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»Ein Stück Holz, ein lebloses Stück Holz,« sagte Herr Johann Roderich – von dem Hause Roderich & Söhne –, »hat doch wahrhaftig zu meiner Zeit mehr Abenteuer durchgemacht und mit angeschaut, als heutzutage ihr armseligen Stubenhocker von Novellenschreibern – und gar Schreiberinnen – euch träumen laßt. Auf was laufen am Ende eure verblaßten Phantasiegebilde alle hinaus? Daß zwei sich bekommen. Oder höchstens sich nicht bekommen, weil er sie oder sie ihn im Stich läßt.«

»Und was, Verehrtester, hat in den Tagen Ihrer Jugend ein Holzblock erfahren, das neuer oder wichtiger wäre als dieses uralte Menschenleid?«

»Das fragen Sie? Bis so ein starker Urwaldriese – denn damals gab es noch undurchforschten, ursprünglichen Urwald – aus seiner fernen, sonnstrahlenden Heimat hierher gelangt war, in unsere Tisch und Stuhl bedürfende, prächtig polierte, wohlgedrechselte europäische Zivilisation? Ja, fragen Sie lieber, was er nicht gesehen hatte! Fünfhundert Jahre oder mehr haben seinen Stamm gebildet; fünfhundert Jahre oder noch länger spendeten seine Äste und Zweige Schatten für alles wilde Getier, Schlangen, Eidechsen und buntschillernde Vögel, für all das heimliche Leben der glühenden Tropen, ehe noch ein Menschenfußtritt den Boden in seiner Nähe berührt. Und nun züngelt bläulich die Flamme vom Lagerfeuer der Räuber empor an dem Stamme, umzieht in wunderlich runden Kreisen, Ringeln, Schnörkeln die rissige Rinde, ein feines Netzgeäder bildend, durchsichtig, verschlungen, vielgestaltig; daß ich bewundernd ...«

»Sie! Pardon, wie kommen Sie denn dahin? Bevor ich mehr von den Geschicken des Baumstammes höre, möchte ich doch gehorsamst ersuchen, mir zu berichten, wie es zuging, daß Sie, Herr Johann Roderich, in den wilden Urwald gelangten, zu dem Baum und zu den Räubern?«

»Das wollen Sie hören? Des Baumes Geschichte sowie jenes Zusammentreffen mit den Bandoleros haben in meinem Leben eine Rolle gespielt. Und also muß ich wohl mit mir selber den Anfang machen. Der Anfang nämlich war, daß eines Tages – ich befand mich noch in der Prima des Gymnasiums, kurz vor dem Abgang zur Universität, auf der ich Jura studieren sollte – mir ein Buch in die Hände fiel: Humboldts Ansichten der Natur. Ich träumte davon in den folgenden Nächten. Achill und Hektor kämpften unter Palmenschatten mit lautem Feldgeschrei und Lärmen; ich selbst war Achill. Und die Myrmidonen hatten schwarze Negerfratzen. He, Roderich, rief nächsten Tages in der Klasse der Herr Professor, was übersetzen Sie da für Unsinn? Die tapferen Indianer? Trojaner haben Sie sagen wollen. Ich bitte sehr, bei der Sache zu bleiben. Es leuchtet hier Ihnen die Sonne Homers, nicht grell unklassische Tropensonne. – Er hatte gut reden, der alte Herr. Mich hielt eine Sehnsucht nach jener Tropenwelt gepackt, daß, wo ich ging und wo ich stand, ich ihre Bilder zu sehen meinte, die graue, alltägliche Wirklichkeit mir dagegen versank. Und nachdem ich zu dem ersten noch ein halb Dutzend anderer, mehr oder minder gediegener Werke mit Schilderungen jener Breiten verschlungen hatte, stand es fest bei mir: ich mußte dorthin. Das schnellste Mittel, dies Ziel zu erreichen, schien mir zu sein, daß ich Kaufmann ward.

Mein Vater, da ich ihm von diesem Plan sprach, schüttelte den Kopf: Nichts da. Der Älteste führt die Firma weiter. Das gehört sich so von jeher. Der zweite studiert. Noch dazu, wenn dieser zweite einen, ob auch hartschaligen, dennoch recht anschlägigen Kopf hat. Du taugst vortrefflich zum Advokaten, besitzest just das richtige Mundwerk, eine Suade, daß du jedwedem einreden könntest, die Blätter sind blau, obschon du sie grün siehst. Wenn du nur willst – du kannst es zu etwas Rechtem bringen.

Aber ich will nicht. Das ist es eben, Herr Vater, ich habe den harten Schädel von dir geerbt. Was einmal da drinnen festsitzt, treibt niemand heraus. Ich fühle ein so großes Verlangen zu reisen, die weite Welt zu sehen, Palmen und Sonnenglut und braune Menschen und fremdes Leben, daß ich im Kolleg doch nicht stillhalten könnte.

Mein guter Vater hat gewöhnlich recht gehabt. Und so besitze ich denn auch wohl das Zeug zum Advokaten in mir. Ihn wenigstens zu überreden, gelang mir mit meiner jugendlichen Dialektik. – Ich kann, was ich will; aber nichts, was ich nicht will. – Den Satz sah er ein.

Gut, mein Junge. Wenn du Genügen daran findest, künftig einmal neben deinem Bruder die zweite Rolle in unserem Geschäft zu spielen, ich will dich nicht hindern. Vorerst machst du dein Gymnasium durch. Fällt das Abgangszeugnis gut aus, nun, so läßt sich's ja überlegen, was weiter geschieht.

Daß es gut ausfiel, brauche ich es zu sagen?

Ich hatte mir somit das Recht erworben, mein Studium an den Nagel zu hängen und mir den Beruf zu wählen, der mir gefiel. Müller, Ahrens & Co., mit denen mein Vater befreundet war, nahmen mich als Lehrling auf. Freilich will ich nicht behaupten, es sei für einen Primus der Prima ein besonderes Vergnügen gewesen, plötzlich zum Lehrling auf einem Kontor degradiert zu werden. Zum mindesten dazumal, wo sotanes Amt noch eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem weit besser besoldeten eines Hausknechts und Schuhputzers hatte. Ich mußte Papier schneiden, Tinte einfüllen, neue Federn aufstecken, den jungen Herren ihre Röcke bürsten, ja gelegentlich sogar aus dem Keller jenseit der Straße dem Buchhalter Bier und Butterbrot herüberholen. Doch tat ich alles gehorsamlichst, ohne nur mit den Wimpern zu zucken. Ich hatte meinen Vater im Verdacht, daß er bei Müller, Ahrens & Co. ein leises Wörtlein zu meinen Ungunsten fallen gelassen. Ich sollte, schien es mir, so etwas wie ein Läuterungsfeuer durchmachen. Erst wenn ich das tapfer bestanden hätte, würde man mich wert befinden, in das wirkliche Heiligtum der Kaufmannschaft eingeführt zu werden. Zu meinem Heil währte diese Prüfungszeit nicht allzu lange.

Eines Tages kam Herr Ahrens in Begleitung eines hageren, stolzblickenden, schwarz schnurrbärtigen Herrn aus seinem Privatkontor in das unsere. Ich schwebte hoch auf meinem Bock, einen langweiligen Geschäftsbrief, den man mit der Kopierpresse zehnmal so gut vervielfältigt hätte, auf Geheiß meines Quälgeistes, des Buchhalters, Wort für Wort nachzumalen.

He, Roderich, rief mein gestrenger Chef, lassen Sie Ihr Geschreibsel nur, Sie bekommen doch nie mehr eine richtige Kaufmannshand. Die ist Ihnen auf dem Gymnasium verdorben. Begleiten Sie Don Ramon Sepulveda zu seinem Hotel. Er könnte den Weg fehlen. Und warten Sie dort. Falls er einen Besuch machen will bei meiner Frau, oder wo sonst, Sie führen ihn. Verstehen werden Sie ihn zwar schlecht. Ihr verdammtes Latein und Griechisch nützt Ihnen wenig bei einem Spanier. Aber ich kann keinen anderen entbehren. Sie desto bester. Gehen Sie nur.

Don Ramon bedankte sich höflichst bei meinem Chef, daß er mich ihm zum Führer mitgab. Ich konnte nicht spanisch; aber soviel verstand ich doch, daß er etwas Schmeichelhaftes über mich sagte. Herr Ahrens zog ein schiefes Gesicht, er fand, daß mein langes Knochengerüst nicht besonders schön sei. Ich freilich fand's auch nicht.

Also zogen wir ab mitsammen, stumm, doch einander nicht feindlich gesinnt. Ich bin schon damals ein guter Patriot gewesen und eingefleischter Partikularist – wie ich denn überhaupt, was ich einmal ergriffen, mit einer gewissen Leidenschaftlichkeit festzuhalten pflege und darin von meinem achtzehnten Jahre an bis zum heutigen Tage nicht viel kühler geworden bin. – So machte ich denn auch durch entsprechende Handbewegungen den Herrn auf einzelne Häuser aufmerksam, auf die Schönheit des Wassers, die flinken Boote, die weißen Schwäne – zuletzt auf ein nettes junges Mädchen, das gerade des Weges kam und das ich gut kannte. Da lächelte er wohlgefällig, klopfte mir die Schulter und sagte irgend etwas, wovon ich nur das Wort Kuba verstand. Kam er daher? von der herrlichsten Insel der Tropen? Don Ramon war mir plötzlich sehr wichtig geworden. Anstatt im Hotel, wie mir mein Prinzipal geboten, geduldig, bedientenhaft zu warten, bis der Fremde zu einem neuen Gange mich brauchen würde, bedeutete ich den vielsprachigen Portier, sobald der Herr nach mir fragen sollte, ihm zu sagen, ich käme gleich wieder, hätte nur einen Weg zu machen. Spornstreichs rannte ich davon, um die Ecke, in die nächste Straße, zum ersten besten Buchhändler. Dort kaufte ich mir – einstweilen selbstverständlich auf Borg – ein Bändchen mit spanischen Dialogen. (Den Ollendorf hat es leider damals noch nicht gegeben.) Und als Don Ramon wieder aus dem Hotel kam, konnte ich ihm im Eingang entgegentreten: A donde quiere su señoria ir ahora? Estoy al servicio de Usted. Wohin begehren Euer Gnaden jetzt zu gehen? Ich stehe Ihnen zu Diensten.

Don Ramon war entzückt. Er lachte Tränen über meine unverfälscht deutsche Aussprache und lobte mich in demselben Atem. Von Stund an war der gute Herr, der trotz seiner steifen Außenseite Sinn für Scherz besaß, mein bester Freund. Wir sind eine ganze Woche lang miteinander umhergestiegen. Ich zeigte ihm die Börse, den Hasen, Kirchen, Sammlungen, hübsche Landhäuser, alles, was ich in unserer Stadt als sehenswert kannte – oder einmal zu sehen und kennen Lust verspürte. Dabei lernte ich eifrigst Spanisch, er wenig Deutsch. Als das Ende seines Besuches kam, sah ich dem Abschied und meiner Rückkehr auf den Lehrlingsposten mit geringen Freuden entgegen. Am letzten Morgen hatte er noch einmal eine längere Unterredung mit dem alten Ahrens. Ich hockte müßig auf meinem Kontorbock, sollte ich ihn doch noch zu verschiedenen Visiten und zuletzt ans Schiff begleiten. Die Herren traten Abschied nehmend aus dem Nebenzimmer. Don Ramon blieb stehen, noch halb in der Tür: Wissen Sie, amigo mio, was den Rodrigo betrifft, hörte ich ihn sagen, der wäre gerade der Mann für mich, jung, gewandt, etwas selbstbewußt – doch das schadet bei uns nicht, im Gegenteil – und weder verwöhnt noch eingerostet durch enge Gewohnheit eurer europäischen, gleichmäßig bequemen Geschäftspraxis.

Herr Ahrens lachte: Nein, zu viel Praxis oder Erfahrung besitzt der nicht. Wenn Sie glauben, etwas mit ihm anfangen zu können – meinen Segen sollen Sie haben.

