Karl May
Weihnacht
Karl May

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»Sti-i-poka«

Lieber Leser, hast du schon einmal einen Kolbenhieb auf den Kopf bekommen, aber einen so recht aus dem tiefsten Herzensgrunde? Nicht? Wohl dir! Oder doch? Dann wehe dir!

Mir wenigstens war es gar nicht wohl, als ich hier am lieben Fleischwasser im Grase lag und meinen Kopf viel deutlicher fühlte, als es eigentlich nötig war. Ich habe schon früher irgendwo einmal das Gefühl beschrieben oder vielmehr zu beschreiben versucht, welches so ein Krafthieb hinterläßt; ich bitte also, auch zu schlagen, aber gefälligst nicht mit dem Kolben, sondern diese Stelle nachzuschlagen! Da lobe ich mir meinen Jagdhieb mit der Hand! Er erreicht ganz denselben Zweck ohne das belästigende Gefühl hinterher, als sei der Kopf ein gewaltiger, mit hunderttausend gefühlvollen Nerven angefüllter Kessel, an welchem fünfzig Kupferschmiede die Nieten verhämmern.

Daß ich in diesem Zustande alles um mich her mit leidlicher Deutlichkeit zu erkennen vermochte, wäre fast ein Wunder zu nennen, wenn ich nicht so dicke Schädelknochen und ein so ungewöhnlich starkes Haar besäße. Aber geordnet zu denken, das wurde mir schwer, und um die Ohren summte es so arg, daß ich zwar den Siegesruf der Apatschen und das Wutgeheul der Roten hören, jedoch hierauf noch längere Zeit, als wieder verhältnismäßige Ruhe eingetreten war, den Sinn dessen, was gesprochen wurde, nicht erfassen konnte. Ich hielt es für das Beste, die Augen wieder zu schließen und so zu thun, als ob ich noch in Ohnmacht liege. Nach und nach brachte ich die einzelnen Worte auseinander, und dann dauerte es auch nicht lange, bis ich mit einiger Anstrengung die Bedeutung der einzelnen Sätze begriff. Sie war keineswegs beruhigend für uns!

Die Blutindianer waren doch mit Corner und seiner Sippe zusammengetroffen und hatten sie ohne Kampf gefangengenommen. Teils um sich an uns zu rächen, teils auch um die Indianer durch diese für sie wichtige Mitteilung vielleicht milder zu stimmen, hatten die Weißen ihnen gesagt, daß sie uns fangen könnten, wenn sie sich beeilten, unserer Spur zu folgen. Die Roten waren selbstverständlich mit Entzücken darauf eingegangen.

Wir kannten Peteh, den gegen Weiße stets unerbittlichen Häuptling der Blutindianer, als einen höchst schlauen Patron, gegen dessen List schon mancher sonst pfiffige Westmann nicht hatte aufkommen können. Er bewährte seine Verschlagenheit auch in dem vorliegenden Falle. Indem ich mit zugemachten Augen dalag, hörte ich ihn mit den Roten, welche mir gegenüber neben ihm saßen, in triumphierendem Tone den ganzen Vorgang noch einmal durchsprechen. Das eine Augenlid ein wenig hebend, betrachtete ich ihn.

Er machte gleich beim ersten Blick, den man auf ihn warf, den Eindruck großer physischer Stärke. Er trug ein vollständiges Ledergewand, doch verrieten die eng anliegenden Teile desselben eine Muskulatur, welche einem professionellen Preisringer Ehre gemacht hätte. Ob er aber die entsprechende Gewandtheit besaß, das glaubte ich bezweifeln zu müssen. Der Ausdruck seines Gesichtes war mit den beiden Worten grausam-listig vollständig gekennzeichnet. Von seinen Waffen fiel mir der Tomahawk besonders auf. Er war von ausgezeichneter indianischer Arbeit und steckte, damit man ihn ja sehen möge, neben dem mit Skalpen reich geschmückten Futterale, statt daß er in demselben stak. Die Fransen seines Anzuges bestanden aus vierfach neben einander liegenden, in Zöpfe geflochtenen Menschenhaaren. Sein Schopf war mit Skalpen geschmückt; seine Brust hing voller Skalpe; aus lauter Skalpen bestand sein Gürtel; auf seinen Schultern und Achseln waren Skalpe gleich Epauletten angebracht, und um die Unterschenkel schlossen sich Skalpe in Form von Gamaschen. Alle diese Skalpe waren jedenfalls von ihm selbst erbeutet, und man sah es ihm auch an, daß sein größter Stolz in diesem Schmucke bestand. Wie anders präsentierte sich da mein Winnetou, gegen den dieser Blutindianer eine Fratze war! Und ganz so, wie er aussah, klangen auch die Ausdrücke, in denen er von unserer Überlistung sprach.

Der arglistige Rote hatte angenommen, wir seien überzeugt, daß Corner uns folgen werde und wir also keine Unvorsichtigkeit begehen würden. Durch diese Erwägung war er auf den Gedanken gekommen, unsere Vorsicht durch eine scheinbare Unvorsichtigkeit zu Schanden zu machen. Er hatte den besten Reiter seiner Truppe mit dem Auftrage, uns zu beobachten, vorausgeschickt. Da unser Ritt durch Carpios Ungeschick verlangsamt wurde, war es diesem Indianer gelungen, uns zu überholen. Er war erst auf unserer Fährte, und dann, als er uns von weitem erblickte, parallel mit dieser geritten, und zwar in solcher Entfernung von uns, daß wir ihn nicht sehen konnten. Am Fleischwasser angekommen, war er, weil nun der Tag vorüber war, überzeugt gewesen, daß wir da lagern würden, und hatte keine Vorkehrungen getroffen, uns unbemerkt beobachten zu können. Er sah uns kommen und durch das Wasser reiten; er sah sogar die Stelle, welche wir als Ruhestätte wählten, und zog sich dann zurück, um dem Häuptling bei dessen Ankunft in sichrer Entfernung von uns Bericht zu erstatten.

Von diesem Punkte aus hatte Peteh dann die geschicktesten Anschleicher seines Trupps beauftragt, zu erforschen, wie wir uns am Lagerplatze eingerichtet hätten. Sie näherten sich uns, als Rost wachte und die andern schliefen; sie waren trotz der Kälte des Wassers durch den Fluß gegangen. Der Rappe des Apatschen und der meinige hatten die Schleicher wohl bemerkt; sie waren unruhig geworden; Rost war aber zu unerfahren gewesen, darauf zu achten. Infolge des hierauf erstatteten Berichtes hatte der Häuptling angenommen, daß nun Winnetou und ich die zweite und die nächste Wache übernehmen würden; da hielt er das Gelingen eines Überfalles für zweifelhaft und beschloß, uns fortzulocken und einzeln zu überwältigen. Er führte also seine Schar ganz ungeniert, als ob er von uns gar nichts wisse, bis an den Fluß uns gegenüber ließ einige in andern Dialekten bewanderte Männer laut sprechen, damit wir sie wohl hören aber nicht entscheiden könnten, zu welchem Stamme sie gehörten, und war nun überzeugt, daß Winnetou und ich uns anschleichen würden, sie zu belauschen. Hierauf legte er Posten rund um das Lager in das Gras, welche uns wohl zwischen sich hindurch- aber nicht wieder zurücklassen, sondern uns festnehmen sollten. Das konnte gar nicht mißlingen, weil wir von diesen Leuten nur für einen Augenblick festgehalten zu werden brauchten, worauf die andern alle über uns herfallen sollten.

Trotz dieser Überzeugung von dem Gelingen hatte Peteh für den fast undenkbaren Fall, daß einer von uns doch entkommen sollte, eine Maßregel angeordnet, welche zum Ziele führte. Er wußte von Corner, daß Carpio und Rost ganz unerfahrene Leute und sehr leicht zu übertölpeln seien, und suchte unter seinen Leuten einen aus, der leidlich englisch radebrechte. Diesem erteilte er seine Instruktion und gab ihm hinreichend Leute mit, dieselbe auszuführen.

Nun kam es fast genau so, wie er gedacht hatte, nur mit der einzigen Abänderung, daß Winnetou nicht ergriffen wurde. Wir kamen zwar herüber, schöpften aber grad wegen des Sprachgemisches, welches uns täuschen sollte, Verdacht. Winnetou schickte mich fort. Inzwischen hatte sich der englisch radebrechende Rote mit seinen Leuten drüben angeschlichen, hatte diese ins Gebüsch gesteckt und war ganz allein vor unsere beiden Gefährten getreten. Was da gesprochen worden war, erfuhr ich freilich erst später.

»Pst, seid still!« hatte er leise und warnend gesagt. »Ich suche Winnetou.«

»Wer seid Ihr?« fragte Rost, leider ebenso leise, wie der Indianer gesprochen hatte, sonst hätten wir es wahrscheinlich drüben gehört.

»Ich bin ein Krieger der Apatschen und will meinem Häuptling und Old Shatterhand etwas sehr Wichtiges sagen.«

»Sind das da drüben lauter Apatschen?«

Welch eine Frage hier oben im Norden, wo es gar keine Apatschen geben konnte!

»Nein,« hatte der Indsman geantwortet. »Es sind Feinde, vor denen ich Euch warnen will. Drum sprecht sehr leise, daß sie uns ja nicht hören! Wo sind Old Shatterhand und Winnetou?«

»Hinüber, um zu lauschen; dann kommen sie wieder.«

»Wollen meine weißen Brüder mir und den beiden berühmten Kriegern eine große Freude machen?«

»Welche?«

»Ich bin der Liebling von Old Shatterhand und Winnetou; wie werden sie sich freuen, mich zu sehen! Ich werde mich verstecken, und wenn sie kommen, müssen sie raten, wen ihr ihnen zeigen wollt.«

Diese beiden vertrauensvollen Menschen gingen wirklich in diese so ungeheuer grob gelegte Falle! Über Carpio brauchte man sich freilich nicht zu wundern, aber daß auch Rost sich hier nicht klüger zeigte, das war und blieb mir unbegreiflich. Sie halfen sogar dem Roten, sich zu verstecken, und freuten sich riesig auf unsere voraussichtliche Wonne, so ganz unerwartet mit unserm »Liebling« zusammenzutreffen. Ich kam allein, doch spielten sie ihre Rolle so nach der erhaltenen Vorschrift, daß Winnetou an meiner Stelle demselben Kolbenhiebe wohl auch nicht entgangen wäre.

Er war, nachdem ich ihn verlassen hatte, mit solcher Vorsicht, so langsam und unhörbar gegen das Lager vorgeschlichen, daß die Posten seine Annäherung nicht bemerkt hatten; wohl aber hatte er sie bemerkt. Es fiel ihm gar nicht ein, in ihren Halbkreis einzudringen; er kroch vielmehr außerhalb desselben hin, um die andere Seite zu erreichen, auf welche vielleicht weniger Aufmerksamkeit verwendet wurde. Eben war er dort angekommen, als mein lauter Hilferuf erscholl und die Scene augenblicklich in eine vollständig andere verwandelte.

Wie Winnetou mir später sagte, hatte er im ersten Moment die Absicht gehabt, durch die Schar der Roten zu brechen und in das Wasser zu springen, um mir in gerader Linie zu Hilfe zu kommen, dies aber schon in der nächsten Sekunde für unklug gehalten, denn die Roten hatten sich blitzschnell auf ihre Pferde geworfen und sie in den Fluß getrieben, um auf diese Weise schnell, aber auch trocken an das andere Ufer zu kommen. Bei einer solchen Menge von Gegnern war durch Gewalt nichts zu erreichen. Er schnellte also am Ufer hinauf bis dahin, wo sein Pferd stand, band es los und ritt hinüber auf die Seite unsers Lagers. Das Geschrei der Indsmen, die nur uns drei und nicht auch Winnetou fanden, sagte ihm sehr deutlich, wo sie waren und wie weit er sich ihnen nähern durfte. Dort ließ er sein Pferd stehen und kroch weiter. Man zündete das Feuer an und hatte nur acht auf uns, nicht aber nach der Seite, wo der Apatsche sich befand. Das war ein geradezu unverzeihlicher Fehler, den der Häuptling der Blutindianer beging. Er hatte uns ja fest und mußte nun vor allen Dingen seine ganze Sorge auf die Ergreifung des Apatschen richten.

Dieser sah mich zwar bewegungslos liegen, bemerkte aber kein Blut. Dann entging es seinen scharfen Augen nicht, daß ich die meinigen für kurze Zeit öffnete. Das beruhigte ihn. Mich jetzt zu befreien, war unmöglich; er mußte zunächst sich selbst in Sicherheit bringen, um später für unsere Rettung thätig sein zu können. Dazu brauchte er sein Gewehr; er sah es mit meinen beiden liegen, was ein höchst willkommener Umstand für ihn war, denn im Besitze dieser drei Gewehre konnte er sich gegen eine ganze Schar von Feinden verteidigen, gar nicht gerechnet den Vorteil, daß sie nicht in die Hände der Blutindianer fielen. Auch war meine Befreiung später viel leichter, wenn meine Gewehre, auf welche ich nie verzichtet hätte, sich schon in Sicherheit befanden.

Er sah auch meinen Hengst und fragte sich, ob er ihn mitnehmen solle, entschied sich aber doch dafür, ihn hier zu lassen, was ich an seiner Stelle ebenso gemacht hätte. Er durfte mit der Ausführung seines Vorhabens nicht zögern, benutzte den geeigneten Augenblick dazu und sah, wie wir wissen, seine Kühnheit mit dem besten Erfolge belohnt. Es machten zwar einige Rote den Versuch, ihm nachzureiten, kamen aber sehr bald zurück. Die Finsterkeit der Nacht machte die Verfolgung unmöglich, und selbst wenn es heller Tag gewesen wäre, hätte es niemand fertig gebracht, den windesschnellen Iltschi einzuholen. Winnetou war also glücklich entkommen, und ich durfte überzeugt sein, daß er von jetzt an an nichts anderes als an unsere Befreiung denken werde. Auch wenn dies nicht so gewesen wäre, sondern er sich auch als Gefangener bei uns befunden hätte, wäre es mir nicht eingefallen, bange um uns zu sein. Wir waren so oft gefangen gewesen und immer glücklich entkommen, und es lag kein einziger Grund vor, annehmen zu müssen, daß uns in dem jetzigen Falle unsere Befreiung nicht gelingen werde. Wir brauchten nur Zeit zu gewinnen, denn Zeit bringt Rat und Gelegenheit. Unsere Lage war nur dann schlimm, wenn Peteh auf den für uns gefährlichen Gedanken kam, mit uns kurzen Prozeß zu machen. So etwas war aber nicht zu befürchten, denn Gefangene der Art, wie ich einer war, bringt man nicht unterwegs um, sondern schleppt sie mit heim, um den ganzen Stamm des Schauspiels, sie am Marterpfahle sterben zu sehen, teilhaftig werden zu lassen. Dazu kam, daß die Blutindianer beabsichtigten, mit den Krähen zusammenzutreffen, und da verstand es sich ja ganz von selbst, daß sie uns mitnehmen würden, um mit Old Shatterhand als ihrem Gefangenen prunken zu können. Ich war sogar überzeugt, daß sie uns nicht nur nicht töten, sondern uns sogar, wenigstens in Beziehung auf unser leibliches Wohlbefinden, schonend behandeln würden, um ihren Triumph nicht beeinträchtigt zu sehen. Es ist ein größerer Ruhm, gesunde und kräftige Feinde besiegt zu haben, als in den Besitz eines abgematteten, kranken Gegners gekommen zu sein. Es gab also für uns zunächst gar keine Veranlassung, den Mut, der uns so notwendig war, sinken zu lassen.

Peteh sprach also mit den bei ihm sitzenden Roten von unserer Gefangennahme; er war außerordentlich erfreut darüber, mich in seine Hände bekommen zu haben, doch ebenso erzürnt über das Entkommen Winnetous. Ich hörte, daß er die Schuld daran gern einem seiner Leute aufgebürdet hätte, was ihm aber nicht gelingen konnte, weil auf meinen Hilferuf alle zugleich aufgesprungen und über das Wasser gegangen waren, wodurch der Apatsche Zeit und Raum gewonnen hatte, sich von da drüben ganz unbeachtet zu entfernen. Waren jemandem Vorwürfe zu machen, so hatte Peteh sie selbst verdient, weil er es an der nötigen Umsicht hatte fehlen lassen. Und daß er sich dies sagen mußte, das schien seinen Ärger zu verdoppeln.

Ich lauschte mit größter Aufmerksamkeit auf seine Reden, um vielleicht einige Worte darüber aufzufangen, was sie über uns beschlossen hatten oder jetzt beschließen würden. Das Glück war mir günstig. Der Häuptling wußte, daß Carpio und Rost unerfahrene Leute seien, und nahm also als gewiß an, daß sie die Sprache seines Stammes nicht verständen. Von mir wußte er zwar das Gegenteil, aber er glaubte, ich sei noch betäubt und höre also nicht, was gesprochen werde; darum hielt er es nicht für nötig, seine Stimme zu dämpfen, und so nahmen die andern an, ebenso laut sprechen zu dürfen. Erwähnen muß ich noch, daß man unsere Taschen geleert und alles, was drin gewesen war, vor den Häuptling hingelegt hatte. Einer der alten, erfahrenen Krieger, welche die Auszeichnung hatten, rechts und links von ihm zu sitzen, sprach seinen Grimm darüber aus, daß es Winnetou gelungen war, sich in den Besitz der drei berühmten und unvergleichlichen Gewehre zu setzen, ohne daß man ihn davon abgehalten hatte, und schloß hieran die Bemerkung:

»Diese Gewehre sind kostbarer als der Besitz Old Shatterhands! Ich wollte lieber, er wäre auch entflohen und wir hätten sie dafür noch! Was wird Peteh mit den drei Gefangenen thun? Sollen sie getötet werden, ehe wir diesen Ort verlassen?«

»Nein,« antwortete der Häuptling. »Wir nehmen sie mit, um sie den Kriegern der Upsaroka's zu zeigen. Oder ist mein Bruder vielleicht anderer Meinung?«

Die Crow- oder Krähenindianer nennen sich selbst nämlich Upsaroka's.

»Nein,« antwortete der Gefragte. »Aber was soll dann mit ihnen dort geschehen?«

»Nichts.«

»Nichts? Wir nehmen sie also wohl mit, wenn wir als Sieger über die Schoschonen heimkehren zu unserm Stamme?«

»Old Shatterhand nehmen wir mit; die beiden andern Hunde taugen nichts; sie mögen bei den Upsaroka's am Marterpfahle sterben.«

»Werden aber die Upsaroka's damit einverstanden sein, daß wir Old Shatterhand behalten?«

»Meint mein Bruder, daß sie nicht damit einverstanden sein werden?«

»Es ist möglich, daß sie ihn für sich nehmen wollen.«

»Uff! Das dürfen sie nicht!«

»Peteh, der tapfere Häuptling der Blutindianer, mag bedenken, daß jeder Gefangene, mag ihn gefangen genommen haben, wer es sei, als der Gefangene desjenigen Stammes gilt, auf dessen Boden er sich befindet!«

»Das weiß ich; aber die Upsaroka's werden sich trotzdem hüten, Old Shatterhand von mir zu verlangen, denn sie erwarten Hilfe von uns, die ich ihnen versagen würde, wenn sie eine solche Forderung an mich thäten.«

»Uff! Peteh darf nicht vergessen, daß sie gezwungen sind, diese Forderung auszusprechen. Es giebt Gesetze, welche man selbst unter den besten Freunden und Verbündeten aufrecht halten muß. Wenn die Upsaroka's Old Shatterhand nicht von uns verlangten, wäre es eine Schande für sie. Der Gebrauch gebietet uns sogar, ihnen diese Bleichgesichter auszuliefern, ohne erst abzuwarten, daß sie es verlangen. Mein tapferer Bruder mag diesen meinen Worten nicht zürnen! Ich trage den Schnee des Alters auf meinem Haupte, über welches fast siebenmal zehn Winter dahingegangen sind. Die Erfahrung ist da, um gehört zu werden, und mein Mund darf nicht schweigen, wenn die Pflicht ihm gebietet, den Häuptling vor einem Schritte zu bewahren, welcher ihn mit den Kriegern der Upsaroka's entzweien muß!«

Es trat eine Pause ein, während welcher Peteh stumm vor sich niederblickte. Dann hob er den Kopf wieder und sagte:

»Es erregt meinen Grimm, daß ich eingestehen muß, daß mein Bruder die Wahrheit gesprochen hat. Ich muß die Gefangenen entweder hier töten oder sie den Upsaroka's übergeben. Aber soll ich etwa auf den Ruhm verzichten, mit Old Shatterhand in Fesseln bei ihnen angekommen zu sein?«

»Nein.«

»Mein Bruder ist also auch der Ansicht, daß wir die drei Bleichgesichter nicht töten, sondern mitnehmen?«

»Ja.«

»Und dann sollen die Upsaroka's mit ihnen machen dürfen was sie wollen?«

»Nein. Wir liefern sie ihnen mit der Bedingung aus, daß sie am Marterpfahle sterben müssen.«

»Uff, so ist es richtig! Aber gequält sollen sie werden unterwegs, so gequält, daß sie die Schmerzen des Todes schon beim ersten Schritte fühlen, den wir hier vom Fleischwasser wegthun werden!«

»Schah! Will Peteh Schande auf sich und auf die Häupter seiner Krieger laden? Sollen die Upsaroka's uns den Vorwurf machen, daß wir diese Bleichgesichter nur deshalb besiegen konnten, weil sie nicht die Kraft besaßen, sich gegen uns zu verteidigen?«

»Sie haben diese Kraft gehabt!«

»Können wir das beweisen?«

»Uff!« antwortete der Häuptling grimmig. »Ich wollte diese weißen Hunde hungern und dürsten lassen; ich wollte ihnen unsere Messer in das Fleisch geben, ohne sie zu töten!«

»Das muß Peteh unterlassen! Wenn sie vor Hunger und Durst matt sind, werden sie sagen, daß es nur wegen dieser ihrer Schwäche gelungen sei, sie zu ergreifen. Und wenn wir sie verwunden, um ihnen Schmerzen zu bereiten, werden sie sich darüber freuen, denn sie können zu den Upsaroka's sagen, diese Wunden seien die Beweise der Tapferkeit, mit welcher sie sich gegen uns verteidigt haben. Peteh, der Häuptling der Blutindianer, mag klug sein!«

»Soll ich sie etwa dick und fett füttern wie Hunde, welche beim Besuch berühmter Gäste geschlachtet, gebraten und gegessen werden?!«

»Das ist nicht nötig; nur hungern und dürsten sollen sie nicht. Je frischer und gesünder sie aussehen, desto größer ist der Ruhm, sie besiegt zu haben. Auf diesen Ruhm dürfen unsere Krieger nicht verzichten.«

Der Häuptling konnte denken und sagen, was er wollte, er mußte zugeben, daß der Alte recht hatte. Das ergrimmte ihn, den grausamen und blutdürstigen Menschen, so, daß er endlich wütend sagte:

»Mein Bruder spricht Worte, welche ich nicht hören mag und doch hören muß. Ich bin also gezwungen, diese weißen Coyoten wie Weiber zu behandeln, welche um Hilfe rufen, wenn man sie nur berührt!«

»Desto mehr können wir dann für ihren Tod am Marterpfahle fordern.«

»Uff, das ist richtig! Sie sollen so sterben, daß sie uns ein Schauspiel bieten, als ob es hundert Bleichgesichter seien, die am Pfahle hängen. Aber wir wollen leiser sprechen, denn sie sollen denken, daß von jetzt an jeder Augenblick ihr letzter sein könne. Old Shatterhand versteht unsere Sprache; wir dürfen ihn also nicht hören lassen, was wir sprechen.«

Von jetzt an flüsterten sie nur noch, und es drang kein Wort mehr zu mir herüber. Dann mochte ihnen meine Betäubung doch zu lange dauern; der Häuptling befahl, mir einige kräftige Stöße zu versetzen. Als dieser Befehl ausgeführt wurde, that ich, als ob ich nun erst zu mir käme; ich schlug die Augen auf und machte ein erschrockenes Gesicht. Er lachte mich höhnisch an und sagte:

»Old Shatterhand hat einen sanften Schlaf gethan. Wie gefällt ihm das Erwachen?«

Ich antwortete nicht.

»Weiß er, wo er sich befindet?« fragte er weiter.

Ich blieb still.

»Old Shatterhand mag sich nach seinem Freunde, dem roten Hunde Winnetou, umsehen!«

Ich drehte den Kopf nach der einen und nach der andern Seite.

»Er ist nicht da!« lachte er. »Dieser rote Verräter, der es mit den Bleichgesichtern hält, hat eine Kugel durch den Kopf bekommen und ist in das Wasser gestürzt. Nun schwimmt seine Leiche den Fluß hinab, um von den Krebsen, welche Aas verzehren, langsam aufgefressen zu werden!«

Da ich auch hierauf nicht antwortete, fuhr er mich zornig an:

»Hat Old Shatterhand vor Entsetzen die Sprache verloren?«

»Nein,« antwortete ich jetzt.

»Oder getraut er sich vor lauter Angst nicht, mit mir zu reden?«

»Ich habe niemals Angst,« entgegnete ich lächelnd.

»Du wirst ebenso wie Winnetou ein Fraß der Krebse werden!«

»Das gönne ich ihnen!«

»Warum?«

»Sie erfahren da doch einmal, wie ein tapferer Krieger schmeckt. Einen Feigling, welcher den Gegner von hinten niederschlägt, weil er sich fürchtet, ihm vor das Angesicht zu treten, würden sie verschmähen.«

»Uff! Wage es nicht, uns zu beleidigen, Hund!«

»Pshaw! Es sind wohl hundert Männer, welche hier sitzen; Krieger darf ich sie nicht nennen, denn sie haben es nicht gewagt, mit Old Shatterhand Auge in Auge zu kämpfen, wie es sich zwischen Kriegern schickt, welche Mut im Herzen haben und eine tapfere Hand besitzen. Nur der mutlose Coyote schleicht sich von hinten an sein Opfer, aber der Grizzly des Gebirges und der Büffel der Prairie, die gehen weder rechts noch links, sondern in gerader Richtung auf den Feind.«

»Habt ihr euch nicht auch an uns geschlichen?«

»Haben wir euch von hinten überfallen? Du scheinst noch nicht zu wissen, daß ein Unterschied zwischen beschleichen und überfallen ist!«

»Und du scheinst gar nicht zu wissen, wer der ist, mit dem du sprichst!«

»Pshaw!« antwortete ich wegwerfend.

