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Neuntes Capitel. Der Samiel

Das Betglöcklein der Bergcapelle wurde gezogen, zum Zeichen, daß in einer Viertelstunde der Gottesdienst beginnen solle. Der helle, silberne Ton klang jenseits tief ins Thal hinab und diesseits in das Dörfchen hinein, welches vielleicht gerade dieser Capelle wegen vor alten Zeiten den Namen Capellendorf erhalten hatte.

Das Dorf war Filiale. Sonntags des Nachmittags kam der Pfarrer von Eichenfeld oder, wenn dieser nicht Zeit hatte, derjenige von Oberdorf aushilfsweise durch den dichten, dunklen Wald gegangen, um das religiöse Bedürfniß der Einwohnerschaft zu befriedigen.

Das größte und schönste Bauerngut des Dorfes lag ein Wenig abseits desselben auf einer Art von Halde. Das Vordergebäude trug als Zierde über jedem Giebel eine hölzerne, künstlich geschnitzte Krone, weshalb das Gut der Kronenhof, der jeweilige Bewirthschafter desselben aber der Kronenbauer genannt wurde.

Dieser Letztere saß auf einer Bank unter der mächtigen Tanne, welche vor dem Gute stand und sich hoch über die Firste desselben erhob. Er war von langer, überhagerer Gestalt, zählte wohl mehr als sechzig Jahre und war blind.

Er lauschte den Klängen des Glöckchens, und doch schien er auch zurück nach der Hausthür zu horchen, von welcher her sich Schritte vernehmen ließen.

Ein junger, schlanker, aber doch kräftig gebauter Bursche trat aus der Thür. Er hatte seinen Sonntagsstaat an, Schuhe, Kniestrümpfe, kurze Lederhose, Weste, Jacke, einen breiten Gurt um die Hüften und das Hütchen, welches mit einer Spielhahnfeder geschmückt war, saß ihm keck auf dem Lockenkopfe. Er hatte ein Gesangbuch oder Gebetbuch in der Hand. Jedenfalls wollte er hinauf in die Capelle, um dem Gottesdienste beizuwohnen.

Der Bursche war Fritz Hiller, der Knecht im Kronenhofe. Neben ihm gab es noch einen zweiten Knecht, den Bastian, der in der Umgegend als ziemlich geistesbeschränkt und einfältig bekannt war.

Der Bauer hatte doch mit scharfen Ohren das Geräusch vernommen, welches Fritz unter der Thür hervorgebracht hatte.

»Kätherl, bists halt Du?« fragte er.

Er meinte damit die Kronenbäuerin, seine Frau.

»Nein, Bauer, ich bin es,« antwortete der Bursche.

Ueber das Gesicht des Blinden zuckte ein heller Schein.

»Du, Fritz? Kannst mal herbeikommen?«

»Gern, wannst mich haben magst.«

»Dich hab ich alleweil gern; das weißt ja schon.«

Der Knecht kam näher und blieb bei seinem Herrn stehen. Es war ein Blick aufrichtigen Mitleides, den er auf ihn warf. Wenn ein Menschenkenner, sich in der Nähe befunden hätte, so würde er bemerkt haben, daß Beide sich trotz der Verschiedenheit des Alters ähnlich sahen.

»Bist wohl fertig mit dera Arbeit?« fragte der Bauer.

»Schon bald lang.«

»Und hasts Sonntagsgewandl an?«

»Alleweil ja.«

»So willst wohl außi gehn zum Schatz?«

»Damit ists gefehlt. Ich hab halt keinen.«

»Mußt Dich umschaun!«

»Damit hat es Zeit. Ein Waisenbub, wie ich bin, kann warten, bis er sich erst was spart hat.«

»Da hast freilich recht. Aberst wo willst denn sonst hin, wannst nicht außi willst?«

»Hinauf in die Capellen.«

»Ja, da hasts gut. Kannst dem Herrgott lobsingen und den Segen mit heimnehmen. Das kann ich nicht mehr.«

»Könntsts doch nochmal versuchen?«

»Es geht nicht. Meine Lungen haben keine Luft mehr. Aus dem Haus hierher nach dem Baume, das ist dera weitest Weg, den ich noch machen kann, weitern gehts halt nicht.«

»Ja, wanns einen Weg, worauf man fahren könnt, hinauf zur Capellen geht. Da wollt ich Dich schon mal hinauf bringen.«

»Da ists schon schwer zu steigen, viel weniger zum Fahren.«

»Aber Du möchtest doch mal gern mit in dera Kirchen sein?«

»Gar zu gern.«

»Weißt, so werd ich Dich aufitragen.«

Es war nicht nur Freude, sondern es war fast wie ein seliges Glück, welches die eingefallenen Wangen des Alten rasch, aber nur auf einen Augenblick erleuchtete.

»Thätst das wirklich?« fragte er, indem er mit seiner Hand nach derjenigen des Burschen suchte, um sie ihm zu drücken.

»Warum nicht?«

»Ich bin so schwer.«

»Und ich bin kräftig.«

»Die Leutln thäten uns Beid auslachen, wannst mich huckepack tragen brächtst.«

»Möchtens immer lachen. Was mach ich mir draus? Wann Du mit mir zufrieden bist, nachhero ist mir das Gered der Anderen gleich.«

»Ja, Du bist Derjenige, auf den ich mich noch verlassen kann – der Einzige!« fügte er leise hinzu.

»Es giebt auch noch Andere, welche ein Stuckerl auf Dich halten, Kronenbauer.«

»Ich merk nix davon. Wo ist meine Frau?«

»Sie ist in ihrer Stuben und wird sich auch fertig machen, in die Capell zu gehen.«

»Ja, das laßt sie sich nicht nehmen. In die Kirchen gehts allzeit. Keinen einzigen Tag wirds verfehlt. Sie ist eine gar Fromme und Brave!«

Er hielt bei diesen Worten seine glanzlosen Augen starr geradeaus gerichtet. Ebenso starr war sein Gesicht. Es war ihm nicht anzusehen, ob er aus Ueberzeugung oder ironisch sprach. Dann fügte er aber leiser hinzu:

»Und hübsch ist sie wohl auch noch?«

»Ja, Bauer,« antwortete der Knecht und zwar ebenso leise.

»Mußts richtig sagen!«

»Ich sag die Wahrheit. Sie ist die Allerschönst ringsum unter den Frauen und Dirndln.«

»Das denkst wohl nur!«

»Nein, alle Leutln sagen es.«

»Hat sie noch die rothen Wangen wie vorher, als – als – als ich hab sehen konnt?«

Es war, als ob er die letzten Worte nur mühsam, mit großer Anstrengung hervorbringen könnte.

»Sie sind gar noch ein Wengerl röther worden,« antwortete der Knecht.

»Und die weiße Haut, weißt, am Hals und wo mans schaut, ist auch noch da?«

»Ja. Sie hat eine Haut wie Alabaster, sagen die Leutln.«

»Und der Leib, weißt, Du bist kein Kind mehr; da kanns man sagen, die Brust mein ich, den Busen. Hats den noch nicht verloren?«

Trotzdem der Bauer es nicht sehen konnte, überflog ein tiefes Roth das Gesicht des Burschen.

»Das ist Alles noch da,« antwortete er.

»Und die Zähnen, der Mund?«

»Ja, das soll ich Dir Alles beschreiben. Meinst denn, daß ich die Bäuerin so daraufhin anschauen thu?«

»Du siehst sie ja alle Tage und am ganzen Tag!«

»Ja, aber so schau ich sie nicht an.«

»Aber Andere schauen sie wohl an?«

»Ich weiß nicht. Ich hab noch nimmer aufipaßt.«

»Fritz, bist auch ehrlich mit mir?«

»Ja freilich.«

»Nun, wann wir mal allein mit nander sind, so werd ich Dir was sagen.«

»Was Heimliches?«

»Ja.«

»Vielleicht ists besser, wannst mir lieber nix davon sagst.«

»O nein. Ich muß eine Seel haben, mit der ich darüber sprechen kann. Und Du bist dera einzige Mensch, dem ich mich anvertrauen darf. Ja, wannst jetzt nicht zur Kirche müßtest!«

»Meinst, ich soll dableiben?«

»Lieb wär es mir. Aberst ich möcht Dich nicht um die Frömmigkeit bringen.«

»O, mich bringst nicht darum. Der Herrgott wird mirs nicht als Sünd anrechnen, wann ich bei meinem Bauern bleib, weil der blind ist und sich nicht behelfen kann.«

»Ja. Und ein Buch hast wohl mit?«

»Das hab ich in dera Hand.«

»So kannst mir ja vorlesen, wann es beginnt, zu läuten. Das ist dann auch wie Gottesdienst. Weißt, es giebt ein Liedl, das beginnt mit denen Worten: »Jesu hilf siegen«. Das paßt ganz so auf mich, als obs auf mich dichtet worden wär. Wannst das im Buch finden thätst!«

»Ich werds suchen.«

»So setz Dich herbei zu mir.«

Der Bursche setzte sich an die Seite seines Herrn und suchte im Register nach dem Liede. Er fand es.

»Hier ists,« sagte er. »Wann ich beginnen soll, brauchsts nur zu sagen.«

Da erklang der Ton des Glöckleins abermals, und im Dorfe öffneten sich die Thüren, aus denen die Frommen traten, um empor zur Kapelle zu steigen.

»Jetzund läutets,« sagte der Bauer. »Dera Herrgott ruft. Kannst beginnen.«

Er lehnte sich an den Baum und faltete die Hände. Da fiel ihm noch die Hauptsache ein:

»Aberst lies fein hübsch langsam, daß man mit den Gedanken nachkommen kann!«

»Weiß schon, wie Du es gern haben willst, Kronenbauer.«

Und er las mit halblauter Stimme, langsam und nachdrucksvoll:

»Jesu, hilf siegen, Du Fürst des Lebens.
Sieh, wie die Finsternis dringet herein,
Wie sie ihr höllisches Heer nicht vergebens
Mächtig aufführet, mir schädlich zu sein.
Satan, der sinnet auf allerhand Ränke,
Wie er mich höhne, verstöre und kränke.

Jesu, hilf siegen, und laß mich nicht sinken,
Wenn sich die Kräfte der Lügen aufblähn
Und mit dem Scheine der Wahrheit sich schminken,
Laß doch viel heller mich Deine Kraft sehn!
Steh mir zur Rechten, o König und Meister,
Lehre mich kämpfen und prüfen die Geister!«

Trotz der Stimme des Lesenden hatte der Blinde Schritte gehört, welche aus dem Hause kamen. Er wendete sich aber nicht um. Fritz, der Knecht, hatte mit dem Lesen inne gehalten.

»Weiter, weiter!« sagte der Bauer.

»Es ist die Bäuerin,« entschuldigte sich der Knecht.

»Kommt sie herbei?«

»Ja.«

Das Gesicht des Bauern wurde starrer als vorher. Es war, als ob er jedem Lufthauche und jedem Lichtstrahle verbieten wolle, sein Gesicht zu treffen.

Jetzt war die Bäuerin da.

Wahrlich, Diejenigen, welche sie ein schönes Weib nannten, hatten sehr Recht! Vielleicht war sie eine der schönsten Frauen Bayerns, und das will was sagen, wie Jedermann weiß.

Eigentümlich war es, daß sie ganz wie ein unverheirathetes Mädchen gekleidet war, ganz gegen die strenge Sitte der Gegend, welche es nicht duldet, daß eine unverheirathete Frau die Freiheiten des ledigen Standes erlaubt.

Die kurzen, dunkelblauen Röcke, unten an der Kante mit Silberborte besetzt, gingen ihr nur bis halb auf die kräftigen Waden. Das Füßchen war der Fuß eines Kindes. Die runden, vollen Hüften trugen eine Taille, welche fast zum Handumspannen war. Umso mehr traten die vollen Arme, der schlanke und doch fleischige Hals und besonders der herrlich gebildete Busen hervor, über welchem silberne Spangen besorgt zu sein schienen, das Platzen des Mieders zu verhüten. Um den Hals hing eine schwere Silberkette; eine ebensolche war auch um das Hütchen gewunden.

Das. Gesicht war von schneeweißer Farbe und tief rosig angehaucht – wie Milch und Blut. Die großen, dunklen Augen hatten einen Ausdruck selbstbewußter Güte. Um die frischen, vollen Lippen spielte ein mildes Lächeln – kurz und gut, die Kronenbäuerin hatte das Aussehen eines jungen Mädchens von achtzehn bis zwanzig Jahren, und doch wußte Jedermann, daß sie die Dreißig bereits hinter sich habe.

Als sie so da stand und die Beiden betrachtete, war es, als ob eine gütige Fee zweien Sterblichen erschienen sei, um sie zu beglücken.

»Gehst mit zur Kirche, Fritz?« fragte sie den Knecht.

Ihre Stimme war ungemein wohlklingend, kräftig und sanft zu gleicher Zeit.

»Nein,« antwortete er.

»Warum? Wolltest doch vorhin gehen.«

»Der Bauer hat mich beten, ihm vorzulesen.«

»Ach so! Und das thust Du wohl gern?«

Es schoß wie ein Blitz des Hasses aus ihren Augen auf ihren Mann. Im nächsten Augenblicke aber traf dieser Blick den Knecht mit ruhiger, wohlthuender Wärme. Es gehörte ein scharfer Beobachter dazu, diesen gedankenschnellen Wechsel zu bemerken. Dieses schöne, verführerische Weib war ein Vulkan, auf dessen Gelände Trauben reifen, Orangen glänzen und Rosen duften, in denen Innern aber eruptive Gewalten ihr unheimliches, beängstigendes Wesen treiben. Wehe dann, wenn der Krater seine verheerende Lava speit. Dann ist es aus mit Blüthe, Duft und Blumenpracht.