Das war der Beginn. Wie Don Ramon mir darauf vorschlug, als Kommis in sein Holzgeschäft zu Trinidad de Kuba zu treten, wie ich mit Freuden gleich einwilligte, mein Vater brummte, mein gutes Mütterlein unter Tränen behauptete, so könne ich unmöglich fort, ich hätte ja weder Hemden noch Strümpfe in genügender Anzahl – das wäre zu weitläufig hier zu berichten. Meiner Frau Mutter war aber am Ende ihr großer Junge doch noch wichtiger als seine Wäsche. Da sie sah, wie sehr ich es wünschte, gab sie nach. Noch mußte ich feierlichst versprechen, augenblicklich heimzukehren, wann und wie sie mich rufen würde, und so durfte ich denn davonziehen, mit vielen guten Lehren versehen.

Als einziges wichtiges Reisegepäck schaffte ich mir am letzten Abend, noch ehe wir zu Schiffe gingen, in Eile einen Haufen spanischer Bücher an. Unter anderen den Don Juan Tenorio von Zorrilla. Hieß ich doch selber jetzt Don Juan – mein Name klang mir unendlich lieblich in dieser Verwelschung –; und da ich unterwegs das Stück las, da hat mir ein Vers vor allem behagt:

Yo à los palacios subi,
Yo à las cabañas bajé,
Yo los claustros escalé,
Y en todas partes dejé
Memoria amarga de mi.

Frei verdeutscht will das etwa besagen:

In Palästen fand ich mein Glück,
Ich fand es in Hütten gering,
Ob Klosterschutz streng es umfing;
Und überall blieb, wo ich ging,
Ein bitt'res Erinnern zurück.

Das war's ja eben, was ich wollte: Palast und Hütte kennen lernen, das Kloster wie die weite Welt, alles lieben, nirgends haften, leichten Herzens weiterziehen. Blieb dann von mir, wie von jenem Don Juan, in dem Herzen anderer ein etwas tieferes Gedenken – nun, das würde meiner jungen Eitelkeit just nicht mißfallen.

So bin ich denn in die Tropen gelangt, als ein rechter Konquistador, bereit, das Land, das Volk, die Weiber zu erobern, zu besiegen; erfüllt von den goldigen Glücksträumen, dergleichen nur die Märchen verwirklichen können.

Aber ist's nicht auch wie im Märchen, wenn wir zuerst auf blauem Meer die Sonne des Wendekreises erblicken? Glaubt ein Sohn unserer grauen Nebelheimat, unserer die Stände versöhnenden Zeit sich nicht im Fabelreich, wenn unter jenem glanzvollen Himmel er mit jedem Atemzuge den süßen Duft einatmet, den die Winde ihm meilenweit vom noch nicht erschauten Lande entgegentragen, wenn nun endlich sein Fuß den Strand betreten will, und es strecken ein Paar schwarzer, nerviger Sklavenarme sich dienstbereit aus, den Kaballerito sanft wie ein Kindlein über die schlüpfrige Stelle zu tragen?

Wir waren mit einem Dampfer nach der Havanna gefahren. Von dort aus ritt Don Ramon mit mir quer über Land – Eisenbahnen gab es zum Glück derzeit noch nicht – zu seinem Wohnsitz, dem an der Südküste der Insel belegenen Städtchen Trinidad. Der Weg führte uns über die Alpen von Kuba, durch dichte Wälder und wieder hinab zum strahlenden Meer. So habe ich gleich ein herrliches Stück dieser Perle der Antillen kennen gelernt. Vier Jahre bin ich dort geblieben in meiner geliebten zweiten Heimat, die schmerzenloseste, sonnenreichste, schönste Zeit meines ganzen Lebens. Noch jetzt, wenn ich jener Tage gedenke, fühle ich mich verjüngt, das Blut strömt rascher durch meine Adern, die Brust hebt sich freier. Ja, es lebte sich anders damals.

Und doch war's nicht immer leichte Arbeit, die mir Don Ramon zu tun gab. Wochenlang hauste ich im Wald, allein mit meinen holzfällenden Sklaven. Auf Meilenweite in der Runde gab es kaum einen Menschen, der nicht seine fünf bis sechs Morde – wohl mancher auch mehr – gleichmütig auf dem Gewissen trug. Ich nährte mich von Früchten des Waldes; ich schlief in schaukelnder Hängematte, nur mit meinem Mantel zugedeckt. Solch ein Leben stählt die Nerven. Die Sportanstrengungen, die ihr Europäer ersinnt, wenn ihr euch als Männer erweisen wollt, Reiten, Rudern, Bergeklettern, sind Spiel dagegen. Auf der äußersten Spitze der Jungfrau bringt ihr am Ende, trotz Felsschroffen und Spalten, doch nur eure eigene Haut in Gefahr. Ich hatte für meine Sklaven zu sorgen, harmlose, unverständige, lustige, oft widerspenstige schwarze Kinder. Es gab nur ein Mittel, sie zu lenken: man mußte sie lieben, dann liebten sie den strengsten Herrn und gehorchten ihm leicht. Ich verlangte viel von ihnen; denn von vornherein hatte ich es mir zum Ziel gesetzt, nicht nur das Selbstverständliche zu leisten, das, was mein Chef erwartete, sondern mehr. Ich ließ nicht allein die gewöhnlichen Stämme am äußeren Rande des Waldes schlagen, ich ritt weit hinein in das tiefe, weglose Dunkel, nach besonders schönen Exemplaren, nach rechten Urwaldsriesen zu suchen. Damals spielte das Mahagoni noch eine Rolle in der Welt. Der reichste Lord glaubte seinem schönsten Saal eine Zierde zu verleihen, wenn er einen solchen Eßtisch von besonderer Größe darin aufstellte. Holz, wie wir es damals schlugen, gibt es heute nicht mehr. Es war mein Ehrgeiz, das schönste zu finden. Auch das ist eine Art von Sport, ein unverständiger, wenn Sie so wollen, und wie jedes Spiel artet es, auf die Spitze getrieben, zur Leidenschaft aus. Ich aber gab mich dieser Passion mit vollem Bewußtsein hin, ich frönte ihr, ich verbiß mich förmlich in das Vergnügen dieser ruhelosen Jagd nach Bäumen, Bäumen, wie sie außer mir auf ganz Kuba kein anderer zu entdecken verstand. Denn diese Leidenschaft war meine Rettung vor einer anderen. Wenn ich wieder ein paar mächtige Blöcke zum Hafen an der Casildabai geflößt und dort verladen hatte, und wenn ich dann in sein Bureau zu Don Ramon kam, um ihm Rechenschaft abzulegen, so sagte er sicherlich: Vamos, Rodrigo, Sie sind ein Juwel von einem Kommis. Nun bleiben Sie ein paar Tage hier, erholen Sie und unterhalten Sie sich, bevor Sie wieder in den Wald zu Ihrer Arbeit zurückkehren müssen.

Dann lebte ich eine Woche lang in Trinidad – das heißt im Himmel! Und ich wandelte auf Wolken, und ich trug leichtbeschwingte Sohlen wie ein Gott an den Füßen, und ich fühlte alle Träume wirklich geworden. Die Wirklichkeit aber dünkte mich schöner, holdseliger, berauschender, lieber denn je noch ein Traum.

Weshalb ich nie länger in der Stadt blieb? Vielleicht würde Don Ramon mir gar keine Schwierigkeiten bereitet haben, hätte ich ihn gebeten, mich einmal mit einem von seinen anderen Leuten für ein halbes Jahr das Amt tauschen zu lassen. Ich bat ihn nie. Wenn er nach ein paar seligen Tagen mit irgendeinem geschäftlichen Auftrage mich wieder fortschickte, so ging ich eben, ohne Frage noch Widerrede. Heute, wenn ich daran denke, begreife ich es selbst nicht mehr, daß ich die Kraft – oder auch die Schwäche – besaß, zu gehen, wo alle meine Pulse und Fibern mich drängten: Bleibe, o bleibe! – Weshalb werden wir Nordländer so geboren, so erzogen, daß uns dieser unleidliche kategorische Imperativ, den man Pflichtgefühl nennt, von Jugend auf ins Blut geimpft ist? Weshalb fürchten wir die Schönheit als etwas Verführerisches, Böses? Tannhäuser ist gewißlich, davon bin ich überzeugt, irgendwo hier oben im Flachland, zwischen Elbe, Weser, Eider, zur Welt gekommen; er wäre sonst nicht solch ein Narr gewesen, aus dem Hörselberge davonzulaufen. Und dennoch war die holde Frau Venus noch eine heidnische Teufelin. Die aber mich im Banne hielt, war fromm, wie nur je ein spanisches Mädchen, die hätte um alles in der Welt keine Messe noch Beichte versäumt, die wußte von jener Dämonin so wenig, daß sie wohl kaum ihren Namen vernommen; an der war nichts zu scheuen, nichts, als nur ihre süße, berückende Schönheit. – Von dem ersten Tage an, da ich einreitend in die Stadt Trinidad hinter dem Gitterwerke der Reja sie erschaut, sie ...

Aber ich wollte von dem Mahagoniblock erzählen und wie ich ihn fand. – Also es muß etwa zu Anfang des vierten Jahres meiner Anstellung bei Don Ramon gewesen sein, daß ich eines Frühmorgens wieder nach kurzem, glückseligem Aufenthalt aus der Stadt auf unsere Hacienda zurückritt. In der Nacht vorher hatte ich einer Tertullia bei einem Freunde meines Chefs beigewohnt. Wir hatten getanzt, ich mit ihr, mehr als eine Habanera, bis der lichte Morgen nahte. Die Erinnerung daran hatte mich nicht Schlaf finden lassen, hielt mich jetzt noch umfangen. Ich suchte mir die wenigen Worte zurückzurufen, die sie gesprochen; ich dachte an die vielen, so vielen, die ich nicht gesagt. Es war so etwas wie ein Bann, der mich stets befiel, wenn ich vor ihr stand, daß ich verstummen, schweigen mußte, daß alle meine Geisteskräfte von mir wichen. Und auch jetzt noch, wie ich zu Pferd saß, war mir seltsam unwirklich zumute, süß berauscht, wie von jungem Weine. Da ich vor die Stadt hinauskam, wo die Kaserne steht, fiel ein Schuß, der mich jäh erweckte, als hätte er mich selber getroffen. Ich sehe es noch vor mir unter dem strahlenden Tropenhimmel, das Bild von damals. Auf dem von niedriger Steinmauer umfriedeten Hof der Kaserne stand ein Peloton von Soldaten. Ihr Offizier hatte das Zeichen gegeben: Feuer! Sie hatten losgedrückt. Dort an dem Pfahl war das Ziel gewesen. Eben noch hatte ein Mann dort gestanden. Jetzt, was hing da angebunden, leblos, blutig, ein Kleiderfetzen? ein Gespenst? Die Sonne blickte blendend grell und unbarmherzig auf dies baumelnde Etwas hernieder, das vor einer halben Sekunde ein Mensch gewesen war, jung wie ich selbst, mit einem heißen Herzen voll Liebe.

Der Soldat, den sie soeben erschossen hatten – ich entsann mich jetzt, daß man mir in der Stadt von dem Fall geredet –, war ein braver Kerl. Un sujeto muy respetable, hatte meine Wirtin gesagt. Aber als er bei seiner Liebsten seinen Sergeanten gefunden hatte, erstach er ihn. Und nun litt er die Strafe. Und das Mädchen, das ihn geliebt, würde ihn vergessen. Und der Himmel, unter dem er geatmet hatte, lachte blaustrahlend. Und die Sonne schien und das Leben ging weiter. Nur seines war ausgelöscht und vorbei.

Ich habe in den langen Jahren seitdem so manchen Menschen sterben gesehen. Doch wie an jenem sonnigen Morgen zu Trinidad, da ich, selber jung, den jungen Gesellen um seiner Liebe willen vom Leben zum Tode befördern sah, so hat es mich niemals wieder erschüttert. Der furchtbare Kontrast zwischen der Größe dieser lachenden, in Wonne erstrahlenden Natur und der jammervollen Schwäche unseres armen Menschendaseins ließ mich nicht los. Das gewaltige Rätsel, das Sterben heißt und das ein Lebender nimmer ganz ausdenkt, ist mir nie wieder so hart erschienen, so unverständlich grauenhaft. Da ich tief gesenkten Hauptes von dannen ritt, war das Herz mir beschwert, daß die laue Weiche der Luft, der Sonnenschein, die Schönheit der weiten Landschaft mich schmerzten. An meine eigene Liebe zu denken, wäre mir wie ein Verbrechen erschienen. Während ich sonst, auch nach mehrjährigem Aufenthalt noch, an jedem Palmbaum Freude hatte, unter dessen hochwipfeliger Krone ich dahinritt, habe ich an diesem Morgen mich kaum umgeschaut.

