischen Weberaufstand in Peterswaldau am 4. Juni 1844 nachgebildet, die auch Vorlage für Gerhart Hauptmanns Drama »Die Weber« (1892) waren. Im Unterschied zu den Webern des historischen Geschehens handelt es sich bei denen in Mügges Novelle allerdings nicht um Baumwollweber, sondern um Leinenweber, denen es noch bedeutend schlechter ging als jenen und die zu einer solchen Aktion gar nicht in der Lage gewesen wären. Hinzuweisen wäre in Bezug auf den historischen Verlauf auch auf die Tatsache, dass es – anders als dem Fabrikanten Zwanziger (er war, wie Feldmann in Mügges Novelle, einst selbst ein Weber gewesen), dessen Haus und Fabrik gestürmt und verwüstet wurden – dem Peterswaldauer Unternehmer Fellmann (!) gelang, sich von einer Erstürmung und Verwüstung freizukaufen (ein Vorgang, der sich bei anderen Unternehmern wiederholte und der gegen die Interpretation des gesamten Aufstandes als ›Klassenkampf‹ spricht). Der Aufstand wurde in Langenbielau fortgesetzt und schließlich durch Einsatz von Militär beendet, was auf Seiten der Weber zehn Menschenleben kostete. – Auffällig ist, dass bei der Verurteilung der Aufständischen die Sympathie der Richter ganz offensichtlich nicht den Unternehmern oder der staatlichen Seite gehörte, vielmehr betonte die Urteilsfindung die »drückende Not« der Weber als Milderungsgrund. Insgesamt blieben die Richter unter den möglichen Höchststrafen und verzichteten weitgehend auf Körperstrafen. Die Kosten des Verfahrens mochten die Richter nicht den armen Webern aufbürden; stattdessen verpflichteten sie dafür die Dorfgerichte und damit letztlich die Gutsherren. – Anm.d.Hrsg.

Mein Gewehr! wo ist mein Gewehr?! schrie Feldmann. –

Die Gesellschaft war in der größten Bestürzung. Thränen flossen, die Damen flohen, um sich zu verbergen. –

Nur nicht schießen! Um Gotteswillen, nicht schießen! rief Fräulein Sophie, die Hände ringend.

Es wäre das Schlimmste, was Du thun könntest, Onkel, sagte Emma, die an ein Fenster getreten war.

Was sollen wir thun, Zobelwitz? fragte der Geheimrath.

Der Landrath zitterte. Es sind wilde Bestien, murmelte er. Betrunken sind sie auch, voller Raublust und Rachgier. Wenn sie mich finden, bin ich verloren. – Suchen wir fortzukommen durch den Garten in den Wald, oder in irgend einen Versteck.

Das Geschrei und die donnernden Schläge an das große Thor der Fabrik machten Feldmann muthlos. Er sah einen Mann auf den Stein am Thore springen und sprechen. – Fackeln erleuchteten sein Gesicht; er erkannte den Weber Petermann und erblaßte.

Wir sind verloren! rief er. Sie werden mich ausplündern, mich ermorden. – Der Petermann ist an ihrer Spitze. Der schont mich nicht, der schont nichts.

Bleiben Sie, sagte Bergheim ihn festhaltend. Die Fabrik ist von allen Seiten umringt. Wenn Sie draußen in die Hände der wüthenden Menge fallen, kann das Aergste geschehen. – Gehen Sie nicht von der Stelle, ich will versuchen, für Sie zu handeln.

Dem Geheimrath schien ein Gedanke zu kommen.

Sie stehen mit ihnen in Verbindung. rief er. Junger Mann, bedenken Sie die schwere Verantwortung, welche Sie auf sich laden. Mahnen Sie sie ab, hindern Sie, was Sie vermögen, ich will Ihnen meine Dankbarkeit beweisen.

Ich bin mit den Leuten da draußen in gar keiner Verbindung, erwiderte Bergheim. Ich bedauere vielmehr ihr Unterfangen, aber ich kann es entschuldigen, denn man hat den Bogen so übermäßig gespannt, bis er gebrochen ist.

Wenn Sie keinen Theil daran haben, erwiderte Feldmann, so sparen Sie Ihre aufreizenden Worte. – Sie kommen, schrie er. Sie brechen mir die Gitter entzwei – sie zertreten Alles – meine Blumen, meine herrlichen Centifolien! – Verbergt Euch – Agnes, Emma! – wir sind Alle verloren!

Ich werde nicht von Deiner Seite weichen, sagte Emma, seinen Arm umfassend.

Bleiben Sie Alle, fügte Bergheim hinzu. Nur die kälteste Besonnenheit kann hier Hülfe gewähren. Zeigen Sie keine Furcht, Herr Feldmann, aber gewähren Sie, was recht und billig ist.

Die letzten Worte wurden durch ein wildes Jubelgeschrei der Weber unterbrochen, die sich in Bewegung gesetzt hatten und in dicht geschlossenen Reihen sich dem Hause des Fabrikanten näherten. Ihre Zahl war nicht zu übersehen. So weit das Licht der Fackeln und Laternen leuchtete, erkannte man Kopf an Kopf, Männer, die größtentheils ihre eisenbeschlagenen Stöcke oder Aexte und Beile hochhielten, an welche sie zuweilen Tücher und Lappen von allerhand Farben gebunden hatten. Weiber hatten sich ihnen beigesellt, und diese schienen am lautesten zu schreien. Ein paar Führer von Ansehen waren bemüht, einige Ordnung aufrecht zu erhalten, sie vermochten jedoch nicht zu hindern, daß die Gitter des Gartens nicht sofort umgebrochen wurden, und der ganze Haufen sich über Blumenbeete und Rosengehege bis an die Säulenhalle des Hauses fortwälzte. –

Hier sonderten sich drei Männer von ihren Gefährten ab, die, wie sich zeigte, als Deputation gewählt worden waren, und sogleich erkannten die ängstlich wartenden Herren in dem Einen den Weber Petermann und in den beiden anderen zwei nicht weniger bekannte Arbeiter, die zu den besten zwar, aber auch zu den störrigsten gehörten.

Freunde, sagte Petermann, sich auf den Stufen umwendend, Ihr habt uns gewählt, Eure Rechte zu vertreten, wir werden's versuchen; aber wenn wir es thun sollen, so haltet dagegen auch, was Ihr uns zugesagt habt. – Wartet geduldig und in Stille ab, was wir ausrichten bei den Herren. Ihr seht sie dort stehen und seht auch, daß Herr Feldmann nicht allein ist, sondern mehre bei ihm sind, die ihr Wort hinzuthun können. – Macht's nicht danach, Freunde, daß Sie von uns sagen, wir sind gekommen wild und wüst und haben nicht mit uns sprechen lassen. Macht's, daß sie sagen müssen, sie kamen wie ordentliche Leut', die Red' und Antwort zu geben und ihre Lage vorzutragen wußten.

Das ist der Böseste von Allen, murmelte der Landrath. Wie der Kerl zu sprechen versteht!

