Theodor Mommsen
Das Römische Imperium der Cäsaren
Theodor Mommsen

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Kapitel IV

Das römische Germanien und die freien Germanen

Beschwörung eines Vertrages zwischen Germanen.
Rom, Markussäule

Die beiden römischen Provinzen Ober- und Untergermanien sind das Ergebnis derjenigen Niederlage der römischen Waffen und der römischen Staatskunst unter der Regierung des Augustus, welche früher geschildert worden ist. Die ursprüngliche Provinz Germanien, die das Land vom Rhein bis zur Elbe umfaßte, hat nur zwanzig Jahre vom ersten Feldzug der Drusus, 742 d. St. = 12 v. Chr., bis zur Varusschlacht und dem Falle Alisos 762 d. St. = 9 n. Chr. bestanden; da sie aber einerseits die Militärlager auf dem linken Rheinufer, Vindonissa, Mogontiacum, Vetera, in sich schloß, andererseits auch nach jener Katastrophe mehr oder minder beträchtliche Teile des rechten Ufers römisch blieben, so wurden durch jene Katastrophe die Statthalterschaft und das Kommando nicht eigentlich aufgehoben, obwohl sie sozusagen in der Luft standen. Die innere Ordnung der drei Gallien ist früher dargelegt worden; sie umfaßten das gesamte Gebiet bis an den Rhein, ohne Unterschied der Abstammung – nur etwa die erst während der letzten Krisen nach Gallien übergesiedelten Ubier gehörten nicht zu den 64 Gauen, wohl aber die Helvetier, die Triboker und überhaupt die sonst von den rheinischen Truppen besetzt gehaltenen Distrikte. Es war die Absicht gewesen, die germanischen Gaue zwischen Rhein und Elbe zu einer ähnlichen Gemeinschaft unter römischer Hoheit zusammenzufassen, wie dies mit den gallischen geschehen war, und denselben in dem Augustusaltar der Ubierstadt, dem Keim des heutigen Köln, einen ähnlichen exzentrischen Mittelpunkt zu verleihen, wie der Augustusaltar von Lyon ihn für Gallien bildete; für die fernere Zukunft war wohl auch die Verlegung der Hauptlager auf das rechte Rheinufer und die Rückgabe des linken wenigstens im wesentlichen an den Statthalter der Belgica in Aussicht genommen. Allein diese Entwürfe gingen mit den Legionen des Varus zugrunde; der germanische Augustusaltar am Rhein ward oder blieb der Altar der Ubier; die Legionen behielten dauernd ihre Standquartiere in dem Gebiet, welches eigentlich zur Belgica gehörte, aber, da eine Trennung der Militär- und Zivilverwaltung nach der römischen Ordnung ausgeschlossen war, so lange, als die Truppen hier standen, auch administrativ unter den Kommandanten der beiden Heere gelegt war. Denn, wie schon früher angegeben worden ist, Varus ist wahrscheinlich der letzte Kommandant der vereinigten Rheinarmee gewesen; bei der Vermehrung der Armee auf acht Legionen, welche diese Katastrophe im Gefolge gehabt hat, ist allem Anschein nach auch deren Teilung eingetreten. Es sind also in diesem Abschnitt nicht eigentlich die Zustände einer römischen Landschaft zu schildern, sondern die Geschicke einer römischen Armee, und, was damit aufs engste zusammenhängt, die der Nachbarvölker und der Gegner, soweit sie in die Geschichte Roms verflochten sind.

Die beiden Hauptquartiere der Rheinarmee waren von jeher Vetera bei Wesel und Mogontiacum, das heutige Mainz, beide wohl älter als die Teilung des Kommandos und eine der Ursachen, daß dieselbe eintrat. Die beiden Armeen zählten jede im 1. Jahrhundert n. Chr. 4 Legionen, also ungefähr 30 000 Mann, in oder zwischen jenen beiden Punkten lag die Hauptmasse der römischen Truppen, außerdem eine Legion bei Noviomagus (Nimwegen), eine andere in Argentoratum (Straßburg), eine dritte bei Vindonissa (Windisch unweit Zürich) nicht weit von der rätischen Grenze. Zu dem unteren Heere gehörte die nicht unbeträchtliche Rheinflotte. Die Grenze zwischen der oberen und der unteren Armee liegt zwischen Andernach und Remagen bei Brohl, so daß Koblenz und Bingen in das obere, Bonn und Köln in das untere Militärgebiet fielen. Auf dem linken Ufer gehörten zu dem obergermanischen Verwaltungsbezirk die Distrikte der Helvetier (Schweiz), der Sequaner (Besançon), der Lingonen (Langres), der Rauriker (Basel), der Triboker (Elsaß), der Nemeter (Speier) und der Vangionen (Worms); zu dem beschränkteren untergermanischen der Distrikt der Ubier oder vielmehr die Kolonie Agrippina (Köln), der Tungrer (Tongern), der Menapier (Brabant) und der Bataver, während die weiter westlich gelegenen Gaue mit Einschluß von Metz und Trier unter den verschiedenen Statthaltern der drei Gallien standen. Wenn diese Scheidung nur administrative Bedeutung hat, so fällt dagegen die wechselnde Ausdehnung der beiden Sprengel auf dem rechten Ufer mit den wechselnden Beziehungen zu den Nachbarn und der dadurch bedingten Vor- und Zurückschiebung der Grenzen der römischen Herrschaft zusammen. Diesen Nachbarn gegenüber sind die unterrheinischen und die oberrheinischen Verhältnisse in so verschiedener Weise geordnet worden und die Ereignisse in so durchaus anderer Richtung verlaufen, daß hier die provinziale Trennung geschichtlich von der eingreifendsten Bedeutung wurde. Betrachten wir zunächst die Entwicklung der Dinge am Unterrhein.

Porta nigra
(um 260 n. Chr.)
Trier

Es ist früher dargestellt worden, wie weit die Römer zu beiden Seiten des Unterrheins die Germanen sich unterworfen hatten. Die germanischen Bataver sind nicht durch Cäsar, aber nicht lange nachher, vielleicht durch Drusus, auf friedlichem Wege mit dem Reiche vereinigt worden. Sie saßen im Rheindelta, das heißt auf dem linken Rheinufer und auf den durch die Rheinarme gebildeten Inseln aufwärts bis wenigstens an den alten Rhein, also etwa von Antwerpen bis Utrecht und Leyden in Seeland und dem südlichen Holland, auf ursprünglich keltischem Gebiet – wenigstens sind die Ortsnamen überwiegend keltisch; ihren Namen führt noch die Betuwe, die Niederung zwischen Waal und Leck mit der Hauptstadt Noviomagus, jetzt Nimwegen. Sie waren, insbesondere verglichen mit den unruhigen und störrischen Kelten, gehorsame und nützliche Untertanen und nahmen daher im römischen Reichsverband und namentlich im Heerwesen eine Sonderstellung ein. Sie blieben gänzlich steuerfrei, wurden aber dagegen so stark wie kein anderer Gau bei der Rekrutierung angezogen; der eine Gau stellte zu dem Reichsheer 1000 Reiter und 9000 Fußsoldaten; außerdem wurden die kaiserlichen Leibwächter vorzugsweise aus ihnen genommen. Das Kommando dieser batavischen Abteilungen wurde ausschließlich an geborene Bataver vergeben. Die Bataver galten unbestritten nicht bloß als die besten Reiter und Schwimmer der Armee, sondern auch als das Muster treuer Soldaten, wobei allerdings der gute Sold der batavischen Leibwächter sowohl wie der bevorzugte Offiziersdienst der Adligen die Loyalität erheblich befestigte. Diese Germanen waren denn auch bei der Varuskatastrophe weder vorbereitend noch nachfolgend beteiligt; und wenn Augustus unter dem ersten Eindruck der Schreckensnachricht seine batavischen Leibwächter verabschiedete, so überzeugte er sich bald selbst von der Grundlosigkeit seines Argwohns und die Truppe wurde kurze Zeit darauf wieder hergestellt.

Am andern Ufer des Rheines wohnten den Batavern zunächst im heutigen Kennemerland (Nordholland über Amsterdam) die ihnen eng verwandten, aber weniger zahlreichen Cannenefaten; sie werden nicht bloß unter den durch Tiberius unterworfenen Völkerschaften genannt, sondern sind auch in der Stellung von Mannschaften wie die Bataver behandelt worden. – Die weiterhin sich anschließenden Friesen in dem noch heute nach ihnen benannten Küstenland bis zu der unteren Ems unterwarfen sich dem Drusus und erhielten eine ähnliche Stellung wie die Bataver; es wurde ihnen anstatt der Steuer nur die Ablieferung einer Anzahl von Rindshäuten für die Bedürfnisse des Heeres auferlegt; dagegen hatten auch sie verhältnismäßig zahlreiche Mannschaften für den römischen Dienst zu stellen. Sie waren seine so wie später des Germanicus treueste Bundesgenossen, ihm nützlich sowohl bei dem Kanalbau wie besonders nach den unglücklichen Nordseefahrten. – Auf sie folgen östlich die Chauker, ein weitausgedehntes Schiffer- und Fischervolk an der Nordseeküste zu beiden Seiten der Weser, vielleicht von der Ems bis zur Elbe; sie wurden durch Drusus zugleich mit den Friesen, aber nicht wie diese ohne Gegenwehr, den Römern botmäßig. – Alle diese germanischen Küstenvölker fügten sich entweder durch Vertrag oder doch ohne schweren Kampf der neuen Herrschaft, und wie sie an dem Cheruskeraufstand keinen Teil gehabt haben, blieben sie nach der Varusschlacht gleichfalls in den früheren Verhältnissen zum römischen Reich; selbst aus den entfernter liegenden Gauen der Friesen und der Chauker sind die Besatzungen damals nicht herausgezogen worden und noch zu den Feldzügen des Germanicus haben die letzteren Zuzug gestellt. Bei der abermaligen Räumung Germaniens im J. 17 scheint allerdings das arme und ferne, schwer zu schützende Chaukerland aufgegeben worden zu sein; wenigstens gibt es für die Fortdauer der römischen Herrschaft daselbst keine späteren Belege und einige Dezennien nachher finden wir sie unabhängig. Aber alles Land westwärts der unteren Ems blieb bei dem Reiche, dessen Grenze also die heutigen Niederlande einschloß. Die Verteidigung dieses Teils der Reichsgrenze gegen die nicht zum Reich gehörigen Germanen blieb in der Hauptsache den botmäßigen Seegauen selber überlassen.

Weiter stromaufwärts wurde anders verfahren; hier ward eine Grenzstraße abgesteckt und das Zwischenland entvölkert. An die in größerer oder geringerer Entfernung vom Rhein gezogene Grenzstraße, den Limes, knüpfte sich die Kontrolle des Grenzverkehrs, indem die Überschreitung dieser Straße zur Nachtzeit überhaupt, am Tage den Bewaffneten untersagt und den Übrigen in der Regel nur unter besonderen Sicherheitsmaßregeln und unter Erlegung der vorgeschriebenen Grenzzölle gestattet war. Eine solche Straße hat gegenüber dem unterrheinischen Hauptquartier im heutigen Münsterland Tiberius nach der Varusschlacht gezogen, in einiger Entfernung vom Rhein, da zwischen ihr und dem Fluß der seiner Lage nach nicht näher bekannte »caesische Wald« sich erstreckte. Ähnliche Anstalten müssen gleichzeitig in den Tälern der Ruhr und der Sieg bis zu dem der Wied hin, wo die unterrheinische Provinz endigte, getroffen worden sein. Militärisch besetzt und zur Verteidigung eingerichtet brauchte diese Straße nicht notwendig zu sein, obwohl natürlich die Grenzverteidigung und die Grenzbefestigung immer darauf hinausgingen, die Grenzstraße möglichst sicherzustellen. Ein hauptsächliches Mittel für den Grenzschutz war die Entvölkerung des Landstrichs zwischen dem Fluß und der Straße. »Vom rechten Rheinufer«, sagt ein kundiger Schriftsteller der tiberischen Zeit, »haben teils die Römer die Völkerschaften auf das linke übergeführt, teils diese selbst sich in das Innere zurückgezogen.« Dies traf im heutigen Münsterland die daselbst früher ansässigen germanischen Stämme der Usiper, Tencterer, Tubanten. In den Zügen des Germanicus erscheinen dieselben vom Rhein abgedrängt, aber noch in der Gegend der Lippe, später, wahrscheinlich eben infolge jener Expeditionen, weiter südwärts Mainz gegenüber. Ihr altes Heim lag seitdem öde und bildete das ausgedehnte, für die Herden der niedergermanischen Armee reservierte Triftland, auf welchem im J. 58 erst die Friesen und dann die heimatlos irrenden Amsivarier sich niederzulassen gedachten, ohne dazu die Erlaubnis der römischen Behörden auswirken zu können. Weiter südwärts blieb von den Sugambrern, die ebenfalls zum großen Teil derselben Behandlung unterlagen, wenigstens ein Teil am rechten Ufer ansässig, während andere kleinere Völkerschaften ganz verdrängt wurden. Die spärliche innerhalb des Limes geduldete Bevölkerung war selbstverständlich reichsuntertänig, wie dies die bei den Sugambrern stattfindende römische Aushebung bestätigt.

