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1.

Der Obergerichtsrath Dahl schien keinesweges in der freundlichsten Stimmung zu sein, als er, vor dem großen Spiegel stehend, seine Atlasbinde umlegte und eine Schleife zu knüpfen versuchte, die nicht gerathen wollte.

Elende Convenienzen der Gesellschaft! rief er, mit einem Blick seinen Frack und die gestickte Weste betrachtend; immer und immer wieder macht das Kleid den Mann, und sie verzeihen uns leichter jedes Loch im Herzen oder im Kopf, als ein Loch im Handschuh oder im Stiefel.

Während er die letzten Worte halb laut lachend vor sich hin sprach, öffnete sich die Seitenthür und eine schöne junge Frau sah herein. – Nun, dem Himmel sei Dank! sagte sie, Du bist ja bald bereit; der Wagen muß sogleich kommen. Vergiß nicht, lieber Hugo, was Du mir versprochen hast.

Gewiß nicht, liebe Clara, erwiederte er, ich habe den ganzen Morgen über daran studirt, wie höflich und bescheiden ich sein werde.

Ein mißbilligender Blick aus den schönen Augen flog auf den Gatten, der noch immer an der Schleife knüpfte. – So, sagte er, sich umkehrend, endlich sitzt das verwetterte Ding. Aber, mein Herzens-Clärchen, wie reizend Du bist, wie entzückend Du aussiehst! – Die weiße Kamelie in Deinen braunen glänzenden Haaren ist allerliebst, – und welche Taille! – Bei aller seligen Liebe, beim himmlischen Element! ich könnte auf Taille schwören, wie ein Gardeoffizier, das heißt auf Deine Taille; könnte ganz vergessen, daß wir zwei Jahre beinahe verheirathet sind, daß da drüben das Bettchen unseres Buben steht, und könnte glauben, ich führe, wie ehemals, mit meiner angebeteten Braut zur Hochzeit bei dem Herrn Onkel Steuerdirector.

Die junge Frau lächelte geschmeichelt, aber ein halb unterdrücktes Schmollen blieb in ihrem hübschen Gesicht unverkennbar. Du kannst die Lust zum Spott nie aufgeben, erwiederte sie, und das ist ein wahres Unglück. – Wir verfeinden uns dadurch selbst mit alten bewährten Freunden; in unserer eigenen Familie ist der Streit ja losgebrochen. – Nein, mein lieber, geliebter Mann, versprich mir –

Was? sagte er scherzend. – Dich immer zu lieben?

Ja, auch das, aber Dich mehr in Welt und Menschen zu fügen; nicht so hartnäckig Deine Ansichten und Meinungen zu vertheidigen, und umgänglich zu sein mit denen, zu denen Du gehörst. Mein Onkel und mein Schwager –

Dahl legte sanft die Hand auf ihren Mund und sagte lachend: Das sind meine theuren Freunde und Verwandten, aber schweige von ihnen, liebe Clara, denn was kann alles Reden helfen! Unsere Meinungsverschiedenheiten liegen in Luft und Zeit und Ort, in Verhältnissen und Stellungen, darüber seht Ihr Frauen fort, und wenn Ihr auch Antheil nehmt, Ihr begreift den eigentlichen Kern nicht, der liegt zu tief für Euch. Du bist mein gutes Clärchen, betrübe Dich nicht, es wird Alles besser werden, und ich habe Dir ja versprochen, daß ich so bescheiden und sittsam höflich sein will, wie Poins, als er dem Falstaff die Sektflasche leerte. Shakespeare, Heinrich IV, Teil II, Akt II, 2. Szene. – Anm.d.Hrsg.

Eine hellere Röthe schlug über die Stirn der Dame auf. – Ein wenig mehr Rücksicht hätte ich doch wohl verdient, Hugo, rief sie, daß Du mich so in die Schranken weist und meinen Onkel mit Falstaff vergleichst.

Es ist mir nicht eingefallen! erwiederte Dahl betheuernd, ich bitte Dich, Clara – aber die Dame verließ schnell das Zimmer, und der Obergerichtsrath konnte sich nicht enthalten, ziemlich laut zu lachen. – Was Henker, kommt mir auch solch sonderbarer Vergleich in den Mund, fuhr er fort; o! der Mund ist allzu oft ein Verräther von Gedanken, die er besser verbergen sollte. Aber Falstaff, es paßt wirklich so übel nicht. Der alte dicke Director hat mehr wie eine Qualität, die zur Quantität stimmt.

Er ging auf und ab und strich das dunkle, leicht geringte Haar von der hohen Stirn zurück. Nach und nach schienen seine Gedanken Eindruck auf seine Züge zu üben, die geistig erregt sich verschönten, obwohl Dahl nicht zu den Männern gezählt werden konnte, die hervorstechende Körpervorzüge besaßen. – Er war groß und muskelvoll, aber formlos gebaut. Auf seinen breiten Schultern saß ein mächtiger Kopf und ein Gesicht mit scharf ausgeprägten Zügen. Obwohl erst in der Mitte der dreißiger Jahre, begann sein Haar grau zu werden, und wenn er ruhig war, sahen seine Augen ein wenig matt und angegriffen aus. – Dies Gesicht veränderte sich jedoch gänzlich, sobald der, dem es gehörte, in geistige Aufregung gerieth. Ein besonderes Leben strömte dann über seine blassen, gleichmäßigen Züge aus, die sich strafften und Ausdruck gewannen; seine Augen konnten feurig blitzen, und die Regsamkeit seiner Seele war so groß, daß nicht viel dazu gehörte, um die äußere Rinde der kalten Ruhe zu durchbrechen, wenn er nicht gewaltsam den Strom zurückhielt. –

Auch jetzt schien er dies zu thun, denn nach einigen heftigen Gängen stand er still und glättete feine Mienen durch ein Lächeln. –

Was ist es denn weiter, sagte er; sie ist, wie alle Frauen sind, reizbar und von Einflüsterungen umgeben. Sie möchte mich bekehren, das ist Sache der Frauen; sie möchte mich den Menschen wohlgefällig machen, damit sie Freude an mir hätte, das will ihre Liebe und ihr Stolz. – O! sie hat Recht. Wandeln auf Erden zur Freude Gottes und der Menschen, was kann schöner sein, aber diese Menschen, wer sind sie und wer ist ihr Gott?!

In dem Augenblick trat ein Diener herein und meldete einen fremden Herrn.

Ich bin nicht zu Haus, sagte Dahl.

Gleichviel, Du mußt mich annehmen, rief vor der Thür eine wohlklingende Stimme, und indem der Freunde die Thür aufstieß, setzte er hinzu: Ich lasse mich ganz gewiß nicht abweisen.

Freudig überrascht erblickte Dahl einen Freund vor sich, den er weit entfernt glaubte und seit mehreren Jahren nicht gesehen hatte. Die Begrüßung war herzlich und vertraulich. Der Freund ergriff den Obergerichtsrath bei beiden Armen, sah ihm genau prüfend ins Gesicht und rief dann lebhaft aus:

Aelter bist Du in den fünf Jahren allerdings geworden, aber es ist doch immer derselbe edle Ausdruck Deiner Züge, trotz aller Veränderungen, die innen und außen vorgegangen sein mögen.

Aber Du, rief Dahl lachend, bist unverändert derselbe vollendete Cavalier, Hof- und Staatsmann, der, wie ich denke, eben so sehr noch immer allen Weibern die Köpfe verrückt, wie er den Diplomaten die Offenbarungen des heiligen Geistes auslegt.

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich, und in beiden spiegelte sich ein gewisses spöttisches Betrachten. Dann warf der Fremde einen raschen Blick in den großen Spiegel und sein Lächeln wurde behaglicher. Er war in der That ein schöner Mann, ein wenig blaß und überlebt, aber um so interessanter in seinen dunklen glänzenden Locken und dunklen Augen. Zu dem aristokratischen Gesicht paßten die langen, schmalen und weißen Hände und die elegante Kleidung. Er streckte sich nachlässig auf dem Sopha aus und beantwortete einige Fragen mit Gegenfragen.

Ich war in Griechenland und Spanien, und komme jetzt aus Italien, aus Rom, sagte er. – Du weißt, ich habe mich seit einiger Zeit aus dem Staatsdienst zurückgezogen, aber ich gehöre zu den Diplomaten, die auf der Reserveliste stehen und an welche man zuweilen wieder denkt, um von ihnen irgend eine Denkschrift, ein Comte rendu oder eine andere Gefälligkeit zu verlangen, die der diplomatische Agent als Ehrensache übernimmt. So habe ich mich jetzt einige Zeit in Frankfurt aufgehalten, um die Komödie dort in nächster Nähe zu betrachten, Berichte abzustatten, Urtheile zu fällen und Notizen zu sammeln.

Die, wie ich mir denken kann, den Stempel diplomatischer Färbung tragen.

Jeder sieht durch die Gläser, welche für seine Augen passen, erwiederte der Freund, allein es ist längst anerkannt, daß Diplomaten die mildesten Beurtheiler sind, weil sie über den Leidenschaften stehen, und ganz objectiv handeln. Für uns ist Alles, was geschieht, ein Spiel auf dem Schachbret. Das ganze Völkerleben und alle Regierungssysteme bemessen wir nur nach den Erfolgen, ohne Leidenschaft, ohne persönliche Theilnahme und vor allen Dingen ohne Fanatismus. Darum können wir mit unseren Neigungen Republikaner sein, und doch dem entschiedensten Absolutismus die Fahne tragen, wenn dies System uns zu den Verhältnissen als das richtigste erscheint. – O! ich habe in Frankfurt viele ausgezeichnete, edle, vortreffliche Männer gefunden, deren Tugenden und hohe patriotische Träume mich entzückten, obwohl ich sie vielleicht mit Bedauern einmal später dafür der Justiz überliefern könnte; und auch hier gibt es ja, trotz aller wilden Thorheiten des souverainen Volkes ohne Handschuhe, ritterliche, tapfere und großartige Naturen unter den Schwärmern, Narren und Schurken im Tempel der Freiheitsgöttin.

Es gibt dergleichen, sagte der Obergerichtsrath lächelnd.

Du selbst, Dahl, Du warst ja Mitglied der Nationalversammlung, fuhr der Diplomat ziemlich gleichgültig fort, und hast voran gestanden. Als ich Deinen Namen las, rief ich sogleich: Der setzt sich auf die linke, vielleicht gar auf die äußerste linke, und bei seinen Kenntnissen, seinen Fähigkeiten, seiner Stellung muß er eine hervorstechende Rolle spielen. Siehst Du, so richtig habe ich Dich beurtheilt; doch davon können wir später uns unterhalten. – Für jetzt sage mir, ob Du heute Mittag mein Gast sein und mit mir speisen willst?

Ich muß es ablehnen, erwiederte Dahl, denn Du siehst mich im Begriff, mit meiner Frau zu einem Diner zu fahren.

Du bist verheirathet? fragte jener erstaunt. Seit wann? Mit wem? Seit zwei Jahren, sagst Du? So hast Du endlich eine Gefährtin gefunden, die Deinen hochfahrenden Wünschen genügte? Weißt Du, wie oft wir früher gemeinsam über Ehe und Weiber geurtheilt haben? Du wolltest sie in allen Dingen ebenbürtig. Geistvoll sollte sie sein, kühn und das Gewöhnliche verachtend, dabei schön und reich, und durch Geburt und Familie über das Misere des Menschenlebens gestellt. Gib mir Rechenschaft, wie und wo Du den Vogel Phönix gefunden und gefangen hast? –

Auf Dahl's Stirn wurde ein röthlicher Schimmer sichtbar, der sich jedoch schnell wieder verlor, während seine Augen spöttisch blitzten.

Ich kann es Dir in wenigen Worten sagen, erwiederte er. Meine Frau ist ein einfaches Kind des Volkes, die jüngste Tochter eines ehrlichen Drechslermeisters.

Ah! sagte der Diplomat, ihn betrachtend und leise mit dem Kopfe nickend, ich habe es mir beinahe gedacht.

Ich zweifle nicht an Deiner Prophetengabe, dafür bist Du Diplomat, erwiederte Dahl, aber ich will doch noch einige Worte hinzufügen. Mein wackerer Schwiegervater starb früh, ein kinderloser Oheim nahm sich der beiden hinterlassenen Waisen an und erzog sie. Dieser Oheim war vormals Steuerrath, jetzt ist er Steuerdirector, und aus seinem Hause habe ich die Nichte geheirathet. Ihre Schwester wurde an demselben Tage mit dem Geheimen Finanzrath Seiler verbunden, den Du ja auch kennst.

Wie, Seiler, der mit Dir in der Kammer gesessen hat, der Hort und die Stütze der Regierung, der Vertraute der jetzigen Minister, der ist Dein Schwager? – Er schlug ein lautes Gelächter auf, als Dahl es bestätigte, und rief dann, noch immer lachend: Das ist ja kostbar, rührend, tragisch, ergreifend! Das ist eine Geschichte für einen Diplomaten!

Während er lachte, ward die Thür nochmals leise aufgethan, und rasch stand der Diplomat auf, denn Dahl hielt seine zurückweichende Gattin fest und sagte:

Nur einen Augenblick, liebe Clara. Hier ist ein alter Freund, den Du sogleich kennen lernen mußt. Der Legationsrath v. Grimnitz. Du hast gewiß schon den Namen von mir gehört, und wie ich hoffe, gibt er uns oft Gelegenheit, seine ganze Liebenswürdigkeit zu bewundern.

Der Legationsrath erwiederte einige artige Worte, ergriff aber zugleich seinen Hut und bedauerte, daß es ihm nicht vergönnt sei, sogleich eine Probe zu bestehen, die er jedoch sicher nächstens abzulegen denke. – Nach wenigen Minuten empfahl er sich, und obwohl der Wagen längst wartete und sichtliche Ungeduld das Gesicht der jungen Frau erfüllte, war sie doch noch neugieriger als unmuthig. Der schöne und vornehme Mann, der mit dem feinen Anstande der höchsten Gesellschaft und mit dem ungezwungenen Wesen derselben ihr entgegengetreten war, hatte einen wohlthuenden Eindruck hinterlassen. Sie wandte sich das her lebhaft zu ihrem Gatten, den sie hin und her über den Freund befragte, ihn daneben zur Eile antrieb und noch über Grimnitz sprach, als sie im Wagen saßen.

Ich bin auf der Universität mit ihm eine Zeit lang sehr vertraut gewesen, sagte Dahl, dann hat uns das Leben auseinander geworfen. Er ist unabhängig, weil er reich ist; da man jedoch dies Unabhängigkeitsgefühl bei uns nicht vertragen konnte, oder weil ihm seine Abhängigkeit fatal ward, trat er aus dem Staatsdienst. Er war immer ein guter Kopf, aber ein Egoist im Kettenpanzer, der statt des Herzens sich ein Uhrwerk eingesetzt hätte, wenn es möglich gewesen wäre, um so weise, so ruhig und herzlos wie möglich zu sein.

Gegen die herzhafte Demokratie gehalten, erwiederte Clara lächelnd, ist sein Anblick aber doch gewissermaßen tröstend. Man sieht auf der Stelle den feinen gewandten Mann, während heut zu Tage diese Eigenschaften fast als Laster betrachtet werden.

Bei den Schlangen sind die buntesten die giftigsten, sagte Dahl, indem er zum Wagen hinaus den Legationsrath, an welchem sie so eben vorüberfuhren, freundlich grüßte, und Weiber halten sich lieber Papageien, als Nachtigallen oder Lerchen.

Du kannst die demokratische Natur doch nie verleugnen, rief Clara gereizt.

O, erzürne Dich nicht, bat er dagegen; Du hast vollkommen Recht. Gegen meinen aristokratischen Grimnitz bin ich eine Art Centaur oder Oger, dennoch aber möchte ich nicht sprechen, wie einst Alexander: Wenn ich nicht Dahl wäre, möchte ich Grimnitz sein! sondern – und das merke Dir, liebe Clara – eben weil ich Dahl bin, bleibe ich Dahl, und stecke so fest in meiner plebejischen Haut und Sitte, daß ich Dir selbst nicht versprechen kann, was jener Sextius Lateranus seiner Frau versprach, die über ihrer Schwester Glück neidisch weinte, weil deren Mann Consul war, und ihm die Lictoren voraufgingen! – Ach! meine arme kleine Frau, ich kann Dir nicht versprechen, daß je ein Consul aus mir wird, auch nicht, daß Lictoren mir dienend voraufgehen; ihre Beile und ihre Ruthenbündel möchten weit eher drohend sich nach mir ausstrecken.

Er zog ihre Hände an seine Brust, und in seinen Blicken lag eine Macht, die versöhnend und beruhigend wirkte.

Glaube doch nicht, daß ich meine Schwester oder irgend ein Wesen beneide, rief die junge Frau; wenn ich zuweilen innerlich gekränkt bin, so ist es allein Deinetwegen. – Du stehst mit Deinem Geiste hoch über so vielen, und wenn Du wolltest, wie leicht würde es Dir sein, Alles zu erreichen, wonach sich jene vergebens sehnen.

Ah! ich verstehe, erwiederte Dahl, aber das ist es ja eben, was ich Dir sagte. Mein Reich ist nicht von dieser Welt, und die mir folgen, müssen darauf gefaßt sein, gegeißelt und gekreuzigt zu werden.

Ich rede nicht weiter, sagte Clara schmollend, ich weiß, daß ich keinen Einfluß auf Dich habe. Aber Eines versprich mir, Hugo: sei nicht streitsüchtig heut und zeige Dich nachgiebig gegen den Onkel. Er achtet Dich hoch, aber von allen Seiten flüstert man ihm in die Ohren.

Sei unbesorgt, versetzte Dahl, ich habe es Dir zugesagt, mein rebellisches Blut zu bekämpfen, und werde Wort halten. – Da sind wir an der Thür. Muth, mein liebster Schatz, Du sollst sehen, daß ich Dir heut große Freude machen werde.


2.

Die Gesellschaft bei dem Steuerdirector war nicht so groß, um zwei Fehlende nicht zu vermissen. Alle waren seit einer halben Stunde versammelt, nur Dahl blieb aus, und der dicke alte Herr sah von Minute zu Minute unwilliger auf die große Rokokouhr, die den Broncetisch zierte, und schüttelte den Kopf über den sündhaften Neffen.

Wo er nur wieder stecken mag, sagte er ärgerlich zu seiner Nichte, der Geheimräthin Seiler. Der Koch hat schon zwei Mal fragen lassen; es geht Alles zu Pulver und Asche.

Vielleicht hat er einen interessanten Klub zu unterhalten, flüsterte die Dame, oder einige liebenswürdige Mitglieder des souverainen Volks verlangen Rechenschaft über seine Grundsätze.

Der Steuerdirector machte ein ärgerliches Gesicht und brummte etwas, daß wie Henker holen klang.

Diese Wahlen und Wahlagitationen, flötete eine ältliche Dame mit unermeßlich langem, dünnem Gesicht, welche neben der Geheimräthin saß und etwas von ihrer Antwort gehört hatte – diese Wahlwühlereien sind das Gräßlichste, was ich erlebt habe. Jeder zerlumpte Mensch –

Sagen Sie doch einfach, jeder Lump! liebe Frau Majorin, fiel die Geheimräthin lachend ein.

Nun ja, jeder Lump fühlt sich in seiner Frechheit den Besten gleich, und wenn ich daran denke, wie im Frühjahr die Wahlmänner sich aufblähten, – dann die Bürgerwehr – gütiger Gott! wie sahen Gevatter Schneider und Handschuhmacher aus! – und endlich die Volksversammlungen, die Kalabreser mit den Hahnenfedern!

Die Leibgarden der Herren Demokraten! rief die Geheimräthin.

Die Herren Präsidenten der Klubs und Bezirke nicht zu vergessen, sagte ein Anderer.

Und die köstlichen demokratischen Damenklubs, sammt Präsidentinnen und Comiteebeisitzerinnen; die Fräulein vor der Scheere und Nadel, lachte ein junger Herr.

O! Antonie, rief die Geheimräthin, was ist es Schade, daß Du das Alles nicht hier erlebt hast.

Die junge Dame, an welche sie diese Worte richtete, saß ihr gegenüber und erwiederte in stolzem, scharfem Tone:

Ich danke dem Himmel, daß mich mein guter Stern davor bewahrte. Noch jetzt ist mir unheimlich in Eurer verderbten Stadt, die mir vorkommt wie ein Körper, in dessen Adern Gift gewüthet hat, das endlich zwar geschickte Aerzte überwältigten, allein die Todtenflecke und das verzerrende Zucken sind geblieben und wollen aller Kunst und Sorgfalt nicht weichen.

Bravo! sagte der Geheimrath Seiler, der herbeitrat, das ist ein schöner und poetischer Vergleich. – Ja, die Aerzte geben sich die größte Mühe, aber es ist eine lange und verzweiflungsvolle Kur, die nicht gelingen kann, so lange immer wieder neues Gift dem Patienten zugetragen wird.

Und warum duldet man es?! rief das Fräulein mit rötheren Wangen; warum gestattet man den Verräthern und Verführern ihr heilloses Spiel? Warum macht man sie nicht unschädlich?!

In diesem Augenblick traten Dahl und seine Gattin herein. Er hatte die letzten Worte gehört, und warf einen seiner suchenden, spöttischen Blicke auf die schöne Sprecherin, zugleich aber sah er, wie Clara mit dem Ausdruck der lebhaftesten Freude dem Fräulein nahte, wie Beide sich umarmten und ein zärtliches, rasches Gespräch begannen, und langsam drehte er sich zu dem Steuerdirector um, der ihm mit einem: Endlich! schmollend und vergebend die Hand bot. –

Nach einigen Minuten rief ihn Clara zu dem Fräulein zurück. Ich bin ganz entzückt, sagte sie, meine liebe Freundin hier unerwartet zu finden. Das ist Antonie Uttenhofen, von der ich Dir so viel schon erzählte, Hugo.

Dahl verbeugte sich und hörte, daß die junge Dame erst gestern von dem Gute, wo sie zeither gewohnt, in der Hauptstadt eingetroffen sei, die sie seit mehreren Jahren nicht besucht hatte. Der Steuerdirector, der die Ueberraschungen liebte, veranstaltete es, daß Clara heute überrascht werden sollte, und freute sich nun ausnehmend, daß seine Absicht so gut gelungen war.

Sehen Sie, Dahl, flüsterte er diesem zu, wie die beiden Freundinnen nun beisammen sitzen und sich mit Liebesblicken betrachten. Sie haben sich so viel zu erzählen, es thut mir ordentlich leid, daß ich sie trennen und stören soll; aber Sie haben Schuld, warum blieben Sie so lange?

Weil ich eine Ueberraschung gehabt habe, erwiederte Dahl. Einer meiner liebsten Jugendfreunde, der Legationsrath von Grimnitz, suchte mich auf, eben als ich den Hut in die Hand nahm.

Grimnitz! rief der Geheimrath Seiler, der herantrat, ist der hier? Er wurde ja aus Italien nach Frankfurt geschickt.

Er ist hier, erwiederte Dahl, und wird Dich wahrscheinlich morgen aufsuchen.

Das freut mich, war die Antwort, aber Du hättest ihn besser gleich mitbringen sollen, der Onkel hätte ihn gewiß gern gesehen. Wenn er noch der Alte ist, würden wir uns Alle sehr ergötzt haben. Besonders die Damen, fügte er lächelnd hinzu; aber er ist auch ein Mann für Männer, der nicht umsonst jetzt das volle Vertrauen der Regierung hat. Ich habe gehört, daß ihm Anträge gemacht worden sind, ins Ministerium zu treten.

Das wird er nicht thun, sagte Dahl.

Warum denn nicht? fragte Seiler spöttisch.

Weil er nicht dazu paßt, erwiederte Dahl mit scharfer Betonung.

