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Da bin ich in Schaffhausen, mein Schwesterchen Hedwig, und habe heut einen frohen, bewegten Tag verlebt. Ich kam von Freiburg hier an; eine schöne Fahrt durch den Schwarzwald brachte mich Abends spät an diese Eingangspforte der Schweiz. Als ich aufwachte, lag heller Sonnenschein auf dem alterthümlichen Ort mit seinen bemalten Häusern, unter denen manche mit den Wappenschilden der Stadtjunkerschaft geschmückt sind. Zu sehen ist hier eigentlich Wenig, das Beste bleibt der Rhein und sein Wasserfall, um dessentwegen die Fremden auch allein verweilen.

So sind denn auch heut mancherlei Pilger hier, vornehmlich Engländer in allerlei Ausgaben. Schöne, schlanke Ladies, mit Skizzenbüchern und rothbackenbärtigen Begleitern, wanderten mit mir über den Markt und den Rhein abwärts nach Laufen: ein angenehmer Spaziergang, kaum eine Viertelstunde weit, der im Schatten alter Nußbäume zurückgelegt wird. Das liebliche Hügelland dehnt sich zu beiden Seiten aus, Gärten bekränzen die Höhen und die Gesenke, den Hintergrund füllt die Stadt mit ihren zackigen weißen Mauern und Thürmen, und grade über dem Rheinfall steht auf einem ziemlich hohen Steine das kleine Züricher Schloß Laufen, wie von einem Zuckerbäcker aus Marzipan frisch aufgebaut, und läßt den Schaumsturz seine granitnen Füße zernagen.

Ich ging nach dem Eisenwerke Neuhausen, das dicht am Fall liegt, und suchte meinen alten lieben Werner auf, meinen Freund und Studiengenossen, der hier seit mehren Jahren Geschäftsführer ist. Du kennst ihn ja, den wackeren Burschen mit seinen treuherzigen, blauen Augen und dem trockenen, langen, verständigen Gesicht. Er sah mich an wie eine Erscheinung und fiel mir dann um den Hals. Ludwig! schrie er, hast es wirklich wahr gemacht? Bist zu mir gekommen? Das will ich dir mein Lebtag nicht vergessen! –

Du kannst denken, mein Herzensschwesterchen, was die Freude bei uns that. Wir saßen erst eine Weile Hand in Hand und lachten wie toll aus Leibeskräften, indem wir uns betrachteten. Eine ganze Stunde plauderten wir dann von alter und neuer Zeit wild durch einander und schwatzten uns in eine besondere Art Seligkeit hinein, die kein anderer Mensch haben und empfinden kann, wie zwei Freunde, denen beim Wiedersehen das ganze Herz aufgeht.

Ich erzählte ihm, wie es mit mir stehe: daß ich meine Fabrik einrichten wolle, sobald ich heimkehre, daß ich einige Vorbereitungen schon gemacht habe und daß ich mich auf Arbeit und Thätigkeit freue, auf Sorgen und Lasten, die das regsame Leben bringt. Er nickte mir zu, fand Alles vortrefflich und gab mir guten Rath.

Seine Stellung hier ist eine einträgliche und umfassende; er ist ein klarer, tüchtiger Kopf, der die Geschäftsverhältnisse genau kennt und praktisch angreift. Und nun, sagte er lachend, willst vorher, ehe Du ein Philister wirst, noch einmal ins romantische Zauberland reiten, willst die Schweiz sehen und Abentheuer aufsuchen, wie ein Engländer.

Mein Geschmack daran ist eben nicht allzugroß, antwortete ich, aber nehmen will ich, was mir geboten wird, und genießen, so viel ich vermag.

Verbrauch's mit Gesundheit, rief er lachend; hast hier gleich zum Anfang ein hübsches Stückchen Taschenspielerei der Natur vor Augen, den prächtigen Rheinfall.

Hm! sagte ich, daran ist eben nichts Sonderliches. Ich hoffe, daß es besser kommt.

Was! schrie er. Bist von der Sorte, die verächtlich die Achseln zucken, wo Andere anbeten? Willst den Rheinfall nicht anerkennen? Laß es nicht in Schaffhausen hören, sie kreuzigen Dich, und wenn Du mit echt romantischen Gemüthern zusammenkommst, schweig mäuschenstill, wenn Du nicht tief verachtet sein willst.

Nach mancherlei Scherz rieth er mir aber doch nach Laufen hinüber zu fahren, um einige bessere Gedanken über den Rheinfall zu bekommen, und versprach Nachmittag bei mir zu sein und zu bleiben.

So schieden wir denn und er begleitete mich bis an den Kahn, der unterhalb der Fälle die Schaulustigen auf das linke Ufer bringt. – Der Rhein, mein Schwesterchen, ist hier ziemlich breit, wohl an dreihundert Schritte. Quer durch sein Bett laufen Felsenklippen, welche daraus mehr oder minder hervorragen und zwischen denen der Strom an verschiedenen Stellen 20 bis 30 Fuß tief niederstürzt. Der höchste, wohl 50 Fuß tiefe Fall ist eben dicht unter dem Felsen, auf welchem Schloß Laufen steht. Darüber haben die schlauen Schweizer wohlweislich eine hölzerne Gallerie gebaut und wer da hinein und den Wasserfall sehen will, muß einen Franken Entree bezahlen.

Ich lachte im Stillen über diese Pfiffigkeit und kümmerte mich Anfangs wenig um meine Reisegefährten im Kahne. Es ist doch sonderbar, woraus die Menschen sich Alles Geld zu machen wissen. Der Eine richtet weiße Mäuse ab, der Andere speculirt in Actien, Der läßt Murmelthiere nach seiner Pfeife tanzen und Jener ganze Völker. Ein sonderbarer Wirrwarr, um endlich an sein seliges Ende zu kommen und von aller Speculation sanftselig auszuruhen!

Nachher sah ich meine Gesellschafter näher an und dachte, was mögen Die für Absichten haben, um glücklich zu werden? denn darauf kommt doch das ganze Treiben dieser Welt hinaus, doch es schaffen's eben die Wenigsten. – Es waren zwei Damen. Die Eine saß vorn in der Spike, sah auf die Felsen und auf die Wasserwirbel und drehte mir den Rücken zu, die Andere starrte mich an und sah eben nichts Besonderes, so wenig wie ich.

Als der Kahn ans Ufer stieß, bemerkte ich, daß diese eine Art Dienerin sein mußte, denn sie legte der Anderen Tuch und Kleid zurecht und erhielt einen Wink, der Züricher hohen Obrigkeit, oder deren Pächter, den Zins für die zu genießende Romantik zu bezahlen.

Was sich hohe Obrigkeiten Alles bezahlen lassen! Ich weiß nicht, welcher indische Monarch sich von den getreuen Unterthanen Jahr für Jahr bezahlen läßt, daß er ihnen zu leben erlaubt. Im Grunde aber bezahlen wir alle unser Leben und Mancher bezahlt es schrecklich theuer. Geburt und Sterben kostet Geld, es ist also ganz in der Ordnung, daß man einen lumpigen Wasserfall zur Steuerquelle macht.

Und nun gieb Acht, Schwesterchen, was sich begab. Werner hatte meine Abentheuer verspottet und ich behauptet, daß ich gar nicht dazu geeignet sei. Gleich hatte mich eines beim Kragen und es war gar nicht so übel, es gefiel mir ganz gut, obwohl es mir damit ging, wie von den Honigkuchen der Offenbarung geschrieben steht: erst schmeckten sie süß, nachher gabs Bauchgrimmen.

Die Dame ging zum Schlosse hinauf, ich folgte ihr und als ich dicht hinter ihr war, mochte sie meinen, es sei ihre Begleiterin. –

Es ist doch schön hier, sagte sie mit wohlklingender Stimme, die Aussicht von oben muß herrlich sein.

Dabei wandte sie sich ein wenig um und erkannte ihren Irrthum. Sie lächelte und erröthete, aber es war einmal geschehen und das Gespräch war angeknüpft.

Ich faßte an meinen Hut und erwiederte:

Dies Miniaturschlößchen ist eigentlich auf Aussicht gebaut und diese Schweizer sind vortreffliche Rechner und Kaufleute; wenn es möglich wäre, würden sie jeden Wasserfall zollweis in die Auction bringen.

Point d'argent point de suisses! sagte sie lachend.

Aber man muß gerecht sein, fuhr ich fort, denn in Wahrheit ist es überall nicht besser. Geld will Jeder gewinnen, das Metall hilft über alle Noth und Narrheit fort, deckt alle Mängel zu und macht uns begehrungswerth. Für die Schweizer nicht allein ist daher Jeder, der Geld besitzt, ein wichtiges Speculations-Object.

Sie sah mich mit einem raschen Blicke an und wir gingen weiter, bis in den Vorhof, wo sie ihre Begleiterin erwartete. Ich blieb bei ihr stehen. Sie war keine brillante Schönheit, auch nicht mehr ganz jung, wohl in die Mitte der zwanziger Jahre, aber sie besaß dunkle, feurige Augen, einen feinen Mund und prächtige Zähne, wenn sie lachte. Ich wußte nicht recht, was ich aus ihr machen sollte. Aus Norddeutschland mußte sie sein, das hörte ich an der Sprache; ich that eine Frage darauf hin, aber sie gab eine allgemeine Antwort. Ich war beinahe überzeugt, daß ich mit einer jungen Frau zu thun habe, es schien mir etwas davon in ihrem Gesicht und ihrem Wesen zu liegen, etwas Bestimmtes, Freies und Ungezwungenes, und ich dachte schon, der Herr Gemahl träte aus der Thür des Schlößchens und machte dem ganzen Abentheuer ein Ende. Es war jedoch nur eine Art höflicher Castellan, der uns einlud, das Kunstmagazin von Bleuker zu besichtigen, das drinnen aufgestellt ist.

Nun kam auch die Begleiterin und entschuldigte sich.

Verzeihen Sie, Fräulein, sagte sie, man hat nicht sogleich wechseln können.

Es war also ein Fräulein, aber doch gewiß keines, das allein reiste. Vater, Mutter, Onkel oder Tante mochten im Gasthofe zurückgeblieben, unwohl geworden sein. Das mußte ich herausbringen.

Wir betrachteten die Kunstsammlung, an der nichts Besonderes ist. Sie war heiter gelaunt, gewandt, unterrichtet und von lebhafter Einbildungskraft. Ueber Kunst und Kunstwerke sprach sie mit Begeisterung, und als wir oben auf der Estrade standen, schwärmte sie über Landschaftsbilder von Calame und Diday Alexandre Calame und François Diday, Schweizer Maler des 19. Jh., deren sie viele gesehen hatte.

Der größte und mächtigste Meister, sagte ich endlich, weil mich ihre Ueberschwänglichkeit reizte, bleibt doch immer die Natur selbst, gegen deren Werke keine Kunst aufkommt.

Das wäre zu bestreiten! rief sie lebhaft. Die Natur würfelt Schönes und Häßliches wild durcheinander, der große Künstler aber, der die Natur idealisirt, giebt uns den reinen Genuß des Schönen.

Sie setzen die Kunst also über die schaffende Gottheit, antwortete ich lachend.

Ich sehe in der Kunst die Wiedergeburt des Göttlichen, sagte sie, und in dem Künstler den erwählten Priester.

Ich schwieg still, weil ich wieder an Werners Warnung dachte, wenn ich mit romantisch gestimmten Seelen zusammenträfe, und da kam mir eine solche schon in den Wurf.

Wir gingen hinunter zu der Gallerie, die bis dicht vor den Fall führt. Es waren mehre Gesellschaften Engländer, Herren und Damen, schon beim Besichtigen, die kluger Weise sich mit Mänteln von Wachstaffet versehen hatten, um sich vor Durchnässung zu schützen.

Es ist ein prächtiges Schauspiel, Schwesterchen, großartiger, wie ich es gedacht hatte. Eine mächtige Wassermasse stürzt von oben an der Brüstung vorüber in einen Abgrund, aus welchem Wolken von Wasserstaub aufwirbeln. Der Donner des Sturzes war so groß, daß man keine andere Stimme hörte. Die funkelnde Wassersäule wälzt sich in endloser Hast vorüber, wie kochendes Metall. Der Gischt sprüht auf, Schaumflocken fliegen weit über die Gallerie, der Boden zittert unter den Füßen und ein schneidend kalter Luftstrom drang, wie von den Wassergeistern gejagt, aus dem halbdunklen Gewölbe in den sommerwarmen Tag.

Mein unbekanntes Fräulein wickelte sich in den großen, weißen Shawl und ging mitten in die Staubnebel hin über die nassen Bettungen, bis an die Brustwehr. Ich mußte folgen, um nicht wie ein Hase vor dem nassen Pelz zu bangen, aber nach einigen Minuten faßte ich sie am Arm und führte sie zurück.

Sie war so naß geworden, daß sie triefte; doch sie lachte und ihre Augen funkelten vor Freude. Die praktischen Engländer sahen uns an, als kämen wir aus dem Tollhause.

Das ist schön! Das ist herrlich! rief sie. Nichts übt eine größere Macht auf die Seele, als dies Gehen und Kommen, dies Fluten und Wirbeln ohne Rast und Ruh und ohne Ende. Der Fels steht fest, die Gletscherspitze regt sich nicht, aber hier ist Leben, Bewegung, ewiger Wechsel! Hier sind geheimnißvolle Stimmen, Töne, die ins Mark gehen, Geister, die an uns vorüberrauschen.

Und uns durchweichen, fiel ich lachend ein, das Wasser von mir stäubend.

Was thut es! sagte sie. Faßt Sie nicht auch eine heimliche Gewalt, wenn Sie in den klingenden Abgrund blicken? Fühlen Sie keine Sehnsucht hinunter zu springen, um auf Tod und Leben zu versuchen, was da unten aus Ihnen wird?

Nicht im Geringsten, sagte ich. Meine einzige Sehnsucht geht jetzt nach Sonnenlicht und Wärme. Ich bitte Sie dringend, den nassen Tuch abzuwerfen und den Ihrer Dienerin dafür zu nehmen, die es klüger gemacht hat, wie wir, und trocken geblieben ist.

Sie ließ es geschehen, daß ich den Tausch vollzog und sah mich spöttisch an.

Ich bitte um Entschuldigung, sagte sie, daß ich Sie zu einer Unvorsichtigkeit verleitet habe; aber wenn man reist, muß man das Naßwerden nicht fürchten, und um Schönes und Erhabenes zu sehen, muß man selbst Gefahren trotzen können.

Ich besorge nichts für mich, erwiderte ich, allein Sie selbst könnten erkranken, und Ihr Herr Vater, oder Ihre Frau Mutter – oder Anverwandten – Reisegefährten –

Ich sah an Ihrem Lächeln, daß sie mich errieth.

Ich bin ziemlich hart gewöhnt, sagte sie, liebe keine Verweichlichung und kümmere mich nicht um blanke Schuhe. Im Uebrigen sorgt Niemand um mich, ich reise allein zu meiner Belehrung und meinem Vergnügen.

Mit dieser Erklärung brach sie ab und wir stiegen den Hügel hinauf, um den Rückweg anzutreten. Sie sagte nichts zu meiner weiteren Begleitung, aber wir wußten beide nicht, daß wir auf der linken Seite des Stromes einen weit größeren Bogen zu machen hatten, und wohl eine Stunde wandern mußten, ehe wir die Brücke erreichten. Dafür gab es hier mancherlei anmuthige Aussichten, weil das linke Ufer weit höher ist, und die Zeit verging reißend schnell; ich weiß kaum, daß ich mich je so gut unterhalten hätte.

Du hast mich oftmals bespöttelt, übermüthiges Mädchen, daß ich bei aller meiner Gelehrsamkeit, wie Du es nanntest, nicht im Stande sei, eine junge Dame zehn Minuten lang angenehm zu beschäftigen, und ich habe Dir immer Recht gegeben; denn häufig, auf Bällen oder in Gesellschaften, war ich unbeholfen wie ein Schulmeister, wenn ich neben einer schönen Nachbarin stand, die mir unbekannt war. Triviale Phrasen, vom Wetter und dergleichen, mochte ich nicht machen und Anderes fiel mir durchaus nicht ein.

Wie oft habe ich den Lieutnant Pannewitz beneidet, der die bewundernden, dankbaren Blicke der wohl unterhaltenen Fräulein in Empfang nahm, allen ein Lächeln abzugewinnen wußte, für jede einen ganzen Faden voll interessanter Fragen hatte und wenn er sein Bärtchen streichend durch den Saal ging, stolz wie ein Olympier mich niederschmetterte.

Heut hättest Du mich sehen sollen, Hedwig, Du würdest über mein Talent, eine wildfremde Dame zu beschäftigen, erstaunt gewesen sein. Im Vertrauen aber: lag es an mir oder an ihr, ich weiß es nicht. Es kommt jedoch, wie ich meine, darauf nicht an, wer Stein oder Stahl ist, genug wenn die Funken kommen, und hier sprühten sie lustig auf, meine Schwerfälligkeit war völlig überwunden. Sie war voll Neckerei, voll überraschender Wendungen und warf damit unsere Gespräche hin und her, wie ein Federball, der immer einen neuen Schlag empfängt und wie eine Rakete neu aufsteigt, wenn er niederfallen will. Alles, was sie sagte, war anregend, brachte Antworten hervor, ging vom Scherz zum Ernst und vom Ernst zum Scherz über und forderte mich heraus, ebenfalls mein Bestes zu thun.

Eine gewisse Exaltation war in Allem zu erkennen, allein diese schwebte wie ein Nymbus um sie. Gebehrde, Schritt, Bewegung trugen einen bestimmten, festen Ausdruck, etwas Ungewöhnliches, das mich anzog, etwas Geheimnißvolles, das mich fesselte. Ich machte verschiedene Versuche, Aufschlüsse zu erhalten, wer denn eigentlich meine schöne Unbekannte sei, aber es lief immer fruchtlos ab. Meine Offenherzigkeit in Betreff meiner selbst hatte keine Wirkung. Sie hörte ruhig an, daß ich Ludwig Hagen heiße, von Gewerbe ein Chemiker sei, eine große Fabrik mehrjährig verwaltet habe und nun selbst eine solche gründen werde.

Sie gehören somit zu den praktischen Männern, sagte sie endlich, welche nützliche Lebenszwecke verfolgen.

Es kam mir vor, als läge eine Art Geringschätzung in ihrer Antwort und in dem Lächeln, das über mich hinglitt. –

Was meine Wissenschaft betrifft, erwiderte ich, so ist diese allerdings am weitesten entfernt von jeder Fantasierei und deren Gespenstern.

Ich sollte aber meinen, rief sie von ihrem Widerspruchsgeist ergriffen, auch ein Chemiker könnte ein Künstler sein.

Künstler ist Jeder, der etwas Ungewöhnliches leistet, sagte ich, die sich jedoch mit diesem Namen selbst taufen, verdienen ihn häufig am wenigsten. Die Chemiker sind die Hexenmeister unserer Zeit, Priester der wunderbarsten Mysterien, die ganz anderes Zittern machen können, wie die Geheimnisse von Paris Der französische Schriftsteller Eugène Sue (1804-1857) war in den 1840er Jahren einer der meistgelesenen und einflussreichsten Romanciers Frankreichs. Er ist in die Literaturgeschichte eingegangen als einer der Begründer des Fortsetzungsromans in Tageszeitungen und als Verfasser des vielleicht erfolgreichsten Feuilletonromans überhaupt, Les mystères de Paris (1842/43, Die Geheimnisse von Paris).. In ihren Retorten und Schmelztiegeln lösen sie die ganze Schöpfung auf. Zeit und Ewigkeit verlieren ihren Werth, was der Weltbaumeister allein erfunden zu haben glaubte, erfinden sie ihm nach, machen Luft, Granit und Wasser und schaffen neue Körper, die er nicht zu Stande gebracht hat.

Aber kein Hälmchen, keine Pflanze, nicht das kleinste Thier, lachte sie.

Nein, sagte ich, und was das Schlimmste ist, weder Gold noch Silber und kein Weisheitsarcanum.

Wissen Sie, rief sie den Kopf rasch wendend und mit ihren dunklen Augen mich anschauend, daß Sie viele Anlagen zum Künstler haben?

Warum das? fragte ich.

Weil Sie Poesie in Ihre Schilderungen bringen.

Liegt die höchste Poesie in der höchsten Wahrheit, so kann ich mein Haupt beugen, war meine Antwort. Zu den gewöhnlichen Poeten möchte ich jedoch nicht gern gezählt werden.

Und warum schlagen Sie diese Bevorzugung aus? Sind Künstler und Poeten nicht seit den ältesten Zeiten die Lieblinge der Götter?

Mir gilt diese hohe Titulatur viel weniger, wie die menschliche Würde, erwiderte ich, und meist habe ich gefunden, daß in diesen Auserwählten sehr kleine und gewöhnliche Geschöpfe stecken. Wenn die Kunst nicht so göttlich ist, daß sie den Künstler beseelt und den Menschen erhebt, wenn die Schönheit seines Empfindens nicht auf die Schönheit seines Denkens und Handelns zurückwirkt, wenn sie nicht im Stande ist, ihn zu veredeln, ihn auf die höchste Stufe menschlicher Güte und Würde zu heben, so bleibe ich lieber der nüchterne, prosaische Chemiker, der alle Dinge sieht, wie sie sind, und sein nützliches Leben so gut wie möglich zu Ende führt.

Und halten Sie denn nichts vom Ruhme und Nachruhme eines großen Namens? fragte sie nach einem augenblicklichen Schweigen.

Vom Ruhme sehr wenig und vom Nachruhme noch weniger, rief ich aus. Gewöhnlich ist der Ruhm ein bloßer Eitelkeitskitzel und wie wird er meist erworben, wie angefochten! Wie verdammt ein Geschlecht das andere und zerrupft dessen Größen. Der Nachruhm aber ist ein leeres Nichts. Was kann es mich kümmern gerühmt zu werden, wenn meine Zeit vorüber ist? Was hilft mir ein Name in dem kahlen, öden Tempel der Geschichte? Große Erfindungen, große Entdeckungen, welche der Menschheit weiter helfen, mögen Segen und Dank an einen Namen heften, der übrig geblieben ist von einem mächtigen Geiste, und warnend mögen andere neben ihm stehen, die vom Richtschwerte ihrer Thaten getroffen sind – aber diese Künstler und ihre Kunstwerke: was wollen Die? Nach einigen Jahrhunderten schon sind sie in Staub und Moder zerfallen, und was haben sie der Menschheit genützt? Wodurch ist diese freier, glücklicher, aufgeklärter geworden? Künste und Künstler sind nie für die Völker dagewesen. Griechenland allein hat einmal davon eine Ausnahme gemacht. Die Künste haben immer den Fürsten, den Vornehmen, den Höfen und den Reichen gedient, in die Hütten ist kein Strahl davon gefallen. Und was haben sie uns hinterlassen? Eine Heerde Kunstenthusiasten, Schwärmer und Fantasien, verbildete, verschrobene Menschen, die den unvernünftigsten Faseleien nachjagen und alles Verständniß des Lebens in ihren Träumereien verlieren.

Wehe der Kunst vor solchem Richter! fiel sie ein. Aber was sagen Sie zu der Schweiz, die mit Menschen gefüllt ist, welche jährlich hierher strömen, um in den Schönheiten und Wundern der Natur zu schwärmen?

Das bestätigt nur mein Urtheil, antwortete ich. Sie laufen hierher theils aus leerer Eitelkeit und um die Mode mitzumachen, theils um die schlechte romantische Empfindelei zu befriedigen, die eine Krankheit unserer Zeit ist. Wären die Köpfe praktisch klar, so blieben sie zu Haus und thäten das Nützliche.

Aber Sie selbst, warum sind Sie denn gekommen? fragte sie lachend.

Um Berge zu steigen, um nach länger anhaltender Arbeit mich tüchtig auszulaufen, meinen Körper zu kräftigen und daneben allerlei nützliche Erfahrungen zu sammeln.

Und Sie empfinden nichts von dem Schönheitszauber einer erhabenen Natur? Sie erheben sich nicht geistig beim Anblick der Sonne, die auf den Alpen glüht?

Ich bin dazu wirklich wenig eingerichtet, sagte ich, wenigstens kann ich nicht darüber schwärmen und die natürlichen Ursachen dieser Wunder vergessen.

Seltsam! rief sie; wozu das Wissen Alles nützt und welche Wirkungen es hervorbringt!

Es nützt so viel, sagte ich, daß es uns vor bitteren Täuschungen und Selbsttäuschungen bewahrt.

Es nimmt dem Leben jeden höheren Reiz, antwortete sie, streift jeden Hauch der Göttlichkeit von uns ab und läßt nichts übrig, als das kahle, arme, aber gewiß höchst nützliche Getriebe der zweibeinigen Geschöpfe, die ein arbeitsames Dasein führen.

So ging es weiter mit uns, meine Antworten schienen sie eben so sehr zu ergötzen wie zu reizen. Ich stellte mich ganz auf den realen Boden und wie es immer beim Streit geht, man wird bis auf die Spitze getrieben. Ich verdammte alle Kunst- und Naturschwärmerei aus Herzensgrunde mit so vielem Spott und Witz, wie ich aufbringen konnte; sie dagegen verlachte die Nützlichkeitsmenschen mit eingetrockneten Seelen, welterlösenden Retorten und Pfeffersäcken statt der Herzen aus allen Tonarten, und so kamen wir endlich vergnügt über die Brücke bis auf den Markt, wo sie wohnte.

Nehmen Sie meinen Dank, sagte sie dort, und damit Sie sehen, daß ich auch realistischer Gedanken fähig bin, so mache ich Sie darauf aufmerksam, daß nicht allein die Tischglocke eben hier in meinem goldenen Schiff läutet, sondern daß dies auch in Ihrem Hotel der Fall sein wird. Eilen Sie also, um nichts wahrhaft Nützliches zu versäumen.

Mit dieser Spötterei verbeugte sie sich, aber ich war so leicht nicht abzuweisen. Ich begleitete sie bis zur Thür.

Sie verweilen noch nicht lange hier? fragte ich.

Seit gestern Abend, antwortete sie.

Und Ihre Reise – Sie werden Schaffhausen bald wieder verlassen?

Ich weiß es nicht, sagte sie lächelnd.

Es giebt wenige romantische Ausbeute hier, fuhr ich in derselben Art fort, doch man muß den Tag ausfüllen, so gut man kann. Würden Sie mir gestatten, wenn ich Nachmittag, in Gesellschaft eines Freundes, der hier sehr gut bekannt ist und die schönsten Punkte weiß, mich Ihnen vorstellte?

Sehr freundlich, Herr Hagen, sagte sie; es wird mir Vergnügen machen Sie wieder zu sehen.

Das waren Ihre letzten Worte. Sie ging in das Haus und erst als ich über den Markt fort war, fiel mir ein, daß ich ihren Namen nun doch nicht wußte. Mein Aerger gegen mich selbst war nicht gering, denn wie gut hätte ich danach fragen können; und was sagst Du dazu, mein Schwesterchen, die Du mir so oft Unempfindlichkeit und verstockte Sündhaftigkeit gegen die Reize der Frauen vorgeworfen hast? Ich war ganz unruhig und wild darüber, daß Werner mich weit in den Nachmittag hinein warten ließ, und endlich nahe daran, allein zum goldenen Schiff zu laufen, als er endlich erschien.

Da hatte ich nun gleich neue Noth. Ehe ich ein Wort sagen konnte, warf er sein graues Schweizerhütchen auf den Tisch, zog den luftigen Paletot aus und warf sich aufs Sopha.

Wir müssen fort! schrie ich ihn an.

Nicht für eine Million! sagte er sich ausstreckend, den Kopf hinten über und die Cigarre hoch in der Luft. Gleich setz Dich in die andere Ecke, streck Dich aus, mach Feuer und Rauch, laß Kaffee und Wasser bringen und dann erzähl los.

Ich verliere die Geduld, Werner! rief ich ihn rüttelnd.

Was? sagte er, bist ein Chemiker, und hast keine Geduld? bist noch immer der Alte. Es ist draußen eine Hitze, wir werden aufgelöst in Faser- und Eiweißstoff, ehe wir um die Ecke kommen.

Endlich kam ich dazu, ihm meine Geschichte zu erzählen, die er unter allerlei Kopfschütteln, Gesichterschneiden und Auflachen anhörte.

Siehst Du wohl, Ludwig, schrie er zuletzt, was hab' ich gesagt! Nimm Dich vor den Abentheuern in Acht, sie sind wohlfeil in der Schweiz, wohlfeil wie die hübschen Weiber, die aus Paris und Berlin und Gott weiß woher, zu uns auf den Fischfang kommen. Brauchst nicht hitzig zu werden, fuhr er fort; gefällt's Dir besser, sag' ich sie sind theuer, und damit habe ich keine Lüge gesprochen.

Ich begreife Dich nicht, brummte ich ärgerlich.

Begreifst mich nicht? Was ist eine einzelne Dame? Was will sie hier? Was hat sie für Gründe, um allein im fremden Lande herum zu reisen? Thut das ein ehrbar Mädchen? Was hat sie für Zwecke und was steckt dahinter? Streck' Dich aus, Ludwig, und laß sie laufen, wohin sie will.

Ich hatte Mühe ihn endlich zu bewegen mich zu begleiten, weil ich es zugesagt hatte.

Nuh, rief er, wenn's nicht anders sein kann, so soll sie mich anschauen.

Er betrachtete sein trockenes, scharfes Gesicht im Spiegel, grinste sich wohlgefällig musternd an und sagte dann lachend:

Wenn sie mich erblickt, werden ihr die verführerischen Gedanken vergehen. Ich will ihr die aristokratischen Kunstgefühle schon austreiben. Schau, Ludwig, ich stech' Dich aus, will's schon danach treiben.

Nun aber, Schwesterchen, jetzt merk auf, jetzt kommt das Beste vom Ganzen. Wir kamen ans Gasthaus, der dicke Wirth stand an der Thür und grüßte Werner.

Wo wohnt die deutsche Dame, fragte der, die eine Jungfer bei sich hat.

Ist fort vor einer Stunde, sprach der Wirth.

Spazieren gegangen? Wohin? fiel ich ein.

Nicht spazieren gegangen. Fort nach Basel mit der Post.

Unmöglich! rief ich bestürzt.

Er beschrieb sie mir, hatte mich auch mit ihr am Vormittage zurückkehren sehen, es war nicht daran zu zweifeln.

Wie heißt sie? fragte ich.

Wissen Sie es nicht? sagte der Gasthalter schlau lachend; mich kümmert es nicht, ich habe nicht gefragt.

Nun wirst Du mich wacker auslachen, Hedwig, es ist mir, als könnt' ich hören; aber ich habe genug daran, wie es Werner that und mich über den Markt fortzog, voll Vergnügen, daß ich von meinem Abentheuer so leicht losgekommen sei.

Gott sei Dank! sagte er, sie hat Dich rechtschaffen angeführt; kannst Dich dafür bedanken, wenn Du sie jemals wieder siehst.

Deine Rechtschaffenheit hat sonderbare Grundlagen! rief ich ärgerlich.

Was? schrie er, ist es nicht rechtschaffen, daß sie Dich sitzen läßt, ohne einen armen Knaben weiter in Versuchung zu führen? Es war keine Anziehungskraft bei ihr vorhanden, die Reagenz fehlte, sie verflüchtigte sich ohne eine Spur zu hinterlassen und nun stehen wir hier wie ein paar Streifen Lackmuspapier, die eben eingetaucht werden sollten, um zu sehen, welche Säuren das angenehme Getränk enthielt, das sich der Untersuchung entzogen hat.

Er belachte seinen chemischen Vergleich aus Herzenslust, faßte mich dann an dem Arm und rüttelte mich in seiner drolligen Vergnügtheit hin und her, indem er seinen Hut schwenkte und der treulosen Verrätherin eine glückliche Reise nachschrie, daß der Markt davon schallte. –

Nun ist's gut, fuhr er fort, nun sind wir freie Leute, können reden was wir wollen und thun was wir wollen. Wandern hinaus zu dem alten Munoth, sehen uns nach allen Seiten um und wenn's genug ist, setzen wir uns an ein kühles Plätzchen, wo der Wein am besten schmeckt, und das soll ein Abend sein, Ludwig, an den wir lange noch denken wollen.

Und so ist es geschehen, mein Schwesterchen. Wir haben den Munoth bestiegen, einen seltsamen alten Geschützthurm aus dem fünfzehnten oder sechszehnten Jahrhundert, ein wahres Römerwerk, was Viele auch glauben, die seinen eigentlichen Ursprung nicht kennen. Ich habe auf die fernen und nahen Berge der Schweiz geschaut und in Schau- und Wanderlust schlug mir das Herz. Dann haben wir im Schützenhof gesessen, gelacht und kühlen Wein getrunken, bis die Sterne am Himmel standen, und Arm in Arm gingen wir heim. Der Strom brauste und funkelte tief in seinem Felsenbett, ferne Lichter glänzten von den Bergen, aus einem Nachen, den ich nicht sehen konnte, kam Gesang. Ich hätte hinunter springen mögen. Aber wie, zum Wetter! bin ich etwa angesteckt von dem romantischen Fräulein? Es war mir so, als säße sie da unten und als wäre es ihre Stimme.

Doch sei ohne Sorge um mich, ich bin so nüchtern prosaisch, wie immer. Morgen bleibe ich noch hier, ich kann meinen Werner doch nicht so schnell verlassen. Er will mich mit einer Familie bekannt machen, die zu den ersten in der Stadt gehört, ein Oberst Kuni, dem er viel verdankt und welchem das Eisenwerk eigen ist, dessen Verwaltung Werner führt. Es ist mir auch lieb, einmal in das Wesen und Leben solcher Schweizerfamilien zu blicken, die sich meist vor allen Fremden abschließen, ärger wie Engländer. Uebermorgen geht es fort nach Zürich und dann gerade ins Herz der Schweiz hinein. Ehe ich aber reise, packe ich alle Blätter zusammen und schicke sie Dir.


