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10.

Alfred eilte aus dem Hause, die sandigen Hügel hinab, durch den Birkwald und mit jeder Minute wurde es heller in ihm, sein Blick freier und freudiger, sein Gang stolzer und ruhiger. Die hellen Mauern des Lindenhofes schimmerten ihm entgegen, aber sie erregten ihm kein trauriges oder unheimliches Gefühl. Im Gegentheil, er lachte, rieb sich dann die Stirn und ging mit gemessenen Schritten durch die Pforte über den Hof. Es kam ihm Niemand entgegen, als er jedoch zu dem Hause hinaufstieg, hörte er Legards Stimme und blieb einen Augenblick stehen.

Seien Sie nicht traurig, liebe Anna, hörte er ihn mit seinem sanften Tone sagen. Glauben Sie, daß eine höhere Fügung es so gewollt hat und daß sie es war, die mich zu Ihnen rief, zu Ihrem Beistande und zu Ihrem Heile. Denken Sie darüber nach, ob ein Mann von Alfreds Eigenschaften nicht früher oder später den Schritt thun mußte, den er gethan hat; denken Sie auch darüber nach, daß das, was Sie gerecht zu fordern hatten, nie von ihm gewährt worden wäre. Vertrauen Sie mir; folgen Sie mir; zwischen uns ist ein unzerreißbarer Bund aufgerichtet, den keine irdische Hand zerstören kann. Er hat leichtsinnig hingeworfen, was ihn ewig halten sollte, seiner trotzigen Selbstsucht hat er Sie geopfert. Er ist fort und wird nicht wiederkehren.

Darin täuschest Du Dich doch, mein lieber Legard, sagte Alfred, indem er näher trat und zum Erstaunen seines Vetters die Stufen hinaufstieg.

Wie groß die Kaltblütigkeit des Barons auch war, einige Minuten lang verließ sie ihn. Er hielt Anna's Hand krampfhaft fest und wandte seine Augen auf sie, denn er fühlte sie heftig zittern und war selbst nicht im Stande eine Antwort zu geben. Da stand sein Vetter vor ihm, ein ganz anderer Mann, als er ihn gehen sah. Keine Spur von Verzweiflung in seinem Gesichte, kein Schimmer von Trübsal und Noth in seinen Augen. Seine Stirn war frei von Sorge, sein Haar fiel lockig darüber hin und um seinen Mund schwebte ein spottendes, neckendes Lächeln.

Halte Anna's Hand recht fest, sagte er, oder lege sie lieber auf Dein Herz, damit sie fühlt, ob die höhere Macht und Fügung dort ihren Sitz hat, ich erlaube es Dir. Ich bin zurückgekehrt, guter Hermann, nachdem ich Deine Eröffnungen mir in Einsamkeit und Nachdenken überlegt habe, und finde es nun ganz passend, in Deinem Beisein mit meinem lieben Annchen ein Wort zu reden.

Er nahm Anna's andere Hand und sah sie mit Zärtlichkeit an.

Sieh' in meine Augen, mein Herzenskind, fuhr er fort, überzeuge Dich, daß keine Lüge darin steht, und nun sieh uns Beide an und dann wähle zwischen uns. Stoß meine Hand zurück, theure Anna, wenn Du glaubst, daß es wahr sei, was er Dir sagte; wirf Dich an seine Brust, wenn wirklich ein unzerreißbares Band Dich zu ihm zieht. Aber das einzige, unzerreißbare Band im Menschenleben ist die Liebe, meine Anna, und ich liebe Dich ebenso wie damals, wo ich zu Dir sagte: Sei mein!

Er breitete seine Arme aus und wie von einer Zaubermacht ergriffen, riß die junge Frau sich los von Legard und hing an seiner Brust, bedeckt von seinen Küssen, bethaut von ihren Thränen.

Hab ich Dich! rief er sie umfangend, und Du willst nie wieder an mir zweifeln, willst mich nie wieder fortschicken?

Nie und nimmer! sagte sie. Ach! ich weiß nicht was es war, ich weiß nicht was mich dazu trieb!

Du siehst, Legard, sagte Alfred zu dem schweigenden Verwandten, der die Lippen zusammengeklemmt vor ihm saß, daß meine Götter mächtiger sind, wie die Deinen. Ich mache Dir keine Vorwürfe, denn ich mache diese mir selbst. Wie konnte ich mich täuschen lassen, wie konnte ich glauben, daß eine geheimnisvolle Macht die Liebe aus meinem und ihrem Herzen reißen und dafür Widerwillen und Abscheu aufwuchern lassen konnte! Geht hin und treibt eure Possenspiele, ihr seid im besten Falle betrogene Betrüger; aber halt: steh nicht auf. Du mußt bei uns bleiben, Legard, wir sind Dir großen, schweren Dank schuldig.

Nimm Deine Rache, wie es Dir beliebt, antwortete der Baron.

