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Regine.


Erstes Buch.

Ein Festtag.

Im Laufe eines wohl sich anlassenden Jahres war der Palmsonntag erschienen, wie man ihn liebt: der Himmel von hellgrauen Wolken überzogen, die Luft milde, der Boden trocken. Eine Regung des Lenzes ging durch den Gau, ahnungsvoll, hoffnungsreich. Der Winter war vergangen, ihn hatte man hinter sich, und vor sich den lieblichen Frühling, den schönen Sommer. Das fühlte der Bauer in seinem Gemüt, und es ward ihm wohl an dem Tag. Aber die Freude behielt ein ruhiges, ernstes Gepräge.

Der Palmsonntag hat für die protestantischen Rieser eine doppelte Bedeutung. Es ist der erste Festtag des Frühlings – der erste Tag, an welchem der Bauer die Ankündigung der schönen Jahreszeit mit besonderer Sammlung empfindet. Man holt sich das Wahrzeichen des Frühlings, den Zweig mit dem Palmkätzchen, die Kinder fühlen das größte Vergnügen, das graue Fellchen zu betrachten und zu streicheln, und die Eltern freuen sich ihrer Freude. Nun werden die andern Zweige bald folgen – das fühlt man, ohne sich's zu sagen – und die Zeit wird kommen, wo es grünen und blühen wird allenthalben. Zugleich ist der Palmsonntag der Tag, wo die Knaben und Mädchen, die das dreizehnte Jahr überschritten haben, in der Kirche von dem Geistlichen geprüft und konfirmiert werden; eine feierliche Handlung nicht nur für die Kinder und deren Eltern, sondern für die ganze Gemeinde. Man ehrt dieses Fest, indem man sich dunkel kleidet, auch am Nachmittag stiller ist als an gewöhnlichen Sonntagen, und auch im Vergnügen die feierliche Art nicht ganz vermissen läßt. Und die konfirmierten Kinder erhebt noch ein Gefühl anderer Art. Sie sind »in die Zahl der Erwachsenen aufgenommen«, sie gehen dem schönsten Lebensalter entgegen, dem Alter der »Ledigen«, dem Alter der Selbständigkeit, der Freude und der Ehre. Wenn die Prüfung bestanden, der heilige Teil des Tages beschlossen ist, dann regen sich in den jungen Herzen die ersten Triebe, die auf selbständiges Leben deuten, und die weltlicheren Naturen blicken wohl mit Verlangen in die Zukunft, wo eine unbestimmte Fülle von Genüssen ihrer wartet.

Über einem stattlichen Dorfe des untern Rieses lag nach dem Verklingen der Vesperglocke das ganze Schweigen des Tages. Wenige Personen zeigten sich auf der Gasse; wenige saßen im Wirtshause, und diese waren entweder stumm oder hielten eine würdige Ansprache. Wer indessen an einem hübschen Bauernhause unweit des Baches vorüberging, der konnte Laute einer jugendlichen Gesellschaft vernehmen, die zwar in aller Bescheidenheit sich unterhielt, aber doch lebhafter war als andere im Dorfe. Es waren die konfirmierten Kinder.

Einem alten Gebrauch zufolge besuchten sich diese wechselseitig und wurden von den Eltern bewirtet. Geringe Familien boten »Vorbrot« oder »Zelten« (weißes Hefenbrot) und einen Trunk Weißbier; die wohlhabenden, wenn sie zugleich gut und freigebig waren, sorgten für Kaffee und wohlgeschmalzenes Backwerk. Zu den guten gehörte die verwitwete Besitzerin jenes Bauernhofes, und die jungen Leute ließen sich's denn bei ihr auch herzlich wohlsein.

Es waren mehr Mädchen als Buben, denn von diesen hatten sich nicht alle eingefunden. Sie saßen auf der Wandbank und auf Stühlen um den großen Tisch in der Ecke der Stube und waren eben an der zweiten Schale, welche sie nach einigem Zieren einzuschenken gestattet hatten. Daran hatten sie wohlgetan; der Kaffee war vortrefflich. Die Tunke bestand aus Schneckennudeln vom »Rauszug«, dem feinsten weißen Mehl. Das Backwerk glänzte ordentlich von Schmalz und war reichlich mit »Mucken«, d. h. mit schwarzbraunen Weinbeeren versehen, die zum Teil sich loslösend auf den Boden der Schale fallen und schließlich einen kleinen Nachtisch gewähren. In dem Wohlgefühl, welches diese Köstlichkeiten hervorriefen, hatten sich die Zungen alle gelöst. Das schickliche Nötigen wie das ebenso schickliche Sträuben, die Prüfung, die Schulerinnerungen – alles das bot hinlänglichen Stoff zur Fortführung des Gesprächs. Die stattliche Bäuerin war, nachdem sie eingeschenkt, auf die Seite getreten und sah gutmütig auf die Gesellschaft, sich freuend über den Eifer, mit welchem auch diejenigen die zweite Schale leerten, welche hoch beteuert hatten, daß sie durchaus nicht mehr zu trinken vermöchten. Sie gönnte den Kindern den Genuß, der für die Mehrzahl ein seltener war; auf der andern Seite hatte sie aber auch einen gewissen Sinn dafür, daß es abends in den Familien hieß: »Bei der Gröningerin haben wir eben wieder das Beste bekommen!«

Die Mädchen, obwohl sie natürlich nicht alle hübsch waren, boten in der festlichen Tracht und in dem Vergnügen, das ihre Gesichter belebte und höher färbte, doch einen um so erfreulicheren Anblick, als sie sich eben auch schon besser zu benehmen wußten wie die Buben. Eine davon mußte besonders auffallen. Sie war auch im Sitzen größer als die andern, hatte schöne, regelmäßige Züge und in ihrem ganzen Wesen – ich darf nicht anstehen, es so zu nennen – etwas Edles. Ihre Stirn war hoch und unter braunen Wimpern sahen Augen derselben Farbe freundlich, aber doch zugleich mit einer gewissen Überlegenheit umher. Sie sprach weniger als die andern, schien aber die Reden derselben im stillen zu beurteilen und zeigte überhaupt eine eigene Sicherheit des Betragens. Es war die Tochter des Hauses.

Regine war das jüngste Kind und das einzige Mädchen der Familie. Der Vater, ein tüchtiger Bauer, aber starrsinnig und nach Umständen heftig wie seine Vorfahren – ein »rechter Gröninger«, wie man im Dorfe sagte – war schon drei Jahre tot, die zwei Söhne führten aber mit der Witwe das Hauswesen gedeihlicher als er, der so ziemlich alles, was er als guter Landwirt gewonnen, durch Prozesse wieder verloren hatte. Die Familie zählte, wenn nicht zu den reichen, doch zu den mittelbegüterten und lebte im ganzen behaglich. Die Söhne waren fleißig, und ein gewisser Stolz, den sie als Bauernsöhne und stattliche Burschen empfanden, kleidete sie wohl. Regine, die ebensogut in der Schule wie die Arbeiten zu Hause lernte, war als hübsches Kind, als geschicktes Mädchen von allen wohlgelitten und hatte zuletzt durch ihr stilles, verständiges, natürlich festes Wesen ordentlich eine Art von Ansehen im Hause erlangt. Ihr Taufpate, der seinen Hof in der Nähe hatte und öfters einkehrte, sagte einmal zu ihr: »Du bist ein gutes Kind; aber du hast viel von deinem Vater, Mädchen!« Damit wollte er ein gewisses Bedenken aussprechen; allein Regine sah aus, als ob sie das beste Lob erhalten hätte.

Heut, unter ihren Gespielen und Altersgenossen, war sie in der glücklichsten Stimmung. Sie benahm sich, was ihr auch gebührte, als kleine Hausmutter, redete hübsch zu, wenn sich eins bedachte zuzulangen, und entkräftete die etwaigen Einwendungen durch kurze treffende Bemerkungen. Das Vergnügen der Gesellschaft machte ihr innige Freude, und je mehr die Unterhaltung vorrückte, desto mehr sprach auch die Güte ihres Herzens aus den braunen Augen.

Als die Mutter die gefüllten Kannen eben wieder aus der Küche gebracht hatte, ging die Stubentür auf, und ein Bauernbursche trat ein, dessen Erscheinen Aufsehen erregte. Er mochte ungefähr zwanzig Jahre zählen. Das wohlgebildete, runde und rote Gesicht hatte einen gutmütigen Ausdruck; aber aus seinem Anzug und seiner Haltung konnte man schließen, daß er zu den vornehmsten jungen Leuten des Dorfes gehörte. Und in der Tat gehörte er nicht nur dazu, es war eigentlich der vornehmste selber, nämlich der einzige Sohn des Meierbauers.

Der Meierhof ist ursprünglich der bedeutendste im Dorfe. Der auf ihm sitzende Bauer heißt der Meier, riesisch »Moër«, ein Ehrentitel, den man ihm zu geben nicht unterlassen darf, wenn man nicht bedeutend »danebenheben« (sich verfehlen) will. Man hat im Ries die Redensart: »I be Moër« (ich bin Meier), d. h. ich bin der Erste, habe die andern heruntergestochen und gewinne. Moër zu sein ist daher das Ideal des Rieser Bauers, und mancher hat schon bedeutend in den Geldsäckel gegriffen, um mit dem Hof auch den schönen Titel einzuhandeln. Für das Herunterkommen, wenn es seine anderweitigen guten Gründe hat, ist natürlich kein Kraut gewachsen, auch nicht auf dem Meierhof. Der Besitzer muß nicht in jedem Dorf eben der reichste Bauer sein, und er kann auch verderben, wenn er's nicht anders haben will. Aber dem Ansehen des Titels schadet dies nichts und in der Regel entsprechen diesem auch die Mittel.

Bei dem Meier in unserm Dorfe paßten Sache und Name durchaus zusammen. Er war der wohlhabendste Mann des Orts. Seine Felder bildeten nicht nur die größte Morgenzahl, sondern waren auch die besten. Er hatte das schönste Anwesen, ja das schönst gelegene. Die Gebäude waren ansehnlich, der Hof im engeren Sinn – der von Haus, Stadel, Schuppen, Schweinstall, Zaun und Mauer eingefaßte Raum – von besonders großem Umfang, und ein baumreicher Garten vollendete das prächtige Besitztum. – Daß unser Meier den ersten Mann im Dorfe vorstellte, leuchtet ein. Er war nicht Vorsteher, nur Mitglied der Gemeindeverwaltung; aber auch der Vorsteher, obwohl dieser in anderer Beziehung der Erste war, behandelte ihn als den gewichtvollsten Bewohner. Er selber bewies dagegen wieder dem Ortsvorsteher die gebührende Ehre, denn bei allem Selbstgefühl war er klug, kannte die Menschen und liebte den Frieden. Sein Leben verfloß um so mehr in würdigem Behagen, als auch seine Kinder geraten waren und ihm Freude machten. Er hatte deren zwei, eine Tochter und einen Sohn. Jene repräsentierte den Stolz des Hauses und gab Aussicht, das zu werden, was im Ries hier und da »eine Regentin« genannt wird. Der Sohn, ohne sich etwas zu vergeben, war gemütlicher, vergnügter und verkehrte lieber als sie mit den Leuten. Die Arbeit – und das war die Hauptsache – hatten beide gern, und die Eltern konnten sich mit gutem Gewissen sagen: »Von denen verdirbt keins!«

Wie leicht ist es für einen Menschen, der Ursache hätte, den Vornehmen zu spielen, durch Freundlichkeit die Herzen zu gewinnen! Es gab im Dorfe wohl noch manchen so wackeren Burschen wie den Sohn des Meiers; aber nur an diesem hob man hervor, wie gut er sei und wie er so gar keinen Stolz habe, obwohl er sich nichts nehmen lasse, woran er auch recht habe. Sogar die Kinder, denen er beim Begegnen zuweilen ein launiges Wort hinwarf oder die er durch Fragen zum Reden brachte, hielten große Stücke auf ihn und gaben ihm in ihrem Kreise, wenn sie auf die Dorfburschen zu sprechen kamen, das unbedingteste Lob.

Als er jetzt nach gesprochenem und erwidertem Gruß die ihn sichtlich mit Vergnügen betrachtende Gesellschaft übersah, lächelte er und sagte: »Daran hab' ich nicht gedacht! – Nun, ich will euch nicht inkommodieren und wünsch' allerseits besten Appetit!« Zu der Bäuerin gewendet, fuhr er fort: »Ich suche den Fritz; ist er im Stall?« – »Nein,« erwiderte diese, »er ist schon über eine halbe Stunde fort, ich weiß nicht wohin.« Und freundlich setzte sie hinzu: »Magst du nicht auch eine Schal' Kaffee?« – Der Bursch sagte heiter: »Ich dank', Bas,« und wollte gehen. Bevor er sich aber wendete, rief ein munterer Bube, den die Wirkung des genossenen Trankes seine eigene Stellung als Gast vergessen machte: »Setz' dich doch ein wenig zu uns! Du brauchst dich nicht zu schämen; wir gehören jetzt auch zu den Ledigen.« – »O, das ist's nicht,« entgegnete der Bursche, indem er ihn mit gutmütiger Laune betrachtete; »ich weiß schon, was ihr jetzt für Leut' seid.« – »So komm,« fuhr der Bube fort. Der junge Meier zögerte und hatte schon wieder ein »ich dank'« auf den Lippen, als die Tochter des Hauses, deren Augen seit seinem Eintreten mit Wohlgefallen an ihm gehangen hatten, in aller Herzlichkeit rief: »Komm, Johann – setz dich zu mir!« – Der Bursche, von dem Ton getroffen, sah sie an. Das Mädchen war errötet und zeigte in ihrem Gesicht eine gewisse Scham und Scheu, als ob sie zu weit gegangen wäre; aber sie überwand diese Regung und wiederholte mit demselben Ausdruck: »Komm!« – Dieser liebevollen Einladung konnte er nicht widerstehen. »Nun,« sagte er lächelnd zur Bäuerin, »eine Schale kann man am Ende trinken.« – Die jungen Gäste in der Ecke rückten zusammen, und Johann setzte sich neben Regine.

Das Mädchen bot mit einem Gesicht, in welchem sich innige Freude und ein gewisser Stolz, daß ihre Einladung durchgedrungen war, mit jugendlicher Befangenheit mischten, ein überaus anmutiges Bild. Sie nahm die Schale, welche die Mutter aus dem Kanzlei herbeibrachte, in Empfang, schenkte dem Nachbar eine und legte ihm eine große Schneckennudel hin. Johann zeigte, daß er Lebensart besaß. Er nahm und dankte mit größerer Achtung, als man sie einem Kinde zu erweisen pflegt, tunkte ein und trank und lobte Kaffee und Nudel als ganz »fürnehm«. Das hatte freilich nur zur Folge, daß er von beidem eine zweite Portion annehmen mußte – mußte, weil man seine Worte nur unter dieser Bedingung für wahr gelten lassen wollte. Gemahnt, in dieser Richtung der Höflichkeit nicht weiter zu gehen, schlug er eine andere ein.

Er begann seine Nachbarin zu rühmen, wie sie heute in der Kirche so schnell und alles so gut geantwortet habe, obwohl sie am meisten gefragt worden sei. »Andere,« setzte er mit launigem Blick auf die Gesellschaft hinzu, »haben's auch recht gut gemacht, aber mein Bäschen doch am besten.« – »Ja, die Regine!« versetzte ein rundköpfiges Mädchen; »die ist freilich die Gescheiteste von uns; die kann aber auch mehr als die Buben.« – »Geh, red' nicht so!« fiel Regine ein. – »Ist das wahr?« fragte der junge Meier das Bürschchen, das ihn zuerst eingeladen hatte und das für den besten Schüler galt. – »Ich hab' nichts dagegen,« erwiderte dieser. »Eins muß das Gescheiteste sein.« – »Ja,« entgegnete die Rundköpfige, die einige Anlage zum Schnippischen hatte, »obwohl sie am meisten weiß, bildet sie sich doch nichts darauf ein. Das kann man aber nicht von jedem sagen.« – Der Bube, dem seine Neigung zum Prangen schon Foppereien zugezogen hatte, fühlte den kleinen Stich; aber sei's, daß ihm keine rechte Entgegnung einfiel, oder daß er an dem heiligen Tag sich auf keinen Streit einlassen wollte, er tat nicht dergleichen und erwiderte: »'s ist wahr; so eine wie die Regine gibt's nicht mehr.«

Nun wurde es der Gerühmten zu arg. Ernsthaft sagte sie: »Hört doch auf mit solchen Reden! Es ist grad', als ob ihr mich foppen wolltet!« Und gegen den Nachbar gewendet, setzte sie hinzu: »Was ich kann, kann jedes; ich bin nur mit meinen Antworten gleich parat gewesen, weil der Herr Pfarrer mich gefragt hat, was ich gut gewußt hab'.« – »Nun,« erwiderte der junge Meier, »da muß es dem Binder-Christoph umgekehrt gegangen sein; denn er hat bös aus dem Weg 'naus geredet.« – »Ja freilich,« versetzte das Mädchen; »aber der kann nichts dafür. Wenn's auf den Fleiß ankäm', hätt' er besser geantwortet als wir alle.« – »Mir ist's nur lieb,« sagte die Rundköpfige wieder, »daß keins von den Mädchen so geredet hat. Bei der zweiten Frag' hat ihm der Herr Pfarrer die Antwort ordentlich eingegeben, und doch hat's nichts geholfen. Wie doch einer seine Gedanken so gar nicht zusammenbringen kann!« – Regine lächelte. »Es ist ein guter Mensch,« entgegnete sie, »und das ist am Ende die Hauptsach'. Seine Kübel und Fässer wird er schon zusammenbringen!«

Nach dieser Beilegung der Frage ließ man den einzigen wirklich schwachen Moment der vormittägigen Prüfung fallen, und das Gespräch bewegte sich weiter über Entfernte, meist anerkennend oder entschuldigend. Es ist im Guten wie im Schlimmen: nicht nur der Tadel steckt an, sondern auch das Lob, und dieselben Menschen können heute durch Schärfe, ja durch Bosheit, morgen, wenn ein anderer Genius in ihnen herrschend wird, durch Gelindigkeit des Urteils auffallen. Unsere Gesellschaft war ins Lob gekommen. Die Witwe Gröninger warf hier und da ein Wort dazwischen, hörte aber meist ruhig zu und wunderte sich gelegentlich, daß der Johann unter dem jungen Volk solang' aushalte. Daß ihre Regine an seinem Bleiben mit schuld sei, wollte sie sich nicht sagen; aber wie sie beide so vergnügt nebeneinandersitzen sah, konnte sie sich doch einer wohltuenden Empfindung nicht erwehren. Es stellte sich ihr eine gewisse Möglichkeit vor die Seele, die sie ergötzte, aber sie schüttelte den Kopf und wendete ihre Gedanken davon ab.

Der Bursche hatte endlich die letzten Tropfen aus der zweiten Tasse geschlürft, und Regine war schnell bei der Hand, ihm die dritte einzuschenken. Das verweigerte er aber ernstlich. Er habe schon zu viel genossen und sei schon zu lang' dagewesen; jetzt müsse er zu seinen Kameraden gehen. »Noch eine!« rief das Mädchen bittend, aber schon ohne Hoffnung, daß er's annehmen werde. Er stand auf. Regine erhob sich gleichfalls. Sie stellte sich vor ihn und sagte: »Nun, es muß uns eine Ehr' sein, daß du solang' geblieben bist und dir unsere Ansprache hast gefallen lassen. Hab eben Dank dafür!« Freundlich reichte sie ihm die Hand und sah ihn dabei mit einem Blick an, daß es ihm durch die Seele ging. Er konnte sich nicht enthalten, die jugendlichen Finger zu drücken. Regine stand errötet und hielt die gute Hand noch eine Zeitlang fest, ohne zu wissen, was sie tat. Endlich zog sie ihre Hand sachte zurück. Der Bursch dankte der Mutter, wünschte der Gesellschaft gute Unterhaltung und verließ die Stube.

Als er auf der Gasse hinschlenderte, hatte er ein angenehmes Gefühl wie einer, der seine Zeit nicht besser hätte verbringen können. »Die Regine,« sagte er sich, »ist ein liebes, gescheites Kind und wird einmal ein schönes Mädchen!« Er konnte nicht umhin, die Freundlichkeit, die sie ihm bewiesen hatte, auffällig zu finden; aber das Benehmen schmeichelte ihm, und er gedachte es ihr mit ernstlichem Dank. »Sie hält was auf mich, das kleine Bäschen, das ist gewiß. Nun, das ist ja schön!« In der besten Stimmung kam er zu seinen Kameraden.

Die Jugend erging sich über den Abwesenden, nach der herrschenden Stimmung des Tages, in uneingeschränktem Lob; fast jedes wußte etwas Gutes von ihm zu sagen. Regine blieb stumm bei diesen Reden. Sie empfand die größte Freude zuzuhören; aber ihre Freude war ernst und innerlich, und keins von den andern merkte, wie es ihr eigentlich ums Herz war.


Der Lauf der Welt.

Man kann das, was Regine für Johann empfand, nicht Liebe nennen, denn dazu gehört mehr Bewußtsein, als das junge Geschöpf haben konnte, mehr Berechtigung des Alters und mehr Gefühl derselben. Es war ein Zug des Herzens, der sie instinktartig regierte, ein inniges Wohlgefallen, halb kindlich, halb jungfräulich – eine Ahnung des glühend süßen Lebens, das die Jungfrau erfüllt, wenn sie liebt. Der junge Mann hatte ihr gefallen, seit sie denken konnte; und es braucht nicht verschwiegen zu werden, daß an dem Zauber, den er auf ihr Gemüt übte, auch sein Ansehen als Sohn des Meiers wesentlich mitgewirkt hatte. Er war der erste, der vornehmste Bursch im Dorf; der Glanz des Ersten flößte ihr Achtung, Bewunderung ein, und die natürlichen Eigenschaften an ihm erschienen nun alle wertvoller und kostbarer. Sie unterschied dies nicht, sie empfand die Wirkungen und freute sich daher, wenn sie ihn sah, und richtete es gelegentlich auch so ein, daß sie ihn sehen mußte. Ihr Gefühl gab sich an dem Festtage zum erstenmal kund, in der erhöhten Stimmung die Gelegenheit ergreifend und zutage tretend wie die aufbrechende Blüte. Von diesem Augenblick an gewann es aber Gestalt und Inhalt und wuchs und entwickelte sich unaufhaltsam.

Der Bursche machte aus dem Erlebnis nicht mehr, als bei seinem Alter im Vergleich zu dem seines Bäschens natürlich war. An irgend etwas Ernsthaftes, der Zeit vorgreifend, an ein ernsthaftes Verhältnis in künftigen Jahren dachte er nicht. Die Kleine hielt etwas auf ihn, und das freute ihn von Herzen, viel mehr, als es ihn gefreut hätte von einem andern Mädchen ihres Alters. Allein von einem tieferen Eindruck auf ihn und von einem Wachsen desselben konnte um so weniger die Rede sein, als er im schönsten Lebensalter stand, von Natur der Gegenwart hingegeben und mit Arbeit und Vergnügen vollauf beschäftigt war. Für ihn hatte die schöne Annäherung nur eine Folge: von den gleichalterigen Mädchen behielt Regine in seinen Augen die meiste Bedeutung, und sein gutes Herz fühlte sich verpflichtet, sie beim Begegnen besonders freundlich zu grüßen und mehr Worte mit ihr zu wechseln als mit andern. Das war freilich genug, die Entwickelung ihrer Neigung zu fördern und sie mit Wünschen und Hoffnungen zu erfüllen, die eine immer bestimmtere Form annahmen.

Jahre vergingen. Der Bursche lebte in dem Behagen des Haussohns, wurde unter der Leitung des alten Meiers immer mehr Bauer und besuchte regelmäßig die auskommenden Lustbarkeiten, wo er dann fröhlich war gleich einem und einen standesmäßigen Aufwand machte. Als Tänzer war er jeder Schönen willkommen, auch wenn ihr Herz an einen andern vergeben war; für den Sohn des Meiers hatte man immer einen Reihen (Reigen), einen holden Blick und allenfalls auch einen Händedruck übrig. Er selbst besaß keine erklärte Geliebte; denn die hohe Stellung hat überall auch ihre Schattenseiten. Für ihn war die Zahl der Mädchen, aus der er wählen durfte, klein, auch wenn die Ebenbürtigen der Nachbardörfer dazugenommen wurden; unter den wenigen fand er keine, die ihm besonders gefiel, er wollte daher mit der Entscheidung warten, bis es nicht mehr anders ging: nämlich bis er heiraten mußte. Bei der sonstigen Beliebtheit, deren er sich erfreute, konnte er diesen Mangel ertragen.

Regine wuchs indessen zur Jungfrau heran. Sie wurde groß, schlank, und ihre Züge erhielten einen bestimmteren Charakter. Ihr Humor blieb indessen ernst und eigen, ihre Haltung erschien etwas steif und ihre Figur gewann nicht die Rundheit, ihr Gesicht nicht die Farbe ihrer Gespielen. Als sie das sechzehnte Jahr erreicht hatte, sagte ein Bursche zu einem andern: »Die Regine ist doch nicht so schön geworden, als man gemeint hat. Wie sie noch in der Schule war, gab's keine hübschere; jetzt wär' mir aber manche lieber wie sie.« – »Mir auch,« erwiderte der andere. Und altklug setzte er hinzu: »So geht's in der Welt!«

Die Reize, die den gewöhnlichen Bauer bestricken, fehlten dem Mädchen in der Tat. Während ihre Gespielen alles wurden, was sie konnten, ging ihr etwas ab, das sie haben sollte. Der Hauptgrund lag in ihrer eigentümlichen Natur, die sich langsam entwickelte; aber es kam dazu noch ein anderer. In ihr lebte eine Neigung von einer Tiefe und Stetigkeit, wie sie unter den Naturkindern des Dorfes eine Seltenheit ist. Äußerlich ging sie ihren Gang; sie lernte und tat alle Arbeiten in Haus und Feld und bildete dabei ihren Verstand und ihr Urteil aus, daß Mutter und Brüder sie nicht selten um ihren Rat fragten und ihn auch befolgten. Dabei hielt sie sich so, daß man ihr so wenig als möglich einredete; denn sich mahnen zu lassen liebte sie nicht, weil sie gern von selber tat, was recht war. Im stillen pflegte sie ihr liebes Geheimnis – das Sinnen und Denken an den Erwählten ihres Herzens.

Die freundschaftliche Beziehung zwischen beiden hatte sich bis in die letzte Zeit erhalten, weiter gediehen aber war sie nicht. Das Mädchen fand keine Gelegenheit, dem Burschen zu offenbaren, wie es in ihrem Herzen aussah, und hätte sie eine gefunden, sie hätte sie nicht benützen können. Während er sich gegen sie gleichblieb, war in ihr die Unbefangenheit des Kindes der zurückhaltenden Scheu der Jungfrau gewichen. Sie hoffte noch immer in den Tiefen ihrer Seele, wonach sie verlangte; zuweilen kamen ihr aber jetzt auch Bedenken und Zweifel, die eine Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit erzeugten. Von alledem sollte niemand etwas merken; denn mitteilend war sie nicht, und eine Freundin, der sie das Geheimnis ohne Gefahr anvertrauen konnte, hatte sie nicht. Sehnsucht, Hoffnung, Furcht und Sorge – das stille Fortglühen einer tiefgegründeten Neigung und das Aufflammen derselben nach einem Gruße, der ihr wieder besonders freundlich erschien – all dieses innerliche Leben, das nicht hervortreten, sollte, zehrte an ihr und hemmte mit eine Ausbildung des Äußern, wie andere sie erreicht hatten.

Als sie im siebzehnten Jahre stand, fanden sich zum Kirchweihfest Gäste eines Nachbardorfes ein, wovon die beiden jungen einige Jahre älter waren als sie. Mit diesen ging sie, das erste Mal, zum Tanz ins Wirtshaus. Die drei Leute setzten sich an einen Tisch in der Zechstube, ließen sich zu trinken geben und plauderten miteinander. Wie sie vergnügt im Zuge waren, kam der junge Meier vom Tanzboden. Er begrüßte sie, trank aus dem dargebotenen Kruge und setzte sich zu ihnen. Nach einer Weile fragte er die Regine lächelnd, ob sie nicht »drei mit ihm machen wolle«? Das Mädchen, halb erfreut, halb verlegen, daß sie den ersten Reihen, den sie öffentlich tanzte, mit ihm tanzen sollte, versetzte: »Wenn du's mit mir riskieren willst, gern. Aber ich weiß nicht, wie's auf dem Tanzboden gehen wird.« Der Bursche nahm sie bei der Hand und führte sie hinaus.

Ihr Tanzen ging ordentlich und gut; denn wo wäre ein Mädchen, das im siebzehnten Jahre nicht walzen könnte? So leicht und lustig wie die Geübteren bewegte sie sich aber doch nicht. Sie war zu gewissenhaft dabei, sie wollte es zu korrekt machen, und es ging daher ein wenig schwerer als bei den andern. Aber Johann, gutmütig wie er war und vergnügt obendrein, lobte sie nach geendetem Reihen dennoch mit Wärme, wies ihre bescheidenen Einwendungen kräftig zurück und benahm sich überhaupt so freundlich, daß der Guten mehr und mehr das Herz aufging. Das glückliche Gefühl und die lebhafte Bewegung machten ihre Wangen röter und ihre Augen glänzender, ihre ganze Person reizender. Der Bursche konnte das nicht übersehen, und als er mit ihr wieder im Reihen ging, sagte er sich: »Die Regine wird doch hübscher, als man gedacht hat. Es kann wohl sein, daß sie die andern noch alle heruntersticht.«

Nach einem Dutzend Reihen führte er sie in die Stube zurück und bot ihr sein Glas, aus welchem sie, fein und sittig, zwei Tröpfchen auf seine Gesundheit trank. Nach einer Weile tanzte er mit dem »andern Bäschen«, und Regine führte der Vetter hinaus. Die Zeit verging, der Abend nahte heran und die Fremden mahnten, das Wirtshaus zu verlassen, weil sie noch bei Tage heimkommen müßten. Als der junge Meier das hörte, wendete er sich zu Regine und sagte: »Vorher muß ich aber noch mit meinem jungen Bäschen ein wenig tanzen, weil's das erste Mal gar so gut gegangen ist.« Das war eine offenbare Bevorzugung. Das Mädchen tanzte diesmal leichter, das Gespräch beider wurde traulicher, und die Blicke der braunen Augen verkündeten die innigste Freude und alle Liebe, die in dem jungen Herzen lebte. Der Bursche gewahrte dies mit Vergnügen; er wurde gleichfalls wärmer, drückte der Guten die Hand, und sie erwiderte den Druck leis und schüchtern. Wie glücklich war sie! Die Hoffnung wuchs empor bis zur Höhe der Liebe; die Lust, die sie empfand, war eine vorläufige Erfüllung, und sie hatte ein Gefühl, als ob die rechte unausbleiblich kommen müßte und keine den Schönen und Lieben zum Mann erhalten könnte wie sie.

Endlich trennte man sich. Regine ging mit den Verwandten nach Hause, und nach der Abendmahlzeit fuhren diese heim. Als Mutter und Tochter allein waren, erzählte die letztere auf Befragen, wie's eigentlich im Wirtshause gegangen und mit wem sie getanzt habe. Obwohl sie es mit der möglichsten Ruhe tat, konnte sie doch nicht hindern, daß auf ihrem Gesicht die Freude glänzte und namentlich die Lippen von einem glückseligen Lächeln umspielt waren. Die Mutter vernahm den Bericht und sah mit großer Zufriedenheit auf sie. Ihr war das Glück freilich nicht gewiß, nicht einmal wahrscheinlich; denn heiraten tut man eine nicht so schnell, wie man mit ihr tanzt und freundlich ist, und um den Sohn des Meiers gab's mehrere und viel reichere Bewerberinnen. Aber möglich war es doch immerhin – und unverhofft ist schon oft gekommen.

Zunächst kam indessen unverhofft ein Trauerfall. Der alte Meier starb eines plötzlichen Todes. Ihn hatte in früheren Jahren nach dem Rieser Ausdruck ein »Schlägle« getroffen; da sich aber der Anfall jahrelang nicht wiederholte, so wurde er immer sicherer, aß und trank nach Appetit und Durst und strotzte von Gesundheit. Auf einmal traf ihn ein Schlag, der seinem Leben in wenig Sekunden ein Ende machte. Der Schmerz der Familie war groß; denn der Meier war noch in den Funfzigen und gegen seine Frau und seine Kinder immer gut und freundlich. Die Gröningersleute zeigten herzliches Beileid, wachten abwechselnd bei dem Toten, trösteten die Angehörigen und halfen nachbarlich und freundschaftlich bei den Zurüstungen zur Beerdigung, der sie in zwei Gliedern beiwohnten.

Die Meierin und ihr Sohn – die Tochter war schon seit einem Jahre an den angesehensten Bauer eines zwei Stunden entfernten Dorfes verheiratet – lebten die nächste Zeit still und eingezogen, wie es der Winter gestattete. Ein Verlust, wie sie ihn erlitten hatten, macht ernst und vermehrt zugleich die Pflichten und Sorgen des Geschäfts. Der junge Meier kam selten ins Wirtshaus und ging früh wieder heim. Freundlich war er gegen alle Leute und insbesondere auch gegen die Familie Gröninger; aber je mehr der Winter vorrückte, desto mehr sah man, daß er ein anderer geworden, dem sorglos fröhlichen Wesen den Abschied gegeben und mit dem Amt des Vaters im Hause auch einigermaßen dessen Haltung und Würde geerbt hatte. Mutter und Sohn erschienen nachdenklicher als sonst, man könnte sagen zurückhaltender und geheimnisvoller. In bezug darauf meinten die Scharfsichtigen im Dorfe, dahinter stecke etwas und es müsse was im Werke sein.

Das Frühjahr kam heran. Die Leute arbeiteten wieder im Freien und hatten öfters Anlaß zu vorübergehenden Gesprächen als im Winter. Eine Mutmaßung, die ein Nachbar des jungen Meiers ausgesprochen, beschäftigte sie bald aufs lebhafteste. Der Mann hatte hinzugefügt: »Ich weiß, was ich weiß, und ihr werdet sehen, daß ich recht habe.« Man sah es. Wenige Tage darauf hieß es im Dorfe: »Der junge Meier hat sich versprochen – mit der Wirtstochter von ***.«

Der Verspruch war eine Tatsache und hauptsächlich das Werk der Schwester Johanns. Diese, welcher der Glanz des Hauses über alles ging, hatte sich schon seit ihrer Verheiratung nach einer ausgezeichneten Partie für ihren Bruder umgesehen. Als sie nun die Rechte ausfindig gemacht, teilte sie es zuerst der Mutter mit, und beide rückten gemeinsam hinter Johann. Die Erlesene war brav, arbeitsam, kräftig, sogar nicht häßlich; der Vater gehörte zu den reichsten Wirten der Umgegend und hatte nur drei Kinder; die Verwandtschaft war angesehen und durchweg aus der höheren Schichte des Landvolks; alle diese Vorzüge wurden dem jungen Mann, einer nach dem andern, entwickelt, beredsam angepriesen, und wie hätte er sich sträuben können ja zu sagen? Er mußte heiraten, zur Bewirtschaftung seines Anwesens gehörte ein junges rüstiges Weib, und eine bessere wußte er der Mutter und Schwester nicht entgegenzusetzen. Anfangs dachte er allerdings an Regine, die noch bei dem Trauerfall ihre warme Anhänglichkeit bewiesen hatte. Aber das Mädchen war zu jung, und was das Vermögen betrifft, konnte sie sich mit der Angetragenen nicht entfernt messen; er fand also nicht einmal den Mut, sie nur zu nennen, und ergab sich in den Vorschlag, indem er tat, was er nach Erwägung aller Verhältnisse für das Beste halten mußte. Dabei hatte er eine Ahnung, daß es der Regine unlieb, recht unlieb sein würde, und der Gedanke tat ihm leid; aber konnte er sich dadurch von Gründung eines Hausstandes abhalten lassen, der sonst in jeder Hinsicht geboten war? – Die Familien des Meiers und des Wirts kamen zusammen und die Verbindung wurde beschlossen.

Es war ein Glück für Regine, daß sie die Nachricht zum erstenmal vernahm, als sie bei der Mutter in der abendlich dunkeln Stube saß. Ihr Taufpate brachte sie. Auf die Frage der betroffenen Witwe, ob's denn auch wirklich wahr sei, erzählte er das Nähere – und Regine hielt sich mit Mühe aufrecht. Sie war auf die erste Rede zu Tod erschrocken und blaß geworden wie die Wand; nach der Frage der Mutter horchte sie mit bebendem Herzen auf die Antwort, und wie sie nicht mehr zweifeln konnte, saß sie erstarrt. Es war ihr, als ob ihr die Seele aus dem Leibe genommen würde.

Der Mann sprach weiter und suchte darzutun, wie passend eben diese für den jungen Meier sei. Regine hatte die größte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen treten wollten. Sie preßte die Lippen zusammen und diese zuckten, wie vor dem Weinen; ihr Herz klopfte mächtig und sie zitterte am ganzen Leibe, aber sie blieb regungslos, und alles das sah man nicht. Nach und nach, während die beiden auf andere Gegenstände übergingen, erhob sich in ihr eine natürliche Kraft des Widerstandes: das Gefühl ihrer selbst, ihr Stolz, wenn man will. Und diesem gelang es, sie ruhiger zu machen und ihr die Stärke zu geben, womit sie sich wieder faßte. Von der Mutter beauftragt, zündete sie in der Küche die Ampel an und kam mit ihr in die Stube. Sie sah nun doch so freudlos und angegriffen aus, daß der Alte sie fragte, was ihr fehle. »Der Kopf tut mir weh,« erwiderte sie mit halber Wahrheit; »auch spür' ich ein wenig Frost.« – »Dann rat' ich dir,« entgegnete jener, »bald ins Bett zu gehen und dich zu halten, damit du nicht den ›Frörer‹ (das kalte Fieber) bekommst.« – Das Mädchen versetzte: »Es wird wohl das beste sein; aber vorher hab' ich noch ein wenig in der Küche zu tun.«

Sie ging hinaus und spülte und richtete den Herd für den andern Morgen. Als sie wiederkam, war die Mutter allein. Regine sagte: »Ich werde nun doch ins Bett gehen, denn die Glieder sind mir wie abgeschlagen.« Die Mutter ahnte einen Teil der Wahrheit; liebevoll ergriff sie die Tochter bei der Hand, sah sie mitleidig an und sagte mit weichem Ton: »Tu das, Kind, und schlaf wohl! Ich hoff', es wird vorübergehen!« Regine zündete ihre eigene kleine Ampel an, sagte, von der Liebe der Mutter gerührt, mit feuchten Augen Gute Nacht und ging in die Kammer.

Als sie allein war und keinen Grund mehr hatte, sich selbst zu bezwingen, überließ sie sich ihrem Schmerz, und ihre Tränen flossen reichlich. Es war zu schön, was sie gehofft – mit der innigsten Zuversicht gehofft hatte! – und es war zu grausam, daß es dahin sein sollte für alle Zeit! Sie hatte geglaubt, der Geliebte müßte der Ihre werden, weil ihn keine so gern habe wie sie, weil keine so zu ihm passe und er mit keiner so glücklich werden könne wie mit ihr. Und nun war das alles nichts! Er hatte nicht an sie gedacht, er brauchte sie nicht, sie hatte sich alles nur eingebildet.

Welch ein Geschenk für das gepreßte Herz – das Geschenk der Tränen! Wie hart und herb das Leid sein möge, wenn diese Quelle fließt, zerschmilzt es, und eine Ruhe kommt in die Seele, die fast etwas Süßes hat. Als Regine sich herzlich ausgeweint hatte, fühlte sie sich wie eine Genesende. Aber sie war müde, ihre Lebensgeister sanken zurück und sie entschlief. Die Mutter trat in die Kammer; sie hörte den regelmäßigen Atemzug des Schlummers und sagte leise für sich: »Gott sei Dank!«

Am andern Tage fühlte das Mädchen sich kräftiger, obwohl sie aus einem verworrenen Traum früh erwacht und nicht wieder eingeschlafen war. Sie konnte an die Arbeit, unter die Leute gehen. Als sie beim Zusammentreffen mit zwei Freundinnen von der großen Neuigkeit reden hörte, blieb sie ruhig. Sie war ernst und sah etwas bleich aus; aber da sie sich durch Munterkeit und Wangenrot nie hervorgetan hatte, so fiel's nicht auf. Niemand gewahrte etwas von dem Zustande ihres Herzens; denn auf dem Dorfe hat man kein Auge für die feineren Offenbarungen des Innern, und zwei junge Leute müssen ihre Neigung schon recht anschaulich machen, wenn sie miteinander ins Geschrei kommen sollen. Die Liebe Regines blieb ihr Geheimnis und ihr alleiniges Eigentum. Die zwei Leute, die etwas davon wußten – die Mutter und der Geliebte selbst – hatten keine Ahnung von ihrer Tiefe und Stärke; sie sahen darin nur eine Anwandlung – einen Wunsch, der wieder vergehen mußte, wenn die Hoffnung vergangen war; und Regine sorgte dafür, sie in diesem Glauben zu erhalten.

Drei Tage nach jenem Abend, wo sie die Nachricht erhalten, begegnete sie dem jungen Meier. Sie nahm sich zusammen, grüßte freundlich und eine wahrhaft edle Güte leuchtete aus ihrem Gesicht, als sie sagte: »Ich wünsche von Herzen Glück, Johann!« – Der Bursche, etwas errötend und mit einer gewissen Unsicherheit im Ton, versetzte: »Ich dank' dir, Regine. Du meinst's gut, das weiß ich.« – »Wirst du bald Hochzeit machen?« fuhr das Mädchen fort. – »Ja,« erwiderte der Bursch, »lang' darf ich nicht mehr warten. In einem solchen Geschäft muß eine Frau sein, wenn man's ausmachen soll im Sommer.« – »Ja freilich,« entgegnete Regine. Und lächelnd setzte sie hinzu: »Du hast dir auch gleich die rechte ausgesucht, die vornehmste in der ganzen Umgegend. Das wird eine prächtige Haushaltung geben! – Nun, meinen Glückwunsch noch einmal!« Sie ging weiter. Der junge Mann fühlte sich wahrhaft erleichtert. Sie hatte sich getröstet, sie nahm's von der guten Seite! – Er ging ruhig nach Hause, und seine ganze Seele wendete sich den Arbeiten und Vorbereitungen des Bräutigams zu.

