John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill, Helen Taylor
Die Hörigkeit der Frau (The subjection of women)
John Stuart Mill, Harriet Taylor Mill, Helen Taylor

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Drittes Kapitel

Ich komme jetzt zu einem andern Teile meiner Abhandlung, und zwar zu der von der Gerechtigkeit geforderten Zulassung der Frauen zu allen Ämtern und Beschäftigungen, die ihnen bisher als Monopol des stärkern Geschlechtes vorenthalten wurden, und hoffe keine Schwierigkeiten zu finden, die zu überzeugen, welche mir durch das Kapitel über die Gleichstellung der Frauen in der Familie gefolgt sind. Ich glaube, man hat ihnen alle Möglichkeit dazu nur so konsequent abgeschnitten, um ihre Unterordnung im häuslichen Leben aufrechtzuerhalten, da das männliche Geschlecht in seiner großen Mehrzahl nun einmal den Gedanken nicht ertragen kann, an der Seite eines gleichstehenden Wesens zu leben. Waltete dieser Grund nicht vor, so glaube ich, würde bei unsern gegenwärtigen politischen und nationalökonomischen Ansichten beinahe jeder zugeben, daß in der Ausschließung der einen Hälfte der Menschheit von dem bei weitem größten Teil aller lukrativen Beschäftigungen ein Unrecht liege; daß es eine Unbilligkeit sei, zu bestimmen, die Frauen können von ihrer Geburt an und vermöge derselben zu den Beschäftigungen, welche gesetzlich dem einfältigsten, untergeordnetsten Geschöpfe männlichen Geschlechts offenstehen, entweder durchaus nicht tüchtig werden, oder ihnen müsse, so befähigt sie auch dafür sein mögen, die Ausübung dieser Beschäftigungen doch verwehrt bleiben, damit dem Manne der ausschließliche Vorteil davon gewahrt werde. Suchte man in den letzten zwei Jahrhunderten – was allerdings nicht oft geschah – für die Ausschließung der Frauen von Ämtern und gewerblicher Tätigkeit noch nach einem andern Grunde als dem meist hinlänglich genügend erscheinenden: sie sei einmal hergebracht, so wurde nur selten die geringere geistige Kapazität des weiblichen Geschlechts angeführt. Im Ernste glaubte niemand daran; in Zeiten einer wirklichen Prüfung der persönlichen Fähigkeiten, in den Kämpfen des öffentlichen Lebens, von denen Frauen nicht ausgeschlossen blieben, war ihre Begabung ja oft genug erprobt worden. Der Grund, welchen man damals angab, war nicht die Unfähigkeit der Frauen, sondern das Interesse der Gesellschaft, was soviel hieß wie das Interesse der Männer; gerade so wie die Staatsräson, d.h. das, was der Regierung behagte und zur Aufrechthaltung der bestehenden Herrschaft diente, als genügende Erklärung und Entschuldigung für das schreiendste Verbrechen galt. In unsern Tagen führen die Inhaber der Gewalt eine sanftere Sprache und suchen ihren Hörigen begreiflich zu machen, es geschehe alles nur zu ihrem eigenen Besten. Bei allem, was man den Frauen verbietet, hält man daher für notwendig, zu sagen, und wünschenswert, zu glauben, sie wären unfähig dafür und würden sich, wenn sie nach solchen Dingen trachteten, nur vom Wege zu ihrem Glücke und ihrer Wohlfahrt entfernen. Um diesen Grund plausibel – ich sage nicht triftig – zu machen, müssen die, welche ihn anführen, aber darauf gefaßt sein, ihm eine größere Ausdehnung zu geben, als man angesichts unserer heutigen Erfahrung so leicht wagen darf. Es reicht nicht aus, zu behaupten, Frauen wären durchschnittlich weniger mit gewissen höhern geistigen Fähigkeiten begabt, als es Männer im Durchschnitt sind, oder die Zahl der für ein Amt von der höchsten intellektuellen Beschaffenheit geeigneten Frauen sei viel kleiner als die solcher Männer; sondern es ist notwendig, zu behaupten, es sei überhaupt keine Frau dafür befähigt, und die bedeutendsten Frauen stünden in geistiger Hinsicht tief unter den mittelmäßigsten Männern, denen man gegenwärtig doch solche Funktionen überträgt. Wäre dem nun so und wäre zur Ausübung solcher Funktionen nur zu gelangen durch Mitbewerbung oder durch irgendeinen Wahlmodus, welcher dem öffentlichen Interesse Sicherheit gewährte, so brauchte man ja gar nicht zu fürchten, daß irgendein wichtiges Amt in die Hände von Frauen fiele, da sie den Männern und folglich auch ihren männlichen Mitbewerbern im Durchschnitt so untergeordnet sind. Ließe man also eine solche Mitbewerbung zu, so würde ihr Resultat immer nur sein, daß im Verhältnis zu den Männern eine sehr kleine Zahl von Frauen zu solchen Beschäftigungen gelangte, ein Resultat, das übrigens sich auf jeden Fall sicher ergeben wird, wenn auch nur deshalb, weil die Mehrzahl der Frauen wahrscheinlich dem Berufe den Vorzug geben dürfte, in welchem sie keine Mitbewerbung haben. Mag nun aber jemand eine noch so geringe Meinung von den Frauen haben, so wird er doch nicht zu leugnen wagen, daß, wenn wir die Erfahrungen der jüngsten Zeit mit denen vergangener Jahrhunderte verbinden, sich Frauen, und nicht nur einzelne, sondern viele Frauen, vielleicht ohne eine einzige Ausnahme, für alle Zweige menschlichen Wissens und Könnens befähigt gezeigt und darin Anerkennswertes geleistet haben. Das Höchste, was man gegen sie sagen könnte, wäre, daß sie in manchen Dingen es nicht zu einer solchen Vollkommenheit gebracht wie einige Männer, und daß es viele gibt, in denen sie nicht den höchsten Rang erreicht haben. Es gibt indes nur äußerst wenig Zweige der Tätigkeit, die nur von geistigen Fähigkeiten abhängen, in denen sie nicht einen dem höchsten nahekommenden Rang erzielten. Ist dies nicht genug und viel mehr als genug, es zu einer Tyrannei gegen die Frauen und zu einer Beraubung der Gesellschaft zu stempeln, daß man ihnen nicht erlaubt, sich ebensogut wie die Männer um solche Ämter und Beschäftigungen zu bewerben? Wäre es nicht die nackte Wahrheit, wenn man sagte: solche Ämter werden sehr oft von Männern ausgefüllt, die weit weniger dafür befähigt sind als zahlreiche Frauen, so daß sie von diesen bei jeder ehrlichen Konkurrenz aus dem Felde geschlagen würden? Was macht es für einen Unterschied, daß es außerdem Männer gibt, noch befähigter für die in Rede stehenden Dinge als jene Frauen, aber vollauf in anderer Weise beschäftigt? Findet nicht Ähnliches bei jeder Konkurrenz statt? Haben wir einen solchen Überfluß an Menschen, die sich für die Erfüllung höherer Aufgaben eignen, daß die Gesellschaft die Dienste irgendeiner kompetenten Person abweisen darf? Sind wir so sicher, für jeden vakant werdenden Platz immer den entsprechenden Mann zu finden, daß wir nicht darunter leiden, wenn wir die Hälfte der Menschheit unter einen Bann legen und es von vornherein ablehnen, ihre Fähigkeiten, so hervorragend dieselben auch sein mögen, nutzbar zu machen? Und selbst wenn wir ihrer entbehren könnten, ist es mit der Gerechtigkeit vereinbar, den Frauen den ihnen gebührenden Anteil an Ehre und Auszeichnung vorzuenthalten oder ihnen das für alle Menschen gleiche moralische Recht abzustreiten, ihre Beschäftigung, ohne Beeinträchtigung anderer, sich selbst nach ihren Neigungen und auf ihre eigene Gefahr zu wählen? Die Ungerechtigkeit beschränkt sich aber nicht allein auf die Frauen, sondern erstreckt sich auf alle, welche in der Lage wären, von ihren Diensten Vorteil zu ziehen. Im voraus bestimmen, daß Personen einer gewissen Gattung nicht Ärzte oder Advokaten oder Parlamentsmitglieder sein sollen, heißt nicht nur sie, sondern auch die beeinträchtigen, welche Ärzte, Advokaten, hervorragende Parlamentsmitglieder brauchen und welche des anspornenden Einflusses der größeren Mitbewerbung auf den Eifer der Kandidaten beraubt und außerdem auf einen viel engeren Kreis für ihre individuelle Auswahl beschränkt werden.

Es wird vielleicht genügen, wenn ich mich mit den Einzelheiten meiner Argumente auf Funktionen öffentlicher Natur beschränke, denn tue ich dies mit Erfolg, so wird man mir leicht zugeben, daß Frauen auch zu allen anderen Beschäftigungen, für die es wichtig ist, ob man sie zuläßt oder nicht, geeignet sind. Ich möchte hier mit einer Wirksamkeit beginnen, die von jeder anderen wesentlich verschieden und auf welche ihr Recht gänzlich unabhängig ist von der Frage, die betreffs ihrer Fähigkeiten erhoben werden kann. Ich meine das Stimmrecht, sowohl für das Parlament wie für die Munizipalämter.

Das Recht der Teilnahme an der Wahl solcher Personen, denen ein öffentliches Vertrauensamt übertragen wird, ist gänzlich verschieden von dem, sich um ein solches Amt bewerben zu dürfen. Könnten nur diejenigen für ein Parlamentsmitglied stimmen, welche selbst die erforderlichen Eigenschaften eines Kandidaten dafür besitzen, so würde die Regierungsform eine beschränkte Oligarchie sein. Der Besitz einer Stimme bei der Wahl derer, von denen man regiert wird, ist ein Mittel des Selbstschutzes, das jedem zustehen sollte, bliebe er auch für immer von der Teilnahme an der Regierung ausgeschlossen; und daß es Frauen nicht an den Fähigkeiten für die geeignete Ausübung dieses Rechtes gebrechen kann, läßt sich doch, dächte ich, aus dem Umstande folgern, daß ihnen das Gesetz schon jetzt das Wahlrecht in dem für sie am allerwichtigsten Falle gewährt. Ist ja doch die Wahl des Mannes, der ihr ganzes Leben lang über sie herrschen soll, wie man wenigstens anzunehmen pflegt, in ihren freien Willen gestellt. Aufgabe jeder konstitutionellen Verfassung ist es, das Recht der Wahl für alle öffentlichen Vertrauensämter mit Gesetzen zu umgeben, welche die nötigen Garantien und Beschränkungen bieten; aber es bedarf für das weibliche Geschlecht durchaus keiner andern Vorsichtsmaßregeln, als für das männliche geboten sind. Es gibt nicht den Schatten eines gerechten Grundes dafür, daß man die Frauen nicht unter denselben Bedingungen und innerhalb derselben Grenzen, wie man sie für die Männer aufgestellt, zur Wahl zuläßt. Die Majorität der Frauen aus einer Klasse würde in ihrer politischen Ansicht höchstwahrscheinlich nicht viel von der politischen Ansicht der Männer derselben Klasse abweichen, es sei denn, die Frage beträfe Dinge, in welchen das Interesse der Frauen als solche besonders verflochten wäre. Gibt es aber solche Fälle, so bedürfen Frauen um so mehr des Stimmrechtes als der besten Garantie für eine gerechte und unparteiische Vertretung. Dies, dächte ich, müßte sogar denen einleuchten, welche sonst in keinem andern der von mir verteidigten Punkte mit mir übereinstimmen. Wäre selbst jede Frau verheiratet und müßte jede Ehefrau eine Sklavin sein, so bedürften diese Sklavinnen ja um so mehr des gesetzlichen Schutzes, und wir kennen den gesetzlichen Schutz, der den Sklaven durch Gesetze zuteil wird, die ihre Herren machen.

Was nun die Fähigkeit der Frauen anbetrifft, nicht allein das Wahlrecht auszuüben, sondern selbst Ämter zu verwalten oder Berufszweigen obzuliegen, mit denen eine wichtige Verantwortlichkeit der Öffentlichkeit gegenüber verbunden ist, so habe ich bereits bemerkt, daß diese Erwägung für die praktische Behandlung der vorliegenden Frage nicht wesentlich ist, da jede Frau, die in einem freien Gewerbe etwas leistet, dadurch den besten Beweis liefert, daß sie dafür qualifiziert ist. Hinsichtlich der öffentlichen Ämter aber sind zwei Fälle möglich: entweder das politische System des Landes schließt unfähige Männer von ihnen aus, dann wird es mit unfähigen Frauen dasselbe tun, oder es läßt ohne Prüfung jeden Mann zu, dann wird der Umstand, daß die unbefugte Person eine Frau statt eines Mannes ist, das Übel nicht ärger machen. Sobald man daher zugeben muß, daß Frauen, und sollten dies auch nur wenige sein, für derartige Ämter die erforderlichen Eigenschaften besitzen, können die Gesetze, welche solchen Ausnahmen dazu den Zugang versperren, keine Rechtfertigung in den im allgemeinen über die Kapazität der Frauen vorwaltenden Ansichten finden. Ist dieser letztere Grund auch nicht gerade einer der wesentlichsten, so ist er doch ein durchaus sachgemäßer. Eine vorurteilslose Erwägung desselben wird den Argumenten gegen die Untüchtigkeit der Frauen immer eine Verstärkung zuführen, besonders auch durch ernste Gründe der praktischen Nützlichkeit.