So muß es denn auch gekommen sein, daß ich meinen Weg verfehlte. Ich fand mich plötzlich in einer Umgebung, die mir fremd schien. Es war voller Mittag. Die Sonne brannte sengend nieder auf meinen Strohhut. Und von der Hacienda, auf der meine Sklaven zu dieser Zeit mich erwarteten, war nichts zu erblicken. Es ist mir nur dies eine Mal und nicht wieder geschehen, daß ich mich verirrt habe. Der Mittag ist gerade für die Gegend zwischen den Wendekreisen die schlechteste Stunde, um seine Richtung aufzufinden. Die Sonne steht senkrecht über uns, daß man fast keinen Schatten wirft. Der kleine Kompaß an meiner Uhr zeigte mir wohl, daß ich schon weit vom Wege ab sei, doch half er mir nicht, den rechten zu finden. Da ich gerade vor mir über eine der lichtgrünen, wellenförmigen Erhebungen der weitgedehnten fruchtbaren Ebene einen Reiter auftauchen sah, spornte ich erfreut mein Tier ihm entgegen. Aber im nächsten Augenblick hielt ich wieder an und blickte mich um nach allen Seiten, nach einer Deckung. Es war keine, auf Meilen kein Baum. Weit hinter mir erkannte ich von der Höhe aus jetzt die Besitzung Don Ramons, die ich nicht erreicht, weil ich eine falsche Fährte eingeschlagen. Inzwischen näherte sich jener Fremde. Ein verdächtig helles Blitzen auf seinem Sattel war's, das mich schon von fern erschreckt. Was vor dem Reiter im Sonnenschein so aufleuchtete, konnte nur ein Trabuco sein. Es ist das eine altmodische Magazinflinte mit mehrfacher Ladung und weitem, kreisförmigem Mundstück. Eine solche schwerfällige Handfeuerwaffe führen, das wußte ich, im Inneren von Kuba nur los bandoleros.

Er kam also heran. Ich hielt, ihn erwartend. Der Gedanke an den armen jungen Soldaten vom frühen Morgen schoß mir durch den Kopf. Ich war nicht gesonnen, von meinem Leben kampflos zu lassen. Der Bandit rief mir ein Halt zu, befragte mich kurz in geschäftsmäßig strengem Tone nach woher und wohin, nach Namen und Heimat. Es klang weit mehr nach einem Wächter unserer bürgerlichen Ordnung, als nach ihrem gefürchteten Störer. Zu guter Letzt wollte er sogar erkunden, was sich in der Stadt zugetragen.

Ich verstand ihn nicht. Gestern? fragte ich.

Nein, heute, gab er leiser zur Antwort, heute früh ...

Ah! jetzt begriff ich's. Ich erzählte ihm, was ich bei der Kaserne gesehen. Der Unbekannte mit dem Trabuco nagte die Lippe unter seinem schwarzen Schnurrbart. Ich sah, daß der Bericht ihn ergriff wie mich vorhin der Anblick. Sie kannten ihn? fragte ich.

Ja, mein Milchbruder. Wir konnten ihn retten. Er hat es nicht gewollt. – Lieber sterben, als Räuber werden! – so schickte er mich fort.

Caballero, sagte ich, vergeben Sie dem armen Toten die Beleidigung. Sie können es großmütig – denn Sie leben! Und wie herrlich es ist, zu atmen, und wie gräßlich, zu enden – vorhin empfand ich's. Ich habe mich sonst nie für feige gehalten. Heute aber ... ich wäre bereit, Ihnen einen Dienst zu erweisen, einen recht großen, wenn Sie dagegen dies liebe Dasein mir etwas länger noch lassen wollten. Wenn aber nicht – so ganz leichten Kaufes sollen Sie meine Knochen nicht haben.

Reiten Sie nur, gab er mir verächtlich zur Antwort; Sie bleiben mir sicher. Ich kenne Sie lange und Ihre Wege. Heute haben Sie von dem Toten mitleidig geredet. Ich will nichts von Ihnen.

Schön Dank. Es wäre mir aber wünschenswert, auch ferner noch einige Zeit meines Lebens sicher zu sein. Wenn Sie mich so gut kennen, wissen Sie auch, daß für mich und meine Leute auf der weltvergessenen Hacienda wie drinnen im wegelosen Urwald die Feindschaft der señores salteadores de caminos recht sehr gefährlich, ihr Schutz von einigem Wert sein würde. Also, Don Luiz, wenn ich irgend Ihnen nützen könnte ...

Woher wissen Sie meinen Namen?

Wer sollte Luiz Brunetto nicht kennen!

Freilich, man redet drunten von mir, er drehte sichtlich geschmeichelt den Schnurrbart, viel Tolles, aber auch manches Wahre. So zum Beispiel hat man Ihnen wohl schon erzählt, daß ich jeden Dienst fürstlich lohne, Verräterei aber ebenso fürstlich, das heißt mit sofortigem Tode, bestrafe. Sollten Sie also in Trinidad demnächst erzählen, daß Sie mich hier trafen ...

Caballero, auch ich bin ein Mann und halte mein Wort.

So sei's denn. Wenn Sie mir etwas nützen wollen – ich nehme es an. Schaffen Sie mir fünfundzwanzig Pfund Mehl, fünfundzwanzig Pfund Reis, fünfundzwanzig Pfund Speck, Pulver, Schuhzeug, wollene Hemden. Es macht sich selten, daß einer von uns Zeit und ... hm ... Lust hat, in der Stadt derlei Kommissionen auszuführen.

Ich notierte mir, während er sprach, was er wünschte, machte mein Taschenbuch zu, schob den Bleistift hinein und steckte es zu mir. Soll besorgt werden. Haben Sie sonst noch Befehle?

Keine. Ich danke.

Und wohin habe ich die Waren zu liefern?

Wohin? Seien Sie morgen oder jedenfalls übermorgen um diese Zeit wieder auf diesem Wege. Reiten Sie immer geradeaus, etwa noch eine Stunde weiter. Es wird dort jemand auf Sie warten, der Sie zu mir führt. Jetzt kehren Sie um, ich tue desgleichen; keiner schaut rückwärts. Also vamos. Con Dios, señor.

Ich ließ mir das nicht zweimal sagen, warf mein Tier herum und jagte mit verhängten Zügeln den Weg zurück, den ich hergekommen. Als ich zu der Stelle gelangte, an welcher ich vorher, ohne es zu bemerken, von meiner Straße abgewichen sein mußte, sah ich, daß eine ziemlich frische Hufspur auf dem weichen Grasboden mich irregeleitet hatte. War wohl Luiz Brunetto selber zur Nacht noch in Trinidad gewesen, seinen Bruder zur Flucht zu bereden?

Als ich spät die Hacienda erreichte, hatten sich meine Leute schon um mich beunruhigt. Diego, mein schwarzer Stellvertreter, führte einen Freudentanz auf, da er mich erblickte. Er hätte gefürchtet, ich wäre schon dem Luiz Brunetto in die Hände gefallen. Daß der Räuber ganz in der Nähe, dafür lägen viel Anzeichen vor. Und es wäre doch schade gewesen um mein hübsches junges Leben, weit mehr als um solch ein häßliches schwarzes. Der brave Diego wußte genau, daß ich ihm seine kleine Sünden nicht übersah, weil er mir schmeichelte. Aber er konnte es einmal nicht lassen. Mit zärtlichem Grinsen streichelte er mir unaufhörlich die Schulter, indessen ich die Arbeit der Sklaven inspizierte. Wie gewöhnlich hatten sie während meiner Abwesenheit wenig getan und viel getrunken.

Ich fand so viel zu schlichten und zu ordnen, daß ich an diesem Abend unmöglich wieder fortkommen konnte. Luiz Brunetto mußte sich einstweilen gedulden. Nächsten Tages ritt ich unter einem leicht gefundenen Vorwand in die Stadt, erstattete auf dem Kontor Don Ramon kurzen Rapport, selbstverständlich ohne meines Abenteuers Erwähnung zu tun, und machte, als es dunkelte, bei verschiedenen Krämern und Händlern meine Einkäufe. Die ziemlich großen Quantitäten, die ich forderte, fielen niemandem auf, wußte doch jeder, daß ich für die sämtlichen Sklaven meines Herrn auf der Hacienda zu sorgen hatte. Und also wieder am nächsten Morgen trabte ich, da es kaum getagt, auf meiner guten Rosinante zur Stadt hinaus, bog zur Linken ab und sprengte über die grüne Ebene geradeaus.

Ich war jung, und es dünkte mich lustig, einmal im Leben für Räuber Botendienste zu tun. Ich fühlte mich stolz als heimlicher Beschützer meines Chefs und seiner Leute. Falls ich mir die gute Gesinnung Brunettos erwarb, waren die Wege im Inneren der Insel, war ein jedes Geschäft um so viel sicherer. Dabei war's ein Morgen, so schön, so herrlich – nun, wie sie eben alle dort sind auf der glücklichen Insel. Es hatte kein Todesschreckgespenst mir beim Ausritt die Stimmung getrübt. Und die Sonne strahlte, und am Abend vorher hatte sie mir hinter ihrem Fächer gelächelt. Luiz Brunetto, was ist deine Macht gegen den Talisman solcher Erinnerung! – Ich ritt dahin, froh wie ein König, und pfiff mein Leiblied, das von meinem Namensvetter Don Juan. – Da schnitt ein plötzliches ›Halt!‹ mir den Weg ab. Ein Lasso sauste mir um den Kopf, fing meinem Pferde den keuchenden, sich bäumenden Hals ein. Links und rechts waren zwei Kerle herangesprungen, die mich packten. Ein dritter band mir sein Tuch um die Augen, nahm mir die Zügel fort und knüpfte mir einen Strick um die Hände. Ich protestierte sehr energisch: da ich freiwillig komme, dürfe man mich nicht als Gefangenen behandeln. Das half mir wenig. Mein Tier bekam die Peitsche zu fühlen, anders als ich sie ihm je gegeben. In langen Sätzen jagte es vorwärts. Zu beiden Seiten sprengten die Begleiter mit.

Anfangs sengte uns die Sonne. Dann konnte ich fühlen, daß wir in die Bergregion gelangten. Der feuchtdunstige Brodem, der dem Waldesboden in der heißen Zone entsteigt, gemischt aus süßen Blütendüften und dem Leichendunste verwesender und faulender Pflanzen, schlug mir entgegen. Hängende Zweige, Ranken langschleppender Schlinggewächse peitschten die Seiten, fegten mir über mein Gesicht, daß sie mir den Hut fast vom Kopfe rissen. Ich kann nicht sagen, daß ich mich, gebunden wie ich war, besonders bequem auf dem Gaule fühlte. Aber ich kann auch durchaus nicht sagen, daß mir irgend ängstlich zumute war. Mein eingefleischter Jugendleichtsinn ließ mich am Ende selbst dies blinde Reiten ins Ungewisse durch mehr als drei Stunden erlebenswert finden.

Ich weiß noch, daß es mir einen Stoß gab, und ich erschrak, als wir plötzlich hielten. Der eine meiner Begleiter sprang vom Pferde und half mir hinab. Es waren Stimmen vieler Männer um mich her. Die meines Bekannten vom vorgestrigen Tage mit dem Trabuco tönte vor: Endlich! ich hatte schon gedacht, Sie wollten uns im Stiche lassen und wortbrüchig werden, Señor Don Juan. Da Sie glücklich hier, seien Sie mir willkommen. Und nun herunter mit der Binde.