Wochen flossen hin. Die Brautleute wurden verkündet, der Tag der Hochzeit erschien. Es war die große Angelegenheit des Dorfs. Der Einzug der Braut erweckte bei allen wahre Bewunderung. Solche Wagen voll herrlicher Sachen, solche Kästen, solche schwellende Betten und eine solche Reihe von Wägelchen, besetzt mit den näheren Verwandten des Brautpaars, hatte man seit Menschengedenken nicht gesehen. Die Teilnahme wurde zum ordentlichen Jubel, als der Meier an die weniger bemittelten Leute in seinem Hofe Geld und Bier verteilen ließ und die Beschenkten den Ruhm des Brautpaars und der Ausstaffierung preisend nach allen Ecken und Enden trugen. – Am andern Morgen war alles auf den Beinen. Die Hochzeitlader hatten die im Dorf unerhörte Zahl von sechzehn Tischen, d. h. von hundertachtundzwanzig Gästen angesagt, und obwohl davon immer etwas abzugehen pflegt, so behauptete doch der Schullehrer, er kenne sich darin aus und sehe es einem gar wohl an, wenn er zusage, ohne kommen zu wollen – über fünfzehn Tische würden's gewiß werden. Und unter diesen Gästen, das war bekannt, sah man fast alles, was es im unteren und mittleren Ries an vornehmen und schönen Leuten gab. Als das Glockengeläute erscholl, war der Weg, auf welchem der Zug in die Kirche gehen sollte, dicht von Zuschauern besetzt. Die große Mehrheit gehörte freilich der Jugend und dem weiblichen Geschlecht an; aber auch an Männern und älteren Burschen fehlte es nicht, welche den seltenen Pomp mit ansehen wollten.

Im Kirchhof, nahe dem Tor, standen zwei Mädchen beisammen, die uns vom Palmsonntag her bekannte Rundköpfige und Regine. Diese war in der Kraft, sich selbst zu beherrschen, fortgeschritten und im Innern auch wirklich ruhiger geworden; da nun ihr jüngerer Bruder, und zwar aus besonderen Gründen, auf die Hochzeit gegangen war, so übernahm sie es, ihm für den Gottesdienst das Gesangbuch und zugleich einem auswärtigen Vetter, der unter den Gästen war, einen Gucker (mit Leckereien gefüllte Düte) zu überreichen. Der Zug der Männer, geführt vom Pfarrer und Schullehrer, erschien. Der Bräutigam, mit dem Brautvater in zweiter Reihe, sah ernst, aber tief zufrieden aus: sein Herz war gesättigt von dem Reichtum, der ihm geworden, der Ehre, dem Ansehen, die ihn umströmten und ihm die herrlichste Zukunft verhießen. Als Regine ihn so erblickte, kam doch eine schmerzende Empfindung über sie. Wie glücklich war er, wie hatte er alles, was er brauchte, alles, was er wünschte – ohne sie! Wehmütig verzog sich ihr Mund, und es war ihr lieb, daß der Bruder und der Vetter nachkamen und das Überreichen der beiden Sachen sie von ihren Gedanken abzog. Nun aber folgte der Zug der Frauen. Die Braut erschien im reichsten Staat, in blendendem Horbet (Kopfputz der jungfräulichen Bräute). Ihr gesundrotes Gesicht leuchtete ordentlich, und wenn sie nicht in feinem Sinn schön war, so sprach doch ein Selbstgefühl aus ihr, das ihr ein wahrhaft vornehmes Ansehen gab. Alles schaute, nickte sich zu und flüsterte Bewunderung.

Wie der Zug vorüber war, wendete sich die Freundin vergnügt zu Regine, hatte sie aber kaum angesehen, als sie rief: »Was ist denn dir? Warum siehst du denn so ernsthaft aus?« Das Mädchen errötete, versuchte zu lächeln und erwiderte: »Du kennst mich ja; ich hab' eben den Humor nicht wie du.« – »Nun ja,« versetzte die andere; »aber wenn man so schöne Sachen sieht! Die Hochzeiterin ist wahrlich prachtvoll angezogen. Was das für ein Horbet ist und was für ein Kleid! Aber einen Stolz hat sie auch, wie er einem nicht alle Tage vorkommt! Der sieht man an, daß sie eine Wirtstochter ist, und das eine reiche!« – Regine, die sich gefaßt hatte, erwiderte mit sanftem Ton: »Warum soll sie sich nicht freuen und sich nichts einbilden? Sie hat ja alles, was man haben kann auf der Welt.« – »Das ist wahr,« sagte die andere. »Wenn eine so einen guten und schönen Mann bekommt und so einen Hof, da kann sie den Kopf schon hoch tragen. – Wie doch manche Leute so glücklich sind!« fuhr sie mit einer Art Seufzer fort. Doch schnell setzte sie in hellerem Tone hinzu: »Nun, in Gottes Namen! Meierin kann nicht jede sein; und am Ende kann man auch glücklich leben ohne das.« – »Ja wohl,« sagte Regine; »besonders wenn man deinen vergnügten Sinn hat.« – »Ja, den hab' ich,« versetzte das Mädchen, »und das ist auch mein Glück. – Kommst du heut auf den Ansing?« – Regine schüttelte den Kopf: »Meine Brüder gehen drauf und meine Mutter hilft der Wirtin, die noch nie eine so große Hochzeit gehabt hat wie dasmal. Eins muß zu Hause bleiben.« – »Nun,« versetzte die andere, indem sie sich zum Fortgehen anschickte, »dann laß dir die Weile nicht lang werden, ich geh' zum Tanz.« Sie entfernte sich, und Regine ging still nach Hause.

Glückliche Brautleute machen auf das tiefer empfindende Gemüt immer einen eigenen Eindruck. Man fühlt die Poesie des Moments, die Fülle des Glücks, das in der duftigsten Blüte dem Paare winkt; es ist das holdeste Bild. Aber wer dadurch an eigene Entbehrung erinnert wird, für den mischt sich dem schönen Gefühl des Anteils etwas Melancholisches und eine Art von Leid bei. Die Möglichkeit, ebenfalls glücklich zu sein, stellt sich vor die Seele, die Sehnsucht erwacht – und das Gefühl des Mangels erzeugt eine stille Trauer im Herzen, die geraume Zeit dauern kann, ehe sie wieder verklingt.

Wenn das schon Unbeteiligten begegnen kann, wie muß es erst der Seele sein, die den Heißgeliebten ewig einer andern verbinden sieht! – In unserem Landmädchen war bei dem Anschauen der Glücklichen, die nun haben und behalten sollte, was ihr eigenes einziges Hangen und Verlangen gewesen war, alle Leidenschaft und aller Schmerz wieder erwacht. Sie rang mit ihrer Empfindung, kämpfte mit der Bitterkeit ihres Herzens und segnete die Geschäfte des Hauses, die sie heute an Stelle der Mutter zu besorgen hatte und von denen sie hoffte, daß sie ihr zum Trost gereichen würden. Die Bereitung des Mittagessens, das Gespräch während desselben mit dem älteren Bruder und den Ehehalten, die Reinigung der Geschirre mit der Magd erhielt ihren Geist auch wirklich auf der Oberfläche und im Äußerlichen, indem sie noch dazu Gewalt anwandte, ihn nicht in die Tiefe sehen zu lassen.

Als aber der Bruder mit den Ehehalten zur Tagesarbeit gegangen und sie allein im Hause war, da trat das Herz wieder ganz in seine Rechte. Es war in der schönsten Zeit des Jahres, im Juni vor der Heuernte, der Tag klar und warm, ohne durch Hitze zu belästigen. Durch die unlängst geputzten Fenster schien die Sonne glänzend aus den Tisch der großen Stube, in der nur Licht und unendliche Stille herrschten. Hier saß Regine bei einer Näharbeit. In der völligen Einsamkeit, in der heute kaum eine Störung zu befürchten war, ließ sie die Gedanken ihrer Seele, die sie so lang' im Zaum gehalten hatte, unwillkürlich frei, und diese gingen ihren lieben und schmerzlichen Gang. Alle Gefühle, die jemals ihr Herz durchzogen hatten, erstanden wieder in ihr. Und es war so süß dieses Verlangen, diese Liebe, dieses Leid – dieses Zittern und Bangen im Herzen, das niemand kannte und das niemand ihr nehmen konnte. Das schlichte, aber von der Mutter Natur mit lebendigem Sinn und tiefem Gemüt ausgestattete Mädchen fühlte, daß derjenige, den man so schön vor Augen, den man so unendlich lieb hat und um dessentwillen man leide, einem doch auch gehöre, und daß man etwas von ihm habe, wovon die andere, die Glückliche, nicht wisse. Sie feierte in dieser Stunde selbst eine Art Verbindung mit ihm. Ihre Liebe war allerdings nie so schmerzlich wie jetzt, aber auch nie so mächtig, so glühend und so schön emporgelodert.

Auf einmal wurde die Stille des Raums unterbrochen durch Töne der Freude. Das Mahl in dem nur einige hundert Schritte entfernten Wirtshaus war vollendet, die Musik, das Tanzen begann, und zu einem lustigen Walzer, den eine gute Klarinette hell vortönte, erschollen die Juhschreie der tanzenden Burschen. – Die Seele des Mädchens wurde dadurch aus dem Innern herausgerissen in die wirkliche Welt. Sie mußte sich vorstellen und sie stellte sich vor, wie's im Wirtshaus zuging – die Lustbarkeit, das frohe Gedräng', den Bräuteltisch, die Brautleute. Und wie sie nun die Braut sich dachte an der Seite des Bräutigams, wie sie beide nach Art der Brautleute sich feierlich liebevoll betrachten und wechselseitige Freundlichkeiten erzeigen sah, da keimte ein Neid – ja, ein Neid in ihrer Seele. Die schmerzlich süßen, liebenden Gefühle wandelten sich in dem beraubten, tiefgekränkten Herzen in peinvolle. Tränen drangen in ihre Augen. Sie legte die Arbeit weg, ließ den Tränen ihren Lauf und weinte bitterlich.


In der Stadt.

Man hat früher unrecht gehabt, das Leben auf dem Lande sich empfindsam-idyllisch vorzustellen und das Dorf als den Sitz der Unschuld, der Aufrichtigkeit, der Gemütlichkeit und der zärtlich uneigennützigen Liebesneigung ohne weiteres anzusehen. Nicht minder falsch ist es aber, wenn man, wie es jetzt hier und da geschieht, dort nur derbe, rohe Natur, gemeinen Weltverstand und Verschmitztheit erblicken will. Das Landvolk ist in seinen echten und guten Naturen rührend schöner Empfindungen fähig; zärtliche Liebe, standhafte Treue, glückselige Freude, Entzücken und tiefes Herzeleid finden wir dort so gut wie in den höheren Klassen. Aber die Formen, in denen alles das erscheint, sind schlichter, unmittelbarer – gröber, wenn man will, und die Motive dazu müssen dringender sein. Und Gefühle, die in den höheren Klassen vorsätzlich gepflegt werden können, währen hier nicht länger, als es in einem Leben voller Tätigkeit natürlich ist.

Regine finden wir, nachdem seit der Hochzeit des Meiers Wochen verflossen waren, gefaßt und ruhig. Die Heuernte war vollendet, die Kornernte hatte begonnen, und da nach einigem Warten gutes Wetter erschien, so war die einzige Sorge des Bauern, den Segen des Feldes so rasch wie möglich heimzubringen. Regine schaffte gewissenhaft; ohne unmüßig zu tun, richtete sie aus, was ihr zukam; was man ihr auftrug, war besorgt. An ihrem Wesen bemerkte man gegen früher keine Veränderung, als daß ihr Ton im Gespräch mehr Weichheit, zugleich aber auch eine Überlegenheit ausdrückte, die man sonst nur an älteren Personen wahrzunehmen pflegt. Ihre Gestalt war noch etwas »rahnenger« (schlanker) geworden; das konnte man aber der Arbeit in der Hitze zuschreiben, die in der Regel eine gewisse Abmagerung zur Folge hat.

Als die Haupternten wohl aufgehoben waren, feierte die Familie Gröninger ein seit länger vorbereitetes glückliches Ereignis: die Heirat des Fritz mit einer wohlhabenden Bauerntochter aus dem mittleren Ries. Der stattliche Bursche hatte sie auf der Hochzeit des Meiers, wo sie als Gast war, so zu gewinnen verstanden, daß sie ihrem Vater, dem ein reicherer Schwiegersohn lieber gewesen wäre, die Zustimmung abnötigte und er über mehrere gefährliche Bewerber triumphierte. Die Hochzeit wurde mit nicht viel geringerem Glanz gehalten wie die des Meiers, und der junge Ehemann übernahm den Hof. Regine zog mit ihrer Mutter in die obere Stube des Hauses, und der ältere Bruder versah bis auf weiteres die Stelle eines Oberknechts.

Da die junge Frau gutmütig und verständig war, so lebten sie verträglich miteinander fort. Durch die Heirat hatte die Familie einen Schritt aufwärts gemacht; man ehrte die »junge Bäuerin« als die Wohltäterin des Hauses, und sie war dankbar dafür. Die alte Gröningerin konnte gar nicht sagen, was sie für eine gute und liebe Schwiegertochter bekommen habe. Regine freute sich des Glücks, das ihrem Bruder zuteil geworden; sie fand aber nach und nach, daß sie weniger zu tun hatte als sonst, und daß man sie eigentlich nicht notwendig brauchte; und da sie ihrerseits nicht ans Heiraten denken konnte, so hatte ihre ganze Existenz etwas Zielloses, dessen Gefühl sie mehr und mehr in eine traurige Stimmung versetzte.

Im Dorfe gab es kein Mittel, ihr diese Stimmung zu benehmen, und einer, der sonst alles gekonnt hatte, trug dazu bei, sie zu steigern. Der Meier nahm noch immer einen eigenen Anteil an seinem Bäschen. Er grüßte sie freundlich, wenn er ihr begegnete, und wechselte, wenn es sich irgend schickte, gemütliche Worte mit ihr. Aber sie konnte bald bemerken, daß diese Freundlichkeit eine besondere Art hatte. Auf dem Lande erhebt man sich nämlich durch die bloße Verehelichung auf eine höhere Stufe des Ansehens. Wenn von zwei Burschen gleichen Alters der eine heiratet, so wird er von jüngeren Leuten »geihrzt« (Ihr angeredet) und entsprechend geehrt, während der andere geduzt und als Kamerad behandelt wird. Kommt zu der Würde des Ehemanns noch das Ansehen der Herrschaft über ein großes Besitztum hinzu, dann hat man alle Ehre und Achtung, die das Dorf erweisen kann. Im Genuß steigert sich aber das Selbstgefühl auch des Gutmütigsten, und niemand könnte verlangen, daß so einer sich immer noch betrage wie vor seiner Erhöhung. Eine solche Umänderung war jetzt deutlich auch an dem Meier zu bemerken. Die Freundlichkeit, die er gegen Regine bewies, hatte etwas Väterliches – väterlich Spielendes. Daß eine solche der Jungfrau nicht wohltun konnte, begreift sich. Als einmal ein Gruß von ihm geradezu herablassend klang, wie wenn er einem Schulmädchen gespendet wäre, verzog sie, als sie vorüberging, gekränkt ihren Mund und lächelte traurig vor sich hin.

Von dieser Wirkung seines Zurufs hatte der Meier, der in sein jetziges Benehmen ganz unbewußt hineingekommen war, keine Ahnung. Er tat seinem Gefühl nach nur, was ihm durchaus zustand; und da zu dem Interesse, das er für das Mädchen noch immer empfand, das Vergnügen kam, welches guten Menschen die Herablassung an sich zu gewähren pflegt, so änderte er seine Begrüßungsart nicht und hatte immer eine angenehme Empfindung, wenn er seine Verwandte sah.

Auf einmal aber sah er sie nicht mehr. Regine hatte den Ort verlassen; sie war nach Augsburg gegangen, in den Dienst einer ihr verwandten Bürgersfrau.

Zwischen Augsburg und dem Ries besteht eine alte Verbindung. Junge Burschen, sowohl von der Stadt Nördlingen als vom Lande, suchten dort von jeher ihr Glück und siedelten sich nach Umständen auch darin an. Junge Mädchen traten in Dienst, oft mehr zu ihrer Ausbildung, um etwas zu sehen und zu lernen, als durch Not dazu getrieben. Auch solange für das Ries Ansbach die Kreishauptstadt war, ging der Zug der jungen Leute nach dem Zentralort von Schwaben. Hier war es ihnen am heimlichsten, hier fanden sie am leichtesten Unterkunft, und das ist so geblieben bis auf den heutigen Tag.

Die Base der Familie Gröninger hatte als Tochter eines bemittelten Bauern dort gedient und die Aufmerksamkeit eines rüstigen Bäckergesellen auf sich gezogen. Als dieser im Verlauf traulicher Gespräche die angenehme Kunde von ihrem Vermögensstande erhielt, nahm er sie zum Weib und erwarb sich ein Geschäft, das er durch fleißigen und gewissenhaften Betrieb mehr und mehr emporbrachte. Die Rieserin wurde eine ansehnliche Bäckersfrau und bildete sich nicht weniger ein als eine geborene Augsburgerin. Aber stets hing ihr Herz an der Heimat, an den Rieser Landsleuten, und als sie durch einen Nachbar ihrer Verwandten erfuhr, daß die Regine ein besonderes, geschicktes Mädchen, aber seit der Verheiratung ihres Bruders im Hause fast zu viel sei, beschloß sie unter Zustimmung ihres Mannes, das Bäschen zu sich zu nehmen.

Regine hatte von dem aus Augsburg heimgekehrten Nachbar kaum den Wunsch der Bäckermeisterin vernommen, als sie sogleich entschlossen war, ihm zu folgen. Mutter und Brüder hatten nichts einzuwenden, und nach wenigen Tagen fuhr sie mit einem befreundeten Getreidehändler auf offenem Wägelchen der Stadt zu.

Schon auf dem Wege dahin ward es ihr freier und froher zumute. Bei der nicht gewöhnlichen Begabung, die wir an ihr kennen, hatte sie immer mehr Sinn für die Dinge außer ihr gehabt als ihre Gespielen. Nun freute sie sich an den neuen Orten, durch die sie kam, an der Gegend, den Kirchen und Schlössern rechts und links, die sie zum erstenmal erblickte. Der Tag war einer von den angenehmen der späteren Jahreszeit. Weißes »Frauengarn« zog durch die Luft und hängte sich an die Kleider; die Landschaft war still und die Farbentöne hatten die ganze Milde herbstlichen Duftes. Nach und nach kam über die Seele des Mädchens eine sanfte Melancholie, wie sie recht gut mit stillem Wohlgefühl sich verbinden kann. Als sie nun endlich die Stadt erblickte mit ihren altehrwürdigen Türmen, ihren Häusern, Mauern und Wällen, als sie die Spaziergänger vor dem Tore sah, welche den vielleicht letzten schönen Abend noch genießen wollten, da fühlte sie sich ordentlich angeheimelt, und sie meinte, da drinnen gar wohl zufrieden und glücklich leben zu können.

Von der Bäckerin und ihrem Mann wurde sie freundlich empfangen. Sie glaubte es ihnen anzusehen, daß sie willkommen war, und freute sich darüber.

Nach den ersten Fragen und Antworten besprach die Frau das Nähere ihres Verhältnisses. Regine sollte die Stelle der Hausmagd versehen, die verabschiedet worden war, und Lohn und Geschenke erhalten wie diese; wenn sie aber brav und fleißig wäre, sollte es ihr wohlgehen und sie sollte merken, daß sie bei Freunden sei. Die wohlhäbigen Gestalten – die Frau mit lebhafter, der Bäcker mit ruhig gutmütiger Teilnahme – flößten ihr Zutrauen ein. Außer ihnen befand sich noch ein Geselle und ein Lehrjunge im Hause, deren Gesichter und Benehmen beim Abendessen auch verrieten, daß sie zu der besseren Menschenart gehörten, und Regine legte sich in ihrer Kammer mit der Überzeugung zu Bette, daß ihre Hoffnung sie nicht betrogen, daß sie hier zufrieden, viel zufriedener leben werde als zu Hause. Sie hatte ordentlich ein süßes Gefühl, weit von der Heimat weg und unter fremden Menschen für sich allein zu sein.

Nach wenigen Tagen schon gingen ihr die Arbeiten leicht von der Hand, und der Gang des Lebens fing an ihr gewohnt zu werden. Ein sanftes Behagen erfüllte ihre Seele. Was sie erblickte, hatte für sie den Reiz der Neuheit, beschäftigte sie, und ihre Pflichten waren in keiner Art schwer. Die häuslichen Dienste verrichten, der Base kochen oder Brot ausgeben zu helfen, Einkäufe zu machen – dies und anderes war viel weniger mühsam als die ländlichen Arbeiten im Sommer, welche auch die robuste Natur etwas wissen lassen. Die größere Einfachheit und die Regelmäßigkeit der Geschäfte war nach ihrem Sinn, ebenso die ganz besondere Reinlichkeit des Hauswesens.

Wochen, Monate vergingen unter wechselseitiger Zufriedenheit. Regine hatte das Glück, bei glücklichen Leuten zu sein. Die einzige Tochter war auswärts nach Wunsch verheiratet, der um etliche Jahre jüngere Sohn hatte eine Wanderfahrt angetreten und schrieb jetzt aus Berlin erfreuliche Briefe. Mann und Frau waren gleichmäßig gesund, und das Geschäft blühte – wie hätten Menschen, denen es so gut ging, nicht auch gegen andere gut sein sollen? – Die Base hatte überdies ihre Freude an Regine, weil sie ihr verständig folgte und der Lehrmeisterin Ehre machte. Sie konnte nicht umhin, sie zuweilen von der Seite wohlgefällig anzusehen und dabei eine Miene zu machen, als ob sie ihre besonderen Gedanken hätte. Auch der Lehrjunge war dem Mädchen ergeben und half ihr oft, ohne daß es ihm befohlen war, und der Geselle hatte einmal gar schon zu viel Neigung blicken lassen, in der Art indessen, wie Regine sie aufnahm, keine Ermutigung, sondern für gut gefunden, sein Gefühl in den Grenzen hausgenössischer Freundschaft zu halten.

Diesem Gesellen war es nicht zu verdenken, wenn er, eines Sonntags durch etliche Halbe kühner gemacht, an Regine eine Art Liebeserklärung richtete. In dem Frieden ihres Lebens hatte sie sich nach und nach entwickelt, ihre Gliedmaßen waren runder, ihre Wangen blühender geworden, und die Gestalt, ohne den Charakter der Schlankheit zu verlieren, war zu der sinnlichen Fülle gereift, in welcher allein die volle Anmut des Weibes an den Tag tritt. Nun sah man auf einmal, wie schön sie eigentlich war, – wie ungewöhnlich schön. Ein Ausdruck, der immer noch auf ein geheimes Leid, auf inneres Ungenügen zu deuten war, – ein Hauch wehmütigen Lächelns und ein schamhaftes Abwehren, wenn man sie lobte – alles das tat dieser Schönheit keinen Eintrag, sondern erhöhte sie und machte sie bedeutender.

Endlich erschien der Frühling. Das Stadtleben bekam eine neue Annehmlichkeit für unser Bauernmädchen durch größere Spaziergänge, die sie an Ausgehtagen machen konnte. Sie hatte eine muntere Landsmännin kennen gelernt und betrachtete mit ihr an Festtagen Stadt und Umgegend näher, als es bei Geschäftsgängen möglich war. Die schönen Straßen, die prächtigen alten Gebäude sah sie mit großem Wohlgefallen und nicht ohne eine Ahnung von dem Gefühl, das man haben muß, wenn man einer solchen Stadt angehört und z. B. sagen kann: »Das ist unser Rathaus!« – Dann war es ein besonderes Vergnügen, vors Tor und zwischen den herrlich belaubten Baumreihen um die Stadt zu gehen und die Wälle, Gräben, Zwinger und Mauern zu beschauen. Hatte sie längeren Urlaub erhalten, dann besuchte sie die städtchenähnlichen Dörfer der Umgegend, oder Felder und Wiesen, die sie gelegentlich auch näher prüfte und mit den rieserischen verglich. Sie hatte die Gabe, sich an all diesen interessanten und schönen Gegenständen nicht nur zu freuen, sondern sie auch in sich aufzunehmen und in der Seele zu behalten.

Im Laufe des Sommers wurde sie von der Bäckermeisterin selber zuweilen mitgenommen, wenn diese in Gesellschaft einiger Freundinnen einen Vergnügungsort außerhalb der Stadt besuchte. Man wußte, daß es eine Verwandte, die Tochter nicht unbemittelter Leute war, und sie bekam bei solchen Ausflügen auch immer etwas zu tragen und gesellte sich selber bescheiden zu den geringeren Teilnehmerinnen oder zu einer mitfolgenden Kindsmagd; darum brauchten die stattlich geputzten Bürgersfrauen sich ihrer nicht zu schämen und nicht zu fürchten, daß sie die Gesellschaft verunziere. Die männlichen Gäste solcher Orte fanden dies auch in der Tat niemals; gar mancher war der Ansicht, daß Regine vielmehr eine Zierde des Tisches, ja das einzige sei, um dessentwillen es sich der Mühe lohne, hinzusehen.

Überhaupt fand das Mädchen immer mehr Anerkennung, nicht nur bei Männern, sondern auch bei Frauen und Jungfrauen, die mit ihr zusammenkamen. Man lobte sie gegen die Bäckerin wegen ihrer Schönheit, wegen ihres guten Benehmens, ja wegen ihres Anstandes, und meinte, wenn sie ihren bäurischen Anzug ablegte und sich städtisch kleidete, würde sie hier ihr Glück machen können. Die Base fühlte sich durch solche Reden geschmeichelt und lächelte mit einem Blick, als wollte sie sagen: »Das könnte wohl sein!«

In jener Zeit vertauschten die dienenden Bauernmädchen ihre Dorfkleidung noch nicht so leicht mit der städtischen, und wer an Markttagen durch die Straßen Augsburgs ging, der konnte noch eine erkleckliche Zahl von »Rieserinnen« erblicken, die jetzt dort als solche immer weniger hervortreten. Der Regine wäre es im Traum nicht eingefallen, ihre mitgebrachten Kleider – gute für Alltag, schöne für Sonn- und Feiertage – als nicht mehr gut genug wegzulegen und sich andere anzuschaffen. Sie wollte in Augsburg dienen und etwas lernen, und das konnte sie recht wohl in ihrer Tracht. Eine Mamsell zu werden und in der Stadt zu bleiben, war ihre Absicht weder bei ihrer Hierherkunft gewesen, noch in der Folge geworden.

Der Bäckerin hatte indes jene Bemerkung um so mehr eingeleuchtet, als ihr schon der nämliche Gedanke gekommen war. Sie liebte das Mädchen und gönnte ihr ein Glück, das sie hier vorzeiten selber gemacht hatte. Als Bürgersfrau einer so großen Stadt fühlte sie sich doch um ein gutes höher wie eine Rieser Bäuerin; und Regine war geschickt und hübsch genug, um einen zu finden, der sie ebensoweit brachte. Sie war auch wirklich zu gut für das Land, zu gut für einen Bauer, der am Ende gar nicht wußte, was er an ihr hatte.

Als sie sich eines ruhigen Nachmittags in der Stube mit ihr allein befand, warf sie einen heiter wohlwollenden Blick auf sie und sagte: »Mädchen, du hast dich gut gemacht bei mir; wahrhaftig, das Stadtleben ist dir angeschlagen.« – »Nun,« versetzte Regine, »es geht mir auch grad nichts ab hier bei Ihnen, und ich hab' ein gutes Leben.« – »Das ist wahr,« entgegnete die Frau. »Du bist aber auch anstellig, weißt dich in alles zu schicken und paßt überhaupt für die Stadt.« Sie sah einen Moment auf den Tisch und fuhr dann fort: »Weißt du, was ich täte an deiner Statt?« Regine schaute sie fragend an. – »Ich täte diese Bauernkleider verkaufen und mir französische anschaffen.«

Diese Zumutung kam dem Mädchen so unerwartet, daß sie fast lachend rief: »Ach warum nicht gar!« – Die Base versetzte: »Ich mach' keinen Spaß, ich red' im Ernst. Die Rieser Tracht steht dir gut, aber die andere würde dir noch besser stehen.« – »Deswegen!« rief Regine, indem sie etwas geringschätzig die Achsel zuckte. – »Nun,« versetzte die Base, »das ist gar nicht so zu verachten. Man kann nicht wissen, wem man da gefällt und was dann noch möglich ist.« – »'s kann sein,« erwiderte Regine, diese Worte mißverstehend oder mißverstehen wollend; »ich will aber nicht immer hier dienen, sondern einmal mein eigener Herr werden.« – »Davon ist ja gerade die Rede,« entgegnete die Bäckerin. »Du solltest dich eben anders kleiden, damit du einem gefällst, der dich zu seiner Frau machte.«

Das Gesicht des Mädchens wurde mit einem Male ernst. Nach einigem Besinnen erwiderte sie: »Daraufhin, Frau Base, will ich meine Bauernkleider doch nicht ablegen. Ich bin hierher gekommen, weil Sie mich eingeladen haben und weil ich mich auch in der Welt ein wenig umsehen wollte. Ich hab' aber nie an was anderes gedacht, als daß ich wieder zu meinen Leuten heimgehe und mich dort am Ende verheirate, wenn mich nämlich einer mag. Daß mich einer aus der Stadt heiraten könnte, das ist mir nicht in den Sinn gekommen, und ist auch,« setzte sie lächelnd hinzu, »eine ungewisse Sache. Wenn ich nun meine Kleider verkaufte und mir französische anschaffte, und es käme doch keiner und ich müßte wieder ins Ries heim, dann hätt' ich mir vergeblich Unkosten gemacht und würde nur ausgelacht.« – »Mädchen,« sagte die Base, »zier dich nicht so und stell dich nicht so unschuldig. Du weißt recht gut, daß du hübsch bist und daß die Leute auf dich sehen. Ich wette darauf, wenn du dich danach kleidest, du gefällst einem vermöglichen Mann und wirst eine angesehene Frau hier.« – »Ja,« erwiderte Regine bedenklich, »zum Heiraten ist's aber nicht genug, daß ich einem gefalle – er muß auch mir gefallen.« – »Ei was,« versetzte die Bäckerin, »das gibt sich schon. Du wirst doch nicht eine sein, der keiner gut genug ist?« – »Das nicht,« entgegnete das Mädchen, indem eine leichte Röte über ihr ernstes Gesicht flog. – »Also folg meinem Rat,« sagte die Bäckerin.

Nach einem Moment des Schweigens erwiderte Regine mit einem Gesicht, das einen gefaßten Entschluß verriet: »Frau Base, nehmen Sie mir's nicht übel, wenn ich's vorderhand doch nicht tun kann. Wenn ich einem gefallen soll, dann werd' ich ihm auch in diesen Kleidern gefallen. Und wenn einer kommt und er gefällt mir auch, dann ist's immer Zeit, andere zu kaufen. Wegen der bloßen Vermutung will ich mich nicht anders tragen.« – »Du tust unrecht,« entgegnete die Base. »Möglich ist's freilich, daß es auch ohne das geht, wie es bei mir selber gegangen ist. Aber wir leben in einer andern Zeit, und besser ist besser. Man muß den Mannsbildern entgegenkommen!« – Regine schüttelte ernstlich den Kopf und versetzte: »Nein, Frau Base, das muß man nicht. Und ich sag' Ihnen jetzt, wie ich's meine: wem ich nicht in diesen Kleidern gefalle, dem will ich gar nicht gefallen.« – »Ei, ei,« sagte die Frau, »das ist mir ganz neu an dir! Bist du so stolz? Daß dich's nur nicht einmal reut, wenn du dein Glück versäumst, weil du dich so kostbar machst!« – »Mich wird nichts reuen, Frau Base,« entgegnete das Mädchen. Nach kurzem Bedenken setzte sie hinzu: »Ich sehe wohl, daß Sie's nur gut mit mir meinen, und ich dank' Ihnen dafür. Aber lassen Sie mich bleiben, wie ich bisher gewesen bin.« Dies war in einem Tone gesagt, welcher bat: reden wir nicht weiter von der Sache. Und die Bäckerin verstand es und schwieg, indem sie hoffte, die ihr aus Erfahrung bekannte Bauernsprödigkeit werde sich mit der Zeit von selbst mindern und das Mädchen sich nachgiebig finden lassen.

Regine hatte diesen Abend eine eigene Empfindung. Durch die Reden der Base war sie genötigt worden, an ihre Zukunft zu denken; und nun fühlte sie plötzlich klar, daß ihr nicht etwas zulieb, sondern zuleid geschähe, wenn ein Bürger von Augsburg sie zur Frau begehrte; gegen den Besten hatte sie etwas, daß es ihr war, als ob sie ihn nicht lieben könnte. – Ihr war das Leben in der Stadt nur eine Auskunft für eine Zeit. Der Gedanke, immer darin zu bleiben, widerstrebte ihr; ihr innerster Sinn stand nach dem Dorf zurück. Auch die Vorstellung, als stattliche Bürgerfrau zu Haus einen Besuch zu machen und dort sogar die Meierin in Schatten zu stellen, reizte sie keineswegs.

Die Bäckerin ließ sie ruhig gehen. War sie ja noch jung und bildsam. Wenn sie noch etliche Monate in der Stadt blieb, kam ihr der Wunsch, sich vornehmer zu kleiden und einem Augsburger zu gefallen, wohl von selber. – Eine geraume Zeit verstrich, und Regine dachte nicht mehr daran, daß die Frau ihr Zureden erneuern könnte. Da kam es eines Tages doch wieder dazu.

Die Base hatte einen Verwandten ihres Mannes, den Sohn eines wohlhabenden Bräuers, sagen hören, er habe lang' kein so hübsches Rieser Mädchen gesehen wie die Regine. Schade wär's, daß sie noch immer in ihrem Bauernrock umherliefe; wenn sie angezogen wäre, wie sich's gehörte, könnte sie ihm selber gefallen. – Von dieser Bestätigung ihrer alten Ansicht getroffen, ging die Bäckerin heim, erzählte die Rede und knüpfte eine ernstliche Ermahnung daran. Sie sagte: »Du siehst jetzt, wie die Leute denken. Es ist einmal nicht anders: Kleider machen Leute, und wenn man Respekt haben soll vor einem, so muß er wie unsereins aussehen. Drum folg mir jetzt. Deine Mutter wird's gerne zugeben, wenn ich's ihr schreibe, und das Geld, wenn's nötig ist, will ich dir vorschießen. Ohne dich zu loben, Mädchen – aber du machst dich wahrhaftig immer besser. Du hast ein Benehmen, als ob du in der Stadt aufgezogen wärst, und du würdest dein größter Feind sein, wenn du nicht hier bliebst. Wenn du angezogen bist wie andere Leute, kann ich dich auch in Gesellschaft mitnehmen und den Leuten sagen: das ist mein Bäschen. Du wirst sehen, du machst dein Glück!«

Regine hatte während dieser Rede zu Boden gesehen; emporblickend erwiderte sie mit dem Ton des Bedauerns »Frau Base, es tut mir leid, daß Sie wieder auf diese Sache kommen. Ich hab' Ihnen gesagt, warum es nicht geht, und das hat sich die Zeit her nicht geändert.«

Die Frau nahm diese Rede nicht gut auf. »Wie,« rief sie mit vorwurfsvollem Blick, »ist das nichts, wenn ein solcher Mensch, der einmal eine von den ersten Brauereien bekommt, so über dich redet?« – Regines Mund verzog sich zu einem unmerklich spöttischen Lächeln, und indem sie der Base ins Gesicht sah, erwiderte sie: »Glauben Sie, daß der mich jemals heiraten würde?«

Die Base war betroffen; denn ehrlich, wie sie war, konnte sie auf diese Frage nicht mit ja antworten. Sie schwieg einen Moment und sagte dann ernsthaft und nachdrücklich: »Alles ist möglich.« – »Jawohl,« versetzte Regine, »aber nicht wahrscheinlich. So einer will eine Frau mit zehnmal soviel Geld, als ich bekomme, und da hat er auch ganz recht. Von mir, wie Sie erzählen, hat er auch nur gesagt, daß ich ihm in Stadtkleidern gefallen könnte, und nicht, daß er mich dann heiraten möchte. Aber,« setzte sie mit Selbstgefühl und einer Andeutung von Geringschätzung hinzu, »um so einem nur zu gefallen, ändr' ich meinen Stand nicht und mach' mich nicht zur Stadtmamsell. Das würde sich der Mühe nicht lohnen.«

Die Frau war durch diese Art von Zurückweisung ernsthaft verletzt. Mit strafendem Nachdruck entgegnete sie: »Wenn man ein Mädchen heiraten soll, muß sie einem vorher gefallen. Damit fängt's an. Und wenn's der nicht ist, dann ist's ein anderer. Es gibt Leute hier, die weniger verlangen, was das Vermögen betrifft, und dies auch wohl können, weil sie's nicht brauchen. Und um eine Frau zu bekommen, die man gern hat, tut man viel, wenn man sein eigener Herr ist.«

»Frau Base,« versetzte das Mädchen mit Ernst, »nehmt mir's nicht übel – es geht nicht und es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Stadtkleider anzutun und damit auszugehen, um einen Stadtherrn zu fangen – das kann ich nicht, das leidet mein Charakter nicht. Wenn einer so kommt und er gefällt mir und ich sehe, daß ich glücklich mit ihm leben kann, dann will ich mich gern anders kleiden und alles tun, was in der Ordnung ist.« – »So kommt keiner!« rief die Base mit der Bestimmtheit des Unmuts. »Es wär' einfältig von dir, auf einen zu warten.« – »Das tu' ich auch nicht,« erwiderte Regine mit Ruhe. »Die Augsburger Herren können ausbleiben, solang' sie wollen; ich hab' noch an keinen gedacht, und es sieht nicht danach aus, als ob sich mein Sinn ändern würde.«

»Gut,« versetzte die Frau; »ich sehe nun, wie's steht mit dir. Du bist eigensinnig und stolz, und anstatt dich in die Welt zu schicken, meinst du, die Welt müsse sich nach dir richten. Mit dieser hochmütigen Einbildung wirst du aber zu nichts kommen und dich nur unglücklich machen auf dein ganzes Leben.« – »In Gottes Namen!« sagte Regine nach kurzem Schweigen. »Was einem bestimmt ist, das muß man auf sich nehmen, und ich bin bereit dazu.«

Dies war mit einem Ernst und einer Ergebung gesprochen, daß die Base nichts zu entgegnen wußte. Sie blieb sitzen und sah mit Unmut auf den Tisch. Regine ging an eine Arbeit.

Das Schmollen der Bäckermeisterin dauerte mehrere Tage. Es war zu unerwartet für sie, dieses gänzliche Verwerfen eines Planes, den sie zu dem Besten des Mädchens ersonnen hatte und der ihr so verständig und natürlich vorkam. Nach der ersten Weigerung hatte sich Regine im täglichen Verkehr so fügsam und so entgegenkommend bewiesen, daß anzunehmen war, sie werde, ohnehin mehr an das Stadtleben gewöhnt, jetzt auch in dieser Sache nachgeben. Und sie widersprach – widersprach trotzig, hartnäckig, so daß man schicklicherweise nicht mehr darauf zurückkommen konnte! Dieses Benehmen war kränkend, und für so eine war das freundschaftliche Sorgen offenbar weggeworfen.

Das Mädchen, das von dem Unmut bedrückt war und die Frau, die es doch im Grunde gut meinte, wieder gut machen wollte, richtete nun ihr Betragen danach ein. Sie war noch eifriger in der Arbeit und noch bescheidener in ihrem Auftreten und Reden als sonst; ein Tadel war unmöglich. Die Frau schüttelte den Kopf über eine Person, die einmal so hoffärtig widerstand, das andere Mal so folgsam alles tat; allein noch dauerte es einige Tage, bis sie vom Kopfschütteln zur alten Freundlichkeit überging.

Zu der gründlichen Herstellung derselben trugen zwei Umstände bei. Jener Bräuerssohn, dessen Ausspruch den Anlaß zu der verdrießlich endenden Unterredung gegeben hatte, verlobte sich mit der Tochter eines reichen Müllers. Durch diesen schnellen Ruin einer Hoffnung, die sie in dem Mädchen doch zu erwecken gesucht hatte, war die Bäckerin einigermaßen beschämt; sie fürchtete sich vor einer Benutzung des Vorteils von seiten der Getadelten, und als die Verständige mit Absicht schwieg, wußte sie es ihr Dank. Dann aber fand Regine Gelegenheit, den Wünschen der Base doch in gewissem Sinn entgegenzukommen. Sie brauchte ein neues seidenes Halstuch und kaufte sich eins, wie man es auch zu städtischen Kleidern trägt. Neue Schuhe, die sie sich machen ließ, gaben an Zierlichkeit denen einer Bürgermamsell nichts nach. Das Rieser Häubchen legte sie zwar nicht ab – es wär' auch schade gewesen, – aber sie kämmte ihre schönen braunen Haare städtisch an den Schläfen herab, wie es damals unter Bauernmädchen noch nicht üblich war. Kurz, sie schaffte sich einen Anzug, wie er jetzt von Töchtern wohlhabender Leute auch auf dem Lande getragen wird, und putzte sich entsprechend heraus. – Die Bäckerin sah das mit Wohlgefallen und lächelte für sich. »Sie bessert sich,« dachte sie. »Vielleicht tut sie nach und nach von selber, was sie so eigensinnig abgeschlagen hat. Das ist just die Art solcher Köpfe.« Natürlich beschloß sie, das Mädchen auf diesem Wege nicht zu stören, auch nicht durch eine Mahnung, sondern sie gehen zu lassen und zu warten.