Sehen wir zuvörderst ab von allen psychologischen Erwägungen, welche dartun sollen, daß alle angeblich zwischen den beiden Geschlechtern existierenden geistigen Unterschiede nur die natürliche Folge von Erziehung und Verhältnissen sind und keineswegs ein von Natur radikaler Unterschied oder gar eine radikale Überlegenheit von der einen, Unterordnung von der andern Seite. Betrachten wir die Frauen einfach, wie sie jetzt sind oder wie man sie bis jetzt gekannt hat, und fassen wir die von ihnen bereits praktisch bewährten Fähigkeiten ins Auge. Wenn nichts weiter, so beweist das, was sie bis jetzt getan haben, doch wenigstens, daß sie das tun können. Wenn wir bedenken, wie geflissentlich ihre Erziehung sie von allen den Männern vorbehaltenen Beschäftigungen und Aufgaben entfernt hält, statt sie dafür vorzubilden, so nehme ich für sie doch wahrlich einen sehr bescheidenen Standpunkt in Anspruch, wenn ich ihre Sache nur auf das begründe, was sie wirklich vollbracht haben. Denn eine negative Evidenz gilt in diesem Falle sehr wenig, während jede positive Evidenz entscheidend ist.

Aus dem Umstande, daß bis jetzt noch keine Frau Werke hervorgebracht, die mit denen eines Homer, eines Aristoteles, eines Michelangelo oder eines Beethoven auf gleicher Höhe stehen, läßt sich nicht folgern, daß die Frauen überhaupt nicht imstande sind, in den Künsten und Wissenschaften, in denen diese Meister Unsterbliches geleistet haben, das Höchste zu erreichen. Diese negative Beweisführung läßt die Frage ungewiß und jeder psychologischen Diskussion offen. Es ist dagegen ganz gewiß, daß eine Frau eine Königin Elisabeth, eine Deborah, eine Jeanne d'Arc sein kann, denn wir haben es hier nicht mit einer Folgerung oder Voraussetzung, sondern mit einem Faktum zu tun, und es ist eine ganz eigentümliche Erscheinung, daß die bestehenden Gesetze die Frauen gerade von den Dingen ausschließen, von denen sie den Beweis geliefert, daß sie dafür befähigt sind. Es gibt kein Gesetz, das eine Frau verhindert hätte, alle Dramen Shakespeares zu schreiben oder sämtliche Opern Mozarts zu komponieren. Hätten aber Königin Elisabeth oder Königin Victoria nicht den Thron geerbt, so würde man ihnen auch nicht das kleinste Teilchen einer politischen Wirksamkeit anvertraut haben, in welcher sich doch die erstere den bedeutendsten Staatslenkern ebenbürtig gezeigt hat.

Wäre es möglich, ohne jegliche psychologische Analyse, nur durch Schlüsse, die aus der Erfahrung gezogen sind, über etwas zu urteilen, wir könnten zu dem Satze kommen: Diejenigen Dinge, welche man den Frauen nicht zu tun erlaubt, sind gerade die, zu welchen sie die meiste Befähigung besitzen; so ist ohne Zweifel ihr Beruf für die Regierungskunst bei den wenigen Gelegenheiten, die ihnen zur Ausübung derselben geboten waren, glänzend zutage getreten, während in andern Zweigen der Kunst und Wissenschaft, die ihnen anscheinend immer offengestanden haben, sich keine in so eminenter Weise ausgezeichnet hat. Wir wissen, welche kleine Zahl regierender Königinnen die Geschichte im Vergleich zu den Königen aufzuweisen hat. Von dieser kleinen Zahl hat nun aber verhältnismäßig ein weit größerer Teil Talent für die Regierung gezeigt, obschon viele davon den Thron zu sehr verschiedenen Perioden, also auch unter ganz verschiedenen Bedingungen eingenommen haben. Merkwürdig ist außerdem, daß die gekrönten Frauen sich, wie sich an vielen Beispielen erweisen läßt, häufig durch Vorzüge ausgezeichnet haben, die der herkömmlichen Vorstellung vom weiblichen Charakter schnurstracks entgegen sind, nämlich Willenskraft, Festigkeit und Intelligenz. Vervollständigen wir die Zahl der Königinnen und Kaiserinnen noch durch Regentinnen und Statthalterinnen von Provinzen, so dehnt sich die Liste der Frauen, welche sich als ausgezeichnete Herrscherinnen bewiesen haben, zu einer großen Länge aus.Um die ganze Wahrheit dieses Satzes zu ermessen, dürfen wir uns nicht auf Europa beschränken, sondern müssen auch Asien mit in den Kreis unserer Betrachtungen ziehen. Ist ein indisches Fürstentum kräftig, sorgsam und sparsam regiert, wird daselbst Ordnung ohne Bedrückung aufrechterhalten, schreitet die Kultur vor, wird das Volk wohlhabend, so ist in drei Fällen von vier darauf zu wetten, daß dieses Land unter der Herrschaft einer Frau steht. Ich habe diese mir ganz unerwartet gekommene Tatsache einem langen offiziellen Berichte über die Regierungen von Hindustan entnommen. Die vorkommenden Beispiele dafür sind häufig; denn obwohl nach den indischen Einrichtungen eine Frau nicht selbständig zur Regierung gelangen kann, so ist sie doch die gesetzliche Regentin während der Minderjährigkeit ihres den Thron erbenden Sohnes, solche Minderjährigkeit tritt aber oft ein, da dem Leben der männlichen Herrscher durch Trägheit und sinnliche Ausschweifungen häufig ein vorzeitiges Ende bereitet wird. Erwägen wir nun, daß diese Prinzessinnen niemals öffentlich erschienen sind, nie mit einem nicht zu ihrem engsten Familienkreise gehörigen Mann gesprochen haben, ohne von ihm durch einen Teppich getrennt zu sein, daß sie nicht lesen können und daß es, wenn sie dies selbst verstünden, in ihrer Sprache kein Buch gibt, das ihnen nur über die geringste politische Angelegenheit Ratschläge erteilen könnte, so muß man zugestehen, daß sie ein sehr schlagendes Beispiel der Geschicklichkeit der Frauen für die Regierungskunst liefern. Es ist dies auch eine so unleugbare Tatsache, daß man schon vor langer Zeit versucht hat, das Argument umzudrehen und die Wahrheit, die man zugeben mußte, in einen Schimpf zu verwandeln, indem man sagte, Königinnen wären besser als Könige, denn unter den Königen regierten die Frauen, aber unter den Königinnen die Männer.

Es mag wie eine Vergeudung der Beweisgründe erscheinen, wenn man dieselben auch gegen einen schlechten Scherz ins Feld führt; ein solcher setzt sich jedoch bei den Leuten oft fester als eine ernste Wahrheit, und ich habe den hier erwähnten von Leuten mit einer Miene wiederholen hören, als hätten sie damit etwas außerordentlich Gewichtiges und Tiefsinniges ausgesprochen. Auf jeden Fall kann dieser Ausspruch ebensogut wie etwas anderes unserer Diskussion zum Anknüpfungspunkte dienen. Zuvörderst bestreite ich also den ersten Teil des Satzes und sage: Es ist nicht wahr, daß unter Königen Frauen regieren. Solche Fälle sind große Ausnahmen, und schwache Könige sind zu ihrer schlechten Regierung ebensooft durch den Einfluß männlicher als durch den Einfluß weiblicher Günstlinge verleitet worden. Läßt sich ein König lediglich infolge eines zwischen beiden bestehenden Liebesverhältnisses von einer Frau beherrschen, so ist allerdings keine gute Regierung zu erwarten, obgleich es selbst in diesem Falle Ausnahmen gibt. Dagegen zählt die französische Geschichte zwei Könige, welche die Leitung der Geschäfte während vieler Jahre freiwillig, der eine in die Hände seiner Mutter, der andere in die seiner Schwester legte. Der eine dieser Könige, Karl der Achte, war allerdings ein bloßer Knabe, folgte jedoch mit dieser Handlung den Intentionen seines Vaters, Ludwigs des Elften, eines der größten Könige seiner Zeit; der andere, Ludwig der Heilige, war dagegen der beste und einer der kräftigsten Herrscher, die Frankreich seit Karl dem Großen gehabt hatte. Beide Fürstinnen regierten in einer Weise, der es wenige ihrer zeitgenössischen Fürsten gleichzutun vermochten. Kaiser Karl der Fünfte, der staatsklügste Fürst seiner Zeit, der eine so große Anzahl tüchtiger Männer in seinen Diensten hatte, wie sie nur jemals einem Herrscher zu Gebote standen, der sicherlich der letzte von allen Souveränen war, dem es zuzutrauen gewesen wäre, daß er seine Interessen seinen persönlichen Gefühlen aufopfern könnte, ernannte zwei Prinzessinnen seines Hauses hintereinander zu Statthalterinnen der Niederlande. Er ließ eine derselben ihr ganzes Leben lang auf diesem Posten (später folgte ihnen sogar noch eine dritte Prinzessin aus derselben Familie). Beide regierten mit dem besten Erfolge, und eine von ihnen, Margaretha von Österreich, war eine der geschicktesten Politikerinnen jener Zeit. Soviel über den ersten Teil des Satzes, und nun zum zweiten. Meint man mit dem Ausspruche, daß unter Königinnen Männer regieren, dasselbe, was man andeuten will, wenn man sagt, Könige würden von Frauen beherrscht? Will man damit zu verstehen geben, Königinnen wählten zu Werkzeugen ihrer Regierung immer die Gefährten ihrer persönlichen Ergötzlichkeiten? Der Fall ist selten vorgekommen, selbst bei solchen Fürstinnen, die in dem letzteren Punkt so wenig skrupulös waren wie Katharina die Zweite, und nicht aus diesen Fällen lassen sich die Beispiele für das angeblich durch das männliche Regiment gestiftete Gute herleiten. Wenn es sich also wirklich bewährt, daß unter einer Königin sich die Verwaltung des Staates in den Händen besserer Männer befindet, als dies durchschnittlich unter Königen der Fall ist, so ließe sich das nur erklären aus der größeren Fähigkeit der Königinnen, solche Männer auszuwählen. Daraus ginge hervor, Frauen wären nicht allein nur besser geeignet für das Amt des Monarchen, sondern auch für das des Premierministers; denn die Hauptaufgabe des Premierministers besteht nicht darin, daß er in Person regiert, sondern daß er jedes Departement der öffentlichen Angelegenheiten den dafür tüchtigsten Personen zur Leitung anvertraut. Es wird allgemein zugegeben, Frauen seien den Männern darin überlegen, daß sie eine schnellere Einsicht in den Charakter eines Menschen gewinnen, und diese Eigenschaft muß sie allerdings bei einigermaßen gleicher Befähigung in jeder andern Hinsicht geschickter als die Männer in jener Auswahl von Werkzeugen machen, worin beinahe die wichtigste Aufgabe aller, die mit Regierungsgeschäften zu tun haben, besteht. Selbst die grundsatzlose Katharina von Medici konnte den Wert eines Kanzlers de l'Hopital begreifen. Es ist indes nicht minder wahr, daß große Königinnen durch ihr eigenes Regierungstalent groß gewesen sind und aus diesem Grunde gute Diener gehabt haben. Sie behielten die oberste Leitung der Staatsangelegenheiten in ihren eigenen Händen, und wenn sie guten Ratgebern Gehör schenkten, so gaben sie dadurch den stärksten Beweis, wie sehr ihre Urteilskraft sie zur Entscheidung der größten Regierungsfragen tüchtig machte.

Ist es nun vernünftig, anzunehmen, diejenigen, welche für die größeren politischen Funktionen geeignet sind, wären unfähig, die geringeren zu verwalten? Liegt in der Natur der Dinge irgendein Grund dafür, daß Frauen und Schwestern von Fürsten, sobald sie zur Regierung berufen werden, sich dieser Aufgabe ebenso gewachsen zeigen können wie die Fürsten selbst, hingegen Frauen und Schwestern von Staatsmännern, Administratoren, Direktoren von Kompanien und Vorstehern öffentlicher Institute nicht imstande sein sollten, das zu tun, was ihre Männer und Brüder verrichten? Es gibt allerdings einen solchen Grund, und er ist einfach genug. Der Rang jener Prinzessinnen erhebt sie so hoch über die allgemeine Menschheit, daß auf sie die für ihr Geschlecht geltenden Gesetze der Unterordnung keine Anwendung gefunden haben; daß man sie nie lehrte, die Beschäftigung mit der Politik sei unstatthaft für sie, sondern ihnen erlaubte, sich ungehindert dem jedem gebildeten Menschen natürlichen Interesse für die ringsum sich vollziehenden großen Verhandlungen zu überlassen, an welchen teilzunehmen sie vielleicht selbst noch berufen werden konnten. Die Damen der regierenden Familien sind die einzigen Frauen, denen derselbe Grad und dieselbe Freiheit der Entwicklung gestattet ist wie den Männern, und so stehen sie denn diesen auch nicht nach. Überall, wo die Befähigung der Frauen für die Regierung erprobt wurde, zeigte dieselbe sich dem Herrschertalent des Mannes verhältnismäßig ganz gleichkommend.