»Hund, wer bin ich?«

Ich antwortete nicht.

»Sprich, wer ich bin!«

»Ah, ich soll antworten? Ich dachte, du sprächst mit einem Hunde! Wer du bist? Das ist mir ja gleichgültig, unendlich gleichgültig!«

»Ich bin Peteh, der tapfere Häuptling der Blutindianer!«

»Tapfer? Pshaw! Hundert Mann, von hinten gegen drei!«

»Der berühmte Häuptling der Blutindianer sogar!«

»Berühmt? Pshaw! Deine Leute kennen dich, sonst nur noch wenige!«

»Stinkende Ratte! Vergiß nicht, daß dein Leben in meiner Hand steht!«

»In deiner? Höre, ich habe das Leben nicht von dir erhalten, und so hast du auch nicht das Geschick, es mir zu nehmen! Ihr habt mich von hinten niedergeschlagen, ohne daß ich euch etwas zu leide that; das ist alles. Was weiter geschieht, das wird sich wohl noch finden!«

»Das wird sich nicht erst finden, sondern es ist schon bestimmt!«

»Ah?«

»Ja. Ihr werdet noch in dieser Nacht sterben!«

»Wirklich? Ich glaube es nicht!«

»Wenn du es nicht glaubst, wird der Tod mit doppeltem Schrecken über dich kommen. Wir haben die größten Martern für dich bestimmt!«

»Gut, ich bin bereit; fange an!«

»Nicht jetzt. Du hast noch Fragen zu beantworten.«

»So frag!«

»Wo kommt ihr her?«

»Von den Städten der Bleichgesichter.«

»Wo wolltet ihr hin?«

»Noch weiter hinauf in die Berge.«

»Wozu?«

»Gold zu suchen.«

»Ist das wahr?«

»Ist Old Shatterhand als ein Lügner bekannt?«

»Wolltet ihr etwa gegen die Krieger der Blutindianer kämpfen?«

»Nein. Wir hatten gar keine Ahnung, wo sich diese Leute jetzt befinden.«

»Uff! Ihr kamt also bloß nach Gold?«

»Frag meine Begleiter!«

»Die sind stumme Hunde, welche weder bellen noch beißen können.«

»Ja, ich bin ganz allein zu rechnen, und darum ist es eine ganz ungeheure Heldenthat, daß hundert auserwählte Krieger unter Anführung des tapfern und berühmten Häuptlings Peteh mich, den einzelnen, heimtückisch niederschlugen! Man wird das an allen Lagerfeuern und auf allen Weideplätzen erzählen, und der Ruhm der Blutindianer wird von einem großen Wasser bis zum andern klingen!«

»Schweig! Der Ruhm unseres Stammes ist so groß, daß man nichts mehr hinzufügen kann!«

»Es hat allerdings den Anschein, als ob es in eurer Absicht läge, ihn zu vermindern, anstatt ihn zu erhöhen. Ihr überfallt Leute, welche euch gar nichts gethan haben!«

»Old Shatterhand ist unser Feind.«

»Nein.«

»Er ist es.«

»Beweise es!«

»Ihr habt vor einigen Sonnen fünfzehn Krieger von dem Wasser verjagt, welches von den Bleichgesichtern der Pulverfluß genannt wird!«

»Weiter!«

»Weiter nichts; das ist genug!«

»Uff! Wenn das der ganze Grund ist, uns als Feinde zu betrachten, so muß man Mitleid mit euch haben! Ich lagerte mit Winnetou am Pulverflusse, und eure fünfzehn Leute schlichen um uns her, ohne den Mut zu haben, sich uns offen zu zeigen. Wer das thut, der hat Böses im Sinne. Wir ergriffen zwei von ihnen, denen wir ganz freundlich sagten, daß wir auf jeden schießen würden, der sich heimlich in unserer Nähe herumtreibe; wer aber offen zu uns komme, der solle uns willkommen sein. Dann gaben wir sie frei. Sie gingen und waren dann samt ihren dreizehn Genossen weder mehr zu sehen noch zu hören. Es ist ihnen nicht das geringste Leid gethan worden.«

»Aber ihr habt sie nicht geduldet!«

»Warum kamen sie nicht offen?«

»Verteidige dich nicht!«

»Pshaw! Ungerechte Vorwürfe dulde ich nicht! Du hättest viel klüger gethan, wenn du diesen Fall gar nicht erwähnt hättest, denn es ist kein Ruhm für deinen Stamm, wenn fünfzehn seiner Krieger vor zwei einzelnen Männern ausreißen, die nicht einmal die Hände an die Waffen gelegt haben. Kein gerecht denkender Mann wird sagen, daß wir wegen dieses Vorkommnisses als eure Feinde zu betrachten seien. Nun frage ich dich, warum du uns hier überfallen hast!«

Da lachte er mich höhnisch an und fragte spottend:

»Wünschest du, daß ich euch losbinden und fortreiten lasse?«

»Nein,« lachte auch ich.

»Warum nicht?«

»Weil ich solche Erlebnisse liebe. Habt ihr mich einmal gefangen, so will ich auch Gefangener bleiben, so lange es mir beliebt.«

»Beliebt? Uff, uff! Dein Verstand steht im Begriff, verloren zu gehen!«

»Oh nein! Ich bleibe sehr gern für einige Zeit bei euch, denn ich möchte wissen, was für ein Gesicht du machst, wenn ich von dir Abschied nehme, ohne daß du mich gehen lassen willst.«

»Uff! Du gedenkst, zu fliehen?«

»Fliehen? Nein! Der Ausdruck fliehen ist auf einen Feigling passend, welcher sich nicht getraut, dem Gegner stand zu halten. Unsere Trennung wird höchst wahrscheinlich eine ganz andere sein. Also ich bleibe bei euch, zumal ich sehe, daß ihr mich gern bei euch habt. Wenn es mir nicht mehr gefällt, werde ich schon selbst gehen, ohne daß du es nötig hast, mich zum Aufbruche aufzufordern.«

Diese edle Dreistigkeit meinerseits versetzte ihn so in Wut, daß er aufsprang, zu mir herüberkam, mir einen Tritt versetzte und dabei ausrief:

»Hund, ich durchschaue dich! Du fürchtest den Martertod und möchtest gern schnell sterben; darum reizest du mich, damit ich dich im Zorne töten möge. Denke nicht, daß ich so dumm bin, dies zu thun! Ihr werdet langsam sterben, so langsam, daß ihr meinen werdet, es liegen Monde zwischen den Minuten. Jetzt habe ich mit dir gesprochen und will nichts mehr hören. Du schweigst also!«

Nichts war mir lieber als das! Er setzte sich wieder auf seinen Platz, konnte aber das Vergnügen, nichts mehr hören zu müssen, nicht lange genießen, denn jetzt ertönte Corners Stimme von der Seite her, wo dieser mit seinen Genossen auch gefesselt lag:

»Der Hund da drüben, der sich Old Shatterhand nennen läßt, mag freilich aufhören, zu bellen und zu heulen; desto nötiger ist es, daß nun wir mit dir reden. Wann giebst du uns frei?«

»Heut nicht!« antwortete der Häuptling kurz und drohend.

»Ich erinnere dich an dein Wort, welches du uns gegeben hast!«

»Schweig!«

»Ich schweige nicht!«

»So werde ich dich zum Schweigen bringen!«

»Wir haben uns freiwillig binden lassen!«

»Ja, ihr waret so dumm!«

»Damit Old Shatterhand und Winnetou, wenn sie euch belauschten, denken sollten, ihr wäret unsere Feinde und also ihre Freunde. Du versprachst, uns sofort freizugeben, sobald ihr diese beiden Männer ergriffen hättet. Willst du das etwa leugnen?«

»Nein,« lachte Peteh.

»So halte Wort!«

»Schweig, Hund! Peteh, der berühmte Häuptling der Blutindianer, hält stets das Wort!«

»Aber uns willst du es brechen!«

»Wer wagt es, dies zu behaupten?«

»Ich!«

Da ging ein grausames, ich möchte sagen, blutgieriges, breites Grinsen über das Gesicht des Häuptlings, und er sagte lachend:

»Es giebt kein Bleichgesicht, welches ein Gehirn unter dem Schädel hat! Der Weiße, welcher Corner heißt, mag mir doch einmal so antworten, wie es sich gehört. Wann wollte ich euch freilassen?«

»Wenn du sie ergriffen hättest,« antwortete der Gefragte.

»Wen wollte ich ergreifen?«

»Winnetou, Old Shatterhand und die zwei andern.«

»Habe ich sie festgenommen?«

»Ja.«

»Winnetou auch?«

»Den freilich nicht.«

»Uff! Nimm also deine Gedanken zusammen! So lange mir der Apatsche noch fehlt, könnt ihr nicht verlangen, freigelassen zu werden!«

Corner schien von dieser Logik überrascht zu sein; er schwieg eine Weile, brauste aber dann um so lauter und energischer auf.

»Das ist eine Ausrede, eine hinterlistige Ausrede! Es handelte sich doch nur darum, Winnetou und Old Shatterhand beim Anschleichen zu täuschen. Dieses Anschleichen ist vorüber, also unsere Gefangenschaft auch!«

»Ja, so legst du es aus; ich aber richte mich darnach, wie ich es auslege. Winnetou sollte auch ergriffen werden; er ist entkommen; also sind die Bedingungen nicht vollständig erfüllt worden.«

»Sind wir schuld an seiner Flucht? Hättet ihr besser aufgepaßt!«

Da sprang der Häuptling wieder auf und rief ihm drohend zu:

»Weißer Wurm! willst du es vielleicht wagen, uns Vorwürfe zu machen?«

»Nein; aber ich fordere, daß uns Wort gehalten wird! Wenn du das nicht thust, so werden wir – –«

»Was werdet ihr?« unterbrach ihn Peteh mit donnernder Stimme. »Hältst du dich für den Mann, von welchem ich mir vorschreiben lasse, was ich zu thun habe? Glaubst du wirklich, daß ich einen Wert auf eure Meinung von mir lege? Ob solche räudigen Hunde mich für einen Lügner halten oder nicht, darüber lache ich. Die Bleichgesichter haben mehrere hundert Sonnen lang nichts anderes gethan, als uns belogen und betrogen; wir aber sollen ehrlich sein? Wenn wir das thun, was wir von euch gesehen und gelernt haben, so gebt euch, aber nicht uns die Schuld! Es fällt mir gar nicht ein, euch glauben zu machen, daß ich mein Versprechen habe halten wollen; auch wenn der Apatsche nicht entkommen wäre, hätte ich euch nicht frei gegeben. Habt ihr anders gedacht, so lacht euch selber aus!«

»Alle Teufel! Das ist ehrlich gesprochen! Nun wissen wir wenigstens, woran wir sind, nämlich daß wir betrogen worden sind!«

»Ja, betrogen worden!« lachte er.

»Für den Dienst, den wir dir erwiesen haben!«

»Mir? Euch galt dieser Dienst, nicht mir! Ihr wolltet euch rächen, und ich sollte das Werkzeug dazu sein. Aber Peteh läßt sich nicht dazu mißbrauchen, der gehorsame Nigger eines Bleichgesichtes zu sein; er ist ein Bär, der sich zwar sehr gern füttern läßt, aber dabei den, der ihn füttert, auch mit frißt.«

»Welch eine Schlechtigkeit!«

Corner sprach mit einer Kühnheit, welche einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Freilich war es nicht die echte Kühnheit, deren nur ein edler Mensch zu edlen Zwecken fähig ist, sondern die Aufregung darüber, daß er betrogen worden und in eine Falle gegangen war. Daß er nun in derselben Grube lag, in welche er uns hatte stürzen wollen, ließ ihn die für seine Lage notwendige Vorsicht außer acht lassen und mit Ausdrücken um sich werfen, welche den Häuptling reizen mußten. Ich hatte ja auch nicht höflich mit ihm gesprochen, stand aber als ehrlicher Mann dem Anführer der Indianer in einer ganz anderen Lage gegenüber als Corner, den dieser als einen höchst verächtlichen Vertreter der weißen Rasse betrachtete und auch behandelte. Die Augen Petehs zogen sich drohend zusammen, und es klang nicht wie gesprochene Worte, sondern mehr wie ein Zischen, als er fragte:

»Wie – – wie hast du gesagt?«

»Es ist eine Schlechtigkeit!« wiederholte Corner.

Im nächsten Augenblick stand der Häuptling bei ihm, stieß ihm den Fuß mit aller Gewalt in den Leib und rief:

»Den Lasso! Gebt ihm den Lasso! Augenblicklich! Er soll ihn so bekommen, bis das Blut an ihm herunterläuft! Blut will ich sehen, Blut!«

Er war außer sich vor Wut. Seine Gesichtszüge hatten sich verzerrt, und er stampfte immer weiter mit dem Fuße auf den unvorsichtigen Menschen ein; es sah ganz so aus, als ob er ihm die Eingeweide aus dem Leibe treten wolle. Corner stöhnte vor Schmerz und warf sich, um den Tritten zu entgehen, unaufhörlich auf und nieder. Das war falsch, denn da wurde er doch immer wieder gegen den Unterleib getroffen. Ich hatte ja auch die Ehre gehabt, einen Fußtritt zu bekommen, aber man muß für jede Angriffsart eine Parade haben: Sobald Peteh den Fuß zum Stoße erhob, hatte ich eine Wendung gemacht und infolgedessen den Tritt mit der Hüfte aufgefangen, in welcher sich, wie ich glaube, nicht so edle Teile wie im Vorderleib befinden. Corner aber drehte sich nicht, sondern schnellte sich in seinen Fesseln nur immer auf und ab, und so trafen ihn die Stöße stets nur an gefährlichen Stellen.

Dann wendete man ihn um, so daß er mit dem Rücken nach oben lag. Ein Roter kniete ihm auf dem Nacken, und zwei hielten seine zusammengebundenen Beine; die Jacke und die Weste wurden ihm gelüftet und dann schlugen ein vierter und fünfter Indsman mit ihren zusammengeschlungenen Lassos aus Leibeskräften auf ihn los. Bei jedem Hiebe ertönte ein Schrei des Getroffenen, und im weiteren Verlaufe der Züchtigung vereinigten sich die einzelnen Schreie zu einem Gebrüll, welches erst in ein tiefes Ächzen, dann in ein immer leiseres Wimmern überging und dann mit einem laut aufgeheulten Weheruf ein Ende nahm. Es klang, als ob in diesem Heulen die letzte Lebenskraft ihre Auflösung gefunden habe.

»Herrgott! Nun ist er tot; sie haben ihn erschlagen!« seufzte Carpio neben mir.

Dies waren die ersten Worte, welche über seine Lippen kamen, seit wir Gefangene waren; er zitterte. Rost flüsterte mir zu:

»Der Häuptling hat ihm ganz gewiß verschiedene Brüche getreten; er ist für immer ein Krüppel, wenn er überhaupt noch lebt!«

»Für immer?« fragte ich. »Dieses immer hat nach den Absichten Petehs keine sehr lange Dauer, denn Corner ist auch für den Marterpfahl bestimmt.«

»Sie sagen ›auch‹! Also wir ebenso?«

»Ja; aber ängstigen Sie sich nicht! Wir sterben in dieser Haut noch nicht.«

»In dieser Haut? Wie meinen Sie das?«

»Wenn es wahr ist, was die Physiologen, also auch Sie, behaupten, nämlich, daß der menschliche Körper infolge des Stoffwechsels sich im Verlaufe von zwei Jahren vollständig erneuert, so werden wir uns gewiß noch öfters häuten, ehe wir am Marterpfahle sterben.«

»Gott sei Dank, Sie können noch scherzen! Wer hätte heute früh gedacht, daß wir schon am Abend Marterpfahls-Kandidaten sein würden!«

»Das kommt nur Ihnen so ungewöhnlich vor. Hier in Wildwest weiß man des Morgens nie, wo, wie, wer oder was man des Abends sein wird. Verlieren Sie nur nicht den Mut! Das Unglück wird ein viel besseres Ende nehmen, als Sie denken.«

»Das sagen Sie? Sie trösten uns, die wir daran schuld sind, daß es so gekommen ist?!«

»Mit Vorwürfen können wir nichts ändern, also sind sie überflüssig. Sie wurden jedenfalls auch sofort niedergerissen und gebunden, als ich den Kolbenhieb bekommen hatte?«

»Ja. Leider sagte mir da meine innere Stimme viel zu spät, was für eine Dummheit wir begangen hatten. Wäre noch Rettung möglich gewesen, wenn wir Ihnen gleich, als Sie wiederkamen, gesagt hätten, wer sich hier versteckt hatte?«

»Gewiß! Doch, sprechen wir nicht mehr davon! Man wird uns auf die Pferde binden, und so werden die nächsten Tage etwas unbequem für uns sein, aber für unser Leben brauchen wir erst dann bange zu werden, wenn ich es Ihnen sage. Die Rettung wird nicht lange auf sich warten lassen.«

»Rettung! Sie glauben also wirklich daran?«

»Ja; ich glaube nicht nur, sondern ich bin überzeugt. Zunächst traue ich es mir schon ganz allein zu, uns loszubringen; sodann hoffe ich auf die Upsaroka's, denen ich wahrscheinlich eine gewaltige Standrede zu unserm Besten halten werde, und endlich dürfen wir uns auf Winnetou verlassen, der nicht ruhen wird, bis wir wieder frei sind.«

»Vielleicht holt er zu unserer Hilfe die Schoschonen herbei?«

»Zunächst nicht. Er ist nicht etwa fort, sondern er hat sich versteckt, um uns zu folgen und alles zu beobachten, was mit uns geschieht. Dann wird er thun, was er für richtig hält.«

»Was könnte das wohl sein, dieses Richtige, Mylord? Ich gestehe aufrichtig, daß ich mir da gar keinen Rat weiß, denn ich kann zum Beispiel wohl den rautenförmigen Muskel – –«

»Vom Kaputzenmuskel unterscheiden,« fiel ich ihm in die Rede.

»Bitte um Entschuldigung! Ich wollte nicht den Kaputzen-, sondern den großen vordern, gekerbten Muskel nennen, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Ganz und gar nichts! Wir werden nicht nur sämtliche Muskeln, sondern den ganzen Körper, besonders aber das Gehirn anzustrengen haben, um die kurze Gefangenschaft zu ertragen und uns mit Erfolg aus ihr herauszufinden. Bist du sehr niedergeschlagen, lieber Carpio?«

»Nein, ganz und gar nicht,« antwortete der liebe Kerl ganz gegen mein Erwarten, denn ich hatte angenommen, daß grad er vollständig mutlos sein werde. Drum fragte ich noch einmal:

»Nicht? Wirklich nicht?«

»Fällt mir ganz und gar nicht ein! Ich muß dich sehr ersuchen, mich ja nicht für einen energie- und gedankenlosen Menschen zu halten. Die fürchterliche Züchtigung Corners hat mich angegriffen, obgleich er sie an uns verdient hat; das gestehe ich; aber um uns ist es mir nicht im geringsten angst. Ich weiß genau, woran ich bin, und bin vollständig überzeugt, daß du als erfahrener Westmann und Old Shatterhand denselben Gedanken haben wirst. Er ist ja so einfach, daß jedes Kind auf ihn kommen muß!«

»Welchen Gedanken meinst du?«

»Das fragst du noch? Wirklich, du fragst mich?!«

»Natürlich! Ich muß doch hören, ob es derselbe Gedanke ist, den ich auch habe.«

»Richtig! Ich bin nämlich der Ansicht, daß diese Wilden einen großen Irrtum begangen haben.«

»Ah!«

»Ja! Wenn schon gebildete Weiße oft nicht wissen, was sie thun, so ist es gar kein Wunder, daß bei solchen ungebildeten Indianern auch einmal eine Zerstreutheit unterläuft. Daß grad wir die Opfer derselben sein müssen, das kommt mir gar nicht fremd vor, denn ich bin ja, wie du weißt, dazu bestimmt, die Gedankenlosigkeiten anderer Menschen auszutragen. Was sagst du zu dieser Idee? Ich glaube, ich habe das Richtige getroffen.«

»Hm, ja! Nehmen wir also eine Zerstreutheit an!«

»Gut! Es kann ja gar nichts anderes vorliegen als eine Gedankenverwirrung, die wir ordnen müssen. Die Indianer verwechseln uns!«

»Mit wem?«

»Das weiß ich freilich nicht. Wir haben ihnen nichts gethan; sie verwechseln uns jedenfalls mit gewissen andern Personen, die sich in irgend einer Weise an ihnen vergangen haben. Ich würde ihnen das sagen, es ihnen gern in aller Ruhe und ohne Aufregung erklären, aber sie verstehen mich nicht. Du aber sprichst ihre Sprache, wie ich vorhin gehört habe, und so kann es dir ja gar nicht schwer fallen, ihnen zu erklären, was für einen gewaltigen Pudel sie geschossen haben. Willst du das thun?«

»Ja; ich will es versuchen.«

»Versuchen? Von einem Versuche kann gar keine Rede sein; es handelt sich hier um eine offenbare, gar nicht abzuleugnende Konfusion, die sie sofort einsehen müssen, wenn du in der richtigen Weise mit ihnen sprichst. Du kannst dich darauf verlassen, wenn ich ihrer Sprache so mächtig wäre wie du, so würde es höchstens einige Minuten dauern, bis ich sie aus grimmigen Feinden, die sie jetzt sind, in die besten Freunde verwandelt hätte!«

»Dieser Erfolg ist dir schon zuzutrauen, wenn auch nicht so schnell, lieber Carpio. Du hast gesehen und gehört, wie aufgeregt der Häuptling ist; jetzt ist gar nicht mit ihm zu sprechen.«

»Gut, so warte bis morgen! Vielleicht ist er da ruhiger und für deine überzeugenden Auseinandersetzungen zugänglicher geworden.«

»Wollen sehen! Jetzt fragt es sich vor allen Dingen, wie du diese Nacht überstehen wirst.«

»Oh, gar nicht übel, denke ich. Die Riemen, mit denen man mich gebunden hat, drücken mich fast gar nicht, und weil ich sehr müde bin, denke ich, daß ich ganz hübsch schlafen werde.«

»So versuche es gleich jetzt! Wollen eng zusammenrücken, daß wir einander wärmen.«

»Ja, komm heran! Es sollte mir leid thun, wenn du frieren müßtest.«

Armer, lieber Carpio! Der gute Kerl wollte mir die Wohlthat erweisen, die ich ihm zugedacht hatte. Es dauerte auch gar nicht lange, so schlief er ein. Die Roten waren selbst auch müde und wickelten sich in ihre Decken ein, nachdem Peteh die Reihenfolge der Wachen bestimmt hatte. Zwei Mann, welche stündlich abgelöst wurden, mußten sich zu uns setzen, und die andere Gefangenengruppe bekam ebenso zwei Wächter. Es war mir sehr lieb, daß man uns in dieser Weise auseinanderhielt. Soviel ich beim Scheine des einzigen Feuers, welches die ganze Nacht hindurch unterhalten wurde, erkennen konnte, lag Corner bewegungslos. Daß er tot sei, bezweifelte ich, denn es war anzunehmen, daß sie einen für den Marterpfahl bestimmten Gefangenen nicht durch einen vorzeitigen Totschlag von diesem Schicksale befreit haben würden. Mehr konnte ich allerdings nicht wissen, weil wir zu entfernt von ihm lagen, als daß ich die Wirkung der Schläge auf ihn hätte beobachten können.

Die Nacht war keine gute für mich. Ich hatte schon oft in Fesseln geschlafen, und hätte, wenn ich allein gewesen wäre, es wohl auch heut gethan, obgleich man so vorsichtig gewesen war, grad mich so fest zu binden, daß mich die Riemen schmerzten; aber meine beiden Gefährten wachten immerwährend auf; die unnatürliche Lage der Hände auf dem Rücken weckte sie ebenso oft aus dem Schlafe wie die Kälte, welche sehr fühlbar war. Wenn der eine schlief, wachte der andere; ich hatte nur immer zu trösten und zu beruhigen, und da es mir nicht besser, sondern wegen der einschneidenden Fesseln schlimmer erging als ihnen und sie doch diejenigen waren, die uns in die Hände der Roten gebracht hatten, so gehörte einige Selbstbeherrschung dazu, nicht ungeduldig zu werden.

Endlich, endlich dämmerte der Morgen, ohne daß ich ein Auge geschlossen hatte! Die Roten standen auf und hobbelten ihre Pferde los, um sie zu tränken; dabei verzehrten sie ihr Frühstück, welches in getrocknetem Büffelfleisch bestand, mit dem sie für längere Zeit versehen waren, weil man während eines Kriegszuges sich nicht auf die Jagd verlassen darf. Wir bekamen auch davon; man gab uns aber nicht die Hände zum Essen frei, sondern steckte uns die Bissen wie Kindern, welche gefüttert werden, in den Mund.

Carpio bestand jetzt darauf, daß ich mit dem Häuptling sprechen möge, um ihm die vermeintliche Verwechslung klar zu machen, und ich mußte alle möglichen und unmöglichen Gründe zusammensuchen, dem ungeduldigen Freunde zu beweisen, daß die Zeit dazu noch nicht gekommen sei.

Es stellte sich heraus, daß Corner unfähig war, auf ein Pferd gesetzt zu werden. Es wurde eine kurze Beratung gehalten, deren Resultat darin bestand, daß man ein Floß baute, auf welchem er transportiert werden sollte. Vier Mann hatten bei ihm zu bleiben, um ihn aus dem Fleischwasser in den Platte und auf diesem bis an die Mündung des Sweetwater hinabzubringen, dessen Ufer wir dann aufwärts zu folgen hatten.