So verging das zweite Jahr und ein Stück des dritten, ohne daß etwas Bemerkenswertes vorgefallen wäre. Regine machte Fortschritte in allen Arbeiten, die sie zu treiben hatte, und ihre Schule, wenn sie den Dienst in der Stadt als eine solche ansah, konnte für absolviert gelten. Sie empfand indessen kein Verlangen, nach Hause zu gehen. Das Stadtleben hatte für sie den Reiz einer Gewohnheit, und sie fühlte sich in ihrer Art wohl dabei. Die Genesung ihres Herzens war vollendet; sie konnte auf das verlorene Glück ruhig zurücksehen, mit einer Empfindung des Trostes, der aus ihrem Innersten quoll. Sie war nicht fröhlich, denn dazu hatte sie keinen Grund, und es lag überhaupt nicht in ihrem Wesen, aber in ihrem Ernst genoß sie ein stilles Glück, das man wohlbegründet nennen durfte. Des Menschen Wille, heißt es, ist sein Himmelreich, und Regine hatte einen Willen. Für jetzt war er freilich nur darauf gerichtet, die übernommenen Pflichten zu tun und das übrige Gott anheimzustellen.

In diesem Gemütszustand empfand sie mehr und mehr das eigentümlich Schöne, man kann sagen, die Poesie des Stadtlebens. Die hohen schönen Häuser und die schmucken Räume darin mit den großen hellen Fenstern, die vielen Leute hohen und niederen Standes, das bunte Gewühl auf der Straße an besonders festlichen Tagen – alles das sprach sie bedeutender und vertraulicher an. Sie fühlte das Heimliche, das es hat, mitten unter so vielen Menschen zu wohnen und rings durch eine Menge von Häusern, durch Mauern und Gräben gedeckt zu sein. Während sie daheim den Himmel wie eine Glocke über sich hatte und nur einige Schritte gehen durfte, um von ihrem Hof aufs Feld zu kommen, sah sie in ihrer Straße von der blauen Wölbung nur ein Stück, und um ins Freie zu gelangen, mußte sie einen langen Weg durch verschiedene Straßen vors Tor machen. Das hatte aber gerade etwas Angenehmes; der Himmel und das Feld, die sie nur selten erblickte, wurden ihr um so wertvoller, und sie teilte ganz die schöne Empfindung, die das Herz des Städters erhebt, wenn er nach arbeitvoller Woche an einem sonnigen Feiertag durch das Tor ins Freie wandert zum Genuß der Natur und zu verjüngender Fröhlichkeit.

Der Briefwechsel mit den Ihrigen wurde nicht sehr lebhaft geführt. Bis jetzt hatte sie ihrer Mutter drei und diese ihr zwei Briefe geschrieben. Kleinigkeiten, die man sich wissen zu lassen wünschte, ließ man sich indes gelegentlich hinauf und hinunter entbieten, und so blieb man doch in hinreichender Verbindung. Eine Zusammenkunft – ein Besuch der Regine zu Hause oder der Mutter in Augsburg – hatte nicht stattgefunden; denn die Eisenbahn existierte damals noch nicht, und eine Tagereise zu machen, einzig nur um sich zu sehen, ist nicht Bauernart. Zwar hatte die Bäckerfrau die alte Gröningerin in einem freundlichen Schreiben aufgefordert, bei ihr einige Tage zuzubringen, und die Gröningerin hatte von ganzem Herzen dafür gedankt und erwidert: wenn's möglich wäre, so wolle sie sehen. Aber was das zu bedeuten habe, war sowohl der Tochter als der Verwandten klar, und Regine schickte sich drein. Sie wußte, daß es den Ihrigen wohl ging, daß der jüngere Bruder gut hauste und bald Vater eines zweiten Kindes zu werden hoffte, daß der ältere Aussicht hatte, ein Mädchen mit einem Hof zu bekommen – und das war für ihr teilnehmendes Herz genug. Sie, noch nicht volle zwanzig Jahre alt, konnte immerhin noch in Augsburg bleiben und den jetzigen Frieden ihres Stadtlebens genießen.

Im dritten Lenz ihres dortigen Aufenthalts war jedoch etwas im Anzug, das die schöne Unbestimmtheit aufzuheben und so oder so für ihr Leben eine Entscheidung herbeizuführen Miene machte.

Der Bäckermeister hatte einen Freund, Bräuer und Wirt, in dessen Gaststube er das Bier zu sich zu nehmen pflegte, das nebst den kräftigen Mahlzeiten, die seine Frau ihm bereitete, die behagliche Rundung seines Leibes erhielt und leise steigerte. Dieser »Vetter« wie er genannt wurde, obwohl seine Verwandtschaft sehr entfernt war – besuchte auch den Bäcker zuweilen und hatte, als er die Regine zum erstenmal erblickte, nicht umhin gekonnt, großes Wohlgefallen an ihr zu finden. Er war ebenso stark wie der Bäcker, aber noch strotzender, derbröter und von ungleich größerem Selbstgefühl; wenn er abends im Kreis der Freunde saß, war es schwer zu sagen, ob mehr das Bier oder das Vergnügen an seiner eigenen Person aus den Augen jenen grellen Funkenglanz warf, der ihn auszeichnete. Sein ganzes Wesen kündigte einen Mann an, der hauptsächlich auf seine Genugtuung bedacht ist, mit andern wenig Umstände macht und von dem Verdruß, den ein etwa Verletzter äußern mag, sich durchaus nicht anfechten läßt. Als dieser Ehrenmann das Mädchen wiederholt gesehen, und sie durch scherzhafte Anreden nach seiner Manier vertraut gemacht zu haben glaubte, wollte er eines Abends, wo er sie allein in der Stube traf, zutulich werden; Regine wies ihn aber auf eine Art ab und sah ihn dabei mit Augen an, daß er trotz aller Schußfestigkeit, welche eine solide Rundung zu gewähren pflegt, doch betroffen war und mit einiger Verlegenheit erklärte, es wäre nicht so bös gemeint gewesen. Nachdem er geraume Zeit sie wenig zu beachten geschienen, nahm er endlich einen andern Ton an – den der väterlichen Protektion; er zeigte eine Teilnahme, die für das Mädchen auch durchaus nichts Wohltuendes hatte, die sie aber doch als nichtsbedeutend unbeachtet lassen konnte. Indem sie ihn reden ließ, meinte sie endlich, daß sie von ihm ebensowenig etwas zu befahren habe, wie er von ihr.

Unverhofft aber wurde die bis dahin rüstige Frau dieses Mannes von einer Krankheit befallen und starb, nachdem sie längere Zeit gesiecht hatte. Die Trauer und die Geschäfte, die aus dem Todesfall erwuchsen, hielten den Witwer eine geraume Zeit vom Hause des Bäckers fern. Er hatte von der Verstorbenen drei Kinder, darunter eine schon mannbare Tochter, und die Einrichtungen, die er in bezug auf sie treffen zu müssen glaubte, gaben ihm viel zu tun. Endlich erschien er wieder. Er hatte in seiner dunkeln Kleidung ein eigenes würdiges Ansehen, und seine Miene verriet ein bestimmtes Vorhaben. Als Regine zufällig ins Zimmer trat, wurde ihr von der Bäckerin ein Gang aufgetragen, der sie auf eine Stunde von Haus entfernte. Nach ihrer Zurückkunft war der Besuch fort, die Bäckerin aber, der sie Rechenschaft ablegte, sah ihr ins Gesicht, als ob sie es nie gesehen hätte, und sagte mit bedeutsamem Nicken: »Es ist gut!«

Der Bräuer hatte dem Ehepaar ohne viele Umstände erklärt, daß er wieder heiraten müsse, da er, in der Mitte der Vierziger, noch in den besten Jahren sei und seine Wirtschaft noch nicht abgeben könne. Zu dieser brauche er eine geschickte, gesunde, arbeitsame Frau, und eine solche würde die Regine sein. Er gedenke um sie anzuhalten, wenn es sich wegen der Trauer schicken werde, ihnen habe er das aber einstweilen sagen wollen, damit sie wüßten, was er im Sinn habe, und ihm nach Umständen behilflich sein könnten. Denn er wolle es nur grad heraussagen, das Mädchen gefalle ihm sehr und er wünsche sich nichts Besseres, als sie zur Frau zu haben; er glaubte aber auch, daß sie von Glück sagen könne, wenn sie in eine der ersten Wirtschaften von Augsburg hineinheirate und einen Mann bekomme, den noch ganz andere Mädchen gern hätten, wenn er sie nur möchte.

Der Bäcker machte bei dieser Eröffnung ein bedenkliches Gesicht und sah den Witwer mit einem eigenen satirischen Lächeln an; die Frau dagegen ergriff den Vorschlag mit Lebhaftigkeit. Das wäre ein Glück, das sie ihrem Bäschen lange gewünscht hätte, und sie müsse es sagen, sie freue sich über alle Maßen darüber. Schon lange habe sie auch von dem Mädchen gefordert, sie solle sich Stadtkleider machen lassen, weil sie recht eigentlich für die Stadt passe; aber sie habe nicht gefolgt, weil ihr eben immer noch Bauerngedanken im Kopfe steckten. Nun sei's gottlob von selber gegangen, wie sie gemeint habe, und nun sei's um so besser. Der Herr Vetter sei noch in den besten Jahren und gesund und frisch wie ein Zwanziger; die Regine könne sich gratulieren, einen Mann zu bekommen, der eine solche Wirtschaft habe und so in Ansehen stehe wie er. Sie werde das auch einsehen und mit beiden Händen zulangen. Indessen sei es doch gut, daß der Herr Vetter zuerst mit ihnen gesprochen habe; sie wolle das Mädchen vorbereiten und die Sache so einrichten, daß er nur kommen und das Jawort abholen dürfe.

Der Bäcker erklärte nun, er wolle gleichfalls tun, was er könne, da er sehe, wieviel dem Vetter daran liege. Die Regine werde aber Augen machen, wenn sie es erfahre; denn daß so ein Mann sie zur Frau begehren könnte, das wäre ihr gewiß im Traum nicht eingefallen. – Nach diesen ironischen Worten zeigte er eine Miene, als wollte er hinzusetzen: »Das wird nichts!«

Nach dem Abgang des Freiers konnte der Gatte sich nicht enthalten, seine Zweifel laut werden zu lassen. Vor allem frage es sich, ob die Regine den Vetter auch möge. Die Frau erwiderte lebhaft, ja fast hitzig: dafür wolle sie gutstehen; denn die Regine sei verständig, und solch einen Antrag ausschlagen, wäre ganz verrückt. Sie widersprach noch mehreren Bedenken, die der Mann äußerte, mit Nachdruck, fand indessen doch für gut, dem Mädchen zunächst auch nicht einmal eine Andeutung zu geben, welch ein Glück ihrer warte, sondern entschied sich für ein anderes Einleitungsmittel.

Sie schrieb an die Base Gröninger, setzte ihr auseinander, was im Werke sei, rühmte den Freier und seine Wirtschaft aufs höchste und forderte sie auf, nun endlich auf Besuch zu kommen, damit man alles genau miteinander besprechen könne. Und nicht acht Tage vergingen, so war die alte Bäuerin in Augsburg.

Freudig von der Tochter, sehr freundlich von dem Ehepaar empfangen, verlebte die Gröningerin die ersten Tage in allen Genüssen, die ihr die Gastlichkeit ihrer Verwandten in und außer dem Hause bereiten konnte. In einer geheimen Unterredung mit der Bäckerin erklärte sie sich mit dem Plan durchaus einverstanden, denn eine »**Wirtin zu machen,« d. h. ihre Tochter dem **Wirt zu geben, war ihr ein sehr lockender Gedanke; sie meinte indessen, die Regine könnte sich doch zuerst »schraufen« (schrauben, sträuben), und in jedem Fall müsse sie den Herrn Vetter und »sein Sach« zuerst sehen, ehe sie sagen könne, was am besten zu tun sei.

Am folgenden Tage führte die Bäckerin die Dorfbase in die Wirtschaft. Der Eigentümer begrüßte sie freundlich, mit einer sonderbaren Mischung von Achtung vor der künftigen Schwiegermutter und Herablassung gegen die Bäuerin. Er führte sie in den Verschlag, wartete nacheinander mit Bier, Wein und Kaffee auf, ward immer zutraulicher und munterer und behandelte die Rieserin endlich mit all dem überlegenen Wohlwollen eines alten Bekannten. Strenggenommen lag in seinem Benehmen, wie es nach und nach sich entwickelte, nicht viel Schmeichelhaftes für die Frau; aber diese, obwohl im Dorfe gescheit und scharfsichtig genug, nahm es doch nicht schlimm auf, weil sie glaubte, daß solche Manieren einem »Herrn« zukämen.

Der beleibte, rotglänzende Witwer hatte auf sie als Freier ihrer Tochter zuerst einen bedenklichen Eindruck gemacht. Sie fürchtete sehr, daß er dieser zu alt und nicht schön genug sein könnte; allein die große, stattliche Wirtschaft, das Bräuhaus und all die schönen Sachen in der Prunkstube, die er ihr zeigte, stachen ihr wundersam in die Augen, und sie meinte in ihrem Herzen, um so herrlicher Dinge willen könnte sich die Regine den Besitzer, der im Grunde noch ein rüstiger, ansehnlicher Mann wäre, doch gefallen lassen und glücklich mit ihm leben. – In lebhafter Erregung, die mehr durch das Gesehene als das Genossene bewirkt war, nahm sie von dem Mann Abschied, beide drückten sich die Hände und er begleitete sie bis auf die Straße, wo er ihr schmunzelnd »auf Wiedersehen« nachrief.

Noch an demselben Tage begann die Gröningerin bei Regine auf den Busch zu klopfen. Sie fragte nach einem Lob der prächtigen Stadt lächelnd, ob sie sich nicht in Augsburg verheiraten möchte. Das Mädchen erwiderte: »Wenn einer danach käme, ja; lieber würde ich aber eine Bäuerin werden.« Die Alte meinte, es wäre hier doch gar zu schön, sie hätte das nicht geglaubt, und wenn man eine Bäckermeisterin oder eine Wirtin oder sonst was Rechtes werden könnte, da sollte man's bei dem Mann so genau nicht nehmen, sollte nicht so viel nach Jugend und Schönheit fragen, sondern ein Aug' zudrücken. – Regine schüttelte mit ernstem Lächeln den Kopf und erwiderte ruhig, aber bestimmt: »Einen solchen, Mutter, wo ich ein Aug' zudrücken müßt', könnt' ich nicht nehmen.« – »Wie,« rief die Alte, »auch dann nicht, wenn du die erste und reichste Bräuerin werden könntest von ganz Augsburg?« – »Nein,« war die Antwort. »Die Ehre und das Geld machen mich nicht glücklich.« – Dies war mit einem Schatten von Trauer gesagt, der über ihre Züge flog, und mit sanftem, aber so entschiedenem Ton, daß jedes fernere Zureden unrätlich erschien.

Die Mutter teilte das Ergebnis der Bäckerin mit. Die war verdrießlich über den »Eigensinn«, meinte aber, man würde ihr den Kopf noch zurechtsetzen können, wie man ihn schon so mancher zurechtgesetzt habe. Nach einer längeren Erwägung und Beredung fand man es doch am geratensten, zunächst dem Mädchen nichts weiter zu sagen. Der Witwer mußte anstandshalber noch ein Vierteljahr mindestens hingehen lassen, bis er als Freier und Bräutigam auftreten konnte. So lang' wollte man warten und Regine sollte zugleich mit dem Antrag einen Brief von der Mutter erhalten, worin sie hoch gemahnt wurde, ihn anzunehmen. Sagte man ihr jetzt etwas, so konnte sie's überlegen und tolle Streiche machen; aber wenn alles mit einem Male an sie kam, da wußte sie nicht, was sie tun sollte, und in der Verwirrung konnte man ihr das Jawort abhaben – zu ihrem Glück.

Die Zeit, welche die Bäuerin für ihren Besuch bestimmt hatte, war verstrichen, ihr Geschäft beendet. Bei dem Abschied war die Bäckerin von Vertrauen, die Mutter von Furcht und Hoffnung erfüllt, und Regine hatte keine Ahnung davon, was man mit ihr vorhatte.


Wendungen.

Der Meier hatte, nachdem die Regine das Dorf mit der Stadt vertauscht, an der Seite des Weibes gesund und froh weitergelebt. Nach der Ansicht der Leute war er einer der glücklichsten Menschen. Er hatte alles, was der Bauer sich an Lebensgütern zu wünschen und an andern zu bewundern pflegt: Haus und Hof, ein stattliches, rüstiges Weib, die angesehenste Freundschaft und schon zum Beginn ein Vermögen, womit er etwaigen Unfällen ruhig entgegensehen konnte. Ein im Ries geläufiges Sprichwort sagt: »Mit Unglück muß man auch hausen.« Und Unglück ist bei einer großen Ökonomie natürlich nicht zu vermeiden. Da gibt es Mißwuchs wegen allzu trockener und wegen zu nasser Jahrgänge, Schaden durch Hagel, Überschwemmung und Ungeziefer, Viehseuchen aller Art, von mißlichen Zufällen, von Diebstahl und Brand gar nicht zu reden. Alles das kann mehr oder weniger über den Landmann kommen; aber auf etwas davon ist auch schon gerechnet, gute Jahrgänge gleichen wieder aus, und am Ende muß es bei dem fleißigen und sparsamen Mann doch vorwärts gehen. Besser ist es freilich, wenn ein Grundstock des Vermögens besteht, der durch gewöhnliche Unglücksfälle nicht zu erschüttern ist. Der Herr desselben kann auch größeren Schaden unbewegter nahen sehen und schneller sich fassen, der gewöhnliche kleinere wird ihn aber kaum auf Augenblicke seinem Behagen entreißen.

Ein so wohlgebetteter Mann war der Meier. Er blieb mit bedeutenderen Einbußen in dieser Zeit noch dazu verschont und erfreute sich daher aller äußeren Bedingungen des Glücks.

Seine Ehe begann als eine normal gute Bauernehe. Nachdem die Flitterwochen dahingeschwunden waren, stellte sich das Verhältnis zwischen Mann und Frau bald so fest, wie es dauern sollte. Die Meierin hatte, von dem standesmäßigen Selbstgefühl abgesehen, eine Neigung zur Sparsamkeit und liebte es, unter dem Einfluß derselben in häuslichen Fragen zu entscheiden. Da sie immer mit Gründen versehen und ausdauernd, der Mann dagegen bequem und läßlich war, so kam das Hausregiment mehr und mehr in ihre Hände, und sie war klug genug, einen Teil davon der Schwiegermutter einzuräumen. Der Gatte fügte sich nicht einmal ungern; er überließ den Weibern mit dem Regiment auch die entsprechenden Sorgen, wendete den Kopf und Arm desto mehr seinem Fach, dem Ackerbau zu und war zufrieden, den Ruhm des Vaters in der Feldbestellung zu behaupten.

Wie bei der Verheiratung eigentlich nur Vermögen und Stand sich gesucht hatten, so konnte von Liebe zwischen den beiden Eheleuten nicht die Rede sein. Es war ein Verhältnis der Natur und der Sitte, das sie verband. Er hätte ebensogut eine andere Frau, sie ebensogut einen andern Mann nehmen können, und beide würden ihr Leben im wesentlichen gerade so verbracht haben. Nun waren eben sie die Verbundenen, und sie lebten als Eheleute, wie's ihnen zukam. Genau besehen, hatte sie zu ihm, dem stattlichen, hübschen Gatten, mehr Neigung, er vor ihr mehr Achtung, oder, besser gesagt, Respekt; allein ihre Neigung war inniger Liebe nicht viel näher als seine Achtung, und diese konnte jener gar wohl gleichgeschätzt werden. Entbehrte nun das Zusammenleben allerdings jenes tiefen und feinen Glücks, welches in dem Leben eines Paares aufleuchtet, das sich liebt, so vermißten sie es doch auch nicht und begnügten sich mit dem, was sie hatten. Ein stattliches Dasein, Ehre in und außer dem Hause, Überfluß an Gütern und Arbeit hatten sie beide, und damit kann man sich zuletzt auch befriedigt fühlen.

Die Natur und die Sitte, die im Leben des Bauern recht eigentlich eine zweite Natur ist, sind an sich große Mächte. Sie bringen für diejenigen, die ihnen ergeben sind, auch geweihte Momente und steigern ihre Art von Glück auf Augenblicke bis zur Vollendung. Die Meierin gebar nach Jahresfrist einen Sohn, ein kräftiges, gesundes Kind, das alle Verwandten dem Vater zum Sprechen ähnlich fanden. Dieser hatte ein ungeahntes Wohlgefühl und zeigte für die Wöchnerin die eifrigste Sorgfalt. Als er nach der Taufe unter den nächsten seiner Freunde beim Schmause saß und mit ihnen Kaffee und Wein trank und Gratulationen und gute Prophezeiungen zu hören bekam, da war sein Glück das eines Mannes, dem zur vollkommenen Zufriedenheit nichts abgeht; ein wahrhaft schönes Bild männlich würdiger Freude. Und wie er dann in den Verschlag zur Wöchnerin trat, sie und das Kind getrachtete, ihre Hand faßte und sie fragte, wie's ihr ginge, und von dem bleichen, jetzt feiner aussehenden Weibe die Antwort: »gut« erhielt, und ihr darauf die Hand drückte, da war er ein Beispiel ehelicher Zärtlichkeit, wie man es wackerer und treuherziger nicht wohl sehen kann.

Kinder sind ein Mittel, die Seelen der Eltern näher zu verbinden, manchmal aber auch ein Anlaß, sie auseinanderzubringen. Die Freude der Mutter an dem Sprößling kann die Neigung zu dem Vater steigern; aber jener kann die Liebe der Mutter auch so gewaltig auf sich ziehen, daß für diesen nicht viel mehr übrig bleibt. Die Mutterliebe ist natürlicher, darum gemeiner als die Gattenliebe; und besonders diejenige, der ihr Selbst vor allem wert ist, findet es mehr in dem Kinde als in dem Gatten, und weiht nun jenem ihre Zärtlichkeit, während sie den Mann schätzt als denjenigen, der ihr dieses Glück verschafft hat und noch öfter verschaffen kann. Der Mann, der zunächst alles und Zweck war, nimmt mehr und mehr die Gestalt eines Mittels an, eines geachteten Mittels allerdings, aber eines Mittels.

Zu dieser Gattung Frauen gehörte auch die Meierin. Nach der Geburt des Sohnes wurde ihre Denkart noch nicht so sichtbar; ja in der ersten Zeit schien es, als ob die Freude über den Buben ihre Neigung zu dem Manne vielleicht gesteigert hätte. Nach und nach, als jener weiter gedieh, änderte sich dies aber, und zuletzt hatte sie hauptsächlich nur Aug' und Ohr für das Kind. Als nun ein Jahr später eine Tochter kam, die der Mutter glich, da ward ihr Herz von ihr ganz ausgefüllt; alle Zeit, welche die Hausgeschäfte ihr ließen, gehörte den Kleinen, und der Mann konnte, wenn nicht seiner Wege, doch seinen Weg gehen – allein und ungestört durch Aufmerksamkeiten von seiten der Frau.

Der Unterschied, ihres Benehmens im Vergleich mit dem der ersten Zeit wurde im Lauf des dritten Jahres so groß, daß er dem Meier verdrießlich auffiel und ihn zuweilen ernstlich kränkte. Die Frau hatte ihn an kleine Dienste gewöhnt, die dem Herrn des Hauses erwiesen werden, um ihm das Leben bequemer zu machen: sie hatte Kleider, Geräte hingelegt: wie er sie brauchte, ihm geholfen beim Anziehen seines Gewandes an festlichen Tagen, für ihn gedacht und ihn bei einem Gang über Feld sorglich gefragt, ob er auch alles habe, was er brauchte usw. Er war mit einem Wort gut versorgt und er empfand es behaglich, denn er gehörte zu den Menschen, die sich dergleichen gern tun lassen. Nun mußte er sehen, daß man ihn vergaß und ihn zwang, das, was ihm sonst entgegengebracht wurde, eigenhändig herzubefördern. Er mußte, wo er früher etwas getan fand, ohne daß er es verlangt hatte, fordern, rufen, sogar schreien – ohne daß es geschah. Er mußte die Antwort hören: man habe jetzt keine Zeit, er möge warten, oder es selber tun, – eine Antwort, die durch den ärgerlichen Ton, in welchem sie gegeben zu werden pflegte, keine Annehmlichkeit erhielt.

Wie dies nicht mehr nur hier und da geschah, sondern Regel wurde, schüttelte der Mann bedeutend den Kopf und fand eine solche Veränderung durchaus nicht in der Ordnung. Er fühlte sich zuletzt recht eigentlich gekränkt und sagte sich, daß er wohl eine bessere Frau hätte finden können.

Als er einst mit der Mutter allein zu Hause war, sprach er seine Wahrnehmung gegen sie aus, zugleich mit der Absicht, auch dieser einen kleinen Stich zu versetzen, da sie sich, in ihre Enkel verliebt, jetzt ebenfalls weniger um ihn bekümmerte wie früher. Aber die alte Meierin schalt ihn ohne viel Besinnen einen »ungescheiten Menschen«. So wie im ersten Jahr könne es nicht fortgehen; wenn Kinder daseien, müsse man für diese sorgen; das gehe in jeder Haushaltung so, und sie müsse das besser wissen.

Der Sohn konnte sich von der Wahrheit dieser Rede mitnichten überzeugen. Eine Nachbarin lebte mit ihrem Mann schon acht Jahre und hatte fünf Kinder, und doch tat sie ihm stets alles, was sie ihm an den Augen absehen konnte. Sie hatte ihn eben im Grund der Seele jetzt noch so gern wie im ersten Jahre ihres Hausens; sie war eine gute Frau.

Das Benehmen der jungen Meierin gegen ihren Mann hatte noch andere Gründe. Auf dem Lande herrscht eine bräuchlich bestimmte Rangordnung. Nach ihr stehen zunächst die Kleinbegüterten unter den Großbegüterten, unter den letzteren selbst machen sich aber je nach der Gütermasse und der Beschäftigung wieder Unterschiede geltend. Wenn im Vergleich zu den übrigen Bauern der Meier, der es wirklich ist, als der erste sich fühlen kann, so hat er doch noch eine Schichte der Bevölkerung über sich in den Wirten, die zugleich Bräuer sind, und in den Müllern. Diese nämlich haben mit dem Bauern den Grundbesitz und die Wirtschaftsgebäude gemein, das besondere Metier mit den dafür erforderlichen Räumlichkeiten aber voraus, und bilden überhaupt, in der Tracht und auch im Benehmen, einen Übergang vom Bauern zum Städter oder »Herrn«. Daß nun so einer, wenn er noch dazu reich ist und die Besitzung, die er innehat, ihm wirklich gehört, sich über dem Bauern, auch wenn er Meier wäre, erhaben dünkt, ist natürlich, und in der Regel findet dies auch wirklich statt, ungeachtet der Höflichkeit, die er dem Bauern als seinem Kunden zu erweisen so klug ist. Das höhere Bewußtsein teilt sich aber begreiflich auch den Kindern mit, die sich gleicherweise schon früh durch feinere Zusätze zur Landestracht auszeichnen.

Die Meierin, als die Tochter eines der angesehensten Wirte und Bräuer im Ries – eines Mannes, auf dessen Sommerkeller sich die Gebildeten der Umgegend mit Vorliebe zu versammeln pflegten – dünkte sich bei aller Achtung vor ihrem Manne doch höher als er; sie war der Meinung, daß dem Hause durch ihren Einzug in dasselbe eine bedeutende Ehre widerfahren sei, und hielt sich schon aus diesem Grunde für berechtigt, bei dem, was sie tat, vor allem an sich und an ihr eigenes Wohlgefallen zu denken. Dazu kam aber noch der Instinkt der Herrschbegier und des kräftigen Willens gegenüber der Gutmütigkeit und Friedensliebe. Der Meier fügte sich, nur um Streit zu vermeiden; aber als den Nachgiebigen sah ihn die Frau nun gleichfalls unter sich, – in jeder Hinsicht also bestimmt, ihr zu dienen und sich von ihr führen zu lassen.

Stolz und Eigenliebe, die ihr angeboren und anerzogen waren, steigerten sich unter diesen Voraussetzungen zur Hoffart und Selbstsucht. Der Meier, der zuerst für einen der glücklichsten Menschen gegolten, eine Zeitlang auch in der Tat ein frohes Dasein hatte, fühlte in einsamen Stunden ein wahres Ungenügen und wurde von Herzen traurig. Er sagte sich, daß aufs Geld und vornehme Freundschaft doch lange nicht so viel ankomme, wie er gemeint, und er hatte den scharfsinnigen Gedanken, daß eine Frau mit weniger Geld, aber mehr Herzensgüte, einen Mann am Ende viel glücklicher machen könnte als eine reiche und ungute. Einmal, als er vom Säen des Sommergetreides nach Hause ging und durch die Stille des Mittags um ihn und den Lerchengesang über ihm reizbarer gestimmt war, kam ihm ein schlankes junges Mädchen entgegen, die von weitem eine gewisse Ähnlichkeit mit Regine hatte. Er dachte an diese und erinnerte sich nach und nach an alles, was ihm von ihr widerfahren war. Er stellte sich ihre Güte und Liebe vor an jenem Palmsonntag, die Freundlichkeit beim Begegnen und Grüßen, die glücklichen Augen, mit denen sie ihn beim Tanz ansah, die Gutmütigkeit, womit sie ihm zur Hochzeiterin Glück wünschte, obwohl – –; und er dachte: die wär' besser gegen mich geblieben, wenn ich die genommen hätte! Ein Seufzer entstieg seiner Brust. Einen Moment später strich er mit der Hand über das Gesicht und sagte für sich: »Nun ist's einmal so! Auf der Welt ist's nie ganz, wie's sein sollte, und andere haben auch nicht alles, was sie wünschen.«

Daß solche Stunden des Bedenkens und Missens vereinzelt blieben, dafür sorgten übrigens die Arbeiten des Bauers, die ihn immer wieder in Beschlag nahmen und ihn in die Stimmung versetzten, wo man das, was man entbehrt, nicht fühlt und das Leben nimmt, wie's eben ist. Das Dorf hielt ihn noch immer für einen der glücklichsten Männer. Man wußte freilich, daß die Meierin stolz war und das Heft in der Hand hatte; wie weit das aber ging, und daß der Mann darunter litt, das machte sich nach außen nicht sichtbar. Die Frau stellte den Mann auch nur unter sich und unter die Ihrigen; im Vergleich mit andern im Dorf war er ihr der erste, und sie ließ ihm, wo es darauf ankam, durchaus nichts nehmen und gab ihm vor andern seine gebührende Ehre. So blieb das, was dem Gatten zum wirklichen Glück abging, für die Leute ein Geheimnis. Nur die Nachbarin, die ihren »Bauern« noch immer so gern hatte, machte die Wahrnehmung, daß die Meierin sich gegen ihren Mann nicht ganz so benehme, wie's ihr zukam, und dachte bei sich, daß derselbe doch nicht das Leben habe, das er haben könnte.

Glücklich in ihrer Art, ja vollkommen zufrieden war die Meierin selbst. Sie hatte in der Tat alles, was ihr Herz begehrte: Geld und Gut, gesunde, hübsche Kinder, einen stattlichen Mann, der ihr folgte, und all die äußere Herrlichkeit, die ihr gebührte. Mit Ausnahme der Frau Pfarrerin, mit der sich aber eine solche nicht vergleicht, war sie die anerkannt erste Frau im Dorf, da sowohl der Wirt als der in der Nähe befindliche Müller mit etwelchen Schulden gesegnet waren, und deren Weiber, von denselben einigermaßen gedrückt, den Kopf nicht ganz so hoch tragen konnten. Alles war demnach bei ihr in Harmonie, und wer sie sah, wie sie manchmal in ihrem Hof stand und umherschaute mit den Blicken einer Herrscherin, der sagte sich: »Das ist eine, der's nach Wunsch geht!«

Im beginnenden Frühling war Aussicht vorhanden auf einen neuen Ankömmling in der Familie. Dieser Umstand erhöhte das freudige Gefühl des Weibes, und da die jetzt weniger unmüßige Zeit es gestattete, so wollte sie vor ihrer Niederkunft noch einen Besuch bei ihren Eltern machen. Der Mann wurde beordert, das Gefährt aufs beste herzurichten, sie selber putzte sich und die Kinder, und im schönsten Staat, bewundert von alt und jung, fuhr die Familie aus dem Hof und aus dem Dorf, dem Geburtsort der Mutter zu. Groß war die Freude des Wirts und der Wirtin über das vortreffliche Aussehen der Tochter, der Enkel und auch des Schwiegersohns. Das »Ahnfräulein« und die jüngere Tochter des Hauses trugen auf, was Speisekammer und Keller boten; man besichtigte das Prunkzimmer, die Ställe, das Bräuhaus und machte einen Spaziergang durchs Dorf, um besseren Appetit zum Abendessen zu bekommen. Der Meier konnte nicht sagen, daß man im Wirtshause nicht auch ihm seine Ehre gab; aber er mußte doch fühlen, daß er keineswegs die Hauptperson war. Als er einmal, an der Seite stehend, die Familie betrachtete, kam es ihm vor, als ob sein Weib doch eigentlich nichts wollte, als sich selbst mit den Kindern den Ihrigen zeigen, diese nichts, als die Tochter mit den Enkeln sehen, und daß man ihn im Grunde nur so »mit ankommen« (mit ankommen, mitgehen) ließ. Diese Wahrnehmung konnte ihm nicht wohltun, und er fühlte sich denn auch je länger je weniger von dem Besuch erbaut. Die Meierin dagegen, die nicht nur von den Ihrigen, sondern auch auf der Gasse und abends in der Wirtsstube von Bekannten Lob und Ehre und die schönsten Glückwünsche empfing, schwelgte in der Lust des Tages. Spät entschloß sie sich zur Heimfahrt. Die Nacht war ziemlich vorgerückt und die Luft kühl bis zur Kälte, als sie wieder in den Meierhof einfuhren.

Dies war aber der letzte Freuden- und Ehrentag des Weibes. Ihre Stunde kam. Unter heftigen Schmerzen und Nöten brachte sie ein totes Kind zur Welt, und zwei Tage darauf war sie eine Leiche.

Der Mann hatte bei den Leiden des Weibes alles vergessen, was er gegen sie zu klagen gehabt; er war ihr aufs teilnehmendste beigestanden, und seine Trauer über das unerwartete Scheiden der Mutter war ernst und aufrichtig. Daß er aber nach Verfluß einer gewissen Zeit innerlich gefaßt und getröstet war und mit neuem Mut ins Leben blickte, wird man ihm nicht verargen.

Das Hinscheiden und die Beerdigung der Meierin war in eben die Woche gefallen, welche die alte Gröningerin zu Augsburg verbrachte. Auf dem Heimweg hatte diese sich nicht enthalten können, ihrem Kutscher, dem nach Augsburg fuhrwerkenden Nachbar, die Aussicht ihrer Tochter mitzuteilen, eine der ersten Wirtinnen der Stadt zu werden. Und nicht lange, so ging im Dorf die Rede herum: die Regine mache in Augsburg ein Glück, wie es noch keine im Dorf gemacht habe; sie heirate einen Bräuer, der mehr als fünfzigtausend Gulden Vermögen besitze und der sie einzig und allein um ihrer Schönheit und ihrer Geschicklichkeit willen nehme. – Als der Meier dies hörte, ward er betroffen und nickte bedeutsam, als wollte er sagen: »Da!« – Dem Bringer der Nachricht erwiderte er: »Sie verdient's!«

Drei Wochen vergingen, da flüsterte man sich eine andere Neuigkeit zu. Die Schwester des Meiers habe schon wieder eine für ihn – eine so reiche und vornehme, wie die erste gewesen: die Müllerstochter von *** Sobald sich's schicke, werde die Hochzeit sein. – Die alte Gröningerin verriet nach dem Anhören dieser Mitteilung ihre Gedanken, indem sie sagte: »Nun müssen wir doch bei dem Augsburger bleiben.«

An dem Gerücht über die Neue für den Meier war so viel wahr, daß die Schwester, der des väterlichen Hauses Glanz über alles ging, sich die Müllerstochter als künftige Meierin ausersehen und gegen den Bruder sich erboten hatte, einstweilen bei ihr auf den Plan hinzudeuten. Der Bruder hatte ihr erwidert, er könne jetzt noch nicht ans Heiraten denken. Aber sie hatte doch getan, was sie nicht lassen konnte, und von den Müllersleuten eine Antwort erhalten, die ihr die beste Hoffnung gab.

Da der Meier, in ernster, fast trüber Stimmung, in der Tat nicht ans Heiraten, auch nicht an vorläufiges geheimes Unterhandeln denken mochte, so war's gut für ihn, daß die Mutter diesmal nicht mit der Tochter Hand in Hand ging, sondern eine andere Kandidatin aufstellte, die sie für passender hielt – nochmals eine Wirtstochter. Solange die beiden sich entgegen waren, konnte der Verwitibte ruhig sein und die Zumutung der einen wie der andern mit den Worten abweisen, sie möchten doch erst selber einig werden.

Nach Verfluß noch einiger Wochen stand die Sache gleichwohl so, daß er sich zur Entscheidung gedrängt sah; allerdings nicht zur öffentlichen Verlobung, aber zu einem vorläufigen stillen Ausmachen derselben. Die Mutter hatte eine Erklärung von den Eltern ihrer Wahl herausgebracht, und es ergab sich, daß die Wirtstochter fünfhundert Gulden weniger mitbekommen sollte als die Müllerstochter. Dies bewirkte, daß die beiden Frauen sich einigten und nun gemeinsam in den Meier drangen. Ein vorläufiger Bescheid war aber darum nötig, weil der Müllerstochter noch ein paar Burschen zu Gefallen gingen und einer davon, ein Müllerssohn, gefährlich schien. – Der Meier bat sich zwei Wochen Bedenkzeit aus.

Als diese sich ihrem Ende zuneigten, wußte er den Mahnungen der Mutter, sich zu entschließen, damit die am Sonntag wiederkehrende Schwester erfahre, was sie zu tun habe, nichts mehr zu entgegnen. Er kannte das Mädchen, hatte weder gegen sie, die eine Mittelschönheit war, noch gegen ihre Eltern, die sehr im Ansehen standen, etwas einzuwenden, und am Freitag der zweiten Woche war er so ziemlich entschlossen, ja zu sagen und der Schwester die erste nähere Besprechung zu gestatten. Da ereignete sich etwas, das die ganze Sachlage mit einem Schlag veränderte: Regine kam zu ihrer Mutter zurück. Der Grund davon lag in Vorgängen, die wir ausführlich berichten müssen.

Das Mädchen hatte nach dem Abschied von ihrer Mutter im Bäckerhause das bisherige ruhige Leben fortgeführt. Der Frau war es eine große Sorge gewesen, dem Stadtwirt beizubringen, daß er gegen Regine nichts von seiner Gesinnung merken lassen dürfe, bevor er mit dem Antrag förmlich herausgehen könne. Sie führte ihm zu Gemüte, daß diese Regine eine gar Eigene sei, seine Freundlichkeit falsch deuten und gegen ihn dann eher eine Abneigung fassen könnte; bei ihrem Kopf müßte sie den klaren Ernst sehen, dann würde sie sich geehrt fühlen und mit Freuden ja sagen. Dem Freier war diese Bemerkung zuerst kurios vorgekommen. Er hatte sich vorgestellt, wenn er jetzt merken lasse, daß er das Mädchen gern habe, würde es ihr die größte Freude sein und sie würde sich vielmehr bestreben, ihm immer mehr zu gefallen, damit er sie baldmöglichst zu seiner Frau mache. Die Bäckerin wußte ihn jedoch zu überzeugen, daß bei dem Wesen des Rieser Bauernmädchens, das sie kenne, die Zurückhaltung das bessere sei; und der Mann gewann es über sich, bei den Besuchen, die er noch machte, der Erwählten gegenüber die Würde eines väterlichen Freundes und Gönners beizubehalten. Es kam ihn schwer an, sich in dieser Art zu mäßigen; denn das Verlangen, die schöne Jungfrau sein zu nennen, wuchs mit jedem Tage, und sein Herz pochte mächtig, wenn er sie erblickte.

Endlich nahte die Zeit heran, wo er glaubte, seinen Antrag stellen zu dürfen. Er teilte der Base seinen Entschluß mit, und diese bat ihn, sie nur machen zu lassen und in acht Tagen bei ihr einzukehren. Ungesäumt schrieb sie der Gröningerin, ihr jetzt den Brief an Regine zu schicken mit ihrer Willensmeinung wegen der Heirat, und als dieser in ihren Händen war, glaubte sie alles in Händen zu haben und sagte triumphierend zu dem Bäcker: »Morgen haben wir eine Braut im Hause!«

Der Morgen kam. Eine Stunde vor der Zeit, wo sie den Witwer als Freiersmann erwartete, nahm die Bäckerin ihr Bäschen in die Nebenstube. Hier machte sie ein feierliches Gesicht und begann: »Nun, Mädchen, jetzt ist doch eingetroffen, was ich dir immer gesagt habe und was du mir nicht geglaubt hast. Ein Augsburger, der eine der ersten Wirtschaften hat und zwanzigmal soviel Vermögen als du, will dich heiraten und wird kommen und um dich anhalten. Er hat sich in dich versehen – und tut's nicht anders.«

Regine war tief betroffen und errötet; konnte sie doch nur annehmen, daß von einem jungen Mann die Rede und der Antrag also für sie jedenfalls eine große Frage wäre. Erregt versetzte sie: »Wie kann ich, ohne daß ich vorher mit meiner Mutter gesprochen –« – »Was deine Mutter denkt,« fiel die Base ein, »das kannst du hier lesen.« Sie übergab ihr das Schreiben.