In dieser Weise wurden nach dem Aufgeben der weitergreifenden Entwürfe die Verhältnisse am Unterrhein geordnet, immer also noch ein nicht unbeträchtliches Gebiet am rechten Ufer von den Römern gehalten. Aber es knüpften sich daran mancherlei unbequeme Verwicklungen. Gegen das Ende der Regierung des Tiberius (J. 28) fielen die Friesen infolge der unerträglichen Bedrückung bei der Erhebung der an sich geringen Abgabe vom Reiche ab, erschlugen die bei der Erhebung beschäftigten Leute und belagerten den hier fungierenden römischen Kommandanten mit dem Reste der im Gebiet verweilenden römischen Soldaten und Zivilpersonen in dem Kastell Flevum, da wo vor der im Mittelalter erfolgten Ausdehnung des Zuidersees die östlichste Rheinmündung war, bei der heutigen Insel Vlieland neben dem Texel. Der Aufstand nahm solche Verhältnisse an, daß beide Rheinheere gemeinschaftlich gegen die Friesen marschierten; aber der Statthalter Lucius Apronius richtete dennoch nichts aus. Die Belagerung des Kastells gaben die Friesen auf, als die römische Flotte die Legionen herantrug; aber ihnen selbst war in dem durchschnittenen Lande schwer beizukommen; mehrere römische Heerhaufen wurden vereinzelt aufgerieben und die römische Vorhut so gründlich geschlagen, daß selbst die Leichen der Gefallenen in der Gewalt des Feindes blieben. Zu einer entscheidenden Aktion kam es nicht, aber auch nicht zu rechter Unterwerfung; größeren Unternehmungen, die dem kommandierenden Feldherrn eine Machtstellung gaben, war Tiberius, je älter er wurde, immer weniger geneigt. Damit steht in Zusammenhang, daß in den nächsten Jahren die Nachbarn der Friesen, die Chauker, den Römern sehr unbequem wurden, im J. 41 der Statthalter Publius Gabinius Secundus gegen sie eine Expedition unternehmen mußte und sechs Jahre später (47) sie sogar unter Führung des römischen Überläufers Gannascus, eines geborenen Cannenefaten, mit ihren leichten Piratenschiffen die gallische Küste weithin brandschatzten. Gnäus Domitius Corbulo, von Claudius zum Statthalter Niedergermaniens ernannt, legte mit der Rheinflotte diesen Vorgängern der Sachsen und Normannen das Handwerk und brachte dann die Friesen energisch zum Gehorsam zurück, indem er ihr Gemeinwesen neu ordnete und römische Besatzung dort hinlegte. Er hatte die Absicht, weiter die Chauker zu züchtigen; auf sein Anstiften wurde Gannascus aus dem Wege geräumt – gegen den Überläufer hielt er sich auch dazu berechtigt – und er war im Begriff, die Ems überschreitend in das Chaukerland einzurücken, als er nicht bloß Gegenbefehl von Rom erhielt, sondern die römische Regierung überhaupt ihre Stellung am Unterrhein vollständig änderte. Kaiser Claudius wies den Statthalter an, alle römischen Besatzungen vom rechten Ufer wegzunehmen. Es ist begreiflich, daß der kaiserliche General die freien Feldherren des ehemaligen Rom mit bitteren Worten glücklich pries; es wurde allerdings damit die nach der Varusschlacht nur halb gezogene Konsequenz der Niederlage vervollständigt. Wahrscheinlich ist diese durch keine unmittelbare Nötigung veranlaßte Einschränkung der römischen Okkupation Germaniens hervorgerufen worden durch den eben damals gefaßten Entschluß, Britannien zu besetzen, und findet darin ihre Rechtfertigung, daß die Truppen beidem zugleich nicht genügten. Daß der Befehl ausgeführt ward und es auch später dabei blieb, beweist das Fehlen der römischen Militärinschriften am ganzen rechten Unterrhein. Nur einzelne Übergangspunkte und Ausfallstore, wie insbesondere Deutz gegenüber Köln, machen Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel. Auch die Militärstraße hält sich hier auf dem linken Ufer und streng an den Rheinlauf, während der hinter derselben herlaufende Verkehrsweg die Krümmungen abschneidend die gerade Verbindung verfolgt. Auf dem rechten Rheinufer sind hier nirgends, weder durch aufgefundene Meilensteine noch anderweitig, römische Militärstraßen bezeugt.

Einen eigentlichen Verzicht auf den Besitz des rechten Ufers in dieser Provinz schließt die Zurückziehung der Besatzungen nicht ein. Dasselbe galt den Römern seitdem etwa wie dem Festungskommandanten das unter seinen Kanonen liegende Terrain. Die Cannenefaten und wenigstens ein Teil der Friesen sind nach wie vor reichsuntertänig gewesen. Daß auch später noch im Münsterland die Herden der Legionen weideten und den Germanen nicht gestattet wurde, sich dort niederzulassen, ist schon bemerkt worden. Aber die Regierung hat seitdem für den Schutz des Grenzgebietes auf dem rechten Ufer, das es in dieser Provinz auch ferner gab, im Norden sich auf die Cannenefaten und die Friesen verlassen, weiter stromaufwärts im wesentlichen der Ödgrenze vertraut und auch die römische Ansiedlung hier, wenn nicht geradezu untersagt, doch nicht aufkommen lassen. Der in Altenberg (Kreis Mülheim) am Dhünfluß gefundene Altarstein eines Privaten ist fast das einzige Zeugnis römischer Einwohnerschaft in diesen Gegenden. Es ist dies um so bemerkenswerter, als das Aufblühen von Köln, wenn hier nicht besondere Hindernisse im Wege gestanden hätten, die römische Zivilisation von selber weithin auf das andere Ufer getragen haben würde. Oft genug werden römische Truppen diese ausgedehnten Gebiete betreten, vielleicht selbst die gerade hier in augustischer Zeit zahlreich angelegten Straßen einigermaßen gangbar gehalten, auch wohl neue angelegt haben; spärliche Ansiedler, teils Überreste der alten germanischen Bevölkerung, teils Kolonisten aus dem Reich, werden hier gesessen haben, ähnlich wie wir sie bald in der früheren Kaiserzeit am rechten Ufer des Oberrheins finden werden; aber den Wegen wie den Besitzungen fehlte der Stempel der Dauerhaftigkeit. Man wollte hier nicht eine Arbeit von gleicher Ausdehnung und gleicher Schwierigkeit unternehmen, wie wir sie weiterhin in der oberen Provinz kennenlernen werden, nicht hier, wie es dort geschah, die Reichsgrenze militärisch schützen und befestigen. Darum hat den Unterrhein wohl die römische Herrschaft, aber nicht, wie den Oberrhein, auch die römische Kultur überschritten.

Ihrer doppelten Aufgabe, das benachbarte Gallien in Gehorsam und die Germanen des rechten Rheinufers von Gallien abzuhalten, hatte die Armee am Unterrhein auch nach dem Verzicht auf Besetzung des rechtsrheinischen Gebietes ausreichend genügt; und es wäre die Ruhe nach außen und innen voraussichtlich nicht unterbrochen worden, wenn nicht der Sturz der julisch-claudischen Dynastie und der dadurch hervorgerufene Bürger- oder vielmehr Korpskrieg in diese Verhältnisse in verhängnisvoller Weise eingegriffen hätte. Die Insurrektion des Keltenlandes unter Führung des Vindex wurde zwar von den beiden germanischen Armeen niedergeschlagen; aber Neros Sturz erfolgte dennoch, und als sowohl das spanische Heer wie die Kaisergarde in Rom ihm einen Nachfolger bestellten, taten auch die Rheinarmeen das Gleiche und im Anfang des J. 69 überschritt der größte Teil dieser Truppen die Alpen, um auf den Schlachtfeldern Italiens auszumachen, ob dessen Herrscher Marcus oder Aulus heißen werde. Im Mai desselben Jahres folgte der neue Kaiser Vitellius, nachdem die Waffen für ihn entschieden hatten, begleitet von dem Rest der guten kriegsgewohnten Mannschaften. Durch eilig in Gallien ausgehobene Rekruten waren allerdings die Lücken in den Rheinbesatzungen notdürftig ausgefüllt worden; aber daß es nicht die alten Legionen waren, wußte das ganze Land, und bald zeigte es sich auch, daß jene nicht zurückkamen. Hätte der neue Herrscher die Armee, die ihn auf den Thron gesetzt hatte, in seiner Gewalt gehabt, so hätte gleich nach der Niederwerfung Othos im April wenigstens ein Teil derselben an den Rhein zurückkehren müssen; aber mehr noch die Unbotmäßigkeit der Soldaten als die bald eintretende neue Verwicklung mit dem im Osten zum Kaiser ausgerufenen Vespasian hielt die germanischen Legionen in Italien zurück.

Gallien war in der furchtbarsten Aufregung. Die Insurrektion des Vindex war, wie früher bemerkt ward, an sich nicht gegen die Herrschaft Roms, sondern gegen den dermaligen Herrscher gerichtet; aber darum war sie nicht weniger eine Kriegführung gewesen zwischen den Rheinarmeen und dem Landsturm der großen Mehrzahl der keltischen Gaue, und diese nicht weniger gleich Besiegten geplündert und mißhandelt worden. Die Stimmung, die zwischen den Provinzialen und den Soldaten bestand, zeigt zum Beispiel die Behandlung, welche der Gau der Helvetier bei dem Durchmarsch der nach Italien bestimmten Truppen erfuhr: weil hier ein von den Vitellianern nach Pannonien abgesandter Kurier aufgegriffen worden war, rückten die Marschkolonnen von der einen Seite, von der anderen die in Rätien in Garnison stehenden Römer in den Gau ein, plünderten weit und breit die Ortschaften, namentlich das heutige Baden bei Zürich, jagten die in die Berge Flüchtenden aus ihrem Versteck auf und machten sie zu Tausenden nieder oder verkauften die Gefangenen nach Kriegsrecht. Obwohl die Hauptstadt Aventicum (Avenches bei Murten) sich ohne Gegenwehr unterwarf, forderten die Agitatoren der Armee ihre Schleifung und alles, was der Feldherr gewährte, war die Verweisung der Frage nicht etwa an den Kaiser, sondern an die Soldaten des großen Hauptquartiers; diese saßen über das Schicksal der Stadt zu Gericht, und nur der Umschlag ihrer Laune rettete den Ort vor der Zerstörung. Dergleichen Mißhandlungen brachten die Provinzialen aufs äußerste; noch bevor Vitellius Gallien verließ, trat ein gewisser Mariccus aus dem von den Häduern abhängigen Gau der Boier auf, ein Gott auf Erden, wie er sagte, und bestimmt, die Freiheit der Kelten wieder herzustellen; und scharenweise strömten die Leute unter seine Fahnen. Indes kam auf die Erbitterung im Keltenland nicht allzuviel an. Eben der Aufstand des Vindex hatte auf das deutlichste gezeigt, wie völlig unfähig die Gallier waren, sich der römischen Umklammerung zu entwinden. Aber die Stimmung der zu Gallien gerechneten germanischen Distrikte in den heutigen Niederlanden, der Bataver, der Cannenefaten, der Friesen, deren Sonderstellung schon hervorgehoben ward, hatte etwas mehr zu bedeuten; und es traf sich, daß eben diese einerseits aufs äußerste erbittert worden waren, andererseits ihre Kontingente zufällig sich in Gallien befanden. Die Masse der batavischen Truppen, 8000 Mann, der 14. Legion beigegeben, hatte längere Zeit mit dieser bei dem oberen Rheinheere gestanden und war dann unter Claudius bei der Besetzung Britanniens nach dieser Insel gekommen, wo dieses Korps kurz zuvor die entscheidende Schlacht unter Paullinus durch seine unvergleichliche Tapferkeit für die Römer gewonnen hatte; von diesem Tag an nahm dasselbe unter allen römischen Heeresabteilungen unbestritten den ersten Platz ein. Eben dieser Auszeichnung wegen von Nero abberufen, um mit ihm zum Kriege in den Orient abzugehen, hatte die in Gallien ausbrechende Revolution ein Zerwürfnis zwischen der Legion und ihren Hilfsmannschaften herbeigeführt: jene, dem Nero treu ergeben, eilte nach Italien, die Bataver dagegen weigerten sich zu folgen. Vielleicht hing dies damit zusammen, daß zwei ihrer angesehensten Offiziere, die Brüder Paulus und Civilis, ohne jeden Grund und ohne Rücksicht auf vieljährige treue Dienste und ehrenvolle Wunden, kurz vorher als des Hochverrats verdächtig in Untersuchung gezogen, der erstere hingerichtet, der zweite gefangengesetzt worden war. Nach Neros Sturz, zu welchem der Abfall der batavischen Kohorten wesentlich beigetragen hatte, gab Galba den Civilis frei und sandte die Bataver in ihr altes Standquartier nach Britannien zurück. Während sie auf dem Marsch dahin bei den Lingonen (Langres) lagerten, fielen die Rheinlegionen von Galba ab und riefen den Vitellius zum Kaiser aus. Die Bataver schlossen nach längerem Schwanken schließlich sich an; dieses Schwanken vergab ihnen Vitellius nicht, doch wagte er nicht, den Führer des mächtigen Korps geradezu zur Verantwortung zu ziehen. So waren die Bataver mit den Legionen von Untergermanien nach Italien marschiert und hatten mit gewohnter Tapferkeit in der Schlacht von Betriacum für Vitellius gefochten, während ihre alten Legionskameraden ihnen in dem Heere Othos gegenüberstanden. Aber der Übermut dieser Germanen erbitterte ihre römischen Siegesgenossen, wie sehr sie ihre Tapferkeit im Kampf anerkannten; auch die kommandierenden Generale trauten ihnen nicht und machten sogar einen Versuch durch Detachierung sie zu teilen, was freilich in diesem Krieg, in dem die Soldaten kommandierten und die Generale gehorchten, nicht durchzuführen war und fast dem General das Leben gekostet hätte. Nach dem Siege wurden sie beauftragt, ihre feindlichen Kameraden von der 14. Legion nach Britannien zu eskortieren; aber da es zwischen beiden in Turin zum Handgemenge gekommen war, gingen diese allein dorthin und sie selbst nach Germanien. Inzwischen war im Orient Vespasianus zum Kaiser ausgerufen worden, und während infolgedessen Vitellius sowohl den batavischen Kohorten Marschbefehl nach Italien gab wie auch bei den Batavern neue umfassende Aushebungen anordnete, knüpften Vespasians Beauftragte mit den batavischen Offizieren an, um diesen Abmarsch zu verhindern und in Germanien selbst einen Aufstand hervorzurufen, der die Truppen dort festhielte. Civilis ging darauf ein. Er begab sich in seine Heimat und gewann leicht die Zustimmung der Seinigen sowie der benachbarten Cannenefaten und Friesen. Bei jenen brach der Aufstand aus; die beiden Kohortenlager in der Nähe wurden überfallen und die römischen Posten aufgehoben; die römischen Rekruten schlugen sich schlecht; bald warf Civilis mit seiner Kohorte, die er hatte nachkommen lassen, um sie angeblich gegen die Insurgenten zu gebrauchen, sich selbst offen in die Bewegung, sagte mit den drei germanischen Gauen dem Vitellius auf und forderte die übrigen eben damals von Mainz zum Abmarsch nach Italien aufbrechenden Bataver und Cannenefaten auf, sich ihm anzuschließen.