Da stand ich denn also, ich, Hans Roderich, meines Vaters guter Sohn, in der Mitte des Räuberlagers. Und vor mir der Baum, Swietenia Mahagoni L., ein Exemplar, wie ich noch keins gesehen hatte, mit dem dichtbelaubten, weitschattenden Wipfel wohl seine fünfundzwanzig Meter hoch. Die Herren Räuber, meine Wirte, hatten in seinem kühlenden Schutze ein Feuer entzündet, kochten ihre nicht sehr appetitreizende Mahlzeit zu Füßen des alten Mahagoni. Und die Flamme umzog seine Rinde in Ringeln, in Kreisen. Wo sie ihn verkohlt hatte, sah ich die Zeichnung, welche künftig durch die Politur auf dem Holze hervortreten würde. Ich erkannte die Pracht dieses Holzes, wußte, welch ein riesiger Wert in diesem Riesenbaume steckte. Gern wäre ich hinzugetreten, ihn nah zu betrachten. Luiz Brunetto hatte inzwischen die Waren von meinem Pferd abladen lassen, gezählt und gewogen. Er kam zu mir mit Dank und Geld. Ich wies ihn ab. – Ich pflege nicht Handel zu treiben mit – mit Gesindel euresgleichen, hätte ich bald gesagt – mit ein paar Pfund Reis oder Mehl, sagte ich klüglich.

Und wir lassen uns nichts schenken.

So nehmt's als Lösegeld, daß ihr mich freigebt.

Die Freiheit sicherte Ihnen mein Handschlag. Aber ich muß die gehabte Mühe auch lohnen. Wollen Sie kein Geld, Don Juan, so sagen Sie mir, was Sie wünschen, und es steht zu Ihrer Verfügung – a la disposicion de Usted.

Luiz Brunetto sprach die alltägliche Phrase, die jeder Spanier im Munde führt, mit einer entschiedenen Handbewegung, welche zu sagen schien: Nimm, oder stirb! – Dabei wies er mir zur Auswahl sein ganzes Gefolge und Lager an: verdächtig aussehende, struppige Männer, ein paar junge halbnackte Weiber, schwarze, magere Gäule, Sättel, Decken, einen großen Kessel und Kochgeräte. Daß mich nach nichts und niemandem davon besonders verlangte, brauche ich nicht zu sagen. Aber der Baum!

Geben Sie mir den da, sprach ich.

Der Strauchdieb lachte: Den? er gehört Ihnen so gut wie mir. Kommen Sie, ihn sich zu holen.

Mitnichten. Solange Sie hier lagern, dürfen meine Leute nicht her. Und auch wenn Sie fort sind, bleibt es gefährlich, so tief hinein ins Gebirge zu dringen. Zudem ist's zu weit ab von der Hacienda. Fällen Sie mir den Baum.

Ein Mann ein Wort. Sie fordern es, so soll's geschehen.

Nein, nein! – Es hatte sich eins der Mädchen, ein braunes, schlangenhaft schlankes Kind von Indianergeblüt, herangeschlichen. Don Luiz, nein, nicht Baum abhauen, nicht diesen Baum!

Weshalb? Was kümmert dich der Waldbaum?

Sie lehnte sich an ihn wie eine Liane, ihre nackten, feinen Arme umstrickten ihn; sie preßte ihr schmales, schwarzes Köpfchen an seine Brust: Tut's nicht, bat sie flüsternd, haut ihn nicht ab, ich flehe Euch an. Er bringt dem Unglück und bitteres Leid, der ruchlos ihn zu fällen wagt. Nur uns, wenn wir an ihn glauben, bedeutet er Glück.

Durch die zart gefiederten Blätter des Mahagoni stahl sich die Sonne, fiel in golden tanzenden Lichtern herab auf die beiden. Die Flamme flackerte noch ein paarmal am Stamm empor, zuckte auf und verlöschte, von keinem geschürt. Die Weiber, welche dem Kochwerk vorgestanden hatten, waren alle herzugekommen. Neugierig umstanden sie das Paar, zischelten und flüsterten untereinander. Die einen höhnten, andere baten mit, laut und beschwörend. Luiz Brunetto schien zu schwanken. Er versuchte des Mädchens Angst zu beschwichtigen. Aber sie umklammerte ihn nur immer fester, bat und flehte in leidenschaftlicher Heftigkeit. Ich hatte absichtlich mich fern gehalten und wartete, wie sich die Sache wenden werde. Die Männer ergriffen Partei für und wider, fluchten und stritten. Und durch das wüste Gelärm klang schrill das Lachen einer großen Kreolin mit frechen Zügen: Gebt euch keine Mühe, man weiß es ja doch, er muß tun, was sie will!

In demselben Moment hatte Luiz Brunetto mit einem Ruck das Mädchen von sich abgeschüttelt. Wie leb- und kraftlos glitt der schlanke junge Körper vor seinen Füßen zu Boden nieder. Er reckte seine nicht große Gestalt gebieterisch auf, seine Stimme übertönte alle anderen: Sind wir Männer? donnerte er. Sind wir Männer, Caballeros, oder Memmen, die sich von alten Sagen der Indios und Kindergeschwätz einschüchtern lassen? Soll künftig der Aberglaube hier herrschen, wie? oder ich? Dieser Baum bedeutet dem einen Glück, dem anderen Unglück, sagt ihr. Bis heute lag unser Glück in unserem Mut. Wer den uns lähmt, der bringt uns Verderben. Caballeros, ich habe in meinem wie in eurem Namen mein Wort gegeben. Helft mir es halten. Don Juan Rodrigo, was ich versprach, das wird geschehen. Der Baum gehört Ihnen. Und ist es im Grunde auch Sklavenarbeit, weißer Männer wenig würdig – wir fällen ihn. Kommen Sie heute in acht Tagen dieselbe Straße, die Sie schon kennen, Sie sollen ihn finden. Möge sein Fall Ihnen Glück bedeuten.

So sprach Luiz Brunetto voll Würde. Und die Männer riefen Beifall. Die Weiber zogen sich murrend zurück. Jene Blasse war verschwunden. Als er nach ihr rief, wußte niemand, wo sie war.

Mit ausgesuchter, zeremonieller Höflichkeit, wie nur ein Spanier den fremden Gast zu ehren weiß, unterhielt sich der Anführer vor dem Abschied noch mit mir. Dabei bemerkte ich aber wohl eine Unruhe, fast etwas wie Furcht, was seine Augen wieder und wieder suchend über alle Versammelten fortgleiten ließ, bis zu dem Baum und weiter noch, so tief der Blick in das grüne Dunkel des dichtverwachsenen Waldes eindringen konnte. Ich bat um Verzeihung, daß ich ihm durch meine Bitte Ungelegenheiten verursacht. Er schnitt mir das Wort ab. Kränken Sie mich nicht so, Don Juan. Es ist meine Pflicht, Ihnen Ihren Dienst zu erwidern. Pünktlich meine Pflicht zu erfüllen, habe ich mir immer zur Ehre gerechnet. – Damit führte er mich zu meinem Pferde, hielt mir den Bügel, da ich aufsaß, lobte das Tier, den Sattel und das Zaumzeug. Nur schade, meinte er höflich lächelnd, daß Sie einstweilen Ihr schönes Pferd nicht allein lenken dürfen.

Indem er zurücktrat, sprengte einer der Leute dicht an mich heran. Und das letzte, was ich sah, bevor mir das unausstehliche Tuch die Augen bedeckte, war aus dem Gezweig meines Baumes ein blasses Gesichtchen, das mit düster drohendem Ausdruck auf ihn und mich herniederschaute.

Mir war's einen Moment lang, als ob ich ihr noch etwas sagen, sie um etwas bitten müsse. Was, wußte ich selbst nicht. Vielleicht war's nicht für mich, nur für jenen. Doch mein Begleiter trieb das Pferd an. Adelante! rief Luiz Brunetto. Wir ritten davon.

Und bald, im Reiten, verlor sich das beklemmende Unruhgefühl, mit dem ihr Anblick mich bedrückt. Was kann denn das Mädchen, was kann ihre Laune meinem Leben für Unheil bereiten? rief ich mir selbst zu. Adelante! vorwärts und gerade durch. Aus dem gefährlichen Abenteuer mit den Räubern wird ein gutes Geschäft für mein Haus. Alles wendet sich dem zum Vorteil, der Menschen und Dinge zu nehmen versteht. Man muß nur wollen – ich richtete mich im Sattel straffer auf, so gut ich es konnte, da meine Arme noch immer festgebunden waren – und man muß die Rechte lieben, nicht eine arme Sklavenseele, die uns selber mit hinabzieht, sondern die Höchste, Schönste, Beste, ein Weib, zu dem der Mann aufblicken darf.

Da war ich denn wieder richtig angelangt bei dem Ausgangs- und dem Endpunkt all meines Sinnens.

Acht Tage später also, nachdem ich inzwischen für mein Vorhaben alles auf das beste geordnet, befahl ich frühmorgens Diego, mit sechs Sklaven, sechs Ochsen, einem schweren Karren und Proviant für etliche Tage mich von der Hacienda aus zu begleiten. Sie staunten, da es nicht, wie gewöhnlich, dem Walde zuging, sondern gerade in der entgegengesetzten Richtung in die Ebene hinaus. Sie folgten mir, anfänglich voll Neugier, dann klagend über die sengende Glut der flachen Savannen, immer ungeduldiger werdend, zornig, zuletzt in offener Empörung. Der Ritt, zu dem ich allein etwa drei Stunden gebraucht, währte mit diesen meinen unbotmäßigen Truppen, die bald essen, bald rauchen wollten, von denen nun der und nun jener zurückblieb, den halben Tag. Endlich kam es zum völligen Stillstand. Es war nah an der Stelle, wo man mich in der vorigen Woche überfallen, mir die Augen verbunden hatte. Diego als der Sprecher trat vor. Sie wollten nicht weiter. Auf die Hacienda gehörten sie hin, von der Hacienda aus gingen sie mit, wohin ich befehle – hier aber nicht. Wünschte der Herr sie los zu werden, könne er sie ja alle verkaufen. Das stehe ihm frei. Nicht aber sie dem Verderben ausliefern und dem sicheren Untergang. Hier höre das bekannte Gebiet auf. Darüber hinaus sei wilde Bergregion, ein Schlupfwinkel für Räuber und böses Gesindel, Luiz Brunetto solle dort Hausen. Dorthin gingen sie einmal nicht.

Glaubst du etwa, Diego, in deinem dicken Niggerkopfe, daß ich dich und diese da an die Räuber ausliefern werde?

Weiß nicht, glaube gar nichts, will nur nicht weiter.

Glaubst du, daß ich hier der Herr bin, an des Herrn Statt befehle, oder du?

Weiß nicht, weiß nicht. Ich will nur nicht weiter.

Nun gut, Diego und ihr anderen, hört mich an: ihr bleibt hier, wo ihr steht. Ich reite eine Stunde noch weiter und komme zurück. Finde ich das, was ich suche, und ist der Weg frei, so müßt ihr mit. Wenn nicht, so kehren wir alle ruhig heim zur Hacienda. Und sollte ich in dieser Zeit nicht wieder bei euch sein, geht ohne mich. Komme ich aber vor zwei Stunden und finde, daß einer von euch fehlt, einer entwischt ist oder verlaufen, so büßt du, Diego, mit deinem Kopfe. Nun richte dich danach.

Damit sprengte ich davon. Ich war aber kaum halb so weit geritten, wie ich gedacht hatte, als ich quer vor dem Eingang des Waldes etwas liegen sah: den Baum. Ihn aus dem Dickicht herauszuschaffen, hatte man andere auch schlagen müssen. Es ging wie ein breiter Durchhau hinein, tief in das geheime Herz der Waldung; eine gerade, erst in der Ferne sich allmählich verjüngende Straße. Da ich näher kam, sah ich im Gebüsch etwas sich regen. Die Blätter und Ranken schlugen zusammen; wellenförmig setzte die Bewegung sich fort, erst nah, dann ferner, allmählich schwindend, leise ersterbend wie Windesflüstern. Durch die vorgehaltenen Hände rief ich ein paar Dankesworte laut hinein in das Dunkel. Es kam zurück wie ein fernes Echo. Dann alles still.