Der Steuerdirector sah einen Streit kommen, den er vermeiden wollte.

Wie gefällt Ihnen denn Fräulein Antonie, Dahl? fragte er.

Sie ist schön, schlank und ich glaube liebenswürdig.

Sehr unterrichtet, fiel der alte Herr ein.

Aber eine verzweifelte Aristokratin, fügte Seiler lachend hinzu.

Das ist empfehlend, sagte Dahl. Clara hat mir viel Briefe von ihr gezeigt, die fein, klar und gedankenreich geschrieben waren.

Sie ist eine reiche Erbin und ganz unabhängig, erzählte der Steuerdirector. Ihr Vater, mein alter Freund, hat ihr ein großes Gut hinterlassen, da hat sie mit einer alten Tante bis jetzt gewohnt und selbst gewirthschaftet. Es ist eigenthümlich mit ihr. Die vortheilhaftesten Heirathsanträge hat sie zurückgewiesen, ich denke, keiner war ihr gut genug. Aber da kommt die Suppe. Nun keinen Augenblick länger gewartet. Geben Sie ihr den Arm, Dahl, Sie sollen sie zu Tisch führen.

Es geschah so, und das glänzende Diner des alten Herrn ging unter allgemeiner Zufriedenheit vorüber, obwohl Gelegenheit genug gewesen wäre, es durch Streit zu würzen. Es war unmöglich, die Tagesfragen und die Interessen, welche eine so vorwaltende Rolle in allen Kreisen spielten, hier ausschließen zu wollen, allein alle Spottreden und Anspielungen reizten Dahl heut nicht zu Erwiederungen, und da er schwieg, schwiegen die Wenigen, welche hier sich vielleicht schüchtern und halb ihm angeschlossen hätten, um so lieber. – Er sprach mit seiner Nachbarin von ihrem früheren Freundschaftsbündniß mit Clara, scherzte und lachte in der heitersten Weise, erzählte belustigende Vorgänge, oder hörte aufmerksam zu, was das Fräulein ihm mitzutheilen wußte, und lenkte das Gespräch auf die verschiedenartigsten Gegenstände, welche stets neuen Stoff lieferten.

Einige Male nahm Antonie lebhaften Antheil an der allgemeinen Unterhaltung, und ihre politische Meinung trat dann mit größter Entschiedenheit hervor. – Sie erzählte von den Zuständen in der Provinz, aus der sie kam, äußerte sich mit Bitterkeit über das Unwesen der Neuerungen und über einzelne Persönlichkeiten, die sie mit schwarzen Farben malte; eben so erhebend und triumphirend waren dagegen ihre Schilderungen des Abscheues und der Entrüstung, die man gegen dies Treiben, besonders aber gegen die großen Frevel in der verbrecherischen Hauptstadt empfinde.

Die Blicke vieler der Anwesenden richteten sich mit einiger Verlegenheit auf Dahl, der ruhig lächelnd die schöne stolze Dame betrachtete, welche gewiß nicht so unbekannt mit den Ereignissen war, um nicht zu wissen, welchen Antheil er selbst daran genommen hatte.

Sie werden mir nicht zürnen, wenn ich ausspreche, was das Volk denkt und fühlt, sagte sie endlich, sich zu ihm wendend.

Gewiß nicht, Fräulein Uttenhofen, erwiederte Dahl. Ich bin ja ein Mann des Volkes, und erkenne seine Stimme als Gottes Stimme.

Aber Sie werden mich vielleicht tadeln, daß ich meine Ueberzeugung als Stimme des Volkes ausgebe, und doch ist es so; ich wiederhole nur, was viele Tausende sagen und denken.

Ich tadle Niemanden, versetzte er, wenn er nach seinen Ueberzeugungen lebt und strebt. Wollte doch der Himmel, wir wären so weit, nirgend Zwang, Druck, Gewalt und Verfolgung gegen die Ueberzeugung anzuwenden. Dann erst würde sich der wahre Volkswille bestimmen lassen, und in der menschlichen Gesellschaft der Herrscherwille der Majoritäten sich entwickeln, der uns allein zum Rechtsstaate und zur Ordnung führen kann.

Der Majoritätswille des Pöbels, den wir kennen, sagte Seiler halblaut und lachend zu seinem Nachbar.

Wir leben wieder auf, seit der köstliche Belagerungszustand uns diesen Willen endlich abgenommen hat, fügte seine Gattin hinzu.

O! welch Glück, belagert zu sein, rief die Majorin in der sanftesten Flötenstimme und mit feuchtglänzenden Augen.

Ein Blitz des Spottes, den Dahl auf sie warf, brachte sie zur Besinnung. Sie fürchtete nichts mehr, als seine Sarkasmen, die er mehr als einmal gegen sie geschleudert hatte, aber er schwieg und empfahl seiner Nachbarin dringend, recht bald das Theater zu besuchen, wo so eben ein neues Lustspiel gegeben werde, das die Auswüchse der Zeitverhältnisse in belustigender Weise geißle.

Wenn Sie es mir empfehlen, sagte das Fräulein, werde ich es sehen; leider aber sind die Auswüchse ja selbst in Kunst und Wissenschaft gedrungen, und nichts vermag mich mehr von der schlechten Sache der Neuerungen zu überzeugen, als die Barbarei, in welche alles Schöne und Edle zu versinken droht. – Die Poesie streift sich von den sogenannten freien Völkern ab; nichts bleibt ihnen, als ein nüchternes Leben und Schaffen, aber zur Kunst schwingt es sich nicht auf. Diese geht mit den Königen und fällt mit ihnen ins Grab.

Wo war denn die Kunst schöner und erhabener, erwiederte Dahl lächelnd, als in den Republiken des alten Griechenlands? – Die Menschen beten gern gewisse Aussprüche nach, die ihnen das Denken ersparen, aber wer nicht zu dem großen Haufen gehört, darf sich so leicht auch nicht gefangen geben. Ein Volk kann kein Kunstgefühl erlangen, es kann zu keiner wahren Blüthe der Kunst emporsteigen, wenn es nicht ein freies Volk ist. – Könige und mächtige Fürsten mögen Hofmaler halten, sie mögen ihre Schlösser schmücken, Museen gründen und Kunstschulen errichten, aber das Volk bleibt außen stehen, als ein tauber, gefühlloser und verwilderter Haufen. Je verknechteter es ist, um so weniger wird es an Kunst sich laben, der Sclave ist immer roh und thierisch; je allgemeiner die Freiheit wirkt, um so mehr verbreitet sie Bildung durch Gleichheit. Die freiesten Völker müssen aber die gebildetsten sein, und wenn sie es nicht sind, nun so fehlt ihnen eben noch die wahre Weihe der Freiheit, die allen Menschen alle Mittel und Wege öffnet, um Theil zu nehmen an der errungenen Bildung und Erkenntniß des Guten und Schönen.

Das waren die einzigen belehrenden und zugleich strafenden Worte, die Dahl an seine Nachbarin richtete, welche erst darüber erröthete und dann schwieg, bis sie nach einiger Zeit sagte:

Was halten Sie denn für die höchste Ihrer sogenannten Errungenschaften?

Die Volksschule, erwiederte er; das heißt die wahre Volksschule, in welcher der Staat ohne alle Heuchelei und Kriecherei weder vor Gott, noch vor Priestern, noch vor Menschen seine jungen Bürger erziehen läßt. – Vor allen Dingen aber auch, fuhr er höhnend fort, indem er Antonien fest anblickte, Schulen für die jungen Bürgerinnen, welche dort zu einem edleren Familienleben erzogen werden müssen.

Sie tadeln es also nicht, daß jetzt so viele Frauen, statt häuslich zu walten, sich mit der Politik beschäftigen? fragte sie rasch.

Im Gegentheil, sagte Dahl, ich lobe es; Clara muß, auf meine Bitte, alle Tage die Zeitungen lesen. Die Frauen sind das wahre Element zur festen Grundlage der Freiheit eines Volkes. Wenn die Mütter ihren Kindern mit dem ersten Lallen Haß gegen die Tyrannei und Freiheitsgefühl einflößen, dann haben wir gewonnen. Griechenland und Rom würden nie geworden sein, was sie waren, wenn die Frauen und Mütter nicht mitgewirkt hätten, ihren Kindern den Stolz freier Männer und heiße Liebe zum Vaterlande in die Brust zu pflanzen.

Sie glauben also, begann das Fräulein nochmals, daß wir die Revolution machen müssen? Und ist denn meine sanfte, fröhliche Clara eine so eifrige politische Frau geworden, daß sie Ihren Wünschen entspricht?

Das heißt inquisitorisch gefragt, gab Dahl zur Antwort, ich hoffe aber, daß Sie keine unmittelbare Erwiederung verlangen; als Clara's Freundin denke ich Sie oft bei ihr zu sehen.

Wünschen Sie das nicht, erwiederte sie.

Und was sollte mich davon abhalten?

Meine Denkungsweise, sagte das Fräulein.

Glauben Sie, daß mir davon Gefahren drohen? fragte er lächelnd.

Antonie erröthete. – Das glaube ich allerdings beinahe, sagte sie dann, ihn stolz anblickend. Ich habe von früher her keinen geringen Einfluß auf Clara besessen, und würde diesen gewiß geltend machen, selbst gegen meinen Willen. – Sie sind ganz anders, Herr Dahl, als ich mir Sie gedacht habe, dennoch aber –

Darf ich fragen, worin der Unterschied besteht? fiel er ein.

Wenn ich von Ihnen hörte, fuhr sie fort, geschah es durchgehend von Personen, die Sie verwünschten, und was ich von Ihnen las, schien mir das Gepräge eines finsteren, unversöhnlichen Charakters zu tragen. Ich dachte mir Sie als einen entsetzlichen, heftigen, rauhen Mann, und beklagte aufs Tiefste das Schicksal meiner armen Clara. Sie sehen, daß ich aufrichtig bin.

Ich sehe und höre es mit Vergnügen, erwiederte Dahl, denn ich bin gewiß, Sie haben Ihr Urtheil geändert.

Allerdings, fuhr das Fräulein fort, aber glauben Sie nicht, daß ich darum freundlicher gestimmt bin. – Bei unserem kurzen Beisammensein habe ich mich überzeugt, welche Mühe Sie sich geben, Ihre Gesinnung in diesem Kreise – nicht zu verbergen, denn dazu sind Sie zu stolz – aber in einer überlegenen Nichtachtung anschaulich zu machen. Ich müßte mich irren, oder Sie haben Clara Ihr Wort gegeben, zu schweigen, und Sie halten es wie der Löwe, der seine Mähnen von kleinen Hündchen zausen läßt, ohne sich zu rühren. – So wenigstens kam es mir vor, rief sie lachend aus, und so deutete ich Ihre Blicke, die von Zeit zu Zeit so geringschätzig auf verschiedene Glieder dieser werthen Gesellschaft, endlich aber auch – auf mich selbst fielen.

Jetzt glaube ich allerdings an Ihre feindliche Gesinnung, Fräulein Uttenhofen, sagte Dahl.

Wirklich, mein Herr! – Gut, spotten Sie weiter, aber wissen Sie, daß ich mich dadurch nicht irren lasse. – Ich bin eine Aristokratin; gewiß, das bin ich. – Aus dem Wenigen, was Sie geäußert haben, sehe ich, daß Ihre Grundsätze meinen Begriffen von Recht, Treue, Volksglück und dem Leben in Staat und Familie ganz widerstreben. – Wenn ich mit Clara mein altes Freundschaftsbündniß erneuere, kann es nicht fehlen, daß ich dabei meine Gedanken geltend mache. Hüten Sie sich vor den Folgen!

Dies Gespräch war zwischen Beiden geführt worden, während die Nahesitzenden sich lebhaft unterhielten, ohne sie zu beachten.

Also, sagte Dahl lachend, indem er sein Glas aufhob: Auf unsere Feindschaft, mein gnädiges Fräulein Aristokratin!

Auf unsere Feindschaft! mein Herr Demokrat, erwiederte sie in derselben Weise, die ein Gemisch von Scherz und Ernst war.

Und auf die Hoffnung unserer Versöhnung, fügte er hinzu.

Auf die Hoffnung Ihrer Besserung und Bekehrung, gab sie zur Antwort.

Die Stühle wurden gerückt, die Gesellschaft war in der besten Laune und Dahl so übermüthig, wie man ihn lange nicht gesehen hatte. In früherer Zeit war er einer der Heitersten unter den Heiteren, sein Erscheinen brachte den Frohsinn in alle Kreise. Er scherzte seine Sorgen und Stimmungen fort, so hatte ihn Clara kennen gelernt; plötzlich erschien er ihr in der alten Weise, die ihn so liebenswürdig machte, es war ihr wie Frühlingssonnenschein nach langen Regentagen.

Mit einem Gefühle des Glücks im Herzen wandte sie sich daher an die Freundin und ging mit ihr durch die Zimmerreihe auf und ab. – Nun, sagte die junge Frau, Antonien umarmend, Du hast Dich gut unterhalten, wie ich gesehen habe. Ihr habt viel gelacht und zuletzt angestoßen auf dauernde Freundschaft, wie ich denke. Wenn Hugo will, ist er unwiderstehlich, Du aber hast einen merkwürdigen Zauber auf ihn geübt, denn so fröhlich und unterhaltend habe ich ihn lange nicht gesehen. – Wie gefällt er Dir?

Du bist also glücklich in Deiner Ehe, theuere Clara? fragte Antonie, ohne die erste Frage zu beantworten.

Recht glücklich, o! ganz glücklich, würde ich sagen, wenn nicht die Zeit jetzt so mancherlei Störungen mit sich brächte.

Die Zeit? erwiederte das Fräulein von Uttenhofen vor sich hinsehend, die Zeit ist unschuldig, sie ist unwandelbar dieselbe; aber die Menschen sind es, die ihre Ruhe stören.

Freilich, die Menschen, rief Clara lachend, sie machen die Zeit, oder die Zeit macht sie, wie Hugo sagt.

Und er, fuhr Antonie fort, hat sich wild in den wilden Strom gestürzt und die Ufer verloren, wo man im Frieden sein Haus bauen kann.

Du meinst Hugo? fragte die junge Frau. Ja, das ist mein Kummer. Früher lebte er mir ganz; jede freie Stunde war mein. Jetzt hat das öffentliche Leben ihn so viel beschäftigt, daß meist nur wenige Minuten ihm für mich übrig bleiben.

Er vernachlässigt Dich also?

Ach nein, so kann ich es nicht nennen. Er ist übermäßig beschäftigt. Seine Arbeiten sind anstrengend, aber seine Arbeitskräfte ungeheuer, wie Alle sagen. Worunter Andere seufzen würden, das ist ihm ein Spiel. Nun kommt dazu, fuhr sie mit lächelndem Stolz fort, daß er ein politischer Mann geworden ist. Sein Name ist ja bekannt genug. Er ist die erste Stütze seiner Partei, die ihn umringt und auf ihn sieht. Von allen Seiten wird er in Anspruch genommen, aus dem ganzen Lande kommen Briefe, überall soll er Rath geben, und dazu die vielen Besuche, die Versammlungen und Besprechungen.

Sie sind die Ursache des allgemeinen Hasses, der ihn trifft, sagte das Fräulein.

Aber auch die Ursache der Liebe und Verehrung, welche er besitzt, rief die junge Frau.

Wer verehrt ihn? fragte Antonie stolz. Die Ersten und Besten seines Volks? Nein. Die Menge, der rohe Haufen, die Unruhestifter! Ich will Dich nicht betrüben, theure Clara. Er ist Dein Gatte, Du liebst ihn, Du bist vielleicht sehr stolz auf seinen Ruhm und kannst stolz sein auf seine großen Gaben. Laß uns davon abbrechen.

Die junge Frau erröthete. Du hast meine Schwester eher gesehen und gesprochen als mich, sagte sie; ich fürchte, man hat Dir Nachtheiliges von meinem Manne erzählt.

Nichts Nachtheiliges, liebe Clara, was ich nicht schon wußte.

O! es kommt viel darauf an, wie man es darstellt, fuhr die Freundin fort. – Es ist wahr, ich bin zuweilen betrübt und unwillig auf ihn. Ich bedaure, daß jene Zeit vorüber gegangen ist, die so schön war, und bedaure noch mehr, daß wir jetzt dadurch in so viele Zerwürfnisse gerathen.

Mit Deiner eigenen Familie, sagte das Fräulein.

Durch Seilers Schuld, erwiederte sie. Meine Schwester sowohl, wie er, sie haben den Onkel aufgeregt, der doch immer sagte, jeder Mann müsse zu seiner Meinung stehen und den Muth einer Meinung haben. Theile er auch die nicht, welche Hugo vertrete, so müsse er ihn doch achten. – Auch er ist nun gegen uns, und ich sehe es deutlich, wie der Tag kommen wird, der uns trennt.

Die tiefe Traurigkeit, mit der sie dies sagte, und das leise Zittern ihrer Stimme hatten etwas unbeschreiblich Rührendes. Antonie betrachtete sie mit einem Blick voll Theilnahme, dessen sanfter Ausdruck aber schnell sich wieder verlor.

Höre, liebe Clara, sagte sie, ich will Dir gestehen, daß ich die Absicht habe, Dir zu helfen, wenn ich irgend es vermag. Du bist mir immer lieb und werth gewesen, und wenn ich zu Haus allein war und an Dein Schicksal dachte, kam es mir stets furchtbar vor.

Warum furchtbar? fragte die junge Frau aufblickend. Ich verstehe nicht, was Du meinst.

Vermagst Du denn die entsetzlichen Grundsätze Deines Mannes zu theilen? rief das Fräulein.

Wenn ich ihn höre, erwiederte Clara lächelnd, so scheint mir Alles, was er will, so wahr und recht, daß ich ihn bewundern und verehren möchte. Freilich, wenn ich sehe, wie er dafür verfolgt wird, wie Andere denken, wie er im ewigen Streit und Hader lebt, gereizt, beleidigt und beleidigend, so bin ich voller Vorwürfe und voll Unmuth. Aber dieser Mann, der so stolz ist, daß er nichts fürchtet, ist sanft und gut gegen mich, wie ein Kind. Du weißt nicht, wie gut er ist, sie wissen es Alle nicht, aber ich, ich weiß es.

Sie sah bewegt ihre Freundin an und sagte dann leiser:

Daß er heut Alles über sich ergehen ließ, Alles geduldig hinnahm, was ihn traf, hat er mir versprochen und hat es gehalten. Er liebt mich aus voller Seele und ich lehne mich an ihn. Ja, es fällt mir schwer, ihm ernstlich zu zürnen, denn wir Frauen mögen es anstellen, wie wir wollen, der geliebte Mann wird uns immer beherrschen, wir werden das, wozu er uns macht.

Ein abweisendes, stolzes Lächeln der Freundin war die Antwort.

Liebes Kind, sagte sie dann, ja, Du bist ein unschuldig Kind, Clara, Du siehst nicht – wie er mit Dir spielt, wollte sie sagen, aber sie unterdrückte das harte Wort – Du siehst nicht, welche Macht Du üben kannst, wenn Du willst, fügte sie hinzu. Wir werden, was der Mann aus uns macht? sagst Du. Nun ja, es mag so sein, aber auch die Männer werden, was wir aus ihnen machen, wenn wir wollen. Du hast ein Beispiel heut erst davon erhalten. Dein Mann hat Deinen Bitten Folge geleistet und Du siehst die glücklichen Wirkungen. Glaube mir, der Einfluß einer klugen Frau ist größer als Alles, was Männer vermögen, und wenn Deine Zukunft glücklich sein soll, mein armes Kind, so bist Du es allein, die dies Wunder bewirken kann.

Du glaubst, ich könnte Hugo seinen Ueberzeugungen abtrünnig machen? rief die junge Frau erschrocken. – Unmöglich!

So sagst Du, rief das Fräulein; aber sind nicht die größten Glaubenshelden schon oft zur Abschwörung vermocht worden, und jener kirchliche Fanatismus ist doch wenigstens von derselben Stärke wie der politische. Was Du thust zu seiner Bekehrung, fuhr sie fort, thust Du freilich nicht zu seinem Eingange in das Paradies, aber gewiß auch zu seinem Seelenheil. Du versöhnst ihn mit den Menschen, mit dem Staat, mit seinem Fürsten, versöhnst ihn mit Deiner Familie, mit Dir selbst. – Siehst Du denn nicht, wohin seine Bahn führt? – Zum Untergange, zu einem großen schrecklichen Schiffbruch Deines Glücks. Du rettest ihn und rettest Dich; thue es, ehe die Wellen über Euch zusammen schlagen, ehe es zu spät ist.

Wie meinst Du das? fragte Clara mit steigender Angst. Was ist denn geschehen? Was kann ihm geschehen?

Meinst Du denn, sagte Antonie, daß die, denen die Macht gegeben ist, diese Empörer und Verbrecher lange noch dulden werden? Glaubst Du, daß man es ruhig erträgt, wie sie fortgesetzt alle gesetzliche Ordnung und Sicherheit, alle Ehrfurcht vor dem, was den Menschen heilig ist, untergraben und umstürzen?

Niemand kann Gesetz und Recht höher achten als Hugo! fiel die junge Frau ein.

So sagst Du, aber frage doch die Anderen; sieh doch um Dich, wie man ihn meidet, wie man urtheilt, wie man droht und wie die, zu denen er gehört, sich mit Abscheu fortwenden.

Aber was soll ich thun, was kann ich thun?! rief Clara erschüttert.

Entgegenwirken, ihn zur Umkehr bewegen! – Beruhige Dich, ich besuche Dich morgen, wir wollen vereint den rechten Weg finden. Jetzt sei heiter. Ich habe es mir in den Kopf gesetzt, diesen harten Mann zu bekehren, und bringe Muth dazu mit, wie die Priester des alten Gottes, die vertrauensvoll durch die Wüste zogen. – Sei getrost, theure Clara, wir werden siegen.

So gingen die beiden Damen Arm in Arm zur Gesellschaft zurück.


3.

Nach einigen Tagen saß Dahl eifrig arbeitend in seinem Zimmer, als der Onkel hereintrat, der Dahls Knaben auf dem Arm trug, während die junge Mutter mit lächelndem Gesicht folgte.

Da bringe ich den Herzensjungen, rief der alte Herr, dem Neffen die Hand schüttelnd, er will seinen Papa sehen. – Da, sieh Junge, Du hast einen tüchtigen Vater. Nimm Dir ein Beispiel an ihm, und doch auch wieder kein Beispiel, das heißt, werde wie er ein wackerer Mann, aber werde kein Weltumkehrer, der mit dem Kopf durch die Wand will.

Dahl lachte, während sich der Director setzte, und sagte dann: Es kommt darauf an, ob sein Schädel so hart ist, daß er die Wände wirklich damit einrennt.

Nun, erwiederte der alte Herr, und was hat man an zerbrochenen Mauern? Ein Haus, in welchem man nicht wohnen kann. – Ich soll Sie einladen, Dahl, ich habe es übernommen. Sie sollen heut Abend bei Seiler sein.

Das Gesicht des Obergerichtsraths verfinsterte sich. Ich bin entschlossen, nicht wieder zu Seiler zu gehen, sagte er, wenigstens jetzt nicht.

Ach, Possen, rief der Director. Ihr seid nahe Verwandte, Ihr müßt Euch nicht trennen und anfeinden.

Das ist auch fern von mir, erwiederte Dahl.

Sie treffen Ihren Freund Grimnitz dort und das Fräulein Uttenhofen, fuhr der alte Herr fort. Aussöhnung, Verständigung, das ist jetzt die Hauptsache, darnach ruft man von allen Seiten, und der ist ein Thor, der auf dem durchlöcherten Wrack bleiben will, während Alles sich auf's feste Land flüchtet. – Man lebt neu auf, die Majorin hat ganz Recht, und Sie, Dahl, Sie müssen auch wieder aufleben. – Keine Widerrede! sagte er, als der Neffe antworten wollte, Seiler streckt die Hand versöhnend aus; wir Alle wollen Ihnen wohl, wollen die Dissonanzen fortjagen, Frieden schließen, und dazu bietet sich jetzt die Gelegenheit.

