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1926 – 1930

(28)

Heidelberg, 9. 1. 1926

O liebes Soll-Ich –

Tönerin durch Hämmer, Saiten, und Gesang –

Kannst Du Dir vorstellen, daß Einer seit Jahren nicht mehr nach Noten spielt (vielleicht sehr wahrscheinlich) gar nicht mehr danach spielen kann (und darf?) Ja, daß Einer z. Zt. (äußerlich wohl aus Platzmangel) überhaupt kein Ebenholz- und -Elfenbein (Klavier) in seiner Nähe hat??

Daß Einer ganz sfärische Schwingung, Lauscher (und Belauschter), Instrument, dem Musik enttönt, geworden ist? Oder vielleicht schon nicht mehr Instrument, sondern Musik selber (ohne irgend ein Instrument)?

Nein, das kannst Du Dir schwerlich vorstellen.

Das Händel-Buch ist da und schaut schwermütig mich an. Freut sich aber bei dem Gedanken, bald zurückwandern zu dürfen mit

Sfaira-Mörkjaer
(Dunkel).
(Lauscher).

 

(29)

(Heidelberg, 26. 1. 1926)

Zu Soll-Ichs Geburtstag, 27. Januar 1926

Siehe nach, o Knabe,
woher er kommt: der sanfte Wind –

Liebe Herz-Weise –

Wie ist das schön, daß Deine Augen über den Blumen leuchten; Deine Hände Saiten und Herzen rühren; Deine Stimme in den Lüften klingt – Drum Heil diesem Tag!

Dein Sfaira-Mörkjaer.

 

(30)

Heidelberg, 7. 2. 1926

Liebes Soll-Ich –

wie aber soll ich Dir danken??

Gleich heute nur ein Verzeichnis, damit Du wenigstens weißt, daß Alles ankam.

Erst der Januar-Landungssteg-Brief mit dem Stundenplan, der zeigt, wie viel, viel Du arbeitest.

– Und dann das Kästchen, in dem der Veilchenstrauß die Nachtreise zurücklegte.

– Und dann (unerhört! unerhört!) 2 selber auf den Bahnhof gebrachte »Seeadler« mit Deinem lieben Brief und den Blumen in den Schnäbeln und der Geburtstagskerze (die richtig angezündet wurde).

– Und dann (unerhört! ungesehen!) der mächtige Wandbehang in den feinsten Farben, der ein schönes Gewand für Soll-Ich hätte werden können, und mich immer daran erinnern wird –

– Und dann (unerhört! unerhört!) die Tonne mit Kuchen und Thee und aromatischen Wolken und Spiele der See –

– Und dann heute Deine Vers-Klänge – mit Deinem Seele-Lied – Oh liebe Herz-Weise –

wie soll ich Dir danken

Dein Sfaira-Mörkjaer (??)

Ich kam zurück – sehr verzaubert. –

 

(31)

Heidelberg, 8. 3. 1926

Oh liebes Soll-Ich–

's wird Frühling. Kurzer Schneefall, aber der Trieb ist nicht aufzuhalten. Seit 8 Tagen blühen nicht wenig Bäume.

Und am 4/5 jeden Monats ist für mich in jeder Jahreszeit Frühling. »Unerhört!« (Seltsam, unerforschlich sind die Wege des Sprachgeistes ...) Vielleicht wird sich der »Seeadler« bald des Flugzeugs bedienen; »man weiß nicht, was noch werden mag.«

Setze Dich nicht zu sehr den Sturm-Fluten aus. Sonst erscheint Dir Mozart drohend im Traum. Und auch die Ostsee-Insel, die da nicht mitkann.

Heut schon beste Wünsche für die Bayern-Pilgerfahrt! Dadurch wird sicher Deine Freude an Berlin erneut und erhöht. Der geplanten »kühnen« Fahrt 7 Wochen später sehe ich mit Freuden entgegen. Es geschehe! und da Du noch nicht am Rhein warst, werde ich Dir dort Einiges zeigen können.

Falls ich vorher verreise (was stets möglich ist), bin ich doch in der Pfingstwoche wieder zurück.

Bald kann Island anklingeln, drum sende ich Dir das erwähnte Island-Buch, das gut über Wüsten und Geysire unterrichtet – weniger über die Konzertsäle.

Weißt Du, daß Ansorge morgen Abend hier spielen wird? (Beethoven ausschließlich). Ich werde ihn jedenfalls sprechen.

Herzlich Dein
Sfaira-Mörkjaer.

N.B. Solltest Du nochmal im Leben eine Uhr nur für kurze Zeit verlieren, so muß sich die »Wut« darüber unbedingt musikalisch niederschlagen! Auch der zertrümmerte Spiegel wäre dafür noch brauchbar! »Unerhört!« –

Sf.

Ganz kurz kommt jetzt die Sonne »über den Berg«.

 

(32)

[Zwei Postkarten]

I. Venezia, 16. 4. 1926

Liebes Soll-Ich –

So ungefähr sieht der Ort aus,

II. Venezia, 16. 4. 1926

wo zur Zeit wandelt (und dichtet)

 

(33)

Heidelberg, 6. 5. 1926

Oh liebes Soll-Ich –

Zurück! (Furchtbares Wort, als stoppte nun die ewige Bewegung, und verstummte das große Orchester). Aber man ist doch ein Anderer, als der wegging. Vor mir liegt jetzt Dein Brief aus dem Frühling des Werra-Landes, dabei Dein Septet von Ansichtspostkarten, die Du mir aus dem fernen Island sandtest (merkwürdigerweise tragen alle auf der Marke den deutschen Überdruck: »Frühling in Wiesbaden. Einreise frei«). Schnell reist der heutige Mensch! Ich begreife, daß Du Deine Eindrücke aufzufrischen, zu vervollständigen suchst durch nachträgliches Studium der Island-Literatur! – Ich stand zufällig in Zürich vor einem kleinen Antiquar (es hätte mir auch eine Schuh-Auslage genau denselben Dienst gethan), da fiel mein Blick (nach langer Zeit) auf ein altes »Leder-Buch« mit Aufschrift: »Reise nach Island«. Sofort hinein und gekauft. Scheint sehr gut zu sein. Ausführliche Beschreibung der Reise eines Engländers nach Island 1814 und 15. Das sind merkwürdige Winke.

Und dann steht vor mir, frisch auf See-Adler eingetroffen, ein Mai-Glöckchenstrauß mit Brief. Unerhört! »Unerhört«! Drum unerhörten Dank! –

In Venedig bin ich – so scheint es – wieder in eine Sache geraten, unentrinnbar, die mich vielleicht jahrelang bannen wird (ich habe eine Vorahnung von AEON her). Wenn das aber dann vorbei ist – dann – dann – gehts an den Amazonenstrom via Borneo. Das ist ausgemacht.

Oh Welt!

Dein Sfaira Mörk.

Das Island-Buch brauch' ich vorerst wirklich nicht. Habe einstweilen mit dem neuen Fund: 700 Seiten: genug.

Und was mag in den »30 Seiten« wohl Alles stehen? Die führen wohl weiter hinaus, als nach Island, aus der Welt hinaus, und dadurch ganz in die Welt hinein? Unerhört! –

N.B. Was »sagte« ich denn in Berlin? Betraf es die archäische Göttin? Die Brahmssche Musik? – Die Untergrundsbahn??? »Was ich sagte von dem Grafen« (Mozart).