Er scheint doch vernünftig zu sein, sagte der Fabrikant, der neuen Muth erhalten hatte. – Es sind verführte Menschen, die nicht wissen, was sie thun. Man muß ihnen die Sache vorstellen, wie sie ist, und ihnen zeigen, wohin ihre Tollheit führt. – Ich denke, es wird sich machen lassen.

Unter dem Beifallsruf ihrer Genossen öffneten die Abgeordneten jetzt die Thür und traten herein. – Das helle Licht des großen Kronleuchters und der prächtigen Lampen von Bronce beleuchtete die drei Proletarier, welche schmutzig und staubig plötzlich mitten unter den sorgfältig geputzten Herren und Damen standen. – Alle drei trugen die groben Kittel der Gebirgsleute. Sie hatten ihre Hüte abgenommen und zeigten ihre blassen eingefallenen Gesichter, gleichsam als verbriefte Urkunden, in welchen die Rechtfertigung ihres Erscheinens zu lesen war.

Der Eine war ein junger Mann, der Soldat gewesen sein mochte Diese Figur hat Gerhart Hauptmann später in seinem Weber-Drama als Moritz Jäger verwendet. – Anm.d.Hrsg., denn er trug seinen Körper gerade, und in seinem Gesicht war ein trotziger Zug; der zweite war ein alter Mann mit schmalem, scharf zugespitztem Gesicht und langem weißen Haar, der Dritte endlich mit dem bleifarbenen Kopfe und dem nackten Schädel schien der mildeste und ruhigste von Allen zu sein. Er warf einen langen düsteren Blick auf den Fabrikanten und den Landrath, die beide zusammen flüsterten, aber es war mehr Anklage und Trauer darin als Zorn, und als Herr Feldmann sich jetzt zu ihnen wandte, verbeugte er sich gerade so vor ihm, wie sonst im Comptoir. Der alte Mann mit den weißen buschigen Augenbrauen über der langen Nase war bei weitem nicht so gefügig, noch viel weniger aber der trotzige Bursche neben ihm, der keine andere Bewegung machte, als daß er den Arm in die Seite stemmte.

Nun, Ihr Leute, sagte Herr Feldmann, was soll das heißen, daß Ihr in der Finsterniß mein Haus umstellt, meinen Garten verwüstet und mein Eigenthum bedroht? –

Nichts für ungut, lieber Herr, erwiderte der alte Mann, den Mund verziehend, es ging aber eben nicht anders, dieweil wir Nothwendiges mit Ihnen zu sprechen haben.

Ich dachte, gab der Fabrikant zur Antwort, daß Ihr Gelegenheit genug hättet, mich bei Tage aufzusuchen, wo ich für Jedermann zu sprechen bin. Das ist hier weder die rechte Zeit, noch ist es der rechte Ort. Ich vermuthe, Ihr habt in Geschäftssachen mit mir zu reden, und wenn dies der Fall ist, will ich Euch morgen hören, so viel Ihr wollt.

Sie werden uns heute hören müssen, Herr, unterbrach ihn der junge Mann, morgen dürfte es zu spät sein. –

Der Blick und der Ton erschreckte Feldmann. – Er sah nach dem Landrath hinüber, der hinter seinen Töchtern stand und ihm leise zunickte. –

Das ist keine Art zu mir zu kommen, fuhr er heftiger fort, das ist ein Ueberfall, eine gewaltthätige Handlung. Ich rathe Euch, wohl zu bedenken, was Ihr thut, damit Ihr es nicht bereuen müßt.

Es ist das Letzte, was uns übrig geblieben ist, sagte Petermann. Alle unsere Bitten, alle unsere Klagen haben nichts gefruchtet. Mit jedem Tage ist es schlimmer geworden mit uns; mit jedem Tage wurden wir ärger getreten. – Ja, Herr, sehen Sie mich an, ich sage es, ich, den Sie heut erst mißhandelt und gleichsam geächtet haben.

Meint Ihr denn, wir sollen uns noch länger geduldig ausquetschen lassen! rief der junge Bursche, indem er mit seinem Stock auf den Boden stieß. Wir verhungern, Ihr verpraßt es. In unseren Hütten ist kein Stück Brod, hier nimmt das Wohlleben kein Ende. Den Hunden, die Ihr füttert, geht es besser wie uns. Seht doch die Spiegel, das Gold und die Seide überall. Woher nähmt Ihr's, wenn wir nicht wären? –

Er warf seine wilden Blicke über den Saal und ließ sich schwer durch den alten Mann besänftigen, der ihn beim Arm ergriff und schweigen hieß.

Ihr beschwert Euch, sagte der Fabrikant, von jenen gefährlichen Worten erschrocken, aber Ihr bedenkt nicht, daß wir nicht weniger von den Verhältnissen gedrängt und zu Einschränkungen gezwungen werden, wie Ihr.

Der junge Bursche lachte frech auf. –

Ihr sprecht von Einschränkungen, schrie er. Sind das Einschränkungen etwa? –

Nein, Herr, fiel der Alte ein, das kennen wir besser. Der Fabrikant will niemals weniger verdienen, wenn der Markt schlecht ist und die Waare sinkt. Er zahlt um so geringeren Arbeitslohn. Wir müssen es entgelten, auf unsere Kosten überbietet Ihr Euch in Wohlfeilheit, das nennt Ihr den Segen der Concurrenz. Wir nagen am Hungertuche, daß Gott erbarm! das Capital aber verzinst sich gut. Die Capitalisten sind wie die türkischen Paschas, Herr, sie gebieten über Tod und Leben ihrer Fabriksklaven, und das soll anders werden, das muß anders werden, oder besser ist es, wir gehen alle zusammen zu Grunde.

Ihr werdet mir doch keine Gewalt anthun wollen? rief Herr Feldmann.

Wem ist mehr Gewalt und Unrecht geschehen, als uns, erwiderte der Andere. Nicht genug, daß Ihr uns rupft, so lange wir eine Feder haben, jetzt ist Euch selbst das noch nicht genug. Ihr legt eigene Spinnereien an, laßt Maschinen kommen, eiserne Arbeiter, die uns den letzten Bissen Brod nehmen, und wenn wir weinen und die Hände ringen, lacht Ihr dazu und rühmt Euch, daß solche Weber keinen Magen haben und niemals müde werden; dabei aber schaffen, was zwanzig Menschenarme nicht schaffen können.

Dagegen läßt sich gar nichts thun, sagte der Fabrikant.

Verdammt sind Eure Maschinen! Nieder mit den Maschinen, die zum Verderben aller armen Menschen geschaffen sind! rief der junge Arbeiter wüthend. Mügge interpretiert in dieser Novelle den schlesischen Weberaufstand als Hungerrevolte und Maschinensturm. – Historisch jedoch richtete sich die Wut der Weber nicht gegen die noch spärlichen Maschinen, sondern gegen bestimmte, als ungerecht empfundene Verleger. Die Weber begegneten dabei den traditionalen Autoritäten wie dem Gutsherrn oder dem Landrat durchaus mit Ehrerbietung, wie dies auch die Novelle selbst zeigt. Als Hauptmotiv bezeichnet die neuere Forschung daher die Bewahrung der handwerklichen Selbständigkeit der Weber, die allerdings bei fortschreitender Zentralisierung und Mechanisierung keine Zukunft mehr hatte. – Anm.d.Hrsg.