Er schien noch etwas Wichtiges beifügen zu wollen, besann sich aber und begann von Anderem zu sprechen.

Nachdem er eine Weile über häusliche und Vermögensverhältnisse geredet hatte, sagte er:

Ihr wohnt hier zu einsam und zu beschränkt, gebt keine Gesellschaften und haltet Euch zurück. – Woran liegt das, Dahl? – Sie haben ja Vermögen und Gehalt? – Es mangelt doch nicht?

Es reicht zu dem, was wir nöthig haben, überflüssig hin, sagte Dahl.

Aber Hugo hat manche Verluste gehabt, fiel die junge Frau ein, zudem gibt er, so viel er kann.

Aha, Gleichheit und Brüderlichkeit! rief der alte Herr scherzend, ich glaube wohl, daß es Geld kostet. Nun, das wird sich ändern, und ich will dazu beitragen, nur – zum Henker! es muß heraus – nur möchte ich nicht, daß Eure Klubs und Vereine oder Eure Herren Demokraten mein Geld verzehrten. – Ich will Euch einen Vorschlag machen. Zieht in mein Haus, ich räume Euch das ganze untere Stockwerk ein.

Ach, Onkel, sagte die Nichte erfreut.

Was gibt's da zu Onkeln! fuhr er gemüthlich fort. Ihr seid ja doch meine Erben. Seiler bekommt seinen Jahreszuschuß; der hier – er deutete auf Dahl – hat nichts gewollt, weil er meinte, er könnte seine Frau selbst ernähren; aber ich will kein Unrecht, ihr sollt die Wohnung haben und das Uebrige wird sich finden.

Dabei schloß er die kleine Frau in den Arm, gab ihr einen Kuß auf die Stirn und einen andern auf den Mund, reichte ihr den Knaben und griff nach seinem Hut.

Also kommt nicht zu spät, sagte er, und hören Sie, Dahl, machen Sie mir keine Querstriche. – Ich will, Ihr sollt gut zusammen stehen –

Mit Seiler? fiel Dahl ein; wir stehen wirklich so gut, wie es irgend angeht.

Das heißt, drei Schritt vom Leibe, oder womöglich eine halbe Meile.

Es gibt ja viele Menschen, mit denen man die beste Freundschaft hält, wenn man sie nicht sieht, meinte der Obergerichtsrath lachend.

Aber die da sind Schwestern, rief der Director gereizt. Alle Wetter! über den Juristen, der ewig widersprechen muß. – Sie wissen nicht, wie Seiler Sie achtet, was er von Ihren Fähigkeiten denkt. Also es bleibt dabei. Und kommt nicht später, wie es sein muß; nicht so wie neulich, wo beinahe wegen Euch eine Hungersnoth ausgebrochen wäre.

Als er fort war, setzte Dahl seine Arbeiten fort, bald aber kehrte Clara zurück, legte den Arm um seinen Nacken und sagte, ihn freundlich anblickend: Du siehst so finster aus, als wäre Dir etwas recht Böses geschehen.

Das ist es auch, erwiederte er. Diese Einladung ist mir im höchsten Grabe fatal.

Du darfst sie nicht ausschlagen, flüsterte sie bittend.

Ich habe die größte Lust, mich krank zu melden.

Willst Du Oel ins Feuer gießen, Hugo? Es brennt, wie ich glaube, hell genug.

Aber, sagte Dahl, die Feder niederlegend, es wäre dennoch das Beste. Was soll die Heuchelei! – Seiler weiß zu gut, wie ich von ihm denke; ich habe es ihm so bündig bewiesen, seine gemeine Natur so vollständig anatomirt, daß er ins Museum geschickt werden könnte. Ehrgeizig, bedientenhaft, zu allem fähig, wo er Vortheil sieht, flößt dieser Mensch mir den tiefsten Ekel ein, und macht es mir unmöglich, ihn zu ertragen.

Du vergißt, sagte Clara, daß er bei alledem ertragen werden muß, daß er Dein Schwager ist.

Das vergesse ich nicht, fiel Dahl ein, nur glaube mir, er vergißt es noch weniger. Alles, was er thut, ist berechnet, und hinter dieser Einladung steckt ohne Zweifel irgend eine Nichtswürdigkeit.

Ich bin gewöhnt, Dich übertreiben zu hören, rief Clara sich abwendend, und leider nimmt Dein Mißtrauen immer mehr zu.

Weil ich so viele traurige Erfahrungen mache, sagte Dahl seufzend, die Hände auf sein Gesicht deckend, und ach! – er richtete sich auf und streckte die Arme nach ihr aus – Sieh mich doch an, fuhr er sanft fort. Nein, Du wirst ihnen nicht glauben, Du weißt, wie lieb ich Dich habe, wie sich mein letztes Glück an Dein Herz rettet.

O! theurer, lieber Hugo, rief die junge Frau, sich in seine Arme werfend, welche Zweifel, welche Sorgen quälen Dich? Wie bleich bist Du, und Deine Augen so trostlos, Deine Hände kalt, Du zitterst! Warum? Um des Himmels willen, sage mir, was Dich drückt!

Er ließ es geschehen, daß sie mit überströmender Liebe das Haar von seiner Stirn strich, ihm bittend in die Augen sah, seinen Kopf mit beiden Händen faßte und ihn wiederholt heftig küßte. – Nach langem Schweigen war er ruhig und sagte lächelnd:

Ich glaubte in die Zukunft zu sehen und erstarrte vor Schmerz. – Aber dieser Seiler, glaube mir, Clara, er ist innerlich so schlecht und falsch, daß er das Schlechteste begeht, und Deine Schwester hilft ihm so treulich dabei, wie eine Frau dem Mann helfen muß. Sie ist eitel und charakterlos, neidisch und hochmüthig.

Verleide mir meine Schwester nicht, bat sie begütigend. Groß lieb haben wir uns nie gehabt, herrschsüchtig war sie immer, und da Ihr Euch nicht mochtet, sind wir weit genug aus einander gekommen; aber unedel und gemein habe ich sie nie gekannt.

Du wirst sie kennen lernen, erwiederte Dahl mit Ueberzeugung. Ich will Dich nicht weiter betrüben, ja, ich will sogar, Dir allein zur Liebe, mich überwinden und heut Abend ihr Gast sein, so unbefangen ich es zu sein vermag; doch ich weiß, daß es besser wäre, ich thäte es nicht.

Du kluger Mann, sagte die junge Frau schmeichelnd, Du, von dem alle Freunde rühmen, daß mitten im Gewühl der Leidenschaften Dich die Selbstbeherrschung nicht verläßt; der sich zu bezwingen weiß, um seine Gegner durch die höhere Gewalt der Ruhe und der Unverletzbarkeit nieder zu schmettern; Du willst Dich vor einer Gesellschaft fürchten, in welcher Keiner Dir ebenbürtig ist? Mache es, wenn Du willst, wie neulich beim Onkel. Lächle über ihre Sarkasmen, behandle sie mit Schweigen, aber ziehe Dich nicht vor ihnen zurück.

Und doch hast Du mir am Tage nach jener Gesellschaft gesagt, daß ich beleidigend gewesen sei, lachte Dahl; daß ich mit meinen spöttischen Mienen, meinem Achselzucken und ironischen Schweigen zu verstehen gegeben habe: ihr Alle seid von der Art, daß ich es nicht der Mühe werth finde, ein Wort zu verlieren.

Ja freilich, rief Clara erröthend, aber dennoch – ich fühlte es wohl, wie Du uns betrachtetest; aber Hugo, wenn Du auch glaubst, mit mir selbst, wie mit einem Kinde zu spielen – Andere empfinden dies als eine Herabwürdigung, und sie hassen Dich dafür mit vermehrter Stärke. Du weißt nicht – sie schlug die Augen nieder, ihre Gedanken schienen sich zu verwirren, endlich fing sie an zu weinen und lehnte den Kopf an seine Schulter.

Dahl hatte sie nachsinnend betrachtet, und seine Blicke, die fest an ihren Lippen hingen, brachten diese Verwirrung hervor.

Wer war es, sagte er leise, der Dir diesen häßlichen Gedanken zuflüsterte? Ich Dich als Kind betrachten? Ich Dich erniedrigen?! – Ich! – Ich! – Er drückte sie heftig an sein Herz und rief mit unterdrückter Stimme: Ja, wie ein Vater sein einziges Kind festhält, seinen größten Schatz, den ihm der Himmel gegeben hat, so halte ich Dich in meinen Armen, und wehe dem, der Dich mir rauben will! – Großer Gott! weißt Du denn noch nicht, daß ich meines Lebens Seligkeit freudig hinwerfen könnte für Dich? Weißt Du nicht, daß ich tausend Mal sterben könnte, um Dich glücklich zu sehen? Weißt Du nicht, daß ich Dich liebe, und Du kannst sagen, daß ich Dich herabwürdige?!

Noch nie hatte Clara ihren Gatten so tief erregt, so von Schmerz und Leidenschaft verschönt gesehen. – Sein Gesicht hatte sich geröthet, seine Augen strahlten ein tiefes Feuer aus, und dies schien seine Züge zu reinigen und zu verklären. – In diesem Augenblick füllte die Liebe ihr ganzes Herz aus. Sie sah es mit wonnigem Entzücken, wie des geliebten Mannes ganzes, oft so starres Wesen in der einen mächtigen Empfindung sich auflöste, und lange berauscht von diesem Glück der Erkenntniß hielt sie ihn umschlungen und bedeckte ihn mit Küssen. –

Bald aber erwachte neben diesem süßen Hingeben ein Stolz auf den Zauber, den sie über ihn ausübte, sie lächelte bei dem Gedanken an ihre Macht, und plötzlich fiel ihr ein, was Antonie gesagt hatte: der Einfluß einer klugen Frau ist größer als Alles, was Männer vermögen! – Du mußt ihn mit den Menschen versöhnen, mit Deiner Familie, mit Eurer Zukunft! – Dieser Gedanke verknüpfte sich rasch mit anderen, und leise richtete sie sich auf, legte die Hand zärtlich auf seine Stirn und sagte:

Ich muß für Dich mit sorgen, mein Hugo, und glaube mir doch, daß ich es treu und redlich meine. – Du zerstörst, wo Du bauen willst, und denkst nicht daran, wie sehr Du Dir schadest, ohne etwas zu erreichen. – Dein Vermögen hat sich durch Unfälle bedeutend verringert, Du hast es mir nicht verschwiegen; dabei hast Du über Deine Kräfte gegeben, unterstützt, Undankbaren wohlgethan, und was ist die Folge? Du bist verfeindet, getrennt von Allen, die Dich früher ehrten und Deine Stellung förderten. Jetzt wirst Du von ihnen gehaßt, sie trachten Dir nach Ehre und Ansehen, und wenn es so fort geht, ach! Hugo, ich sehe die Stunde kommen, wo man Dich ausstößt, Dich vom Amte bringt, mit Schmach überhäuft! –

Sie deckte die Hände vor ihr Gesicht.

Und könntest Du nicht mit mir auch Armuth und ehrenhaftes Unglück ertragen? fragte er leise.

Diese Frage verwirrte sie. –

Ob ich es könnte? sagte sie, o! ich könnte Alles für Dich; aber, theurer Mann, warum soll solch mitleidwerthes Loos über uns kommen? Wer wird es Dir danken? Wer wird die Thränen der Leiden vergüten, wer die Last von Dir nehmen – und ich, und Dein Kind, hinirrend durch die Welt, verfolgt, verachtet, verspottet! – Mein Gott! wenn ich mir das denke.

Ein schmerzhaftes Lächeln lief durch Dahls blasses Gesicht. Er sah traurig und düster aus, aber er sagte mit tröstender Gewißheit: Sieh' nicht so schwarz in die Zukunft, Clara, Du erblickst Gespenster, wo es keine gibt. Ein Mann muß leiden können für Wahrheit und Recht.

Aber er muß auch bedenken, daß Andere mit ihm leiden, fiel sie ein.

Du hast Recht, erwiederte er leise, vielleicht habe ich das bis jetzt zu wenig bedacht.

Ach! Du machst mich glücklich durch dies Wort. Und wie leicht ist es Dir einzulenken, wie es so viele thun.

Und was soll ich denn thun? fragte er lächelnd mit großer Anstrengung.

Ein kluger Mann weiß sich zu fügen, und mit dem Kopf kommt man nicht durch die Wand, rief sie aus, die Worte des Steuerdirectors wiederholend. Laß uns heut zu Seilers gehen. Du siehst, wie gut es der Onkel mit uns meint. Ich liebe den Schwager auch nicht, aber man kann doch mit ihm fertig werden.

Du willst also, ich soll meiner Fahne abschwören?

Nein, Du sollst Dich nur mäßigen, den ruhigen Weg gehen, nichts übereilen wollen.

Das heißt, mich ducken, rief er lachend. Du hast ja plötzlich viele Stich- und Schlagwörter der ruhigen, ordentlichen Leute gelernt!

Du weißt, sagte Clara, ihn umarmend, beim Sturm wird der Eichbaum umgerissen, das Schilf aber bleibt am Leben.

Und Du willst, ich soll Schilf werden. Nun meinetwegen, wir wollen sehen, was ich darin leisten kann. Aber steh' mir Rede, Clara. Wer hat Dir alle diese Zweifel erregt?

O! theurer Hugo! –

Vertraust Du noch, daß ich bin, der ich war, fuhr er mit höherer Erregtheit fort: der Mann, dem Du einst sagtest: Ich will mit Dir theilen, alles irdische Glück und Leib, ich liebe und verehre Dich, Du kannst nichts Unrechtes begehen?!

So liebe ich Dich, so vertraue ich Dir noch jetzt! flüsterte sie in seinen Armen.

Dann wollen wir getrost zu Seiler gehen, Du sollst mit mir zufrieden sein.


4.

Am Abend war die Gesellschaft in den glänzenden Räumen des Geheimraths beisammen. Grimnitz wurde erwartet, Seiler hatte den Damen viel von ihm erzählt und sie neugierig gemacht.

Das ist ein Mann nach Ihrem Geschmack, Fräulein Antonie, sagte er. Da er alle schöne Augen von jeher auf sich zog durch seine Erscheinung, und alle Herzen bezauberte durch seine galanten Huldigungen, wird er Sie gewiß interessiren.

Ich bin nicht leicht zu befriedigen, erwiederte das Fräulein lächelnd.

König ist der, der den Augen gefällt! rief Seiler, obwohl man Beispiele hat, daß Männer, die eben nichts Anmuthiges haben, auch gefallen können, weil nichts wunderlicher ist, als der Geschmack der Frauen.

Er that dabei einen Seitenblick auf seinen Schwager, der einen ganzen Kreis von Damen um sich versammelt hatte, die sehr belebt schienen. –

Aber scherzen Sie nicht, fuhr er dann fort, Grimnitz wird auch Ihre strenge Kritik befriedigen, denn außer dem hübschen Gesicht und der eleganten Gestalt, besitzt er Urtheil, Verstand und Kenntnisse und – haßt und verachtet unsere Volksregenten und Beglücker des souverainen Gesindels mit diplomatischer Unerbittlichkeit.

Das überrascht mich nicht, sagte die Uttenhofen; ich möchte den Diplomaten sehen, der sie liebte.

Nun, meinte Seiler, man kann Demokrat und Diplomat sein. Die Franzosen haben in ihrer Revolutionszeit wilde Jakobiner zu Gesandten gemacht, die ihre Posten vortrefflich ausfüllten, und in Amerika regiert noch immer die Demokratie das Land.

Wir leben in Deutschland, Herr Geheimrath.

Da haben Sie Recht, und eben weil wir in Deutschland sind, können wir behaupten, die Demokratie bestehe aus Gesindel, das jeder ehrliche Mann hassen und verachten muß.

Das Fräulein war boshaft genug, den Kopf nach Dahl umzuwenden und dann den Geheimrath scharf anzublicken, was dieser sehr gut verstand.

Gewiß, sagte er, mit einem spöttischen Zucken der Lippen, es gibt Ausnahmen, die soll es ja selbst unter den Teufeln geben.

Das heißt, neben den boshaften auch dumme Teufel, doch immerhin Teufel, die man hassen muß.

Und sind die Fantasten, die Ideologen, die Schwärmer und Jugendritter unter den Demokraten nicht eben so hassenswerth, wie die wilden Fanatiker und Blutsäufer? rief der Geheimrath lachend.

Angenommen, erwiederte sie, aber darf ich fragen, zu welcher Klasse Dahl eigentlich gezählt werden muß?

Liebenswürdige Antonie, flüsterte Seiler, das ist eine harte Frage, aber aufrichtig gesagt, Dahl gehört eigentlich gar nicht dorthin. Er ist früher weit entfernt davon gewesen. Nie habe ich ihn exaltirt gesehen; er war ein klarer Kopf; scharf blickend, ein ausgezeichneter Jurist, dabei witzig und pointenreich, immer aufgelegt, heiter und unterhaltend zu sein. Die Verhältnisse haben plötzlich auf ihn eingewirkt; er hat einen demokratischen Sonnenstich bekommen, den Veitstanz mitgetanzt und schämt sich jetzt, davon abzulassen, nachdem er so viele Blicke auf sich gerichtet hat. Aber ich habe Hoffnung –

Daß er zu uns übergeht? fiel sie rasch ein.

Daß er zur richtigen Einsicht der Verhältnisse gelangt, sagte Seiler, zu unser Aller innigster Freude, denn Sie glauben nicht, was wir dabei leiden.

Die heuchlerische Betrübniß in seinen Mienen wurde von dem Fräulein mit einem kalten Blicke beantwortet. Sie wendete ihr Gesicht ab, als wolle sie ihre Empfindungen verbergen. –

Ich muß Ihnen sagen, begann sie dann, daß ich Ihre Hoffnungen nicht theile.

Das wäre sehr zu beklagen. Aber warum diesen Unglauben an Dahls Verstand?

Ich halte Ihren Herrn Schwager für einen Mann von großer Energie und unbeugsamen Entschlüssen. Sein Charakter scheint mir zu jenen eisernen zu gehören, die keine Rücksichten kennen und keine Gefahr achten. Das ist außerordentlich hoch zu schätzen, ich gestehe es ein. Es erwärmt, einen Mann zu sehen, der kühn und furchtlos, an seinem Platz steht, keiner Bestechung feil ist, um keine Krone seine Ueberzeugungen aufgibt.

Nun wahrhaftig, rief der Geheimrath mit spöttischem Erstaunen, eine solche Lobrede auf Dahls Tugenden hätte ich nie von Ihnen erwartet. Sie bewundern ihn ja!

So viel ich es vermag, sagte das Fräulein, und ich bekenne, so ruhig, bestimmt und sich bewußt habe ich noch keinen Menschen gefunden. Als ich ihn nicht kannte, fand ich seine Handlungen fanatisch und empörend, jetzt sehe ich ein, daß er nicht anders kann. Wollen Sie seine Irrthümer ihm nehmen, so kann es nur dadurch geschehen, daß er sich überzeugt, er gehe im Finstern: schlagen Sie einen andern Weg ein, so wird er noch mehr verdorben.

Sie sind auch eine kleine Ideologin, meinte Seiler. Sehen Sie die Welt nicht durch buntes Glas, sondern wie sie ist. Man muß praktisch sein, um das zu kennen. – Da kommt Grimnitz, ich will ihn zu Ihnen führen.

Er ging dem Legationsrath entgegen, der eben in die Thür trat; Antonie hatte Zeit zum Beobachten und Vergleiche zu machen, und that dies nicht ohne Mißtrauen. Grimnitz bewegte sich mit der Ueberlegenheit des Mannes in dieser Gesellschaft, der gewöhnt ist, die Ersten und Stolzesten als seines Gleichen zu betrachten. Er fand hier einen Kreis, der mannigfach auf Rang und Ansehen in der Gesellschaft Anspruch machte, allein es war dennoch immer die zweite und dritte Klasse, und Antonie glaubte zu bemerken, daß bei aller Höflichkeit und Feinheit der vornehme Herr sie mit einer gewissen noblen Herablassung behandelte.

Erst als er mit Dahl zusammen traf und ihm die Hand reichte, verlor sich ihre Bemerkung. Der Obergerichtsrath war einen halben Kopf größer. Mit breiten Schultern und hoher Brust stand er vor dem eleganten Grimnitz wie ein Riese, nachlässig den Arm in der Tasche seines Kleides und seine Augen ausdrucksvoll auf den Sprechenden gerichtet. – Er war nicht schön, nicht fein, nicht gelenkig; seine eckigen Bewegungen paßten zu der demokratischen Gestalt; sein breiter Backen- und Kinnbart wucherte wild auf; nichts an ihm war gepflegt und mit regelrechter Sorgfalt behütet, und doch strömte etwas über diesen ganzen Mann, das, wie ein glänzender Schein von Hoheit und Würde, ihn einschloß. – Seine breite Stirn war bewunderungswürdig klar und edel gewölbt, seine klugen Augen von eigenthümlicher Anziehungskraft, doch es war nicht das Einzelne, sondern das Ganze, was ihn aus seiner Umgebung hob und hier, Grimnitz gegenüber, sank dieser mit Allem sichtlich vor einer anderen Art Ueberlegenheit, die rein geistig genannt werden mußte.

Nach einigen Augenblicken kam Grimnitz von Seiler begleitet, und während der nächsten halben Stunde hatte Antonie Gelegenheit, seine Vorzüge in der Unterhaltung kennen zu lernen. Grimnitz schien Gefallen daran zu finden, er blieb bei dem Fräulein sitzen, welche wohl die geheimen neidischen Blicke mancher Anderen über diesen Vorzug bemerkte. –

Sie lächelte darüber, denn sie sagte sich, daß sie keinen Grund darin finde, stolz zu sein. Der feine Herr wurde von ihr nicht höher betrachtet, als jeder Andere, sie behandelte ihn um kein Haar besser, doch gerade diese Ungezwungenheit, vom Selbstbewußtsein unterstützt, mochte den Diplomaten mehr fesseln, als alle Bewunderung und das Entgegenkommen, das ihm so oft zu Theil wurde. Er hatte von Seiler gehört, daß dies Fräulein aus der Provinz unabhängig und reich sei; der Geheimrath hatte es mit einer gewissen ausdrucksvollen Pfiffigkeit gesagt; er fand nun, daß die Erbin keinesweges blos Geld habe, sondern daß ihr Gesicht, wenn nicht schön, doch pikant sei, Geist verrathe und die sterile Blödigkeit der Damen vom Lande ihr durchaus nicht anklebe. –

Aus allen diesen Gründen hatte er das Gespräch verlängert, auf Antworten folgten Antworten, die Gegenstände wechselten leicht und gefällig, bis plötzlich Clara herbeitrat und die beiden Damen sich auf Weise der innigsten Befreundung begrüßten. Clara erzählte, daß sie später gekommen sei, als Dahl, weil mütterliche Sorge sie am Bett ihres Kindes festgehalten hätte, das durch plötzliches Erkranken sie erschreckte; sie würde es vorgezogen haben, ganz bei ihm zu bleiben, wenn ihr Mann nicht so bestimmt darauf gedrungen, die Besorgniß nicht zu übertreiben.

Wir müssen ihm dafür einen Dank votiren, sagte Grimnitz. –

Dein Mann hatte Recht, meinte Antonie. So schön die Mutterliebe ist, so leicht verfällt sie dem Uebermaß. Gefahr ist gewiß nicht vorhanden.