 

(34)

Heidelb(erg), 12. 5. 1926

Liebes Soll-Ich –

Eben will ich Dir schreiben, da trifft Deine Freuden-Botschaft ein. Ein Flügel wieder heimgekehrt – zurückgekehrt – weinend heimgekehrt – das ist »freilich« (wie der alte Goethe sagte) ein Ereignis allerersten Ranges, zu dem ich beste Glückwünsche sende. (Und wie nahm ihn der Andere auf? – Tönend? – Stumm –?–). Ereignis, das so Musik ist, daß man es nicht besprechen darf. Nun bist Du die von Ton-Geistern ganz Eingekreiste, von seligen Genien Umlagerte. – Ewige Spannung! – Ob Du nun aber wirklich gern aus Deiner Ton-Halle herausgehst? – Schön, sehr schön wäre Dein »Anklopfen«. Du sollst . Dein Brief ist aber nicht leicht sachgemäß zu beantworten. Wenn man in Charlottenburg (...) residiert, ist das »Anklopfen« hier nicht so einfach. Problem ist, wie sich Heidelberg am schönsten, praktischsten in Deine Reise einfügt, von der ich nicht weiß, über welche Stationen sie hin- und zurückführt. Für Heidelberg ist jetzt die schönste Zeit: wundervolle Pfade, Orte, romantischste Stätten. Nur sind die beiden Pfingstfeiertage (Sonntag und Montag) die ungeeignetsten im Jahr, da sich an ihnen hier ungeheure Menschenmassen aus dem ganzen Lande versammeln (abgesehen von 75,000 Anwesenden ); da kann man keinen Pfad gehen, ohne: »wer hat dich, du schöner Wald« – »das muß ein schlechter Müller sein« etc. Du mußt aber hier etwas sehen – der Kontrast zu Berlin ist ungeheuer. Läßt es sich einrichten, so wäre es am besten, wenn Du gleich nach Pfingsten (etwa Dienstag, oder wie es paßt) hier einträfst. Selbstverständlich Nachricht, damit ich Dich abholen kann (Überraschungen laufen oft in Verfehlungen aus). Also: »Du sollst«, wenn es sich ohne große Anstrengung in Deinen Ferien-Plan einfügt. –

Heute behauptest Du freilich: ich bin nicht in Island gewesen. Aber kannst Du Dein »lückenloses Alibi« beweisen??? –

Mir ist klar: will man nur in Island landen, ev. im Konzertsaal etc., dann ist es keine gerade schwierige Reise. Will man aber Island wirklich sehen, erleben, dann ist es zweifellos eine Expedition, die nur gelingt, wenn man sehr vom Wetter begünstigt ist und lange Zeit hat (Alles glatt verläuft). – Du weißt wohl, daß von Island auf den Wetter-Karten immer die »Tief« » Minima« kommen; seit Wochen immer wieder. Aber jetzt ists erträglich warm.

Herzlichen Gruß dem Heimgekehrten und Dir!
Dein Sfaira-Mörkjaer.

»Die Schöpfung« Nr. 22, Zeile 7 ...

 

(35)

Heidelberg, 25. 6. 1926

Oh liebes Soll-Ich –

Dank für Brief, und für die schönen Hof-Tola-Erinnerungen und Zukunfts-Blicke! Ja, die Bilder schauen vorwärts, nicht (nur) zurück; das ist mystische Sprache, die ich sehr verstehe. Der in Samt ruhende Hausschlüssel hat sich schon oft gerührt; er wird sich auch wieder drehen dürfen; vor mir steht der freie Horizont, das Himmelsgewölbe über der Insel. Ich richte es bestimmt einmal ein, daß ich Herbst oder Frühling nach Berlin komme, und dann von dort nach der Insel fahre. Dann ist das Heer der »Badegäste« nicht da, und das Meer Element, nicht Badewanne. Diesen Sommer » sollst Du« einmal selber herrschaftlich auf Hof Tola residieren und Dich wirklich abschließen, ausruhen, arbeiten können; das geht wohl in der »Stadt«-Wohnung in Vitte nicht mehr (Überfalls-Gefahr!). Du wirst wohl schon sehr bald den Berlinern vorauseilen? Ich brauche zur Zeit zur Art meiner »Arbeit« die Verticale, nicht die Horizontale Linie (die Steil-Gebirge mit ihren Abenteuern, nicht die Weite und Ruhe des Meeres); das ist mir in diesen Tagen klar geworden (wie ich mir einbilde). Instinkt ist da Alles, Ahnung, Schlafwandel. Ich denke, gegen Ende Juli in die Alpen zu geraten; ich kenne da einige sichere Plätzchen, wo Niemand um die Ecke biegt.

Sehr, sehr schön wars, daß Du kamst!

Noch tönt in meinem Zimmer die Stimme und die Geige! Ich gehe häufig am »Harrer« vorbei, und bin dann »Starrer« nach der Laube hinauf ... An Regengüssen fehlt es seither nicht; jetzt wirds aber besser. Es gibt einen guten Sommer.

N.B. Betr. mein »Erblassen« abends im Neckarthal: Das Erglühen und das Erblassen bis zum Äußersten gehört zu meinem Beruf; da spielt eben der Welt-Geist auf mir Klavier (oder Cello?).

N.B. Betr. »Instrumentenlosigkeit«: Viel wäre darüber zu sagen. Ich denke: sowohl die Instrumente als die Musici sind in meiner Richtung genügend vertreten. Ich lege ein dünnes Buch von Richard Benz bei, das vielleicht auch eine Begründung abgiebt (vgl. S. 51 oben). Im Übrigen: ich bin selbst Instrument, auf dem gespielt wird, und das seinem Spieler scharf auf die Finger sehen muß! Das ist Alles höchst compliziert; am besten ist, man thut, ohne »allzu« viel zu denken. Schön ist aber Alles sicher!

Herzliche Grüße Deines
Sfaira-M.

 

(36)

Heidelberg, 7. 7. 1926

Oh liebes Soll-Ich –

da haben Deine Seeadler wieder (»für Sonntag-Nachmittag«) aus Berlin eine Fracht herangeschafft! »Unerhört« müßte man ausrufen, austrommeln und ausposaunen – wäre nicht auch das Unerhörte nun längst schon gehört worden. Nun » sollst-Du « aber sämtliche Seeadler-Schwärme ausschließlich in die Seitenkammer der Zauberküche auf Hof-Tola lenken; dorthin, wo schon die Geist (Spiritus)-Flaschen stehen.

Möge das Dach jedem Wetter Trotz bieten!

Möge das Wetter-Fenster der Musik-Zelle dicht bleiben gegen Rauscher, gegen Lauscher!

Dank für die Insel-geborene Rose!

Alles Gute, Schöne, Mozartische!

Dein Sf. M.

 

(37)

Heidelberg, 22. 7. 1926

Oh liebes Soll-Ich – Herz-Weise –

Alles ist angekommen, ist freudigst aufgenommen: das leise Feuer-Herz im Original-Sand des Meeres ruhend, und vor Allem
die Insel-Frau,
höchst träumerisch ruhend unfern unter einem Baum, man sieht in der malerischen Ferne eine Burg, dann das weite Reich der Insel, und das ferne geheimnisvoll erglänzende Meer. Aber das Geheimnisvolle ist
die Insel-Frau;
die ist nämlich nicht nur ein Spiel des Meeres, sondern ein Spiel der ganzen Welt.

Und das Aller geheimnisvollste: besagte
Insel-Frau
spielt auch selber mit der ganzen Welt: piano, pianissimo, ritardando, con fuoco, con gioja, con dolore: con amore. So ist's. So sei's.

Wohl anfangs nächster Woche gehts etwas hinauf in die Alpen, um den Felsen-Thron zu suchen, und den Stein der Weisen, und die Heimat des Lichtes, und, und, und, und ...

Dein Sfaira Mr.

 

(38)

Heidelberg, 6. 9. 1926

Liebes Soll-Ich!

»Und« – nun sind wohl die Ferien zu Ende, und Du bist wieder in Deiner Burg – trotz Sommer-Wetters? Seit einigen Tagen bin ich zurück. Es ging diesmal höchst vertikal, aber herrlich!

Dein Sf. M. ...

Oder bist Du in Island?

 

(39)

Heid(elberg), 15. 9. 1926

Oh liebes Soll-Ich!