Die Thüren waren geöffnet, die Masse hatte sich bis dicht herangedrängt und hörte in tiefster Stille der Verhandlung zu. – Bei dem Fluche ihres Kameraden aber erscholl ein wildes Beifallgeschrei, der Haß gegen die Maschinen füllte ihre Herzen; kein Wort konnten sie lieber hören. Es bedurfte jetzt nur eines kleinen Anfangs, um mit einer schrecklichen Zerstörung der Fabrik zu enden.

Lieber Landrath, rief der Fabrikherr, der wohl einsah, wie sehr sein Eigenthum bedroht war, stehen Sie mir bei und suchen Sie durch Ihr Ansehen das Aergste abzuwenden.

Ihr Leute, sprach der Beamte, seine Stirn zusammenziehend, wie er immer that, wenn er seine ganze Majestät entwickelte, indem er zugleich hart an die Weber und bis an die Thür trat, ich weiß es, man hat Euch aufgeregt und zu Handlungen verlockt, die Euch in harte Strafe bringen müssen, wenn Ihr nicht augenblicklich nach Hause geht. – Wenn Ihr gerechte Klagen habt, so haben wir Gesetze und Gerichte; wir haben Obrigkeiten und Vorstände. Ich selbst will Euch versprechen, Alles aufs Genauste zu untersuchen.

Sie, Herr Landrath, erwiderte Petermann, sind leider am wenigsten geneigt gewesen, uns zu schützen und zu helfen.

Sind Sie es nicht gewesen, schrie der junge Gesell, der uns heut noch verfolgt und hart bedroht hat, weil wir zusammenhielten gegen die Herren da? – O! wir kennen Euch und Eure Gesetze!

Du, Bursche, sagte der Beamte, ihn böse betrachtend, hüte Dich. – Geht jetzt nach Haus. Zum letzten Male warne ich Euch.

Schlagt ihn todt! schrie eine wilde Stimme draußen.

Ein furchtbarer Schrei der Wuth kam aus dem Gewühl der erhitzten Menge. Die Saalthür brach, die großen Glasfenster sprangen in Stücke, ein Strom von Männern und Weibern drang herein. Das Geschrei der Außenstehenden war betäubend, und wurde beantwortet durch das Angstgeschrei der Damen, die zu entfliehen suchten. –

Fräulein Sophie klammerte sich mit beiden Händen an Bergheim fest und rief in auflösendem Entsetzen:

Retten Sie mich vor diesen Teufeln. – Sie stehen mit ihnen im Bunde. Sie morden den Landrath und uns Alle!

Es war ein gefährlicher Augenblick. – Die blassen hungrigen Menschen, wuthentflammt und ihre schweren Stöcke hochgeschwungen, drangen herein, als Bergheim ihnen ein lautschallendes: Halt! entgegenrief, das den Lärm übertönte. – Er sprang vor den Landrath und den Fabrikherrn und ergriff Petermann beim Arm, der einige vergebliche Anstrengungen gemacht hatte, seine ergrimmten Kameraden zurückzuhalten.

Du kennst mich, rief er ihm mit durchdringender Stimme zu, hier bin ich, wie ich es versprochen habe. Halt! wer eine Hand rührt, einen Fuß vorsetzt, ist des Todes!

Er schien größer zu werden, während er sprach. Sein Gesicht glühte, sein Arm hob sich drohend auf, seine Augen funkelten wie Blitze über die Menge hin, die wie von einem Zauber beherrscht verstummte.

Geht hinaus! sagte er, ich will zu Euch reden. – Petermann wird Euch bestätigen, daß ich es gut mit Euch meine.

O Herr! Herr! schrie die Frau des Webers, die neben ihm stand, wer wird nicht folgen, wenn Ihr es befehlt.

Hört, was der Herr sagt, sprach Petermann. Ich bitte Euch Alle, kommt hinaus. Wenn ich es thue, mögt Ihr es Alle thun. Macht Platz da und weicht zurück.

Zum größten Erstaunen der geängstigten Gesellschaft war in der nächsten Minute der Saal geleert. Draußen herrschte die tiefste Stille. –

Verhalten Sie sich ruhig und mischen Sie sich in nichts, sagte der junge Mann, als er den Saal verließ.

Begreifen Sie das? fragte Feldmann erstaunt.

Sie sehen, daß ich Recht hatte, erwiderte der Landrath. – Er ist der Anstifter des Complottes. Darin besteht seine Macht.

Wenn dies wahr wäre, sagte Emma, so würde er sein Ansehen wenigstens sehr edel gebraucht haben; denn ohne ihn, Herr von Zobelwitz, würde es übel jetzt mit Ihnen, wie mit uns Allen stehen.

Und welche Art von Anführer wäre denn das, fiel die Gräfin ein, der seine Leute zum Hause hinausjagt, in dem Augenblicke, wo sie alle Kränkungen, die er erfahren, nachdrücklich rächen konnten?

Ich bin überzeugt, sagte Ludwig, daß er keinen kennt, als den Petermann, der übrigens der verständigste Mensch unter Allen ist.

Er hat ihnen versprochen, hier zu erscheinen, und betheuerte Allen, daß er es gut mit ihnen meine, sprach der Landrath. – Darauf merken Sie.

Und ich denke, erwiderte der Doctor, daß Niemand hier ist, der es nicht gut mit den armen, verblendeten Leuten meint. – Aber wir dürfen nur jetzt zuhören, um uns zu überzeugen, wie es mit ihm und seiner Macht steht.

Alle wandten die Blicke auf die Vortreppe, wo Bergheim stand. Die Fackeln und Leuchten erhellten seine Gestalt und warfen ihr rothes Licht auf den weiten Kreis der Weber, der den Gartenplatz füllte.

Jetzt erst konnte man erkennen, wie zahlreich diese Versammlung war. Die vielen trotzigen und aufgeregten Gesichter flößten neues Schrecken ein. Es schien wenig glaublich, daß eine Beruhigung bewirkt werden konnte, bei der nicht die schlimmsten Forderungen erfüllt werden mußten.

Bewilligen Sie Alles, sagte der Landrath, was es auch sein möge. Daß Sie nichts halten, ist gewiß. – Wenn wir die Burschen nur erst nach Haus geschickt haben, wollen wir ihnen die Wiederkehr vertreiben. – Morgen wird ein Militaircommando hier sein, ich habe in Folge der Zusammenkünfte schon darum geschrieben. Dann sind wir sicher und wenn ein Dutzend nur erst hinter festen Thüren sitzt, werden die Uebrigen so zahm werden, wie sie nie gewesen sind.

Ich hoffe, daß Du diesen Rathschlägen nicht beistimmst, Onkel, fiel das Fräulein ein. Gieb nicht nach, wo es unvernünftig wäre, sich zu fügen. In dem aber, was recht ist, versprich Abhülfe und halte Dein Wort.

Mische Dich nicht in solche Dinge, Emma, sprach der Fabrikant unruhig. Wir werden unsere Maßregeln nehmen.