Vor unserm Aufbruche gab es mit meinem Pferde eine Scene. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß die Indsmen sich unsere guten Pferde aneigneten und ihre schlechtesten für uns bestimmten. Wir mußten aufsteigen und wurden dann oben festgebunden. Peteh war hochentzückt über den Rappen und wählte ihn für sich. Hatatitla stand ganz still und ließ ihn auch in den Sattel kommen. Es hätte nur eines Wortes von mir bedurft, um den Hengst zum Gehorsam gegen ihn zu bewegen; da ich mich aber hütete, dies zu sagen, that er die ihm eingeübten zwei Sprünge, und der Häuptling flog herunter. Dieser war zunächst ganz verblüfft; dann überkam ihn das Gefühl der ihm widerfahrenen Schande, und er stieg wieder auf, um dieses Mal aber sicher sitzen zu bleiben. Er flog wieder herab und wurde darüber so wütend, daß er das Pferd wohl erschossen hätte, wenn es ein gewöhnliches gewesen wäre. Er hätte den Versuch wiederholen können, er wäre wohl hinauf- aber noch schneller wieder herabgekommen; um aber die Sache abzukürzen, drängte ich das Pferd, auf welchem ich saß, näher hin und sagte, scheinbar nur so für mich hin, in Wirklichkeit aber, daß Hatatitla es hören solle, das eine Wort »nehvis!«

Der Hengst legte die Ohren hinter, und nun war es sicher, daß er von jetzt an keinen Menschen mehr hinaufkommen lassen werde. Sobald der Häuptling die Hand wieder ausstreckte, biß und schlug er nach ihm; andere traten hinzu, um Peteh zu helfen, da ging der Rappe, vorn hoch, auf sie zu und trieb sie auseinander. Er ließ sich auch nicht am Zügel führen. Man versuchte alles mit ihm, doch vergeblich, und so sah sich der Häuptling gezwungen, mich wieder loszubinden und absteigen zu lassen, um mein eigenes Pferd zu reiten. Dann brachen wir auf.

Zu meinem Leidwesen hielt man mich für so gefährlich, daß man mich von Rost und Carpio trennte. Man glaubte, ich könne mit ihnen sonst einen Plan zur Flucht beraten. Ich bekam je zwei Begleiter rechts und links, welche mich keine Minute lang aus den Augen ließen, was mir sehr gleichgültig gewesen wäre, wenn mir nicht meine beiden Gefährten leid gethan hätten. Sie wurden sogar vor an die Spitze des Zuges genommen, während man mich ganz hinter zwang, und da im weit ausgedehnten Indianer-(Gänse-)Marsch geritten wurde, so bekam ich sie erst am Abende wieder zu sehen.

Es ging während des ganzen Tages im Thale des Platte zwischen einander bald nahe stehenden bald zurücktretenden Bergen abwärts. Kurz nach Mittag passierten wir den massigen Pyramide-Rock, und am Nachmittage sahen wir an einer Stelle, welche der Mündung des Sand Creek gegenüberlag, das Floß mit Corner und seinen Wächtern kommen. Dieser Sand Creek ist nicht mit dem schon einmal erwähnten Big Sandy Creek, welcher in den Green River fließt, zu verwechseln.

Wir hatten erst bis ganz zur Mündung des Sweetwater gewollt; aber da das Floß dem Häuptling so gelegen kam, ließ er halten, um hier über den Platte zu setzen, was zwar nicht leicht war, aber ohne Unfall von statten ging. Auch das Floß landete, und Corner, welcher sich inzwischen etwas erholt hatte, wurde nun auch auf ein Pferd gesetzt. Dann ritten wir noch bis an den Arkansas Creek, welcher von den Ferrisbergen herunterkommt, und blieben dort halten, um Lager zu machen.

Hier sah ich, wie bereits erwähnt, Rost und Carpio wieder, wurde aber von ihnen ferngehalten, so daß es mir nur einmal gelang, ihnen beruhigend zuzunicken. Carpio sah sehr angegriffen aus; er that mir unendlich leid; ich konnte aber leider nichts für ihn thun.

In dieser Nacht schlief ich trotz meiner Fesseln vom ersten bis zum letzten Augenblicke. Früh ging es schon bei Tagesanbruch weiter, und zwar in derselben Reihenfolge wie gestern; ich blieb von den Gefährten isoliert. Der heutige Ritt war sehr anstrengend, weil über mehrere schwer passierbare Flüsse gesetzt werden mußte. Wir ritten nacheinander über den Angwa-, Cherry-, Whiskey-, Muddy-, Thowau- und Cottonwood-Creek und blieben für die nächste Nacht am Crookscreek liegen, wo wir uns zwischen dem Greengebirge im Süden und den Granitbergen im Norden befanden. An diesem Abende konnte ich meinem Carpio nicht einmal zuwinken, so fern wurde ich von ihm und Rost gehalten, und als ich am andern Morgen wieder auf das Pferd gebunden wurde, waren die beiden mit ihren Wächtern schon über den Creek hinüber.

Von hier aus ging es bis zum Nachmittag in fast genau westlicher Richtung weiter. Da ritten wir zwischen dem Sweetwaterflusse und den Antelope Hills hindurch und kamen dem Southpaß so nahe, daß wir an der Stelle Lager machten, wo sich der Willow Creek mit dem Sweetwater vereinigt.

Auch heut war es mir unmöglich, den Gefährten nahe zu kommen. Ich wurde sehr besorgt um sie, natürlich besonders um Carpio. Es war sehr kalt hier oben; die Berge trugen Schnee. Unter andern Verhältnissen hätte die imposante Scenerie des Hochgebirges einen tiefen Eindruck auf mich gemacht, so aber ging sie für mich ganz verloren. So will ich auch für den nächsten Tag nur sagen, daß wir endlich den Southpaß hinter uns legten und dann am Pacific Creek jenseits herabritten.

Schon um die Mittagszeit bemerkte ich, daß irgend etwas wichtiges im Werke sei. Man zog mir die Fesseln noch enger zusammen, und ich bekam zu meinen vier Wächtern noch zwei, so daß ich nun sechs hatte. Dafür aber entschwanden nun alle, die uns voranritten, meinen Augen. Ich schloß daraus, daß wir uns dem Ziele näherten. Ich war mit den sechs Blutindianern allein, während Peteh mit allen übrigen vorausgeeilt war, um das Lager der Krähen eher als ich zu erreichen und diese auf die Ankunft eines so wichtigen Gefangenen vorzubereiten.

Einem andern hätte jetzt das Herz vor Sorge schneller geschlagen, mir aber nicht; ich war innerlich sehr ruhig. Und wenn ich ja in besonderer Sorge gewesen wäre, so geschah grad jetzt etwas, was alle meine etwaigen Befürchtungen sofort gehoben hätte. Wir hatten eben einen ziemlich engen Thalkessel durchritten, als ein Schuß krachte, wo, das war nur für mein Ohr zu unterscheiden, denn die Felswände warfen den starken Knall wohl in zehnfachem Echo zurück. Das war mein Bärentöter gewesen, dessen Stimme ich genau kannte. Winnetou hatte diesen Schuß gethan, um mich zu benachrichtigen, daß er nicht weit hinter mir sei. Er durfte dies jetzt wagen, weil in der Nähe des Lagers der Krähen ein Schuß nicht auffiel, denn diese Indianer durchstreiften doch jedenfalls die Gegend, um zu jagen. Ich war überzeugt, daß der Häuptling der Apatschen alle unsere bisherigen Lagerplätze umschlichen hatte, ohne aber eine Gelegenheit zur Flucht für uns herbeiführen zu können. Dies lag wohl meist daran, daß ich von Rost und Carpio getrennt gewesen war. Winnetou wollte uns drei zusammenhaben.

Nun trafen wir, je weiter wir kamen, desto häufiger auf Pferde- und auch Fußspuren, welche nicht von den vorangerittenen Blutindianern stammten; es waren Upsaroka-Fährten. Sie kamen schließlich von allen Seiten her, was auf eine größere Nähe des Lagers schließen ließ, und als wir zwischen zwei sehr eng zusammentretenden Höhen hindurchgeritten waren, lag es vor uns, sich über eine kleine, freie Ebene dehnend, welche nach allen Seiten einen Durchmesser von höchstens einer englischen Meile hatte.

Ich war erstaunt, kein einziges Zelt zu sehen! Hier oben zwischen schneebedeckten Bergen, in dieser vorgeschrittenen Jahreszeit, in einer den Krähenindianern fremden Gegend nur rohe Zweighütten, die schon jetzt nur halben Schutz gewährten! Warum die Krähen diese späte Zeit zu ihrem Kriegszuge gewählt hatten, das war mir vollständig unerfindlich. Der Winter konnte schon heut oder morgen im stöbernden Schnee herniedersinken und den Rückweg nach der Laramie unmöglich machen. Was dann? Hatten diese unvorsichtigen Leute etwa ganz sicher darauf gerechnet, die Schoschonen unbedingt zu besiegen und dann den Winter in den geschützten Dörfern derselben zuzubringen? Da hatten sie sich in unserem Freunde Avaht-Niah, dem Häuptling der Schlangen, ganz unverzeihlich verrechnet!

Auch war keine Spur von Ordnung zu ersehen. Es gab keine Gassen, keine Hüttenreihen. Alles lag regellos durcheinander, wie man Maulwurfshaufen auf einer Wiese liegen sieht. Im Augenblicke unserer Ankunft waren alle Hütten und alle Plätze zwischen ihnen leer, denn die Indianer hatten sich vor dem Lager aufgestellt, um mich kommen zu sehen. Sie bildeten zu Pferde und in allem Waffenschmucke zwei Doppelreihen, zwischen denen ich hindurchmußte. Am Ende derselben hielt Yakonpi-Topa, der Anführer der Kikatsa, mit den andern Upsaroka-Häuptlingen, und Peteh war bei ihnen. Ich überflog diese Indianer alle mit einem prüfenden Blicke und glaubte, sie auf wenigstens sechshundert schätzen zu müssen.

Man glaube ja nicht, daß ich etwa, als ich zwischen ihnen hindurchritt, aus Scham, gefangen zu sein, eine verlegene Miene gezeigt hätte. Im Gegenteile, ich sah ihnen allen frei, offen und mit forschendem Blicke in die mit den Kriegsfarben bemalten Gesichter und erlaubte meinem Rappen den koketten Tänzelschritt, der ihm so unübertrefflich stand. Die Roten saßen unbeweglich; keiner rührte sich; die Gesichter waren starr; aber in den Augen glühte umso mehr Leben. Es war kein Laut, kein Wort, kein Ruf zu hören, bis wir hindurch waren und nun vor den Häuptlingen hielten. Auch diese waren natürlich zu Pferde. Ihre Gesichter glänzten vor Fettfarbe, und ihre Federgeflechte hingen ihnen von den Köpfen bis auf die Kruppen der Pferde herab.

Als ich meinen Hengst vor ihnen halten ließ, und, ohne Peteh der Beachtung zu würdigen, meinen Blick gerad und fest in das Auge Yakonpi-Topas richtete, sagte er im Tone eines Herrschers, der den geringsten seiner Unterthanen vor sich hat.

»Was dachte Old Shatterhand, als er durch die Reihen dieser tapfern Krieger ritt?«

»Ich dachte an die mächtigen Kaiser und Könige meines Vaterlandes, welche, wenn sie Einzug halten, ganz ebenso von Kriegern empfangen werden wie jetzt ich.«

»Uff! Old Shatterhand vergleicht sich mit berühmten Herrschern und trägt doch Fesseln an den Händen und den Füßen!«

»Ich bin stolz auf sie, denn sie schänden nicht mich, sondern sie sind ein Zeichen der Feigheit derer, welche, hundert Mann stark, sich nicht offen an mich wagten, sondern mich von hinten aus dem Busche niederschlugen!«

»Uff! Darf ein Gefangener solche Worte sprechen?«

»Ein Gefangener? Yakonpi-Topa, der Häuptling der Kikatsa-Upsaroka, mag mir sagen, wen er mit diesem Worte meint!«

»Dich!« antwortete er verwundert.

»Mich, mich hältst du für gefangen?!«

»Uff, uff! Deine Hände sind auf dem Rücken und deine Füße unter dem Leib des Pferdes zusammengebunden! Bist du da gefangen oder frei?«

»Ich bin frei!«

»Wei a keh – welch ein Wort! Ich sehe den Stolz auf deiner Stirn und die Kühnheit im Blicke deines Auges; aber die Freiheit, deren du dich rühmst, die sehe ich nicht!«

»Ich bin nie ein Feind der Kikatsa gewesen und habe den Kriegern der Upsaroka's stets gegen die Sioux, welche zwar ihre Verwandten aber dennoch ihre Todfeinde sind, im Kampfe beigestanden. Ist das so oder nicht?«

»Uff! Old Shatterhand spricht mit einer sehr verwegenen Zunge, aber es ist so, wie er sagt.«

»Du sagst, daß es so sei; folglich bin ich von dem Augenblicke an, an welchem ich mich bei euch befinde, ein freier Krieger!«

»Du bist Gefangener unsers Verbündeten!«

»Wer ist das? Ich kenne ihn nicht.«

»Es ist Peteh, der Häuptling der Blutindianer.«

»Pshaw! Hat er gesagt, daß ich sein Gefangener sei?«

»Er sagte es.«

»Er log. Ich werde ihm zeigen, ob ich gefangen bin oder frei. Macht eure Augen auf, ihr Krieger der Upsaroka's! Tschah!!«

Wer den Indianer kennt, der weiß, wie er ihn zu nehmen hat. Nichts imponiert ihm mehr als ein kühner Streich, und der echte, begründete Stolz gefällt ihm auch bei seinem ärgsten Feinde. Ja, ich war gefesselt. Ich hatte die Hände auf dem Rücken, und meine Füße waren unter dem Pferde hinweg durch einen Doppelriemen festgehalten; aber ich kannte mein Pferd und vertraute meinem Glücke. Hinter mir hielten die sechshundert Indianer, und vor mir sah ich das verlassene Lager; zwischen diesem und mir befanden sich nur die Häuptlinge, die keines solchen Streiches gewärtig waren. Das Wort »Tschah!« war, wie bereits einmal bei Winnetous Iltschi in Weston erwähnt, für unsere beiden Pferde die Aufforderung, hochzuspringen. Indem ich es fest zwischen die Schenkel nahm und, mich vorbeugend, dieses Wort ausrief, flog es, mir gehorchend, zwischen Peteh und einem Unterhäuptling hinein, sodaß sie mit ihren Pferden auseinandergetrieben wurden; einem zweiten Schenkeldrucke und dem anfeuernden Apatschenrufe »Atseh!« folgte eine Lançade, welche mich ganz hindurch und bis an die erste Hütte brachte; dann schoß das herrliche Tier in das Lager hinein. Hinter mir war es für einige Sekunden still; dann aber brach ein Geheul los, für welches es in keiner Sprache ein bezeichnendes Wort giebt. Ich sah es nicht, aber ich erfuhr es dann: alle sechshundert Indsmen drängten nach dem Lager, um mir zu folgen; jeder wollte vorwärts und keiner zurückbleiben. Das gab einen unbeschreiblichen Tumult, einen Wirrwarr, bei dem einer den andern hinderte. Viele Pferde wurden reiterlos; es gab einen förmlichen Kampf, bei dem es auch nicht ohne Verletzungen abging. Hütten wurden beschädigt oder gar niedergerissen; lose Teile der Kleidung, fliegender Federschmuck und ähnliche Dinge gingen verloren; kurz, dieser eine Mensch, den man einen Gefangenen nannte, hatte das ganze Lager und dessen Bewohner in einen Zustand versetzt, den man für ganz unmöglich halten sollte.

Für mich, der ich die Hände nicht frei hatte, war es keine Kleinigkeit, in fliegendem Galoppe zwischen den so regellos liegenden Hütten hindurchzukommen; es gelang mir aber, dank meines Hatatitla, der jeden meiner Gedanken zu erraten schien. Jenseits der letzten Hütte gab es niedriges Gebüsch; es ging hinein und hindurch, daß es nur so krachte; dann kam ein schmaler Streifen Wald, durch den ich langsamer ritt. Hierauf zog sich ein langgestreckter, ziemlich freier Grasstreifen bogenförmig nach links; der paßte mir; wir flogen, nun wieder in Carriere, auf ihm weiter. Nun kam ein steiniges Warr, mit Schlinggewächsen bewuchert; ich redete dem Hengste durch einige freundliche Worte zu – er kam hindurch. Nun noch mehr links wieder Wald, willkommenerweise mit ziemlich weit auseinander stehenden Bäumen. Es ging hinein, immer weiter und weiter, bis ich annehmen konnte, das Lager im Halbkreise umritten zu haben. Ich erreichte den Rand dieses Gehölzes und sah zu meiner Freude die beiden Höhen, zwischen denen wir bei unserm Eintreffen durchgekommen waren, zu meiner Rechten vor mir liegen. Links dehnte sich das Lager; kein Mensch war zu sehen, denn alle folgten hinter mir her. Ich flog hinüber, an den Hütten lang hin und blieb dann an derselben Stelle halten, von welcher aus der für die Indianer so unerwartete Ritt begonnen hatte.

Hatatitla stand so ruhig, als ob er gar nicht von diesem Orte weggekommen sei; nur durch ein mehrmaliges Werfen des schönen Kopfes deutete er an, daß er an der Sache Geschmack gefunden habe. Er hatte sich unübertrefflich gehalten! Wie gern hätte ich ihm durch Klopfen oder Streichen meine Anerkennung bewiesen; ich konnte ihn nur durch Worte liebkosen; er verstand mich aber auch so. Wer kein solches Pferd besessen hat, der kann es freilich wohl kaum verstehen, daß man unter Umständen nicht zögert, sein Leben für ein so edles Tier auf das Spiel zu setzen!

Jetzt hörte ich Stimmen da drüben im Walde, aus welchem ich zuletzt gekommen war. Man schrie so laut, daß ich es hier vernahm. Dann erschienen Reiter, einer, zwei, fünf, zehn, zwanzig und so weiter. Sie folgten meiner Fährte, die wieder nach dem Lager führte. Sie stutzten; dann sahen sie mich. Immer mehr kamen aus dem Walde hervor, einzeln oder zu Trupps vereint. Sie glichen einem zerstreuten Pulk von Kosaken, der seinen Sammelplatz da hatte, wo ich mich befand.

Die ersten, welche mich erreichten, wußten nicht, wie sie sich gegen mich verhalten sollten. Sie hielten es für das Beste, gar nichts zu sagen, aber mich so zu umringen, daß mir die Gelegenheit zu einem zweiten Durchbruche nicht geboten war. Dieser Kreis wurde immer zahlreicher und dichter. Man drängte sich so eng an mich, daß ich mir mit den Worten Luft zu machen versuchte:

»Sind die Söhne der Upsaroka's Fleischfliegen, die man aus dem Munde spuckt, oder sind sie Krieger, deren man nicht sechsmalhundert braucht, um einen einzigen Reiter zu bewachen? Wer kein Ungeziefer ist, der mache Platz für Old Shatterhand!«

Das half sofort; der Kreis wurde weiter auseinander gezogen und bot nun auch den Häuptlingen Raum, hindurch- und zu mir heranzukommen. Peteh blitzte mich mit tückischen Augen an, sagte aber kein Wort. Die Unterhäuptlinge waren still, weil sie nicht sprechen durften. Yakonpi-Topa hielt sein vor Anstrengung noch schnaubendes Pferd vor mir an und betrachtete das meinige mit bewundernden Blicken. Das Tier war ihm in diesem Momente wichtiger als der Reiter.

»Nun, habe ich bewiesen, daß ich frei sein kann, wenn ich will?« fragte ich.

Er antwortete mir nicht sofort, sondern wendete sich nach Peteh um und richtete die Worte an ihn:

»Peteh, der Häuptling der Blutindianer, befindet sich im Lager der Upsaroka-Krieger; er hat mir, als er kam, gesagt, daß er Old Shatterhand bringe, um ihn uns als Gefangenen zu übergeben. Ist dies sein Wille auch noch jetzt?«

»Ja,« antwortete der Gefragte. Er beurteilte andere Menschen nach sich selbst und war also wohl überzeugt, daß der Anführer der Upsaroka's, wütend über den ihm von mir gespielten Streich, mich nun mit doppelter Strenge behandeln werde. Darum fügte er hinzu: »Er sei euer, damit die Versammlung der Häuptlinge und alten Krieger über die Art seines Todes entscheiden möge!«

Nun wendete sich Yakonpi-Topa mir wieder zu und gab mir die Antwort:

»Ja, Old Shatterhand hat bewiesen, daß er frei sein kann, wenn er will. Wir hätten ihn nicht eingeholt, denn sein Pferd kann nur von dem Hengste Winnetous, des Häuptlings der Apatschen, erreicht werden. Die Riemen wären auch kein Hindernis für ihn gewesen, denn ein Krieger, wie er ist, weiß, wie er sich ihrer entledigt, wenn niemand da ist, der ihn hindert. Hat Old Shatterhand gehört, daß er uns übergeben worden ist?«

»Ja. Aber wer wagt es, mich für einen Gegenstand zu halten, den man geben und nehmen kann, wie man ein Geschenk giebt oder nimmt?!«

»Old Shatterhand mag nicht zürnen, sondern hören, was ich sage! Er wurde gefangen von hundert Feinden und her zu uns gebracht. Hier fand er sechsmal hundert Krieger und hat sich jedes ihrer Gesichter angeschaut. Sein Auge ist offen, und sein Mund spricht wahr; er ist stark wie der Bär, den er von vorn angreift; er ist aufrichtig wie die Blume, die ihren Kelch nicht verschließt; aber er ist auch klug wie sonst kein Bleichgesicht und wird nicht von mir verlangen, was ich ihm nicht geben kann. Er hat einen kühnen Ritt gethan und alle hier versammelten Krieger mit Erstaunen erfüllt. Er hätte sich retten können, ist aber freiwillig zurückgekehrt, weil er weiß, daß die Söhne der Upsaroka's mutige Thaten anerkennen und einen ehrlichen Feind von einem tückischen zu unterscheiden wissen. Sein Vertrauen zu uns soll nicht getäuscht werden. Er hat gehört, daß die Versammlung über ihn entscheiden wird. Bis dahin sollte er eigentlich den Wächtern gefesselt übergeben werden. Aber wenn er verspricht, bis zur Versammlung dieses Lager ohne mein Wissen nicht zu verlassen und nichts zu thun, was ich verbieten müßte, so nehme ich ihm jetzt die Fesseln ab, und er darf in der Hütte wohnen, welche ich ihm anweisen werde.«

Das war ja mehr, viel mehr, als ich für einstweilen erwartet hatte! Ich zögerte darum nicht, zu antworten:

»Yakonpi-Topa, der große Häuptling der Kikatsa, ist ein tapfrer Krieger, ein weiser Vater seines Volkes und ein gerechter Richter aller Angeschuldigten. Ich bin stolz darauf, in seiner Nähe und in seinem Lager weilen zu dürfen; aber er mag mir einige Fragen beantworten!«

»Old Shatterhand mag sie aussprechen!«

»Darf ich, wenn ich mich ohne Fesseln bewege, mit den beiden jungen Bleichgesichtern sprechen, welche mit mir von hinten überfallen worden sind?«

»Ja.«

»Muß ich bei der Versammlung wieder gefangen und gefesselt sein?«

»Ja.«

»Gilt das Wort, welches ich geben soll, auch über den Tag der Versammlung hinaus, sie mag beschließen, was sie will?«

»Nein.«

»So höre, was ich sage! Ich verspreche, bis zum Spruch der Versammlung das Lager nicht zu verlassen und auch nichts zu thun, was du mißbilligen würdest. Ich werde mich bei der Beratung wieder binden lassen. Mehr aber verspreche ich nicht. Wenn die Krieger und Ältesten nicht entscheiden, daß mir und den beiden Bleichgesichtern die Freiheit wiedergegeben wird samt allen Gegenständen, welche man uns genommen hat, so werde ich alles, selbst mein Leben, daransetzen, mich und sie zu befreien. Ja, ich werde dann keinen Upsaroka schonen, sondern ihn, wenn er mir im Wege steht, töten, falls er mich dazu zwingt. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Das Wort Howgh ist eine Bekräftigung des Gesprochnen, etwa wie unser Basta, Sela, Amen; es bedeutet soviel wie: abgemacht; fertig!

»Old Shatterhand hat gesprochen wie ein Mann,« antwortete der Häuptling. »Grad die nachfolgende Drohung giebt uns die Sicherheit, daß er das Vorhergesagte halten wird. Er ist ohne Arg und Falsch; er soll ungefesselt sein!«

Er stieg vom Pferde, um mir mit eigener Hand die Riemen abzunehmen. Da aber drängte sich Peteh herbei und rief:

»Warum werde ich, der Häuptling der Blutindianer, nicht auch gefragt? Dieses Bleichgesicht ist der Todfeind meines Stammes. Ich habe ihn euch übergeben, damit er euer Gefangener sei, und du giebst ihn jetzt frei?«

»Mein Bruder Peteh erzürne sich nicht überflüssig!« entgegnete Yakonpi-Topa. »Du hast deinen Willen, und ich habe den meinigen: Du, weil Old Shatterhand gefangen bleibt, und ich, weil er nun nicht mit Riemen, sondern durch sein Wort gefesselt ist. Am Tage der Versammlung werden wir ihm die Riemen wieder umlegen.«

»Er wird sein Wort nicht halten!«

»Er hält es!«

»Uff! Es falle alles auf dich!«

Der Häuptling der Kikatsa band mich los, und ich stieg vom Pferde. Diesen Anblick konnte Peteh nicht ertragen; er ballte die Faust, warf sie drohend empor und rief:

»Wenn dieser Hund es nur ein einzigesmal wagt, mir im Lager zu begegnen, so schieße ich ihn nieder!«

Ich würdigte ihn keines Blickes, wendete mich aber an Yakonpi-Topa, hielt ihm meine Hand hin und fragte:

»Hat der Häuptling der Kikatsa jemals etwas über diese Hand gehört?«

»Ja,« antwortete er.