»Warum sollt ich es nicht gern thun!« sagte Fritz. »Wanns dera Bauer gern hat, daß ich ihm was aus dem frommen Buch vorlesen thu, so wirds mir dera Herrgott verzeihen, daß ich nicht aufi zur Kapellen geh.«

»Ja, dera Herrgott ist halt barmherzig und gnädig und von großer Langmuth und Güte!«

Dabei schlug sie die Augen fromm zum Himmel auf, daß ein Maler ihr Gesicht zum Vorbilde eines Madonnengemäldes hätte nehmen können. Dann senkte sie den Blick wie in tiefer, verhaltener Seelengluth wieder nieder in die Augen des Knechtes und fuhr fort:

»Aberst man darf seine Langmuth nicht allzusehr mißbrauchen. Darum kannst nachhero, wann das Glöckle zum Paternoster und Ave schlägt, aufikommen. Wir werden dann mitsammen abisteigen und ich kann Dir sagen, was dera geistliche Herr uns predigt hat.«

Er wagte keinen Widerspruch. Auch der Bauer sagte nichts. Sie schoß noch einen blitzartigen, stechenden Blick in das Gesicht ihres Mannes, welche; jenen wachsartigen Schein hatten, den man bei Blinden so oft beobachtet, und ging dann davon.

Es war, als ob sie sich förmliche Mühe gebe, ihren Gang so redend wie möglich zu machen und dabei ihre üppigen Formen möglichst zur Geltung zu bringen. Sie schaute auch einmal zurück, ob der Knecht ihr nachblicke, bemerkte aber zu ihrem Aerger, daß der bildhübsche Bursche in das Buch und nicht nach ihr sah.

Ein trotzig entschlossener Zug legte sich um ihre Lippen. Sie ballte beide Fäuste um das Gebetbuch, welches sie in den Händen hatte, und flüsterte für sich hin:

»Dich kaufe ich doch noch! Er ist der schönste Kerl rundum, und ich bin die Allerhübscheste weit und breit. Das giebt ein sauberes Paar, auf welches sie Alle voller Neid blicken müssen. Durfte er nicht Kronenbauer werden, weil ich es nicht wollte, so wird er es doch noch werden, weil ich es nun – – doch noch will!«

Die Beiden unter dem Baume saßen eine Zeit lang still neben einander, Jeder in seine heimlichen Gedanken versunken. Endlich schüttelte der Knecht dieselben von sich ab und las weiter, ohne dazu aufgefordert worden zu sein:

»Jesu, hilf siegen; wer mag sonst bestehen
Wider den listigen, gleißenden Feind?
Wer mag doch seiner Versuchung entgehen,
Wenn er so schön und berückend erscheint.
Herr, wenn Du weichest, so muß ich ja irren.
Wenn mich der Schlangen List sucht zu verwirren.

Jesu, hilf siegen, im Wachen und Beten!
Hüter, Du schläfest und schlummerst nicht ein.
Laß Dein Gebet mich unendlich vertreten,
Der Du versprochen, mein – – – –«

»Halt!« unterbrach ihn da plötzlich der Bauer. »Schweig still! Mir ists ganz anderst worden. Ich mags nicht weiter hören.«

Seine Stimme klang rauh und gepreßt, ganz so, als ob er etwas Schweres, Innerliches zu überwinden habe.

»Warum?« fragte Fritz.

»Hm! Warum hast Du die Versen nicht nach dera richtigen Reihenfolg lesen?«

»Hab ich das denn?«

»Ja.«

»Das hab ich gar nicht.«

»Aber ich habs ganz gut merkt.«

Der Knecht war roth geworden. Gut, daß sein Herr das nicht bemerken konnte.

»Vielleicht ists, weil ich im Vorlesen stört worden bin,« entschuldigte er sich.

»Ja, das ist möglich. Aberst warum hast denn nachhero gleich den Vers nommen, der von dera Schlangen redet?«

»Das war nur ein Zufall.«

»Wirklich?«

»Ja. Was solls denn sein?«

»Hast Dir nix dabei dacht?«

»Gar nix.«

Der Bauer wartete eine Weile, dann sagte er in einem anderen, freieren Tone:

»Schau, Fritz, ich hab immer viel auf Dich gehalten. Das hast Du doch wohl merkt?«

»Ja. Und ich danks Dir auch gar gern.«

»Das weiß ich wohl. Ich freu mich, daß ich an Dir einen Herzlichen und Aufrichtigen hab. Darum thuts mir desto weher, wannt mir einmal die Wahrheit verschweigst.«

»Hab ich das denn than?«

»Ja.«

»Ich weiß nix davon. Das wär doch am End eine Schlechtigkeiten gegen Dich.«

»O nein. Es soll wohl vielmehr grad eine Gutheiten sein. Du willst mir was nicht sagen, wann Du meinst, daß es mir wehe thun könnt.«

»Was wäre das denn?«

»Verschiedenes! Besonderst wann es meine Frau betrifft.«

»Du Himmel! Was denkst da von mir!«

»Nix Arges, am allerwenigsten Das, wast vielleicht jetzt meint hast. Aberst ich kann nicht so schnell darüber wegkommen, daßt, als meine Frau nun fortging, gleich den Vers bracht hast von dem listigen, gleißenden Feind, der so schön und berückend erscheint. Hast da wirklich an Niemand dacht?«

»Nein.«

»An meine Frau gar nicht.«

»Wie sollte ich!«

»So! Wann sie noch so ist, wie sie damals war, dann ist sie wirklich schön, berückend und gleißend. Mich hat sie berückt, und das ist die Sünd, die ich begangen hab und für welche dera Herrgott mich mit Blindheit schlagen hat. Mit dem Aug hab ich sündigt, als ich es von meiner ersten Frau wegwendet und auf die jetzige worfen hab, und durch das Auge bin ich dafür straft worden. Das ist Gottes Gerechtigkeit. Meine erste Frau ist von der Eifersuchten umbracht worden und von noch was Anderem, und meine jetzige bringt nun dafür mich durch die Eifersucht um, die ich wegen ihr empfinden muß. Das ist schrecklich.«

Er schwieg. Der Knecht sagte nach einer kleinen Weile:

»Eifersucht solls gewest sein bei Deiner Ersten? Ich denk, es ist der Gram gewest.«

»Ja, über mich. Denke Dir, ich sags nur Dir und keinem Andern, und ich hab auch den richtigen Grund dazu, daß ich grad zu Dir davon sprechen thu: Meine Jetzige war damals nur erst fünfzehn Jahre alt, als ich meint hab, sie könnt die zweite Kronenbäuerin werden. Aberst sie war so groß und stark und schön bereits wie eine Zwanzigjährige. Wie prächtig mag sie nun jetzund sein!«

»Ich hab immer denkt, daß Deine Erste storben ist aus Gram darüber, daß die Zigeunern Euch Euer Kind davonschleppt haben?«

»Das ist auch mit ein Grund gewest! Herrgott, war das eine Zeit! Du weißt gar nicht, was einem Vatern und einer Muttern Alles passiren kann.«

»Da hast Recht. Ich hab meine Eltern ja gar nicht kannt.«

»Kannst Dich denn auf gar nix besinnen?«

»Nein, absolutemang auf gar nix. Meine Eltern sind wohl keine armen Leut gewest.«

»Wegen dera Eisenbahn, worinnen Du funden worden bist?«

»Ja. Das war drüben weit in Böhmen. Da hat, als dera Zug von Pardubitz nach Chrudim kommen ist, ein kleiner, eingewickelter Bub im Coupée zweiter Claß gelegen. Die Eltern aberst sind verschwunden gewest und auch niemals entdeckt worden. Ich hab gar ein schönes Gewandl anhabt. Ein Wagenschieber hat mich pflegt. Nachhero bin ich groß worden, bis Du mal zufällig nach Chrudim auf den Handel kommen bist und mich als Knecht gemiethet hast. Das ist halt Alles, was ich weiß.«

»Hast denn gar keine Sehnsucht, mal zu derfahren, wer Dein Vatern ist.«

»Nein.«

»So! Das ist nicht gut.«

»Aberst auch nicht bös. Meine Eltern haben mich böswillig verlassen. Im Bahnwagen verliert man kein Kind. Hättens mich wiederhaben wollt, so könntens leicht erfragen, wo ich bin. Sie wollten mich los sein, und nun mag ich nix von ihnen wissen. Dera Herrgott wird auch ohne sie für mich sorgen, wenn ich brav bleib.«

»Ja, das wird er!«

Er sagte das in einem beinahe feierlichen Tone, als ob er ein Versprechen geben, ein Gelübde thun wolle. Der Knecht fuhr fort:

»Und bei Dir hab ichs doch ganz gut funden. Ich leide keine Noth, Hab einen guten Dienst, kann mir was sparen, und wir sind mit nander zufrieden. Nicht?«

»Jawohl! So lang ich noch leb, sollst nicht vom Kronenhof fortkommen. Willst so lang da bleiben, Fritz?«

»Ja, gern.«

»Versprich es mir fest, und gieb mir die Hand darauf!«

»Hier ist die Hand. Ich bleib bei Dir, so lange Du mich behalten willst.«

»Nun, so ists halt gut. Ich behalt Dich immer!«

Er hielt die Hand des Knechtes in der Hand. Er streichelte sie so leise und zärtlich, wie man die Hand eines geliebten Angehörigen streicht. Fritz wunderte sich darüber, ließ es aber ruhig geschehen, ohne Etwas zu sagen oder ihm die Hand zu entziehen. Er war es gewöhnt, diese eigenthümliche Zärtlichkeit des Bauers zu bemerken, der aber, wenn plötzlich die Bäuerin dazu kam, es zu bereuen schien.

So verging abermals eine Weile, ohne daß gesprochen wurde. Da sagte Fritz plötzlich:

»Dort kommt ein Besuch, ein ganz und gar unerwarteter.«

»Wer ists?«

»Dera Wurzelsepp, wann ich mich nicht irren thu.«

»Der! Das ist schön! Den sehe ich gar gern kommen, denn, wann Der da ist, da giebts doch immer was Neues zu hören.«

»Ja, er erzählt gar gern, und ebenso gern hört er, was mittlerweile geschehen ist. Auch ich kann ihn gar gut leiden.«

»Er ist einer von den Wenigen, denen man ein Vertrauen schenken kann. Er ist ganz so, wie es in dera heiligen Schrift von Nathanael heißt: Es ist kein Falsch in ihm. Ist er es denn auch wirklich?«

»Ja. Er kommt vom Wald herüber. Er ist nun bereits so nahe, daß man ihn deutlich erkennen kann.«

»Wann er Blümerln am Hut hat und einen alten Rucksack und einen Bergstock, dann ist er es auch.«

»Das stimmt. Er hat Alles, wast da sagt hast. Horch! Da singt er auch schon.«

Der Sepp sah die Beiden sitzen. Er blieb stehen, warf den Hut hoch in die Luft, fing ihn wieder auf und sang:

»Hallo, hallo, der Sep kommt heut;
Das giebt im Haus gar große Freud.
Juhu, Juho, Juhi!«

»Antwort ihm gleich!« sagte der Bauer.

Fritz erhob sich vom Sitze und sang mit einer schönen, volltönenden Baritonstimme:

»Sepp, grüß Dich Gott! Komm nur heran!
Bist immer ein willkommner Mann.
Juhu, Juho, Juhi!«

Und der Sepp that einen Freudensprung und sang:

»Hol schnell ein Bier, ein Käs und Brod!
Ich leid gar große Hungersnoth.
Juhu, Juho, Juhi!«

Der Knecht antwortete:

»Wannst Hunger hast, komm schnell herbei;
Es giebt für Dich noch Allerlei.
Juhu, Juho, Juhi.«

Mittlerweile hatte sich der Sepp weiter genähert. Er rief noch von Weitem:

»Ja, im Kronenhof, da kann man immer was für den Mund bekommen. Da giebts halt Leutln, die reich sind und mildthätig dazu. Da geht man alleweile gern hin. Grüß Gott, Kronenbauer. Grüß Gott, Fritz!«

Er war jetzt unter dem Baume und reichte Beiden die Hand.