Diese Tatsache steht in Verbindung mit den besten allgemeinen Folgerungen, welche die unvollkommene Erfahrung der Welt über die Frauen, wie sie bis jetzt gewesen sind, d.h. über ihre besondern Eigentümlichkeiten und charakteristischen Fähigkeiten, an die Hand gibt. Ich sage, wie sie bis jetzt gewesen sind, nicht wie sie fortdauernd sein werden, denn ich habe es bereits mehrfach ausgesprochen: ich halte es bei jedem für Vermessenheit, bestimmen zu wollen, was Frauen ihrer natürlichen Veranlagung nach sein oder nicht sein, tun oder nicht tun können. Sie sind bis jetzt, was die freiwillige Entwicklung anbetrifft, in einem so unnatürlichen Zustande erhalten worden, daß ihre Natur notwendigerweise verzerrt und entstellt sein muß. Niemand kann mit Gewißheit sagen, welch ein hauptsächlicher Unterschied oder ob überhaupt ein Unterschied zwischen dem Charakter und den Fähigkeiten des Mannes und der Frau sein würde, wenn die Natur der letztern sich so frei hätte entfalten dürfen wie die des Mannes und keinen andern künstlichen Schliff bekommen hätte, als durch die Verhältnisse der menschlichen Gesellschaft absolut bedingt ist und beiden Geschlechtern in gleichem Maße gegeben wird. Ich werde sogleich nachweisen, daß selbst diejenigen der jetzt bestehenden Unterschiede, welche sich am wenigsten ableugnen lassen, von einer Beschaffenheit sind, vermöge welcher sie lediglich durch die Macht der Umstände, ohne jeden Unterschied der Naturanlagen, erzeugt sein können.

Betrachtet man die Frauen, wie die Erfahrung sie kennen lehrt, so darf man wohl mit mehr Wahrheit, als sonst die meisten allgemeinen Behauptungen über dieses Thema für sich haben, sagen: die Richtung ihres Talentes gehe im allgemeinen auf das Praktische. Diese Wahrnehmung steht im Einklang mit der Geschichte der Frauen in der Gegenwart wie in der Vergangenheit und wird durch die tägliche Erfahrung bestätigt. Betrachten wir die spezielle Natur der geistigen Fähigkeiten einer talentvollen Frau. Sie sind alle derartig, daß sie dadurch für die Praxis befähigt und nach dieser Seite hingewiesen wird. Was versteht man unter der Fähigkeit der Frau für unmittelbare Wahrnehmung? Nichts anderes als schnelle und richtige Einsicht in vorhandene Tatsachen; von allgemeinen Prinzipien ist dabei nicht die Rede. Niemand entdeckte je ein wissenschaftliches Naturgesetz durch Intuition oder gelangte dadurch zu einer allgemeinen Vorschrift der Pflicht oder der Klugheit. Dies sind nur Resultate langsam und sorgfältig gesammelter Erfahrungen und daraus gezogener Folgerungen und Vergleiche. Weder Frauen noch Männer der Intuition pflegen auf diesem Gebiete zu glänzen, wenn nicht etwa die dazu nötige Erfahrung derartig ist, daß sie dieselbe durch sich selbst zu erlangen vermögen; denn dasjenige, was man als ihren unmittelbar erkennenden Scharfsinn bezeichnet, macht sie eben besonders geschickt, solche allgemeine Wahrheiten, die durch ihr individuelles Beobachtungsvermögen gesammelt werden können, zu einem Ganzen zusammenzustellen. Sind daher Frauen zufällig durch Studium und Erziehung ebenso gut wie Männer mit den Ergebnissen der Erfahrung anderer Leute versehen, so sind sie besser, als dies im allgemeinen bei Männern der Fall ist, mit den Haupterfordernissen einer geschickten und erfolgreichen Praxis ausgerüstet. Ich habe absichtlich das Wort »zufällig« gebraucht, denn diejenigen Frauen, die Kenntnisse besitzen, welche sie für größere Lebensaufgaben geschickt machen, besitzen diese lediglich als ein Resultat der Selbsterziehung. – Männern, die sehr viel gelernt haben, gebricht es leicht am Sinn für vorhandene Tatsachen; sie sehen in den ihnen vorliegenden Dingen nicht das, was letztere wirklich sind, sondern was man sie davon zu erwarten gelehrt hat. Bei Frauen, welche nur einigermaßen Fähigkeiten haben, wird dies selten der Fall sein. Ihre Gabe der »Intuition« bewahrt sie davor. Bei der gleichen Erfahrung und allgemeinen Begabung sieht eine Frau gewöhnlich mehr von den Dingen, die unmittelbar vor ihr sind, als ein Mann. Dieses Empfindungsvermögen für das Gegebene ist es aber eben, wovon die Fähigkeit für die Praxis abhängt. Die Entdeckung allgemeiner Grundlehren gehört den spekulativen Fähigkeiten an; aber das Unterscheiden und Abwägen derjenigen Fälle, in denen sie anwendbar oder nicht anwendbar sind, bedingt praktisches Talent, und das ist den Frauen, wie sie jetzt sind, ganz besonders eigen. Ich gebe zu, daß ohne Grundlehren keine gute Praxis denkbar ist und daß das Übergewicht, welches die Schnelligkeit der Beobachtung unter den Fähigkeiten einer Frau hat, sie leicht verleitet, vorschnelle Generalisationen auf ihre eigenen Beobachtungen zu bauen, obschon sie gleichzeitig nicht weniger schnell bereit ist, sobald ihre Beobachtungen einen weiteren Gesichtskreis erlangen, nach diesen die früher geformten Generalisationen zu berichtigen. Das Heilmittel gegen dieses Übel ist aber dem ganzen Menschengeschlechte zugänglich – es heißt: allgemeines Wissen, und wird am besten durch die Erziehung gewonnen. Die Fehler einer Frau sind genau dieselben, die ein gescheiter Mann, dessen Bildung ein Produkt der Selbsterziehung ist, zu begehen pflegt; er sieht oft, was Männer, welche eine regelmäßige Bildung erhalten haben, nicht gesehen, irrt jedoch aus Mangel an Kenntnissen in längst bekannten Dingen. Ein solcher Mann hat sich selbstverständlich ein gutes Teil des vorhandenen Wissens angeeignet, denn sonst hätte er es überhaupt zu nichts bringen können; aber er hat, was er weiß, gerade wie die Frauen, in Fragmenten aufgelesen und nicht nach einem festen, einheitlichen System erworben.

Während nun allerdings die Gravitation des weiblichen Geistes zum Vorhandenen, Wirklichen der gegebenen Tatsache in ihrer Ausschließlichkeit eine Quelle der Irrtümer wird, dient sie doch auch dem entgegengesetzten Irrtum als ein sehr nützliches Gegengewicht. Die hauptsächlichste und charakteristische Verirrung spekulativer Geister als solche entsteht gerade aus dem Mangel der lebhaften Beobachtung und beständig gegenwärtigen Wahrnehmung objektiver Tatsachen. Weil ihnen dies gebricht, übersehen sie oft nicht nur den Widerspruch, in welchem äußere Tatsachen zu ihren Theorien stehen, sondern verlieren auch den eigentlichen Zweck der Spekulation ganz und gar aus den Augen und gestatten ihren spekulativen Fähigkeiten, in Regionen abzuschweifen, die nicht bevölkert sind mit wirklichen Wesen, möchten dieselben nun beseelt oder unbeseelt oder idealisiert sein, sondern mit personifizierten Schatten, die durch die Illusionen der Metaphysik oder auch durch bloße Worte gebildet sind, und halten diese Schatten für die eigentlichen Objekte der höchsten, übersinnlichsten Philosophie. Für einen Mann der Theorie und Spekulation, der sich nicht damit begnügt, eine Masse des Wissens durch die Beobachtung anzuhäufen, sondern der dasselbe durch ernste Gedankenarbeit in gedrängte und umfassende wissenschaftliche Wahrheiten und Lebensgesetze umwandeln will, kann es kaum etwas Wertvolleres geben als die Möglichkeit, seine Forderungen in Gemeinschaft und unter der Kritik einer geistig wirklich hochstehenden Frau ausführen zu können. Nichts ist besser geeignet, seine Gedanken innerhalb der Grenzen des Wirklichen und der in der Natur bestehenden Tatsachen zu halten. Eine Frau wird sehr selten unbesonnen einer Abstraktion nachlaufen. Sie ist geneigt und gewöhnt, sich mehr mit Individuen als mit Gruppen zu beschäftigen, und hegt – was damit in engster Verbindung steht – ein viel lebhafteres Interesse als der Mann für die augenblicklichen Gefühle der Personen, vermöge dessen sie bei allem, was mit dem Anspruche, von ihr ausgeführt zu werden, an sie herantritt, zuerst überlegt, welchen Einfluß es auf die Personen üben wird. Diese beiden Eigenschaften machen es ihr außerordentlich schwierig, irgendeiner Spekulation Vertrauen zu schenken, welche die Individuen aus den Augen verliert und die Dinge behandelt, als ob sie zum Besten irgendeiner imaginären Wesenheit, eines bloßen, nicht auf die Gefühle lebender Geschöpfe beziehbaren Gebildes der Phantasie existierten. Es ist mithin für denkende Männer ebenso nützlich, daß ihren Gedanken durch die der Frauen Wirklichkeit gegeben werde, wie die Gedanken der Männer den Frauen nützlich sind, um den Kreis der ihrigen zu erweitern und zu vergrößern. Was die Tiefe, wohl unterschieden von der Breite, anbetrifft, so bezweifle ich, ob selbst jetzt die Frauen, im Vergleich zu den Männern, im Nachteil sind.

Sind die jetzt bestehenden charakteristischen geistigen Eigenschaften der Frauen schon eine wertvolle Hilfe für die Spekulation, so sind sie noch weit wichtiger, sobald die Spekulation ihr Werk vollendet hat und es sich darum handelt, die gewonnenen Resultate in die Praxis überzuführen. Aus den bereits angeführten Gründen verfallen Frauen lange nicht so leicht in den gewöhnlichen Irrtum der Männer, sich auf Regeln zu versteifen in einem Falle, dessen Spezialität ihn entweder als eine Ausnahme von der Klasse, auf welche die Regeln sich beziehen, kennzeichnet oder eine besondere Anwendung derselben bedingt.

Betrachten wir nun eine andere der Eigenschaften, in welchen man den Frauen eine größere Überlegenheit einräumt, nämlich eine größere Schnelligkeit im Begreifen. Ist dies nicht vornehmlich eine Eigenschaft, welche eine Person für die Praxis geeignet macht? In der Tätigkeit hängt fortdauernd alles von der schnellen Entscheidung ab; bei der Forschung gar nichts. Ein Denker kann warten, kann Zeit zum Überlegen nehmen, kann einen Beweis nach dem andern sammeln; er braucht seinen philosophischen Lehrsatz nicht sofort als fertig hinzustellen, aus Furcht, die rechte Zeit dafür könne verlorengehen. Das Vermögen, die bestmöglichen Schlüsse aus unzureichenden Daten zu ziehen, ist in der Philosophie in der Tat nicht nutzlos, die Konstruktion einer mit den vorhandenen Fakten vereinbarten vorläufigen Hypothese ist oft die notwendige Basis für weitere Forschungen. Diese Gabe ist in der Philosophie beinahe besser verwendbar als eine hohe Befähigung für sie, und der Philosoph kann sich sowohl für die Nebenarbeiten wie für seine Hauptaufgabe selbst so viel Zeit lassen, als ihm gefällt. Er bedarf, wie gesagt, nicht der Fähigkeit, das, was ihm zu tun obliegt, rasch zu tun; ihm ist weit mehr die Geduld notwendig, welche langsam fortarbeitet, bis ein ungewisses Licht zu einem gewissen geworden und eine Folgerung zu einem Lehrsatz herangereift ist.