So wandte ich den Kopf des Pferdes und ritt dahin, wo ich die Leute gelassen hatte. Es fehlte keiner. Sie schrien, sie weinten wie die Kinder, als sie mich sahen. Diego küßte mir die Füße, die Knie, soweit er am Pferde hinaufreichen konnte. Doch als ich sagte, sie müßten nun vorwärts, bis dort an den Wald, dessen erste Vorläufer, ein paar Zedern, man hier schon sah, da widersetzten sie sich aufs neue. Es half kein Befehlen und kein Bitten. Nur mit Gewalt konnte ich hier meinen Willen erreichen. Und ich war einer gegen viele. Und ich durfte meinen Revolver nicht gebrauchen, meinem Chef sein lebendes Kapital nicht schmälern. Aber ich hatte von den Bandoleros gelernt, wie man es macht, einen Menschen den Weg zu führen, den man will. Als Diego mir mit seinen heftig in der Luft herumfuchtelnden Armen zu nahe kam, da packte ich ihn. Er war ein starkknochiger, schwerer Mann, fast so lang wie ich selbst. Ich warf ihm einen Strick um die Hände, schnürte sie ihm auf dem Rücken zusammen, riß ihn aufs Pferd und hielt ihn vor mir und jagte davon. Als wir bei dem Baumstamm angelangt waren, sprang ich herunter, lud ihn, der sich nicht mehr widersetzte, gleichfalls ab und band ihn mit Zügel und Lasso fest an den liegenden Stamm. Dann sprengte ich zurück.

Der Diego wartet. Wer jetzt nicht mitgeht, den bringe ich ihm nach, auf die gleiche Weise.

Sie folgten mir alle, gefügig wie Kinder.

Aber es war mit dem Hin und Her und dem Parlamentieren Nacht geworden. Ich mußte vor allem meine Herde von hungrigen Menschen, ermatteten Tieren speisen und zur Ruhe bringen. Mit dem gespannten Gewehr im Arm machte ich die Runde um unser Lager. Als die halbe Zeit um war, kam der Diego, den ich längst losgebunden hatte, herangekrochen: Mi amo, jetzt ich. Da ich nicht gleich bereit war, ihm meinen Posten zu überlassen, bat er, winselnd wie ein geschlagenes Hündlein, ich sollte ihm verzeihen, ihm wieder gut sein. Wir hatten es sonst bei unseren Streifzügen in den Wald stets so gemacht, daß jeder von uns die halbe Wacht hielt. Diesmal, gestehe ich's nur, erschien mir die Sache nicht so ganz ungefährlich. Die Räuber mußten ziemlich nah sein, wie mir jenes Huschen unter den Farren vorhin verraten. Wenn sie meine Abwesenheit benutzt hätten, sich mit meinem angebundenen Gefährten zu bereden! Und wenn dieser nun seinerseits meinen Schlaf benutzen würde, sich und die Seinen frei zu machen – so wäre das vielleicht das Verderben, welches der Baum mir bringen sollte.

Ich war todmüde, wie zerschlagen von dem Tag und dem Ritt, so gab ich Diegos Bitten nach. Jener unbehagliche Gedanke schoß mir durch den Kopf, als ich mich gerade in der Nähe meines Baumstammes in die Hängematte legen wollte. Es würde mir denn doch recht leid tun, hier einzuschlafen, um nicht wieder aufzuwachen, diesen schwer errungenen Mahagoniblock nicht zu verwerten, meinem Chef nicht von dem Geschehnis zu berichten, alle Freunde nicht wiederzusehen und auch sie ... Der alte Diego schritt höchst gravitätisch mit meiner Flinte in seinem Arm die Runde ab. Ich fühlte nach den beiden Revolvern in meinen Brusttaschen. Was nützten sie aber, wenn ich schlief! Und ich würde schlafen, das wußte ich selbst, obwohl ich mir vornahm, all meine Sinne wach zu erhalten. Es war eine rechte Tropennacht, so dunkel und so feierlich. Nur die unzähligen Leuchtkäfer funkelten, glitzerten, heller fast als droben die Sterne. Um mich schlummerten die Schwarzen. Aus dem Walde kam es manchmal wie ein wärmerer Atemzug, ein fernes Summen, Locken der Vögel. Es huschte mir etwas über die Hände, feucht und kalt, vielleicht eine Schlange. Mich fröstelte. Während ich noch glaubte zu wachen, gingen mir die Gedanken schon wirr in traumhaften Sprüngen. Ich sah den Diego mit der Flinte. Sein breites Maul verzog sich zum teuflisch rachsüchtigen Grinsen. Rack, rack, kam ein Ton. Er haute den Mahagoniblock in kleine Stücke und mir auch den Kopf ab. Nein, das nicht. Ich hatte geträumt. Der Kopf saß mir ja noch fest auf dem Halse. Der Ton klang viel leiser. Wie das Rascheln des Laubes, wie ein Flüstern. Jetzt erkannte ich's erst. Es war die Stimme der kleinen Mestize mit den drohenden Augen. Sie beschwor mir Unheil aufs Haupt, weil ich schuld trug, daß ihr Liebster ihren Bitten widerstanden, daß ihre Macht gebrochen war. Nun umschlang sie mich, warm und fest, und immer fester, mich zu ersticken. Schwer legte sich ihre Hand mir aufs Herz: Es schlägt schon nicht mehr ...

Aber es schlug. Ich fuhr in die Höhe. Diego? Da stand der Alte, grinsend, demütig. Wo ist das Mädchen, rief ich, wohin kam sie?

Was, Mädchen, was, Herr? War hier niemand als nur ich. Ich brachte die Decke, zuzudecken. Ich gehe, mir ist warm genug. Mi amo liegt so still, da wird's kalt. Und er wickelte mich sorgsam, wie eine Wärterin ihr Kindchen, in seinen Mantel. Nun ruhig liegen, ganz ruhig, Herr, Diego wacht.

Dann habe ich, ohne mehr zu träumen, bis an den Morgen fest geschlafen.

Wie der Baumstamm dann in der Frühe auf unser mitgebrachtes Fuhrwerk geladen wurde, wie Diego half, die Leute anspornen, wie wir die Ochsen, von denen zwei sich über Nacht von ihren Pflöcken losgerissen, wieder einfingen, vorspannten, antrieben und dann endlich die schwere Last in Bewegung brachten, das wäre zu lang, hier zu berichten. Unter dem goldenen Tropenhimmel wird alles zum Bilde. Ich sehe ihn noch vor mir, den Zug, mit dem Riesenblock auf dem Karren von Ochsen gezogen, die schwarzen Kutscher und die Treiber in ihren weißen, losen Hemden, mit langen Farrenwedeln in den Händen, den Tieren die Moskitos zu wehren; Diego mit seinem großen, mir unlängst gestohlenen Panamahute, an welchem ein Stück des zerrissenen Randes durch ein eigenes Grasgeflecht schlecht ersetzt war, und ich selbst, als Anführer zu Pferde, bald an der Spitze der Karawane, bald am Ende nach dem Rechten sehend. Aber unter dem Tropenhimmel wird auch alles zur Arbeit, währt doppelt so lang wie in gemäßigteren Breiten. Wir haben fünf volle Tage gebraucht, um den Block vom Rande des Waldes bis zum Hafen zu befördern. Dazwischen gab es Unterbrechungen genug. Einer der Leute fiel vom Karren und brach das Bein; ein anderer geriet mit Diego in wütenden Streit, daß sie beide zum Messer griffen. Und die letzte Nacht, welche wir auf einem Felde außerhalb Trinidad verbrachten, benutzten drei Sklaven, um zu entwischen, sich drinnen in den Kneipen der Stadt zu vergnügen. Der Baumstamm verhielt sich bei alledem passiv, wie es einem Stück Holz geziemt.

Als ich im Hafen Casilda angelangt war, ohne die eigentliche Stadt zu berühren, welche durch einen fast meilenbreiten Sandstreifen vom Meer geschieden wird, kam Don Ramon nach mir zu sehen. Ich hatte ihn durch Diego schon von meiner Anwesenheit in Kenntnis gesetzt. Seine erste Frage, da er den Baum sah, war selbstverständlich: Wo haben Sie den Riesen gefunden?

Ich gab eine ausweichende Antwort.

Er sah mich erstaunt an. Hören Sie, mein lieber Rodrigo, Sie sind doch, obwohl ein so guter Geschäftsmann, immer noch ein echter Deutscher. Bringen Sie da Ihre Abenteuerlust selbst in den Holzhandel hinein, wo sie so wenig hingehört! Ich will nicht untersuchen, durch welche romantische Fügungen Sie den Baum erwarben, den, wie ich von Diego höre, unsere Leute nicht einmal zu schlagen brauchten. Sie werden noch Ihre Mühe haben, den ungewöhnlich langen Block gut zu verschiffen. Und dann, wenn er glücklich nach London gelangt ist, wer bürgt uns dafür, ob das Holz in der Politur sich auch schön zeigt?

Darauf kann ich schwören!

Gut, nehmen wir an, daß Sie recht behalten. Immerhin bleibt es, noch dazu jetzt, wo die Schiffahrt durch den Krieg so behindert ist, ein Risiko. Ich aber liebe mir das ruhige, solide Geschäft. Sie freilich sind jung. Doch für künftig rate ich Ihnen, in gemäßigter Entfernung, gemäßigt, gewöhnliches Holz zu schlagen, das Sie ohne weitere Fährlichkeit den gewöhnlichen Weg herflößen können. Und nun, mein Lieber, suchen Sie den Spediteur auf und erkundigen Sie sich, ob ein Schiff hier ist oder in der nächsten Zeit kommt, das Ihren Liebling mitnehmen kann. Ein gutes Schiff, wenn ich bitten darf, ein Engländer, der nicht gekapert wird. Sie bleiben wohl hier, bis Sie die Sache geregelt haben. Ich fahre nach Hause und schicke Ihnen den Wagen heraus, sobald Sie ihn brauchen. Noch eins. Wie wollen Sie denn den Block da nennen? Sie wissen, auf den Londoner Auktionen verlangt man einen wohlklingenden Namen. Unser letztes Staatsexemplar taufte ich: Perla de las Antillas. Was denken Sie nun: Trinidad? wie, oder wissen Sie etwas Besseres?

Die Frage kam mir nicht ganz unerwartet. Seit ich den Stamm gesehen hatte, wußte ich auch, wie ich ihn nennen wollte. Dennoch fiel's mir jetzt schwer, es zu sagen. Falls ich mir einen Vorschlag erlauben dürfte ... begann ich stockend. Der Name tut viel. Wenn er recht schön ist ... So zum Beispiel ... Angelita ...

Angelita! Mein Chef lachte hell auf. So, also darauf läuft's hinaus? Ich sagte es ja. Sie treiben Holzhandel mit Romantik. Also der Block heißt Angelita, einverstanden. Und ich grüße seine Patin, wenn ich nach Haus, nach Trinidad komme, und bestelle ihr, Sie kämen recht bald.

Ja, bald! Wenn man in einem kleinen, sandigen, heißen Hafenorte sitzt, mit dem Auftrag, einen Holzblock von so ungewöhnlicher Länge sicher zu verladen, und es ist kein Schiff da, dessen Raum solche Größe aufweist, und keins, das nur irgendwie sicher wäre! Da geht es so schnell nicht, wie man wohl möchte. Ich mußte einen Engländer haben, der direkt auf London fuhr, außer Schußbereich der Insurgenten wie der Nordstaaten. Und das einzige größere Schiff, welches zur Zeit nach Europa bestimmt war, war die Enterprise von Neuyork, die zweimal schon mit den Rebellen ins Gedränge geraten, ihnen freilich wieder entwischt war, von der man aber viele recht gefährliche Streiche sich erzählte. Der Kapitän Roberts, ein alter Yankee, war berühmt ob seiner Waghalsigkeit. Roberto el diablo nannten sie ihn. Ich sehe ihn noch vor mir, mit dem wetterharten Gesicht, wie unter den buschigen weißen Brauen seine dunklen Augen sprühten. Er lachte mich aus, daß, obwohl immer kein passendes Schiff kam, ich ihm meinen langen Holzblock nicht mitgeben wollte. Er selber lag hier friedlich vor Anker, eine Partie Tabak und Zucker einzunehmen, deren Ankunft aus dem Inneren der Insel sich verzögerte. Und er schimpfte auf das Warten: 's ist eine Erfindung des hochverehrlichen Höllenfürsten, der braven Kerlen wie Ihr, Don Juan, und wie ich, sein lieber Sohn Robert, hier schon auf Erden einen kleinen Vorgeschmack bereiten will von dem, was drunten bei ihm ihrer harrt. Dazu ist dies weltvergessene Hafennest noch durch den Sand von der Stadt geschieden, daß man, um hinüberzukommen, sich Füße und Stiefel verbrennen muß. Freilich, wer weiß auch, ob es der Mühe lohnen würde. Viel Schöneres als hier wird dort schwerlich zu finden sein.