Wie Ihr sie genommen habt, fuhr das Fräulein fort. Das wollte Gott nicht, Onkel, daß dieser Vorfall Euch keine Lehre werden sollte!

O ja, murmelte Feldmann, die Hand ballend, eine Lehre wird es mir sein. – Meine schönen Rosen, meine prächtigen Bäume! – Und das kannst Du ansehen, ohne diese Bande zu verwünschen?

Ich kann es mit Demuth ansehen, erwiderte sie, weil ich denke, diese armen Leute zeigen uns, wohin wir sie gebracht haben. – Sie achten unsere Freude und was wir werth halten nicht, weil wir so wenig ihre Achtung zu verdienen suchten.

Ihre Achtung! rief der Fabrikherr. Bist Du toll! – Und das sagst Du jetzt, in dem Augenblick, wo sie unser Leben und Vermögen bedrohen?

Ich sage es jetzt, Onkel, weil ich glaube, wir müssen Alles thun, was wir können, um Leben und Vermögen vor den Ausbrüchen ihrer Verzweiflung zu sichern.

Schweig! ich bitte Dich, schweig! gab er zur Antwort. – Ihre Achtung! – Die Achtung dieser Menschen! – O! ich weiß, Du hast ihnen immer gegeben, was Du konntest. Bist mitleidig gewesen gegen Jeden, der Dich um Hülfe bat. Da siehst Du, was es hilft. Sie schonen Deine Blumen nicht, sie würden Dich nicht schonen, wenn sie über uns herfielen.

Meine Hülfe ist klein und gering gewesen, sagte Emma, Wenigen ist sie zu Theil geworden, dennoch wollte ich mitten unter sie gehen, sie würden mir glauben. – Man muß die Menschen achten lernen, Onkel, jedes Recht schützen, jedes Menschen Glück behüten helfen. Man muß Liebe und Treue für sie haben, ein guter und gerechter Herr sein, wenn man Dankbarkeit und Treue erwarten will. – Du hast das nicht gethan. Ich weiß Alles, was Du sagen kannst; aber nichts ist darunter, was mich überzeugen könnte, Du wärst ohne Schuld an dem Jammer, der durch diese grünen Thäler geht; ohne Schuld an dem Elend, das auf den eingefallenen Wangen dieser armen Menschen geschrieben steht; ohne Schuld an der Verzweiflung, die sie endlich hierher getrieben hat, um uns so arm zu machen, wie sie es sind; so viel Unglück und Leid über uns zu bringen, daß ihr Haß sich daran sättigen kann.

Das sagst Du mir, erwiderte er mit Bitterkeit, der ich immer nur daran gedacht habe, auch für Dich zu erwerben, und in strenger Pflichterfüllung zu handeln, wie ich als Chef eines großen Geschäftes handeln mußte.

Und über den Kaufmann vergaßest Du den Menschen, fiel sie ein. Ach, Onkel, ich wollte, wir hätten weniger Geld erworben, dann brauchten wir die wilden Gesichter dort nicht zu fürchten, die uns mit glühenden Augen anstarren.

Nur Geduld, flüsterte der Landrath. Im Zuchthause werden sie sanft werden.

O! ich zweifle nicht daran, sagte sie. Man wird Alles, was hier geschehen mag, an ihnen vergelten. – Wenn sie uns morden, wird man sie wieder morden; wenn sie diese Häuser plündern, anzünden, zerstören, wird man sie viele Jahre einsperren, bis sie sterben, und selbst jetzt schon, weil sie kommen, wird man sie strafen, Eltern von ihren Kindern, Männer von ihren Frauen reißen und die Kerker füllen. Man nennt das Gerechtigkeit, was nennt man nicht so?! – Aber was ändert man damit? Nichts. Statt zu versöhnen, schärft man den Haß; statt Menschen zu bilden, die Euch lieben, erzieht Ihr Sklaven, die Euch glühend hassen, während sie Eure Füße küssen; und wenn einmal die Stunde kommt, wo die Sklaven ihre Ketten zerbrechen, wenn die Stunde der Rache und der Vergeltung schlägt, was dann? –was dann?!

Erneuter Lärm und heftige Stimmen übertönten ihre letzten Worte. Die ängstlichsten Befürchtungen schlossen alle Lippen, alle Augen wandten sich der unruhig drängenden Masse zu, welche wiederum in Bewegung gerathen war, wie ein Meer, das von einem neuen Sturmstoß durchwühlt wird und seinen Schaum über die rettenden Deiche wirft.


8.

Der Landrath so wenig wie Herr Feldmann konnten sich diese Bewegung erklären. Es schien ein Streit zwischen Parteien in diesem ungeordneten Haufen zu sein, dessen Führer keine große Macht besaßen. – Viele wollten zugleich ihre Meinung geltend machen, Andere hielten ihre Laternen hoch und schrieen nach mehr Licht. Manche lachten und tobten, und zwischen ungläubigen und ärgerlichen Gesichtern gab es auch ängstliche, die sich aus dem Strom zu retten suchten.

Es ist Narrheit, Dummheit, Betrügerei! schrie der junge Mann, der einer der Deputirten gewesen war. Das will der Rübezahl sein? Mohren Element! wer soll das glauben?! – Haltet Euch nicht auf mit unnützem Gerede. Fort mit ihm und mit dem ganzen Plunder. Unser Recht wollen wir, das soll man uns geben. Heraus mit den Blutsaugern! heraus mit dem Landrath und seinen Helfershelfern!

Schweig still, Mathis! rief der kahlköpfige Weber. Was geht es Dich an, wer es ist? Es ist aber ein Freund armer Leute, ein Helfer in der Noth, ich habe es erfahren.

Glaubt es nicht, schrie der Bursche; er will uns betrügen!

O Jesus! kreischte Martha, ihre Arme erhebend, lieber Herr, laßt es uns armen Leuten nicht entgelten, helft ihnen, o! helft ihnen, wie Ihr uns geholfen habt.

So wahr ein Gott lebt! sagte der Landrath erstaunt, er hat den Dummköpfen aufgebunden, daß er der Rübezahl sei.

Daran ist nicht zu zweifeln, flüsterte Feldmann, aber vielleicht ist es gut so.

Ich habe also doch recht, daß er mit ihnen in Verbindung steht, fuhr Zobelwitz fort, und daß er sie aufhetzt und ihre Leichtgläubigkeit mißbraucht zu geheimen gefährlichen Zwecken.

Sich zum Rübezahl zu machen, ist ganz gegen Christenthum und gute Sitte, sprach der Doctor. – Aber ein ungewöhnlicher junger Herr ist er; er hat wunderbare Dinge seit gestern vollbracht.

Und wer weiß denn, fiel Emma lächelnd ein, ob er nicht wirklich ein Fürst der Geister ist?

Narrenspossen! brummte der Fabrikant, doch wenn er uns nur aus der Klemme hilft!

Wahrsager, Zigeuner, Geisterbanner und dergleichen Betrüger sollen an den Pranger gestellt, gestäupt und mit Zuchthaus bestraft werden, sagte der Landrath, so steht es im Landrecht.