Für diejenigen dagegen, welche es mit dem Flüchtigen, schnell Entschwindenden – mit den Dingen selbst, nicht bloß mit dem Wesen der Dinge – zu tun haben, ist die Schnelligkeit der Gedanken eine Eigenschaft, welche der Fähigkeit des Denkens selbst an Wichtigkeit am nächsten steht. Wem die Gedanken im Augenblick der Tat nicht unmittelbar zu Gebote stehen, der könnte sie ebensogut gar nicht haben. Er mag für das Kritisieren geeignet sein, für das Handeln ist er es nicht. Eingestandenermaßen zeichnen sich in dieser Eigenschaft die Frauen und diejenigen Männer aus, welche den Frauen am ähnlichsten sind, während anders geartete Männer, so weit überlegen auch ihre Geisteskräfte sein mögen, doch nur langsam zu einer vollen Herrschaft über dieselben gelangen. Schnelligkeit des Urteils, und Schnelligkeit der überlegten Handlung sind bei ihnen selbst in Dingen, mit denen sie am besten vertraut sind, erst die allmählichen und letzten Resultate emsiger, zur Gewohnheit gewordener Anstrengungen.

Man wird vielleicht sagen, die größere nervöse Empfänglichkeit der Frau mache sie ungeeignet für jede andere Tätigkeit als die des häuslichen Lebens, da sie dadurch beweglich, veränderlich, zu lebhaft vom Augenblick beeinflußt, unfähig für eine stetige Beharrlichkeit, ungleich und ungewiß im Gebrauch ihrer Gaben würde.

Ich glaube mit diesen Phrasen die Mehrzahl der Bedenken zusammengefaßt zu haben, die gewöhnlich gegen die Befähigung der Frauen für die höhere Klasse ernster Beschäftigungen erhoben werden. Ein Teil der weiblichen Reizbarkeit entspringt lediglich den zugrunde gehenden Überflüssen nervöser Energie und würde aufhören, sobald diese Energie auf ein bestimmtes Ziel gelenkt würde; ein anderer Teil ist nur die Folge einer bewußten oder unbewußten künstlichen Pflege, wie wir an dem beinahe gänzlichen Verschwinden der hysterischen Zufälle und Ohnmächten sehen, seit sie aus der Mode gekommen sind. Endlich – welche Erziehung gibt man vielen Frauen der höheren Klassen! Als eine Art von Treibhauspflanzen vor jedem schädlichen Luftzug gehütet, werden sie ferngehalten von jeder Beschäftigung und Bewegung, welche den Blutumlauf fördert und die Muskelkraft entwickelt, während man das Nervensystem, und besonders in seinen erregbarsten Teilen, in eine unnatürliche Tätigkeit versetzt. In manchen andern Landern ist das noch viel schlimmer als in England. Ist es da ein Wunder, wenn diejenigen, welche nicht an der Schwindsucht sterben, mit einer Konstitution aufwachsen, welche durch die geringsten körperlichen oder geistigen Ursachen erschüttert werden kann; daß sie ohne Kraft sind für irgendeine Aufgabe, die fortgesetzte geistige oder physische Anstrengung erfordert?

Frauen, die erzogen sind, um für ihren Unterhalt zu arbeiten, zeigen dagegen keine derartigen Merkmale der Kränklichkeit, es sei denn, daß sie in engen, ungesunden Räumen an den Eisenring einer übertriebenen Arbeit gespannt sind, die sie zur sitzenden Lebensweise verurteilt. Frauen, welche in ihren Kinderjahren an der gesunden physischen Erziehung und körperlichen Freiheit ihrer Brüder teilnehmen durften und im späteren Leben reine Luft und Bewegung im ausreichenden Maße haben, leiden selten an einer zu großen Reizbarkeit der Nerven, so daß sie dadurch für diese oder jene Tätigkeit unfähig gemacht würden. Allerdings gibt es in beiden Geschlechtern eine gewisse Anzahl von Menschen, in deren Konstitution ein ungewöhnlicher Grad von Nervenreizbarkeit begründet und in einem so hervorstechenden Maße ausgebildet ist, daß sie den Zug der ganzen Organisation ausmacht, welcher den größten Einfluß auf den ganzen Charakter der Lebenserscheinungen hat. Eine derartige Konstitution ist gleich andern physischen Bildungen erblich und wird sowohl auf Söhne wie auf Töchter verpflanzt; es ist jedoch möglich und wahrscheinlich, daß das nervöse Temperament – wie es genannt wird – sich häufiger auf das weibliche als auf das männliche Geschlecht vererbt. Wir wollen es sogar als ein Faktum annehmen, alsdann aber möchte ich fragen: hält man denn Männer mit nervösem Temperament nicht für geeignet für die verschiedenen Berufszweige, denen Männer sich gewöhnlich zu widmen pflegen?

Die Eigentümlichkeiten des Temperamentes sind ohne Zweifel in einer gewissen Begrenzung ein Hindernis für den Erfolg auf manchen Tätigkeitsgebieten, auf andern sind sie im Gegenteil wieder eine Hilfe. Wir haben fortdauernd Beispiele des glänzendsten Erfolges, den Männer von hoher nervöser Empfindsamkeit erzielten, wenn die von ihnen gewählte Wirksamkeit ihrem Temperamente entsprach, und zuweilen selbst dann, wenn sie ihm nicht entsprach. Ihre praktische Tätigkeit zeichnet sich namentlich dadurch aus, daß vermöge des höhern Grades der Erregbarkeit ihrer physischen Konstitution auch ihre geistigen Kräfte in der Erregung sich in höherm Maße steigern, als dies bei andern Leuten der Fall ist; sie werden gleichsam über sich selbst hinausgehoben und können Dinge tun, zu denen sie zu andern Zeiten ganz unfähig wären. Und diese erhabenere Erregbarkeit ist nicht nur, außer bei körperlich schwachen Konstitutionen, ein Aufleuchten, das augenblicklich wieder verschwindet, keine dauernden Spuren hinter sich läßt und unvereinbar mit der beharrlichen und stetigen Verfolgung eines Zieles ist. Das nervöse Temperament ist vielmehr, wie die Erfahrung lehrt, einer anhaltenden Erregung fähig und vermag in derselben während langer, fortgesetzter Anstrengungen zu verharren. Diese Eigentümlichkeit ist es, welche das edle Roß mit unverringerter Schnelligkeit so lange dahinbrausen läßt, bis es tot zusammenstürzt. Dieselbe Eigentümlichkeit ist es, die schon mancher zarten Frau die Kraft verliehen hat, mit der erhabensten Sündhaftigkeit nicht nur den grausamsten Tod durch Henkershand zu erleiden, sondern, was mehr ist, denselben Mut auch während der langen vorhergehenden geistigen und körperlichen Martern aufrechtzuerhalten. Leute von einem solchen Temperamente sind, das ist unverkennbar, ganz besonders geeignet für das, was man das ausführende Departement in der Führerschaft der Menschheit nennen könnte; sie sind das Material zu großen Rednern, großen Predigern, zu unwiderstehlichen Verbreitern neuer erhabener Wahrheiten. Weniger tauglich dürfte ihre Konstitution für die Stellung eines leitenden Staatsmannes oder Richters erscheinen, wenn aus dem Umstände, daß Leute erregbar sind, absolut zu folgern wäre, sie müßten sich immer in einem erregten Zustande befinden. Dies ist jedoch lediglich eine Frage der Erziehung. Das starke Fühlen ist auch das Instrument einer starken Selbstbeherrschung, aber es muß nach dieser Richtung hin ausgebildet sein; ist dies der Fall, so erzeugt es nicht allein die Helden des Impulses, sondern auch die Helden der Selbstüberwindung. Geschichte und Erfahrung lehren, daß die leidenschaftlichsten Charaktere gleichzeitig die fanatisch strengsten in ihrem Pflichtgefühl sind, sobald ihre Leidenschaft angehalten wurde, nach dieser Seite hin sich zu entfalten.

Der Richter, welcher in einer Sache, wo sein innerstes Gefühl nach der andern Seite hin interessiert ist, ein gerechtes Urteil fällt, zieht aus derselben Stärke des Gefühls das entschlossene Pflicht- und Rechtsbewußtsein, vermöge dessen er den Sieg über sich selbst zu erringen vermag. Die Fähigkeit für jenen erhabenen Enthusiasmus, die den Menschen über seinen alltäglichen Charakter erhebt, wirkt auf diesen alltäglichen Charakter selbst zurück. Das Wollen und Können seines Ausnahmezustandes werden der Maßstab, nach welchem er seine Gefühle und Bestrebungen zu andern Zeiten abwägt und würdigt, und demzufolge nehmen auch seine gewöhnlichen Vorsätze einen nach den Momenten höherer Erregung gebildeten und ihnen assimilierten Charakter an, obschon jene der Natur des Menschen nach nur vorübergehend sein können.

Die an ganzen Völkern wie an einzelnen Individuen gemachten Erfahrungen zeigen nicht, daß im Durchschnitt die erregbaren Menschen weniger geeignet für Denken oder Handeln gewesen wären als die weniger erregbaren. Die Franzosen und Italiener sind unzweifelhaft von Natur erregbarer als die germanischen Rassen und führen, im Vergleich zu den Englandern wenigstens, alltäglich und gewöhnlich ein viel bewegteres Leben; aber sind sie deshalb in den Wissenschaften, den öffentlichen Angelegenheiten, in ihrer Gesetzgebung und Rechtspflege oder im Kriege weniger bedeutend gewesen? Zahlreiche Beweise sprechen dafür, daß die Griechen des Altertums eine der erregbarsten Rassen des Menschengeschlechtes waren, wie es ihre Abkömmlinge und Nachfolger noch heute sind.

Es ist überflüssig, zu fragen, in welcher unter allen Künsten und Wissenschaften der Menschheit die Griechen nicht exzelliert haben. Die Römer hatten als ein ebenso südliches Volk wahrscheinlich ursprünglich dasselbe Temperament, aber wie die Spartaner, so machte auch sie der strenge Charakter ihrer nationalen Erziehung zum Beispiel des entgegengesetzten Typus, und die größere Stärke ihrer natürlichen Gefühle machte sich hauptsächlich bemerkbar in dem hohen Maße, in dem es diesem ursprünglichen Temperament möglich geworden war, dem künstlichen zu weichen. Zeigen diese Fälle, was aus einem von Natur erregbaren Temperament gemacht werden kann, so liefern die irischen Kelten wieder das schlagendste Beispiel, wie es ist, wenn es sich selbst überlassen bleibt – vorausgesetzt, daß man von einem Volke, welches jahrhundertelang dem indirekten Einflusse einer schlechten Regierung und der direkten Leitung der katholischen Geistlichkeit und dem strengen Glauben an die katholische Kirchenlehre ausgesetzt war, sagen kann, es sei sich selbst überlassen geblieben. Der irische Charakter muß daher als ein ungünstiges Beispiel betrachtet werden, und dennoch hat, sobald die Umstände dem Individuum günstig waren, kein Volk größere Naturanlage für die verschiedenste und mannigfachste individuelle Bedeutendheit gezeigt. Wie die Franzosen im Vergleich zu den Englandern, die Irländer im Vergleich zu den Schweizern, die Griechen oder Italiener im Vergleich zu den Deutschen, so wird man auch finden, daß die Frauen im Vergleich zu den Männern im Durchschnitt dieselben Dinge mit einiger Verschiedenheit in besonderer Art der Vollendung tun; ich sehe jedoch nicht den geringsten Grund, daran zu zweifeln, daß sie im ganzen alles in einer völlig gleichen Vollendung ausführen würden, wenn ihre Erziehung und Bildung darauf gerichtet würde, die aus ihrem Temperamente entspringenden Mängel zu verbessern, statt daß sie jetzt dieselben geflissentlich vergrößert.