Schaffhausen am 16. Juli.

Das war wieder ein Tag, meine Hedwig, und ein recht klarer, nützlicher und erfreulicher. Den ganzen Vormittag lief ich umher, Kirchen und Bibliotheken anzuschauen, sammt allerhand Sammlungen, die mir Werner empfohlen hatte. Es kommt bei diesem Umherstreichen meist nicht viel mehr heraus, als müde Beine. Erfreulich aber ist es doch, wie hier in der Schweiz viele Menschen gelebt haben und noch leben, die mit eisernem Fleiß und großen Mühen und Kosten allerlei Sammlungen zu Stande brachten, die ihren Mitbürgern und der Wissenschaft zu gute kommen.

In großen Staaten legen die Fürsten Museen an und die Kosten dafür fließen aus dem allgemeinen Seckel; hier thun es die einzelnen Bürger und Familienmitglieder aus eigenem Vermögen, und so soll es in den meisten dieser kleinen Republiken sein, mit Ausnahme der inneren Hirtenkantone, wo die Bauernaristokratie ihr abgeschiedenes Naturleben führt und keinen Sinn für geistige Entwicklung hat.

In den Städten dagegen, namentlich in den reichen protestantischen, ist es anders. Da haben sich immer wohlhabende Leute aus den alten Geschlechtern gefunden, die Zeit zum Lernen und Studiren hatten und mit ihrem Gelde Bücher kauften, Münzen, Pflanzen und Mineralien zusammenbrachten und Gott weiß was Alles aufhäuften, was Sohn und Enkel dann immer weiter vermehrten. Es macht Freude, das zu sehen und zu denken, wie der menschliche Geist überall thätig ist und überall seine Nester baut; man mag diese zerstören wie man will, sie kommen doch immer wieder.

Nachmittag holte mich Werner ab und wir gingen nach dem Landhause des Obersten, ein halbes Stündchen von der Stadt. Du mußt Dir bei dem stolzen Titel Oberst keinen Soldatenführer in unserem Sinne denken. In der Schweiz giebt es eigentlich gar keine Soldaten, wie wir diese kennen, und doch ist jeder Schweizer Soldat, das heißt in der Miliz, die nur zusammengerufen wird zu Jahresübungen oder wenn es etwas gilt. Die Offiziere sind so gut Bürger wie die Gemeinen, und Jeder treibt sein Geschäft, bis der Befehl kommt, den bunten Rock anzuziehen.

Da giebt es denn nun allerhand Titel vom Obersten herunter bis zum Lieutnant, und es hört sich lustig genug an, wenn sich die Leute Major und Hauptmann nennen. Ländlich sittlich, wir brauchen darüber keine Glossen zu machen, und immer ist es die Frage, ob die Schweizer mit ihren Bürgeroffizieren, wenn sie angegriffen werden, ihr Vaterland nicht eben so tapfer und noch besser vertheidigen, als wenn sie eine Offizierkaste hätten. Niemals, sagt ein alter Geschichtsschreiber, kämpft ein Hahn so gut, wie auf seinem eigenen Hofe; und kriegskundige Führer haben sie auch in ihrem Generalstabe und unter den eidgenössischen Obersten, dazu viele tausend Männer, die fortgesetzt mit der Büchse schießen, und ein handfestes Volk ist es, man darf es nur ansehen, man sieht viele feste, willenskräftige Gestalten und Gesichter. So sieht auch der Oberst Kuni aus.

Schau, Ludwig, sagte Werner zu mir, als wir hinausgingen, das will euch Deutschen nicht in den Kopf, daß ein und derselbe Mann bei uns Kaufmann, Soldat und Gesetzgeber sein kann, weil ihr Alles nach Klassen und Ständen abgetheilt habt. Der Kuni gehört zu den alten, regierenden Geschlechtern, denen sie heut zu Tage die Nägel zwar beschnitten haben, aber es ist doch immer noch genug davon übrig geblieben, um sich oben fest zu halten. Geht's nicht mehr mit dem Stadtjunkernamen, so geht's mit dem Ansehen und dem Gelde; das ist eine Aristokratie die immer bleiben wird; und dann ist es doch eine andere Sache mit solchem bürgerlichen Gemeindewesen, wo es kaum ein paar schlecht bezahlte Beamte giebt, wie mit einem Staate, wo das Beamtenvolk Alles commandirt, oder eine andere regierende Kaste dazu aufspielt. Hier sitzen die gewählten Bürger auf ein paar Jahre im großen Rath und im kleinen Rath, verwalten und geben Gesetze, aber der nächste große Rath kann ganz andere Leute bringen, wenn das Volk merkt, es ist nicht richtig mit denen da, und sie nicht wieder wählt. Der Kuni ist Kaufmann und Großrath und Oberst. Sitzt als Kaufmann in seinem Haus am Schreibtisch und macht seine emsigen Geschäfte nach Baden hinein und nach Zürich, hält im Rath lange Reden über das Gemeinwesen, hat in der Tagsatzung mehr als ein Jahr gesessen und ist als Gesandter verschickt worden; wenn aber die Trommel rief, hat er bewiesen, daß er auch ein Bataillon aufs Piket stellen kann. Siehst Du, Ludwig, das ist unser Bürgerwesen in der Schweiz. Es gehören mancherlei Opfer dazu, denn Jeder muß Hand anlegen, daß die Maschine in Gang bleibt und die edle Eidgenossenschaft nicht zu Grund geht, aber dafür ist doch auch Mannessinn in unserem Volk, und es weiß es ein Jeder, daß er ein Stück vom Ganzen ist.

Als wir an das Landhaus kamen, sah ein Kopf über die Hecke weg und nickte uns zu. Ein breitkrämpiger Strohhut mit einem schwarzen Sammetband beschattete das braune Gesicht, ein schwarzer Schnurrbart saß auf der Lippe, ein Seidentuch war lose um den Hals geschlungen.

Grüß' Sie Gott, Oberst Kuni! rief Werner, und dann gingen wir hinein und ich wurde ihm vorgestellt.

Es war ein großer Garten voll Fruchtbäume aller Art und voll Wein, auch mit vielen Gemüsebeeten feiner Art. Der Oberst hatte einen Spaten in der Hand, auf den er sich stützte, und kam mir vor, wie ein indischer Pflanzer, der durch seine Plantage spaziert. Er war freundlich und höflich, aber doch mit einem Anstrich, dem man es anmerkte, daß er zu den alten Geschlechtern gehörte.

Wir sind in Schaffhausen einfache Leute, sagte er, die den Fremden nicht viel zu bieten haben. Zur Sommerzeit wohnen wir gern auf dem Lande, wo Jeder, der es kann, sein Gütli hat. Klopft ein Freund bei uns an, so ist er willkommen, wenn er mit uns vorlieb nehmen will.

Er führte uns dem Hause zu, das behaglich unter alten Bäumen und zwischen Weingängen sich mit hellen Fenstern lang ausstreckte. Vor ihm lag ein Rasenplatz, der in einen Grund hinablief. Der Rhein zog in der Ferne durch fruchtbare Auen, jenseit stiegen waldige Berge auf, zur Linken ein prächtiges grünes Hügelland, und tief am Horizont lagerten sich die langen zackigen Linien und blauen Spitzen der Appenzeller und Vorarlberger Alpen.

Der Oberst hörte es gern, daß ich Alles lobte. Es ist ein gut gewähltes Plätzchen, sagte er, ein Familienbesitz aus Herzog Friedrichs Zeiten. Seit vierhundert Jahren haben die Kuni darin gesessen und über den Rhein hinaus geschaut in guten und bösen Tagen.

Wir setzten uns dann auch und allerlei Gespräche kamen in Gang. Der Oberst ist ein verständiger, unterrichteter Mann, von dem ich vielerlei über die Schweiz erfahren habe. Ich mußte ihm auch wohl gefallen, er hörte gern zu, was ich von Handel und Industrie, Volk und Einrichtungen erzählte, bis er plötzlich nach der Thür blickte und laut dahin sagte:

Bäbli! laß Dich sehen. Wir haben Gäste, mein Mädchen.

Auf diesen Ruf erschien seine Tochter, von der mir Werner gar nichts gesagt hatte, ein kleines, starkes, rothes Fräulein, einen ungeheuren Strohhut auf dem Kopf, im blauen Zitzkleid und ein weißes Schürzchen darüber. Sie sah sehr einfach aus, aber sie machte einen günstigen Eindruck. Schön ist sie eben nicht, denn sie hat wie alle Schweizerinnen sehr starke Züge und etwas Derbes; aber ihr Gesicht ist eben eines, wo man gern hineinsieht, mit einem offenen freundlichen Ausdruck und blauen, klaren, ruhigen Augen. Sie gab Werner die Hand, und als mein Name genannt wurde, sagte sie:

Ich habe ihn schon gehört, der Herr Werner hat mir von Ihnen erzählt; nun freue ich mich, Sie selbst zu sehen.

Es geht mir sonderbar, Schwesterchen, aber eigentlich geht es wohl Dir und Vielen nicht anders: mit manchen Menschen ist es mir unmöglich etwas zu reden, da bleibe ich einsilbig und fremd, bei anderen bin ich bald eingelebt und es macht sich wie von selbst, daß ein erfreuliches Beisammensein herauskommt. Hier war es so mit uns allen. Ich fühlte mich wohl in meiner Haut, es war etwas Heimisches und Vertrauliches, was mich anregte.

Es geht im Menschen eben so her, wie in der Chemie, überall giebt es Wahlverwandtschaften, der eine Stoff sucht sich gierig mit dem anderen zu verbinden, bei manchen ist die Anziehung schwächer und immer schwächer, endlich hört sie ganz auf und sie liegen gleichgültig neben einander, welche jedoch stoßen sich ab und einige vertragen sich so wenig, daß es eine Revolution, Mord und Todtschlag giebt, so wie sie nur sich nähern.

Hier hatte ich es sicher mit homogenen Organisationen zu thun, denn in der ersten Stunde waren wir befreundet und lachten und scherzten zusammen, als hätten wir uns lange gekannt.

Laß uns aber nicht mit trockenen Lippen reden, Bäbli, sagte der Oberst endlich, und zeige unserem Gaste, wie es in Küche und Keller bei Dir beschaffen ist.

Da hättest Du nun sehen sollen, wie's Bäbli sich tummelte. In wenigen Minuten war das Tischchen bereit, als hätten es Aladins Geister gethan. Alles war an seiner Stelle, Alles sauber, blank und recht, und Bäbli war immer bei der Hand, wo etwas fehlen wollte.

Die Schweizer, selbst die reichsten, leben sehr einfach, daher war auch unser Mahl nicht etwa ein lucullisches, doch es schmeckte mir ganz herrlich im Grünen und Freien, vor mir das weite schöne Land, an den fernen Alpen rother Abendsonnenschein und Bäbli neben mir, die für mein leibliches Wohl Sorge trug und die schönsten Geschichten vom Stadt- und Landleben zu erzählen, oder ihrem Vater und Werner einzuhelfen wußte.

Sie war voll Natürlichkeit und frohen Sinnes. Mit Werner hatte sie viel zu scherzen, und endlich ging sie mit mir in dem Garten umher, wo ich erstaunt sah, wie gut sie alle Namen der Blumen und Gewächse kannte und was sie von ihrer Zucht, Pflege und Behandlung zu sagen wußte.

Es ist gar keine große Kunst, erwiderte sie, als ich meine Bewunderung ausdrückte, ich habe meine Lust am Wirthschaften und führe die Oberaufsicht schon lange. Der Garten trägt auch etwas ein. Die vielen Fremden, welche im Sommer zu uns kommen, brauchen Früchte und Blumen, und die großen Gasthäuser kaufen unsere Gemüse, Spargel und Artischocken. Jeden Morgen schicke ich ganze Körbe voll fort, und habe mancherlei Plage mit den Leuten, die Aufsicht nöthig machen.

Und das Alles thun Sie selbst? fragte ich.

Wer soll es thun? antwortete sie; ich arbeite gern und jeder Mensch sollte schaffen, keiner die Hände müßig in den Schoß legen.

Aber junge Damen pflegen sich lieber mit anderen Dingen zu beschäftigen. Sie machen Musik, zeichnen, malen, lernen Sprachen.

Ist nicht meine Sache, sagte sie lustig den Kopf schüttelnd. Mit Musik ist es nichts bei mir, in der Pension habe ich es nie weit gebracht, und jetzt habe ich keine Zeit dazu, wenn ich auch wollte.

Sie erfreuen sich an der schönen Natur, in der Sie leben, fiel ich ein.

Es gedeiht Alles herrlich hier, rief sie beifällig umherblickend, und nirgend möchte ich lieber sein.

Bäbli hält strenge Ordnung, sagte der Oberst, der zu uns kam. Sie müssen wissen, Herr Hagen, es ist im ganzen Lande kein Mädchen, die es ihr gleichthut.

Willst mich schamroth machen? fragte sie lachend.

Kannst Dein Haupt stolz aufheben, mein Mädchen, erwiderte er. Bist keine Dame aus der großen Welt, aber hast eine gesegnete Hand; was Du angreifst, glückt und lohnt. Das ist die Sache, fuhr er zu mir sich wendend fort, die man an uns tadeln kann. Wir sind ein geschäftiges, emsiges Volk, sehen fleißig zu, wie wir erwerben können, arbeiten früh und spät und nützen unser Geld und unsere Kräfte, aber von vieler Kunst und was sie da außen feine Bildung nennen, haben wir nicht viel abbekommen. Und so ist's auch mit unseren Frauen und Mädchen, fuhr er fort. Die haben ihre häuslichen Tugenden, stehen uns wacker bei, helfen erhalten und mehren, was wir besitzen, sind aber wenige darunter, die zu glänzen verstehen und nicht für den kleinen, stillen Familienkreis eingerichtet wären.

Das ist das schönste Lob, was Sie aussprechen können, erwiderte ich. Frauen sind für Häuslichkeit und Familienglück geschaffen, und eben das ist das Unheil unserer Zeit, daß so viele Frauen nicht ihren Beruf erkennen, Putz- und Modepüppchen sind, überbildet und fantastisch nur nach Vergnügungen und Zerstreuungen haschen, und mit romantischer Schwärmerei sich die Köpfe verdrehen.

Werner lachte boshaft und sah mich spottend an.

Was soll denn Ihre Lustigkeit bedeuten? fragte Bäbli herausfordernd. Der Herr Werner ist, wie es scheint, von anderer Gesinnung.

Gott bewahr's! rief Werner, aber mein Freund Ludwig spricht gerade so, als hätte er schlimme Erfahrungen gemacht und wäre von einer romantischen Dame so recht an der Nase herumgeführt worden.

Ich suchte meine Verlegenheit zu verbergen, denn wirklich hatte ich bei dem, was ich sagte, an meine Unbekannte gedacht und so erbittert gesprochen, als stände sie hinter der Hecke und hörte Alles mit an.

Nun wer weiß, was Herr Hagen schon erlebt hat, lachte Oberst Kuni.

Da konnt' ich auftreten, Schwesterchen, mit gutem Gewissen.

Ich habe wirklich noch gar nichts dergleichen erlebt, rief ich, und mag es auch nicht erleben. Habe seither, wenn ich offen bekennen soll, auch wenig Zeit übrig gehabt, mich um das schöne Geschlecht viel zu bekümmern; habe gelernt und gearbeitet und an dem Grundsatz festgehalten, erst ein tüchtiges Fundament zum Lebenshause zu begründen, dann das Haus selbst zu bauen und die Augen klar offen zu halten bei Allem, was weiter mit mir geschieht.

So ging es fort und Oberst Kuni hatte seine Freude daran.

Sie sind ein praktischer Mann, sagte er, und das ist die Hauptsache in der Welt. Bei euch in Deutschland, bei den lustigen Franzosen da drüben und bei dem heißblütigen Volk im Süden verlieben sich die jungen Leute häufig ohne allen Verstand und denken nimmer nach, was daraus werden soll; bei uns in der Schweiz kommt es selten vor, daß nicht Jeder vorher rechnete und dann liebte. Die Eltern bestimmen über ihr Kind, und das Kind hat Einsehen genug und folgt dem Gebot. Man hat unsere alten Einrichtungen mit den Kränzchen und Jahrgängen genug verdammt, aber ihr Gutes haben sie doch. Die Mädchen und Knaben wissen von Anfang an, für wen sie bestimmt sind, wachsen damit auf, und werden nicht unglücklich, wenn sie heirathen.

Nun erfuhr ich eine seltsame Sitte, die, wie ich glaube, nur noch unter den Juden vorkommt und welche Dir wohl nicht sonderlich gefallen wird, wie ich denke, Du lustiges, freigesinntes Mädchen. Hier in der Schweiz ist es aber überall noch üblich in den alten Patriziergeschlechtern und ehemals regierungsfähigen Familien, daß die Kinder immer wieder unter sich heirathen. Bei ihrer Geburt schon wird die Verbindung verabredet und der Pact fest geschlossen. Dann thut man die Kinder zusammen in Kränzchen, die nach den Jahrgängen geordnet sind. Sie besuchen sich wöchentlich ein paar Mal, nehmen gemeinsamen Unterricht, lernen tanzen, theilen alle Vergnügen, gewöhnen sich zusammen, werden, wenn es Zeit ist, meist so früh wie möglich, in die Kirche geführt, und kommen als Mann und Frau nach Haus. –

Ländlich sittlich, liebe Hedwig. Es sträubt sich etwas auch in mir dagegen, ich möchte mich nicht so willenlos behandeln lassen; aber es kommt Alles auf Gewohnheit an, und wenn Voltaire einst behauptet hat, es könnte Einem in der Hölle so wohl sein, wie einem Fische im Wasser, warum sollte es mir nicht wohl sein können mit einer Frau, oder Dir mit einem Manne, wenn man von Jung auf uns dafür abgerichtet hätte?

Was ist denn die Liebe? Doch nichts am Ende als ein Sinnenreiz oder eine romantische Schwärmerei, ein Rausch der Gefühle, der den Meisten sehr schlecht bekommt. Die praktischen Leute hier lassen sich nicht darauf ein, sichern sich und ihre Kinder vor Schaden, und was thut's, wenn diese etwa die sogenannte Liebe nicht kennen lernen!

Hoho! Du wirst ein kraus Gesichtchen machen und einen Bannstrahl gegen mich schleudern; aber ich bin einmal für die romantische Empfindsamkeit verdorben, halte es mit der praktischen Vernunft und möchte um keinen Preis solche Frau haben, wie etwa mein Fräulein vom Rheinfall, so hübsch die auch zu sprechen wußte.

Von dieser bürgerlich einfachen, edlen Familie wurde mir das rasche Scheiden schwer. Der Oberst ist reich, seine älteste Tochter ist in Basel an einen der ersten Handelsherrn verheirathet, sein Sohn verweilt seit einem Jahre in Spanien in Handelsgeschäften für einen großen Fabrikbesitzer, dessen einziges Kind er heirathen wird, wenn er im Herbst zurückkommt.

Das sind Alles Leute von altem Adel, aus den alten Geschlechtern, gewiß auch stolz und mit manchen Vorurtheilen behaftet, aber dabei fleißig, thätig und trotz ihrer Obersten- und Rathstitel arbeitsam und klug. Was sagten wohl unsere Ritter dazu, wenn sie im Comptoir sitzen und mit Waagschalen und Gewichten klappern sollten? Wie würde jede anständige Hofrathstochter die Nase rümpfen und vor Scham roth werden, wenn sie wie Bäbli jeden Morgen die Gemüsekörbe zählen und mit der Frühsonne in den thauigen Garten laufen sollte, um das Markt- und Küchenregiment zu führen! – O! am Clavier sitzen, sich schmücken, die feinen Händchen beringen und romantisch oder sentimental fantasiren, das können sie meist alle; Männer möchten sie auch, und wenn Einer nur reich ist oder gar Equipage hält, so sind sie gern bereit, in seine Arme zu sinken und ihm ewige Liebe zu schwören. –

Genug, Hedwig, genug! ich weiß, auf Dich paßt das nicht, aber es fällt mir eben nur ein. Es sind gewöhnliche Alltäglichkeiten, tausendmal dagewesen, Gott besser's! was hilft's? Den Obersten und seine Tochter werde ich aber vielleicht doch wieder sehen. Als ich Abschied nahm, erkundigte er sich nach meinem Reiseplane. Ich nannte ihm diesen im Allgemeinen.

Das ist nichts, sagte er, machen Sie es nicht wie die gewöhnlichen Touristen, die über Zürich auf den Rigi und über den Vierwaldstätter See ins Berner Oberland laufen. Gehen Sie in die östliche Schweiz, über den Rigi nach Schwyz, Appenzell und Glarus bis an den mächtigen Tödi. Dann nach Graubündten hinüber. Sehen Sie den Taminaschlund und Pfeffers, das ist eines der größten Wunder in der Schweiz. Sie sind jung, die Jugend liebt Mühen und Gefahren, sie hat langen Athem und leichte Beine. Steigen Sie den Rheinwald hinauf ins Land der Bergamasken und schauen Sie hinunter in die Kastanienwälder Italiens, wenn Sie die Citronenhaine am Gardasee verschmähen. Ich habe das auch gemacht, als ich jung war, und denke noch mit Vergnügen daran zurück. Die Hirten bringen Sie dann auf ihren Alpenstegen bis an das Gotthards-Hospiz und von dort ist es keine große Sache, um über Furka und Grimsel nach Interlachen zu kommen, wo der beste Platz zum Ausruhen ist.

Als ich erwiderte, daß ich mir vorgenommen hätte, in Interlachen eine oder zwei Wochen zu bleiben, sagte er:

So ist es möglich, daß wir uns dort wieder sehen, vorausgesetzt, daß Sie nicht unter Monatsfrist dahin gelangen. Wir Schweizer reisen gewöhnlich nicht zu unserem Vergnügen, denn unsere Zeit wissen wir besser anzuwenden; thun wir es aber, so geschieht es, wenn die meisten Fremden gehen. In diesem Jahre möchte es sein, daß ich mich dazu entschlösse, und Werner muß dann mit uns fort in die frische Bergluft. Er sitzt zu viel bei der Arbeit, wird alle Tage magerer und dünner. Meinst nicht, Bäbli?

Bäbli sagte lachend ja, das graue Röckchen würde ihm immer weiter, und Werner betheuerte, es könnte nicht anders sein, müßte davon kommen, daß er jetzt so viele Engländer am Rheinfalle sähe, von denen der Eine immer dünner und länger wäre, wie der Andere.

So schieden wir denn, nachdem Bäbli in meine Hand versprochen, daß wir in Interlachen uns wieder sehen wollten, doch wenn's nicht sein könnte, so wär's in Schaffhausen ja auch lieblich, und wenn's mir gefallen hätte, wollte sie sehen, was ich täte.

Es ist mir immer weh ums Herz, mein Hedchen, wenn ich von Menschen scheiden muß, die mir lieb sind, und dabei denke, wer weiß, ob du sie jemals wieder schauen wirst. Heut aber war's mir nicht so, ich ging mit Werner fröhlich fort und wir sprachen von Interlachen, und wie er es einrichten wollte, um abzukommen, und erzählte mir viel von dem Obersten, der wacker sei vom Wirbel bis zur Zehe, und von Bäbli, und rühmte sie so begeistert, daß ich endlich sagte, ich hoffte, es würde einmal ein Paar aus ihnen beiden.

Das ist Narrheit! meinte er, es geht nimmermehr.

Wie, sagte ich, hat sie etwa auch einen Bräutigam aus dem Kränzchen und gehört zu einem Jahrgange?

Den hatten sie ihr bestimmt, wie jeder, erklärte er, einen rothhaarigen, breitnasigen Stadtjunker, aber er ist glücklicher Weise gestorben und einen anderen hat sie sich nicht aufschwatzen lassen. Die Schwester in Basel wollte mehr als einmal für sie sorgen, sie hat sich die Sache jedoch verbeten, und weil sie des Obersten Liebling ist, sagt er nichts dazu.

Das gefällt mir! rief ich, und was willst Du mehr, mein alter Kamerad, um alle Hoffnungssegel aufzuspannen? Ich müßte mich täuschen, oder Bäbli hat viel übrig für Dich.

Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er: Sie ist viel zu vernünftig, um an mich zu denken, und ich – ich möchte sie nicht, selbst wenn Kuni sagte: Nimm sie hin, Du sollst mein Sohn sein.

Wie, schrie ich auf, was für Gebrechen hat sie denn?

Die Gebrechen hab' ich, antwortete er so ernsthaft, daß es mir leid that, mit ihm gescherzt zu haben. Mein Vater war ein heimathloser Mann, ausgetrieben aus Unterwalden, fortgestoßen mit Weib und Kind, ohne Obdach, ohne Freund; ohne Mitleid und Erbarmen gejagt und getreten, wie ein Thier. Du weißt nicht, Ludwig, was ein Heimathloser ist in der Schweiz. Es ist ein Mensch, der kein Recht hat in einer Gemeinde, der geduldet wird, so lange es der Gemeinde gefällt, so lange er jung ist und demüthig, so lange er keinen Feind hat, oder man nicht fürchten muß, er könnte krank und schwach werden und dann der Gemeinde zur Last fallen. Da hilft nichts. Ob auch Großvater und Urgroßvater im Orte lebten und starben, sie hatten das Gemeinderecht nicht erworben, sind Fremde gewesen und geblieben, haben keine Heimath gehabt; so werden denn Kinder und Enkel hinausgetrieben in die weite Welt, gehetzt und gestoßen, wo sie sich blicken lassen, von Grenze zu Grenze gepeitscht, eingesperrt und gestraft, bis sie endlich in einem Graben, in einem Sumpfe oder See umkommen. Es ist mit der Menschheit ein sonderbar Ding, Ludwig! Vom Menschen zum Menschen giebt es kein Band, ärger wie Wölfe und Bären zerfleischen sie sich und nennen es Recht und Gesetz. Und wenn auch ein Samariter darunter ist, der ein Herz hat für fremde Noth, die Gemeinden leiden es nicht, der Ausgestoßene, Heimathlose muß fort, denn es ist altgermanisch Recht und steht in den Büchern klar und fest. Mein Vater kam bis Schaffhausen, immer hinter ihm der Büttel, der ihn weiter trieb. Er war krank und schwach, konnt's nicht länger schaffen. Aus der Stadt hatten sie ihn ausgetrieben, meine Mutter trug mich im Quersack, führte mein Schwesterchen an der Hand. Der Rhein ging hoch mit Eisschollen, die über den Fall donnerten; es war Abend. Schnee Tag überall; alle Thüren waren geschlossen, wo sie auch ansprechen mochten, es that sich keine auf. Sie saßen auf dem hohen kalten Stein, demselben Stein, auf welchem ich heut stand und Dir nachschaute, als Du nach Laufen hinüber fuhrst; der ist jetzt eine Art heiliger Altarstein für mich, wo ich einsam oft meine Hände falte. Dort saßen sie lange stumm in Nacht und Wind und fallendem Schnee, bis mein Vater meine Mutter anfaßte und zu ihr sprach: Wir müssen umkommen, Lorli, es ist kein Erbarmen, nicht bei Gott, nicht bei den Menschen, und die Kinder da müssen mit uns hinab.

Wie er die letzten Worte sprach, deutete er mit der Hand auf den Strom und meine Mutter schaut' zum Himmel auf, wo kein Stern war, und dann auf das dunkle Wasser, wo das Eis kracht und der weiße Schaum aufspritzt. Es kam ihr etwas an, sie hat es mir oft erzählt und wußte es nimmer recht zu sagen. Ein Gefühl wie Sehnsucht, als möchte sie tief unten liegen. Sie zog den Mann vom Steine auf, stellte sich neben ihn an den Rand und faßte mein Schwesterchen ins Haar.

Das Kind jammerte laut und ich fing in dem Quersack an zu schreien, als merkte ich, daß der Hunger mich zum letzten Male plagen sollte. Im selben Augenblicke aber springt ein schwarzer Hund am Steine auf und eine Stimme ruft durch die Nacht: Halt ein! Was thut ihr da?

Werner schwieg, seine Stimme war ins Zittern gekommen, ich legte meinen Arm um seine Schulter.

Nun, es war der Herr Kuni, fuhr er fort, damals noch ein junger Mann, der kam von der Jagd. Er war noch nicht lange verheirathet, hatte auch ein Kind im Hause, das mochte ihm dabei einfallen. Nach einer Stunde waren wir alle untergebracht und das Leid war aus. Mein Vater bekam Arbeit, Herr Kuni bürgte für ihn. Ich wurde in die Stadtschule gebracht, nachdem es so weit mit mir war, und als meine Eltern und mein Schwesterchen starben, als ich ganz allein in der Welt stand ohne eine Seele, die mir anhing, da war der Oberst mein einziger Freund und Erretter. Was wäre aus mir geworden, wenn er mich von sich gestoßen hätte? Statt dessen sorgte er väterlich. Als die Lehrer meinten, es sei etwas hier in meinem Kopfe, sparte er nichts, zahlte Pension, schickte mich endlich auf die Universität – Alles, Alles danke ich ihm!

Nun siehst Du, fuhr er fort, nachdem er ein Weilchen still geschwiegen, daß ich ein Schelm sein müßte, wenn es mir einfiele, an Bäbli zu denken.

Ist es nicht oft geschehen, sagte ich, daß aus dem Pflegesohn ein Schwiegersohn wurde? Lobt er Deinen Fleiß und Deine Geschicklichkeit nicht über alle Maßen? Und dankst Du seine Sorge nicht durch Deine Sorgfalt?

Du kennst die Verhältnisse nicht, antwortete er. Jedermann weiß, daß ich der Sohn des heimathlosen Arbeiters bin, heimathlos wie er, und der Oberst ist aus altem, regierendem Stadtgeschlecht, seine Sippschaft zählt zu den reichsten und ersten. Es ist nichts, Ludwig, rief er mit hellem Gelächter, das Bäbli ist viel zu verständig und ich bin es auch. Es wäre ein noch ärgerer Schimpf, als wollte eine deutsche Gräfin einen armen Dorfbuben nehmen. Es ist einmal so in der Welt, wir können nichts daran ändern, und da sind wir an deinem Gasthaus. Glück mit dir! in Interlachen sehen wir uns wieder, will's Gott!

Da hast Du Werners Geschichte, mein Hedchen. Es ist nichts Sonderliches und kommt wohl oft vor, aber Du siehst, wie wacker er ein Mann ist! In zwei Stunden fahr' ich nach Zürich hinüber und packe nun alle die Blätter zusammen. Ehe ich ins innere Land weiter gehe, sollst Du von mir hören.


Zürich, den 18. Juli.

Zwei Tage bin ich nun hier in dem Centralpunkte der deutschen Schweiz, dem einzigen Orte, wie mir gestern ein Deutsch-Schweizer sagte, der seit Jahren hier wohnt, wo ein gebildeter Mensch leben kann; und wie er denkt, mag er Recht haben. Denn Zürich ist wirklich wohl die einzige Stadt, die einen großstädtischen Anstrich hat, wo das enge beschränkte Bürgerleben der Schweiz sich allmälig abstreift und der Geist einer Allgemeinbildung sichtlich überall einzuwirken anfängt. Die Züricher sind immer kluge Leute gewesen und gelten in der ganzen Schweiz auch jetzt noch dafür. Handel und Fabrikation haben hier einen Hauptsitz und die neuere Geschichte der Schweiz ist von hier ausgegangen.

In alter Zeit wurde dies Bergland erst wichtig, als die Städte zu dem Bunde der Bauern traten und ihre Freiheit gegen Ritter, Mönche und Fürsten eroberten; in neuerer Zeit waren es die städtischen Kantone wieder, die ihre alten Regenten absetzten, neue Verfassungen einführten und dem Landvolk gleiche Rechte verschafften. Die Hirtenkantone, und wo sonst die katholische Kirche das Uebergewicht hatte, folgten dieser Bewegung nicht, so kam es endlich zum harten Bruch und zur gezwungenen Unterwerfung.

Zürich aber hielt durch seine Vermittelungen auch den radicalen Ungestüm in Schranken. Seine Aristokratie besteht aus Kaufleuten und Fabrikanten, nicht, wie in Bern, aus großen Grundherren. Die Hälfte seiner Bevölkerung arbeitet an Webstühlen und in Fabriken der verschiedensten Art. Ihr Wohl ist mit dem Wohle der Gewerbe und Geschäfte genau verbunden, und das ganze Leben und Treiben sieht darum aus wie ein Ameisenhaufen, der voller Thätigkeit und Sammelfleiß durch einander läuft und herbeischafft, was er irgend fassen kann.

Ueberhaupt ist es eigenthümlich, wie die Schweizer, umringt von so vielen tausend Fremden, die ihr Land durchziehen, einen ganz eigenen Stamm für sich bilden, gar nichts mit jenen sich zu schaffen machen, immer in ihrer Geschäftigkeit bleiben und kaum mit ihnen in Berührung kommen. Die Fremden gehören ganz und gar den Gastwirthen, die dann freilich wieder ihren Gewinn mit den Bäckern, Fleischern, Arbeitern aller Art theilen, und so das Geld in viele Hände streuen. In die Familien aber dringt so leicht kein fremdes Gesicht, und ich sehe immer mehr ein, wie es eine besondere Gunst war, daß ich durch Werner den Obersten Kuni kennen lernte.