Das alles war mehr ein Soldatenaufstand als eine Insurrektion der Provinz oder gar ein germanischer Krieg. Wenn damals die Rheinlegionen mit denen von der Donau und weiter mit diesen und der Euphratarmee schlugen, so war es nur folgerichtig, daß auch die Soldaten zweiter Klasse, und vor allem die angesehenste Truppe derselben, die batavische, selbständig in diesen Korpskrieg eintrat. Wer diese Bewegung bei den Kohorten der Bataver und den linksrheinischen Germanen mit der Insurrektion der rechtsrheinischen unter Augustus zusammenstellt, der darf nicht übersehen, daß in jener die Alen und Kohorten die Rolle des Landsturms der Cherusker übernahmen; und wenn der treulose Offizier des Varus seine Nation aus der Römerherrschaft erlöste, so handelte der batavische Führer im Auftrag Vespasians, ja vielleicht auf geheime Anweisung des im Stillen Vespasian geneigten Statthalters seiner Provinz, und richtete sich der Aufstand zunächst lediglich gegen Vitellius. Freilich war die Lage der Dinge von der Art, daß dieser Soldatenaufstand jeden Augenblick in einen Germanenkrieg gefährlichster Art sich verwandeln konnte. Dieselben römischen Truppen, die den Rhein gegen die Germanen des rechten Ufers deckten, standen infolge der Korpskriege den linksrheinischen Germanen feindlich gegenüber; die Rollen waren solcher Art, daß es fast leichter schien sie zu wechseln als sie durchzuführen. Civilis selbst mag es wohl auf den Erfolg haben ankommen lassen, ob die Bewegung auf einen Kaiserwechsel oder auf die Vertreibung der Römer aus Gallien durch die Germanen hinauslaufen werde.

Das Kommando über die beiden Rheinarmeen führte damals, nachdem der Statthalter von Untergermanien Kaiser geworden war, sein bisheriger Kollege in Obergermanien Hordeonius Flaccus, ein hochbejahrter podagrischer Mann, ohne Energie und ohne Autorität, dazu entweder in der Tat im geheimen zu Vespasian haltend oder doch bei den eifrig dem Kaiser ihrer Mache anhängenden Legionen solcher Treulosigkeit sehr verdächtig. Es zeichnet ihn und seine Stellung, daß er, um sich von dem Verdacht des Verrates zu reinigen, Befehl gab, die einlaufenden Regierungsdepeschen uneröffnet den Adlerträgern der Legionen zuzustellen und diese sie zunächst den Soldaten vorlasen, bevor sie dieselben an ihre Adresse beförderten. Von den vier Legionen des unteren Heeres, das zunächst mit den Aufständischen zu tun hatte, standen zwei, die 5. und die 15., unter dem Legaten Munius Lupercus im Hauptquartier zu Vetera, die 16. unter Numisius Rufus in Noväsium (Neuß), die 1. unter Herennius Gallus in Bonna (Bonn). Von dem oberen Heer, das damals nur drei Legionen zählte, blieb die eine, die 21., in ihrem Standquartier Vindonissa diesen Vorgängen fern, wenn sie nicht vielmehr ganz nach Italien gezogen worden war; die beiden anderen, die 4. mazedonische und die 22., standen im Hauptquartier Mainz, wo auch Flaccus sich befand und faktisch der tüchtige Legat des letzteren Dillius Vocula den Oberbefehl führte. Die Legionen hatten durchgängig nur die Hälfte der vollen Zahl, und die meisten Soldaten waren Halbinvalide oder Rekruten.

Civilis, an der Spitze einer kleinen Zahl regulärer Truppen, aber des Gesamtaufgebotes der Bataver, Cannenefaten und Friesen, ging aus der Heimat zum Angriff vor. Zunächst am Rhein stieß er auf Reste der aus den nördlichen Gauen vertriebenen römischen Besatzungen und eine Abteilung der römischen Rheinflotte; als er angriff, lief nicht bloß die großenteils aus Batavern bestehende Schiffsmannschaft zu ihm über, sondern auch eine Kohorte der Tungrer – es war der erste Abfall einer gallischen Abteilung; was von italischen Mannschaften dabei war, wurde erschlagen oder gefangen. Dieser Erfolg brachte endlich die rechtsrheinischen Germanen in Bewegung. Was sie seit langem vergeblich gehofft hatten, die Erhebung der römischen Untertanen auf dem andern Ufer, ging nun in Erfüllung, und sowohl die Chauker und die Friesen an der Küste wie vor allem die Bructerer zu beiden Seiten der oberen Ems bis hinab zur Lippe und am Mittelrhein Köln gegenüber die Tencterer, in minderem Maße die südlich an diese sich anschließenden Völkerschaften, Usiper, Mattiaker, Chatten, warfen sich in den Kampf. Als auf Befehl des Flaccus die beiden schwachen Legionen von Vetera gegen die Insurgenten ausrückten, konnten ihnen diese schon mit zahlreichem überrheinischem Zuzug entgegentreten; und die Schlacht endigte wie das Gefecht am Rhein mit einer Niederlage der Römer durch den Abfall der batavischen Reiterei, welche zu der Garnison von Vetera gehörte, und durch die schlechte Haltung der Reiter der Ubier wie der Treverer. Die insurgierten wie die zuströmenden Germanen schritten dazu, das Hauptquartier des unteren Heeres zu umstellen und zu belagern. Während dieser Belagerung erreichte die Kunde der Vorgänge am Unterrhein die übrigen batavischen Kohorten in der Nähe von Mainz; sie machten sofort Kehrt gegen Norden. Statt sie zusammenhauen zu lassen, ließ der schwachmütige Oberfeldherr sie ziehen, und als der Legionskommandant in Bonn sich ihnen entgegenwarf, unterstützte Flaccus diesen nicht, wie er es gekonnt und sogar anfänglich zugesagt hatte. So sprengten die tapferen Germanen die Bonner Legion auseinander und gelangten glücklich zu Civilis, fortan der geschlossene Kern seines Heeres, in welchem jetzt die römischen Kohortenfahnen neben den Tierstandarten aus den heiligen Hainen der Germanen standen. Noch immer aber hielt der Bataver wenigstens angeblich an Vespasian; er schwur die römischen Truppen auf dessen Namen ein und forderte die Besatzung von Vetera auf, sich mit ihm für diesen zu erklären. Indes diese Mannschaften sahen darin, vermutlich mit Recht, nur einen Versuch der Überlistung und wiesen diesen ebenso entschlossen ab wie die anstürmenden Scharen der Feinde, die bald durch die überlegene römische Taktik sich gezwungen sahen, die Belagerung in eine Blockade zu verwandeln. Aber da die römische Heerleitung durch diese Vorgänge überrascht worden war, waren die Vorräte knapp und baldiger Entsatz dringend geboten. Um diesen zu bringen, brachen Flaccus und Vocula mit ihrer gesamten Mannschaft von Mainz auf, zogen unterwegs die beiden Legionen aus Bonna und Noväsium sowie die auf den erhaltenen Befehl zahlreich sich einstellenden Hilfstruppen der gallischen Gaue an sich und näherten sich Vetera. Aber statt sofort die gesamte Macht von innen und außen auf die Belagerer zu werfen, mochte deren Überzahl noch so gewaltig sein, schlug Vocula sein Lager bei Gelduba (Gellep am Rhein unweit Krefeld) auf, einen starken Tagemarsch entfernt von Vetera, während Flaccus weiter zurückstand. Die Nichtigkeit des sogenannten Feldherrn und die immer steigende Demoralisation der Truppen, vor allem das oft bis zu Mißhandlungen und Mordanschlägen sich steigernde Mißtrauen gegen die Offiziere kann allein dies Einhalten wenigstens erklären. Also zog sich das Unheil immer dichter von allen Seiten zusammen. Ganz Germanien schien sich an dem Krieg beteiligen zu wollen; während die belagernde Armee beständig neuen Zuzug von dort erhielt, gingen andere Schwärme über den in diesem trocknen Sommer ungewöhnlich niedrigen Rhein, teils in den Rücken der Römer, in die Gaue der Ubier und der Treverer, das Moseltal zu brandschatzen, teils unterhalb Vetera in das Gebiet der Maas und der Schelde; weitere Haufen erschienen vor Mainz und machten Miene dies zu belagern. Da kam die Nachricht von der Katastrophe in Italien. Auf die Kunde von der zweiten Schlacht bei Betriacum im Herbst des J. 69 gaben die germanischen Legionen die Sache des Vitellius verloren und schwuren, wenn auch widerwillig, dem Vespasian; vielleicht in der Hoffnung, daß Civilis, der ja auch den Namen Vespasians auf seine Fahnen geschrieben hatte, dann seinen Frieden machen werde. Aber die germanischen Schwärme, die inzwischen über ganz Nordgallien sich ergossen hatten, waren nicht gekommen, um die flavische Dynastie einzusetzen; selbst wenn Civilis dies einmal gewollt hatte, jetzt hätte er es nicht mehr gekonnt. Er warf die Maske weg und sprach es offen aus, was freilich längst feststand, daß die Germanen Nordgalliens sich mit Hilfe der freien Landsleute der römischen Herrschaft zu entwinden gedachten.