Herzlichen Dank für die schönen Blumen und Brief! (Herrliches Haide-Kraut!) Du als »Soll-Ich« mußt es wohl wissen, ob es wirklich »Götter« sind, denen Du folgen »sollst«. Hoffentlich aber benehmen sich die Götter vernünftig, wenn Deine Oktober-Ferien herannahen! Da muß die Insel schön sein. –

Für heute nur kurz und herzlich
Dein Sfaira-Mörk.

 

(40)

Heidelberg, 25. 9. 1926

Oh liebes Soll-Ich –

Deine unerhörten Blumen!! – Zusammen, mit Deinen Äther-Nachrichten kamen sie auf 2 Seeadlern an, als gerade ich im Begriff war, mich auf einige Schwarzwald-Gipfel zu stürzen. Selbige wurden auch im dicken Nebel erstürmt, wobei nur Gefahr bestand, daß ihre Türme im oben genannten Nebel umgerannt würden. Aber es ging glatt, und war als Tempo (presto furioso) sehr schön.

Also die Rosen- Düfte habe ich an Leidensgenossen Mozart auf mystischem Wege weiterbefördert. Und von dem Äther-Konzert-Vortrag habe ich meine Illusionen rein und schön bewahrt (durch Vermeidung der Apparate); ich fürchte, Dir werden sie vergangen sein. So abnorm günstig auch die Vorbedingungen waren (Loerke und Kayssler!). Unausdenkbar ist, wie der Äther Tag und Nacht malträtiert wird. Das hält kein Gott aus (Hölderlins milder »Vater-Äther!«)

Sehr wichtig! Noch eines:

Laß um Himmels Willen Niemand gegenüber etwas von den »2 M.« verlauten. Man würde Dich sofort zerreißen! steinigen! Majestätsverbrechen an Mozart!

Da versteht der gebüldete Teutsche keinen Spaß! – – –

Die herrlichsten Oktober-Ferien wünscht Dir
Dein Sfaira-M.

 

(41)

(Poststempel: Heidelberg, 7. 10. 1926) [Postkarte im Briefumschlag]

Der Einsiedlerin
auf Hof-Tola
Dem Wind!
Dem Meer!
Den Sträuchern
Den Feuersteinen
Der Wiese
Der Insel
Gruß!

 

(42)

H(eidelberg), 7. 11. 1926

Oh liebes Soll-Ich –

Heute Nacht haben die Kastanienbäume vor meinem Fenster alle Blätter abgeworfen; nun steht wieder der gotische Kirchturm da, und es ist ganz hell. Und Dein See-Adler bringt Blumen!

Gruß und Dank
D. Sf. M.

 

(43)

H(eidelberg), 24. 11. 1926

Liebes Soll-Ich –

Das Haus – die Insel – kamen an. Es liegt ein wunderbares Dämmer-Licht darüber. Dank!! – Ich denke daran. Ist's jetzt November? Aber es geht scharf auf den neuen Frühling los! Also vorwärts.

Dank für Dein Lied, das ich mir einstweilen selber gesungen habe. Vielleicht hör' ich's bald von Dir? Wer weiß. Alles ist möglich. Alles wahrscheinlich.

»Und was geschehen soll, ist schon vollendet«.

(Empedocles)

Endlich ging gestern eine bewußte Drucksache großen Formats per Postpaket an Dich ab. Erschrick' nicht! –

Herzlich
Dein Sfaira M.

Grüße die »Flügel« von mir!

Daran zu sitzen, ist wunderbar, auch ohne »Spiel«.

Ich denke, Du sitzest oft daran; stumm horchend-träumend.

 

(44)

Heidelberg, 26. 12. 1926

Du liebes armes Soll-Ich –

Ja – und in einem »Nachtrag« berichtest Du, was Dir am 8. Dezember »passiert« ist! – »Fußverletzung«! Und: »fest liegen«! – Und jetzt: »Stehversuche!« Sind das schon wieder die Dämonen, die auch den Spiegel zertrümmert haben? Da muß einmal energisch vorgegangen werden, nach allen Regeln der Kunst, und wenn ich wieder nach Berlin komme, werden sie beschworen und gründlich ausgeräuchert! – Ist nun der Gedanke ein Trost, daß Du durch den Stubenarrest in dieser grimmigen Jahreszeit daran verhindert bist, Dir eine vielleicht noch gefährlichere Krankheit zuzulegen? Dann wollen wir ihn denken! Auch: daß Du jetzt im Freien doch keine Blumen pflücken könntest? – – –

– Und von Deinem Schmerzenslager aus lässest Du noch eine so herrliche Schwanenfeder – mit der ich dieses schreibe – zu mir wehen, und einen Seeadler aufsteigen mit goldenen Früchten und Kerzen! Unerhört! Vielen Dank! Das heißt dem »Schicksal in den Rachen greifen«! –

Aber – wenn Du jetzt noch nicht zu Deinen Flügeln kannst – die Geige hast Du doch wohl bei Dir?

Armes liebes Soll-Ich, ich kann nur wünschen: schnelle, beste Heilung! Und für immer Schluß mit ähnlichen »Fällen«!

Dein Sfaira M.
(mit der Schwanenfeder)

Das hübsche Büchlein!

Räuchereien! –

Ich glaube, ich habe Dir noch gar nicht für das schöne bunte Advent- Kirchenfenster gedankt! –

Die Lichtlein haben gebrannt! –

 

(45)

(Heidelberg, 12. 1. 1927)

Oh liebes S[oll]-Ich:

Wie Du siehst, studiere ich nun schon lange an Deinem Sylvester-Gruß: Ich glaube, Du hast in Deinen Gewässern eine See-Lilie gegossen! Mir scheint, sie wächst noch!

Und – wie geht's? Noch im Zimmer?

Herzlich D. Sf. M.

Hier unten noch keine Schneeflocke!

 

(46)

Heidelberg, 7. 2. 1927

Oh liebes Soll-Ich –

Unerhört! – unerhört! – müßte ich ausrufen – wäre nicht auch das schon gehört worden.

Frühmorgens wurde zuerst das geheimnisvolle Paket entpackt, und durch die Verpackung gedrungen, der Gebrauchsanweisung gehorchend der Hebel »nach rechts« geschoben – worauf innen (und innen in der Seele –) Musik einsetzte – fortspielend die Klänge eines August-Tages, unter denen ich still vom »Haus am Meer« schied.

Und es kamen kurz darauf 2 Päckchen angeflogen mit Arkadias herrlichsten Blumen (– »als ich noch Prinz war von Arkadien lebt' ich in Freud und Wonne nur« –) und mit der gediegensten Thee-Ausrüstung, die die Welt je gesehn – – –

– Wie aber mag es Dir gelungen sein, gerade diese Musik aufzutreiben??

– Unerhört – erhört! –

Dank! Dank!

– Aber nun mußt Du mir wirklich sagen, wie es Dir geht – wie Du gehst. Du schreibst von »zerrissenen Klageliedern«. »Heraus mit der Sprache.« Bist Du zu früh ausgegangen? Und jetzt? Wirst Du auch richtig behandelt?

Oder geschehen sonstige Ereignisse? –

Es wartet darauf, es grüßt und dankt herzlich der den Frühling witternde
Sfaira M.