»Was?«

»Diese Faust tötet selbst den stärksten Krieger mit einem Schlage.«

»Man hat dir die Wahrheit gesagt. Meine Waffen sind mir genommen worden, aber diese Faust hat man mir lassen müssen. Und nun hört, ihr tapfern Krieger der Upsaroka's alle: Ich habe jetzt das Wort Hund hören müssen; auch wurde mir mit Niederschießen gedroht. Der Mund, aus welchem ich dieses Wort oder ein ähnliches nochmals höre, öffnet sich für dieses Leben niemals wieder. Und der Mensch, welcher, so lange ich mich hier befinde, ohne Erlaubnis des Häuptlings der Kikatsa eine Waffe gegen mich erhebt, hat sie zum letztenmal im Leben in der Hand gehabt. Ich schlage ihn nieder, daß er wie ein Stein zu Boden fällt und da für immer liegen bleibt! Ich habe abermals gesprochen. Howgh!«

Es herrschte tiefe Stille rund umher; darum mußte es jedes von den zwölfhundert Ohren hören, als Peteh jetzt ein höhnisches Gelächter ausstieß und mir zurief:

»Meinst du, daß ich mich vor deiner Hand fürchte? Erheb' sie doch einmal gegen mich, wenn ich dich jetzt zu Boden reite!«

Es war ihm wirklich Ernst mit dieser Drohung. Um sie auszuführen, spornte er sein Pferd so schnell auf mich ein, daß ich kaum Zeit fand, zur Seite zu springen. Im nächsten Augenblicke aber hatte das Tier meinen Zeige- und Mittelfinger in den Nüstern; sie so weit wie möglich hinter schiebend, griff ich fest zu; ein rascher Schritt zur Seite, so daß ich neben dem Hals zu stehen kam – ein kurzer Druck des Maules nach oben, dann ein scharfer, kräftiger Riß nach hinten, den ich mit einem Griff der andern Hand in der Mähne unterstützte – das Pferd brach hinten zusammen; noch ein Ruck, und es lag auch vorn an der Erde; der Blutindianer flog aus dem Sattel und bekam meine Faust an den Kopf, daß er liegen blieb, während das Pferd sich aufraffte und dann zitternd und vor Angst schnaufend bei ihm stand.

›»Uff, uff, uff, uff!« ertönten rings die Rufe der verwunderten Roten.

»Uff, uff!« rief auch Yakonpi-Topa. »Ist er tot?«

»Nein, denn er wollte mich nur niederreiten; nun liegt er selber da; er wird sich wieder zu sich finden. Hätte er aber ein beleidigendes Wort gesagt oder nach einer Waffe gegriffen, so wäre er jetzt tot. Ich halte Wort!«

»Uff! Ein Pferd so niederzuwerfen, das sah man hier noch nie! Uff, uff!«

»Pshaw! Das kann ein jeder thun. Es gehört mehr Geschicklichkeit als Kraft dazu. Wenn du willst, so werde ich's dich lehren.«

»Ich muß dies lernen; ja! Was wollen diese Krieger hier?«

Er richtete diese Frage an die Blutindianer, welche sich herbeidrängten und Drohungen gegen mich ausstießen.

»Er hat sich an Peteh, unserm Häuptling, vergriffen; das fordert Blut; er muß sterben!« rief der Alte, der am Fleischwasser neben dem Anführer gesessen hatte.

»Weicht zurück!« gebot der Kikatsa. »Old Shatterhand steht unter meinem und meiner Krieger Schutz. Wollt ihr uns zwingen, gegen euch zu unsern Waffen zu greifen? Sollen Verbündete sich morden, weil euer Häuptling vergessen hat, daß hier in diesem Lager nur ich allein zu befehlen habe!«

»So können wir nicht im Lager der Upsaroka's wohnen, sondern werden uns ein eigenes errichten! Wir dürfen nur einem Häuptling unseres Stammes gehorchen!«

»Mein Bruder hat klug gesprochen,« antwortete Yakonpi-Topa. »Ein Lager kann nicht zwei Häuptlinge haben, welche beide befehlen wollen. Legt euch ein anderes an!«

Das hatte der alte Fuchs nicht erwartet! Am Fleischwasser war er für unsere Auslieferung an die Krähen gewesen, welche freilich kaum umgangen werden konnte. Er hatte wahrscheinlich geglaubt, daß unser Schicksal trotzdem von dem Willen Petehs abhängig bleibe, weil diesem ja die entscheidende Stimme zufallen werde. Jetzt, da die Verhältnisse sich günstig für mich legten, wollte er durch die Drohung, ein abgesondertes Lager zu beziehen, auf den Kikatsa einen Druck ausüben, dessen Wirkung sich gegen mich richten sollte. Daß ihm dieser, allerdings ohne ihn zu durchschauen, ein Paroli bog, machte seinen Plan zu Schanden und erregte seinen Ärger in einer solchen Weise, daß er die Unvorsichtigkeit beging, sich durch ihn zu einer Drohung verleiten zu lassen:

»Wenn Peteh, unser Häuptling, nicht bei den Kriegern der Upsaroka's wohnen soll, wird er auch nicht mit ihnen gegen die Schoschonen kämpfen wollen!«

Da nahmen die Züge des Kikatsa jene Starrheit an, welche auf einen gewaltsam unterdrückten innern Ausbruch deutet.

»Spricht mein Bruder das für sich oder für ihn?« fragte er.

»Für ihn und mich, für alle unsere Krieger.«

»Er will also hier befehlen, und wenn er das nicht soll, wird er uns seine Hilfe versagen?«

»Ja. Du wirst unsere hundert tapferen Krieger verlieren, und zwar nur wegen dieses Bleichgesichtes hier, welches stets euer und auch unser Feind gewesen ist. Und da wir nicht aus solcher Ferne hierher gekommen sind, um ohne Kampf und Beute wieder heimzureiten, so ist vorauszusehen, wozu sich unser Häuptling dann entschließen wird.«

»Wozu?«

»Er wird euch verlassen und uns zu den Schoschonen führen, um ihnen gegen euch beizustehen.«

»Uff! Der Krieger der Blutindianer beantworte mir einige Fragen! Weshalb haben wir die Beile des Krieges gegen die Schoschonen ausgegraben?«

Er nannte den Alten jetzt schon nicht mehr »mein Bruder«, sondern den »Krieger der Blutindianer«; der Ausbruch schien also nahe bevorzustehen. Der Gefragte antwortete:

»Weil die Schoschonen sechs Upsaroka's getötet haben.«

»Woher weiß ich das?«

»Ich habe es dir gesagt; ich war dabei, als sie es thaten, konnte es aber nicht verhindern, weil ich in zu großer Entfernung davon stand.«

»Also dein Mund war es, wegen dessen Rede wir ausgezogen sind, um die Schoschonen zu strafen. Dein Mund war es, welcher uns zur Rache aufforderte. Dein Mund war es, welcher die Schoschonen feige, stinkende Mörder nannte und uns den Beistand eurer Krieger verhieß. Dein Mund war es auch, welcher mir versprach, daß diese Krieger nur meinen Befehlen zu gehorchen hätten. Nun aber kommt Peteh, euer Häuptling, und will, daß ich ihm gehorche, und da ich dies nicht thue, drohst du mir, daß ihr euch unsern Feinden, von denen du nicht schlimm genug erzählen konntest, zuwenden wollt!«

»Nur dieses Bleichgesichtes wegen, welches du uns nehmen willst!«

»Pshaw! Stände euer Häuptling jetzt an deiner Stelle, und wären deine Worte aus seinem Munde gekommen, so würde ich ihm mit dem Tomahawk, aber nicht mit den Lippen antworten; da du aber kein Häuptling bist, will ich eine Antwort geben, welche nicht für ihn, sondern nur für dich zu gelten hat. Also höre: Wenn ihr wegen dieses weißen Kriegers gehen wollt, so geht! Der Kopf und der Arm Old Shatterhands, diese sind mehr wert als die Arme und Köpfe von hundert Blutindianern! Das ist es, was ich dir, nicht ihm sage. Willst du es ihm mitteilen, so thue es! Nun zieht fort, oder baut euch Hütten hier in unserer Nähe, ganz wie ihr wollt. Aber was mit Old Shatterhand geschehen soll, das wird die Versammlung bestimmen, an welcher Peteh teilnehmen soll, doch nicht dieser allein. Meine Krieger stehen hier; sie werden darauf achten, daß nur Peteh, sonst aber kein Blutindianer, unser Lager betritt. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Er wendete sich um und winkte mir. Ich nahm Hatatitla beim Zügel und folgte dem Kikatsa, nicht wenig erfreut über diesen weitern Erfolg meiner Weigerung, mich wie ein unerfahrenes Greenhorn behandeln zu lassen.

Er führte mich nach dem Mittelpunkte des Lagers, wo eine Hütte stand, welche größer als die andern war. Zwei vor dem Eingange in der Erde steckende und mit Federn geschmückte Lanzen verrieten, daß es die seinige sei. Ich hobbelte mein Pferd an und ging dann mit ihm hinein.

Das Innere bot nicht die geringste Bequemlichkeit. Eine auf der Erde liegende Pferdedecke bildete die ganze Ausstattung, das ganze Meublement.

»Old Shatterhand setze sich nieder, bis ich ihm eine Hütte habe bauen lassen!« sagte er; dann ging er wieder.

»Old Shatterhand!« Wenn ich es soweit bringen könnte, daß er sich statt dieses Namens des Ausdruckes ›mein Bruder‹ bediente! Wo steckten Rost und Carpio und wo Corner und seine Kumpane? War Hiller mit hier? Besonders diese letztere Frage hatte jetzt Wichtigkeit für mich. Hiller war kein Mörder. Wenn er ja bei der Tötung der sechs Krähen beteiligt gewesen war, hatte er jedenfalls nur aus Notwehr gehandelt. Wenn er sich mit hier im Lager befand, so mochte die Versammlung über mich beschließen, was sie wollte, ich war entschlossen, ihn loszumachen. Jetzt für den Augenblick konnte ich freilich nichts thun als warten, und das that ich in aller Ruhe, zumal ich neben den rein äußerlichen Vorteilen auch schon einen sehr wichtigen moralischen errungen hatte, indem Yakonpi-Topa der Meinung gewesen war, daß eine Verbindung mit mir derjenigen mit hundert Blutindianern vorzuziehen sei.

Als er nach einer Weile in die Hütte zurückkehrte, kamen zwei Rote mit, welche einige lange, aus Decken gewundene Bündel niederlegten und sich dann wieder entfernten. Der Häuptling setzte sich mir gegenüber und betrachtete mich längere Zeit mit unverheimlichter Aufmerksamkeit. Er schien zu erwarten, daß ich das Gespräch beginnen würde; ich wußte aber, was ich mir und meinem Namen schuldig war, und schwieg also. Darum fing endlich er mit der Frage an:

»Old Shatterhand ist mit Winnetou beisammen gewesen?«

»Ja,« antwortete ich.

»Wo hat er sich von ihm getrennt?«

»Das brauche ich dem tapfern Häuptling der Kikatsa doch nicht erst zu sagen, denn er hat es jedenfalls von den Blutindianern und deren Gefangenen gehört.«

»Uff! Old Shatterhand hat richtig gesprochen. Wo wird sich der Häuptling der Apatschen jetzt befinden?«

»Selbst wenn ich das wüßte, würde ich es dir sagen, dessen Gefangener ich bin?«

»Nein. Er wird sich alle Mühe geben, dich aus der Gefangenschaft zu befreien?«

»Pshaw! Ich brauche seine Hilfe nicht. Wohl aber hättest du seinen Beistand nötig.«

»Uff! Ich?«

»Ja.«

»Old Shatterhand sagt nie etwas, was er nicht beweisen kann; ich bin bereit, die Gründe dieser Behauptung zu hören.«

»Die sind sehr einfach. Du willst die Schoschonen bekämpfen und hast sechshundert Mann bei dir, von denen du den hundert Blutindianern schon jetzt nicht trauen darfst; die Schoschonen aber können über zehnmal hundert Krieger zusammenbringen!«

»Sind sie denn beisammen? Wissen die Schoschonen, daß wir kommen und wo wir uns jetzt befinden?«

»Meinst du, daß sie keine Kundschafter senden?«

»Die schickt man doch nur dann aus, wenn man weiß, daß man bekriegt werden soll!«

»Wissen das die Schoschonen nicht? Meinst du wirklich, daß eine Schar von sechshundert Kriegern durch die Berge ziehen kann, ohne daß sie gesehen und beobachtet wird? Vor schon fast einem Mond wurde fern von hier in den Städten der Bleichgesichter davon gesprochen, daß die Krähen gegen die Schlangen ziehen wollen; wenn das die Weißen wissen, sollten es die Schlangen nicht auch erfahren haben?«

»Uff!« sagte er betroffen.

»Du kannst dich darauf verlassen, daß sie unter Umständen euch mit über tausend Kriegern empfangen werden. Darum habe ich gesagt, daß dir der Beistand des Apatschen nötiger sei als mir.«

»Wie könnte er uns beistehen, da er ein Freund unserer Feinde ist!«

»Er ist, ganz ebenso, wie ich es bin, ein Freund aller roten Männer; er bleibt auch dann ihr Freund, wenn sie sich untereinander entzweit haben. Er würde mit Freuden bereit sein, Frieden zu stiften zwischen euch und den Schoschonen.«

Da streckte er beide Hände abwehrend aus und rief:

»Frieden? Die Kriegsbeile sind ausgegraben, weil die Schlangen unsere Krieger ermordet haben; nur Blut kann diese That abwaschen. Wie kann Friede zwischen uns und ihnen sein! Und wenn mehr als zehnmal hundert Schoschonen gegen uns gezogen kämen, wir würden uns doch nicht vor ihnen fürchten, denn Wagare-Tey, der Kriegshäuptling dieser Leute, ist ein junger Hund, der noch nicht beißen kann.«

»Vergiß nicht, daß Avaht-Niah, der oberste Häuptling der Schoschonen, zwar seines hohen Alters wegen daheim bleiben muß, aber jedenfalls dem jungen Häuptlinge seinen Rat und seine Erfahrungen mitgegeben hat!«

»Was nützen die Erfahrungen anderer, wenn man sie nicht in dem eigenen Kopfe hat! Und dem Häuptling der Apatschen muß ich raten, auch während unsers Kriegszuges das zu bleiben, was er nach deinen Worten ist, nämlich ein Freund aller roten Männer. Wenn er sich auf die Seite der Schoschonen stellte, also gegen uns, würde er das nicht mehr sein, sondern unser Feind, und hätte also keine Schonung von uns zu erwarten. Wo befand sich Old Shatterhand, als er von unserm Kriege mit den Schoschonen erfuhr?«

»Unten im Lande der Bleichgesichter.«

»Warum ist er hier heraufgekommen?«

»Um den Schoschonen gegen euch beizustehen.«

»Uff!« fuhr er mehr verwundert als erzürnt empor. »Das sagt Old Shatterhand so aufrichtig?«

»Ich bin ein tapferer Krieger und du bist ein tapferer Krieger. Wir sind beide zu stolz, Lügen zu sagen oder Lügen anzuhören und zu glauben!«

»Uff! Old Shatterhand spricht allerdings sehr kühn, aber ich muß ihn darum achten! Weiß er, weshalb wir die Kriegsbeile gegen die Schoschonen ausgegraben haben?«

Um keine Unwahrheit zu sagen, antwortete ich unbestimmt:

»Ich habe die Schoschonen noch nicht getroffen. Vielleicht werde ich es von dir erfahren.«

»Diese Hunde haben sechs meiner Krieger erschossen!«

»Ist das wahr?«

»Ja; du hast es ja vorhin von dem alten Krieger der Blutindianer gehört, der es gesehen hat.«

»Wer hat es noch gesehen?«

»Niemand als er und einige seiner Krieger.«

»Ist er ein Mann, dem man alles glauben darf?«

»Warum hätte ich es bezweifeln sollen?«

»Jeder Zweifel kann mehrere Gründe haben. Mir kommt dieser Alte nicht wie ein Mann vor, dem man Vertrauen schenken darf. Es ist sogar nicht unmöglich, daß er das, was er selbst that, dann auf andere schob. Hast du das untersucht?«

»Das war nicht notwendig. Meine sechs Krieger waren ausgezogen, um die Felle zu holen, welche wir erbeutet und an verschiedene Orte versteckt hatten. Wir fanden zuerst ihre Leichen und dann bei den Schoschonen die Felle. Ist das nicht Beweis genug?«

»Hm! Wieviele Schoschonen waren es?«

»Vier; sie sind am Marterpfahle gestorben.«

»Waren sie allein?«

»Nein. Es war ein Bleichgesicht dabei.«

»Dieses Bleichgesicht heißt Nana-po?«

»Uff! Old Shatterhand kennt ihn?«

»Ja. Ich weiß noch mehr.«

»Was?«

»Die Felle, welche ihr bei den Schoschonen gefunden habt, gehörten ihnen oder auch schon Nana-po, der sie ihnen abgekauft hatte. Es waren nicht die Felle, welche deinen erschossenen sechs Kriegern abgenommen worden sind.«

»Uff!« rief er wieder.

»Es ist also sehr leicht möglich,« fuhr ich fort, »daß eure Krieger nicht von den Schoschonen und von Nana-po erschossen worden sind.«

»Old Shatterhand spricht Unbegreifliches!«

»Du hast an die Squaw von Nana-po einen Brief geschrieben?«

»Ja. Auch das weißt du?«

»Du verlangst in diesem Briefe für seine Freilassung binnen vier Monden soviel Gewehre, wie die Sonne Tage hat?«

»So ist es. Wer hat das Old Shatterhand gesagt?«

»Seine Squaw. Ich habe deinen Brief gelesen und bin gekommen, um mit dir über die Gewehre zu sprechen.«

»So bist du der Abgesandte dieser Squaw?«

»Ja.«

»Uff, uff! Wer hätte das gedacht, als man dich als Gefangenen brachte! Ich bin bereit, zu hören, was Old Shatterhand mir über die Gewehre, welche ich gefordert habe, mitzuteilen hat.«

Er sah mir höchst erwartungsvoll in das Gesicht; ich zeigte ihm mein freundlichstes Lächeln und antwortete:

»Ich bin allerdings überzeugt, daß Yakonpi-Topa, der Häuptling der Kikatsa-Upsaroka's, welcher mir gegenübersitzt, sehr gern wissen möchte, was ich ihm darüber zu sagen habe; aber ich muß ihn leider um Geduld bitten.«

»Warum?«

»Wenn man einen Gefangenen loskauft, muß man erst wissen, ob er die Gefangenschaft verdient. Du würdest mir also erlauben müssen, diese Sache zu untersuchen.«

»Uff!« antwortete er zurückweisend.

»Und deshalb mit Nana-po zu sprechen.«

»Uff, uff!«

»Und höre besonders, was ich dir jetzt sage: Selbst wenn ich diese Gewehre zahlte, würde – ich – sie – nur – einmal – zahlen!«

Ich legte auf jedes dieser letzten sechs Worte einen ganz besonderen Ton. Er verstand mich, erkundigte sich aber doch:

»Wie meint das Old Shatterhand?«

»Ich würde die Gewehre nur in dem Augenblicke geben, an welchem mir der Gefangene ausgeliefert wird.«

»Meint Old Shatterhand, daß ich ihn täuschen würde?«

»Mich nicht, oh nein, mich gewiß nicht. Es sind noch sechs Bleichgesichter bei Nana-po gewesen. Wo befinden sich die?«

»Das weiß ich nicht.«

»Schön! Wenn ich von den Gewehren spreche, meine ich nur immer den Fall, daß Nana-po eine Schuld auf sich geladen hat, welche mit ihnen bezahlt werden muß, und ich sagte bereits, daß das noch nicht erwiesen ist und ich es erst untersuchen muß. Und nun kommt vor allen Dingen die Hauptsache: Ein Gesandter ist als freier Mann zu betrachten und zu behandeln; ich bin jetzt aber Gefangener. Ich kann also nicht eher von den Gewehren mit dir sprechen, als bis ich frei bin.«

»Uff!« rief er aus, von dem Trumpfe, den ich so unerwartet ausspielte, im höchsten Grade überrascht.

»Ja,« fuhr ich fort, »wenn die Versammlung nicht meine Freiheit beschließt, meine vollständige Freiheit, so kann von den Gewehren keine Rede sein! Ich habe es gesagt, und was Old Shatterhand sagt, das gilt. Howgh!«

Ein Indianer muß seine Gefühle verbergen können; auch Yakonpi-Topa gab sich Mühe, zu verheimlichen, daß ihn diese meine Bedingung in Verlegenheit brachte. Er nahm einen Gedanken zu Hilfe, welcher ihm sehr gelegen kam:

»Old Shatterhand darf nicht klagen. Ich habe ihn bereits von seinen Fesseln befreit und kann zwar gegen die Bestimmung der Versammlung nichts thun, werde ihm aber noch weiter beweisen, daß ich ihn nicht als unsern, sondern nur noch einstweilen als den Gefangenen der Blutindianer betrachte.«

Er öffnete die Bündel. Sie enthielten die Gewehre von Carpio, Rost, Sheppard, Corner, Eggly und dem alten Lachner, ferner ihre andern Waffen und dazu sämtliche übrigen Gegenstände, die ihnen abgenommen worden waren.

»Die Gefangenen wurden uns übergeben, so mußten wir einstweilen, bis die Versammlung darüber entschieden haben wird, auch ihr Eigentum bekommen,« erklärte der Häuptling.

»Old Shatterhand mag sich nehmen, was ihm gehört; es wird entschieden werden, ob er es behalten darf oder nicht.«

Natürlich ließ ich mir das nicht zweimal sagen; ich langte hocherfreut zu und war nun nach dieser neuen Errungenschaft doppelt überzeugt, daß mir unser Fortkommen keine unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten machen werde. Als ich alles in den Gürtel und in die Taschen gesteckt hatte, sagte ich:

»Yakonpi-Topa, der tapfre Häuptling der Kikatsa, thut wohl daran, mir ein solches Vertrauen zu schenken; er wird den Beweis später erhalten. Noch größere Dankbarkeit aber würde er sich erwerben, wenn er die Hütte, welche für mich errichtet werden soll, für drei Personen herstellen lassen wollte.«

»Welches sind die andern beiden?«

»Die zwei jungen Männer, welche mit mir ergriffen worden sind. Sie besitzen keine Kenntnis von dem wilden Westen und sind so krank und schwach geworden, daß sie den Tag der Beratung vielleicht gar nicht erleben würden. Außerdem gebe ich für sie mein Wort, so wie ich es für mich selbst gegeben habe, daß sie das Lager bis zum Versammlungstage ohne deine Erlaubnis nicht verlassen werden. Sie sind besondere Bekannte von mir.«

»Ich habe sie gesehen und wollte mit ihnen sprechen; sie konnten aber nicht antworten. Sie sind wie Vögel, welche keine Flügel haben. Aber wenn sie mit Old Shatterhand zusammenwohnen, und er trägt seine Waffen, so ist es nutzlos, wenn ich ihnen die ihrigen vorenthalte. Sie können ja doch nicht damit umgehen!«

»Nein. Stecken sie mit den andern weißen Gefangenen zusammen?«

»Nein. Peteh, der Häuptling der Blutindianer, hielt sie von ihnen getrennt, und so habe auch ich sie abgesondert.«

»Will Yakonpi-Topa mir diese meine Bitte erfüllen?«

»Ja. Old Shatterhand mag mit mir kommen, damit ich ihm zeige, wo die beiden Bleichgesichter sich befinden!«

Wir gingen hinaus, wo zwischen den Hütten jetzt mehr Leben herrschte als da, wie ich während meiner Scheinflucht hindurch geritten war. Die Roten sahen, daß ich jetzt das Messer und die Revolver wieder hatte, doch verbot ihnen der Stolz, eine erstaunte Miene darüber zu zeigen. Wir kamen an der Stelle vorüber, wo die für mich bestimmte Wohnung errichtet wurde. Sie war beinahe fertig und so groß, daß es zur Aufnahme meiner beiden Gefährten gar keiner Vergrößerung bedurfte. Diese befanden sich in einer in der Nähe liegenden Hütte. Der Häuptling ging nicht weiter mit; er zeigte sie mir nur und fügte hinzu:

»Old Shatterhand wird sein Wort halten und nichts thun, was ich nicht gestatten dürfte. Wenn er mich sucht, so weiß er mich zu finden.«

Er gab dem Roten, welcher vor dem »Gefängnis« Wache stand, einen Wink, worauf sich dieser entfernte. Ich trat ungehindert ein.

Sie lagen gefesselt an der Erde. Es war noch Tag, und die Helligkeit drang zwischen dem dünnen Zweigwerk der Wände herein; ich konnte sie also ganz deutlich sehen. Rost sah leidend, sehr leidend aus; der mehrtägige Ritt vom Fleischwasser hierher hatte ihn außerordentlich angegriffen; doch als mein Blick auf Carpio fiel, hätte ich laut aufweinen mögen. Ich nahm mich aber zusammen und that es nicht, weil das seinen Zustand nur hätte verschlechtern können. Er glich einem Skelette, und schon nach wenigen Augenblicken bemerkte ich den kurzen, trockenen Husten, welcher sich aus seiner kranken Lunge herausquälte.

»Sappho!« rief er mir leise entgegen.

Ich habe schon bei früheren Gelegenheiten einigemale gesagt, daß jemand leise gerufen habe. Ein berühmter Recensent schrieb mir, daß er so rücksichtsvoll sein wolle, mich nicht öffentlich sondern privatim darauf aufmerksam zu machen, daß es selbstverständlich ganz unmöglich sei, leise zu rufen; ein Ruf sei immer laut. Verehrtester Herr Kritikus, können Sie zu Ihrem Herrgott nicht sogar in Gedanken rufen? Ich lasse einen Flüsterruf zehn Schritte weit nach vorn hören, der aber hinter mir nicht drei Schritte weit vernommen wird. Wie oft hat mich Winnetou gerufen, ohne daß andere es zwei Meter davon gehört haben! Der letzte Ruf Sterbender auf Schlachtfeldern wird meist ein Hauchen, aber kein Schreien oder gar Brüllen sein. Hier liegt im Begriffe des Rufens mehr das Hastige als das Laute.

Also Carpio rief mir leise zu; zu einem lauten Freudenschrei war er zu matt. Ich kniete bei ihm nieder und band ihm die Riemen los; er ergriff meine Hände, sah mir liebevoll in die Augen und lächelte froh; mehr konnte er nicht. Auch Rost wurde von den Fesseln befreit.

»Gott sei Dank, daß Sie endlich, endlich kommen!« sagte dieser. »Die letzten Tage werden wir nie vergessen! Dieser Ritt, diese Anstrengung, diese Ermattung, dieser Hunger – – –!«

»Was –? Hunger?«

»Ja, seit vorgestern haben wir nichts bekommen!«

»Da hat man also bloß mich kräftig an den Marterpfahl bringen wollen! Wartet, ihr sollt gleich essen!«

Ich rannte fort. Es kostete mich nur ein Wort, zu bekommen, was ich brauchte. Dann kehrte ich zurück, und sie aßen – aßen – – aßen! Es war eine Wonne, ihnen zuzusehen. Rost erzählte mir dabei von ihren Leiden; dann bat er mich, ihnen zu berichten, wie es mir gegangen sei. Carpio, der sich nun etwas wohler fühlte, fragte da:

»Nicht wahr, es hat sich inzwischen herausgestellt, daß es nur eine einfache Verwechslung war?«

»Ja,« antwortete ich aus Rücksicht auf ihn.