Aber das Kriegsglück schlug um. Civilis versuchte das Lager von Gelduba zu überrumpeln; der Überfall begann glücklich und der Abfall der Kohorten der Nervier brachte Voculas kleine Schaar in eine kritische Lage. Da fielen plötzlich zwei spanische Kohorten den Germanen in den Rücken; die drohende Niederlage verwandelte sich in einen glänzenden Sieg; der Kern der angreifenden Armee blieb auf dem Schlachtfeld. Vocula rückte zwar nicht sofort gegen Vetera vor, was er wohl gekonnt hätte, aber drang einige Tage später nach einem abermaligen heftigen Gefecht mit den Feinden in die belagerte Stadt. Freilich Lebensmittel brachte er nicht; und da der Fluß in der Gewalt des Feindes war, mußten diese auf dem Landweg von Noväsium herbeigeschafft werden, wo Flaccus lagerte. Der erste Transport kam durch; aber die inzwischen wieder gesammelten Feinde griffen die zweite Proviantkolonne unterwegs an und nötigten sie, sich nach Gelduba zu werfen. Zu ihrer Unterstützung ging Vocula mit seinen Truppen und einem Teil der alten Besatzung von Vetera dorthin ab. In Gelduba angelangt, weigerten sich die Mannschaften nach Vetera zurückzukehren und die Leiden der abermals in Aussicht stehenden Belagerung weiter auf sich zu nehmen; statt dessen marschierten sie nach Noväsium, und Vocula, welcher den Rest der alten Garnison von Vetera einigermaßen verproviantiert wußte, mußte wohl oder übel folgen. In Noväsium war inzwischen die Meuterei zum Ausbruch gelangt. Die Soldaten hatten in Erfahrung gebracht, daß ein von Vitellius für sie bestimmtes Donativ an den Feldherrn gelangt sei, und erzwangen dessen Verteilung auf den Namen Vespasians. Kaum hatten sie es, so brach in den wüsten Gelagen, welche die Spende im Gefolg hatte, der alte Soldatengroll wieder hervor; sie plünderten das Haus des Feldherrn, der die Rheinarmee an den General der syrischen Legionen verraten hatte, erschlugen ihn und hätten auch dem Vocula das gleiche Schicksal bereitet, wenn dieser nicht in Vermummung entkommen wäre. Darauf riefen sie abermals den Vitellius zum Kaiser aus, nicht wissend, daß dieser damals schon tot war. Als diese Kunde ins Lager kam, kam der bessere Teil der Soldaten, namentlich die beiden obergermanischen Legionen einigermaßen zur Besinnung; sie vertauschten an ihren Standarten das Bildnis des Vitellius wieder mit dem Vespasians und stellten sich unter Voculas Befehle; dieser führte sie nach Mainz, wo er den Rest des Winters 69/70 verblieb. Civilis besetzte Gelduba und schnitt damit Vetera ab, das aufs neue eng blockiert ward; die Lager von Noväsium und Bonna wurden noch gehalten.

Bisher hatte das gallische Land, abgesehen von den wenigen insurgierten germanischen Gauen im Norden, fest an Rom gehalten. Allerdings ging die Parteiung durch die einzelnen Gaue; unter den Tungrern zum Beispiel hatten die Bataver starken Anhang, und die schlechte Haltung der gallischen Hilfsmannschaften während des ganzen Feldzugs wird wohl zum Teil durch dergleichen römerfeindliche Stimmungen hervorgerufen sein. Aber auch unter den Insurgierten gab es eine ansehnliche römisch gesinnte Partei; ein vornehmer Bataver Claudius Labeo führte gegen seine Landsleute in seiner Heimat und der Nachbarschaft einen Parteigängerkrieg nicht ohne Erfolge und Civilis' Schwestersohn Julius Briganticus fiel in einem dieser Gefechte an der Spitze einer römischen Reiterschar. Dem Befehl, Zuzug zu senden, hatten alle gallischen Gaue ohne weiteres Folge geleistet; die Ubier, obwohl germanischer Herkunft, waren auch in diesem Kriege lediglich ihres Römertums eingedenk, und sie wie die Treverer hatten den in ihr Gebiet einbrechenden Germanen tapferen und erfolgreichen Widerstand geleistet. Es war das begreiflich. Die Dinge lagen in Gallien noch so wie in den Zeiten Cäsars und Ariovists; eine Befreiung der gallischen Heimat von der römischen Herrschaft durch diejenigen Schwärme, welche, um dem Civilis landsmannschaftlichen Beistand zu leisten, eben damals das Mosel-, Maas- und Scheldetal ausraubten, war ebensosehr eine Auslieferung des Landes an die germanischen Nachbarn; in diesem Krieg, der aus einer Fehde zwischen zwei römischen Truppenkorps zu einem römisch-germanischen sich entwickelt hatte, waren die Gallier eigentlich nichts als der Einsatz und die Beute. Daß die Stimmung der Gallier, trotz aller wohlbegründeten allgemeinen und besonderen Beschwerden über das römische Regiment, überwiegend antigermanisch war und für jene aufflammende und rücksichtslose nationale Erhebung, wie sie vor Zeiten wohl durch das Volk gegangen war, in diesem inzwischen halb romanisierten Gallien der Zündstoff fehlte, hatten die bisherigen Vorgänge auf das deutlichste gezeigt. Aber unter den beständigen Mißerfolgen der römischen Armee wuchs allmählich den römerfeindlichen Galliern der Mut und ihr Abfall vollendete die Katastrophe. Zwei vornehme Treverer, Julius Classicus, der Befehlshaber der treverischen Reiterei, und Julius Tutor, der Kommandant der Uferbesatzungen am Mittelrhein, der Lingone Julius Sabinus, Nachkomme, wie er wenigstens sich berühmte, eines Bastards Cäsars, und einige andere gleichgesinnte Männer aus verschiedenen Gauen glaubten in der fahrigen keltischen Weise zu erkennen, daß der Untergang Roms in den Sternen geschrieben und durch den Brand des Kapitols (Dez. 69) der Welt verkündigt sei. So beschlossen sie, die Römerherrschaft zu beseitigen und ein gallisches Reich zu errichten. Dazu gingen sie den Weg des Arminius. Vocula ließ sich wirklich durch gefälschte Rapporte dieser römischen Offiziere bestimmen, mit den unter ihrem Kommando stehenden Kontingenten und einem Teil der Mainzer Besatzung im Frühjahre 70 nach dem Unterrhein aufzubrechen, um mit diesen Truppen und den Legionen von Bonna und Noväsium das hart bedrängte Vetera zu entsetzen. Auf dem Marsch von Noväsium nach Vetera verließen Classicus und die mit ihm einverstandenen Offiziere das römische Heer und proklamierten das neue gallische Reich. Vocula führte die Legionen zurück nach Noväsium; unmittelbar davor schlug Classicus sein Lager auf. Vetera konnte sich nicht mehr lange halten; die Römer mußten erwarten, nach dessen Fall die gesamte Macht des Feindes sich gegenüber zu finden. Dies vor Augen versagten die römischen Truppen und kapitulierten mit den abgefallenen Offizieren. Vergeblich versuchte Vocula noch einmal die Bande der Zucht und der Ehre anzuziehen; die Legionen Roms ließen es geschehen, daß ein römischer Überläufer von der ersten Legion auf Befehl des Classicus den tapferen Feldherrn niederstieß, und lieferten selbst die übrigen Oberoffiziere gefesselt an den Vertreter des Reiches Gallien aus, der dann die Soldaten auf dieses Reich in Eid und Pflicht nahm. Denselben Schwur leistete in die Hände der eidbrüchigen Offiziere die Besatzung von Vetera, die, durch Hunger bezwungen, sofort sich ergab und ebenso die Besatzung von Mainz, wo nur wenige einzelne der Schande sich durch Flucht oder Tod entzogen. Das ganze stolze Rheinheer, die erste Armee des Reiches, hatte vor seinen eigenen Auxilien, Rom vor Gallien kapituliert.

Es war ein Trauerspiel und zugleich eine Posse. Das gallische Reich verlief, wie es mußte. Civilis und seine Germanen ließen es zunächst sich wohl gefallen, daß der Zwist im römischen Lager ihnen die eine wie die andere Hälfte der Feinde in die Hände spielte, aber er dachte nicht daran, jenes Reich anzuerkennen, und noch weniger seine rechtsrheinischen Genossen.

Ebenso wenig wollten die Gallier selbst davon etwas wissen, wobei allerdings der schon bei dem Aufstand des Vindex hervorgetretene Riß zwischen den östlichen Distrikten und dem übrigen Lande mit ins Gewicht fiel. Die Treverer und die Lingonen, deren leitende Männer jene Lagerverschwörung angezettelt hatten, standen zu ihren Führern, aber sie blieben so gut wie allein, nur die Vangionen und Triboker schlossen sich an. Die Sequaner, in deren Gebiet die benachbarten Lingonen einrückten, um sie zum Beitritt zu bestimmen, schlugen dieselben kurzweg zum Lande hinaus. Die angesehenen Remer, der führende Gau in der Belgica, riefen den Landtag der drei Gallien ein, und obwohl es an politischen Freiheitsrednern auf demselben nicht mangelte, so beschloß derselbe lediglich die Treverer von der Auflehnung abzumahnen. – Wie die Verfassung des neuen Reiches ausgefallen sein würde, wenn es zustande gekommen wäre, ist schwer zu sagen; wir erfahren nur, daß jener Sabinus, der Urenkel der Kebse Cäsars, sich auch Cäsar nannte und in dieser Eigenschaft sich von den Sequanern schlagen ließ, Classicus dagegen, dem solche Aszendenz nicht zu Gebote stand, die Abzeichen der römischen Magistratur anlegte, also wohl den republikanischen Prokonsul spielte. Dazu paßt eine Münze, die von Classicus oder seinen Anhängern geschlagen sein muß, welche den Kopf der Gallia zeigt, wie die Münzen der römischen Republik den der Roma, und daneben das Legionssymbol mit der recht verwegenen Umschrift der »Treue« (fides). – Zunächst am Rhein freilich hatten die Reichsmänner in Gemeinschaft mit den insurgierten Germanen freie Hand. Die Reste der beiden Legionen, die in Vetera kapituliert hatten, wurden gegen die Kapitulation und gegen Civilis' Willen niedergemacht, die beiden von Noväsium und Bonna nach Trier geschickt, die sämtlichen römischen Rheinlager, große und kleine, mit Ausnahme von Mogontiacum niedergebrannt. In der schlimmsten Lage fanden sich die Agrippinenser. Die Reichsmänner hatten sich allerdings darauf beschränkt, von ihnen den Treueid zu fordern; aber ihnen vergaßen es die Germanen nicht, daß sie eigentlich die Ubier waren. Eine Botschaft der Tencterer vom rechten Rheinufer – es war dies einer der Stämme, deren alte Heimat die Römer öde gelegt hatten und als Viehtrift benutzten und die infolgedessen sich andere Wohnsitze hatten suchen müssen – forderte die Schleifung dieses Hauptsitzes der germanischen Apostaten und die Hinrichtung aller ihrer Bürger römischer Herkunft. Dies wäre auch wohl beschlossen worden, wenn nicht sowohl Civilis, der ihnen persönlich verpflichtet war, wie auch die germanische Prophetin Veleda im Bructerergau, welche diesen Sieg vorher gesagt hatte und deren Autorität das ganze Insurgentenheer anerkannte, ihr Fürwort eingelegt hätten.

Lange Zeit blieb den Siegern nicht, über die Beute zu streiten. Die Reichsmänner versicherten allerdings, daß der Bürgerkrieg in Italien ausgebrochen, alle Provinzen vom Feinde überzogen und Vespasianus wahrscheinlich tot sei; aber der schwere Arm Roms wurde bald genug empfunden. Das neubefestigte Regiment konnte die besten Feldherren und zahlreiche Legionen an den Rhein entsenden, und es bedurfte allerdings hier einer imposanten Machtentwicklung. Annius Gallus übernahm das Kommando in der oberen, Petillius Cerialis in der unteren Provinz, der letztere, ein ungestümer und oft unvorsichtiger, aber tapferer und fähiger Offizier, die eigentliche Aktion. Außer der 21. Legion von Vindonissa kamen fünf aus Italien, drei aus Spanien, eine nebst der Flotte aus Britannien, dazu ein weiteres Korps von der rätischen Besatzung. Dieses und die 21. Legion trafen zuerst ein. Die Reichsmänner hatten wohl davon geredet, die Alpenpässe zu sperren; aber geschehen war nichts, und das ganze oberrheinische Land bis nach Mainz lag offen da. Die beiden Mainzer Legionen hatten zwar dem gallischen Reich geschworen und leisteten anfänglich Widerstand; aber sowie sie erkannten, daß eine größere römische Armee ihnen gegenüberstand, kehrten sie zum Gehorsam zurück und ihrem Beispiel folgten sofort die Vangionen und die Triboker. Sogar die Lingonen unterwarfen sich ohne Schwertstreich, bloß gegen Zusage milder Behandlung, ihrer 70 000 waffenfähige Männer. Fast hätten die Treverer selbst das Gleiche getan; doch wurden sie daran durch den Adel verhindert. Die beiden von der niederrheinischen Armee übriggebliebenen Legionen, die hier standen, hatten auf die erste Kunde von dem Annahen der Römer die gallischen Insignien von ihren Feldzeichen gerissen und rückten ab zu den treugebliebenen Mediomatrikern (Metz), wo sie sich der Gnade des neuen Feldherrn unterwarfen. Als Cerialis bei dem Heer eintraf, fand er schon ein gutes Stück der Arbeit getan. Die Insurgentenführer freilich boten das äußerste auf – damals sind auf ihr Geheiß die bei Noväsium ausgelieferten Legionslegaten umgebracht worden –, aber militärisch waren sie ohnmächtig und ihr letzter politischer Schachzug, dem römischen Feldherrn selber die Herrschaft des gallischen Reiches anzutragen, des Anfangs würdig. Nach kurzem Gefecht besetzte Cerialis die Hauptstadt der Treverer, nachdem die Führer und der ganze Rat zu den Germanen geflüchtet waren; das war das Ende des gallischen Reiches. – Ernster war der Kampf mit den Germanen. Civilis überfiel mit seiner gesamten Streitmacht, den Batavern, dem Zuzug der Germanen und den landflüchtigen Scharen der gallischen Insurgenten, die viel schwächere römische Armee in Trier selbst; schon war das römische Lager in seiner Gewalt und die Moselbrücke von ihm besetzt, als seine Leute, statt den gewonnenen Sieg zu verfolgen, vorzeitig zu plündern begannen, und Cerialis, seine Unvorsichtigkeit durch glänzende Tapferkeit wieder gut machend, den Kampf wiederherstellte und schließlich die Germanen aus dem Lager und der Stadt hinausschlug. Es gelang nichts mehr von Bedeutung. Die Agrippinenser schlugen sich sofort wieder zu den Römern und brachten die bei ihnen weilenden Germanen in den Häusern um; eine ganze dort lagernde germanische Kohorte wurde eingesperrt und in ihrem Quartier verbrannt. Was in der Belgica noch zu den Germanen hielt, brachte die aus Britannien eintreffende Legion zum Gehorsam zurück; ein Sieg der Cannenefaten über die römischen Schiffe, die die Legion gelandet hatten, andere einzelne Erfolge der tapferen germanischen Haufen und vor allem der zahlreicheren und besser geführten germanischen Schiffe änderten die allgemeine Kriegslage nicht. Auf den Ruinen von Vetera bot Civilis dem Feind die Stirn; aber dem inzwischen verdoppelten römischen Heere mußte er weichen, dann endlich auch die eigene Heimat nach verzweifelter Gegenwehr dem Feind überlassen. Wie immer stellte im Gefolge des Unglücks die Zwietracht sich ein; Civilis war seiner eigenen Leute nicht mehr sicher und suchte und fand Schutz vor ihnen bei den Feinden. Im Spätherbst des J. 70 war der ungleiche Kampf entschieden; die Auxilien kapitulierten nun ihrerseits vor den Bürgerlegionen und die Priesterin Veleda kam als Gefangene nach Rom.