»Das ist recht, daßt kommst,« sagte der Bauer. »Hast lange nix von Dir hören lassen. Wo bist denn immer gewest?«

»Droben im Lappland bin ich gewest,« lachte der Alte. »Kennst das?«

»Nein, das kenn ich nicht. Wo liegt es denn eigentlich?«

»Das liegt da, wo das Europa alle ist und wo das Eismeer beginnt.«

»O weh! Und da bist gewest.«

»Jawohl.«

»Warum da oben, so weit?«

»Das ist eine feine Geschichten. Kennst vielleicht einen Heinrich Heine?«

»Nein. Der ist mir noch nicht vorgekommen. Wohnt er hier in dera Nähe?«

»Nein, der wohnt gar nicht mehr. Der ist schon lang storben.«

»Drum kenn ich ihn nicht.«

»Könntst ihn aber kennen. Er ist ein gar berühmter Mann, ein Dichter sogar.«

»O weh! Ich hab denkt, er ist ein Bauer.«

»Nein. Er hat allerlei schöne Lieder macht. Weißt, auch das: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin; ich lauf zu allen Zeiten vergebens zum Dirndl hin.«

»Das lautet doch anderst.«

»Für mich nicht. Ich bin immer vergebens laufen. Der hat nun auch ein Gedicht macht über verschiedene Länder und über die Leute, die darinnen wohnen. In diesem Gedicht heißt es unter Anderem:

In Lappland giebts garstige Leute,
Großmäulig, schiefbucklig und klein,
Die sitzen ums Feuer und backen
Sich Fische und quaken und schrein.«

»Das klingt gut. Die müssen gar schön sein, diese Lappländer!«

»Das hab ich mir auch denkt. Darum bin ich, als ich das Gedicht lesen hab, sogleich hingelaufen, um mir dorten eine Frau zu heirathen.«

Er hatte bisher ganz ernsthaft gesprochen, so daß der Bauer ihm auch ernst geantwortet hatte. Jetzt aber meinte der Blinde:

»Bist doch immer noch der alle Hallodri! Da denk ich wunder, wast hast mit dem Dichter und dem Lappland, und nun hast mich nur an dera Nasen zogen. Da kannst nur gleich wieder gehen!«

»Gehen? Das fallt mir gar nicht ein. Ich hab Euch sagt, daß ich hungrig bin, und dera Fritz hat mir eine Eierspeisen versprochen mit Schinken und ein Bier oder einen Wein dazu.«

»Davon hab ich nix hört.«

»Er hat sagt, daß es Allerlei giebt. Und darunter versteh ich nix Anderes als so was Gutes. Also bringst mich auch nicht fort. Ich setz mich halt zu Euch herbei.«

Er legte den Rucksack auf die Erde, den Stock dazu, schob den Hut auf den Hinterkopf und setzte sich neben den Bauer. Dieser sagte:

»Wanns so steht, so kannst schon was haben. Fritz, geh und hol ein Bier herbei und sag dera Magd, daß sie eine Eierspeisen machen soll mit Schinken und Rauchwurst hinein schnitten!«

Der Knecht ging.

»Hast wirklich denkt, daß ich Ernst mach mit dem Essen?« sagte der Sepp. »Es ist halt doch nur mein Spas gewest.«

»Das weiß ich schon; aberst essen wirsts doch.«

»Ja, wann ichs bekomm, so wirds auch gessen. Man darf das liebe Gut doch nicht verachten. Ist die Bäurin daheim.«

»Nein. Die ist in dera Kapellen.«

»Hab mirs denkt. Ich habs läuten hört, als ich noch im Wald war, und da hab ich gleich wußt, daß die Kronenbäurin nicht zu Haus sein wird. Sie ist ja eine gar Fromme. Nicht?«

Sein Auge ruhte dabei mit einem forschenden Blicke auf dem Gesichte des Blinden.

»Ja, fromm ist sie,« antwortete dieser kurz.

»Und nicht nur fromm, sondern auch schön.«

»Das nutzt mir nix. Ich kanns nicht sehen.«

»Leider. Aberst auch eine Fleißige und Zusammennehmerische, ist sie. Das sieht man am Kronenhofe. Er wächst zusehens. Hast doch wieder ein neues Gebäude angesetzt, seit ich zum letzten Male da war.«

»Ja, dera Herrgott hat einen ganz absonderlichen Segen auf den Hof gelegt. Die Ernten sind nicht gar sehr glanzvoll gewest, aberst was meine Frau anfaßt, das nimmt einen guten Lauf.«

»So wirst immer reicher. Schade, daßt keine Kinder hast.«

»Das ists, was mir fehlt, das Augenlicht und ein Bub.«

»Ja. Ich glaub, Du thätst gar viel darum geben, wannst wieder sehen könntst.«

»Alles, Alles gäb ich drum!«

Er faltete die Hände und holte tief, tief Athem.

»Ja,« meinte der Sepp, »das Augenlicht ist eine herrliche Gottesgab. Bist denn nicht mal bei einem Doctor gewest und hast nachsehen lassen, obs keine Hilf mehr giebt?«

»Bei mehreren.«

»Und was haben sie sagt?«

»Das es nimmer zu ändern ist. Das Pulver ist mir ins Aug drungen und hat Alles zerstört.«

»So! Das ist schlimm. Ich weiß noch gar nicht so genau, wie es damals geschehen ist, daßt blind worden bist.«

»Hab ichs Dir noch nicht sagt?«

»Nein. Ich hab Dich nicht fragen wollt, weil ich denkt hab, daßt nicht gern davon sprichst. Aberst von denen Leutle hab ich hört, daß es dera Samiel wesen ist, der auf Dich schossen hat.«

»Ja, der war es. Es ist in dera ersten Zeit gewest, als er hier in dieser Gegend zu hausen begann. Er hatte nur erst bei wenigen Leutln einbrochen, und auch beim Wilddiebstahl war er erst nur einige Male sehen worden. Ich bin eins der ersten Opfer, die ihm zufallen sind.«

»Ich hab hört, daß er jetzund sein Wesen noch viel ärger treibt als jemals?«

»Das ist richtig. Und grad immer unsere Gegend ists nur, die er unsicher macht. Es kommt jetzt häufig vor, daß die Leutle seinetwegen von hier fortziehen. Und Niemand zieht herbei. Ein Gut oder Haus ist nur schwer zu verkaufen, und das nur um seinetwillen.«

»Da sollte doch die Polizei kräftiger einschreiten.«

»Das thut sie doch auch.«

»Aberst nicht genugsam!«

»O, es liegen jetzunder sogar Soldaten da und in denen Dörfern umher. Sie streifen bei Tage und bei Nacht durch die Orte und durch den Wald, doch vergebens. Bei mir, drüben im neuen Gebäud, wohnt dera Offizier von ihnen. Er ist steinreich und von hohem, altem Adel. Er ist ein gar grimmiger Herr und hat einen schweren Schwur than, daß er den Samiel fangen will oder sterben. Er trägt außer dem Degen immer zwei oder drei Revolver bei sich, womit er den Samiel mit seiner ganzen Bande derschießen will, wann er auf sie trifft.«

»So ist er ein gar großer Held. Aberst ich denke mir, daß dera Samiel eher durch List als durch Gewalt zu fassen ist. Meinst nicht auch, Kronenbauer?«

»Kannst Recht haben. Es sollte mich gefreun, wann er derwischt würde, denn nur ihm ganz allein hab ich mein Elend zu verdanken, meine Blindheit und Alles, Alles, was mir auf dem Herzen liegt.«

Der Sepp nickte zustimmend vor sich hin. Sein altes, gutes Gesicht nahm den Ausdruck tiefsten Bedauerns an. Er wollte Etwas sagen, doch hielt er es zurück. Er wußte, daß darauf eine Erörterung folgen werde, welche besser zu vermeiden war. Darum blieb er bei der Hauptperson, von welcher das Gespräch handelte, nämlich beim Samiel, und sagte:

»Das glaub ich gar wohl, daßt Dich freuen würdest, wenn er seinen Lohn bekäme. Er hats nur ganz allein an Dir verdient. Mir ists ganz unbegreiflich, daß er Dich damals nicht verschossen hat.«

»Auch noch verschossen! Das fehlt noch grad!«

»Mußt mich richtig verstehen, Kronenbauer. Dera Samiel ist ein Wilddieb, Spitzbub und Räuberhauptmann. Wann so Einer auf Raub ausgeht und sich nicht derwischen lassen will, so trägt er doch Waffen bei sich, um Diejenigen, die ihn fassen wollen, niederzuschießen – – –«

»Das thut er doch!«

»Jawohl thut er das. Aberst grad in dem Fall bei Dir hat er es nicht than.«

»Oho! Er hat mich doch schossen!«

»Mit Pulver nur hat er schossen, nicht aber mit einer Kugel. Er hat keine Kugel laden habt. Warum nicht? Darüber hab ich schon zuweilen nachdenken mußt. Ein Gewehr ohne Kugel kann ihm doch nix nutzen! Warum hat er grad bei Dir keine in dera Pistolen habt?«

»Weil er mich nicht hat dermorden, sondern nur so schießen wollen, daß ich blind werden mußt.«

»So ists, so hab ichs mir auch denkt. Aberst ich hab mich doch fragt, warum er das than hat. Er hat doch Andere derschossen, wann er von ihnen angriffen worden ist. Er muß also bei Dir eine ganz besondere Ausnahme macht haben, die einen Grund haben muß. Wann man diesen Grund wissen thät, sodann – – –«

Er hielt inne und schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Was wäre sodann?« fragte der Bauer.

»Sodann könnte man vielleicht derrathen, wer er eigentlich ist.«

»Meinst?«

»Ja. Kennt man den Grund, warum er Dich hat blind haben wollt, so kann man nachhero auch weiter denken. Er hat es grad auf Deine Personen abgesehen habt, also muß er ein Bekannter von Dir sein und einen Profit davon haben, daßt nun erblindet bist.«

Bei dieser Erklärung nahm das Gesicht des Bauers einen ganz eigenthümlichen Ausdruck an. Er hob den Kopf empor. Seine Nasenlöcher erweiterten sich und sogen die Luft ein, als ob er einen Feind erwittern wollte. Es war, als ob er alle seine Gedanken und Sinne anstrenge, demselben aus die Spur zu kommen.

»Hast Recht,« sagte er, »hast Recht! Er muß aus meiner Blindheit Nutzen ziehen. Aber wer könnte das sein, wer?«

»Denk mal drüber nach. Hast nicht einen Feind, einen gar großen, unversöhnlichen und gottlosen? Denn die allergrößt Gottlosigkeiten gehört dazu, Einem das Licht aus den Augen zu schießen.«

»Ich kenne keinen solchen.«

»Ja, ich weiß, daß alle Leut Dir freundlich gesinnt waren allezeit. Du bist zwar der Reichst und Vornehmst von ihnen gewest, aberst einen Stolz hat es bei Dir nicht geben, und Wohlthun war immer Deine Freud. Woher sollst da einen solchen Feind haben! Und dennoch muß es einen Menschen geben, der so gewaltig gegen Dich ist. Wannst den nur derrathen könntst. Der ist der Samiel, der und kein Anderer nicht.«

Die Züge des Blinden waren in reger Bewegung. Er gab sich die größte Mühe, sich einen so feindseligen Menschen zu denken. Seine Augen rollten in ihren Höhlen. In dem Weißen derselben konnte man kleine, blauschwarze Pünktchen sehen – die Pulverkörner, welche der Samiel ihm hineingeschossen hatte. Der ganze obere Theil des Gesichtes trug ähnliche Spuren, nur daß sie hier besser als in der Hornhaut des Auges verwachsen waren.

»Ich kann absolutemang Keinen finden, dem ichs zutrauen möcht,« sagte er. »Da führt all mein Sinnen und Denken zu keinem Ziel.«

»So überlaß es dem lieben Gott. Der bringts gewiß noch an den Tag.«

»Das ist mein Trost. Ich weiß es ganz genau, daß es noch an den Tag kommen wird. Ich weiß es so genau, daß ich darauf schwören könnt.«

»So? Wiefern?«

»Ich habs träumt.«

»Ah! Träumen sind Schäumen.«

»Nicht alle. Es giebt Träumen, denen mans gleich anmerkt, daß sie in Erfüllung gehen, daß sie eine Offenbarung sind. Und derjenige, den ich träumt hab, das war so einer.«

»Nun, was hast denn träumt?«

»Es hat mir träumt, daß ein fremder Herr kam und griff mir an die Augen. Es war noch ein Anderer bei ihm, der gar vornehm ausschaut hat, der hat mir den Ersteren herbeibracht. Als dieser mir an die Augen griffen hat, da hab ich gleich wieder sehen könnt. O Du mein Herrgottle, war das eine Wonne! Ich hab die Beiden anschaut, so scharf, daß ich heut noch genau weiß, wie ihre Gesichtern gewest sind. Ich werd sie auch niemals vergessen. Als sie fort waren, hab ich in meiner Kammer sessen und geweint vor Freuden. Da ist die Thür aufigangen, und die Soldaten sind kommen und haben mir den Samiel bracht, dens fangen hatten. Er hat ganz so ausschaut, wie man ihn immer sehen hat, schwarzen Anzug, eine schwarze Masken vor dem Gesicht und einen Hut mit sehr breiter Krämpen darüber. Ueber die Joppe ist ihm das Blut laufen, weil er verwundet gewest ist, denn er hat sich gewehrt habt wie ein Teufel. Da hab ich die Hand ausstreckt, um ihm die Maske vom Gesicht zu nehmen. Zugleich aberst ist dera Knecht, der Fritz da gewest, hat meinen Arm ergriffen und mir zugeschrieen, daß ich den Samiel nicht ansehen sollt, weil ich sonst vor Schreck gleich sterben thät. Darüber bin ich so verschrocken, daß ich gleich aufiwacht bin vom Schlafe.«

»Und hast auch nicht wieder anfangt, zu träumen?«

»Nein. Ich hab gar nicht wieder einschlafen könnt.«

»Wie schade, daßt aufiwacht bist! Wannst den Traum hättst richtig austräumen könnt, so wüßtest nun, wer dera Samiel ist.«

»Ja, jetzunder wüßte ichs; davon bin ich überzeugt, ganz und gar überzeugt.«

»Aber schau, sagt Dir dieser Traum nicht ganz Dasselbige, was ich Dir bereits sagt hab? Nämlich daß dera Samiel ein Bekannter von Dir sein muß? Sonst hat dera Fritz nicht meint, daßt zum Tod derschrecken wirst.«

»Ja, es ist sehr besonderbar. Ich hab mir fast den Kopf zerbrochen, wer es sein mag, doch vergebens. Selbst seine Schrift ist mir ganz unbekannt gewest.«

»Seine Schrift? Hast denn die mal sehen?«

»Ja, aber sagt hab ich nix davon. Du aberst bist ein verschweigsamer Mann. Mit Dir kann ich schon davon sprechen.«

»Natürlich hast die Schrift auch nur im Traume sehen?«

»Nein, sondern in Wirklichkeit.«

»Wie ist das möglich? Bist ja blind!«

»Damals hab ich noch sehen könnt.«

»Sappermenten! So lange ists her?«

»Ja.«

»So hat er wohl gar einen Briefen an Dich schrieben?«

»An mich selber,« nickte der Bauer. »Ich hab ihn noch.«

»Warum hast ihn denn dera Polizeien nicht zeigt?«

»Weil – weil – weil darinnen von dera Kathrin' die Red gewest ist.«

»Von Deiner Frauen?«

»Ja.«

»Höre, Kronenbauer, das ist eine hochwichtige Sachen. Du mußts am Besten wissen, obsts mit Recht hast verschweigen konnt.«

»Ich hab nicht davon reden mögen, weil Manches darinnen stand, was Niemand zu wissen braucht.«

»Auch ich nicht?«

Der Sepp rückte dem Blinden näher. Er befand sich in außerordentlicher Spannung.