Nehmen wir indes als wahr an, daß die Frau von Natur beweglicheren Geistes als der Mann sei, weniger geeignet, lange dieselben fortgesetzten Anstrengungen zu machen, mehr geneigt, ihre Fähigkeiten auf mehrere Dinge zu verteilen, als auf einem Pfade zu dem höchsten Ziele menschlichen Lebens zu gelangen. Es ist dann aber nur wahr in bezug auf die Frauen, wie sie jetzt sind, obgleich auch da nicht ohne große und zahlreiche Ausnahmen, und mag erklären, weshalb sie hinter den Männern, die auf der höchsten Stufe stehen, gerade in den Dingen zurückgeblieben sind, welche die Hingabe des ganzen Menschen an eine Idee und eine Beschäftigung am meisten erfordern. Diese Verschiedenheit kann jedoch nur den Grad der Vortrefflichkeit, nicht die Vortrefflichkeit selbst oder ihren praktischen Wert berühren, und es ist erst noch zu beweisen, ob dieses gänzliche Hingeben an eine Idee und das Aufgehen in dieselbe, ob diese Konzentration in einer einzigen Wirksamkeit das normale und gesunde Verhältnis der menschlichen Fähigkeiten selbst für den spekulativen Gebrauch ist. Ich glaube, das, was durch diese Konzentration für die spezielle Entwicklung gewonnen wird, geht an Geistesfähigkeit für die andern Lebensaufgaben verloren, und es ist meine entschiedene Ansicht, daß der Geist mehr zu leisten imstande ist, wenn er häufig wieder zu einem schwierigen Problem zurückkehrt, als wenn er dabei ohne Unterbrechung verweilt. Für praktische Zwecke, mögen diese den höchsten oder geringsten Departements derselben angehören, ist es auf alle Fälle eine sehr wertvolle Fähigkeit, schnell von einem Gegenstande der Erwägung auf einen andern übergehen zu können, ohne daß dabei der eine zu kurz kommt; und diese Fähigkeit besitzen dank der Beweglichkeit, die man ihnen zum Vorwurf macht, Frauen in hervorragender Weise. Vielleicht besitzen sie dieselbe von Natur, ganz gewiß aber durch Gewöhnung und Erziehung; denn beinahe alle Beschäftigungen der Frauen bestehen aus kleinen, aber mannigfachen Details, auf denen, jedes einzeln genommen, der Geist nicht eine Minute lang verweilen kann, von denen er immer sogleich auf andere Dinge überzugehen hat, und erfordert etwas ein längeres Nachdenken, so muß die Zeit dazu förmlich abgestohlen werden. Es ist schon oft bemerkt worden, welche Fähigkeit die Frauen besitzen, unter Umständen und zu Zeiten zu denken, die beinahe jedem Mann eine genügende Entschuldigung sein würden, gar nicht erst einen Versuch damit zu machen; daß der Geist einer Frau, mag er immerhin nur mit kleinen Dingen beschäftigt sein, sich doch niemals eine völlige Trägheit gestattet, wie das der Mann so oft tut, wenn er nicht gerade mit dem beschäftigt ist, was er die Aufgabe seines Lebens nennt. Die Aufgabe des gewöhnlichen Lebens einer Frau sind die Dinge im allgemeinen, deshalb kann in ihrer Arbeit so wenig ein Stillstand eintreten wie in der Bewegung der Erde.

Aber – sagt man – es gibt ja einen anatomischen Beweis für die geistige Überlegenheit der Männer, sie haben ein größeres Gehirn. Ich erwidere, daß zuvörderst das Faktum an und für sich zweifelhaft ist. Es ist durchaus nicht erwiesen, daß das Gehirn einer Frau kleiner sei als das eines Mannes.

Leitet man diese Behauptung lediglich von dem Umstande ab, daß der Frauenkörper im allgemeinen geringere Dimensionen hat als der männliche, so möchte dieses Kriterium doch zu seltsamen Konsequenzen führen. Ein großer, starkknochiger Mann müßte demnach einem kleinen, schwächlichen Manne in geistiger Hinsicht sehr weit überlegen sein und der Elefant oder Walfisch das Menschengeschlecht unermeßlich übertreffen. Nach dem Ausspruch der Anatomen variiert die Größe des Gehirns weit weniger als die Größe des Körpers oder selbst des Kopfes, und eins ist gar nicht nach dem andern zu bestimmen.

Es steht fest, daß es Frauen gibt, deren Gehirn ebensogroß ist wie das irgendeines Mannes. Ich weiß, dass ein Mann, der mehrere menschliche Gehirne gewogen, erklärt hat: das schwerste, welches man bis dahin gefunden, also noch schwerer als das Cuviers, sei das einer Frau gewesen. Ferner muß ich darauf aufmerksam machen, daß man über die Art der zwischen dem menschlichen Hirn und dem Denkvermögen bestehenden Beziehungen gar nicht einig ist, sondern daß darüber noch ein großer Streit schwebt. Daß eine sehr enge Verbindung zwischen beiden besteht, zieht niemand in Zweifel. Das Gehirn ist gewiß das Hauptorgan des Denkens und Empfindens, und ich gebe zu – abgesehen von der Kontroverse, wonach verschiedene Teile des Hirns verschiedenen geistigen Fähigkeiten als Organe dienen –, es wäre eine Anomalie und eine Ausnahme von allem, was wir über die allgemeinen Gesetze des Lebens und der Organisation wissen, wenn die Gestalt des Organs gänzlich ohne Einfluß auf die Funktion sein sollte und wenn aus der größeren Ausdehnung des Organs der Denkfähigkeit gar kein Zuwachs entstünde. Die Anomalie und Ausnahme wären aber ebenso groß, wenn das Organ allein durch seine Augdehnung den Einfluß ausübte.

Bei allen zarteren Verrichtungen der Natur – von welchen die der belebten Schöpfung die zartesten und von diesen wieder die des Nervensystems die allerzartesten sind – hängen die Verschiedenheiten der Wirkung ebensowohl von der Verschiedenheit der betreffenden Organe nach ihrer Qualität wie nach ihrer Quantität ab, und wenn die Qualität eines Instrumentes nach der Feinheit und Sauberkeit des Werkes, das es verrichten kann, zu beurteilen ist, so weist dieser Schluß auf eine durchschnittlich feinere Qualität des Gehirnes und Nervensystems der Frauen als der Männer hin. Sieht man indes von allen abstrakten Unterschieden der Qualität ab, die zu belegen immer eine schwierige Sache bleibt, so weiß man doch, daß die Wirksamkeit eines Organes nicht allein von seinem Umfange, sondern von seiner Tätigkeit abhängt, und von dieser haben wir ein annäherndes Maß in der Kraft, mit welcher das Blut durch dasselbe zirkuliert, da sowohl der Stimulus wie die ersetzende Kraft hauptsächlich von dieser Zirkulation abhängt.

Es würde gar nicht so sehr erstaunlich sein und wäre in der Tat eine Hypothese, die eine gute Erklärung für die an der geistigen Tätigkeit der beiden Geschlechter beobachteten Unterschiede an die Hand gäbe, wenn die Männer im Durchschnitt ein größeres Gehirn und die Frauen eine größere Tätigkeit der zerebralen Zirkulation hätten. Die Resultate, zu welchen wir durch die auf dieser Analogie begründeten Schlußfolgerungen kämen, dürften mit denen übereinstimmen, die wir gewöhnlich wahrnehmen. Danach dürfte man zuvörderst die geistigen Verrichtungen der Männer für langsamer halten; sie würden weder im Denken noch im Fühlen so schnell wie die Frauen sein. Große Körper brauchen mehr Zeit, um in volle Tätigkeit zu kommen. Von der andern Seite würde das männliche Hirn, wenn es erst einmal in voller Bewegung ist, mehr Arbeit ertragen als das weibliche. Es würde ausdauernder in der einmal eingeschlagenen Richtung verharren, es würde ihm schwieriger sein, von einer Art der Tätigkeit zur andern überzugehen, aber bei der einen, die es einmal verrichtete, könnte es länger aushalten, ohne Kraft einzubüßen oder ein Gefühl der Ermüdung zu empfinden. Und finden wir nicht in der Tat, daß die Dinge, in welchen die Männer die Frauen am meisten übertreffen, solche sind, welche das meiste Kopfzerbrechen und ein langes Hämmern auf einen Gedanken erheischen, während die Frauen am besten tun, was sie schnell tun?

Das Gehirn einer Frau ist rascher ermüdet, rascher erschöpft, es ist aber auch anzunehmen, daß es sich schneller wieder erholen kann. Ich wiederhole es, diese Folgerung ist gänzlich hypothetisch und beansprucht nichts weiter, als eine Richtung für die Forschung anzugeben. Ich habe schon früher das als keineswegs gewiß bezeichnet, was man im allgemeinen über einen zwischen den männlichen und weiblichen Fähigkeiten des Geistes nach Stärke und Richtung bestehenden Unterschied behauptet, und darauf hingewiesen, daß eine noch größere Ungewißheit über die Art dieses Unterschiedes herrsche. Die Erwerbung bestimmter Kenntnisse in dieser Beziehung steht auch nicht zu hoffen, solange man sich so wenig mit dem Studium der psychologischen Gesetze unserer Charakterbildung selbst auf allgemeinerem Wege beschäftigt und die Details noch viel weniger wissenschaftlich untersucht. Die hervorstechendsten äußeren Ursachen der Charakterverschiedenheiten bleiben gewohnheitsmäßig unbeachtet, der Beobachter schenkt ihnen keine Aufmerksamkeit, die vorherrschenden Schulen der Naturforscher wie der Philosophen blicken mit vornehmer Geringschätzung auf dieselben herab. Mögen Naturforscher und Philosoph sich darin voneinander unterscheiden, daß der eine die Quelle dessen, was die menschlichen Geschöpfe hauptsächlich voneinander unterscheidet, in der Welt der Materie, der andere in der Welt des Geistes sucht – sie stimmen überein in der Geringschätzung derer, welche die Unterschiede aus den verschiedenen Beziehungen der Menschen zur Gesellschaft und zum Leben herleiten wollen.

Die Ansichten, welche man sich nach bloßen allgemeinen Annahmen, ohne Philosophie und Analyse, nur gestützt auf die ersten besten Beispiele, über die Natur der Frauen gebildet hat, sind in einem so lächerlichen Grade willkürlich, daß die populären Ideen über sie in den verschiedenen Landern verschieden sind, je nachdem die Ansichten und gesellschaftlichen Zustände der einzelnen Länder gewisse Eigentümlichkeiten der in ihnen lebenden Frauen zur Entwicklung gebracht oder unentwickelt gelassen haben. Der Orientale hält die Frauen ihrer Natur nach für ganz besonders wollüstig; ich verweise als Beleg dafür auf die heftigen Schmähungen, denen sie aus diesem Grunde in den indischen Schriften ausgesetzt werden. Ein Engländer hält die Frauen gewöhnlich von Natur für kalt. Das Gerede von der Unbeständigkeit der Frauen ist, abwärts und aufwärts von dem berühmten Distichon Franz' des Ersten, hauptsächlich französischen Ursprungs. In England ist das allgemeine Urteil, daß Frauen viel beständiger sind als Männer. Man hat in England seit viel längerer Zeit die Unbeständigkeit als entehrend für die Frau hingestellt als in Frankreich, und außerdem hat auch die Engländerin ihrer innersten Natur nach eine viel größere Achtung vor der öffentlichen Meinung als die Französin. Beiläufig sei hier noch bemerkt, daß die Engländer sich bei der Beurteilung dessen, was, nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern und bei menschlichen Wesen überhaupt, natürlich oder nicht natürlich ist, in einer eigentümlich ungünstigen Lage befinden, wenigstens dann, wenn sie nur englische Erfahrungen haben, von denen sie ausgehen, denn es gibt auf der ganzen Erde keinen Fleck, wo die menschliche Natur so wenig von ihren ursprünglichen Zügen zeigt, wie England.

Die Engländer sind in gutem wie in bösem Sinne weiter vom Naturzustande entfernt als irgendein anderes Volk. Sie sind mehr als irgendein anderes Volk ein Produkt der Zivilisation und der strengen Schulung. England ist dasjenige Land, in dem es der gesellschaftlichen Disziplin am allermeisten gelungen ist, dasjenige, was geneigt sein könnte, mit ihr in Konflikt zu treten, nicht sowohl zu besiegen als zu unterdrücken. Die Engländer handeln nicht nur mehr als andere Völker nach bestimmten Regeln, sondern sie fühlen auch weit mehr als andere Völker danach. Die durch die Erziehung eingeprägten Ansichten und die Forderungen der Gesellschaft mögen in andern Landern sehr starke Mächte sein, aber die individuelle Natur kommt doch immer darunter zum Vorschein und lehnt sich oft dagegen auf; das Gesetz mag stärker sein als die Natur, aber die Natur ist doch immer noch da. In England ist das Gesetz in einem sehr ausgedehnten Maße an die Stelle der Natur getreten. Man verbringt den größten Teil des Lebens nicht, indem man der Neigung unter der Aufsicht des Gesetzes folgt, sondern indem man keine Neigung hat als die, einem Gesetz oder einer Regel zu folgen. Dies hat ohne Zweifel seine guten, aber auch seine recht beklagenswerten Seiten; aber wie dem auch sei, jedenfalls muß der Engländer dadurch sehr ungeeignet gemacht werden, nach seiner eigenen Erfahrung ein Urteil über die Anlagen der menschlichen Natur zu fällen. Die Irrtümer, denen die Beobachter dieses Gegenstandes unterworfen sind, tragen an verschiedenen Orten einen verschiedenen Charakter. Ein Engländer ist hinsichtlich der menschlichen Natur unwissend, ein Franzose ist vorurteilsvoll. Die Irrtümer des Engländers sind negativ, die des Franzosen positiv. Der Engländer wähnt, die Dinge existierten nicht, weil er sie nicht sieht; der Franzose glaubt, sie müssen notwendigerweise überall existieren, weil er sie sieht. Der Engländer kennt die Natur nicht, weil er sie zu beobachten keine Gelegenheit gehabt hat; der Franzose kennt gewöhnlich ziemlich viel davon, beurteilt sie aber falsch, weil er sie nur immer sophistisch und verzerrt gesehen hat. Beides ist sehr erklärlich; denn der durch die Gesellschaft geschaffene künstliche Zustand entstellt die natürlichen Neigungen des den Gegenstand der Beobachtung bildenden Dinges nach zwei verschiedenen Richtungen: er erstickt sie entweder oder wandelt sie um. In dem ersten Falle ist nur noch ein verkümmerter Rest für das Studium vorhanden, im zweiten ist allerdings mehr da, aber es kann sich eher nach jeder andern Richtung entfaltet haben als nach der, nach welcher es, sich selbst überlassen, freiwillig gewachsen wäre.