»Dachte es mir doch gleich! Nun wir uns bei den Indianern befinden, wird das nicht wieder vorkommen. Naturvölker kennen die Worte Zerstreuung oder Gedankenlosigkeit gar nicht. Wir sind also jetzt frei?«

»Ich will mich einmal so ausdrücken: offiziell noch nicht. Die Versammlung der ältesten Krieger hat noch darüber zu bestimmen. Ihr braucht aber nicht die geringste Sorge zu haben, denn es versteht sich ganz von selbst, daß wir freigesprochen werden; es ist das nur noch der Form wegen. Ich kam, um euch nach meiner Hütte zu holen, wo wir zusammen wohnen werden. Auch eure Waffen und alle eure Sachen bekommt ihr wieder; das muß euch die Überzeugung geben, daß es mit euern Leiden nun zu Ende ist.«

Ich erzählte ihnen soviel, wie ich für gut fand; alles, was sie beängstigen konnte, ließ ich weg. Als sie gegessen hatten, erklärte Carpio, daß er sich viel, viel besser und kräftiger fühle als vorher, und wir gingen nach unsrer Hütte, welche inzwischen fertig geworden war. Ich holte die Sachen der beiden Kameraden. Ich bekam alles, nur die Pferde nicht, nämlich Rosts Braunen und Corners Fuchs, den ich uns nicht entgehen lassen wollte. Peteh gab sie, wie ich erfuhr, nicht her. Ich hielt es für klug, bis zu einer bessern Gelegenheit zu warten. Um so mehr sorgte ich für meinen Hengst, dem es an nichts mangeln durfte.

Als es dunkel geworden war, brannten wir ein Feuer vor der Hütte an und setzten uns hinaus. Kein gewöhnlicher roter Krieger wagte es, uns zu stören; nur der Häuptling kam später, um nach etwaigen Wünschen zu fragen. Ich bat ihn, die andern weißen Gefangenen einmal beschleichen zu dürfen, und als er mich nach dem Grunde fragte, antwortete ich:

»Sie sind Feinde aller braven Krieger der Indianer und der Bleichgesichter; sie haben schon oft gestohlen und gemordet; es ist ihnen das größte Verbrechen zuzutrauen, und wahrscheinlich beraten sie jetzt darüber, ob es ein Mittel gibt, euch zu entkommen. Wenn ich es hörte, würde ich es dir sagen.«

»Gut, so mag Old Shatterhand dann, wenn nur noch die Wachtfeuer brennen und es bei ihrer Hütte dunkel ist, versuchen, ob es ihm gelingt, etwas zu erlauschen!«

Ich wartete diese Zeit ab. Es brannten nur noch einige Feuer im Umkreise des Lagers; im Innern desselben aber war es dunkel. Ich schlich mich zu der Hütte, in welcher Corner, Sheppard, Eggly und Lachner gebunden lagen. Vor derselben saß ein roter Wächter, welcher von meinem Kommen unterrichtet war und mich nicht hinderte. Es war wohl kaum anzunehmen, daß die Gefangenen seinetwegen schwiegen, denn er verstand auf alle Fälle das Englische nicht so, daß er jedes ihrer Worte zu unterscheiden vermochte. Indem ich mit den Händen leise sondierte, fand ich tief unten am Boden eine Lücke, welche groß genug war, meinen Kopf hineinzustecken.

Sie schliefen noch nicht; sie unterhielten sich noch, aber in solcher Weise, daß nur zuweilen einer ein paar Worte sagte. Und was ich hörte, war für mich von keinem persönlichen Interesse. Ich lag wohl eine Stunde lang da, ohne etwas Wichtigeres zu erfahren, als daß Corner die Fesseln schmerzten und dem Prayer-man der Schnupftabak, den man ihm abgenommen hatte, außerordentlich fehlte; er war, wie schon früher einmal erwähnt, ein leidenschaftlicher Schnupfer. Schon wollte ich mich zurückziehen, da hörte ich den alten Lachner sagen:

»Ich kann gar nicht sagen, wie ich mich ärgere, daß es so gekommen ist! Es war alles so herrlich eingefädelt. Der dumme Junge, der sich meinen Neffen schimpft, hätte zwar daran zu Grunde gehen müssen, weil wir ihn gezwungen hätten, die Goldproben aus dem tiefen Wasser zu holen; das hält kein Teufel aus; aber es wäre gar nicht schade um ihn gewesen; ich habe ihn deshalb mitgenommen. Wären die Proben gut ausgefallen, hätte ich später Maschinenkraft angewendet. Hole es der Teufel! Hoffentlich aber gelingt es uns in der Weise, wie wir es vorhin ausge – –«

»Still, kein Wort!« unterbrach ihn Eggly. »Solche Sachen dürfen höchstens geflüstert werden, denn der rote Halunke da draußen könnte doch vielleicht ein Wort auffangen, aus welchem ein Verdacht heraus zuziehen wäre. Wollen versuchen, ob wir in diesem erbärmlichen Neste schlafen können!«

Es wurde ruhig, und ich entfernte mich.

Also hatte Lachner von Corner und Sheppard doch erfahren, daß man tauchen müsse! Und der alte Sünder war so gewissenlos gewesen, Carpio zu diesem Zwecke mitzuschleppen! Ich meldete dem Häuptling, daß die Gefangenen allerdings an Flucht dächten, ich aber nichts darüber hätte erfahren können. Da ich den Blutindianern nicht recht traute, bat ich ihn, seine Wachen während der Nacht ein scharfes Auge auf sie halten zu lassen. Er versprach es mir nicht nur, sondern forderte mich sogar auf, den jetzt von ihm beabsichtigten Rundgang um das Lager mit zu thun und den Wächtern diese meine Weisung selbst zu erteilen.

Die Blutindianer hatten sich in einiger Entfernung vom östlichen Ende des Lagers ihre Laubzelte errichtet. Wir gingen also erst nach dieser Seite, um die wachthabenden Kikatsa zu instruieren. Dann schritten wir an der nördlichen Seite herunter, wo unfern der äußersten Hütten ein schmaler Bach floß, aus welchem die Upsaroka das nötige Wasser holten. Es gab da nur ein Feuer. Als wir uns so weit von demselben entfernt hatten, daß es fast dunkel um uns herum war, hörte ich vom Bache her ein leise plätscherndes Geräusch. Ich blieb stehen und horchte. Es wiederholte sich wieder, aber nur für mein Ohr, denn es war so leise, daß es dem Häuptling gar nicht auffallen konnte; ich aber kannte es; es kam von Winnetou. Wir hatten verschiedene solcher Geräusche, welche wir je nach den Umständen in Anwendung brachten, miteinander verabredet.

Zu ihm hinüber durfte ich nicht, wenigstens nicht allein, denn ich hatte Yakonpi-Topa mein Wort gegeben, das Lager ohne seine Erlaubnis nicht zu verlassen. Sollte ich Winnetou etwa gar herüberrufen? Indem ich noch mit mir zu Rate ging und der Häuptling mich verwundert fragte, warum ich stehen geblieben sei, ohne einen Grund dazu zu haben, tauchte der Apatsche grad vor uns wie aus der Erde auf.

»Uff!« rief der Kikatsa erschrocken aus.

Ich legte ihm die Hand auf den Arm und sagte beruhigend:

»Der Häuptling der Kikatsa mag nicht erschrecken; er hat mich heut unter seinen Schutz genommen und steht nun jetzt unter dem meinigen. Hier ist Winnetou, der berühmte Häuptling der Apatschen.«

»Uff, uff! Winnetou – –!«

»Sprich leise, leise, sonst ist es allerdings um dein Leben geschehen! Wir werden hören, was Winnetou uns zu sagen hat, und dann kehren wir in das Lager zurück. Ich wiederhole, daß du nichts zu befürchten hast, denn ich erkläre hiermit dem Häuptling der Apatschen, daß ich mit Yakonpi-Topa zufrieden bin!«

Es war eine ganz eigentümliche Situation. Ich war Gefangener des Kikatsa; dieser wurde fünfzig Schritte von seinen Kriegern entfernt von Winnetou überfallen und wäre, wenn ich nicht durch mein Wort gebunden gewesen wäre, ganz gewiß von dem Apatschen gezwungen worden, Carpio, Rost und mich freizugeben!

»Mein Bruder Old Shatterhand hat richtig gesprochen: dem Häuptling der Kikatsa soll von mir kein Haar gekrümmt werden,« bestätigte Winnetou mit halblauter aber eindringlicher Stimme. »Ich habe in der Nähe des Lagers gelauscht und alles erfahren. Zuerst wird mir mein Bruder Shatterhand, und dann soll mir Yakonpi-Topa einige Fragen beantworten. Also mein Bruder Scharlih hat sein Wort gegeben, das Lager nicht ohne Erlaubnis zu verlassen?«

»Ja,« antwortete ich.

»Wenn er es gegeben hat, wird er es auch halten! Sind die beiden Bleichgesichter Rost und Carpio mit inbegriffen?«

»Ja.«

»Ist dein Hatatitla bei dir?«

»Ja.«

»Hat Peteh, der Häuptling der Blutindianer, auf deinen Tod verzichtet?«

»Nein.«

»Uff! Hast du einen Wunsch an mich?«

»Nein, denn ich weiß, daß du alle meine Wünsche erfüllen wirst, ohne daß ich sie auszusprechen brauche.«

»So wende ich mich jetzt mit einer Frage an den Häuptling der Kikatsa: Die Krieger der Upsaroka's haben das Kriegsbeil ausgegraben, weil sechs ihrer Männer von den Schoschonen erschossen worden sein sollen?«

»Ja,« antwortete Yakonpi-Topa, der sich noch immer nicht in die unerwartete Gegenwart des Apatschen finden konnte.

»Wo ist das geschehen?«

»Am Salbei-Fluß, welcher von Norden her in den Sweetwater mündet.«

»Von wem weiß das der Häuptling der Kikatsa?«

»Von einem alten Krieger der Blutindianer, welcher es gesehen hat und Innua Nehma heißt.«

»Dieser Alte hat gelogen. Winnetou weiß es besser. Bei den Schoschonen, welche die Mörder gewesen sein sollen, hat sich ein Bleichgesicht Namens Nana-po befunden?«

»Ja.«

»Dieser Nana-po wird noch festgehalten, weil seine weiße Squaw ihn mit Gewehren loskaufen soll?«

»Ja.«

»So will ich erzählen, wie es geschehen ist. Nana-po hatte von den Schoschonen Felle gekauft, welche nach dem Plattefluß transportiert werden sollten. Er und die sechs Bleichgesichter, welche er bei sich hatte, machten Pakete daraus, um sie zu tragen. Avaht-Niah, der große und vorsichtige Häuptling der Schoschonen, gab ihnen vier Krieger mit, um ihnen zu helfen und sie zu schützen. Sie kamen auf dem Sweetwater bis an die Mündung des Salbei-Creek. Dort hielten sie an, um nach der Rattle Snake Range zu gehen. Nana-po wanderte mit den vier Schoschonen und den Packpferden, welche die Felle trugen, voraus; die sechs andern Bleichgesichter waren für kurze Zeit zurückgeblieben, um noch Fische für das Abendessen zu fangen und dann den Gefährten nachzueilen. Da wurden sie von einer Schar von Blutindianern überfallen und ermordet, welche in der dortigen Gegend jagten. Als diese den Mord begangen und die Toten ausgeraubt hatten, wollten sie der Fährte der Packpferde nach. Da kamen sechs Upsaroka's auf dem Sweetwater herab, welche auch Felle auf ihren Flößen hatten; sie stiegen aus und wurden erschossen. Innua Nehma war der Anführer dieser Mörder. Er that die meisten seiner Leute auf die Flöße der Upsaroka's, damit sie die Felle nach der Seminole-Ebene schaffen sollten, wo die Blutindianer damals wohnten. Er selbst blieb mit einigen seiner Krieger noch da, um weiter zu jagen. Er hatte nicht acht auf den Fluß und sah also nicht, daß noch mehr Upsaroka's kamen. Diese sahen ihre Ermordeten am Ufer liegen, stiegen aus und überfielen ihn. Er war ein kluger Mann und sagte, die Schoschonen seien es gewesen, welche mit Nana-po sich entfernt hätten; er habe es gesehen, aber nicht helfen können, weil sich alles viel zu schnell für ihn zugetragen hätte. Die Upsaroka's glaubten ihm, gaben ihn und seine Leute frei, machten sie zu ihren Verbündeten und jagten den Schoschonen nach. Diese wurden ergriffen und gefangen zu dir gebracht. Sie starben unschuldig am Marterpfahle, und Nana-po soll auch noch sterben, sobald seine Squaw die Gewehre ohne Erfolg für ihn bezahlt haben wird.«

»Uff, uff!« ließ sich der Kikatsa hören, als Winnetou seinen Bericht jetzt beendet hatte. »Wenn es so wäre, wie der Häuptling der Apatschen erzählt, so wären also die Blutindianer, welche jetzt meine Verbündeten sind, die Schuldigen!«

»Es ist so. Ja, es ist noch schlimmer! Du hast den Schoschonen den Kampf zugesprochen, weil du glaubtest, sie hätten deine Leute getötet; nun aber müssen sie sich an dir rächen, weil du ihre unschuldigen Krieger am Marterpfahle hingerichtet hast!«

»Uff! Kann Winnetou beweisen, daß alles so ist, wie er mir erzählt hat?«

»Ich lüge nie; aber ich werde es dir dennoch beweisen, weil es eine so wichtige Sache ist. Die Blutindianer haben sich mit dir verbündet, um große Beute bei den Schoschonen zu machen; sie wollen das, obgleich sie wissen, daß sie selbst die Schuldigen, die Schoschonen aber unschuldig sind. Sie kamen zu dir gezogen und nahmen unterwegs meinen Bruder Old Shatterhand gefangen. Ich ritt hinterher, um ihn zu befreien. Ich beschlich und belauschte sie. Ich hörte ihren Häuptling Peteh mit dem alten Krieger Innua Nehma von dem Morde sprechen, von dem ich dir jetzt erzählt habe. Sie lachten über dich, daß du sie, die Mörder, für unschuldig hältst und dafür deine Rache auf die unschuldigen Schoschonen lenkst. Ich erfuhr den Ort der That und beschloß, ihn aufzusuchen. Während die Blutindianer langsam weiterritten, jagte ich hinüber nach dem Salbeiflusse. Ich fand die Stelle. Noch liegen die sechs erschossenen Bleichgesichter unbegraben und von den Geiern zerrissen da. Warum habt ihr diese Leichen gar nicht beachtet? Sie hätten euch doch sagen müssen, daß die Blutindianer die Mörder seien, nicht aber die Schoschonen, deren weiße Gefährten ermordet sind!«

»Uff! Sie liegen noch da?«

»Ja. Ich komme deshalb heut zu dir. Du hast das Kriegsbeil gegen die Schoschonen erhoben, und diese werden ihre vier am Marterpfahle unschuldig Hingerichteten von euch fordern; ich aber bin der Freund und Bruder aller roten Männer und will Frieden zwischen euch machen. Sende morgen früh sichere Boten, welche gute Augen haben, nach dem Salbeiflusse! Wenn diese zurückkehren und dir sagen, daß sie die toten Bleichgesichter noch liegen sahen, so hast du den Beweis, daß die Schoschonen unschuldig, die Blutindianer aber schuldig sind!«

»Uff, uff, das ist richtig!«

»Ja, das ist richtig. Ich habe dir gesagt, wie es ist. Howgh!«

»Was wird Winnetou, der berühmte Häuptling der Apatschen, inzwischen thun, bis diese meine Boten zurückkehren?«

»Das sollte ich dir verschweigen; ich will es dir aber sagen, damit du erkennst, daß ich aufrichtig bin. Ich reite zu den Schoschonen und hole sie. Erkennst du ihre Unschuld an und bietest ihnen Ersatz für ihre vier Toten, so werde ich für dich bitten; thust du das aber nicht, so werden sie weit über tausend Mann stark über euch herfallen. In beiden Fällen aber haben die Blutindianer die gerechte Strafe zu erleiden! Winnetou, der Häuptling der Apatschen, hat gesprochen. Howgh!«

Kaum hatte er dieses Bekräftigungswort ausgesprochen, so war er verschwunden. Der Kikatsa stand eine ganze, lange Zeit stumm da und starrte ihm nach, in die Nacht hinaus. Diese Mitteilung war ihm ebenso unerwartet gekommen wie das so plötzliche Erscheinen des Apatschen selbst. Was war mein Winnetou doch für ein herrlicher, unvergleichlicher Mensch!

Dann drehte sich Yakonpi-Topa langsam zu mir um und fragte mich:

»Was sagt Old Shatterhand dazu?«

»Was Winnetou behauptet, ist nie zu bezweifeln!«

»Uff! So hätte ich die Mörder ja gleich hier beim eigenen Lager!«

»Ganz recht!«

»Und darf sie doch nicht eher bestrafen, als bis meine Boten zurückgekehrt sind!«

»So sei umso mehr dafür besorgt, daß sie keinen Verdacht schöpfen und sich in Sicherheit bringen!«

»Soll ich sie etwa freundlich behandeln?«

»Freundlich ernst, wie Verbündete es verlangen dürfen.«

»Wenn aber nun Peteh deinen Tod verlangt?«

»So berufst du dich auf die Versammlung.«

»Er wird sie beschleunigen wollen!«

»Wenn du in der richtigen Weise mit diesen Kriegern sprichst, werden sie nur beschließen, was du für gut befindest.«

»Uff! Meine Seele ist in großer Sorge, denn wenn dir etwas geschieht, wird Winnetou Rechenschaft von mir fordern!«

»Das ist zwar richtig, aber du brauchst nicht bange zu sein, denn ich weiß, daß mir von seiten der Blutindianer nichts geschieht.«

»Ich werde gleich jetzt die ältesten meiner Krieger zusammenkommen lassen, um ihnen zu erzählen, daß der Häuptling der Apatschen hier gewesen ist und was ich von ihm gehört habe.«

»Thue das, doch mögen sie den Blutindianern ja morgen dann nichts merken lassen!«

»Ich werde ihnen das scharf einprägen. Komm!«

Wir verließen die Stelle, welche dazu bestimmt gewesen war, so einflußreich für die hiesige Situation zu werden. Er ging nach seiner Wohnung und ich nach der meinigen, wo ich gefragt wurde, wo ich so lange gewesen sei. Wie erstaunten sie und wie freuten sie sich, als sie hörten, daß ich mit Winnetou gesprochen hatte! Ich erzählte ihnen natürlich, was uns von ihm mitgeteilt worden war. Als ich damit fertig war, sagte Carpio:

»Ich habe doch stets recht, aber stets!«

»Wieso auch jetzt?« erkundigte ich mich.

»Das ist doch einfach, sehr einfach! Die Blutindianer sind die Mörder, man hat aber geglaubt, die Schoschonen seien es!«

»Nun?«

»Nun – fragst du? Da giebt es ja eigentlich gar nichts zu fragen! Da sind wieder einmal so einige zerstreute Kerle hier herumgelaufen und haben in ihrer Kopflosigkeit eine Verwechslung begangen, die gar nicht größer sein kann!«

»Ach so! Aber diese zerstreuten Menschen sind diesesmal Indianer gewesen, also Naturmenschen, lieber Carpio. Du sagtest ja, daß diese nie zerstreut sein können!«

»Ja, da scheinen sie aber doch auch schon von der Kultur angeleckt worden zu sein, denn nur die Kultur ist es, die solche Verwirrungen hervorbringen kann. Der kultivierteste Mensch, den ich kenne, bist du, und was hast du damals für eine tolle Verwechslung mit meinem Reisepaß vorgenommen! Im Stiefel hattest du ihn stecken. Es war geradezu großartig lächerlich! Weißt du es noch?«

»Ja, leider!«

»Da wird es zwischen den Schlangen und den Krähen wohl gar nicht zum Kampfe kommen?« fragte Rost.

»Wahrscheinlich nicht.«

»Gott sei Dank! Ich mag vom Blutvergießen lieber gar nichts wissen, obgleich ich eine Apotheke und auch Verbandzeug mitgenommen habe. Mir sagt eine innere Stimme, daß ich diese Sachen gar nicht brauchen werde.«

»Das wollen wir ja nicht behaupten! Wenn ich auch einmal eine innere Stimme haben dürfte, so würde mir diese sagen, daß sich für Sie sogar sehr bald die Gelegenheit ergeben kann, Ihre medizinische und chirurgische Geschicklichkeit zu zeigen.«

»An wem?«

»An Peteh oder mir, vielleicht auch an uns beiden zu gleicher Zeit.«

»Wieso?«

»Es kann einer von uns oder es können auch beide verwundet oder gar getötet werden.«

»Doch nicht! Warum?«

»Eines Zweikampfes wegen.«

»Zweikampf? Meinen Sie ein Duell, ein wirkliches Duell?«

»Ja.«

»Was Sie sagen. Giebt es hier oben Duelle?«

»Und was für welche!«

»Und Sie denken, daß Sie ein solches auszufechten haben werden?«

»Für gewiß halte ich es zwar nicht, aber für möglich.«

»Sie meinen, Sie werden von Peteh gefordert?«

»Ja.«

»Das klingt ja geradezu gefährlich! Weshalb sollte er Sie fordern?«

»Um mich zu töten.«

»Alle Wetter! Mit diesem Kerl möchte ich nicht losgehen. Der hat ja Muskeln wie ein Büffelstier! Übrigens habe ich zum Fechten niemals Zeit gehabt. Ich kann also zwar den großen, vordern, gekerbten Muskel vom Kaputzenmuskel, aber nicht eine Terz von einer Quart unterscheiden.«

»Oh, was das betrifft, so brauchen wir keine Sorge zu haben,« fiel Carpio ein; »mein Sappho macht mit jedem mit; da kenne ich ihn; dem darf keiner kommen.«

»Pshaw!« lachte ich. »Damals und jetzt! Ihr dürft auch nicht etwa denken, daß da mit gemütlichen Paukwaffen aufeinander losgegangen wird. Oh nein; da geht es ganz anders her!«

»Aber wie kann denn dieser Blutindianer auf den Gedanken kommen, mit Ihnen kämpfen zu wollen?« fragte Rost.

»Das ist sehr leicht erklärlich,« antwortete ich. »Sie wissen doch, wie feindlich er uns, besonders mir gesinnt ist. Er will meinen Tod; er wird ihn von den Krähenindianern verlangen. Nach allem, was ich Ihnen vorhin erzählt habe, glaube ich nicht, daß sie darauf eingehen werden. In diesem Falle nun ist es bei den meisten Indianerstämmen Gepflogenheit, daß zwischen dem, welcher sterben soll, und dem, welcher seinen Tod fordert, ein Kampf stattfindet, welcher nicht eher aufhören darf, als bis einer von beiden liegen bleibt. Diese Zweikämpfe haben je nach den Waffen und Bedingungen verschiedene Namen. Ich halte es für ganz und gar nicht ausgeschlossen, daß Peteh in seiner Wut, mich schon halb frei zu sehen, einen solchen Kampf fordert, wenn die Krähen nicht darauf eingehen, mich, und zwar bald, am Marterpfahle sterben zu lassen«

»So bitte, sagen Sie: Fürchten Sie sich?«

»Nein.«

»Gar kein bißchen?«

»Nein. Der Mensch soll nur das thun, was nützlich ist, und da es gar nicht nützlich ist, sich zu fürchten, so habe ich mir die Furcht schon gleich gar nicht angewöhnt. Dieses Thema habe ich bloß berührt, um Ihnen den Gedanken nahe zu legen, daß Sie doch vielleicht Ihr Verbandzeug noch in Anwendung bringen können. Jetzt nun wollen wir das beste thun, was wir thun können, nämlich schlafen!«

Es war sehr kalt geworden. Glücklicherweise hatten wir unsere Decken wiederbekommen. Ich wickelte Carpio in die seinige, schlang die meinige noch darüber und gab ihm meinen Sattel zum Kopfkissen; das hatte zur Folge, daß er die ganze Nacht hindurch ganz prächtig schlief. Ich hatte während des Rittes vom Fleischwasser bis hierher keine richtige Ruhe gehabt und schlief darum auch ganz leidlich, obgleich ich von der Kälte öfters aufgeweckt wurde.

Als wir früh aufwachten, war es ziemlich spät, und es herrschte schon reges Leben im Lager. Wir gingen nach dem Bache, um uns zu waschen, und bekamen hierauf unsere Fleischportionen. Dann suchte ich den Häuptling auf, um ihn zu fragen, ob er schon Boten nach dem Salbei-Flusse geschickt hatte. Er hatte es gethan; sie waren zeitig aufgebrochen, konnten aber leider erst in fünf bis sechs Tagen wieder zurück sein.