Steht es nicht auch im Landrecht, rief Emma, was denen geschieht, die einer erbitterten Volksmasse in die Hände fallen? Bitten Sie den Himmel, Herr von Zobelwitz, daß Rübezahl uns diesmal hilft, da keine andere Hilfe vorhanden ist.

Der Lärm hatte inzwischen draußen fortgewährt, jetzt aber ließ sich nochmals Mathis mit aller Kraft vernehmen. –

Hört ihn nicht an, schrie er. – Schlagt die Thore ein! Haut die Maschinen in Stücke! befreit Euch von Euren Plagen und holt den Landrath und die Anderen heraus; sie sollen helfen und ihr Theil bekommen.

Hierher Kameraden! schrie Petermann, seinen schweren Stock schwingend. – Haltet Ruhe, Ihr kennt mich, Ihr sollt den Herrn hören, er hat Macht, uns zu helfen.

Still, Ihr Alle! sagte Bergheim mit seiner festen klingenden Stimme, die weithin durch den Streit tönte, und wirklich verscholl der Lärm nochmals, als hätte eine höhere Gewalt Ruhe geboten. Er war auf einen Stuhl gestiegen, Alle konnten ihn sehen. Das Licht überglänzte seine Gestalt und sein ruhiges männliches Gesicht. Seine klaren Augen flogen über den weiten Kreis; es war etwas darin, das Macht hatte über diese Menschen.

Ihr wollt die Maschinen zerstören, sagt Ihr, begann er seine Rede, Ihr wollt diese Fabrik in Brand stecken, den Landrath erschlagen, die Männer mißhandeln und tödten, die Euch Unrecht gethan haben? Ihr Thoren! Damit glaubt Ihr Euch zu helfen? Wißt Ihr nicht, daß Euer Wahnsinn nicht allein Verbrechen ist, sondern ein Unternehmen, womit kein König und kein Kaiser, kein Geisterfürst, und wäre es der Herr des Gebirges selbst, sich helfen könnte? – Ihr wollt gegen den großen Geist der Menschheit streiten, gegen die Erfindung und Vervollkommnung der Werke Gottes. Ihr wollt der Menschheit Stillstand gebieten, Ihr schwachen, armseligen Wesen! So wenig, wie Ihr mit Euren Aexten und Beilen die Berge dort umhauen könnt, so wenig vermögt Ihr den Geist Gottes zu bezwingen, der die Menschheit rastlos vorwärts treibt.

Wenn Ihr wirklich diese Maschinen zerstörtet, wenn Ihr den Landrath und den Fabrikherrn, sammt Allen, die zu ihnen gehören, ermordetet, was hättet Ihr damit gewonnen? – In kurzer Zeit würden andere noch größere Maschinen wieder erbaut werden, ein neuer noch strengerer Voigt würde über Euch kommen, und die das Verbrechen begangen, würden verfolgt und erreicht werden von dem Rächer und Richter. Blutig würde ihr Ende sein, Euer Elend würde noch größer werden, und Niemand Mitleid haben mit den Mördern.

Ich kenne Euch genau, fuhr er dann fort, und weiß, daß die Wenigsten unter Euch so arge Gedanken hegen. – Ihr seid arm und unterdrückt, und was Ihr klagt, lautet ungefähr also: Wir haben nichts, als unsere Arbeit, unsere Hände. Die reichen Leute haben das Geld und kaufen uns wie man eine Waare kauft. Sie pressen uns aus, so lange wir auszupressen sind, und werfen uns dann fort. Sie drücken den Arbeitslohn herunter bis aufs Aeußerste, daß wir dem Hungertod nahe kommen, und machen uns zu ihren Sklaven. Wir sind keine Menschen mehr, sondern gleich Klötzen, Steinen oder Ballen braucht uns der Eigennutz, so lange es geht. – Statt Hilfe in der Noth zu finden, Hilfe in Krankheit und Alter sehen wir uns ausgestoßen ohne Mitleid und Erbarmen. Wir sind die Lastthiere der menschlichen Gesellschaft, die Kinder des Elends, mit Hohn und Schmach bedeckt von der Wiege bis zum Grabe. Die reichen, glücklichen Menschen sind unsere Feinde, die uns immer wieder und immer tiefer in den Abgrund stoßen, aus dem kein Entrinnen ist. Unsre Kinder wachsen auf ohne Kindheit, ohne Lehre und ohne Liebe, der Hunger steht an ihrem kleinen Bett von Stroh, wenn sie geboren werden, der Hunger geht mit ihnen durchs Leben, die Sorge ist ihre Mutter, das Elend ist ihr Vater, ihr einziger Erlöser ist der Tod. – Allen Schrecken der Armuth sind wir preisgegeben, allen Lastern überantwortet, alle Verderbtheit und alle Sünde erwartet uns, denn wer bewahrt und schützt uns vor dem Bösen?! Wie sollen wir Gottes Hand erkennen lernen? Wie sollen wir gut und wahr und gerecht werden, wir, die wir nur Ungerechtigkeit und Härte entdecken; die wir nie Zeit und Lehrer fanden, um unsere Gemüther aufzurichten und zu veredeln?

Eine tiefe Stille begleitete die Worte des Redners, bis zuletzt ein leises und immer lauteres Schluchzen und Weinen gehört wurde.

Ja, meine Freunde, so ist es, fuhr Bergheim fort, und doch sage ich Euch: Seid gut, seid gerecht; hoffet und vertrauet, daß der Tag kommen werde, wo auch Eure Leiden sich enden. – Habt Geduld auf dem langen Wege durch die Wüste. Schon bricht der Morgen an, schon giebt es Gesetze in aufgeklärten Ländern, die wenigstens einige große Rechte der Menschheit schützen; schon wird es in den Köpfen hell, daß die Würde der Menschheit gerettet werden müsse, daß ein brüderliches Band uns Alle umschlinge, daß die armen Menschen keine Waaren sind, die gekauft und zu Tode gequält werden dürfen. – Die edelsten Männer aller Länder streiten für Euch; die edelsten Herzen begeistern sich in dem Gedanken, die ganze Menschheit würdig zu erheben. Die Frage um das Wohl der Arbeiter ist die Frage der Zukunft geworden, und keine Ruhe wird eher unter die Völker kommen, bis die Grundlagen gefunden sind, auf welchen der neue Gesellschaftsbau sich erheben kann.

Gleichheit der Glücksgüter freilich wird man nie da einsetzen können, wo die Fähigkeiten so verschieden sind, und wo Alles so ungleich vertheilt ist. Die Menschen werden niemals Götter werden, und so lange sie Ehrgeiz und Selbstsucht besitzen, wird die gleichmäßige Vertheilung des Eigenthums ein Traum oder eine unerfüllbare Täuschung sein. – Es muß reiche Capitalisten, reiche Fabrikherren geben, denn die Arbeit verlangt Geld und erfahrene, speculirende Köpfe; es muß auch Landräthe geben, so lange das Land sich nicht besser zu berathen weiß; aber Arbeit und Capital müssen Hand in Hand gehen, und dahin wird man gelangen, daß der Arbeiter nicht das bloße Werkzeug, die käufliche Sache des Capitals ist, sondern daß er gesichert wird als menschliches Wesen, daß er Antheil hat am Glück, am Leben und an der Zukunft, daß die Entwerthung seiner Arbeit aufhört, womit die Achtung vor seinen Menschenrechten beginnt.