Aber schon der Gedanke daran macht mich zittern, rief Clara. Hugo hält es für nichts, er wollte nicht einmal den Arzt rufen lassen, die Männer sind immer hart. Ich werde jedoch nicht eher ruhig sein, bis ich sehe, daß mein lieber Knabe wieder lacht.

Die Aengstlichkeit der jungen Frau gab Anlaß zum Scherz, bis Grimnitz endlich hinwarf:

Es muß ein Glück sein, von solcher Liebe als Kranker behandelt zu werden, und wäre ich mein Freund Dahl, würde ich krank werden, des liebenswürdigen Arztes wegen.

Spotten Sie nicht, erwiederte Clara, Sie wissen nicht, wie oft ich schon erschreckt worden bin. – Mein Mann ist zwar nie krank, wenn man ihn fragt; er kämpft geringes Unwohlsein stets nieder, aber finden Sie ihn nicht auffallend bleich?

Ich finde ihn, sollte ich denken, röther als sonst, sagte die Uttenhofen.

Er wechselt die Farben zuweilen fieberhaft, fuhr Clara fort. Jetzt kommt es mir wirklich vor, als hättest Du Recht. Ich fasse den Gedanken nicht, daß er erkranken könnte, und doch, wenn ich die langen Stürme und Aufregungen bedenke, denen er unterworfen ist, überfällt es mich, daß sein Körper einmal ihnen unterliegen müsse.

Oder sein Geist, murmelte Grimnitz zwischen den Zähnen.

Sei unbesorgt, erwiederte Antonie; bei höheren Naturen trägt der Geist den Körper mit sich fort, und was gewöhnliche Menschen in die furchtbarste Erschöpfung aller Kräfte stürzen würde, wird von jenen leicht überwunden und ohne allen Schaden. – Habe ich nicht Recht, Herr von Grimnitz? sprach sie lächelnd weiter, indem sie sich zu diesem wandte; sind nicht gerade ausgezeichnete Menschen dazu geeignet, die außerordentlichsten Anstrengungen zu ertragen?

Gewiß, Sie haben Recht, antwortete Grimnitz, obwohl man behauptet, daß geistige Arbeit den Körper rascher auflöst oder die Maschine mehr abstumpft, als alles andere. Wer viel denkt, lebt kurz.

Nun, sagte das Fräulein lachend, so machen die Herren Staatsminister und Diplomaten davon eine Ausnahme, da sie gewöhnlich hübsch alt werden, und doch hoffentlich nicht wenig denken.

Was ist das! rief Clara, die Hand ihrer Freundin ergreifend und drückend. Was geht dort vor? – Mein Onkel spricht mit Hugo, er ist sehr erzürnt, ich kenne diese heftigen Bewegungen – und Seiler steht daneben und zuckt die Schultern. – Was haben sie mit ihm? Ach! wenn ich mich einmischen dürfte – ich will es, es ist ein Streit. –

Bleib, flüsterte Antonie, es würde Aufsehen erregen.

Grimnitz hatte sich in den Stuhl zurückgelegt, er sprach mit einem Herrn, der sich in der Nähe befand, aber er verlor kein Wort von dem, was Clara sagte, und seine Augen hefteten sich scharf auf die Gruppe am Fenster, wo es allerdings lauter und heftiger zu werden begann, als man vermuthen durfte. Der Steuerdirector drehte sich mit zorniger Lebendigkeit her und hin. Er hielt Dahl an einem Knopf fest und schlug mit dem Zeigefinger der rechten Hand wie drohend auf die Brust seines Neffen. Zuweilen wendete er sich gegen Seiler hin, als wolle er von diesem etwas bekräftigen lassen, aber jede Antwort, welche Dahl ertheilte, schien seinen Unmuth zu vermehren. Plötzlich dröhnte die Stimme des alten Herrn bis zu Grimnitz herüber.

Es ist sinnlos, unvernünftig! rief er, Sie können nicht so unbesonnen handeln.

Dahl suchte ihn zu beruhigen. – Die Gespräche hatten aufgehört, von allen Seiten horchte man verlegen und neugierig auf den Streit.

Sehen Sie denn nicht, daß ich mit meiner Ehre es unmöglich vereinigen kann, sagte Dahl sehr ruhig. – Ich bitte Sie, lieber Onkel –

Mit Ihrer Ehre? Potz Wetter, mit Ihrer Ehre!

Gewiß, mit meiner Ehre, aber lassen wir heute die Sache auf sich beruhen.

Mit Ihrer Ehre! wiederholte der alte Herr, nicht verträglich, die ehrenvolle Stellung zu übernehmen? – Was ist denn damit verträglich? Klubs, Versammlungen, Wühlvereine, Umtriebe!

Er stieß diese Beleidigungen mit solcher Gewalt hervor, daß Jeder sie hörte, und ein plötzliches, tiefes Schweigen eintrat.

Theuerster Onkel, flüsterte Seiler, ihn am Arm wegziehend, beruhigen Sie sich; unendlich leid thut es mir, daß ich die Ursache dieses Zwiespaltes bin.

Es ist mir lieb, sagte der Director mit hochrothem Gesicht, denn ich bin jetzt endlich im Reinen und zu Ende mit meiner Rechnung.

Was ist denn geschehen? fragte Clara ängstlich. Um Gottes willen, Hugo, welche ärgerliche Verwirrung hast Du angerichtet?

Die gestörte Gesellschaft suchte so viel wie möglich die Unterbrechung zu beschönigen. Gespräche wurden gewaltsam angeknüpft, eine Fröhlichkeit durch Zwang hervorgerufen, die Keiner empfand. Die lachenden Gesichter suchten sich mit den Augen zu entschädigen und forschten gierig nach dem Zusammenhange dieser fatalen Familienscene, welche eine Fortsetzung in einem der Nebenzimmer fand, wohin Dahl seine geängstigte Frau geführt hatte.

Der Obergerichtsrath war so ruhig lächelnd hinausgegangen, als sei nichts geschehen; Seiler folgte ihm, während der alte Herr am Arm der Geheimräthin nach der anderen Seite hin sich verlor.

Sage mir doch endlich, bat Clara, was die eigentliche Ursache dieses empörenden Auftritte ist.

Die eigentliche Ursache? erwiederte Dahl. Nun, die steht vor Dir. Unser geliebter Schwager und Freund hat sich dazu herbeigelassen.

Lieber Dahl, versetzte der Geheimrath, ich habe die besten Absichten gehabt und bin aufs Tiefste niedergeschlagen über diesen Ausgang meiner Erwartungen.

Gieb Dir keine Mühe, lieber Seiler, wir kennen uns genau genug, um zu wissen, was wir von uns zu halten haben.

Du bist ungerecht gegen mich, wie gegen Alle.

So sei um so stolzer auf Deine Gerechtigkeit. Und um Dein Zartgefühl nicht weiter zu verletzen: Gute Nacht!

Wie, rief Seiler, Du willst es zum Aeußersten treiben? Du willst gehen?

Ich will Dir helfen Dein Werk vollenden, sagte Dahl, indem er sich kalt und verächtlich abwandte. Komm!

Dies letzte Wort war mit solchem befehlenden Nachdruck gesprochen, daß Clara ihren Arm in den ihres Mannes legte und maschinenartig folgte.

Starrsinniger Mensch! rief der Geheimrath, so geh' in Dein Verderben und reiße Alles mit Dir hinab, was Dich liebt, Deine Frau, Dein Kind, Deine und ihre Zukunft. Zu spät werden sie darüber jammern, wohin Du sie geführt hast.

Dahl war stehen geblieben und hörte ihn ruhig an. Du besorgter, gewissenhafter Freund, sagte er, welch ein Ehrenmann bist Du! – Wie traurig für mich, daß ich Deinen edlen Absichten nicht Folge leisten kann. Aber Du weißt es; denn wenn ich plötzlich mich verwandelte, wenn ich Deines Gleichen würde –

Was willst Du damit sagen? fragte der Geheimrath, ihn heftig unterbrechend.

Der große stattliche Mann richtete sich stolz vor ihm auf, vor seinen durchbohrenden Blicken schlug Seiler die Augen nieder. – Ich will sagen, sprach er langsam und fest, daß, wenn ich Deines Gleichen plötzlich würde, Dein ganzes Spiel verloren wäre und ein Heuchler den andern betrogen hätte.

Du wagst es – fiel Seiler, zitternd vor Zorn, ein – mir in meinem Hause zu sagen –

Warum hältst Du mich auf? rief Dahl ihm zu; thue es nicht, Du könntest noch mehr hören, was Dir den Abend verdärbe. Doch Du bist über solche Kleinigkeiten fort, also nochmals: Gute Nacht!

Regen und Wind schlugen auf der Straße den Forteilenden entgegen, aber Dahl achtete es nicht, und Clara, obwohl nur in einen leichten Seidenmantel gewickelt, den Kopf in ihr Taschentuch gehüllt, sprach kein Wort. – Sie war so entsetzt über den Auftritt, so kummervoll, und ihr Herz so gefoltert von Qualen, daß sie keine Frage that.

Nach kurzer Zeit hielt Dahl ein Miethsfuhrwerk an, und erst als dies mit ihnen weiter rollte, schien er zu bedenken, daß er der leidenden Frau eine Erklärung und Rechtfertigung schuldig sei. – Der Schein einer Laterne fiel in den Wagen, Clara hielt das nasse Taschentuch vor den Augen und schien ihre Thränen zu trocknen.

Mein armes Clärchen, sagte er, Du bist erschrocken, Du zürnest mir? Wie naß Du bist. Hier, nimm meinen Oberrock, hülle Dich ein. Ah! Vergebung, daß ich nicht mehr Rücksichten nahm, aber es war mir unmöglich, auch nur eine Secunde länger unter seinem Dache zu bleiben. Fahre rasch, Kutscher! – Du frierst doch nicht? Laß mich Dein Gesicht sehen. – Du weinst? Ja, das macht mir das Herz schwer.

Er hatte den Arm um sie gelegt, nachdem er den großen Rock um sie geworfen. Jetzt ließ er ihn sinken und ergriff die kalte Hand der jungen Frau, die wie todt in seinen heißen Fingern lag. –

Ich wußte es wohl, sprach er halb vor sich hin, daß es besser gewesen wäre, zu Haus zu bleiben.

O! wenn ich bei meinem Kinde wäre, rief Clara vorwurfsvoll. Aber bin ich nicht selbst ein Kind, gelte ich nicht dafür, werde ich nicht so behandelt?! Kann ich doch nicht einmal erfahren, was die Ursache dieser Scene ist, die uns in Nacht und Regen aus dem Hause jagt, uns dem Gespött der Menschen preisgibt, uns zum Geklätsch macht und die letzten Freunde, die wir hatten, von uns trennt.

Ich hatte noch keine Gelegenheit, Dir Aufklärung darüber zu geben, sagte Dahl, denn hätte ich es dort im Hause gethan, so würde eine neue Scene daraus entstanden sein. In Kürze verhält es sich so. – Seiler hat den Plan gemacht, mich zum vortragenden Rath im Ministerium ernennen zu lassen, und der Onkel eröffnete mir, daß es nur von mir abhänge, morgen die Berufung mit Rangerhöhung in der Tasche zu haben. – Das sollte die Brücke meiner Versöhnung mit der Regierung und der Uebergang zu einer neuen ehrenvollen Laufbahn sein. Ich lehnte ab –

Du weigertest Dich! rief Clara; o! nun verstehe ich Alles.

Ich lehnte es ab mit allen Gründen, fuhr Dahl fort, denn unmöglich konnte ich mit Ehre und Gewissen es verträglich finden, meinen Abfall mir bezahlen und abkaufen zu lassen.

Freilich, sagte sie erregt, Du bist nicht wie Andere, Du denkst nicht an Versöhnung und – denkst nicht an uns und an die Zukunft.

Du bist gereizt, wie ich sehe, erwiederte er ruhig, aber würdest Du mich noch lieben und achten können, wenn ich von der öffentlichen Stimme als ein Verräther, als ein feiler niederträchtiger Mensch gebrandmarkt würde?

Wer würde das thun? rief die junge Frau. – Menschen, die nichts zu verlieren und nichts zu hoffen haben; Männer von Verstand und Einsehen würden es nicht thun, sie würden sagen, daß Du besonnen gehandelt hast. Mein Onkel ist der ganzen Welt als einer der rechtschaffensten Männer bekannt, der sein weißes Haar mit Ehren trägt. Er kann Dir nichts rathen, was unehrenhaft ist, allein Dein Stolz sträubt sich, Du glaubst Dich zu erniedrigen, wenn Du eine Stellung einnimmst, nach der so Viele vergebens sich sehnen. – Eine Erniedrigung, Geheimrath im Ministerium zu werden! Unerhört und tief kränkend für meinen armen Onkel.

Dahl schwieg einige Minuten lang. Er hielt die Heftigkeit seiner Empfindungen gewaltsam zurück und kämpfte sie nieder. –

Du bist, begann er dann, wie Frauen sind, vom Nächsten angeregt und vom Schein ergriffen, aber siehst Du nicht den Plan, der dabei zu Grunde liegt?

Du glaubst, Seiler würde es wagen, Dich zu täuschen, und eine ganze Geschichte erfinden?

O, nein! fuhr Dahl fort, er hat nichts erfunden, denn ich weiß von anderer Seite, daß man mich wohl durch einen Titel oder eine Beförderung auf immer unschädlich machen möchte; aber Seiler weiß recht gut, daß ich nie mich so verächtlich vernichten lasse. Dennoch hat er die Sache betrieben, sich zum Vermittler angeboten, den Onkel hinein gezogen, ihm mit seinem süßen Eifer den Kopf gefüllt, bis der alte Mann überzeugt war, ich müsse die ausgestreckte Hand der Regierung ergreifen, oder ich sei nicht werth, von ihm noch angesehen zu werden. – So hat er es gut ausgesonnen und glücklich zu Ende geführt, denn der Bruch mit dem Onkel ist so vollständig, wie er sein kann.

Der Wagen hielt und beide Gatten traten schweigend ins Haus, aber schon auf der Treppe kam die Dienerin ihnen mit ängstlichem Gesicht entgegen und berichtete, daß das Kind sehr unruhig sei, erhitzt und schreiend im Bette liege und kein Mittel es still machen könne.

In wachsender Angst wollte Clara dem Mädchen sogleich folgen, aber Dahl hielt sie zurück.

Du bist naß und erschöpft, sagte er, Du darfst nicht eher zu dem Kinde, bis Du Dich umgekleidet hast und warm bist. Deine Gegenwart kann auch wenig helfen, so lange kein Arzt da ist. Beruhige Dich, ich will sogleich alle Anstalten treffen, die noth thun.

Nur widerstrebend war die junge Frau zu bewegen, dem Rathe Gehör zu geben. Dahl sandte Boten aus nach zwei Aerzten, um wenigstens eines gewiß zu sein, dann begab er sich zu dem kleinen Kranken, der in heftiger Fieberhitze lag und ihm die Aermchen bittend entgegenstreckte. Die rothe gefleckte Stirn und der heiße kurze Athem machten den Vater aufs Aeußerste besorgt, aber er wagte nicht, seine Vermuthungen zu äußern, als Clara in höchster Aufregung mütterlicher Liebe das Kind in ihre Arme schloß, es mit Küssen und Thränen bedeckte und mit zärtlichen Namen überhäufte.

Laß ihn, ich bitte Dich, sagte er endlich, sie von dem Bettchen halb gewaltsam aufrichtend. Du vermehrst seine Unruhe und sein Fieber.

Ach! wie er glüht, rief sie, wie seine Augen starr blicken, er stirbt!

Dahl führte sie fort und sagte leise: Du könntest es dahin bringen, wenn Du mit Deinem Geschrei ihn ängstigst.

Es ist also Gefahr? fragte sie entsetzt.

Ich weiß es nicht, aber es kann gefährlich werden.

Eine Stunde verging, ehe der Arzt erschien; solche Stunden sind Ewigkeiten. Clara eilte dem Manne entgegen, auf welchem alle Hoffnung ruht, und an dessen Lippen Trost und Elend hängen, und sagte mit zitternder Stimme:

Gott sei Dank, daß ich Sie sehe, Doctor; Rudolph ist plötzlich erkrankt, o! sagen Sie mir, daß ich nichts zu fürchten habe.

Der Arzt trat an das Bett, wandte sich dann zu Dahl und erklärte, daß es Scharlachfieber sei. –

Ich wollte, Sie hätten mich eher rufen lassen, meinte er dann, wahrscheinlich würden wir es leichter haben. – Das Kind muß den Tag über schon unwohl gewesen sein, jetzt ist die Entzündungsperiode eingetreten, ein Zeichen, daß der Verlauf der Krankheit ein ungestümer sein wird.

Ich wollte gleich nach Mittag zu Ihnen schicken, aber mein Mann hielt mich ab, erwiederte Clara, indem sie einen zürnenden Blick auf Dahl warf. – Das sind nun die Quängeleien, das ist meine übermäßige, belustigende Aengstlichkeit!

Ich konnte unmöglich denken, Doctor, daß der unbedeutende Anschein einen so ernsten Hintergrund hatte, sagte Dahl gewaltsam lächelnd, und Sie kennen die Frauen, man muß ihren ewigen Befürchtungen Einhalt thun.

Der Arzt schnitt den häuslichen Zwist, den er bemerkte, mit der Erklärung ab, daß allerdings Niemand sofort nach dem Arzt laufen müsse, wenn ein Kind sich unruhig zeige, und Dahl im vollen Rechte gewesen sei; aber keine Regel ohne Ausnahme, und diesmal sei wirklich eine solche vorhanden. –

Er verschrieb Arzenei, eiskalte Umschläge um Hals und Kopf, und schied endlich mit dem Trost, daß die Fieberglut gedämpft und überwältigt werden würde.

Eine unruhige, angstvolle Nacht ging langsam hin. Clara wollte Alles selbst machen, sie war durch keine Vorstellungen aus dem Zimmer zu entfernen, das kalt und luftig gehalten werden mußte. Die Muttersorge um den kranken Liebling machte sie jedoch nicht versöhnlicher gegen den Gatten, der mit musterhafter Geduld alle die kleinen Kränkungen ertrug, die sie ihm zürnend zuwandte.

Zu dem Schmerz über den offenen Ausbruch der Feindschaft mit ihrer Familie, herbeigeführt durch Dahls starren und hochmüthigen Charakter, kam nun noch die Krankheit des Kindes, deren gefährliches, rasches Fortschreiten sie ihm ebenfalls Schuld gab. Seine ruhigen, freundlichen Annäherungsversuche wurden mit kurzen Worten abgewiesen oder fanden gar keine Erwiederung; einige milde Bemerkungen, die versöhnen und aufmerksam machen sollten, brachten bittere Antworten hervor, bis endlich, als Clara erklärte, was auch geschehen möge, überall erkenne sie nur in ihm die Ursache des Unglücks, das sie verfolge – er aufstand und schweigend das Zimmer verließ.


5.

Der folgende Tag brachte mannigfachen neuen Kummer. Die Krankheit des Kindes hatte nicht nachgelassen, das Fieber zeigte sich mit voller Bösartigkeit. Der Arzt kam mehrere Mal und schüttelte bedenklich den Kopf über den Verlauf. Die junge Frau hing an seinen Blicken mit wahrhafter Verzweiflung; denn wie hoffend auch immer seine Worte klingen mochten, sie sah es ihm an, daß er wenig Hoffnung besaß.

Dahl ging ab und zu, um zu trösten, aber er beschäftigte sich fortgesetzt mit seinen Arbeiten, die er nicht aufgab, was Clara nicht begreifen konnte.

Der Doctor ging zu ihm, und als sie allein waren, sagte er ihm, daß es mit dem armen Knaben schlecht stände, daß eine Entzündung des Gehirns vorhanden sei und leicht ein Gehirnschlag plötzlich sein Leben enden könne.

Mit einem leisen Zittern legte Dahl die Feder fort und sein schwermüthiger Blick suchte in den Augen des Arztes die volle Wahrheit zu ergründen. – Wenn es dahin kommen sollte, sagte er, dann Doctor, werde ich Ihre Hülfe nöthiger als je haben. O! mein armes Clärchen, wie wird sie leiden! – Verlassen Sie uns nicht, Freund, helfen Sie mir über diese Tage des herben Erdenkummers, stehen Sie mir bei, ihre Schmerzen zu mildern.

Der Arzt war verwundert, daß die lebhafte Theilnahme sich nicht in diesem Augenblicke mehr dem Kinde als der Mutter zuwandte. –

Ich hoffe noch immer Ihnen den Knaben zu erhalten, sagte er.

Ich habe ihn lieb, rief Dahl tiefathmend, es ist ein Stück von mir; sein kleines Leben, wenn es vernichtet ist, reißt eine Wunde auf, die lange bluten wird, aber ich kann es überwinden, ich kann Trost suchen in dem Loose der Menschheit; ich kann mir denken, daß dies Kind, früh abgerufen ohne die Leiden des Daseins zu kennen, ihnen glücklich entgangen ist; aber Clara, Doctor, ist in der Blüthe des Lebens, fest verkettet mit dem meinen. Was sie trifft, geht mitten durch mein Herz und macht dort einen Riß, der nie heilt.

Der Arzt drückte ihm gerührt und im Einverständniß die Hand.

Ich freue mich dieser Worte, sagte er, sie zeigen mir an, wie innig und schön Ihr häusliches Verhältniß ist. Von Liebe geknüpft und von Liebe getragen. – Glauben Sie, daß ich gern helfe, wenn ich kann.

Als er hinaus war, murmelte Dahl leise jene Worte vor sich hin; dann richtete er seine Augen auf Clara's Bild, das über seinem Arbeitstisch hing, und ging rasch in die Krankenstube.

Der Knabe lag in Fantasien; in Schmerz und Thränen aufgelöst, saß Clara an seinem Bett und bewachte jede seiner Bewegungen. Dahls Fragen fanden wenig Aufmerksamkeit und Erwiederung, es schien eine heftige Abneigung sich in Allem kundzugeben, was Clara that, und unmöglich war es ihr, die Augen zu dem Manne zu erheben, dem sie gestern noch gesagt hatte, daß sie mit gläubigem Vertrauen an ihm hänge.

Nach einer Viertelstunde entfernte sich Dahl und ging in sein Arbeitszimmer zurück. Clara konnte vom Fenster aus bemerken, daß er dort am Tische sitzend eifrig arbeitete und ihren Schmerzen mischte sich ein neuer Grund des Zornes bei. Sie stützte den Arm auf die Lehne des Bettes, und gerieth, sich ihren Empfindungen hingebend, in ein krampfhaftes Schluchzen, als die Thür geöffnet wurde und Antonie herein trat.

Du hast einen Kranken? sagte sie theilnehmend, als die junge Frau mit verweinten Augen ihr entgegen kam.

Einen Sterbenden, erwiederte diese leise.

O! sei nicht so hoffnungslos, fiel die Freundin tröstend ein, indem sie Clara umarmte. Es wird besser werden, Dein Kind wird genesen.

Nein, nein! rief Clara mit Heftigkeit, Antonien an sich pressend, es wird mir genommen werden, damit ich ganz und grenzenlos elend bin.

Das Fräulein von Uttenhofen schwieg einige Minuten lang. Clara lehnte den Kopf an ihre Schulter und weinte laut, während Antonie sie traurig und zärtlich betrachtete und darüber nachsann, wie sie am besten lindernd auf sie einzuwirken vermöchte. – Sie führte sie auf den Lehnstuhl, der am Bett stand, setzte sich zu ihr nieder und nahm ihre Hände in die ihrigen.

Wenn es der Wille der Allmacht ist, sagte sie, daß dies theure Kind Dir entrissen werden soll, dann freilich wird alle Sorgfalt es nicht am Leben erhalten können. Aber, liebe Clara, selbst in den höchsten Erdenschmerzen gibt es einen Trost, den Trost edler Seelen, den Trost des Glaubens und der Resignation.