»Vielleicht auch Du nicht,« antwortete der Bauer.

»So! Also hast kein Vertrauen zu mir!«

»Das hab ich schon. Und, wann ichs mir überleg, daßt so ein schlauer und kluger Kerlen bist, dem schon so Vieles gelungen ist, was Andere nicht fertig bracht haben, so möcht ich Dir doch den Briefen zeigen.«

»Wannst gescheidt bist, so zeigst ihn mir.«

»Ja, sollst ihn sehen; aberst Du mußt mir vorher versprechen, daßt nicht bös von mir denken willst.«

»Wie könnt ich das!«

»Du weißt, daß ich niemals kein Krakehler gewest bin, sondern ein stiller, bedenksamer Mann. Aus den Briefen könntst gar leicht das Gegentheil meinen. Darum ists wohl besser, ich erzähl Dir Alles, was voraus gangen ist.«

»Verzähl es nur! Es wird auf einen verschwiegenen Boden fallen.«

»Das muß ich mir freilich ausbedingen. Hast meine erste Frauen kannt?«

»Natürlich.«

»Und was hast von ihr denkt? Sags mir nur aufrichtig und ehrlich, Sepp!«

»Sie ist keine Gute gewest. Sie war häßlich und zänkisch, überfleißig und doch dabei eine Schlampampe, die selbst im besten Sonntagsstaat nach gar nix ausschaut hat.«

»Ja, so, so ist sie gewest. Weißt, ich hab sie heirathen mußt, weil sie reich war und keine Verwandtschaft mehr hatte. Ihr Vermögen mußt auf alle Fälle mein werden. Ich hab mich lange dagegen gewehrt, doch vergeblich. Nachhero hats ein Leben geben wie zwischen Katz und Hund. Sie hat den ganzen Tag zankt und keift, und ich war still und hab den Grimm in mich einifressen. Sie ist eine richtige, wirkliche böse Sieben gewest, obgleich ich zu stolz war, dies denen Leutln merken zu lassen. Dennoch haben wir einen Buben bekommen. Das hätt mich mit Allem aussöhnen könnt, wann nicht ein Anderes geschehen wär.«

»Da kam wohl Deine Jetzige dazwischen?«

»Ja. Sie war die Tochter eines Bekannten. Der starb und hat mich zu ihrem Vormund macht. Ich hab denkt, meine Pflicht thun zu müssen und hab sie zu mir auf den Hof nommen. Kannst Dir leicht denken, daß meine Frau sehr dagegen war und ganz entsetzlich schimpfiret hat; aber dieses Mal hab ich doch meinen Willen durchgesetzt. Und sonderbar ist es gewest: Als das Kätherl kaum eine Wochen bei uns gewest ist, da hat meine Frauen sich zufrieden geben. Das Dirndl hat stets so was an sich habt, was selbst den ärgsten Feind zu ihr bekehren muß. Meine Frauen hat sich nach und nach gradezu in sie verliebt gehabt!«

»Und Du auch!«

»Kannsts mir übel nehmen? Wannst so ein Schüreisen heirathet hast, ohne alle Liebe, sondern nur mit Zwang und Haß, und sie giebt sich auch keine Mühe, Deine Liebe zu erringen, sondern sie thut Alles, was Deine Abneigung nur vergrößern kann, nachhero machst auch die Augen auf, wannst eine Andre siehst, die schön ist und fein und jung und sich bereits am frühesten Morgen sauber und appetitlich zeigt, gleich so zum Anbeißen.«

»Ja,« meinte der Sepp, »so Eine ist gar gefährlich; so Eine war auch die Meine, die nachhero einen Andern nahm; so Einer ist nie recht zu trauen. Sie schnurren und schmeicheln wie die Katzen, und wanns nachhero zu langweilig wird, so laufens auf und davon.«

»Magst Recht haben. Kurz und gut, das Kätherl hatt mirs anthan.«

»Obgleichs so jung war? Erst fünfzehn Jahre!«

»Sie war groß und stark wie Eine von zwanzig, und an Klugheit gabs halt Keiner was nach. Ich habs gar bald merkt, daß sie mir gut gewest ist – –«

»Oder auch nicht,« fiel der Sepp ihm in die Rede.

»Meinst?«

»Ja. Manche zeigt Liebe, aberst anstatt dera Liebe ists nur Berechnung.«

»Hm, ja! Vielleichten ists auch mit dera Kathrin so gewest.«

»Wie alt warst denn damals?«

»Fünfunddreißig.«

»Nun, da kanns noch gehen.«

»Ja. Mancher nimmt sich erst viel später eine Frau. Ich hab übrigens ausschaut wie ein viel Jüngerer, und häßlich bin ich niemals gewest. Ein Mirakel wär es also nicht, wanns mich wirklich lieb habt hätt. Sie hat so traulich than, ist immer rund um mich gangen und hat sich die größt Müh geben, mir Alles am Aug abzuschauen.«

»Auch in Deiner Frauen ihrer Gegenwart?«

»Nein. Da war sie vorsichtig. Aberst wann wir allein waren, da ists die reine Zärtlichkeiten gewest, und einmal des Abends im Garten, da hat sie an meinem Hals gehangen, mich leidenschaftlich küßt und drückt und ich sie auch, ich hab gar nicht wußt, wie so schnell das hat kommen können.«

»Meinst etwan, daß die Liebe nach Minuten rechnet? Sie rechnet überhaupt niemals. Sie thut, was sie will, und je mehr und größere Hindernissen ihr in den Weg stellt werden, desto schneller und höher springt sie über dieselbigen hinweg. Ja, die Liebe kann Sprünge machen, Sprünge, wie sie kein Bajazzo und kein Hanswurst fertig bringt.«

»Nun, solche Sprüngen haben wir nicht machen konnt, um dera Leut willen und besonders wegen meiner Frauen. Wir haben natürlich Niemand nix merken lassen dürfen; aberst je heimlicher wir haben sein müssen, desto stärker und mächtiger ist die Liebe worden, bis – – –«

Er unterbrach sich, senkte den Kopf und seufzte tief, tief auf. Der Sepp sagte nichts. Er wartete geduldig, bis der Bauer aus eigenem Antriebe fortfahren werde, was denn nach einer kleinen Weile auch geschah:

»Dann kam eine Zeit, in welcher Dinge geschehen sind, von denen ich nicht sprechen will. Meine Frau starb, und ein Jahr nach ihrem Tode hab ich das Kätherl heirathet.«

»Da konntet Ihr nun auch öffentlich schön mit nander thun.«

»Ja. Es war das wahre Zuckerlecken. Aberst dera Zucker zerläuft gar bald im Wasser, und so war es auch bei uns. Die Zärtlichkeit ist geringer und immer geringer worden, und als sie endlich ganz aufhören that, war das Kätherl kalt wie Eis. Sie hat sagt, das müßt mal aufihören. Ich sollt zufrieden und stolz sein, daß ich eine so schöne Frauen hab, und bei dera Zärtlichkeiten geht die Schönheit verloren.«

»Na,« lachte der Sepp, »so weiß ich nun, warum ich noch heut ein so bildsauberer Jungbursch bin. Meine Schönheit ist mir nicht durch großes und übermäßiges Herzen und Drücken verdorben worden.«

»Hast auch das Augenlicht nicht dabei und dadurch verloren.«

»Du auch nicht.«

»Meinst? Hör nur weiter! Nach und nach war das Kätherl nicht nur kalt gegen mich, sondern es hat ganz so ausgeschaut, als ob ich ihr gradezu zuwider wär. Sie hat mich gemieden. Selbst wann wir zur Kirch gangen sind, hats stets dafür sorgt, daß wir nicht allein gewest sind.«

»Aberst wann ihr doch mal allein waret?«

»Da hab ich sie nicht angreifen dürft. Sie hat sagt, das sei ihr zum Ueberdruß und Ekel worden.«

»Sapperloten! Wann einem eine Speis anekelt, so hat man zur anderen desto größeren Appetiten.«

»Das hab ich mir auch denkt. Ich bin mißtrauisch worden. Ich hab Achtung geben, bis ich sie mal derwischt hab.«

»Was! Derwischt hast sie gar?«

»Ja, mit dem Knecht. Sie hatten einander beim Kopf und küßten sich, daß es knallte.«

»Na, da hätts dann bei mir auch knallt!«

»Das hats auch. Ich hab den Knecht die Trepp nunter schmissen, daß er das Bein brochen hat, und sodann ist das Kätherl auch dran kommen.«

»Hasts prügelt?«

»Ja. Ich weiß, daß das nicht fein ist, aberst ich hab mich vor Grimm nicht beherrschen konnt. Sie hat nachhero lange Zeit im Bett liegen mußt. Das hat sie benutzt, sich aus dera Schlafstuben auszuquartiren, und seit dieser Zeit schläfts ganz allein, und ich darf ihr nicht mal des Tages ihre Stuben betreten.«

»So bist ein Waschlappen gewest, ohne allen Willen und Festigkeit.«

»Hast Recht. Die Lieb ist eben ein ganz niederträchtig albernes Ding. Ich war verliebt in die Kathrin' wie selten ein Anderer verliebt sein kann.«

»Und bists auch heut noch!«

Der Bauer antwortete nicht.

»Hab ich Recht?«

»Ich weiß nicht. Manchmal möchts mich übermannen, daß ich sie in die Arme nehm und sie gar nimmer wieder loslassen thu, und sodann kommt wiederum ein Haß und Zorn über mich, daß ich sie gleich dermorden könnt.«

»Das ist die Eifersucht.«

»Ja, die ists. Eifersüchtig bin ich trotz der fünfundfünfzig Jahren, die ich auf dem Rücken Hab. Aberst ich bin ja blind und kann nicht sehen, was sie thut. Sepp, wannst wüßtest, was für eine Qual das ist!«

»Danke sehr dafür! Erzähl nur weiter!«

»Kannst Dich noch besinnen, daß ich den Knecht, den Fritz, mal als kleinen Jungen mit heim bracht hab?«

»Ja. Alle Welt hat sich über die Gutthat freut und besonders auch darüber, daß Deine Frauen sich gleich so liebreich seiner angenommen hat.«

»Liebreich? O, wanns die Leutln nur wußt hätten! Dera Bub war ihr ein Dorn im Aug gleich vom ersten Augenblick an. Ja, vor denen Menschen hats schön und lieb mit ihm than, aberst wanns ihn allein habt hat, o dann, dann!«

»Warum konnts ihn denn nicht leiden? Er war doch ein lieber Bub und ist ein so braver und sauberer Bursch worden.«

»Sie hat ihn haßt und haßt ihn noch heut, weil – weil – na, das kann ich nicht sagen; das gehört auch gar nicht zu meiner Verzählungen. Ich will nur sagen, daß sie im Stillen eine Tyrannin gegen ihn gewest ist, und daß wir deshalb noch weiter als vorher ausnander kommen sind. Ich hab mich oft seiner derbarmen mußt, bis ichs endlich so weit bracht hab, daß sie sich gar nimmer um ihn kümmert hat.«

»Da war nun endlich Ruh im Haus!«

»Nein, sondern da hat dera Krieg erst recht begonnen. Sie hat sich nicht mehr um ihn bekümmert, aber auch um mich nicht. Sie hat sagt, daß sie zwar die Bäurin sei aber nicht mehr meine Frau sein wollt. Von dera Zeit an hat mir die Magd das Essen kochen müssen, und ich bin ein Wittwer worden, trotzdem ich eine junge und schöne Frauen hab.«

»Kronenbauer, Du bist zu schwach gegen sie!«

»Meinst? Was hätt ich thun sollt? Sie wollt nicht, und dabei ists blieben. Hätt ich sie etwan todtschlagen sollt?«

»Nein, das nicht; aber zuweilen so eine kleine Backpfeifen hätt nix schaden konnt.«

»Die hat sie auch bekommen, und zwar mehr als eine, aberst nicht deswegen, sondern aus einem ganz anderen Grunde – sie ist mir abermals untreu worden.«