Das Alles verkündige ich Euch, meine Freunde, und sage Euch, es wird die Zeit kommen, wo die Fürsten und Könige für Euch streiten werden. Der Geist der Menschheit wird sie dazu zwingen. Sie werden nicht dulden können, daß Habgier und Eigennutz Euch länger aussaugen. Die Völker werden sich dagegen erheben, und die neue Zeit, die aufsteigt aus dem Schooße der Zukunft, die Zeit, welche nach Vereinigung Vieler und Aller zu gemeinsamen Zielen drängt, wird Gerechtigkeit auch für Euch mit sich bringen. – Aber selbst diejenigen, welche jetzt noch Eure Gegner sind, werden zur Gerechtigkeit gezwungen werden. – Sie werden einsehen müssen, daß es besser ist, gerecht und billig gegen den Arbeiter zu sein, ihm für seine Mühen den Lohn zu geben, ihn nicht zu drücken und auszupressen, als ihn zum Elend zu verdammen. Der Eine wird nicht mehr den Anderen darin überbieten, Gesetze werden es hindern und der gemeinsame Wille, das Rechtsgefühl. – Die Herren werden einsehen, wohin es endlich führt, wenn man den Armen zur Verzweiflung treibt; sie werden einsehen, daß ihr wahrer Vortheil sie Hand in Hand mit ihren Arbeitern gehen heißt; sie werden begreifen, daß, wenn sie nicht zeitig vernünftige Heilmittel gegen ihre übermäßige Erwerbswuth anwenden, eine allgemeine Zerstörung des Erwerbes die Folge sein wird. Sie werden daher Euren gerechten Klagen und Beschwerden entgegen kommen, ein Beispiel nehmen an dem, was sie hier sehen, um ihrer selbst willen eine billige Verständigung suchen.

Und dort steht der Eigenthümer dieser großen Fabrik und neben ihm steht der gestrenge Herr Landrath. Ich zweifle nicht, daß sie beide sehr geneigt sind, Euch das Alles zu bestätigen; denn wer von Gott gesegnet ward mit Gütern und mit Weisheit, wird erkennen, daß es hohe Zeit ist, die Hand zum Frieden zu bieten, und wem der Himmel ein Amt gab, dem gab er sicher auch Verstand, um alle Folgen wohl zu überlegen, und Ehre genug, um nicht etwa falsch zu schwören und zu handeln, sondern in Treue zu thun, was Recht ist.

Der Fabrikherr sowohl wie der Landrath begriffen sehr wohl, was der Redner wollte, als er sich zu ihnen umwandte. – Sie traten beide auf die Stufen hinaus. Herr Feldmann blickte sehr feierlich umher und sagte betheuernd:

Alles, was Ihr gehört habt, ist aus meinem Herzen gesprochen. Alles soll vergeben und vergessen sein zwischen uns, und wie es in Zukunft zwischen uns gehalten werden soll, wollen wir gemeinsam überlegen. Ernennt einige Männer aus Eurer Mitte, mit denen ich unterhandeln will. Was irgend geschehen kann, soll geschehen. Wir wollen gegenseitige Billigkeit üben und uns einigen über Lohnsätze und Preise.

Kinder, rief der Landrath, seine Hände ausbreitend, auch ich will nichts gehört und gesehen haben. – Ich bin immer Euer wahrer Freund gewesen und bin es auch heut noch. Thut, was der Herr Geheime Commerzienrath Feldmann Euch befohlen hat. –

Vorgeschlagen hat! rief eine Stimme.

Richtig, vorgeschlagen hat, fuhr der Landrath fort. Wählt Euch Vertrauensmänner, das Uebrige wird sich finden.

Und wer steht uns dafür, daß nicht Alles Lug und Trug ist? fragte Mathis.

Ich stehe dafür ein! sprach Bergheim, wenn Ihr mich als Euren Vertrauensmann wählen wollt.

Der Rübezahl! schrieen ein Paar aus dem Haufen.

Ja, Herr, sagte Petermann, Ihnen wollen wir vertrauen. Was Sie sprachen, war recht und gut gesprochen. Nehmen Sie sich ferner unser an; helfen Sie armen Leuten mit Rath und That, die Ihnen immer dankbar sein werden.

Ja, Herr! – ja, Herr! riefen viele Stimmen.

Wenn Ihr mir vertraut, Freunde, erwiderte Bergheim, so will ich thun, was ich vermag. Schickt morgen die Männer hierher, welche Herr Feldmann fordert; ich will nicht fehlen. Jetzt aber beweist durch Ruhe und Ordnung, daß Ihr jeder gewaltsamen Handlung entsagt. Gebt keinen Anlaß zur Klage, zeigt den Herren hier, daß es Euch Ernst um eine dauernde Versöhnung ist, und geht friedlich nach Haus.

Das wollen wir, sagte Petermann. – Es lebe unser Beschützer, Kameraden! Herr Landrath und Sie, Herr Feldmann, weiß es Gott! Sie haben ihm viel zu danken. – Geben Sie uns die Hände darauf, daß Sie halten wollen, was Sie versprochen haben, und nun laßt uns gehen, still und ohne Lärm. Gebt es nicht zu, daß Einer sagen kann, wir hätten unser Wort gebrochen.


9.

In wenigen Minuten war der Platz leer, eine lautlose Stille trat ein. – Die Herren kehrten in den Saal zurück, Bergheim folgte ihnen. Er fand verstörte, verlegene und erschrockene Gesichter.

Sie sind wirklich fort, rief Zobelwitz auflachend, und der Spuk hat ein Ende. Bei Gott! man könnte glauben, daß der alte Kobold Rübezahl wirklich wieder aufgestanden sei. Es wird sich aber nun zeigen, was denn eigentlich dahinter steckt.

Herr Bergheim, wenn Sie so heißen, sagte der Fabrikherr, ich bin Ihnen, wie ich gern bekennen will und muß, keinen geringen Dank schuldig, denn ohne Ihre Bemühungen und Ihren Einfluß glaube ich wirklich, daß ich mein Eigenthum eingebüßt haben würde.

Wenn ich so glücklich gewesen bin, Ihnen einen Dienst zu leisten, erwiderte der junge Mann, und Ihr Dank mich belohnt, so lassen Sie mich hoffen, daß das Vertrauen, welches jene armen Leute neu gefaßt haben, auch morgen noch sein Recht behält. Führen Sie aus, was Sie Ihnen zusagten, und mildern Sie ihr hartes Loos, so viel Sie vermögen.

Ich bin bereit dazu, antwortete Feldmann, aber man muß nicht zu viel verlangen. – Wir werden ja sehen, was sich thun läßt.

Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen ferner vermittelnd zur Seite stehen darf.