Oho, sagte ich.

Wie, was, Don Juan? Was meinen Sie? Heraus damit. Was ist drüben zu sehen?

Das Schönste, was es gibt in der Welt.

Und Sie sitzen hier geduldig mit mir und lassen sich ruhig von meinen Abenteuern erzählen, wenn zwei Stunden weiter ... O, diese Jugend!

Kapitän, sagte ich – ich fühlte, wie rot ich geworden war – was denken Sie denn nur, daß ich ... Ich kenne sie wenig. Sie ist eine Dame, eine Verwandte meines Chefs, Don Ramon Sepulveda, und lebt bei ihm mit ihrer Mutter.

So, ein Fräulein also. Wie alt?

Ich weiß es nicht.

Groß und schlank? Von dem feurig dunklen oder von dem zart duftigen Schlag?

Ich – ich weiß nicht.

Wie, Mensch, Sie wissen nicht, ob sie groß ist oder klein, ob blond oder schwarz?

Nein, leider nein. Wenn ich in ihrer Nähe bin, besitze ich nie die Zeit, noch die Ruhe, sie zu studieren.

Bah, der Alte lachte verächtlich, so ein deutscher Hans, so ein Träumer! Dann wird sie wohl häßlich sein.

Sehen Sie sie!

Da sprüht ja das Feuer aus Ihren Augen. Wahrhaftig, Don Juan, die muß ich sehen. Was gilt die Wette, es ist so weit gar nicht her mit der Schönheit. Oder ich will, ich Roberto el Diablo, das nächste Mal so ruhig und still nach London segeln, daß – nun, daß Sie selbst Ihren geliebten Mahagoni La Angelita mir gefahrlos vertrauen könnten.

Darauf möchte ich es doch nicht wagen.

Wenn ich es verspreche! Haben Sie schon einmal gehört, daß Kapitän Roberts sein Wort nicht gehalten? Glauben Sie, ich verstünde nicht ebenso geschickt die Kreuzerschiffe von fern zu umgehen, wie ihnen in den Rachen zu laufen und doch unversehrt zu entwischen? Fragen Sie Johnnie, den Steuermann. Übrigens, Sie zögern wohl nur, weil Sie doch sich bewußt sind, übertrieben zu haben, und sich nicht getrauen, das Mädchen meinen Kennerblicken zu unterwerfen.

Wahrlich, der Alte muß von den Verführungskünsten des Teufels etwas besessen haben. Wie er auf mich einredete, meinen Ehrgeiz zu stacheln verstand, meine Wahrheitsliebe in Zweifel zog, es hätte wohl auch ein Älterer, Besonnenerer sich ihm ergeben. Dazu kam, daß, wenn ich noch länger hier sitzenblieb, ich dann direkt auf die Hacienda zurückkehren mußte, nicht Zeit haben würde, mich in Trinidad umzusehen. Und eines Tages, nachdem die einzige mögliche Chance, daß ein anderes englisches und an Größe passendes Fahrzeug in Casilda einlaufen würde, vorüber war, da entschloß ich mich, den Stamm mit der Enterprise zu verladen.

Auf Ihr Wort, Kapitän, daß Sie die Gefahr meiden wollen!

Wenn Sie Ihre Bedingung erfüllen, mir das schönste Mädchen zu zeigen, gab Roberts zur Antwort, dann erfülle ich auch die meine.

So fuhren wir nächsten Tages mitsammen zur Stadt hinüber. Ich weiß noch so genau, wie ich nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Kontor bei Don Ramon meinen alten Kapitän abholte, ihn den Damen vorzustellen. Von der Höhe seiner Erfahrung lächelte er hinab auf meine jugendlich zitternde Erregung. Die Schwarze schloß auf. In dem mattenbedeckten Gange wehte uns lindernde Kühlung entgegen. Im Patio plätscherte der Brunnen in der Mitte. Die Hängematte schaukelte langsam hin und her, ein blaues Wölkchen darüber verriet, daß Donna Ana, ihre Mutter, dort wie gewöhnlich der Ruhe pflege. Sonst regte sich nichts hier. – Und dann kam sie selbst.

Bei Gott und beim Teufel, meinem Ahnherrn, sagte Roberts und trat wie erschrocken einen Schritt vor ihr zurück, Sie haben recht, Don Juan Rodrigo. Und Ihr Block wird verschifft.

Sie stand und sah von einem zum anderen: Don Juan, was für einen wunderlichen Besuch bringen Sie mir denn da?

Einen, sagte der alte Seemann, den Sie stolz sein dürfen zu empfangen. Ich komme, weil dieser Junge hier mir von Ihrer Schönheit gesagt hat. Und ich gehe, weil ich gesehen, daß er wahr sprach, daß es vom Nordpol bis zum Südpol, soweit ich Städte und Menschen kenne, kein zweites so liebliches Gesicht gibt. Sie können sich rühmen, Señorita, erreicht zu haben, was bisher noch kein Mann und kein Weib auch vermochte: Kapitän Robert der Teufel gelobt, auf der Fahrt, die er morgen antritt, zum erstenmal in seinem Leben – wohl auch zum letzten! – eine jede Gefahr zu meiden, so ernstlich, wie er sonst sie suchte. Und dafür begehrt er keinen Dank weiter als nur – er bückte sich, rasch wie ein Jüngling, und faßte den Saum ihres lichten Kleides und küßte ihn – als nur diesen einen.

Er ist ein echter Caballero, sagte Angelita, da er gegangen, er versteht es, so weiß sein Haar ist, einer Dame etwas Angenehmes zu sagen. Viel besser als ... als mancher viel Jüngere.

Ich hätte mein Leben darum gegeben, ihr es zeigen zu können wie der Alte, was ich für sie fühlte. Aber als sie mir zum Abschied ihre Hand hinhielt, da habe ich es doch kaum gewagt, sie ihr zu drücken, geschweige denn sie an die Lippen zu ziehen. Ich war eben sehr jung. Und sie war von jener holdseligen Würde, die man anbetet, doch nicht entweiht.

Wenn der Block glücklich in London ist, sagte ich mir, und wenn er dort, so trefflich befunden, wie ich ihn schätze, für einen hohen Preis versteigert, meinem Prinzipal viel Geld einbringt; wenn ich dann bei Don Ramon an Ansehen steige, er mein Salär, meine Stellung erhöht; wenn ich am Ende nicht mehr Kommis bin, sondern Teilhaber des guten Geschäftes und gleichgestellt, dann ... Ja, was denn dann? Es klar zu denken, reichte mein Verstand nicht hin.

Nachdem ich vom alten Robert Abschied genommen, wobei er mir nochmals sein festes Versprechen, eine jede Gefahr zu fliehen, mit seinem Wort und Handschlag wiederholte, habe ich doch nur kurze Zeit in Trinidad bleiben können. Eines schönen Morgens ließ Don Ramon mich zu sich berufen. Diesmal hieß es nicht, wie sonst gewöhnlich: Freund Rodrigo, Sie reiten wohl morgen hinaus auf die Hacienda. Es galt einen schwierigeren Auftrag. Zur Zeit wütete, wie ich schon erwähnt, der große amerikanische Krieg. Die Südstaaten befanden sich gerade im Vorteil, im Norden herrschte schlechteste Stimmung. Unser Korrespondent zu Neuyork stand vor dem Bankrott. Und ich sollte hingehen, Gelder eintreiben, sondieren, horchen. Ein Amt, das so wenig für mich taugte wie nur eins auf der Welt. Denn ich bin zwar Kaufmann mit ganzer Seele, aber schlau meinen Vorteil verfolgen, einem anderen, ärmeren seinen Pfennig mit List entlocken, das verstehe ich nicht. Und das Spionieren ist nicht meine Sache. Ich sagte es Don Ramon, er täte viel besser, einen anderen zu schicken. Doch er wollte just mich.

Und auf dem Schiffe, in stiller Kabine meinen Auftrag überdenkend, kam mir der Verdacht: Sollte es mit Absicht geschehen, daß er mich immer gerade dann von Trinidad fortschickt, wenn ich am liebsten bleiben möchte? Wie's um mich stand, das konnte er leicht sehen. Aber sollte das ihn stören? Alle liebten sie, die sie kannten, alle. Sie gab keinem viel Hoffnung. Oder sollte er, Don Ramon, ihr Oheim, vermuten, daß sie für mich etwas freundlicher lächele als für die anderen? daß ihr Lob meines reinen Spanisch wohlklingender laute, daß sie – als ob das möglich wäre! Der Gedanke machte mich schwindeln. Die traumhafte Vorstellung tanzte mir lockend vor den Sinnen. Und weshalb sollte er das befürchten? Es wäre zu schön, zu unsäglich, unfaßbar. Unfaßbar für mich, der ich all meine Mängel begriff, meine Nichtigkeit, meine Jugend, vor ihrer hoheitsvollen Erscheinung. Don Ramon freilich kannte auch die Meinen zu Hause, ihre Stellung und ...

Die Meinen zu Hause! Sie waren der Grund. Um ihretwillen schickte er mich fort. Sie hatten ihm den Auftrag erteilt, mich zu überwachen. Meiner Mutter – ich höre sie noch, wie sie einst zu uns Brüdern sagte, da wir halbe Knaben waren: Bringt mir nur nie solch ein ausländisches Frauenzimmer als Schwiegertochter hier ins Haus! – meiner Mutter galt, was fremd war, für minderwertig. Wenn sie Angelita sähe, müßte sie zwar diese Meinung wohl ändern. Ihrer Lieblichkeit, ihrer Schönheit konnte ja kein Mensch widerstehen. Doch ob sie selbst sich dort wohlfühlen würde? – Ich sah mein Mütterlein bei der Lampe, im einfachen Hauskleid, fleißig nähend. Der Vater las ihr, wie jeden Abend, aus einem der deutschen Klassiker vor. Und sie daneben, Angelita – sie würde nicht viel davon verstehen. Sie würde sich fremd fühlen, ausgeschlossen. Andere Sprache, andere Religion, andere Bildung, alles schied sie von jenen. Das südlich vornehmere Wesen, die hellen Kleider, ihre strahlende Schönheit selbst würde man ihr zum Vorwurf machen. Man würde streben, sie zu ändern, gewaltsam sie in unsere Sitten einzwängen wollen. Sie aber würde sich heftig wehren, ihre Eigenart aufzugeben. Ich hatte es mehr als einmal gesehen, in befreundeten Häusern, wie solch ein Glück zur Qual ausschlug. Mein Bruder hatte dazumal meiner Mutter die Hand darauf gegeben: Sei ruhig, wir bringen dir nie eine Fremde als Tochter, die du nicht gern aufnehmen würdest, die hier nicht ins Haus paßt, noch in unser Leben. So sprach er zur Antwort. Ich aber, ihr Liebling ...

Nie hatte ich bisher während einer Abwesenheit mich so nach Angelita gesehnt wie auf dieser Reise in den Norden, niemals mich so bitter gequält, weil ich weder ihre Züge, noch ihre Farben, noch ihre Stimme mir zurückzurufen wußte. Dazu war's mitten im kalten Winter, dem ich entwöhnt; meine Geschäfte gingen schlecht, die Menschen begegneten mir, als mutmaßlichem Gesinnungsgenossen der Sklavenhalter, mit verletzendem Mißtrauen. Und von Trinidad hörte ich wenig, von meinem Mahagoniblock, der, wie ich annahm, längst nach London gelangt sein mußte, nichts. Ein Unbehagen hielt mich gepackt, ein zehrendes Heimweh, desgleichen ich nie im Leben verspürt. Nur einen Fuß auf mein geliebtes Tropeneiland wieder zu setzen, nur die dufterfüllte Luft dort einzuatmen, und ich meinte, alle Sorgen, alle Zweifel müßten für immer von mir fallen.