»So lange müssen wir warten, ehe ich weiß, ob ich Peteh als Feind zu betrachten habe,« sagte er. »Mein Herz sehnt sich nach dieser Gewißheit. Wenn die Blutindianer wirklich die Mörder sind, werden nicht viele von ihnen lebendig heimkehren!«

»Du wirst dich doch wohl begnügen, dir die eigentlichen Mörder ausliefern zu lassen. Unschuldige tötet man nicht!«

»Unschuldige? Welcher von den hundert, die gekommen sind, darf unschuldig genannt werden? Sie wissen alle, wer meine Krieger ermordet hat. Sind sie da nicht mitschuldig?«

»Hm! Es ist freilich eine unverzeihliche Schlechtigkeit von ihnen, deine Rache auf die unschuldigen Schoschonen zu lenken und dir bei der Ausführung derselben auch noch behilflich zu sein. Du wirst dich da mit dem Häuptling dieser roten Krieger beraten müssen.«

»So meinst du wirklich, daß sie kommen?«

»Ja.«

»Von Wagare-Tey, ihrem jungen Kriegshäuptling angeführt?«

»Das dachte ich erst. Da aber diese Angelegenheit so wichtig ist, viel wichtiger, als ich glauben konnte, so ist es möglich, daß Avaht-Niah, der alte Häuptling, selbst auch mitkommt, obgleich er schon über achtzig Winter zählt.«

»Wie wird er sich verhalten?«

»Wenn du dein Unrecht eingestehst und ihm für seine bei euch am Marterpfahle gestorbenen Leute Ersatz bietest, so wird er auf die Fürbitte des Häuptlings der Apatschen wohl geneigt sein, sich mit dir auszusöhnen. Bist du aber nicht bereit dazu, so wird es zu einem blutigen Kampfe kommen, der dich mehr als die Hälfte deiner Leute kosten kann.«

»Uff!«

»Ja, ich weiß, was ich sage. Bedenke, daß Winnetou auf der Seite der Schoschonen steht! Seine List und seine Kunst, eine Schar zum Siege zu führen, wiegen Hunderte von Kriegern auf; das weißt du ja ebenso wie ich. Er versteht es, dem Feinde Fallen zu stellen, die jeder andere für unmöglich halten würde.«

»Das würde aber zu deinem Schaden sein!«

»Wieso?«

»Wenn Winnetou feindlich gegen uns aufträte, würden wir dich, seinen Freund und Bruder, natürlich auch als Feind behandeln!«

»Pshaw!«

»Uff! Du lachst? Meinst du, daß uns das nicht möglich wäre?«

»Oh doch! Aber klug wäre es nicht von euch, denn Winnetou würde dann die strengste Rechenschaft fordern. Übrigens ist es jetzt gar nicht an der Zeit, hiervon zu sprechen.«

»Ja, denn du hast mir bis zur Versammlung dein Wort gegeben. Dann legen wir dir wieder Fesseln an, und es sollte dir wohl nicht möglich werden, zu fliehen und uns bei den Schoschonen Schaden zu bereiten!«

»Was nach der Beratung geschehen wird, darüber können wir jetzt noch gar nicht sprechen. Es ist für die Kikatsa stets gut, wenn sie Old Shatterhand ebenso wie Winnetou zum Freunde haben. Ich weiß, daß du davon überzeugt bist; du brauchst es mir gar nicht zu sagen.«

»Uff! Old Shatterhand spricht mit zu großer Sicherheit!«

»Oh nein. Wir sind Freunde aller roten Männer, die uns nicht feindlich behandeln; ihr aber habt euch stets als unsere besonderen Freunde und Verbündete betrachten dürfen.«

»Möchte Old Shatterhand mir das beweisen?«

»Warum nicht. Es giebt Indianer, welche stets, aber auch stets und ohne Aufhören eure Todfeinde gewesen sind. Wen meine ich?«

»Die Sioux.«

»Ja, die Sioux. Ihr gehört zum großen Volke der Dakotas, und sie sind ebenso ein Teil dieser Nation. Ihr seid also mit ihnen verwandt, und dennoch bekriegen sie euch auf eine so beständige und unversöhnliche Weise, daß ihr gegen sie stets das Messer in den Händen haben müßt. Alle Welt weiß nun aber auch, wen diese Sioux am meisten fürchten. Du weißt es natürlich auch?«

»Ja. Old Shatterhand und Winnetou.«

»Richtig! Wir zwei einzelnen Männer haben den Sioux, besonders aber den Sioux Ogallalah, mehr Schaden gethan, als alle Krieger deines Volkes zusammengenommen. Das brauche ich dir ja nicht erst zu sagen. Sind wir da nicht die besten Verbündeten von euch?«

»Uff!«

»Wie oft ist es vorgekommen, daß die Sioux gegen euch ziehen wollten; da kamen wir und lenkten ihre Schritte von euch ab auf unsere Spuren. Ist das nicht wahr?«

»Es ist wahr.«

»Und zwei solche Freunde könntet ihr als Feinde behandeln?«

»Uff!« antwortete er unbestimmt und verlegen.

»Du bist ein kluger und tapferer Krieger und wirst also einsehen, was euch nützlich oder schädlich ist; ich kann also über diese unsere Zusammengehörigkeit schweigen. Hast du noch gestern abend mit deinen alten Kriegern gesprochen?«

»Ja.«

»Sie wissen also, was Winnetou dir gesagt hat?«

»Nicht nur sie, sondern auch alle andern Krieger wissen es.«

»Ah! Du hast also das Geheimnis allen mitgeteilt?«

»Ja.«

»Warum?«

»Sie mußten es alle wissen, damit kein einziger es an der nötigen Aufmerksamkeit fehlen lasse. Die Blutindianer müssen scharf beobachtet werden, denn wenn es sich herausstellt, daß sie wirklich die Mörder sind, sollen sie alle, alle festgenommen werden!«

»Aber bedenke, je mehr Leute es erfahren haben, desto größer ist auch die Gefahr, daß irgend einer durch eine Unvorsichtigkeit oder auch nur durch eine unbewachte Miene euern Verdacht verrät!«

»Ich habe sehr strengen Befehl gegeben, vorsichtig zu sein!«

»Dieser Befehl ist nicht leicht zu befolgen. Wirst du mir eine Frage beantworten, welche für mich wichtig ist?«

»Wenn die Beantwortung mir keinen Schaden thut, ja.«

»Du weißt, daß ich der Abgesandte der Squaw bin, welcher du den Brief geschrieben hast. Ich soll mit Nana-po, ihrem Manne, sprechen. Wo befindet er sich?«

»Wir haben ihn daheim im Lager unsers Stammes gelassen.«

»Du täuschest mich nicht?«

»Ich sage die Wahrheit. Oder hält Old Shatterhand mich für so unvorsichtig, einen solchen Gefangenen, zu dessen Bewachung mehrere Krieger gehören, auf meinen Kriegszügen mit herumzuschleppen?«

»Nein. Ich hoffe, daß ich ihn zu sehen bekomme!«

»Old Shatterhand soll ihn sehen und mit ihm sprechen.«

»Und nicht bloß das! Ich muß seine Freiheit von dir fordern.«

»Gegen die Zahlung der Gewehre?«

»Nein. Nun es sich herausgestellt hat, daß er unschuldig am Tode deiner Leute ist, kannst du kein Lösegeld verlangen. Du mußt ihm sogar alles, was du ihm abgenommen hast, auch die Felle, wieder herausgeben.«

»Uff! Old Shatterhand gebärdet sich so, als ob nicht ich, sondern er der Häuptling der Kikatsa sei!«

»Ich bin nur dein Freund und verlange nichts als Gerechtigkeit von dir. Ah, dort kommt Peteh! Er hat dich gesehen und scheint mit dir sprechen zu wollen.«

»Ja, er kommt. Mein Herz sträubt sich dagegen, freundlich zu sein mit diesem Hunde. Wirst du bei mir stehen bleiben?«

»Nein, denn wenn ich mit ihm zusammentreffe, könnte es leicht wieder Hiebe geben.«

Ich sah, mit welchen haßerfüllten Augen der Blutindianer mich betrachtete, indem er näher kam, und entfernte mich, aber langsam, daß es ja nicht aussehen sollte, als ob ich mich vor ihm fürchte.

Der Häuptling der Kikatsa ahnte gar nicht, wie eindrucksfähig er sich gegen mich verhalten hatte. Ich hätte ihn in meiner Hand ganz nach Belieben formen können. Er wollte es verschweigen, hatte aber einen heillosen Respekt vor uns. Auch war er vollständig davon überzeugt, daß Winnetou gestern abend die Wahrheit gesagt hatte, denn wenn er auch nur ein wenig noch im Zweifel gewesen wäre, hätte er Peteh jetzt nicht einen Hund genannt. Ich wußte, daß ich von ihm nichts Schlimmes zu erwarten hatte.

Ich saß dann mit Carpio und Rost vor unserer Hütte, doch nicht lange, so kam Yakonpi-Topa zu uns und sagte mir, daß Peteh die Beratung über uns für heut verlangt habe.

»Was soll ich ihm antworten?« fragte er mich.

Also, es war schon so weit zu unsern Gunsten gekommen, daß der Häuptling ohne mein Wissen keinen Bescheid geben wollte!

»Erst muß ich wissen, was du zu ihm gesagt hast,« erklärte ich.

»Ich teilte ihm mit, daß ich die Krieger, welche an der Beratung teilzunehmen haben, fragen und ihm dann einen Boten senden werde.«

»Das war richtig. Eigentlich müßten wir die Entscheidung so weit hinausziehen, bis deine Boten zurückgekehrt sind.«

»Sechs Tage? Das ist unmöglich!«

»Leider!«

»Er drohte, mit seinen Kriegern fortzuziehen, wenn wir uns weigerten, nach seinem Willen zu handeln.«

»Wir dürfen sie nicht fortlassen!«

»Nein; aber soll ich sie mit Gewalt festhalten?«

»Auch nicht. Es ist jeder Zwang, also jeder Kampf, zu vermeiden, wenigstens jetzt.«

»Was kann ich da thun?«

»Versuche, Zeit zu gewinnen!«

»Er wartet nicht; er will euern Tod, und zwar so bald wie möglich!«

»Versuch' es dennoch! Nur wenn es ganz unmöglich ist, ihn länger hinzuhalten, mußt du die Versammlung zusammenrufen. Ich werde doch auch geholt?«

»Warum du?«

»Weil ich auch sprechen will.«

»Das ist nicht nötig.«

»Nicht? Man muß jedem Angeschuldigten die Gelegenheit geben, sich zu verteidigen.«

»Ich werde für dich sprechen, und das wird so gut sein, als ob du selber redetest. Old Shatterhand ist kein gewöhnlicher Krieger, der sich vor so einem Hunde, wie dieser Blutindianer ist, zu verteidigen hat. Howgh!«

Er entfernte sich. Ich mußte lächeln, denn ich durchschaute ihn. Es war vorauszusehen, daß er Peteh gegenüber einen schweren Stand haben werde, und ich sollte nicht dabei sein, weil er es mich nicht merken lassen wollte, durch welche Verlegenheiten er sich hindurchzuwinden hatte.

Kurz vor Mittag kam er wieder, um mir zu sagen, daß Peteh nur bis zum Abend warten wolle. Und um diese Zeit erfuhr ich wieder von ihm, daß der Blutindianer nur noch bis morgen früh Geduld haben werde; er habe ein Howgh daraufgesetzt, daß er dann unbedingt mit seinen hundert Mann fortreiten werde, falls man da noch länger zögere, sein Verlangen zu erfüllen. Da war nun freilich nichts anderes zu beschließen, als ihm den Willen zu thun. Man konnte dann immer noch Zeit gewinnen, denn die Entscheidung des Rates der Alten war noch lange nicht gleichbedeutend mit der Ausführung des Urteilsspruches.

Also es stand nun fest, daß morgen früh über unser Schicksal beschlossen werden solle. Es war mir zwar gar nicht bange, aber man kann nie wissen, was der nächste Augenblick bringt, und so war es auch nicht unmöglich, daß sich bis dahin für uns ungünstige Eventualitäten einstellen konnten; ich hütete mich jedoch, meine Gefährten auf dergleichen Zufälle hinzuweisen; sie sollten ohne alle Beunruhigung sein. Der Tag verging, und wenn ich meine Schlüsse aus dem hochachtungsvollen Benehmen der Upsaroka's zog, brauchte ich keine Besorgnis zu hegen. Sie waren alle überzeugt, daß die Blutindianer die Mörder seien, und hielten da natürlich nicht zu diesen, sondern zu uns.

Carpio hatte sich seit gestern leidlich erholt; er behauptete, bloß meine Gegenwart genüge, ihn wieder gesund zu machen. Es machte dem lieben Kerl förmlich Spaß, daß die »Verwechslung« soweit getrieben werden sollte, daß für morgen eine Beratung über unser Leben auf dem schwarzen Brette stand. Ich störte natürlich die Fröhlichkeit nicht, die ihm dadurch bereitet wurde. Er schlief wieder die ganze Nacht hindurch.

Früh saßen wir, nachdem wir uns gewaschen hatten, so wie gestern vor der Thür, um da unser Frühstück zu verzehren und das Treiben des Lagers zu beobachten. Es war den Upsaroka's wohl anzusehen, daß etwas Wichtiges im Werke sei, und daß das uns betraf, zeigten die Blicke, welche verstohlen auf uns geworfen wurden. Wir aber waren heiter.

Da kam der Häuptling mit zwei Roten und forderte uns auf:

»Old Shatterhand und die beiden Bleichgesichter mögen sich in ihre Hütte begeben!«

»Warum?« fragte ich.

»Ihr müßt wieder gefesselt werden, denn die Beratung wird in kurzer Zeit beginnen.«

»Well, man binde uns!«

Ich weigerte mich natürlich nicht, denn ich mußte mein Wort halten; aber als mir die Hände zusammengebunden wurden, hielt ich sie so, daß, wenn ich sie später fester zusammenlegte, die Riemen nicht mehr fest schlossen; das gab mir die Möglichkeit, mich loszumachen. Übrigens verfuhr man gar nicht so streng und sorgfältig, wie man es bei gefährlichen Leuten jedenfalls gethan hätte. Unsere Waffen wurden uns auch abgenommen, aber nicht fortgeschafft, sondern neben uns hingelegt. Die Art und Weise, wie man sich unserer Personen versicherte, war also keine trostlose für uns. Als man damit fertig war, sagte Yakonpi-Topa zu mir:

»Ich weiß, was meine alten Krieger denken; sie sind alle gegen euern Tod, aber Peteh wird darauf bestehen, euch am Marterpfahle sterben zu sehen. Weiß Old Shatterhand, was zu geschehen pflegt, wenn sich zwei solche Meinungen nicht vereinigen lassen?«

»Ja.«

»Er mag es sagen!«

»Das Urteil wird auf Zweikampf gefällt.«

»Würde Old Shatterhand damit einverstanden sein?«

»Ja.«

Er warf einen langen, ernsten Blick an meiner Gestalt herab und fuhr fort:

»Ich weiß, daß dich noch niemand hat besiegen können, und will dich nicht beleidigen; aber hast du den Körper des Häuptlings der Blutindianer betrachtet?«

»Ja.«

»Seine Arme sind wie die Pranken des Bären!«

»Pshaw! Mir ist noch kein Bär entkommen!«

»Und seine Hinterlist ist groß!«

»Die List eines Bären macht mir keine Sorge!«

»Er wird Waffen wählen, in denen er Meister ist!«

»Er wäre dumm, wenn er das nicht thäte!«

»Und eine Art des Kampfes, welche den Bleichgesichtern unbekannt ist!«

»Pshaw! In Beziehung auf die verschiedenen Arten des Kampfes habe ich auch eine rote Haut!«

»Old Shatterhand führt eine sehr zuversichtliche Sprache! Die Krieger der Upsaroka's würden sich freuen, wenn er ebenso zuversichtlich kämpfte! Hat er mir einen Wunsch zu sagen?«

»Nein. Nur zu eurem eigenen Besten will ich die Bemerkung machen, daß es geraten ist, den Zweikampf, falls er stattfinden soll, so weit wie möglich hinauszuschieben.«

»Das wird Peteh sich nicht gefallen lassen!«

»So thut, was er will; mir ist es gleich!«

»Uff! Was sollen wir sagen, wenn Peteh fordert, daß diese beiden andern Bleichgesichter auch kämpfen sollen?«

»Suche es dahin zu bringen, daß ich es für sie thun kann!«

»Ich werde es thun. Jetzt sind wir fertig. Es wird keine leichte und ruhige Beratung sein!«

Er ging. Als er fort war, fragte mich Carpio:

»Denkst du denn wirklich, daß es zu einem Zweikampfe kommt?«

»Da die Krähen für unser Leben sprechen werden, bin ich nun überzeugt, daß er nicht zu vermeiden ist.«

»Ein wirkliches Duell?«

»Ja, doch ein indianisches.«

»Auf Leben und Tod?«

»Ja.«

»Und das sagst du mit solcher Ruhe, als ob es sich darum handelte, eine Tasse Kaffee auszutrinken?! Lieber Sappho, was bist du doch für ein unbegreiflicher Mensch geworden! Denke dir, ein Duell, ein Duell! Wie sind wir früher vor Hochachtung förmlich zusammengesunken, wenn von ›Schmissen‹ die Rede war, und wie steigerte sich diese Hochachtung gar zur hellsten Bewunderung, wenn wir gar einmal jemanden sahen, der einen hatte! Und eine Indianermensur ist doch wohl gefährlicher?«

»Will es denken!« lachte ich.

»Höre, ich könnte an deiner Stelle vor Aufregung kaum Atem holen! Hast du denn gar, gar keine Angst?«

»Nein.«

»Bist ganz sicher, daß du den roten Kerl abführst?«

»Ja.«

Ich stellte mich natürlich zuversichtlicher, als ich war, denn ich durfte ihn doch nicht um mich bange machen. Dieses mein Selbstvertrauen erweckte das seinige in der Weise, daß er sich erkundigte:

»Höre, werden wir vielleicht zusehen dürfen?«

»Nicht nur dürfen, sondern sogar müssen! Die Mitgefangenen sollen alle mögliche Angst durchkosten; so ist es Brauch.«

»Ach, ich habe gar keine Angst um dich! Bitte, thu mir doch den Gefallen, mich als Sekundanten vorzuschlagen!«

»Sekundanten giebt es nicht.«

»Das ist schade, jammerschade! Ich hätte dich so gern gegen etwaige Niederträchtigkeiten beschützt. Da ich das nicht thun kann, will ich dir wenigstens einen guten Rat erteilen.«

»Welchen?«

»Er heißt: Nimm dich zusammen! Ja, zusammennehmen sollst du dich; ich meine es gut mit dir. Du bist zuweilen so zerstreut, so gedankenlos. Erinnere dich zum Beispiel an meine Sporen, die du in deine statt in meine Tasche gesteckt hattest. So eine Konfusion kann einem beim Duell das Leben kosten! Also gieb dir Mühe, und nimm dich zusammen! Wenn du das thust, habe ich keine Angst um dich, denn ich weiß, daß du, diese Schwäche abgerechnet, ein gewandter Kerl und kein Dummkopf bist. Welche Waffen wird man wohl wählen?«

»Das weiß ich noch nicht; jedenfalls solche, in denen Peteh mir überlegen zu sein glaubt. Lassen wir das für nachher. An den Kampf zu denken, ist noch Zeit, wenn er beginnt.«

»Das ist richtig; machen wir uns also jetzt noch keine Sorgen!«

Lieber, ahnungsloser Carpio! Wie ganz anders hätte er gesprochen, und was für ein ganz anderes Gesicht hätte er gemacht, wenn er gewußt hätte, was es für einen ehemaligen Gymnasiasten heißt, nur mit einem gewöhnlichen Roten und nun gar mit diesem herkulisch gebauten Häuptling der Blutindianer auf Tod und Leben loszugehen! Rost hatte natürlich mehr Verständnis dafür. Er warf mir besorgte Blicke zu; ich winkte ihm aber, still zu sein, und so schwieg er.

Es vergingen über zwei Stunden. Die Verhandlung verlief, wie ja vorauszusehen gewesen war, in sehr stürmischer Weise. Endlich kamen vier Krieger, welche mir mitteilten, daß sie mich vor die Versammlung zu bringen hätten. Der Häuptling kam diesesmal nicht selbst, weil sich das nicht mit seiner Würde hätte vereinigen lassen. Die Füße wurden mir losgebunden, so daß ich gehen konnte, dann nahmen mich die vier in ihre Mitte.

Man hatte die Beratung hinaus vor das Lager an den Bach verlegt. Da saß Yakonpi-Topa mit den ältesten seiner Krieger, ihm gegenüber Peteh mit Innua Nehma, seinem alten Vertrauten. Um diese herum hatte sich ein Kreis sitzender Indianer gebildet, welcher von einem noch weiteren Kreise stehender Krieger eingeschlossen wurde. Ich wurde in den innern geführt und sah sofort, daß Peteh sich in großer Aufregung befand. In seinen Augen loderte förmlich ein Feuer von Haß und Wut. Der Gefangene hat natürlich aufrecht stehen zu bleiben; das fiel mir aber nicht ein. Sobald meine Begleiter von mir zurückgetreten waren, schritt ich so weit vor, daß ich die zwei Häuptlinge zu meinen Seiten hatte, und setzte mich da nieder. Kaum war das geschehen, so stieß Peteh einen Schrei, nicht des Zornes, sondern des kaum zu bezähmenden Grimmes aus und brüllte:

»Auf mit diesem räudigen Hunde, auf, auf mit ihm; er hat auf seinen Pfoten stehen zu bleiben!«

Ich that natürlich, als ob ich diese Worte gar nicht hörte. Der Häuptling der Kikatsa hatte als Vorsitzender die Pflicht, mich auf meine Kühnheit aufmerksam zu machen. Er sagte zu mir:

»Old Shatterhand darf nicht vergessen, weshalb er sich hier befindet! Er hat stehen zu bleiben!«

Ich warf einen langen, prüfenden Blick im Kreise herum und sah, daß die Upsaroka's sich über mein Verhalten freuten, weil es den Blutindianer so ärgerte; darum antwortete ich ruhig:

»Wer hat jemals gewagt, mir einen solchen Befehl zu geben? Wo giebt es einen Menschen, der mir befehlen darf, stehen zu bleiben, wenn ich mich setzen will?«

»Ich befehle es, ich!« schrie mich Peteh an.

Ich ließ ihn unbeachtet, sah den Kikatsa verwundert an und fragte ihn:

»Was ist das für eine Stimme, welche ich höre? Ich habe bisher geglaubt, daß nur ernste, bedächtige Männer beim Feuer der Beratung sitzen dürfen; hier aber klingt eine Stimme wie die eines zornigen Büffelkalbes. Duldet Yakonpi-Topa, der Häuptling der Kikatsa-Upsaroka's, eine solche Sprache in der Versammlung seiner weisen und erfahrenen Männer? Ob Old Shatterhand sitzen oder ob er stehen will, das kommt doch nur auf ihn allein an. Wie kann man darüber die Ruhe verlieren, welche der größte Schmuck im Gesichte jedes Kriegers ist!«

Peteh mußte sich tief beschämt fühlen. Er zwang sich, in möglichst ruhigem, stolz klingendem Tone zu sagen:

»Uff! Mag er jetzt sitzen oder stehen! ich sehe es nicht; ich werde ihn dafür dann mit solcher Gewalt niederschmettern, daß er für immer liegen bleibt!«

Nun ergriff Yakonpi-Topa, ohne mich wieder zum Aufstehen aufzufordern, das eigentliche Wort:

»Old Shatterhand ist uns von den Kriegern der Blutindianer, denen er in die Hände fiel, ausgeliefert worden, damit wir über das, was mit ihm zu geschehen hat, beraten sollen. Die weisen Männer des Stammes sind zusammengetreten und haben folgendes beschlossen: Old Shatterhand ist stets ein Freund der Upsaroka's gewesen; darum darf ihm von ihnen nichts geschehen; er und die beiden Bleichgesichter sind frei; sie können gehen, wohin sie wollen, und sie dürfen alles nehmen und behalten, was ihnen gehört. Aber Peteh, der Häuptling der Blutindianer, welcher ihn gefangen genommen hatte, fordert sein Leben und ihr Leben, und geht nicht von diesem seinem Willen ab. Die Krieger der Upsaroka's können ihn nicht hindern, es ihnen zu nehmen, wenn er kann. Darum ist beschlossen worden, daß er mit ihnen kämpfe, erst mit Old Shatterhand und dann mit den beiden Bleichgesichtern. Peteh hat verlangt, daß ein Sti-i-poka stattfinde, ein Kampf auf Leben und Tod, und es ist ihm gestattet worden. Er hat zu bestimmen, welche Waffen genommen werden sollen und aus wieviel Teilen das Sti-i-poka bestehen soll. Stattfinden wird der Kampf heut, eine Stunde, bevor die Sonne untergeht. Die Bedingungen müssen vorher besprochen werden, und die Krieger der Upsaroka's werden dafür sorgen, daß nichts gegen das geschieht, was ausgemacht worden ist. Peteh, der Häuptling der Blutindianer, mag sagen, ob ich richtig gesprochen habe!«

Nach dieser an ihn gerichteten Aufforderung stand Peteh auf, nahm die stolzeste Haltung an, welche ihm möglich war, machte eine verächtliche Gebärde zu mir her und antwortete:

»Ich bin Peteh, der berühmte Kriegshäuptling der Blutindianer, und noch nie von einem Feinde überwunden worden. Ich habe bisher nur mit starken, mutigen Feinden gekämpft; heute aber zwingt man mich, mich an einem feigen Coyoten zu vergreifen, denn wenn ich das nicht thäte, so würde man ihn laufen lassen, und er würde die Räude, an der er stinkt, überall verbreiten, wohin er kommt. Ich werde ihn darum mit einem einzigen Griffe meiner Hand erwürgen und dann seinen Kadaver den Geiern vorwerfen. Seinen Begleitern, welche weder bellen noch beißen können, wird dann dasselbe geschehen. Ich habe gesprochen, Howgh!«

Er setzte sich wieder nieder, und nun richtete Yakonpi-Topa an mich die Aufforderung:

»Old Shatterhand hat die Worte seines Gegners gehört; er mag nun auch sprechen!«

Es ist erwähnt worden, daß mir die Riemen nur locker um die Hände gebunden worden waren. Während Peteh sprach, war es mir gelungen, die eine Hand aus der Schlinge zu ziehen, wodurch die andere selbstverständlich auch frei wurde. Ich nahm also jetzt die beiden Hände vor, stand auf, warf den Riemen weg und sagte:

»Sprechen soll ich? Pshaw! Old Shatterhand pflegt in Thaten zu reden. Eine Stunde vor Untergang der Sonne werde ich am Platze sein. Howgh!«

Ich wendete mich ab, um den Beratungsort zu verlassen. Da sprang Peteh schnell auf und rief:

»Wer hat diesem Hunde erlaubt, seine Fesseln wegzuwerfen? Er werde sofort wieder gebunden!«

Yakonpi-Topa wurde durch diese Aufforderung in Verlegenheit gebracht; das sah ich ihm an. Ich hätte eigentlich bis zum Beginne des Zweikampfes gebunden bleiben sollen; er aber getraute sich nicht, mir das zuzumuten, nun da ich mich doch einmal freigemacht hatte. Ich nahm mich darum seiner Verlegenheit an, indem ich an seiner Stelle antwortete:

»Es ist von den Kriegern der Upsaroka's beschlossen worden, daß ich frei sein soll; nun wohl, ich bin frei! Kein Upsaroka wird die Absicht haben, gegen diesen Beschluß zu handeln. Wenn es aber ein Blutindianer wagen wollte, die Bestimmung der alten, weisen Krieger zu brechen, so komme der heran und versuche, mir die Fesseln wieder anzulegen! Da liegt der Riemen, und hier sind meine Hände! Wer hat den Mut dazu? Ich bin bereit!«

Keiner rührte sich.