Blicken wir zurück auf diesen Krieg, einen der seltsamsten und einen der entsetzlichsten aller Zeiten, so ist kaum je einer Armee eine gleich schwere Aufgabe gestellt worden wie den beiden römischen Rheinheeren in den Jahren 69 und 70. Im Laufe weniger Monate Soldaten Neros, dann des Senats, dann Galbas, dann des Vitellius, dann Vespasians; die einzige Stütze der Herrschaft Italiens über die zwei mächtigen Nationen der Gallier und der Germanen, und die Soldaten der Auxilien fast ganz, die der Legionen großenteils aus eben diesen Nationen genommen; ihrer besten Mannschaften beraubt, meist ohne Löhnung und oft hungernd und über alle Maßen elend geführt, ist ihnen allerdings innerlich wie äußerlich Übermenschliches zugemutet worden. Sie haben die schwere Probe übel bestanden. Es ist dieser Krieg weniger einer gewesen zwischen zwei Armeekorps, wie die anderen Bürgerkriege dieser entsetzlichen Zeit, als ein Krieg der Soldaten und vor allem der Offiziere zweiter Klasse gegen die der ersten, verbunden mit einer gefährlichen Insurrektion und Invasion der Germanen und einer beiläufigen und unbedeutenden Auflehnung einiger keltischer Distrikte. In der römischen Militärgeschichte sind Cannä und Karrhä und der Teutoburger Wald Ruhmesblätter verglichen mit der Doppelschmach von Noväsium; nur wenige einzelne Männer, keine einzige Truppe hat in der allgemeinen Verunehrung sich reinen Schild bewahrt. Die grauenhafte Zerrüttung des Staats- und vor allem des Heerwesens, welche bei dem Untergang der julisch-claudischen Dynastie uns entgegentritt, erscheint deutlicher noch als in der führerlosen Schlacht von Betriacum in diesen Vorgängen am Rhein, deren gleichen die Geschichte Roms nie vorher und nie nachher aufweist.

Bei dem Umfang und der Allgemeinheit dieser Frevel war ein entsprechendes Strafgericht unmöglich. Es verdient Anerkennung, daß der neue Herrscher, der glücklicherweise persönlich all diesen Vorgängen ferngeblieben war, in echt staatsmännischer Weise das Vergangene vergangen sein ließ und nur bemüht war, der Wiederholung ähnlicher Auftritte vorzubeugen. Daß die hervorragenden Schuldigen sowohl aus den Reihen der Truppen wie aus den Insurgenten für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurden, versteht sich von selbst; man mag das Strafgericht daran messen, daß, als fünf Jahre später einer der gallischen Insurgentenführer in einem Versteck aufgefunden wurde, in dem seine Gattin ihn bis dahin verborgen gehalten hatte, Vespasian ihn wie sie dem Henker übergab. Aber man gestattete den abtrünnigen Legionen mit gegen die Deutschen zu kämpfen und in den heißen Schlachten bei Trier und bei Vetera ihre Schuld einigermaßen zu sühnen. Allerdings wurden nichts desto weniger die vier Legionen des unterrheinischen Heeres alle und von den beiden beteiligten oberrheinischen die eine kassiert – gern möchte man glauben, daß die 22. verschont ward in ehrender Erinnerung an ihren tapferen Legaten. Auch von den batavischen Kohorten ist wahrscheinlich eine beträchtliche Anzahl von dem gleichen Schicksal betroffen worden, nicht minder, wie es scheint, das Reiterregiment der Treverer und vielleicht noch manche andere besonders hervorgetretene Truppe. Noch viel weniger als gegen die abtrünnigen Soldaten konnte gegen die insurgierten keltischen und germanischen Gaue mit der vollen Schärfe des Gesetzes eingeschritten werden; daß die römischen Legionen die Schleifung der treverischen Augustuskolonie forderten, diesmal nicht der Beute, sondern der Rache wegen, ist wenigstens ebenso begreiflich wie die von den Germanen begehrte Zerstörung der Ubierstadt; aber wie Civilis diese, so schützte jene Vespasian. Selbst den linksrheinischen Germanen wurde ihre bisherige Stellung im ganzen gelassen. Wahrscheinlich aber trat – wir sind hier ohne sichere Überlieferung – in der Aushebung und der Verwendung der Auxilien eine wesentliche Änderung ein, welche die in dem Auxilienwesen liegende Gefahr minderte. Den Batavern blieb die Steuerfreiheit und ein immer noch bevorzugtes Dienstverhältnis; hatte doch ein nicht ganz geringer Teil derselben die Sache der Römer mit den Waffen verfochten. Aber die batavischen Truppen wurden beträchtlich verringert, und wenn ihnen bisher, wie es scheint von Rechts wegen, die Offiziere aus dem eigenen Adel gesetzt worden waren und auch gegenüber den sonstigen germanischen und keltischen das Gleiche wenigstens häufig geschehen war, so werden die Offiziere der Alen und Kohorten späterhin überwiegend aus dem Stande genommen, dem Vespasian selber entstammte, aus dem guten städtischen Mittelstand Italiens und der italisch geordneten Provinzialstädte. Offiziere von der Stellung des Cheruskers Arminius, des Batavers Civilis, des Treverers Classicus begegnen seitdem nicht wieder. Die bisherige Geschlossenheit der aus dem gleichen Gau ausgehobenen Truppen findet sich später ebensowenig, sondern die Leute dienen ohne Unterschied ihrer Herkunft in den verschiedensten Abteilungen; es ist das wahrscheinlich eine Lehre, welche die römische Militärverwaltung sich aus diesem Kriege gezogen hat. Eine andere durch diesen Krieg gewiesene Änderung wird es sein, daß, wenn bis dahin die in Germanien verwendeten Auxilien der Mehrzahl nach aus den germanischen und den benachbarten Gauen genommen waren, seitdem ebenso wie die dalmatischen und pannonischen infolge des batonischen Krieges fortan auch die germanischen Auxiliartruppen überwiegend außerhalb ihrer Heimat Verwendung fanden. Vespasian war ein einsichtiger und erfahrener Militär; es ist wahrscheinlich zum guten Teil sein Verdienst, wenn von Auflehnung der Auxilien gegen ihre Legionen kein späteres Beispiel begegnet.

Daß die eben berichtete Insurrektion der linksrheinischen Germanen, obwohl sie, infolge der zufälligen Vollständigkeit der darüber erhaltenen Berichte, allein uns einen deutlichen Einblick in die politischen und militärischen Verhältnisse am Unterrhein und Galliens überhaupt gewährt und darum auch eine ausführliche Erzählung verdiente, dennoch mehr durch äußere und zufällige Ursachen als durch die innere Notwendigkeit der Dinge hervorgerufen wurden, beweist die nun folgende anscheinend vollständige Ruhe daselbst und der, so viel wir sehen, ununterbrochene Statusquo eben in dieser Gegend. Die römischen Germanen sind in dem Reiche nicht minder vollständig aufgegangen als die römischen Gallier; von Insurrektionsversuchen jener ist nie wieder die Rede. Am Ausgang des dritten Jahrhunderts wird von den über den Unterrhein in Gallien einbrechenden Franken auch das batavische Gebiet mit erfaßt; doch haben sich die Bataver in ihren alten, wenn auch geschmälerten Sitzen und ebenso die Friesen selbst während der Wirren der Völkerwanderung behauptet und so viel wir wissen auch dem baufälligen Reichsganzen die Treue bewahrt.

Wenden wir uns von den römischen zu den freien Germanen östlich vom Rhein, so ist für diese mit ihrer Beteiligung an jener batavischen Insurrektion das offensive Vorgehen nicht minder vorbei wie mit den Expeditionen des Germanicus die Versuche der Römer zu Ende sind, eine Grenzveränderung im großen Stil in diesen Gebieten herbeizuführen.

Unter den freien Germanen sind die dem römischen Gebiet nächstwohnenden die Bructerer an beiden Ufern der mittleren Ems und in dem Quellgebiet der Ems und der Lippe, weshalb sie auch vor allen übrigen Germanen sich an der batavischen Insurrektion beteiligten. Aus ihrem Gau war das Mädchen Veleda, die ihre Landsleute in den Krieg gegen Rom entsandte und ihnen den Sieg verhieß, deren Ausspruch über das Schicksal der Ubierstadt entschied, zu deren hohem Turm die gefangenen Senatoren und das erbeutete Admiralschiff der Rheinflotte gesendet wurden. Die Niederwerfung der Bataver traf auch sie, vielleicht noch ein besonderer Gegenschlag der Römer, da jene Jungfrau späterhin gefangen nach Rom geführt ward. Diese Katastrophe sowie Fehden mit den benachbarten Völkern brachen ihre Macht; unter Nerva ist ihnen ein König, den sie nicht wollten, von ihren Nachbarn unter passiver Assistenz des römischen Legaten mit den Waffen aufgezwungen worden.

Die Cherusker im oberen Wesergebiet, zu Augustus' und Tiberius' Zeit der führende Gau in Mitteldeutschland, werden seit Armins Tode selten genannt, immer aber als in guten Beziehungen zu den Römern stehend. Als der Bürgerkrieg, der bei ihnen auch nach Arminius' Fall weiter gewütet haben muß, ihr ganzes Fürstengeschlecht hingerafft, erbaten sie sich den letzten des Hauses, den in Italien lebenden Brudersohn Armins Italicus, von der römischen Regierung zum Herrscher; freilich entzündete die Heimkehr des tapferen, aber mehr seinem Namen als seiner Herkunft entsprechenden Mannes die Fehde abermals und, von den Seinen vertrieben, setzten ihn noch einmal die Langobarden auf den wankenden Herrschersitz. Einer seiner Nachfolger, der König Chariomerus, ergriff in dem Chattenkrieg Domitians so ernstlich für die Römer Partei, daß er nach dessen Beendigung, von den Chatten vertrieben, zu den Römern flüchtete und deren Intervention freilich vergebens anrief. Durch diese ewigen inneren und äußeren Fehden ward das Cheruskervolk so geschwächt, daß es seitdem aus der aktiven Politik verschwindet. Der Name der Marser wird seit den Zügen des Germanicus überhaupt nicht mehr gefunden. Daß die weiter östlich an der Elbe wohnenden Völkerschaften wie alle entferntere Germanen an den Kämpfen der Bataver und ihrer Genossen in den J. 69 und 70 sich so wenig beteiligt haben wie diese an den germanischen Kriegen unter Augustus und Tiberius, darf bei der Ausführlichkeit des Berichtes als sicher bezeichnet werden. Wo sie späterhin einmal begegnen, erscheinen sie nie in feindlicher Haltung gegen die Römer. Daß die Langobarden den römischen Cheruskerkönig wieder einsetzten, wurde schon erwähnt. Der König der Semnonen Masuus, und merkwürdigerweise mit ihm die Prophetin Ganna, welche bei diesem wegen besonderer Gläubigkeit berühmten Stamme in hohem Ansehen stand, besuchten den Kaiser Domitianus in Rom und wurden an dessen Hofe freundlich aufgenommen. Es mag in den Gegenden von der Weser bis zur Elbe in diesen Jahrhunderten manche Fehde getobt, manche Machtstellung sich verschoben, mancher Gau den Namen gewechselt oder sich anderer Verbindung eingefügt haben; den Römern gegenüber trat, nachdem der feste Verzicht derselben auf Unterwerfung dieser Landschaft allgemein empfunden ward, ein dauernder Grenzfriede ein. Auch Invasionen aus dem fernen Osten können denselben in dieser Epoche nicht wesentlich gestört haben; denn der Rückschlag davon auf die römische Grenzwacht hätte nicht ausbleiben können und von ernsteren Krisen auf diesem Gebiet würde die Kunde nicht fehlen. Zu allem diesem gibt das Siegel die Reduktion der niederrheinischen Armee auf die Hälfte des früheren Bestandes, welche, wir wissen nicht genau wann, aber in dieser Epoche eingetreten ist. Das niederrheinische Heer, mit welchem Vespasian zu kämpfen hatte, zählte vier Legionen, das der traianischen Zeit vermutlich die gleiche Zahl, mindestens drei; wahrscheinlich schon unter Hadrian, gewiß unter Marcus standen daselbst nicht mehr als zwei, die 1. minervische und die 30. Traians.