Als Rübezahl! lachte der Landrath, oder in welchem neuen Gewande? Ich dächte, die Posse wäre jetzt vorbei. Morgen werde ich dem Geheimrath zur Seite stehen und ein ernsthaftes Wort mit allen denen sprechen, die heut hier bei dem Tumult thätig gewesen sind. Die Untersuchung wird die Wahrheit an den Tag bringen.

Emma tippte dem Onkel leise auf die Schulter, mit der anderen Hand hielt sie Bergheim zurück, der erglühend eine heftige Antwort geben wollte. –

Sprich nicht weiter, sagte sie, Worte helfen hier zu nichts. Gegen einen Mann, der so eben erst sich verbürgte, daß er Frieden stiften wolle, und nun Blicke des Hasses selbst auf den wirft, der mit eigener Gefahr ihn zu schützen suchte, muß man sich nicht vertheidigen.

Sie verkennen Ihre Freunde, rief Zobelwitz. Ich habe nichts dagegen, daß der Herr dort uns Allen einen Dienst geleistet hat, aber die Mittel bleiben schlecht, und die Absichten sind verwerflich. – Wenn die Wahrheit hier gesagt werden soll, was sind denn die Beweggründe dieses Eindringens und wer ist dieser junge Herr, der unter allerlei Gestalt, zuletzt sogar als Rübezahl umherschwärmt und nicht allein Gewalt über diese zuchtlosen Arbeiter, sondern sogar über züchtige Jungfrauen ausübt?

Sie sind unerschöpflich in Anschuldigungen, sagte Bergheim spöttisch.

Ist es etwa nicht wahr, fragte Zobelwitz erbittert, daß Sie heut an Fräulein Sophie in deutlichster Weise allerlei Anträge machten?

Mein Herr! fiel das Fräulein zornig ein, ich muß dagegen protestiren, und bitte, mich zu verschonen.

Mit demselben Leichtsinn haben Sie aber auch der Frau Gräfin Ihre Anbetung gewidmet.

Wahrhaftig! lachte die Dame, wenn es so wäre, Herr von Zobelwitz, ich würde es aufrichtig bekennen.

Sie sehen, Herr Landrath, sagte Emma, es bleibt zuletzt Niemand übrig für das Verbrechen dieses leichtsinnigen Herrn als ich allein, und ich kann meine Mitschuld nicht leugnen, sie ist mit Ihrer gütigen Hülfe längst offenbart worden. – Du hast uns früher nicht hören wollen, Onkel, ich denke jedoch, Du wirst uns jetzt ein freimüthiges Bekenntniß gestatten.

Des Bekenntnisses bedarf es hier nicht mehr, erwiderte Feldmann mißmuthig. Aber mein Herr, Rübezahl oder Bergheim, wer sind Sie, und welche Künste haben Sie angewandt, um in wenigen Stunden meine Nichte dahin zu bringen, mir alle Pflichten aufzukündigen?

Lieber Onkel, fiel das Fräulein ein, unsere Bekanntschaft ist nicht so neu, wie Du denkst. Erinnerst Du Dich, daß vor mehreren Wochen eines Abends im Gebirge uns ein junger Musikant begegnete, der Dir anbot, Feuerlärm zu machen?

Ah! rief Feldmann, indem er Bergheim anstarrte. Der Musikant sind Sie. Schon damals war Alles verabredet, schon damals also ward ich getäuscht!

Immer besser, sagte Herr von Zobelwitz mit ihm zugleich. Eine neue Verkleidung, eine weitgesponnene Intrigue also.

Ich werde Dir alle Aufschlüsse geben, die Du wünschen kannst, sagte Emma, für jetzt jedoch erwidere ich dem Herrn Landrath, daß der Augenblick gekommen ist, wo ihm nicht länger verborgen sein wird, wer der Mann ist, dem ich meine Hand und mein Herz zugesagt habe.

Bergheim hatte aus seinem Taschenbuch ein Papier gezogen, es aufgeschlagen und überreichte es nun Feldmann.

Ich bedauere, sagte er, daß Sie mir nicht erlaubten, mich schon früher zu rechtfertigen. – Diese Bescheinigung wird hinreichen, alle Irrthümer und alle Verläumdungen zu beseitigen.

Feldmann nahm das Papier und las mit lauter Stimme:

Der Minister des Handels beauftragt Sie hierdurch, die Fabrik- und Arbeiterzustände in den Industriedistrikten des Gebirges genau zu untersuchen und keine Mühe zu sparen, sich die genaueste Kenntniß von der wahren Sachlage zu verschaffen. – Die Regierung kann unmöglich wollen, daß die Noth, welche die Arbeiter drückt, endlich eine Höhe erreicht, die zu Verbrechen und gänzlicher Demoralisation führen muß. Es ist ihre Pflicht, die Arbeit zu schützen und durch gute Gesetze und Einrichtungen für das Wohl der Arbeiter Sorge zu tragen. – Sie werden daher besonders suchen, alle Ursachen der Uebel und Mißverhältnisse kennen zu lernen, Ihre Beobachtungen ohne Aufsehen bewerkstelligen und durch unmittelbarste Anschauung sich von allen Umständen überzeugen. – Von Ihren ausgezeichneten Kenntnissen und Ihrer Ruhe erwarte ich eine gerechte Würdigung und in Ihren Berichten zugleich Vorschläge über ein Gesetz zum Schutze der Arbeit und zur Organisation der Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. – An den Landes-Oekonomie-Rath von Burgdorf.

Herr Feldmann ließ das Papier sinken und sah den jungen Mann erstaunt an, der, Emma's Hand in der seinen, vor ihm stand.

Sie sind Herr von Burgdorf? fragte er.

Der Commissarius der Regierung, erwiderte dieser. Ich hoffe, daß selbst der Herr Landrath mich jetzt für berechtigt halten wird, wenn ich meinen Namen und meinen Auftrag für mich behielt, so lange ich konnte.

Sind Sie ein Verwandter des Herrn Präsidenten, der diesen Namen führt? fragte Herr von Zobelwitz.

Ich bin sein Sohn, war die Antwort. Sollten Ihnen darüber einige neue Zweifel entstehen, so habe ich Briefe meines Vaters, die sie verscheuchen können.

Sieh nicht so ernsthaft aus, Onkel, sagte Emma. Sieh uns gütig an. Es hat sich Alles freundlich gelöst; unmöglich kannst Du jetzt noch auf Deinem Willen bestehen.

Ich habe mein Wort gegeben, erwiderte Feldmann, und wenn ich auch sagen muß – wenn es auch wahr ist, daß ich über diese Auflösung sehr erfreut bin – so bin ich doch nicht im Stande – nein; ich bin nicht im Stande das Geringste zu thun – wenn nicht –

Er blickte den Landrath an, der mit finsterem Gesicht zuhörte.