Meine Magnetnadel zeigt zur Zeit hartnäckig immer nach Süden; aber im Sommer wird sie wohl nach Norden weisen. –

 

(47)

Heidelberg, 24. 3. 1927

Oh liebes Soll-Ich–

Endlich endlich erfahre ich, welche Schmerzen Du nun schon lange mit Dir herumträgst! Als Du mir Weihnachten zuerst davon erwähntest, ahnte ich nichts Gutes, aber ich wollte nicht weiter in Dich dringen, weil man mit dem Fragen, wo man nicht helfen kann, nichts bessert (obwohl Parsifal hätte fragen sollen!). Nun endlich kommt »das andere Blatt« Deiner doppelten Buchführung! Da ist's aber nun wirklich Zeit , ein Wörtlein zu sagen. Du mußt jetzt Deine ganze Energie aufbieten, daß der Fuß wieder vollkommen gut wird (mindestens so viel Energie, als Du jedem Stück von Bach und Mozart widmest). Du solltest, ohne daß ich an den Fähigkeiten des Dr. M. irgend zweifeln will, wo jetzt etwas Neues geschehen muß, unbedingt noch das Gutachten eines bedeutenden anderen Chirurgen einholen. Das wird auch eine Versicherung für den neuen Arzt sein, daß er richtig vorgeht. Außerdem dient es als Beweis gegen den »Professor«. Du wirst doch nicht die Gutmütigkeit haben, Dich verderben und dazu noch ausrauben zu lassen?! Da man durch Röntgen-Durchleuchtung gerade im Fuß so leicht Alles feststellen kann, ist das geradezu Pflicht! – Möge Dein Schwager Dir noch eine weitere Dosis Energie einflößen. Mit Resignation ist jetzt gar nichts gethan. Es muß jetzt Alles gethan werden. Es kann bei dem heutigen Stand der Chirurgie gar keine Schwierigkeit sein, Dir Deinen leicht schwebenden Gang baldigst! zurückzugeben. Also jetzt gielt es! Wäre es nicht besser, wenn Du Dich kurze Zeit resolut in eine Klinik begäbest? Jedenfalls mußt du zu Hause für die nächste Zeit dauernd ein Mädchen haben. Und die 4 Treppen hinauf und hinunter! – Keine Resignation jetzt, sondern etwas Wut! – Ich bin sicher, daß Alles zu heilen ist. Schreib' mir doch gleich noch ein Wort, was der Arzt Dir am Mittwoch sagte.

Ja: die November-Träume! Vorahnungen des kommenden Ungewitters. Sie beruhen ganz auf musikalischen Spannungen. Besonders stark der Christus-Traum. In »Kaiserswerth« residiert der Herbert Eulenberg (kein böser Dämon!).

Vollkommen warme Frühlingstage; aber schon Umschlag. Ich laboriere schon einige Zeit daran, mich aus der Bücherhöhle herauszuschaffen; ich denke den kommenden Dienstag (29. 3.) werd' ichs vollbringen. – Ich schreibe von unterwegs.

Für heute alle guten Grüße und Wünsche, aber auch energische Mahnungen!

Dein Sf. M.

N. B. Die »Saison« des Pitje Vogel und Genossen kommt immer um die Weihnachtszeit. Dann werden sie zu Dir kommen und um geneigte Gaben in Naturalien ergebenst ersuchen.

Saiten-Instrumenten-Geister-Haus!

Das wird herrlich werden! Aber zunächst: alle Energie dem Fuß, nicht der Hand! – Es gielt!

 

(48)

Heidelberg, 17. 5. 1927

Oh liebes Soll-Ich –

Zurück. Einigermaßen. Aber das Haupt sehnt sich nach den Licht-Meeren und Wogen-Meeren. Die Welt. Nicht zu sagen. Nicht daran zu denken, es zu sagen –

Ja, aber nun sag einmal, lieber Ludwig Kasper, warum steht denn auf dem Programm bei den Liedern von L. K. nicht auch: »Am Flügel: Der Komponist« –??

Dank für die lieben Briefe. Unerhörte Rosen!! Ich sandte Dir keine Pflanzen, damit Du nicht wieder auf lange Zeit ein botanisches Hospital auferlegt bekommst. Auch wird es mir immer schwerer, sie zu brechen. Ist es nicht mein Amt, sie in einer andern Welt neu erblühen zu lassen?

– Wurde gut gesungen? Sicher, da Du ja einstudiert und begleitet hast.

– Und der Fuß? Denkst Du auch energisch genug daran, daß er bald wieder über die Hügel nach dem Dornbusch eilen soll? – Und wie benahm sich der Geist auf Stuhl Parkett I Nr. 4? Wehte er manchmal mit der Schwinge? – Und »Kasper« am Flügel?

Herzlichst Dein Sf. M.

 

(49)

Heidelberg, 10. 6. 1927

Du liebes – armes Soll-Ich!

Ich hoffte, hoffte, Du würdest nach der Insel oder nach Rambach können – wollte aber nicht fragen, denn es konnte auch sehr anders sein. So ist's nun! Aber ich bin überzeugt, daß es in der Stadt Berlin Ärzte giebt, die Dich so schnell wie möglich heilen werden. Der richtige Weg wird doch jetzt eingeschlagen sein! Es ist ja keine geheimnisvolle Krankheit, sondern eine offensichtliche Sache. Freilich: lange Geduld, arme Patientin! Mögen Dir in dieser Zeit zum einstweiligen Erfolg noch weitere geistige Extra-Schwingen wachsen. Ich kann mir denken, was gerade jetzt Dir die zarten alten Saiteninstrumente bedeuten. Ein Glück, daß das jetzt kam. Dank für den Konzertbericht über den »Ludwig Kasper«! Vielleicht ziehst Du nun doch das nächste Mal den Schleier von dem Geheimnis! –

Wir hatten hier ein Beethovenfest. 3 Konzerte Furtwänglers mit den Berliner Philharmonikern, die ich sämtlich hörte. Programm folgt. So vollendet schön habe ich Beethoven seit Jahren nicht mehr gehört. Wer das so zum ersten Male hören durfte!

– Und da Du jetzt scheints lesegierig bist, erfolgt gleich Drucksachen-Sendung. Der Roman schien mir – in »Stichproben« – von starker Plastik. Den »Unbekannten« kennst Du vielleicht schon? – Für heute die herzlichsten Grüße und ganz herzliche heilkräftige Wünsche Deines

Sfaira M.

N. B. Folgen 2 Drucksachen –

 

(50)

(Heidelberg), 11. 7. 1927

Oh liebes Soll-Ich –

Wie sehr freute ich mich über die Nachrichten, daß Du wieder auf Deiner geliebten Insel Fuß fassen konntest! Aus meinem Erfahrungsschatz kann ich mir ausmalen, was Alles jetzt auf Hof TOLA vorgeht. Ich sehe Dich auf Deiner Terrasse, und mit Körben und Wagen wallt man von Vitte durch die Wiesen zu Dir! Der Arzt fehlt Dir auch nicht. Glück, viel Glück in der Musik-Zelle! Einmal werde ich sie auch wieder leise öffnen. Traumhaft! ... O Vogel! ... Rosenblätter! ...

Dein Sf. M.

Vorsicht mit dem »Brennspiritus«!!

Der Mäuseturm bei Bingen am Rhein. Hier war ich kurz in diesen Tagen. Anfangs August werde ich wohl in die österreichischen Alpen geraten müssen. Fern ist der Himalaja!

 

(51)

(Bad Aussee), 31. 8. 1927

Aus dem Inneren der Berge!

Hier steht die Zeit in Musik still ...

Gruß!
D. Sf. M.

 

(52)

Heidelberg, 25. 9. 1927

Oh liebes Soll-Ich –

es regnet (»regert« [nicht: »straußt«] sagt man hier) und nebelt heute so schauerlich, daß man sich ganz auf Island wähnt, also die Reise dorthin erreicht zu haben sich freuen darf. Nur: wo bleibt der Feuer-Schein der Hekla? Daran mangelt's! –

Nun hast Du schon gemerkt, daß ich wieder in Heid[elberg] bin.

Oh wie schnell –
oh wie bald –
ging der Sommer dahin – nun er vorüber ist. Ich könnte gut endlose Frühlinge, Sommer's bestehen, ohne daß es zu viel wäre.

Jetzt ist bald »Zeit der Musik«!