Hier strömen die Fremden von Basel, Schaffhausen, vom Bodensee und von allen Seiten zusammen, denn von Zürich aus geht es auf den Rigi, und was von Luzern herunter kommt und an den Rhein will, geht zunächst ausruhend in die Stadt an der Limmat. Es ist auch sicher eins der schönsten Plätzchen, wo die alten Alemannen ihr Nest gründeten; schon die Römer hatten hier ein Castell.

Die Stadt ist krumm und winklig, mit engen verschobenen Gassen, es geht Hügel auf und Hügel ab, aber dabei ist es doch prächtig auf vielen hohen Punkten; Gärten und Fruchtbarkeit rund umher, und die neuen Vorstädte auf ihren Höhen sind mit geschmackvollen großen Häusern besetzt. Man sieht überall, daß Wohlstand herrscht, und daß der Staat sich wohlbefindet, erkennt man an der waltenden Ordnung, an großen Bauwerken, Schulen und gemeinnützigen Anstalten. Die Universität hat manche gute Kräfte vereint, die anderswo ausgestoßen wurden, das Schulwesen ist vortrefflich geordnet, und mehr wie an irgend einem anderen Orte in der Schweiz finden sich in Zürich viele gelehrte und gebildete Männer beisammen, so daß durch sie ein Anklang davon durch die Gesellschaft dringt.

Ueberwiegend ist das freilich nicht; die Schweizer sind, wie mein deutscher Bekannter mir zürnend sagte, fast immer trockene Verstandesmenschen. Sie haben keinen Prometheusfunken mit auf die Welt gebracht, für Poesie und Kunst so gut wie gar keinen Sinn, und so ein deutscher Schweizer will nur Nützliches lernen, was Brot giebt und Geld einbringt. Darum sind sie auch voller Gier nach Erwerb und hassen die Deutschen, welche hierher kommen und Gewerbe treiben, aus tiefster Seele, weil sie ihnen das Brot nehmen, und weil die deutschen Arbeiter, wo es auf Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit ankommt, weit besser ihre Sache verstehen.

Was aber vielleicht die Abneigung noch viel mehr anfacht, das ist der geistige Unterschied zwischen den beiden verwandten Nachbarn. Ein Deutscher hat immer ein Nest von Fantasien und Hirngespinnsten in seinem Kopfe und trägt eine Art von Utopien mit sich herum, daß er mit Hülfe gleichgestimmter Kameraden sich zurecht gemacht hat. Drei Deutsche können auch nimmer beisammen sein, ohne in Streit über ihre verschiedenen Meinungen zu gerathen, ohne das wunderlichste Zeug zu behaupten und mit Erbitterung über den Widersprechenden herzufallen. In der Schweiz haben die deutschen Handwerker ihre Communistenvereine ausgebildet, hierher haben sich Hunderte und Tausende deutscher Flüchtlinge gewandt und die Schweiz in üble auswärtige Händel verwickelt, während sie ihre Wirthe und deren Staatseinrichtungen, Charakter, Sitten und Gebräuche verhöhnten, sich selbst aber gegenseitig dabei aufs Schlimmste anfeindeten und dem Gelächter preisgaben.

Den nüchternen praktischen Schweizern erregte das Alles Widerwillen und Verachtung. Von Gemüth und Gemüthlichkeit, Schwärmerei und romantischer Begeisterung wissen die freilich so wenig, wie neugeborene Kinder. Wenn ein Volk Europas den Amerikanern ähnelt, so sind es diese deutschen Schweizer mit ihrem Triebe zum Geldmachen, der über allen anderen Trieben steht, mit ihrem unerschütterlichen Fleiße und ihrer unermüdlichen Arbeitskraft.

Alles, was ich darüber sah und hörte, stimmte mich zur Anerkennung. Die Deutschen, welche ich sprach, schimpften dagegen über den Geiz, die Habgier und die Engherzigkeit, welche hier herrschen sollen. Während die Fremden in den Gasthäusern schwelgen und dafür natürlich tüchtig zahlen müssen, sitzen die reichsten Schweizer zu Haus bei der einfachsten Kost, und wer selbst als Millionair gilt, speist des Abends in irgend einer Gartenschenke sein Stückchen Käse und Brot und trinkt einen Schoppen herben Seewein dazu. Von Kunst, Geschmack und Pracht wissen sie nichts, Bilder und Kunstwerke kaufen sie nicht, die kosten Geld, Künstler sind ihnen überflüssige Möbel, und ein Verschwender, betheuerten meine Bekannten lachend, sei noch nie in der Schweiz geboren worden.

Wie mich das innerlich freute, das Alles zu hören! Diese Einfachheit des Lebens und der Bedürfnisse sichert vor den schlimmsten Uebeln, von denen wir und viele andere Völker zernagt und zerfressen werden. Hier ist kein Heer hochbesoldeter Beamten, die auf Kosten der Regierten Prunk und Pracht treiben, und ewig hungrig nach mehr zu allen Diensten bereit sind. Hier haben die Regierungsräthe kaum so viel Gehalt, wie bei uns der einfache Schreiber; die höchsten Staatsstellen im Lande werden mit einigen Tausend Franken bezahlt. Da ist also kein Drängen, um mit einer lebenslänglichen Anstellung versorgt zu werden, und kein Unglück ist es, den Dienst zu verlassen. Nur der Ehrgeiz der politischen Partei und der Gedanke, seinen Mitbürgern nützlich zu sein, läßt nach den Aemtern greifen, aber bei der Nichtwiederwahl kehren Bürgermeister und Räthe zu ihren bürgerlichen Beschäftigungen zurück, und weil sie an Einfachheit des Lebens mit ihren Familien gewöhnt sind, wird es ihnen nicht schwer, diese zu erhalten. Es ist kein Hinabsteigen in Armuth, keine Entbehrung liebgewonnener Genüsse nöthig, man vermißt keine Pracht und Herrlichkeit.

Und daß sie keinen Sinn für Kunst und Poesie haben, ist kein allzu großer Schaden für diese thätigen, praktischen Männer. Wohin führt denn diese Kunstbildung und Kunstempfänglichkeit? Zu solchen abentheuerlichen Erscheinungen, wie mein Fräulein vom Rheinfall, zur Schwärmerei mit ihren verderblichen Auswüchsen. Was finde ich dagegen hier mit Sorgfalt und Liebe gepflegt? Eine große Bibliothek, vortreffliche Sammlungen aller Art, ausgezeichnete Volks- und Gelehrtenschulen, einen vorzüglichen botanischen Garten, eine große Zahl kenntnißreicher Männer, die hier Schutz und Anstellung fanden, und dazu Lesecabinette, Einrichtungen zur Bildung, wie man sie selten trifft, und ein verständiges Volk, das sich selbst regieren hilft, voll Arbeitsluft, Thatkraft und Vaterlandsliebe.

Romantische Bücher und sogenannte Kunstwerke giebt es mehr wie zu viel, und sie verweichlichen die Menschen, nehmen ihnen das Mark, stürzen sie in sinnliche Ueppigkeit, raffiniren die Empfindungen und füllen die Köpfe mit luftigem Land und Träumereien. – Schüttle Du dein Köpfchen, wie Du willst, mein Schwesterchen, es bleibt doch wahr. Hole der Henker alle die romantischen und poetischen Narrenspossen, alle diese Kunst- und Naturvergnüglinge! Thut Nützliches, schafft Tüchtiges, seht diese Schweizer an, sie können Euch Muster und Vorbild sein.

Ihr Land ist prachtvoll, aber bei aller Romantik ist nicht die Spur romantischer Empfindsamkeit in ihnen. Sie freuen sich auch des Lebens und der schönen Sommerabende, aber sie benebeln sich nicht in Mondscheinduft und schwärmerischer Verzückung über ein Alpenglühen oder eine Felsennase, und ebenso wenig in ihrem grauenvollen Seewein, oder in Champagner und Liebe.

So eine deutsche, gemüthliche Seele ist aber immer durstig: durstig und schmachtend, ist es nicht nach der Geliebten, so nach dem vollen Glase; kann keine alte Charteke von ausgegrabenem Torso einer zerfressenen Marmorstatue herhalten, an der sie Phidias oder Praxiteles glücklich heraus erkennen, so fällt ihre Begeisterung über ein verdunkeltes Bild ober über ein Buch her, und wenn das fehlt, so thut es die Natur. O! wie läßt sich dabei in lächerliche Verzückung gerathen. Ein solcher deutscher Schwärmer kann sich nie mäßigen, schwebt immer in Himmelshöhen, immer in einem blauen Strom von Bewunderung, und fällt dabei alle Augenblicke über seine eigenen Füße.

Ich mußte laut lachen, als mir heut ein ehrlicher Schwabe, ein Musikmeister, mit wahrem Grimm auseinandersetzte, daß diese Schweizer von Gott verlassene Leute seien. Es wäre eine Schande hier Musik zu unterrichten. Sie hätten keine Ohren und keine Stimme, und die verfluchte krächzende Sprache wäre kaum gut, um mit Kühen und Hunden zu sprechen. Dabei hätten sie aber die Wuth bekommen zu singen, Gesangvereine zu stiften und Gesangfeste zu feiern; das wäre zum Umbringen. Nichts verständen sie; kein Musiker wäre da, kein Maler, der was taugte, kein Dichter käme auf. Nichts als Baumwollen- und Seidenspinner, Fabrikanten und Arbeiter, das sei das Ganze. – Das Land ist ein Paradies, schrie er endlich; wo man hinsieht, kommt Einem das Entzücken ins Herz, aber die Menschen – er schlug sich den Hut wild in den Kopf – das ist eine saubere Gesellschaft!

Ich glaube, es kann sich nicht recht vertragen, die praktische, ernste Tüchtigkeit mit dem Kunstleben im höheren Styl. Die Engländer sind doch eine große Nation, unermeßlich reich, ihr Adel gierig nach Kunstschätzen, ihr Ehrgeiz darauf gerichtet, es allen Völkern gleich und zuvor zu thun, ein ganzes Heer reicher Müßiggänger ist dort beständig auf den Beinen. Und was sieht man in London? Jammervolle Statuen, schlechte Bildwerke, geschmacklose Bauwerke. Keinen Maler, keinen Musiker, keinen Sänger bringt der Boden hervor, der so vielen großen, gewaltigen Geistern das Leben gegeben. Wie anstaunungswerth ist das Volk in Allem, was nützlich ist. Welche Wunder schaffen seine Ingenieure, welche Dienste haben seine Naturforscher und Gelehrten der Menschheit geleistet, was haben seine Dampfmaschinen und Dampfschiffe bewirkt! Aber tanzen können sie nicht, Musik machen und singen auch nicht, in Allen, was Geschmack heißt, stehen sie tief unten. Denn was nützt denn dieser Geschmack, was nützen diese Künste? Wird es einem Engländer jemals einfallen, dafür sich etwa in einen Deutschen umwandeln zu wollen?

Genug, mein Schwesterchen, Du siehst, daß ich, mehr wie je, ganz auf praktischem Boden stehe, nichts mit der Feenwelt der Fantasie zu schaffen haben will, sondern mich überall ans Reale und Reelle halte.

Vielleicht bin ich dafür noch mehr durch meine Reise von Schaffhausen nach Zürich gestimmt worden, so kurz die ist, denn man fährt in fünf oder sechs Stunden ganz bequem durch das grüne schöne Hügelland bis an den blauen Zürichsee. Heiter saß ich oben auf dem Deck des Postwagens, hatte einen Engländer vor mir, der von oben bis unten quarrirt schottisch aussah, und einen ungeheuer langen schwarzen Schulmeister aus Winterthur, der seine stämmige Frau glücklich auf unsere Höhe gebracht hatte. Der Engländer sprach kein Wort, er schlief oder studirte seine Instruction for Travellers in Switzerland, der Schulmeister rauchte unterdessen und unterrichtete mich unter beifälligen Anmerkungen seiner Ehehälfte über das Glück, ein Bürger von Winterthur zu sein, der aus dem Gemeindegut jährlich im Herbst so und so viele Klaftern Holz und Maß Wein frei ins Haus bekommt, somit selig von außen und innen einheizen kann. Den besten Spaß machte mir jedoch ein Brief, oder Brieffragment, das ich eben wie ich abreisen wollte empfing, und welches keinem anderen gehörte, als meiner Unbekannten, dem romantischen Fräulein vom Rheinfall.

Wie ich am Morgen nach der Post eile, hält mich der Wirth vom goldnen Schiff an, der vor seiner Thür steht.

Sie, mein Herr, ruft er, als ich vorüber will, einen Augenblick. Sie haben vorgestern nach der Dame gefragt, Sie wissen wohl, die deutsche Dame mit den schönen Augen. Es ist ein Zettel gefunden worden, der ihr gehört. Vielleicht treffen Sie die Dame wieder und geben ihn ihr zurück.

Dabei zog der Schlaukopf ein Blättchen Papier hervor, drückte es mir in die Hand, und weil der Postillon eben blies, schrie er:

Jetzt springen Sie, oder Sie kommen zu spät!

So lief ich denn hastig davon, und wie ich oben im Cabriolet saß und der Wagen davonrollte, sah ich erst, was ich erhascht hatte. Es war ein Blatt aus einem Briefe, wahrscheinlich ein Nachtrag, ohne Ort und ohne Namen, etwas kritzlich geschrieben, aber sehr amüsant, ich will es Dir hier abschreiben.

»So eben überrascht mich die Gewißheit, daß ich nicht fort kann, und was werden Sie sagen, theure Helene, wenn ich eine ganze Woche später komme? Ich beuge meine Knie und flehe um Verzeihung. Die Prinzessin hat mich vor einer Stunde rufen lassen, sie wünscht, daß ich noch bleibe, und solche Wünsche sind Befehle, was kann ich also thun? Je höher wir stehen, je mehr die Großen dieser Welt uns schmeicheln, um so abhängiger sind wir; natürlich haben wir dafür auch unsere Vortheile und machen unsere Gegenrechnung. Wie schön sprach sich Ihr edler Geist darüber in Ihrem letzten Briefe aus. Unabhängigkeit ist das höchste Glück eines Menschenlebens, Einfachheit giebt Zufriedenheit, und Sie haben Recht, ich bin unabhängig, ich liebe die Einfachheit, hasse alle Verschwendungen; dennoch aber giebt es Verhältnisse, die man beachten muß. Der Großherzog hat mir, wie Sie wissen, seinen Orden geschickt. Ich habe deren schon mehrere, was nützen sie mir? Sie sagen, dies sei eine geringe Anerkennung meiner Verdienste. Nun ja, ich habe nichts dagegen, es ist eine Ehrensache, die man nicht übersehen darf, man erhebt sich damit über die Menge; aber mein Ruhm wird dadurch nicht vergrößert, der steht, wie ich denke, auf anderen Grundlagen. Ihre Lobsprüche, meine edle Freundin, sind mir weit schmeichelhafter, ihre süßen und erhabenen Gedanken möchte ich in Gold fassen lassen, um sie auf meinem Herzen zu tragen. Ja, theuerste Helene, mein Ruhm soll der Ihre sein, an Ihrer Seite zu leben, ist der Gedanke, der jeden anderen überwiegt. Eine Helena war es ja, die in alter Zeit kein Sterblicher erblicken konnte, ohne sie zu lieben. Empfangen Sie mich, meine Freundin, nach ihrer entzückenden Verheißung, wie man einen Engel empfängt – anbetend! aber wir werden die Rollen tauschen. In einer Woche bin ich bei Ihnen, Alles wird dann in Erfüllung gehen.«

Ist das nicht ein bescheidener, vielverlangender und vielversprechender Herr? – Wer er ist? Ja, was weiß ich es. Irgend ein Kammerjunker, Jagdjunker, Hofmarschall Kalb Der eitle und oberflächliche Hofmarschall von Kalb verkörpert in Friedrich Schillers Drama »Kabale und Liebe« (1784) die höfische Lebensweise. oder dergleichen. Aber er hat doch einige vernünftige Gedanken, vernünftiger wie die, welche ihn anbetend erwartet und für ihn in höchster Glut schwärmt. Den ganzen Weg über beschäftigte ich mich mit dem Inhalt des Zettels und machte mir lustige Vorstellungen.

Das war es also, weshalb sie reist. Ein Stelldichein mit einem verliebten Anbeter, der seinen Ruhm mit ihr theilen will, und sie mit ihm ihre Abentheuer. Siehst Du wohl, mein Hedchen, bis wohin die romantische Verrücktheit auch Frauen führt?! Diese hier ist nun freilich, wie ich glaube, so weit abgeirrt, daß es sich nur noch fragt, wer besser rechnet, der Bursche, an den sie sich gehängt hat, oder sie mit ihren schlau gewebten Netzen. Doch so geht es, wenn die natürlich einfachen und sittlichen Satzungen des Lebens von unnatürlicher Ueberreizung gelockert und zerrissen werden.

Da schreien die Weltverbesserer über das Elend der Armuth und deren moralische Versunkenheit, wollen von unten auf heilen, die Wunden mit glühenden Eisen ausbrennen, oder mit ihren tollen Fantasiereien curiren; die Heilung muß von oben herunter kommen, wenn überhaupt etwas daraus werden soll. Wie ist das aber möglich in diesem Wirrwarr von Eitelkeit, Genußsucht und glänzender Unnatur? Wozu werden unsere Mädchen nicht von der Wiege an erzogen? Wer lehrt sie noch Häuslichkeit, stillen Sinn, Einfachheit, Genügsamkeit? Ist es nicht dahin gekommen, daß Arbeit als Schande betrachtet wird? Und was heißt die sogenannte Emancipation anders, als politische Frauen, verbildete Damen, oberflächliche ästhetische Schwätzerinnen machen, die mit romantischen Phantasien sich die Köpfe füllen und Abentheuer erleben wollen. Solche Frauen sind mir ein Greuel, Gott bewahre mich davor!

Da lobe ich mir diese Schweizerinnen, die in ihrem Leben kein Buch lesen, als ein nützliches, die von Kunst nichts wissen und über nichts in Begeisterung gerathen, aber das Haus rein und blank halten, praktischen Blick besitzen für Alles, was noth thut, und ihre ordnende stille Hand über den Familienkreis ausstrecken, segensvoll wie eine Gotteshand. Ich muß immer wieder an das helläugige Bäbli denken. Der Kreis ihrer Gedanken ist gewiß nicht groß, Alles was sie sagt ist einfach, sie weiß nicht viel Worte zu machen, doch was sie thut ist recht, und was sie will ist gut.

Ich freue mich auf ihre Gesellschaft in Interlachen und habe wohl zehnmal schon das Zettelchen betrachtet, wo sie mir den Namen der Schweizerpension aufgeschrieben hat, wo ich wohnen und sie finden werde. Denn, sagte sie, wir Schweizer gehen nicht in die großen Hotels, wo man wenigstens fünf Franken täglich zahlen muß, die sind nur für die Fremden, welche von den Gastwirthen ausgepreßt sein wollen. Wir gehen nach Unterseen in ein sauberes stilles Haus. Große Spiegel und Sammetpolster giebt es dort nicht, aber man kann auch ohne den Tand fertig werden.

Sieh! mein Schwesterchen, das sagt ein Mädchen, deren Vater reich ist, die jedoch sich deswegen in nichts überhebt, auf Land und Luxus nichts giebt, und ihre einfache Natürlichkeit nicht verloren hat.


Zürich, den 19. Juli.

Ich habe meine Unbekannte wieder gefunden und eine sonderbare Geschichte mit ihr erlebt. Gestern, als ich von Bäbli geschrieben hatte, warf ich die Feder fort, denn die Abendkühle brach an und ich ging in das Freie hinaus an den See. Da ist es schön, liebes Hedchen, das ganze übrige Zürich ist nichts dagegen. Der See liegt in dem tiefen Thalkessel und füllt ihn auf vier Meilen aus. Zu beiden Seiten steigen die Hügel breit und hoch empor, voll Rebengrün und herrlichem Anbau, Wald und mancherlei Menschenwohnungen. Man kann sich schwer ein vollgültiges Bild von diesem Thale machen, das zu den schönsten gehört, die man finden kann. Der Fleiß der Menschen vereinigt sich darin mit einer glücklichen milden Natur, welche überall die Triebe zum Sprossen und Reimen in sich trägt.

An den Höhen liegen große Gemeinden und mancherlei Landhäuser, am Ufer große Fabriken und Industrieanstalten, im Hintergrunde die Stadt an den Gehängen aufkletternd mit prächtigen Gebäuden, und in der tiefen Ferne schweben, wie am Himmel angehängt, die schweizer Alpenhörner von Uri. Dazu ist der See gefüllt mit Schiffen und bewimpelten Fahrzeugen; ein Dampfer zog seine lange Rauchsäule gerade durch die Mitte des blauen Wassers, und nichts Angenehmeres, als an solchem Abend ein kleines Boot miethen und in den blauen See hinausfahren.

Das that ich denn auch, viele Fremde thun es, und es ist ein gar liebliches Ding, so zu sitzen im rothen sterbenden Sonnenlicht, warme Luft rund umher, blauer, goldiger Himmel oben, kühle kleine Wellen unten und überall in der Ferne dies reiche, belebte Bild. Meine Fährleute fuhren mich ein gutes Stück hinein und fragten mich dann, ob ich in einem Vergnügungsgarten mich umschauen und erfrischen wollte, der auf einer Landzunge in den See springt, und wo man sich prächtig umschauen kann. Ich ließ es geschehen, es ist dort ein Hauptversammlungsort der Züricher bei Concert und anderen Freuden. Heute aber war es ganz still, nur eine andere kleine Gondel lag noch am Bollwerke, Niemand war zu schauen.

Ich ging durch die einsamen Gänge am Bollwerk hin, wo Trauerweiden ihr Gezweig bis auf das Wasser senken, und zwischen durch drang die Sonne mit ihrem letzten Leuchten. Plötzlich sehe ich eine Dame, die an dem Geländer steht und nach den Schwyzer Bergen hinblickt. Wie sie meinen Schritt hört, wendet sie den Kopf, der Niemandem anders gehört, als ihr, dem abentheuernden Fräulein.

Im ersten Augenblicke war ich überrascht, vielleicht auch erfreut, ich weiß es nicht. Es kam mir vor, als ging es ihr eben so, sie lächelte und erwiderte meinen Gruß. Dann aber fiel mir ein, wie sie mich behandelt und was ich von ihr erfahren, und mein Benehmen wurde immer kühler und spöttischer, bis ich zuletzt ziemlich unumwunden ausdrückte, was ich empfand.

Ich habe viel Glück, Sie unverhofft wieder zu finden, sagte ich.

Wenn es Glück sein soll, mußte es so kommen, erwiderte sie. Sie haben Schaffhausen schnell verlassen.

Nicht so schnell wie Sie, erwiderte ich mit scharfer Betonung.

Sie that, als merkte sie nichts, machte auch keine Entschuldigung, sondern sagte gleichgültig:

Ich war in Basel, der Stadt der frommen Wechsler und Seidenhändler, die dort ein eintöniges Krämerleben führen. Man muß auf Reisen seine Zeit benutzen, wie man kann, und sich durch nichts Ueberflüssiges aufhalten lassen.

Ueberflüssiges! Das bezog ich auf mich und steckte die Kriegsflagge auf.

Ich bewundere Ihren Heroismus, sagte ich, mich verbeugend, der keine Opfer scheut.

Mein Heroismus, antwortete sie, legt es nicht auf Bewunderung an, und was meine Opfer betrifft, so bin ich egoistisch genug, nichts davon zu wissen.

Es müssen in der That aber doch heroische Triebe sein, lachte ich, die eine junge Dame bewegen können, sich allen Gefahren einer Reise auszusetzen.

Die Schweiz ist, wie ich denke, ein sicheres Land, war ihre Antwort, und gegen Anmaßungen weiß ich mich zu schützen. Wie finden Sie Zürich, Herr Hagen?

Ich bin zu wenig poetisch und romantisch, sagte ich, um mich hier bis zu einer Idylle begeistern zu können.

Das ist Schade! erwiderte sie, indem ihr Blick über mich hinflog. Aber Sie sind ein Freund der Natur.

Es sieht allerdings ganz artig hier aus, gab ich ihr noch gereizter zurück, recht malerisch und lieblich für das Auge, doch über diesen bunten Schein muß man den Inhalt nicht vergessen. Dieser See und seine Umgebung wären mir gleichgültig, wenn der Menschenfleiß sie nicht fruchtbar gemacht hätte; es wäre eine wilde todte Einsamkeit ohne die Stadt dort, ohne ihre Thürme, ihre Fabriken und den Reben- und Fruchtbehang dieser Berge.

O, richtig! rief sie mit unverkennbarer Spottlust. Sie sind ja ein Mann der Nützlichkeit; aber was werden Sie zu den schrecklichen, unfruchtbaren Felsen und Eismassen sagen, die da drüben herüberschimmern?

Ich werde mich freuen, antwortete ich, auch dort zu sehen, wie der Mensch jeden Halm und jedes Lebenszeichen der Natur zu benutzen weiß, um sie dienstbar zu machen, mich freuen, wie er ihr sein Leben abgewinnt, und was er an Geschick, Kraft und Scharfsinn aufbietet, um sie zu beherrschen.

Und weiter wollen Sie nichts? fragte sie lachend. Bei aller Erhabenheit und göttlicher Schönheit nichts empfinden, als wie viel Futter gewonnen wird, oder wie viel Kraft nöthig sein wird, um einen Eisenbahntunnel nach Italien zu bohren!

In der That, sagte ich, heftig geärgert, für den Anblick eines solchen Triumphes des menschlichen Geistes würde ich alle Sonnenaufgänge und Gletscherfantasien herzlich gern hingeben. Es ist wohlfeil, sich in Naturenthusiasmus zu berauschen, und bei jedem Wasserfalle sich zu rühren, wie Heine's Fräulein am Meere Das titellose Gedicht (1832e, 1844v in »Neue Gedichte«), auf dass von Mügge bereits in »Die Gefahren des Glücks« (Vielliebchen, 1853) angespielt wurde, gilt als beispielhaft für die Destruktion romantischer Poesie:

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
.

Und dennoch kann es so wohlfeil nicht sein, antwortete sie, ihre funkelnden Augen auf mich heftend, mit künstlerischem Gefühl sich an der Schöpfung zu erfreuen; aber Schade, Herr Hagen, daß es nicht hell genug ist, wir würden vielleicht Ufenau sehen können, wo Ulrich Hutten seine letzte Zuflucht fand und starb.

Auch ein Schwärmer, sagte ich, auch ein Romantiker!

Wie! rief sie, auch den verdammen Sie? Hat er als Ritter der Wahrheit nicht seiner Zeit vorangeleuchtet? Hat er Pfaffen und Mönchen nicht getrotzt, mit Feder und Degen gegen den Fanatismus seiner Zeit gekämpft, und gegen Unrecht, Heuchelei, Betrug und Tyrannei, wo er sie fand, kühn sein Haupt erhoben?

Er war ein leichtsinniger, nichts achtender Mann, dessen kecke, unbesonnene Worte mehr verwirrten, wie besserten, erwiderte ich trotzig. Der mit anderen Schwärmern seiner Zeit Blut und Unglück über Viele brachte, seine Kräfte weit überschätzte, und endlich hier in einem Winkel starb, ohne genützt zu haben.

Nun, dann, sagte sie mit stolzen, zürnenden Blicken, dann ist ja alles Hohe und Edle nichts als unsinnige Schwärmerei, wenn es vor Gewalt und Macht scheitert. Dann ist jede Erhebung des Geistes eine Thorheit, jeder Kampf für innere Ueberzeugung und Wahrheit Leichtsinn, jedes Märtyrerthum lächerlich und verächtlich.

Es that mir ordentlich wohl, sie so erhitzt zu sehen.

Die Wahrheit, antwortete ich, bedarf keiner Märtyrer, wenigstens keiner, die mit wildem Ungestüm in blindem Eifer ihre Zornschalen auf die Köpfe der Gegner gießen, Spottgedichte machen, mit fanatischen Reben und Schriften fechten und ganz wie Romantiker und Schwärmer es thun, ohne Ruhe und Besonnenheit sich fantastisch aufreizen.

Sie schwieg mit einem halb mitleidigen, halb verächtlichen Lächeln. Wenn die Welt so wäre, wie Sie es möchten, sagte sie dann, wie klein und jämmerlich würde es darin aussehen.

Ich glaube, es geht bei aller Begeisterung für das Wahre und Schöne jämmerlich genug darin her, rief ich aus, doch ich bin überzeugt, daß wir weiter wären, wenn die Menschheit immer vernünftig und nüchtern fortgeschritten, und niemals sich mit Schwärmereien eingelassen hätte. Aber je tiefer die Finsterniß, um so größer die Umnebelung. Das ganze romantische Mittelalter ist davon erfüllt. Kreuzzüge, Mönchswesen, Aberglauben, Gespensterspuk, Hexen und Teufelsglauben, Scheiterhaufen und Inquisition, was sind sie weiter, als die Folgen wilder Fantasierei! Je weiter die Welt fortschreitet, je nüchterner und praktisch klüger werden die Menschen, je mehr sie nachdenken lernen, je nützlicher werden sie ihr Leben verwerthen, und endlich wird es dahin kommen –

Daß Alles sich in Nützlichkeit und Nüchternheit auflöst, fiel sie ein, und jeder unnütze Gedanke mit einer Polizeistrafe belegt wird. Aber nicht weiter, Herr Hagen. Betrachten Sie dies wunderbare Abendbild. Frieden überall, Ruhe und Sehnsucht im Himmel und auf Erden. Erweckt es nicht auch in Ihnen eine Empfindung, die über alle Nützlichkeit hinausgeht?

Und in fünf Minuten wird es verwehen in Nacht und Dunkelheit! rief ich. So ist es mit allen diesen Werken des Augenblicke, mit allen Gefühlsschöpfungen und luftigen Fantasiebildern. Der Heiligenschein erblaßt, der Nebel fällt, in einer Stunde werden wir Regen und Sturm haben.

Dann ist es Zeit nach Haus zurückzukehren, sagte sie.

In das sichere Haus von ganz gewöhnlichen Ziegelsteinen, rief ich höhnisch auflachend

Sie stieg in die Gondel, ich wollte helfen, aber sie nahm meine Hand nicht an. Die Ruderer stießen ab..

Leben Sie wohl! rief ich. Morgen wird die Sonne gewiß höchst romantisch aufgehen. Der Hüttliberg ist voller Zauber und Wunder für empfindsame Seelen.

Gute Nacht! sagte sie in derselben spöttischen Weise. Wie glücklich sind Sie! Sie dürfen nie an einen Morgen denken.

Ich stand noch ein Weilchen, dann folgte ich ihr, aber ihre Fährleute waren jünger und rascher, ich blieb weit zurück. Nun, ich Kind der Nacht und Finsterniß, das keinen Morgen nöthig hat, um sein Elend zu beleuchten, ich war ganz damit zufrieden; allein diese Nacht machte mir doch allerlei zu schaffen, denn denke Dir, mein Schwesterchen, das romantische Fräulein war meine Nachbarin. Wir wohnten Thür an Thür. Irgend ein schadenfroher Kobold hatte sie dahin gebracht.

Als ich spät nach Haus kam, hörte ich nebenan sprechen und erkannte sie auf der Stelle an der Stimme. Ihre Jungfer war hereingetreten, ich hörte sie deutlich sagen:

Es ist kein Brief auf der Post, liebes Fräulein, ich habe nochmals nachgefragt.

Das beunruhigt mich, antwortete sie. Warum hat er nicht geschrieben?

Vielleicht krank! meinte die Jungfer.

O, schweig! rief sie. Der Gedanke macht mich unglücklich.

Ich hätte laut auflachen mögen. Glückseliger Endymion! wie kläglich und zärtlich der Ton war. Ich horchte aufmerksam, denn nun war von mir die Rede.

Wissen Sie, gnädiges Fräulein, wer hier ist? fragte die Jungfer belustigt. Der junge Herr aus Schaffhausen.

So, sagte sie gleichgültig.

Er wohnt hier im Hause, ich habe ihn vorher gesehen.

Dann wünsch' ich ihm, daß er besser wohnt, wie wir.

Und daß er sich nicht langweilt, wenn er allein ist, rief die schnippische Dirne.

Er wird sich nützlich zu beschäftigen wissen – mit Schlafen, antwortete das Fräulein.

Die dienstwillige Jungfer lachte laut auf.

Du kannst denken, daß mich diese Unterhaltung belustigte und verdroß, beides zu gleicher Zeit. Ich hätte plötzlich die Breter durchbohren und mit dem Kopfe hineinfahren mögen, aber ich fand es doch am zweckmäßigsten, dem guten Rath zu folgen und mein Bett aufzusuchen. Das war jedoch ein schlechtes Lager. Ich konnte nicht schlafen, ich mochte es anfangen, wie ich wollte. Eine unerträgliche Hitze peinigte mich, dazu sprachen die beiden Damen nebenan, bald leiser, bald lauter, und Gott weiß es, wie es kam, ich bildete mir ein, sie sprächen von mir, lachten über mich. Du mußt es also erklärlich finden, daß ich einige Male aufsprang, an die Thür schlich, mich schämte, umkehrte, wieder ins Bett stieg, wieder aufstand, kurz allerlei Tollheiten trieb und mein Blut bis zum Sieden erhitzte.

Einmal war es mir, als ich mein Ohr an die Thür legte, als rauschte es an der anderen Seite, als hörte ich ganz leise Athemzüge und plötzlich einen Seufzer. Ich prallte zurück, wie ein Narr, und stand, wie vom Blitz berührt; aber ich glaube beinahe, ich habe selbst geseufzt. Dann schlief ich endlich ein, träumte, daß die dunkeläugige Hexe vor mir stände, sich über mich beugte und ihr langes seidenfeines Haar kühl auf mein Gesicht fiele. Darüber fuhr ich auf, stieß meinen Kopf schrecklich an dem Bettpfosten, ärgerte mich abermals, verwünschte alle Träumereien und wachte auf, als ein Kellner anpochte und fragte, ob ich im Saale frühstücken wollte.