Regine brach es auf und las. Noch war sie nicht in die Mitte der ersten Seite gekommen, als das Rosenrot ihres Antlitzes plötzlich dunkler wurde und ihre Wangen erglühten. Ohne den Brief zu Ende zu lesen, steckte sie ihn ein und rief: »Schicken Sie nur gleich den Lehrbuben zu dem Mann und sagen Sie ihm, daß er zu Hause bleiben soll!« – »Wie!« rief die Frau, die vor Überraschung und Schreck ordentlich erblaßte; »bist du von Sinnen?« – »Es wäre kein Wunder,« entgegnete das Mädchen mit dem Ausdruck der Gekränktheit und des Vorwurfs. »Eine solche Sache macht man hinter meinem Rücken ab und will mich mit Gewalt dazu bringen? Aber da kennt man mich nicht, wenn man glaubt, ich lasse mich zu so etwas nötigen.«

Die Base schaute sie erstaunt an. Obwohl sie in ihr schon öfter den Geist des Vaters erkannt hatte, auf eine solche Entgegnung war sie doch nicht gefaßt. Sie gab ihrem Gesicht den strengsten Ausdruck, hielt aber noch an sich und sagte: »Was hast du an dem Mann auszusetzen?« – »Alles!« rief das Mädchen. »Er ist mir zuwider gewesen von jeher, erst wegen seiner Zudringlichkeit und dann wegen seiner einfältigen Vornehmheit. Ich erschreck' ordentlich bei dem Gedanken, ihn zum Mann zu haben. Wenn ich seine Frau sein müßt', ich sag' es Ihnen, augenblicklich lief ich fort und spräng' in den Lech!«

»Du bist toll und redest gottvergessen!« entgegnete die Base. »Ein Mann im besten Älter, gesund, kräftig, stattlich, ein Mann, der noch ganz andere Mädchen haben könnte, wie du bist –« – »Er soll sich eine nehmen davon!« rief jene dazwischen. – »Ein Mann,« fuhr die Base nachdrücklicher fort, »der wegen seines Vermögens und wegen seiner Geschicklichkeit in der größten Achtung steht, die angesehenste Freundschaft hat, und der dich zur Frau begehrt, weil er eben in dich vernarrt ist; ein Mann, der dich auf den Händen tragen wird und bei dem du ein Leben führen wirst wie im Himmel. – Ist's denn möglich, so einen Mann zu verschmähen, weil er nicht mehr zwanzig Jahr alt ist? Ist's möglich, die Gelegenheit zu versäumen, eine der ersten Bürgersfrauen hier zu werden, aus bloßer dummer Ziererei?« – »Nicht aus Ziererei,« entgegnete Regine mit nachdrücklichem Ernst, »sondern weil ich den Mann nicht leiden kann.«

»Du wirst ihn leiden können,« rief die Bäckerin eifrig, »ich steh' dir gut dafür! Du hast die falsche Meinung junger Mädchen, die nicht wissen, was der Ehestand ist. Probier's nur erst, und wir wollen sehen, was du nach einem Vierteljahr sagst! So einen Mann kann man nicht anders als gern haben, weil er ein rechter Mann ist und ein ganzer Mann und nicht so einer, wie sie jetzt herumlaufen; einer vom alten Schlag, der nach dreißig Jahren noch gerade so aussehen wird wie jetzt. Und wie ist er verliebt in dich! wie ein Achtzehnjähriger! Er denkt nur an dich, er sehnt sich über die Maßen, dich als seine Frau bei sich zu haben!« – »O,« rief das Mädchen, vor dem bloßen Gedanken sich wehrend, »er wird mich nie bei sich haben!« – »Er wird dich haben, du dummes Ding,« rief die Base mit Heftigkeit, »und du wirst Gott danken, daß er dich hat! Er ist der Mann, ein Mädchen glücklich zu machen, ein Ehrenmann, ein Kernmann, ein Mann, wie du keinen mehr finden wirst in der ganzen Welt!«

Die Frau wäre im Zuge gewesen, noch eine Weile so fortzufahren; aber die Geduld Regines hatte ein Ende. »Base,« rief sie, »Ihr Reden ist umsonst! Ich tu's nicht, um die ganze Welt nicht! – Und das ist mein letztes Wort!« Dies ward mit einer Kraft aus dem Innersten gesprochen, daß die Bäckerin verstummte. Sie betrachtete das Mädchen, das hocherregt dastand, forschend, kopfschüttelnd, und sagte dann: »Es ist ja gerade, als ob ein böser Geist in dich gefahren wäre. Einen solchen Antrag auszuschlagen! Ein solches Glück hochmütig wegstoßen und der Mutter ungehorsam sein und ihren Wunsch verachten! – Was wird die dazu sagen, wenn sie's erfährt?«

Regine schwieg. Aus ihrer Miene wich der Ausdruck der Entrüstung und machte dem des Bedauerns Platz. Dann sagte sie mit dem Ton der Ergebung, aber zugleich der Hoffnung: »Meine Mutter ist eine gute Mutter und eine verständige Frau. Wenn ich ihr alles sage, wie mir's ums Herz ist und warum ich nicht kann, dann wird sie mir verzeihen.« – »Du irrst dich!« versetzte die Frau streng. »Ich weiß, was deiner Mutter daran liegt, ich weiß, wie sie sich schon darüber gefreut hat. Sie wird dir's nie vergeben, solang' sie lebt.« – Energische Tritte auf der Straße veranlaßten sie, durchs Fenster zu sehen. »Gott int Himmel,« schrie sie auf, »da kommt er schon! Er hat's nicht erwarten können! Mädchen!« rief sie zu Regine gewandt in flehendem Ton, »um Gottes willen, besinne dich, sag ja! Ich steh' ja in der Schande da vor diesem Mann! Sag nur nicht nein! Sag, du willst's überlegen!« – »Nein, Frau Base,« versetzte Regine, »das wär' unrecht von mir. Da es fest beschlossen ist, daß ich unter keinen Umständen seine Frau werde, so muß ich seinen Antrag auch gleich ausschlagen, und ein für allemal. Sagen Sie's ihm – geben Sie's ihm so süß ein, wie Sie können.«

Sie öffnete die Tür und ging durch die große Stube rasch in die Küche. »Unverschämter Bauernstolz!« rief das im Zorn ihrer eigenen Herkunft vergessende Weib, indem sie bis in die Stube nachging. »Das hat man davon, wenn man sich solcher Leute annimmt und was aus ihnen machen will! Aber nun ist's aus mit uns zweien! Fort soll sie mir! – fort zu ihren Bauern!«

Die Tür ging auf und herein trat der Bräuer im schönsten Staat. Dunkel waren die Stoffe, wie sich geziemte; aber ordentlich Strahlen gingen aus von dem neuen Tuchrock, von der geblümten Atlasweste und von dem Hut, der soeben aus dem Laden des Verfertigers gekommen war. Das Gesicht des Ehrenmannes verriet eine gewisse Befangenheit, die indes bezwungen und niedergehalten war von dem Bewußtsein dessen, was seinen Antrag unwiderstehlich machte; und über die Reste der Sorge triumphierend schritt er mit dem Gruß des Tages zur Frau des Hauses. Diese dankte in einem Ton, der jedem anderen aufgefallen wäre; aber der Liebhaber, dem heute ein besonderes Achthaben auf andere nicht zuzumuten war, fragte mit ungestörter Zuversicht: »Haben Sie mit der Regine gesprochen, Frau Base?«

Die Frau sah ihn an, und halb noch erzürnt über die Widerspenstige, halb mitleidig sagte sie: »Ach, Herr Vetter, das Mädchen ist Sie nicht wert! Sie können ganz andere haben!« –Der Bräuer, diese Worte falsch deutend, erwiderte mit Ernst: »Nun, Frau Base, in dieser Sache kommt's, wie ich glaube, nur auf meine Ansicht an.« – »Das eben nicht,« entgegnete die Frau, »sondern hauptsächlich auf die Ansicht des Mädchens, und die ist verrückt!« – »Wie!« rief der Freier, indem er sie mit vergrößerten Augen ansah. – »Nun,« versetzte die Bäckerin, in welcher der Unmut wieder die Oberhand gewann, »heraus muß es einmal! Denken Sie sich – sie will nicht, die dumme Rieser Gans!« – »Sie will nicht?« wiederholte der Mann. »Und warum nicht?« – »Weil sie eine hochmütige Närrin ist,« entgegnete die Frau, in ihrer Entrüstung aller Höflichkeit vergessend und mit der Wahrheit herausplatzend; »weil Sie ihr nicht jung und schön genug sind! – weil sie einen Mann von Ihrem Alter und Ihrer Statur nicht gern haben kann!«

Nach dieser rückhaltslosen Eröffnung zeigte das Gesicht des Freiers eine seltsame Reihe von Empfindungen. Zuerst überkam ihn eine Bestürzung und eine Scham, daß das Blut aus den Wangen zurücktrat und eine bläuliche Blässe darauf lagerte, wie man sie an dem gesunden Mann bisher nie erblickt hatte. Alsbald aber regte sich das Selbstbewußtsein, und das Gefühl der erlittenen Beschimpfung erzeugte eine Entrüstung, die wuchs und wuchs und anschwoll zur Wut und zur tiefen Verachtung derjenigen, die so über ihn zu urteilen sich erfrecht hatte. »Was!« rief er, nachdem die Blässe seines Gesichts dunklem Rot Platz gemacht hatte, »dieses Rieser Bauernmädchen hat die Unverschämtheit! – Eine Magd, die ich zur angesehensten Frau machen wollte, schlägt mich aus? Einem Bettelmädchen bin ich nicht gut genug?«

Der Mann hatte den Hut abgelegt und ging schnaufend in der Stube auf und ab. »So geht es,« rief er mit gesteigertem Grimm, »wenn man sich mit solchem Volk einläßt! Hoffärtig werden sie, wenn man sich zu ihnen heruntergibt, und kennen sich vor Einbildung selber nicht mehr. Sollte dieses Affengesicht nicht Gott danken, daß sie ihr bißchen Schönheit so gut anbringen kann? Und sie verschmäht mich, – mich, weil ich – – nun, der wird's gehen, wie sie's verdient! Ein gestandener Mann ist ihr zu alt und nicht schön genug? Sie wird Schöne und Junge haben können, die da; und das Ende vom Lied wird sein, daß sie mit Schand' und Spott hinterm Zaun verhungert!«

Diese Reden der Wut und der Erbostheit waren so rücksichtslos akzentuiert, daß Regine in der Küche jede Silbe verstand. Ihrerseits entrüstet hatte sie die Klinke gefaßt und die Tür geöffnet, als der Bräuer eben die letzte Phrase vollendete. Mit der Überlegenheit des guten Gewissens die Bäckerin betrachtend, in ruhiger, aber allerdings tiefer Verachtung sagte sie: »Nun, Base, hab' ich nicht recht gehabt, diesen Mann auszuschlagen?«

Beide, Mann und Frau, waren auf diese strafende Frage betroffen. Der letzteren waren die Ausdrücke des Zornigen doch etwas zu stark gewesen, und sie schwieg daher; aber der Abgewiesene faßte sich und begann mit neuem Grimm: »Sie ist eine –« – Weiter kam er nicht. Regine, die eine Schmähung kommen sah, warf einen funkelnden Blick auf ihn und rief mit aller Kraft der Entrüstung: »Schämen Sie sich!« – Der Mann hielt inne und ließ sie ruhig in die Küche gehen.

Nach einer ferneren Explosion seinerseits und besänftigenden Trostworten von seiten der Base, die uns nicht weiter interessieren, begab sich der Witwer nach Hause und faßte den Vorsatz, nur eine Ebenbürtige glücklich zu machen.

Der Aufenthalt der jungen Rieserin in Augsburg hatte seine Endschaft erreicht. Denselben Tag noch packte sie ein Kistchen mit ihren Sachen, akkordierte mit einem nach Nördlingen fahrenden Lohnkutscher und nahm, was ihr für den Dienst gebührte, aus den Händen des Bäckermeisters, der dies von ihr gefordert hatte. Am anderen Morgen trat sie reisefertig in die Stube. Der Kutscher fuhr eben an, die Minuten waren gezählt. In ihrem Kämmerlein, in der Stille der Nacht, hatten ihr die Auftritte des Tages doch leid getan. Sie glaubte gegen die Base, die's am Ende nur gut meinte, zu scharf, zu heftig gewesen zu sein, und hatte sich vorgenommen, sie beim Abschied womöglich zu begütigen. Mit sanfter, fast trauriger Stimme sagte sie zu ihr: »Frau Base, ich bedaure es von Herzen, daß ich so aus einem Hause scheiden muß, wo ich so viel Gutes genossen habe.« – Die Bäckerin erwiderte: »Du hast's nicht anders haben wollen. Nun, such eben dein Glück wo anders, wenn dir eins bestimmt ist.«

Diese Rede war mit einer kalten Gemessenheit gegeben, die noch immer ein unversöhntes Herz verriet. Das Mädchen versetzte gleichwohl mit Wärme: »Haben Sie Dank für alles und leben Sie wohl!« Sie wollte ihr die Hand reichen; die Frau tat, als nähme sie es nicht wahr, und ließ ihren Arm unbewegt; aber die Hand sollte nicht vergebens ausgestreckt sein. Der gute Bäckermeister ergriff sie. Indem er sie väterlich drückte und Regine dabei so liebevoll ansah, wie man es ihm kaum zugetraut hätte, sagte er: »Leb wohl, Bäschen, und sei auch du bedankt! Wir sind gut versorgt gewesen, solang' du im Hause warst, und ich mein', so ein braves, geschicktes und verständiges Mädchen kriegen wir nie wieder. Wenn gute Leute glücklich sind in der Welt, dann wirst du Glück haben! Leb wohl!« – »Lebt alle wohl!« rief Regine, indem sie mit feuchten Augen das Ehepaar, den gleichfalls herbeigekommenen dermaligen Gesellen und den Lehrjungen ansah. »Lebt glücklich und haltet mich in gutem Andenken!«

In wenigen Minuten rollte sie aus dem schönen Augsburg. Abends, nachdem sie ihre Kiste zu Harburg abgegeben hatte, wanderte sie nach ihrem Dorf.

Ihre unerwartete Ankunft bei den Ihrigen überraschte höchlich; aber das Gespräch mit der Mutter endete nicht so, wie die Base von Augsburg gedroht, sondern wie's die liebende Tochter prophezeit hatte. Die alte Gröningerin hatte die Verbindung mit dem Bräuer lebhaft gewünscht, aber nie recht daran glauben können. Sogar während sie ihren Brief schrieb, war ein Zwiespalt in ihrem Herzen. Eine reiche Bürgersfrau zu »machen«, erschien ihr freilich sehr lockend, und sie stellte sich vor, wie gar manche Heirat eines Witwers in gewissen Jahren mit einem jungen Mädchen schon gut ausgefallen sei. Auf der anderen Seite mußte sie aber doch auch sich denken, daß dieser Mann ihrer Regine nicht gefallen werde, und daß dem hübschen und jungen Kind ein hübscher und jüngerer wohl zu gönnen wäre. Sie tröstete sich mit dem bekannten Wort: »Alles kann eben nicht beisammen sein«, und sandte das Mahnschreiben ab, hoffend und fürchtend. Als nun Regine, nach der Begrüßung der Familie, in der oberen Stube ihr erzählte, wie's gegangen sei, und erklärte, sie habe den Mann nicht heiraten können und dürfen, es wäre eine Sünde gewesen, wenn sie ihn genommen hätte; denn sie habe nicht bloß gar keine Liebe zu ihm gehabt, sondern er sei ihr zuwider gewesen, sie könne gar nicht sagen wie, – da war die alte Bäuerin stumm, und nur ein Seufzer entschlüpfte ihren Lippen. Regine faßte ihre Hand und sagte liebevoll: »Mutter, sei nicht traurig, es ist wahrhaftig nicht der Mühe wert! Ich werde noch einen anderen Mann bekommen als so einen! Einige Jahre kann ich immer noch warten, und es müßte ja sonderbar zugehen, wenn grad ich keinen kriegte, den ich auch möchte.« – Die Mutter erwiderte: »Wir wollen das Beste hoffen. – Aber ihr Kinder macht einem Sorgen!« Nach einer Minute setzte sie resigniert hinzu: »In Gottes Namen!« Sie sagte der Tochter nichts davon, daß unterdes der Meier auch Witwer geworden sei; denn sie hätte ja hinzufügen müssen, daß die Familie schon wieder eine Neue für ihn habe, und sie wollte es lieber dem Zufall überlassen, diese Nachricht an sie zu bringen.

Wenn das Mädchen diesen Abend nichts mehr von dem Meier hörte, so war es doch vom Schicksal beschlossen, daß dieser noch etwas von ihr vernahm. Regine befand sich eben in der unteren Stube bei der Familie und streichelte die Kinder ihres Bruders, die sich zärtlich an sie angeschlossen hatten, gewonnen sowohl durch die Liebenswürdigkeit des »Bäschens« wie durch einige treffliche Süßigkeiten, welche sie vom Konditor zu Harburg mitgenommen, als ihre rundköpfige Gespielin »Kätter« (Katharina) rasch hereintrat und sie freudig begrüßte. Diese Getreue hatte ihre Ankunft erfahren und konnte aus Anhänglichkeit und Neugier nicht umhin, sie sogleich aufzusuchen. Nachdem sie sich an dem Anblick und dem Benehmen der Freundin geweidet hatte, sagte sie lächelnd: »Nun, und wie lang' wirst du bei uns bleiben?« – »Hier im Dorfe?« erwiderte Regine. »Solang' wie möglich, immer, wenn sich's schickt.« – »Wie!« rief die andere verwundert, »wirst du denn nicht Wirtin in Augsburg?« – »Ah so!« versetzte Regine, ihrerseits lächelnd. »Nein, meine gute Kätter, da wird nichts draus. Der Mann ist nicht nach meinem Geschmack.« – »Im Ernst?« – »Im Ernst,« erwiderte das Mädchen ernsthaft. »Kannst's jedermann sagen, wenn du willst.«

Die Kätter verwunderte sich bedeutend, ließ sich aber diese Erlaubnis nicht zum zweitenmal erteilen. Nach einigen freundlichen Reden und Versicherungen ging sie fort – und eine Stunde später erfuhr der Meier von einer Nachbarin nicht nur, daß die Regine angekommen, sondern daß sie über die Maßen schön geworden sei und daß sie den Augsburger Wirt nicht heirate, weil er ihr nicht gefalle.

Als am Sonntag darauf die Schwester erschien, hatte der ländliche Witwer sein Bäschen noch nicht gesehen, denn er trug eine Scheu, die Familie Gröninger zu besuchen; aber auf die Anfragen der beiden Frauen erklärte er, er könne sich noch nicht entschließen, wegen einer neuen Heirat etwas auszumachen, auch nicht im geheimen. Es schicke sich nicht, jetzt schon wieder an eine andere zu denken, wo sein Weib noch kein Vierteljahr tot sei. Die Sache würde doch nicht verschwiegen bleiben und man würde ihn darum ansehen. Ihm eile es auch gar nicht, er könne recht gut die schickliche Zeit abwarten, und er wolle es tun, das sei beschlossen. Alles Zureden war umsonst. Der Meier entgegnete wiederholt, er habe sich die Sache jetzt erst recht überlegt, und blieb bei seinem Satze. Die Schwester, die sich am meisten ereifert hatte, wurde ernstlich böse und verabschiedete sich mit der Drohung, sie ziehe ihre Hand von ihm ab und er solle dann nur sehen, wo er eine kriege. Die Alte machte ein Gesicht, aus dem nicht nur Unmut, sondern auch Argwohn sprach. Sie hatte eine Ahnung von dem eigentlichen Grund der Weigerung und erleichterte ihr Herz in Andeutungen und ungünstigen Prophezeiungen.

Regine erfuhr den Tod der Meierin und den Plan der Familie wegen der Müllerstochter am anderen Morgen nach ihrer Heimkehr von der Schwägerin. Es kostete sie Mühe, die Bewegung zu verbergen, in welche diese beiden Nachrichten sie versetzten. Als sie allein war, schüttelte sie traurig das Haupt. Nach und nach empfand sie doch großes Verlangen, den »Vetter« zu sehen. Aber es ging ihr wie ihm: sie trug Bedenken, bei ihm einzukehren, und wartete darum auf ein zufälliges Zusammentreffen.

Dieses erfolgte ein paar Tage später. Wie so oft in früheren Zeiten kamen sie sich auf der Gasse entgegen; aber jetzt mit welch verschiedenen Empfindungen! Der Meier, sie von weitem erkennend, wurde rot; dem Mädchen klopfte das Herz und hob sich der Busen. In Verwirrung beide kamen sie einander entgegen und grüßten sich mit der feierlichen Gutmütigkeit, womit natürliche Menschen die innere Bewegung zu verbergen streben. Regine faßte sich zuerst und begann mit ernster Teilnahme und sanftem Ton: »Ihr habt unterdessen die Frau Base verloren, Vetter.« – »Ja,« erwiderte der Meier ernst. »Aber,« setzte er nach kurzem Besinnen hinzu, »warum nennst du mich denn Ihr? Kennen wir uns nicht von Jugend auf und soll ich ›per Sie‹ mit dir reden?« – »O nein,« versetzte das Mädchen errötend, »ich hab' nur gemeint – aber du bist ja mein Vetter.« – »Das mein' ich auch,« sagte der Meier. – »Und,« fuhr er, durch die erste Annäherung erfreut und seiner Verwirrung enthoben, fort, »ich bild' mir was darauf ein, so ein Bäschen zu haben. Das Stadtleben ist dir angeschlagen, Regine, wahrhaftig, du siehst aus wie's Leben. – Und du willst jetzt doch wieder bei uns bleiben, wie man sagt? Wirst du dich auch wieder dran gewöhnen?« – »Ich hoff's,« erwiderte Regine. »Die Stadt hab' ich nun probiert und in den drei Jahren, wo ich droben war, hab' ich zuletzt auch genug dran bekommen.«

Den Mund des Meiers umfloß der Schein einer glücklichen Empfindung. »Man hat hier vor einiger Zeit gesagt, du würdest ganz droben bleiben.« – »Da hat man eben was Falsches gesagt,« erwiderte Regine, vor sich hinsehend, »wie das so oft geschieht. Ich bleib', wo ich geboren bin und wo ich am liebsten bin. – Nun,« fuhr sie nach einer kleinen Pause ausweichend fort, »und sonst geht's dir gut? Du bist gesund, wie ich sehe.« – »Gottlob,« versetzte der Meier, »das bin ich. Aber wie's einem eben geht, wenn das Weib im Hause fehlt. Man hat alle Hände voll zu tun, und ist doch nichts ausgerichtet.« – »Nun,« entgegnete Regine, »du mußt dir halt um eine neue sehen, das geht bei einem so großen Geschäft nicht anders.« Und lächelnd setzte sie hinzu: »Man hört ja auch, daß schon wieder etwas im Werk ist und daß mit der Zeit eine kommen wird.« – »Bewahre,« fiel der Meier hastig ein; »das ist ein bloßes Gerede. Angetragen hat man mir allerdings eine, aber ich hab's ganz und gar von der Hand gewiesen. Vorläufig denk' ich –« Er wollte sagen: »nicht ans Heiraten.« Aber das Mädchen war bei den letzten Worten so hold errötet und ein solches Licht der Wonne hatte sich über ihr Antlitz ergossen, daß er mitten innehielt und ihr nach einem Moment des Schauens mit einem Blick der innigsten Liebe ins Gesicht sah.

Es war gut für beide, daß jetzt ein alter Bauer nahte und schon von weitem rief: »Guten Tag miteinander!« Regine dankte und ging weiter. Sie fühlte einen Sturm im Herzen, so mächtig und so süß, daß sie am ganzen Leib erbebte und ihre Füße sie kaum nach Hause trugen. Der Geliebte liebte sie – da war kein Zweifel. Und sie wurde Meierin, keine andere. – Was ihr Geist nicht zu denken, ihre Seele nicht zu hoffen wagte, das rief ihr Herz und ihr Blut ihr zu, wieder und wieder. Und das Herz hatte recht. Der Meier, von der Schönheit des Mädchens gänzlich eingenommen, vollkommen glücklich durch die Überzeugung, daß ihn das Bäschen immer noch lieb habe, ja lieber als jemals, beschloß auf dem Heimwege: die wird Meierin und keine andere!

Er hatte eine Empfindung wie nie in seinem Leben. Die Regine gefiel ihm nicht nur, sein Herz begehrte sie nicht nur, er hatte ihr gegenüber ein Gefühl der Hochachtung wie vor etwas Vornehmem. Allerdings war das Mädchen nicht nur in Schönheit erblüht, aus ihrem Antlitz sprach ein edlerer Geist, ein festeres Herz, ein tieferes Gemüt, als man sie auf dem Lande für gewöhnlich zu finden pflegt. Das Stadtleben war in keiner Hinsicht ohne Frucht geblieben. Die Jungfrau war ausgereift nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich; sie hatte nicht nur äußere gute Sitte und Anstand gelernt, sondern auch Erfahrungen gemacht und Proben bestanden; und das zusammen gab ihrer Person etwas Auszeichnendes, das der Meier fühlte. Er freute sich, ihr nicht nur die größte Liebe, sondern auch die größte Ehre erweisen zu können, indem er sie als Meierin in sein Haus führte und zur ersten Frau des Dorfes machte.

Je gewisser es indes beiden war, daß sie zusammengehörten und zusammenkommen würden, desto weniger fühlten sie einen Drang, es nun auch äußerlich sogleich miteinander richtig zu machen. Sie waren eins – damit war die Unruhe besiegt, die Ruhe gesichert – die Ruhe des Innersten, die gar wohl mit innigem Verlangen und lieber Erregung verbunden sein, aber auch mit dieser zusehen und warten kann.

Der Meier stattete der Familie Gröninger bald seinen Besuch ab, was er ja auch in Abwesenheit der Regine zuweilen getan hatte. Nachdem man sich in behagliche Vertraulichkeit hereingeplaudert, lud er das Mädchen ein, auch seine Mutter zu besuchen und den Meierhof wieder einmal zu sehen. Regine versprach es. Am nächsten Sonntag nachmittags kam sie. Die Alte, trotz ihres Argwohns, begrüßte die Heimgekehrte mit all der würdigen Freundlichkeit, wie der Brauch sie fordert; sie hob sogar mit Eifer die Ehre der »seltsamen Einkehr« hervor und wünschte nur, daß dem Bäschen nach dem Leben in der Stadt, wo alles besser sei und feiner, ihre Sachen auch noch schmecken möchten. Regine antwortete auf dieses und anderes bescheiden, voll wahrer Achtung und mit so natürlich sanftem und herzlichem Ton, daß die Frau ihr nicht böse sein konnte. Sie betrachtete den schönen Gast mit einer eigen gemischten Empfindung. Ihr Gesicht, ihre Statur und ihr Benehmen gefielen ihr überaus, ja flößten ihr Achtung ein; aber allerdings mußte sie sich sagen, daß sie damit eben nur um so gefährlicher wurde. – Das Mädchen schien auf den anwesenden Meier wenig acht zu haben und nur für die Mutter dazusein; und der Meier behauptete seinerseits eine ernste Freundlichkeit, bei der er nicht über die höflichen Formen hinausging, die man einem Besuch schuldig ist. Dessenungeachtet glaubte die Erfahrene in den Gesichtern beider etwas zu bemerken, was auf ein gewisses Einverständnis deutete. Ihr Herz, das an dem alten Plane hing, erhob sich dagegen; allein merken lassen durfte sie nichts. Infolge der Unterhaltung beim Kaffee wurde sie zuletzt so weit gebracht, das Unglück, das ihr drohte, wenn es nun wirklich eintreffen sollte, doch nicht für das größte zu halten, das ihr überhaupt begegnen konnte.

Von dieser Zeit an erschien der Meier bei den Gröningersleuten öfter als sonst, obwohl nicht so oft, daß es auffallend und unschicklich befunden werden mußte; denn der Bauer beobachtet die Formen des ihm eigenen Anstandes vielleicht am gewissenhaftesten. Es war dennoch oft genug, um die beiden Seelen zufriedenzustellen und sie stets wieder zu still-glücklichem Warten zu befähigen.

Den ganzen Sommer über kam es zu keiner Erklärung. Der Witwer, der Geliebten sicher, wollte jetzt gerade das Trauerjahr oder wenigstens den größten Teil davon hingehen lassen, bevor er um sie anhielt. Beide gingen aber doch schon miteinander um, als ob sie versprochen wären. Wenn sie zusammenkamen, grüßten sie sich mit so herzlicher Freundlichkeit, um die Lippen spielte ein so glückseliges Gefühl der Befriedigung und ihre Augen blickten so verständnisinnig ineinander, daß sie eine weitere Erklärung gar nicht für nötig hielten.

Das Verhältnis war so schön, daß man eine Fortdauer desselben ordentlich wünschenswert finden mußte. Denn das, was nachher kommen sollte, war freilich noch schöner; aber eben weil es gewiß kam und damit das jetzige Verhältnis zu Ende ging, wollte man diesem nicht mit Fleiß eilend ein Ende machen. In die Gegenwart glänzte die schönere Zukunft schon herein, und sie zogen es vor, diese noch eine Zeit aus der Ferne zu betrachten, weil sie auch da schon überaus lieblich war. Ein Monat verging nach dem anderen, und noch immer war der Entschluß nicht gefaßt, das Wort der Verlobung zu sprechen.

Von außen wurde dieser Verkehr des Meiers mit der Geliebten nicht gestört. Die Schwester hatte fortgetrutzt, und als ihr die alte Meierin an einem dritten Ort ihre Vermutung wegen der Regine mitteilte, konnte sie das nur in ihrem Vorsatz bestärken, einen Menschen, der einen solchen Gedanken zu fassen vermochte, seinem Schicksal zu überlassen. Der Bemerkung der Mutter wegen der Schönheit und des geschickten Benehmens des Mädchens hatte sie ein geringschätziges Achselzucken entgegengesetzt und sich unmutsvoll nach Hause begeben. In dieser Beziehung sicher hatte der junge Witwer auch von seiner Mutter nichts zu befahren; denn die alte Meierin befand sich in jenem Zwiespalt der Empfindungen, wo man nicht weiß, was man tun soll, des Miteingreifens daher überhaupt sich enthält und die Dinge ihren Gang gehen läßt. Noch weniger kam begreiflicherweise eine Einrede von der Familie der Geliebten. Diese hatte freilich sehr bald bemerkt, wo der Meier hinaus wollte; aber was konnte es für sie Angenehmeres und Ehrenvolleres geben? Die Mutter namentlich brachte, wenn sie die zwei so schön beisammensitzen sah, fast den Mund nicht zusammen und verschönte sich ordentlich selber in ihrer Freude. Wie glücklich pries sie sich, daß aus der Heirat mit dem Bräuer nichts geworden, daß sich Regine nicht dazu hatte nötigen lassen, und statt des alten, hoffärtigen Stadtherrn den schönen, jugendkräftigen Meier bekam, der sie so gern hatte und zur vornehmsten Bäuerin in der Umgegend machte! Das Wohlgefühl der guten Alten war vollkommen. Ihre beiden Söhne waren versorgt, denn auch der ältere hatte das Jawort der Hoferbin erhalten und gedachte noch in diesem Jahr als »Bauer« bei ihr einzuziehen. Wenn ihre Tochter nun überdies noch Meierin wurde – was konnte sie auf Erden noch wünschen? Alles hatte sie – alles! Sie konnte ihre letzten Tage selig verleben und ruhig ihre Augen schließen.

Zunächst sollte das Glück ihres Ältesten besiegelt werden. An einem schönen Sonntag des Spätherbstes fuhr die ganze Familie mit Ausnahme der Regine nach dem Geburtsort der jungen Gröningerin ab, um im Hause der ebenfalls dort aufgeblühten Erwählten den Heiratstag zu halten. Mancher Bekannte sah dem fortrollenden Wagen heiter nach, und die am Wege Stehenden riefen dem Hochzeiter wohl auch einen fröhlichen Glückwunsch zu. In einem erweckte aber der Anblick des Gefährtes eine eigentümliche Empfindung. Sie waren alle droben auf dem Wagen – auch die junge Mutter mit den Kindern, die man den Großeltern zeigen wollte – alle, mit Ausnahme einer einzigen! Sie hütete das Haus – und war allein. – Bei diesem Gedanken fuhr ein Blitz in das Herz des Meiers und entzündete plötzlich ein Verlangen, diese eine in ihrer Einsamkeit zu sehen. Und wenn heute das schon gereifte Verhältnis besiegelt und verbrieft wurde, so sollte ein anderes doch auch einen wesentlichen Schritt vorwärts gebracht werden.

Regine saß um die dritte Stunde des Nachmittags in der Stube und nähte an einem Kleid für das jüngste Bruderkind. Sie war ganz allein, die Magd in ihrer Kammer, der Knecht im Stall und sonst niemand zu Hause. Die Sonne schien sanft durch das Fenster, tiefes Schweigen erfüllte den Raum, und nur die Wanduhr tickte stärker, als sie es sonst am Tage zu tun pflegt. Das Gesicht des zuweilen aufschauenden und von der Arbeit ruhenden Mädchens hatte einen seltsamen Ausdruck: heiter der Grundton, heiter der Blick der schönen braunen Augen, aber um die Lippen ein leises Spiel träumerischer Wehmut, auf eine ernste Empfindung deutend, die sich mitten unter frohen, zukunftreichen auch zu regen begonnen hatte. Woran dachte die Jungfrau? Sie war glücklich, sie wußte, daß das höchste Glück, das sie ersehnt hatte von Jugend auf, ihr zuteil werden sollte, sie wußte es mit völliger Sicherheit. Aber wieviel hatte sie erfahren und wieviel hatte sie leiden müssen, um dahin zu gelangen! Und eine andere mußte fort aus dem Leben, fort, um ihr Platz zu machen und Einlaß zu gewähren in das Haus der Liebe, der Ehre, der Herrlichkeit!

Im Glück, angeglänzt und angeduftet schon von der seligen Fülle der Zukunft, empfand dieses Mädchen, wie nahe der Lust das Leid steht, wie die Lust geboren wird aus dem Leid und dieses einen Schatten wirft auf sie, weil die Seele sich daran erinnern muß. Es drängte sich ihr der Gedanke auf, wie aus der Lust auch das Leid geboren, der Glückseligkeit ein Ende gemacht werden könnte. War diejenige, die sie erwartete, doch allzu groß und weit über ihr Verdienst.

Seltsam! diese Regungen mitten im Glück waren dem Mädchen nicht unlieb, und sie ließ ihnen ihren Lauf. Sie hatte das Gefühl, daß sie damit nicht verlor, sondern gewann, daß es besser sei, im Glück an das Unglück zu denken, als blind glücklich zu sein. Nachdem sie mit einem Blick vor sich hingesehen, als ob sie dies innerlich erwöge, erhob sie den Kopf und sagte mit einer Ergebung, die etwas Feierliches hatte: »In Gottes Namen!«

Die Haustür, die nicht geriegelt, sondern nur »zugeschnallt« (eingeklinkt) war, ging auf. Regine errötete, der Ernst wich aus ihrem Gesicht und sie lächelte freudig. Sie wußte, durch Weissagung ihres Herzens, daß er's war, daß er sie besuchen wollte.

Was für einen Einfall hatte der draußen im »Tennen«, etwas zu tun, was die Landleute sonst nur bei »Herrn« zu tun pflegen? Er klopfte an die Stubentür, sogar mit einer gewissen feinen Mäßigung. Aber die Regine ward nicht irre. Sie rief »Herein!« und sah hin – und sah, was sie erwartet hatte.

Der Meier trat ein und grüßte. Er war nicht verlegen, nur von einem Hauch natürlicher Befangenheit übergossen, der aber weit entfernt war, seinem freundlichen Gesichte zu schaden. – »Du bist allein, Regine?« begann er, als ob er verwundert wäre. – »Freilich,« erwiderte das Mädchen aufstehend. »Meine Leute sind ja nach dem Essen zum Heiratstag gefahren.« – »Alle?« versetzte der Meier, als ob er nicht eben dies gesehen hätte. – »Jawohl,« sagte Regine. »Hast du sie nicht fahren sehen?« Der ehrliche Mann zeigte bei dieser Frage eine Miene, die Regine begriff. Zögernd erwiderte er: »Das schon, aber der Wagen ist so schnell vorbeigefahren!« – Lächelnd sagte das Mädchen: »Nimm Platz,« und setzte sich wieder zu ihrer Arbeit.

Der Meier blieb stehen und betrachtete sie mit einem Ausdruck, als ob er von einem Gedanken getroffen wäre. »Du bist größer geworden,« sagte er dann, »und schöner und stattlicher; aber wenn ich dich so anseh', muß ich doch an den Palmsonntag denken, wo du konfirmiert worden bist und ich zufällig in eure Gesellschaft gekommen bin. Grad da bist du an dem Tag gesessen, weißt du noch?« – »Jawohl,« erwiderte Regine. »Damals haben wir uns gut unterhalten. Sei so gut und setz' dich.«

Der Meier schaute sie an und entgegnete: »Damals hast du's besser mit mir gemeint, Regine. Du hast nicht gesagt: ›setz dich!‹ sondern: ›komm, setz dich zu mir!‹« – Das Mädchen erwiderte: »Das kannst du auch jetzt tun. Ich hab' dir den Platz nicht vorgeschrieben.«

Der Meier ließ sich das nicht zweimal sagen. Er setzte sich an den Tisch neben sie, immer noch mit Bescheidenheit, so daß ein kleiner Raum zwischen ihnen blieb, aber doch so nah, daß er den etwas ausgebreiteten Sonntagsrock des Mädchens berührte. Diese nähte weiter und sah auf ihre Arbeit; er desgleichen betrachtete das Werk ihrer Hände. Das Gespräch war abgerissen und keins empfand einen Antrieb, es wieder zu beginnen. Man hörte wieder nur die Uhr, und leise das Atmen der Liebenden. Sie fühlten sich in einem sonderbaren Zustand; nach der leichten Unterredung auf einmal beschwert, gehemmt, voll Scheu, aber das Herz voll süßer Empfindung, voll inniger Leidenschaft, die emporwogte in ihren Herzen und sich Bahn brechen wollte. Auf einmal richtete der Meier seinen Blick von den Fingern auf das Gesicht des Mädchens; sie, die es wahrgenommen, erhob und wendete ihr Haupt ihm zu – und beide schauten sich, etwas verlegen zwar, aber mit der innigsten Liebe ins Gesicht. Da ergriff der Mann ihre Hand, welche die Arbeit sich entsinken ließ, und rief im gutmütigsten, herzlichsten Tone: »Regine – ich hätt' vielleicht noch länger warten sollen; aber sieh, ich kann nicht! – Du weißt, wie ich gegen dich gesinnt bin und was ich vorhab'. – Sag mir, willst du meine Frau werden?« Regine ward rot über und über, ihre Hand blieb zitternd in der seinen, ihr Herz schlug; aber ihre Lippen bewegten sich nicht, als ob das »Ja« nicht mehr nötig wäre. – »Sag's, Regine,« wiederholte der Mann zärtlich drängend, »willst du die Meine werden?«

Die Augen des Mädchens waren feucht geworden, und glänzend von Liebe, glänzend von dem Tau der Rührung eines dankerfüllten Gemüts, richteten sie sich auf das treue Gesicht. »Ja,« rief sie, »ja, Johann, ich will es werden und will's bleiben bis in alle Ewigkeit!« – »O du Gute!« rief der Liebende, indem er ihre Hand drückte. »Wer hätte geglaubt, daß es noch ein solches Glück auf der Welt gäbe für mich? O hab Dank – hab Dank tausendmal!«

Wie klangen diese Worte in das Ohr des Mädchens, die selbst unter der Last ihres Glückes und Dankes zu erliegen schien! – Es soll nicht verschwiegen bleiben: nun war sie es, die ihre Arme ausbreitete, um den geliebten Mann ans Herz zu drücken und ihre glühenden Lippen auf die seinen. – Endlich, endlich hatte sie ihn! Sie hielt ihn in den Armen – niemand konnte, niemand durfte ihn ihr nehmen – er gehörte ihr allein!

Nach einiger Zeit saßen sie vertraulich beisammen wie ein Brautpaar, das nach Sicherung der heiligen Dinge Rat hält über weltliche. Regine hatte an ihn die Frage gerichtet, was die Schwester dazu sagen werde! Und der Meier erwiderte: »Fürs erste nichts – du kennst sie ja. Aber sie wird sich drein ergeben, und wenn das geschehen ist, sich benehmen, wie's einer Schwägerin zukommt. Sie hat keinen Grund, sich über mich zu beklagen. Einmal hab' ich ihr nachgegeben, jetzt soll sie mir nachgeben.« – »Und die Mutter?« fuhr das Mädchen fort. – »Der hab' ich gesagt, was ich tun will, hab' ihr gezeigt, daß es das Beste ist für mich und für alle – und sie hat's eingesehen und ihre Einwilligung gegeben.« – »Das freut mich,« rief das Mädchen lebhaft. »Nun,« fuhr sie nach kurzem Schweigen gutherzig fort, »die Schwester wird auch wieder gut werden. Sie wird sich überzeugen, daß ich etwas in die Haushaltung bring', was am Ende mehr wert ist als Geld. Und dann,« fügte sie hinzu, »ein Bettelmädchen bin ich grad auch nicht! Ich hab' so viel, daß mancher mich gern zu seiner Bäuerin machen würde; und am Ende, von einem Mann, den man lieb hat, kann man sich auch was schenken lassen!«

»O Regine,« erwiderte der Meier, »wenn du nur magst, was ich dir geben kann! – Ich brauch' ein Weib und meine Kinder brauchen eine Mutter, wie du bist! Nein, ich schenk' dir nichts, ich verlang' von dir viel mehr, als du von mir bekommst!« – »Nun,« versetzte die Jungfrau gerührt, »ich will dir geben, was ich habe, und tun, was ich kann. Du sollst an mir ein Weib haben, die dir treu ist – treu bis in den Tod – und deine Kinder eine Mutter, die so gut sein wird mit ihnen wie eine rechte Mutter. Was in meinen Kräften steht, Johann, das soll geschehen. Darauf geb' ich dir meine Hand! – Der Meier ergriff die dargebotene Hand und sein Auge weilte auf der Verlobten mit unendlichem Vertrauen.