Lieber Onkel, sprach Emma mit klarer Stimme, Niemand kann über fremdes Eigenthum verfügen, und wenn er es thut, hat sein Versprechen vor keinem Richter Gültigkeit. – Gebiete über Alles, was mein ist, ich will es geschehen lassen, aber über mich selbst, über mein Herz, über mein Glück und meine Zukunft soll Niemand mir mein Recht bestreiten. – Nach Allem, was geschehen ist und was ich hier erklärte, was Jedermann weiß und kennt, wäre es verwegen und sittenlos, mich fernerhin bestürmen zu wollen. Ich kann nicht glauben, daß es einen Mann giebt, der mich nehmen möchte, selbst wenn er mich gewaltsam zum Altare schleppen könnte. – Du hast meinem Vater einst versprochen, mir Vater zu sein; ich mahne Dich jetzt daran. Ich bitte Dich als Dein Kind, laß geschehen, was mich glücklich macht.

Herr Geheimrath, sagte Burgdorf, Sie haben mir heut versprochen, sich mit mir zu verbünden, mir beizustehen und mir zu dem zu helfen, was ich begehre. – Ich weiß es wohl, daß Sie im Irrthum über meine Neigung waren, aber das Wort war gesprochen, ich nahm es an. – So steht denn hier Wort gegen Wort, wem wollen Sie es entziehen?

Feldmann hielt seine Nichte an der einen Hand, den Erwählten an der anderen. So trat er einen Schritt dem Landrath näher. –

Sie müssen es entscheiden, Zobelwitz, was hier geschehen soll.

Es ist spät geworden, sagte der alte Herr, wir müssen nach Haus. – Der Narr in der Komödie wird Niemand von uns sein wollen. Adieu.

Feldmann ließ die Hände der beiden los und hielt den Landrath fest. – So sollen Sie nicht gehen, rief er. Mit dem Mädchen da ist nichts anzufangen. – Zwingen kann ich sie nicht, sie ist zu selbstständig, und was wollte Hugo mit einer Frau, die vor seinen Augen bekennt, daß sie einen Anderen lieber hat? Auch ist es gefährlich, fuhr er lachend fort, sich mit einem Bräutigam einzulassen, der allerlei Gestalten anzunehmen vermag; endlich aber sind wir ihm Alle Dank schuldig, und haben allerlei Unbill gut zu machen; auch Sie, Zobelwitz, dürfen das nicht vergessen.

Ungeduldiger Freund! fuhr er fort, so hören Sie doch. Habe ich nicht noch eine Tochter? Steht sie nicht dort neben Hugo, der, wie es scheint, sich ganz wohl bei ihr befindet? – Emma selbst hat mich schon gestern darauf aufmerksam gemacht, daß es ein weit passenderes Paar sei. – Wir wollen heut auf kein Examen eingehen, aber mein Wort werde ich halten, und nun, da es einmal so ist, und da der mächtige Herr des Gebirges sich ins Mittel gelegt hat, so folge denn seinem Willen, Emma, ich kann nicht länger widerstehen.

Mitten unter den frohen Glückwünschen rief der Doctor:

Wer ist aber der eigentliche Schöpfer dieser Glückseligkeit? Ich bin es! – Lauft zum Rübezahl, habe ich ihm gesagt, er allein kann helfen. Dahin ist er gelaufen, und wäre der Rübezahl nicht gewesen, es wäre nimmermehr geschehen.

Wo ist Fräulein Sophie? fragte Herr Feldmann, als nach einiger Zeit größere Ruhe eintrat.

Sie ist mit der Frau Gräfin nach Haus gefahren. Beide werden morgen früh abreisen, erwiderte der Doctor.

Glückliche Reise, sagte der Fabrikherr. – Ich sehe doch sonst Alles, aber diesmal bin ich völlig blind gewesen. –

Sehend sind nur die Seligen, rief Ludwig lachend, welche jetzt in den dunkeln Gängen des Gartens einsam auf und ab wandeln, lichterfüllt von dem Geiste, der sie beschützt hat.

Doctor, flüsterte Feldmann, es ist besser gekommen, als ich dachte. Wer hätte es denken können? – Er ist Rath, sein Vater ist Präsident, er besitzt Einfluß, der Minister will ihm wohl. – Emma wird glücklich sein, und das ist immer mein einziger Wunsch gewesen.

Und Alles, sagte Ludwig, auf seine Brust schlagend, verdanken Sie dem Rübezahl und mir!

*
* *

Einige Wochen später hielt vor dem kleinen Häuschen des Webers eine glänzende Equipage. Der Herr und die Dame, welche hereintraten, wurden mit einem Ruf der Freude empfangen.

Nun, Frau Martha, sagte Burgdorf, hier kommt der Herr des Gebirges, um das feine, schöne Leinenstück zu holen. Er bringt seine Braut mit, die es bewahren will als ein Erinnerungszeichen. Wir wollen es in Ehren halten und nie vergessen, was es uns bedeutet.

O Jesus! lieber Herr, rief die Frau, hier ist es noch in demselben Tüchel, wo es damals lag, als ich vor Rübezahls Schloß kniete, und in meiner Herzensangst nicht wußte, was mir geschah.

Jetzt geht es besser? fragte der junge Mann freundlich. – Der Christoph hat eine andere Farbe bekommen, und der Tisch ist gedeckt, ein großes Brod liegt darauf, die Kinder haben neue Röckchen und frohe Gesichter.

Der Mann warf einen freundlichen Blick durch die helle Stube. Daß es besser geht, lieber Herr, sprach er, verdanken wir Ihnen allein, wir wissen es Alle. – Sie haben gethan, was gethan werden konnte in böser Zeit. – Sie haben eine Krankenkasse und eine Leihanstalt eingerichtet; Sie haben die Lohnsätze festgestellt und ein Schiedsgericht eingeführt. Dergleichen hat in der historischen Wirklichkeit nicht stattgefunden, sondern begann erst Jahrzehnte später im Rahmen staatlicher Sozialpolitik. Die Wendung ins Utopische versteht sich freilich von des Autors Seite als Versuch, auf literarischem Weg am Projekt einer humanen Gesellschaft mitzuwirken, indem bei der bürgerlichen Leserschaft Verständnis und Bereitschaft erzielt werden. – Anm.d.Hrsg. – Der Anfang ist da, wir sehen wohl ein, daß nicht alles geht, so lange nicht alle Hand ans Werk legen.

Seid gutes Muthes, sagte Burgdorf. Ist der Anfang erst gemacht, so läßt sich auch weiter bauen. – Eine neue Zeit kommt, die bringt die Bausteine auch für Euch. –

Und wenn Euch etwas drückt und plagt, fügte die Braut hinzu, so kommt zu uns, wir wollen helfen, wie es geht. –

O Jesus! rief Martha, wenn's doch Alle so thäten, viel könnte geschehen!

Petermann kniete bei seinen Kindern nieder, faßte sie in seine Arme und richtete seine dankbaren Blicke auf das junge Paar.

Die Mutter nahm das Jüngste an ihre Brust, ihre Augen leuchteten.

Seht, Kinder, sagte der Mann, der Rübezahl ist todt, der sonst armen Leuten ein Retter war, aber Gott weckt in den Herzen guter Menschen seine Engel auch für Euch; werdet gut und lohnet es ihnen.

Sind wir nicht belohnt, geliebte Emma! rief Burgdorf. – Er zog die Braut an sein Herz, ein heller Sonnenstrahl fiel auf die armen dankerfüllten Menschen.



 << zurück