Liebes Soll-Du, es ist Zeit Dir zu sagen, daß ich Deine beiden Briefe erhielt; vorher auch rückkehrend (vor einer Woche) auch Deine treue Weinlaub-Heidekraut-Seeadler-Ricordanza, darin noch ein wundervoller Sommer-Duft zurückblieb. Sehr freute ich mich über die guten, ja herrlichen Nachrichten Deines Briefes. Deine Dante-Schwester bald ganz in Berlin! Du selber fröhlich plätschernd in Wellen Wassers und Äthers! Überall in Deinen Reichen die Ton-Geister in Bereitschaft, auf An-Schlag, An-Griff, An-Strich sofort zu erscheinen! Und während am »kühlen Bechstein« ein Pagen-(((Bubi)))-Kopf sich über die Noten schwingt, blinkt am Clavichord dunkler Augen-Glanz unter einer gepuderten Perücke hervor. (Es ist höchste Zeit, die Verwandlungskünste auch in den Konzertsaal einzuführen!)

Aber nochmals ritard.: Schön ist's ... Opernhaus mit »Entführung«: aber sicher schön auch die Anstalt-Daneben, wo nach überstandenen bösen Tagen nun die Neptunischen Belohnungen gespendet werden.

Also » AT« in Japan! Möge er den Japs »chinesisch« vorkommen! Mit Zentral-Asien (»ganz in Traum-Musik«) und China sind ja die Berührungspunkte da; aber das Völkchen auf den östl. Inseln ist dichterisch selt. Weise immer ein reizendes Epigonen-Völkchen geblieben.

Nun aber kommt's! –

op. 163!

Ja: es hat schon was auf sich mit dem Herz-Erschütternis der grünen Erde, mit dem Auslöschen in ihren Klängen! (S. 37/53 bis 145/49).

Aber: AT. und Genossen zielen auf etwas Anderes: etwa: »Schau, der Morgenstern betrachtet uns« 168/69 auf das: »Traum-Bild der ewigen Jugend« auf den »Jüngling gelehnt ans Äther-Gewölbe des Himmels« (133) ein »wunderbares Lächeln« 195.

Das ist noch schöner!

(Vielleicht ist das der Über-Mozart?)

Von den vielen Stationen der Wanderungen über Berg und Thal, über Fels und Firn einmal mündlich (wann? – aber einmal), heute noch herzlichste Grüße Deines

Sf. M.

N. B. Körperschmerz-Dämonen wurden bis jetzt immer mit energischem Schwung wieder hinausbefördert; einem Zahnschmerz-Dämon hat vor einigen Monaten ein Mann mit einer Lanze mit einem Stoß den Garaus gemacht, (»ein Stoß – und er verstummet«)

 

(53)

Heidelberg, 3. 12. 1927

Liebes Soll-Ich –

Es brennt jetzt Dein Licht jeden Abend im dazu gehörigen altertümlichen Deinigen Leuchter und scheucht vorwitzige graue Dämmerungs-Geister. Mörk weicht! – Dank, vielen, für den Seeadler mit südlichem Wintergarten! Unerhört – Deine Lastkaravane mit Thee – Tabak – Himmelsbrod beladen! –

Und Dank für den reichgeladenen Brief. Ich freute mich zu hören, welch' mächtige Thätigkeit nach allen Richtungen, in allen Hinsichten von dem unscheinbaren Gartenhaus der Bismarckstr. 9 ausstrahlt. Überanstrenge Dich aber nicht! Vor allem nicht in Hinsicht auf Deine Schiedsgerichtsthätigkeit! Wozu ist denn der Völkerbund da?? – Die Leutchen sollen nach Genf gehen und abrüsten. Auch im Haag ist Gelegenheit.

Die Nachrichten von Deiner Angelegenheit »zu Fuß« widersprechen einander, lauten auch kleinlaut, zurückhaltend! Unterlasse ja nicht, von Zeit zu Zeit zum Inspekteur (Arzt) zu gehen! Von hier nicht viel zu berichten. »Alles in Ordnung«, »Nichts Neues«, »all right« würde die amtliche Meldung zu lauten haben. Die »Dunkelheit« hängt mit der Jahreszeit zusammen, sowohl mit der irdischen als der kosmischen. Dringend geboten als chaotischer Grund aller Geburt. Deshalb mit »heillosem Respekt« zu behandeln, zu conservieren (keine Gärtnersgesellen!).

Bald wirds Frühling, die Welt funkel-nagel-neu!! –

Herzliche Grüße Deines
Sfaira

 

(54)

(Heidelberg), 27. 12. 1927

L[iebe]s Soll-Ich!

Unerhört! Wieder ganz unerhört!

1.) Ganze Tannen-Wälder!

2.) Lichter-Meere!

3.) Pergament-Tresor für – – –!! –

4.) Wunderbarer Fuseli! –

(vgl. Edg. Poe: Der Untergang des Hauses Usher!)

Herzlichen (unerhörten) Dank!
Sf. M.

 

(55)

(Heidelberg, 27. 1. 1928)

Dem Soll-Ich
zum 27. Januar 1928
entbietet herzlichen
Geburtstagsgruß
Sfaira M.

Mögest Du zu friedlichen
Tassen chinesischen Thees
manchmal einschlürfen
ein Kapitel der schönen
Geschichte von Wichten
und alten Gebietern
im fernen Osten.

 

(56)

Berlin, 2. 2. 1928

Liebes Soll-Ich,

Erschrick aber bitte nicht, es ist nichts passiert, ich werde auch nicht Reichskunstwart, sondern bin halt für kurz hierher verschlagen – ausgerechnet in die grüne Woche. Deshalb untenstehende Adresse. Willst Du mir nicht schriftlich sagen, ob Du diesen Sonntag nachmittag – etwa gegen ½4 (es darf auch etwas früher oder später sein) bei Dir zu Hause anzutreffen bist? Aber wirf dadurch Dein Programm nicht um!

Auf Wiedersehen!
Dein Sfaira M.

z. Zt. behaust:

Berlin W 8, Unter den Linden 29 III. Stock Pension Stern

 

(57)

Heidelberg, 28. 2. 1928

Liebes Soll-Ich –

Wirklich wieder unerhört!

Du schickst mir die Düfte Arabiens, Persiens, Indiens!

Und für 4 Tageszeiten!

Wenn man etwa morgens aber an der Flasche »Dämmerung« riecht – wird man dann verzaubert wie in den Märchen? Könnte ein Fehlgriff verhängnisvoll werden?

– Es wird sich zeigen! –

Auch der schöne Simone Martini ist angekommen. –

– Ich wandle also zur Zeit am Amazonenstrom (sonst Neckar genannt), der durch die Stadt Heidelberg fließt. In den Mittagsstunden ist seit einer Woche immer fast italienischer Frühling. Strahlendste Sonne. Der Frühling kommt hierher bekanntermaßen 4 Wochen früher als zu Euch im Norden. (Nur nachts ist es noch kalt).

Sehr bald wird es Blüten zu sehen geben.

Herzliche Grüße, liebes Soll-Ich, überarbeite Dich nicht, Dank!!

Dein Sfaira Mörkjaer.

N. B. Die Sonne kommt wieder »über den Berg«!

Wenn Du jetzt hier wärst, könnte ich Dir einen »verwilderten Garten« zeigen: den Berg hinauf. Man muß sich bald mit einem Beil durchhauen, so sind die Wege zugewachsen. Aber in Charlottenburg? In »W«? –

 

(58)

H(eidelberg)., 1. 3. 1928

L. Soll-Ich –

In atemloser Eile kam Dein Kourier an, und macht sofort mit »Geliebte« – kehrt.

Sollte das MS von Dämonen entwendet werden – weil es eigentlich von einem Mann gesungen werden müßte??

Jedenfalls: Es ist Zeit zu drucken! –

Dank für das wunderbare Schiff!