Als am Abend die Familie heimkam, wurde sie von Regine mit Ausrufungen der Freude empfangen. »Alles in Richtigkeit?« fragte sie mit schönster Teilnahme. – »Alles,« erwiderte der Bruder; »Dienstag über vier Wochen kannst du eine Brautjungfer machen.« – »Recht gern,« versetzte das Mädchen. »Glück über Glück! Ich gratulier' dir, Bruder!« – »Ich dank',« sagte der wackere Bursch mit stolzer Freude, und lächelnd setzte er hinzu: »Mach, daß du bald nachkommst!«

Mutter und Tochter gingen miteinander in die obere Stube. Der alten Gröningerin war der feierliche Glanz in dem Gesicht des Mädchens aufgefallen, und wie diese nun plötzlich ihre Hand faßte und zärtlich preßte, da ahnte sie, was vorgefallen war. »Nun?« fragte die gute Alte. Regine erzählte ihr alles. Tränen traten dem Weib in die Augen. »Gott im Himmel,« rief sie, »was bin ich für eine glückliche Mutter! Das hab' ich nicht verdient! Das ist zu viel für mich! Mädchen, wenn uns jetzt dein Vater sähe!«

Bevor der Meier und Regine auseinandergegangen, hatte sie ausgemacht, daß der Verspruch, solange die Trauerzeit währte, ein Geheimnis der beiden Familien bleiben sollte. Wenn aber die Dorfleute diesen selber nicht erfuhren, so hatten sie doch gleichfalls lange schon gemerkt, was der Meier im Sinn trug, und daß er keine andere nehmen würde als die Regine. Man machte gegen beide gelegentliche Anspielungen, aber teilnahmvoller und zarter, als dies sonst zu geschehen pflegt. Beide waren eigentliche Respektspersonen für das Dorf und von den meisten nicht nur geschätzt und gelobt, sondern geliebt.

Nachdem der Winter und mit ihm das Trauerjahr verflossen war, setzten die beiden Familien den Tag der Hochzeit fest. Dieser erschien und brachte das ganze Dorf in die froheste Aufregung. Wenn der Bauer vorzugsweise Sinn hat für Geld und Gut und für äußere Pracht, so ist er doch keineswegs unempfänglich, sondern oft sehr ergreifbar für Eigenschaften des Gemüts und des Charakters. Die Teilnahme bei der ersten Verheiratung des Meiers war groß gewesen; die jetzige war größer, schöner und wärmer. Man hatte in der letzten Zeit erfahren, wie lang' die Regine ihren Bräutigam schon im Herzen getragen, wie lange er selber an sie gedacht habe; und man sah nun eine wunderbare Fügung darin, daß sie zuletzt doch noch zusammengekommen waren. Man fand, daß die Regine für den braven und gutmütigen Meier auch viel mehr passe als die erste, weil sie, – gescheiter, geschickter und feiner wie jene, – doch ohne allen Stolz und von Herzen gut und freundlich sei. Man fand es gar schön, daß hier doch einmal wieder zwei Leute sich bekämen, die einander wert waren, daß es auch wieder einmal ging in dieser Welt, wie es gehen sollte. Als sich der Zug, der nicht viel kleiner war als bei der ersten Hochzeit, in Bewegung setzte und der Bräutigam vorüberschritt, ernst und freudig, und nach den Männern die Braut erschien im Kopfputz der Jungfrau, das Antlitz an dem lauen Maitag fein gerötet, feierlich glücklich, über die Maßen schön, da wurde manches Auge glänzend von Anteil und manches naß von Tränen herzlichen Mitgefühls.

Das Fest im Wirtshause verlief in schönster Fröhlichkeit. Am Bräuteltisch saßen die Mütter des Paares, der Taufpate der Hochzeiterin, der ältere Bruder mit seinem jungen Weib, der jüngere Bruder und die Schwester des Meiers. Diese hatte ihr Herz endlich doch erweichen lassen und war zum Einzugstage gekommen, der Mutter zu helfen; und von Regine liebevoll empfangen und behandelt, hatte sie zuletzt freundliche Miene gezeigt. Jetzt saß sie am Tisch, würdevoll zwar und ernst, aber versöhnt; und als der Bruder ihr im Drang der Freude die Hand reichte, drückte sie diese und nickte ihm schwesterlich zu, als wollte sie sagen: es ist doch recht gegangen! Die Braut empfing reiche Geschenke vom ganzen Dorf, und alle, Gäste wie Nichtgäste, erfreuten sich der Holdseligkeit ihres Antlitzes. Alles ging nach bester Ordnung. Und wie nun zuletzt der »Ansing« begonnen hatte, machte der Meier den jungen Leuten die Spielleute nicht lange streitig. Er trachtete fortzukommen aus dem Lärm in die Stille des Hauses, – und unter dem Blasen der Instrumente, unter dem Juhschreien der Burschen führte der Glückliche die Braut heim.


Zweites Buch.

Das glückliche Leben.

Eine wahre Ehe gehört nicht zu den besonders häufigen Erscheinungen in der Welt. Soll sie möglich werden, so muß die Verbundenen eine Liebe zusammengeführt haben, die zu dauern vermag. Die Naturen müssen einander so ähnlich sein, daß sie gleichmäßig empfinden, und so unähnlich, daß sie sich wechselseitig ergänzen; was aber die Hauptsache ist: sie müssen beide gut sein – beide mehr geneigt zu geben als zu nehmen, zu leisten als zu fordern. Mit dieser Güte allein ist die Liebe der Treue fähig, und damit wahre Liebe, die, auf das Innerste gerichtet, mit der Zeit nur wachsen, an Umfang, Adel und Stärke nur gewinnen kann. Ist das, was man für Liebe hält, bloß eine Lust an flüchtigem Reiz, dann vergeht sie natürlich, wenn dieser selbst oder der Sinn dafür schwindet; ist es aber eine Lust am unvergänglichen Wesen des Geliebten und an der ganzen Person, dann besteht sie mit diesem Beständigen und steigert sich, je mehr dasselbe im Leben sich offenbart. Wenn zu alledem nun auch noch ein empfänglicher Sinn kommt für das Schöne und Erfreuliche überhaupt, eine Kraft, das Widrige zu tragen und zum Besseren zu wenden, und wenn die äußeren Verhältnisse, den Personen und Fähigkeiten entsprechend, auf ihre Neigungen und Fähigkeiten berechnet sind, dann knüpft sich allerdings ein Ehebund, wie er soll: eine unerschöpfliche Quelle von Lust für die Gatten, ein erhebender Anblick für den teilnehmenden Betrachter.

Es ist dafür gesorgt, daß uns diese Erscheinung nicht allzuoft vor Augen tritt. Häufiger sind Ehen, die man immer noch gute nennen kann, weil das Gute darin überwiegt. Man hat sich verbunden, man lebt und wirkt zusammen, und Neigung, Gewohnheit und gemeinsame Interessen bilden ein starkes Band für das ganze Leben. Ist man aber in den Hauptsachen einig, so verschlägt dies nicht, daß bei Gelegenheiten, wie der Tag sie bringt, nicht auch entgegengesetzte Meinungen hervortreten und in Kampf geraten könnten. Dabei wird ein Ehegatte die Ansprüche des anderen nicht weniger als angenehm empfinden, das minder Gute, was in dem einen und in dem anderen liegt, wird zum Vorschein kommen, und beide werden sich in diesen Momenten keineswegs von der schönen Seite sehen und durchaus nicht geneigt sein, das Glück des Ehestandes zu preisen. Dem Streit folgt allerdings die Ausgleichung, wie dem Regen der Sonnenschein; aber ebenso kommt es nach dem Frieden auch wieder zum Kampf, und dieser durchläuft seine Entwickelungsstufen. So spinnt sich das Leben im steten Wechsel erfreulicher und unerfreulicher Dinge weiter, und ist es nun auch kein paradiesisches, so muß es doch für irdisch anregend und unterhaltend gelten. Wenn jener seltenere Bund einer Reihe von Festtagen gleicht, so besteht dieser aus rüstigen Werkeltagen, unter denen aber die Festtage zärtlicher Liebe und inniger Hochachtung nicht fehlen – ein Leben, in welchem zuletzt für beide Gatten, wenn sie eins ins andere rechnen, immer noch ein großer Gewinn übrigbleibt.

Darf man annehmen, daß die Zahl dieser Ehen zweiter Ordnung die der eigentlich schlecht zu nennenden bei weitem übertrifft? Ich möchte es glauben, da in unseren Kulturzuständen das Mittelgute überhaupt den größten Raum einnimmt.

Von den schlechten Ehen sind unstreitig die schlechtesten jene, wo die gegenseitige Abneigung zum Grimm über die bestehende Fessel und zum Hasse reift. Hier ist die Trennung ein Glück, der beste Gewinn in jedem Betracht; denn ohne sie kommt es entweder zum Verbrechen des einen Teils, der sich des anderen entledigen will, oder wenn beide aus äußeren Gründen zusammen fortleben, so machen sie Erfahrungen, nach denen sie in der Hölle nicht viel mehr werden zu lernen haben. Dagegen können zu den besseren von den schlechten solche gerechnet werden, die auf dem Lande häufiger vorkommen mögen als in der Stadt, Ehen nämlich, wo der Streit zwischen den Ehegatten tatkräftig durchgeführt wird und entweder der Mann, den bei dem Keifen des Weibes die Geduld verläßt, die schwächere, aber unerträglich sich benehmende Hälfte durch die Kraft seiner Arme zur Ruhe bringt, oder das energische Weib den Stiel umdreht und den Mann, der sich Ungebühr zuschulden kommen ließ, auf dieselbe Weise Mores lehrt. Solche Szenen sind in der Regel so gut motiviert, und die in Taten und Worten sich aussprechende Leidenschaft ist so wahr, so naturfrisch, daß die Nachbarn oft schon bei ihrem Höhepunkt zur Heiterkeit gereizt werden, nach der Beilegung aber ohne Rückhalt dem Lachen und vergnügter Ausbeutung sich überlassen. Mit Recht; denn die Schläge sind denjenigen, die sie bekommen, in der Regel »gesund«, und auch aus solchem Kampf erwächst Frieden und, auf eine Zeitlang, eine ganz wackere Verträglichkeit.

Im Ries wird noch jetzt gern das Lied gesungen:

Hat mich mein Mann geschlagen,
Ist doch mein lieber Mann usw.

Oder wie die Galanterie variiert:

Hat mich mein Weib geschlagen,
Ist doch mein liebes Weib usw.

Diese Reime drücken aus, wie solche Eheleute die Sache wirklich ansehen, mindestens in der Zeit der Versöhnung. Genau genommen führen solche Paare eine gewöhnlich gute Ehe, nur in etwas gröberer Form, insofern nämlich die Gegensätzlichkeit, die sich bei ruhigeren und gebildeteren Ehegatten mehr geistig, in Gründen und Gegengründen offenbart, hier in Handlungen sich verkörpert. Sie können immerhin miteinander fortleben und ihre Kinder erziehen, daß sie nicht schlechter und oft viel besser werden als sie selber.

Der Bauer in der Unmittelbarkeit und Natürlichkeit seines Wesens macht gern Spaß und sieht auch gern etwas als einen Spaß an, solange es nur immer geht. Da er weder sich noch anderen allzuviel zumutet und nicht leicht zuviel hofft, so wird er auch selten enttäuscht und legt nicht den strengen Maßstab des Getäuschten an die Dinge. Er kennt nur ein Stück vom Leben, aber dieses kennt er genau, und in bezug darauf macht er viel seltener einen Rechnungsfehler als studierte Leute, die, um sicher zu gehen, erst ihre Ideale und Träume wegzutun oder zu modifizieren haben. – Der Bauer ist mit einem Wort ein praktischer Mensch, und wenn er nun einmal bemerkt, daß ein junges Ehepaar von lebhafterer Gemütsart den Himmel voller Geigen hängen sieht, so braucht er nicht besonders alt zu sein, um sie vor übertriebenen Hoffnungen zu warnen und ihnen die Wandelbarkeit der menschlichen Ansichten und die Vergänglichkeit der irdischen Dinge mit Ernst und Laune vorzuhalten.

Überall kommen indes Ausnahmen vor. Es gibt Personen, von welchen auch der Bauer sieht, daß sie in ihren Eigenschaften und Verhältnissen eine Bürgschaft haben, glücklicher zu sein als andere: und wenn Eheleute gesund, gescheit und gut sind, alles genug haben und es auch verdienen, dann wagt auch er ihnen ein besonders schönes Leben in Aussicht zu stellen.

Als unser Meier die schöne Regine Gröninger heimführte, meinten sogar die Besonnensten im Dorf: »Wenn die nicht gut zusammen hausen und nicht ganz glücklich sind miteinander, dann ist's noch niemand gewesen.« Die lebhafteren Naturen, besonders Weiber, drückten sich noch stärker aus und sagten geradezu: »Die haben den Himmel auf Erden!« Und in der Tat, wenn das Paar mit seinem Glück auch immer in den menschlichen Grenzen blieb, so widerlegten sie doch den Kern dieser Prophezeiungen keineswegs. Sie lebten in Liebe und froher Tätigkeit sogar ein reicheres Leben, als das Auge der Welt zu sehen vermochte, und gaben ein schönes Beispiel, wie weit man es in ihrem Stande an Würdigkeit und an Lebensfreude bringen kann.

Für den Beginn war es gut, daß die Verheiratung zugleich in die schönste und die am wenigsten beschäftigte Zeit des Jahres gefallen war. Zur Vertiefung in das Glück und zur Verinnerlichung desselben gehört eine gewisse Muße. Hat es doch Martin Luther an der Mosaischen Gesetzgebung gerühmt, daß sie den Bräutigam ein volles Jahr von Ämtern und Lasten entbunden und damit zur vorherrschenden Pflege des Glückes befähigt habe. Unseren Ehegatten waren vor den Haupternten nur einige Wochen gegönnt; aber in ihnen lebten sie den Wonnemond der Ehe und berauschten sich an dem Dufte der Blüten dieser Zeit, an den Blüten der Zärtlichkeit, die in dem Verkehr der Liebenden so tausendfach aufsprießen. Diese Tage waren so reich für sie, daß sie das Gefühl des vollkommensten Genügens hatten, ohne die Schönheit und den Reiz dessen, was ihnen zuteil geworden, auch nur um einen Hauch geringer zu empfinden. Sie gingen durch die schöne Zeit hin mit jener frohen, ruhigen, stetigen Trunkenheit, wie sie vielleicht nur bei so einfach und stark organisierten Naturen vorkommt.

Die Welt läßt gewisse Ausdrücke zu Redensarten werden, wobei man sich nur mehr teilweise zu denken pflegt, was der Erfinder tief und ganz gedacht haben mußte. Die Natur führt aber dann immer wieder Erscheinungen vor, die auf den vollen Sinn hinweisen, so daß dem Betrachter ein Licht aufgeht über die Bedeutung des Wortes und er es wiederholt mit ursprünglicher Empfindung.

Wenige Tage nach der Hochzeit unserer Leute kam ein studierter Verwandter des Meiers wegen einer Anfrage in Familiensachen zu ihnen. Er traf das junge Weib allein im Hof, erkundigte sich und hörte ihre Antworten, indem er sie betrachtete. Aus dem Gesicht sprach ein so innig heiteres Genügen, und zugleich malte sich darin so reizvoll die tiefe Süßigkeit ihrer Empfindungen, daß der Gebildete zum erstenmal die Wahrheit eines oft gebrauchten Wortes begriff, und während er den Meier aufsuchte, für sich hinmurmelte: »Honigkuchen! – wie treffend und wie schön!« – Dieser noch unverheiratete, aber gleichwohl nicht mehr ganz junge Mann war einer von den Guten; darum hatte er seine Freude an der ihm gewordenen Anschauung und behielt sie im Gedächtnis.

Die junge Frau richtete vor allem den Haushalt nach ihrem Kopf ein. Ein Sinn für größere Zierlichkeit, als man sie gewöhnlich auf dem Lande findet, war ihr angeboren und hatte seine Ausbildung schon im väterlichen Hause, noch mehr in der Stadt erlangt. Mit Lust ging sie nun daran, in den Räumen, die ihr gehörten, alles so zu ordnen und zu halten, daß es schön anzusehen und leicht zu gebrauchen war. Sie tat es ohne Geräusch, eins nach dem andern. Aber schon nach wenigen Tagen bemerkte der Meier, daß er nicht nur ganz wieder in seine frühere Bequemlichkeit zurückgekehrt war, sondern daß auch alles um ihn her freundlicher und appetitlicher aussah, wie namentlich in der letzten Zeit; er nahm wahr, daß das Essen besser, der Kaffee wohlschmeckender sei; er sah, daß auch die beiden Kleinen reinlicher »abgekost« (gewaschen) und schmucker angezogen waren als sogar bei ihrer rechten Mutter, und alles das erfüllte ihn mit innigem Behagen.

Durch gelegentliche Vorschläge und Mahnungen wirkte die Meierin auch auf Räume, die nicht unmittelbar zu ihrem Bereich gehörten. Nicht lange stand es an, so war der Hof sorgfältiger gekehrt wie ehedem, in der »Schupfe« nicht mehr alles so durcheinandergeworfen, und sogar im Kuhstall eine verhältnismäßige Reinlichkeit hergestellt. Die Gebäude selbst ließen ohnehin nichts zu wünschen übrig und harmonierten ohne weiteres mit der Wirtschaft. Der Bauer pflegt nämlich die unschönen Mängel daran, die der Zahn der Zeit bewirkt hat, gern noch vor dem »Einzug« tilgen zu lassen, und das war auch bei dem Meier geschehen.

Unter den Landleuten des Rieses mochte es zu jener Zeit kein Paar geben, das sich einer Begabung und Bildung rühmen konnte, wie sie das unserige besaß. War die junge Frau von der Natur bedeutender ausgestattet und durch ihre inneren und äußeren Erfahrungen bester geschult, so zeichnete doch auch den Mann ein offener Kopf, ein im Vergleich mit seinen Kameraden feinerer Sinn aus, während seine bisherigen Schicksale auch ihn mehr zum Nachdenken und zur Einkehr in sich selbst angeregt hatten. Beide wußten sich auch äußerlich gut zu benehmen, einen vornehmeren Gast, der sie etwa besuchte, schicklich zu empfangen und zu unterhalten, und der Meierin stand dabei, wenn sie es darauf anlegte, ein fast ganz reines Hochdeutsch zu Gebote. Aber beide waren und blieben doch Landleute, Bauern mit Leib und Seele, und errichteten nur aus dem gegebenen Material ihrer Arbeiten und Freuden das Gebäude ihres Wohlseins. Den reicheren und edleren Schatz im Herzen, blieben sie doch ganz in ihrem Kreise und suchten diesen nur so schön als möglich zu gestalten.

Die gewöhnliche Lebensweise im Hause eines begüterten Rieser Bauern ist kurz beschrieben. Früh steht man auf. Die Familie trinkt im »Kanzley« Kaffee, den sie durch ein erkleckliches Quantum Tunke nahrhaft macht, die Ehehalten essen in der Stube Suppe. In der Mitte des Vormittags »geht man zum Brot«, das für die Eigentümer durch Butter oder Fleischreste verbessert wird. Um elf Uhr, unter dem Läuten der Kirchenglocke, setzt man sich zum Mittagessen. Das Vesperbrot befeuchtet sich die Familie gern durch braunes oder weißes Bier, und noch vor dem Betläuten wird die Abendmahlzeit eingenommen. Man geht früh zu Bette, um früh wieder aufzustehen.

Die patriarchalische Sitte, mit den Ehehalten zu essen, ist bei wohlhabenden Rieser Bauern schon geraume Zeit in Abgang gekommen; wie ich glaube mit Grund. Daß eine begüterte Familie besser essen will als ihre Dienstboten, ist ihr nicht zu verdenken; in diesem Falle ist es aber humaner, die leckeren Bissen von ihnen ungesehen – eben im Kanzley – zu verzehren und in ihnen nicht Begierden, denen die Befriedigung versagt bleibt, und melancholische Betrachtungen anzuregen. Für die Untergebenen muß es genug sein, daß auch ihr Essen verhältnismäßig gut und reichlich ist; und so wurde es ihnen im Hause des Meiers auch geliefert, was die runden und roten Gesichter der drei Knechte und zwei Mägde männiglich bezeugten.

Regine, wenn sie die Ehehalten nicht vernachlässigte, lebte freilich ganz besonders für ihre Familie. Bei ihrem Herzen und ihrem Tätigkeitstrieb war es für sie ein eigentlicher Gewinn, daß sie gleich Kinder zu versorgen bekam und als Mutter sich bewähren konnte. Sie liebte die gutartigen Kleinen mit natürlichem Wohlwollen, doppelt als Kinder ihres Mannes, und behandelte sie ganz, als ob es ihre eigenen wären; und die Kinder gewöhnten sich von Tag zu Tag mehr an sie, vergalten ihre Sorge durch Folgsamkeit und zuweilen, von der Guten und Schönen geliebkost, durch wahre Zärtlichkeitsausbrüche.

Auch eine Schwiegermutter im Hause zu haben war dem jungen Weibe lieb. Zur ganzen Familie gehört auch die Repräsentation des Alters, der Erfahrung: »der Äh'le« (das Ähnlein) oder »das Ah'le« (das Ahnlein) – wenn es nicht alle zwei sein können. Es ist gut, wenn das regierende Paar noch eine Respektsperson über sich hat und ihre Stimme hört, sei diese auch nur eine beratende; und in einem gesegneten Hause muß man neben vergnügten glatten Gesichtern auch vergnügte runzelige erblicken.

Auf die Züge der alten Meierin solch Vergnügen zu locken, verstand Regine durch ihr Benehmen sowohl gegen sie wie gegen ihren Sohn und ihre Enkel, und schon darum freute sie sich ihrer und holte ihr Gutachten ein und ließ sich von ihr helfen oder half ihr selber. Die Alte ihrerseits konnte der freundlichen Söhnerin nicht widerstehen. Hatte sie bei der ersten ihre Ehre gehabt, so fühlte sie, daß sie bei der zweiten das Bessere dazubekam. Es ward ihr warm ums Herz und immer heimlicher im Hause.

Unter solchen Umständen, bei Gesundheit, Arbeit, wechselseitiger Neigung und gemütlicher Unterhaltung über Dinge, die für sie tatsächliche Bedeutung hatten, mußte Frohsinn im Hause des Meiers regieren und schon jeder Werkeltag ein Tag des Vergnügens sein. Die schönste Zeit aber wurde für unser Ehepaar der Sonntag.

Dieser hat auf dem Lande unstreitig viel mehr seine festliche Bedeutung erhalten als in der Stadt, namentlich wenn man die höheren Klassen der städtischen Bevölkerung ins Auge faßt. Nicht nur gehen die Dorfleute viel allgemeiner und regelmäßiger in die Kirche, der ganze Tag ist dem Bauer ein wesentlich anderer als die Wochentage, und er selbst hat sich verwandelt. An den Wochentagen ist sein Sinn auf die Arbeit gerichtet und fast ganz nach außen gezogen; am Sonntag winkt ihm die Ruhe, die nach angestrengter Arbeit so süß ist; und ihr sich hingebend und in ihr sein Inneres gewähren lassend, wird er ein anderes, sozusagen höheres Wesen. Von Anfang an hat an diesem Tage alles für ihn einen feierlichen Charakter. Wiederholt erschallt das einfache Turmgeläute, ihm zu sagen, daß er sich festlich anzukleiden und zum Kirchgang zu bereiten habe. Und er legt sein bestes Gewand an – lauter Stücke, die er an Werktagen niemals trägt – und ergeht sich schon vor dem Gottesdienst, in sich gekehrt, mit träumerischem Ernst in seinem Hof, seinem Garten, oder wechselt mit einem Nachbar trauliche Reden, wobei der derbere Ton der Wochengespräche mit natürlichem Takte vermieden wird. Das »Zusammenschlagen« (das Läuten mit zwei Glocken) ruft ihn in die Kirche, und wenn die Predigt nicht immer geistliche Gedanken in ihm erweckt, so regt sie doch fromme Gefühle in ihm an und gibt ihm eine beruhigte, würdige Haltung. Freier und leichter und für weltlich angenehme Dinge empfänglicher, geht er nach Hause und verzehrt in ungestörtem Behagen das bessere Mahl, um dann ruhend oder langsam umherwandelnd das Wohlgefühl der Sättigung zu genießen. Die Zeit nach dem zweiten Gottesdienst, der Betstunde oder der Kinderlehre, wendet er auf einen längeren Spaziergang, oder er sucht Befreundete auf, in ihrem eigenen Haus oder im Wirtshaus. Gespräche werden gepflogen, ernster, milder und gehaltvoller als an Werkeltagen, wo das Eingehen auf den Gegenstand versagt bleibt. Auch im Wirtshause bewahrt der gestandene Mann seine Gravität; und wenn bei gutem Trank die Köpfe sich endlich erwärmen, die Zungen kecker und die Reden lustiger werden, so ist das auch nur eine Erhebung in eine höhere Region – in die Sphäre der reinen gemütlichen Fröhlichkeit.

Am Sonntag konzentriert sich für den Bauer, was man in der Stadt alle Tage oder wenigstens öfter in der Woche hat. Am Werkeltag mehr Bauer, ist er am Sonntag mehr Christ und Mensch, innerlich gesammelter, beglückter und durch seine vollständige Tracht sogar auch äußerlich vollkommener. Der Sonntag ist für den Bauer nicht nur der vorzugsweise heilige Tag, sondern auch die Zeit, wo sich nach den Stunden der Andacht alles in ihm regt, was wir als »poetisch« bezeichnen, er selbst aber mit einem auch nicht übeln Worte »schön« zu nennen pflegt. Und wer das Landvolk nicht am Sonntag beobachtet, in allen wesentlichen Momenten desselben beobachtet und wiederholt beobachtet hat, der kennt es nicht und weiß nicht, wieviel Schönes in seinem Leben vorkommt.

Im Meierhause trat dieser Charakter des Tages unstreitig reiner hervor als in irgend einem anderen des Dorfes. Schon die Räume hatten hier ein festlicheres Aussehen. Die junge Frau ließ die Stube Samstag abends regelmäßig »fegen« (mit weißlichem Sande scheuern), frühmorgens aber sprengen und sorgfältig kehren, so daß die Weiße des Bodens blieb, während die gröberen Sandkörner entfernt wurden. Die Fenstersimse, der eichene Tisch, die braunen Stühle und Bänke erfuhren eine besondere Reinigung. Und wenn durch die hellen Fenster nun die Morgensonne schien, so gewährte das Ganze einen Anblick, der an Heiterkeit und Heimlichkeit seinesgleichen suchte.

Es begreift sich, daß der Familie in dem Kanzley, dessen Fenstersims mehrere Blumenstöcke zierten, der Kaffee unter diesen Umständen noch besser schmeckte als an einem Wochentage, zumal das Backwerk in der Tat feiner und frischer war. Die Kinder erfreuten sich ihres schönen Anzugs und liefen nach dem Frühstück mit größerem Selbstgefühl in Haus und Hof umher, unterhielten einen naiven Diskurs mit den freieren Ehehalten oder scherzten mit Hund und Katze. Das Ehepaar, durch das erste Läuten gemahnt, dachte an den Zweck des Vormittags, und der Meier, der einen Teil seiner Kleidung angezogen hatte, rief die Meierin zur Vollendung herbei.

Zu Anfang seines Hausens hatte ihm seine erste Frau (wie es auf dem Lande nicht ungewöhnlich ist) das schwarzseidene Halstuch eigenhändig umgebunden und den weißen Hemdkragen passend darübergezogen. Später war dies, wie so manches andere, von ihr unterlassen und der Mann genötigt worden, sich den Dienst selber zu leisten. Als nun am ersten Sonntag nach ihrer Hochzeit Regine bemerkte, daß er die Arbeit nicht sehr gewandt vollzog, schlug sie ihm vor, sich von ihr helfen zu lassen, und schlang das Tuch so geschickt um den Hals und zog es zurecht, bis es ganz korrekt saß. Dem guten Meier wurde bei dieser Verrichtung so behaglich zumute, die Finger des lieben Weibes an seinem Halse zu fühlen erschien ihm so angenehm, daß er von da an nie mehr einen Versuch machte, die Kunst selber zu treiben, sondern behauptete, so, wie's sein sollte, könne er's doch nicht machen, und ohne die Meierin ging's nicht. Sie half ihm auch den tuchenen Rock noch anziehen und strich und zog daran, bis er glatt saß, reichte ihm den Hut und weidete sich an dem schönen Mann, oder pries ihn lächelnd mit einer halb scherzenden, halb zärtlichen Miene. Ihren eigenen Anzug besorgte sie dann in der Kammer mit Hilfe der Schwieger, und wenn das Läuten anfing, standen beide bereit, zusammen in die Kirche zu gehen.

Im Gotteshause wurden die klaren, einfach herzlichen Worte des dermaligen Geistlichen vielleicht von keinem Besucher ihres Standes mehr begriffen und empfunden als von der jungen Meierin. Im Ries gibt es fast in jeder protestantischen Gemeinde einzelne »Fromme« oder »Pietisten«, die zusammenhalten, zusammen sich erbauen und, um ihre geistlichen Bedürfnisse zu befriedigen, oft stundenweit zu demjenigen Prediger in die Kirche gehen, der ihnen die Speise des Wortes am entsprechendsten darreicht. Zu dieser Art von Landleuten, an denen allerdings ebensoviel zu rügen wie zu rühmen ist, deren beste und wahrste Repräsentanten aber ohne Frage zu den geistig aufgewecktesten Persönlichkeiten der Bevölkerung zu rechnen und höherer Bildung die Hand zu reichen fähig sind – zu diesen gehörte, wie man gesehen, Regine nicht. Sie war eine Natur – eine gute Natur, treu, liebevoll und dankbar; – allein die Flamme jener besonderen religiösen Empfindung, welche in den echten Frommen brennt und diese in eine eigentümliche Sphäre des Seelenlebens erhebt, glühte nicht in ihr und konnte sich nicht verwandelnd an ihr bewähren. Sie blieb auf dem Boden des ursprünglichen Lebens, in dem Kreis der Natur; und hier zur schönen, herzerfreuenden Erscheinung auszureifen, war ihr Los, ihr Beruf. Pflegte sie aber geistliches Leben nicht in der Weise, die den protestantischen Pietisten in ihrer Flucht von der Welt etwas Mönchisches gibt, und machte sie aus der Frömmigkeit im guten und schlimmen Sinne des Wortes »kein Handwerk«, so war ihr doch eine christliche Religiosität eigen, wie man sie auf dem Lande in den begabteren Naturen glücklicherweise auch nicht selten findet – die natürliche Frömmigkeit eines ernsten, festen und dankbaren Herzens. Sie vergaß Gott über ihrer Liebe, über sich selbst und ihren Tagesarbeiten keineswegs und dachte nicht nur in der Kirche an ihn; in einsamen Momenten, wo sie ihr Glück überlegte, fühlte sie es als unendliche Gnade, und es drängte das gerührte Herz, den Geber dafür zu loben und ihn mit kindlicher Innigkeit um Erhaltung desselben anzuflehen.

Für solche Naturen ist aber doch recht eigentlich die Kirche da. Wenn die »Frommen« ihrem Gott bei jedem Schritt zu dienen und dem Wort: »Betet ohne Unterlaß«, so vollständig als möglich nachzukommen suchen, so halten sich jene an den Salomonischen Spruch: »Alles hat seine Zeit«, und geben sich nach Gottesdienst und Gebet weltlicher Tätigkeit und Freude wieder mit ganzer Seele hin, indem sie sich im Disput mit dem Frommen, der natürlich nicht fehlt, auf den angeführten und ähnliche Sprüche berufen. Solche Naturen brauchen denn auch recht eigentlich den Geistlichen, der sie zu rechter Zeit in die religiöse Sphäre, nach der sie verlangen, leitet und ihnen das gewünschte Licht spendet. Sie verehren ihn dann auch als wahren Führer, als den höheren Geist, der es nach ihrer Ansicht verstehen muß und auf den man sich verlassen kann, während die Frommen sich ihm eher zur Seite stellen und unter Umständen merken lassen, daß sie in geistlichen Dingen noch viel besser Bescheid wüßten als der Pfarrer – was denn zuweilen auch seine Richtigkeit haben mag.

Der Geistliche des Ortes, der einigen darin ansässigen Pietisten nicht ganz genügte, weil seine Predigten am Ende doch nicht die »Kraft« hatten, die sie verlangten, war aus demselben Grunde der rechte Mann für Regine. Die Art, wie er mit der Wärme des Herzens Klarheit verband und durch eine wohlgegliederte, bündige Rede zu überzeugen, Religion und Natur im Sinne der Religion auszugleichen suchte, entsprach ihrem Wesen, das Überzeugung wünschte, aber auch begabt genug war, um die beweisenden Gründe zu würdigen. Sie gehörte zu den wenigen, die der Predigt von Anfang bis zu Ende folgten. Wenn sie in der ersten Reihe der Stühle an dem ausgezeichneten Platze der »Meierin« saß und fast unbewegt vor sich hinsah, sprach aus dem Gesicht ein so schöner Ernst, daß jeder feinere Beobachter sich überzeugte: für sie ist die Predigt nicht eine Art Musik, die nur eine Stimmung hervorbringt, sondern eine Entwickelung von Argumenten und eine Beleuchtung, wodurch etwas vorher Dunkles klar gemacht wird.

Was von Regine gesagt werden konnte, galt auch von dem Meier, nur in weniger tiefer und konsequenter Art. Von ihm möchten wir gerade nicht behaupten, daß er der Predigt immer gefolgt sei und seine Gedanken niemals entweder zu anderen Gegenständen entweichen oder in den Strom eines allgemeinen Gefühls habe versinken lassen. Manchmal, wenn die Meierin auf etwas hindeutete, was ihr in der Predigt besonders gefallen habe, mußte er sich's von ihr wörtlich anführen lassen, um sich dann auch seinerseits lebhaft wieder daran zu erinnern und in ihren Beifall einzustimmen. In der Regel faßte er aber doch auf, besonders wenn ihn Text und Einleitung wißbegierig gemacht hatten; dann ging er nicht nur im gewöhnlichen Sinne erbaut, sondern auch belehrt aus der Kirche.

Wieviel ein guter Geistlicher dem Landvolk werden kann, ist noch nicht gebührend hervorgehoben. Den Erzähler, dessen Beruf es ist, gerecht zu sein und weder pro noch contra zu übertreiben, hat wiederholt der Gedanke getroffen, wie gegenwärtig in jedem Winkel des Landes die größten Wahrheiten gelehrt und hier und da sogar klarer, schöner und herzlicher erläutert werden als vom Katheder aus. Er hat auch gefunden, daß einzelne der Gemeinde sie manchmal besser begreifen, als es vom Auditorium aus zu geschehen pflegt, daß am Ende auch, dem Mindestfähigen noch immer etwas mitgegeben wird, was ihn respektabler macht, als er vorher war. Diejenigen die daran denken, von dem Lichte der Wissenschaft auch dem Landvolk einzelne Strahlen zugehen zu lassen, werden finden, daß der Bauer zur Aufnahme derselben durch Unterricht und eigene Erfahrung vorbereiteter, als Unkundige meinen, und eben zur Erkenntnis des Wesentlichsten und Besten befähigt ist, wenn ihm dieses nämlich in der Sprache geboten wird, die er gelernt hat und versteht.

Wenn unsere Eheleute vor dem Kirchentor sich trafen und heimwandelten, fühlten sie sich beide innerlich erhellt und gekräftigt; Himmel und Erde kamen ihnen lichter und schöner vor und hatten sogar an Regentagen einen gewissen Glanz, den sie in der Woche nicht daran bemerkten. Die reingehaltene Wohnung heimelte sie freundlicher an wie sonst, das Tischgebet wurde mit mehr Empfindung gesprochen und gehört, und das Essen schmeckte noch viel besser, als es wirklich besser war.

An diesem Tag gab die junge Frau dem Mahl auch seine Vollendung durch Kaffee, was sonst nur bei achtungheischenden Besuchen der Fall war. Die gemütliche Beschäftigung des Trinkens begünstigte ein trautes Gespräch, und wenn die Kinder in den Hof gelaufen, die Großmutter in die Betstunde gegangen, blieben die Gatten oft noch eine Zeitlang allein im Kanzley. Da kam es, daß mitten im häuslichen Diskurs die Liebe in den beiden Herzen zu wallen begann, daß sie sich schweigend die Hand reichten und eins in das andere mit zärtlichen Blicken die ganze Fülle seines Innern ergoß.

War der Tag schön, so zog sie's ins Freie. In der Regel gingen sie in ihren großen, schönen Garten, spazierten umher, betrachteten Bäume und Sträucher, Blumen- und Gemüsebeete, freuten sich an der Schönheit der Blüten, schätzten den zu hoffenden Ertrag der Nutzpflanzen, machten Verbesserungspläne und gaben sich dem tiefbehaglichen Gefühl hin, daß alles, was sie sahen, ihr Eigentum sei.

Zuweilen fügten sie daran einen längeren Spaziergang in die Feldung. Sie wandelten nebeneinander, nacheinander Fahr- und Fußwege der Saaten, hatten ihr Vergnügen an dem wogenden Segen, gönnten allen das Ihre, freuten sich aber doch insbesondere an den eigenen Äckern. Diese wurden von dem Meier näher geprüft, und wenn er sah, daß das benachbarte Stück weniger dicht gewachsen war und mehr Unkraut hatte, so ermangelte er nicht, mit Bedeutung darauf hinzuweisen, wieviel eben darauf ankomme, das Feld gut zu bauen. Schien die Sonne zu warm, so ließ sich das Paar wohl noch in die Kühlung eines Waldstücks verlocken, das der Gemeinde gehörte. Hier ergötzten sie sich kindlich an dem Gesang der Amsel oder der Grasmücke, sogen den erfrischenden Duft des Waldes ein, warfen einen taxierenden Blick auf den Holzwuchs und machten sich dann auf den Heimweg.

Zu den wiederkehrenden Sonntagsvergnügungen gehörten wechselseitige Besuche der beiden nächstbefreundeten Familien, die natürlich auch sonst im engsten Verkehr standen. Wenn die alte Meierin das Paar mit freundlichen Augen ansah, so hing die alte Gröningerin an demselben mit Bewunderung. Wie oft sie »ihre Meierin« auch gesehen, bei jedem neuen Anblick erfüllte sich ihr Herz wieder mit stolzer Freude und mit der zärtlichsten Liebe. Auch Bruder und Schwägerin bildeten sich förmlich etwas auf sie ein. Sie hatte es eben von allen doch am weitesten gebracht; sie war die gefeierte Person des Dorfes, die Zierde der Familie, und neidlos ordnete sich ihr auch die Schwägerin unter, zufrieden, so nah mit ihr verwandt zu sein. Wie gut Regine auch war, sie benahm sich doch unwillkürlich wie eine etwas höher Stehende und ließ sich anerkennen und loben, ohne dawiderzureden, wenn es nur nicht gar zu arg wurde. Vielleicht sah sie, daß es den Leuten von Herzen ging und Freude machte, und sie scheute sich, den Erguß wirklicher Liebe zu stören.

Von den Seinen ganz nach Sinn und Wunsch unterhalten, ging der Meier selten ins Wirtshaus; und wenn er sich dazu entschloß, so geschah es um ein Gutes später als ehedem, wo er immer bald nach der Betstunde einzutreffen pflegte. Seine Kameraden machten ihm das erste Mal gutmütige Vorwürfe und neckten ihn; aber ein alter Bauer, der mit einer exemplarisch häßlichen »Graunzerin« (Grunzerin, Keiferin) gesegnet war und deswegen einen natürlichen Hang zum braunen Bier in sich ausgebildet hatte, rief mit Laune: »Was wollt ihr! Wenn ich ein solches Weib zu Hause hätte, ging' ich gar nicht ins Wirtshaus.« Diese Rede war in doppeltem Sinne komisch; die Kameraden lachten und einer versetzte: »Das ist doch zu viel g'redt. Früher wär's vielleicht einmal gegangen, aber jetzt wär's nimmer möglich.« – »Bah,« erwiderte der Alte, »das versteht ihr nicht. Das Bier ist gut und schmeckt vortrefflich; aber besser ist besser.« Und mit dem Meier anstoßend setzte er hinzu: »Nun, Johann, sie soll leben! Was hilft uns das Wünschen? Du hast sie einmal, dir gehört sie, und wir können uns das Maul wischen. G'segn' es dir Gott!«

Der Meier lenkte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand, denn er wußte, daß der Alte in der Bierlaune nicht immer »in der Art« blieb. Als er aber nach der ersten Maß den Geldbeutel zog, um zu bezahlen, und die Kameraden ihn halten wollten, verzog sich die ernstgewordene Miene des alten Gesellen wieder zum Satyrlächeln. »Laßt ihn gehen,« rief er; »ihr wißt ja, wie's einem ist in den ersten vier Wochen – da hab' ich sogar die Meinige nicht genug kriegen können. Nun,« setzte er zu dem jungen Manne gewendet hinzu, »grüß mir sie schön! – Und laß dir das Nachtessen mit ihr schmecken!« Der Meier ging und befolgte den Rat.

Nach der Mahlzeit dauerte die Unterhaltung der Familie niemals lang'. In Erwägung und Bestimmung der morgenden Arbeiten schloß man den Sonntag ab, und schon angeweht von dem irdisch frischen Hauch der Arbeitstage, mit den Vorsätzen neuer Tätigkeit begab man sich zur Ruhe.

Die Flitterwochen des Paares wurden durch eine Anzahl Regentage verlängert, die das ökonomische Herz des Meiers unter anderen Verhältnissen mit bedeutendem Unmut erfüllt hätten, jetzt aber mit bestem Humor ertragen wurden. Endlich kam schönes Wetter und die Ernten begannen. Sie brachten ernstlichere Arbeiten, aber auch neue Genüsse und Freuden.

Das Machen und Beiführen des Heues ist nicht nur die reinlichste, sondern, wenn man sie nicht überhasten muß, auch die leichteste und angenehmste Beschäftigung. Darum pflegen sich Weiber und Mädchen zu ihr auch schmucker anzuziehen und zumal in frischweißen Hemdärmeln anderen und sich selber gefälliger zu erscheinen. Der sonnige Tag, das von den Dorfleuten weithin belebte Wiesental, der Wohlgeruch, den das bewegte Heu verbreitet, alles trägt dazu bei, Sinn und Seele zu erquicken und heiter zu stimmen.

Wie erfreulich ist der Anblick eines hochgeladenen Fuders, das der Oberknecht mit wohlgenährten Rossen langsam dem Dorfe zuführt! Mit welchem Behagen geht man an die Ladung des zweiten Wagens! Allein ohne alle Störung verläuft der »Heuet« selten, und manchmal wird den rüstigen Armen eine gewaltige Anstrengung zugemutet, die indessen als süße Frucht nur ein geschärfteres Vergnügen erzeugt.