Die Erledigung meines Auftrages suchte ich indessen, so sehr ich nur konnte, zu beeilen. Um nur ein Wort mit einem unserer Agenten zu reden, bin ich einmal fast drei Stunden in den Kais von Brooklyn umhergelaufen. Es stürmte und schneite, und der Gesuchte war nirgend findbar. Aber ich dachte, treffe ich ihn heute, wer weiß, dann kann ich vielleicht morgen reisen. So begab ich mich zu einer Werft, wo, wie man mir sagte, eine große Partie Tabak von einem gekaperten Schiffe verkauft ward. Die Menschen gingen gerade fort, die Versteigerung schien zu Ende. Unter den letzten sah ich den Gesuchten. Ich trat auf ihn zu: Ah, endlich, ich wollte ...

In demselben Augenblicke vernahm ich den Auktionator, wie er in seinem heiseren Singsang ausrief: Ein Block Mahagoni, ein Block Mahagoni, trägt den Namen Angelita, von der Enterprise, Kapitän Roberts!

Wie ich mich durchdrängte, meinen Mann mitzog, den verdutzten Verkäufer anrief, den einzigen Käufer mit Stentorstimme überbot, ich wußte es selbst kaum. Der Block, mein Block, mit ihrem Namen, hier in Neuyork wo man nichts von Mahagoni verstand, für ein paar lumpige Dollars verschleudert, an einen kleinen deutschen Tischler! Ich meinte, solche Niederlage nicht zu überleben. Dazu erhöhte meine Wut nur, wie natürlich, die Kauflust des Braven. Unsere beiden bietenden Stimmen kreuzten sich in immer lauteren Rufen. Bis endlich der gute Sachse erklärte: Nein, ich muß sehr bitten, das wird mir zu viel. Wenn's noch höher geht, ist das Holz nichts für uns hier, ist für einen englischen Lord oder Prinzen.

Ich meinte das gleichfalls.

So habe ich denn, trotz Angst und Gefahr, dem Haus Sepulveda den Block Angelita wiedererobert. Erst als ich ihn unter dem Dach eines Schuppens rekognosziert, betastet, ob ihm nichts geschehen, und mit dem Agenten vereinbart hatte, daß er ihn direkt per Dampfer nach London spedieren solle, konnte ich so weit mich sammeln, nach dem Grunde zu fragen, der die Ladung der Enterprise hierher verschlagen. Wo war Kapitän Roberts und was war geschehen?

Ich erfuhr's nur zu bald. El diablo hatte Wort gehalten, Gefahren zu meiden. Aber es war ihm schlecht bekommen. Seine erste, vorsichtig unternommene Reise blieb, wie er vorausgesagt, seine letzte. Der Block hatte Fürchterliches gesehen. Nachdem das Schiff schon fast außer Bereich der Rebellen war, wurde es, auf der Höhe der Bahamas, von einem südstaatlichen Kreuzer genommen, die Mannschaft überwältigt, in Eisen gelegt. Nur der tapfere alte Kapitän ließ sich weder knebeln noch fesseln. Er setzte sich mit allen Kräften wütend zur Wehr. Und er büßte seinen Mut mit dem Leben. Darob erzürnte sich die Mannschaft, sprengte die Ketten, rächte ihres Führers Tod, ertränkte, mordete ihrerseits in finsterer Nacht die feindliche Besatzung. Und Steuermann Johnnie, des armen Roberts langjähriger, vielgetreuer Genosse, übernahm das Kommando, brachte das eroberte Schiff mitsamt seiner Ladung als gute Prise nach Neuyork. So war mein Block zur Kriegsbeute geworden.

Ich reiste nicht ab, bis ich ihn in einem englischen Steamer sah und den Steamer unter Dampf und das Wetter klar und die Fahrtrichtung sicher. Meinem guten Freunde Roberto el Diablo habe ich, so gern ich ihn gehabt, kaum eine Träne nachgeweint. Denn es dünkte mich gar so arg nicht, für Angelita das Leben zu lassen. Ihr aber, als ich endlich, endlich heimkehrend nach Trinidad, ihr davon berichten mußte, ging es näher. Ich sah sie um den Alten erbleichen, die Hände falten, zittern, weinen, daß es mir ins Herz schnitt.

O, sagte sie leise, ich will für ihn beten. Ist mir's doch, als hätte ich selbst, als hätte mein Name ihn getötet. Wie durften Sie den Block nach mir nennen, der einem so edlen alten Manne seinen Untergang bringen sollte!

Zwei Tage später – ich hatte sie das eine Mal nur und flüchtig gesehen – erklärte mir Diego aus der Hacienda, wohin ich sofort wieder reiten gemußt, er würde jetzt sich nicht mehr sträuben, in fremde Gegenden mit mir zu ziehen: Du darfst uns führen, wohin du willst, Herr, in den Wald, in die Berge. Und wenn wir auch Bandoleros treffen, sie schrecken mich nicht. Denn der Schlimmste ist gefallen, Luiz Brunetto.

Ob ihn die Guardia civil gefunden, gefangen hätte? fragte ich erschrocken.

Den! nimmermehr. Der ließ sich nicht fangen. Seine eigene Geliebte hat ihn erstochen. Wie man sagt, um sich zu rächen, weil er ihr eine Bitte verweigert.

Mich packte ein Grauen, als ich das hörte. Hat der Räuber, ebenso wie Kapitän Roberts, um meinen Mahagonistamm das Leben lassen müssen? Wen würde nun noch der Fluch des Baumes treffen? Ich bin sonst nicht gläubig, geschweige denn abergläubisch gewesen. Mein Arm und mein Wille, das waren die einzigen zwei Gewalten, auf die ich vertraute. Aber es mag wohl in jener Südluft irgendein schwächender Einfluß liegen. Oder waren es die Reden des alten Negers, Angelitas vorwurfsvolle Mienen, die mein Denken in die falsche Richtung getrieben? Immer wieder sah ich die kleine Mestize vor mir, mit dem bleichgelben Blumengesichtchen und den drohenden Augen, hörte ihre beschwörende Stimme: Rühr' nicht an den Baum, rühr' nicht an den Baum, er bringt dir Weh! Und das Herz war mir schwer, wie ein kommendes Leid lag es mir drückend auf der Brust. Hätte man in jenen Wochen mir verkündet, das Schiff mit dem Mahagonistamm sei untergegangen, das Holz verloren, ich glaube fast, es wäre mir eine Beruhigung gewesen.

Nachdem ich etwa einen Monat auf der Hacienda mich aufgehalten, langte ich mit meinen Leuten (wir hatten eine große Ladung Bauholz in den Hafen zu flößen) gerade an dem Tage in Casilda an, an welchem die englische Post eintraf. Don Ramons Wagen hielt schon vor unserem Lagerschuppen. Er selbst und der zweite Kommis, ein Spanier, die von Trinidad herausgefahren, waren in dem kleinen Bretterverschlage, der uns hier zum Kontor dienen mußte, eben beschäftigt, die Briefe zu ordnen.

Für den Chef, murmelte der junge Mann beim Sortieren, Privatsachen, die wohl nicht Eile haben. Auch für Sie, Don Juan, hier, noch einer, und hier ... Da ist endlich ein Schreiben von dem Holzagenten in London, das geht Sie auch an.

Don Ramon sah schnell auf von seiner Lektüre: Also, was ist es?

Ich hatte mit vor Ungeduld zitternden Händen das Blatt erbrochen.

Nun, Sie sind ja ganz blaß geworden. Gibt's schon wieder ein Unglück? Der verdammte Block kommt wohl niemals zur Ruhe. Heraus, Rodrigo, was ist geschehen!

Der Mahagoniblock La Angelita ist in London versteigert worden für ... für fünfzehnhundert Pfund Sterling.

Ich glaube, Don Ramon, mein Chef, wäre mir gern um den Hals gefallen. Gegen einen ersten Einkaufspreis von etwa ein Pfund an Mehl, Reis und Speck solch ein nettes rundes Sümmchen, nach heutigem Gelde etwa 30 000 Mark verdienen, ist kein schlechtes Geschäft. Außerdem erwuchs unserem Hause noch Ruhm aus der Sache. Denn die Wood-Gazette, ein geachtetes Fachblatt, das unserer schönsten Holzsendungen bisher ein paarmal nur ganz flüchtig Erwähnung getan, brachte über den Block Angelita, dessen Maserung und Güte eine eingehende Beschreibung von neun, sage von neun ganzen Seiten Text.

Viel früher denn sonst jemals am Posttag fuhren wir zurück zur Stadt. Nur der Kommis blieb noch im Hafen, bis gegen Abend, wo das Schiff wieder abgehen sollte. Meine eigenen Briefe zu lesen, war ich viel zu erregt. Die Fahrt nach Trinidad durch den Sand benutzte ich, um Don Ramon endlich zu beichten, wie und von wem ich den Mahagonibaum erworben. Und mein väterlicher Freund klopfte mir auf die Schulter: Ich dachte mir so etwas. Daß es nicht ganz alltäglich hergegangen damit, das konnte ich wohl sehen. Und daß Sie, Don Juan Rodrigo, weder das ganz Alltägliche noch die breite, bequeme Heerstraße lieben, wußte ich auch. Nun, es stimmt, was dort im Walde des Räubers Liebchen vorher gesagt hat. Dem, der ihn fällte, bringt der Mahagonibaum Unheil; aber Glück dem, der an ihn glaubt. Und so fest, so treu wie Sie, Don Juan, an den Wert dieses Holzes glaubten, vertraute ihm wohl kaum vorzeiten selbst einer der eingeborenen Indios, von denen diese Legende herstammt. Lieber Freund, was mich betrifft, ich hätte trotz Ihrer Jugend schon lange, wenn ich nur gedurft, Ihr Glück lieber gefördert, als gestört. Jetzt haben Sie mir einen so großen Dienst erwiesen, daß mich bedünkt, ich müßte erst Ihnen mich dankbar zeigen, ehe ich dem folge, was andere wünschen. Heute abend ist Tertullia, Sie stellen sich doch sicher ein? Man wird Sie, denke ich, nicht schlecht empfangen bei mir zu Hause.

Und so kam der Abend.

Die Schwarze öffnete wie immer. Es dufteten die Oleander und die weißen Orangenblüten. Zwischen dem Blattwerk schimmerten die Lampen rötlich. Der kleine Springbrunnen plätscherte leise, mit silbernem Ton, wie die Tropfen niederfielen. Und da ich eintrat, viel früher als alle anderen, lehnte sie an dem runden Steinbecken und fütterte die Goldfischchen im Wasser mit weißen Brotkrumen. Sie nickte, da sie mich kommen sah, ohne mir die Hand zu reichen, welche langsam die letzten Brosamen verstreute. Ich hatte mir so fest vorgenommen, sie heute anzuschauen, voll und lang, um endlich ihres Mundes Schnitt, ihrer Augen Farbe zu wissen. Sie aber ließ mich ihr Antlitz nicht schauen. Nur daß sie lächelte, bemerkte ich von der Seite, während die Fische nach ihren feinen Fingern schnappten. Wir schwiegen eine ganze Weile, bis sie urplötzlich sich zu mir kehrte: Nun, was haben Sie mir sonst noch zu sagen, Señor Don Juan?

Ihre Augen blitzten mich an, daß mir armem, jungem Fische vor dem zauberhaften Schimmer der Atem verging und aller Mut. Ich schaute zu ihr auf, verwirrt, beseligt, wortlos. Doch Form und Farbe ihrer Augen habe ich auch dieses Mal nicht ergründet.