Ich habe gesagt, man könne jetzt nicht wissen, inwieweit die existierenden geistigen Verschiedenheiten zwischen den beiden Geschlechtern natürlich, inwieweit sie künstlich oder ob sie überhaupt natürliche Verschiedenheiten wären – oder auch vorausbestimmen, welche Art von natürlichem Charakter zum Vorschein kommen würde, sobald man alle künstlichen Ursachen der Verschiedenheit entfernte. Ich bin deshalb durchaus nicht gewillt, zu versuchen, was ich soeben als eine Unmöglichkeit bezeichnet habe; wenn man indes Zweifel hegt, so verbietet das immer noch nicht, Vermutungen zu haben, und wo die Gewißheit unerreichbar ist, erscheint es doch vielleicht möglich, zu einem gewissen Grade der Wahrscheinlichkeit zu gelangen. Der erste Punkt, der Ursprung der wirklich beobachteten Verschiedenheiten, ist derjenige, wo die Forschung am besten ihren Hebel ansetzen kann, und ich werde versuchen, mich ihm auf dem einzigen Pfade, auf dem zu ihm zu gelangen ist, zu nähern, nämlich indem ich den geistigen Folgen äußerer Einflüsse nachgehe. Wir können ein Individuum nicht dergestalt von allen seinen Verhältnissen ablösen, um durch Experimente festzustellen, wie und was es von Natur gewesen sein würde; wohl aber können wir in Betracht ziehen, was es ist, wie seine Verhältnisse sind und ob die letztern imstande waren, es zu dem zu machen, was es ist.

Nehmen wir daher den einzigen hervorstechenden Fall, den uns die Beobachtung von der anscheinenden Überlegenheit der Männer über die Frauen liefert, wenn wir von der lediglich durch die Körperkraft bedingten physischen Überlegenheit absehen. Keine Leistung ersten Ranges in Philosophie, Kunst oder Wissenschaft ist das Werk einer Frau. Gibt es nicht noch eine andere Erklärung für diese Erscheinung als die, daß die Frauen von Natur unfähig sind für Leistungen von solcher Höhe?

Zuvörderst dürfen wir wohl mit vollem Recht die Frage aufwerfen, ob die Erfahrung denn wirklich genügende Gründe für einen solchen Schluß liefert. Mit sehr geringen Ausnahmen haben Frauen erst seit drei Generationen angefangen, ihre Fähigkeiten für Philosophie, Wissenschaft und Kunst zu prüfen. Erst in dieser Generation sind diese Versuche zahlreicher geworden, und auch jetzt sind sie, außer in England und Frankreich, noch sehr vereinzelt. Konnte man, dies ist eine wichtige Frage, erwarten, daß innerhalb dieser kurzen Zeit bloß durch ein günstiges Zusammentreffen der Umstände unter den Frauen, deren Neigungen und persönliche Stellung derartige Beschäftigungen gestatten, sogleich eine oder einige aufstehen und die Welt durch Meisterwerke der Wissenschaft oder der ausübenden Kunst in Staunen setzen sollten? In allen Zweigen, in denen sie mit der Zeit etwas geschaffen, und ganz besonders in demjenigen, in dem sie am längsten tätig sind – die Literatur, Poesie sowohl wie Prosa –, haben die Frauen, wenn sie auch nicht den höchsten Grad der Vollendung erreichten, doch gewiß soviel getan, so hohe und so viele Preise gewonnen, als man von der Länge der Zeit und der Zahl der Bewerberinnen erwarten durfte. Gehen wir zu früheren Perioden zurück, wo nur sehr wenig Frauen derartige Versuche machten, so finden wir doch von diesen wenigen mehrere mit großem Erfolge gekrönt. Die Griechen zählten Sappho stets unter ihre größten Dichter, und wir dürfen wohl annehmen, daß Myrtis, welche Pindars Lehrerin gewesen sein soll, und Corinna, die ihm fünfmal den Preis der Poesie abgewann, zum wenigsten Verdienste genug besessen haben, um einen Vergleich mit diesem berühmten Namen zulässig zu machen. Aspasia hat keine philosophischen Schriften hinterlassen, es ist jedoch eine anerkannte Tatsache, daß Sokrates sich von ihr Belehrung erbat und selbst zugestand, sie empfangen zu haben.

Betrachten wir die Werke der Frauen neuerer Zeit und vergleichen sie mit denen der Männer, so finden wir, daß die erstern den letztern in der Literatur wie in der Kunst nur in einem Punkte, aber allerdings in einem sehr wesentlichen, nachstehen, nämlich in der Originalität. Nicht daß es den Frauen gänzlich an Originalität gebräche, denn jedes Geistesprodukt von irgend selbständigem Werte hat an und für sich eine Originalität – ist aus dem Geiste selbst geboren und nicht die Nachahmung eines andern. Original-Gedanken, in dem Sinne, daß sie nicht gestohlen, sondern aus der eigenen Beobachtung des Schriftstellers hervorgegangen sind, gibt es in den Schriften der Frauen im Überfluß. Aber sie haben noch nicht eine jener großen, erleuchtenden neuen Ideen verkündet, welche eine Ära in der Welt der Gedanken bilden, und ebensowenig in der Kunst neue Grundgesetze gefunden, an die bis dahin niemand gedacht und die nun einen Umschwung in den bisherigen Kunstanschauungen herbeiführen und eine neue Schule gründen. Die Schöpfungen der Frauen gründen sich meistens auf den schon vorhandenen Gedankenschätzen, sie weichen nicht bedeutend von den existierenden Typen ab. Dies ist die Art der Untergeordnetheit, welche ihre Werke bekunden, denn was die Ausführung anbetrifft, so zeigt sich in der detaillierten Anwendung der Gedanken und der Vollendung des Stils keine Untergeordnetheit. Unsere besten Novellisten hinsichtlich der Komposition und des Stils sind meistens Frauen gewesen. In der ganzen neueren Literatur findet sich kein beredterer Ausdruck des Gedankens als der Stil der Frau von Staël, noch kann an rein künstlerischer Vollendung George Sands Prosa übertroffen werden, deren Stil auf das Nervensystem gleich einer Symphonie von Haydn oder Mozart wirkt. Was hauptsächlich fehlt, das ist, wie gesagt, hohe Originalität der schöpferischen Kraft, und nun wollen wir uns klarzumachen suchen, ob dieser Mangel sich auf irgend etwas zurückführen läßt.

Erwägen wir zuvörderst, was die Gedanken anbetrifft, daß während jener Periode in der Existenz der Welt und in den Fortschritten ihrer Entwicklung, in der man mit nur geringem Vorstudium und einem kleinen Vorrat von Kenntnissen durch die bloße Macht des Genius zu großen und fruchtbaren neuen Wahrheiten gelangen konnte, Frauen sich um spekulative Wissenschaften überhaupt nicht kümmerten. Von den Tagen der Hypatia bis zur Reformation war die berühmte Heloise beinahe die einzige Frau, der eine derartige Beschäftigung überhaupt möglich wurde, und wir wissen nicht, welch eine große Fähigkeit für spekulative Wissenschaften der Welt in ihr durch das Unglück ihres Lebens verlorengegangen ist. Solange Frauen sich nun aber in einer beträchtlicheren Anzahl ernster Gedankenarbeit zugewendet haben, ist die Originalität nicht mehr so leicht möglich. Beinahe alle Gedanken, zu denen man kraft seiner ursprünglichen Fähigkeiten gelangen kann, sind längst gedacht und verkündet worden, so daß Originalität in irgendeinem höhern Sinne des Wortes nur von denen zu erreichen ist, die umfassende Studien gemacht haben und tief eingeweiht in die Resultate früherer Perioden des Denkens sind. Ich glaube, Maurice ist es, der über unser Jahrhundert die Bemerkung gemacht hat, seine originellsten Denker waren diejenigen, welche am gründlichsten mit dem vertraut sind, was ihre Vorgänger gedacht haben, und so wird es auch in Zukunft sein. Jeder neue Stein, der dem Gebäude hinzugefügt wird, kann nur auf dem Gipfel vieler anderer befestigt werden, und derjenige, welcher gegenwärtig an dem Weiterbau mitwirken will, hat erst eine große und beschwerliche Höhe zu erklimmen und eine beträchtliche Menge von Material hinaufzuschaffen. Wie viele Frauen gibt es denn jetzt, die einen solchen Prozeß durchgemacht haben? Von allen Frauen, die sich je mit Mathematik beschäftigt haben, weiß vielleicht allein Mrs. Somerville so viel, wie jetzt nötig ist, um irgendeine bedeutende mathematische Entdeckung zu machen; ist es nun ein Beweis für die niedrigere Stufe, auf der die Frauen stehen, daß sie zufällig nicht zu den zwei oder drei Personen gehört, denen es zu ihrer Zeit gelungen ist, ihre Namen mit einem epochemachenden Fortschritt dieser Wissenschaft in Verbindung zu bringen? Seitdem die Volkswirtschaft eine Wissenschaft geworden ist, haben nur zwei Frauen genug davon gewußt, um in einer nützlichen Weise über den Gegenstand zu schreiben, und wie viele von den unzähligen Männern, die während derselben Zeit darüber geschrieben haben, waren denn imstande, mit Wahrheit mehr davon zu sagen? Wenn bis jetzt keine Frau eine große Geschichtsschreiberin gewesen ist, welche Frau hat denn die nötige Gelehrsamkeit dazu gehabt? Wenn es keinen großen weiblichen Philologen gibt, welche Frau hat überhaupt Sanskrit oder die slavischen Sprachen oder das Gotische des Ulfilas oder das Persische der Zendavesta studiert? Wir wissen alle, worin selbst in praktischen Dingen der Wert der Originalität und des nicht erlernten Genies besteht. Es heißt dies nichts anderes, als etwas in seiner ursprünglichen Form wieder erfinden, das bereits von mehreren einander gefolgten Erfindern erfunden und verbessert war. Wenn die Frauen erst alle die Vorbereitungen gehabt haben, deren jetzt alle Männer bedürfen, um Arbeiten von wirklich bedeutender Originalität zu liefern, dann wird es, gestützt auf die Erfahrung, Zeit sein, über ihre Fähigkeit für Originalität zu urteilen.

Es kommt unzweifelhaft öfter vor, daß eine Person, welche die Gedanken anderer über einen Gegenstand weder genau noch umfassend studierte, durch natürlichen Scharfsinn eine glückliche Eingebung hat, welche sie vorzubringen, aber nicht zu beweisen vermag, und die doch, wenn sie gereift ist, ein wichtiger Gewinn für die Wissenschaft sein kann. Man kann nun aber einer solchen Entdeckung nicht eher Gerechtigkeit widerfahren lassen, als bis ein anderer, der die erwähnten Studien gemacht hat, sie in die Hand nimmt, sie prüft, ihr eine wissenschaftliche oder praktische Form gibt und ihr unter den vorhandenen philosophischen oder wissenschaftlichen Wahrheiten den richtigen Platz anweist. Ist es nun anzunehmen, daß Frauen solche glückliche Gedanken nicht haben sollten? Ganz im Gegenteil kommen sie Hunderten intelligenter Frauen, aber sie gehen meistens verloren aus Mangel an einem Gatten oder Freunde, der die andern Kenntnisse besitzt, welche ihn befähigen, sie zu würdigen und in die Öffentlichkeit zu bringen; und selbst wenn letzteres geschieht, so erscheinen sie doch als die Idee des Mannes, und die, von der sie ausgegangen sind, bleibt unbekannt. Wer kann wissen, wie viele der originellsten Gedanken, denen wir in den Schriften von Männern begegnen, ursprünglich in Frauenköpfen entstanden und von jenen nur ausgearbeitet und erweitert worden sind? Wenn ich nach mir selbst urteilen darf, so muß es in der Tat eine große Menge sein.