Wenn man eine Reihe von Tagen spielend gearbeitet hat, können sich am Horizont Wolken erheben, die als drohend erkannt werden und die Menschen zu einem Wettlauf mit den atmosphärischen Mächten nötigen. Bei solchen Gelegenheiten pflegen die Landleute sich selbst zu übertreffen und in trunkenem Eifer, übrigens unter humoristisch antreibenden Reden und gelegentlichen Ausbrüchen von Heiterkeit, wenigstens doppelt so viel zu leisten als vorher. Wie prächtig dürr ist das Heu und wie voll von Wiesenklee! wie jammerschade daher, wenn es der Regen durchnetzte und ihm die Kraft wegnähme! Dieser Gedanke stachelt den Haushalt des Bauern, das fast Unmögliche zu versuchen; und es gelingt. Der Himmel ist tiefschwarz, große Tropfen fallen einzeln herab und erzeugen Blasen im Fluß; aber schon bewegt sich das letzte Fuder auf dem Feldweg rasch ins Dorf, und wenn untere Donner und Blitz der Guß beginnt, ist es auf der Tenne des Stadels geborgen. Welch ein Gefühl des Sieges und der Rettung! Man preist und erhebt sich wechselseitig; man freut sich im Namen des Viehes, das so glücklich ist, das köstliche Futter zu genießen, und setzt sich schweißbetaut, aber leuchtend zum extraguten Vesperbrot und Trunk. Mit gründlichem Wohlgefühl hört man das immer stärkere Regengeplatsche draußen, während man selbst so reichlich wie seit lange nicht das Bier durch die Kehle strömen läßt. Denn wie dieses dem ermüdeten Leib, so ist der Regenguß der Wiese gesund und gibt ihr Kraft zu neuem Trieb, zur Erzeugung eines ebenso guten und reichlichen »Ohmeds«.

Die bedeutendste, edelste Ernte – die »Ernte« oder rieserisch »die Ähret« schlechthin – ist die Getreideernte. Daß sie einen glücklichen Verlauf nehme, ist für den Bauer die Hauptsorge, und wenn das geschieht und wenigstens die meiste Frucht unverdorben heimgebracht wird, ist die Befriedigung auch die größte und nachhaltigste. Um dieses Segens willen, der vor allem den Menschen zugute kommt und die Welt erhalten hilft, kann man sich wohl auch doppelt anstrengen und hier und da in Ertragung der Hitze das Äußerste leisten. Ist der Schatz in Sicherheit, dann kühlt man sich wieder; die Mühe ist vergangen, die Freude dauert.

Der Anblick einer Getreidefeldung in der Zeit der Ernte hat etwas unendlich Erheiterndes. Diese Wirkung beruht nicht nur in dem Bewußtsein des Segens, der nach Hause gebracht wird, um wieder ein Jahr die Menschen zu nähren und zu erfreuen – auch das Lichte, Sonnige, Geistige der Farbe trägt dazu bei. Ist es nicht eigentlich die Farbe der siegreichen Heiterkeit? Und mitten in diesem Meere von Segen, wie glänzen die Gesichter der Landleute! Wie fröhlich klingen die wechselseitigen Grüße! Wie herzlich empfunden das Lob des Wetters und des guten Gottes, der es so schön werden ließ!

Das Erfreuliche bei der Landwirtschaft ist aber, daß in der guten Jahreszeit die Ernten eigentlich gar kein Ende nehmen. Nach dem Einführen des Getreides werden die Erbsen »gerissen«; die Lieblingspflanze der Weiber, der Flachs, wird »gelochen« und zum Dörren auf die Stoppelfelder gebreitet. Dann geht es ans »Ohmed«; und wenn dieses auch nicht so reichlich ausfällt wie das Heu, so ist es um so feiner und zarter, ein wahrer Leckerbissen für die Tiere, welche schön herauszufüttern eine Ehrensache des Bauers ist. Endlich sieht man Wagen mit »Erdbirn«, mit Rüben, mit Krautsköpfen beladen ins Dorf und in die Höfe fahren. Lauter wichtige Artikel! Wenn die ersten recht »melbig«, die zweiten recht groß und die letzten zugleich recht fest befunden werden, so herrscht keine kleine Befriedigung im Hause. Neben den Sommer- und Herbsternten hat der Garten schon zu wiederholten Malen seinen Tribut entrichtet; die Früchte wurden und werden verspeist oder gedörrt, um im Kochgeschirr aufs neue Saft zu gewinnen. Zu allerletzt »brockt« man noch die Lederäpfel, um sie an sicherem Orte zierlich aufzustellen, daß sie dauern bis zum grünen Donnerstag – und nun mag der Winter kommen!

Die junge Meierin, bei ihrem willenskräftigen und willensfreudigen Fleiß, beteiligte sich an allen diesen Ernten mit eigentümlichem Vergnügen. Seitdem sie als Herrin sie mitverrichtete, kamen ihr die so bekannten Arbeiten ordentlich neu vor, und alle Gegenstände hatten eine erhöhte Bedeutung. Es gehörte ihr, was man sammelte, und ihren Lieben sollte es zugute kommen! Der schöne Zweck wirkte unwillkürlich und verschönerte die Früchte in ihren Augen so, daß sie eine Korn- oder Flachsgarbe betrachten konnte, als ob sie dergleichen nie gesehen hätte.

Indem sie mit stets regem Eifer eine Wiese nach der anderen, einen Acker nach dem anderen abräumen half, lernte sie ihren Hof in seiner ganzen Größe und Vortrefflichkeit erst kennen und nahm eigentlich erst Besitz von ihm. Der Meier, der neben ihr arbeitete, so oft es ihm die Pflichten der Oberaufsicht gestatteten, beantwortete ihre Fragen als Kenner, teilte bei diesem und jenem Grundstück mit, wie es an seinen Vater gekommen, wie sie es miteinander verbessert hätten, und freute sich ihres Lobes. Wenn die junge Eigentümerin aus besonders gutem Ackerland die Größe des Stücks mit der Zahl der gesammelten Schöber (je sechzig Garben) verglich und diese auch das ihr bekannte höchste Maß noch überstieg, brach sie in einen Ruf der Bewunderung aus und lächelte mit dem Vergnügen eines Kindes vor sich hin.

Die Früchte wurden im ganzen wohl heimgebracht und nur ein kleiner Teil durch Regen beschädigt. Einmal überraschte die Gatten ein Sturm auf einem vom Dorfe entfernten Acker; der Regen schoß wolkenbruchähnlich auf sie hernieder, »patschnaß« und triefend wandelten sie nach Hause. Dies hatte nur zur Folge, daß sie sich wechselseitig auslachten und sich in trockenen Kleidern mit um so größerem Vergnügen zum Vesperbrot setzten.

Auch von den Arten, die insbesondere die Hausfrauen interessieren, wurde auf dem Meierhof so reichlich geerntet, daß es ordentlich Mühe kostete, die verschiedenen Sachen geschickt unterzubringen. Als das Weib alle Räume gestopft, für die Küche weit hinaus gesorgt und neben dem Stadel überdies einen gewaltigen Turm von Habergarben sah, die unter Dach keinen Platz mehr gefunden hatten, da konnte sie nicht umhin, ein wundersames Behagen zu empfinden und den Boden doppelt so fest unter sich zu fühlen. Der Besitz ist und bleibt trotz aller idealistischen Weltbetrachtung eine schöne Sache. Er setzt auch den starken Gemütern ein Maß von Stärke zu und erfrischt und erhebt die Seelen, die fähig sind, mit den rechten Verwendungsgedanken in die Zukunft zu blicken. Für den Bauer ist er um so beglückender, je sichtbarer und handgreiflicher er ist.

Zu den Freuden und Mühen der ländlichen Arbeiten bilden die kleinen Ausflüge, die besonders in schöner Jahreszeit unternommen werden, eine angenehme Abwechselung. An Markttagen geht die Frau in die Stadt, verkauft und kauft und wird heimkehrend von den Kindern mit Jubel empfangen, indem die naiv Lüsternen mit Recht vermuten, daß für sie etwas »Gut's« im Gretzen ist. Größere Handelsgeschäfte bleiben dem Manne vorbehalten, und auch dieser bringt für die Zungen der Kleinen gern etwas Beglückendes mit; die Hauptsache ist aber der gefüllte Geldgurt, den er nach einer gelungenen Expedition selbstbewußt auf den Kanzleytisch zu legen pflegt. Die Sortierung der Münzen bewährt sich als ein unterhaltendes Geschäft, das sogar die Kinder mit Blicken der Teilnahme betrachten.

Schöner, poetischer sind die gemeinsamen Besuche bei Verwandten in anderen Dörfern, die an Feiertagen unternommen werden. Hier fühlen die Herzen guter Landleute nur schöne Regungen und bewegen sich förmlich in einer idealen menschlichen Sphäre. Man bringt Geschenke und nimmt welche mit nach Hause, man speist und preist, man tut sich Ehre an und ergötzt sich an Höflichkeiten; und wenn die Gäste mehr an Gaben empfangen, so spenden sie dafür auch mehr Lob für die Herrlichkeiten, die ihnen gezeigt werden. Feld und Wald erscheinen anmutiger, wenn sie auf dem Hin- und Heimweg in festlicher Stimmung vom Wagen aus betrachtet werden, und der fahrende Bauer, zum »Herrn« geworden, sieht in heiterer Freiheit gleichsam auf sich selbst herab.

Die Extrafreuden der guten Jahreszeit wurden durch die Ortskirchweih abgeschlossen, welche in die Mitte des Oktobers fiel. An dem Haupttage leistete die Meierin reichlichen Ersatz für die bei den nächsten Verwandten genossene Freundlichkeit und bereitete diesen, die als Gäste erschienen waren, ein Mittagsmahl, das wohl ein Diner genannt werden konnte. Abends begab man sich ins Wirtshaus, weilte trinkend, essend und tanzend bis gegen Mitternacht, und der Meier beurkundete seine Stellung im Dorfe auch dadurch, daß er für sich und seine Gäste die bei weitem größte Zeche bezahlte.

Trotz des Vergnügens, das sie sich den Sommer über gemacht, trotz der Ausgaben, die sie sich gestattet hatten, fanden unsere Eheleute im Spätherbst doch, daß sie etwas Erkleckliches »hinaustun«, d. h. auf Zinsen leihen konnten. Die Gewißheit, daß es mit dem Hauswesen vorwärts ging, erfüllte sie mit neuer Zufriedenheit, und heiter betrachtete die Frau den Hypothekenbrief, den sie mit erworben zu haben sich bewußt sein durfte.

Der Winter hat auf dem Lande etwas Einförmiges, weil hier für die Natur nicht die Kunst eintritt und durch ihre idealen Belebungen die geflohenen Bilder der schönen Jahreszeit ersetzt. Eine saison morte ist er aber hier doch nur für den Städter, der ein bunteres Leben gewohnt ist, nicht für den Bauer. Diesem kommt er vielmehr nach den Arbeiten und Freuden des Sommers gerade recht und bringt auch seinerseits Genüsse, die nicht zu verschmähen sind.

Vor allem die Ruhe – die leibliche und die geistige. Nach den vielen Anstrengungen, welche die schöne Jahreszeit eben doch mit sich führt, und nach den Befürchtungen, solange die Ernten noch feindlichen Kräften zur Beute fallen konnten, ist es ein schöner Gedanke, auf eine lange Zeit hinaus mäßig arbeiten, gemütlich auf der Ofenbank sitzen und, wenn man just darauf aus ist, recht lange schlafen zu können. Es ist angenehm, wenn der erste Schneesturm tobt, sich zu sagen: »Rase, wie du willst; dem Korn im Viertel und dem Heu auf dem Boden wirst du nichts anhaben.«

Der Bauer hat im Winter eine gründlich warme und duftende Stube, weil in dem Rohr des eisernen Ofens gebacken und gebraten wird, und er ist empfänglich für den behaglichen Dunst und für den leckeren Geruch. Ein halbes Dutzend Dreschflegel im Takt auf das Getreide fallen zu hören, hat zumal für den Eigentümer etwas Ermunterndes; und sehr erfreulich ist es, nachmittags als Ergebnis davon so und so viel Metzen Korn »aufzuheben«.

Natürlich hat der Winter auch auf dem Lande seine eigenen fröhlichen Zeiten. Weihnachten und die Gaben des Christkindles spielen bei dem wohlhabenden Bauer eine große Rolle. Für Neujahr werden vom schwarzen »Lähfel« an bis zum »Krapfen« hinauf eine Reihe von Backwerken hergestellt und Freunde, Bekannte, Ehehalten, Bettler, namentlich aber Kinder damit glücklich gemacht. Schöne Momente bezeichnet die Metzelsuppe, die sich bei dem wohlhabenden Bauer zwei- bis dreimal wiederholt. Und wer es gesehen, der wird uns beistimmen, wenn wir sagen, daß eine speckschneidende, gelegentlich von den eßbaren Teilen naschende, mit allerlei Späßen sich unterhaltende, der milden Autorität des erprobten Metzgers und Wurstmachers sich fügende Bauernfamilie zu den behaglichsten menschlichen Bildern gehört.

Leute, die sich lieb haben, sind gern auf ihren eigenen Umgang beschränkt, und die Aussicht auf ein verhältnismäßig einsames Leben hat für sie einen ganz besonderen Reiz. Der Meier und die Meierin begrüßten daher den ersten tüchtigen Schneefall mit Freuden und gaben sich ganz dem traulichen Gefühl ihrer Häuslichkeit hin. Und der Winter bot ihnen, was er einer wohlhäbigen Familie irgend bieten konnte, ja noch etwas mehr.

Den anmutigsten Eindruck machte das Haus um die Weihnachtszeit. Der Meier hatte rechtzeitig einen überflüssigen jungen Weichselbaum im Garten abgehackt und in wassergefülltem Kübel auf der Bank in dem vorderen Winkel des Kanzleys aufgestellt, das bei ihm ziemlich groß war. Als die heilige Zeit herankam, waren bei der stetigen Wärme des Raums nicht nur die Blätter, sondern auch schon Blüten ausgeschlagen, und der von der Meierin überdies feiner und reicher als landüblich geputzte und glänzender beleuchtete Baum gewährte am Bescherungsabend einen so prächtigen Anblick, daß man aus den Nachbarhäusern kam, ihn zu bewundern.

Diese Zierde blieb dem Kanzley bis ins neue Jahr hinein. An der Wand hing ein Käfig mit einem Schwarzblättchen, ein anderer mit einer Grasmücke. Wenn diese nun in der Abendstunde »träumten« – wie der Bauer so schön das leise Singen der kleinen Vögel benennt – und die weißen Blüten des Baumes durch die Dämmerung glänzten, dann wurde es der beisammensitzenden Familie unendlich heimlich zumut; eine beinahe feierliche Stimmung kam über die Eltern, und selbst die Kinder horchten stille. Draußen rieselte der Schnee, und der Winter herrschte unumschränkt; im Hause waltete der Lenz, ein süßer, lieblicher Traum des Lenzes.

Der Tag, an welchem ausgedroschen wird, die sogenannte »Flegelhenke«, war zu jener Zeit noch mit einem Brauch bezeichnet, der viel dramatisches Leben ins Haus brachte und den wir hier schildern müssen.

Wenn man den letzten Schober drischt, hängt an einem Pfosten des Stadeltores ein Strohband, auf welches von zwei Seiten in verschiedenem Sinne wieder und wieder die Augen sich richten. Das Mädchen (die zweite, jüngere Magd) hat die Aufgabe, dasselbe zu ergreifen und flügelschnell ins Haus, in die Küche zu tragen, daß es in den Ofen geschoben und verbrannt werden kann; die Drescher haben mit noch größerer Geschwindigkeit ihr nachzueilen, sie zu haschen und es ihr abzunehmen. Wer den Sieg davonträgt, erhält von dem andern Teil ein Präsent. Natürlich wählt die kluge Dirne den Moment, wo die Drescher nicht nur den Hintergrund erreicht, sondern endlich auch in der Aufmerksamkeit schon etwas nachgelassen haben. Wie der Blitz fliegt sie dann mit dem ergriffenen Band über den Hof, wie das wilde Heer jagen die Burschen nach, und wie es nun ausfallen mag, immer gibt's mächtigen Lärm und großen Parteijubel. Denn es begreift sich, daß es die weiblichen Personen ohne Ausnahme mit dem Mädchen halten, und daß es eigentlich ein Kampf zwischen den Geschlechtern ist. Zuletzt können freilich alle zufrieden sein: die Hausfrau sorgt an diesem Tage für ein besonders gutes Mittagsmahl und extra geschmalzenes Backwerk.

Die Meierin setzte ihre Ehre darein, den zweiten Knecht, der prahlerisch das Gegenteil vorausgesagt hatte, bei dieser Gelegenheit zu beschämen und den Sieg auf die weibliche Seite zu lenken. Sobald das atemlose Mädchen den Haustennen erreicht hatte, wurde die Tür den Verfolgern vor der Nase zugeschlagen und geriegelt; der dritte Knecht, der seinen Lauf durch die Stallung nahm, um der Flüchtigen im Tennen den Weg abzuschneiden, fand die dahin führende Tür verrammelt – und das Band flackerte lustig im Ofen, als die hereingelassenen Burschen den Triumph durch ihren Verdruß noch mehren halfen. Der langbeinige Pranger entlastete sein Herz durch einige Kernflüche, die bei den Mägden jubelndes Lachen hervorriefen und auch von der alten Meierin nur schmunzelnd untersagt wurden. Zum Glück für ihn trug man bald das Essen auf, und Schweinefleisch und Sauerkraut waren von einer Güte, Weißbrot und Schneckennudeln von einer Feinheit, daß ein Barbar damit besänftigt worden wäre, geschweige denn ein bei allem Ehrgeiz ehrlicher und noch dazu hungriger junger Rieser. Unser Bursche machte denn endlich gute Miene, suchte selber zu spaßen, versicherte dann aber doch mit Zuversicht: »Aufs Jahr geht's anders!«

Der Februar sorgte noch für eine Schlittenbahn, die man lange vergebens erwartet hatte, und verschaffte dem Meier das Vergnügen, auf einem neuen Schlitten, der sich in der Stadt mit Ehren sehen lassen konnte, die Frau nach Nördlingen zu fahren, dort mit ihr Einkäufe zu machen und in den Drei Mohren sich gütlich zu tun.

Endlich nahte der »alte Winter« seinem Ende. Und wieviel Behagen er dem Bauer auch verschafft hatte, er mußte sich doch gefallen lassen, daß diesem bei seinem Hinschwinden und den ersten Regungen der wiedererwachenden Natur das Herz aufging, daß man sich auf die gute Jahreszeit freute, auf die Vögel, wie schön sie singen, auf die Blumen, wie schön sie blühen, hauptsächlich aber auf die Arbeiten des Säens, Pflanzens und Erntens, als wäre dies alles noch nie dagewesen.

Wenn der Landmann auf den Kreislauf der Natur angewiesen ist, so fühlt er glücklicherweise auch für alle Wendungen desselben ein unerschöpfliches Interesse. Seine Empfänglichkeit für den Gegenstand, wenn er sich auch noch so oft wiederholt, bleibt sich völlig gleich; ja die Liebe zu den für ihn schönsten Momenten der Natur scheint mit den Jahren und dem Verstande eher zu wachsen als abzunehmen.

Unsere Eheleute fühlten sich aufs lieblichste angeweht von den ersten Hauchen des Lenzes. Die Lieder der Vögel machten sie fröhlich, daß es in ihren Herzen selber klang und sang. Mit frischester Lust erfüllte sie der Gedanke, bald wieder tun zu können, was sie im vorigen Jahr getan hatten.

In gemeinschaftlicher Arbeit und gemeinschaftlichen Freuden wuchsen die beiden Seelen immer inniger zusammen. Fast mit jedem Tage wurde eins dem andern klarer und trauter, und jedes fühlte, daß eben nur dieses das Rechte wäre, und sonst kein anderes auf der ganzen Erde. Wenn das so recht offenbar wurde, indem eins dem andern etwas extra Liebes antat, konnte man den Ruf hören: »O du bist halt ein Mann!« oder: »O du bist halt ein Weib« – und in diesen Worten, in dem Ton, in dem sie gesprochen wurden, lag alles Glück und alle Liebe des Paares.

Das Verhältnis beider gestaltete sich, wie es in der Natur der Dinge lag. Regine, von Haus aus tiefer und innerlicher angelegt, wurde durch ihre Erfahrung und die Art, wie sie diese benutzte, reicher gefördert, und sie blieb daher die bedeutendere Persönlichkeit. Das ist aber eben die Wirkung der echten Liebe, daß sie ausgleicht, ohne gleichzumachen; daß verschiedene Naturen in ihr sich eins fühlen, und daß eine so reich ist wie die andere, weil jede sich selber besitzt und die andere dazu. Im liebenden Verkehr mit der höheren Persönlichkeit muß die minder bedeutende auch in sich selber gesteigert werden, und hinanstrebend und hinangehoben sich ihr endlich so zur Seite stellen, daß es schwer zu sagen ist, wo die größere Vortrefflichkeit sei.

Der Meier wurde im Umgang mit seinem Weibe innerlicher; er lernte feiner denken und empfinden, ohne daß der Bauer in ihm und seine Naturfrische beeinträchtigt worden wäre. Hatte ihm seine erste Frau Respekt abgenötigt, so fühlte er für die zweite mit der Liebe eine tiefe Herzensachtung. Er ehrte und verehrte sie recht eigentlich als ein höheres Wesen, er sah zu ihr empor und tat nichts, was ihm wichtig erschien, ohne ihre Meinung vernommen zu haben. Ihr Verstand, die Raschheit und Bestimmtheit ihres Urteils bestrickten ihn eben nicht minder wie ihre übrigen Eigenschaften. Mit ihrer Beistimmung ausgerüstet, war er seiner Sache gewiß, und wenn er mit einem andern in Disput geriet, konnte es ihm begegnen, daß er zur Stütze seiner Behauptung hinzufügte: »Meine Meierin hat's auch gesagt!« was freilich auf dem Gesicht des Gegners zuweilen ein satirisches Lächeln hervorrief.

Der Meier erfuhr, welch ein wunderbares Geschöpf das Weib ist, wenn es gut ist. Er lernte die herzinnige Liebe und Treue als das Höchste erkennen und als das Schönste. Als er einst mit seinem Schwager Gröninger zusammensaß und auf das Lob der Regine gekommen war, schloß er mit den Worten: »O Bruder, ich sag' dir, so eine wie die ist, gibt's nicht mehr! Mir ist's im Grund immer gut gegangen und ich hab' mich nie zu beklagen gehabt. Aber jetzt seh' ich, daß doch eigentlich nichts dahinter gewesen ist; – jetzt erst weiß ich, warum ich leb'.«

Mußte nun aber dieser Mann, den sie geliebt hatte, ohne ihn so zu kennen, einem Weibe wie Regine nicht immer lieber werden? – Mit einem stumpfsinnigen und herrschsüchtigen hätte sie nicht zu leben vermocht. In ihr lag ein ungewöhnlicher Sinn für Gerechtigkeit. Recht wollte sie geben und Recht wollte sie auch erhalten; Unrecht zu dulden war nicht ihre Stärke. Sie kannte sich darin selbst und sagte sich, daß sie mit diesem und jenem im Dorfe nicht zu hausen vermocht hätte. Welch ein Glück nun, einen Mann zu haben, der ihr sogar mehr einräumte, als sie hätte fordern mögen, der es gern und mit Freuden tat! Sie fühlte dies einmal so tief, daß sie ordentlich erschrak, als ihr der Gedanke kam, wie sie ihn auch nicht hätte bekommen können. Aber bald darauf sagte sie sich: Nein, ich hab' ihn bekommen müssen! Er paßte für mich und ich für ihn, wir mußten einander haben.

Mit dieser Erkenntnis freute sie sich nun besonders der Vorzüge, die er nach ihrer Ansicht vor ihr selber voraushatte: der gutmütigen Fröhlichkeit, des lebendigeren Wesens, der Gabe, etwas Unangenehmes leichter zu nehmen als sie, und eher einen Spaß daraus zu machen. Ja, auch das ergötzte sie an ihm, was man als kleine Schwachheit ansehen kann. Sie lächelte, wenn sie ihn zuweilen von behaglicher Ruhe langsam und mit humoristischer Klage sich losreißen, nach einer guten Speise oder gutem Trunk mit kindlicher Begierde verlangen, bei andern Leuten hier und da eine ziemliche Neigung zum Prangen entwickeln sah; und wenn jemand sich erboten hätte, ihn von diesen Schwächen zu heilen, sie hätte sich's verbeten.

Das Glück auf Erden ist freilich nicht vollkommen, und ich bin nicht gemeint, so eins hier schildern zu wollen. Der Tag ist lang, und neben der Lust hat in ihm auch die Unlust Platz, neben der Fülle die Leere, neben der Wärme die Kühle. Wie nach den römischen Poeten zuweilen auch der gute Homer schläft, so schläft in dem liebenden Menschen zuweilen auch die Liebe. Der alte Widersacher ist mit bestem Willen nicht immer von uns abzuhalten, und je größer das Geschäft, desto mehr Gelegenheit hat er zum Überfall. Da gibt es Ungeschick und Verdruß und Aufbrausen und Streit über verschiedene Ansichten usw. – Natürlich fehlte dergleichen auch nicht in dem Leben unseres Paares.

Was die Pausen in der Liebe betrifft, so waren sie hier allerdings vielmehr ein Schlaf, ein natürlicher, gesunder Schlaf, nach welchem die Zärtlichkeit um so schöner und rosiger erwachte. Wer könnte es auch aushalten, wenn die Flamme des Glücks immer loderte und nicht wieder in ihren Grund zurückginge? Strebende, forderungslustige Naturen muten sich eine solche Dauer zu, belehren sich dann aber selbst eines Besseren. Natürliche Menschen wollen es schon nicht anders haben, als es ist, und nehmen es, wie's kommt.

Bemerklicher machten sich nach und nach widerstrebende Meinungen bei einzelnen Fällen. Der Meier hatte eine Anlage zur Reizbarkeit; im ersten Augenblicke zweifelte er nicht an der Unfehlbarkeit seines Urteils und trat mit Lebhaftigkeit dafür ein. Zum eigentlichen Wortgefecht kam es aber darum doch nicht. Regine, wenn sie bemerkte, daß er im Zuge war, ließ ihn reden. Hatte die Sache keine Bedeutung, so gab sie nach; kam es darauf an, so wußte sie ihren Zweck später zu erreichen, indem sie nach Art kluger Frauen die Zeit ersah, wo der Mann ihren Gründen nicht zu widerstehen vermochte.

Zuweilen setzte sie ihren Willen sogleich durch und überwältigte die entgegengesetzte Ansicht des Mannes durch Energie. Im ersten Sommer, ausgangs der Kornernte, machte ein Bauer ihnen einen Weg über seinen Acker streitig, den der Hof bisher genossen hatte. Der Meier, weil die Sache nicht viel auf sich hatte, war geneigt, Verzicht zu leisten; aber die Frau, über die ungerechte Forderung empört, nötigte ihn zum Prozeß, der denn auch gewonnen wurde. Als ihm der strittige Gegenstand, der ihm einen kleinen Umweg ersparte, wieder zugesprochen war, fragte er die Frau lächelnd: »Was haben wir nun?« – Regine versetzte mit Nachdruck: »Unser Recht haben wir! Man muß sich von solchen Leuten nichts nehmen lassen, und wenn's eine Stecknadel wär'. Man verderbt sie nur damit!«

Im zweiten Frühjahr kam jener langbeinige Knecht, den wir an der Flegelhenke kennen gelernt haben, wiederholt angetrunken nach Hause und ließ sich einmal gegen das Ehepaar zu einer rohgroben Äußerung hinreißen. Man kündigte ihm den Dienst. Am andern Morgen erschien er mit einer Armensündermiene, erklärte, daß ihm seine gestrigen Reden über die Maßen leid täten, beteuerte hoch, daß er künftig nie mehr zu viel trinken werde, und bat inständig, man möge ihn behalten. Der Mann in seiner Gutmütigkeit wollte schon darauf eingehen; aber die Frau erklärte mit Entschiedenheit, der Dienst sei ihm aufgesagt, und er müsse sich um einen andern Platz umsehen. – Ihr war die Frechheit des Ausdrucks auch für einen Berauschten zu groß erschienen, und in seinem heutigen kläglichen Benehmen erkannte sie keine Reue, sondern nur den Wunsch, den guten Platz nicht zu verlieren. Ein solcher Mensch wäre für ihr reines Hauswesen ein Schmutzfleck gewesen – er mußte fort, ihr aus dem Hause.

Dergleichen Vorfälle trübten den schönen Fluß ihres Lebens nur vorübergehend und oberflächlich. Einmal schlug aber ein gewaltiger Blitz in die Seele des Weibes; ein jäher Schreck riß ihre Seele aus allem, was ihr lieb und teuer war, heraus und zeigte ihr das grauenvolle Gesicht des Unheils.

Der Meier war an einem Samstag in Geschäften über Land gefahren. Er blieb länger, als es ausgemacht war, die Nacht kam, und Regine harrte mit Verlangen auf seine Rückkehr. Auf einmal trappte und rollte es mit ungewöhnlicher Hast durch das offene Hoftor; das Weib eilte hinaus und sah – die Rosse allein mit dem vorderen Gestell des Wagens. Sie fuhr zusammen und schaute erblaßt auf die endlich haltenden Tiere. Diese waren durchgegangen, der Weg führte an Abstürzen, an Wasser vorbei. Das größte Unglück war möglich, und die Angst hatte es schon vor Augen. Außer sich rief sie den herbeigelaufenen Knechten zu, die Rosse zu nehmen, sie den Weg zurückzuführen, und sie selbst eilte im Schein der Mondsichel mit ihnen fort. Auf dem Wege, auf dem sie mit bebenden Knien hinter den trabenden Rossen lief, sah das spähende Auge lange nichts, tobend klopfte ihr Herz, und mit einer Art von Wildheit rief sie: »Wenn er tot ist, dann ist's aus mit mir, und ich weiß, was geschieht!«

Doch – im Nebelduft, rechts am Sträßchen zeigte sich ein dunkler Gegenstand; der Oberknecht schrie darauf hin, und es antwortete die Stimme des Meiers. – »Er lebt!« rief's in ihr. »Gott im Himmel, ich danke dir!« In wenigen Sekunden war ihr Arm um seinen Hals geschlungen, sie fragte und prüfte, und die Überzeugung, daß er unverletzt sei, lockte ihr Tränen ins Auge.

Das Unglück, das sie gefürchtet, hatte dem Manne nahe genug gestanden. Er saß, nachdem er das Spritzleder auf beiden Seiten befestigt, ordentlich eingeschlossen im Sitz, und seinen Gedanken hingegeben, ließ er, wie er ja schon oft getan, den heimeilenden Rossen die Zügel. Auf einmal setzten diese mit der Schnelligkeit des Blitzes über die Straße, in der nahen Vertiefung stürzte der Wagen völlig um, so daß die Räder emporstanden, und der im Spritzleder steckende Meier hätte, fortgeschleift, den Tod oder grausame Verletzungen gefunden, wenn die Schraube auf dem Eisen, durch das die beiden Gestelle zusammengehalten waren, nicht locker gewesen und abgesprungen wäre. Nun rannten die wild gewordenen Tiere mit dem vorderen weiter; der Meier arbeitete sich vor, erholte sich nach und nach, reinigte sich und stellte den Rest des Wagens zurecht. Das Benehmen der Tiere war ihm unerklärlich; er spähte umher, was daran schuld sei, und sah auf der einen Seite des Weges einen alten verlassenen Schäferkarren, der im matten Schein des Mondes gespenstisch glänzte, daran hatten sie gescheut. Über das Gespann beruhigt, wollte er jetzt nach Hause gehen, als er bemerkte, daß ihm seine wertvolle silberbeschlagene Tabakpfeife fehlte. Sie konnte nicht weit sein, er suchte danach und hatte sie eben gefunden, als er den Zuruf des Oberknechts vernahm und mit Freuden die Seinigen erkannte. Nachdem er dem fragenden Weibe dies alles erklärt hatte, konnte sie nicht zärtlich schelten, wozu sie große Lust gehabt hätte. Die beiden Gestelle wurden verbunden, die Knechte führten Roß und Wagen, und der Meier, von der Frau geleitet, ging hinterdrein. Während des Gehens verlor sich auch ein dumpfer Schmerz der Erschütterung aus seinen Gliedern, und in den Hof tretend grüßte er die aufgestandene und angstvoll harrende Mutter mit freundlich tröstenden Worten. Am folgenden Tage, in der Kirche, sendete Regine heiße Dankgebete zum Himmel für diesen Ausgang empor. Wegen ihres verzweifelten Gedankens empfand sie keine Reue. Das war ein Punkt in ihr, über den sie keine Macht zu haben schien.

Die Arbeiten im Sommer waren infolge mehrerer unzeitiger Regengüsse beschwerlicher als voriges Jahr, aber im ganzen konnten die Bauern mit den Ernten wohl zufrieden sein. Als das Wichtigste aufgehoben war, sah man allenthalben das Behagen wieder, das den ländlichen Gesichtern im Herbste eigen ist.

Das Antlitz Regines drückte fast noch innigere Zufriedenheit aus als früher. Ihr Wirken als Hausfrau war ihr eine freundliche Gewohnheit und andere Natur geworden, wobei ihr alles spielend von der Hand ging. Die Bäuerin hatte die Empfindung des Künstlers, wenn er sich der Meisterschaft nähert, und für das feinere Auge schien sie nicht nur an Selbstgewißheit, sondern auch an Würde gewonnen zu haben.

Ihr schönes Dasein wurde durch das Dorf nicht beeinträchtigt, sondern gefördert. Man schätzte sie als die Erste ihres Standes, man liebte sie wegen ihrer Güte, die eben von der Ersten um so wohler tat, man war stolz auf sie und auf ihren Ruhm in der ganzen Umgegend. Da sie nicht nur schenken konnte, sondern auch wirklich schenkte und es freundlich tat, so fand sie unter den Bedürftigen Verehrer, sogar Schmeichler, und ein paar alte Bettelweiber, die sich regelmäßiger Bezüge von ihr erfreuten, trugen ihr Lob im ganzen Ries umher. Die Glückliche hatte Gefallen am Lob, und auch zu Schmeicheleien, wenn sie nicht gar zu ungeschickt herauskamen, lächelte sie oder wies sie nur lächelnd zurück. Das Gute war, daß sie die Schönheiten, die man ihr sagte, auch verdiente und daß man sie und den Meier nicht nur ins Gesicht lobte, sondern auch hinter ihrem Rücken.

Eine Gattung von Menschen war indes mit dem Ehepaar nicht ganz zufrieden, und zwar aus eben dem Grunde, warum die Bedürftigen ihr Lob sangen. Ihnen ging in dem Hause zu viel auf. Sie räumten ein, daß der Meier ein reicher Mann sei und daß er nicht zurückkomme; aber das sei eben der Fehler. So einer müßte weiß Gott wieviel »verhausen« und jährlich viel mehr hinaustun, als man höre, daß bei ihm geschehe. Da dürfte man sich's aber freilich nicht so wohl sein lassen bei ihm, und alle müßten um ein Gutes weniger brauchen und um ein Gutes mehr schaffen. – Es gibt nun einmal Bauern, und muß es vielleicht geben, deren Gewissen sich nur dann beruhigt, wenn sie sich abrackern. Wenn einer dieses Schlages nicht wie drei Knechte arbeitet und wie ein halber ißt und trinkt, hält er sich für einen Müßiggänger und Verschwender und fürchtet zu verderben.

Als so eine Stimme zu dem Ehepaar drang, lächelte die Frau, der Mann aber wurde ungeduldig. »Der Weiherbauer«, entgegnete er, »ist ein alter ›Ruach‹ (ein Erwerbgieriger) und ein Narr seines Handwerks! Meine Kinder werden einmal genug bekommen, und wenn sie leben wie ich, dann wird's auch den ihrigen gut gehen. Wer den ganzen Tag nichts anders tendiert, als Geld zusammenzuscharren, ist ungescheiter als das Vieh im Stall. Gerade bei solchen kommt über kurz oder lang ein Lump in die Familie und wirft alles wieder hinaus.« – »Das ist wahr,« bemerkte Regine; »aber deswegen seh' ich nicht ein, warum du dich so darüber ärgerst. Solchen Leuten machen wir's nur recht, wenn wir gerade so leben wie sie, und da behüt' uns Gott davor! Es ist eine Ehre für uns, wenn sie uns ausrichten.« – »Wohl,« versetzte der Meier besänftigt. »Man spricht aber davon.«

Die Klasse der »Ruacher« hat im Ries allenthalben ihre Vertreter, in einem Ort finden sich aber doch immer nur einzelne Exemplare. Wenn diese nun, wie billig, über unsere Leute gerade wegen der Schönheit ihres Lebens den Kopf schüttelten, so schlugen sich dafür zu der Mehrheit der Anerkennenden auch noch die Repräsentanten des gebildeten Standes, die mit ihnen zusammenkamen. Der größere Teil des Lobes kam freilich auf die Seite Regines. Wenn die Pfarrersfamilie Besuch hatte und dieser dem Gottesdienst beiwohnte, fiel das schöne Weib mit der ungewöhnlichen Haltung regelmäßig auf, und zumal die Frauen erkundigten sich mit Lebhaftigkeit, wer sie wäre. Die Pfarrerin beantwortete diese Frage mit einer Art von Selbstgefühl, ein so ausgezeichnetes Exemplar von Bäuerin in der Gemeinde zu haben; sie erzählte, was sie von den Schicksalen des Paares wußte, und die Meiersleute, zumal die Frau, wurde der Gegenstand mancher Unterhaltung in ihrem Hause. Die mit dem Bewußtsein eines höheren Standes Erfüllten pflegten zu sagen: »Für eine Bäuerin hat das Weib ein auffallend hübsches und stattliches Aussehen.« Wohlwollende Naturen gaben sich der Anerkennung ohne weiteres hin, und ein poetisches Fräulein, die sich nicht damit begnügt hatte, sie in der Kirche zu betrachten, sondern ihre Bekanntschaft machte und sie beim Kaffee studierte, kam begeistert ins Pfarrhaus zurück und erklärte sie für »das Ideal« einer Bäuerin. »Sie ist auch sehr verständig,« setzte sie hinzu, »und in ihrem Benehmen könnte sie mancher Dame zum Muster dienen.« – »Eine Beobachtung,« versetzte lächelnd der humoristische Geistliche, »die ich auch schon gemacht, aber natürlich nicht auszusprechen gewagt habe.«

Zu all diesen Erfolgen, zu dem schönen Einverständnis, in dem sie mit ihren Verwandten lebte, war für die junge Frau noch das Glück gekommen, eine Freundin im besonderen Sinn, eine Vertraute, zu gewinnen. Es war dies das zweite Weib ihres Taufpaten, eine Frau in mittleren Jahren, wacker, teilnehmend und lebenserfahren wie wenige. Die ähnlichen Naturen zogen sich an, und bald standen sie in einem Verkehr, welcher der Meierin sehr angenehm war. Man hat vielerlei zu sagen, wenn man Gattin, Mutter und Vorsteherin eines großen Hauswesens ist, und unserer Regine, wenn sie auch nicht zu denen gehörte, die besonders gern und viel reden, tat es doch wohl, gewisse nicht jedermann kundzugebende Dinge einer teilnehmenden Seele anzuvertrauen und dagegen auch die Freuden, Pläne und Sorgen zu teilen. Sie und die Kirchbäuerin saßen an manchem Tage des zweiten Winters nebeneinander vor dem Rocken, womit eine die andere besucht hatte, und unter dem gleichmäßigen Schnurren der Räder wechselten sie ernste und launige Reden, die für beide nicht nur unterhaltend, sondern auch unterrichtend waren, da jede vor der anderen etwas voraus hatte. Fand die Zusammenkunft bei Regine statt, so nahm auch der Meier an der »Ansprache« teil, und während draußen die Wagen knarrten oder die herabwirbelnden Schneeflocken den Tag verdunkelten, spannen und redeten sich die drei in der heimlichen Stube in eine noch heimlichere Welt von Interessen hinein.

Muß es nicht jedem scheinen, daß das Wohlsein und das Glück des Ehepaars kaum größer sein konnte? Dennoch erfuhr es im Ausgang des Winters eine Erhöhung, und ein rosiger Glanz leuchtete auf im Hause des Meiers: die junge Frau brachte einen Sprößling, ein Töchterlein, zur Welt. Die Wonne des Vaters, die teilnehmende Freude der Verwandten und Hausgenossen wiederholten sich bei diesem Segenszuwachs in erhöhtem Maße. Die Weiber behaupteten einstimmig, ein so schönes Kind niemals gesehen zu haben, was freilich auch gar nicht zu verwundern sei, und der Meier, den man von allen Seiten beglückwünschte, brachte mit Ausnahme der Zeit, wo er schlief, mehrere Tage lang den Mund nicht zusammen. Das Fest der Taufe wurde womöglich noch splendider gehalten als die früheren. Da die Wöchnerin sich völlig wohl befand, mit Entzücken an dem Kind und dem Vater hing und auch für die Gäste zärtlich dankende Blicke hatte, so kannte das Vergnügen der Gesellschaft keine Grenzen. Die junge Mutter erholte sich bald; nach vier Wochen machte sie ihren ersten Ausgang, der nach der schönen Sitte in die Kirche führt. Und in der Tat, wenn eine Gattin und Mutter Ursache hatte, Gott zu danken und in ernster Rührung emporzublicken zu dem liebevollen Geber alles Guten, so war es die junge Meierin.

Es ist schön, gegen das Ungemach zu kämpfen, den wieder und wieder erstehenden Hemmnissen mit immer neuem Mute zu begegnen und, von Verlusten umringt, nie den festen Sinn zu verlieren. Es ist schön, im Leide sich bewähren, ihm gegenüber die höhere Macht zu offenbaren, die im Ringen mit ihm sich steigert, um endlich den Sieg zu erringen. Die Alten haben es ein Schauspiel für Götter genannt. Allein es ist auch schön, im Glücke sich zu bewähren, in Eintracht mit Natur und Welt sich selber treu und im Genuß alles Guten des Genusses wert zu bleiben. Auch das ist ein Schauspiel für Götter – ein erhebender und wohltuender Anblick für Menschen.