»Sapperment! Hast sie etwan nochmals derwischt mit einem Andern.«

»Ja, mit dem Jägerburschen. Das war grad zur Zeit, als dera Samiel zum ersten Male hat von sich reden macht. Das Kätherl hat sich immer weniger um die Wirtschaft kümmert; aberst desto fleißiger ist sie in die Kirch gangen und in den Wald spazieren. Dera Förster, welches dera frühere war, ist ein braver Mann gewest und hat mir sagt, daß sie im Wald mit seinem Burschen zusammentrifft. Ich hab ihnen aufilauert und dann den Kerl prügelt, daß er nicht mehr wußt hat, wie er heißt. Ihren Theil hat sie dann auch bekommen, und zwar daheim. Aberst meinst, daß das holfen hat?«

»Nicht?«

»Nein. Ich hab sie einschlossen, wann ich vom Haus fort mußt – vergebens. Dera Förster hat den Burschen fortjagt. Da hat sie bald einen andern Geliebten habt. Ich Hab sie oft auf solchen Wegen troffen, doch nie so, daß ich einen Grund funden hätt, mich von ihr scheiden zu lassen. Sie ist spazieren gangen bei Tag und bei Nacht; ich habs endlich nicht mehr hindern können, denn als ich hab denkt, noch strenger sein zu müssen, da hab ich den Briefen erhalten, von welchem ich vorhin sprochen hab.«

»Von Samiel?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Hat sie ihn denn kannt?«

»Weiß ich es?«

»Nun, wann er Dir von ihr schreibt, so muß er sie doch kennen!«

»Aberst nicht sie ihn.«

»Das hat sie sagt?«

»Ja. Und nun ich Dir das Alles verzählt hab, kann ich Dir auch den Briefen zeigen. Sie ist nicht da und kann also nicht sehen, wo ich ihn versteckt hab. Sie hat ihn tausendmal von mir verlangt, ich hab ihr ihn nicht geben. Hier ist er.«

Er zog zwischen dem Leder und dem Futter seines Gurtes das Schreiben hervor. Es war nur ein kleiner Zettel, zergriffen und zerknillt. Der Inhalt der von sehr ungeübter Hand geschriebenen Zeilen lautete:

»Ann dem Krohnenpauer hier.

»Wenn du deunne Vrau niecht inn Rue läst, soh sorch iech davier, das sie Rue erhällt. Iech kanns!

Der Saamiehl.«

Der Sepp las das Blatt einmal, zwei und drei Male. Er betrachtete sich jeden Buchstaben genau.

»Was sagst dazu?« fragte der Bauer.

»Die Hand ist verstellt.«

»So? Wirklich?«

»Ja. Und auch die orthographischen Fehler sind mit Fleiß gemacht. So dumm schreibt der albernste Bauernbub nicht, und dexa Samiel ist doch sicher ein gescheidter Kerlen. Weißt, was daraus folgt?«

»Nun?«

»Er hat besorgt, Du möchtest seine Schrift erkennen. Also ists Einer, dem seine Schreibereien Du bereits schon sehen hast.«

»Das leuchtet mir freilich ein, und doch kann ich mir keinen solchen denken.«

»So meinst, daß von allen Denen, deren Schrift Du kennst, keiner dera Samiel sein kann?«

»Ja, das ist meine Ansicht. Ich trau es Keinem zu. Keiner hat die Schlechtigkeit und auch die Durchtriebenheit, welche dazu gehört. Einen Einzigen gäb es, der, wenn auch nicht so schlecht und gottlos, aber doch so verwegen sein könnt wie der Samiel.«

»Wer denn?«

»Das wär mein Schwiegervatern.«

»Welcher? Hast doch zweie habt.«

»Ich mein' den Vätern von meiner jetzigen Frau. Der war als Wilderer bekannt und hat denen Förstern gar viel zu schaffen macht. Er ist niemals derpischt worden, so schlau war er. Sonst aberst war er ein ganz guter und braver Kerl. Es hat Leute geben, die behaupteten, daß seine Tochter, meine Jetzige, ihm beim Wildern hat helfen müssen.«

Der Sepp horchte auf. Er war schon daran, einen Laut der Ueberraschung hören zu lassen, beherrschte sich aber und sagte in ruhigem Tone:

»Hältst Du das für wahr?«

»Nein. Ein Mädchen von fünfzehn Jahren taugt niemals nix zum Wildern.«

»Sie müßt schießen können.«

»Das kann meine Frauen nicht.«

»Das glaub ich wohl. Man hätt doch davon hört. Aber willst nicht weiter verzählen? Wie war es mit dem Brief? Hast ihn Deiner Frau zeigt?«

»Nein. Erst nachher, als ich blind war, hab ich ihr davon sagt. Sie wollt ihn haben, doch hab ich ihr ihn nicht geben. Ich hab ihr weiß macht, daß ich ihn verbrannt hätt, und damit mußt sie sich halt zufrieden geben.«

»Hasts denn glaubt, daß dera Samiel seine Drohung wahr machen wird?«

»Ich hab nicht wußt, was ich davon halten soll, und nachhero hab ich denkt, daß sich ein Anderer einen dummen Spaß macht hat. Aberst es ist Ernst gewest, wie ich nachhero hab derfahren müssen, denn bereits einige Tage nachdem ich den Briefen erhielt, ist die That geschehen, die mich um mein Augenlicht bracht hat.«

»Und wie ist das gewest?«

»Das Kätherl war wiederum in den Wald gangen und ich schlich ihr nach, ohne daß sie es merkt hat. Ich Hab sie auch entdeckt. Schon von Weitem hab ich ihre Stimme hört, wie sie lacht hat, und auch eine Männerstimme war dabei. Da hab ich in meiner Wuth vergessen, daß es besser war, heimlich und vorsichtig zu thun. Ich bin durch die Büsche drungen, daß es laut gerauscht und geraschelt hat. Das habens natürlich hören müssen, und darum sah ich nur, als ich bei ihr ankam, noch den Rücken des Kerls, der bei ihr gewest war. Er sprang durch die Sträucher davon. Ich wollt ihm nach, aberst sie hat mich anfaßt und fest halten, mit einer Kraft, die ich ihr niemals zutraut hätt. Ich hab sie fragt, wer der Mensch gewest sei; sie hat mich auslacht und es mir nicht sagt. Da bin ich noch wüthiger geworden und hab ihr ein paar Schellen geben, daß sie hinstürzt ist. Da hat sie sich schnell wieder aufirafft und mir ein Gesicht macht, welches ich niemals vergessen nxri». All ihre Schönheit und Lieblichkeit war verschwunden. Sie hat ausschaut wie ein Teufel und hat mich anzischt wie eine Natter. Indem sie die Fäust ballt hat, rief sie mir zu: ›Du sollst fortan Deine verdammten Augen nicht mehr da haben, wo sie nicht hingehören! Merk Dirs!‹ Dann ist sie auch davon sprungen.«

»Herrgottle!« sagte der Sepp. »Da möcht man doch beinahe denken, daß sie – na, ich will nix sagen. Fahr nur weiter fort!«

Er hätte beinahe den Gedanken verrathen, welcher sich ihm während dieser Unterhaltung bereits mehrere Male aufgedrängt hatte. Er hielt es aber für gerathen, ihn zu verschweigen. Der Blinde erzählte weiter:

»Am andern Tag bereits ist dera Postbote kommen und hat mir abermals einen Briefen bracht. Darinnen hat standen, daß ich des Abends soll in den Garten – nun, ich brauch es ja nicht zu sagen, weil Du es ja auch lesen kannst.«

»Hast diesen Brief auch aufbewahrt?«

»Ja. Die beiden Schreiben stecken immer beisammen. Hier ist er.«

Er zog den Brief aus dem Gürtel, gab ihn dann Sepp und dieser las:

»Ann dem Krohnenpauer hier.

»Dein Weip ißt Dier unträu. Wen Du sie errwieschen wiellst, so geh heit Awand grat umm Mietternacht inn dem Garrten. Inn der hindren Lauwe wierd sie miet ihm sizzen. Sie hawen sich dort hinn beställt. Iech weis eß ganz genau.

Dein gutter Fräund.«

Der Sepp prüfte jedes Wort dieses orthographisch so fehlerhaft geschriebenen Briefes. Er schüttelte den Kopf und fragte:

»Bist doch nicht etwan nach dem Garten und nach dera Lauben gangen?«

»Warum sollt ich nicht?«

»Weils dera Samiel gewest ist, der dieses Schreiben macht hat.«

»Das ist doch nicht wahr!«

»Freilich ists wahr. Das hättst doch sofort sehen müssen. Es ist ganz die gleiche Schrift.«

»Wirklich? Ist sie es?«

»Ja, ganz genau.«

»Das hab ich mir nicht denkt. In meinem Aerger hab ich den Briefen gen nicht richtig anschaut.«

»O wehe! Es find auch ganz dieselbigen Fehler drin. Und die Überschrift ›Ann dem Krohnenpauer‹ ist ganz genau so, wie hier in dem ersten Briefe.«

»Himmel! Das hätt ich wissen sollt!«

»So wärst heut vielleichten nicht blind!«

»Ja, ja! Wie dumm, wie dumm bin ich gewest! Dera Samiel hat mir eine Fallen stellt und ich bin ganz hübsch und ohne alle Ahnungen hinein laufen!«

»So ists, so ists! Armer Teuxel! Jetzunder kann ich Dich nun erst recht bedauern. Es muß schrecklich gewest sein.«

»Ja. Ich hab natürlich wie im Fieber auf die Mitternacht wartet. Als die Zeit da war, bin ich erst nach der Stuben gangen, wo meine Frauen schlafen that. Ich hab mich vorher überzeugen wollt, ob sie auch da ist oder nicht. In der Stub brannte Licht. Als ich anklopft, hat sie nicht antwortet. Ich hab mehrere Male klopft, aberst vergebens. Dann hab ich durch das Schlüsselloch schaut. Es ist leer gewest, weil dera Schlüssel nicht steckt hat, und ich könnt in die Schlafstuben schauen. Sie hat den Schlüssel stets von innen ansteckt. Weil er nicht da war, könnt ich mir schon darum denken, daß auch das Kätherl fort sei. Dazu hab ich schaut, daß das Bett noch ganz unberührt stand. Auch das Kanapee und die Stühlen waren leer. Kein Mensch war drinnen. Ich hab zittert vor Aufregung und bin hinab in den Garten. Erst leise und heimlich, aberst je näher ich dera Lauben kommen bin, desto größer ist meine Wuth worden. Nachhero, als ich so nahe war, daß ich sie hab sehen könnt, bin ich wie ein Wüthender darauf lossprungen und hinein.«

Er sprach jetzt schnell, hastig. Er befand sich auch jetzt wieder in großer Aufregung, da er sich die kurzen Minuten vergegenwärtigte, während denen das Unglück über ihn hereingebrochen war. Der Sepp war außerordentlich gespannt auf das, was nun folgen werde.

»Saßens drin?« fragte er.

»Nein.«

»Ah! Gott sei Dank!«

»Sei still! Sag keinen Dank! Die Laube war die Falle, in die man mich lockt hatte. Es war Vollmond. Er schien so licht hinein, daß ich fast jedes einzelne Blatt schauen und unterscheiden konnte. Sie war leer, leer. Ich hab tief, tief Athem holt und das Herz ist mir leicht worden, weil ich nun denkt hab, daß man mich belogen hat und daß mir die Kätherl nicht untreu ist, wenigstens heut nicht. Ich hab wieder gehen wollt und mich umdreht. Aberst als ich aus dera Lauben trat, da – da stand er vor mir.«

»Wer? Red doch schnell!«

»Dera Samiel.«

»Sapperment! Hasts denn auch wirklich sehen, daß er es ist?«

»Natürlich! Er stand so da vor mir, wie er beschrieben worden ist und wie er noch heut beschrieben wird, wann mal Einer das Unglück hat, ihn zu schauen.«

»Hast Dir ihn auch richtig merkt?«

»Ja. Es ist, als ob er noch jetzunder vor mir ständ, so genau weiß ich es noch. Er war ganz schwarz gekleidet. Schwarze Hosen, schwarze, kurze Jacke, einen schwarzen, breitkrämpigen Hut und eine schwarze Larve vor dem Gesicht.«

»Ja, das ist er, das ist er! Weiter! Hat er zu Dir sprachen? Hat er was sagt?«

»Ja.«

»Wie war seine Stimme, tief oder hoch?«

»Tief, sehr tief.«

Bei dieser Antwort wich die Spannung, mit welcher der Sepp diese Fragen ausgesprochen hatte. Auf seinem Gesichte nahm der Ausdruck der Täuschung Platz. Er sagte in gesenktem Tone:

»Tief, sehr tief! Ich hab mir denkt, daß die Stimme hoch gewest sein muß.«

»Wie ein Tenor?«

»Sogar wie ein Alt oder Discant.«

»So sprechen doch nur Kinder und Frauen; dera Samiel aberst ist ein Mann. Auch kannst Dir denken, daß seine Stimm tief gewest sein muß, weil er die Larv vor dem Mund habt hat.«

»Ja, ja,« stimmte Sepp schnell ein. »Er hat wohl seine Stimm verstellt. und tiefer sprachen wie gewöhnlich, und durch die Larv hats noch tiefer klungen.«

»Warum meinst, daß er die Stimm verstellt haben soll?«

»Damit Du ihn nicht an derselbigen erkennst.«

»So denkst also noch immer, daß er ein Bekannter von mir ist.«

»Nach Allem, wast bisher verzählt hast, muß er ein solcher sein.«

»Und ich kann das nicht glauben. Ich kanns nicht für möglich halten.«

»Wollen uns nicht darüber streiten. Sag lieber, wie es nachhero weiter gangen ist. Also er hat vor Dir standen und – warte noch, Kronenbauer! Weißt auch seine Gestalt noch? Hast sie Dir merkt?«

»Ja.«

»Wie war sie? Klein oder groß?«

»Er war klein, fast so klein, daß ichs gar nicht glauben möcht, daß er solche Thaten begehen kann.«

»War er dürr?«

»O nein, aber er war auch kein gar Dicker.«

»So, so! Hm, hm!«

Der Sepp brummte diese Silben so langsam und nachdenklich, daß es dem Bauer auffiel. Darum fragte dieser:

»Was hast? Denkst Dir vielleichten was bei dieser Gestalt?«

»Ja.«

»Was denn?«

»Was ich denk, das ist mir selberst noch nicht ganz klar. Ich muß zurath gehen mit der Meinung, die ich mir bilden will. Nachhero wann ich denk, daß ich das Richtige troffen hab, werd ichs Dir sagen. Also, was hat er sprochen?«

»Er hat fragt: ›Was willst hier, Kronenbauer?‹«

»Und was hast ihm antwortet?«

»Nix, kein Wort. Ich bin so starr und verschrocken gewest, daß ich gar nicht hab reden könnt. Es ist gewest, als ob mir die Kehl zugeschnürt worden sei.«

»Das war gefehlt; das war sehr gefehlt. Ich hätt das ganz anderst macht an Deiner Stell.«

»So! Was hättst denn, macht?«

»Ich hätt mich schnell auf ihn stürzt, ihn zu Boden warfen und da entweder so würgt, daß ihm der Athem vergangen wär, oder laut um Hilf gerufen. Auf keinen Fall hätt ich ihn entkommen lassen.