Sind das nicht reumüthige, schreckliche Bekenntnisse, mein Schwesterchen?! Ja, lache nur, was kann ein Mensch für seine Visionen in der Finsterniß und für seine Träume!

Glücklicher Weise war Alles vorbei am lichten Tage. Fräulein Helene war in erster Frühe abgereist, mit dem Dampfschiffe nach Horgem und von dort auf den Rigi. Ich hatte keinen Laut gehört, hatte fest geschlafen, und weiß bis diese Stunde nicht, ob sie ahnte, daß ich ihr Nachbar gewesen sei, oder nicht.

Aber einen Streich hat sie mir doch gespielt, einen lustigen, der mich zum Lachen zwang. Ich saß unten im Salon und frühstückte, las die Zeitungen dabei und machte meine Glossen über die Artikel aus Paris. Da pudern sie sich die Köpfe mit Gold- und Silberstaub, erfinden alle Tage neue Moden, Kaisertrachten, schwelgen in Luxus und Pracht, ersticken an sittenlosem Leichtsinn und feiler heuchlerischer Genußsucht. Welch ein Schauspiel ist das! Aber die Franzosen sind nicht besser und nicht schlechter, wie alle Anderen.

Es könnte immer schon ein neuer Gibbon Edward Gibbon (1737-94), britischer Historiker in der Zeit der Aufklärung. The History of the Decline and Fall of the Roman Empire (1776-89) ist sein Hauptwerk. geboren werden und eine Geschichte vom Fall und Untergang der abendländischen Völker beginnen. Das ist die Folge des Sinnentaumels unserer Zeit, die Folge der romantischen Verwilderung der Gemüther, der Sucht zu glänzen und jeder Eitelkeit, jeder Selbstsucht zu fröhnen; und solche Frauen sind es, die von Jugend auf nichts fürchten lernen, als die Langeweile, das heißt ein sittlich einfaches Familienleben.

Ich dachte dabei auch an meine Nachbarin, und plötzlich fiel mir ein, daß ich, um ihren Namen zu erfahren, nur hier ins Fremdenbuch sehen dürfe, wo der meine ja auch eingeschrieben stand. Ich machte mir ein Geschäft und schlug es gleichgültig auf, aber der Schalk! Weißt Du, was sie eingeschrieben hatte? Helene Nützlich! Ich mußte laut auflachen. Ohne Zweifel hat sie geahnet, daß ich neugierig sein würde, wenn ich etwa zufällig erführe, daß wir in demselben Hause wohnten, oder die naseweise Jungfer hat es herausgebracht, daß ich in dem Zimmer nebenan steckte. Nun einerlei, sie ist fort und glückliche Reise!

Auf den Rigi gehe ich nun nicht; ich will sie nicht wieder finden, habe genug daran. Mit Zürich aber bin ich auch fertig, ich will weiter. Morgen früh fahre ich den See hinauf über Einsiedeln nach Schwyz, von dort mache ich eine Kletterpartie über den Pragelpaß nach Glarus und dann ins Appenzeller Land, und wohin mich der Geist führt. Vier Wochen liegen vor mir, ehe ich in Interlachen das Bäbli wiederfinde, und bis dahin sollst du allerlei andere Nachrichten haben. Lieb' Schwesterchen, denk' an mich und bitt' für meine Beine.


Chur, den 1. August.

Seit beinahe zwei Wochen hast Du nichts von mir gehört, mein Hedchen. Hier bin ich nun in dem seltsamlichsten aller Schweizerkantone, in einer der Wiegen und Urstätten des Menschengeschlechts, voll wunderbarer alter Sagen und Mährchen, voll Trümmer und zerstörter Ritterschlösser und voll einsamer, wilder, tief verborgener Thäler, wohin fast niemals ein fremder Fuß dringt, wo die Menschen bei tausendjährigen Sitten und Satzungen leben, glücklich werden und sterben. Nur das Wallis mit seinen schauerlichen Feldspalten am Mont Rosa und seinen vergletscherten Paradiesen, die geheimnisvoll in den Schooß der ungeheuren Alpenkette dringen, welche Piemont von der Schweiz trennen, soll noch Menschen in den abgeschiedenen Thälern enthalten, die nichts von der übrigen Welt wissen, nie hinabsteigen in das Rhonethal, nie ein anderes Wesen sehen, als den Pfarrer, der ihre Heerden und sie selbst segnet, und dafür ihre gläubige Demuth und den Zehnten redlich in Empfang nimmt.

Ich könnte Dir vielerlei erzählen, mein Schwesterchen, was ich gesehen, an Ländern von mancherlei Bildung, und wie der selige Odysseus allerlei Irrfahrten vollbracht, nicht ohne Noth und Gefahren; aber dazu habe ich weder Zeit noch Lust. Von Zürich zog ich ins katholische Schwyz, sah in Einsiedeln, dem prächtigen reichen Kloster, zehntausend Menschen, weit aus Deutschland und Lothringen, vor den schwarzen Marienkopf rutschen, weinen, beten, den harten Stein küssen, der ausgehöhlt ist von ihren Lippen und Knieen, und sah sie den letzten Groschen den frommen Mönchen opfern, um als Bettler wieder heimzukehren.

Sonderbar sind die Gegensätze in diesem Lande. Sechs Stunden weit liegt das freigeisterische Zürich, wo Feuerbachs Lehren widerhallen, und hier findest Du die zerknirschten Pilger, den Ablaßkram, die Heiligenbilder und den Rosenkranzhandel. Auf den Bergen wohnt der Hirt mit dem dicken Schädel, den nackten Beinen und den Holzschuhen, der Schmutz der Sennhütte und das rohe Alpenleben, im Flecken Schwyz aber herrschen schwarze Priester, und die gebietenden Häuptlinge, der Reding, der Abyberg, der Hans auf der Mauer und wie sie weiter heißen, verbrüdert mit jenen schwarzen Gesellen, um keinen Strahl des Lichts in dies gesegnete Land zu lassen. Doch nun mit einem Sprunge über den Pragel fort ins Thal von Glarus und Du bist mitten in dem Ameisenhaufen protestantischer Weber, in einer Genossenschaft, die in diesen Felsschlünden Dampfmaschinen sausen läßt, und weit mehr nach den Preiscouranten von Bombay und Kalkutta, wie nach allen Kirchen und Priestern fragt.

Ist das nicht ein seltsames, merkwürdiges Land und Leben?! Hier liegt der tiefe, romantische Wallenstätter See, eingekeilt zwischen entsetzlichen Felsen, über welche kein Pfad und keine Straße führen. Aber Fabriken haben sie unter den Adlernesten gebaut, Dampfboote fahren über die stürmischen Wellen, und oben auf den Felsenzacken blasen die Hirten den Kuhreigen.

So ist es auch in dem grünen, luftigen Appenzeller Lande. In den Vorbergen, die Außerrhoden bilden, Alles voll protestantischer Weber, voll Fleiß, voll Gardinensticker und Schleiermacher, voll neuer heller Häuser und klug rechnender Kaufleute; drinnen in dem Alpenlande dagegen Alles voll katholischer Hirten und Bauernaristokraten, Heiligenkreuze, uralter verrotteter Gesetze und Einrichtungen. Weiber habe ich hier gesehen, wie nirgendwo in der Welt. Kolossale Gestalten und Gesichter mit ungeheuren Fächermützen, wie sie vor Jahrhunderten die Urmütter trugen; mittelalterlicher Schauer überall!

Das wäre so etwas für mein romantisches Fräulein; wie würde sie sich entzückt haben an dieser malerischen alten Herrlichkeit. Ich will Dir nur eine Bemerkung machen, mein Schwesterchen. Ueberall, wo das Land protestantisch ist, ist auch der Gewerbfleiß und das regste Schaffen und Streben sichtbar. Schöne Straßen sind gebaut, prächtige Brücken über Flüsse und Tiefen gelegt, ein wohlthuender Geist der Ordnung glänzt aus den hellen Häusern mit großen Fenstern, aus Garten und Anlagen, aus Allem, was die Regierungen unternehmen, wie was die Bürger sich behaglich einrichten, und was ihren Wohlstand und ihr Wohlbefinden ankündigt. So wie Du aber verfallene Landstraßen, steinige wilde Wege, schlechte Häuser, schmutzige Hütten, ärmliche zerlumpte Menschen antriffst, kannst Du sicher sein, ein katholisches Gebiet betreten zu haben.

Das ist doch wunderbar, aber es ist so, es sind die unverkennbaren Merkzeichen der verschiedenen Religionsparteien. Sie wohnen oft wirr durch einander, man sollte denken, es wäre unmöglich, daß der fleißige Fortschritt nicht ansteckte, Neid und Ehrgeiz zum Nacheifer spornten, aber es bleibt, wie es ist. Eine Art chinesischer Mauer trennt die Kinder eines Landes. Die Einen beten und hungern romantisch bei ihren Heerden auf den Alpen; die Anderen arbeiten vom Morgen bis in die Nacht, und beide Theile hassen sich, verachten und verspotten sich. Aber hier ist die Intelligenz, die geistige Kraft und das Geld, dort die rohe Natur, Armuth, Einfalt und sinnliche Schwärmerei.

Durch das Rheinthal bin ich hierher gelangt, habe in den Taminaschlund geschaut, und will es nun machen, wie Oberst Kuni mir gerathen hat. Morgen gehe ich Rhein aufwärts bis an die Quellen des ehrwürdigen Vaters aller Ströme und verspreche mir mancherlei Genuß. Hier ist wenig zu schauen, Chur ist eine alte düstere, öde Stadt. Der Dom stammt aus dem neunten Jahrhunderte, auf den will ich einen Blick werfen. Ein zahlreiches Junkerthum ist hier zu Hause, aber es ist heruntergekommen, lebt meist vom Holzhandel, oder sitzt verkümmernd auf den Resten seiner Habe. Als es noch das Veltlin besaß, hatte es Unterthanen, die es auspressen konnte, jetzt giebt ihm kein Mensch einen Pfennig, und die Beamtenstellen sind hier zu Lande noch weit miserabler bezahlt, wie in den großen reichen Kantonen.

Die Leute in Graubündten sind aber auch zu zwei Drittheilen Protestanten, da sind sie denn so gescheut gewesen, dem Bischof in Chur die Nägel tüchtig zu beschneiden und protestantisch nüchtern ihre und seine Sache zu ordnen. Es freut mich immer, wenn ich praktisch verständigen Sinn sehe, und diese armen Bergbewohner haben einen guten Theil davon.

Denke Dir doch, lieb Schwesterchen, daß von ganz oben, jenseit des Septimer und Julier, wo der Inn herabkommt, in dem hohen Thale Engadin, das Paradies der Zucker- und Pastetenbäcker liegt, die Dir, mein Süßmäulchen, schon manche vergnügte Stunde bereitet haben. Von dort aus wandern sie durch ganz Europa, selbst nach Amerika, errichten in Madrid und Petersburg, in Neapel und Newyork ihre Conditoreien und Liqueurfabriken, kehren aber doch immer wieder in das raube Innthal zurück und haben da mit dem Gelde von zwanzig Nationen sich Häuser aufgebaut, die viele tausend Gulden kosten, und welche sie alle drei oder fünf Jahre einmal auf ein paar Wochen, oder im Greisenalter bewohnen, wenn es ihnen glücklich gelungen ist, mit weißen Haaren heimzukommen, um sich bald in ein enges stilles Felsengrab legen zu lassen.


Am Abend.

Ich bin im Dome gewesen, und räthst Du, wen ich dort gefunden, was ich dort erlebt habe?! Doch, Du sollst Alles hören. Ich ging durch die Stadt, der Abend dämmerte schon, in die schmalen Gassen fiel kein Sonnenschein, die alten schwarzen Häuser sahen mich gespenstisch an. Es war Sonntag heut; die öde Stille wohl noch größer darum. Das schiefe und holperige Pflaster war feucht, die Luft dunstig kalt, die Treppensteine vor den mürben geschnörkelten Thüren hingen zerfallen und zertreten nieder, als weigerten sie den Eingang, und hinter den rostigen Eisengittern der Fenster klirrten blinde, staubbedeckte und zerbrochene Scheiben.

Sicher stehen viele dieser alten, massiven Häuser lange schon unbewohnt, oder die Armuth hat sich darin untergebracht; die Patrizier, denen sie einst gehörten, haben sich draußen auf den Hügeln am Rhein luftiger und grüner angebaut. Aber mir war es recht, hier langsam einherzuwandeln und nachdenkend die tiefen Thorwölbungen und die Wappenschilde darüber zu betrachten, die von schwarzen Flechten ganz überwuchert waren.

So wandelbar ist Alles! Nichts bleibt von aller Pracht und Herrlichkeit, als Moder. Es war mir still zu Muthe, als ich aus diesen Gassen heraustrat und vor mir der uralte Dom lag, zur Seite die weitläuftigen Gebäude des Bischofssitzes, auf der Höhe aber im glühen Abendschein das Kloster, das jetzt ein Seminar ist, eine der besten Höhlen des Pfaffenwesens in der Schweiz.

Wie hängt dies doch zusammen mit dem Ringen unserer Zeit. Auf der einen Seite ungestümer Drang nach Freiheit aller Thätigkeiten und Kräfte, Drang nach Entwicklung und Entfaltung, Erfindungen und Fortschritte ohne Zahl, welche das Feuer schüren; auf der anderen Seite fanatische Gier, jede Kohle auszulöschen, jeden Athemzug der belebenden Forschung zu ersticken, Fluch und Kreuzigung für jeden Ungläubigen, reichen Lohn für jeden kriechenden Speichellecker und blutige und lächerliche Verdammniß für alle Aufklärung.

Als ob die sich halten ließe! Als ob wir ins finstere Geistesgefängniß der Vorzeit wieder eingeschnürt werden könnten! Als ob die blassen ausgehungerten Gesichter da oben im Seminar, die aus den Fenstern herabglotzten, die Welt zum Stillstand und zur Umkehr bringen könnten, oder als ob Pulver und Blei das Wahre und Gerechte zu tödten vermöchte! Schaden genug können sie freilich anrichten, Unheil genug ausbrüten, Schwärmer und Heuchler genug erziehen.

Was tauchen schon wieder für wilde Gesichter und Gebilde auf! Wie speculiren sie schon wieder auf Verdickung und Verdummung des Gehirns, wie schimpfen und predigen sie schon wieder gegen die heillose Vernunft, welche Wunder- und Teufelsgeschichten kommen zum Vorschein und wie läuft die Menge schon wieder blind und toll den sinnverwirrenden Bekehrungspriestern nach! Und schleichen die Gespenster nicht am hellen Tage auch durch die Reihen der Protestanten? Sind viele nicht längst es kaum mehr, wie dem Namen nach? Wird die Jugend nicht schon danach erzogen? Verbindet sich der politische Fanatismus nicht mit dem religiösen, und beide, Hand in Hand, wollen gehorsame, treue, unterthänige, demüthige Knechte heranbilden?

Sieh, mein Hedchen, das waren ungefähr die Gedanken, mit denen ich diesen alten Dom betrachtete, der aus einer Zeit stammt, wo religiöse Schwärmerei die einzige bewegende Idee der Menschheit war. Blaue Schatten lagerten sich um das gothische, tausendjährige Gemäuer, um Pfeiler, Bogen und Geschnörkel; Fledermäuse kreuzten scheu daran umher und umschwirrten die verstümmelten Heiligengruppen an dem uralten Vorthor. Langsam trat ich durch das niedere Portal in das Kirchenschiff und überließ mich der Einsamkeit meines Nachdenkens.

Die große Kirche war ganz leer. Ihre ungeheueren Pfeiler warfen schwere, geheimnisvolle Schatten durch den öden, hallenden Raum. Mein Auge verlor sich in die Dunkelheit der Seitenkapellen, aus denen goldene Altäre und Geräthe mir matt entgegenglänzten. An den Pfeilern hingen alte Waffen, Helme und Wappenschilde; Leichensteine mit zertretenen Steinbildern deckten dichtgereiht den geheiligten Boden, und an den Seiten gähnten tiefe Grüfte, von schweren, grauen Säulen eingefaßt. Ich ging durch diesen mächtigen Saal der Todten und der Gläubigen mit aufgeregter Empfindung, die für mächtige Eindrücke fähig macht. Wie viel heiße Gebete hatten diese Mauern gehört, wie viele Geschlechter, von Jahrhundert zu Jahrhundert, lagen an diesen Altären! Wahrheit wurde Wahn, Glaube zum Hohn, Ewiges Staub, doch diese bröckelnden Mauern trogen noch, und sie bauen daran zur neuen Herrlichkeit der seligmachenden Kirche. Sic transit gloria mundi!

Kein anderer Ton war hörbar als mein schallender Schritt, der bis in die Spitzbogenwölbung drang! Halbdunkel lagerte sich in allen Winkeln und Ecken und kroch daraus hervor; nur durch ein hohes bemaltes Fenster drang ein Widerschein vom Abendlichte auf den Hochaltar und beleuchtete dort den reichen Schmuck und die bärtigen und schmerzerfüllten Gesichter des großen Bildes der Kreuzesfällung, das Albrecht Dürer gemalt hat.

Wie ich meine Blicke auf dies farbenschimmernde Gemälde richtete, regte sich etwas auf den Stufen eines Nebenaltars und ich sah eine knieende Frau, die still zu beten schien. Ihre Hände waren gefaltet, ihre Lippen flüsterten leise Worte, und plötzlich hob sie den gesenkten Kopf und wandte ihn dem Bilde zu. Da sah ich ihr Gesicht vom gelben Lichtschimmer erhellt, ein seliges Lächeln war darin und plötzlich erscholl der Gesang eines Priester, der im hohen Chor, oder in einer Kapelle, ich weiß nicht wo, denn ich entdeckte ihn nicht, eine Messe las. Seine schöne weiche Stimme sprach die langen klagenden Worte voll wehmuthsvoller Innigkeit und das Echo gab sie wieder und ließ sie leise verhallend sterben.

Ich stand wie festgebannt, hörte zu und heftete meine Augen unverwandt auf die Beterin. Die Kirche füllte sich inzwischen mit Nacht, die ewige Lampe am Altare schwamm darin wie ein rother, strahlenloser Stern, aber ich hatte mich nicht getäuscht. Diese Frau in dem weiten weißen Seidenshawl, die jetzt aufstand und bei mir vorüberging, war keine Andere als Helene.

Halb verdeckt von dem Pfeiler glaubte ich, daß sie mich nicht bemerken würde. Doch ich hatte mich getäuscht. Sie wandte sich plötzlich zu mir hin und sagte mit ihrer klingenden Stimme, die einen eigenthümlichen Wohllaut hat:

Treffe ich Sie hier in diesem alten, wunderbaren Gotteshause, das von Gespenstern aller Art wimmelt?

Ich bin gewiß, erwiderte ich, daß mir diese nichts anhaben können. Man muß weder den Geist noch die Geister fürchten.

Als aufgeklärte Protestantin, wie ich es bin, antwortete sie, kann ich Ihnen nicht Recht geben. Die bösen Geister sind immer zu fürchten.

Wie? Protestantin! rief ich so laut, daß es den Mönchsgesang übertönte. Kniet eine Protestantin an einem Altar?

Und obenein in einem katholischen Dome, sagte sie. So weit geht meine Sünde. Ich kam hierher, um Albrecht Dürer's Bild zu sehen, und suchte an diesen düsteren Mauern nach der Stelle, wo einst ein alter Meister einen wunderbaren Todtentanz gemalt haben soll. Den fand ich nicht, aber statt dessen kamen die Todten selbst und umringten mich; Ritter und Grafen, Bischöfe und Priester, ein ganzes Jahrtausend sah auf mich nieder.

Das sind die Vorzüge einer lebendigen Fantasie, sagte ich spöttelnd.

Es sind blasse Schatten der Vergangenheit, ich weiß es wohl, fuhr sie fort. Ein Menschenleben, wenn es lang ist, ist ein flüchtiger Augenblick, doch sein Göttliches bleibt zurück in seinen Werken. Umringt von dieser Geisterwelt blickte ich auf den Pfeilerwald dieses alten Baues, auf die prächtigen Linien der Gewölbe, auf die Blumen und Arabesken. Und vom Altare her glänzte das große Bild, als sei der Meister erst heut damit fertig geworden. Welche Ruhe und Klarheit, welch' Schmerz und welche seelenvolle Innigkeit! Der Staub lag beim Staube, allein das Kunstwerk, zu Gottes Preis und Ruhm, redete zu mir mit tausend Zungen. So kniete ich nieder und faltete meine Hände voll Anbetung, daß dies schwache, so früher Vernichtung verfallene Wesen so großes und Schönes schaffen kann; daß seine Seele sich zu erheben und zu begeistern vermag, daß es ein Mittel giebt, es zur Unsterblichkeit und Gottähnlichkeit zu erheben, daß auch in mir der göttliche Drang zum Schönen wohnt, womit der Mensch seinen Gott, seine Helden und Heiligen verehrt, worin er seine Ideale feiert.

Ich hörte schweigend zu, mochte ihre Erregtheit nicht durch Widerspruch verstimmen, ihr eben so wenig beipflichten. Wir gingen über den Vorplatz, es war Nacht geworden. Duftiges Mondlicht fiel durch die zackigen Giebel und beleuchtete die Spitzen des alten Baues. Auf der Höhe strahlte das Seminar, unten flatterten jetzt die Fledermäuse in zahllosen Schaaren.

Sie betrachtete das schimmernde Nachtstück mit entzückten Blicken. Kein Hauch regte sich, kein Ton störte uns, nur aus dem Dunkel der Kirche drang noch immer der Gesang des Priesters.

Ist das nicht wunderbar und ergreifend! sagte sie vor sich hin.

Es schien mir Zeit, etwas Wasser in ihr Feuer zu gießen.

Wir werden Noth haben, uns dieser flatternden schwarzen Gespenster zu erwehren, rief ich lachend, die mir vorkommen, als seien es die abgeschiedenen Seelen der alten Bischöfe, Aebte und Mönche, welche einst den blutigsten Fanatismus auch in diesen einsamen Gebirgsthälern aufstachelten und den armen Leuten ihren letzten Groschen abzwackten, um diesen Dom dafür zu bauen. Die Bischöfe sind zu Eulen, die Aebte zu Käuzen und die Mönche zu Fledermäusen geworden, welche allnächtlich nun zur Strafe diese Pfeiler und Bogen umschwirren müssen, bis der letzte Stein zerfällt.

Er wird so bald nicht zerfallen, fiel sie ein.

Ich glaube es selbst, sagte ich, um so schlimmer also für die Unholde. Die Kunst ist von jeher die Begleiterin der Religion gewesen; das heißt, man hat sie als Betäubungsmittel der Sinne benutzt, um dem Denken damit einen Damm zu setzen, und ruft jetzt mehr als je wieder nach dem getreuen Bundesgenossen, der die alte gläubige Demuth zurückbringen soll. Aber die Künstler selbst haben den Glauben verloren; wo ist Einer, der noch mit der alten glühenden Begeisterung Madonnen- und Heiligenbilder malen könnte? Wo ist ein Baumeister, der einen gothischen Dom zu Stande brächte? Die Künstler sind jetzt kalte, nüchterne, pfiffige Gesellen, die ihre Talente gut zu verwerthen wissen, woran sie ganz recht thun; von göttlicher Begeisterung ist nicht mehr die Rede.

Wir gingen neben einander her, endlich sagte sie:

Ich habe noch eine Stunde Zeit, wollen Sie mir Ihre Gesellschaft schenken, Herr Hagen?

Wie? rief ich, nur eine Stunde noch!

Ich bin von Ragaz herübergekommen, fuhr sie fort, um den Dom zu sehen. In einer Stunde fährt die Post und nimmt mich mit.

Ich begleitete sie in das Gasthaus, das zugleich Posthaus ist, und speiste mit ihr. Wir saßen uns gegenüber und plauderten, scherzten und neckten uns. Liebenswürdig ist diese sonderbare Dame ohne Zweifel in hohem Grade, und schön ist sie auch; heut kam sie mir schöner vor, wie je vorher. Ihre dunklen Augen mit den langen, schwarzen Wimpern haben einen ganz besonderen Reiz; man kann so tief hineinsehen, als entdeckte man ein unbekanntes Land, von dessen Anblick man sich nicht trennen möchte. Dabei scheint ihr Kopf immer in Thätigkeit zu sein, ich dachte an Göthe's Gedankenfabrik, wo ein Tritt tausend Verbindungen regt. Wir kamen gar nicht aus dem Sprechen, sie erzählte gewandt und leicht, bilderreich und anmuthig, und wandte Alles so wechselnd hin und her, als drehe sich ein Kaleidoskop vor meinen Augen.

Sie ist auf dem Rigi gewesen, dann in Luzern, hat natürlich den romantischen Vierwaldstätter See befahren und in der Tellskapelle geschwärmt. Von Altorf aus aber hat sie einen anstrengenden und ziemlich gefährlichen Ritt über den Klausen nach Glarus gemacht und ist so hierher gelangt. Dazu gehört nicht wenig Entschlossenheit, und daran fehlt es ihr sicher nicht, aber es ist doch bloß eben der romantisirende Muth eines abentheuersüchtigen Mädchens, die sich über die gewöhnlichen Schranken fortsetzt, und deren ganzes Treiben und Wesen durchaus unklar ist.

Zuletzt kamen wir doch wieder in allerhand Streit und zu spitzen Worten über ihre Anschauungen vom Leben, die ich nicht geduldig anhören konnte. Sie behauptete, alle wahre höchste Lebensfreude entspringe aus einer inneren Befriedigung am Schönen und Guten, dies Gefühl könne nur ein dazu organisirter Mensch haben, und nun schwärmte sie wieder über das Glück einer künstlerischen Natur, welche erhaben über der dunklen Alltäglichkeit stehe, die am trocknen Brot des Lebens nage.

Das forderte mich dann zu Sarkasmen heraus. Ich dachte an das Zettelchen, das noch immer in meiner Brieftasche lag, aber ich hatte keine Lust, ihr es jetzt zurückzugeben; es lieferte mir allerlei Waffen in die Hand.

Wie Schade, sagte ich, daß meine Organisation so grob irdisch ist, aber wie dankbar bin ich dafür, doch auch allerlei Lebensfreude zu haben. Das ist freilich nichts Besonderes, ich freue mich ganz ordinair, wie ein gewöhnlicher Mensch, und wollte, ich wüßte, wo ich in die Lehre gehen könnte, um die höheren Weihen zu erhalten.

Sind Sie niemals mit Künstlern umgegangen? fragte sie lächelnd, weil ich sie schalkhaft ansah.

Ich habe mich immer gefürchtet, erwiderte ich, Sie kennen schon meinen eigenthümlichen Widerwillen; aber ich muß annehmen, Sie haben diesen Lieblingen der Götter und Menschen sich öfter genähert?

Das habe ich, sagte sie, und ich danke ihnen die schönsten Stunden meines Lebens.

O, sagte ich, ich kann mir denken, welch feurige Begeisterung im Umgange mit einem von den höchsten Ideen getragenen Manne liegt, der uns zum Olymp erhebt und fähig macht, Rausch und Ruhm mit ihm zu theilen, wenn wir anbetend zu seinen Füßen liegen.

Sie sah mich einen Augenblick scharf an, dann sagte sie:

An der Seite eines wahren Künstlers zu leben, ist das höchste Glück einer Frau.

Sie meinen einen Künstler zu heirathen, eine irdisch gewöhnliche Ehe zu schließen? fragte ich lachend. Das ist gefährlich, davor lassen Sie sich warnen. Künstler und Poeten sind in der Regel schlechte, wunderliche, unholde Eheherren, voller Launen und Tücken. Weit besser versucht sich dies Wagestück mit einem jungen, feinen Hofmann, der mit Prinzessinnen umzugehen weiß, galant und courfähig ist, ein echter Cavalier, großmüthig und verschwenderisch, und der auch seinen hohen Ruhm hat, süß zu schwärmen versteht, und mit mehr Fug und Recht versprechen kann, die Geliebte zu sich empor zu heben und allen Glanz mit ihr zu theilen.

Ich hatte das im ironischen Aerger hervorgestoßen und begleitete es mit deutungsvollen Blicken. Im nächsten Augenblicke that es mir leid, denn ich dachte, sie würde durch meine Indiscretion verletzt sein; aber die hat eine feste Haut, sie erröthete nicht einmal, wurde nicht einmal verlegen. Sie stand nur auf, sah mich spöttisch an und sagte:

Ich hoffe, Herr Hagen, obwohl sie kein Künstler und kein feiner Hofmann sind, werden Sie dennoch ein recht guter Eheherr werden und eine Frau heimführen, die an Ehrbarkeit, Bescheidenheit und Häuslichkeit nicht ihres Gleichen hat. Darauf lassen Sie uns anstoßen, aber geschwind. Der Postillon bläst.

Wie Schade! rief ich, doch Gott segne Sie für Ihren edlen Wunsch und gebe Ihnen dafür einen wahren Künstler sammt allen höchsten Lebensfreuden.

Müssen Sie denn fort, theures Fräulein? fragte ich, als sie mit einem maliciösen Lächeln sich verbeugte. Graubündten ist ein Ausbund von Romantik. Denken Sie an die vielen alten Burgen und an die Rheinquellen. Sie werden es nirgend so wiederfinden.

Wie gern sähe ich Sie empfindungslos daran vorüber ziehen, antwortete sie lachend, doch darin eben liegt Ihre Strafe. Ich muß zurück, ich erwarte einen Freund.

Einen Freund? wiederholte ich.

Ich darf die Person, von welcher ich rede, wohl so nennen.

Ohne Zweifel ist es ein großer Künstler? fragte ich boshaft.

Das ist er, ein sehr großer Künstler.

Berühmt und von hoher Stellung?

Von beneidenswerther Höhe.

Ja dann, sagte ich, ihre Verbeugung nachahmend, dann dürfen Sie allerdings nicht säumen, jede Stunde ist ein Verlust.

Vollkommen wahr, sagte sie, während der Postillon nochmals blies. Sie können meine Sehnsucht schwerlich fassen.

Ich führte sie an den Wagen und half ihr hinein. Dahin fuhr sie, ich lachte ihr nach. Wie viel Lüge und Falschheit ist in ihr. Ein großer Künstler! ja, das mag er sein, aber er hat es mit einer noch größeren Künstlerin zu thun und mag sich in Acht nehmen.

Lebe wohl, mein Hedchen, morgen beim ersten Tagesgrauen geht es den Rhein hinauf bis ans schöne Land Italien.


Im Gotthards Spital, am 9. August.

Da sitze ich nach mühevoller, schöner Wanderung. Draußen regnet es leise, regnet seit Wochen zum ersten Male, und ich ruhe hier aus in dem einsamen Hause und warte blauen Himmel ab, um ins Hospital herunter zu steigen. Es ist gerade so weit dort hinab, wie nach Airolo, zwei Stunden können mich nach Italien bringen, und als ich oben am Kreuze stand, war ich unschlüssig genug; aber die Zeit drängt mich, ich muß nach Interlachen, darf meinen Werner, den wackern Oberst und das freundliche Bäbli nicht warten lassen.

Von Chur, lieb Schwesterchen, bin ich das ganze Rheinthal hinauf gezogen, kreuz und quer gelaufen, und es war eine genußvolle Reise. Das Rheinthal selbst ist lebhaft genug, und auf der großen Straße über den Splügen ziehen lange Caravanen, Posten, Frachten aller Art. Doch, so wie man abbiegt, ist man in tiefster Einsamkeit, hat nichts mehr zu thun mit räuberischen Wirthen, glaubt gar nicht mehr in der Schweiz zu sein. Selten läuft ein Naturforscher, oder ein deutscher Schulmeister, über die halbverkohlte Benediktiner-Abtei Disentis in das wilde Alpenland hinaus, selten zieht ein klingender Maulthierzug über den Lukmanier und ein neugieriger Gesell springt ab und steigt zu den Seen hinauf, aus denen der Hinterrhein herunter braust. Ich bin da überall herumgestiegen und dann hinüber bis auf die Eisgrotten des Giffel- und Muthelhorns.

Denke Dir, daß diese Hand voll Menschen in Graubündten in mehr als hundertfunfzig Thälern wohnt; man könnte einen ganzen Sommer umherpilgern und immer wieder ein neues kleines Gemeindeleben entdecken, das sein abgeschlossenes Dasein führt, dessen Ursprung Niemand kennt. Das wäre so etwas für unsere Socialisten, die könnten allerlei dabei lernen, denn jedes Thal hat seine uralten Gesetze, seine Gebräuche und Gerichte, jedes bildet einen kleinen Staat, dessen Souveränetätsrechte kaum in neuester Zeit etwas erschüttert werden konnten.

Und nun die Romantik. Bis in die wildesten Schlupfwinkel stehen die Reste alter Ritterschlösser, nirgend giebt es mehr Sagen und Mährchen, und nirgend ist die Natur großartiger und kühner. Als ich die Via mala und die Rosta gesehen hatte, ging ich durch den Rheinwald hinauf ins Land der Bergamasken, zu dem seltsamen Menschenstamm, der dort oben seit undenklichen Zeiten seine schwarzköpfigen Schafe hütet.

Das sind echte Naturkinder, die nichts von der Welt wissen, nichts von ihr wollen, als ein paar Felle, etwas Milch und schwarzes Brot, um froh wie Könige zu sein. Auf ihren Alpenkämmen wanderte ich mit ihnen umher und bin ein berühmter Mann in kurzer Zeit geworden, dem sie wunderbare Dinge anvertrauten. Sie zeigten mir die Reste eines Tempels, den Römerhände einst hier erbaut hatten; kein sonderliches Kunstwerk zwar, rohe verwitterte Blöcke, mein schwärmerisches Fräulein würde schwerlich davor gekniet und sich begeistert haben.