»Uff, so mag der Coyote einstweilen ohne Riemen laufen!« rief der Häuptling der Blutindianer. »Ich selbst würde ihn wieder binden, aber dies ist mir versagt, denn er würde dabei unter meinen Fäusten sterben, und das darf doch erst am Nachmittag geschehen!«

Was er weiter sagte, hörte ich nicht, weil ich jetzt fortging. Der Doppelkreis der Roten öffnete sich mir, und keiner machte den Versuch, mich zurückzuhalten. Ich ging natürlich direkt nach unserer Hütte, um Carpio und Rost loszubinden, denn wenn ich frei war, durften sie auch nicht gefesselt sein. Sie wollten natürlich alles ganz genau wissen; ich teilte ihnen aber nur soviel mit, wie ich sagen konnte, ohne sie zu beunruhigen.

Der Vormittag und auch der Mittag verging, ohne daß der Häuptling sich sehen ließ. Wir spazierten, um uns die Zeit zu vertreiben, im Lager umher und wurden überall wohlaufgenommen. Man ließ mit Absicht so laut, daß wir sie hören mußten, Worte und Redensarten über die Blutindianer fallen, welche uns überzeugen sollten, daß die Sympathie der Krähen auf unserer Seite sei. Es bedarf wohl keiner Versicherung, daß alle Gedanken auf den zu erwartenden Kampf gerichtet waren. Es herrschte seinetwegen eine mehr als ungewöhnliche Aufregung im Lager.

Der Indianer pflegt den Kampf als Übung und im Spiel; er muß sich auf den Fall des Ernstes vorbereiten, um dann, wenn es gilt, bestehen zu können. Der rote Krieger ist um so angesehener und geachteter, je mehr Feinde er besiegt hat; sogar sein Himmel bietet ihm nicht ewigen Frieden, sondern steten Kampf und Sieg. Wenn zwei unerwachsene Knaben miteinander ringen, stehen die Alten dabei, um sie anzufeuern. Es kommt im Kriege zwischen zwei Stämmen nicht selten vor, daß alle, Freunde und Feinde, für einige Zeit die Waffen sinken lassen und friedlich nebeneinander stehen, um den Einzelkampf zweier hervorragender Krieger, welche zusammengeraten sind, zu beobachten. Der Ausgang desselben wird noch nach Jahren mit einem Eifer und einer Sachkenntnis besprochen, als ob die That erst gestern geschehen sei. Und nun denke man sich ein Sti-i-poka zwischen Peteh und Old Shatterhand, einen Kampf auf Leben und Tod zwischen dem büffelstarken, noch nie besiegten Häuptling der Blutindianer und dem weißen Jäger Shatterhand, von dem auch noch kein Gegner hatte sagen können, daß er ihm überlegen gewesen sei! Man wendete die Chancen so fleißig und bedächtig hin und her, man wog sie so sorgfältig ab, als ob es sich dabei um das Leben aller Upsaroka's handele. Auf der Seite Petehs war die rohe, ungefüge Körperkraft, die Wucht des Angriffes und die voraussichtliche Überlegenheit in der Ausdauer; denn Muskeln und Sehnen, wie er besaß, konnten stundenlang angestrengt werden, ohne zu ermatten. Auf meiner Seite glaubte man die größere Gewandtheit, Erfahrung und Übung betonen zu müssen, die Umsicht, die jeden Griff berechnet, und die Geistesgegenwart, die jeden sich bietenden Vorteil blitzschnell zu erfassen weiß. Ihm standen, kurz gesagt, die physischen Vorteile, mir die größere Intelligenz zur Verfügung; so dachte man. Wer da obsiegen und wer unterliegen werde, das war gar nicht vorauszusagen. Da die Krähen mir den Sieg wünschten, so bedauerten sie lebhaft, daß Peteh die Waffen und die Art und Weise des Kampfes anzugeben hatte; es verstand sich ja von selbst, daß er nur zu seinem eigenen Nutzen wählen und bestimmen werde. Man meinte, ich sei, wenn auch zehnmal Old Shatterhand, doch immer nur ein Bleichgesicht und könne in der Führung indianischer Waffen und in der Kampfesweise der Roten nicht so bewandert sein, wie ein Indsman, dem Pfeile, Messer und Tomahawk förmlich zu Händen und Fingern geworden sind.

Diese Betrachtungen hatten eine Spannung zur Folge, welche immer größer wurde und um so peinlicher war, je länger es dauerte, bis Peteh sich herbeiließ, seine Bestimmungen laut werden zu lassen. Was mich persönlich betrifft, so stimmte ich im stillen teils den angegebenen Meinungen bei, teils aber auch nicht. In der Führung indianischer Waffen war Winnetou mein Lehrmeister gewesen; mehr brauche ich nicht zu sagen. Er hatte mir bisher stets ein gutes Zeugnis gegeben, und so fiel es mir gar nicht ein, mich vor irgend einem Indianer zu fürchten. Auch kommt es nicht auf die Masse der Muskeln an, oder deutlicher gesagt, wie groß die Muskelklumpen sind, sondern auf ihre Übung, Stählung und Härtung. Ein gut trainierter Körper, dessen Muskelsystem sorgfältig geübt und harmonisch ausgebildet wurde, ist auf alle Fälle zuverlässiger, als ein Gebäude von wenn auch noch so kräftigen Fleischteilen, welche entweder gar nicht oder nicht richtig geschult worden sind. Ein hagerer Mann wirft oft einen scheinbaren Herkules zu Boden. Und es giebt andere, wichtige Körperteile, wie z. B. das Herz, die Lungen, auf deren Leistungen selbst Löwen- oder Bärenmuskeln sehr mit angewiesen sind. Von den Sehnen und Knochen will ich gar nicht sprechen; sie gehören aber auch dazu. Der Hauptvorteil, welchen ich besaß, war meine Ruhe, jene unerschütterliche Ruhe, die mich selbst in den schlimmsten Lagen nicht verlassen hat, ja, die sogar mit der Größe der Gefahr zu wachsen pflegte. Mein Herz that keinen einzigen Schlag mehr als gewöhnlich; mein Kopf war frei, mein Auge klar und meine Stimmung von genau so unbeirrter Heiterkeit, als ob nicht ein gefährliches Sti-i-poka, sondern ein Ereignis ganz anderer Art, vielleicht eine Geburtstagsfeier, auf mich warte. Diese Kaltblütigkeit, welche durch nichts zu erschüttern war, hatte mich schon manchem Gegner überlegen gemacht und mich glücklich aus Fährlichkeiten geführt, welche ich ohne sie sicher nicht bestanden hätte. Ich besitze sie heute noch in demselben Maße wie früher, es kann mich nichts aus der Fassung bringen. Es ist eine ganz eigene Sache um diese Ruhe; ich weiß nicht, ob sie eine Folge meines Selbstvertrauens oder ob dieses eine Folge von ihr ist, oder ob sie beide so innig zusammengehören, daß sie ein Ganzes bilden und gar nicht voneinander zu trennen sind.

Die Zeit war nahe herangekommen, und die Indianer begannen sich allmählich nach dem Platze zu begeben, der für den Zweikampf ausersehen worden war. Da endlich kam Yakonpi-Topa; er war bei Peteh gewesen und konnte mir nun die Bedingungen mitteilen. Es waren folgende:

Da wir drei Personen waren, nämlich ich, Carpio und Rost, sollten drei Gänge ausgefochten werden. Wenn ich getötet wurde, hatten die beiden andern weiterzukämpfen. Wurde Peteh getötet, was er aber für ganz ausgeschlossen hielt, so waren zwei Blutindianer bestimmt, welche nach ihm einzutreten hatten. Die Gänge waren bezeichnet als: erstens Faust- und Würgkampf am Baume, zweitens Nahekampf mit je einem Tomahawk, drittens Fernkampf mit je zwei Tomahawks. Wie dummschlau Peteh sich das ausgedacht hatte!

Zum Kampf am Baume sollten folgende Vorbereitungen getroffen werden. Auf dem dazu bestimmten Platze standen mehrere einzelne, starke Bäume. An einen derselben sollten wir, einer hüben und der andere drüben und mit den Gesichtern gegen einander, so gebunden werden, daß uns die Riemen oben unter den Armen hindurch und unten über die Hüften gingen. Eine Waffe gab es nicht. Es galt, den Gegner bloß mit den Händen zu besiegen. Das hatte Peteh sich ausgedacht, weil er überzeugt war, bei seiner großen Körperstärke sei es ihm leicht, mich durch einen Griff um den Hals zu erwürgen oder durch das Festpressen an den Baumstamm zu ersticken. Wir hatten ja die Hände frei; wenn er seine Arme um den Baum und um mich schlang, konnte er seine ganze Kraft entwickeln. In dem Augenblick, in welchem ich dies durchschaute, wußte ich, daß er mir nichts anhaben würde. Er hatte meinen Jagdhieb nicht mit in Berechnung gezogen.

Die Tomahawks hatte er gewählt, wohl weil er glaubte, mir in dieser Waffe überlegen zu sein; aber Winnetou war ein Meister in allen darauf bezüglichen Finessen und hatte nicht eher geruht, als bis sie auch mir geläufig geworden waren. Hätte mich etwas besorgt machen können, so wäre es der Umstand gewesen, daß ich seit längerer Zeit kein Indianerbeil in der Hand gehabt hatte und also aus der Übung gekommen war. Als ich die Mitteilung des Häuptlings so ruhig hinnahm, wie er nicht erwartet hatte, erkundigte er sich:

»Old Shatterhand sagt nichts dazu. Ist er nicht besorgt um sich?«

»Nein,« antwortete ich.

»Peteh will dich erwürgen!«

»Er mag es versuchen!«

»Du bist als Bleichgesicht nicht so fertig mit dem Tomahawk wie er!«

»Pshaw! Er kann noch von mir lernen!«

»Uff! Täuschest du dich nicht?«

»Nein. Freilich dürfte ich keine schlechte Waffe haben, denn wenn sie mir in der Hand zerspränge, wäre ich zwar noch immer nicht verloren, denn ich würde meine Faust gegen sein Beil setzen, aber er befände sich doch in großem Vorteile gegen mich.«

»Die Krieger der Upsaroka's wollen Old Shatterhand als Sieger sehen; darum sollst du die zwei besten Tomahawks bekommen, welche der Stamm besitzt. Weißt du, welche Eigenschaften ein gutes Kriegsbeil haben muß?«

»Ja. Der Stiel muß genau so schwer sein wie das Blatt und ebenso genau dreimal länger als seine Schneide. Ist das richtig?«

»Ja, es ist richtig, denn nur wenn die Schwere und die Länge in dieser Weise stimmen, kann man mit dem Tomahawk krumme Bogen werfen, wodurch man den Feind irre macht. Ich höre, daß Old Shatterhand die Verhältnisse des Beiles kennt. Wenn er es auch so gut zu handhaben versteht, kann er mit dem Leben davonkommen. Wann hat er zum letztenmal mit dieser Waffe gefochten? Ist es lange her?«

»Ja.«

»So mag er schnell, ohne daß jemand es sieht, eine Probe machen!«

»Wo?«

»Er mag sein Pferd nehmen und mit mir kommen!«

Yakonpi-Topa holte die beiden Tomahawks, und dann ritten wir aus dem Lager fort, durch den Wald und dann nach dem freien Wiesenstreifen, den ich von meinem Parforceritte her kannte. Dort stiegen wir ab. Der Pferde hatten wir uns bedient, weil es schnell gehen mußte, denn wir hatten nur wenig Zeit übrig. Ich nahm einen Baum als Ziel und warf erst einigemal auf gewöhnliche Weise; es gelang aber so, daß der Häuptling ausrief:

»Uff! Besser kann ja ich es nicht! Old Shatterhand kann sich mit dem Tomahawk vor jedem roten Krieger sehen lassen!«

»Pshaw! Das war bis jetzt keine Kunst. Jetzt aber will ich dir zeigen, wie ich Peteh täuschen und treffen werde. Ich werfe die Tomahawks so schnell hintereinander, daß nur ein Augenblick dazwischenliegt; er wird zur Seite springen, um dem ersten auszuweichen, und grad dadurch dem zweiten in die Schärfe rennen.«

»Und wenn er aber auf die andere Seite ausweicht?«

»Das thut er nicht, denn ich werfe nicht hohen, sondern Seitenbogen; dadurch wird er getäuscht und wendet sich nach der Seite, nach welcher ich ihn haben will. Außerdem werde ich auch noch auf andere Weise versuchen, ihn nach dieser Seite zu zwingen.«

»Wie?«

»Es stehen Bäume auf dem Kampfplatze. Wie groß soll der Abstand zwischen uns im Fernkampf sein?«

»Sechzig Schritte.«

»So werde ich mich sechzig Schritte weit von einem dieser Bäume aufstellen, sodaß Peteh neben ihm zu stehen kommt. Er kann also nicht nach der Seite, wo der Baum steht, sondern nur nach der andern ausweichen.«

»Uff, das ist klug!«

»Und nun paß auf! Diese Lichtung ist hier gegen siebzig Schritte breit; drüben stehen zwei Ahorne fünf Schritte weit nebeneinander. Ich will sie beide treffen, und zwar in der Höhe, wie Petehs Schultern liegen. Jetzt!«

Als der Häuptling vom »im krummen Bogen werfen« sprach, meinte er den Effektwurf, welcher große Übung und Geschicklichkeit erfordert. Man giebt dem Tomahawk durch Drehung mit der Hand den betreffenden Effekt, wie man beim Kegelschieben eine Bogenkugel dreht; er bekommt dadurch eine doppelte Bewegung, eine Vorwärts- und eine Seitenbewegung, welche beide genau nach dem Ziele abzupassen sind. Wie man es fertig bringt, daß er sich unterwegs nach Belieben hebt und wieder senkt oder gar nach Bumerangart eine retrograde Richtung nimmt, das kann man nur zeigen, aber leider nicht beschreiben.

Die beiden Tomahawks flogen schnell nacheinander aus meiner Hand und blieben drüben in den Ahornen stecken.

»Uff!« rief der Häuptling, als wir hinüberkamen, um sie heraus zuziehen. »Wenn Peteh hier gestanden hätte, wäre er ganz gewiß getroffen worden! Old Shatterhand wirft viel, viel besser, als ich es kann. Er wird jetzt heimlich über mich lachen, daß ich geglaubt habe, er verstehe sich auf den Tomahawk nicht so gut wie der Häuptling der Blutindianer! Will er es noch einmal versuchen?«

»Nein; es ist nicht nötig, und wir haben auch keine Zeit, länger hier zu bleiben. Ich glaube, man wird schon auf uns warten.«

Wir ritten zurück und sahen, daß allerdings schon fast das ganze Lager leer geworden war. Die Roten hatten sich nach dem Kampfplatze begeben, und wer sich noch nicht dort befand, der war wenigstens schon unterwegs. Ich band mein Pferd an und holte Carpio und Rost, welche dabei sein mußten, doch sagte ich ihnen nichts davon, daß sie, falls ich besiegt würde, den Kampf fortzusetzen hatten.

Die Roten hatten einen weiten Kreis um den Baum gebildet; die alten Mitglieder der Beratung saßen in der Mitte dieses Ringes. Wir setzten uns zu ihnen. Peteh war noch nicht da. Gesprochen wurde bei uns nicht, denn das wäre nicht schicklich gewesen. Aber die gewöhnlichen Krieger unterhielten sich umso lebhafter mit einander. Ihre Spannung konnte kaum größer werden, als sie war.

Endlich kam Peteh als der letzte von allen. Er setzte sich gar nicht erst nieder, sondern warf den Jagdrock und das Jagdhemde ab, so daß sein Oberkörper und die Arme vollständig entblößt waren, und hielt eine lange Posaunenrede über seine Körperstärke, Geschicklichkeit und seine Heldenthaten, welche darauf berechnet war, mir Angst zu machen. Allerdings, wenn man diese kolossale Brust und diese massigen Arme sah, hätte es einem wirklich bange werden mögen, mir aber nicht!

Meine Gefährten verstanden kein Wort von dieser Rede. Carpio fragte mich leise und besorgt:

»Mit diesem Riesen sollst du kämpfen?«

Ich nickte.

»Höre, der zerquetscht dich doch, wie man einen faulen Apfel zerdrückt!«

Ich schüttelte den Kopf und winkte ihm, zu schweigen.

Als Peteh seinen Speech beendet hatte, erwartete man von mir auch eine Rede nach Indianerart. Ich stand auf und sagte:

»Ich bin bereit. Wie lange soll gekämpft werden?«

»Bis einer von beiden ganz tot ist oder liegen bleiben würde, wenn er nicht an den Baum gebunden wäre,« antwortete Yakonpi-Topa.

»So ist es gar nicht nötig, daß ich mich auch erst entkleide. Der Kampf wird beendet sein, noch ehe er recht angefangen hat. Bindet uns an!«

»Nein,« rief Peteh. »Dieser weiße Hund will die Kleider anbehalten, um von ihnen beschützt zu sein. Er muß sie auch ablegen!«

Natürlich mußte ich es nun thun. Dann stellten wir uns zu beiden Seiten des Baumes auf, die Gesichter gegen einander gerichtet, und hoben die Arme, um die Riemen unter ihnen hindurchziehen zu lassen. Peteh blitzte mich dabei mit wütenden Augen an; ich beachtete es nicht. Da spuckte er auf mich; ich wendete aber den Kopf, so daß er mich nicht traf. Als wir festhingen, traten die Roten, welche uns angebunden hatten, zurück. Aller Augen waren auf uns gerichtet. Wir durften uns nun nicht eher bewegen, als bis der Häuptling der Kikatsa das Zeichen dazu gab.

Peteh wartete mit größter Ungeduld darauf; ich machte ein sehr gleichgültiges Gesicht. Es war mit größter Sicherheit zu erwarten, daß er beabsichtigte, mir keine Zeit zu lassen, meine Arme zu erheben, sondern die seinigen sofort herüberwerfen und um mich schlingen werde. Ich legte den rechten Daumen als federndes Glied in die Faust und wartete.

Da ertönte der Ruf Yakonpi-Topas, und was ich erwartet hatte, das geschah: Peteh hob blitzschnell die Arme; aber ebenso schnell bekam er von mir einen von unten herauf geführten Hieb in die linke Achselhöhle, die ohne Deckung war. Sein Arm sank steif herab, und im nächsten Augenblicke flog ihm meine Faust an die Schläfe, daß ihm der Kopf auf die rechte Schulter fiel. Ich hörte einen kurzen, pfeifenden Atemzug; die Augäpfel verdrehten sich im Krampfe; dann sanken die Lider herab.

»Ich bin fertig; bindet uns los!« rief ich in befehlendem Tone.

Es herrschte tiefe Stille ringsumher; kein einziger Ruf, kein Laut war zu hören. Die Schnelligkeit, mit welcher dieser erste Gang beendet worden war, hatte alle verblüfft. Der Häuptling der Kikatsa stand auf, kam herbei und untersuchte Peteh.

»Uff!« rief er dann aus. »Die Faust Old Shatterhands fällt wie ein Fels vom Berge nieder. Der Häuptling der Blutindianer ist tot. Nehmt beiden die Riemen ab!«

»Er ist nicht tot,« entgegnete ich. »Hätte ich ihn erschlagen, müßte ich mit gewöhnlichen Blutindianern weiterkämpfen; da aber Old Shatterhand sich nur mit Häuptlingen messen darf, habe ich ihn bloß betäubt, doch nicht erschlagen. Ist die Bedingung dieses Kampfes erfüllt?«

Als die Riemen weggenommen wurden, fiel Peteh wie ein Sack zu Boden; darum antwortete der Häuptling der Kikatsa:

»Ja, sie ist erfüllt, denn Peteh liegt hier und kann sich nicht bewegen. Old Shatterhand hat gesiegt!«

»Uff, uff, uff!« klang es aus fünfhundert Kehlen; die Blutindianer aber standen stumm. Ich ging an meinen Platz zurück und setzte mich dort nieder.

»Gott sei Dank, daß es glücklich vorüber ist!« sagte Rost. »Ich habe eine Riesenangst ausgestanden!«

»Ich nicht!« lachte ich.

»Wirklich nicht? Wirklich? Dieser Mensch hat ja Arme wie Elefantenbeine! Als Sie mit ihm zusammengebunden wurden, Mylord, sagte mir meine innere Stimme, daß wir Sie hier begraben würden. Ist es denn wirklich möglich, daß in Ihrer kleinen Hand ein so fürchterlicher Hieb stecken kann?!«

»Diese Kraft hatte er schon früher,« erklärte Carpio; »er zeigte sie aber nur selten einem Menschen. Wird weitergekämpft?«

»Ja, mit Tomahawks,« antwortete ich.

»Kannst du das?«

»Ja. Du brauchst keine Sorge zu haben.«

»Ich habe auch wirklich keine um dich, gar keine. Wenn du deine Gedanken zusammennimmst und keine Kopflosigkeit begehst, wird alles gut. Hüte dich nur vor Zerstreutheiten und Verwechslungen!«

Die gute Meinung, welche er von mir hatte, war wirklich rührend. Es war ihm gar nicht bewußt, was hier alles auf dem Spiele stand. Rost war einsichtsvoller; er hatte nicht geringe Angst; ich bat ihn aber durch einen bezeichnenden Blick, nichts zu sagen.

Bald kam wieder Leben in Peteh; ich wendete mich ab und sah ihn gar nicht an. Dann stand er hinter mir und hielt zu seiner Verteidigung eine prahlerische Rede, in welcher er erklärte, daß er im zweiten Kampfe mir um so sicherer den Kopf bis zur Schulter herab auseinanderspalten werde, meinen Fausthieb könne ich zum zweitenmal nicht bei ihm anbringen, und er verlange, daß man den zweiten Gang sofort beginnen lasse.

Yakonpi-Topa war damit einverstanden und gab mir seinen Tomahawk. Diese Waffe war ein vorzüglich geschliffener mexikanischer Glasachat von der sehr harten und schwer zerbrechlichen Art, die durch kleine, weiße Sanidinkrystalle ausgezeichnet ist. Ich konnte damit einen Krafthieb wagen, ohne befürchten zu müssen, daß der Obsidian in Stücke gehen werde. Wenigstens konnte ich die beruhigende Überzeugung hegen, daß Petehs Tomahawk nicht besser als dieser sei.

Der Platz wurde nun bestimmt, auf dem wir uns einander gegenüberzustellen hatten. Auch jetzt sollte so lange gekämpft werden, bis einer von beiden so liegen blieb, daß er nicht wieder aufstehen konnte. Ich war schlimm daran, weil ich das Leben meines Gegners schonen mußte und ihn auch nicht so verwunden durfte, daß er kampfunfähig wurde, denn ich hatte gesagt, daß ich nur mit Häuptlingen kämpfen könne, und sah mich also gezwungen, ihn mir bis zum dritten Gange aufzuheben.

Man zeichnete auf dem Rasen einen zehn Schuh im Durchmesser haltenden Kreis, aus dem wir nicht heraustreten, innerhalb dessen wir uns aber nach Belieben bewegen durften. Gestattet war beides, der Hieb und auch der Wurf.

Daß der letztere erlaubt war, machte diesen Gang ungemein gefährlich. Man denke, daß einem ein Schlachtbeil aus einer Entfernung von höchstens zehn Fuß mit aller Kraft an den Kopf oder den Leib geworfen wird, und zwar so, daß es mit einer Ecke der Schärfe oder auch der ganzen Schärfe auftreffen muß! Das kann nur eine fürchterliche Wunde geben, wenn nicht gar sofort der Tod eintritt! Freilich hat der Wurf den großen, unausgleichbaren Nachteil, daß, wenn er pariert oder ihm geschickt ausgewichen wird, die Waffe dann verloren ist; man wird sich also nur dann dazu entschließen, wenn man die vollständige Überzeugung des Gelingens besitzt. Ich war entschlossen, darauf zu verzichten. Was Peteh thun würde, das mußte ich abwarten.

Er schritt nicht in den Kreis, sondern er sprang hinein, drehte sich mehreremal um sich selbst, schwang dabei den Tomahawk und schrie, daß ich nur schnell kommen möge, er könne es nicht länger erwarten, mein Blut zu sehen. Ich ging langsam hin und trat über den Strich, der mit Messern gezogen worden war. Grad weil er gesagt hatte, daß mir mein Hieb nicht wieder gelingen werde, sollte er ihn zum zweitenmal bekommen; ich hatte den Tomahawk also in der linken Hand. Peteh sah das und wartete, daß ich ihn in die rechte nehmen werde; als ich das nicht that, stieß er ein lautes Gelächter aus und rief:

»Dieses weiße Stinktier weiß noch nicht, wie ein Tomahawk anzufassen ist! Es wird auch keine Zeit finden, diese Kunst zu lernen, denn ich werde es sofort zu Boden schlagen!«

Viele der Zuschauer hatten jedenfalls gedacht, daß wir uns nach Indianerart erst lange Zeit um einander herumschleichen und sie also auf den ersten Hieb zu warten haben würden; aber dazu war Peteh zu ungeduldig. Er sprang, noch ehe er das letzte Wort ausgesprochen hatte, blitzschnell auf mich ein, holte zu einem tödlichen Schlage aus und – stürzte zu Boden, denn ich hatte mich ebenso rasch gebückt, war ihm unter dem Arme hindurch geschnellt, so daß sein Beil die Luft durchsauste, und rannte ihm dabei mit der Schulter das eine Bein vom Boden weg. Durch diesen Stoß und die Kraft, welche er in den Hieb gelegt hatte, kam er zum Fall, und ehe er nur zu dem Versuche kam, sich wieder aufzurichten, schlug ich ihm die Faust zweimal an den Hinterkopf, sodaß er liegen blieb. Dann trat ich wieder aus dem Kreise heraus, kehrte an meinen Platz zurück und setzte mich dort, ohne ein Wort zu sagen, nieder.