»So sagst jetzt. Aber wannst an meiner Stell gewest wärst, so wär Dirs ganz ebenso ergangen wie mir. Wer am warmen Ofen sitzt, der kann nicht frieren, wanns draußen schneit. Und wann er sagt, daß er sich draußen nicht verkälten würde, so mag er nur hinaus gehen in den Sturm und Schnee und es versuchen.«

»Vielleicht hast Recht, vielleicht auch nicht. Ich bin schon in Lagen gewest, die ganz ähnlich waren wie die Deinige; aberst so verschrocken bin ich nicht wie Du. Reden hab ich allemal konnt und zuschlagen auch. Hat er nicht über Dich lacht, daßt so steif und starr vor Angst warst?«

»Nein. Er hat weiter fragt: ›Suchst etwan Deine Frau?‹ Und darauf hab ich mit ›Ja‹ antwortet, grad wie ein Schulbub, wann dera Lehrern ihn examinirt. Magst immer über mich spotten, Sepp. Ich bin kein Furchtsamer und kein Hasenherz gewest all mein Lebtage nicht, aberst an demselbigen Abende hab ich keine Macht über mich habt.«

»Ich verspott Dich nicht, denn begreifen laßt sichs schon. Red weiter.«

»Auf mein Ja hat er kurz und höhnisch auflacht und dann sagt: ›Kannst sie immer suchen; aberst sehen sollst sie niemals wieder. Dafür werd ich sorgen.‹ Und in demselbigen Augenblick hob er den rechten Arm empor. Ich hatt gar nicht sehen, daß er eine Pistolen in dera Hand habt hat. Er hielt sie mir blitzschnell entgegen, grad ins Gesicht und bevor ich nur Zeit fand, mich schnell abzuwenden, that es einen Krach; es blitzte mir vor denen Augen auf, als ob die ganze Welt in Flammen ständ. Es war mir, als ob ein Feuerstrom mich niederfegte; dann war es dunkel und ich fiel zu Boden. Seitdem ist es dunkel blieben und nie wieder hell worden.«

»O mein Gott! So also ists kommen, so!« sagte der Sepp. »Dera Samiel hat sich das Alles vorher überlegt, grad wie ein Teufel, wie ein richtiger Satanas. Bist nachhero wohl ohnmächtig west?«

»Ja. Ich hab die Besinnung verloren habt. Als ich aufwachen that, konnt ich nix sehen; aberst an den Stimmen und Fragen und Worten hab ich hört, daß das Gesind bei mir war. Die Leut hatten den Schuß hört und den fürchterlichen Schrei, den ich ausstoßen hat, ohne es zu wissen. Sie waren aus denen Betten sprungen und nach dem Garten eilt, denn aus dem war der Schrei kommen. Dort hattens mich funden, wie ein Todter vor dera Lauben liegend. Nun schafftens mich fort ins Bett und fragten, was schehen sei. Ich Hab vor Schmerz wimmert wie ein kleines Kind und kaum verzählen konnt, daß ich vom Samiel ins Aug schossen worden bin. Das Pistol ist nur mit Pulver laden gewest. Also sterben hab ich nicht sollen, sondern nur blind sein. Es wär viel besser gewest, wann er mich gleich derschossen hätt.«

»Weißt, Kronenbauer, grab das giebt mir halt viel zu denken.«

»Mir nicht.«

»Er muß doch einen Grund haben. Dich nicht zu tödten. Es muß für ihn besser und vortheilhafter sein, daßt leben bleibst.«

»Wohl nicht. Er hat sein Gewissen nicht mit einem Mord beladen wollen. Das ist ja Grund genug und eine ganz hinreichende Erklärung.«

»Mag sein; aberst ich werd mal tiefer nachdenken über die Sach. Vielleichten komm ich auf einen nützlichen Gedanken.«

»Denk immer nach. Wirsts auch nicht weiter bringen als ich mit all meinem Sinnen und Grübeln, was gar nix gefruchtet hat.«

»Wollen sehen. Hättst mir schon längst Alles so verzählt wie heut, vielleichten hätten wir da bereits den Samiel fangen.«

»Oho! Hältst Dich wohl wirklich für den Mann, der das vollbringt, was die ganze Polizeien bisher vergeblich versucht hat?«

»Kann schon sein, daß grad ich dieser Mann bin. Weißt, es giebt eben Dinge, die ein einziger leichter fertig bringt als Mehrere oder Viele. Wann zehntausend Männer sich ans Ufer stellen, um einen Fisch zu fangen, so machens einen Lärmen und eine Unruhen, daß dera Fisch sich sicherlich nicht derblicken läßt, sondern davonschwimmt. Aberst wann ein Einziger sich heimlich ans Ufer setzt und die Angel fein sacht ins Wasser läßt, so beißt dera Fisch viel leichter an. So ein Fisch, so ein Hecht und Räuberfisch ist dera Samiel. Ich bin eben jetzunder im Begriff, mir eine Angelruthen zu schneiden. Nachhero werd ich mich an sein Wasser schleichen, und wann er sich noch so sehr in Acht nimmt, anzubeißen, so werd ich doch durch Geduld und guten Köter ihn endlich noch überlisten.«

»Das sagst mit solcher Ueberzeugung, als obst ganz sicher wärst, ihn zu fangen!«

»Ja, diese Ueberzeugung hab ich jetzt.«

»Sepp, sprichst im Ernst?«

»Ja. Hast mich mal als einen Maulhelden kennen lernt?«

»Nein. Du hast immer stets wußt, wast reden thust.«

»Schau, so ists auch heut.«

»Wannst so sprichst, da wird mir ganz wohl zu Muth. Denn ich weiß, daßt einen heimlichen Grund haben mußt, zu glauben, daß dera Hecht an die Angel gehen wird.«

»Ja, den hab ich freilich.«

»Darf ich ihn nicht derfahren?«

»Heut noch nicht. Wann ichs Dir gleich mittheil, könntst mir Schaden machen und Dir auch. Doch sobald ich einsehen thu, daß es gerathen ist, es Dir zu sagen, wirst es hören. Und versprechen mußt mir auch, es Niemandem wissen zu lassen, worüber wir heut sprochen haben.«

»Das Versprechen brauch ich Dir gar nicht zu geben. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich es Niemandem sagen thu. Oder meinst, daß es mir Vergnügen macht, von diesen traurigen Angelegenheiten zu reden?«

»Nun, ich mein' freilich, daß man über solche Herzeleiden am Liebsten schweigen thut.«

»Freilich. Du bist dera Erste und Einzige, dem ich Alles so ausführlich anvertraut hab.«

»Vielleichten wärs besser gewest, wannst dem Gericht Alles sagt hättest. So ein Juristikus hat eine ganz andere Schneid als Unsereiner. Dem braucht man nur den Anfang des Fadens zu geben, so wickelt er den ganzen Knäuel ausnander. Hast denn kein Vertrauen habt?«

»Nein.«

»Aberst wannst diese beiden Briefen vorzeigt hättst, so wär das wohl dera Faden gewest, dens abwickelt hätten.«

»Da hätt ich mein häusliches Elend verrathen müssen. Im Stillen kann man es schon tragen. Wenn es nachhero mit Kanonen in alle Welt hineinschossen wird, dann ists nicht mehr zum Aushalten. Lieber möcht ich nachhero sterben.«

»Ja, bist immer Einer gewest, der gern auf seine Ehr und Reputationen sehen hat. Vielleicht ists die Kätherl gar nicht werth, daßts wegen ihr verschwiegen hast.«

»O doch!«

»Sooooo?«

Er sprach dieses Wörtchen sehr langgedehnt aus und hielt dabei den gespannten Blick prüfend auf das Gesicht des Bauers gerichtet.

»Ja,« antwortete dieser. »Sie hat sich ändert.«

»Wirklich? Ist sie anders worden?«

»Gar sehr viel. Gleich von jenem Augenblicke an, wo ich erblindet bin, hats einen ganz anderen Ton angeschlagen.«

»Das sollt mich gefreuen. Aberst wo hats denn steckt, als Du im Garten schossen worden bist?«

»Doch in ihrer Kammer.«

»Hast sie aberst doch nicht darinnen sehen!«

»Das hab ich ihr auch vorgehalten, doch hat sie mir sagt, daß sie in dera Ecken vor ihrer Truhen kniet hat, um in dera Wäsch zu suchen. Da konnt ich durch das Schlüsselloch sie freilich nicht sehen.«

»Warum hat sie nicht antwortet, alst anklopft hast?«

»Aus Uneinigkeiten, weil ich sie am vorherigen Tag schlagen hab.«

»Ach so! Dieser Grund kann freilich gelten. War sie auch mit im Garten?«

»Nein. Sie hat schlafen. Sie mußt erst aufiweckt werden.«

»Da hat sie einen sehr festen Schlaf habt. In so einer stillen Gegend, wo, besonders noch dazu in dera Nacht, eine solche Ruhe herrscht wie hier, da muß man durch einen Schuß selbst aus dem festesten Schlafe aufiweckt werden. Meinst nicht auch?«

»Man sollts wohl denken; doch hat sie stets einen gesunden und gar festen Schlaf habt.«

»Hm! Denk mal zuruck! Wie viel Zeit ist wohl vergangen gewest von da an, wo Du an ihrer Thüren standest, bis dahin, wo dera Schuß fallen ist?«

»Kaum fünf Minuten.«

»So! Alst an dera Thüren warst, da hat sie noch in dera Wäschen kramt, und nach fünf Minuterln hats bereits so fest schlafen, daß sie selbst von dem Schuß nicht aufiweckt worden ist!«

»Meinst, daß man nicht in fünf Minuten einschlafen kann?«

»O doch. Besonders wann man jung ist und vielleicht gar noch ermüdet dazu, nachhero ist man weg in einer einzigen oder auch zwei Minuten. Aberst Deine Frauen legt sich doch nicht in denen Kleidern und Schuhen und Strümpfen ins Bett?«

»Das fallt ihr gar nicht ein.«

»So rechne mal, wie viel Zeit ein Frauenzimmer bedarf, um sich zum Schlafen auszukleiden. Die bringt wohl noch mal so lang zu wie Unsereiner.«

Diese Fragen und Bemerkungen erregten doch die Aufmerksamkeit des Bauers. Er wendete dem Sepp rasch sein Gesicht zu und fragte:

»Warum sagst mir das? Hats etwan was zu bedeuten?«

»Nein, gar nix. Ich hab nur gern wissen wollt, ob die Frauen wirklich nicht im Garten gewest ist und ob also in dem zweiten Brief eine Lügen standen hat.«

»Eine Lügen ists gewest; das weiß ich freilich. Als man mich ins Bett legt hat, ist die Magd gleich zum Kätherl laufen, um sie zu holen. Da hat sie lange Zeit pochen mußt, bevor die Bäurin erwacht ist, so fest hats schlafen. Nachhero aberst ists ganz erschrocken sprungen kommen und hat sich wehklagend über mich worfen, mich ihren lieben Mann nannt und sich vor Weh nicht lassen können.«

»So! Also hats Dich gar so sehr lieb habt!«

Diese Worte wurden in einem so hörbar ironischen Tone gesprochen, daß der Bauer schnell antwortete:

»Ja, lieb hats mich wohl trotz Alledem habt, und ich bin vielleichten selbst mit schuld west an dem traurigen Zerwürfniß. Sie hat Tag und Nacht an meinem Bett sessen wie eine Mutter bei ihrem Kind, es mir an nix fehlen lassen und mich ganz zärtlich pflegt, bis ich wiederum aufi konnt hab.«