Dann führten sie mich zu den mächtigen Baumstämmen, die ein Gletscher mit seinen eisigen ungeheueren Gespensterarmen aus der Tiefe heraufgehoben, und als schwierige Nuß zum Knacken für alle gelehrte Nußknacker säuberlich oben niedergelegt hatte. Meine dunkeläugigen Weltweisen im Schafkleide machten sich die Sache leicht. Einst, sagten sie mir, so sicher, als sei das völlig ausgemacht, hat hier oben ein großes Volk gewohnt. Viele Dörfer haben hier gestanden, Gärten, Bäume, Blumen und Matten; große Heerden weideten; es war Freude und Glück überall. Dann aber ist es immer kälter und kälter geworden, die Felsen sind in den Himmel gewachsen, die Bäume und Matten wurden von Rollsteinen und Gerüll vernichtet, die Menschen unter Schutt und Eis begraben. Darunter liegen sie bis zum jüngsten Tage, und nur zuweilen faßt ein Dämon oder Teufel mit seiner glühenden Faust mitten durch den Gletscher und wirft ein paar riesenhafte Gebeine oder einen Baumstamm in die Höhe, als Wahr- und Warnungszeichen. Daß das Alles geschah, weil die reichen übermüthigen Menschen von Gott abfielen, versteht sich von selbst.

Aber es ist doch wunderbar, wie Baumstämme und Tempelreste hier hinaufkommen, und merkwürdig genug, wie sich die Sagen von Römer- und Riesenkämpfen bei diesen armen Hirten erhalten haben. Hier in diesen Pässen und Wildnissen Graubündtens wurden drei römische Heere von den Cimbern und ihren Bundesgenossen vernichtet, und als endlich Marius ihnen bei Verona den tödtlichen Schlag beibrachte, flohen die Reste in die öden Schluchten dieser Alpen und verschwanden aus der Geschichte.

Davon wußten meine halbnackten Freunde nichts, aber ich saß bei ihren Feuern und trug ihnen Weltgeschichte und Philosophie vor. Wir kamen alle überein, daß es besser wäre auf Erden, wenn die Menschen nicht von Gott abgefallen wären; dann würde sicher aller Fluch in Segen sich verwandeln, auch hier oben ein neues Leben aufblühen, neue Früchte reifen und warme schöne Luft das Eis schmelzen.

Sie hörten mich an, als sei ich ein Prophet, und ich wanderte mit ihnen von Weide zu Weide, ging über die Eiskämme am Muthelhorn, sprang über Gletscherspalten, lief über schwindelnde Stege und Grate, daß ihre rauhen Gesichter sich begeisterten und sie jubelnd schwuren, ich verdiene ein Bergamaske zu sein. Odysseus unter den Phäaken! Aber was ist aller Ruhm, mein Schwesterchen, und warum kann ich nicht auch einmal der Held einer bewunderten Sage werden? Sie werden hier noch viele Jahre an ihren Feuern sitzen und der Vater wird seinen Enkeln von dem fremden Mann erzählen, der über die tiefe Kluft an der Mösaquelle sprang, wunderbare Geschichten kannte, und weit, weit herkam von einem Meere, das mit Eis und Nacht bedeckt ist. Aus dem Manne wird dann ein Dämon, oder ein anderes überirdisches Wesen. Einer bringt es in Verse, und meine Unsterblichkeit ist fertig.

Was würde die boshafte Verächterin sagen, die den Fluch der Barbarei auf mich schleuderte, nichts Schönes und Edles zu empfinden, wenn sie mich hier unter den Hirten gesehen hätte, die mich wie ein höheres Wesen anstarrten, wenn ich ihnen die fernen Städte und Völker malte, und was diese hegen und pflegen.

Einmal aber habe ich mich ganz besonders ihrer erinnert und wollte, sie hätte bei mir gestanden. Ich ließ mich von einem jungen Hirten, der mich begleitete, auf den Scopi führen, einen gewaltigen Felsenkegel, der östlich vom Luckmanier aufsteigt. Es war noch Nacht, als wir uns aufmachten und rüstig zu klimmen begannen, eine harte gefährliche Arbeit, denn auf drei Seiten ist der Scopi arg vergletschert. Endlich dämmerte ein blasses Licht durch den ganzen Himmelsraum, und nach und nach legte es sich röthlich glänzend an die schwarzen und silbernen Zacken der höchsten Gipfel. Nebel lag grau und schwer unter ihnen, wie ein unermeßliches, wogendes, wellenschlagendes Meer. Kein Ton war zu hören, nicht einmal der dumpfe Schlag einer Lavine, oder das Gepolter eines fallenden Steins. Die rothe Spitze des Scopi stieg in den lichten Himmel, zu meinen Füßen lag ein kleines Thal, wie ein Hexenkessel voll qualmendem Dunst, aus dem zerrissene Felsenblöcke wie die Leiber zerstückter Giganten auftauchten, die darin gekocht wurden. Zuweilen streckten sich lange, graue Nebelarme nach uns aus, fuhren mir über Kopf und Haar, als wollten sie mich packen und hinunterreißen, aber von oben stiegen Engel mit Safranflügeln, die holden Engel des rettenden Lichtes zu uns herab, und die bösen Geister mußten ablassen.

Endlich standen wir auf dem Gipfel und eben war der Kampf mit der Finsterniß entschieden. Ein unbeschreibliches wundervolles Panorama lag grenzenlos vor mir aufgeschlagen. Zahllose riesenhafte Alpengipfel hoben sich in die goldige Morgenluft. Vom Großglockner bis zum Montrosa und zum Montblanc konnte ich in alle geheimnißvollen Werkstätte dieser großartigen Natur blicken. Blendende Schneemassen lagen zwischen düsteren Klippen und Hörnern, Säulen und Thore von funkelnden Eiskrystallen führten in das innerste Mark der Schöpfung, in die geheimnißvollen Höhlen und Schlünde, wo Drachen und Riesen den heiligen Graal bewachen. Gletscherströme in den wechselndsten Farben hingen schimmernd über Abgründen und Spalten von ewiger Nacht. Unersteigliche Pyramiden glänzten über lange düstere Gebirgsketten in nackter Wildheit und entsetzlicher Zerklüftung, die eine über die andere geworfen, strahlende Halsbänder um die starren Nacken, und zwischen ihnen tiefblaue Schluchten und Spalten, halb eingehüllt von weißen, schweren Leichentüchern.

Doch nach und nach, wie das Licht sich weiter seinen Weg brach, weckte es das Leben auf. Da dämmerte das saftige Grün der Pioraalp, da dämmerten die Matten aus zahlreichen Thälern. Auf der einen Seite ließ sich Santa Maria erkennen, auf der anderen das schimmernde Blegnothal. Da lag Italien tief zu meinen Füßen mit seinen dunklen Waldmassen, und von Airolo zog ein warmer Hauch duftig her. Meine Augen irrten suchend durch diese Wunder, und wohin ich blicken mochte, faßte mich ein Gefühl der Ehrfurcht, ein süßer, ahnungsvoller Schauer, eine Schwärmerei der Seele, der ich mich hingab, ohne Widerstand zu leisten.

An meiner Seite hatte sich der junge Hirt niedergeworfen, ein Heiligenkranz von Licht lag auf seinem schwarzen langen Haar und verschönte mild sein hartes Gesicht. Der arme Knabe sah ganz verklärt aus, er betete und starrte verzückt in dies rosige, golddurchstickte Himmelsbild. So ergriffen von der Majestät der Schöpfung bin ich nie gewesen und werde es auch so bald nicht wieder sein.

Sonderbar, was Licht und Farben thun können, und was ist denn diese geheime Macht, die uns zur Demuth und zur Anbetung zwingt, während wir doch recht gut wissen, wie das Blendwerk zusammenhängt? – Die Empfindungen der Seele! Giebt es etwas, was wir nicht begreifen, nicht erfassen, was allem Verstande der Verständigen spottet? Gott weiß es: Du weißt es vielleicht besser wie ich, lieb' Hedchen, denn Euch ist das Buch der Seelen besser aufgeschlagen. Aber was hilft Kunst, Schönheit, Anmuth, höhere Organisation! Was weiß dieser arme Hirt davon? Es giebt nur ein Gefühl, in welches alle verschmelzen: die Liebe!

Ueber den Gotthardsstock bin ich bis hierher gegangen, habe vom Prosa aus nochmals nach Italien hinabgeblickt, bin jedoch prosaisch nüchtern geblieben, und wandere nun rechtsum wieder auf die große Straße der Touristen hinab ins Berner Oberland, um mit meinen Freunden aus Schaffhausen ein gemüthliches Dasein zu führen und mit dem verständigen Bäbli praktische Dinge zu überlegen. Denn – doch davon später, mein Schwesterchen. Jetzt hört der Regen auf, der blaue Himmel steht herein, ich packe zusammen und wandere.


Auf der Grimsel, den 10. August.

Da bin ich, ein geärgerter, gelangweilter Mensch, der in seinem Zorn nichts Besseres zu thun weiß, als Papier und Feder zu ergreifen, um Dir mein Mißgeschick zu klagen. Vor allen Dingen aber gilt es, mich selbst dabei ans Ohr zu fassen, denn meine Schuld ist die schlimmste, oder es giebt wirklich einen Fatalismus, dem wir nicht entgehen können, und Niemand ist schuldig, Alles ist Bestimmung.

Ich ging vom Gotthardspital gestern früh über die Furka und den schmutzigen Rhonegletscher, stieg an der Mayenwand hinauf und gelangte auf die Hauseck. Einen Führer hatte ich nicht, solche langweilige Gesellen mag ich nicht dulden, wo ich sie irgend missen kann, und hier auf der vielbetretenen Straße sind sie überflüssig. Die Hauseck ist ein kleines Felsenplateau oben über der Grimsel, wohin man von dort hinabsteigt. Ein kleiner seltsamer See liegt hier, und an diesem schwarzen Wasser haben Franzosen und Oesterreicher 1799 sich in Nacht und Nebel gemordet, die öden Felsen mit Blut getränkt, das den See färbte, und die Leichen hineingeworfen.

Ein alter Mann saß auf einem Steine und erzählte mir die halb vergessenen Geschichten, welche er in seiner Jugend erlebt hatte. Ein armer Gemsenjäger, Nägli hieß er, habe einen Pfad über Gletscher und Hörner gekannt, davon habe der französische General gehört und den Burschen kommen lassen. Auf dem Tische habe ein Sack voll Gold gelegen, daneben aber standen sechs Voltigeure. Entweder, habe der Franzose gesagt, Du führst uns, und dies Gold ist Dein, oder in fünf Minuten bist Du erschossen. Die Franzosen wurden damals von den Schweizern glühend gehaßt, die Oesterreicher hatten die Grimset besetzt und galten als Freunde und Erretter. Die Wahl mag dem Nägli somit wohl etwas unangenehm gewesen sein, und später soll es auch nicht an Vorwürfen und Verfolgungen gefehlt haben. Der alte Mann meinte, es sei überhaupt die ganze Geschichte mit dem Erschießen nur eine Komödie gewesen, um den Burschen vor der Rache seiner Landsleute zu sichern; kurz und gut, er führte die Franzosen richtig über Eis und Abgründe, bis sie plötzlich hier an dem schwarzen See herunter den Oesterreichern in den Rücken kamen. Und nun zeigte er mir, wo der Kampf gewüthet, wo die Oesterreicher gefangen wurden, und behauptete, daß noch zuweilen aus der Tiefe des Wassers Leichen heraufkämen, wozu allerdings viel guter Glaube gehört.

Bei seinen Beschreibungen zeigte er mir aber das Sidelhorn, wo die schönste Aussicht auf das Finsteraarhorn sei, und auf die andern gewaltigen Heroen der Berner Alpen. Es war noch hoch am Tage und das Sidelhorn lag vor mir, als sei es ein Spaziergang von einer halben Stunde. Der alte Schelm meinte, es sei ein Spaß da hinauf zu steigen; er wollte jedoch nicht mit, sondern zog es vor, mein Reisesäckchen ins Grimselhaus hinunter zu tragen. Den Weg beschrieb er genau, fehlen konnte ich nicht, so ging ich denn rüstig vorwärts, aber es waren zwei runde Stunden abgelaufen, ehe ich oben anlangte, denn der Gipfel ist an neuntausend Fuß hoch, und bei dem heißen Tage rann der Schweiß mir in Bächen von der Stirn.

Plötzlich stand ich vor einem Knaben von zehn oder zwölf Jahren, der schlafend in einer Furche des Gesteins lag, seine Mütze über die Augen gedeckt hatte, und als ruhte er im weichsten Bett, behaglich schnarchte. Ich hob meinen Stock, um ihn zu berühren, da wehte etwas wie ein Schleier hinter einem Vorsprunge, der ein Dutzend Schritte entfernt war, und ein Kopf kam zum Vorschein, welcher so viel Anziehungskraft für mich hatte, wie der magnetische Pol, von dem die alten Schiffer berichten, daß er die eisernen Nägel aus ihren Fahrzeugen gezogen habe.

Wie! rief ich näher eilend, und ich muß es gestehen von einer auflodernden Freude ergriffen. Es ist keine Täuschung! Sie sind es!

Sie war es wirklich, Helene war es! Sie lächelte zu mir auf und streckte mir die Hand entgegen. Es war etwas in ihren Augen, was die magische Gewalt, die mich plötzlich gefangen nahm, erhöhte.

Ich setzte mich zu ihr, wir hatten uns Vieles mitzutheilen. Sie hing mir ihren Shawl um, weil ich erhitzt war und dann und wann ein kalter Luftstrom von den Gletschern und Schneefeldern herüber kam. So saßen wir und schauten ins Wallis hinab und auf die gigantischen Berghäupter, bis an die weiße Jungfrau. Ihr Schleier fächelte um mein Gesicht, ihre Stimme war so süß, sie stahl sich durch mein Ohr tief hinein, und was sie von ihren Bergreisen erzählte, war so anmuthig und ergötzlich, daß ich sie immer wieder ansehen und mich daran freuen mußte.

Es kam mir vor, als spräche sie auch nicht so erregt, wie früher, als klänge Alles viel natürlicher und einfacher, aber wie anziehend wußte sie es vorzutragen.

Sie sind eine kühne Reisende, sagte ich. Wenige Damen haben gesehen, was Sie sahen, wenige werden den Muth haben selbst hier herauf zu klimmen.

Gestern, erwiderte sie, ist eine Engländerin über den Aargletscher nach Grindelwald hinuntergegangen. Das soll einer der gefährlichsten Wege sein, ich würde mich aber gar nicht besinnen, es ihr nachzumachen, wäre mir nicht versichert worden, daß diese Wanderung weder schön noch lohnend sei. So ging ich denn auf Empfehlung des Wirths hierher auf das Sidelhorn, und da sitze ich nun seit Stunden, betrachte diese gewaltigen Massen und sehe auf die Alpen des Wallis, die ihre Köpfe bald mit farbigen Schleiern behängen, sich fantastisch aufputzen, wie Damen an der Toilette, bald wieder alle Binden fortwerfen und ihren reinen, edlen Gliederbau zeigen.

Das stimmt nicht recht zum Charakter der Frauen, sagte ich lachend.

Nicht zum Charakter der Frauen? fragte sie. Was glauben Sie von den Frauen? Sie gehören zu den Männern, die uns für Geschöpfe halten, denen eine sehr untergeordnete Stellung nach himmlischem Ermessen angewiesen wurde.

Im Gegentheil, erwiderte ich, ich halte die den Frauen angewiesene Stellung für eine sehr hohe.

So, sagte sie schalkhaft, eine sehr hohe, das heißt eine sehr nützliche. Wir haben schon einmal diese Frage berührt und einen Scherz daran geknüpft. Eines schickt sich nicht für Alle, das ist ein alter richtiger Satz, aber glauben Sie denn, daß die Männer auserkorene Wesen sind, denen die Gebiete des Wissens, Forschens und Denkens allein zufallen, während wir zu nichts in der Welt weiter taugen, als Haus und Garten zu bestellen, uns zu putzen und besten Falls ein artiges Spielwerk zu sein? Für die Masse der gewöhnlichen Männer sind solche Frauen gut. Ich kann mir denken, wie glücklich es macht, eine kleine hübsche Haushälterin zu haben, die sehr sparsam, sehr vorsichtig und verständig ist, über Alles, was in ihr Fach schlägt, sehr unterrichtet ist, mit inniger Zufriedenheit die größte Ordnung hält, kein Stäubchen und kein Fleckchen duldet, unermüdlich stickt und strickt, kehrt und säubert, daß es eine Lust ist, Abends unter grübelnder Ueberlegung einschläft, wie morgen Alles gerathen soll, und früh erwacht, um gestärkt und froh an ihr Tagewerk zu gehen. Doch ein solches Ideal ist obenein eine Seltenheit. Gewöhnlich sieht es viel schlechter mit diesen häuslichen Frauen und Mädchen aus, die in ihrer geistigen Verkümmerung nicht einmal jene hochgelobten Nützlichkeitstugenden haben. Ist denn aber der allergrößte Theil der Männer besser? Erheben sie sich etwa über den großen Sumpf der Alltäglichkeit, der Erwerbsgeschäfte, des engherzigen Elends gewöhnlicher Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse? Wenn also eine Frau von höherer Begabung die Ketten, welche sie niederziehen wollen, zerreißt, was kann sie anders beginnen, als sich dem begabten Manne anschließen, dessen Genius sie entzückt?

Ich hatte schweigend zugehört und mußte mir heimlich Bäbli bei ihrer Schilderung denken, endlich aber schüttelte ich den Kopf zu ihren Schlüssen und sagte dann:

Was Sie mir mittheilen, ist falsch, denn was richtig ist, verrechnet sich in den Folgerungen. Wir sind, ich weiß selbst nicht wie, plötzlich in unserem Gespräche auf Charakter und Liebe gerathen, Sie verwirren dies seltsam mit Talent und Genius.

Eine Frau von Charakter, das heißt von Willenskraft und selbständiger Geistesthätigkeit, wird keinen unbedeutenden, rohen, geistig untergeordneten Mann wahrhaft lieben können, sie wird nur durch Täuschungen dahin gebracht werden, ihm eine Zeit lang anzuhängen; doch eben so wenig wird sie in solche Verblendung fallen, das Talent lieben zu wollen. Der Charakter ist der Mann selbst, das Talent ist die glänzende Hülle; hängt Liebe sich an diese nur, so wird sie meist davon verdorben, wenn nicht zufällig das große Talent auch zugleich mit einem Herzen voll menschlich edler Eigenschaften verbunden ist. Eine hochbegabte Frau wird aber auch oft die schönen Bande abstreifen und vergessen, die der Himmel für ihr Geschlecht bestimmt hat. Was giebt es denn Herrlicheres in der Welt, als eine schöne Häuslichkeit mit ihrem heiligen Frieden, mit dem Geiste der Ordnung und der Ruhe, mit einer süßen Behaglichkeit, welche die Hand der Frau uns bereitet und uns so innig damit zu fesseln weiß. Sie haben die Haushälterin gemalt, die in ihrem engen Kreise immerhin doch ein treues, gutes, sorgendes Wesen sein kann; stellen Sie die große Zahl der Frauen daneben, die alle jene Pflichten vernachlässigen und romantischen Schwärmereien nachhängen. Fataler wie jene vergnügungssüchtigen, putzsüchtigen, eitlen Damen, die nur dem zerstreuenden Genuß leben wollen, ist diese Klasse eingebildeter und hochmüthiger Frauen, die da meinen, über der Menge zu stehen und sie zu verachten, in Wahrheit aber weit tiefer ihren Platz finden. Ich erkenne Frauen von Charakter an, Frauen von hoher und edler Bildung, aber diese zeichnen sich durch die Bescheidenheit und Einfachheit ihrer Urtheile aus. Sie sprechen verständig über die großen Gebiete des Wissens, über Kunst und Leben, selbst über Politik, aber sie werden niemals zu vorlauten Schwätzerinnen, verlieren sich niemals in hohlem Enthusiasmus, in Fantasierei und Unnatur, wollen niemals die Schranken niederreißen, welche die Frauen in ihrem ewigen Eigenthum sichern, und dies beweist, daß charaktervolle Frauen vorherrschend scharfen Verstand besitzen, während die Menge derer, die da meinen zu jenen zu gehören, nur gereizte Nerven, eine aufgestachelte Fantasie haben, die ihnen den tollsten Spuk der modernen Emancipationsträumereien vorgaukelt.

Sie sah mich unverwandt fest an, aber sie sagte kein Wort. Ihre Lippen lächelten, aber ihre Augen blickten so starr, als dächte sie in weite Ferne.

Zürnen Sie mir nicht, fuhr ich, ihre Hand ergreifend, fort. Welche göttliche Macht üben die Frauen aus, wie groß ist ihre Gewalt über uns, wie wunderbar der Zauber, dem der wildeste Mann gehorchen muß. Was wir auch an Kraft des Denkens und Wissens voraushaben, wie Fantasie und heiße Empfindungen getheilt sein mögen, in Einem, dem edelsten und erhabensten Gefühle der Seele, sind die Frauen geborene Herrscherinnen. Dort ist ihr Reich, dort spenden sie das höchste irdische Glück, den größten Lebenssegen.

Welches Gefühl? fragte sie.

Die Liebe! sagte ich zu ihr aufblickend.

In dem Augenblicke rollte ein Donner über das Thal von Wallis so heftig, daß wir Beide auffuhren. Zugleich sprang der Knabe zu uns her, der aus dem Schlafe geweckt war.

Eilt! schrie er, eilt! Seht da drüben hin nach dem Gotthard, es kommt ein Unwetter. Wir müssen brav laufen, wenn es uns nicht fassen soll. Wo habt Ihr die Augen gehabt?

Das war eine grobe Frage, wir mußten beide lachen. Aber das Wetter stand wirklich über der Gotthardkette, und eine dicht geballte, schwarzblaue Wolkenmasse mit weißen Rändern, die höchst bedenklich aussahen, wälzte sich mit großer Schnelle über die Furka fort. Es war mir keinen Augenblick zweifelhaft, daß, ehe wir nur die Hälfte des steilen Sidelhorns herunter waren, der Sturm losbrechen mußte, dessen ganzer Wuth wir uns aussetzten.

Hier geht es nicht mehr hinab, sagte ich, nachdenklich. Der Wirbelwind würde uns fassen, und wer davon käme, hätte von Glück zu sagen. Giebt's keine Höhle, keinen Schutzort hier?

Der Knabe verneinte es.

Dann bleibt nichts übrig, als auf den Gletscher hinab. Die Felsen halten den Sturm zurück, und dort unten halt! dort muß ja der berühmte Pavillon des Herrn Agassiz Louis Agassiz (1807-73), war ein schweizerisch-amerikanischer Naturforscher; seine Untersuchung der Gletscher der Alpen und seine Theorie zur Eiszeit galten seinerzeit als bahnbrechend. stehen

Ja, Herr, ja! schrie das Kind, dem diese Hülfe nun auch einfiel. Der Schlüssel liegt unter der Schwelle, ich weiß den Ort. Aber das Hinunterkommen geht hart. Die Jungfer da wird's nimmer schaffen.

Wollen Sie es wagen? fragte ich.

Alles, was Sie wollen, sagte sie.

Das Wort traf mich, ich weiß nicht wo, aber ich war entzückt davon.

Nun wohlan, rief ich, Alles was ich will! Nehmen Sie meinen Stock, ich bin dicht bei Ihnen. Vertrauen Sie fest auf mich, ich schütze Sie vor aller Gefahr.

Sie lächelte mir muthig zu, der kleine Führer raffte das Körbchen auf, in welchem Wein und einige Lebensmittel lagen, dann ging es, so rasch wir immer vermochten, in die steile Tiefe hinab. Es dauerte nicht lange, so hörten wir über uns den ersten Windstoß toben, und er muß wild genug gewesen sein, denn von allen Seiten polterten Steine von dem Gipfeln. Wir befanden uns im Schutze der Gebirgsschlucht; das Finsteraarhorn uns gegenüber wurde von glührother Sonne beleuchtet, der Himmel war noch blau, aber bald kletterte ein bleichgrauer Dunst an den Felswänden auf und oben über den Spalt legte sich die schwarze Gewitternacht.

Nur eine halbe Stunde noch, eine ehrliche gutgemessene halbe Stunde, rief ich, und wir sind unten.

Als ich aber nach dem Felsenkopfe zurücksah und ihn nicht mehr erkennen konnte, und das Licht an dem ungeheuren Horn vor uns auslöschte, dampfende Nebel von allen Seiten, wie aus tausend Schmiedeessen, aufstiegen, verging mir der Glaube. Es wurde Nacht, und zwar mit solcher Schnelle, als decke eine ungeheure schwarze Hand plötzlich den ganzen Spalt zu.

Mehr als einmal hatte ich dabei meine Gefährtin festgehalten. Plötzlich glitt sie vor mir nieder, ich fing sie in meinen Armen auf.

Haben Sie sich wehe gethan? fragte ich.

Nein, sagte sie, aber ich möchte still stehen.

Sie legte ihre Hand auf meine Schulter.

Noch eine kurze Anstrengung, bat ich. Sehen Sie dort den weißen Schimmer? Das ist der Gletscher.

Ich sehe nichts mehr, erwiederte sie, und wirklich, es ist mir, als könnte ich nicht weiter. Lassen Sie mich hier.

Ein blendender Blitz, der den ganzen Himmel öffnete, fuhr am Aarhorn nieder und züngelte, zerspalten, wie ein Bündel feuriger Schlangen, nach allen Seiten hin. Ein Donnerschlag folgte ihm nach, so brüllend, als thäten sich Abgründe auf, aus denen Legionen Ungeheuer ihre Stimmen erhoben.

Da war kein Wählen. Begann der Regen das Gestein schlüpfrig zu machen, so wuchs die Gefahr. Ich sah in ihr Gesicht, es war bleich, die Lippen wie im Schmerz zusammengepreßt. In einem Augenblicke hatte ich sie auf meinem Arme und trug sie auf den Gletscher hinab, und das war keine leichte Sache, mein Schwesterchen, denn ein Gletscher ist nicht etwa ein glattes Eisfeld, wie ein gefrorener Teich, sondern ein welliger, narbig und zackig erstarrter Strom, der sich ein tiefes Bett in den Fels gerissen hat, und an seinen Ufern Haufen von Trümmern, Schutt und Schlamm aufwirft, die, mit Lavinenresten und Eisbrocken vermischt, weit schwieriger zu übersteigen sind, wie der Gletscher selbst.

Ein Schauer großfallender Tropfen vermehrte die Verlegenheit. Wochenlang hatte es hier nicht geregnet, die Wände waren ausgebrannt von Sonnenglut und hauchten eine drückende Schwüle aus, die in den nächsten Minuten von einem schneidend kalten Windstoße verweht wurde, der vom oberen Gletscher herunter kam. Der Regen hörte zwar eben so schnell wieder auf, aber über uns heulte der Sturm, ein Blitz folgte dem anderen, der Lärm des Donners war sinnbetäubend, und in meiner Herzensangst wußte ich nicht, wohin mich wenden?

Wo ist die Hütte, der Pavillon?! schrie ich voller Verzweiflung.

Ich weiß es nicht! Ich sehe sie nicht, Herr! Sie ist fort! sagte der Knabe, der ganz verwirrt war.

Ein neuer Blitz zeigte uns die Zufluchtsstätte gar nicht weit zur Seite, aber mit ihm kam ein Regenguß, der mit größter Heftigkeit auf uns niederfiel. Glücklicher Weise hat dieser Gletscher keine Spalten. Ich lief rasch durch die Dunkelheit, und eben als das Wetter in seiner ganzen Wuth losbrach, war der Schlüssel gefunden und die Thür geöffnet.

Gott segne den guten Agassiz, der jetzt in Amerika unter einem besseren Dache sitzt, als er hier zurückgelassen hat, aber er kann sich mit nicht größerem Wohlbehagen in seinem bequemen Hause fühlen, als ich zu jener Stunde in seinem eisigen Pavillon, der gar nichts weiter ist, als eine kleine Balkenhütte, aber in solcher Noth dem prächtigsten Palaste gleich kam. Er behütete uns vor dem sündfluthlichen Gusse und vor dem Sturm, der draußen tobte.

Es fand sich ein großer Holzstuhl, in welchen ich meinen Schützling niederlegen konnte, es fanden sich Licht, ein kleiner Holzvorrath, allerlei Geräthe. Ein Feuer loderte auf; ich hielt sie in meinem Arm, ihre Augen waren noch immer geschlossen, sie regte sich nicht. Das waren qualvolle Minuten. Ich wußte nicht, was ich beginnen sollte, wußte nicht, ob Erschöpfung, Angst vor dem Wetter, oder eine Verletzung sie in diesen Zustand versetzt hatte; dabei überfiel mich der Gedanke, sie sei todt, und ich verdoppelte meine Anstrengungen. Ich zog ihr die Schuhe aus, rieb ihre Füße, wickelte diese in eine warme Decke.

Dann erinnerte ich mich, daß ich ein Theebüchschen in der Tasche hatte, und daß ein Theekessel vorhanden war. Wasser mußte um jeden Preis geschafft werden. Mitten in dem Regensturm trieb ich den Knaben fort, und hingebeugt über sie, forschte ich in ihren Zügen nach einer Bewegung, horchte ich an ihren Lippen nach einem leisen Athemzuge und legte meine Hand auf ihr Herz, um eine Lebensspur zu entdecken. Die Blitze, welche zuweilen die Hütte tageshell machten, und die furchtbaren Erschütterungen des Donners, unter denen der Boden bebte, waren vergessen. Meine Augen hingen unverwandt an ihrem Gesicht, und je länger ich hineinblickte, um so gewaltiger wuchsen Kraft und Wille, die Energie meiner Seele, die ihr Leben, ihr Erwachen forderte. Mit solcher glühenden Innigkeit, solcher verzweiflungsvollen Wuth habe ich noch nie dem Schicksale Trotz geboten, und ich weiß nicht, welches Gefühl mich ergriff, als ich sah, daß ihre Brust sich bewegte, daß sie athmete, es war ein unermeßliches Entzücken!

Sie lebt! rief ich, und es muß ein Schrei gewesen sein, der stärker war, als alles Loben des Unwetters. Ich wußte nicht, was ich that, aber ich küßte sie, küßte ihre Hände, ihre Stirn, ihre Lippen – ja, ihre Lippen, mein Hedchen, und wunderbar war das Glück, das durch meine Adern, durch mein Herz drang. Als ich den Kopf aufhob, waren ihre Augen weit offen, sie sah mich an und ließ es geschehen, daß ich sie an mich preßte, ihren Namen rief und wieder rief, ihre Hände in die meinen klammernd, auf meine Knie sinkend ihren Leib umschlang, und Gott weiß was Alles in der halb wahnsinnigen Freude sagte, die mich beherrschte. Die rothe Flamme des Feuers leuchtete dazu und ich bemerkte mit trunkener Lust, wie ihre Lippen leise zuckten und lächelten, wie ihre Augen Bewegung erhielten, wie ihr Blick über mich hinstrahlte. – O! das war eine selige Minute, eine Minute ohne Worte, ein reines, unermeßliches Glück!

Plötzlich stürzte der Junge herein. Er war umhergeirrt, war gefallen, hatte das Gefäß zerschlagen, die Hütte nicht wiederfinden können. Ganz triefend und voller Entsetzen weinte und heulte er bitterlich. So mußte ich denn selbst gehen, und nach wenig Minuten schon hatte ich Wasser genug, ein ganzer Strom brauste in den Gerinnen des Gletschers. Als ich wiederkam fand ich sie am Feuer sitzen, sie streckte mir die Hände entgegen.

Wie vielen, vielen Dank bin ich Ihnen schuldig! flüsterte sie.

Sprechen Sie das häßliche Wort nicht aus, sagte ich. Dank! das durchkältet mich. Sagen Sie mir, ob Sie sich wohl fühlen?

Sie nickte mir zu, ihre Augen ruhten mit sanfter Innigkeit auf mir.

Mein Fuß ist ein wenig verstaucht, sagte sie, ich strauchelte, aber das war es nicht. Ich fühlte mich plötzlich schwindeln und erstarren. Ich sah nicht mehr, die Felsen drehten sich mit mir, ich wäre umgekommen, und doch verließ mich das Vertrauen nicht, weil –

Weil ich bei Ihnen war, sagte ich mit fester freudiger Stimme, als sie schwieg.

Ihre schönen Augen leuchteten auf. O! mein lieb Schwesterchen, ich sah es ihr an, daß sie mich für ihren Lebensretter hielt, zärtliche Hingebung ihre ganze Seele füllte.

Nun kochte das Wasser, der Thee war bereit, eine Tasse war auch vorhanden, etwas Zucker sogar fand sich in dem Schranke. Das Fläschchen Wein, welches wir in dem Körbchen gerettet hatten, und der übrige Proviant, thaten uns herrliche Dienste, und mitten auf dem krachenden Gletscher, in diesem schrecklichen Schlunde, unter Sturm und Donner und strömenden Regen verlebte ich eine Stunde, wie im Paradiese.

Ich saß bei ihr und trank aus derselben Schale, theilte mit ihr dasselbe Stück Brod, und umwand ihren Fuß, der am Knöchel geschwollen war, mit meinem Taschentuch, den ich in Stücke riß und in Eiswasser tauchte.

Verlange nicht zu wissen was wir sprachen, ich wüßte Dir es kaum zu sagen. Nichts von der Vergangenheit, nichts vom Zukünftigen; abgerissene Sätze und Gedanken, augenblickliche Einfälle, freudesprühende Worte und fragende stille Blicke.