Ja, so wird man, wenn man im Alter auf den Strand gesetzt wurde. O Welt! O Ozean, Du Ungeheuer! O Kühe (!!!), ihr friedlichen, ahnungslosen!

Auf die Schiffe, auf die Meere, solange das Zeug hält!!

Dein Sfaira M.

 

(59)

(Heidelberg), 28. 3. 1928

Liebes Soll-Ich:

Es wird ja immer »unerhörter«, und wir sind nicht mehr fern dem »Unerhörtesten«! Alles kam gut an –: Aber: hast Du denn eine »Handlung« en gros eröffnet? Import und Export? – Gebrauchst Du einen »Reisenden«? Das wäre so was für mich, und ich könnte gleich nächste Woche, in der ich mein Hauptquartier verlegen werde, mit dem Vertrieb beginnen! – Die [O] sind Träume an Reinheit und Jugend – aber: Du sollst nicht!!

– Volle Baumblüte!!

Dein Sf. M.

 

(60)

(Heidelberg, 5. 4. 1928) Ostern 1928

Nur »ein Veilchensträußchen«,
aber ein 400 Jahre altes!

Sf.

 

(61)

H(eidelberg), 17. 6. 1928

Liebes Soll-Ich!

Während eine ganze Gemeinde (unter 1000 Personen thun sie's nicht mehr) mit dröhnender Blechmusik unter meinem Fenster aufs Schloß marschiert, schreib ich Dir. Hab' herzlichen Dank für Blumen und die schönen Photo's aus der Pfarr-Landschaft. Dom Karls des Großen! Daß es das heute noch giebt! (Falls Du die Photo's brauchst, sag es, damit ich sie Dir zurückschicke.) Nun hast Du als Preußin noch 14 Tage auszuhalten – dann Freiheit! Insel! Musik-Zelle! – Mare!! – Seit ich hier zurück bin, hat die lange nur geträumte »Zukunfts-Musik« endlich mit Voll-Dampf begonnen, Musik, Ton zu werden. »Was das Zeug hält«!! Die Bässe heulen, die Orgel dröhnt; es flötet. Die Herrschaften, die auf mir spielen, toben sich aus – Vedremo!

Herzlich Dein Sf. M.

 

(62)

Heidelberg, 19. 7. 1928

Liebes Soll-Ich!

Feierlichste Grüße an

Insel, Feuerstein Dach
Meer – Kiesel Terrasse
Himmel – Muschel Zelle
Wind – Vogel Spinett
Wiese – Sand Küche
Rosenstrauch – Haus Wasserschöpfer

Spiritusapparat – Notenpapier – Likörflaschen etc.

und vor allem an die Besitzerin von all' denen:

die Herrscherin auf Hof Tola!

Möge sie sich von den Schrecknissen der Asphalt-Wüste gut erholen! –

Ein mächtiger Sommer!

Dank für die Rosenknospen, die den frischen Hiddensee-Harz noch bewahrt hatten.

Grüße an alle vorseits genannten Herrschaften, besonders aber an die Oberste, die Tolanerin! (genannt »Menschenseele« in einem Johanneischen Exposé, herrührend aus der Menzelstraße in Friedenau ...)

Ich bleibe vorerst hier, da ich in heftige Verwicklung geraten bin mit einigen Weltgeistern, die partout das Lokal nicht verlassen wollen. Sie hinausbringen, wenn sie mal drin sind! – –

Herzlichste Grüße
Sfaira Mörk.

 

(63)

Heidelberg, 3. 8. 1928

Oh liebes Soll-Ich!

Unerhört! unerhört!

Was wieder Alles ankam!

Wie danken für Thee-Orgie! mit ebenfalls eingetroffenem Kuchen!

Und Druckknöpfe gesetzt auf Tola-Hof-Erinnerungen! welche Arbeit Du Dir auferlegt hast!

Jetzt wird TOLA Hof bald fortgeschrittenster Musterhof sein! Radiofunk auf dem Dach! Flughafen! –

Meinen Glückwunsch, daß Du nun Deine Schwester in Berlin haben wirst. Ich wünsche beste Vollendung des großen Dante-Werkes. Es wird immer höchstes Ziel aller Nach-Dichtung bleiben. Dazu träumt die Hof-Herrin auf dem Divan, oder tönt in der Musik-Zelle. – Kannst Du Deine langerharrten Ferien nicht etwas verlängern? – In circa 10 Tagen will ich sehen, wie weit ich komme. Werde wohl (Ostalpen) in dem berüchtigten »Zillerthal« beginnen (wo all die Ziller-Spieler der »Gesellschaft Edelweiß« sich gebären lassen). –

Herzliche Grüße an Insel, Meer und Himmel.

Dein Sfaira M.

 

(64)

Heidelberg, 25. 9. 1928

O liebes Soll-Ich –

Vielen Dank für Deinen schönen langen Brief, der mir von den Schicksalen und Abenteuern auf Hof Tola berichtete. Könnte man in ein paar Stunden hin kommen, so würde ich sogleich dem Dornbusch einen Besuch abstatten.

Den Wundern der Küche würde ich wahrscheinlich »machtlos vis-a-vis« stehen! Unterdessen ist zur Illustrierung auch die Schachtel-Umschlossene Gesellschaft der bei Mutter Grün wohnenden Tola-Hof-Insassen erschienen und hat mich mit ihren spezifischen Seele-Düften erfreut.

Ich bin schon eine Woche wieder in der Tiefe.

Zehn Tage erlebte ich ganz droben im strahlendsten Eis und Firn ohne das geringste Nebel-Wölkchen. Dann erschien der Vorhang der Wolken. »Der Senne muß scheiden, der Sommer ist hin« (Tell).

Anbei für die Blumen ein paar Rythmen aus dem nun beendeten Drama. Sie sind Eröffnungsklänge, gehören zur Ouvertüre. Dem Clavichord (nicht Bechstein!) ans Herz gelegt.

Über Deinen »Lichtblick« freue ich mich.

Heute herzlichst Dein
Sfaira M.

 

(65)

Heidelberg, 16. 10. 1928

Liebes Soll-Ich:

Wieder: » Unerhört«! – Blumen, Thee – Himmelsbrot – Mikroskop (!!!) angekommen! – unerhört!

Vielleicht wird Dir in der kommenden Woche: ausgehend vom Hotel Alemannia in der Anhaltstraße: eine Überraschung in der Bismarckstraße (L'AKADEMIA spukt) –

Herzl. Gruß!
Dein Sfaira M.

Eben las ich ein Wort aus dem Mittelalter (von Notker, † 1022)

» Uva (Traube) was ih,
getrettot pin ih,
vinum werdo ih

Sf.

 

(66)

(Berlin), Freitag 26. 10. 1928

Liebes Soll-Ich,

Dank für die duftenden Grüße! Und Dank für die musikalischen Möglichkeiten, die Du heraufbeschwören willst. Ich verstand aber unter » privater« Musik lediglich die Musik der einen »Menschen -Seele«. Das Zusammenspiel mit Anderen macht immer ein großes Aufgebot nötig, und immer giebt es dabei irgendeinen Mißklang. Ich liebe die singende Solo-Stimme! – Montag werde ich zudem wahrscheinlich wieder abreisen, jedenfalls ganz unsicher. Ich komme also jedenfalls Sonntag (vielleicht schon etwas früher, gegen 4 Uhr) zu Dir.

Samstag will ich noch Verschiedenes ansehen, und wünsche mir, daß mich der Weg auch nach der Bismarckstraße führt. Aber Du sollst meinetwegen bei dem schönen Wetter nicht zu Hause bleiben. Ich war gestern in Potsdam in den Gärten. Nun herzlich auf Wiedersehen auf Deiner Stadt-Insel!

Dein Sfaira M.

(»immer suchend Inseln«)
Oh Herrin von Tola Hof ...