Wenden wir uns von den spekulativen Wissenschaften zur Literatur im engern Sinne und zu den schönen Künsten, so tritt der Grund, weshalb die Literatur der Frauen in ihrer Konzeption wie in ihren Hauptzügen eine Nachahmung der männlichen ist, sehr klar zutage. Weshalb ist die römische Literatur, wie die Kritiker bis zum Überdruß verkündet haben, keine Original-Literatur, sondern eine Nachahmung der griechischen? Einfach deshalb, weil die Griechen zuerst kamen. Lebten die Frauen in einem andern Lande als die Männer, und hätten sie nie eine ihrer Schriften gelesen, so würden sie auch eine eigene Literatur gehabt haben. Wie die Sache liegt, haben sie keine Literatur geschaffen, da sie bereits eine herrlich entwickelte vorfanden. Hätte die Kunst und Wissenschaft des Altertums durch die nachfolgenden Jahrhunderte keine Unterbrechung erfahren, oder wäre die Renaissance eingetreten, bevor die gotischen Kathedralen gebaut worden waren, diese wären niemals gebaut worden. Wir sehen, daß in Frankreich und Italien die Nachahmung der alten Literatur die bereits begonnene Entwicklung der eigenen aufhielt. Alle schreibenden Frauen sind Schülerinnen der großen männlichen Schriftsteller. Die ersten Bilder eines Malers, und wäre dieser selbst ein Raffael, sind im Stil nicht von denen seines Meisters zu unterscheiden. Selbst ein Mozart entwickelt seine machtvolle Originalität nicht in seinen Erstlingsarbeiten. Was Jahre für begabte Individuen sind, das sind Generationen für die große Menge. Ist die Literatur der Frauen bestimmt, einen durch die verschiedenen natürlichen Anlagen bedingten Gesamtcharakter zu bekommen, so ist eine viel längere Zeit, als bis jetzt verstrichen ist, notwendig, um sie von dem Einfluß der angenommenen Vorbilder zu befreien und nach eigenen Impulsen vorwärtsgehen zu lassen. Wenn aber auch, wie ich glaube, sich keine den Frauen gemeinsamen und ihr Genie von dem der Männer unterscheidenden natürlichen Eigentümlichkeiten werden nachweisen lassen, so hat doch jede Schriftstellerin ihre individuellen Eigentümlichkeiten, die bisher durch den Einfluß von Vorbildern und Vorschriften unterdrückt sind, und es wird noch mancher Generation bedürfen, ehe die weibliche Individualität genug entwickelt sein wird, um diesem Einfluß die Spitze zu bieten.

Vor allen Dingen sind es aber die vorzugsweise so genannten schönen Künste, welche auf den ersten Blick die stärksten und häufigsten Beweise für den Mangel an schöpferischer Kraft in den Frauen liefern, da die öffentliche Meinung, wenn ich so sagen darf, sie ja davon nicht ausschließt, sondern weit eher dazu ermutigt, und die Erziehung in den vornehmeren Klassen hauptsächlich in der Ausbildung darin besteht. Trotzdem sind die Frauen gerade in diesen Leistungen am weitesten hinter den Männern zurückgeblieben; dieses Zurückbleiben bedarf indes keiner andern Erklärung als der Erwähnung einer allgemein bekannten Tatsache, die aber für die schönen Künste eine noch allgemeinere Wahrheit ist als für irgend etwas anderes – nämlich der hohen Überlegenheit der Künstler vom Fach über Dilettanten. Frauen der gebildeten Klassen werden beinahe ohne Ausnahme in einer oder der andern der schönen Künste unterrichtet, aber nicht, um damit ihr Brot oder eine Stellung in der Gesellschaft zu erwerben. Weibliche Künstler sind alle Dilettanten; die Ausnahmen sind nur von der Art solcher, welche die Regel bestätigen.

Man unterrichtet die Frauen in der Musik, aber nicht damit sie komponieren, sondern nur damit sie ausüben können, und folglich sind in der Musik die Männer den Frauen als Komponisten überlegen. Die einzige unter den schönen Künsten, der sich Frauen in ihrem ganzen Umfange als Beruf und Beschäftigung für das Leben widmen, ist die dramatische Kunst, und darin stehen ihre Leistungen anerkanntermaßen denen der Männer gleich, wenn sie letztere nicht noch übertreffen. Um einen ehrlichen Vergleich zu ziehen, müßte derselbe angestellt werden zwischen den Leistungen einer Frau in irgendeinem Zweige der Kunst und denen eines Mannes, welcher derselben Kunst nicht als Beruf obliegt. In musikalischen Kompositionen z.B. haben Frauen gewiß ebenso gute Sachen geliefert wie männliche Dilettanten. Es gibt jetzt einige Frauen, eine sehr kleine Anzahl,In Deutschland ist die Anzahl der Malerinnen von Fach gar nicht so klein, wie der Katalog der Berliner Kunstausstellung beweist. (Anm. d. Übers.). welche Malerinnen von Fach sind, und diese beginnen bereits so viel Talent zu zeigen, wie man nur erwarten kann. Selbst männliche Maler (pace Mr. Ruskin) haben in den letzten Jahrhunderten kein weltberühmtes Bild geliefert, und es wird auch wohl noch lange dauern, ehe dies wieder geschieht. Die alten Maler waren den modernen deshalb so sehr überlegen, weil eine an wissenschaftlicher Bildung bei weitem überlegenere Klasse von Menschen sich der Kunst widmete.

Die italienischen Maler des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts waren die kenntnisreichsten Leute ihrer Zeit. Die größten unter ihnen waren, gleich den großen Männern Griechenlands, Männer von enzyklopädischem Wissen. In ihren Zeiten war aber auch die Kunst für die Gefühle und Vorstellungen der Menschen mit das Erhabenste, nach welchem ein Mensch streben und worin er sich auszeichnen konnte, und sie vermochte ihre Jünger zu den Ehren zu erheben, welche jetzt nur auf dem Felde der Politik oder als Militär zu erwerben sind, nämlich der Gefährte von Königen und der Gleichgestellte der höchsten Aristokratie zu sein. In unserem Jahrhundert finden die Männer von solchem Gehalt für ihren eigenen Ruhm und zum Nutzen der modernen Welt wichtigere Aufgaben zu erfüllen, als Bilder zu malen, und es kommt nur dann und wann vor, daß Männer wie ein Reynolds, ein Turner – über deren relativen Rang unter den bedeutenden Männern ich mir keine Meinung anmaße – sich der Kunst widmen.

Musik gehört in eine andere Kategorie, sie verlangt nicht dieselbe allgemeine geistige Bildung, scheint aber dagegen mehr von natürlichen Gaben abhängig, und es könnte Staunen erregen, daß es keinen einzigen großen Komponisten weiblichen Geschlechtes gibt. Aber selbst diese natürliche Gabe verlangt, um große Schöpfungen hervorbringen zu können, Studium und berufsmäßige Hingabe an dasselbe. Die einzigen Länder, welche Komponisten ersten Ranges selbst unter dem männlichen Geschlechte hervorgebracht haben, sind Deutschland und Italien, Länder, in welchen die Frauen sowohl hinsichtlich der allgemeinen wie der speziellen Bildung weit hinter Frankreich und England zurückgeblieben sind, indem sie im allgemeinen – es mag dies ohne alle Übertreibung gesagt werden – wenig Erziehung genießen und kaum eine der höheren geistigen Fähigkeiten ausbilden.Bei aller Achtung vor dem Verfasser können wir doch nicht unbemerkt lassen, daß er hier dennoch etwas übertreibt. Für die Erlangung von Fachwissenschaften ist für die Frauen Deutschlands allerdings noch wenig getan, und auch ihre allgemeine Bildung läßt im ganzen noch viel zu wünschen übrig; soviel schlechter als in England ist es aber darum doch nicht bestellt, und Frankreich ist uns darin durchaus nicht überlegen, sondern steht uns mit seiner Klostererziehung weit nach. (Anm. d. Übers.) In jenen Landern zählen Männer, welche Generalbaß studiert haben und mit der Kompositionslehre vertraut sind, nach Hunderten oder vielmehr nach Tausenden, während es nur einen so kleinen Kreis solcher Frauen gibt, daß wir auch hier nach der Durchschnittsberechnung nicht erwarten dürfen, mehr als eine bedeutende Frau auf fünfzig bedeutende Männer zu finden, und die letzten drei Jahrhunderte haben weder in Italien noch in Deutschland fünfzig bedeutende Komponisten hervorgebracht.

Außer den bisher angeführten Gründen gibt es nun aber noch andere, die erklären, weshalb die Frauen selbst in den für beide Geschlechter offenen Zweigen der Tätigkeit hinter den Männern zurückgeblieben sind. Zuvörderst haben nur wenig Frauen Zeit dazu. Dies mag paradox klingen, ist aber nichtsdestoweniger ein Faktum. An die Zeit und die Gedanken der Frauen werden für die praktischen Dinge schon früh große Ansprüche gemacht. Da ist erstens die Oberleitung der Familie und des Haushaltes, die in jeder Familie wenigstens eine Frau beschäftigt und gewöhnlich die, welche die reifste an Jahren und gesammelter Erfahrung ist, ausgenommen die Familie wäre so reich, daß sie diese Aufgabe einer gemieteten Kraft überlassen und alle daraus unvermeidlich entstehenden Verschwendungen und Unterschleife aushalten könnte. Die Führung des Haushaltes ist aber, selbst wenn in anderer Hinsicht nicht mühsam, doch für die Gedanken einer Frau sehr beschwerlich; dieselbe verlangt unausgesetzte Aufmerksamkeit, ein Auge, dem keine Einzelheit entgeht, und bringt zu jeder Stunde des Tages vorhergesehene und unvorhergesehene Fragen, die erwogen und gelöst werden müssen und welche die dafür verantwortliche Person fast niemals von sich abschütteln kann. Lebt eine Frau in einem Range und in Verhältnissen, welche sie in einem gewissen Maße von diesen Sorgen befreien, so fällt ihr doch wieder die Regelung des Verkehrs ihrer Familie mit andern – die Repräsentation – zu, und je weniger Ansprüche die ersteren Pflichten an sie machen, desto größere Dimensionen wird die letztere annehmen: die Mittags- und Abendgesellschaften, Konzerte, Morgenvisiten, Korrespondenz und was sonst noch dazugehört, und vor allem und über allem dann noch die alles absorbierende Pflicht, welche die Gesellschaft ausschließlich den Frauen auferlegt, nämlich sich reizend zu machen. Eine gescheite Frau aus den höhern Ständen findet beinahe eine hinreichende Anwendung ihrer Talente, indem sie die Anmut des Benehmens und die Künste der Konversation zur Vollendung bringt.

Um nur bei einem äußern Punkte stehenzubleiben: die große und fortgesetzte Aufmerksamkeit, welche Frauen, die Wert darauf legen, sich gut zu kleiden – ich meine nicht kostspielig, sondern mit Geschmack und Berücksichtigung natürlicher und künstlerischer Schicklichkeit –, auf ihre Toilette und vielleicht auch auf die ihrer Töchter verwenden müßten, dürfte allein schon hinreichen, wenn sie für Kunst, Literatur oder Wissenschaft aufgewendet würde, achtungswerte Resultate herbeizuführen, während sie jetzt die Zeit und die geistige Kraft, die vielen Frauen sonst dafür zu Gebote stünde, erschöpft.Es scheint derselbe richtige Takt, der den Mann befähigt, die Wahrheit oder die richtige Idee dessen, was sich gehört, sowohl in den Ornamenten, wie in den festeren Prinzipien der Kunst zu finden. Es hat immer dasselbe Zentrum der Vollkommenheit, wenn es auch das Zentrum eines kleineren Zirkels ist. – Dies ist an den Kleidermoden zu illustrieren, in welchen man guten und schlechten Geschmack haben kann. Die einzelnen Teile des Anzuges wechseln beständig von klein zu groß, von kurz zu lang, aber die allgemeine Form bleibt, es ist immer derselbe Hauptanzug, der gewissermaßen feststeht, obschon auf einem sehr schwachen Grunde, und doch ist er es, auf dem die Mode ruhen muß. Derjenige, welcher Anzüge mit dem besten Erfolge und vom besten Geschmack erfinden kann, würde wahrscheinlich, wenn er denselben Scharfsinn auf größere Zwecke verwendete, die höchsten Aufgaben der Kunst mit derselben Geschicklichkeit und demselben richtigen Geschmack ausgeführt haben. Sir Josuah Reynold's Discourses. Wäre es möglich, daß diese unzähligen kleinen praktischen Interessen, die für sie groß gemacht werden, ihnen jemals mehr Kraft und Freiheit des Geistes sowie mehr Muße ließen, sich den Künsten oder Wissenschaften zu widmen, so würden Frauen einen viel größern ursprünglichen Vorrat von ausübendem Talent haben als die große Mehrzahl der Männer. Aber dies ist noch nicht alles. Außer der Erfüllung der einer Frau regelmäßig obliegenden täglichen Sorgen und Pflichten verlangt man auch noch von ihr, daß sie ihre Zeit und geistigen Kräfte stets für jedermann zur Verfügung haben soll. Hat ein Mann selbst keinen Beruf, der ihn vor solchen Anforderungen sicherstellt, so beleidigt er doch niemand, wenn er seine Zeit irgendeiner selbstgewählten Aufgabe widmet; Beschäftigtsein gilt bei ihm immer als eine genügende Entschuldigung für jeden gelegentlich an ihn herantretenden Anspruch. Werden die Beschäftigungen einer Frau, und ganz besonders die selbstgewählten, freiwilligen, jemals als eine Entschuldigung für sie erachtet in allem, was man die geselligen Pflichten nennt? Kaum, daß ihre notwendigen und als solche anerkannten Pflichten als ein Entschuldigungsgrund angenommen werden. Es bedarf einer Krankheit in der Familie oder sonst etwas Außergewöhnlichen, um sie zu berechtigen, ihrer Arbeit den Vorzug vor dem Vergnügen anderer Leute zu geben. Sie muß immer des Winkes von jemand, gewöhnlich aber von aller Welt, gegenwärtig sein. Hat sie ein Studium oder sonst ein Streben, so muß sie dafür jede sich ihr zufällig bietende, wenn auch noch so kurze Zeit wie im Fluge erhaschen. Eine berühmte Frau bemerkt in einem Werke, das, wie ich hoffe, eines Tages veröffentlicht werden wird, sehr richtig: alles, was eine Frau tue, werde zur ungewöhnlichen Zeit getan. Ist es denn nun wunderbar, daß sie es nicht zur höchsten Vollkommenheit in Dingen bringt, welche erfordern, daß wir ihnen die unausgesetzte Aufmerksamkeit zuwenden und in ihnen unsere hauptsächlichsten Lebensinteressen konzentrieren? Dies verlangt die Philosophie, dies verlangt vor allem die Kunst, in welcher außer der Hingabe des Gedankens und Empfindens daran auch die Hand in beständiger Übung erhalten werden muß, um es zur höchsten Geschicklichkeit zu bringen.