»So hats ihre Pflicht than.«

»Ja, und vollkommen. Die Schmerzen hats mir freilich nicht nehmen konnt, und das Augenlicht konnts mir auch nicht erhalten. Die Augen sind hoch anschwollen gewest, und ich kann Dir nicht beschreiben, was ich da ausstanden Hab. Es waren Qualen, wie sie im Fegefeuer oder in dera Höll nicht größer sein können. Da hats das Kätherl bei mir aushalten und mich tröstet und mir alle guten Worten geben. Sie hat mir den Mundbissen vorgeschnitten und mich lehrt, mit blindem Aug zu essen. Sodann, als ich die Stub verlassen durft, hats mich in den Garten führt und auch weiter fort, bis ich lernt hab, mich allein zurecht zu finden. Wir haben uns niemals wiederum so sehr stritten und ärgert wie früher. Kleine Zwistereien sind wohl vorkommen, aberst solche Sachen wie vorher niemals wieder. Sie ist anderst worden. Meine Blindheit hat sie von ihrem Leichtsinn heilt.«

»Ich möchts halt glauben, Dir zu Lieb.«

»Kannsts glauben. Freilich getrennt sind wir blieben wie vorher. Sie wohnt und schläft ganz allein in ihrer Stuben. Mir kann das recht sein. Ein alter, blinder Mann würde sich nur lächerlich machen, wenn er begehrlich und zärtlich thun wollt. So bin ich also wenigstens in dieser Beziehung zufrieden. Meine Ehe ist eine stille worden. Wir leben in Frieden neben einander und vermeiden Alles, was uns uneinig machen könnt.«

»Hasts ihr aber doch sagt von dem zweiten Brief, dent erhalten hast?«

»Ja, ich hab es ihr verzählt.«

»Da bin ich neugierig, was sie darauf zu Dir antwortet hat.«

»Sie hat die einzige Antwort geben, die ihr möglich war. Sie hat gar nix davon wußt. Derjenige, der den Briefen schrieben hat, muß einen Haß auf sie worfen haben und hat ihr schaden wollt bei mir.«

»Also dera Samiel?«

»Der? So meinst also wirklich, daß der den Briefen verfaßt hat?«

»Ja.«

»So hätt er doch auch den ersten schrieben, da beide von derselbigen Hand stammen.«

»Natürlich! Er hat sich doch sogar mit seinem Namen unterzeichnet.«

»Da möcht ich fast sagen, daßt Dir selbsten widersprichst, Sepp.«

»Wieso?«

»Nun, im ersten Briefen wird mir droht. Da steht, daß ich meine Frauen besser behandeln soll. Und im zweiten Schreiben will dera Verfasser ihr schaden. Wie reimt sich das zusammen?«

»O, das paßt ganz gut zusammen, wann man sich nur den richtigen Vers daraufi macht.«

»So mach ihn mir doch!«

»Mir hab ich ihn bereits macht; Dir aberst darf ich ihn noch nicht vorsingen. Wart nur die Zeit ruhig ab. Und jetzund wollen wir schweigen. Dera Fritz kommt mit dera Eierspeisen.«

Der Knecht brachte zwei Flaschen Bier nebst den Gläsern und einen großen Teller voll Rührei mit Schinken und Wurst.

»Hast lang warten mußt, Sepp,« sagte er. »Ich wollt Dich selberst bedienen, anstatt dera Magd. Darum bin ich gleich drinnen blieben, bis das Essen fertig war.«

»Hat nix schadet.«

»Ihr werdet Euch wohl indessen gut unterhalten haben, so daßt keine Zeit habt hast, an den großen Hungern zu denken.«

»Gar so überaus groß ist er gar nicht gewest.«

»Nun, so wirds zureichen. Da!«

Er setzte die Sachen auf den Tisch, welcher vor der Bank unter der Tanne stand. Es hätten zwei Esser genug gehabt. Der Sepp aber meinte:

»Konnts die Magd nicht was größer machen? Wann ich nicht nur einen kleinen Appetiten, sondern einen wirklichen Hungern hätt, so wärs viel zu klein.«

»Was, zu klein? Sepp, daran könnt doch fast ein Elephant genug haben!«

»So! Hast mal sehen einen Elephanten Rührei essen? Mir ist das noch nicht widerfahren.«

»Aber mir.«

»So! Und wann war das?«

»Eben jetzt.«

»Donnerwetter! Also dera Elephanten soll ich wohl sein?«

»Ja. Wenigstens thust ganz so, als obst so einen großen Magen hättst wie derselbige.«

»So paß auf, wie schnell es alle wird! Für wen hast das Bier mitbracht?«

»Für Dich und den Bauer.«

»So schenk auch eini! Was nützts uns, daßts für uns mitbringst, wann wir es nicht bekommen.«

»Höre, bei dera schlechten Launen, die Du heut hast, gefallt mirs nicht bei Dir. Da möcht ich mich lieber davon machen. Jetzunder klingt soeben das Glöckerl zum Paternoster und zum Ave Maria.«

Die Drei entblößten ihre Häupter und beteten still. Dann sagte der Bauer:

»Nun kannst aufisteigen, Fritz. Die Zeit ist da.«

»Hm!« meinte der Knecht. »Lieber wäre mirs halt, wenn ich dableiben dürft.«

»Warum?«

Der junge Mann erröthete. Er wurde sichtlich verlegen und fand keine Antwort. Dann aber erklärte er:

»Weil dera Sepp da ist.«

»Kannst auch später noch genug mit ihm reden. Bleibst doch heut da bei uns, Sepp?«

»Ja. Aberst warum soll denn dera Fritz fort und nicht dableiben?«

»Die Bäurin hat ihn bestellt.«

»Ich denk, sie ist in dera Kirchen?«

»Freilich. Er soll sie abholen.«

»Ach so! Da muß er natürlich gehen. Ein Knecht muß gehorsam sein.«

Er hatte Fritzens Erröthen gar wohl bemerkt, that aber nicht so. Dem scharfen Auge des Alten konnte eben nicht so leicht Etwas entgehen, was geeignet war, seinen Plänen zu dienen. Der Knecht gehorchte und ging, sich dem Steige zuwendend, der zur Höhe führte, auf welcher die Capelle stand. Ihre Lage war ganz so, als ob der Dichter sie im Auge gehabt habe, als er die Verse schrieb:

»Was schimmert dort auf dem Berge so schön,
Wenn die Sternlein hoch am Himmel aufgehn?
Das ist die Capelle still und klein;
Sie ladet den Pilger zum Beten ein.

Was tönet in der Capelle zur Nacht
So feierlich ernst, in ruhiger Pracht?
Das ist der Brüder geweihter Chor;
Die Andacht hebt sie zum Herrn empor.

Was hallt und klinget so wunderbar
Vom Berge herab, so tief und klar?
Es ist das Glöcklein, das in die Gruft
Am frühen Morgen den Pilger ruft.«

Auch Fritz dachte an diese Worte des Gedichtes, als er jetzt mit ausgiebigem Schritte bergan stieg. Er war sehr ernst gestimmt. Er war überhaupt eine tiefe, stille, ernste Natur, und das mochte seinen Grund wohl zunächst in der natürlichen Veranlagung haben. Jedenfalls aber trug auch der Umstand, daß er ein Waise war, viel dazu bei, ihn von den ausgelassenen Vergnügungen der Jungburschen fern zu halten.

Er hatte weder Vater noch Mutter gekannt. Zwar war ihm im Kronenhofe eine Heimath geboten worden, aber er galt dort doch nur als Knecht, obgleich der blinde Bauer ihn mehr wie einen Sohn behandelte. Er hatte eine außerordentliche Zuneigung zu dem Blinden. Gegen die Bäuerin aber fühlte er eine unbezwingliche Abneigung.

Sie hatte ihn, als er noch Knabe war, sehr schlecht behandelt, sich aber später so gleichgiltig gegen ihn verhalten, als ob er für sie gar nicht existire. Seit einiger Zeit hatte sich das verändert. Sie war freundlicher gegen ihn geworden.

Er hatte zuweilen bemerkt, daß ihr Auge heimlich mit einem Ausdrucke auf ihm ruhte, der ihm Unruhe bereitete. Es lag eine stille Gluth, ein heißes Verlangen in diesen Blicken. Auch in ihrem Tone, wenn sie mit ihm sprach und Niemand dabei zugegen war, lebte ein Etwas, welches er mehr und mehr zu fürchten begann. Er war keineswegs blind gegen ihre Schönheit. Er betrachtete sie, wenn er sich unbeachtet wußte, ebenso genau wie jeder Andere; aber er betrachtete sie so, wie man ein Gemälde betrachtet, welches eine schöne, üppige, reizende Judith vorstellt, welche das blutige Haupt des Holofernes in der Hand hält. Es graute ihm vor ihr, trotz ihrer Schönheit.

Ihm waren die Blicke nicht entgangen, welche sie vorhin auf ihn geworfen hatte. Noch nie hatte sie ihn aufgefordert, sie abzuholen oder sie zu begleiten. Heute hatte sie das zum ersten Male gethan. Warum? Was wollte sie von ihm? Ihm sagen, was der Pfarrer gepredigt hatte? Nur das?

Er wurde aus diesem Sinnen gestört und zwar auf eine angenehme Weise, auf die angenehmste, die es für ihn nur geben konnte.

Der Pfad war zu beiden Seiten von Gras und Gebüsch eingefaßt. Als Fritz jetzt eine Krümmung desselben hinter sich hatte und um einen Haselbusch bog, sah er ein junges Mädchen, welches im Grase gesessen hatte und sich beim Geräusche seiner Schritte nicht rasch genug hatte erheben können.

Als er nun plötzlich vor ihr stand, erglühte sie vor Verlegenheit, indem sie sich die Falten aus dem kurzen Röckchen strich.

Sie mochte achtzehn Jahre zählen, war von mittlerer Statur und hübschen Formen. Ihr Gesichtchen, von hellem Haargelock umrahmt, wurde von einem kleinen Hütchen beschattet, dessen einziger Schmuck eine Rose war. Eine eben solche stak auch an ihrem Busen, den ein schwarz sammetnes Mieder eng umschloß. Das allerliebste Gesichtchen hatte den Ausdruck von Herzensgüte. Sie war jedenfalls ein mildes Wesen, ganz geeignet, sich an einen kräftigen Charakter zu schließen, der ihr zur Stütze dienen konnte.

»Martha!« sagte er. »Du bist es? Grüß Gott!«

Er streckte ihr die Hand entgegen. Sie legte ihr kleines Händchen leicht hinein.

»Grüß Gott auch, Fritz!« antwortete sie, freundlich zu ihm aufblickend. »Fast wär ich vor Dir verschrocken!«

»Warum?«

»Ich hab denkt, es sei ein Anderer.«

»So! Aberst wannst wüßt hättest, daß ich es bin, hättst Dich nicht fürchtet?«

»Nein, vor Dir nicht.«

»Ich denke mir aber, daß eine Försterstochter, die mitten im Walde lebt, vor gar Keinem derschrecken soll.«

»Försterstochter? Dera Förster ist ja nur mein Oheim.«

»Aberst Du bist halt doch grad wie das Kind, wie die Tochter bei ihm.«

»Das denken die Leut. Ich bin eigentlich nur die Magd.«

»Davon hab ich nix wußt. Ich hab immer hört, daß er sehr gut mit Dir sei.«

»Früher ja, doch jetzunder nicht mehr.«

»Warum?«

»Wegen der – wegen Deiner – – wegen was, das weiß ich selberst nicht.«

Sie hatte sich zweimal unterbrochen. Sie befand sich sichtlich in Verlegenheit. Sie hatte beinahe einen Namen genannt, welchen sie ihm nicht sagen konnte.

Er blickte ihr freundlich forschend in das Gesicht und sagte:

»Das weißt selberst nicht? Du weißt es gar wohl, doch willst Du es mir nicht sagen: das schau ich Dir an!«

»Kannst Dich doch irren!«

»In Dir? Niemals!«

»So! Kennst mich denn gar so genau?«

»Dich braucht man gar nicht zu kennen. Deine Seel und Dein Herz sind Dir so gar deutlich ins Gesichterl schrieben, daß ein jedes Kind dran ablesen kann, wie gut Du bist.«

»Hör, Fritz, so darfst nicht sprechen!«

»Warum nicht?«

»Weil ich das nicht gern hör.«

»Wie? Du magsts nicht haben, daß man Dir sagt, wie brav Du bist?«

»Weil es doch weiter nix als eine Schmeicheleien ist.«

»So! Meinst, daß ich so ein Hallodri bin, der denen Dirndeln schöne Worten sagt, wann er es selbst nicht glaubt?«

Sie blickte ihm wieder freundlich in das ernste Angesicht und antwortete:

»Nein, so Einer bist nicht. Du bist vielleichten dera Einziger hier, der der Aufrichtige ist. Aberst doch darfst mir nicht das sagen, wast mir sagt hast.«

»So! Warum nicht, frag ich Dich? Wer ists denn, der sich des Abends aus dem Forsthause fortstiehlt, um einem armen oder kranken Leutl Essen zu bringen oder eine andere Wohlthaten, weils am Tag nicht geschehen kann, da dera Förster ein Geiziger und Rauher ist?«

»Das weißt?« fragte sie erröthend.