 

(67)

Heidelberg, 11. 11. 1928

Oh liebes Soll-Ich –

des »Kometen« bin ich habhaft geworden, und er sendet Dir durch mich fürs Erste herzliche Grüße! Er giebt sich die größte Mühe, genau gemäß der Berechnung des Astronomen auf der Bildfläche zu erscheinen, zumal man in Preußen an Pünktlichkeit gewöhnt ist. – Schön war's in den nördlichen Gefilden, und sehr schön der Aufgang des Morgensternes in Anhaltstr. 10 um 9¼ Uhr morgens! – Nun sitz ich stündlich da und warte darauf, daß mir eine Sängerin erschiene und die beiden Lieder mir singe. Es laufen so viele Sängerinnen auf der Erde herum, aber sie laufen alle in falsche Türen hinein. Die Ahnungslosigkeit übersteigt alle Begriffe! – Aber einmal wird es sein. – Nun herzliche Wünsche für den 20. 11! – Meine gemessensten Befehle an die Stadtväter! Meine feierlichen Einsegnungen dem Clavichord (das ich eben betrachte)! Und alle Grüße dem Soll-Ich!

D. Sf. M.

 

(68)

(Heidelberg), 26. 12. 1928

Liebes Soll-Ich!

Hier liegt noch Schnee, während er dort wohl wieder weggeschmolzen sein dürfte. Alles angekommen! Vinum bonissimum! Fleurs!! Gebäck! (Du-sollst-nicht ...) Aber es ist »unerhört«! Auch das »Nietzsche-Lied« ist noch: unerhört!

Herzliche Weihnachtsgrüße!

Kannst Du nicht länger im Pfarr-Haus bleiben?

Deine Lichter haben richtig gebrannt!

Dein alter Sf. M.

 

(69)

[undatiert]

Liebes Soll-Ich –

Hier. – Das Postamt 2 Charlottenburg kennt also Deine Handschrift noch nicht. –

Und ATAIR ? Ist er in den japanischen Himmel aufgeschwebt? Oder hat ihn das germ[anische] Cons[ulat] geklaut? »Sagen-Geflüster. Stern-Schicksale« (216)

A. M.

Die letzten Strahlen kommen über den Berg! –

 

(70)

Heidelberg, 31. 12. 1928

Herzlichste Neujahr-Wünsche!

Auf nach Island!

D. Sf. M.

 

(71)

(Heidelberg), 27. 1. 1929

Dem Soll-Ich –
zu Mozarts Geburtstag
Dem Mozart –
zu Soll-Ichs Geburtstag
schönsten Glückwunsch!

Sfaira M.

 

(72)

Heidelberg, 8. 2. 1929

Liebes Soll-Ich –

»Unerhört!« –

Blumen-Prozession!

Speise-Karavane!

Bundes-Lade zur Noten-Bewahrung!!

Ja: Nun hast Du's erreicht!:

Soeben teilt mir das Hauptpostamt mit: um der Ablieferung der Poststücke an mich »aus Herkunft Charlottenburg« gewachsen zu bleiben, wird sie einen direkten Schienenstrang in den Klingenteich anlegen (modernster pneumatischer Betrieb!).

:»Machtlos vis-a-vis« –

»Unerhört!« –

»In der Anlage« kommt der Brief an Emilia Galotti nebst Vortrag Loerke zurück.

Zu 1) Ich finde »Europa« durchaus nicht »übercivilisiert«; ein Raubtierkäfig ist ein Menuett dagegen.

Zu 2) Es ist wohl ein Rundfunkvortrag. Du findest ihn ausgeführter und weit besser in Loerkes schönem Essayband: »Zeitgenossen aus vielen Zeiten« (Fischer 1925). Er enthält auch Herrliches (langer Essay) über Bach. –

Etwas fehlt noch: zu den beiden Händen die »Fortsetzung«!!

Nach allen Richtungen! Die oberste Befehls-Stelle! – Muß nachgeliefert werden!

Herzlichst Dein
Sfaira M.

Täglich über Mittag Spaziergang mitten auf dem Neckar!

Eben kommt die Sonne wieder »über den Berg«!

 

(73)

Heidelberg, 31. 5. 1929 (Noch im Mai)

Liebes Soll-Ich –

Ja – jetzt bist Du wohl wieder in der großen Stadt – jetzt, da die Insel-Boten mich erreichten. Die Körnchen des Briefes kamen natürlich sofort unters Mikroskop – und siehe da, es sind wunderbar strahlende Felsen mit 1000jährigem Schliff ( uns wird wohl die Welt ebenso schleifen, und dann werden wir von irgendeinem Geist betrachtet).

Unerhört: Dem Paket enttaucht wohlbehalten ein Blumenglas!! (Du-sollst-n-i-ch –)

Und ein neues Lied! »Seliges Vergessen«! In sanfter Bewegung! An den internationalen Verband reisender (reizender) Sängerinnen ergeht hiermit die Aufforderung, es mir baldigst singen zu lassen: spätestens – wenn ich wieder nach Berlin komme – in Bismarckstr. 9.

Sage nun: Du schriebst, Deine eine Hand wäre »in ärztlicher Behandlung« – wie ists damit?? –

Seit ich zurückbin, zeigt sich die Natur nach langer Winter-Fesselung ganz orgiastisch.

Du wirst aber noch einen Monat – bis zu den Ferien – »zwischen den Flügeln« durchhalten müssen?

Herzlichen Gruß, liebes Soll-Ich
D. Sfaira-M.

 

(74)

(Heidelberg, 27. 6. 1929)

Versinken will ich, unter die Ur-Klänge.
Aufschweben dann bis über die Kuppel des
Unerforschlichen –

»Thaumas«

 

(75)

(Heidelberg, 28. 6. 1929)

Liebes Soll-Ich!

Eine große Nachricht! »Nimm von der Wand die Harfe« – um sie nach Eisland zu tragen! Einstweilen ist es für mich, der seit I Woche unter dem Einbruch »polarer Luftmassen« scheußlich fror (fast wäre eingeheizt worden!) ein fürchterlicher Gedanke – und mein Blick schweift ab nach Madagaskar und Borneo. 1911 war der absolut sichere Sommer, wo ich in Narvik war, und die Eselei beging, nicht nach Isl[and] zu fahren.

Heute sehe ich über Island ungeheure Regen- und Nebelwolken, darunter steht ein Clavichord, davor sitzt eine Dame aus Charlottenburg. »Waldstein«!!

Herzl. D.
Sfaira M.

 

(76)

(Heidelberg), 8. 7. 1929

Lbs. S. I.! –

Welch ein »Glanz kam da in meine Hütte«! Ein » fürstlicher« Blumenstrauß! Bei unseren Fürsten scheint, wie Du umseits siehst, seit Jahrhunderten bereits Sonne und Mond oben hinein. Im Übrigen werde ich Deine »Verteidigung« übernehmen.

Gruß dem Pfarrhaus!

D. Sfaira M.

 

(77)

Heidelberg, 24. 7. 1929

Liebes Soll-Ich,

Kund und zu melden, daß der Geist- und Hirn-Rettungsapparat wohlbehalten die Hitze-Zone passiert hat: dank eines gewaltigen Donnerwetters, das dem Feuer-Dämon gewaltigst in die Fresse gehauen hat (»Schwüles Gedünst ...«), und so die Götter und Richard Wagner wollen, weiter hauen wird!

– Morgens 11 Uhr Zimmertemperatur 17 R., Außentemp. 19 R. – Die Rettung kam natürlich wie immer von Island!