Kann das mich trösten?! rief die junge Frau. – Ach! was ist aller Trost werth bei diesem Anblick!

Nur Fassung, Fassung! sagte die Freundin, nur die große Wahrheit sollst Du nicht vergessen, daß alles Leben ein geliehenes Gut ist, das zurückkehrt in die Hände des Ewigen, von denen es ausgegangen.

Wann zurückkehrt? fragte Clara mit irren Blicken. Jetzt, jetzt! – O! Gott, wo es kaum ausgegangen ist, um zu werden, und ich – ach! ich! – habe ich denn mehr als das eine kleine Gut, bin ich reich genug, um es zu verlieren?

Hast Du nicht ihn, der Dich liebt, flüsterte Antonie halblaut; in dessen starken Armen, an dessen Brust Du Deinen Schmerz ausweinen kannst?

Wer? rief Clara, und ihre Stimme erhob sich gewaltsam, ihre Augen erhielten einen hellen Glanz – Du kennst ihn nicht!

Wo ist Dein Mann? fragte das Fräulein lebhaft; wirre Ahnungen flogen durch sie hin.

Dort sitzt er, erwiederte Clara, durch das offene Fenster hinüber deutend, dort bei seinen Arbeiten, wie er es gestern that und alle Tage sonst. – Er kann arbeiten! – Er schreibt Briefe an seine politischen Freunde, fordert zum Aufruhr auf, oder urtheilt über einen Rechtshandel und schreibt ein Urtheil nieder, während der Tod hier zu Gericht sitzt über sein einziges Kind. – Das ist der Mann, an dessen Brust ich meinen Schmerz aushauchen soll!

Die Uttenhofen sah hinüber und erblickte Dahl schreibend und, wie es schien, ruhig arbeitend, aber sein Gesicht war blaß und scharf, sein Mund streng zusammen gepreßt, sein ganzer Anblick der eines Menschen, auf welchem ein großer Kummer lastet. An ihren Blick auf ihn heftete sich unwillkürlich der Gedanke: wie groß muß die Seelenstärke dieses Mannes sein, der seine Pflichten zu erfüllen vermag, während das Schicksal an seine Thür pocht, um einen furchtbaren Kampf mit ihm zu beginnen! – Ganz entgegengesetzt zu Clara's Empfindungen, drang ein Gefühl der Bewunderung durch ihr Herz, und neben diesem ein anderes dunkles Gefühl inniger Theilnahme, wenn sie dachte, was er leiden und verschweigen mußte.

Clara theilte ihr inzwischen mit, daß Dahl allein den heftigen Ausbruch der Krankheit des Kindes verschulde, welche gewiß weit milder aufgetreten sein würde, wenn der Arzt sofort gerufen wäre. – Ihren Klagen mischten sich Vorwürfe über Dahls Härte bei, und bittre Anspielungen auf den Vorfall in Seilers Hause machten den Beschluß.

Wenn es so ist, sagte Antonie endlich, wenn Dahl wirklich sich eine Schuld beimessen muß, wie unendlich schwer wird er es empfinden. – Du solltest nicht dazu beitragen, seine Schmerzen zu vergrößern.

O! wie wenig kennst Du ihn, rief die junge Frau. Er tröstet sich mit seiner stoischen Tugend, mit seinem Glauben an sich selbst, mit seinem unerschütterlichen Bewußtsein, das Rechte gewollt zu haben. – Wir armen Menschen, sagte er oft genug, wir sind unschuldig an unsern Fehlern und Irrthümern, wenn wir sie mit dem Bewußtsein begehen, gethan zu haben, was wir müssen. Wer kennt das Ende der Dinge!

Ich finde, daß viel Wahres darin liegt, erwiederte das Fräulein.

Dann hat jeder Recht, was er auch thun mag, fuhr Clara fort, wenn er nur überzeugt ist, er handelt wie er muß; mag er das Verkehrteste, das Strafbarste begeben, er ist unschuldig.

Vor sich selbst, fiel die Freundin halb für sich ein.

Aber wir Anderen, was wird aus uns? Gott bewahre Dich vor einem Mann, der seinen Willen für die alleinige Richtschnur seiner Handlungen erklärt, und Niemand hört, als diese eine Stimme.

Sie erzählte dem Fräulein, was gestern die Ursache des Streites gewesen sei, und beschwerte sich heftig über Dahl, der alle Bitten und Vorstellungen des Onkels zurückgewiesen habe. –

Heut früh, fuhr sie dann fort, habe ich ein Billet von meiner Schwester erhalten, die mich auf's Innigste bedauert, die Leidenschaftlichkeit und traurige Verblendung meines Mannes beklagt, der leider nicht zu bessern und zu bekehren sei. – Wie glücklich könnten wir sein! Mein guter Onkel hat uns noch gestern das ganze Stockwerk seines Hauses als Wohnung angeboten, uns seine Hülfe zu Allem zugesagt; er selbst hat seinen Einfluß geltend gemacht, um Dahl mit der Regierung zu versöhnen, wie meine Schwester mir schreibt, doch Alles vergebens! Er erklärt es für Schande und Unehre, und seine großen Talente, sein Geist, seine Kenntnisse dienen zu nichts, als uns in den Augen der Besseren herab zu würdigen und unseren Untergang gewiß zu machen.

Hat das Deine Schwester auch geschrieben? fragte die Freundin.

Sie hat nur zu sehr Recht, sagte Clara, denn was wird unser Loos sein?! –

Das Kind, das bis dahin zu schlafen schien, erwachte unter heftigem Wimmern, und die besorgte Mutter beschäftigte sich sogleich mit ihm. –

Antonie hatte nicht nöthig, eine Antwort zu geben; sie saß lange Zeit still bedenkend, doch als Clara sich wieder zu ihr wandte, ergriff sie ihre Hand und sprach nachdrücklich:

Nichts ist Dir jetzt nöthiger als innerer Frieden, und Jeder, der diesen Dir zu stören sucht, ist Dein Freund nicht, sei er, wer er sei. Dein Mann ist Dein natürlicher Beschützer, er ist die Stütze, wenn Noth und Trübsal dem Hause drohen. – Liebe Clara, das bedenke. Manches könnte anders sein, wie es ist, ich gebe es zu und verstehe Deinen Kummer, aber dennoch – Du gehst den rechten Weg nicht – es ist Deine Pflicht, treu bei dem zu stehen, der Dir der nächste und erste unter allen Menschen sein muß.

Der Vorwurf in ihren Worten wurde von Clara empfunden; sie erröthete und erwiederte mit Empfindlichkeit:

Ich weiß, was ich soll und muß und werde immer danach handeln.

Folge dem Zuge Deines guten Herzens, liebe Clara, und hüte Dich vor den Urtheilen derer, die, außerhalb stehend, Deinem Mißmuth noch Nahrung geben.

Das ist eine Warnung, sagte Clara stolz. Ich bin selbstständig, meine eigenen Gefühle sagen mir genug.

Antonie schwieg, sie sah ein, daß jedes Wort jetzt den Zustand der Dinge verschlimmern würde. – Nach einiger Zeit empfahl sie sich, aber dieser Abschied war ziemlich kalt. Die junge Frau brauchte eine Freundin, die ihren Klagen ein williges Ohr lieh, hier hatte sie Widerspruch gefunden, Zurechtweisungen statt Zustimmung.

Während dies vorging, hatte Dahl ebenfalls Besuch erhalten. Grimnitz war gekommen, um sich nach dem Befinden Clara's zu erkundigen.

Als Seiler gestern zurückkehrte und das plötzliche Unwohlsein Deiner Frau uns bedauernd meldete, sagte er, war es ganz natürlich, daß Du sie nach Haus brachtest, aber es wäre mir lieb gewesen, wenn wir Dich wieder gesehen hätten.

Wir fanden mein Kind erkrankt, gab Dahl zur Antwort.

Nun, das gehört zum Eheleben, meinte Grimnitz, ich habe bis jetzt keine Erfahrungen darin, allein ich sehe an Deinem Gesicht, daß es angreifend sein muß. – Beim Eheleben fällt mir ein, daß ich gestern bei Seiler eine interessante Bekanntschaft gemacht habe: das Fräulein von Uttenhofen. Sie hat Geld?

Ich glaube, ja, erwiederte Dahl zerstreut.

Und Geist, fuhr Grimnitz fort. – Du sieht, ich sage, erst Geld, dann Geist, ganz wie es sein muß. – Ich werde sie besuchen und diese Bekanntschaft cultiviren, wenn es meine Geschäfte zulassen.

Die werden es wohl zulassen, sagte Dahl lächelnd.

Wer weiß, rief der Diplomat, sich ausstreckend, aber diese Dame scheint mir von denen zu sein, welche eigenthümlich behandelt sein wollen. Ich meine nicht, mit den gewöhnlichen Aufmerksamkeiten und Huldigungen, welche Salondamen verlangen, sondern etwas derb, etwas landjunkermäßig aufrichtig und doch nach allen Regeln des Liebeslexicons.

Dahl nickte schweigend dazu.

Sie hat ein Herz und schwärmerische Empfindungen darin, meinte Grimnitz, das kann leicht sehr unbequem werden. Die Ehen in unseren Kreisen können dergleichen Zuthaten am wenigsten brauchen, denn in keiner Weise dürfen wir beengt sein. Repräsentation ist unser Haupterforderniß; der Zauber der Gesellschaft ist das Geheimniß unseres Lebens; der Familienkreis kann nur an uns hinstreifen, wir haben keine Zeit dazu. Wir sehen unsere Frauen nur in der Robe, unsere Töchter in Begleitung ihrer Erzieherin, unsere Söhne mit dem Gouverneur. Wenn mehr von uns gefordert wird, kommen wir in eine Sphäre, die sich nicht mit uns vereinbaren läßt, in das bürgerlich compacte Dasein, vor dem ich allen Respect habe, das aber den schönen Farbenstaub uns von den Flügeln bläst und entsetzlich nüchtern und prosaisch uns in den Erdenstaub zieht. Dies hübsche Fräulein hat nun trotz ihres Geldes und ihres Geistes, ihres Adels und ihrer Schwärmerei für König und Vaterland etwas, was einen leisen Schauder erregen kann, namentlich die Schwärmerei für Treue, Ehre, Ruhm, Größe, alte Sitte, altes Recht, Herkommen, Liebe und Verehrung zum angestammten Herrscher, und wie die Schibolethe der Parteileidenschaften weiter heißen.

Du sprichst wie der beste Demokrat! meinte Dahl, und würdest damit in Volksversammlungen großen Beifall erhalten.

Ich spreche wie ein Mann, der über allen Firlefanz fort ist, und die Verhältnisse ohne Brille betrachtet.

Liebst Du denn das Fräulein von Uttenhofen? fragte Dahl.

Lieben? meinst Du das so, wie Du sie etwa lieben würdest, erwiederte Grimnitz lachend? Nein, ganz gewiß nicht, das liegt außerhalb meiner Natur und meiner Lebensanschauung. – Aber es könnte sein, daß ich von Verhältnissen gezwungen werden könnte, mich zu verheirathen, und daran denken müßte, eine convenable Partie zu machen. Allerdings gibt es Minister und Gesandte, die Junggesellen sind und bleiben, ich finde es jedoch nicht passend, nicht den Erfordernissen angemessen. Ein wirkliches Haus kann nur gemacht werden, wo die Dame des Hauses es mit übernimmt. Ich habe zu viele Beispiele gesehen, wo aller Luxus, alles Talent nichts halfen, und die Einseitigkeit die schönsten Feste um die Creme ihrer Reize brachte.

Dahl war gelangweilt durch diese Mittheilungen, die gar keinen Reiz für ihn hatten, ihm aber, wenn er leichteren Sinnes gewesen wäre, Stoff geboten hätten, sich lustig zu machen. – Er sagte daher, um abzubrechen:

Ich kenne das Fräulein von Uttenhofen zu wenig, um zu wissen, ob sie eine Frau sein würde, wie Du sie nöthig hast. Jedenfalls ist sie stolz und von hartnäckiger Meinung.

Sage unbiegsam und rechthaberisch, fiel Grimnitz ein.

Aber auch unterrichtet, verständig im Urtheil, sobald es nicht ihre Grundsätze betrifft, und, wie ich glaube, eine muthige, kräftige und edelmüthige Seele.

Du lobst sie und sie Dich, rief der Legationsrath lachend, und zwar, merkwürdiger Weise, fast in derselben Art. – Welch ein trefflicher Mann, berichtete sie mir, klug, tapfer, edelmüthig und, wie man mir sagt, voller Scharfsinn und Gerechtigkeitsliebe als Richter, voll Milde als Mensch gegen alle Fehler und Schwächen seiner Mitmenschen, und dabei von so verderblichen, politischen Grundsätzen. Es ist unbegreiflich, wie der Fanatismus solche Männer beherrschen kann.

Weißt Du, was Seiler antwortete? fuhr Grimnitz fort, als Dahl schwieg. Er sagte: Mein theures Fräulein, haben Sie nie gehört, daß alle ausgezeichneten Menschen irgend eine Eigenthümlichkeit haben? Der Eine hinkt, der Andere zieht die Schulter schief, der Dritte schneidet Gesichter, stößt mit der Zunge an, oder faßt mit der Hand nach Kopf und Nase. Mein theurer Freund und Schwager Dahl, den ich unendlich hoch schätze, hat die Eigenthümlichkeit, daß er sich selbst bei der Nase hält, denn, was ist seine demokratische Schrulle anders, als ein sich an der Nase Herumführen auf dürrer Haide, während rund umher das junge Grün aufsprießt!

Elender Gaukler! rief Dahl unwillig, den Kopf in seine aufgestützte Hand werfend.

Nun, Freund Hugo, sagte Grimnitz, ihn vertraulich anfassend, laß uns den Punkt doch nicht allzu schnell verlassen. – Seiler hat mir gestern Eröffnungen gemacht, als ich zuletzt allein mit ihm blieb. Du hast Unrecht gethan, die Pläne Deiner Verwandten so barsch zu durchkreuzen, vollkommen Unrecht, mit ihnen zu brechen.

Kehre Deine Vorwürfe um, sie brachen mit mir, fiel Dahl ein.

Weil sie kein Weiterkommen sahen, weil Du wie Cortes Deine Flotte verbrennen willst, ohne irgend eine Aussicht zu haben, das Goldland zu erobern.

Die hatte der Eroberer Mexico's wohl noch weniger, als ich.

Falsch! sagte Grimnitz. Cortes hatte ein tapferes Heer, Kanonen, Reiter, eine furchtbare, wenn auch kleine Streitmacht, und ihm gegenüber stand eine unfähige, schwache, elende Regierung, die vor den ersten Geschützsalven zu Boden sank. – Du weißt, daß ich als Diplomat ganz objectiv urtheile, fuhr er ruhig fort, daß Euer Fanatismus, ob demokratisch, ob royalistisch, mich gar nicht tangirt. Ich wiederhole es, ich frage nichts nach Treue, Ehre, Gehorsam oder göttlicher Berechtigung, ich frage allein, welches System kann und wird hier siegen, wie sind die Verhältnisse, wie sind die Menschen beschaffen? – Nachdem ich diese Fragen mir genau erörtert, alle Kräfte abgewogen, allen Bedingungen Rechnung getragen habe, sage ich Dir, daß es Thorheit ist, an einen Sieg der Demokratie zu glauben, und doppelte Thorheit, sich für eine Sache zu opfern, die hoffnungslos ist.

Und die endlich dennoch siegen wird und siegen muß, wie alles Wahre und Große auf der Welt, erwiederte Dahl.

Es ist möglich, daß Du Recht hast, meinte Grimnitz lächelnd, ja, ich glaube es sogar, denn der Zug der Menschheit geht dahin, und ich setzte voraus, Du bist keiner von den tollen, wilden Gleichmachern, die uns in die Eichwälder zurückführen möchten, um gemeinsam Eicheln zu essen. Aber wie lange kann es dauern, Freund? Vielleicht ein Jahrhundert oder ein paar, und während dessen wirst Du Staub und hast Dich um nichts mehr zu kümmern. – Après moi le déluge! Das ist der weiseste Spruch, den ich kenne, und wenn ich Göthe verehre, geschieht es zunächst seiner unsterblichen Worte wegen, von denen jedes auch ein Gedanke ist:

Höre meine gute Lehre:
Nütze deine jungen Tage,
Lerne zeitig klüger sein;
Auf des Lebens großer Wage
Steht die Zunge selten ein. –
Du mußt steigen und gewinnen,
Oder sinken und verlieren,
Leiden oder triumphiren,
Amboß oder Hammer sein!

Nun, wenn man nur diese Wahl hat, fuhr er fort, als er diesen Denkspruch beendet und die letzten Zeilen besonders stark betont hatte, wenn man nur Amboß oder Hammer sein kann, so heißt es, wie ein Narr handeln, wenn man sich schlagen und Fußtritte geben lassen will. Nichts ist elender und widerlicher als ein Märtyrerthum, als Kränze des Ruhms erkauft mit Scheiterhaufen und Kreuzigung, und darum, Freund, darum allein – um aus der Abschweifung zurück zu kommen – ist es wenig überlegt von Dir gewesen, Seiler und Deine ganze Verwandtschaft in gerechte Wuth zu versetzen.

Glaube das ja nicht, sagte Dahl, es konnte Seiler nichts Lieberes geschehen.

Ah! rief Grimnitz, ihn scharf anblickend, so ist es mir freilich auch beinahe vorgekommen. Aber wenn er heuchelt, wenn er Dir eine Falle gestellt hat, um den alten reichen Onkel ganz mit Euch zu entzweien – schlau genug ist er dazu – warum zum Henker! zerreißt Du nicht diese Netze und bringst ihn durch die Annahme seiner Plane in Verzweiflung?

Weil ich kein Diplomat bin, erwiederte Dahl.

Ich wollte, Du wärest einer; aber in vollen Ernst, Du mußt noch jetzt Dich besinnen, noch ist es nicht zu spät!

Zu spät für alle Zeit! rief Dahl. Eine leichte Röthe flog über sein bleiches Gesicht und seine Augen begannen zu glänzen. – Ich, sagte er, ich, der ich arm und wehrlos, wie ich bin, nichts habe, als die Güte meiner Sache, nichts als die Reinheit meines Lebens, ich sollte mich mit der Gewalt aussöhnen, die ihre Füße auf meinen Nacken setzt, ohne mich beugen zu können? Ha! dieser Triumph, wenn ich demüthig, feige und niederträchtig genug wäre, des Volkes Recht zu verrathen; welch' Hohngelächter über den Brutus, welche Schmach über den Elenden, der so gemein von seiner Höhe stürzte. Nein, nie! und wenn ich verliere, was mir das Liebste auf Erden ist, nie! – Es mag sein, fuhr er dann ruhiger fort, daß, wie Du sagst, eine Märtyrerkrone mir zu Theil wird; es mag sein, daß ich zu denen geworfen werde, die man verflucht und vernichtet; aber wisse, daß ich höher denke von denen, die ihr Dasein und ihr Leben einer großen Idee weihten, daß ich die Gebeine der Opfer segne und zu ihrem Staube bete, die für die ewigen Freiheitsrechte der Menschheit bluteten und starben. – Es muß solche Heiligen oder solche Narren geben, wie sollte die Menschheit weiter kommen? Verwegene Männer mit kühnen Herzen müssen sich der Tyrannei überliefern, wie sollte diese sonst fallen? – Grausames Schicksal! jeden Fortschritt müssen Deine Geschöpfe sich erkämpfen, und Hohngelächter, Flüche, Haß und erbarmungsloses Wüthen verfolgt sie, ja die in Liebe zu ihnen stehen sollten, verlassen sie und helfen sie verdammen.

Eine Unterbrechung des Gesprächs folgte diesem schwermüthigen Ausrufe. Endlich begann Grimnitz von Neuem.

Ich hätte nicht geglaubt, sagte er, Dich so idealistisch zu finden. Du bist ein so klarer Kopf und vermagst so wild zu schwärmen. – Du willst die Freiheit, bist Du nicht frei? – Aber Du willst sie nicht allein für Dich, Du willst sie für Alle, für die ganze Welt, für jeden gemeinen Kerl, jeden Lump, darin liegt Dein Irrthum. – Was soll der Arbeiter, der Tagelöhner, der Gassenkehrer mit der Freiheit? Sorgt dafür, daß der Schneider zu nähen, der Schmidt zu hämmern hat, so macht ihr sie glücklich, wie sie es sein können, aber laßt sie aus den Rädern der Staatsmaschine fort, die sie nicht begreifen. – Ich hasse den Absolutismus so gut wie Du, denn ich sehe ein, daß er bei uns keine festen Wurzeln mehr hat; wir sind darüber hinaus und können seine Kabinetsjustiz, seine Selbstherrschaft, selbst keinen Friedrich den Großen brauchen; allein wenn die Fürsten mit uns theilen, wenn sie dem Range, dem Vermögen, den Talenten und Kenntnissen die Mitherrschaft einräumen, so müssen wir uns befriedigt erklären. Wir sind ihre Verbündeten geworden, müssen uns gegenseitig unterstützen, die Ordnung aufrecht erhalten helfen, und gemeinsam die Masse zügeln; ihr wohlthun, so viel wir können; aber sie nicht zur Herrschaft gelangen lassen, denn ihre Herrschaft ist unser Untergang.

Laß uns davon abbrechen, sagte Dahl, wir verwickeln uns in unfruchthare Streite. Ich stehe auf dem Boden, der keine Unterschiede in der Gleichberechtigung Aller am Staate kennt; Du unterscheidest einen Pöbel, der als Lastthier der menschlichen Gesellschaft nur satt gemacht zu werden braucht. Ich will das ganze Volk erziehen und erheben, Du willst es in Herrschende und Beherrschte theilen. In Rußland ist der Czaar der einzige freie Mensch, hier sollen es die bevorzugten Klassen sein, der Sumpf aber bleibe Sumpf, das Menschenrecht im Menschen bleibe unterdrückt, der Sclave bleibe Sclave.

Vermagst Du es denn zu ändern? rief der Diplomat. Sieh doch den wüsten unvernünftigen Haufen an, den Ihr zum Herrn und Meister machen wollt. Was kann daraus hervorgehen, als Verderben, Umsturz und allgemeine Vernichtung?

Ihr glaubt nur an des Volkes Unvernunft, nicht an seine Vernunft, erwiederte Dahl, und doch ist der einfache Sinn des schlichten Mannes oft bei Weitem verständiger und einsichtsvoller, als die eigennützigen Vorurtheile der sogenannten gebildeten Klassen es diesen möglich machen zu sein. – Das Volk ist unwissend und arm, Ihr habt es dazu gemacht; Ihr habt es in dies Meer von Verlassenheit, Verwilderung, Unsittlichkeit und Schande gestürzt; Ihr habt es zum faulen Sumpf herabgewürdigt, und nun wundert Ihr Euch darüber und verdammt es. Hebt es hervor, bessert es, erzieht es, gebt ihm Glück, Recht, Freiheit, und versöhnt es mit Euch und der menschlichen Gesellschaft. Welcher Gott, welch göttliches Gesetz hat Euch alle Güter der Erde geschenkt, alle Genüsse des Lebens, und ihm nichts, als Schmach, Schande und Verbrechen gelassen? – Eilt und schließt die tiefe Kluft, oder trotz aller Eurer Bajonette wird sie Euch verschlingen.

Grimnitz stand auf, es war in dem Zimmer fast finster geworden.

Ich will Licht bringen lassen, sagte Dahl.

Nein, erwiederte der Legationsrath, was ich Dir noch zu sagen habe, hat das Licht zwar nicht zu scheuen, aber es läßt sich vielleicht noch besser so abmachen, Du kannst bestimmter darüber nachdenken.

Nun, was ist es?

Du mußt im Interesse der Partei, die Du vertrittst, Seiler's Vorschlag annehmen.