Zu allen diesen Betrachtungen tritt nun noch eine andere. Die verschiedenen Künste und intellektuellen Beschäftigungen bringen Geld, um davon zu leben, und wenn sie einen höheren Grad erreicht haben und große Leistungen hervorbringen, so können sie auch den Namen unsterblich machen. Für die Erreichung des ersten Zweckes sind bei allen, die sich irgendeiner Tätigkeit berufsmäßig widmen, die angemessenen Beweggründe vorhanden; der letztere ist aber schwerlich jemals erreicht worden, wo nicht ein glühender Wunsch nach Berühmtheit vorherrscht oder doch wenigstens in einer Periode des Lebens vorgeherrscht hat.

Ebensowenig ist der Trieb, sich langen, mühseligen Arbeiten mit Geduld und Beharrlichkeit zu unterziehen, ein sehr allgemein vorhandener, und doch ist dies, selbst bei der größten natürlichen Begabung, absolut notwendig, wenn man es zu großer Bedeutung in Künsten und Wissenschaften bringen will, in denen die Welt schon die glänzendsten Denkmäler des menschlichen Genius aufzuweisen hat. Die Frauen haben, sei es aus natürlichen oder künstlich erzeugten Ursachen, selten einen heftigen Ruhmdurst. Ihr Ehrgeiz ist gewöhnlich auf engere Grenzen beschränkt. Der Einfluß, nach dem sie streben, erstreckt sich auf ihre unmittelbare Umgebung. Sie wünschen geliebt, bewundert, anerkannt zu werden von denen, die sie mit eigenen Augen sehen, und ihnen genügt meistens das Maß von Kenntnissen und Fertigkeiten, welches ausreicht, ihnen die Erfüllung dieser Wünsche zu bringen. Dieser Zug darf durchaus nicht außer acht gelassen werden, wenn man zu einem annähernd richtigen Urteil über die Frauen, wie sie jetzt sind, gelangen will. Ich glaube keineswegs, daß er ihnen angeboren sei; er ist nur das natürliche Resultat der Verhältnisse, in denen sie leben.

In den Männern wird die Ruhmliebe durch die Erziehung und öffentliche Meinung ermutigt; selbst wenn sie »die Schwäche edler Geister« genannt wird, erklärt man es doch als einen unverkennbaren Zug ihres Wesens, daß sie um ihretwillen »Genuß verschmähen und schwerem Tagewerk leben«. Der Ruhm ist ferner für die Männer das sicherste Mittel zur Erlangung der Dinge, die der Ehrgeiz erstrebt, selbst die Frauengunst miteingeschlossen; kein Wunder also, daß sie ihm eifriger nachjagen als die Frauen, denen alle diese Dinge doch unerreichbar sind und denen die Ruhmliebe immer als unweiblich und für sie unschicklich geschildert wird. Und wie sollten endlich wohl alle Interessen der Frau sich auf etwas anderes konzentrieren können als auf die Eindrücke, die sie auf diejenigen macht, mit denen sie im täglichen Leben in Berührung kommt, da die Gesellschaft bestimmt hat, daß alle ihre Pflichten nur diesen gewidmet sein sollen, und da man alle ihre Freuden und Annehmlichkeiten nur von diesen abhängig gemacht hat?

Der natürliche Wunsch, bei unsern Mitmenschen Geltung zu finden, ist in den Frauen ebenso stark wie in den Männern; die Gesellschaft hat es jedoch so eingerichtet, daß in allen gewöhnlichen Fällen einer Frau öffentlich nur die Geltung zuteil wird, welche die Stellung ihres Gatten oder ihrer männlichen Verwandten ihr verschafft, und daß sie ihre Privatstellung verwirkt, sobald sie persönlich in den Vordergrund oder in einem andern Charakter auftritt, als der Appendix des Mannes zu sein. Wer nur im geringsten befähigt ist, den Einfluß zu würdigen, den die ganze häusliche und soziale Stellung auf den Charakter ausübt, der muß in demselben auch eine vollkommen ausreichende Erklärung finden für beinahe alle anscheinenden Verschiedenheiten zwischen Frauen und Männern, mit Einschluß derer, in denen sich eine geringere Begabung kundgeben soll.

Betrachtet man, getrennt von den intellektuellen Verschiedenheiten, die moralischen Verschiedenheiten der beiden Geschlechter, so fällt der Vergleich gewöhnlich zum Vorteil der Frauen aus. Man erklärt sie für besser als die Männer – ein leeres Kompliment, das jeder Frau von Geist ein bitteres Lächeln entlocken muß, da es kein anderes Verhältnis im Leben gibt, wo es hergebrachte, für recht und naturgemäß gehaltene Ordnung ist, daß diejenigen, welche man für die Besseren erklärt, den Schlechteren gehorchen müssen. Ist dieses müßige Gerede zu irgend etwas gut, so ist es dazu, um als ein Eingeständnis der Männer zu dienen, daß die Gewalt einen entsittlichenden Einfluß hat, denn das ist gewiß die einzige Wahrheit, welche eine solche Tatsache – wenn es überhaupt eine Tatsache ist – beweist oder anschaulich macht. Und es ist wahr, daß die Knechtschaft, ausgenommen in den Fällen, wo sie tatsächlich verwildert, obgleich sie einen entsittlichenden Einfluß auf beide Teile ausübt, doch in dieser Hinsicht weniger nachteilig auf die Hörigen als auf die Herren wirkt.

Es ist der sittlichen Natur weniger schädlich, unterdrückt zu werden, und sei dies selbst durch eine Willkürherrschaft, als diese Willkürherrschaft selbst ausüben zu dürfen. Frauen sollen viel seltener den Strafgesetzen anheimfallen, den Kriminal-Annalen eine viel geringere Anzahl von Verbrechern liefern als Männer. Ich zweifle nicht einen Augenblick, daß sich dasselbe mit ebenso großer Wahrheit auch von den Negersklaven sagen läßt. Wer unter der Herrschaft eines andern steht, kann nicht so leicht Verbrechen begehen, außer auf Geheiß und zum Nutzen seines Herrn. Ich kenne kein eklatanteres Beispiel für die Blindheit, mit welcher die Welt, die studierten Männer mit eingeschlossen, alle Einflüsse der geselligen Verhältnisse auf die Charakterentwicklung ignoriert, als ihre törichte Unterschätzung der intellektuellen und ihr törichter Panegyrikus auf die moralische Natur der Frauen.

Hand in Hand mit der schmeichelhaften Meinung über die moralische Güte der Frau geht die verächtliche Ansicht, welche man über ihre größere Hinneigung zur Parteilichkeit hat. Es heißt, Frauen wären nicht imstande, ihrer persönlichen Vorliebe oder Abneigung zu widerstehen, ihr Urteil in wichtigen Angelegenheiten werde von diesen Nebenrücksichten beeinflußt und gefärbt. Nehmen wir selbst an, dem wäre so, bleibt es doch immer noch zu beweisen, ob Frauen häufiger von ihren persönlichen Gefühlen irregeleitet werden als Männer von ihren persönlichen Interessen.

Der hauptsächlichste Unterschied scheint in diesem Falle darin zu bestehen, daß Männer durch die Rücksicht für ihr persönliches Interesse vom Pfade der Pflicht abgelenkt werden, Frauen dagegen – denen man eigene Privatangelegenheiten zu haben ja nicht gestattet – von der Rücksicht für jemand anders. Ferner darf nicht außer acht gelassen werden, daß die ganze Erziehung, welche die Gesellschaft der Frau angedeihen läßt, in ihr das Gefühl nährt, sie habe keine anderen Pflichten zu erfüllen als gegen die Ihrigen, keine anderen Interessen als eben diese wahrzunehmen. Die Erziehung hält die Frauen fern selbst von den elementarsten Ideen, auf welchen sich intelligente Rücksichten für größere Interessen und höhere moralische Zwecke entwickeln könnten. Man klagt also die Frauen lediglich deshalb an, weil sie die einzige Pflicht, die man sie gelehrt hat, und beinahe die einzige, die man ihnen zu üben gestattet, nur zu gewissenhaft erfüllen.

Die Privilegierten sind selten geneigt, den Nichtprivilegierten irgendein Zugeständnis zu machen aus einem bessern Motive, als weil diese es von ihnen mit Gewalt erzwingen; und so werden auch alle Argumente gegen die Prärogative des männlichen Geschlechtes im allgemeinen nur sehr geringen Anklang finden, solange man sich immer noch bei dem Vorwande beruhigen kann, daß sich die Frauen ja gar nicht darüber beklagen.

Dieser Umstand dient allerdings dazu, den Männern die ungerechten Privilegien noch etwas länger zu erhalten, macht sie aber deshalb nicht weniger ungerecht. Man könnte genau dasselbe von den im Harem eines Orientalen lebenden Frauen sagen: sie beklagen sich auch nicht, daß ihnen die Freiheit der Europäerinnen nicht gestattet ist; sie halten im Gegenteil unsere Frauen für unerträglich keck und unweiblich. Wie selten kommt es doch vor, daß selbst Männer sich über die allgemeine Ordnung der Dinge beklagen; und um wieviel seltener würden diese Klagen sein, wenn sie keine Kenntnisse von anderwärts existierenden andern Einrichtungen hätten. Frauen beklagen sich nicht über das allgemeine Los der Frauen, oder vielmehr sie tun es, denn die Klagelieder darüber kommen in den Schriften der Frauen ziemlich häufig vor und wären noch häufiger, solange man nicht argwöhnen könnte, daß diese Lamentationen möglicherweise doch einen praktischen Zweck haben dürften. Die Klagen der Frauen über ihr Los gleichen den Klagen, welche Männer über die allgemeine Unvollkommenheit des Lebens anzustimmen pflegen; sie haben nicht die Absicht, irgendeinen direkten Tadel auszudrücken oder für eine Änderung zu plädieren. Beklagen sich die Frauen aber nicht über die Macht der Männer im allgemeinen, so klagt doch jede über ihren eigenen Mann oder über den Mann ihrer Freundin. Ganz ebenso ist es in allen andern Fällen der Knechtschaft, wenigstens zu Anfang der Bewegung für die Emanzipation. Die Leibeigenen beklagen sich zuerst nicht über die Macht ihrer Herren, sondern nur über deren Tyrannei. Die Nichtadligen begannen, indem sie einige ständische Privilegien für sich beanspruchten, dann forderten sie, daß man sie nicht länger ohne ihre Einwilligung besteuern dürfe, aber sie würden es damals für eine große Anmaßung gehalten haben, auch einen Anteil an der souveränen Gewalt des Königs zu beanspruchen. Der Fall, in welchem sich die Frauen befinden, ist gegenwärtig noch der einzige, in welchem ein Auflehnen gegen einmal bestehende Gesetze mit denselben Augen angesehen wird, wie früher der Anspruch eines Untertanen auf das Recht angesehen wurde, gegen das, was sein König will, Einspruch zu erheben. Eine Frau, die sich irgendeiner Bewegung anschließt, die von ihrem Gatten mißbilligt wird, macht sich zur Märtyrerin, ohne dabei die Möglichkeit zu haben, ein Apostel zu werden, denn ihr Mann kann ihrem Aposteltum einen gesetzlichen Riegel vorschieben. Man kann daher nicht erwarten, daß die Frauen selbst sich der Emanzipation ihres Geschlechtes widmen sollen, ehe nicht eine beträchtliche Anzahl von Männern vorbereitet ist, sich mit ihnen zu dem Unternehmen zu verbinden.


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