Liebes Soll-Ich – Dein lieber langer schöner Brief vom Lande Braach – mit der Händel-Traum-Musik, zu der Dir die hier lagernden Instrumente, als da sind:

1.) eine Sirius-Trompete (D.R.P.)
2.) eine Atair-Pauke (K.W.P.)
3.) eine Andromeda-Flöte eigenes Patent (Kosmisches Welt-Patent)

bereitwilligst ausgeliehen werden. Beschädigungen auf dem Transport unmöglich: Du kannst sie ruhig unter eine Schnellzugslokomotive legen. –

Ja: und nun: von einem uralt-ehrwürdigen Fluß-Stein beschwert: das Bildnis der im Garten sinnierenden Psyche, Pflanzen-Schwester-Seele streichelnd. Und dann: in den Gewässern: » wer ists?« Die Fulda selber? (((nicht: der Fulda)))? Oder –?? – Sehr schöne Aufnahmen! Schönsten Dank!

Für die nächste Zeit kühle Tage wünschend – Du bist mutig – sehr mutig – aber Du kennst die Landessprache – Islandia – – 14. August!!! – –

Dein Sfaira Mo.

 

(78)

Heidelberg, 6. 8. 1929

Liebes Soll-Ich –

ich war einige Tage im Lande herum, in kleinen Land-Städtchen, alten Reichs-Städtchen. Wunderbare Wolken, und Kühle. Wenn das Wetter beständig wird, soll es Ende der Woche etwas in die Alpen gehen.

Aber Du! – Kopenhagen! Schiff! Bist Du denn schon richtig ausgerüstet? –

Ich sende Dir anbei den Abschnitt über »Island« aus Baedecker »Schweden und Norwegen« (1908!). Hast Du schon die »langschäftigen Stiefel« zum »Durchreiten der Flüsse«? –

Wäre ich dabei! – Aber es mangelt mir die Aufflugskraft zum Schwung in den Norden. Nimm jedenfalls die »Edda« mit. Drin ist höchstes Island. Von Literatur über Island ist das Beste in deutscher Sprache das Buch, das ich Dir vor einigen Jahren sandte: »Prager und Zirkel, Reise nach Island« (Das große geolog. Werk von Sartorius von Waltershausen wird Dir zu fachmännisch sein.) – Und damit Dein Löwen-Mut Dich nie verlasse, lege ich ein Löwen-Rauch-Röhrchen aus Urgroßmutter-Tagen bei (als Talisman).

Schönsten Dank für die Fotos! Wie das Haupt im Schnittpunkt der Gebirgsketten steht, ist sehr schön.

Und wie ist das Händel-Konzert verlaufen? –

Grüße!
Dein Sfaira-M.

 

(79)

Heidelberg, 7. 9. 1929 (48,5 ° nördl. B., 8,5 ° östl. L.)

Oh Liebes Soll-Ich –

während ich schreibe, liegt der Erdatlas neben mir aufgeschlagen, und die Nord-Polarkarte weist Dich auf circa 66 ° nördl. Br. und 20 ° westl. L. aus. Das ist allerhand. Und nun erklingt unter Deinen sieggewohnten Händen vor versammelten Jölus, Heklas, und Heringsfischern die Waldstein-Sonate! –

Ungfru slaghörpuleikkona

Das ist in Zehlendorf nicht zu haben, und so wird das für Dich immer eine wunderbare Erinnerung sein. Wenn Du von Deinem Konzertlokal über die Straße gehst (sie heißt: »Dänemark-Straße«) – rennst Du direkt auf die Ostküste von Grönland! –

Hab' Dank für Deinen schönen Reise-Bericht. Ich freue mich, daß die ganze Zeit ein »Hoch« über Island liegt, d. h. gutes Wetter für Dich. Und Du bist von isländ. Malern und Sängern umgeben, Menschen der Sage mehr als Europäer. Es wird behauptet, in Isl. könnte jeder Gebildete Lateinisch sprechen. Ist das so? – Nun die herzlichsten Grüße in Dein äußerstes Thule, liebes Soll-Ich. Ich bin seit einigen Tagen aus den Alpen zurück. Was soll ich mitsenden? Eine Feder, auch wenn es dort viel sagenhaftere, Odin-Rabenfedern, giebt. – Viel Glück, liebes Soll-Ich!

Dein Sfaira M.

Einen Gruß an Velden!

N.B. Wenn die heutigen Isländer versagen, halte Dich an die »Edda«!

 

(80)

Heidelberg, 14. 10. 1929

Liebes Kühnes Soll-Ich –

wenn Du jetzt landest auf dem alten guten Festland Europa, und landest in der festen Charlotten-Burg, dann lasse ich von meinen Geistern Spalier bilden und Deinem Geist-Ohr ein vernehmliches »Hoch!« »Sei gegrüßt!« – » Seht, sie kommt« – zusingen und zugeigen. Und fernerhin: um zu kontrollieren, ob meine Befehle richtig ausgeführt wurden, werde ich persönlich ziemlich sicher in der Mitte der kommenden Woche in der Bismarckstraße 9 nach dem Rechten sehen.

Sagen-Rauch Alt-Islands wird dann noch um Dich sein: ich werde eine »Sigrun«, eine »Herwör« vorfinden.

Der Thule-Fahrerin ein Hoch!!!

Dein Sf. M.

Die schönen Photos sind angekommen! –

 

(81)

Heidelberg, 8. 12. 1929

Oh liebes Soll-Ich,

es scheint endlich die Sonne wieder – wird es jetzt bald Frühling? Deine Pappel wird's wissen – wir haben durch die Heizerei die Witterung verloren. –

Ja – und nun hat Fafer und Fasolt wohl das zarte Hammer-Klavierchen wieder in die Musik-Zelle zurückgestellt (vor den großen schwarzen Ungetümen werden sie wohl Respekt haben!) – und Du hast Deinen herrlichen Händel den Berlinern eingehämmert! – Ihr glücklichen Musiker! »grand miroir Demon désespoir« (C. B.) gielt nur für die Dichter, die halt mal keine Musiker sind! – Verfehlte Carriere! –

Nun liegt also auch, von den zarten Violin-Piano-Händen der fernen Nordmeer-Insel entführt, der schwarze Basalt-Schiefer mit den hineingesunkenen Wäldern vor mir. Ein unsagbarer herbbitterer Geruch! – Zahllose Regen-Tage und Nächte! – Traum! – Und Dein altes isländisches Erbauungsbuch nehme ich auch oft in die Hand. Generationen von Frommen! Gedruckt im verlorenen »Hiallta-dal«! Viele alte Handschriften drin! Und da steht im Druck:

»Simon Jona ELSKA PU MJG?«

Und dreimal antwortet Simon Jona:

Jat Herra Elg[ar] Elska Pig Pu veitst.

Diese Worte, in Asien hebräisch gesprochen, griechisch aufgeschrieben, in Thule isländisch gelesen – und jetzt –

Sf. M.

(vielleicht in den Ur-Brunnen zurückgekehrt ...)

 

(82)

(Heidelberg) Weihnachten 1929

Ich bin die Musik der Welt

Sfaira M.

 

(83)

Heidelberg, 26. 12. 1929

Liebes Soll-Ich –

Unerhört! Ungesehen!

Es ist Alles angekommen!

– Die blauen Veilchen!

– Der große Weihnachtsbaum mit der silbernen Milchstraße und den Plejaden-Fräuleins!

– Der unerhörte Talisman aus den Gletscherspalten Islands, nun durch Soll-Ich »gefaßt«! (Es ist jedenfalls mineralogisch gesprochen ein »Chalkedon«, der in Island gefunden wird) –

Vielen großen Dank – aber es ist – unerhört! –

Die Plejaden-Fräuleins brennen jeden Abend in der Gruppierung ihrer himmlischen Ordnung und singen dazu die Lieder von L. K. (wenn ich wieder nach Berlin-Charlottenburg komme, müssen sie alle gesungen werden!): »Ahne, was einst sein wird.«

Vielen Dank, liebes Soll-Ich, aber es ist unerhört – Du – sollst –? –?

Dein Sfaira-M.

 

(84)

Liebes Soll-Ich –

das ist doch wohl
das Schönste,
was ich Dir schicken kann.

Sf. M.


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