In anderer Weise entwickelten sich die germanischen Verhältnisse in der oberen Provinz. Von den linksrheinischen Germanen, die dieser angehörten, den Tribokern, Nemetern, Vangionen, ist geschichtlich nichts hervorzuheben, als daß sie, seit langem unter den Kelten ansässig, die Schicksale Galliens teilten. Die hauptsächliche Verteidigungslinie der Römer ist auch hier der Rhein immer geblieben. Alle Standlager der Legionen finden sich zu aller Zeit auf dem linken Rheinufer; nicht einmal das von Argentoratum ist auf das rechte verlegt worden, als das ganze Neckargebiet römisch war. Aber wenn in der unteren Provinz die römische Herrschaft auf dem rechten Rheinufer im Laufe der Zeit beschränkt wird, so wird sie umgekehrt hier erweitert. Die von Augustus beabsichtigte Verknüpfung der Rheinlager mit denen an der Donau durch Vorschiebung der Reichsgrenze in östlicher Richtung, welche, wenn sie zur Ausführung gekommen wäre, mehr Ober- als Untergermanien erweitert haben würde, ist in diesem Kommando wohl niemals völlig aufgegeben und späterhin, wenn auch in bescheidenerem Maßstabe, wieder aufgenommen worden. Die Überlieferung gestattet uns nicht, die in diesem Sinne durch Jahrhunderte fortgeführten Operationen, die dazugehörigen Straßen- und Wallbauten, die deshalb geführten Kriege in ihrem Zusammenhang darzulegen; und auch der noch vorhandene große Militärbau, dessen gleichfalls Jahrhunderte umfassende Entstehung einen guten Teil jener Geschichte in sich schließen muß, ist bisher nicht so, wie es wohl geschehen könnte, von militärisch geschärften Augen in seiner Gesamtheit untersucht worden – die Hoffnung, daß das geeinigte Deutschland sich auch zu der Erforschung dieses seines ältesten geschichtlichen Gesamtdenkmals vereinigen werde, ist fehlgeschlagen. Was zur Zeit aus den Trümmern der römischen Annalen oder der römischen Kastelle darüber ans Licht gekommen ist, soll hier versucht werden zusammenzufassen.

Auf dem rechten Ufer legt sich nicht weit von dem nördlichen Ende der Provinz dem ebenen oder hügeligen niederrheinischen Land in westöstlicher Richtung die Taunuskette vor, die gegenüber Bingen auf den Rhein stößt. Diesem Bergzug parallel, auf der anderen Seite abgeschlossen durch die Ausläufer des Odenwaldes, erstreckt sich die Ebene des unteren Maintales, der rechte Zugang zum inneren Deutschland, beherrscht von der Schlüsselstellung an der Mündung des Mains in den Rhein, Mogontiacum oder Mainz, seit Drusus' Zeit bis zum Ausgang Roms der Ausfallsburg der Römer aus Gallien gegen Germanien wie heutzutage dem rechten Riegel Deutschlands gegen Frankreich. Hier behielten die Römer, auch nachdem sie auf die Herrschaft im überrheinischen Land im allgemeinen verzichtet hatten, nicht bloß den Brückenkopf am anderen Ufer, das castellum Mogontiacense (Castel), sondern jene Mainebene selbst in ihrem Besitz; und in diesem Gebiet durfte auch die römische Zivilisation sich festsetzen. Es war dies ursprünglich chattisches Land und ein chattischer Stamm, die Mattiaker sind auch unter römischer Herrschaft hier ansässig geblieben; aber nachdem die Chatten diesen Distrikt an Drusus hatten abtreten müssen, ist derselbe ein Teil des Reiches geblieben. Die warmen Quellen in der nächsten Nähe von Mainz (aquae Mattiacae, Wiesbaden) wurden erweislich in Vespasians Zeit und sicher schon lange vorher von den Römern benutzt; unter Claudius wurde hier auf Silber gebaut; die Mattiaker haben schon früh wie andere Untertanendistrikte Truppen zur Armee gestellt. An der allgemeinen Auflehnung der Germanen unter Civilis nahmen sie Anteil; aber nach der Besiegung stellten die früheren Verhältnisse sich wieder her. Seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts finden wir die Gemeinde der taunensischen Mattiaker unter römisch geordneten Behörden.

Die Chatten, obwohl also vom Rhein abgedrängt, erscheinen in der folgenden Zeit als der mächtigste Stamm unter denen des germanischen Binnenlandes, die mit den Römern in Beziehung kamen; die Führung, die unter Augustus und Tiberius die Cherusker an der mittleren Weser gehabt hatten, ging in der stetigen Fehde mit diesen ihren stammverwandten südlichen Nachbarn auf die letzteren über. Alle Kriege zwischen Römern und Germanen, von denen wir aus der Zeit nach Arminius' Tod bis auf die beginnende Völkerverschiebung am Ende des 3. Jahrhunderts Kunde haben, sind gegen die Chatten geführt worden; so im J. 41 unter Claudius durch den späteren Kaiser Galba, im J. 50 unter demselben Kaiser durch den als Dichter gefeierten Publius Pomponius Secundus. Dies waren die üblichen Grenzeinfälle, und an dem großen batavischen Kriege waren die Chatten zwar auch, aber nur nebenbei beteiligt. Aber in dem Feldzug, den der Kaiser Domitianus im J. 83 unternahm, waren die Römer die Angreifenden, und dieser Krieg führte zwar nicht zu glänzenden Siegen, aber wohl zu einer bedeutenden und folgenreichen Vorschiebung der römischen Grenze. Damals wird die Grenzlinie so, wie wir sie seitdem gezogen finden, geordnet und in dieselbe, welche in ihrem nördlichsten Stück sich nicht weit vom Rhein entfernte, hier ein großer Teil des Taunus und das Maingebiet bis oberhalb Friedberg hineingezogen worden sein. Die Usiper, die nach ihrer schon berichteten Vertreibung aus dem Lippegebiet um die Zeit Vespasians in der Nähe von Mainz auftreten und östlich von den Mattiakern an der Kinzig oder im Fuldischen neue Sitze gefunden haben mögen, sind damals zum Reiche gezogen worden, und zugleich mit ihnen eine Anzahl kleinerer von den Chatten abgesprengter Völkerschaften. Als dann im J. 88 unter dem Statthalter Lucius Antonius Saturninus das obergermanische Heer gegen Domitian sich erhob, hätte fast der Krieg sich erneuert; die abgefallenen Truppen machten gemeinschaftliche Sache mit den Chatten und nur die Unterbrechung der Kommunikationen, indem das Eis auf dem Rhein aufging, machte den treugebliebenen Regimentern möglich, mit den abgefallenen fertig zu werden, bevor der gefährliche Zuzug eintraf. Es wird berichtet, daß die römische Herrschaft von Mainz landeinwärts 80 Leugen weit, also noch über Fulda hinaus sich erstreckt hat; und diese Nachricht erscheint glaubwürdig, wenn dabei in Betracht gezogen wird, daß die militärische Grenzlinie, die allerdings nicht weit über Friedberg hinausgegangen zu sein scheint, sich wohl auch hier innerhalb der Gebietsgrenze hielt.

Aber nicht bloß das untere Maintal vorwärts Mainz ist in die militärische Grenzlinie hineingezogen worden; auch im südwestlichen Deutschland wurde die Grenze noch in größerem Maßstab vorgeschoben. Das Neckargebiet, einst von den keltischen Helvetiern eingenommen, dann lange Zeit streitiges Grenzland zwischen diesen und den vordringenden Germanen und darum das helvetische Ödland genannt, späterhin vielleicht teilweise von den Markomannen besetzt, bevor diese nach Böhmen zurückwichen, kam bei der Regulierung der germanischen Grenzen nach der Varusschlacht in die gleiche Verfassung wie der größte Teil des rechten unterrheinischen Ufers. Es wird auch hier schon damals eine Grenzlinie bezeichnet worden sein, innerhalb deren germanische Ansiedlungen nicht geduldet wurden. Wie auf nicht eingedeichter Marsch ließen dann einzelne meist gallische Einwanderer, die nicht viel zu verlieren hatten, in diesen fruchtbaren, aber wenig geschützten Strichen, dem damals sogenannten Decumatenland, sich nieder. Dieser vermutlich von der Regierung nur geduldeten privaten Okkupation folgte die förmliche Besetzung wahrscheinlich unter Vespasian. Da schon um das J. 74 von Straßburg aus eine Chaussee auf das rechte Rheinufer wenigstens bis nach Offenburg geführt worden ist, so wird um diese Zeit in diesem Gebiet ein ernstlicherer Grenzschutz eingerichtet worden sein, als ihn das bloße Verbot germanischer Siedlung gewährte. Was der Vater begonnen hatte, führten die Söhne durch. Vielleicht ist sogar, sei es von Vespasian, sei es von Titus oder Domitian, durch die Anlegung der »flavischen Altäre« an der Neckarquelle bei dem heutigen Rottweil, von welcher Ansiedlung wir freilich nichts als den Namen kennen, für das rechtsrheinische neue Obergermanien ein ähnlicher Mittelpunkt geschaffen worden, wie es früher der ubische Altar für Großgermanien hatte werden sollen und bald nachher für das neu eroberte Dacien der Altar von Sarmizegetusa wurde. Die erste Einrichtung der weiterhin zu schildernden Grenzwehr, durch welche das Neckartal in die römische Linie hineingezogen wurde, ist also das Werk der Flavier, hauptsächlich wohl Domitians, welcher damit die Anlage am Taunus weiter führte. Die rechtsrheinische Militärstraße von Mogontiacum über Heidelberg und Baden in der Richtung auf Offenburg, die notwendige Konsequenz dieser Einziehung des Neckargebiets, ist, wie wir jetzt wissen, im J. 100 von Traian angelegt und ein Teil der von demselben Kaiser hergestellten direkteren Verbindung Galliens mit der Donaulinie. Die Soldaten sind bei diesen Werken tätig gewesen, aber schwerlich die Waffen; germanische Völkerschaften wohnten im Neckargebiet nicht, und noch weniger kann der schmale Streifen am linken Ufer der Donau, welcher dadurch mit in die Grenzlinie gezogen ward, ernstliche Kämpfe gekostet haben. Das nächste namhafte germanische Volk daselbst, die Hermunduren, waren den Römern freundlich gesinnt wie kein anderes und führten in der Vindelikerstadt Augusta mit ihnen lebhaften Handelsverkehr; daß bei ihnen diese Vorschiebung keinen Widerstand gefunden hat, davon werden wir weiterhin die Spuren finden. Unter den folgenden Regierungen, des Hadrian, des Pius, des Marcus, ist dann an diesen militärischen Einrichtungen weiter gebaut worden.