Niemals, erwiederte Dahl fest.

Wenn Du es nicht thust, so wird Seiler selbst an Deine Stelle treten.

O! er ist ganz würdig dazu, das trefflichste Werkzeug, das sich auffinden läßt.

Darin liegt ein schwerer Vorwurf für Dich. Du ließest es zu.

Immerhin, ich weiß, daß ich auch an seinem Platze nichts ändern kann.

Aber Du kannst Schlimmes verhüten und Gutes fördern.

Glaube doch nicht, sagte Dahl ungeduldig, daß man ernstlich mich begehrt. Man will nur meine Nichtswürdigkeit vor allem Volk offenbaren, dann mit Hohngelächter mich zu den Todten werfen.

Grimnitz schwieg einen Augenblick, dann erwiederte er mit gedämpfter Stimme:

Höre ein Wort im Vertrauen. Es bereitet sich eine Ministerkrisis vor, ich bin befragt worden und habe mich unumwunden für Aenderung des Systems und gemäßigten Fortschritt, aber für feste Erfüllung aller geleisteten Zusicherungen erklärt. Die Gewaltthaten werden aufhören, eine Umkehr zum Rechtsstaat wird erfolgen, und wenn ich in das neu gebildete Kabinet trete, ist es mein sehnlicher Wunsch, Dich an meiner Seite zu sehen. Dazu aber wäre jedenfalls eine Annäherung und, wenn auch nur scheinbare, Aussöhnung nöthig, die Dir den Weg ebnet. Erkläre mir, daß Du willst, und morgen sollst Du Dein Patent haben; Du bist dann versöhnt mit Deiner Familie, mit vielen alten Freunden versöhnt, und gehst einer glänzenden Zukunft entgegen. – Ohne diesen Schritt kannst Du nie hoffen, an den Ministertisch zu gelangen, mit ihm wirst Du in vier Wochen dort Platz nehmen. Ich bitte Dich, Hugo, bedenke das Alles. Bedenke, ich sage nicht, was Dein Ehrgeiz von Dir fordert, aber was Dein Vaterland von Dir zu hoffen hat. Bedenke, wohin Deine Talente Dich berufen, und was Du thun kannst, wenn Du willst. Entscheide Dich morgen darüber.

Da ist kein Besinnen, sagte Dahl. – Ich kann nicht, und ich will nicht, das ist meine Antwort, heute wie immer.

So lebe wohl, erwiederte Grimnitz.

Lebe wohl.

Du willst nicht? fragte er an der Thür. Willst nicht Minister werden?

Nein, auch Du wirst es nicht werden.

Meinst Du? – Warum?

Weil ich Dich kenne und die Leute, welche Minister machen.

Ah so, wir werden sehen. – Du bist nicht zu retten. Adieu.

In diesem Augenblick drang ein dumpfer Schrei des Entsetzens in Dahl's Ohr. – Er riß die Thür des Nebenzimmers auf und eilte über den Corridor an das Sterbelager seines Kindes.


6.

Der Anblick, welcher ihn erwartete, war furchtbar erschütternd. Clara kniete an dem Bette ihres Lieblings, den sie in ihren Armen hielt, Verzweiflung und höchste Lebensnoth in allen ihren Zügen. – Ihre Augen hingen starr und trostlos an ihm, ihre Lippen zitterten, ohne Worte zu finden, sie schien der Auflösung nahe, aber ihre ganze Kraft des Denkens und Empfindens haftete an dem leblosen Körper, um ihn mit der Macht ihres Willens wieder zu erwecken.

Eine Minute voll Todtenstille verging. Der unglückliche Vater legte die Hand auf Kopf und Herz des Knaben; er sah, daß er geendet hatte. Voll heißem Schmerz stand er, die Hand auf das Gesicht gedeckt und auf die überströmenden Augen. Alle Zukunftsträume, die an dies kleine Leben sich zärtlich geheftet hatten, zerrannen in diesem Augenblick, alle Hoffnungen sanken nieder. Der starke Mann bebte in Schmerzen, die ihn zu überwältigen drohten, seine Seufzer hallten in dem öden Zimmer wieder, seine Brust wurde zu eng, sein banges Zürnen wandte sich gegen die furchtbare Macht, die unerbittlich das Maaß der Leiden und Freuden über uns schwingt.

Plötzlich aber erinnerte er sich, daß seine Pflichten alle Seelenstärke erforderten, daß Clara seinen Trost und Beistand nöthig habe, und mit sanfter Gewalt und Bitte suchte er sie aufzurichten und fortzuführen. – Als er ihre Hände von dem Kinde lösen wollte, that sie einen furchtbaren Schrei und umschlang es fester. –

Laß mich, rief sie, was willst Du? Es ist mein Kind, mein süßer Knabe, mein einziges Gut auf Erden! Meine letzte Hoffnung, meine letzte Freude!

Es ist uns genommen, sagte Dahl, und was können wir thun, als ihn weiter lieben und betrauern? Aber auch in unseren Schmerzen laß uns nicht vergessen, liebe theure Clara, daß wir ruhig und mit Fassung tragen müssen, was unser Menschenloos uns auferlegt.

Ist er denn todt? rief sie angstvoll, daß Kind betrachtend. Ist es denn wahr? Nein, nein! es ist unmöglich, er muß wieder erwachen, er hat mit den Augen gezuckt, die Lippen bewegt!

Niemand wird ihn wieder erwecken, weder Deine Liebe, noch Dein Schmerz. Das Grab gibt seine Todten nicht zurück!

Wie von einem plötzlichen Wahnsinn ergriffen, sprang Clara auf und hielt den kleinen Todten fest in ihren Armen. Sie schien mit ihm entfliehen zu wollen, aber Dahl hielt sie fest.

Was thust Du, Clara? rief er ihr zu. Besinne Dich, halte den Muth aufrecht. Mein Gott! bedenke, daß Du ein Opfer dieser traurigen Stunden werden kannst. Zu ändern vermagst Du nichts, und bin ich denn nicht bei Dir, leide ich nicht wie Du, hast Du nicht einen Platz an meinem Herzen, Dein Weh daran zu verklagen? – O! liebe, geliebte Clara, ist meine Nähe, mein Trost Dir denn keine Hülfe, diesen Kummer zu überwinden und endlich wieder froh zu werden?

Er streckte die Arme nach ihr aus, aber seine rührenden Worte machten einen entgegengesetzten Eindruck. Sie sah ihn zornig an.

Du bist kalt, fühllos, rief sie, Du hast kein Herz – nur Verstand, nur Kopf, aber kein Herz, und der Verstand ist von Vorurtheilen befangen, das ist unser Unglück!

Ist es Zeit, erwiederte Dahl, während seine Stirn sich röthete, in diesem Augenblick Deine Vorwürfe über mich auszuschütten? Vorwürfe, die man Dir zugeflüstert hat, und welche selbst in dieser heiligen Minute einer edlen Versöhnung, die uns in Schmerzen einigen sollte, nicht schweigen. Das Kind ist todt!

Du aber, Du allein trägst die Schuld, rief Clara. Du hast es gemordet!

Ein entsetzlicher Blick, wie sie ihn nie gesehen hatte, fiel auf sie. Mit einer raschen Bewegung nahm Dahl den Knaben aus ihren Armen und legte ihn in das Bett. Sie wollte gewaltsam sich nähern, er stieß sie zurück, und indem er ihren Arm ergriff, sagte er:

Wenn Du sinnlos bist, werde ich Dich darnach behandeln. Thörin! erkenne endlich, daß das Maaß meiner Geduld sein Ende erreicht hat. Achtung und Liebe müssen schwinden vor dieser Verkehrtheit des Denkens, die mir zeigt, wie sehr ich mich getäuscht habe. – Geh jetzt in Dein Zimmer!

Nein, ich will bleiben! rief die junge Frau.

Du gehst! rief er mit ausbrechender Heftigkeit, den Arm befehlend ausstreckend.

Ach! das ist zu viel, murmelte sie, beide Hände erhebend. Mein Gott! mein Gott! – Sie taumelte zurück, Dahl fing sie in seinen Armen auf und trug die Ohnmächtige rasch hinaus.


7.

Eine Woche verging in düsterer Trauer. Clara hütete das Bett, sie lag im heftigen Fieber, als das Kind bestattet wurde; doch als sie hörte, was geschehen war, und daß sie nie mehr es sehen werde, vermehrte dies ihren Gram und ihren Groll gegen Dahl.

Zu verschiedenen Malen war er täglich zu ihr gekommen, immer in der Absicht, sie zu versöhnen, und mit der Bitte auf den Lippen, ihm seine rauhen Worte und seine Heftigkeit zu vergeben. – Aber wenn er an ihr Bett trat, schloß sie die Augen, oder wenn es möglich war, wendete sie den Kopf der Wandseite zu. –

Mehr als einmal freilich war sie wohl im Begriff gewesen, die Hände nach ihm auszustrecken und leise seinen Namen zu rufen, allein es kam nicht dazu. Wenn sie ihn vor sich sitzen sah, die Arme gekreuzt, den Kopf kummervoll gebeugt, oder starr sie betrachtend, hatte seine Blässe, sein sichtbarer Schmerz, die Liebe, welche noch immer aus seinen Augen leuchtete, und die Theilnahme, welche er ihr widmete, sie gerührt, und doch konnte sie sich nicht überwinden, ihm die Hand zu reichen. Immer fiel ihr wieder etwas ein, was sie daran hinderte; erst wenn er gegangen war, kam der Vorwurf, aber dennoch ließ sie ihn nicht zurückrufen.

Dahl hatte der Familie Anzeige von seinem Verluste gemacht, dem Onkel besonders geschrieben; er erwartete einen Besuch, denn das Kind war ja der Liebling des alten Herrn gewesen; aber es erfolgte nichts. Es war dies ein starker Beweis, daß man auch selbst bei solchem Anlaß nichts mehr mit ihm zu thun haben wolle, und er ergab sich darein. –

Das Fräulein von Uttenhofen kam, um Clara zu besuchen, diese nahm sie jedoch nicht an; sie ließ sich zu Dahl führen und sagte ihm tröstende Worte, die ihm wohl thaten.

Nach einer Unterredung, die eine halbe Stunde dauerte, waren beide mehr befreundet als je. Ihre Seelen öffneten sich vor dem rein menschlichen Gefühl der Trauer und der Theilnahme am mitempfundenen Schmerz; Dahl erkannte, wie warm und wahr diese Theilnahme war, sie war die einzige, die ihm so gezollt wurde.

Antonie hatte eine Schwester und einen Vater sterben sehen, welche sie beide sehr geliebt hatte. In ihren Worten lag noch der Ausdruck eines erinnerungsvollen Wehs, von dem ihre Augen glänzten und ihre Stimme zitterte.

Eines, sagte sie, lernt der Mensch in solchen Stunden, er lernt leiden und demüthig sein. Ein großer Schmerz ist eine innere Reinigung von manchen Sünden; eine Bekehrung von Fehlern, die uns dann erst zur rechten Erkenntniß kommen. Wir lernen mild sein und veredeln uns.

So verläuft der Kummer edler Seelen, erwiederte Dahl, die im Unglück schön und groß werden, weil sie aus den Schlacken des Daseins sich erheben und die Wahrheit näher sehen.

Arme Clara! sagte Antonie erröthend, sie muß sehr gelitten haben, und auch Sie, Herr Dahl. Frauen können ihren Schmerz ausweinen, bei Männern krystallisiren sich die Thränen und erstarren in der Brust.

Um Seelenschmerzen mag ein Mann wohl weinen, ohne sich zu schämen, gab Dahl zur Antwort. Weinen doch die größten Helden des Alterthums und selbst die wilden Krieger der Nibelungen lassen ihren Thränen um die Todten freien Lauf.

Sie weinen also auch? fragte das Fräulein, mit einer gewissen Freudigkeit ihn anblickend.

Halten Sie mich denn für so böse und innerlich verdorrt, daß ich nicht weinen könnte?

Gewiß nicht, aber – ich glaubte, daß ein Mann, der so kühn, wie Sie, an der Spitze einer großen politischen Partei zum Aeußersten fortschreitet, der das Bestehende vernichten und eine neue Ordnung der Dinge hervorrufen will, nicht weinen könne über ein vereinzeltes Unglück, da er Leben, Glück und Wohlfahrt so vieler Millionen seinen Zwecken ohne Zittern zum Opfer bringt.

Wissen Sie nicht, sagte Dahl lächelnd, daß Robespierre kein Thier leiden sehen konnte, daß er Thränen vergoß, wenn er eine rührende Geschichte las, und doch ließ er täglich den Henker seine Blutarbeit verrichten und lieferte ihm die Opfer dazu. – Ich bin kein Tugendschwärmer, wie dieser vielverfluchte Mann, der übrigens weniger gefrevelt hat und weniger grausam und nichtswürdig gewesen ist, wie viele große Helden und große Könige in der Geschichte; allein wie ich nicht anstehe, für meine Ueberzeugungen zu leiden, so würde ich auch nicht anstehen, dafür energisch zu handeln, um der Wahrheit und des Rechts willen.

Und was ist denn Wahrheit, was ist Recht, rief das Fräulein aufstehend, wenn die Besten ihrer Zeit sich gegenseitig Unrecht und Lüge vorwerfen können! –

Ihre Stirn färbte sich in lebhafter Unruhe, der Blick, mit welchem sie Dahl betrachtete, war ein Gemisch von Kummer, Schmerz und Anklage. –

Leben Sie wohl, sagte sie, bei allem Zwiespalt zwischen uns fühle ich doch, daß wir verwandt sind, und dieser Gedanke macht mich stolz. – Was Clara jetzt auf's Krankenlager geworfen hat, wird sie wieder aufrichten. Ihr Gemüth wird neue Stärke erhalten durch den tapfern Gatten, der zu leiden und zu tragen weiß.

Nach einigen Minuten ging sie und Dahl blieb gedankenvoll, die Hände gekreuzt, stehen. Die Offenheit, mit der Antonie zu ihm gesprochen, das Vertrauen in ihrem schönen stolzen Gesicht, ihr Bekenntniß, gegen ihn zu sein und doch ihn zu achten und ihm sich verwandt zu fühlen, Alles war ihm eigenthümlich und machte einen nachhaltigen Eindruck.

O! wenn Clara so wäre, wie sie, murmelte er vor sich hin, und wie erschrocken über seine Wünsche, warf er den Kopf zurück. – Sie ist nicht so, sagte er, schwermüthig lächelnd, sie ist sanguinisch, heftig und rücksichtslos, ohne festen Charakter, ohne sogenannte Grundsätze, wie die Weiber gewöhnlich sind, die vom Augenblicke und von ihren Empfindungen leben. Aber sie ist gut, fügte er lauter hinzu; man hat ihre Schwäche benutzt, sie aufgereizt, und müssen wir nicht mild sein mit dem Schwachen? Müssen wir nicht die versöhnen, die uns lieben, ach! sorgen, liebend sorgen, daß uns kein Herz verloren geht?

Von diesem Gefühl ergriffen, ging er leise durch die Nebenzimmer, entschlossen, eine Verständigung mit Clara voll und aufrichtig herbeizuführen, wie seine Sehnsucht sie wünschte. Plötzlich aber blieb er an der angelehnten Thür stehen, denn er hörte drinnen laut sprechen. – Der Teppich hatte seine Schritte unhörbar gemacht, so war er unfreiwilliger Zeuge einer Unterredung, die zwischen Clara und ihrer Schwester, der Geheimräthin, stattfand.

Das ist ja abscheulich! rief die Kranke. Gar keine Anzeige hat er Euch gemacht, und auch dem Onkel keine?

Das weiß ich nicht, erwiederte die Schwester, aber mag es sein, Du darfst Dich nicht wundern, wenn wir nicht gekommen sind, denn frage Dich selbst, mußten wir nicht fürchten, neue Scenen herbeizuführen?

Ein Seufzer Clara's war die Antwort.

Die Worte, welche Dahl gegen Seiler gebraucht hat, und die Art, wie er sich überall über ihn äußert, sind wirklich so empörend, daß er ein Elender sein müßte, wozu Dahl ihn stempelt, wenn er noch daran denken könnte, ihm einen Besuch zu machen.

Nein, er kann es nicht, sagte Clara.

Und wir Alle können nicht mehr.

Ach, Jenny! ich bin sehr unglücklich.

Du armes, gutes Clärchen! fuhr die Schwester gerührt fort. Wer hätte das denken können? Dein Lebenshimmel war so freudig, Du liebtest mit kindlichem Vertrauen, und Alles schien diese Liebe zu einer seligen zu erheben. So ist es aber mit den Neigungsheirathen, selten fällt eine gut aus. – Ich habe Seiler nicht närrisch geliebt, ich bedachte und berechnete die Zukunft, und habe mich, Gott sei gedankt! nicht getäuscht. – Seiler ist so gefällig, wie ein Mann sein kann; er ist verständig und klug, kein Ueberspannter, kein Fantast, kein Mensch, der sich seiner ehrgeizigen Pläne wegen ins Verderben und in Schande stürzt.

Was kann ich Aermste thun und ändern? weinte Clara.

Jede helfende Hand stößt er zurück, sprach die Geheimräthin weiter; ich weiß, daß auch Grimnitz abgewiesen worden ist, der ihm die besten Worte gab, sich mit dem Onkel zu versöhnen, Seiler's freundschaftliche Absicht anzuerkennen, und Dein wie unser Aller Glück nicht zu zerstören.

Er hat ihn zurückgewiesen? fragte die junge Frau schmerzlich.

O! noch mehr. Seiler sagte mir, daß es leicht sein könnte, Grimnitz würde Minister, und wenn dies geschähe, würde er, nach Anspielungen zu urtheilen, Dahl sicher mit ins Ministerium bringen, denn er hat von dessen Talenten und Fähigkeiten eine wahrscheinlich allzuhohe Meinung. – Aber nichts kann Deinen tugendhaften Gemahl von seinen republikanischen Fantasien heilen. Setze ihn auf einen Königsthron – doch das will ich nicht behaupten, unterbrach sie sich, denn die größten Freiheitshelden sind die ärgsten Tyrannen, Eigennutz und Eitelkeit ohne Maß sind ihre wahren Triebfedern; aber Du armes Kind gehst an der Seite dieses Mannes einer schrecklichen Zukunft entgegen.

Was kann mir noch geschehen? rief Clara kummervoll. Mein Kind ist todt, mein Herz ist gebrochen.

Durch ihn, sagte die Schwester, er, der Dich von uns getrennt, von allen Deinen Verwandten losgerissen hat, die Dich lieben, Dich beklagen und mit Entsetzen sehen, wohin es mit Dir kommen wird, denn wisse –

In diesem Augenblick stieß Dahl die Thür auf und stand auf der Schwelle. Die Geheimräthin erblaßte, Clara that einen jähen Schrei und hob bittend die Hände zu ihr empor.

Fahren Sie fort, liebe Schwägerin, fahren Sie fort, sagte Dahl, lassen Sie sich durch meine Gegenwart nicht stören. Der Zufall hat mich zum Zeugen Ihrer Unterhaltung gemacht, ein Horcher bin ich nicht; wenn von mir die Rede ist, vollenden Sie die Bekenntnisse einer edlen Seele.

Die Geheimräthin war so bestürzt, daß sie nicht antworten konnte. Ihr Gesicht glühte, sie versuchte vergebens, Dahl anzublicken. –

Sie scheinen ein wenig in Verwirrung gerathen zu sein, sagte dieser, vielleicht kann ich Ihrem Gedächtniß einhelfen. Ich habe Clara, die ich so innig liebte und noch liebe, unaussprechlich elend und unglücklich gemacht, und wodurch? Dadurch, daß ich nicht will, was ihre zärtlichen Verwandten für mich wollen; dadurch, daß ich als Mann, während eines politischen Kampfes, meine Partei nicht treulos verlassen, mich nicht zum Schurken und Verräther stempeln lassen wollte; dadurch endlich, daß ich die eigentlichen Zwecke dieser theuren Verwandten durchschaute und sie mit gebührender Verachtung von mir wies.

O! mein Herr, rief die Geheimräthin, aufstehend, ich bitte Sie, mich wenigstens mit neuen Beleidigungen zu verschonen. Wie glücklich Sie meine Schwester gemacht haben, das sieht man an ihrer abgezehrten Gestalt, an diesem eingefallenen Gesicht, an diesem Krankenbett, an dem Sarg, der ihr ganzes Glück umschloß, wie Sie so eben gehört haben werden, als Sie hinter der Thür standen.

Gott! mein Gott! höre auf! flüsterte Clara bebend.

Ja, das ist die Pest der Verleumdung! sagte Dahl, mit unbeschreiblicher Verachtung seine Schwägerin anblickend, das ist die Nichtswürdigkeit der Lüge und Bosheit, daß man im Ekel vor ihrer Gemeinheit keine Worte hat, ihr zu erwiedern. – Gehen Sie, Madame, verlassen Sie dies Haus; Sie haben Recht, es kann keine Gemeinschaft zwischen uns sein. Es ist unmöglich!

Du siehst, wie man mich hinaus wirft, erwiederte die Geheimräthin, sich zu dem Bett der Kranken niederbeugend und sie weinend küssend. Lebe wohl, meine arme Clara, doch was auch kommen möge, erinnere Dich stets, daß Du eine Schwester hast, die Dich zärtlich liebt, daß Du Verwandte hast, die über Dich wachen und nicht dulden werden, daß Dich Elend und Schmach treffen.

Als sie gegangen war mit allem Stolz und allem Haß, die ihr Gesicht ausdrücken konnte, warf sich Dahl auf den Stuhl neben Clara nieder und drückte den Arm in die Kissen zu ihrem Haupte. –

Ist es dahin gekommen, sagte er sanft und seine Stimme zitterte leise, wirklich dahin gekommen, daß Du Dich abwendest, wenn ich Dich zu mir rufe, wenn ich gebeugt von so vielen harten Schlägen, verdammt von denen, die mich hassen, verkannt von Allen, die mich lieben sollten, zu Dir fliehe, um ach! zu sehen, daß Du die härteste bist?

Clara antwortete nicht. Er ergriff ihre Hand, die sie nach einigem Sträuben ihm überließ, aber sie lag kalt und theilnahmlos in seinen Fingern, und als er sie küssen wollte, zog sie sie gewaltsam zurück. –

Habe ich das verdient? fuhr er fort, und wie im Selbstgespräch fügte er hinzu: Habe ich denn jemals aufgehört, Dich zu lieben? – Ich habe es bemerkt, daß schon seit einiger Zeit schwarze Schatten sich zwischen uns drängten, aber ich suchte durch vermehrte Liebe, durch Schmerz, durch Offenheit die Verleumdung zu überwältigen. – So war es sonst nicht zwischen uns, Clara. Ich nannte Dir die Triebfedern meiner Handlungen, Du fandest mein Streben schön, mein Wollen edel, meinen Kampf für Recht und Wahrheit würdig eines Mannes, und Du vertheidigtest mich gegen die Gemeinheit und warst stolz auf mich. Warum ist es jetzt anders geworden? Bin ich nicht mehr derselbe? Habe ich andere Grundsätze? Bin ich ein Ehrgeiziger, ein eitler Heuchler, weil ich nicht wanke, in einer Zeit, wo so Viele ihren Herrn verläugnen, wie Petrus vor der Gewalt? – Ich klage nicht über den Haß und die Rache meiner Feinde, nicht über die Verfolgungssucht, die den Stab über mich bricht, aber Du – Du! – Das ist zu viel, das ist ein Dorn, der bis ins Herz sticht. –

Wenn es wahr ist, erwiederte Clara, indem sie sich aufrichtete, wenn Dir mein Gram so zu Herzen geht, so beweise doch, daß Du mich liebst. – Ich habe an Dich geglaubt, wie man an Heilige glaubt, aber ich kann es nicht länger. Alle, die ich achte, die ich ehre, mit denen ich durch Bande des Bluts und der Freundschaft verbunden bin, tadeln Dich, geben Dir Unrecht, bemühen sich, Dich vom Verderben zu retten. Alle sind verständige, edle, einsichtsvolle Menschen, alle rufen Dir zu, den Abgrund zu sehen, Du allein willst nicht; Dein Eigensinn, Deine Hartnäckigkeit, der Stolz Deines Willens und Deine Herrschsucht, die zur Unfehlbarkeit geworden ist, können sich nicht beugen.