Rache nehmen? Wofür denn? erwiderte Alfred lächelnd. Du hast eine weite Reise gemacht, hast gethan was Du konntest, um die Wünsche meiner guten Tante zu erfüllen, hast mit vieler Klugheit Dein Ziel verfolgt und ich kenne ja die Welt, der Zweck heiligt die Mittel! Ich will Dir ein Zeugniß ausstellen, Hermann, daß Du Deine Sache vortrefflich gemacht und nichts verabsäumt hast, daß Du alle nöthige Geschicklichkeit besitzest, um Wunder zu thun, Tische tanzen und Geister klopfen zu lassen, und daß hier nur der kleine Umstand den Erfolg hinderte, daß am Schluß ich unverhofft zu der Ueberzeugung kam, der ganze Hokuspokus, wie meine gute Nachbarin sagt, müsse bersten und platzen, sobald ich einmal nur meine Hände auf dies treue Herz legen, einmal frisch und frei zu diesem lieben, gequälten und gereizten Kinde sagen konnte: Hier bin ich, meine Anna. Alles, womit er Dich krank gemacht ist eitel Trug und List, werde gesund an mir und laß mich gesunden.

Du sprichst in Deinem eigenliebigen Hochmuthe, sagte Legard, ohne zu bedenken, daß Alles, was ich Dir rieth, darin bestand, daß Du Anna zu Deiner Gattin machen, ihr die Ehre, die ihr gebührt, geben solltest.

Auch dies Zeugniß will ich Dir nicht verweigern, erwiderte Alfred. Du mahntest mich daran, freilich mit der gewissen Voraussetzung, mich um so hartnäckiger und widerstrebender zu machen. Es war dies eine Deiner besten und feinsten Combinationen, und irren werde ich nicht, wenn ich annehme, daß Du auch von Deiner eben gethanen Aeußerung noch irgend ein kleines Wunder erwartest. Doch, sieh her, mein lieber Hermann, ich will auch diese Prüfung bestehen. Du hast gehört, theure Anna, was er sagte, hast vernommen woran er mich mahnte. Du weißt aber auch, wie ich darüber denke. Ich habe Dir niemals eine Versprechung gemacht, nie geheuchelt, nie gelogen, nimmer Dich getäuscht. Ich habe Dich ganz auf mein Herz gewiesen, auf meine treue Liebe. Glaubst Du noch jetzt daran, willst Du ihr allein vertrauen?

O! ich will – will nur Dich! rief Anna an ihm aufstrebend.

Und bekennst Du hier vor ihm, daß die Schlange, die in Dein Ohr flüsterte, Deine Liebe sei unwürdig, verächtlich, eine Sünde, ein Verbrechen, wenn die kirchliche Ceremonie der Ehe dabei fehle, nie wieder Dich bethören soll?

Nein, nein! sagte sie ihn fest umschlingend. Ich bin Dein, thue mit mir was Du willst, Seele und Leib gehören Dir!

Alfreds Augen flogen entzückt über sie hin und dann auf seinen Vetter, in dessen Gesicht kein Zug sich regte, als er den Kopf leise neigend sprach:

Wir werden sehen! Ich wünsche Dir Glück!

Das sollst Du, rief Graf Hohnstein lebhaft, aber warte noch einen Augenblick. Da höre ich an meiner Thür sonderbare Stimmen, Lärm und Wortwechsel.

Er trat bis auf den Vorplatz hinaus und sah, daß Franz den Förster Schlenz und dessen Frau abweisen wollte. Der Geistliche stand hinter den Beiden und schien nicht recht zu wissen, was er thun müsse, ob Franz Recht habe oder ob er verrückt geworden sei.

Ich sage Ihnen, grollte der grauköpfige Diener, der Graf ist zurückgekehrt, ich weiß nicht warum. Machen Sie, daß Sie fortkommen, Herr Pastor, ich glaube der Teufel ist los und will uns alle holen.

Pfui Franz! rief Graf Alfred, Du prophezeihst Dir ein böses Schicksal. Kommen Sie, liebe Nachbarin und Sie, wackerer Schlenz, ich habe Sie beide erwartet. Auch Sie, Herr Prediger, sind mir willkommen; Ihre freundliche Bemühung erspart mir allerlei Beschwerde.

Er führte die Ankömmlinge unter die Vorhalle des Hauses und stellte sich mit Anna vor den verwunderten Prediger. –

Mein ehrwürdiger Herr, sagte er, Sie haben seit langer Zeit mit allem Eifer sich um mein zeitliches und ewiges Heil gekümmert; keine Mühe gespart, um sich in meine Angelegenheiten zu mischen, und weder Tag noch Nacht geruht, um mich vom Verderben zu erretten.

Herr Graf! rief Fichtner verwirrt, indem er zugleich seine Würde zu behaupten suchte und einen Hülfe suchenden Blick auf Legard richtete, Sie wollen mich verspotten.