Den Grenzschutz zwischen Rhein und Donau, wie er zum großen Teil in seinen Fundamenten noch heute besteht, vermögen wir nicht in seiner Entstehungsgeschichte zu verfolgen, wohl aber zu erkennen nicht bloß, wie er lief, sondern auch, wozu er diente. Die Anlage ist nach Art und Zweck eine andere in Obergermanien und eine andere in Rätien. Der obergermanische Grenzschutz, in der Gesamtlänge von etwa 250 römischen Milien (368 Kilometer), beginnt unmittelbar an der Nordgrenze der Provinz, umfaßt, wie schon gesagt ward, den Taunus und die Mainebene bis in die Gegend von Friedberg und wendet sich von da südwärts dem Main zu, auf welchen er bei Großkrotzenburg oberhalb Hanau trifft. Dem Main von da bis Wörth folgend, schlägt er hier die Richtung nach dem Neckar ein, den er etwas unterhalb Wimpfen erreicht und nicht wieder verläßt. Später ist der südlichen Hälfte dieser Grenzlinie eine zweite vorgelegt worden, die dem Main über Wörth hinaus bis nach Miltenberg folgt und von da, zum größeren Teil in schnurgerader Richtung, auf Lorch zwischen Stuttgart und Aalen geführt ist. Hier schließt an den obergermanischen der rätische Grenzschutz an von nur 120 Milien (174 Kilometer) Länge; er verläßt die Donau bei Kelheim oberhalb Regensburg und läuft von da, zweimal die Altmühl überschreitend, im Bogen nach Westen zu ebenfalls bis Lorch. – Der obergermanische Limes besteht aus einer Reihe von Kastellen, die höchstens einen halben Tagemarsch (15 Kilometer) von einander entfernt sind. Wo die Verbindungslinien zwischen den Kastellen nicht durch den Main oder den Neckar, wie angegeben, gesperrt sind, ist eine künstliche Sperrung angebracht, anfangs vielleicht bloß durch Verhaue, späterhin durch einen fortlaufenden Wall von mäßiger Höhe mit außen vorgelegtem Graben und in kurzen Entfernungen auf der inneren Seite eingebauten Wachttürmen. Die Kastelle sind in den Wall nicht eingezogen, aber unmittelbar hinter ihm angelegt, nicht leicht über einen halben Kilometer von ihm entfernt. – Der rätische Grenzschutz ist eine bloße durch Aufschüttung von Bruchsteinen bewirkte Sperrung; Graben und Wachttürme fehlen und die hinter dem Limes ohne regelrechte Folge und in ungleichen Abständen (keines näher als 4 bis 5 Kilometer) angelegten Kastelle stehen mit der Sperrlinie in keiner unmittelbaren Verbindung. Über die zeitliche Folge der Anlagen fehlen bestimmte Zeugnisse; erwiesen ist, daß die obergermanische Neckarlinie unter Pius, die ihr vorgelegte von Miltenberg nach Lorch unter Marcus bestand. Gemeinschaftlich ist beiden sonst so verschiedenen Anlagen die Grenzsperrung; daß in dem einen Fall die Erdaufschüttung vorgezogen ist, durch welche der Graben sich meistens von selber ergab, in dem andern die Steinschichtung, beruht wahrscheinlich nur auf der Verschiedenartigkeit des Bodens und des Baumaterials. Gemeinschaftlich ist ihnen ferner, daß weder die eine noch die andere angelegt ist zur Gesamtverteidigung der Grenze. Nicht bloß ist das Hindernis, welches die Erd- oder Steinschüttung dem Angreifer entgegenstellt, an sich geringfügig, sondern es begegnen auf der Linie überall überhöhende Stellungen, hinterliegende Sümpfe, Verzicht auf den Ausblick in das Vorland und ähnliche deutliche Spuren davon, daß bei deren Tracierung an Kriegszwecke überhaupt nicht gedacht ist. Die Kastelle sind natürlich jedes für sich zur Verteidigung eingerichtet, aber sie sind nicht durch chaussierte Querstraßen verbunden; also stützte die einzelne Besatzung sich nicht auf die der benachbarten Kastelle, sondern auf den Rückhalt, zu welchem die Straße führte, welche eine jede besetzt hielt. Es waren ferner diese Besatzungen nicht eingefügt in ein militärisches System der Grenzverteidigung, mehr befestigte Stellungen für den Notfall als strategisch gewählte für die Okkupation des Gebiets, wie denn auch schon die Ausdehnung der Linie selbst, verglichen mit der disponiblen Truppenzahl, die Möglichkeit einer Gesamtverteidigung ausschließt. Also haben diese ausgedehnten militärischen Anlagen nicht den Zweck gehabt wie der britannische Wall dem Feinde den Einbruch zu wehren. Es sollten vielmehr wie an den Flußgrenzen die Brücken, so an den Landgrenzen die Straßen durch die Kastelle beherrscht werden, im übrigen aber wie an den Wassergrenzen der Fluß, so an den Landgrenzen der Wall die nicht kontrollierte Überschreitung der Grenzen hindern. Anderweitige Benutzung mochte sich damit verbinden; die oft hervortretende Bevorzugung der geradlinigen Richtung deutet auf Verwendung für Signale, und gelegentlich mag die Anlage auch geradezu für Kriegszwecke benutzt worden sein. Aber der eigentliche und nächste Zweck der Anlage war die Verhinderung der Grenzüberschreitung. Daß dabei nicht an der rätischen, wohl aber an der obergermanischen Grenze Wachtposten und Forts eingerichtet worden sind, erklärt sich aus dem verschiedenen Verhältnis zu den Nachbarn, dort den Hermunduren, hier den Chatten. Die Römer standen in Obergermanien ihren Nachbarn nicht so gegenüber wie den britannischen Hochländern, gegen die die Provinz sich stets im Belagerungsstand befand; aber die Abwehr räuberischer Einbrecher sowie die Erhebung der Grenzzölle forderten doch bereite und nahe militärische Hilfe. Man konnte die obergermanische Armee und dementsprechend die Besatzungen am Limes allmählich reduzieren, aber entbehrlich ward das römische Pilum im Neckarlande nie. Wohl aber war es entbehrlich gegenüber den Hermunduren, welchen in traianischer Zeit allein von allen Germanen das Überschreiten der Reichsgrenze ohne besondere Kontrolle und der freie Verkehr im römischen Gebiet, namentlich in Augsburg freistand, und mit denen, so viel wir wissen, niemals Grenzkollisionen stattgefunden haben. Es war also für diese Zeit zu einer ähnlichen Anlage an der rätischen Grenze keine Veranlassung; die Kastelle nordwärts der Donau, welche erweislich bereits in traianischer Zeit bestanden, genügten hier für den Schutz der Grenze und die Kontrolle des Grenzverkehrs. Dem kommt die Wahrnehmung entgegen, daß der rätische Limes, wie er uns vor Augen steht, allein mit der jüngeren, vielleicht erst unter Marcus angelegten obergermanischen Sperrlinie korrespondiert. Damals fehlte dazu die Veranlassung nicht. Die Chattenkriege ergriffen, wie wir sehen werden, in dieser Zeit auch Rätien; auch die Verstärkung der Besatzung der Provinz kann füglich mit der Einrichtung dieses Limes in Verbindung stehen, welcher, wie wenig er für militärische Zwecke eingerichtet ist, doch wohl ebenfalls einer wenn auch milderen Grenzsperre wegen angelegt wurde.

Militärisch wie politisch ist die verlegte Grenze oder vielmehr der verstärkte Grenzschutz eingreifend und nützlich gewesen. Wenn früher die römische Postenkette in Obergermanien und Rätien wahrscheinlich rheinaufwärts über Straßburg nach Basel und an Vindonissa vorbei an den Bodensee, dann von da zu der oberen Donau gegangen war, so wurden jetzt das obergermanische Hauptquartier in Mainz und das rätische in Regensburg und überhaupt die beiden Hauptarmeen des Reiches einander beträchtlich genähert. Das Legionslager von Vindonissa (Windisch bei Zürich) wurde dadurch überflüssig. Das oberrheinische Heer konnte, wie das benachbarte, nach einiger Zeit auf die Hälfte seines früheren Bestandes herabgesetzt werden. Die anfängliche Zahl von vier Legionen, welche während des batavischen Krieges nur zufällig auf drei vermindert war, bestand allerdings wahrscheinlich noch unter Traian; unter Marcus aber war die Provinz nur mit zwei Legionen besetzt, der 8. und der 22., von denen die erste in Straßburg stand, die zweite in dem Hauptquartier Mainz, während die meisten Truppen in kleinere Posten aufgelöst an dem Grenzwall lagerten. Innerhalb der neuen Linie blühte das städtische Leben auf fast wie links vom Rheinlauf: Sumelocenna (Rottenburg am Neckar), Aquae (civitas Aurelia Aquensis, Baden), Lopodunum (Ladenburg) hatten, wenn man von Köln und Trier absieht, in römisch-städtischer Entwicklung den Vergleich mit keiner Stadt der Belgica zu scheuen. Das Emporkommen dieser Ansiedlungen ist hauptsächlich das Werk Traians, welcher sein Regiment mit dieser Friedenstat eröffnete; »den auf beiden Ufern römischen Rhein« fleht ein römischer Dichter an, den noch nicht gesehenen Herrscher ihnen bald zuzusenden. Die große und fruchtbare Landschaft, die auf diese Weise unter den Schutz der Legionen gestellt ward, war dieses Schutzes bedürftig, aber auch wert gewesen. Wohl bezeichnet die Varusschlacht die beginnende Ebbe der römischen Macht, aber nur insofern, als das Vorschreiten damit ein Ende hat und die Römer seitdem sich im allgemeinen begnügten, das damals Festgehaltene stärker und dauernder zu schirmen.

Bis in den Anfang des 3. Jahrhunderts zeigt die römische Macht am Rhein keine Spuren des Schwankens. Während des Markomannenkrieges unter Marcus blieb in der unteren Provinz alles ruhig. Wenn ein Legat der Belgica damals den Landsturm gegen die Chauker aufbieten mußte, so ist dies vermutlich ein Piratenzug gewesen, wie sie die Nordküste oftmals, in dieser Zeit ebenso wie früher und später, heimgesucht haben. An die Donauquellen und selbst bis in das Rheingebiet reichte der Wellenschlag der großen Völkerbewegung; aber die Fundamente erschütterte er hier nicht. Die Chatten, das einzige bedeutende germanische Volk an der obergermanisch-rätischen Grenzwacht, brachen in beiden Richtungen vor und sind wahrscheinlich damals selbst unter den in Italien einfallenden Germanen gewesen, wie dies weiterhin bei der Darstellung dieses Krieges gezeigt werden soll. Auf jeden Fall kann die von Marcus damals verfügte Verstärkung der rätischen Armee und ihre Umwandlung in ein Kommando erster Klasse mit Legion und Legaten nur erfolgt sein, um den Angriffen der Chatten zu steuern und beweist, daß man sie auch für die Zukunft nicht leicht nahm. Die schon erwähnte Verstärkung der Grenzverteidigung wird damit ebenfalls in Verbindung stehen. Für das nächste Menschenalter müssen diese Maßregeln ausgereicht haben.