Nach dem zweiten Winter kamen die Tage des Lenzes besonders früh. Zu den ersten Feldarbeiten sangen die Lerchen, und der muntere Fink schlug vom Walde her dazu. Wenn der Meier draußen beschäftigt war, die Stimmung der Einsamkeit ihn beschlich und ihn zum Nachdenken, zum Spiel der Gedanken verlockte, da kam ihm sein Leben und sein Glück manchmal wunderbar vor. Es schien ihm recht eigentlich als ein Wunder in seinem Alleinsein und als ein Traum, dessen Gegenstand wir zugleich besitzen und nicht besitzen.

Das erste Erwachen der Natur übt unter gewissen Voraussetzungen eine seltsame Wirkung auf das menschliche Gemüt. Das Keimen und Entstehen erinnert an das Vergehen, die süßen Empfindungen, die jenes erweckt, erhalten unwillkürlich einen Zusatz von Schwermut, die hellen und dunkeln Gefühle gehen träumerisch durcheinander, und auch die festere Natur kann in eine Verfassung kommen, wo sie, um den Ausdruck des Kaufmanns von Venedig zu brauchen, »mit genauer Not sich selber kennt«. Hat sich der Schatz des Frühlings zu ganzer Herrlichkeit erschlossen, dann kann bei dem Anblick derselben die wonnige Regung sich steigern, aber auch die traurige. Welches tiefere Gemüt hat nicht schon erfahren, daß es mitten in der Freude über die strahlende Pracht von einer Wehmut befallen wurde, – daß ein Gefühl in ihm aufstieg, als ob dicht hinter dem holden Leben das Verderben stünde? Dann kann eine Bangigkeit es ergreifen, Todesahnungen können sich in ihm erheben und die Seele ganz in die Empfindung des Vergänglichen sich auflösen. – Es ist aber wohl nicht unrichtig, wenn wir sagen, daß nur der den ganzen Zauber des Frühlings kennen gelernt hat, der seine Schönheit mit solcher Trauer im Herzen gesehen.

Unser Bauer hatte im Vorfrühling ähnliche Empfindungen; freilich wie er sie haben konnte. In die Sphäre, in welcher die gebildete Seele weilt, hatte der Meier keinen Zugang, aber er stand doch ebensosehr über dem gewöhnlichen Bauer. Sein Temperament, der weichere, ja einigermaßen weibliche Sinn, der im Verkehr mit Regine sich stufenweise verfeinert hatte, machte ihn erregbarer als seine Standesgenossen und entwickelte mit der Einbildungskraft auch die Gabe des Nachdenkens in ihm. So geartet versank er jetzt im Felde draußen in eine stille Träumerei, bei der er sich selber fragte, woher es denn eigentlich komme? – was denn das auf einmal mit ihm sei?

Auf solche Fragen ist es bekanntlich schwer, eine Antwort zu geben. Vielleicht trug zur Erweckung dieses Hanges auch der Umstand bei, daß in den letzten Wochen das Glück zweier Ehen im benachbarten Dorfe durch den Tod der jungen Frauen mit einem Male ein trauriges Ende erfahren hatte. Wie dem sei, das melancholische Wesen in ihm artete mitunter in förmliche Unruhe aus, und einmal steigerte sich diese zu so banger Sorge, daß er die ackernden Knechte sich selber überließ und nach Hause eilte, nur um sich zu überzeugen, daß sein Weib lebe und gesund sei. Das Aussehen derselben aber mußte ihn wieder trösten und ihm die sorgenden Gedanken benehmen. Die Meierin erfreute sich des besten Wohlseins, ihr Antlitz hatte den frischesten Glanz gewonnen. Sah sie durch das gute Geschick jetzt doch auch den letzten Wunsch erfüllt! Sie war nicht nur glückliche Gattin, sondern auch Mutter. Sie hatte ihr eigenes Kind und in ihm, wie sie mit jedem Tag zu größter Freude sich mehr überzeugte, das gemeinsame Bild des Vaters und ihrer selbst. Wie lieb ihr die zwei Kinder des Meiers auch gewesen waren, das war doch etwas anderes, wenn sie in die blauen Augen der kleinen Annemarie sah – in die Augen des Vaters. Mit einem Ausruf jubelnder Liebe drückte sie den Mund auf Wangen und Lippen und konnte sich an der Kleinen nicht satt sehen.

Diese war aber in der Tat allerliebst und hätte einen gewissen Vorzug verdient, auch wenn es nicht ihr eigen Blut gewesen wäre. Mit den anderen verglichen, hatte sie geradezu etwas Vornehmes. Die Kinder der ersten Frau, wenn ihre Gesichter immerhin auf den Charakter der obersten ländlichen Klasse deuteten, waren doch Bauernkinder; das neue Töchterchen sah dagegen aus wie ein Herrenkind. Und wie einem Herrenkind, wie etwas ganz Apartem, wurde ihr auch gehuldigt. Hausgenossen und Besuchende liebkosten sie bewundernd, und wenn sie ihr Auge auf irgendeine Loberin richtete, kam es auch fast heraus, als ob sie begriffe, was man ihr Schönes gesagt hatte. Um die ersten Kinder war auch lange nicht soviel Sorge im Hause gewesen, daß ihnen nichts widerfahre und daß sie zu rechter Zeit alles erhielten. Es war allen, als ob sie in diesem Mädchen ein Kleinod besäßen, das aufs treulichste zu pflegen ihre heilige Pflicht wäre. Auch die alte Meierin war davon durchdrungen und sagte einmal zu einer Nachbarin: »Bas', auf die muß man sehen, denn das ist doch noch die Fürnehmst' von allen!«

Ostern fiel dieses Jahr ziemlich weit in den April und war so »grün« wie seit langer Zeit nicht. In der Karwoche hatten warme Regen stattgefunden, am Sonntag trocknete es und der Montag war so frisch und so mild, daß eine frohe Empfindung durchs ganze Ries ging.

Es ist gar schön, daß die hohen Feiertage einen zweiten an der Seite haben, der einen weltlicheren Charakter trägt und von dem hohen Ernst des ersten gewissermaßen eine Erholung vergönnt. Im Ries kleidet sich das protestantische Landvolk am Ostersonntag feierlich dunkel, am Montag wählt man auch für den Kirchgang helle Farben, und zumal die Jungfrauen zeigen sich in ihrem fröhlichsten Putz. Es ist der Tag der Freude, der Geselligkeit vorzugsweise, und wer es irgend einrichten kann, der geht zu guten Freunden im Dorf, über Feld oder in die Stadt.

Der Meier hatte sich nach dem Essen in das nächstgelegene Städtchen begeben, um bei einem Handwerksmann eine Bestellung zu machen. Er hatte Kameraden gefunden und bei gutem Bier sich länger unterhalten, als es seine Absicht war. Spät, aber noch bei Tage kam er heim.

Die beiden Kinder liefen ihm jubelnd entgegen, das Mädchen faßte seinen Rockzipfel und fragte nach dem Eintritt ins Kanzley schmeichelnd, ob er nichts »Guts« mitgebracht habe. Der Vater griff in die Tasche, legte eine Gucke voll »Schifflein« und eine städtische Bretzge (Brezel) auf den Tisch; das Mädchen griff nach den Schifflein, der Bube nach der Bretzge. Während sie in Kauintervallen die Leckerbissen rühmten, kam die Mutter, die bei der Schwieger gewesen war, mit ihrem »Fätschenkind« in die Stube. Wie prächtig nahm sich dieses aus! In ganz neuen Windeln, die mit einem farbig seidenen Band künstlich umzogen waren, den klaren ovalen Kopf mit rosig angehauchten Wangen auf das blütenweiße Kissen gelegt, sah das Kind im Arm der Mutter wie ein kleines Prinzeßchen vor sich hin. Der Meier grüßte das Weib, betrachtete mit allem Entzücken eines Vaters die Kleine, schmeichelte und streichelte sie, bis sie holdselig lächelte. »A-ah!« riefen jetzt der Bube und das Mädchen, die auch herzugetreten waren, mit jenem liebevoll spielenden Tone, wie er Kindern eigen ist. Die Kleine war wieder ernsthaft geworden, und beide versuchten nun auch ihre Aufheiterungskünste. Eine Zeitlang vergebens; endlich, indem sie abwechselnd den Ruf des Kuckucks nachmachten und drollige Gesichter schnitten, gelang es. Triumphierend rief der Bube: »Mich hat sie auch angelacht!« Das Mädchen setzte gleich darauf hinzu: »Mich auch! – ganz deutlich!« – Mit Entzücken rief sie: »O du Liebe!« und streichelte das Kind aufs zärtlichste.

Die Mutter sah umher, von einem aufs andere, die Augen wurden ihr feucht. Ihre Freude war so groß, daß nur ein gerührtes Herz sie ertragen konnte. Eine selige Wehmut floß darein, wie immer, wenn sie über das irdische Maß hinausgehen will. Im linken Arm die Kleine haltend ergriff die Glückselige mit der Rechten die Hand des Gatten, sah ihn eine Zeitlang mit inniger Zärtlichkeit an und sagte: »Wenn ich jetzt auch sterben würde, ich könnte nicht sagen, daß ich nicht gelebt habe und glücklich gewesen bin!« – »Still!« entgegnete der Mann, der heute frohen und festen Sinnes war. »Nichts vom Sterben jetzt! Wie kommst du auf den Gedanken?« – »Wir stehen alle in Gottes Hand,« erwiderte Regine mit sanftem Ernst. – »Das wohl,« versetzte der Mann, »aber Gott wird uns beisammenlassen. Geh! Was sollt' ich anfangen ohne dich?«

Das Gesicht der Treuen und Geliebten heiterte sich liebend auf. »Nun,« erwiderte sie, »ich fürcht' es auch nicht. Ich vertrau' auf Gott und hab' guten Mut. Solang' du mir bleibst, werd' ich auch leben!«

Ende.

 

Gibt es wirklich ein Leben, das zu schön ist für diese Welt und darum, wenn es im lieblichsten Licht aufgeleuchtet hat, hinwegschwindet eben um seiner Schöne willen? Ist den Sterblichen ein Maß von Freude verliehen, das die einen auf lange Zeit ausdehnen, die anderen in glühendem Drange rasch verzehren? – Oder sollen diejenigen, die im Glück sich erprobt haben, auch zeigen, wie sie dem Unglück standhalten, diejenigen, die sich im Frieden des Daseins gebildet haben, auch in Leid und Not ihre Wahl treffen und ihr endliches Los selber entscheiden?

Es ist eine ernste Frage, ob wir in dem glücklichen und langen Leben auf Erden das wünschenswerteste Gut erblicken dürfen. Die Sagenpoesie der alten Zeiten läßt ihre schönste Heroengestalt auf ein solches verzichten und dafür unsterblichen Ruhm wählen. Unheil und der Kampf mit ihm bringen Trübsal und Schmerzen, rufen aber auch die innersten Kräfte des Menschen wach; und wer mit seinem Geist und Charakter duldend und ringend auf eine höhere Stufe sich erhebt, dem wird für irdischen Verlust ewiger Gewinn.

Wir können einen Standpunkt gewinnen, wo wir über die Zeit hinaus in die Ewigkeit sehen. Von ihm werden die Leser, welche uns bisher teilnehmend gefolgt sind, die letzten Geschicke unseres Ehepaares und zumal der ländlichen Heldin im Sinne der Erzählung fassen.

Im Meierhofe ging wenige Tage nach jenem schönen Abend, den wir geschildert haben, eine Veränderung vor. Die Schwester des Mannes verlor ihre Schwiegermutter durch plötzlichen Tod, während sie in den Wochen lag. Die alte Meierin konnte den Bitten der Tochter nicht widerstehen, sie mußte sich entschließen, die Stelle der Verlebten auszufüllen. Als sie von der Söhnerin schied, drückte sie ihr zärtlich die Hand und sagte: »Du bist gut gegen mich gewesen, Regine, und ich werd' es dir nicht vergessen. Wärst du nicht Meierin geworden, ich wär' vielleicht nicht von meinem Sohn gegangen; aber bei dir ist er versorgt.« – »Darauf,« erwiderte Regine, »könnt Ihr euch verlassen, Schwieger! Lebt wohl und besucht uns bald!« – Lange schaute sie dem Wagen nach, den ihr Mann aus dem Hof gelenkt hatte. Die alte Frau war ihr lieb geworden und ihre Erscheinung gehörte so sehr zum Wohlgefühl des Tages, daß eine wahre Trauer über sie kam, als sie das Fuhrwerk verschwinden sah und allein ins Haus zurückkehrte. Die Familie brauchte mehrere Tage, um sich an den Verlust einigermaßen zu gewöhnen. Das »Ah'frähle« ging namentlich den Kindern ab, und die Eltern konnten sich nicht enthalten, halb lächelnd in die naiven Klagen einzustimmen.

Die Familie des Meiers wurde noch immer als Exempel menschlicher Wohlfahrt angeführt. Es waren und blieben die Leute, die alles hatten auf der Welt, denen es besser ging als den anderen, und die es auch wert waren. Da fuhr auf einmal ein Wetterstrahl in dieses Gebäude des Glücks und riß eine schmerzliche Lücke in das schöne Ganze.

Das Töchterlein der Meierin erkrankte und starb nach wenigen Tagen. Alle Sorge und Pflege der Eltern, alle Hilfe des Arztes war umsonst – das von allen gepriesene, alles versprechende Kind lag am dritten Monatstag seiner Geburt auf der Bahre. Noch immer war es schön; das blumenumgebene Köpfchen ruhte wie im Schlaf auf dem linnenen Kissen, die Haut blendend weiß, die Wangen noch mit einem matten Rot überhaucht. Aber die Seele, die Urheberin dieser Schöne, hatte sich ihr entzogen; es war der Schein des Scheins, der vor Augen lag – das Grab verschlang ihn.

Regine erduldete alles, was ein Mutterherz erdulden kann, das unendlich liebt und weiß, was es verliert. Angst, Schrecken, tiefe Pein hatten sie ergriffen, und eine Erlösung waren die Tränen, die zu fließen begannen, eine Erlösung die Trauer, in der wenigstens die Stiche der Verzweiflung endeten. – Früher gleichwohl, als ihre Verwandten es gedacht, errang sie ihre Fassung wieder. Ihr Glaube half ihr und der Geist in ihr erhob sich zu Trostgedanken. Der Engel war im Himmel bei Gott, wohin er gehörte; ihre Pflicht war es, mit neuem Mute für die zu leben, die ihr auf der Erde geblieben waren.

Als sie sich einige Tage nach dem Begräbnis mit den Kindern des Gatten allein befand, schaute sie auf die rotwangigen Kleinen mit wehmütiger, inniger Liebe; sie streichelte ihnen Haar und Gesicht, nahm sie in ihren Arm und herzte sie. Und die Kinder ahnten die Bedeutung dieser Zärtlichkeit; das Mädchen liebkoste sie mit einem scheuen Ernst, der dem gutmütigen Gesichtchen etwas innig Rührendes gab.

Während sie an der erwiderten Liebe der Kleinen sich aufrichtete und wirklichen Trost fand, kam der Meier vom Felde heim. Die Treue gab ihm die Hand, drückte sie zärtlich und suchte ihn durch wirtschaftliche Fragen zu zerstreuen, durch liebevolle Worte gleichfalls zu trösten.

Der Mann bedurfte es. Gegen das Erwarten der Seinen dauerte bei ihm die Traurigkeit an, da es doch natürlich und gewöhnlich ist, daß dem Vater die Ruhe früher zurückkehrt als der Mutter. Nach den ersten Ausbrüchen des Schmerzes ging er mit trübem Gesicht, das Verdrossenheit und Müdigkeit ausdrückte, in Hof und Feld umher, wich dem Gespräch aus, das er sonst gesucht hatte, und sah zuweilen aus, als ob ihm alle Freude des Lebens vergällt wäre. Die Bauern sagten: »Der nimmt sich's mehr in den Kopf hinein, als man's ihm zugetraut hätte!«

Der Meier hatte an seinem Töchterlein eine außergewöhnliche Freude gehabt. Er war stolz auf sie, fast hätte man sagen mögen, verliebt in sie, und er hatte sich nicht enthalten können, dies gegen andere kundzugeben. Nun fühlte er sich zu allem Schmerz noch seltsam gekränkt, daß sie ihm gestorben, daß der Tod ihm das liebste, feinste, schönste Kind genommen, während andere die ihrigen behielten. Er war ans Glück gewöhnt und durch die Dauer desselben verwöhnt. Die Sorge, die ihm wegen seines Weibes gekommen, hatte sich als eine Einbildung erwiesen; er war dadurch um so sicherer geworden und hatte sich wieder der zuversichtlichen Hoffnung auf die Dauer des schönen Zusammenlebens hingegeben. Und nun war doch ein Streich dagegen geführt und der Liebling seines Herzens ihm entrissen!

Ein Gefühl kam über ihn, als ob der Anfang gemacht wäre zum Unglück – als ob er auf nichts mehr bauen könnte und es eine Torheit wäre, an etwas Freude zu haben und sein Herz daran zu hängen. Wie ganz andere Geister und Charaktere nach einer Reihe von Erfolgen bei einem ersten Mißgeschick nicht bloß von dem Schaden, sondern noch mehr von seiner Bedeutung und damit von der Furcht betroffen werden, daß ihr Stern von ihnen gewichen sei, so hatte auch der Bauer eine Ahnung, daß es mit dem Unglück weiter, daß es mit ihm und den Seinen abwärts gehen könnte. Warum sollte es nicht so kommen? Geschah es nicht auch anderen Leuten, und hatte er einen Brief dagegen, daß ihn nichts mehr treffen könnte? – Auf dieser Welt ist alles möglich und auf alles muß man sich gefaßt machen.

Solche Gedanken erhoben sich in dem Herzen des Mannes und erfüllten ihn immer wieder mit traurigen Empfindungen, über die er nicht Herr werden konnte – und auch nicht wollte. Er war gereizter als sonst, und ein kleiner Fehler, der beim Geschäft vorfiel, konnte ihm unverhältnismäßig Verdruß machen; es entfuhren ihm dabei heftige Worte und eine Röte flog über sein Gesicht, wie man sie früher nicht an ihm gesehen. Die Ehehalten, so ungewohnt es ihnen war, von ihm angefahren zu werden, nahmen es ihm doch nicht übel. Sie sahen ihn ernst von der Seite an und schüttelten den Kopf.

Nur gegen sein Weib war und blieb er gut. Bei ihr erhellte sich auch jetzt das trübe Gesicht wieder, und dankbar versuchte er einzustimmen, als sie das Gespräch wieder auf erfreulichere Gegenstände lenkte. Er wurde auch wirklich munterer und schaute, zum erstenmal nach dem Begräbnis des Töchterleins, seine Kinder wieder mit dem zärtlich frohen Blick des Vaters an. Die Meierin lächelte ernst; die Liebe tilgte fast alle Trauer aus ihrem Gesicht, und in ihrem Herzen erstand eine Zuversicht, als ob es nun auch bei ihm gänzlich vorüber sei und alles wieder gut werden müßte.

Einige Tage gingen hin. Die Stimmung des Meiers änderte sich aber nicht zum Bessern, sondern zum Schlimmern. Er sah verdrossener und angegriffener aus und konnte seine Ungeduld bei Anlässen, die es gar nicht wert schienen, auch in Gegenwart der Frau nicht bemeistern. Diese begann ihn mit ernstlich besorgten Blicken anzusehen. Eines Nachmittags war die Kirchbäuerin bei ihr eingekehrt. Der Meier kam herein, klagte über einen Fehler, den der Oberknecht sich hatte zuschulden kommen lassen, erklärte mit rotem Gesicht, das könne so nicht länger gehen, der Mensch tauge nichts und müsse fort. – Die Frau, der die Sache durchaus unbedeutend vorkam, bat ihn dringend, es nicht zu tun, und rühmte den Knecht, bis der Aufgebrachte erwiderte, ihr zuliebe wolle er's ihm diesmal noch hingehen lassen, aber das sei das letztemal; wenn er ihm wieder so komme, müsse er sich um einen anderen Platz »lugen«.

Als der Mann die Stube verlassen hatte, sagte Regine bedenklich, ja betrübt zu der Freundin: »Es ist sonderbar; der Mann ist so empfindlich geworden und nimmt alles so schwer auf. Wenn er nicht arbeitete wie sonst, ja fast noch mehr dahinterher wär', ich müßte glauben, daß ihm etwas fehlte.« – Die Kirchbäuerin entgegnete tröstend: »Mach dir keine Sorgen! Die Männer haben nicht immer den gleichen Humor, und bei einem solchen Geschäft kommt gar manches vor, was einen aufbringen kann. Überhaupt« – setzte sie mit einem Lächeln hinzu – »so gar glatt, wie im ersten Jahr, geht's später nicht immer ab. Ich halt's nur für eine Laune, die wieder vergehen wird.« – Die Meierin beruhigte sich, und die Kirchbäuerin verließ das Haus, nachdem sie ihr herzlicher als sonst, man hätte sagen können zärtlicher, »Behüt dich Gott« zugerufen. Als sie nach Hause ging, schüttelte sie den Kopf mit traurigem Ernst. Die wahre Meinung ihres Herzens verratend sagte sie: »In dem Mann steckt etwas, und ich fürcht', ich fürcht', wir sehen bald was.«

Sie hatte recht. Am anderen Vormittag klagte der Meier über eine ungewöhnliche Mattigkeit in seinen Gliedern. Eine Hitze schoß ihm in den Kopf, daß er sich wie trunken fühlte, die Zunge wurde brennend, ein unheimlich irrender Glanz ging aus seinen Augen. Er mußte sich zu Bette legen.

Der herbeigerufene Arzt erkannte sogleich den Beginn einer Krankheit, die erst unlängst in einem benachbarten Dorfe ihre Opfer gefordert hatte. Er machte jedoch der Familie gute Hoffnung, indem er sich hütete, den Namen des Leidens auszusprechen, traf seine Anordnungen, versprach dem flehenden Weib, so oft als möglich nachzusehen, und nahm sich dies selbst vor; denn er schätzte das Ehepaar ganz besonders und wollte alle Kunst und Sorgfalt aufwenden, der Gegnerin die Beute, auf die sie sich mit großer Heftigkeit geworfen hatte, wieder abzuringen.

Die Krankheit entwickelte sich rasch. Nach wenigen Tagen war sie so weit vorgeschritten, daß sie auch von Laien mit einer gewöhnlichen Unpäßlichkeit nicht mehr verwechselt werden konnte. Der Arzt hatte für gut gefunden, das Übel, das nach seiner Überzeugung schon vorhanden war, als möglich hinzustellen. Jetzt, als er wieder erschienen war und den Leidenden untersucht hatte, nahm ihn die Gattin in die Stube und fragte entschlossen: »Nun, Herr Doktor, – ist es das? – Sagen Sie mir's, ich muß es wissen!«

Der alte Herr sah die Festigkeit des Weibes, ohne das Herzklopfen wahrzunehmen, womit sie auf seine Antwort harrte, und erwiderte: »Allerdings, aber –« Er setzte noch einige Worte des Trostes hinzu, die Meierin hörte sie nicht mehr. Die Gewißheit, daß ihr Mann von dem Fieber ergriffen sei, das in dem nächsten Dorf Männer und Weiber in der Blüte des Lebens hingerafft hatte, die Vorstellung dieses Unheils erschreckte sie dermaßen, daß ihr Gesicht ordentlich davon entstellt wurde. »Gott im Himmel!« rief sie, atmete schwer und preßte dann mit schmerzlich bitterem Gefühl die Lippen aufeinander. Aber bald verwandelte sich ihre Miene und spiegelte eine stille, flehentliche Bitte zu Gott. »Nein, nein,« rief sie endlich, sich selber tröstend, »so wird's nicht kommen! Das wird uns Gott nicht antun!«

Der Arzt ergriff ihre Hand und sagte: »Faßt Euch, liebe Frau! Diese Krankheit ist auch zu heilen; ich habe in meiner Praxis mehr solcher Patienten davongebracht, als mir gestorben sind. Habt Vertrauen und« – setzte er warnend hinzu – »regt Euch nicht selbst zu sehr auf!« – »Ja, ja,« erwiderte die Frau mit dem Ton rührend gutmütiger Ergebung »ich will auf Gott vertrauen! Er hat mir mein Kind genommen, und ich hab' mich getröstet; er wird mir nicht alles nehmen wollen.«

Als der Arzt sich verabschiedet hatte, ging sie in die Kammer zu dem Kranken. Dieser erwachte eben aus halbem Schlummer und schaute, als er sie erkannte, mit einem rührenden Schein von Lächeln auf sie. Regine erwiderte es mit einem Blick der innigsten Liebe, antwortete auf seine Fragen im sanftesten Ton, versorgte ihn, sprach ihm guten Mut ein und streichelte ihn mit der Zärtlichkeit einer Mutter. Bald versank er wieder in Schlummer. Sie betrachtete ihn und murmelte für sich: »Nein, es ist nicht möglich! Nein, so schwer kann uns Gott nicht heimsuchen!«

Ein Besuch des Geistlichen und eine Unterredung mit ihm stärkte sie in ihrem Glauben. Der scharfblickende teilnahmvolle Mann hatte allerdings mit Vorsicht auch auf die Christenpflicht gedeutet, alles für gut anzunehmen, was Gott sende, und auch in dem Schlage, womit er die Menschen treffe, den Grund der Liebe und die Absicht des Heils zu erkennen; aber er hatte mit Worten des Trostes, mit der Aussicht auf Rettung geschlossen, und in seinem herzlichen Mitgefühl einen Ton gefunden, der eine unwiderstehlich ermutigende Wirkung hervorbrachte.

Das treue Weib kam fast nicht von der Seite des Leidenden. Die Kinder schliefen im Kanzley, und auch für sie war dort ein Lager aufgeschlagen; aber sie hatte sich ein zweites in der Kammer eingerichtet und ruhte hier, wenn die Müdigkeit sie übermannte, angekleidet in der Nähe des Gatten, um auf den leisesten Ruf zur Pflege bereit zu sein.

Die Wirtschaft entbehrte derweil keineswegs der nötigen Leitung. In dieser Hinsicht üben gute Naturen auf dem Lande die Verwandten- und Freundespflicht in rührend anspruchsloser Art. Der Bruder und der Taufpate Regines ersetzten den Kranken abwechselnd in den Geschäften der Ökonomie und ihre Frauen halfen im Hause. Wiederholt wurde beiden versichert: sie sollten nur nicht sorgen, die Arbeiten würden ebenso geschehen, als ob sie selber dabei wären. Und beide waren ruhig; sie wußten, daß davon keine Silbe abging.

So schwand die zweite Woche der Krankheit – der zweite, als entscheidend angenommene Tag ging vorüber. Der Arzt kam, untersuchte den Mann im Beisein des Weibes – und konnte sich nicht enthalten, eine ernste Betroffenheit merken zu lassen. Im Augenblick zwar gebot er seiner Miene und gab ihr einen Ausdruck fast, als ob er zufrieden wäre; aber die ängstlich Spähende hatte die Bestürzung wahrgenommen und die Deutung derselben übte eine grausame Wirkung auf sie. Sie zeigte ein Entsetzen in ihrem Gesicht, daß es den Alten auf einen Moment selber überlief; ihr Busen hob sich, und den Arzt aus der Kammer ziehend rief sie mit dem heftigsten Tone der Gewißheit: »Mit meinem Mann geht's schlechter, ich seh's! – Leugnen Sie's nicht – ich muß das Schlimmste fürchten!« Der Arzt wollte und konnte ihr jetzt nicht das Gegenteil der Wahrheit sagen. Er erwiderte mit Ernst: »Es geht nicht besser, und das ist schlimm genug; aber noch ist nichts verloren, und Ihr habt keinen Grund, die Hoffnung aufzugeben. Ich habe schon Kranke aufkommen sehen, an deren Heilung ich selbst nicht mehr glaubte, und das ist hier noch keineswegs der Fall.« Doch Schmerz und Leidenschaft übermannten das Weib. »Nein, nein,« rief sie mit einem scharfen Blick auf den Arzt, »Sie hoffen selber nichts mehr! Gott hat uns verlassen, mit meinem Mann geht's zum Tode!« Verzweifelnd rang sie die Hände; Angst und tiefe Seelenqual sprachen aus dem verdunkelten Gesicht.

Der Arzt sah, daß er ein ihrem Charakter entsprechendes Mittel versuchen mußte. Mit einem Ausdruck von Strenge sagte er: »Ihr habt unrecht, so zu reden und Euch so zu gebärden, Meierin! Wer soll den Kranken pflegen und trösten, wenn Ihr den Kopf verliert? Bedenkt, was Ihr für Pflichten habt, und faßt Euch um Eures Mannes willen!«

Das wirkte. Durch die Worte getroffen, nahm sich die Frau mit Gewalt zusammen und erwiderte nach einer Pause mit Ergebung: »Verzeihen Sie, Herr Doktor! Sie haben recht! – ich muß mich halten, ich seh's wohl, und ich will's auch. – Verlassen Sie sich darauf!« – Der alte Herr ergriff ihre Hand und entgegnete herzlich, beinahe gerührt: »Bleibt dabei! – Wir wollen das Unsere tun und in Geduld des Kranken warten. Solange er atmet, ist Hoffnung.«

Die Geduld und die Charakterkraft der Gattin wurden bald auf die stärkste Probe gesetzt. Die Zeit kam heran, wo den Kranken alle Besinnung verließ, Denken und Wollen völlig aus ihm entwichen schien und die lallende Zunge nur wilden Geburten und monströsen Verbindungen der Phantasien diente. Welch eine Empfindung für sie, wenn sie hinhorchend Worte ohne Sinn vernahm, und er sie anstarrte, als ob er sie nie in seinem Leben gekannt hätte! Und doch war das noch nicht das Schlimmste. Aus jenen Reden der irrenden Seele tönten manchmal Worte der Liebe zu Weib und Kind, die ihre Augen mit Tränen füllten und ihr Herz mit schmerzlicher Süßigkeit. Sie sah ihn dann mit weinender Zärtlichkeit an und meinte, ein Mann, der so viel auf sie hielte, so treu an den Seinen hinge, könnte nicht sterben. Aber ein andermal schien alle Lebenskraft aus dem Leib geschwunden; das Haupt sank vor, die Arme zurück, und wenn er aufgerichtet und gewendet werden sollte, war ihr die Hilfe eines Wärters nötig, den sie ins Haus genommen hatte. Die Fragen, die sie an ihn richtete, wie dringend sie betont waren, trafen sein Ohr nicht mehr. Nicht nur die Zunge versagte ihm den Dienst, die Augen schienen sich nicht mehr wenden zu können und stierten unter halbgesenktem Lide wie die eines Toten vor sich hin.

Das arme Weib fuhr einmal selbst einer Irrsinnigen gleich über ihr Antlitz, um sich zu überzeugen, daß kein Spuk sie täuschte, daß das Elend, welches sie vor Augen hatte, wirklich war. »Ist es denn möglich,« rief sie, während es um ihre Lippen zuckte, »kann's denn sein, daß es so weit mit ihm gekommen ist? Ein Mann, der immer aussah wie das Leben, der die schwersten Arbeiten tat, als ob sie ihm bloßer Spaß wären! – Jawohl, der Mensch ist nichts! Heute stark und kräftig wie ein Baum im Walde, und morgen welk und hinfällig wie gemähtes Gras!« Ihre Tränen rannen; sie hinderte nicht das laute Schluchzen, das sie ergriff, und hatte es auch nicht nötig; der Gatte wurde nicht davon gestört.

Ein Jammer wie der, welcher die liebende Regine erfaßte, wäre gar nicht zu ertragen, wenn allzu starke Eindrücke, die sich wiederholen, die Seele nicht endlich abstumpften, daß sie nicht mehr fühlt, was ihr zugemutet wird. Der Mensch, der nur im Graus lebt, gewöhnt sich zuletzt an ihn und findet ihn natürlich, weil er nichts anderes mehr gewahr wird. Er stellt keine Forderungen mehr, hofft nichts mehr und macht sich vertraut mit dem Gedanken des Verderbens.

Regine hatte in dieser Leidenszeit nur die Hilfe und den Umgang der Freundin und ihrer eigenen Familie. Die Schwester des Mannes litt noch an den Folgen der Niederkunft. Die alte Meierin hatte den Sohn besucht, war aber von seinem Anblick so erschüttert worden, daß sie, zur Heimkehr genötigt, dort selber das Bett hüten mußte. Bekannte Frauen des Dorfes scheuten die Ansteckung und kamen nur auf wenige Augenblicke oder gar nicht. Um so rührender war der Einsamen nun das treue Aushalten derer, die auch sie am meisten liebte. Die junge Gröningerin und die Kirchbäuerin waren jeden Tag im Hause. Ihre Mutter, eigene Gliederschwäche nicht achtend, kam am Stock gegangen und suchte Beistand zu leisten und Trost und Mut einzusprechen.

Am Ende der dritten Woche schien es, als ob diejenigen recht gehabt hätten, die dem geprüften Weibe gute Aussichten eröffneten. Der Leib des Kranken hatte wieder Leben gewonnen, sein Gesicht war schmaler und bleicher, aber auch klarer geworden, seine Augen, aus wie tiefen Höhlen immer, schauten fragend umher, sein Geist erkannte die Seinen wieder. Die Krankheit schien ausgetobt zu haben und verschwinden zu wollen, um den Lebenskräften des Abgezehrten zu neuem Emporgang Raum zu geben. Als die Gattin mit einem Strom wiedererregter Hoffnungen ihn zärtlich ansah und ihn bei der Hand faßte, zeigte sich sogar etwas wie dankbares Lächeln um die blassen Lippen. Er begann zu reden, sich zu erkundigen und zu horchen. Durch Regines Antworten befriedigt, lag er ruhig und versank in einen Schlummer, der erquickend und kräftigend schien.

Die günstige Wendung dauerte an. Der Kranke sammelte sich mehr und mehr, beschäftigte sich aber dann mit sich selber und schien über ein inneres Anliegen nachzudenken. Am anderen Morgen verlangte er nach dem Geistlichen. Dieser kam, sprach mit herrlichem Ernst seine Freude aus, ihn in der Besserung zu sehen, und seine Hoffnung, daß er darin fortschreiten werde. Der Leidende zeigte weder Glauben noch Unglauben; er horchte und schwieg; dann sprach er seinen Wunsch aus, das heilige Abendmahl zu empfangen.

Nach einer halben Stunde reichte es ihm der Pfarrer im Beisein des Arztes und der Gattin, indem er die Bedeutung dieses Aktes durch eine Rede erhöhte, deren Salbung aus dem Herzen kam. – Das Haupt des Kranken sank auf das Kissen zurück, aber ein Blick bezeugte, daß seine Seele getröstet war. Nach der Entfernung des Geistlichen tröstete der Arzt seinerseits die Frau, indem er bemerkte, daß ein solcher Akt durch seinen allgemein beruhigenden Einfluß nicht selten zur Genesung des Kranken beigetragen habe.

Am folgenden Tage schien sich der Zustand des Mannes noch mehr zur Besserung zu neigen. In dem Herzen der Gattin wuchs die Hoffnung empor wie eine Flamme, Bilder des Lebens, der Gesundheit und des Glücks traten vor ihre Seele und regten lockend innige Sehnsucht auf. Glühendes Verlangen nach der Rettung des Geliebten ergriff sie, nach der Fortsetzung des Lebens mit ihm, das so schön und glücklich begonnen hatte. Mit klopfender Brust schaute sie auf ihn, der auch jetzt noch dalag wie ein Kind und mit einem Ausdruck, der gleichsam um Hilfe bat, um eine Handreichung zum Leben hinan. Wenn ihr liebender Wille helfen, wenn sie eingreifen könnte in die Natur der Dinge durch eine Wundertat! Sie empfand einen Drang, ihn zu halten, ihn aufzurichten, die Kraft, die in ihr wogte, in ihn überzuströmen! Sie streichelte sein Haupt, rief ihm die liebevollsten Namen zu; – und ein Schein flog über sein Gesicht, ein Blick des Dankes, der Liebe, der Hoffnung war die Antwort des Leidenden. Das Verlangen des Heils stieg in dem Herzen des Weibes empor wie eine Springflut, und sie meinte, wie ihre Liebe anschwölle, müßte ihre Kraft wachsen; – aber bald, im Schein ihrer Blicke, schloß er wieder ermattet die Augen und fiel in Schlaf. – Da trieb es ihre Seele zu dem Allmächtigen. Sie faltete ihre Hände zum Gebet, und mit heißen Tränen flehte sie, daß Gott sich ihrer erbarmen, daß er den Kranken erretten, den geliebten Mann und Vater ihr und seinen Kindern wiederschenken möge.

Es war anders beschlossen. Der Kranke sank mit einemmal in größere Schwäche; – nach zwei Tagen war er verschieden. – Das Gefürchtetste, Schrecklichste stand als Tatsache vor den Augen der Gattin – unwiderruflich, unabänderlich.

Der Mensch im Glück und in der Gesundheit des Leibes und der Seele lebt in einer tiefen Illusion: er vergißt der Mächte des Verderbens und der Hinfälligkeit des irdischen Daseins. Andere um ihn herum können von den Pfeilen getroffen hinsinken, das sieht er und begreift er; ihn selbst aber und die in Kraft und Leben blühenden Seinen geht das nicht an, für sie ist das Unheil nicht vorhanden. Da greift die kalte Todeshand plötzlich herein in sein Haus und raubt ihm das Liebste. Was nur in den ernstesten Augenblicken als entfernte Möglichkeit an ihm vorüberschwebte, das blickt ihn schrecklich leibhaft an, und im Innersten schauernd erkennt er: es ist nichts mit dem Leben, nichts mit dem Glück des Lebens.

Und er war so sicher in der Fülle des Guten! – Blindheit war sein Glaube, Leichtsinn die Freude – der Traum eines Nachtwandlers, der nichts ahnend an dem Abgrund hingeht. – Mit schreckengeöffnetem Auge sieht er plötzlich die Wirklichkeit. Die Farben der Lust sind erblaßt, die Bilder des Glücks wie Spuk verweht – nur das Verderben ist wahr und nur der Jammer gebührt ihm.

In der zweiten Stunde nach dem Hinscheiden des Meiers war der Sturm des Weinens und Wehklagens, in welchen die verzweifelten Angehörigen ausgebrochen waren, vorüber, der Schmerz floß milder in den Seelen, die Tränen rannen spärlicher von den Wangen. Zuletzt hatten noch alle Verwandte die junge Frau, deren Anblick ein Leid verriet, wogegen ihnen das ihre als nichts erscheinen mußte, zu trösten versucht. Mutter, Bruder und Schwägerin nahmen Abschied mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, und führten die Kinder mit sich fort, die bei ihnen übernachten sollten. Zuletzt entfernte sich noch die Kirchbäuerin mit tiefbekümmerten Blicken und mit einer eigenen Sorge in ihrer Miene. Regine war allein.

Sie stand in der Kammer wie eine Bildsäule, bleich, starr, mit einem schmerzlich bitteren Zug um den Mund. Alles war dahin, alles für sie verloren! Die treueste Liebe, die sorgsamste Pflege, die heißesten Gebete – nichts hatte geholfen! – Der Mann war tot wie ihr Kind – alles war ihr genommen. Eine Anklage gegen Gott, der kein Erbarmen gezeigt, bildete sich in dem wunden Herzen und stieg empor und wollte laut werden. Mit Mühe hielt das bessere Selbst den Gedanken nieder; aber auch dieser Genugtuung beraubt, schaute sie trostlos vor sich hin.

Das Bewußtsein, daß ihr alles entrissen sei, durchdrang sie verzehrend. Was sollte sie beginnen? Wie sollte sie fortleben? Sie versuchte sich zu denken, wie sie das Hauswesen führte ohne ihn – und schrak zusammen. Die Räume, die ihr so schön vorgekommen waren in den Tagen der Freude, dünkten ihr entsetzlich öde, die Arbeiten, die sie mit ihm und für ihn so glückselig verrichtet hatte, schienen ihr eine unerträgliche Last, das ganze Tun und Treiben fürchterlich zwecklos und sinnlos. Die ganze Nichtigkeit eines Lebens ohne Ziel, der Wahnwitz des Sorgens um nichts trat vor ihre Seele; der tiefste Ekel vor dem Dasein ergriff sie, erfüllte und schüttelte sie, daß sie schauderte. Der Kopf begann ihr zu schwindeln, die Glieder bebten, sie mußte sich auf ihre Ruhestatt niederlassen.

Eine Viertelstunde saß sie da, dem Gefühl der Verzweiflung hingegeben, von der immer tiefer in sie eindringenden Überzeugung der Rettungslosigkeit gleichsam ausgehöhlt, so daß sie sich selbst wie ein Schatten vorkam, ohne Kraft, ohne menschliche Empfindung.

Das Rollen eines in den Hof einfahrenden Wagens brachte sie wieder zu sich. Es war der Arzt; sie kannte das Geräusch und ging ihm entgegen. Ein Blick auf das Weib sagte dem Erfahrenen alles. Er nickte nach erwidertem Gruße für sich, trat in die Kammer zu der Leiche, betrachtete und untersuchte sie, fragte nach der Sterbezeit und ging in die Stube, um den Totenschein für den Geistlichen zu schreiben. Erklärender, tröstender Reden, wie er sie sonst wohl an die Hinterlassenen richtete, enthielt er sich gegen diese Frau, deren ungewöhnlicher Charakter und wahres Leid ihm Achtung abzwang; aber hinter dem äußerlich ruhigen Ernst, den er zeigte, konnte man eine größere Teilnahme nicht verkennen. Als er den Totenschein überreichte, fiel ihm die Blässe ihres Gesichts, das Zittern ihrer Glieder auf, er blickte sie forschend an, untersuchte ihren Puls und sagte: »Liebe Frau, Ihr seid sehr angegriffen. Das ist freilich kein Wunder, denn Ihr habt Euch nun wochenlang Tag und Nacht keine Ruhe vergönnt. Aber Euer Aussehen gefällt mir nicht, Ihr seid unwohl.« – Regine, schmerzlich lächelnd, erwiderte: »Kann wohl sein.« – Der alte Herr ergriff ihre Hand und sah ihr mit einem herzlichen Blick ins Auge. »Meierin,« sagte er, »wir haben den Mann nicht retten können. Wir haben das Unsere getan und uns kein Versäumnis zuschulden kommen lassen – es hat nicht sein sollen. Nun müßt Ihr für Euch selber sorgen. Ihr habt mir letzthin etwas geklagt; das könnte wiederkommen und weiter gehen –« Eine Bewegung des durch diese Worte getroffenen Weibes in seinem Sinne deutend fuhr er fort: »Keine Sorge! Es hat keine Gefahr! Aber Ihr müßt Euch schonen – Ihr müßt Eurem abgematteten und aufgeregten Leib Ruhe gönnen, damit er sich wieder erholen kann.« Als die Frau hierauf nichts entgegnete, setzte er mit beinahe väterlich liebevollem Anteil hinzu: »Überlaßt die Sorge, den Toten einzukleiden und diese Nacht zu wachen, anderen. Ihr habt ja Verwandte und Freunde – brave Leute, die alles tun werden. Legt Euch fern von dem Lärm in der oberen Stube zur Ruhe; haltet Euch warm und scheuet Euch vor Kälte, denn die könnte Gefahr bringen. Folgt mir, die Nacht wird kühl werden – sorgt dafür, daß Ihr wieder zu Kräften kommt. Versprecht mir's!« Das Weib schaute den Arzt an, gab ihm die Hand, drückte sie und rief bewegt: »Ich dank' Ihnen, Herr Doktor, ich dank' Ihnen von Herzen!« Der Arzt, mit diesen Worten zufrieden, sagte Lebewohl und verabschiedete sich.