Wir sind wieder zu den Zeiten zurückgekehrt, wo der Fanatismus seine Opfer schlachtet, sagte Dahl düster. Wie einst der Religionshaß den Vater vom Sohn, die Frau vom Mann trennte, und alle Liebe und Treue aus den Herzen der Menschen riß, so jetzt der politische Fanatismus. – Du glaubst nicht mehr an mich? – Was kannst Du mir Schrecklicheres sagen! Du glaubst nicht mehr an meinen Werth, an meine Liebe, an meine Achtung, das faßt die Wurzeln an, die unser Leben vereinigen, und ach! ich kann nicht daran zweifeln, denn wie ungerecht, wie grausam bist Du gegen mich gewesen! – Seit acht Tagen habe ich erfahren, was es heißt, unglücklich sein an seinem Herde, wohin der Mensch sich retten soll, wenn Noth ihn heimsucht, wenn er das treue Herz sucht, das ihm geblieben ist. – Mir ist nichts geblieben!

Eine tiefe Stille folgte diesen düstern Worten. Endlich streckte Clara beide Hände nach ihm aus und sagte mit einer Stimme und mit Augen, in denen die alte Liebe dämmerte:

Müssen wir denn unglücklich sein, Hugo?

Nein, o nein! rief er, und leidenschaftlich umschlangen sie seine Arme, mein höchster Lebenswunsch ist es ja, Dich glücklich zu machen.

Ihre Lippen begegneten sich, ein süßer Rausch des wiedergefundenen Friedens leuchtete aus Dahls Augen.

Wenn Du wüßtest, sagte er, wie ich gelitten habe, wie unendlich schwer es mir wird, auch nur eine Stunde mit Dir zu zürnen.

Alles muß gut werden, wenn Du mich liebst, bat Clara. Ich habe Unrecht gethan; der Schmerz um unser liebes verlorenes Kind machte mich unfähig zum Nachdenken. Ich handelte im Wahnsinn, denn Du hast es ja auch geliebt, zärtlich geliebt; verzeih mir meine ungerechten Vorwürfe!

Ich denke längst nicht mehr daran, erwiederte er.

Wir müssen uns aus dieser Trauer reißen, müssen den Schmerz überwinden, fuhr sie fort; es ist so, wie Du sagst: das Grab gibt seine Todten nicht zurück und der Lebendige hat Rechte! – Wir sind ja noch jung, was uns geschehen ist, hat Viele schon getroffen, und neue Freuden können uns aufblühen; denn es gibt keinen Schmerz, der nicht getragen werden könnte, und den die Zeit nicht linderte und heilte.

Ja, mein Clärchen, rief Dahl erstaunt und freudig, fasse neuen Lebensmuth; er kommt Dir schon und wird uns Heil bringen.

Und Versöhnung, Frieden! sagte sie lächelnd. Meine Schwester hat harte Worte gesprochen, und Du bist nicht weniger scharf gewesen.

Auch diese Wunden werden wieder heilen. Du weißt, daß ich gegen Alle mild denke. Der Tag wird kommen, wo sie gerechter sein werden.

Er muß kommen, fiel Clara ein; aber sage mir, ist es wahr, daß Grimnitz Dich aufgefordert hat, ins Ministerium zu treten?

Er bildet sich ein, man verlange nach ihm, erwiederte Dahl, und hat ein Programm entworfen, das seine Forderungen und Bedingungen enthält.

Nun? fragte sie erwartungsvoll.

Nun, man hat bis jetzt nicht geantwortet und wird nicht antworten.

Aber wenn man antwortet und darauf eingeht?

So könnte ich doch keinen Antheil an der Regierung nehmen, denn diese würde niemals das sein, was ich von ihr verlange.

Ein Schleier des Mißmuths legte sich auf ihre freundlichen Züge.

Ach! das kann Dein Ernst nicht sein, sagte sie. Minister, Du – Minister! Bedenke, wie Du dann Vieles können wirst; wie alle Deine Feinde schweigen werden. Mein Gott! Minister das kannst Du nicht ausschlagen.

Mein armes Clärchen, erwiederte Dahl betrübt, ich habe es ausgeschlagen.

Wirklich wirklich! – und doch sagst Du, daß Du mich liebst, daß Du nur lebst, um alle meine Wünsche zu erfüllen, mich glücklich zu machen.

Ist es denn ein Lebensglück, die Frau eines Ministers zu sein, der seine kurze Höhe mit einem um so schimpflicheren tiefen Fall bezahlen würde? sagte Dahl lächelnd.

So sagst Du, aber es ist nicht so; verständige Leute urtheilen anders.

Ich bitte Dich, laß uns freundlich bleiben, fiel er ein, und die fatalen Punkte, die uns trennten, nicht mit neuen Farben auffrischen. –

Er ergriff bei diesen Worten ihre Hand und blickte ihr wehmüthig in das zürnende Gesicht.

Glaube doch, daß ich das Rechte will, fuhr er dann fort, und daß ich handle, wie ich muß.

Das kann nicht das Rechte sein, sagte sie heftig.

Du willst es nur nicht erkennen, erwiederte er sanft.

Du heuchelst! rief sie, ihm ihre Hand entreißend.

Clara! sprach er, den Kopf stolz aufhebend mit Ruhe, aber mit einem Tone, der so drohend war, daß sie erblaßte.

Ach! Hugo, mein theurer, mein geliebter Mann, wie soll ich Glauben behalten, wenn Du mich überall abweist? – Gib mir jetzt den Beweis Deiner Liebe, folge nur diesmal Grimnitz und Deiner Freunde Rath, mein ganzes Leben soll Dir danken, auf meinen Knieen bitte und beschwöre ich Dich –

Sie versuchte sich aufzurichten, aber Dahl drückte sie in die Kissen zurück. – Quäle mich nicht so entsetzlich, sagte er. Mein Gott! welche Pein, welche furchtbare Erniedrigung! – Ich kann nicht, und wenn ich sterben müßte, wenn ich Dich lassen müßte, wenn alle Liebe aus meinem Herzen gerissen würde – ich kann nicht, Clara, ich darf nicht, so lange ich denken und empfinden kann – ich darf nicht!

Eine Stille trat ein, dann sagte die junge Frau langsam:

Ich hätte es wissen können, ich war Thörin genug, zu glauben, daß ich es ändern könnte. Ja, das reißt die Liebe aus dem Herzen mit allen ihren Wurzeln und läßt nichts zurück als eine öde Stelle, um Salz darauf zu streuen und einen Fluch darüber zu sprechen.

Ich kann nicht mehr! rief Dahl aufstehend. – Nicht mehr hören, was Du sprichst, es sticht mich mit Dolchstichen; nicht mehr sehen, wie Du Dich gebährdest, es erregt mir Schrecken. Alle meine Empfindungen sind verwirrt, ich glühe davon, ich verliere den Glauben an mich selbst, denn was ich auch thun möchte, um Dich zu überzeugen, ich weiß, es ist vergebens. – Gewöhne Dich an Unvermeidliches, werde ruhig, prüfe und erwäge und gib mir Recht, oder unterwirf Dich und schweige.

O! Hätte ich früher geprüft, früher erwogen! sagte sie schmerzlich.

Wir hätten Beide wohl daran gethan, antwortete er dumpf in sich hinein.

Eine neue Pause folgte von Clara's leisem Weinen unterbrochen.

Endlich sagte Dahl:

Ich bin wie ein Schiffbrüchiger, der auf einer Klippe steht; jede neue Welle nimmt ein Stück fort; wann wird die letzte kommen, die mich verschlingt!

Mit diesen Worten ging er hinaus, und in stummer Verzweiflung warf er sich in die Ecke seines Arbeitsstuhls, um sich seinen Schmerzen still zu überlassen und die verlorene Beherrschung wieder zu gewinnen. Sein hoffnungsloses Hinbrüten war von den Gedanken an das tiefzerschnittene eheliche Glück, wie von Gewitterblitzen, unterbrochen, die ihn mit Entsetzen erfüllten. – Ein schrecklicher Abgrund lag vor ihm, dessen Nacht ihn durchschauderte, und wie um Rettung vor Gespenstern, die vor seinen angstvoll geschlossenen Augen schwebten, breitete er die Arme aus und rief erbangend:

Ich lasse Dich nicht, ich halte Dich fest. O! mein Clärchen, es ist ja unmöglich, unnatürlich. An meinem Herzen ist Dein Platz, Du mußt mich verstehen, mußt mich finden.

Eben wurde die Thür geöffnet, die Dienerin brachte einen Brief herein, den sie mit einem sonderbar mitleidigen Blick ihrem Herrn reichte. Dahl erkannte Clara's Schriftzüge; er riß das Papier auf und starrte mit Blicken des Wahnsinns hinein. –

Wir haben uns getäuscht, murmelte er lesend mit immer mehr keuchender Stimme – Du sagst, wir hätten Beide wohlgethan, zu prüfen – die Liebe ist ausgerissen in meinem Herzen, wer vermag sie zu halten – Dein Starrsinn – Elend über uns – Vernichtung aller Hoffnung – keine Zukunft mehr – darum trenne ich mich – kehre zu meinem Onkel zurück. – Lebe wohl! –

Allmächtiger Gott! – Ha! verlassen, verrathen! –

Er ließ das Papier fallen und schlug beide Hände verschlungen vor seine Stirn. – Geisterbleich im Gesicht rötheten sich seine Augen blutig, seine Knie wankten, seine Zunge vertrocknete, er wollte niedersinken, aber er richtete sich gewaltsam auf und zog die Klingel.

Wo ist meine Frau? fragte er mühsam die Dienerin.

Die Frau Räthin hat sich angekleidet –

Sie ist in ihrem Zimmer? fiel er ein.

Nein, ich habe einen Wagen holen müssen; sie ist ausgefahren.

Gut, sagte er, gut. –

Er wendete sich ab. –

Verloren! auf ewig verloren! rief er mit furchtbarer Heftigkeit, was kann mir noch geschehen?!


8.

Einige Tage nach diesem Ereigniß finden wir Clara im Hause ihres Oheims, der, einen Brief in der Hand, in ihr Zimmer trat, und triumphirend ihr zulächelte. Die junge Frau lag auf der Bergere in Kissen und Decken, ihr Gesicht röthete sich, als sie auf das Papier blickte.

Nun, es geht besser, wie ich dachte, sagte der Onkel. Hier ist ein Schreiben von ihm; er ist mit Allem einverstanden.

Sie griff nach dem Briefe, aber der alte Herr zog ihn zurück. Du wirst Dich nur aufregen, meinte er.

Ich bin darauf gefaßt, mich beschimpfen zu hören, erwiederte sie.

Nein, das thut er nicht, antwortete der Director; er ist kurz angebunden und macht es ab, wie ein Mann, der sein Urtheil empfangen hat und auf den Tod gefaßt ist.

Lesen Sie, guter Onkel, flüsterte Clara.

»Nach dem, was geschehen ist,« las der Director, »bin ich ganz damit einverstanden, daß so schnell als irgend möglich die Trennung meiner Ehe erfolgt. Sie schlagen mir vor, auf böswillige Verlassung zu klagen, ich würde es lieber sehen, wenn unüberwindliche Abneigung als Scheidungsgrund angeführt würde. – Wenn Sie jedoch darauf beharren, will ich mich fügen. Alles, was meine Frau besitzt, habe ich Ihren Wünschen gemäß verabfolgt.«

Das ist Alles, was er schreibt? fragte sie leise.

Nicht ein Wort mehr, erwiederte der Onkel. So wenig er nach Dir gefragt hat oder gekommen ist, oder irgend einen Versuch gemacht, Dich zu versöhnen, so wenig macht er jetzt den geringsten Versuch, eine Wiedervereinigung zu bewirken. – Deine ganze Habe hat er hergeschickt, seine Geschenke dabei, den reichen Silbersegen von der Hochzeit, sammt Allem, wo er irgend denken konnte, daß Du einen Anspruch machen könntest. Das ist verdammt nobel, man muß es eingestehen, und in dieser Beziehung ist Dahl wirklich ein Mann, vor dem man Hochachtung haben muß. Eigennutz kennt er nicht, wie andere Leute, er hat ein großmüthiges Herz in der Brust.

Und doch ein Herz von Stein, sagte sie leise.

Einen verkehrten Sinn, rief der alte Herr. Suche Dich nur zu trösten und weine nicht mehr so viel, Clärchen. – Du hast den Schritt gethan, der schon vor Monaten uns als ein letztes Rettungsmittel vorschwebte, nun mußt Du Muth haben und den Kopf nicht verlieren. Wir wollen die Sache so rasch abmachen, daß Du in kurzer Zeit ganz frei sein wirst.

Wie urtheilt man denn über meinen Schritt? fragte Clara zögernd.

Gut, sagte der Director, sehr gut. Dahl kommt übel weg, aber ganz wie er es verdient. – Sein fanatischer Starrsinn ist unerträglich; Du wirst allgemein bedauert, beklagt und belobt, und jetzt, da wir uns von ihm zurückgezogen haben, gibt ihn die ganze Welt auf und ächtet ihn als einen Menschen, der, wie im Staat, so in der Familie, nur Unheil und Gewalt begeht.

Clara schwieg, denn der Onkel wendete sich zur Thür, durch welche so eben die Geheimräthin hereintrat. –

Nun, Jenny, rief er ihr entgegen, wir sind fertig, Dahl hat sich erklärt; er will alles, was ich ihm vorgeschlagen habe. Jetzt müssen wir nur sorgen, unser Clärchen aufzuheitern, die noch immer die Augen voll Wasser hat, wenn sie zurück denkt.

Die Geheimräthin hatte den Brief gelesen und sagte, mit einem Blick auf ihre Schwester: Dieser Mensch ist immer derselbe, er kann sich keinen Augenblick verläugnen. Also nicht auf Verlassung, sondern auf unüberwindliche Abneigung sollst Du klagen. Wie roh und gemein ist er! Nein, Du kannst, wenn Du zurück denkst, keinen Schmerz empfinden, und am allerwenigsten eine Sehnsucht nach ihm, der nur spotten und höhnen kann und für seine Frau dasselbe hat, wie für uns Alle, übermüthige Beleidigungen.

Sie regte sich an Clara's Bett und fuhr lächelnd fort:

Du siehst schon besser aus, Du erholst Dich. Bald werden Deine Wangen wieder roth werden; Du solltest nur hören, wie sehr man Dich überall rechtfertigt. Heute war Grimnitz bei uns, er schickt Dir die freundlichsten Grüße.

Was sagte er? fragte Clara unverkennbar ängstlich.

Ach, Grimnitz! rief die Geheimräthin, das ist ein Mann der großen Welt, der die Verhältnisse nicht mit der Krämerelle mißt. Er fand Dich völlig gerechtfertigt, lachte über Deine Flucht, die er genial und einen kühnen Entschluß nannte, um den Banden, die Dich drückten, mit einem Sprung in die Freiheit zu entkommen, und will Dich besuchen, um Dir seine Glückwünsche selbst zu bringen.

Die junge Frau war erheitert durch diese Mittheilungen, und Jenny sprach mit dem Onkel vereint ihr so fortgesetzt Muth ein, daß die trübsinnigen Anklänge, welche sie heimlich peinigten, ganz in den Hintergrund traten. –

Am Nachmittag vermochte der Steuerdirector sie dazu, eine kleine Spazierfahrt zu machen; einige Bekannte wurden begrüßt, einige neugierige Fragen und eine Reihe verwunderter Blicke ausgehalten, und als so die ersten Verlegenheiten überwunden waren, ging es am folgenden Tage bei Weitem besser. Clara schlug nicht mehr mit einer peinlichen Empfindung das Auge nieder, wenn sie einen Bekannten kommen sah; die Menschen wußten es ja nun, daß sie Dahl verlassen hatte, und als sie endlich in zwei großen Gesellschaften gewesen war, wo man sie mit Aufmerksamkeit empfing und ihr zu gefallen wetteiferte, trat nur noch selten eine bange Minute mahnend an ihr Herz.

Clara bemerkte von Neuem, welch ein Unterschied in der Gesellschaft die Frau von dem Fräulein oder der Dame trennt, um deren Gunst sich Männer bemühen dürfen. –

Noch war die Anklage auf Scheidung nicht erhoben und doch sah sie, daß manche Blicke sie suchten, die bisher kalt an ihr vorübergegangen waren. Die Nichte des alten, reichen Directors war jung und schön, ihre Verhältnisse interessant, der leise Zug von Schmerz und halb überstandenem Leid, der um Augen und Mund erkennbar schien, machte sie doppelt anziehend.

Grimnitz war einer der Ersten, der sich Clara näherte, und ohne alle Verlegenheit in feinster Weise ihr seine Freude schilderte, sie wieder hergestellt zu sehen. Kein Wort wurde über Dahl gesprochen, und obwohl der Legationsrath den größten Theil des Abends sich mit der jungen Frau beschäftigte, schien er doch alles Gedächtniß für die Vergangenheit verloren zu haben.

Clara dankte es ihm, als er am nächsten Tage sie besuchte. –

Sie sind sehr gütig gegen mich, sagte sie erröthend, als er wiederum sie lange Zeit von den verschiedensten Gegenständen unterhalten hatte, aber was Sie vermeiden wollen, darüber gerade möchte ich mit Ihnen sprechen. – Dahl ist Ihr Freund, haben Sie ihn besucht?

Ich bin zwei Mal bei ihm gewesen.

Und haben Sie es mit ihm so gemacht, wie mit mir, das heißt, haben Sie mit keinem Worte unsere Trennung berührt?

Gnädige Frau, sagte der Diplomat lächelnd, ich habe in diesem Falle geglaubt, nirgend die Initiative ergreifen zu dürfen, sondern zu warten, bis mir vielleicht von einer der streitenden Mächte eine specielle Aufforderung zuginge. – Dahl hat mir kein Wort gesagt, als die eine Frage: Weißt Du, was sich hier zugetragen hat? – Ich nickte, und halb abgewendet und halblaut fuhr er fort: Daran ist nichts zu ändern, kein Gott kann wiederbringen, was ich verloren habe. – Er begann von etwas anderem zu sprechen und ganz natürlich ging ich darauf ein.

Das Gesicht der jungen Frau erblaßte, während Grimnitz sprach. Durch ihr Herz ging ein schneidendes Weh, dem ein geheimer Zorn folgte. –

Ich freue mich, zu hören, sagte sie, daß Dahl so ruhig ist. Wollte Gott! ich hätte anders gekonnt, allein ich war zu Ende mit Liebe, Vertrauen und Glauben und sah nur trübe Tage vor uns.

Sie haben völlig recht gethan, fiel Grimnitz ein. Die Ehe ist Vertrag zwischen zwei Menschen, sich das Leben gegenseitig so angenehm wie möglich zu machen; läßt sich das nicht mehr erfüllen, so muß er aufgehoben werden, und glücklicher Weise sind unsere Gesetze von der Art, daß sie keine Hindernisse bieten. Ich kenne nichts Traurigeres, als wenn zwei Unglückliche auf ewig zusammen geschmiedet bleiben sollen, wenn sie finden, daß sie nicht zusammen passen, und diese Erkenntniß kommt gar zu leicht in Ehen, wo man sich allzu nahe steht und mit allen Lebensfäden gleichsam zusammen genäht ist.

Clara sah ihn lächelnd an, Grimnitz küßte ihre Hand und rief:

Sie müssen mir dies Urtheil zu gut halten, aber wie ich die Ehe betrachte, will ich von der Frau eben das Gefühl des Nichtpassens dadurch entfernen, daß ich sie gar nicht dazu kommen lasse. Sie soll die Freuden des Lebens erfahren, nicht die Leiden. Eine ernste Frau, eine politische Frau, eine gelehrte Frau, eine Philosophin, oder eine sogenannte geistreiche Frau mit Weltschmerz und sozialen Gedanken, ist mir eben so unangenehm, wie eine Intriguantin oder eine Patriotin.

Was verlangen Sie denn also? fragte Clara belustigt.

Eine Frau, die das Vergnügen liebt, die in der Gesellschaft zu leben weiß, die mich angenehm unterhält, wenn wir allein sind, die, wie ein constitutioneller König herrscht, aber nicht regiert; eine Frau, die meine Empfindungen belebt, ohne meinen Geist zu bedrücken und sich in nichts mischt, was mich speciell betrifft, nirgend hofmeistert, sondern sich ihr Reich bildet. – Theuerste Frau, lassen Sie es sich gesagt sein: hätte Dahl von Anfang an seine Ehe so zu ordnen verstanden, sie würde nie dahin gelangt sein, wo sie ist. – Er aber hat Sie in den Ernst seines Lebens gezogen, Sie zur Vertrauten und Theilnehmerin gemacht, und während Sie mit leichten Flügeln über der Erde hinschweben wollten, hing er Bleigewichte an Ihre reizenden Füßchen und riß Sie in sein politisch thörichtes Beginnen, das Ihnen zuletzt unerträglich werden mußte. – Sie waren keine Frau, die dazu paßte; er hätte eine Roland, eine Rahel, eine Borghese, kurz eine von den düstern feurigen, fanatischen Weibern haben müssen, deren Seelen sich in Tugendträumen und Schwärmereien und allenfalls im Blute der Tyrannen begeistern können.

Haben Sie Antonie Uttenhofen nicht gesehen? fragte Clara, als er schwieg.

Ah! sehen Sie, das wäre auch beinahe eine Frau für ihn, rief Grimnitz. Eine Aristokratin, eine Patriotin, aber eine Schwärmerin für alles Hohe und Edle. Es war merkwürdig anzuschauen, mit welcher Bewunderung sie von Dahl sprach, und während sie seine Grundsätze verdammte, ihn dagegen mit Ehrfurcht und Anbetung betrachtete. Mit einer solchen Frau würde er vortrefflich gefahren sein. Sie hätte ihn gehalten und gehoben zu gleicher Zeit, und beide hätten sich ausgeglichen und wären wie Ströme von rothem und schwarzem Wasser, wie Main und Rhein, zusammen geflossen, um sich gegenseitig zu färben.

Er lachte über seinen Vergleich, als der Steuerdirector hereintrat, der erfreut, Grimnitz zu finden, ihm sogleich den. Vorschlag machte, Clara bei einer Spazierfahrt durch den Park zu begleiten.

Ich komme eben herein, um mich zu entschuldigen, sagte er. Der Wagen hält an der Thür, da bringt man mir ein Billet, das mich zu einer wichtigen Conferenz ruft. Vertreten Sie meine Stelle, Baron, und heitern Sie mein armes Clärchen auf, die mir große Sorge zu machen anfängt. Vielleicht verstehen Sie es besser wie ich. Die Aerzte sagen, Luftveränderung, Zerstreuung, eine Reise; die Aerzte sind Dummköpfe! Eine Reise kann ein krankes Herz nicht gesund machen, und ich fürchte, es sitzt da. Der verteufelte Dahl will nicht heraus, trotz aller Streiche, die er gemacht hat.

Clara war gegangen, um Mantel, Hut und Shawl zu nehmen, sie hatte daher nicht gehört, wessen ihr Onkel sie anklagte. –

Ich glaube, sie ist auf dem Wege zur Heilung, sagte Grimnitz leise. –

So thun Sie das Ihrige, Cardinal, In Anlehnung an die Schlussworte des Königs in Friedrich Schillers Drama »Don Carlos« (Akt V, 11. Auftritt). – Anm.d.Hrsg. flüsterte der alte Herr, ihm die Hand drückend.