Da leuchtete ein Licht in der Ferne. Der Knabe schrie auf, daß Leute zur Hülfe kämen, und so war es. Von der Grimsel schickten sie drei Männer, und mit diesen kam der Alte, der mein Ränzchen hinab getragen hatte. Das war eine Freude, als sie uns fanden! Sie hatten vermuthet, daß wir in den Pavillon geflüchtet sein würden, waren aber doch in großen Sorgen, und nun machten die Grimselleute schnell aus einigen Stangen eine Art Trage, und als der Regen aufgehört hatte, zogen wir den Gletscher hinab, und waren nach zwei Stunden glücklich im Hospital.

Das war gefüllt mit Reisenden, wie jeden Tag. Die Töchter des Wirths bemächtigten sich der hülfbedürftigen Leidenden, die Jungfer stürzte schreiend und händeringend herbei, mit meinen Diensten war es aus.

Morgen! sagte ich, ihre Hand leise drückend. Ihre Augen antworteten mir, und beglückt setzte ich mich an den gedeckten Tisch, erzählte allen versammelten Nationen meine Abentheuer und zerriß muthig den berühmten Gemsbraten in der schwarzen Brühe, mit welchem der pfiffige Grimselwirth seinen neugierigen Gästen täglich aufwartet, denn er hat eine ganze Heerde alter dürrer Ziegen dafür im Vorrath.

Zwischen heut und morgen, mein Hedchen, liegt eine Nacht, wie viele haben dies schon zu ihrem Schrecken erfahren! Ist doch vom Becher bis zum Munde, wie die Schotten sagen, ein langer Weg; von höchster Jugendlust und Glück zum blassen Tod oft nur ein Augenblick. Aber was will ich denn entschuldigen, oder mit weisen Betrachtungen umbrämen? Die ganze Geschichte verdient eigentlich, daß man darüber lacht, und o! wenn Werner das wüßte – was für Gesichter würde er schneiden! Zum Henker auch, ich lache selbst, allein es ist eigentlich doch immer ein übel Ding, wenn man sich selbst auslachen muß.

Nun, einfach verhält sich die Sache so. Ich lag in einem gelinden Paroxysmus die halbe Nacht über, und will Dich nicht damit unterhalten, was ich dachte, was ich meinte und welche Träume ich träumte. Endlich schlief ich ein und schlief wie ein Todter, denn als ich aufwachte, stand die Sonne hoch am Himmel und im Hause war Alles still, die Reisenden waren längst abgezogen.

Ich ging hinunter in den Saal, mein Frühstück wurde sogleich herein gebracht, und am Fenster saß der Beherrscher der Grimsel und machte sich mit seinen Bergkrystallen, zu schaffen, von denen er eine werthvolle Sammlung besitzt.

Meine erste Frage betraf Helenen. Wie geht es dem Fräulein? fragte ich.

Nun, sagte er, mich angrinsend, Sie haben es besser gemacht, haben sich durch einen braven Schlaf erholt.

Besser gemacht? – ich sah ihn an. Wo ist das Fräulein?

Ganz früh hinab nach Meyringen, sagte er. Es ist eine herrliche Einrichtung mit unseren Tragsesseln, über das wildeste Gebirg kommt man damit, wie in Abrahams Schooß. Aber sorgen Sie nicht, Herr, die Dame ist wohlauf, kann auf den Fuß treten und wird in einem paar Tagen nichts mehr zu merken sein. – Haben Sie das Briefchen noch nicht bekommen, das sie hier gelassen hat? fragte er, als er mein stummes Erstaunen sah.

Der Brief wurde gebracht und während der Zeit erholte ich mich, lächelte, trank meinen Kaffee, ließ das Blatt noch ein paar Minuten vor mir liegen, als hätte es damit keine Eile, und brach es endlich auf. Wenige Zeilen standen darin, sie lauteten so:

»Wie gern ich Ihnen auch heut selbst noch meinen innigsten Dank für Ihre edle Hülfe und Güte nochmals gesagt hätte, so zwingen mich dennoch meine Verhältnisse zur schnellen Entfernung. Mein Verlobter erwartet mich, und da ich nicht zögern darf, mein geleistetes Versprechen zu erfüllen, mit ihm am bestimmten Tage mich zu vereinigen, so nehmen Sie diese meine Abschiedsworte verzeihend auf.

Ihre dankbare und unwandelbare Freundin

Helene Arnold.«

Da hast Du nun Alles, lieb Schwesterchen, ihren Namen, die Pflicht, welche sie forttrieb, ihr ganzes Verhältniß.

Helene Arnold! Mag sein, daß es diesmal die Wahrheit ist, ich glaube es beinahe. Gestern brannten meine Küsse auf ihren Lippen, in der Nacht wurden diese heißen Lippen kühl; der Hofmarschall Kalb fiel ihr ein. Sie überlegte bis zum Morgen, traf ihre Wahl, beschloß treu zu bleiben, und schrieb mir diesen Abschiedsbrief.

Ich tadle sie nicht, sie war verständiger wie ich, klarer, besonnener; wir hatten unsere Rollen gewechselt. Ich war in eine wüste Romantik gerathen und ohne Zweifel wäre ich heut darin unrettbar versunken, wenn sie mir einen Finger gereicht hätte. Das hat sie nicht gethan, ich danke ihr dafür.

Was konnte ich ihr bieten? ich, der sonnenverbrannte, rohe Arbeiter. Was sollte sie mit meiner rauhen, groben Verehrung machen, die ganz unkünstlerisch materiell zu Werke geht? Meine abgeschabten Kleider sind von dem gestrigen Wetter obenein so mitgenommen worden, daß sie vollends den Rest bekommen haben, so daß ich auch äußerlich nichts weniger wie einem feinen Herrn gleiche, der mit Prinzessinnen und Herzoginnen zu leben weiß. Heut bei Tage wäre es ihr gewiß doch leid geworden, wenn sie mich gesehen hätte, mit dem großen Loch auf dem Ellenbogen, welches so eben eine der Grimseldamen mit weißem Zwirn zusammenflickt.

Nun gut, mein Schwesterchen, ich bin bezahlt worden für meinen Vorwitz, romantisch zu sein, will mich aber für alle Zeit bessern. Ich erwarte nur noch meinen geflickten Rock, dann breche ich auf und ziehe nach Meyringen hinab. Das verlobte Fräulein wieder anzutreffen, macht mir keine Sorge. Der Wirth sagte mir, daß sie gleich weiter nach Brienz wollte, um mit dem Dampfer noch über den See zu fahren. Sie eilt in die Arme des edlen Cavaliers und wird mich darin gewiß trotz ihrer unwandelbaren Freundschaft schnell vergessen; was mich betrifft, so will ich es eben so machen.

Wenn ich nur erst in Interlachen bin, meinen treuen Werner, das liebe Bäbli, den wackeren Obersten wieder habe, so ist Alles gut. Ich habe nun ein wahres Bangen darum. Erst war es mir gleichgültig, dann wünschte ich es, gestern dachte ich mit Abneigung daran, und heut macht es mir innere Sorge, ich könnte sie nicht finden. Es ist doch eine andere Sache mit dem natürlich, einfach bürgerlichen Wesen, das seinen sicheren festen Schritt geht, und seine Hände nicht drücken, seine Lippen nicht küssen läßt ohne den reellen Hintergrund.

Lebe wohl, mein Hedchen, in Meyringen gebe ich meinen Brief ab; in drei Tagen bin ich in Interlachen.


Im Grindelwaldthal den 12. August.

Hier ist es schön, mein trautes Schwesterchen, und wenn ich nur nicht mitten in dem Touristentreiben wäre, würde es noch schöner sein. Glücklicher Weise geht es aber noch an, denn der Hauptstoß ist vorüber, gegen Mitte August ziehen die meisten schon an den Genfer See, in der französischen Schweiz umher.

Grindelwald ist ein reizvolles Gebirgsthal, kühl durch zwei prächtige Gletscher, voll erquickender Gebirgsluft und umstellt von den höchsten Gipfeln und mächtigsten Gebirgsstöcken der Berner Alpen. Da stehen Jungfrau, Mönch und Eiger, die Schreck-, Wetter- und Vischerhörner in einer langen Reihe, Faulhorn und Wellhorn zur anderen Seite, den Schluß macht der düstere Riese, mein alter Bekannter, das Finsteraarhorn. Bei alledem ist es ein grünes, mildes Thal und wie es gestern Abend im Mondschein und tiefer Ruhe lag, der wundervolle Mettenberg ganz in Silber verwandelt, die schwarzen Giganten im Dämmerschlaf, kam ein Gefühl über mich, beinahe wie damals auf dem Scopi, und ich weiß nicht, was überhaupt in mich gefahren ist, ich fühle mich so sentimental gestimmt, wie sonst niemals. Es ist eine Krankheit, die mich beschlichen hat; ich muß eilen, sie wieder los zu werden.

Nun immerhin, ich kann doch noch lachen, und das habe ich reichlich gestern gethan, als ich einem komischen Auftritt beiwohnte. Aus dem unteren Gletscher kommt die schwarze Lütschine, ein wildes Wasser, aus einer halb zertrümmerten Eisgrotte und theilt sich in allerlei Arme, die kleine Inseln einschließen; dahin geht man, bis zu einem Felsstück, die Platte genannt, und sieht die zerklüftete Gletschermasse vor sich. Als ich zu dem tiefen Bett des Baches hinunter stieg, hörte ich heftig zanken. Ein Junge lief lachend bei mir vorüber, und auf einem der Inselchen stand ein alter Herr, der erbittert fluchte und tobte.

Die Geschichte war leicht erklärt. Der boshafte Bube hatte das Brett ins Wasser gestoßen, und den alten Herrn auf der Insel eingefangen. Er hatte diesem sich, wie gewöhnlich, aufgedrängt, ihn begleitet, hatte Geld verlangt und nichts bekommen, so nahm er denn seine Rache. Ich fischte das Brett auf, das dicht ans Ufer geworfen war, und befreite den Eingesperrten, der mir vielen Dank sagte, und einigen Grund dazu hatte, denn es war beinahe Abend, und er hätte lange warten können, ehe Jemand zu seiner Hülfe gekommen wäre.

Aber in meinem Leben habe ich keinen seltsameren alten Kauz gesehen. Er war in einen blauen Mantel gewickelt und hatte die fabelhafteste Sorge um seine Gesundheit.

Wenn ich mich nur nicht erkältet habe, wenn ich nur kein Reißen davon trage, wiederholte er voll Aengstlichkeit. Ich bin zwar ganz in Flanell gewickelt, aber die Zugluft ist hier abscheulich, man weiß nicht, wie man sich davor schützen soll.

In Folge der Flanelleinwicklung hätte ich ihn fast für einen Engländer gehalten, die sämmtlich ihr Fell in dichte Wolle hüllen und mehr davon verbrauchen, wie alle übrige Völker auf Erden; aber es war ein Deutscher, vielleicht ein Geheimrath, oder ein Gelehrter, so einer, wie die Münchner fliegenden Blätter » Fliegende Blätter« war der Name einer humoristischen, reich illustrierten deutschen Wochenschrift (1845-1928); sie war berühmt durch ihre zielsichere, satirische Charakterisierung des deutschen Bürgertums. Beliebte Serienfiguren aus der Zeitschrift waren seit 1845 die beiden Typen Biedermann und Bummelmaier (aus ihren Namen entstand der Begriff Biedermeier). ihn beschreiben. Das Bildchen dieser Blätter, über welches wir Beide einmal so viel gelacht haben, auf dem ein reisender deutscher Professor einen Jungen examinirt, wo das schlechteste Wirthshaus zu finden sei, fiel mir unwillkürlich dabei ein.

Es war ein großer, starkleibiger Mann, mit einem Kopfe, der keilförmig vorn zusammengepreßt war. Sein Haar war im Grauen und dünn, ein ziemlich schäbiger Hut saß darauf, dicke Lippen und eine dicke, gerade, röthliche Nase machten ihn nicht besonders einladend, aber der ganze Mann sah aus, wie aus Repräsentation zusammengebacken. Hochmuth und Geiz saßen ihm in den Augenwinkeln, und seine übermäßige Freundlichkeit hatte etwas, was mir höchst widerlich war und mich zum Hohn reizte.

Wir gingen zusammen hinauf, er war von Interlachen herüber gekommen, um Grindelwald zu sehen, nachher fand es sich, daß er eine Gelegenheit benutzt hatte, die ihn nichts kostete. Von den Schweizern, ihrer Habgier und wie sie die Fremden auspreßten, machte er schauerliche Beschreibungen, die mich außerordentlich belustigten. Er war jedenfalls ein noch viel ärgerer Geizhals und Gauner, aber mit innigem Entzücken beschrieb er mir, wie er es anfinge, um sich so wenig wie möglich prellen zu lassen. –

Sehen Sie, sagte er, hier in der Schweiz muß man aufpassen, wenn man den Blutegeln, den Gastwirthen, nicht ganz und gar in die Hände fallen will. Wohin man auch kommen mag, überall haben sie ein Wirthshaus gebaut und füttern uns zu enormen Preisen. An sehr vielen Stellen jedoch giebt es auch kleinere Häuser, die man aufsuchen muß, und wo Bauern und schlichte Leute wohnen, kann man oft zu recht billiger Herberge kommen. Auf einem Heuboden schläft es sich zum allerbesten, ein Reisender muß so etwas nicht verschmähen, er muß es sogar aufsuchen, wenn er in der Natur leben will, und eine einfache, nahrhafte gesunde Kost ist das Allerzuträglichste. In meiner Jugend bin ich weit umhergewandert, und bin immer gut fortgekommen. Macht man hier kleine Partien, so müßte man närrisch sein, wollte man die Wirthe reich machen. Ein wenig kalte Küche in die Tasche gesteckt und im Grünen gelagert an einem Quell, das ist die wahre Würze des Lebens auf Reisen.

Solche Mittheilungen, ergötzlich ausgestattet mit heiligem Abscheu gegen Schlemmerei und oft sehr treffenden Bemerkungen über die Thorheiten der Reisenden, verkürzten unseren Weg. Er war wirklich auch hier in kein Gasthaus gegangen, sondern hatte irgendwo sich ein gesundes Mahl aufs Billigste verschafft, dabei aber trug der Mann einen Ring an seinem Finger, dessen großer blitzender Stein beträchtlichen Werth haben mußte, und ich möchte eine Wette eingehen, daß er respectables Vermögen besitzt, überhaupt ein sogenannter sehr achtbarer Mann ist. Er sah ganz so aus wie ein Besitzender, der einige eitle, vielleicht selbst kostspielige Schrullen hat, die den Beweis liefern sollen, daß es ihm nicht an Geld fehlt, der aber keinen Pfennig für Alles ausgiebt, was ihm unnütz erscheint.

Wahrscheinlich hätte ich mehr von ihm erfahren, denn er würdigte mich sichtlich seines Wohlwollens; vielleicht weil sein anderes Wesen eben dafür vorhanden war, vielleicht auch weil ich ihm erzählte, daß ich nie ein Pferd, und selten einen Führer genommen, sondern immer meinen Beinen und Schultern vertraut, und bei Hirten und Sennern getafelt habe, oder aber, weil mein Aufzug für seine Lehren trefflich paßte; allein, eben wie wir ans Wirthshaus kamen, fuhr der Wagen heraus, mit dem er hergekommen war, und nun gab es auf dem Vorplatze noch eine spaßhafte Scene.

Der Fuhrmann wollte durchaus zwei Franken fürs Mitnehmen von ihm haben, er weigerte sich das Geringste zu geben, weil Alles abgemacht sei, und nach einer langen Unterhandlung, die einen Kreis Zuschauer um uns versammelte, glückte es ihm richtig einen Franken abzuhandeln. Schlau lächelnd winkte er mir zu, als wollte er sagen: Siehst Du, mein Freund, das ist die Art mit Schweizern umzugehen und als ich ihm in den Wagen half, sagte er halb laut triumphirend, als hätte er ein Königreich gewonnen:

Man muß immer nur den vierten Theil bieten, mit der Hälfte kommt man sicher fort, und giebt noch immer zu viel. Wenn Sie nach Interlachen kommen, gehen Sie nicht in die großen Pensionen. Gehen Sie nach Unterseen, dort giebt es Häuser, wo Sie für zwei Franken täglich prächtig aufgehoben sind. Ich wohne in der Nähe, bin aber leider gezwungen –

Hier glaube ich, verlor der Schweizer die Luft länger zu warten, oder der neidische Mensch wollte mich nicht wissen lassen, wo das Paradies meines edlen Gönners sei, genug die Räder rasselten plötzlich und die Pferde zogen so ungestüm an, daß die Riemenbank hinten überbockte, der alte Herr die Beine in die Luft streckte, Hut und Mantel darüber verlor, und zum unendlichen Vergnügen der Bauern und Jungen, die ihn instinktmäßig zu hassen schienen, lange in einer mißlichen Lage blieb.

Nun, der alte Pfiffikus hatte seinen Frack gerettet und seine Seele erhob sich über alle körperlichen Leiden. Ich war froh, daß ich ihn los war. Welch Gegensatz ist der Geiz dieses engherzigen Geschöpfes zu der verschwenderischen Großmuth, mit der Helene Arnold die Leute auf der Grimsel belohnte. Vor Meyringen kamen mir die Männer entgegen, welche sie dahin getragen hatten. Sie hatte allen das Doppelte gegeben und obenein einen Napoleon, um auf ihre glückliche Reise zu trinken. Die Beiden müßten sich begegnen, das wären Gefährten.

Nachmittag, wenn das Wetter gut bleibt, steige ich auf das Faulhorn und dann hinab ins grüne Interlachen, wo ich meinen Brief vollenden will.

Grüß Dich Gott, mein Schwesterchen! ich wollt' Du könntest bei mir sein.


Interlachen den 14. August.

Da sitze ich nun richtig, mein Hedchen, nicht weit von der Brücke vor Unterseen, herrlich und in Freuden in einem kleinen artigen Zimmerchen, und nebenan schnarcht Werner in seinen besten Molltönen, über mir trippelt ein leiser Schritt, Das ist Bäbli, der Oberst ist auf der anderen Hausseite untergebracht. Ich habe sie Alle gefunden und bin empfangen worden, wie der verlorene Sohn, oder besser wie ein lang erwarteter Freund, denn zwei Tage schon sind sie hier und meinten beinahe, ich könnte ausbleiben.

Als ich heut Nachmittag durch das reiche, breite Thal von Interlachen wanderte, kam es mir vor, als sei ich wieder in die große Welt versetzt, dicht vor den Barrieren von Paris oder Wien. Geputzte Leute aller Orten, schöne Damen in glänzenden Kleidern und Schmuck. Paris und London, Newyork und Petersburg sind hier vertreten, und wo fehlte jemals Deutschland oder vielmehr der Haufen Vaterländer, der Deutschland ausmacht! Es war immer mein Aerger, wenn ich in den Fremdenbüchern kurzweg verzeichnet fand: aus England, aus Frankreich, aus Rußland oder Norwegen, und dann kam Hinz und Kunz hinterher aus Darmstadt, aus Naumburg, Dessau oder Buxtehude. Ich schrieb immer stolz aus Deutschland, aber was kann es helfen, wenn Einer auf diese Weise sein Vaterland in Ansehen bringen will, und von der deutschen Flotte Als Reichsflotte bezeichnet man die erste gesamtdeutsche Marine der deutschen Marinegeschichte. Sie wurde am 1848 von der Nationalversammlung in Frankfurt am Main gegründet. Sie sollte allgemein als deutsche Seestreitkraft deutsche Handelsschiffe schützen und konkret im Schleswig-Holsteinischen Krieg gegen Dänemark dienen. In diesem kam sie allerdings so gut wie gar nicht zum Einsatz. Nach Niederschlagung der deutschen Revolution ging die Reichsflotte auf den wiederhergestellten Deutschen Bund über. Letztlich wollte weder der Deutsche Bund noch ein Mitgliedsstaat die Kosten dafür tragen. Nach Kriegsende zwischen Deutschland und Dänemark wurde ohnehin eine deutsche Flotte nicht mehr unmittelbar benötigt. 1852/53 wurden daher die Schiffe verkauft. - Die »Punschbowle« spielt an auf den Reklamerummel des Gründungsjahres 1848, in welchem ein Großherzog eine Punschbowle für die Offiziere gespendet hatte. bleibt inzwischen nichts übrig, als die Punschbowle? –

Wie ich von den Bergen herunter kam und durch die Nußbaumgänge spazierte, die großen Häuser vorüber, deren viele im Thale höchst reizend zwischen Gärten und Vorgärten liegen, fand ich Kolonien aller Nationen darin, aber deutsch sprachen die allermeisten, welche hinter den Gittern saßen, Kaffee tranken, lasen und spielten. An der Sprache konnte man den Oesterreicher und den Berliner, den Frankfurter und den Baier erkennen und mir fielen wieder die Fremdenbücher ein und ich fragte mich, woher es denn komme, daß die Leute selbst hier sich trennten und absonderten, wie die Stämme Israels? Was macht denn ein Volk? Die gemeinsame Sprache thut es nicht, sonst müßten wir ja eines sein und diese Schweizer könnten nie eines werden.

Das wahre Band sind die gemeinsamen Interessen, gemeinsame Vortheile und Nachtheile, die großen Lenkseile gemeinsamen Staatslebens. Mag's einen Namen haben, wie es will, ein Czaar die Spitze bilden oder ein Präsident, die Hauptsache ist, daß überall dasselbe Gesetz gilt, überall dasselbe Gebot Kraft hat, nicht an jeder Ecke ein Schlagbaum steht und dahinter ein anderer Herr sitzt, der ganz anders decretirt, ein ganz anderes Recht übt, und von seiner obersten Hoheit kein Fädchen abfallen läßt. Da ist es freilich eine Lächerlichkeit ein einiges Volk sein zu wollen und den Particularismus zu verdammen. Gerade den hat man mit Mühe und Fleiß groß gezogen und nur durch ihn ist es möglich, die Zustände zu erhalten, wie diese sind.

Die Leute da haben also ganz Recht, wenn sie sich die Rücken kehren und sich gegenseitig verachten; denn sie handeln, wie getreue Unterthanen handeln müssen, und da ich ein solcher bin, habe ich mir fest vorgenommen, gar nichts mit den Deutschen, weß Geschlechtes sie auch sein mögen, fernerhin zu schaffen zu haben. –

Wie ich noch darüber nachsann und mich in meinen Entschlüssen durch Gründe bestärkte, kam plötzlich Jemand hinter mir und hielt mir die Augen zu; zugleich hörte ich ein listiges Lachen und als ich mich los gewickelt, war es Werner in seinem grauen Röckchen und dem Freischärlerhütli; am Gitter aber stand Bäbli in dem blauen Kleide und Oberst Kuni neben ihr, gerade so, wie in seinem eignen Garten. Es war, als wäre ich verzaubert im Kreis herumgelaufen und wachte vor Schaffhausen wieder auf. Es blieb jedoch Interlachen und die Schweizerpension für drei Franken, bei der ich vorbei gelaufen wäre, wenn Bäbli mich nicht erblickt hätte.

Nun führten sie mich hinein und nach einer Stunde saßen wir unter dem mächtigen Ahorn beisammen, um welchen ein Tisch eingeschnitten ist, und plauderten nach Herzenslust. Ich sah wieder ganz menschlich aus, denn mein Koffer mit den Kleidern war längst angelangt; Werner hatte Alles pünktlich besorgt und das beste Stübchen aufbewahrt.

Ueberall ist es freundlich hier, liebe Hedwig, mein alter Werner ist ordentlich zärtlich, Bäbli's blaue Augen sind so klar, wie ein Alpensee, der Oberst aber kommt mir vor wie ein Vater, und in diesem netten, reinlichen Hause, wo die Mutter eines Arztes mit ihren Töchtern waltet, ist es so behaglich, daß man davon angeheimelt wird.

Dennoch ist etwas Dumpfes in mir wie ein verborgener Schaden, der nicht gerade durch einen bestimmten Schmerz, doch durch Unruhe und plötzliche Bewußtlosigkeit sich ankündigt. So bin ich heut Abend mit der Familie spazieren gegangen, durch die große Nußbaumallee bis an das alte Kloster, und Bäbli hatte so viel zu erzählen, ich hörte zu, aber ich gab so verkehrte Antworten, daß sie endlich zankte und lachte.

Ich habe wahrlich an gar nichts gedacht; ich sann ohne Ziel und Geschick ins Blaue hinein. Und das ist auch eigentlich wieder nicht wahr. Ich habe allerdings ein Ziel, das mir vorschwebt, habe einen Plan gemacht, der mich beschäftigt, eine Ansicht, die mich treibt; allein es ist damit wie mit einer neuerfundenen Maschine. Das Räderwerk will nicht so recht in einander fassen, es fehlt überall noch irgend etwas; die Glätte, die Ueberzeugung, daß es so und nicht anders gehen kann, ist noch nicht vorhanden. Nun, du verstehest mich, wie ich denke, ich habe nichts mehr zu sagen.

Morgen und die nächsten Tage ruhen wir alle aus, machen kleine Wanderungen durch das Thal bis an die Seen. Dann aber wollen wir weiter, zunächst auf die Wengern-Alp dicht unter der Jungfrau. Laß sehen, ob diese Jungfrau mir günstig ist.


Interlachen den 19. August.

Nun bin ich fast, mein Hedchen, im Klaren mit mir selbst. Drei Tage bin ich hier, und in froher Geselligkeit sind sie mir vergangen. Mit Bäbli vom Morgen bis zum Abend beisammen, auf allen Spaziergängen ihr Begleiter oft ganz allein, denn Werner will zuweilen nicht mit, oder hat Geschäftsbriefe zu schreiben und Oberst Kuni bleibt dann meist bei ihm sitzen und calculirt mit ihm allerlei Nothwendiges; auf diesen Spaziergängen habe ich Bäbli kennen lernen, was allerdings nicht schwer ist, denn es ist ein offenes, reines, kindliches Gemüth und dabei durch und durch praktische Verständigkeit und Tüchtigkeit. Nein, hohe Gedanken und große Talente besitzt sie nicht und von romantischer Erregtheit hat sie keine Spur.

Heut ging ich mit ihr auf die Felsabsätze des Abendberges und wollte eine schöne rothe Alpennelke pflücken, beugte mich tief hinab und verlor um ein Haar das Gleichgewicht. Sie sprang auf der Stelle zu, ohne zu schreien, ohne einen Laut und hielt mich kräftig fest, als ich aber wieder auf den Beinen stand, machte sie ein ernsthaftes Gesicht und meinte, sie hätte mich für verständiger gehalten, um eine dumme Blume mich in solche Gefahr zu setzen.

Aber, liebes Fräulein Bäbli, sagte ich, ich wollte sie für Sie pflücken.

Dank Ihnen, war ihre Antwort; hier oben stehen Blumen genug, die eben so schön sind.

Wohl möglich, sagte ich lachend, jene jedoch reizte mich. Ist es denn nicht mit Allem so? Was man leicht haben kann, mag man nicht, doch was uns verweigert wird und Noth macht, darnach wendet sich der Sinn.

Sie sah mich mit einem klaren, scharfen Blicke an, der mir Recht zu geben schien.

Haben Sie nicht auch darnach Verlangen? fragte ich.

Warum nicht, antwortete sie belustigt. Ich gehe auch wohl aus dem betretenen Wege und suche mir meinen Pfad durchs Gebüsch; allein Leib und Leben setz ich nimmer daran. Denke, was recht ist, läßt sich auch wohl ohne die schlimmste Gefahr erreichen.

Ich überlegte mir ihre Worte, es war etwas darin, was mich zu treffen schien.

Nun, liebes Fräulein Bäbli, sagte ich, Sie werden doch von demselben Stoff sein, wie andere junge Damen. Wenn ein Mann kommt, der kühn seine Hand ausstreckt, um Ihre Hand zu gewinnen, und Alles dabei wagt, was zu wagen ist, wird eine Stimme in Ihrem Herzen ihm nicht danken und verzeihen?

Sie sah mich wieder so scharf und beobachtend an.

Wenn er es gescheut macht und weiß, was er thut, wird es den Hals nicht kosten, meinte sie, und wenn die Stimme überhaupt im Herzen ist, wird sie sich hören lassen, wenn es Zeit ist.

Und wann, liebe Bäbli, wann ist es denn Zeit? rief ich, ihre Hand nehmend.

Das muß Jeder selbst wissen, sagte sie sich losmachend. Ich denke, das ist eine Sache, fügte sie mit einer gewissen trotzigen Bestimmtheit hinzu, wozu der Muth kommen muß, wenn man die Hand ausstrecken will, und wenn ein Mädchen die Gnade hat, noch Eltern zu besitzen, haben die allein darüber zu entscheiden.

Mit diesen Worten eilte sie den steilen Abhang hinunter, als wollte sie nichts ferner hören und sehen, und als wir im Thale wieder uns vereinten, kam die Tochter der Frau Doctorin, unserer Wirthin, uns entgegen, ein junges artiges Kind, deren Begleitung jede neue Anknüpfung unseres Gesprächs hinderte. Allein wozu wäre dies auch nöthig gewesen! Bäbli hatte sich offen genug erklärt. Leidenschaft darf man von einer Natur dieser Art nicht erwarten, doch wie klar, wie tief und bedeutsam blickte sie mich an und wie gerade aus und einfach wies sie mich an ihren Vater und gab mir den Trost mit, daß ihre Herzensstimme nicht fehlen werde.

Ja ich bin entschlossen, liebe theure Hedwig; ja ich bin entschlossen, um Bäbli zu werben, und habe dessentwegen auch Werner eine vertraute Eröffnung gemacht.

Als wir am Abend allein waren, ging ich auf und ab, drehte mich nach allen Seiten und rieb mir die Stirn.

Endlich merkte er etwas, wie ich es wollte, richtete er sich auf und schaute meinem Treiben zu.

Nuh, lachte er, wo steckt es dir? Was hast du für ein Experiment im Kopf und kannst die Mischung nicht finden?

Doch, sagte ich, eben die Mischung ist es, die ich bedenke. Willst du mich anhören, Werner?

Allezeit, rief er, und wenn's bis Mitternacht dauert, im Fall es nicht anders zu machen ist.

Ich mache es kurz, sprach ich, Was meinst Du dazu, wenn ich's Bäbli heirathe?

Er sah mich starr und groß an, wie Einer, der es nicht recht glaubt, was er hört; endlich sagte er:

Ich wüßte wahrlich nicht, was du Besseres thun könntest, aber Ludwig –

Du meinst, der Oberst könnte mir's abschlagen,? fiel ich ein.

Er schüttelte den Kopf.

Der Oberst hat Dich lieb, hält viel von dir, nennt dich einen wackeren Mann, der es weit bringen mag.

Nun also, sagte ich. Sie wollen Familie, ich habe eine, die nicht ohne Ansehen ist, und bin ich auch nicht übermäßig reich, so habe ich doch genug, um mein bürgerliches Wohl zu begründen. Wenn's aber etwa auf eine besondere Bedingung ankommt, wenn ich in Schaffhausen bleiben soll, kann ich auch diese annehmen.

Und's Bäbli? flüsterte Werner.

Mit der laß es gut sein. Sagt der Vater ja, so sagt sie nicht nein.

Nun dann, rief er meine Hände heftig schüttelnd, so sei Gott mit Dir, mein Ludwig, und bring all sein Glück über euch. Wie mich das freut, wenn ich mir denke, daß das herzige Bäbli Dein sein soll. Keinem auf der ganzen Welt wollte ich sie lieber gönnen.

Er fiel mir um den Hals, ich war so gerührt wie er, die halbe Nacht saßen wir beisammen. Werner erzählte mir so viele Züge von Bäbli's Güte und Verständigkeit, daß der Faden nicht abriß. Ich theilte ihm dagegen mit, wie sich auf der Reise nach und nach der Gedanke bei mir ausgebildet hätte und wie ich nun hier in den drei Tagen vollends ins Reine gekommen sei. Von meinen sonstigen Abentheuern sagte ich ihm nichts, die sind versenkt, wie der Hort der Nibelungen. Keiner soll je die Stelle zu finden wissen, wo sie ruhen. Zuletzt bat ich Werner, er möchte den Obersten sondiren, ehe ich mit ihm spräche, möchte zu erfahren suchen, wie ich aufgenommen sein würde, und das hat er mir zugesagt, der wackere Freund.

O! lieb Hedchen, ihr Mädchen lernt das nimmer kennen, was Männerfreundschaft ist; doch unter Allem, was die guten Götter dem Menschen gegeben haben, ist sie das Erhabenste, das Edelste, und darum auch das Seltenste. Da ist keine Leidenschaft wie in der Geschlechtsliebe, kein Neid und keine Selbstsucht, es ist die reinste, schönste Hingebung der Seele an eine andere Seele, das göttlichste Band, das zwei Menschen verbinden kann; kein Opfer giebt es was nicht willig und frei geleistet würde.

Werner sah am Morgen ganz verstört aus, er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil er immer daran gedacht, wie er es am besten machen sollte, um den Kuni für mich zu stimmen. Ich will's aber schon besorgen, sagte er, verlaß Dich darauf. Du mußt ein glücklicher Mensch werden, Ludwig, Keiner soll Dir's nehmen.

Und so lebe ich denn heut in Spannung und Erwartung und bin den ganzen Vormittag umhergegangen, als ginge ich auf Eiern. Habe nicht gewagt mit Fräulein Bäbli spazieren zu gehen, habe mich hingesetzt und behauptet, ich müßte an Dich schreiben; wollte doch dem Werner Zeit lassen, sein Sprüchlein anzubringen; aber heut Nachmittag vielleicht schon ist alles gethan und mein nächstes Blatt fängt mit Hurrah und Vivat auf Braut und Bräutigam an!