Das will ich nicht, fuhr Alfred fort, ich will Ihnen vielmehr meinen Dank ausdrücken. Sie haben mit meiner Tante Briefe gewechselt, haben meinem lieben Vetter Beistand geleistet, haben meine Freunde und Nachbarn aufgefordert, Ihnen hülfreich zu sein, um mich auf den rechten Weg zu bringen, und Alles ist Ihnen herrlich gelungen. Ich stehe hier mit meiner Braut und bitte Sie, unsere Ehe einzusegnen, zu welcher ich die nöthigen Papiere in kürzester Zeit herbeischaffen werde.

Ja, würdiger Herr, fuhr er fort. Ihre Gründe und die meines Verwandten haben mich vollkommen überzeugt und bekehrt. Der Brief, welchen Frau Schlenz geschrieben hat, der Ihre Ansichten wiedergiebt, und was mein Freund Hermann mir eindringlich vorstellte, das Alles ist so gewichtig, daß im Verein mit dem, was ich erlebt habe, mir die Pflicht einleuchtet, Anna auch meine Hand zu reichen und unseren Bund vor allen Menschen und deren Gesetzen legitimiren zu lassen. – Gott könnte mich in meinen Sünden abrufen, so sagten Sie und Sie haben Recht. Wüste Willkür und Gewalt könnten die kränken und verfolgen, die ich so innig liebe, auch das ist wahr; endlich aber hat mein lieber Vetter mir noch so eben vorgehalten, daß ich Anna die Ehre geben müsse, welche ihr gebührt, und wahrlich, ich kann nichts weniger thun, als dieser edelmüthigen Vorstellung gern und willig Folge leisten.

Mein liebes, geliebtes Annchen! rief er, die Geliebte in seine Arme schließend, bitte mit mir diesen ehrwürdigen Herrn, daß er unsere Verbindung beschleunige, bitte unsere Freunde auch bei der feierlichen Handlung Zeugen zu sein. Meine Tante werde ich selbst davon in Kenntniß setzen; unser guter Hermann, der so innig wünschte, daß ich diesen Schritt thun möge, wird unser Fürsprecher sein. Gewiß das wird er, ich sehe es ihm an.

Legard verbeugte sich und sagte kalt:

Du hast mich richtig beurtheilt. Ich gebe Dir mein Wort, daß ich zu Deiner Versöhnung so viel beitragen werde, als ich vermag. Für jetzt aber und unter den obwaltenden Verhältnissen erlaube, daß ich mich entferne.

Lebe wohl, Hermann, erwiderte der Graf mit demselben freundlichen Lächeln. Thue was Du willst, handle nach Deiner Einsicht, aber sage meiner Tante, ändern ließe sich nichts mehr. Dein Diener hat die Pferde schon bereit, er ist sehr aufmerksam; doch halt! noch Eins. Du hast gewiß auch an Franz gedacht. Er ist Dir so sehr gewogen, voller Treue, nimm ihn mit, er verdient es.

Legard gab eine stumme Zustimmung, der Pastor aber wußte noch immer nicht, was er von dieser Scene recht eigentlich denken sollte. Er hatte die größte Lust, Legard zu begleiten und legte seine Hand auf den Arm des Barons, als dieser an ihm vorüber ging.

Ist es denn Alles Wahrheit, was ich höre? rief er.

Ohne Zweifel volle Wahrheit, antwortete der Graf für seinen weiterschreitenden Vetter. Gehen Sie, lieber Herr Pastor, gehen Sie, Hören Sie von Ihrem Verbündeten, wie sich Alles seltsamlich wohl gefügt hat, und schreiben Sie den Sieg der himmlischen Mächte in das Kirchenbuch, zum ewigen Angedenken an diesen glorreichen Tag.

Der Geistliche entfernte sich und nun erst wandte sich Alfred an seine kleine, lebhafte Vertraute, die in ihrer Seligkeit Anna umklammert hielt, sie drückte und küßte, ihren Mann herbeizog und fortstieß und während sie ausgelassen lachte, zugleich Thränen vergoß, die aus ihren offenen, blauen Augen rollten.

Nun, liebe Frau Nachbarin, rief Alfred. Sprechen Sie Ihr Urtheil. Habe ich es gut gemacht?

Wie ein tapferer Mann, der mit dem Stock die Bettler und Diebe aus seinem Hause jagt, antwortete sie; und was das Beste ist und was mich zumeist freut, ganz ohne Aergerniß, ganz ohne Zorn, in der besten Laune von der Welt.

Und diese tapfere Freudigkeit soll uns nimmer wieder verlassen, fiel Alfred ein. Wenn das Leben uns drängt, wenn allerlei Hexenmeister uns plagen, wenn finstere Mächte ihre Wunder an uns versuchen wollen, dann soll die Macht der Liebe uns den rechten Muth geben – wo ist der böse Feind, der ihr widerstände?!



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