 

Der Tag war schön und sonnig, aber frisch und der Park leer von Besuchern. Die Pferde flogen durch die öden Gänge und Grimnitz unterhielt seine Begleiterin mit allerlei Betrachtungen über Wetter und Menschenverhältnisse.

Ich finde es schwül, sagte Clara endlich.

Ganz wie ich, erwiederte er, darum werde ich nächstens mich fortmachen.

Sie wollen uns verlassen? fragte sie erstaunt. Ich habe geglaubt und man hat mir gesagt –

Daß ich wieder in den Staatsdienst treten wolle, fiel er ein. Es hatte den Anschein danach, aber es ist nichts damit; die Zeiten sind nicht so, wie sie sein müßten, wenn ich mich entschließen sollte – nein! ich will fort. Was hat man auch in diesem Lande, wo es acht Monate friert und regnet, und vier Monate der Sommer ein grün angestrichener Winter ist? – Unabhängig sein, leben können, wo man will und wie man will, das ist die wahre menschliche Freiheit, und wer die kennen gelernt hat, will nicht zurück. – Italien, das ist das Land, wo ein wahrhaft freier Mensch leben muß.

Aber die Oesterreicher und der König von Neapel! sagte Clara.

Die Unterdrücker, die erbärmlichen Regierungen und das unglückliche geknechtete Volk! so würde Dahl ausrufen, lachte Grimnitz; was gehen mich aber die an? – Der Himmel ist so schön und liebeheiß, die Orangen blühen so duftig, die Kunst öffnet ihre Schätze, die Natur bietet alle ihre Wunder; ich lebe, ich liebe und freue mich, und will ich die zerlumpten Lazzaroni nicht länger sehen, so eile ich zur Abwechselung in die Schweiz, wohne in meiner Villa bei Vevey am Genfer See, schwelge in Alpenglühen und blauem Gebirgsduft, bis eine neue Sonne winkt. – Das ist ein wahres Menschenleben, theuerste Freundin. Elend der Welt bleibt davon zurück; ich kann es nicht ändern, darum schüttle ich es ab. Ich wenigstens will glücklich sein und die so glücklich machen, wie ich es bin, die mit mir sein wollen. – Kommen Sie nach Italien, Clara, dort vergessen sich alte Schmerzen. Statt hier durch den öden Park zu fahren und heimzukehren in eine düstere Einsamkeit, eilen wir fort in die Welt, für die wir geboren wurden.

Vorläufig, erwiederte sie lächelnd, will ich Sie auf festen Boden bringen, und damit Sie nicht durch irgend einen Zaubermantel mir davon fliegen, geben Sie mir Ihren Arm.

Der Wagen hielt und Beide gingen durch den entlaubten Wald, um an einem andern Punkte wieder einzusteigen. –

Ist es nicht seltsam? sagte Grimnitz: wer hätte vor wenigen Wochen noch gedacht, daß ich hier mit Ihnen von italienischen Reisen und Zukunftsplänen sprechen würde?

Haben Sie Antonien nie davon erzählt? fragte sie.

Ich stehe in einem falschen Verdacht bei Ihnen, erwiederte er. Das Fräulein von Uttenhofen ist sehr schön, sehr geistreich, sehr liebenswürdig, aber Sie haben mein Urtheil über die geistreichen Frauen gehört, die aller Welt Schmerz und Weh in den Kreis ihrer Untersuchungen ziehen. Jeder Fanatismus ist mir ein Greuel, und wenn er noch so edel oder tugendhaft ist, ich fliehe ihn, denn er tödtet mich. Ich verlange leichte, fröhliche Frauen, die nichts wollen als leben und lieben, und im Genuß nicht fragen nach dem Woher?

Eben bogen sie von dem bisherigen Pfad in einen Weg, der zu beiden Seiten mit hohen Schwarztannen besetzt war, welche, dicht zusammen stehend, vom Boden auf ihr düsteres Gezweig verflochten, als Clara mit einem leisen Schrei sich an Grimnitz lehnte.

Nun, was ist es mehr! flüsterte der kaltblütige Diplomat ihr lächelnd zu. Muth gefaßt, schöne Frau, Sie sehen, man erwartet uns.

Kaum zwanzig Schritte von ihnen stand Dahl neben einer Dame, die keine andere wer, als das Fräulein von Uttenhofen. Beide schienen in ihrem Gespräch von den letzten lauten Worten, die Grimnitz lebhaft ausgerufen, gestört zu sein, sie sahen erstaunt auf die Ueberraschten, und wie es schien, machte Antonie Anstalt umzukehren und Dahl zu entfernen, als dieser aus seiner Erstarrung erwachte und mit festen Schritten sich Clara näherte.

Sieh' da, Dahl, sagte Grimnitz, mit der Hand grüßend. Morgen früh besuche ich Dich.

Dahl blieb stehen und fragte mit weicher Stimme:

Wie geht es Dir, Clara?

Gut, flüsterte sie, und scheu emporblickend in sein ernstes, stilles Gesicht, das von dem Kummer, den er getragen, noch schärfer, charakteristischer sich ausgeprägt hatte, bebte sie zurück, denn es kam ihr vor, als wolle er den Arm nach ihr ausstrecken. Ein Grauen faßte sie an, ein Grauen vor dem beleidigten Mann, vor diesem Ernst, dieser gefurchten Stirn. Es kam ihr vor, als habe er etwas Gespenstisches und neben ihr stehe das Leben in voller Jugendfrische und feuriger, leichter, übersprudelnder Lust.

Lebe wohl, sagte Dahl mit tiefer Stimme, die markig schwer aus der Brust kam – lebe wohl, Clara.

Auf Wiedersehen, Freund, auf morgen, rief Grimnitz, indem er mit seiner Begleiterin weiter ging.

Halt noch einen Augenblick, fiel das Fräulein von Uttenhofen ein, und indem sie sich an Clara wandte, sagte sie hastig:

Heut erst bin ich von einer Reise nach Haus zurückgekehrt, ich hörte Deine Geschichte, und vom Zufall begünstigt, traf ich Dahl hier im Park. Darf ich hoffen, daß Du morgen meinen Besuch annimmst?

Ich sehne mich, Dich zu sehen und zu sprechen, erwiederte Clara.

So werde ich kommen, ich habe Dir viel zu sagen. Lebe wohl.

Sie trennten sich. Dahl bot Antonien den Arm, Grimnitz führte Clara, sie gingen nach entgegengesetzten Seiten.

Nach einiger Zeit sah sich Grimnitz um und lachte laut auf. –

Ein merkwürdiges Zusammentreffen! rief er aus, aber ein Wink des Schicksals. Kann es Passenderes geben? Groß und schlank reicht sie fast zu ihm herauf und wie ein nordischer Recke wandelt er dort durch den finstern Wald, die Norne an seiner Seite, um Schicksalssprüche zu lösen.

Clara antwortete nicht, sie zitterte vor Fieberfrost.


9.

Am nächsten Morgen finden wir den Legationsrath schon früh bei seinem Freunde, dem er gleich beim Eintreten die Eröffnung gemacht hatte, daß er in den nächsten Tagen schon Stadt und Land verlassen und nach Italien zurückkehren werde.

Nun, sagte Dahl lächelnd, war ich ein guter Prophet? Wo sind Deine Hoffnungen auf den Ministertisch?

Der Legationsrath zuckte leise die Schultern und die Lippen.

Man glaubt fertig zu werden ohne mich; guten Appetit! erwiederte er spottend.

Und man wird fertig werden ohne Dich, fuhr Dahl fort, denn zu dem Absolutismus, dem man den constitutionellen Lumpenmantel umhängt, hat man Dich nicht nöthig. Du willst wenigstens den Schein nicht.

Ich gehe, sagte Grimnitz, um mir den Ekel aus dem Magen zu bringen, den Ihr Alle mir verursacht; aber höre jetzt zum letzten Male meine Warnung. – Die Frucht ist reif, der Gärtner hat das Messer in der Hand. Verstehst Du, was ich meine? – Nimm Dich in Acht.

Ah! ich kann es mir denken, sagte Dahl.

Das heißt, Du willst nicht hören? fuhr der Freund fort. Du pochst auf Deine Unschuld, auf Gerechtigkeit, Unverletzlichkeit und dergleichen. – Beobachte die Zeiten:

Geld und Gewalt, Gewalt und Geld,
Daran kann man sich freuen;
Gerecht- und Ungerechtigkeit,
Das sind nur Lumpereien!

Göthe war ein großer Mann, er kannte die Menschen.

Die Fürsten und ihre Minister; er war selbst Einer, antwortete Dahl.

So nimm Dir ein Beispiel daran.

Ich danke Dir und wünsche Dir glückliche Reise.

Willst Du mit? fragte Grimnitz. Noch ist es Zeit.

Dahl schüttelte abweisend den Kopf. Fliehen, sagte er – niemals!

Alexander und Cäsar sind geflohen, meinte der Legationsrath; selbst der Löwe flieht. Er wäre ein Thor, wenn er gegen Elephantenheerden sich widersetzen wollte. – Du siehst, ich nehme meine Vergleiche aus Geschichte und Naturgeschichte.

Habe Dank, lieber Freund, erwiederte Dahl, seine Hand drückend, Du magst Recht haben, aber ich werde nicht weichen, weil ich wirklich nicht weiß, warum.

Du bist ein eben so großer Narr des Rechts, wie Romeo ein Narr des Glücks war, rief Grimnitz. Meinetwegen, Du bist zu starrsinnig, um klug zu sein. Du weißt nicht, warum Du fliehen sollst? Ich glaube es Dir; aber wenn man einen Sünder hängen will, fehlt es da je an einem Strick, und ist es nicht immer noch wahr, was jener englische Oberrichter sagte: Gebt mir drei geschriebene Worte von einem Menschen, und er soll dem Galgen nicht entgehen! –

Er ging auf und nieder und blieb vor Dahl stehen:

Ein Hochverrathsprozeß, was meinst Du dazu? – Du bist kein Hochverräther, gewiß nicht, aber eine Anklage läßt sich doch zusammen stellen, und diese Anklage reicht hin, Dich zu verhaften.

Man kann es, man kann Alles! murmelte Dahl.

Und wer hinter festen Mauern und Thüren sitzt, mein gelehrter, rechtskundiger Freund, Du weißt es, vor dem öffnen sie sich so bald nicht wieder, fuhr Grimnitz fort. Ist der Schritt geschehen, so wird man Alles aufbieten, um eine Verurtheilung zu bewirken, und Du kennst unsere gerechten Gesetze, wo der Verdacht hinreicht, auf fünf oder zehn Jahre einen Menschen im Kerker zu begraben. Aber gesetzt auch, man spräche Dich endlich frei, so würden lange Monate, vielleicht Jahr und Tag hingehen, ehe der Prozeß sich entschiede. Bist Du nun der Mann, um einsam in einer öden Zelle zu verwesen? Kannst Du Gram, Zorn, Verzweiflung ertragen, ohne daß sie Dich zernagen – O! es kommt vielleicht die Stunde, wo Du glorreich wieder ans Licht trittst, aber Mancher schon ist unschuldig erklärt worden, und seine Feinde hatten dennoch gesiegt. Zerrüttet an Seele und Leib, schwachsinnig und stumpfsinnig stieg er aus dem Kerker hervor.

Sprich die Wahrheit, Grimnitz, sagte Dahl. Haben die Gewaltmenschen etwas gegen mich vor?

Grimnitz schwieg und sah ihn bedeutungsvoll an.

Du hast viele Feinde, sprach er dann, Du bist das Haupt einer Partei, die man vernichten möchte, und wenn das Haupt fällt, fällt der Körper. Hüte Dich, noch ist es Zeit, aber schnell, Du kannst in wenigen Stunden in Sicherheit sein.

Um mich verfolgen zu lassen wie einen gemeinen Verbrecher, rief Dahl; um mich durch die Welt hetzen zu lassen bis jenseits des Oceans in die Steppen des Missouri. Nein! ich habe ein reines Gewissen, ich will mein Andenken rein erhalten.

So geh in Dein Schicksal! sagte Grimnitz, einem Fantasten ist nicht zu helfen. Ein Revolutionair bist Du nicht, Du bist zu ehrlich dazu, zu verstockt in Deinen Begriffen von Recht und Tugend. Du willst der Welt helfen und vermagst nicht einmal drei Schritte weit um Dich zu sehen. – So bist Du um Dein häusliches Glück gekommen, so kommst Du um Dein Lebensglück, und wie ein König im Narrenhause schlägst Du an Deine papierne Krone und freust Dich Deiner Herrlichkeit. – Lebe wohl, ich werde Dich nicht wieder sehen.

Dahl reichte ihm die Hand und sagte lächelnd:

Geh, und schließe Dich ab vor fremdem Leid, es wird durch alle Thüren zu Dir kommen. Du möchtest ein vollendeter Egoist sein und kannst es nicht; Du hast doch immer noch ein Stück Herz in der Brust, und ehe das nicht ausgerissen ist, wirst Du mich auch nicht vergessen.

Noch eine Frage an Dich, erwiederte Grimnitz. Denkst Du an eine Aussöhnung mit Deiner Frau?

Ich halte sie für unmöglich, sagte Dahl.

Ich auch. Gestern war der Augenblick dazu, sie hat ihn vorüber gehen lassen.

Sie wendete sich von mir; ich sah die Furcht, welche ich ihr einflößte, rief Dahl erregt. In diesem Augenblick, wo mein Herz weich und versöhnungsdürstig war, begriff ich, daß Alles vorüber ist.

So wirst Du mir beistimmen, daß es wohlgethan sei, wenn sie reist, und vielleicht mit mir in Italien zusammen trifft? fuhr der Legationsrath fort.

Sehr wohl gethan, erwiederte Dahl, Ihr werdet vergnügte Tage haben.

So nimm meinen letzten Rath, sagte Grimnitz. Du gibst mir Clara, und thust recht daran, denn Ihr könnt auf weiteres Glück nicht hoffen; ich zeige Dir dagegen den Weg zum Ersatz. Du brauchst ein Wesen, das so ernst und fest, so voll Gedankenlust und Begeisterung ist, wie Du. – Das Fräulein von Uttenhofen –

O! schweig, rief Dahl unwillig; miß Alles nach Deinem Maßstabe, aber nicht eine Seele, die Du nicht begreifst. – Wir sind getrennt durch Räume, die sich nicht ausfüllen lassen; Liebe wächst nicht in diesen Abgründen. Man kann verehren, bewundern, anbeten, aber das Herz bleibt unberührt. – Ach! Du weißt das nicht, Du verstehst das nicht, fuhr er erglühend fort. Ich habe geliebt mit so heißer Liebe, wie ich sie aufnehmen konnte; ich liebe noch, mein Gott! noch jetzt, noch in diesem Augenblick, bis mein Herz still steht; denn ich kann nicht vergessen, was mein Glück war, und dennoch – dennoch!

Mußt Du entsagen, fiel Grimnitz ein, weil Dein Fanatismus größer ist als Deine Liebe.

Es kommt auf die Probe an, sagte das Fräulein von Uttenhofen, welche durch die Seitenthür hereintrat, und an der Hand Clara führte, die leise sich sträubend und doch folgend, sich halb hinter ihr verbarg.

Clara! rief Dahl mit dem Tone der höchsten Freude und Bangigkeit. Er streckte die Hände aus, aber er that keinen Schritt, Kraft und Wille schienen zu schwanken, und feine Arme sanken schlaff nieder, als Antonie sagte: Ich habe meine liebe Freundin bewogen diesen letzten Schritt zu thun, um die Bedingung zu stellen, unter der sich eine aufrichtige wahre Versöhnung zwischen Ihnen hoffen läßt. – Die Entscheidung liegt in Ihrer Hand, Herr Obergerichtsrath; Sie werden, Sie müssen nachgeben. – Wenden Sie sich nicht ab, Clara verlangt nichts, was Sie entehren könnte. Sie hat eingesehen, daß ein Mann von Charakter nicht erfüllen kann, was ihre Verwandten und sie selbst einst von Ihnen begehrte; Alles, was sie fordert, ist, daß Sie sich zurückziehen, keiner Partei angehören, daß Sie, wenn es sein muß, auch Ihrer jetzigen Stellung entsagen, um mit ihr und für sie zu leben. Retten Sie sich aus diesem wüsten Treiben, geben Sie eine verlorene Sache auf, ziehen Sie sich ins Privatleben zurück und leben Sie dort der Liebe, der Freundschaft und einer besseren Zukunft. – Ich lade Sie dazu ein, fuhr sie fort, und biete Ihnen, als einen friedlichen Rückzugsort, mein Haus als Wohnplatz. Oder wollen Sie das nicht, so bleibt Ihnen das ganze Land und andere Länder. Clara will Sie überall begleiten, überall mit Ihnen sein, wohin Sie gehen mögen, ihre Liebe wird Sie neu beglücken, ihre Dankbarkeit und innige Zärtlichkeit alle Opfer vergüten.

Bedingungen also, keine Freiheit, kein Vertrauen führen Dich zu mir zurück, sagte Dahl, und wenn ich nicht erfülle, was Du begehrst, dann fort mit der wiedererwachten Liebe, dann den letzten schwachen Faden ausgerissen. Arme Clara! auf welchen schwankenden Boden baust Du Deine Zukunft. – Ich danke Ihnen, Fräulein Antonie, fuhr er fort, ich danke Ihnen aufs Innigste für diesen Beweis Ihrer edlen Freundschaft, aber hier hat Clara allein zu entscheiden. Gott weiß es, daß ich die Arme nach ihr ausbreite; ich bin müde, ich bin abgehetzt vom Schicksal, ich verlange, wie ein Verschmachtender, nach einer Seele, die mich liebt, die mir treu ist, wo Alle mich fliehen. Aber keine Bedingungen. Liebe verlangt keine Opfer von einem Manne, dieser opfert ja gern freudig, was er vermag. Und diese Zeit wird kommen, wo ich gehen kann. O! wie gern will ich dann gehen, wohin Du willst, aber jetzt nicht. Es wäre niederträchtige Feigheit, jetzt die zu verlassen, die verfolgt sind, sie zu verlassen, um mich zu retten. Es ist unmöglich! – Ich weiß Alles, was sich sagen läßt; Clara! – Barmherzigkeit! – Du kennst mich ja – Du schweigst – sieh mich doch an, hat mein Anblick keine Macht mehr über Dich? – Weißt Du nichts, was Dich wieder zu mir führt, in meine Arme, an mein Herz?! – Es ist vergebens! sagte er mit dumpfer Stimme und ganz überwältigt, ich habe keine Worte mehr.

Clara lehnte sich an die Freundin, sie war todtenblaß und zitterte heftig. Ihre Augen flogen scheu von Dahl auf Grimnitz, der ihr gegenüber stand, ohne einen Zug seines Gesichts zu verändern. – Ich kam hierher, sagte sie stockend und leise, um mich mit Dir zu versöhnen, Antonie hatte mich dazu überredet – ich glaubte gern, was sie sagte, aber Du willst nicht, denn Du verwirfst alle Bitten – ich soll mich überliefern auf Gnade und Ungnade.

Bin ich denn Dein Feind? fragte er sanft.

Ich kann es nicht ertragen, rief sie in Weinen ausbrechend, es ist entsetzlich! Ich soll also zurückkehren, um ganz verlassen, ganz getrennt von Allen zu sein, bei ihm, der keine Liebe und Nachsicht für mich hat; mich seinen Plänen, mein Glück seinen Leidenschaften opfert.

Ja, es ist vorbei mit uns, sagte Dahl laut und fest, ich sehe ein, daß ich entsagen muß, daß keine Macht der Erde uns halten und schützen kann. Wehe dem Manne, der an Weiberliebe glaubt, wenn diese nicht im Stande ist, ihm anzuhängen trotz Fluch und Schande, die ihn bedrohen mögen! – Geh hin und verlaß mich; geh hin und suche Dir Freude, ich habe nur Schmerz für Dich; geh hin und werde glücklich, ich werde ausharren ohne Dich!

Fanatiker! Du wirst nie menschlich glücklich werden, rief Grimnitz, Du wirst an der Welt und endlich an Dir selbst verzweifeln und untergehen.

Wie Alle, erwiederte Dahl, die von den Menschen besser dachten, als sie sind.

Lassen Sie uns gehen, sagte Grimnitz zu Clara, indem er ihr den Arm bot; Sie dürfen hier nicht länger sein, Sie sind so fertig mit ihm, wie ich es bin.

Sie gingen hinaus, Antonie blieb zurück; es war ihr unmöglich, jetzt den gebeugten Mann zu verlassen, der einen entsetzlichen Kampf mit sich selbst kämpfte, während sein Gesicht sich zu versteinern schien, – Der mächtige Kopf hob sich stolz auf, er athmete tief aus voller Brust, als suche er sich von einer furchtbaren Last zu befreien.

Was haben Sie gethan! begann Antonie endlich vom Fenster zurückkehrend. Sie haben sich der letzten Hoffnung beraubt, die Frau von sich gestoßen, von der Sie mir noch gestern in aufstürmender Leidenschaft sagten, daß sie mit Ihrem Leben unlösbar verbunden seit.

Sie fühlen, daß ich es mußte, erwiederte er. Ich weiß, daß Sie das fühlen. Clara würde niemals glücklich geworden sein und ich – was wäre unsere Zukunft gewesen?!

O! diese Zeitstürme, rief Antonie, sie zerstören Menschen- und Familienglück, und werfen die Besten in alle Abgründe des Lebens.

Das ist unser Loos, sagte Dahl; es ist von je an das Loos derer gewesen, die sich dem Strome entgegen stemmten und sich nicht unterwerfen konnten; sich nicht fügten, wie so Viele, nicht heuchelten, wie Seiler, nicht Egoisten waren, wie Grimnitz, nicht Welt und Menschen nahmen, wie sie sind, und für sich sorgten, festgeklammert an einem der zahllosen Fäden, die das Netz bilden, das die Menschheit mit allem Erdenglück und Leid trägt. – Das habe ich nicht verstanden, darum gehöre ich zu den Geächteten, die das Kreuz tragen müssen und den Kelch der Leiden leeren, ohne Freunde, verhöhnt und verspottet.

Ein Lärm auf der Straße unterbrach das Gespräch. Dahl blickte hinunter und sagte rasch: Eilen Sie, Fräulein von Uttenhofen, entfernen Sie sich.

Was gibt es denn? fragte sie erschreckt. – O! mein Gott, rief sie hinabsehend, das Haus ist von Wachen umringt, ich habe es geahnet. – Retten Sie sich.

Wohin? fragte er ruhig lächelnd. Lassen Sie mein Schicksal walten. Ganz vereinsamt, wie ich es bin, hoffe ich nichts mehr von den Menschen, die ich verachte, aber um so mehr von mir selbst.

Und von Ihrer Freundin hoffen Sie nichts? fragte Antonie, indem ihre Augen sich mit Thränen füllten.

Sie blickten sich Beide lange und fest an, bis eine schöne Freudigkeit sie ganz erfüllte.

Ja, ich hoffe, sagte Dahl, ich habe einen Freund gefunden, er ist treu!

Für alle Zeit! erwiederte sie tief gerührt.

Ein Commissair öffnete die Thür. – Im Namen des Gesetzes, sagte er mit aller Würde feines Amtes, verhafte ich Sie, Herr Obergerichtsrath, auf Befehl des Staatsanwalts, wegen Hochverraths!


Die Thüren des Gefängnisses haben sich für Dahl noch nicht geöffnet. Clara lebt mit Grimnitz und dem Onkel am Genfersee, Seiler ist Ministerialrath, Antonie sorgt mit unermüdlicher Thätigkeit für den Freund.



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