Unter Antoninus, dem Sohn des Severus, brach (J. 213) abermals in Rätien ein neuer und schwererer Krieg aus. Auch dieser ist gegen die Chatten geführt worden; aber neben ihnen wird ein zweites Volk genannt, das hier zum erstenmal begegnet, das der Alemannen. Woher sie kamen, wissen wir nicht. Einem wenig später schreibenden Römer zufolge war es zusammengelaufenes Mischvolk; auf einen Gemeindebund scheint auch die Benennung hinzuweisen, sowie daß später noch die verschiedenen unter diesem Namen zusammengefaßten Stämme mehr als bei den sonstigen großen germanischen Völkern in ihrer Besonderheit hervortreten und die Juthungen, die Lentienser und andere Alemannenvölker nicht selten selbständig handeln. Aber daß es nicht die Germanen dieser Gegend sind, welche unter dem neuen Namen verbündet und durch den Bund verstärkt hier auftreten, zeigt sowohl die Nennung der Alemannen neben den Chatten wie die Meldung von der ungewohnten Geschicklichkeit der Alemannen im Reitergefecht. Vielmehr sind es der Hauptsache nach sicher aus dem Osten nachrückende Scharen gewesen, die dem fast erloschenen Widerstand der Germanen am Rhein neue Kraft verliehen haben; es ist nicht unwahrscheinlich, daß die in früherer Zeit an der mittleren Elbe hausenden mächtigen Semnonen, deren seit dem Ende des 2. Jahrh. nicht wieder gedacht wird, zu den Alemannen ein starkes Kontingent gestellt haben. Das stetig sich steigernde Mißregiment im römischen Reich hat natürlich auch, wenn gleich nur in zweiter Reihe, zu der Machtverschiebung seinen Teil beigetragen. Der Kaiser zog persönlich gegen die neuen Feinde ins Feld; im August des J. 213 überschritt er die römische Grenze und ein Sieg über sie am Main wurde erfochten oder wenigstens gefeiert; es wurden noch Kastelle angelegt; die Völkerschaften von der Elbe und der Nordsee beschickten den römischen Herrscher und verwunderten sich, wenn er sie in ihrer eigenen Tracht empfing, in silberbeschlagener Jacke und Haar und Bart nach deutscher Art gefärbt und geordnet. Aber von da an hören die Kriege am Rhein nicht auf, und die Angreifer sind die Germanen; die sonst so fügsamen Nachbarn waren wie ausgetauscht. Zwanzig Jahre später wurden an der Donau wie am Rhein die Einfälle der Barbaren so stetig und so ernsthaft, daß Kaiser Alexander deswegen den weniger unmittelbar gefährlichen persischen Krieg abbrechen und sich persönlich in das Lager von Mainz begeben mußte, nicht so sehr, um das Gebiet zu verteidigen, als um von den Deutschen den Frieden durch hohe Geldsummen zu erkaufen. Die Erbitterung der Soldaten darüber führte zu seiner Ermordung (J. 235) und damit zu dem Untergang der severischen Dynastie, der letzten, die es bis auf die Regeneration des Staates überhaupt gegeben hat. Sein Nachfolger Maximinus, ein roher, aber tapferer, vom gemeinen Soldaten auf gedienter Thraker, machte das feige Verhalten seines Vorgängers wieder gut durch einen nachdrücklichen Feldzug tief in Germanien hinein. Noch wagten die Barbaren nicht einem starken und wohlgeführten Römerheere die Spitze zu bieten; sie wichen in ihre Wälder und Sümpfe und auch dahin ihnen folgend focht im Handgemenge der tapfere Kaiser allen voran. Von diesen Kämpfen, die ohne Zweifel von Mainz aus zunächst gegen die Alemannen sich richteten, durfte er mit Recht sich Germanicus nennen; und auch für die Zukunft hat die Expedition vom J. 236, auf lange hinaus der letzte große Sieg, den die Römer am Rhein gewannen, wohl einiges gefruchtet. Obwohl die stetigen und blutigen Thronwechsel und die schweren Katastrophen im Osten und an der Donau die Römer nicht zu Atem kommen ließen, ist doch durch die nächsten zwanzig Jahre am Rhein, wenn nicht eigentlich die Ruhe erhalten worden, doch eine größere Katastrophe nicht eingetreten. Es scheint sogar damals eine der obergermanischen Legionen nach Afrika geschickt worden zu sein, ohne daß dafür Ersatz kam, also Obergermanien als wohl gesichert gegolten zu haben. Aber als im J. 253 wieder einmal die verschiedenen Feldherren Roms um die Kaiserwürde unter einander schlugen und die Rheinlegionen nach Italien marschierten, um ihren Kaiser Valerianus gegen den Ämilianus der Donauarmee durchzufechten, scheint dies das Signal gewesen zu sein für das Vorbrechen der Germanen, namentlich auch gegen den Unterrhein. Diese Germanen sind die hier zuerst auftretenden Franken, allerdings vielleicht nur dem Namen nach neue Gegner; denn obwohl die schon im späteren Altertum begegnende Identifikation derselben mit früher am Unterrhein genannten Völkerschaften, teils den neben den Bructerern sitzenden Chamavern, teils den früher genannten den Römern untertänigen Sugambrern, unsicher und mindestens unzulänglich ist, so hat es hier größere Wahrscheinlichkeit als bei den Alemannen, daß die bisher von Rom abhängigen Germanen am rechten Rheinufer und die früher vom Rhein abgedrängten germanischen Stämme damals unter dem Gesamtnamen der »Freien« gemeinschaftlich die Offensive gegen die Römer ergriffen haben. Solange Gallienus selbst am Rhein blieb, hielt er trotz der geringen ihm zur Verfügung stehenden Streitkräfte die Gegner einigermaßen im Zaum, verhinderte sie am Überschreiten des Flusses oder schlug die Eingedrungenen wieder hinaus, räumte auch wohl einem der germanischen Führer einen Teil des begehrten Ufergebietes ein unter der Bedingung, die römische Herrschaft anzuerkennen und seinen Besitz gegen seine Landsleute zu verteidigen, was freilich schon fast auf eine Kapitulation hinauskam. Aber als der Kaiser, abgerufen durch die noch gefährlichere Lage der Dinge an der Donau, sich dorthin begab und in Gallien als Repräsentanten seinen noch im Knabenalter stehenden älteren Sohn zurückließ, ließ einer der Offiziere, denen er die Verteidigung der Grenze und die Hut seines Sohnes anvertraut hatte, Marcus Cassianius Latinius Postumus, sich von seinen Leuten zum Kaiser ausrufen und belagerte in Köln den Hüter des Kaisersohnes Silvanus. Es gelang ihm die Stadt einzunehmen und seinen früheren Kollegen sowie den kaiserlichen Knaben in seine Gewalt zu bekommen, worauf er beide hinrichten ließ. Aber während dieser Wirren brachen die Franken über den Rhein und überschwemmten nicht bloß ganz Gallien, sondern drangen auch in Spanien ein, ja plünderten selbst die afrikanische Küste. Bald nachher, nachdem Valerians Gefangennahme durch die Perser das Maß des Unheils voll gemacht hatte, ging in der oberrheinischen Provinz alles römische Land auf dem linken Rheinufer verloren, ohne Zweifel an die Alemannen, deren Einbruch in Italien in den letzten Jahren des Gallienus diesen Verlust notwendig voraussetzt. Dieser ist der letzte Kaiser, dessen Name auf rechtsrheinischen Denkmälern gefunden wird. Seine Münzen feiern ihn wegen fünf großer Siege über die Germanen, und nicht minder sind die seines Nachfolgers in der gallischen Herrschaft, des Postumus, voll des Preises der deutschen Siege des Retters von Gallien. Gallienus hatte in seinen früheren Jahren nicht ohne Energie den Kampf am Rhein aufgenommen, und Postumus war sogar ein vorzüglicher Offizier und wäre gern auch ein guter Regent gewesen. Aber bei der Meisterlosigkeit, welche damals in dem römischen Staat oder vielmehr in der römischen Armee waltete, nützte Talent und Tüchtigkeit des einzelnen weder ihm noch dem Gemeinwesen. Eine Reihe blühender römischer Städte wurde damals von den einfallenden Barbaren öde gelegt und das rechte Rheinufer ging den Römern auf immer verloren.

Die Wiederherstellung der Ruhe und Ordnung in Gallien hing zunächst ab von dem Zusammenhalten des Reiches überhaupt; solange die italischen Kaiser ihre Truppen in der Narbonensis aufstellten, um den gallischen Rivalen zu beseitigen und dieser wieder Miene machte, die Alpen zu überschreiten, war eine wirksame Operation gegen die Germanen von selber ausgeschlossen. Erst nachdem um das J. 272 der damalige Herrscher Galliens Tetricus, seiner undankbaren Rolle müde, selbst dazu getan hatte, daß seine Truppen sich dem vom römischen Senat anerkannten Kaiser Aurelianus unterwarfen, konnte wieder daran gedacht werden, den Germanen zu wehren. Den Zügen der Alemannen, die fast ein Jahrzehnt hindurch das obere Italien bis nach Ravenna hinab heimgesucht hatten, setzte derselbe tüchtige Herrscher, der Gallien wieder zum Reich gebracht hatte, für lange Zeit ein Ziel und schlug an der oberen Donau nachdrücklich einen ihrer Stämme, die Juthungen. Hätte sein Regiment Dauer gehabt, so würde er wohl auch in Gallien den Grenzschutz erneuert haben; nach seinem baldigen und jähen Ende (275) überschritten die Germanen abermals den Rhein und verheerten weit und breit das Land. Sein Nachfolger Probus (seit 276), auch ein tüchtiger Soldat, warf sie nicht bloß wieder hinaus – siebzig Städte soll er ihnen abgenommen haben –, sondern ging auch wieder angreifend vor, überschritt den Rhein und trieb die Deutschen über den Neckar zurück; aber die Linien der früheren Zeit erneuerte er nicht, sondern begnügte sich, an den wichtigeren Rheinpositionen Brückenköpfe auf dem anderen Ufer einzurichten und zu besetzen – das heißt er kam etwa auf die Einrichtungen zurück, wie sie hier vor Vespasian bestanden hatten. Gleichzeitig wurden durch seine Feldherren in der nördlichen Provinz die Franken niedergeschlagen. Große Massen der überwundenen Germanen wurden als gezwungene Ansiedler nach Gallien und vor allem nach Britannien gesandt. In dieser Weise wurde die Rheingrenze wieder gewonnen und auf das spätere Kaiserreich übertragen. Freilich war wie die Herrschaft am rechten Rheinufer so auch der Friede am linken unwiderbringlich dahin. Drohend standen die Alemannen gegenüber Basel und Straßburg, die Franken gegenüber Köln. Daneben melden sich andere Stämme. Daß auch die Burgundionen, einst jenseit der Elbe seßhaft, westwärts vorrückend bis an den oberen Main, Gallien bedrohen, davon ist zuerst unter Kaiser Probus die Rede; wenige Jahre später beginnen die Sachsen in Gemeinschaft mit den Franken ihre Angriffe zur See auf die gallische Nordküste wie auf das römische Britannien. Aber unter den größtenteils tüchtigen und fähigen Kaisern des diocletianisch-constantinischen Hauses und noch unter den nächsten Nachfolgern hielt der Römer die drohende Völkerflut in gemessenen Schranken.

Die Germanen in ihrer nationalen Entwicklung darzustellen ist nicht die Aufgabe des Geschichtschreibers der Römer; für ihn erscheinen sie nur hemmend oder auch zerstörend. Eine Durchdringung der beiden Nationalitäten und eine daraus hervorgehende Mischkultur, wie das romanisierte Keltenland, hat das römische Germanien nicht aufzuweisen, oder sie fällt für unsere Auffassung mit der römisch-gallischen um so mehr zusammen, als die längere Zeit in römischem Besitz gebliebenen germanischen Gebiete auf dem linken Rheinufer durchaus mit keltischen Elementen durchsetzt waren und auch die auf dem rechten, ihrer ursprünglichen Bevölkerung größtenteils beraubt, die Mehrzahl der neuen Ansiedler aus Gallien erhielten. Dem germanischen Element fehlten die kommunalen Zentren, wie sie das Keltentum zahlreich besaß. Teils deswegen, teils infolge äußerer Umstände konnte, wie schon hervorgehoben worden ist, in dem germanischen Osten das römische Element sich eher und voller entwickeln als in den keltischen Gegenden. Von wesentlichstem Einfluß darauf sind die Heerlager der Rheinarmee geworden, die alle auf das römische Germanien fallen. Die größeren derselben erhielten teils durch die Handelsleute, die dem Heere sich anschlossen, teils und vor allem durch die Veteranen, die in ihren gewohnten Quartieren auch nach der Entlassung verblieben, einen städtischen Anhang, eine von den eigentlichen Militärquartieren gesonderte Budenstadt (canabae); überall und namentlich in Germanien sind aus diesen bei den Legionslagern und besonders den Hauptquartieren mit der Zeit eigentliche Städte erwachsen. An der Spitze steht die römische Ubierstadt, ursprünglich das zweitgrößte Lager der niederrheinischen Armee, dann seit dem J. 50 römische Kolonie und von bedeutendster Wirksamkeit für die Hebung der römischen Zivilisation im Rheinland. Hier wich die Lagerstadt der römischen Pflanzstadt; späterhin erhielten ohne Verlegung der Truppen Stadtrecht die zu den beiden großen unterrheinischen Lagern gehörenden Ansiedlungen Ulpia Noviomagus im Bataverland und Ulpia Traiana bei Vetera durch Traianus, im dritten Jahrhundert die Militärhauptstadt Obergermaniens Mogontiacum. Freilich haben diese Zivilstädte neben den davon unabhängigen militärischen Verwaltungszentren immer eine untergeordnete Stellung behalten.

Blicken wir über die Grenze hinüber, wo diese Erzählung abschließt, so begegnet uns allerdings anstatt der Romanisierung der Germanen gewissermaßen eine Germanisierung der Romanen. Die letzte Phase des römischen Staates ist bezeichnet durch dessen Barbarisierung und speziell dessen Germanisierung; und die Anfänge reichen weiter zurück. Sie beginnt mit der Bauernschaft in dem Kolonat, geht weiter zu der Truppe, wie Kaiser Severus sie gestaltete, erfaßt dann die Offiziere und Beamte und endigt mit den römisch-germanischen Mischstaaten der Westgoten in Spanien und Gallien, der Vandalen in Afrika, vor allem dem Italien Theoderichs. Für das Verständnis dieser letzten Phase bedarf es allerdings der Einsicht in die staatliche Entwicklung der einen wie der anderen Nation. Freilich steht in dieser Beziehung die germanische Forschung sehr im Nachteil. Die staatlichen Einrichtungen, in welche diese Germanen dienend oder mitherrschend eintraten, sind wohl bekannt, weit besser als die pragmatische Geschichte der gleichen Epoche; aber über den germanischen Anfängen liegt ein Dunkel, mit dem verglichen die Anfänge von Rom und von Hellas lichte Klarheit sind. Während die nationale Gottesverehrung der antiken Welt relativ erkennbar ist, ist die Kunde des deutschen Heidentums, vom fernen Norden abgesehen, vor der historischen Zeit untergegangen. Die Anfänge der staatlichen Entwicklung der Germanen schildert uns teils die schillernde und in der Gedankenschablone des sinkenden Altertums befangene, die eigentlich entscheidenden Momente nur zu oft auslassende Darstellung des Tacitus, teils müssen wir sie den auf ehemals römischem Boden entstandenen, überall mit römischen Elementen durchsetzten Zwitterstaaten entnehmen. Wie die germanischen Worte hier überall fehlen und wir fast ausschließlich auf lateinische notwendig inadäquate Bezeichnungen angewiesen sind, so versagen auch durchgängig die scharfen Grundanschauungen, derer unsere Kunde des klassischen Altertums nicht entbehrt. Es gehört zur Signatur unserer Nation, daß es ihr versagt geblieben ist, sich aus sich selbst zu entwickeln; und dazu gehört es mit, daß deutsche Wissenschaft vielleicht weniger vergeblich bemüht gewesen ist, die Anfänge und die Eigenart anderer Nationen zu erkennen als die der eigenen.


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