Interlachen den 20. August.

Das steht Alles da, Hedchen, ich habe es durchgelesen und streiche nichts aus; rufe auch Hurrah und Vivat! Braut und Bräutigam sollen leben! aber es ist doch ganz anders gekommen, wie ich dachte. Ich sagte es Dir, ich tauge nichts für Liebe oder Ehe, ich gehöre offenbar zu denen, welchen es weder mit der einen noch mit der anderen glückt; ich bin Unstern, der gute Junge, der überall ein Bischen zu spät kommt.

Und dennoch freue ich mich herzlich, ja vielleicht – ganz leise Dir ins Ohr gesprochen, mein Schwesterchen – vielleicht freue ich mich wärmer, inniger, wahrer, als hielte ich jetzt Bäbli's Hände in den meinen und säße mit ihr in dem leuchtenden Mondlichte, der Fackel der Verliebten, die mir ins einsame Fenster scheint.

Aber es ist ganz nüchtern, kalt und ruhig hergegangen und eben so will ich es Dir erzählen. Heut Nachmittag saß ich mit dem Obersten unter dem Ahorn, wir rauchten und schauten auf die Straße hinaus, wo es von Damen und Herren wimmelte, denn nicht weit von uns liegt eine große Pension, eine der ersten im Thale, und ich hatte Allerlei zu denken; denn ein prächtiger Phaeton fuhr vorüber, bespannt mit zwei köstlichen Grauschimmeln, und wenn ich nicht ganz blind gewesen bin, so war die Dame, welche darin saß, keine andere wie Helene Arnold. Den Herrn habe ich nur von der Seite gesehen; er war jung, elegant, trug ein schwarzes Bärtchen, so recht wie ein Gentleman nach der neusten Mode.

Nun, das soll mich weiter nicht anfechten, das ist ganz in der Ordnung; aber dennoch, wenn ich es sagen soll, regte es mich zu einem gewissen Ingrimm auf, der mein Blut heiß machte. Ich ließ den Obersten sprechen und ging meinen Gedanken nach, die mit Hartnäckigkeit sich auf Bäbli richteten. Heiße Leidenschaft, nein, die hatte sie mir nicht eingeflößt, so viel war gewiß; aber ich fragte mich, ob ich diese je fühlen würde, und sagte wieder nein. Es ist doch Alles damit nur Lug und Trug, und der Oberst sprach eben vom Reellen und Tüchtigen, das die Welt erhalte. Was aber diese Welt erhält, erhält auch jeden Einzelnen und giebt ein sicheres Gedeihen. Ich fühlte plötzlich große Zuversicht, richtete meinen Kopf auf, sah den alten Herrn an, der mich auch freundlich beschaute, und sagte dann:

Herr Oberst, halten Sie mich für einen wahren und aufrichtigen Mann?

Wie sollte ich nicht, antwortete er. Es hat mir so bald keiner so wohl gefallen. Habe auch mit Werner darüber gesprochen.

Hat Werner Ihnen Eröffnungen gemacht? fragte ich.

Werner? nein! – aber halt! Ich weiß Alles, was Sie sagen wollen, hab's mir auch überlegt.

Und was haben Sie beschlossen? rief ich meine Hand ausstreckend.

Still! sagte er, mir die Finger quetschend und umher schauend, es ist eine ernsthafte Sache. Ich habe lange hineingeschaut, es giebt viel dabei zu bedenken, aber Bäbli's Glück ist mir theurer als Alles, und ihr Herz hat sich aufgethan, ich weiß es.

Ihr Herz! wiederholte ich, während das meine in eine revolutionaire Aufregung gerieth. Das steigert meine freudigen Hoffnungen.

Freilich, die Verhältnisse sind ungewöhnlich, fuhr er fort. Ich hasse die alten Vorurtheile; dennoch sind diese vorhanden.

In unserer Zeit, antwortete ich, müssen die Besten und Edelsten mit ihrem Beispiele vorangehen, um Vorurtheile zu zerbrechen. Der wahre Werth eines Mannes muß entscheiden.

Glauben Sie, rief er mit einem warmen Blicke, daß ich das erkenne; Bäbli thut es mit mir. Sie ist mein bestes Glück auf Erden.

Und nimmer sollen Sie sich von ihr trennen, fiel ich ein. Ich bin bereit –

Das könnte ich auch nicht, unterbrach er mich. Bäbli muß bei mir bleiben, es darf sich nichts ändern. Werner kann zu uns ziehen, mein Haus ist groß genug, uns Alle aufzunehmen.

Das ist herrlich! rief ich aus. Werner verdient Ihre Liebe und Güte, er ist der treuste, beste Mensch.

Weiß es, sagte der Oberst. Ich weiß auch, daß ihm von verschiedenen Seiten vortheilhafte Anerbietungen gemacht sind, die er sämmtlich ausgeschlagen hat.

Er schwieg eine Minute lang, dann begann er mit gedämpfter Stimme:

Es ist mir so, als müßte es zu Ende kommen. Sie sollen die Sache in Ihre Hände nehmen. Sprechen Sie mit Bäbli, sagen Sie ihr, ich wäre mit Allem einverstanden.

Ich habe schon mit ihr gesprochen, antwortete ich lächelnd.

Haben Sie schon gesprochen? fragte er rasch. Was sagt sie?

Ich sollte nur den Vater fragen; an ihr sollte es dann nicht fehlen, die Stimme Ihres Herzens hören zu lassen.

Nun, in Gottes Namen denn! rief der Oberst. Lassen Sie ihn herkommen.

Wen?

Werner!

Und Sie?

Ich will ihm sagen, wie es steht, oder Sie sein bester Freund, Sie können ihm sagen, daß Alles in Ordnung ist.

Ja, aber –

Nichts, nichts! fuhr er fort, mit dem Aber ist's vorbei, wenn ich einmal mein Wort darauf setze. Ich weiß, wo es stockt. Er fürchtet sich, meint der Sohn eines heimathlosen Mannes dürfe sein Auge nicht so hoch heben. Sprechen Sie mit ihm, er soll es wagen. Soll Bäbli's Hand nehmen und sie zu mir bringen. Da geht er eben aus der Thür in den Garten, Bäbli sitzt hinten in der Laube. Machen Sie es ab mit Beiden, ich bleibe hier.

So riß denn mit einem Male die Binde vor meinen Augen. Zunächst war mir so ziemlich zu Muthe, als wär ich festgewachsen, dann aber sprang ich auf, lief Werner nach, faßte ihn an den Arm, zog ihn in die Laube, ehe er sich erholen konnte, und stellte ihn vor Bäbli, die im Schatten saß und, wie gewöhnlich, fleißig nähte. Sie blickte auf, als wir kamen.

Bring Deinen Wunsch an, rief ich. Fall aufs Knie und streck' Deine Hand aus, der Oberst erlaubt es Dir.

Sein bleiches Gesicht wurde so roth, wie ich es nie gesehen habe.

Ich habe noch nichts gesprochen, flüsterte er mich anblickend.

Aber ich, fuhr ich fort. Herr Kuni hat mir anvertraut, er hätte es lange schon überlegt, der Werner müßte sein Sohn werden und in einem gewissen Herzen spräche eine Stimme, kein Anderer dürfte da hinein. Mache es jetzt ab mit dem Fräulein hier, die Dich so klar anschaut, dann fort zu dem Obersten, der seine Kinder haben will.

Damit sprang ich hinaus, hinten über die Hecken ins Freie, und nach einer Stunde kehrte ich zurück und traf sie beisammen unter dem Ahorn. Werner lief mir entgegen wie er mich sah, und fiel mir um den Hals. Er sah ganz verklärt aus, der arme Junge; die Thränen hingen ihm an den Wimpern. Er stammelte allerlei dummes Zeug von ewigem Dank – das hatte ich davon, ich mußte es mir obenein gefallen lassen.

Aber wie war's denn, Ludwig, wie kam's denn, rief er endlich, daß Du Dich stelltest, als hättest das Bäbli schon in Deinem Gebläse? Wolltest mich damit herauslocken, wolltest sehen, wie es mit mir stände? War also Alles nichts, als List und Trug, um heut selbst bei Kuni als mein Freiwerber aufzutreten. O! liebster Herzensbruder, in keiner Stund meines Lebens will ich Dir das vergessen.

In dieser Klemme sagte ich kein Wort, denn die Wahrheit konnte ich nicht preisgeben. Ich drückte ihn aber an mein Herz und sagte aufrichtig:

Nimm es, wie es gekommen ist, mein alter Werner, Niemand verdient Bäbli, wie Du allein. Ich habe sie wohl auch lieb, aber Du liebst sie, und das ist ein anderes Empfinden, wie ich es in mir trage. Du wirst glücklich sein, ich werde mich Deines Glückes innig freuen, so haben wir Beide das Beste davon, was wir haben können.

Den Tag über sind wir nun in Fröhlichkeit und Eintracht beisammen gewesen und sieh, mein Hedchen, welch Wunder! ich fühle nicht den geringsten Neid, nicht das geringste Herzweh, bin im Gegentheil äußerst zufrieden und fühle mich ganz behaglich bei dem Gedanken, daß Werner jetzt noch unten im Garten mit Bäbli lustwandelt und ich hier oben, während ich schreibe, sehen und hören kann, wie er ihre Hände drückt und küßt, und wie ihre frische Stimme sich dabei hören läßt. Ich habe das Gefühl, als sei es eine Gnade Gottes, daß Alles sich so gefügt hat, und werde so fest und ruhig schlafen, als läge ich im Schlaf der Gerechten. –

Morgen wollen wir eine Partie ins Lauterbrunnerthal machen und zur Wengern-Alp hinauf steigen. Das wird aber das Beste sein, was ich unternehme, denn in zwei Tagen will ich weiter. Solch Liebespärchen ist sich selbst genug, und mich drängt es fort und heimwärts. Noch ein rasches,Streifen bis an den Genfersee und dann zurück zu Dir, lieb Schwesterchen. Ich bin doch müde, ich fühle mich müde, es ist gut, wenn ich gehe, mit der Lust am Reisen ist's vorbei.


Interlachen den 22. August.

Ich habe sie wiedergesehen, wiedergefunden – wie wiedergefunden! Ich bin noch in großer Aufregung, in einer Unruhe, deren ich mich nimmer fähig glaubte. Welche Gewalt hat diese Frau über mich und was sind Grundsätze, die ich so oft vertheidigt habe! – Alles ist Spreu gegen den Zauber der Leidenschaft, die man Liebe nennt, und doch wage ich es mir kaum selbst zu gestehen, daß ich dieser Macht, die ich so oft, und noch gestern Thorheit genannt habe, unterworfen sein soll. Was hilft es aber, sich selbst zu belügen. Es ist so, ich kann es nicht läugnen.

Von jener ersten Stunde an, wo ich sie am Rheinfalle traf, war ein Gefühl in mir erregt, das ich bis dahin nicht gekannt hatte. Ich warf es von mir, suchte es zu unterdrücken, zu verhöhnen und es rächte sich oder ich weiß nicht wer es that; aber welche geheime Macht war es denn, die sie immer wieder mir zuführte, und mit jedem Male spann mich ein dichterer Faden ein? Sonderbarer Glaube des Menschen, daß er frei sei, sein Wille allein entscheide. Es ist nicht so, sein Wille ist von den Verhältnissen geleitet, von einer Erscheinung plötzlich abhängig, beherrscht, gebunden, und wenn er sich losreißen will, wird er von der nächsten Minute wieder eingefangen, die ihn unerwartet überfällt.

Ich war gestern auf der Wengern-Alp. Wir fuhren bis Lauterbrunn und stiegen dann heiter in den heiteren Tag. Der Oberst und Bäbli nahmen Pferde, denn der Weg ist hart, ich ging mit Werner. So kamen wir endlich hinauf und sahen die Jungfrau vor uns liegen, die in blendender Sonne strahlte. Dicht am Hause auf der Alp rief plötzlich eine Stimme meinen Namen, und als ich umschaute, erblickte ich ein bekanntes Gesicht, den jungen Herrn von Pannewitz, unseren Freund, den allerliebsten Lieutnant, den besten Tänzer in der Christenheit, Deinen vielbelobten Tänzer, mein Hedchen.

Sie! erwiderte ich, ihn betrachtend.

Er streckte seine Arme nach mir aus, ich mußte hinein fallen, es war ein erhabenes Wiedersehen, wie er sagte, hier oben auf der Alp, und er feierte dies durch unzählige Betheuerungen über sein Glück mich zu treffen und durch eben so viele Fragen nach Dir, und Erinnerungen an die schönsten Tage seines Lebens.

Nachdem ich diesen Sturm und seine vertrauten Mittheilungen ausgehalten, aus welchen ich erfuhr, daß sein Onkel, der pensionirte Oberst, todt sei und ihn zum Erben einiger Ersparnisse gemacht habe, welche er jetzt in so löblicher Weise zu einer interessanten Reise verwendet, hörte ich denn auch, daß er mir gegenüber in der großen Pension seit einer Woche wohnt, wo er sich famos amüsirt, und von Schönheiten umringt ist, die es unmöglich machen, daß er weiter reisen kann. Mit einem Theile des köstlichen Kreises, der sich dort zusammen gefunden hat, war er heut auf die Wengern-Alp gepilgert und:

Was man für Abentheuer hier erlebt, flüsterte er mir ins Ohr, famose Abentheuer, die wunderbarsten Geschichten, kostbare Intriguen, Dinge, die man nimmermehr glauben sollte, wenn sie nicht ganz gewiß wären.

Sie waren immer ein Liebling der Damen und der Grazien, sagte ich lachend.

Nun, ich, antwortete er sein Bärtchen drehend, ich machte es auch darnach. Aber hier wird es ernsthaft, ich habe ein kleines Verhältniß angesponnen, das seine reelle Seite entwickeln kann.

O! rief ich, wirklich reell?

Auf mein Wort, sagte er. Sehen Sie dort am Rande der Schlucht, gerade vor dem Hause auf der Bank, sehen Sie die Dame in dem großen, weißen Shawl? Meine Augen folgten der Richtung, eine ganze Gesellschaft hatte sich niedergelassen, um nach der Jungfrau hinauf zu schauen und die fallenden Staublawinen zu beobachten, auf welche sich ihre ganze Aufmerksamkeit richtete.

Auch meine Freunde hatten sich dorthin begeben und der Oberst erklärte seiner Tochter, wie es komme, daß des Vormittags zur Sommerszeit oft die Schneemassen von den jähen Abstürzen fielen und aufpuderten, daher keinen Schaden thun und keinen Lärm machen könnten. Ich war froh, daß sie sich entfernt hatten, denn Werner und Bäbli würden meine Bestürzung bemerkt haben.

Die Dame, auf welche Pannewitz deutete, war Helene.

Ein himmlisches Mädchen! fuhr er fort, voll Geist, Witz, Geschmack, mit allen Gaben ausgestattet und dabei reich, also mit dem Besten versehen, was ein irdisches Wesen besitzen kann.

Reich, murmelte ich.

Famos reich! sagte er. Einzige Tochter – Eltern todt – ganz frei. Es kennt hier Jemand die Verhältnisse genau. Ein enormes Vermögen – Vater Kaufmann gewesen, Bankier, Fabrikant, so dergleichen – sind die besten Partien.

Mir ging es wirr im Kopfe um. Der konnte doch nicht der Erwartete sein. Unmöglich! er hatte sie ja erst kennen gelernt. Und dann der Brief, den ich besaß, der Kammerherr oder Hofmarschall – das war ein anderer Speculant.

Aber hat denn dieser Phönix keinen weiteren Verehrer für seine goldenen Federn? fragte ich.

Er lachte lustig auf. Das ist ja das Merkwürdige, das Sonderbare, das Entsetzliche! Bemerken Sie den Menschen hinter ihr in dem blauen Mantel und breitgekrempten Hut? eben sieht er sich um.

Der! rief ich aus und ein neues Erstaunen überfiel mich. Was ist mit dem?

Das ist ihr erklärter Bräutigam, flüsterte er mit so vielem Hohn im Gesicht, als er aufbringen konnte.

Ah, Thorheit! – Sie scherzen, Pannewitz.

Bei Gott! sagte er, es ist die volle Wahrheit und ich kann Ihnen genaue Auskunft geben, wie die Sache zusammenhängt. Der blaue Mann dort ist der berühmte Maler Streichenberg; sie hat sich in ihn verliebt.

Aber er ist alt und häßlich.

Bah! sie hat sich in ihn verliebt, ohne ihn je gesehen zu haben. Sie haben Briefe gewechselt, sie ist eine Schwärmerin, die ihre Anbetung glühend heiß aufs Papier brachte und sich eine allerliebste Suppe damit eingebrockt hat. Denn er –

Er ist ein gemeiner, niedriger Mensch, ein entsetzlicher Geizhals, fiel ich ein.

Woher wissen Sie das? fragte er.

Ich sehe es ihm an, sagte ich; aber Hedchen, es war kein Anderer, als mein Bekannter, der alte Herr vom Gletscher in Grindelwald.

Dann täuscht Ihre physiognomische Begabung Sie nicht, sagte Pannewitz, es ist ein unerträglicher schmutziger Patron, der fortgesetzt zu den köstlichsten Scenen Anlaß giebt. Denken Sie sich nur, hier herauf hat er kein Pferd genommen, wohl aber ein entsetzliches Klagelied über den unerschwinglichen Preis angestellt. Fräulein Arnold mußte ihm nach der ersten Stunde ihr Pferd abtreten, denn er konnte nicht weiter, und nun sitzt er dort, bis an die Nasenspitze eingewickelt, und seufzt über den Zugwind.

Sie hat ihn nie vorher gesehen? rief ich, wie aus der Mitte eines Traumes.

Niemals. Sie haben sich ein Stelldichein in Interlachen gegeben, dazu ist sie hergekommen. Er malte vorher noch in aller Eile an einem benachbarten Hofe die regierende Familie, und selbst hier setzt er das Geschäft fort und hat eine Engländerin in Arbeit genommen, die gehörig dafür zahlen muß. Geld ist die einzige Passion dieses edlen Künstlers. Er besitzt schon großes Vermögen, scharrt aber jeden Pfennig zusammen und der alte Schalk weiß besser wie Einer, daß seine Außerkorene ein Goldfischchen ist. Dabei ist er kindisch eitel auf seinen Titel und seine Orden, kurz ein Narr, ein Schelm und ein Geck, wie er gedacht werden kann.

Und sie – sie! Wäre es möglich? murmelte ich.

Sie nimmt ihn nicht! sagte Pannewitz energisch. Meinen Kopf zum Pfande, sie hat ihn satt und will von ihm los, und dazu werde ich ihr helfen.

Sie! erwiederte ich, ihn betrachtend.

Ich, verlassen Sie sich darauf. Ich bin so weit, um in den nächsten Tagen meine Mine in die Luft zu sprengen und damit fliegt der Blaumantel auf. Er malt die Engländerin, ich begleite das reizende Kind. Er macht sich zum Gespött und Gelächter, ich helfe dazu so viel ich kann, fahre sie spazieren und mache Mondscheinpromenaden.

Sie waren es, sagte ich, der gestern mit der Dame in einem Phaeton mit Grauschimmeln bespannt bei mir vorüberrollte?

Famose Thiere! erwiderte Pannewitz. Ja wohl. Ich habe Wagen und Pferde expreß von einem Franzosen dazu gekauft, höllisch theuer bezahlt! Schadet aber nichts, es ist gut angelegtes Geld.

Ein grollend bitteres, heißes Weh war in meiner Brust. Ich hörte schweigend zu, wie er mich zum Vertrauten seiner Hoffnungen machte, dem alten Gauner die Beute zu entreißen. Dahin war es also mit diesem thörichten, fantastischen Mädchen gekommen, daß, um der Scylla zu entkommen, ihr nur diese Charybdis übrig blieb! Ein alter Geizhals und ein junger Verschwender. Ein großer Künstler und ein Held aus dem Tanzsalon! Wenn nur die Hälfte von dem wahr war, was Pannewitz mir erzählte, mußte sie aus Entsetzen nahe daran sein, in sein Netz zu springen, und er sah nichts als ihr Gold und was dies ihm schaffen konnte.

Mit langsamen Schritten näherten wir uns der Gesellschaft, welche sich auf der Alp zusammengefunden hatte. Es war dasselbe bunte Gewühl aus allen Nationen, eine Abtheilung des großen Karavanenzuges, der durch die ganze Schweiz geht; wohl fünfzig oder sechzig Individuen jedes Alters und Geschlechts, die vor der Schlucht saßen und lagerten, in zehn Sprachen sich unterhielten und Erfrischungen genossen. Das Alpenhaus versorgt sie damit, aber ich bemerkte, daß mein listiger Freund vom Grindelwald auch hier seinem Principe treu geblieben war, aufs Billigste fortzukommen. Er hatte ein Papier mit Butterschnitten auf dem Schoß und in der Hand ein Glas voll Milch, daß er mit seiner Nachbarin großmüthig zu theilen suchte, während die übrigen Mitglieder der Gesellschaft bei Wein und Fleischspeisen lachten und scherzten.

Ich hatte keine bestimmten Gedanken darüber, wie unser Erkennen ablaufen würde, allein ich beschloß, so kalt höflich wie möglich mich zu benehmen. In dem Augenblicke jedoch, wo ich mich näherte, erscholl ein vielstimmiges Gelächter. Ein plötzlicher Windstoß rauschte über die Alp, und da Helene die Bänder ihres Hutes aufgeknüpft hatte, wirbelte dieser hoch empor und unter allgemeiner Lustigkeit sank er in die steile Schlucht, kollerte daran hinunter und blieb in ansehnlicher Tiefe an einem Strauchwerk hängen.

Die Schlucht, welche die Alp vom Fuße der Jungfrau trennt, ist ein eigenthümliches Felsenthal mit jähen Wänden und schwindelnder Tiefe. So viel auch gelacht und in die Hände geklatscht wurde, der Hut kam davon nicht herauf; er lag ein paar Häuser tief unten und keiner der jungen Herren hatte Lust, das Stückchen zu wagen, um den Dank der schönen Dame zu ernten.

Wo ist Herr von Pannewitz? rief eine übermüthige Stimme, zugleich sah Helene sich um und ihr Blick fiel auf mich, nicht auf den Gesuchten neben mir. Ich las Freude darin, die überwältigend kam; sie hob ihre Hand auf, es schien als wollte sie mir entgegen eilen, im nächsten Augenblicke war ihr Gesicht bleich und ohne Bewegung.

Hier, Herr von Pannewitz, schrieen inzwischen ein paar der lachenden Damen, retten sie den Hut des Fräulein Arnold! Allein Herr von Pannewitz sah ich die Sache näher an und machte ein bedenkliches Gesicht.

Wenn ich ihn aus feindlichem Batteriefeuer holen sollte, sagte er, würde ich mich nicht einen Augenblick bedenken, zu solchen Klettereien bin ich jedoch durchaus schlecht organisirt.

Während er diese Erklärung abgab, war ich über die schützende Einfassung gestiegen und hinter mir hörte ich einen Schrei, der offenbar meinem Unternehmen galt, aber wunderbar süß und Muth machend in mein Ohr drang. Zugleich hörte ich Bäbli's Stimme, die mich abmahnte, sammt anderen Stimmen, die mir zur Umkehr riethen; aber, wenn Engel im Himmel oder alle Dämonen der Tiefe mir ihre Arme entgegengehalten hätten, ich würde sie fortgestoßen haben.

Im Uebrigen war es nicht so gefährlich, wenn man nicht etwa ins Ausgleiten gerieth. Ich hatte auf meinen Wanderungen in den Graubündtner und Gotthards-Alpen ganz andere Grate und Klüfte durchkrochen, wo ein einziges Fehltreten oder Schwindeln den unrettbarsten Tod zur Folge haben mußte. Hier gab es staffelartig vorspringendes Gestein genug. In wenigen Minuten war ich unten, ergriff den Hut und trat eben so schnell den Rückweg an unter dem Jubel der ganzen verehrten Versammlung, die sich über die Brüstung lehnte und Beifall klatschte, als sei ich ein Komödiant oder Seiltänzer, der ein Hauptstück glücklich ausführt und zu Ende bringt.

Als ich oben war, ging ich zu ihr und überreichte ihr den Flüchtling. Es war inzwischen von mir die Rede gewesen, Pannewitz hatte Alles erzählt, was er wußte, ich war somit eine legitimirte Person. Helene nahm den Hut mit einigen Worten des Dankes an, die in dem Stimmengeräusch untergingen. Sie war noch immer bleich, und eine lebhafte Unruhe in ihren Augen, die mich so fragend, forschend und bittend zugleich anblickten, daß ich den Zustand ihrer Seele recht gut daran zu erkennen glaubte.

Nein, hier war keine Erkennungsscene möglich, und was überhaupt sollte die uns? Ich blieb vollkommen kalt und wollte mit einer Verbeugung mich entfernen, als der große Künstler mich plötzlich festhielt. Er hatte mich erkannt und bewillkommnete mich zu Helene's Erstaunen mit vielen Freundschaftsbeweisen, indem er der Gesellschaft erzählte, welche Dienste ich ihm geleistet hätte.

Diese Mittheilung belustigte und beschäftigte in sehr verschiedener Weise. Herr Streichenberg war allerdings eine lächerliche Person, auch bei dieser Gelegenheit konnte er allerlei Bemerkungen nicht unterdrücken, die seine vorherrschenden Leidenschaften kund gaben, und es dauerte nicht lange, so hatte Pannewitz sich seiner bemächtigt und machte ihn zum Gegenstand grober Spöttereien, die Helenen wehe thun mußten, ohne daß sie, wie ich glaube, den Muth hatte sich einzumischen.

Der Oberst, Bäbli und Werner hatten sich inzwischen längst zu uns gesellt und an lachend gesprochenen Vorwürfen für mich fehlte es nicht.

Was machen Sie für Geschichten, sagte Bäbli. Wäre Einer hineingelaufen, hätte den Wirth gerufen, der würde bald Rath geschafft haben.

Sehen Sie, theure Bäbli, sagte ich, das ist es eben, wo unsere Naturen sich weit von einander trennen. Sie sind immer bedächtig, wissen immer den richtigen Weg; ich aber – ich warf einen raschen Blick auf Helenen hinüber – ich bin wirklich ein Deutscher und kann's nimmer verläugnen. Ein Bischen Träumerei und Schwärmerei klebt mir, ich weiß nicht wo, im Kopf oder im Herzen fest, und treibt mich zu allerhand vertrakt romantischen Streichen, wenn's auch Leute giebt, die da meinen, ich gehörte ganz und gar zu den eingetrockneten, verschrumpften Verstandesseelen.

Das gab zu allerlei anderem Scherz Veranlassung, aber Helene mischte sich nicht hinein. Nur einmal sah sie mich an, als ich den alten, steifen Mann, ihren Künstler, in Schutz nahm, der unbarmherzig von Pannewitz mitgenommen wurde, als er behauptete, er sei selbst in Begriff gewesen, den Hut heraufzuholen. So gar schwierig sei es nicht gewesen, und das werthvolle, schöne Putzstück hätte doch da nicht bleiben, zerreißen und jämmerlich verkommen können. Dabei kam es denn heraus, daß der Hut ein Geschenk Streichenbergs ist, der von ihm rühmte, er sei aus Paris für eine hohe Dame hergebracht worden, von welcher er ihn erhalten habe.

Die lächerlichen Prahlereien gaben dem Lieutenant Stoff genug seinen Witz zu üben, ich machte jedoch ein paar Bemerkungen, die zur rechten Zeit kamen, und Helene heftete ihre Augen dafür voll Dankbarkeit auf mich. Jetzt hatte ich aber auch den Künstler völlig gewonnen, der sich an uns nestelte, als gehorche er dem Zuge seines Herzens. Der Oberst wurde von ihm in Beschlag genommen und dieser mit seiner geduldigen Ruhe paßte auch am besten, um die langstyligen Geschichten und dieß Gemisch von Hochmuth und Demuth, von selbstgefälliger Anmaßung und widerlich anschmiegender Unterthänigkeit in Empfang zu nehmen.

Ich saß schweigsam lange daneben; Bäbli und Werner hatten für sich zu thun, Helene wurde von den Damen und ihrem aufmerksamen Anbeter umringt; so hatte ich Zeit genug zum Beobachten.

Das ist auch ein praktischer Mann, dieser berühmte Maler, aber wie kleinlich, wie ganz ohne Würde, ein verschrumpfter Egoist und dennoch ein Künstler von hohem Ruf! Er erzählte von seinen vornehmen Gönnern, von seinen Auszeichnungen, von den Ehren, mit denen er überschüttet war, und seine kindische Eitelkeit blähte sich widerwärtig dabei auf; aber er machte auch allerlei treffende Bemerkungen, und was er über die Verschwendungssucht, den Leichtsinn und die Thorheiten der jetzigen Menschen sagte, die Alles besser wissen und die Welt umstürzen wollten, war viel zu sehr im Geiste des Obersten gesprochen, um ihm nicht zu gefallen. –

Das Berner Oberland ist der Sitz des Radicalismus in diesem Canton; Kuni hatte viel darüber zu schelten, und Streichenberg, der mehre der alten, reichen Patrizierfamilien kannte, stimmte ihm so kräftig bei und lobte die alte, schöne Zeit, wo der Bauer noch nicht Herr sein wollte, so begeistert, daß eine Art Freundschaft zwischen den beiden Herren entstand. Ein reicher Mann, angesehen, mit Fürsten und hohen Personen bekannt und dabei einfach und genau, wird immer ein günstiges Vorurtheil bei einem Schweizer erwecken, und doch ist der Oberst von diesem großen Künstler himmelweit unterschieden.

Es dauerte nicht lange, so war das Gespräch auf den kostbaren Aufenthalt in der großen Pension gekommen, die, wie Streichenberg sagte, ihm äußerst zuwider sei und welche er nur gewählt habe, weil Fräulein Arnold es so bestimmte. Er beugte dann seinen Kopf näher zu uns und flüsterte leiser:

Fräulein Arnold ist eine junge Dame, die unter meinem besonderen Schutz steht und derentwegen ich auch allein hier verweile, um das Glück ihrer näheren Bekanntschaft zu haben. – Wo haben Sie das Fräulein denn angetroffen, Herr Hagen? fragte er mich dann, nachdem er bedeutsame Blicke nach allen Seiten gethan.

In Schaffhausen am Rheinfall, war meine Antwort, deren Folge mir erst einfiel, als ich in Werners Gesicht sah, welcher so eben herbei trat.

So, so! erwiderte Streichenberg, sie erwartete mich in Schaffhausen, doch ich konnte nicht kommen. Ein liebenswürdiges, geistvolles Fräulein, voller Kunstsinn, weit über alle Gewöhnlichkeit erhaben. –

Er sah mich an, als sei ich diese Gewöhnlichkeit, lächelte selbstgefällig und fuhr dann fort:

Die Pension ist für uns beide unangenehm; sagten Sie nicht, daß noch Platz in Ihrem Hause sei, Oberst Kuni?

Zwei kleine Zimmer und nicht die besten, erwiderte dieser, dem auch nicht ganz wohl bei der Aussicht auf diese Hausgenossenschaft werden mochte.

Alles genug, tausendmal genug! rief der Künstler, Einfachheit, Mäßigkeit, Genügsamkeit! das sind die Würzen des menschlichen Lebens. Ein Kämmerchen klein und behaglich, der Tisch ländlich, schmackhafte Bürgerlichkeit und drei Franken ohne Nebenausgaben, he?! – Alles in Allem, nur keine Seitenkniffe und Pfiffe.

Der Oberst beruhigte ihn über diesen Punkt und eine innere Wohlbehaglichkeit lagerte sich auf seinem Gesicht. Er wandte sich um, winkte dem Fräulein, und Helene folgte seinem Gebot. Sie machte sich frei und kam zu uns.

Liebes Herzchen, sagte er, indem er ihre Hand nahm, da findet sich eine prachtvolle Gelegenheit, so ein recht ruhiges, gemüthliches Dasein zu führen. In dem Hause, wo der Herr Oberst mit seiner Familie wohnt und auch Herr Hagen wohnt, giebt es noch Platz für Sie und mich.

Zwei kleine Zimmerchen oben, fiel Kuni nochmals ein.

Aber eine herrliche Aussicht im Garten! fuhr er lebhafter fort. Die Jungfrau gerade gegenüber und das ganze Thal. Ein Balkon, wo wir sitzen können und ungestört sind, keine alberne Gesellschaft, kein Lärm, keine Unruhe.

Und Alles für drei Franken, murmelte ich, zu ihr aufblickend.

Mir war sonderbar zu Sinne. Unsere Augen begegneten sich, sie sah mich lächelnd an, ich wußte sie würde nein sagen, aber, mein liebes Hedchen, sie sagte ja! und plötzlich war es mir, als thäte sich ein Himmel in mir auf, und Engel mit ungeheuren Posaunen und Trompeten flogen darin umher wie in unseres alten Onkels altem Saal mit der schönen Stuckaturarbeit. Ein Gefühl ergriff mich, ich weiß nicht wie ich es nennen soll, eine Lust, ein Glück – beinahe wie damals in dem Pavillon des guten, trefflichen Agassiz, als ich zu ihren Füßen lag.