Sie hatte sich gesetzt und winkte, mir einen Stuhl gegenüber zu nehmen. Erzählen Sie, begann sie wieder, ich erfuhr schon etwas von Don Ramon, aber ich muß es noch einmal hören, von Ihnen selbst, was für Abenteuer und Fährlichkeiten Sie überstanden, um den Baumstamm zu erlangen. Dabei stützte sie ihre Wange in die Hand und sah erwartungsvoll zu mir auf. Und dann? fragte sie, als ich schließen wollte, was geschah dann, was taten Sie weiter? So mußte ich alles genaustens berichten. Und da ich fertig war, nickte sie wieder: Sie sind ein tapferer Held, Don Juan. Tun Sie nicht, als wäre das alles so leicht gewesen. Andere an Ihrer Stelle hätten wohl vor Luiz Brunetto die Flucht ergriffen. Ich ganz gewiß. Denn ich zittere noch vor dem Räuber, wenn Sie seinen Namen nur nennen. Aber die gelbe, blasse Mestize, die hasse ich. Die kleine Schlange, sie sann Ihnen Böses. Sie sollen nicht mit ihr Mitleid haben, Don Juan, ich verbiete es Ihnen. Und ich mag nichts mehr von ihr hören. Sprechen wir lieber von dem Baum, meinem Baum! Don Ramon sagt, er könne Ihre Zukunft begründen. Sie hielten vorhin ein Blatt in den Händen. Ist darin von dem Stamm die Rede? und von Ihnen auch?

Es ist nur die Beschreibung des Holzes und der Auktion, begann ich, meine Zukunft ...

Erst lesen Sie mir, was da in der Zeitung steht. Ich will es hören, jedes Wort. Dann dürfen Sie auch von anderem reden, gab sie zur Antwort.

Ich mußte gehorchen.

Ein Auktionsbericht war's, eine Holzbeschreibung, weiter nichts. Im Lesen übertrug ich gewissenhaft Satz für Satz ins Spanische. Nur daß meine Gedanken nicht so ganz bei der Sache waren. Nur daß die gesprochenen spanischen Worte weicher klangen, volltönender, wärmer als die englischen gedruckten. Ob sie an meiner Stimme es hörte, wie mir zumute war, was ich dachte und was ich nicht auszusprechen wagte? Die Lampe auf dem kleinen Tischchen trennte uns beide. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen. Und so gelangte ich zum Schluß des Artikels, las, wie der Auktionator ausrief: Gewiß, gewiß, die schwarzen Augen der jungen kubanischen Señorita, deren Namen dieser Block trägt, sie müssen noch schöner sein, noch sehr viel schöner als die Augen hier in dem Holze ... Da stand sie auf einmal neben mir. Ich unterbrach mich, ich wollte ihr das Zeitungsblatt zeigen, die gedruckten Worte. Sie aber senkte ihren Blick in den meinen, tief und lang, ohne zu reden. Und ehe ich wußte, wie mir geschah, fühlte ich ihre Lippen, ihre kühlen, süßen Lippen auf meiner Stirn. Das Glück war da, das mir der Baumstamm bringen sollte.

Und dann sind die Gäste gekommen zur Tertullia. Und dann bin ich heimgegangen, schwankend, wie trunken, durch die laue, duftige Nachtluft. Und dann habe ich mich, ohne das Licht dabei anzuzünden, ausgekleidet, aufs Bett gestreckt. Das Fenster stand offen, die Kühlung strömte wohlig herein, die Dunkelheit umgab mich wie schützend, bewahrte mir das Angedenken ihres Lächelns, ihrer Nähe. Ich glaubte wieder sie zu sehen, wie sie sich leise über mich neigte. Ich glaubte noch den Kuß zu spüren auf meiner Stirn, der mich geweiht, geheiligt hatte für alle Zeit. Angelita! sagte ich zu hundert Malen hinaus in die Nacht. Angelita! Nichts weiter. Der eine Name barg mir alles. Angelita! Wenn ich heute, jener Stunden gedenkend, den Namen ausspreche, fühle ich deutlich wieder, wie damals, ihren Kuß meine Stirn berühren, koste ich ihn wieder, den gleichen Rausch, durchströmt es mich neu und überwältigend, allbesiegend, das unendliche Glücksgefühl. Mit ihrem Namen auf den Lippen bin ich entschlummert, fuhr ich erwachend erschreckt in die Höhe: Was ist geschehen?

Vor mir stand Don Ramon, mein Chef, blaß in der fahlen Morgenbeleuchtung.

Mein lieber Rodrigo, ich hielt es für Pflicht, so schwer es mir wird. Es ist soeben eine Depesche angekommen, aus Casilda.

Eine Depesche, aus dem Hafen? So handelt sich's nicht um Angelita? Nun, dann schadet's nicht viel. – Und schlaftrunken, wie ich war, wollte ich mich wieder legen.

Doch er hielt mich beim Arm. Was fällt Ihnen ein. So hören Sie mich doch an, Rodrigo. Der Kommis telegraphiert mir soeben, daß der englische Dampfer, weil ihm eine Kette gerissen, zur Nacht noch nicht fort sei, zu Mittag mit der Flut erst gehen werde. Also können Sie ihn jetzt noch erreichen, falls es Sie treibt, gleich heute direkt, anstatt mit dem Postschiff von der Havana, in drei Tagen erst heimzureisen. Ich darf Sie nicht hindern.

Heimreisen? Don Ramon, ich verstehe Sie nicht. Weder heut noch in dreien Tagen, noch überhaupt. Weshalb sollte ich fort von hier gehen! Und gerade jetzt ...

Ja, haben Sie denn den Brief Ihres Vaters nicht gelesen?

Welchen Brief?

Freilich, freilich. War ich doch selbst so erregt von der Mahagoniaffäre, daß ich zur Nacht erst, da ich mich ins Bett legen wollte, Zeit fand, meine Privatkorrespondenz durchzusehen. So habe ich noch nicht über die Trennung, die uns leider bevorsteht, mit Ihnen mich besprechen können. Und Ihre Briefe ... aber bei allen Heiligen, da liegen sie ja noch uneröffnet, wie Sie dieselben erhalten haben, auf dem Tischchen hier am Bett. So wissen Sie's nicht, daß wir scheiden müssen? Mir, wahrhaftig, mir wird es so schwer, als sollte ich einen Sohn verlieren. Doch um so minder darf ich es Ihrer Mutter verargen, daß sie erkrankt nach Ihnen begehrt. Ich hoffe, Sie kehren uns in kurzem und unverändert wieder zurück. Jetzt aber, fürchte ich, da ich und Sie es beim Abschied versprochen haben, muß es sein. Wie sehr es eilt, ob Sie heute zu gehen haben, ob mit der Havanapost erst, das beurteilen Sie selbst. Doch müssen Sie es jetzt gleich entscheiden, sonst wird es zu spät. Hier, lesen Sie und dann sagen Sie mir, was Sie wollen.

Indessen er wartend zum Fenster getreten, erbrach ich, im Bette sitzend, den Brief meiner Eltern an mich. Ich versuchte zu lesen. Doch tanzten mir die Worte und Lettern vor den Augen. Deutlich, durchdringend klar hörte ich nur, was Don Ramon soeben gesprochen: Es muß sein ... Entscheide jetzt ... Sonst wird es zu spät ...

Und ich legte den Brief aus den Händen, ohne ihn zu Ende zu lesen. Wenn es doch sein muß, sagte ich langsam, dann lieber gleich. Lieber heute, in dieser Minute die Qual überstehen, als drei Tage lang sie erwarten.

So stand ich auf. Mein Chef half mir packen. Viele Habseligkeiten besaß ich nicht, um die es mir leid war, sie liegen zu lassen. Wir wurden bald fertig. Ich war wie im Traum. Schon hielt der Wagen vor dem Hause. Diego war bereit, mir den Koffer hinunterzutragen. Don Ramon klopfte mir auf die Schulter: Nun, nun, nicht so finster dreinsehen! Der Bericht klingt gar so schlimm nicht, Sie treffen die Mutter wohl in der Genesung und ordnen alles und kehren dann wieder. – Ich hörte ihn nur wie durch einen Nebel. Wußte ich doch kaum, von wem er sprach.

Durch die morgenstillen Straßen fuhren wir fort, an Angelitas Fenster vorüber. Sie war nicht da. Und das war gut. Denn hätte ich sie noch einmal gesehen, ein einziges Mal – ich glaube, ich wäre nimmer gegangen. Und so fuhren wir durch den Sand, unter der steigenden Sonne zum Hafen.

Der Kommis kam uns schon entgegen: Eilen Sie, sonst geht das Schiff ab. Wir stiegen an Bord, kaum ließ man uns Zeit, einander noch die Hände zu schütteln. Sie jagten Don Ramon hinunter, in sein Boot, das stieß ab, kehrte zum Lande zurück. Er winkte. Ein Rasseln und Zittern ging durch den Schiffsleib. Der Anker war emporgewunden. Klirrend legten sich die Glieder der langen Kette um die Winde. Ein Keuchen und Stöhnen. Wir gaben Dampf und begannen zu fahren.

Adios, Kuba! sagte neben mir ein Matrose.

Da erst begriff ich's. Ich würde sie nie wiedersehen. Was ich mit sehnendem Blick noch erfaßte, das war das letzte. Es legten sich Nebel zwischen jenen Strand und mich. Der Hafen rückte ferner, ferner, der Hafen, von dem aus zu ihr der Weg ging. Schon schied uns das Meer. Adios, Kuba, rief ich, adios, leb' wohl, Angelita!

Und ich streckte die Arme aus, als ob ich das Land dort noch halten könnte, das mir entfloh: Nein, ich entfloh, ich war's ja, der ging. Wie das möglich war, faßte ich selbst nicht. Welcher Wahnsinn hieß mich so eilen! Mir war, als sei mir das Herz aus der Brust herausgerissen und dort geblieben, und ich stünde hier mit der blutenden hohlen Wunde. Gleich dem Don Juan Tenorio hatte ich übermütig gewünscht, bitteres Erinnern möge bleiben, wo ich davonging. Und nun? Das Gegenteil war geschehen. Denn wie sie mein auch gedenken mochte, vielleicht mit Spott, vielleicht mit Schmerzen, so bitterlich, so reuevoll, verzweifelnd konnte nimmer ihr Erinnern sein wie das meine. Ich lag am Schiffsrand, den Kopf an die hölzernen Planken gedrückt, und starrte hinüber über die Wellen, die sich weiter und weiter dehnten. Mir war, als sei's nicht mein Wille gewesen, als sei es eine fremde Gewalt, die mich fortgetrieben aus allen Wonnen.

Und wie ich so dachte, kam der Mahagonistamm mir wieder zu Sinnen. Dem, der ihn gefällt, hatte er den Tod gebracht. Mir ward es nicht einmal so gut. Mir war ein zehrend, tödliches Gift in die Adern geflößt, das ich lebend mit mir schleppen mußte, wer weiß wie lange noch.

So dachte ich damals, in meiner jugendheißen Verzweiflung. Seither freilich habe ich das alles ein wenig anders betrachten gelernt. Es war doch Glück, was der Baum mir gewährt. Ein echtes, wahres, wenn auch so kurzes. Und vielleicht ist es um so tiefer eingedrungen, hat sich mir um so reiner erhalten, weil es eben rasch abgebrochen, unverwischt und sonder Trübung als der Lichtpunkt meines Daseins mir im Herzen geblieben ist. –

Meine Mutter habe ich daheim gesund angetroffen. Hinaus nach Kuba bin ich doch nie wieder gekommen, denn ... Aber nicht von mir wollte ich reden, sondern nur von dem Baum erzählen, soweit er mein Leben berührt hat und beeinflußt. Dessen Geschichte ist hiermit zu Ende.«

»So danke ich schönstens für Ihre Erzählung. Sie haben recht, Freund Roderich, Ihr Baumstamm sah viel: Räuber, Sklaven, Mord und Totschlag, genug der bunten Abenteuer. Aber schließlich – gestehen Sie's selber – was ist Anfang und Ende, was der Kernpunkt dieser Mahagonigeschichte? Das Menschenschicksal, daß zwei sich liebhaben und sich trennen, daß einer davongeht und der andere zurückbleibt. Und wenn meine armen Kollegen, die Novellisten von heutzutage, wie die von vor hundert und tausend Jahren, sich nicht viel anderes erdenken können, als immer die gleiche, uralte Historie, so dürften Sie, dünkt mich, Don Juan Rodrigo, das ihnen nicht zum Vorwurf machen.«

 

Ende.


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