Ganz wie vorhin war jetzt wieder zunächst alles still. Daß Anfang und Ende des Kampfes auf kaum eine Minute gefallen waren, das wollten die Roten nicht begreifen, denn der Indianer ist gewöhnt, den Zweikampf so lange wie möglich hinauszuziehen, ungefähr wie man eine Delikatesse nicht hinunterschlingt, sondern langsam und mit Genuß verzehrt. Als sie aber sahen, daß Peteh sich nicht bewegte, gaben sie ihren Beifall umso lauter zu erkennen; die Blutindianer blieben natürlich still. Yakonpi-Topa stand auf, sah mir eine Weile still in das Gesicht und sagte dann:

»Uff! Das ist ja gar kein Kampf mit den Tomahawks gewesen!«

»Soll er etwa nicht gelten?« fragte ich schnell.

»Er gilt! Er müßte eigentlich dreifach gelten, denn es ist noch nie gesehen worden, daß ein Krieger sich in dieser Weise eines solchen Beilangriffs zu erwehren vermochte!«

»Pshaw! Dieser Häuptling der Blutindianer hat zwar einen großen Mund und ist im Reden stark; alles andere an ihm aber ist klein und schwach. Es ist der Mühe nicht wert, von ihm zu sprechen!«

»Ja, wer in dieser Art mit den Fäusten spricht, wie du, der braucht keine Worte zu machen!«

Er ging nach der Walstatt, um die sich jetzt so viele Indianer drängten, daß ich Peteh nicht mehr liegen sehen konnte. Da ich von keinem andern in Anspruch genommen war, ergriff Rost die Gelegenheit, mir kopfschüttelnd zu sagen:

»Mylord, ich komme aus dem Erstaunen gar nicht heraus. Schon die Situation am Baume sah so hochgefährlich aus und endete doch auf eine kinderleicht scheinende Weise, und als ich Sie beide einander mit den Schlachtbeilen gegenüberstehen sah, war ich überzeugt, daß diesesmal eine Menge Blut fließen werde – – aber zwei Fausthiebe, da war auch das so schnell vorbei! Man denkt, es müsse eigentlich jetzt erst losgehen! Da habe ich mein Besteck allerdings umsonst mitgenommen, will aber natürlich von Herzen gern hinzufügen – Gott sei Dank!«

»Oh, was Ihr Besteck betrifft, so können Sie bald Gelegenheit finden, es zu brauchen, denn im dritten und letzten Gange werde ich Peteh nicht schonen. Beim Fernkampfe ist ein Fausthieb unmöglich, und falls dieser Gang unblutig endete, müßte das ganze Sti-i-poka wahrscheinlich von neuem begonnen werden. Aber, wo ist Carpio?«

Er fehlte nämlich; er hatte sich während des zweiten Ganges entfernt.

»Er ist nach dem Lager gegangen, um seinen Revolver zu holen,« antwortete Rost.

»Wozu?«

»Um Peteh zu erschießen, falls Sie unterliegen sollten.«

»Das ist ja Unsinn! Wer hat ihn denn auf diesen dummen Gedanken gebracht?«

»Kein Mensch; er ist selbst darauf gekommen. Als Sie in den Kreis getreten waren, sah die Sache außerordentlich gefährlich aus. Da sagte Carpio: ›Wenn dieser rote Kerl mir meinen Sappho erschlägt, jage ich ihm alle sechs Kugeln meines Revolvers in den Kopf!‹ Dann rannte er fort, um ihn zu holen.«

»Haben Sie denn nicht versucht, ihn zurückzuhalten?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Meine innere Stimme riet mir zwar, es zu thun, aber es war unmöglich, weil er sich gar zu schnell entfernte. Haben Sie etwa Sorge um ihn?«

»Um ihn nicht, nämlich um seine Person, denn ich wüßte nicht, was ihm geschehen könnte; aber er ist so unzuverlässig und weiß nie, wenn er eine Dummheit macht.«

»Soll ich ihn etwa holen?«

»Ja. Ich habe keine Zeit dazu, denn ich darf mich nicht entfernen.«

»Ich gehe aber auch nicht gern fort, denn ich möchte den dritten Gang nicht gern versäumen. Wird er gefährlich werden?«

»Für mich ganz und gar nicht. Da ruft der Häuptling schon. Es scheint losgehen zu sollen. Ich darf nicht zögern, sonst mißlingt mir ein Vorteil, den ich erreichen will.«

Peteh war wieder zu sich gekommen. Ich sah ihn zwar nicht, weil eine Menge Menschen ihn umgaben, aber ich hörte ihn schreien. Er schien ganz außer sich darüber zu sein, daß er wieder der Besiegte war, und zumal grad durch den Hieb, dessen Wiederholung er als unmöglich hingestellt hatte. Ich kümmerte mich jetzt nicht um seine Person, sondern um die Distanz, welche ich zu nehmen hatte, wenn ich meine Absicht, daß er neben einem Baume stehen solle, erreichen wollte. Ich ging also zu demjenigen, an welchem wir vorhin angebunden gewesen waren, und zählte sechzig Schritte von ihm ab. Als ich damit fertig war, öffnete sich der Menschenknäuel, und der Blutindianer trat daraus hervor. Er hatte in jeder Hand einen Tomahawk. Ich hatte einen, und Yakonpi-Topa kam, um mir den zweiten zu bringen. Er gab ihn mir mit lächelnder Miene und den Worten:

»Damit Old Shatterhand seine Absicht erreiche, werde ich von hier aus sechzig Schritte zählen; das ist keine Unehrlichkeit, denn du hast Peteh bisher mit Willen geschont. Es darf keiner von seinem Platze weichen, und wenn er getroffen wird, weil er weicht, so ist das die Strafe dafür, daß er nicht nach den Gesetzen des Kampfes gehandelt hat.«

Er schritt in gerader Linie von mir fort und blieb mit dem sechzigsten Schritte kaum zwei Meter weit von dem Baume stehen, ganz so, wie ich es erwartet hatte. Peteh mußte sich dorthin stellen und hatte den Baum zu seiner rechten Hand.

Die Situation war nun folgende:

Es hatte jeder von uns zwei Tomahawks, konnte aber, wenn nicht getroffen wurde, mehr Würfe thun, da in diesem Falle die Tomahawks zurückgebracht wurden. Auch dieser Kampf konnte nur dadurch enden, daß einer von uns liegen blieb. Keiner durfte vor Austrag der Sache die Stelle verlassen, auf welcher er stand. Es war nur erlaubt, sich zu bücken oder den Körper zu biegen, um nicht getroffen zu werden. Daß mein erster Wurf Peteh, falls dieser stehen blieb, treffen werde, davon war ich überzeugt, und handelte er gegen das Verbot, indem er auswich, so konnte das nur nach seiner linken Seite hin geschehen, weil auf der rechten der Baum stand; dorthin, nach links, mußte ich also den zweiten Tomahawk dirigieren, und zwar so weit nach links, wie Peteh in der Zwischenzeit der beiden Würfe kommen konnte. Das war gar nicht leicht; aber ich hatte diese Fintenwürfe mit Winnetou so gut eingeübt, daß ich am Gelingen nicht im geringsten zweifelte.

Die Zuschauer stellten sich zu beiden Seiten der Linie auf, deren Endpunkte wir bildeten, doch hüteten sie sich, zu nahe zu kommen, da sie sonst getroffen werden konnten. Yakonpi-Topa stand als derjenige, welcher das Zeichen zu geben hatte, in der Mitte. Ich spreizte die Beine halbweit auseinander und setzte den linken Fuß etwas vor. Dadurch gewann ich nicht nur den Halt zum Wurfe sondern auch die nötige Festigkeit, den Oberkörper rechts, links oder abwärts zu biegen, ohne meinen Standort zu verlassen.

Jetzt waren wir bereit, und der Häuptling der Kikatsa gab durch einen lauten Ruf das Signal zum Beginn des Kampfes. Peteh war als vortrefflicher Beilwerfer bekannt; ich hatte mich vorzusehen. Es stand bei mir bombenfest, daß ich mich lieber treffen lassen als nur einen Zoll breit weichen würde, mit den Füßen nämlich. Es sollte nicht gesagt werden, daß Old Shatterhand die Gesetze des Kampfes auch nur um den Betrag eines Gedankens verletze. Ob Peteh ebenso dachte, das mußte sich zeigen.

Mein Gegner hielt wieder eine Rede, die voller Beleidigungen und Drohungen für mich war. Als er damit fertig war, schien er eine ebensolche Antwort von mir zu erwarten; ich sagte aber nichts. Da verhöhnte er mich als einen Feigling, der sich vor lauter Angst nicht einmal ein Wort zu sagen getraue, und forderte mich auf, den ersten Wurf zu thun. Ich that, als ob ich seine Worte gar nicht vernommen hätte. Er wartete noch eine Weile, wiederholte seine Spottreden, und als ich auch hierauf weder etwas sagte noch etwas that, schwang er endlich sein erstes Beil.

Ich sah es diesem Schwingen an, daß ich in ihm einen tüchtigen Gegner vor mir hatte, und verwendete kein Auge von ihm. Da stieß er einen schrillen Schrei aus, und der Tomahawk entflog seiner Hand. Er strich wohl den dritten Teil des Weges parallel dem Boden hin, dann stieg er aufwärts, um sich am Ziele wieder niederzusenken. Ich konnte kerzengerade stehen bleiben, denn das Beil flog wohl einen Meter entfernt aber doch genau in Kopfeshöhe an mir vorüber.

Dieser Wurf war nicht übel und wurde von einigen Roten, wahrscheinlich Blutindianern, mit Beifall belohnt. Ihr Häuptling forderte mich nun wieder auf, zu werfen; ich that es aber nicht. Hierauf erging er sich abermals in Großsprechereien und Beleidigungen, und dann schickte er sich an, das zweite Beil zu schleudern. Er wirbelte und zielte dieses Mal länger als vorher, traf aber genau soweit wie vorhin vorüber, nur auf der andern Seite.

»Uff!« rief er aus. »Erst so nahe links und nun rechts vorbei! Beim drittenmal werde ich gewiß in die Mitte treffen. Wird der Feigling dort nun nicht bald werfen? Man bringe mir meine Tomahawks wieder her! Ich brauche sie.«

Da antwortete ich nun laut, so daß alle es hörten:

»Man lasse sie liegen; er braucht sie nicht, denn er wird nicht wieder zum Werfen kommen. Er hat mich aufgefordert, ihm zu antworten; jetzt soll er Old Shatterhands Antwort haben!«

Ich nahm zunächst nicht das Obsidian-, sondern das andere Beil; das erstere sollte den Treffer machen. Es galt, erst einen Geradhochbogen und dann im nächsten Augenblick einen Seitenhochbogen zu werfen. Während der Gegner auf den Geradhochbogen achtete, mußte der zweite Tomahawk von der Seite auf ihn zukommen. Wich er nicht aus, so mußte ihn das erste Beil treffen; sprang er aber zur Seite, so mußte er grad in das zweite rennen. Um seine Aufmerksamkeit ganz auf das erste zu lenken, mußte ich es, so wie er, mit einem Schrei aus der Hand lassen, beim zweiten mich aber still verhalten. Ich sah aller Augen auf mich gerichtet. Es war ein Augenblick der größten Spannung; das gab mir das Gefühl, als ob ich aus lauter gut ineinander greifenden, genau berechneten Spannfedern zusammengesetzt und ein Fehlwurf ganz unmöglich sei. Diese Zuversicht ist unbedingt notwendig zum Gelingen.

Als ich den Tomahawk jetzt im Schrägbogen um den Kopf wirbeln ließ, stieß Peteh ein wieherndes Gelächter aus. Es war das eine Entdeckung Winnetous; Peteh hatte es noch nicht gesehen; er kannte diese Art der Effektgabe noch nicht.

»Huuuuuh – – i!« rief ich jetzt. Das U dehnte ich lang, und als das kurz abgerissene I folgte, flog der Tomahawk hochsteil in die Luft empor, um dann in untrügbarer Linie schräg abwärts genau auf Peteh loszusausen, wobei er natürlich immerfort um sich selbst wirbelte. Während jedes Auge auf dieses Beil gerichtet war, flog auch das zweite schon, aber nicht etwa hinter dem ersten her, sondern es wirbelte in ebener Linie nach rechts hinaus, als ob sein Ziel nach dieser Seite liege, stieg dann empor und lenkte, je höher es sich hob, desto mehr nach links herüber, um sich allmählich zu senken und dann einen Sprung linker Hand von Peteh aufzutreffen.

Als ich das zweite Beil geworfen hatte, blieb ich, beiden Tomahawks mit den Augen folgend, still am Platze stehen. Ich sah, daß es gelingen werde. Ich war der einzige, der das zweite Beil sah; niemand wußte, daß ich zweimal geschleudert hatte. Jedes Auge, außer den meinigen, blickte nach dem ersten Tomahawk; man sah die scharfe Linie, welche er genau auf den Punkt nahm, wo der Häuptling der Blutindianer stand. Dieser mußte unbedingt getroffen werden. Er selbst erkannte das auch. Sollte er sich retten oder nicht? Diese Frage konnte ihn nur zwei Augenblicke lang beschäftigen, denn länger hatte er nicht Zeit. Es war verboten, zu weichen; aber das Leben hat schließlich doch den höchsten Wert. Alles schrie, denn jetzt, jetzt mußte der Wurf treffen – – da that Peteh einen schnellen Sprung zur Seite nach links, um sich zu retten – – es erfolgte ein lauter Schlag, den selbst ich auf sechzig Schritte Entfernung hörte; er war dem ersten Tomahawk entkommen, dafür aber von dem zweiten zu Boden geschmettert worden.

Jetzt gab es ein Schreien und Drängen, ein Fragen und Antworten, einen Wirrwarr sondergleichen. Niemand außer mir und Yakonpi-topa wußte, woher das zweite Beil gekommen war. Man drängte auf den Verletzten ein; man sah auf ihn; man blickte verwundert nach mir – – ich bekümmerte mich nicht darum, sondern suchte seine beiden Tomahawks zusammen und schritt mit ihnen langsam auf die wirr bewegte Gruppe zu. Als ich sie erreicht hatte, wendeten sich alle mir zu. Ich warf die Beile hin und sagte:

»Hier sind die Tomahawks. Er braucht sie nicht. Was Old Shatterhand spricht, das geschieht. Wer hat gesiegt?«

Da antwortete der Häuptling der Kikatsa:

»Hier liegt Peteh, der Häuptling der Blutindianer zum drittenmal. Der Tomahawk ist ihm tief zwischen Hals und Achsel eingedrungen; seine Augen sind geschlossen; sein Blut strömt von ihm; wer anders soll da Sieger sein als Old Shatterhand, welcher versteht, was keiner von uns bisher verstanden hat, nämlich einen Tomahawk nach rechts hinauszuwerfen und doch nach links hereinzubringen! Wer von euch hat schon einmal gesehen, daß ein Krieger zwei Kriegsbeile wirft, um mit dem einen das Auge des Feindes zu fesseln und mit dem andern dann um so sicherer seinen Leib zu treffen? Das Sti-i-poka ist zu Ende; Old Shatterhand hat gesiegt. Howgh!«

Ich wendete mich ab, um zu gehen; da sah ich Rost, welcher sehr eilfertig auf mich zugelaufen kam. Er blieb vor mir stehen, wirbelte seinen Bart zu beiden Seiten erregt in die Höhe und sagte:

»Sie haben ihn getroffen; ich sah ihn stürzen! Er blutet; er muß bluten! Ist er verwundet?«

»Ja.«

»Darf ich ihn untersuchen, ihn verbinden?«

»Ich habe da nichts zu sagen. Fragen Sie Yakonpi-Topa!«

Er wollte rasch fort; ich hielt ihn zurück:

»Ich sehe Carpio noch immer nicht. Wo ist er?«

»Noch im Lager.«

»Haben Sie ihn denn nicht geholt?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Das Tomahawkwerfen ging ja sogleich los. Es war so hochinteressant; ich wollte es sehen. Sie sagten ja selbst, daß ihm dort im Lager nichts geschehen könne!«

»Allerdings. Aber da er jetzt noch nicht wieder da ist, bin ich doch besorgt um ihn. Ich muß wissen, wo er steckt!«

Ich ließ Rost also laufen und ging nach dem Lager. Es lag gar kein Grund vor, irgend etwas für den Freund zu befürchten; aber sein langes Fortbleiben beunruhigte mich doch. Zwischen den Hütten war kein Mensch zu sehen. Ich ging nach der unserigen. Mein Pferd stand angehobbelt da; es zeigte keine Spur von Unruhe. Hier war also alles in Ordnung. Ich blickte in das Innere. Es fehlte nichts. Nun ging ich weiter und kam nach der Hütte der Gefangenen. Da fehlte die Wache. Ich sah hinein; sie war leer; die Riemen, mit denen sie gebunden gewesen waren, lagen an der Erde; Corner und seine Gefährten waren entflohen, während die Roten alle weg gewesen waren, um dem Sti-i-poka zuzusehen! Sogar der Wächter hatte sich durch die Neugierde von seinem Posten wegtreiben lassen. Wo war da Carpio? Hatte er das Unglück gehabt, auf sie zu treffen? Hatten sie ihn mitgenommen?

Mir wurde himmelangst um ihn. Ich rannte nach unserer Hütte zurück, hobbelte mein Pferd los und sprang auf. Die Flüchtlinge mußten sofort Deckung gesucht und konnten sich also nur nach der am nächsten liegenden Stelle des Waldes gewendet haben. Dorthin ritt ich im schnellsten Tempo. Kein Mensch sah mich, denn der Schauplatz des Zweikampfes lag an der andern Seite des Lagers und es fiel mir gar nicht ein, jetzt schon Lärm zu machen, denn da wären die Roten alle herbeigekommen und hätten die Spuren der Entflohenen unleserlich gemacht. Ich fand zunächst die Spur von zwei Reitern. Das war ich mit dem Häuptling der Kikatsa gewesen, als wir die Tomahawks probierten; also ritt ich weiter. Da kam eine zweite Fährte; ich stieg ab und untersuchte sie. Sie war von fünf Pferden getreten worden und wenigstens schon eine halbe Stunde alt. Herr Gott, ja, diese Kerle hatten meinen Carpio entführt!

Nun jagte ich allerdings zurück und machte Lärm. Eine Verwirrung sondergleichen war die Folge, und ich hatte alle Mühe, die Ruhe wieder herzustellen. Dem treulosen Posten wurde von dem Häuptling sofort die Ausstoßung aus dem Stamme angekündigt; das brachte aber die Entwichenen nicht zurück! Yakonpi-Topa war so bestürzt, daß er nicht recht wußte, was zunächst zu thun sei. Ich erklärte ihm:

»Es gilt vor allen Dingen zweierlei: Verfolgen können wir sie leider heut nicht mehr, denn die Sonne ist schon fast hinunter; aber welche Richtung sie, als sie sich weit genug vom Lager entfernt hatten, entscheidend eingeschlagen haben, das müssen wir schon heut wissen. Ich werde ihnen also nachreiten, ich allein, damit mir kein anderer die Spuren verdirbt. Du wirst inzwischen das zweite besorgen: Wir müssen erfahren, was sie mitgenommen haben, welche Pferde, was für Waffen, Nahrungsmittel und andere Gegenstände. Laß genau nachsuchen! Erst wenn wir das alles wissen, können wir entscheiden, wie wir uns zu verhalten haben. Jetzt ist nur erst das eine gewiß, daß ich ihnen unbedingt folgen werde. Das kann ich, denn ich denke doch nicht, daß ich noch als Gefangener der Upsaroka's gelte?«

»Old Shatterhand ist frei!« antwortete er.

»Gut! Ich reite fort und kehre zurück, wenn ich nichts mehr sehen kann.«

Ich galoppierte fort, ohne auf das, was er noch sagen wollte, zu warten, bis zu der Stelle, wo ich die Fährte der Entflohenen verlassen hatte, und folgte ihr dann weiter. Sie führte über den Pacific-Creek hinüber und dann genau westlich nach dem Little Sandy Creek. Ich hatte diesen noch nicht erreicht, als es dunkel wurde; ich mußte also umkehren, war aber überzeugt, daß sie ihre alte Route hinauf nach dem Finding-hole wieder eingeschlagen hatten.

Als ich in das Lager zurückkehrte, erfuhr ich nichts Gutes. Wie diese Menschen von ihren Fesseln losgekommen waren, das wußte niemand. Es war kein einziger Indianer, kein Upsaroka und kein Blutindianer, keine Wache und kein Posten im Lager gewesen; alle hatten den Zweikampf sehen wollen, und so war den Weißen Zeit genug geblieben und von ihnen auch schlau ausgenutzt worden, sich zu equipieren. Sie hatten sich aus dem Häuptlingszelte ihre Waffen geholt und noch Verschiedenes dazu mit fortgenommen. Dann hatten sie sich grad die allerbesten Pferde ausgesucht. Petehs und Yakonpi-Topas Pferde waren auch dabei, Corners Fuchs und noch zwei andere vortreffliche Tiere. Mehrere Decken fehlten, dazu Pulver, Blei und Fleisch aus der Hütte, in welcher die Vorräte aufbewahrt wurden. Yakonpi-Topa war wütend. Er hätte sich am liebsten auch an der Verfolgung beteiligt, konnte aber nicht fort, denn was wäre das für ein Häuptling, der auf einem Kriegszuge seine Leute verläßt! Er mußte also bleiben, bot mir aber zwanzig, dreißig und noch mehr Krieger zur Begleitung an. Ich bat nur um fünf, aber gewandte und ausdauernde Leute mußten es sein. Gern hätte ich Rost zurückgelassen, aber das ging nicht, weil wir nicht wußten, wie die Begegnung der Upsaroka's mit den Schoschonen ausfallen würde, und vor allen Dingen fiel es ihm auch gar nicht ein, sich von mir zu trennen. So sorgte ich denn wenigstens dafür, daß er ein noch besseres Pferd bekam, als sein abgematteter Brauner jetzt war. Auch ein Packpferd wurde ausgewählt; es sollte unsern Proviant und die Decken tragen, welche jetzt täglich notwendiger wurden, weil da oben nach dem Fremonts Peak zu eine ganz andere Landschaft und viel größere Kälte zu erwarten war als hier im jetzt noch grünen Thale des Pacific- und Mortonwassers.

Als wir alle diese Vorbereitungen getroffen hatten, gab es zwischen Yakonpi-Topa und mir noch eine sehr ernste Besprechung über Hiller. Ich brachte es so weit, daß er mir versprach, ihn freizugeben, falls sich herausstellen sollte, daß die Blutindianer die Mörder der sechs Krähen gewesen seien. Ich sollte später zu den Kikatsa kommen, um ihn abzuholen.

Rost hatte während meiner Abwesenheit dem schwer verwundeten Peteh seine ärztliche Hilfe angeboten, war aber höhnisch abgewiesen worden. Mein Gegner hatte gesagt, er brauche kein Bleichgesicht, welches ihn doch nur totkurieren werde; er verstehe es selbst am besten, wie Wunden zu behandeln seien. Da es mir nicht einfallen konnte, ihn aufzusuchen, ich ihm aber noch etwas zu sagen hatte, was zu verschweigen einem solchen Menschen gegenüber nicht etwa rücksichtsvoll, sondern dumm gewesen wäre, so ließ ich seinen Vertrauten, den alten, hinterlistigen Innua Nehma kommen. Als dieser vor mir stand und mich mit feindseligen Augen fragend anblickte, sagte ich:

»Innua Nehma wird sich besinnen, was am Fleischwasser gesprochen wurde, als ich aus der Betäubung des Kolbenschlages erwacht war. Weiß er es noch?«

Er antwortete nicht.

»Ich sagte zu Peteh, daß ich sein Gefangener bleiben wolle, so lange es mir beliebe. Er lachte mich aus. Dann sagte ich folgende Worte zu ihm: ›Ich bleibe sehr gern für einige Zeit bei euch, denn ich möchte wissen, was für ein Gesicht du machst, wenn ich von dir Abschied nehme, ohne daß du mich gehen lassen willst.‹ Er antwortete, mein Verstand sei mir verloren gegangen. Aber jetzt ist die Zeit gekommen, daß es mir gefällt, zu gehen. Morgen früh reite ich fort. Kann er mich halten? Wie steht es mit seiner Geschicklichkeit, Tapferkeit und Stärke? Wenn er nicht an seiner Wunde stirbt. so müßte ihn die Scham über seine Unfähigkeit umbringen. Ich gehe, ohne von ihm Abschied zu nehmen, denn so einen traurigen Menschen mag ich gar nicht wiedersehen; ich habe an dem dummen Gesichte, welches du jetzt machst, mehr als genug!«

»Uff! Wage nicht zu viel!« brauste er jetzt auf.

»Wagen? Pshaw! Ihr seid einfältige Menschen, vor denen sich kein kleiner Knabe und keine alte Squaw zu fürchten braucht. Alle eure vermeintliche Klugheit wird sehr bald zu schanden werden. Denkt dann an Old Shatterhand, dem ihr es zu verdanken habt. Howgh!«

Damit ging ich fort und ließ ihn stehen.

Heut aß ich als freier Mann mit dem Häuptling und ging dann nach unserer Hütte, um mich zeitig schlafen zu legen, weil wir morgen früh noch vor Tagesgrauen fortreiten wollten. Ich hatte ja den Weg nach dem Little Sandy Creek kennen gelernt und wollte den Vorsprung, welchen Corner und seine Gesellschaft hatte, möglichst bald einholen. Heut mußte ich mit Rost allein schlafen. Er war ebenso betrübt über Carpios Entführung wie er glücklich darüber war, daß wir unsere Freiheit wieder hatten. Höchst ärgerlich aber zeigte er sich über Peteh, der seine Hilfe zurückgewiesen hatte.

»Bedenken Sie, Mylord, was für ein prachtvoller Fall das wäre!« sagte er. »Das Schlüsselbein scheint zerschmettert zu sein und alle es schützenden Muskeln sind verletzt. Da ist zum Beispiel – – –«

»Der Kaputzenmuskel,« fiel ich ihm in die Rede.

»Entschuldigung! Dieses Mal wollte ich vor allen Dingen den breiten Halsmuskel nennen!«

»Bitte, thun Sie das morgen früh, wenn wir ausgeschlafen haben! Mir sagt eine innere Stimme, daß wir uns vor allen Dingen durch Ruhe zu stärken haben.«

»Ihnen? So! Dann mir auch. Gute Nacht!«

»Gute Nacht!« – –


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