Viel fehlte nicht, so hätte ich mich auf sie gestürzt und, mochte geschehen was da wollte, sie geherzt und geküßt, denn ich wußte nun ganz fest und bestimmt, wie es mit uns stand. Zur rechten Zeit besann ich mich, stand auf und machte mich davon, als wollte ich nichts das mit zu thun haben, aber ich war ein anderer Mensch geworden. Ich ballte meine Hände zusammen in unbezwinglicher Lust, daß alle Muskeln sich streckten, es war mir, als müßte ich etwas Unerhörtes, Tolles, Rasendes beginnen. Ich hätte den Pannewitz aufheben und mit ihm über das Geländer in die Schlucht springen mögen. Jubelnder Lebensmuth in seiner ganzen Göttlichkeit füllte meine Brust. Ich scherzte mit allen Damen, lachte ausgelassen über Nichts, sagte Unsinn, der dankbar anerkannt wurde, erregte Bewunderung und war, was Du mir immer abgesprochen hast, so liebenswürdig unterhaltend, daß der arme Lieutenant schweren Neid empfand, denn er zog mich endlich fort, um mir zu sagen, daß ich famos sei und allen Damen die Köpfe verrücke.

Lieber Pannewitz, antwortete ich ihm, ich lasse sie Ihnen alle, auf mein Wort! denn ich habe mein Theil, und Eine ist mir vollkommen genug.

Was? rief er. Sie sind festgemacht?

Ich denke ja, aber heut fragen Sie mich nicht weiter.

Gut, sagte er, ich kann warten. Aber was sagen Sie zu meiner Eroberung?

Suchen Sie diese zu sichern.

Damit hat es keine Noth! rief er lachend. Der alte Mensch ist in seiner Kunst famos, aber in der Liebe ein Ungeheuer aus der Fabel, das jedem dieser schönen Kinder Entsetzen einflößt.

Bah! sagte ich, sie lieben ihn nicht, aber sie heirathen ihn.

Nein, erwiderte er, sie heirathen Männer, die sie nicht lieben, allenfalls verstehen sie sich auch dazu, einen lächerlichen Burschen zu nehmen, den sie beherrschen, sein Geld verthun und mit seinem Namen und Titel sich breit machen können; aber dies Ungeheuer ist geizig, zänkisch, eigensinnig, und jene feine, junge Schwärmerin hat nur ihre romantische Grille verfolgt, so lange sie ihn nicht sah. Wäre er schlau genug zur Heuchelei gewesen, hätte sie ihren Traum vielleicht weiter geträumt; das vermochte er aber nicht, und glücklicher Weise hat sie auf ihrem Wege einen Mann kennen gelernt, der ihr Herz und ihre Augen öffnete.

Ich war so einfältig überrascht, daß ich lebhaft fragte: Wie, Pannewitz, hat sie Ihnen etwas davon mitgetheilt?

Mitgetheilt, nein! aber ich denke, das fühlt sich leicht heraus, sagte er sich in die Brust werfend. Ich habe Erfahrungen!

Ah so! rief ich, Sie sind der Herzens- und Augenöffner. Nun, Glück auf! die Liebe erwartet, daß jeder Mann seine Schuldigkeit thue.

Und nun, mein Schwesterchen, war es an mir, meine Rolle zu spielen und mein Herz mit Energie zu füllen. Ich ging zurück zu Helenen, die inzwischen mit Bäbli sich unterhalten und ein freundschaftliches Verständniß eingeleitet hatte. Sie ging mit ihr und Werner auf und ab, ich aber setzte mich zu den beiden Herren und nahm ehrbar Theil an ihrer Unterhaltung, wodurch mir die Gewißheit wurde, daß Alles in Ordnung sei.

Meine Zurückhaltung trug ihre Früchte, Herr Streichenberg beglückte mich mit verschiedenen Beweisen seiner Huld, fragte mich über meine Verhältnisse aus, hörte mit Theilnahme zu, daß ich nur noch kurze Zeit verweilen, dann nach Haus gehen und tüchtig arbeiten würde, und erklärte zuletzt, daß er entzückt von dem Gedanken sei, mit mir unter einem Dache zu wohnen.

Ich glaube wirklich, daß es damit seine Richtigkeit hatte, denn wir sprachen unter Anderem auch von Farben und Farbenmischungen, von neuen Erfindungen auf diesem Gebiet, vom Nachdunkeln der Bilder, Anwendung der Oele, Auflösung des Kopallacks, Farbendruck nach englischer Art und anderen Dingen, die sein Interesse erregten und von denen er Nutzen zu ziehen meinte. Seine Schmeicheleien waren mir fatal und sicher habe ich nichts gethan sie zu erwidern, weit eher ihm abweisende Kälte bewiesen; aber je mehr ich diese herauskehrte, um so zudringlicher wurde er.

Nach einigen Stunden traten wir gemeinsam den Rückweg an, weil Streichenberg darauf bestand, um vier Uhr wieder im Hotel zu sein, damit das Mittagessen nicht versäumt werbe.

Das wäre doch nicht zu verantworten, sagte er, wenn man, um noch etwas länger den Schneekegel und die Luft anzustarren, die überdies schon kalt genug werde, das wohlbezahlte Diner im Stich lassen und dem gierigen Wirth im Haslithale in die Hände fallen wollte.

Er dachte aber sicher nicht allein so, denn obwohl er verhöhnt wurde, folgten doch Alle seinem Beispiele, die ganze Gesellschaft brach auf. Den steilen Abhang hinunter mußte ich den Künstler schleppen, denn er hing sich mit voller Macht an meinen Arm und flüsterte mir dabei vertraulich zu, daß er im Ganzen keine acht Batzen ausgegeben habe; denn die Butterbrote hätte er beim Frühstück zusammen gewickelt und das Pferd habe er nicht genommen, das sei dem Fräulein Arnold von dem vorlauten Herrn von Pannewitz aufgedrungen worden, der nun auch zusehen möge, wie er es los würde.

Trotz dessen aber nahm er dies nützliche Thier von Neuem in Beschlag und drängte sich zum Aerger des Führers und zum allgemeinen Aerger in den Tragsessel, während Helene mit Bäbli und Pannewitz vorauslief. Endlich waren wir unten, fanden die wartenden Wagen und kehrten nach Interlachen zurück.

Mich ärgerte es zunächst, daß Helene allen Anordnungen dieses Mannes mit einer Unterwürfigkeit Folge leistete, die sonderbar zu der selbständigen Willenskraft abstach, welche sie früher bewiesen hatte. Er behandelte sie obenein mit einer Herrschaft, die sich wenig Zwang auflegt, ganz wie ein Papa, der gewöhnt ist, sein Familienansehen geltend zu machen. Abschied nahmen wir kaum. Sie winkte Bäbli zu und gab uns einen allgemeinen Gruß, von dem sich Jeder nehmen konnte, so viel er wollte. Aber gegen Pannewitz hatte der alte Schlaukopf eine geheime Verschwörung angezettelt, die mich belustigte. Als dieser ihm Helenen entführen wollte, fand er ihn am Platze, und seinem Willen gehorchend mußte sie ihm zu dem Sitze folgen, den er für sie bestimmte.

Du kannst denken, mein Hedchen, daß, als wir zu Haus waren, das Gespräch sich vornehmlich auf jene beiden so ganz verschiedenen Menschen wandte. Jeder hatte von ihnen allerlei gehört, im Allgemeinen aber kam es auf dasselbe heraus. Bäbli war ganz erwärmt von Helene's Liebenswürdigkeit, sie hatte ihr so gut gefallen, daß sie Alles für falsch und erlogen erklärte. –

Ein vernünftiger Mensch, sagte sie zuletzt voller Eifer, wird nimmer daran glauben, daß eine feine Dame sich solchen Mann aussuchen kann und ihn heirathen will, weil er schöne Bilder malt.

Aber wie oft ist es vorgekommen, erwiderte ich, daß ein Greis eine junge schöne Frau nahm. Und werden denn nicht auch hier in der Schweiz Mädchen auf diese Weise versorgt?

Ich habe es nicht gethan, rief Bäbli, indem sie Werner anschaute, hätte nie darein gewilligt, mir einen Mann, den ich nicht mochte, aufzwingen zu lassen. Wenn es aber geschieht, so ist es eben Zwang, freiwillig thut es keine, und das wäre eine verkehrte Welt, wenn jene da, die schön und reich und frei ist, sich und ihr Gut an den hangen wollte, den ihr Herz nicht möchte.

Dagegen ließ ich nicht einwenden.

Wir wollen's abwarten, sagte Bäbli, bis sie hier ist. Da werden wir's bald schauen, wo der Haken sitzt, der sie gefangen hat.

Am Abend faßte mich Werner an die Schulter und sah mir ins Gesicht.

Nuh, sagte er, möchte auch ein Wort mit Dir reden, Ludwig, obwohl Du die Lippen selbst aufmachen könntest. Es ist doch Dein schönes Fräulein vom Rheinfall und hat sich nicht verflüchtigt, wie Wasserstoff.

Nein, Werner, rief ich lachend, ich denke, es ist edler Sauerstoff, der zu meinem Leben nothwendig ist.

Und es giebt halt ein Knallgas, das nächstens explodiren wird, schrie er mit seinem seligsten Grinsen.

Ich denke, ich halt's aus, Werner, und wird mich nicht zersprengen, sagte ich, setzte mich zu ihm und erzählte ihm Alles.

Was meinst Du, was ich thun soll? fragte ich dann.

Er wiegte sich bedächtig hin und her, endlich sprang er auf.

Ich will's für dich thun, wenn Du nicht selbst den Muth dazu hast, sagte er, zu Ende mußt Du es bringen. Tritt hin und sprich, da bin ich, und streck deine Hand aus, so wird auch die Stimme des Herzens sprechen, wie bei Bäbli. Wenn's nichts damit wäre, hätte sie keinen Schritt in dies Haus gesetzt. Kannst Deiner Sache gewiß sein, Ludwig.

Ich bin es auch, erwiderte ich. Ich weiß es seit heut, daß sie mich liebt, weiß, daß sie mein sein muß, wenn ich nicht elend werden will. Mein Freund, mein Bruder, jetzt erst verstehe ich Dein Glück, jetzt erst weiß ich, was leben heißt.

Er kühlte mich ab mit seinen Scherzen über meine Weißglühhitze, war aber doch selbst warm genug. Wir saßen spät beisammen, wie in jener Nacht, wo es sich um Bäbli handelte, doch mit ganz anderen Empfindungen.

Und nun, lieb Schwesterchen, morgen wird sie kommen!


Den 23. August.

Ich habe erreicht, was ich wollte, Alles hat sich erfüllt, sie ist mein. Noch weiß es Niemand, morgen schreit es der Tag aus – Niemand, doch ja, er weiß es, der sie mir lassen mußte und mir ließ, wie ein Feigling, wie ein Dieb, der seine Beute abwirft, weil er das Gold in Blei verwandelt sieht.

Er kam heut früh und miethete sich ein; eine Stunde später führte er Helenen ins Haus; ich stand an meinem Fenster und sah sie kommen. Sie warf einen frohen Blick herauf, ich hielt mich verborgen und konnte ihn auffangen. Ihre Augen suchten mich, ich sah es ihnen an, mir wurde unsäglich wohl dabei, wie gern wäre ich hinab geeilt, hätte sie empfangen! Gleich darauf hörte ich ihre helle Stimme auf dem Gange. Eines der Zimmer, das sie haben sollten, liegt dem meinen gegenüber, das andere jenseit der Treppe, die das Haus theilt.

Wer wohnt hier? fragte er.

Man sagte es ihm.

Ich glaube, fiel sie ein, daß dies das passendste Kämmerchen für mich sein wird.

Nicht doch, Herzenskind, erwiderte er in seinem Amtstone, jenes ist weit bequemer für Sie, dies will ich behalten.

Damit war die Sache abgemacht, Helene that keinen Einspruch.

Ich stand hinter der Thür und streckte meinen Arm drohend aus.

Bösewicht! sagte ich, thue was du willst, es soll dir nichts helfen.

Die Koffer wurden gebracht, die Jungfer begleitete die Träger, ich machte mich hinunter und begegnete ihr. Als sie mich sah, klärte sich ihr Gesicht auf.

O, Herr Hagen, flüsterte sie halblaut, Gott sei Dank, daß Sie hier sind!

Haben Sie mich vermißt? fragte ich.

Ich? ach ja! ich auch; aber mein Fräulein – ich denke noch viel mehr. Es ist abscheulich! –

Ihre vertrauliche Mittheilung wurde durch den Husten des Künstlers oben auf dem Gange unterbrochen. Sie lief die Treppe hinauf, doch ihr Blick und ihr einladendes Lächeln verhießen mir das vollständigste Bündniß, und wenn die Weltgeschichte erzählen könnte, was Kammerjungfern Alles angestiftet haben, würde Vieles ganz anders lauten.

Im Garten traf ich mit der Familie Kuni und mit Werner zusammen. Ich weiß nicht, ob dieser etwas geplaudert hat, oder ob sich mein böses Gewissen allerlei einbildete, genug sie beobachteten sämmtlich ein ernsthaftes Schweigen, sprachen von vielen gleichgültigen Dingen und endlich auch nebenher von dem Einzug der neuen Gäste, ohne ein Wort über die besonderen Verhältnisse zu verlieren. Entweder war es ihnen unangenehm, oder sie wollten sich nicht hinein mischen. Abgeschlossen in sich sind alle Schweizer; lebhafte Theilnahme für Dinge, die sie nicht selbst treffen, ist ihre Sache nicht, das Geschäft ist immer die Hauptsache; diese aber nehme ich doch aus. Der Oberst ist ein Mann, der wirklich ein Herz von Fleisch und Blut hat, keinen Kornsack oder eine Eisenstange.

Als Streichenberg und Helene endlich zu uns kamen, sah ich ihm an, wie seine Empfindungen sich regten. Seine innere Abneigung gegen den kriechend freundlichen, geschwätzigen und großsprecherischen Mann ließen sich nicht ganz verbergen. Er ging bald fort, um einen Freund zu besuchen, und drückte mir die Hand, was sonst nicht seine Sache ist.

Und wie wir den Tag gemeinsam verlebt haben, liebe Hedwig In der Vorlage »Helene«., davon könnte ich eine Herzensgeschichte erzählen. Wir kümmerten uns scheinbar nicht um uns, selbst unsere Augen vermieden sich, als wüßten sie, daß ein magnetischer Strom sie dann auf immer an einander fesseln würde. Streichenberg saß zwischen uns, wie das schwarze Gespenst aus Tausend und Einer Nacht, das beim ersten Laut, woran es die verzauberte Prinzessin und ihren Geliebten erkennt, diesem den Hals umdrehen will.

Mißtrauisch gegen mich war er jedoch nicht, im Gegentheil er zeigte sich heut noch viel zärtlicher, wie gestern, und als wir durch den Garten spazierten, schüttete er seinen Unmuth über die Zudringlichkeit fataler Gecken aus, denen er nun glücklich entgangen sei, bat mich dringend, doch ein paar Tage länger zu bleiben, rechnete mir vor, daß man gar nicht schöner und sparsamer leben könnte, wie an diesem vortrefflichen Orte, und that dann endlich die Querfrage, ob ich etwa von einer geheimen Sehnsucht nach Haus gezogen würde?

Wohl möglich, sagte ich lachend; wollte ich meiner Sehnsucht folgen, so würde ich nicht mehr hier sein.

Du siehst, mein Hedchen, ich sprach wie das Delphische Orakel, er war jedoch ganz entzückt davon, grinste wie ein Affe, that noch ein paar bezügliche Fragen, die ich in ähnlicher Weise beantwortete, und griff mich dann unter den Arm. Sie sind ein so verständiger, trefflicher junger Mann, sagte er, daß ich gewiß bin, Sie haben eine ausgezeichnete Wahl getroffen.

Wer dächte das nicht, erwiderte ich, und wer ist dessen gewiß?

O! sagte er, wer vorsichtig zu Werke geht, wird selten getäuscht.

Und Sie, antwortete ich, indem ich ihn schlau lächelnd ansah, Sie gehen vorsichtig.

Was meinen Sie denn? Was meinen Sie denn? fragte er vergnügt.

Nun, sagte ich, ich meine, was alle Welt meint.

Nun ja, vielleicht könnten Sie Recht haben, lachte er auf. Aber in meinem Alter entschließt man sich schwer. Man will geheirathet sein, wenn man vierzig Jahre alt geworden ist.

Er zählte deren wenigstens fünfzig und ich hatte Mühe, ihm nicht ins Gesicht zu lachen, wenn ich meine Irrthümer und die Wahrheit, die vor mir stand, verglich; aber es stimmte mich wieder ernsthaft genug, als er mit dem eitelsten Hochmuth mir erzählte, daß dies edle, hochgebildete Mädchen ihm mit einer Innigkeit anhänge, die ihn aufs Aeußerste rühre und zu Allem bewegen könne.

Das heißt, sagte ich, Sie wollen Ihren unsterblichen Ruhm mit ihr theilen, sie zu Ihrer Höhe erheben! – der Zettel regte sich wieder auf meiner Brust.

Er sah mich an, als besänne er sich auf etwas.

Mein lieber junger Freund, flüsterte er dann, das ist es eben, was noch überlegt sein will. Wenn ich sie würdig finde, wie ich wohl glaube, so bin ich wirklich dazu bereit. Sie ist sehr liebenswürdig, besitzt ein bedeutendes Vermögen, wonach man auch fragen muß, aber ich werde ihr Manches noch abgewöhnen müssen, um sie weiter heran zu bilden.

In dem bedauerlichen Tone, den er mit einem Blicke begleitete, als wollte er mir noch etwas Besonderes vertrauen, wurde er plötzlich durch eine Stimme unterbrochen, die ihn in heftigen Zorn versetzte. Pannewitz war gekommen und hatte sich zu Helenen an den Tisch gesetzt.

Da ist der Mensch wieder! rief er ingrimmig. Das ist die Schlange, die uns hier umkriecht. Wenn ich den los wäre, so wäre Alles gut. Aber er soll mir hier nicht kommen, ich will ihn nicht haben. Helfen Sie mir ihn fortbringen. Er soll nicht mehr in ihrer Nähe sein.

Ich müßte mich irren, sagte ich, oder dieser Herr ist nicht sehr fürchterlich.

Ich kenne seine Pläne, murmelte er. Menschen von dieser Art, galante Zungendrescher, lackirt von oben bis unten, sind für den Leichtsinn der Weiber geschaffen.

Doch nicht für Helenen, sagte ich.

Er ließ sich davon nicht anfechten und kam eben zur rechten Zeit, um die vorwurfsvollen Klagen seines Widersachers über die geheimnißvolle Flucht aus der Pension nachdrücklich zu beantworten.

Geheimnißvoll nennen Sie das? fragte er höhnisch. Was wir thun, ist öffentlich, warum hätten wir auch Geheimniß nöthig? Wir ziehen beide diese ruhige, schöne Wohnung und unsere jetzige Gesellschaft vor, von welcher wir nicht belästigt werden. Habe ich nicht Recht, Fräulein Arnold? Reden Sie doch, liebes Kind, ist Ihnen hier nicht weit wohler? Haben Sie irgend ein Verlangen nach der Welt dort drüben?

Mein Verlangen, antwortete sie leise lächelnd, ist erfüllt.

Pannewitz wurde geschlagen in Allem, was er vorbringen mochte. Er hatte eine dicke Haut, gute Ausdauer und schadete Streichenberg so viel er konnte, zuletzt aber mußte er doch abziehen, ohne einen Spaziergang, eine Spazierfahrt oder irgend eine Verabredung erreichen zu können. Es gab eine peinliche Schlußscene zwischen den beiden Herren, denn der Künstler verbat sich ziemlich deutlich jeden ferneren Besuch, während Pannewitz ihm eben so deutlich merken ließ, daß er nicht im Entferntesten etwas von ihm wünsche. Er sah lachend und höhnend über ihn fort, richtete seine Bitten und Artigkeiten nur an Helenen, ärgerte den zornigen Mann bis zum letzten Augenblick und bat mich zuletzt, ihn zu begleiten, was ich that, um den Auftritt zu beenden.

Und nun kam das Lustigste von Allem. Wir gingen den großen Gang hinab nach dem Kloster, wo es einsam war und wo der arme Pannewitz plötzlich einen ritterlichen Dienst von mir forderte. –

Sie müssen mir helfen, Hagen, sagte er leidenschaftlich erregt, ich beschwöre Sie!

Muß ich? fragte ich. Wozu?

Es bleibt nichts weiter übrig, rief er. Ich muß Helenen aus diesen Fesseln befreien, ich muß sie entführen!

Glauben Sie, antwortete ich lachend, daß sie darauf eingeht?

Hörten Sie nicht, erwiderte er, was sie sagte, indem sie mich ansah? – Mein Verlangen ist erfüllt! und dabei traf mich ein Blick, so sehnsuchtsvoll wie der Blick einer Taube in den Klauen des Falken. – Ich war darauf vorbereitet von dem alten Tiger bewacht zu werden, habe im Voraus meine Entschlüsse gefaßt und ein Briefchen geschrieben. Um Alles in der Welt! Sie müssen es ihr geben.

Ich zögerte, endlich nahm ich es.

Weiter aber verlangen Sie nichts von mir, sagte ich. Ihr Brief soll richtig in die Hände des Fräuleins kommen.

Doch die Antwort?

Antwort sollen Sie morgen erhalten. Ich will dafür Sorge tragen.

Er war voller Dank und Freude, ich konnte mich lange nicht von ihm los machen. Endlich versprach er mir ruhig zu erwarten, welche Nachrichten er erhalte; er war jedoch des Erfolges so gewiß, daß er nach Thun schreiben und Postpferde bestellen wollte.

Welche Intriguen, lieb' Schwesterchen, und ich in deren Mitte, lachend und glücklich unter allen diesen Schrecken! Ich kam nach Haus, es war Mittagzeit, wir aßen zusammen; ich so voll von guter Laune, daß ich damit den ganzen Kreis der Freunde ansteckte; doch alle meine Aufmerksamkeit war Bäbli gewidmet, alle meine Scherze richteten sich an sie.

Die Neckereien wurden von ihr erwidert und die Stunden liefen schnell hin, der Abend brach herein, ehe wir es dachten. Es war ein wundervoller, entzückender Tag gewesen; der Himmel so rein und tief blau wie selten, die Abendluft so mild und durchsichtig, Thal und Berge wie von goldenen Rahmen eingefaßt.

Der vorsichtige Streichenberg war aber nicht zu bewegen, eine Wanderung nach dem Abendhügel zu machen, wie Werner vorschlug. Er wolle sich heut ausruhen, sagte er, und sein Herzenskindchen sei auch ermüdet. – Nicht von der Stelle dürfe es, und hier sei ja die allerbeste Gesellschaft, die man haben könne.

Er fürchtete ohne Zweifel, daß der verwegene Nebenbuhler irgendwo im Hinterhalte lauern würde, und wollte sich vor jeder Gefahr sichern; allein er bot Helenen Ersatz dafür durch seine eigene angenehme ununterbrochene Gegenwart und durch ein Uebermaß von Liebenswürdigkeit und Zärtlichkeit, die mich höchlichst belustigte, ihn aber noch viel fataler machte. Ich bewunderte die sanftmüthige Ergebenheit, mit der sie Alles ertrug. Bald nahm er ihre Hände, um diese entzückend fein und schöngeformt zu finden, dann aber küßte er halbverstohlen ihre Fingerspitzen und flüsterte ihr etwas ins Ohr, erzählte dann wieder von schmeichelhaften Huldigungen, welche Fürsten ihm gemacht, von hohen Damen, die ihm ihre Gunst geschenkt, von den kostbaren Geschenken, welche er erhalten, mit wie vielen Notabilitäten er umgehe und wie sich die bedeutendsten Menschen an ihn drängten. Das war sicherlich auf besondere Wirkung berechnet. Aber mit diesen Prahlereien mischten sich auch alberne Anekdoten und grobe Spaße, Züge seiner Engherzigkeit und heuchlerische Phrasen über Weltverderbniß, sündige Eitelkeit und Verkehrtheit der jetzigen Zeit, die wir zur Genüge kannten.

Der Oberst stimmte heut nicht bei, es wurde überhaupt, je länger es währte, je schweigsamer in unserm Kreise und endlich war ich allein mit ihm.

Der Mond stieg eben in voller Pracht auf. Ich hatte wohl bemerkt, daß Helene in die Tiefe des Gartens gegangen war, sie mußte auf der Terrasse sein. Ich stand auf, um ihr zu folgen.

Er kam mir nach aus der offenen Halle, in welcher wir unseren Thee getrunken hatten, und hielt mich fest.

Sie haben mir heut einen so sehr freundlichen Dienst geleistet, sagte er, daß ich Ihnen immer verpflichtet sein werde. Haben den ungeschliffenen Menschen fortgeschafft, der uns den ganzen Tag verdorben hätte; he, wie wäre es? Wollen Sie mir sitzen? Ich will Sie malen.

Ich schlug es natürlich aus.

Gut, rief er, aber das müssen Sie mir zusagen: Wenn wir uns wiedersehen, male ich ihre Braut oder ihre junge Frau.

Das nahm ich dankbar an.

Und eher dürfen Sie uns nicht verlassen, fuhr er fort, bis dieser Herr von Pannewitz vollständig zur Ordnung gebracht ist. Versprechen Sie mir das, lieber junger Freund.

Wenn Sie es wünschen, ja, sagte ich.

Pannewitz war bei ihm zur fixen Idee geworden, er witterte ihn überall, drängte mich mit Fragen und schien sogar besorgt, er könnte in der Nähe sein.

Ich traue diesem Menschen Alles zu, seufzte er. In Geschöpfen dieser Art ist weder Ehre, noch Recht, noch Pflichtgefühl. Sie sind eine Ausnahme von den jungen Männern dieser Zeit, die nichts im Sinne haben, als Liebelei, Schwelgerei, Sinnentaumel, und wie sie verwirren und verführen können.

Ich fühlte Mitleid mit ihm.

Trauen Sie mir nicht zu viel zu, sagte ich; doch von dem, was Sie anklagend anführen, bin ich allerdings entfernt.

Was Sie thun, erwiderte er, ist jedenfalls immer auf Gewissen und Recht begründet.

Das ist es! rief ich aus. Verlassen Sie sich darauf. Was aber den leichtsinnigen Offizier betrifft, so wird er wenigstens vor morgen nichts von sich hören lassen.

He, und dann? Was will er morgen thun?

Wahrscheinlich einen verwegenen Antrag machen.

Wird er? Wie! Einen Antrag? Oho! Das sagte er Ihnen?

Er lachte laut auf.

Damit mag er kommen, er wird die Verachtung finden, die er verdient.

Gewiß, aber um ihn völlig zu vernichten, giebt es nur ein Mittel.

Ein Mittel! Welches Mittel? flüsterte er.

Wenn Fräulein Arnold die erklärte Braut eines Mannes ist, dem sie Herz und Hand reichen will, wird Herr von Pannewitz es nicht mehr wagen, sie zu belästigen.

Er schwieg und ging zehn Schritte langsam mit mir in tiefer Ueberlegung. Ich hatte beschlossen, es jetzt zu Ende zu bringen.

Wo ist denn mein Herzenskindchen? fragte er plötzlich den Kopf aufhebend in einem Tone, der mich erkennen ließ, was er wollte.

Sie sitzt dort hinter den Bäumen auf der Terrasse. Aber es wird kalt und feucht. Mondnebel steigen aus dem sumpfigen Thalboden.

Er schüttelte sich bedenklich und ängstlich.

Es ist wahr, sagte er, ich fühle es auf der Haut. Leichtsinniger Weise habe ich nicht daran gedacht. Der Oberst ist klüger, da brennt schon Licht oben in seinem Zimmer. Warten Sie eine Minute, bester Freund, ich hole meinen Mantel.

Als er fort war, ging ich durch den kleinen parkartigen Garten, der mit hohen Bäumen, Ulmen und Espen, größtentheils angefüllt ist. In silberner Klarheit leuchteten die Wipfel, kein Blatt regte sich, unten war schwerer Schatten, überall Stille und Frieden.

Als ich aus dem dunklen Gange trat, sah ich Helenen auf dem Altan sitzen. Umglänzt von dem Himmelslichte, wandte sie ihre Augen ihm zu, und als ich heraufstieg, bewegte sie nur den Kopf ein Wenig nach mir. Ein unbeschreiblich süßes, sanftes Lächeln füllte ihr Gesicht, ich kniete an ihrer Seite nieder, ergriff ihre Hand, preßte sie in der meinen fest und sagte aus tiefster Brust, wie damals in Agassiz' Hütte:

Du lebst, ich bin bei Dir!

Eine Minute lag ich so, dann plötzlich fühlte ich ihre andere Hand auf meiner Stirn, ihre leuchtenden Augen, wie Sterne, vor meinen Augen, ihren Athem, wie göttlichen Hauch mich anwehen, einen Schauer entzückender Luft durch alle Nerven rieseln und ich hielt sie in meinen Armen, ihre Küsse strömten, ein Feuerstrom, auf meine Lippen. Die klare, kalte, funkelnde Eispyramide der Jungfrau leuchtete dazu als Brautfackel des Himmels, wie sie selten der Liebe zu Theil wird.

Da kamen Schritte und ein hohles Räuspern und neue Schritte dicht bei uns. Wir blieben in derselben Stellung, Helene hielt mich fest, mein Kopf ruhte auf ihrer Schulter. Eine Zeitlang hörte ich nichts, dann einen dumpfen knurrenden Ton, dann einen Fluch, der mit einem Aufschrei endete, und mit einer Wendung sah ich Streichenberg, bis an die Ohren in seinen blauen Mantel gehüllt und den breitgekrempten niedrigen Hut in die Stirne gedrückt.

Ohne Zweifel hatte er zuerst gemeint Pannewitz vor sich zu haben, jetzt schien der Mond in mein Gesicht und er erkannte mich. Ein namenloses Staunen fesselte seine Glieder und seine Zunge; er sah mich so stier an, als sei ich ein Dämon, den eine der Klüfte des Gebirgs ausgesandt und der meine Gestalt angenommen hätte.

Setzen Sie sich zu uns, sagte Helene, und lassen Sie uns zur Erklärung kommen.

Er blieb stehen ohne Antwort zu geben.

Ich nehme an, fuhr sie mit derselben Festigkeit fort, daß wir beide wissen, wie sehr wir uns getäuscht haben: Unser kurzes Beisammenleben während einer Woche hat die schwärmerische Unklarheit meiner Empfindungen von Grund aus zerstört. Ich habe Buße dafür gethan, habe heut besonders den ganzen Tag über dazu verwandt, um zu bereuen und zu bedenken, und glaube nun, daß kein Zweifel mehr zwischen uns bestehen kann.

Und er – der – der dort! sagte Streichenberg.

Mein Geliebter! rief sie, dem ich ewig angehören will, er hat mir Augen und Seele geöffnet. Sein Sie edelmüthig, hören Sie mich an, ich will Ihnen erzählen, wie wir uns gefunden haben und was geschehen mußte, um dies innige Verhältniß reifen zu lassen.

Ich danke für alles Vertrauen, danke für alle Mittheilungen! schrie Streichenberg. Ich bin hintergangen, betrogen worden. Ich kann mich trösten, ich verachte Ränke und Pfiffe sammt denen, die dergleichen treiben. Thun und machen Sie, was Sie wollen, denn Sie sind nicht werth –

Was er weiter im Hochgefühl seiner Erhabenheit sagte, verstand Niemand. Er verschwand, und erst nach Stunden folgten wir ihm nach.

Als ich in mein Zimmer trat, erwachte Werner in der Nebenkammer und richtete sich auf den Ellenbogen auf.

Nuh, sagte er, bist Du da, Ludwig? Hast es fertig?

Ja, mein alter Kamerad, rief ich jubelnd. Helene ist mein.

Wünsch Dir tausendmal Glück! antwortete er, mir die Hand schüttelnd und sich auf die andere Seite werfend. Wird eine Freude sein morgen, bei Bäbli und dem Vater. Ist Alles gut jetzt, streck Dich und mach das Licht aus.


Interlachen den 24. August.

Ja, es ist Alles gut, meine liebe, theure Hedwig! Wenige Worte sollen Dir mein Glück vervollständigen. Am Morgen, als ich aufwachte, sah ich Streichenbergs Koffer und Kasten zum Haus hinaus tragen und auf einen der Wagen packen, die an den See fahren, wo das Dampfschiff nach Thun abgeht. Er folgte hinterher mit Mantel und Regenschirm, Niemand begleitete ihn, kein Wort des Abschieds folgte; er blickte nicht zurück. Der böse Geist zog still von dannen; es war das Beste, was er thun konnte.

Nach einer Stunde klopfte ich an Helenens Thür. Sie kam mir entgegen, frischroth und blühend wie eine Alpenrose. Ich führte sie hinunter in das Eß- und Kaffeezimmer, wo Kuni, Werner und Bäbli erwartungsvoll saßen.

Hier ist sie! rief ich, als ich die Thür aufmachte. Meine Braut!

O! das Bäbli hat doch ein liebevoll Herz für ihre Freunde. Große Thränen liefen ihr aus den hellen Augen und wie sie mich trotzig ansah und lachte, rief sie, mit dem Finger drohend: Ich hätt's nicht eine Stunde ausgehalten, hätt's nicht gelitten, daß der böse alte Mann hier einen ganzen Tag lang plagen durfte; aber nun mag's sein, wir wollen's um diese Stund' vergessen!

Und das haben wir gethan, lieb Schwesterchen, wir haben vergessen alle Plage und alles Leid. Dem Pannewitz habe ich seinen Brief zurückgeschickt, ihm kurz gemeldet, was geschehen, mit allerlei Trost, den er sich zu Herzen nehmen wird. – Noch einen Lag mit Deinen Freunden hier, mein Hedchen, dann zu Dir in die Heimath, Helene mit mir; im nächsten Jahre aber reisen wir alle nach Schaffhausen und an den Rheinfall, der mir zuerst mein Glück in die Arme warf.



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