Als der Wagen aus dem Hof rollte, trat Regine wieder in die Kammer. Sie war tief aufgeregt, ihr bleiches Gesicht hatte einen seltsamen Glanz, um ihre Lippen irrte ein Lächeln, das schwer zu charakterisieren war. Der Arzt mit seiner Warnung hatte einen Vorhang aufgerissen vor ihrer Seele. Sie konnte hinweg aus dem Elend – sie konnte hinkommen, wo der Geliebte weilte. Die Macht, die ihr gegeben war und an die sie glaubte, erfüllte sie mit wohligem Schauer und lockte und drängte sie und hob ihr den Busen. Die Aussicht, die sich vor ihr auftat, bestrickte sie dermaßen, daß ihre Seele unbeweglich darauf gerichtet war.

Der Austritt aus dem öden, leeren, nichtigen Leben erschien ihr als eine Rettung; der Tod lockte sie wie das Liebste, denn er brachte sie zu ihrem Mann. Eine unwiderstehliche Sehnsucht ergriff sie, ihr Herz pochte gewaltig, ihr Kopf schwärmte; – der eine Gedanke hatte sie völlig in Besitz genommen.

Mit ihm ging sie ihren Gang in der gemessenen Weise, die man an ihr gewohnt war. Der Abend nahte. Sie ließ durch das Mädchen eine alte Frau holen, die das Reinigen und Einkleiden der Leichen zu besorgen pflegte, und machte sich, jede weitere Hilfe ablehnend, mit ihr selber an die Arbeit. Noch vor dem Eintritt der Nacht war alles vollendet. Der Tote lag im feinsten Hemd, Füße und Leib mit weißem Tuch umwunden, in frisch überzogenem Bette, die dunkelblonden Haare gekämmt, das abgezehrte Gesicht von den letzten Makeln der Krankheit befreit und schärfer, aber auch zugleich feiner, als es im Leben gewesen. Die Alte entfernte sich. Regine kehrte die Kammer, brachte alles in Ordnung, reinigte sich und rüstete Speis' und Trank für die Totenwache, die sie zur Nachtzeit erwartete.

Verwandte und Bekannte erschienen, die neu Angekommenen kondolierten, man sah den Toten, zog mit Ernst und Würde die üblichen Sprüche an und setzte sich dann in die Stube, um sich bei Essen, Trinken und Diskurieren munter zu halten.

Der gewöhnliche Bauer ist auch in der Trauer natürlich, er dehnt sie nicht länger aus, als es Natur und naturgewordene Sitte verlangen, und folgt instinktmäßig wieder dem Zuge zu beruhigender Unterhaltung. Die Gesellschaft wurde bald lebendig, und als die beiden nächsten Verwandten sich entfernten, weil sie sich ihrerseits Ruhe gönnen mußten, kamen sie in ein so interessantes Gespräch, daß sie den eigentlichen Zweck ihres Hierseins beinahe vergaßen. Ein Alter, der in seiner Jugend Feldzüge mitgemacht und gegen menschliches Leid immer etwas abgehärtet geblieben war, hätte in der Genugtuung wegen des Beifalls, den eine seiner Geschichten fand, nicht übel Lust gehabt, auch die Meierin in die Unterhaltung zu verflechten, wobei ihn freilich auch die gute Absicht leitete, sie ein wenig von ihrer Trauer abzuziehen. Die Kirchbäuerin aber, die ihr in der Küche geholfen hatte und sich nun anschickte, nach Hause zu gehen, zeigte dem kupferbraunen Gesicht des alten Soldaten eine mißbilligende Miene und sagte zu der Witwe mit ernster Mahnung: »Geh jetzt ins Bett, ich bitte dich! Die Gesellschaft unterhält sich selber, wie du siehst, und hat alles, was sie braucht.« – »Jawohl,« fiel eine ältere Verwandte ein: »leg dich nieder, Meierin, und ruh aus. Ich bleib' und sorg' für alles.«

Regine überblickte die Versammlung mit feuchten Augen. »Ich geh',« sagte sie mit sanfter Stimme. »Habt meinen Dank für eure Freundschaft! Gute Nacht alle miteinander!« – Sie verließ die Stube in Begleitung der Freundin, drückte dieser auf die nochmalige dringende Mahnung, sich Ruhe zu gönnen, statt aller Entgegnung wiederholt die Hand und ging, während die andere den Hof verließ, die Treppe hinan.

Die Gesellschaft war durch den Anblick der Witwe in eine ernste Stimmung versetzt worden und die Lippen ruhten eine Weile. Dann sagte einer der Anwesenden mit ehrlichem Anteil: »Der Frau geht's ganz besonders nah, das sieht man. So ein Gesicht ist mir lang' nicht vor Augen gekommen.« – »Es ist auch kein Wunder,« bemerkte der erwähnte ältere Verwandte mit gedämpfter Stimme. »So gut wie die miteinander gehaust haben! Da hat man keine unschöne Red' gehört das ganze Jahr; lauter Lieb's und Gut's haben sie einander angetan, diese Leute – und haben sobald voneinander scheiden müssen!« – Diese Worte machten auch auf den alten Soldaten Eindruck. »'s ist wahr,« sagte er mit Ernst; »gelebt haben sie miteinander, daß es eine Freude war. Aber die Menschen müssen sterben, wenn ihre Zeit gekommen ist, die jungen wie die alten; davon kann ich was erzählen. 's ist hart für das, was übrig bleibt; aber am Ende tröstet man sich doch wieder. Was kann man machen? Man muß sich drein ergeben, und zuletzt vergißt man's wieder und lebt ebenso fort wie andere auch.«

Während diese Reden geführt wurden, hatte Regine die obere Stube erreicht und sich ihrer Schuhe, ihres Halstuchs entledigt, als ob sie sich entkleiden wollte. Aber dazu kam es nicht. Es war ihr angetan. Sie hatte in den Abgrund gesehen – unwiderstehlich zog es sie in die Tiefe. Dem übermächtigen Drange folgend ging sie gleich einer Nachtwandlerin die Stiege hinab zur Kammertür, öffnete sie, trat ein und schob den Riegel vor. Die Wolken, die zweitägigen Regen gebracht hatten, waren in der Nacht verschwunden, der Mond, der sich am Horizont erhoben, schien durch das Fenster und erhellte die Kammer mit seinem bleichen Licht. Das Weib trat ans Bett des Mannes, schlug die Decke zurück und hing mit ihren Blicken an dem teueren Haupt. Das Mondlicht spielte auf dem blassen Gesicht und gab ihm einen Schein von Leben. Sie beugte sich über ihn, küßte ihn auf die Stirn und streichelte ihm Haar und Wangen.

Nach einer Weile holte sie einen Stuhl und setzte sich am Bett nieder. Sie atmete leise und schaute mit gesenktem Haupte vor sich hin. Die Seele ging zurück in die Vergangenheit. Ihr ganzes Leben zog an ihr vorüber – Leiden und Freuden, Sorgen und Wonnen; aber endlich langte sie an ihrem Verlust, ihrer schrecklichen Verlassenheit, ihrem unsäglichen Elend an.

Ein Zittern ergriff ihren Leib, ihr Herz schlug heftig, das Blut schoß ihr ins Haupt und rötete ihr Antlitz. War es ein Fieberanfall – war es der Gedanke, der ihr ins Bewußtsein kam und ihr Innerstes erschütterte? Der Kopf brannte ihr wie einer Trunkenen – dumpfig und drückend erschien ihr die Luft – sie trat ans Fenster, öffnete es und sog mit Gierde die kühle Luft ein, die ihr entgegendrang. Lange blieb sie da und ließ sich anwehen.

Endlich schauerte sie zusammen und eisig ging's ihr durch den Leib. Sie erhob ihr Haupt und atmete tief. »Was hab' ich getan!« rief sie. Eine Weile stand sie bebend. Dann schloß sie das Fenster, trat zu dem Toten und nickte wiederholt. Leise, wie sie genaht, verließ sie die Kammer. Die Laute eines lebhaften Gesprächs, in das die Wache neuerdings gekommen war, drangen in ihre Ohren. Sie stieg die Treppe hinan und trat in die einsame Stube, um sich niederzulegen.

Den andern Morgen erwachte sie aus dumpfem, unerquicklichem Schlummer fiebernd. Sie schaute umher, erinnerte sich – und erschrak. Ernst überlegte sie, was sie begangen; eine Stimme in ihr wollte sie verklagen, verdammen. Aber sie sagte: »Es ist geschehen! Was über mich kommt, will ich tragen!«

Später als gewöhnlich, aber gleichwohl stand sie auf und dankte Gott, daß ihr die Glieder den Dienst noch nicht versagten, um alles anzuordnen für das Begräbnis des Mannes und diesem selbst die letzte Ehre zu erweisen. Mit der Würde, die ihr eigen war, wir möchten sagen mit der Feierlichkeit des Leides traf sie die nötigen Anstalten, sprach mit dem Geistlichen und dem Lehrer, bestellte den Sarg, wie er dem wohlhabendsten Mann des Dorfes zukam, wählte die alten Frauen, die im ganzen Ries »mit der Leiche zu sagen« (zum Leichenbegängnis einzuladen) hatten, schickte einen besonderen Ehrenboten an die nächsten Verwandten und an städtische Freunde, ließ Einkäufe machen und Vorbereitungen treffen zur Bewirtung derer, die aus entfernten Orten zum Begräbnis kommen würden. Die Fassung, die sie bei alledem bewahrte, fiel den Ihrigen auf; die weichere Schwägerin wußte nicht recht, was sie denken sollte; auch die vertraute Freundin schüttelte einmal den Kopf und sagte für sich: »Ist das ihr Ernst, oder zwingt sie sich nur dazu? Ich hab' sie am Ende doch nicht ganz gekannt.«

Als die Treue am folgenden Morgen erwachte, fühlte sie ihre Schwäche bedeutend vorgeschritten. Sie gehörte jedoch nicht zu denen, die sich ohne Kampf ergeben, sie rang mit dem Anfall und bezwang ihn noch einmal. Den Gatten mußte sie zum Grabe geleiten, wie es der alte Gebrauch verlangt, den Leib mußte sie in die Grube senken sehen, dann war sie fertig mit der Welt. Mit aller Kraft des Willens, aber zugleich gehoben durch den Gedanken der Seele, verrichtete sie die Pflichten des Vormittags. Sie hatte dabei nur die Hilfe der nächsten Angehörigen; Mutter und Schwester des Verstorbenen lagen gleichfalls krank danieder, nur der Schwager war gekommen.

Die Stunde des Begräbnisses erschien. Nähere Verwandte und Freunde traten nacheinander ins Trauerhaus, reichten der Witwe die Hand und sprachen die Worte des Beileids, die vielleicht nie so von Herzen gegangen waren. Die Truhe mit dem Toten wurde in den Haustennen getragen, der Geistliche und der Lehrer mit der Schuljugend stellten sich im Hof auf, gefolgt von einer Anzahl Bekannter und Verwandter, die aus Nähe und Ferne gekommen waren, sich dem Zuge der Leidtragenden anzuschließen, – und plötzlich ertönte aus allen Kehlen das Lied: »Was Gott tut, das ist wohlgetan!«

Ein ungeheures Wort in Fällen wie der gegenwärtige! Aber es gibt Seelen, denen der Sinn dafür aufgetan wird eben in solchen Fällen, die an seine Wahrheit glauben und gläubig die Kraft der Unterwerfung und Trost finden. Regine wurde davon ins Herz getroffen, als ob sie es noch nie vernommen, weil sie es nie so begriffen wie jetzt. Unmerklich nickte sie mit dem Haupte: sie konnte beistimmen!

Der Zug setzte sich in Bewegung. Er war so groß, wie man sich's im Orte kaum erinnerte, und mancher Zuschauer dachte gerührt bei sich: »Der Mann hat viele Freunde gehabt, – aber er hat's auch verdient; – er war ein bedeutender Mann und ein guter Mann.«

Als der Geistliche vor dem Grab die Leiche eingesegnet hatte und die Ehrenträger den Sarg hinabließen, weinten und wehklagten die Kinder des Verstorbenen laut und wenige blieben ohne Tränen. Die Witwe aber stand ohne die leidenschaftlichen Äußerungen des Schmerzes, wie man sie an hinterlassenen Eheleuten zu sehen gewohnt ist. Starren Blickes, unbeweglich schaute sie hernieder. Manche sahen verwundert auf das Weib, die ihren Mann so liebgehabt und von der man geglaubt hatte, sie müßte ihm ins Grab nachsinken. Gereiftere Herzen legten sich's in ihrem Sinne gut aus, den wirklichen Grund erriet niemand. Niemand ahnte auch, wieviel sie's kostete, die wenige Schritte vom Grab in die Kirche würdig aufrecht zurückzulegen und ihren Stuhl zu erreichen.

Der Geistliche hielt eine ergreifende Rede. Der Leichentext gab ihm Gelegenheit, mit Nachdruck und Wärme die Tugenden hervorzuheben, die gegenüber der Unbegreiflichkeit göttlicher Ratschlüsse erfordert sind, und auf den Ort hinzuweisen, in welchem die herbsten Schmerzen eben in die höchsten Wonnen, das tiefste Dunkel eben in das beglückendste Licht wird verkehrt werden. In die Seele des Weibes fielen aber nur einzelne Strahlen seiner Darstellung – der Mahner, den sie zweimal abgewiesen hatte, pochte stärker und stärker an. Als sie aus der Kirche in die schwüle Luft hinausgetreten war, drohte sie zu sinken, und nur mit der größten Anstrengung erreichte sie die Stube. Dort brach sie zusammen.

Die Verwandten, die ihr gefolgt waren, richteten sie erschreckt empor. Sie hielten den Zustand indes für eine Schwäche, die bei der Plage, die sie gehabt, und bei den Leiden, die sie ausgestanden, natürlich war, und die Frauen brachten sie zu Bette, indem sie trösteten, eine ruhige Nacht werde sie schon wieder zu Kräften bringen.

Im Hause befand sich indes eine Person, die den wirklichen Sachverhalt ahnte. Es war die Magd. Diese hatte in jener Nacht bei einem Gang über den Hof die Frau mit bloßem Hals am offenen Fenster gesehen und sich ihre eigenen Gedanken darüber gemacht. In die Kammer zu ihr gerufen, sah sie nun auf die Leidende mit den scheuen Blicken des Argwohns, um so mehr, als das Gesicht derselben eine sonderbare Zufriedenheit ausdrückte. Ein ernstes, verständiges, wackeres Geschöpf, die ihre Frau lieb hatte, beschloß sie, niemand etwas von ihrer Vermutung zu sagen, außer einer, auf deren Verschwiegenheit sie sich verlassen konnte. Diese sollte es wissen; denn wer weiß, wozu es gut war.

Die Nacht verging; als aber Bruder und Schwägerin frühmorgens nachzusehen kamen, hatten die gestrigen Prophezeiungen sich nicht erfüllt. Der Bruder bestand darauf, daß der Doktor geholt würde, und die Kranke mußte es geschehen lassen. Der alte Herr sah auf den ersten Blick, wohin es mit den Anwandlungen von letzthin gekommen war. »Habt Ihr gehalten, was Ihr mir versprochen habt?« fragte er ernst. Die Frau erwiderte: »Ich habe zwei Nächte geschlafen.« Nach weiteren Erkundigungen schrieb er mit resignierter Miene ein Rezept, gab der Magd die zur Pflege nötigen Verhaltungsregeln und fuhr hinweg. Er war der Meinung, daß die Frau den Keim der Krankheit schon seit dem Tode ihres Mannes in sich getragen habe.

Kaum war er fort, so traten die beiden Kinder, welche auch diese Nacht noch bei der »Gröningers-Ahnfrau« geschlafen hatten, in die Kammer und eilten ans Bett. »Mutter,« rief der Bube mit gutmütigem traurigem Ton, »bist du auch krank?« Und das Mädchen, ohne recht zu wissen, was sie sprach, sagte kindlich bittend: »Stirb nicht auch ins Grab 'nein, Mutter, wie der Vater!« Dem Buben war dies zu viel; er versetzte mit dem Ton des Vorwurfs: »Red' nicht so! Man stirbt nicht gleich!« Und herzlich setzte er hinzu: »Die Mutter muß uns bleiben. Wenn die auch sterben tät', hätten wir ja gar niemand auf der Welt!«

Die Augen des Weibes füllten sich mit Tränen bei diesen Äußerungen liebender Kinderseelen. Reue, tiefe Reue ergriff ihr Herz, es war ihr, als ob sie ein großes Unrecht, ein Verbrechen begangen hätte. Indem sie einen mitleidig zärtlichen Blick auf sie warf, antwortete sie den Kleinen mit dem sanftesten Ton, gab ihnen die holdesten Namen und tröstete sie, daß sie beruhigt die Kammer verließen.

»Gute Kinder!« rief sie tief ergriffen, »an euch hab' ich nicht gedacht! Doch,« setzte sie nach einem Moment des Nachdenkens hinzu – »es ist auch für euch ein Vorteil. Der Schwager wird euch besser aufziehen, als es ein Weib könnte, die keine Freude mehr am Leben hat. Und für euer Fortkommen – Gott sei Dank! – ist gesorgt. Ihr könnt mich geraten (entraten) und Gott wird euch in seinen Schutz nehmen.«

Nachmittags, als sie bei einem Geräusch der Tür aus leichtem Schlummer erwachte, stand die Kirchbäuerin vor ihr. Der Blick der Freundin schien nur der einer teilnehmenden Seele zu sein; aber ein Kundiger hätte es ihr doch ansehen können, daß sie etwas Besonderes auf dem Herzen hatte und da war, um über etwas ins klare zu kommen.

Mit halb fragendem Tone begann sie: »Du bist nun auch krank, Regine.« – »Es sieht so aus, Margret,« entgegnete die Leidende; und instinktartig setzte sie hinzu: »Was kann ich machen? Ich muß es hinnehmen!« – »Jetzt freilich,« erwiderte die Freundin ernst nickend. – »Was meinst du?« fragte Regine.

Die Kirchbäuerin konnte nicht länger an sich halten und warf einen Blick des Vorwurfs auf sie. »Du bist in der ersten Nacht, anstatt ins Bett zu gehen, wie du mir versprochen hast, bei der Leiche in der Kammer gewesen und hast dich mit bloßem Hals am offenen Fenster erkältet. Man hat dich da gesehen.« – Regine war betroffen und schwieg einen Moment. »Ich hab' nicht wissen können, daß es so schlimm wird,« entgegnete sie endlich mit unwillkürlicher Abwehr.

Die Augen der Freundin wurden feucht, und mit dem Ausdruck einer Person, der es leid tut, anklagen zu müssen, rief sie: »Geh, du machst mir nichts vor! Du hast dich mit Fleiß erkältet, damit du krank würdest! Du willst sterben!« Regine zuckte im Bette. Dann aber richtete sie sich auf, erhob das Haupt und versetzte: »Weil du's denn weißt, so will ich's auch nicht leugnen. Ja, Margret, ich hab's getan und ich will sterben!« – »Und du hast dir nicht Sünde gefürchtet?« rief die andere erschreckt. – »Nein,« erwiderte Regine; und wie in der Erinnerung schauernd, setzte sie hinzu: »Ich hab' mir nicht anders helfen können!«

Die Freundin trat näher, sah auf die wieder Zurückgesunkene mit wehmütigem Blick und sagte: »So jung, so kräftig – und so schön! – O Regine, hättest du dich in dein Schicksal ergeben, du hättest anders gedacht später. Man erträgt gar viel in der Welt – und man tröstet sich wieder, nachdem man geglaubt hat, man könne nicht anders und müsse verzweifeln.«

Die Treue schüttelte den Kopf, und mit einem eigenen Lächeln, halb wehmütig, halb geringschätzig, erwiderte sie: »Ich bin nicht wie jedermann, und was für andere paßt, das paßt nicht für mich. – Ich hab' nicht mehr leben können, Margret! Eben weil ich jung bin und für die Kinder und für das Geschäft ein Mann nötig ist, hätt' ich wieder einen nehmen müssen. Man hätte mich geplagt von allen Seiten, ich hätte keine Ruhe mehr gehabt. Aber – ich will nicht mehr heiraten! Ich will keinen Mann mehr!« Nach kurzem Innehalten fuhr sie milder fort: »Du weißt ja, wie wir miteinander gelebt haben, Margret. Du hast's ja gesehen. Kennst du einen Mann, der besser wäre gegen sein Weib, als der meine gegen mich gewesen ist? O« – rief sie mit ausbrechender Empfindung – »ich hab' mit ihm den Himmel gehabt auf der Welt, und darum will ich auch mit ihm aus der Welt! – Ich kenne die Männer wohl. Meinst du, ich könnt' mit einem wilden und unguten Menschen leben, nachdem ich so einen gehabt hab'? Nein, Margret! Einen solchen krieg' ich nicht mehr, und darum will ich gar keinen mehr. Ich will's nicht besser haben als er! Hat er so jung sterben müssen, so will ich auch jung sterben – und du wirst sehen, ich werd' sterben!«

Die Kirchbäuerin sah halb erschrocken, halb strafend auf sie und rief: »Du hast einen Gröningerskopf!« Ein wehmütig stolzes Lächeln zuckte um den Mund der Leidenden. »Ja,« entgegnete sie, »den hab' ich – und dem muß es auch nachgehen!«

Die Kirchbäuerin, lebenserfahren, verständig und religiös im Sinne einer wackeren Frau ihres Standes, konnte sich doch der Wirkung des Heldenmütigen in dem Tun Regines nicht entziehen. Mit Trauer und Bewunderung sah sie auf die Freundin, mit einem Gefühl von Stolz, daß sie's war und so ihr Herz vor ihr auftat. Aber die Bewunderung zerschmolz in Rührung. »O Regine,« rief sie, »wer hätte an eurer Hochzeit daran gedacht, daß es nach so kurzer Zeit dahin mit euch kommen würde! Zwei Leute, die alles hatten, was des Menschen Herz verlangen kann – reich, gesund, gut!« – Überwältigt von Mitleid und Zärtlichkeit wollte sie die Hand ergreifen, die auf dem Bette lag – Regine zog sie zurück. »Die Krankheit ist ansteckend,« rief sie. Hierauf antwortete aber die Kirchbäuerin mit einem gekränkten Blick, faßte die Hand und hielt sie fest. »Schäm dich,« entgegnete sie, »und red nicht so! Ich fürchte mich nicht, mir tut's nichts! Und,« setzte sie milder hinzu, »wenn ich auch krank würde und Gott meinem Leben ein Ende machte, ich bin älter, und unsere Kinder sind versorgt – um mich wär's nicht schad'; aber um dich ist's schad'; daß so ein Weib sterben soll, wie du bist, das ist ein Unglück und ein Jammer! – Das behaupt' ich und dabei bleib' ich!«

Regine, von so inniger Freundschaft gerührt, schaute sie dankbar an. »Bedaur' mich nicht,« erwiderte sie. »Was hat man denn in der Welt? Mühe, Sorge und Kummer! Und wenn eins glücklich lebt, so ist's als ob's nicht sein sollte, und auf einmal kehrt sich alles in Jammer und Elend! – Geh mir mit deinem Leben! Wenn man weiß warum, ja, dann kann man sich Mühe geben und alles ertragen; aber wenn man keinen Zweck mehr hat, wenn das, um deswillen man gelebt hat, einem genommen wird – wenn's im Hause so tot ist!« – Ein Grauen faßte sie bei dieser Vorstellung, ein Seufzer entrang sich der Brust und die Lippen verstummten.

Der Freundin erschloß sich dadurch das Herz der Leidenden völlig. Sie fühlte, daß dieses Weib nicht mehr leben könne, und ihre Tränen fingen an zu fließen.

»Weine nicht!« sagte Regine sanft. »Behalte mich in gutem Andenken, darum bitt' ich dich! – O, wenn du wüßtest, wie gern ich sterbe!« Die Bäuerin nickte traurig und sagte: »Das begreif' ich. Aber,« setzte sie mit dem Ausdruck des Zweifels und der Sorge hinzu, »wie wird man dich dort aufnehmen? Was wird derjenigen geschehen, die ihrem Leben selber ein Ende gemacht hat?«

Regine schwieg einen Moment; dann erwiderte sie mit Fassung: »Ich bin dazu gekommen, ich weiß selber nicht wie. Ich hab's gewollt und gewünscht, und doch ist mir's, als ob's ohne mein Wollen geschehen wäre. Sei's wie's sei; ich glaube, daß unser Herrgott mir vergeben wird, und in diesem Glauben sterb' ich. Mein Mann ist, wo die guten Leute sind, und ich werde zu meinem Mann kommen. Glaub's nur, Margret,« setzte sie mit inniger Sicherheit hinzu, »uns wird niemand voneinander scheiden können, denn wir lassen nicht voneinander!«

Die gute Frau stand von diesen Worten treuester Liebe erschüttert. »Sollt' man's denn glauben,« rief sie, »daß so etwas möglich wär'? Du bist immer ein besonderes Mädchen gewesen, hast immer etwas Apartes gehabt, aber das hätt' ich dir nicht zugetraut! – Es gibt also doch noch Weiber, die ihre Männer so gern haben?« Und mit der Leidenschaft der Rührung setzte sie hinzu: »Ja, Regine, ja, Gott wird dir verzeihen, und du wirst zu deinem Mann kommen! Vertrau nur und glaub fest daran! Eine solche Liebe kann keine Sünde sein!«

Sie ergriff die Hand der Kranken und drückte sie zärtlich, während diese ihr mit einem gerührten Blick antwortete. Endlich schickte sie sich zum Gehen an. Sie traute sich nicht zu sagen: »Gute Besserung!« und wünschte einfach mit gedämpfter Stimme Guten Abend. Regine hielt sie noch. »Sorg dafür,« rief sie ihr zu, »daß die Sache nicht weiter auskommt.« – »Ich will's,« versetzte die Kirchbäuerin. »Verlaß dich darauf.« – »Daß du's erfahren hast,« fügte die Kranke hinzu, »ist mir lieb. Du bist eine treue Seele; – und eine soll mich kennen – eine soll's wissen, warum ich gestorben bin!«

Die Zuversicht, womit Regine das Erreichen ihres Zieles als gewiß ansah, betrog sie nicht. Die Krankheit nahm einen milderen Verlauf als bei dem Mann, aber sie schritt unaufhaltsam vor. Am zweiten Sonntag kam auf ihren Wunsch der Schwager des Verstorbenen mit seinem jüngeren, noch unverheirateten Bruder. Man einigte sich, wie die Kinder erzogen, der Meierhof dem Söhnlein erhalten werden sollte, und dem jungen Vetter fiel dabei die Hauptaufgabe, der Familie Gröninger die Mitwirkung zu.

Regine empfand eine große Beruhigung. Der Vetter war einer von den Menschen, die eine Ehre darein setzen, ehrenwert zu handeln: man konnte sich völlig auf ihn verlassen. Als der Schwager Abschied nahm, sagte er: »Es ist nur für alle Fälle, Schwägerin. Du kannst ja recht gut wieder aufkommen und dann ganz nach deinem Gutdünken handeln. Hoffen wir das Beste!« – »Hoffen wir's,« entgegnete Regine. »Wenn ich dich aber nicht mehr sehen sollte, leb wohl! Grüße mir dein Weib und die Ahnfrau und sag ihnen, ich lass' ihnen gute Besserung wünschen.«

Zwei Tage darauf begann die Kranke zu phantasieren. Die verschlungenen Reden wie die abgerissenen Worte zeigten, daß ihre Seele fast ausschließlich mit dem Verstorbenen beschäftigt war. Einmal befanden sich die beiden Wissenden, die Freundin und die Magd, allein bei ihr in der Kammer. Die Träume ihrer Seele offenbarten so viel Zärtlichkeit, auch in dem kindlich gutmütigen Ton der Sprache, daß denen, die alles verstanden, die hellen Zähren von den Wangen liefen.

Doch auch dieses Herz sollte nicht brechen, ohne das Grauen des Todes, ohne die Angst vor dem Schritt ins Jenseits empfunden zu haben. Waren es körperliche oder geistige Ursachen, oder beide zusammen, die eine plötzliche Wendung in ihr hervorbrachten? Den schönen Phantasien folgten mit einemmal andere, die eine tiefbedrückte Seele verrieten. Auf dem Gesicht malten sich bei fliegender Hitze Bangigkeit, Sorge, Furcht. Eine gewaltige Unruhe ließ unter schwerem Atmen den ganzen Leib erbeben, die Lippen sichtbar zittern. Die Seele, wie es den Anschein hatte, rang zu einem Ziele hinan und verzweifelte es zu erreichen. Als der Geist sich wiedergefunden hatte, lag die Kranke still und ruhig und sah lange ernst vor sich hin. Dann trug sie der Magd auf, den Pfarrer zu holen.

Der würdige Seelsorger hatte sie schon zweimal besucht. Mit der ihm eigenen Feinheit des Gemüts zeigte er aber nur den Freund des Hauses gegen sie und ließ, was er Geistliches bemerken wollte, in natürlicher Sprache bloß gelegentlich einfließen. Als er jetzt wiederkam, begann er mit teilnehmender Erkundigung. Die Leidende erklärte ihm, sie fühle, daß es mit ihr zu Ende gehe. Sie sterbe gern, aber sie wünsche zu tun, was ihr als Christin zukomme und was ihr Mann getan habe – sie bitte ihn, ihr das heilige Abendmahl zu reichen.

Der Geistliche hatte während dieser Rede in ihr Innerstes zu sehen versucht. Er sagte ihr mit Ernst die sofortige Gewährung ihres Verlangens zu, entfernte sich und kehrte nach einer Weile mit dem Lehrer zurück. Indem er die Formen der Kirche erfüllte, benutzte er die Gelegenheit zu einer Rede, mit der er eine ganz besondere Absicht verband.

In kurzen, aber mächtigen Worten schilderte er die Heiligkeit Gottes und ihr gegenüber die Sündhaftigkeit des Menschen, die Unzulänglichkeit und Gebrechlichkeit auch der Besten. Wie darf der sündige Mensch von dem heiligen Geist Gnade erwarten? Wie hat er Hoffnung, sie zu erlangen? – Etwa so, daß er, über seinen Wert verblendet, mit dem eiteln Gefühl der Selbstgerechtigkeit vor ihn tritt und sie als eine ihm zukommende Sache in Anspruch nimmt? Kann Gott der Sündhaftigkeit vergeben, die nicht fühlt, daß sie es ist, und kühn für sich fordert, was die Reinheit sogar in Demut zu erwarten hätte? Nein, die mängelvolle Seele muß erkennen, was ihr fehlt, und worin sie gefehlt hat, sie muß tiefe Reue darüber empfinden, muß fühlen, daß ihr von Rechts wegen Strafe gebührt, und mit diesem Bewußtsein demutsvoll an die göttliche Gnade sich wenden, die sich in Christo geoffenbart; sie muß glaubend an diese Gnade und liebend um dieser Gnade willen der göttlichen Barmherzigkeit sich anheimgeben. Dadurch allein kann die ungeheuere Kluft überbrückt werden zwischen der Heiligkeit Gottes und der Sündhaftigkeit des Menschen, und dieser kann hinüberschreiten zu dem Richter, der ihm ein väterlicher sein wird. Dadurch allein kann das Brot und der Kelch würdig empfangen und genossen werden.

Der Geistliche hätte damit schließen und zur unmittelbaren Einleitung des heiligen Aktes übergehen können. Er tat es nicht. Nach kurzem Innehalten fuhr er fort und sagte: »Es ist nicht jedem leicht gemacht, seine Sündhaftigkeit Gott gegenüber zu erkennen, und eben der Gerechte ist darin gegen den Ungerechten im Nachteil. Wer in Fleiß und Tätigkeit, in treuer Liebe zu den Seinen, in herzlicher Erfüllung christlicher Pflichten seine Tage verbracht hat, der kann meinen, ganz nach den Geboten der Religion gelebt zu haben und mit gutem Gewissen unmittelbar vor Gott treten zu können. Und während der Verbrecher die göttliche Gnade gewinnt, eben weil er sie anruft, kann der Gerechte sie verlieren, weil er glaubt, sie müsse ihm von selber zuteil werden. Der Gerechte, der Gott und sein heiliges Leben vor Augen hat, wird freilich in diesen Irrtum nicht verfallen. Er wird, indem er sich mit dem ewigen Vorbild vergleicht und an seiner Vollkommenheit das Auge schärft, erkennen, wie oft sich ihm gute Gedanken in böse verkehren, wie oft ihm reine Gefühle befleckt werden durch unreine, wie oft er das Gute, das er tun mußte, versäumt, wie oft er den Segen der Tugend durch selbstgerechten Stolz aufzehrt und sich wieder zum Bettler macht; und indem er tief empfindet, wie weit er trotz allem gutem Tun noch hinter dem wahren Ziele zurückgeblieben ist, wird Gott ihm die Hand reichen und ihn eben zu diesem Ziele hinanführen.

»Es gibt aber im Leben des Menschen doppelseitige Handlungen, die nach der einen Seite rühmlich, nach der andern frevelhaft erscheinen, Handlungen, durch die wir ein geringeres Gebot erfüllen, während wir ein höheres verletzen und kränken. Welche Gefahr, wenn Taten dieser Art nur von der schönen Seite angesehen werden, wenn die Seele mit Selbstzufriedenheit erfüllt wird, statt mit reuevoller Demut! Hat der Mensch eine solche Tat begangen, und er will vor Gott hintreten, dann fasse er mit ernster Erhebung des Geistes die Seite ins Auge, wonach sie dem Gerichte verfällt, und mit flehender Seele rufe er empor zu der Macht, welche die Sünde vergeben, die Strafe erlassen kann. Der Barmherzige wird dem Erkennenden den Frevel wegnehmen – nur das Gute der Tat und nur ihr Segen wird übrigbleiben.

»Bei Gott« – schloß der würdige Redner mit bewegtem Ton und glänzenden Augen – »ist kein Ding unmöglich. Was die glaubende und liebende Seele von ihm bittet, das wird er ihr gewähren. Aber er will, und er hat ein Recht zu wollen, daß man sich liebend an ihn wende und nicht über der Gabe den Geber vergesse; er will, und er hat ein Recht zu wollen, daß man das Geliebteste, welches er gegeben, in seine Hand wieder zurückstelle, damit er es der Seele, die ihn ehrt, neu verleihe für die Ewigkeit. Er will, daß man zu dem Guten das Bessere und Beste füge, daß man durch die Übung der christlich höchsten Tugend vollkommen werde. Ist dieser Wille aber nicht eben der Wille der höchsten Liebe? Und ist es möglich, solche Liebe zu schauen, ohne den, der sie beweist, über alles wiederzulieben und ihm liebend sich und all das Seine anheimzustellen? – Auf, o Seele, und unternimm es, Gott zu lieben und dich und das Deine in Demut und Ehrfurcht vor seinen ewigen Thron zu legen! Wenn du auch diese Probe bestehst, dann wird er sich dir ganz erschließen; wenn du ausharrst bis zum Letzten, dann wird er dir mit himmlischer Hand die Krone des Lebens geben.«

Der Geistliche – das war offenbar – wußte um die Tat der Gattin, oder er vermutete sie. Hatte er aus Reden der Leidenden, aus unbedachten Äußerungen der beiden Mitwissenden einen Schluß gezogen, und wollte er nun, als wahrer Seelsorger, der Sterbenden, die er hoch hielt, zur letzten Erhebung und Reinigung der Seele Anlaß geben? Wie dem sei, die Worte, die er sprach, drangen dem Weib in das Herz und erhellten dieses mit klarem Licht. In solchen Momenten erhebt sich auch die gewöhnliche Seele über sich selbst, um wieviel mehr die edle und die begabte. Regine hatte kaum einen flüchtig forschenden Blick auf den Redner geworfen. Ihr Geist erkannte, daß er die Wahrheit sprach, und ihr Herz nahm an, daß er von Gott gesendet sei, ihr sie vorzuhalten. Wie aber gerade in den größten Dingen das, was die Welt Bildung nennt, nicht vonnöten, sondern durch Begabung und Erweckung ersetzbar ist, so wurde vor der Seele der Sterbenden der Vorhang weggezogen von dem Allerheiligsten Gottes. Tief ergriffen und erschüttert, die Pflichten erkennend, die sie verletzt hatte, und reuevoll hinanblickend zu der Majestät des himmlischen Richters, mit demütigem Glauben und Verlangen empfing sie das Mahl und in ihm die Gewähr des Heiles. Anstatt es Gott zu überlassen, sie zu finden, hatte sie ihn gesucht und in seinem ewigen Angesicht das Wort der Gnade gelesen.

Der Geistliche warf auf das Antlitz der Sterbenden, das durch den heiligen Akt eine höhere Weihe erhalten hatte, noch einen Blick herzlichen, gerührten Anteils und entfernte sich still. Ihm schuf das Bewußtsein, der ihm teuer gewordenen Seele einen Dienst geleistet zu haben, mitten in der Wehmut über ihr frühes Hinscheiden ein schönes und erhebendes Gefühl. – In Regine dagegen keimte und wuchs eine andere Empfindung. Sie hatte die ganze Gewißheit, daß sie wieder zu dem geliebten Manne kam – sie hatte sich ihn erobert und gewonnen für alle Ewigkeit! Nun erst war ihr das Sterben eine Lust – und ein reiner Gewinn.

Ihre Stunde kam. Als sie die Körperkräfte schwinden sah, ließ sie die Ihrigen herbeirufen und nahm Abschied von allen. Und während nun die Kraft des Leibes zu Ende ging, war es, als ob die Seele sich in all ihrer Güte und Schönheit noch einmal aufschwänge, den Leib zu durchdringen und zu verklären. Das bleiche, schmale, aber noch jetzt edle Gesicht leuchtete in magischem Glanz, die Augen waren emporgerichtet, als hingen sie an einer wunderbaren, himmlischen Vision. Mit Staunen sahen die Trauernden auf sie. Die gebeugte Mutter nickte mit dem Haupte, und Tränen rollten über die gefurchten Wangen, die noch eine andere Quelle hatten als den Schmerz. »Noch jetzt so schön!« rief sie für sich. »O mein Kind, mein Kind!« – Die Flamme war im Erlöschen. Ein tiefer Atemzug – das Haupt des Weibes lag unbewegt – sie war geschieden.

Die Nachricht von dem Tode der im Dorf und in der Umgegend hochangesehenen Frau, obwohl man nichts anderes erwartet hatte, brachte doch einen ungewöhnlich tiefen Eindruck hervor. Manche ernste Betrachtung wurde daran geknüpft über die Hinfälligkeit des Menschen, über den Schein des irdischen Glücks, und eine wenig bemittelte Bäuerin sagte mit ernster Miene: »Die beiden Leute haben den Himmel auf Erden gehabt, und das soll eben nicht sein. Wir, die sich plagen und absorgen müssen, um nur fortzukommen, wir bleiben am Leben!«

Das Leichenbegängnis fand an einem sonnigen Tage statt, daher die Versammlung zahlreicher war als selbst bei dem Begräbnis des Mannes. Als der Geistliche, selbst bewegt, in der Grabrede das Verhältnis der Eheleute schilderte und ihr einträchtiges Leben mit innigen Worten vor die Seele der Hörenden rief, da weinten alle, die das Paar gekannt hatten, die Kinder schrien laut, und auch die Augen derer, die nur äußere Rücksichten hergeführt hatten, oder die zufällig gekommen waren, brachten dem tränenwerten Geschick ihre Spende.

Und nun ruhten sie beisammen, die im Leben so liebevoll verbunden waren, das Kind, der Mann, das Weib. Die Gräber lagen an einem heimlichen Platz an der Mauer des Kirchhofs, und bald waren sie nicht nur durch ein Grabmal bezeichnet, sondern auch mit Blumen bepflanzt. Die Mutter Gröninger ließ es jahrelang ihre angelegentlichste Sorge sein, diesen Schmuck darauf zu pflegen und zu erhalten, daß sie hervorleuchteten unter allen und dem Grabe des zuletzt verstorbenen Geistlichen zu vergleichen waren. Die gute Alte vergoß noch manche Träne darauf und sprach am liebsten und öftesten von »ihrer Meierin«. Endlich starb auch sie. Die Erinnerung an das vielgerühmte Paar fing an zu erblassen, und wenige gedachten seiner noch, unter den wenigen am treuesten die Vertraute Regines.

Es ist das schöne Vorrecht der Dichtung, ein liebenswertes, rühmliches Dasein, wenn es von der Erde geschieden ist, wiedererstehen zu lassen in der ganzen Fülle des Lebens, im Lichte der Schönheit, und den engen Kreis der Wirklichkeit durchbrechend es vor alle Seelen zu führen, die fähig sind, es zu erkennen und hochzuhalten. Aber nichts ist wohl des Andenkens und des Mitgefühls edler Seelen würdiger, als eine Liebe, die sich treu bewiesen hat bis zum Tode.


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