»Jawohl! Ich hab Dich gesehen.«

»Wo denn?«

»Am Montag am Spätabend. Da bin ich spazieren gangen zum Dorf hinaus. Weißt, ich hab manchmal Gedanken, mit denen man am Liebsten allein ist. Darum geh ich gern hinaus ins Freie, wann die Sternlein so still niederschauen, daß es Einem auch still wird und ruhig im Herzen. Da hab ich Dich sehen. Ich hab Dich kommen hört und trat zur Seite, um nicht sehen zu werden. Du kamst aus dem Wald heraus und gingst drüben wieder hinein, hinab nach dem Erlengrund.«

»Woher weißt, daß ich nach dem Erlengrund bin?«

»Ich – ich bin Dir nachgangen.«

Jetzt erröthete er; aber es wäre ihm unmöglich gewesen, ihr eine Unwahrheit zu sagen. Sie zog ihre Hand aus der seinigen, denn er hatte sie bis jetzt festgehalten, und sagte in vorwurfsvollem Tone:

»So! Hinter mir her bist? Fast eine Viertelstunden lang?«

»So lang ists gewest, ja.«

»Wann ich das wußt hätt, so wär ich gleich wieder umikehrt.«

»Warum, Martha?«

»Meinst, daß es Einem lieb ist, wenn Einem ein Bub hinterher schleicht?«

Er lächelte ihr vertraulich zu und meinte:

»Und ich bin nicht nur bis zum Erlengrund mit hinab, sondern auch wieder mit zurück bis zum Försterhaus.«

Sie war sehr ernst geworden.

»Aberst warum?« fragte sie. »Ich hab mir nicht denkt, daßt so Einer bist wie – wie – wie – –«

»Nun, wie denn?«

»Wie – wie Andere.«

»Da weiß ich noch immer nicht, wast meinst. Wie sind denn die Anderen?«

»So, daß sich ein braves Dirndl vor ihnen fürchten muß.«

»Ach so! Und nun fürchtest Dich auch vor mir, Martha?«

»Ja, denn ich muß doch, wannst in dera Nacht heimlich hinter mir herlaufst.«

»Und ich habs doch grad deshalb than, daßt Dich nicht fürchten sollst.«

»Wieso?«

»Als ich Dich an mir vorübergehen sah, da hab ich an den Samiel denkt. Wann der dazu käm und Du wärst so gar allein im Wald! So bin ich also heimlich hinter Dir her, grad wie ein Hund, der seine Herrin beschützen will, wann sie in Gefahr kommt. Weil aberst nix passirt ist, habe ichs nicht merken lassen, daß ich bei Dir war.«

Jetzt erhob sie die großen, ehrlichen Augen mit dankbarem Blicke zu ihm empor.

»Deshalb ists gewest?« sagte sie. »Da muß ich mich freilich gar schön bei Dir bedanken.«

Sie streckte ihm das soerst entzogene Händchen wieder hin. Er nahm es in seine beiden Hände.

»So bist mir also nicht bös?«

»O nein. Wie könnt ich das, wannst mich hast beschützen wollen. Aberst wannst da hinter einer Jeden gehen wolltst, so hättst gar viel zu thun.«

»Hinter einer Jeden? Das thät mir gar nie einfallen. Hinter keiner Anderen. Du bist die Einzige, bei der ich es thun kann.«

»Jetzund sagst wohl wiederum eine Unwahrheiten.«

»Nein, gewiß nicht.«

»Es wird schon auch Andere geben, die Du gern beschützen thätst.«

»Ich weiß Keine. Es giebt ja überhaupten Keine, die um Mitternacht fast eine halbe Stunde weit durch den Wald läuft, um einer kranken Frauen Hilf zu bringen.«

»Ich habs gar gern than. Die da unten im Erlengrund, in der alten Mooshütten, worein dera Regen lauft, haben jetzund gar sehr zu leiden. Er, der Holzknecht, ist krank, und sie hat zu denen fünf kleinen Kindern das sechste bekommen. Da giebts große Noth und kleine Bissen. Dera Förster ist ein Geizhals, der giebt keinen Pfennig und kein Krumerl Brod. Und da muß ich, damit er es nicht bemerkt, des Nachts zu dera armen Frauen, wann ich sie besuchen will.«

»Und nimmst ihr das Essen mit, wovon Du satt werden sollst.«

»Es reicht schon aus,« antwortete sie, indem sie den Blick zu Boden senkte.

»Nein, es reicht nicht aus. Dera Förster ist bekannt allüberall. Er läßt sich wegen eines Pfennigs ein Loch in's Knie bohren. Du hast ihm die ganze Wirthschaft zu führen und bekommst nicht satt zu essen und auch keinen Lohn, weil er Dein Oheim ist.«

»Wie? So sprechen die Leutln?«

»Ja. Habens etwan nicht Recht?«

»So schlimm ists nicht, wie Du es machst.«

»Grad so schlimm ists, und vielleichten noch schlimmer. Du aber bist die Sanfte und Gute, die es verbirgt und es nicht wissen lassen will.«

»Und doch reicht es aus, daß ich auch mal was verschenken kann.«

»Ja, weilst in dera Nacht an der Stickerei sitzest und nachhero die Arbeit zur Stadt bringst, um Dir ein paar Groscherln zu verdienen.«

»Auch das weißt Du?«

»Ich weiß Alles.«

»Von wem?«

»Von – von Niemand.«

»Es muß Dirs doch Jemand sagt haben!«

»Niemand hats mir sagt. Weißt, wann man Jemand gern hat, so braucht man von Anderen gar nix zu hören, man weiß es doch. Da hört das Ohr doppelt scharf und das Auge sieht dreimal besser als sonsten.«

Sie entzog ihm die Hand von Neuem.

»Geh fort! Bist doch ein Hallodri! Wast da sagst, das gilt nix, gar nix!«

»So! Magsts also nicht leiden, daß ich Dich gern hab?«

»Es ist doch gar nicht wahr!«

»Willsts nicht glauben? Ja, zum Glauben kann man Niemand zwingen. Aber als Du vorhin von dera armen Frauen sprachst, da hab ich denkt, daß ich der auch wohl was geben könnt.«

»Was denn?«

»Ein Brod und noch was dazu und auch wohl ein Markerl, daß sie sich einen Kaffee dazu machen kann.«

Da glänzten ihre Augen freudig ihm entgegen.

»Das willst ihr geben, wirklich?«

»Ja, gern.«

»Aberst Du hast selbst nix dazu? Bist ja nur dera Knecht. Geld hast wohl, das weiß ich, denn Du bist ein gar Sparsamer. Aber das Brod und das Andre kannst doch nicht daheim entwenden?«

»Ein Dieb bin ich nicht, nein; aberst ich weiß es schon auch ehrlich zu bekommen. Nur die Hauptsach weiß ich nicht.«

»Was denn?«

»Wie es die arme Frauen von mir erhalten soll.«

»Ja, da ists gefehlt. Du kannst doch nicht zu ihr.«

»Einen Rath wüßt ich wohl; aberst ich hab gar nicht das Herz, davon zu reden.«

»Kannst immer sprechen.«

»Nein. Ich muß doch schweigen.«

»Warum denn?«

»Weilsts mir übel nehmen könntst.«

»Dir? Nein, Fritz, auf Dich kann ich nicht bös werden, gewiß nicht.«

»So, dann sag mir mal, wannst wiederum hinunter in den Erlengrund gehest.«

»Ich wollt heut hinab.«

»Wieder so spät?«

»Ja; ich kann nicht eher, als bis dera Oheim schlafen gangen ist.«

»Wann ich Dir da meine Sachen bringen könnt, daßt sie dera Frau mitnehmen magst.«

Sie bemerkte gar nicht, daß er nur bezweckte, ihr eine freundliche Schlinge zu legen. Sie antwortete vielmehr, schnell bereit:

»Warum solltest das nicht können?«

»Weil ich Dich doch damit nicht belästigen darf. Oder doch?«

»Jawohl, darfst mich belästigen. Ists denn überhaupt eine Last, wann man einer Kranken Hilf bringen kann? Nein, ein Vergnügen ists, das größest Vergnügen, was es nur geben kann.«

»Also willigst ein?«

»Ja, sehr gern.«

»Wann soll ich es da bringen und wohin?«

»Das müssen wir berathen.«

»Zum Forsthaus?«

»Nein, dorthin nicht. Wanns dera Oheim merkt, so könnt er gar denken, daß wir – –«

Sie hielt inne. Es wäre ihr beinahe ein Wörtchen entschlüpft, über welches sie später hätte erröthen müssen. Der Knecht begriff das gar wohl; er ging schnell darüber hinweg, indem er zustimmte:

»Ganz richtig! Dera Förster darf nix davon ahnen. Darum ists besser, ich bring Dir die Sachen, wannst bereits unterwegs bist.«

»Ist das nicht zu spät für Dich?«

»Warum sollts zu spät sein?«

»Weilst schlafen mußt, denn früh beginnt Deine Arbeit mit dem Tag.«

»Die Deinige auch, und dennoch bist um Mitternacht noch wach zum guten Werke.«

»So weiß ich, was wir thun. Da, wo Du mich sehen hast, wo ich rechts aus dem Walde muß und links wiederum hinein, da wartest auf mich. Um zwölf Uhr werd ich kommen. Da giebst mir, wast mitbracht hast, und ich nehms der armen Frauen mit.«

»Ja,« sagte er, innerlich ganz glücklich, seinen Zweck erreicht zu haben, »so wirds gemacht; so ists am Allerbesten. Aber weißt, das darf Niemand derfahren.«

»Kein Mensch!«

»Es muß unser Geheimnissen bleiben. Willst mir die Hand daraufi geben?«

»Ja, gern. Hier hast sie.«

»So, topp! Es muß so hübsch sein, ein Geheimnissen mit Dir zu haben. Ich stell mir das gar prächtig vor. Also, ich komm ganz sicher heut Abend; aberst Du darfst auch Wort halten!«

»Hab keine Sorg! Ich brech mein Versprechen nicht. Aberst hier müssen wir nun scheiden, Fritz. Die Kirchleut werden gleich kommen. Die brauchen uns nicht beisammen zu sehen.«

»Das ist wahr; ob wir aberst derowegen schon aus nander gehen müssen, das glaub ich nicht. Gehst wohl abi ins Dorf?«

»Nein; ich muß wiederum aufi zur Capellen. Ich hol den Oheim ab und muß mit ihm nach Haus.«

»Der ist beim Gottesdienst?«

»Ja.«

»Warum Du nicht auch? Warum bist hier außen im Freien?«

»O, ich war erst drin in dera Capellen. Da kam aber Deine Bäuerin und hat sich neben mich setzt. Das hab ich nicht aushalten können und bin gangen.«

»Kannst sie nicht leiden?«

»Nein, gar nicht.«

»Warum nicht?«

»Weils so stolz thut. Ich thät mir nix aus ihr machen und in dera Kirchen erst recht nicht, da muß man an den Herrgott denken und nicht an die Menschenleut. Aberst sie hat sich so neben mich setzt, daß sie mir den Rücken zukehrt hat, und nachhero hat sie ruckt und ruckt, daß ich keinen Platz mehr habt habe und fortgehen mußt. Es war ihr zu gering, daß ich neben ihr saß.«

»Ja, es ist eine Aufgeblasene; das ist gar richtig.«

»Nun will ich warten, bis dera Oheim kommt, und mit ihm nach Haus. Was aber thust Du hier oben?«

»Das wirst wohl nicht derrathen können.«

»Ich glaub es wohl.«

»Ich soll die Bäuerin abholen.«

»Du? Die abholen?« fragte sie fast erschrocken. »Weshalb?«

»Weiß ich es?«

»Hat sie es Dir nicht sagt?«

»Sie hat sagt, daß ich sie heim begleiten soll, und sie will mir dabei sagen, was dera geistliche Herr predigt hat.«

Es glänzte fast wie Angst aus dem Auge des hübschen Mädchens.

»Komm,« sagte sie. »Man soll uns doch nicht hier sehen. Wir gehen seitab und steigen dann zwischen denen Büschen empor.«

Sie zog ihn mit sich fort. Erst nach einer Weile, als sie vom Pfade aus nicht gesehen werden konnten, blieb sie stehen. Sie blickte ihm besorgt in das Gesicht und fragte:

»Ists wirklich wahr, daßt die Kronenbäurin abholen sollst, oder hast nur einen Scherz machen wollen?«

»Es ist wahr.«

»Hat sie es Dir heimlich sagt?«

»Ja.«

»Herrgott! Fritz, Fritz!«

Sie faltete die Hände vor Schreck. Da erschrak er auch, und zwar über sie.

»Was hast, was ists mit Dir, Martha?« fragte er sie.

»Das hätt ich nicht denkt, daßt dera Bub bist von ihr!«

»Ihr Bub? Wie meinst das?«

»Ihr – ihr Liebster.«

»Martha, was fallt Dir ein!«

»Nun, wannst schon so öffentlich mit ihr gehen mußt, ohne daß dera Bauer Etwas davon derfahren darf!«

»Kind, Dirndl, sei klug! Wanns so wär, so thät ers doch derfahren. Die Leutln sehen uns ja und würden schon dafür sorgen, daß er es bald weiß. Das ist ja denen ihre allergrößte Freud. Aberst ich hab nur einen Scherz macht. Ich hab sehen wollt, wast dazu sagst. Dera Bauer weiß es, daß ich da bin, um sie abzuholen.«

»Wirklich, wirklich? Sagst die Wahrheit?«

»Ganz gewiß! Ich habs nicht gern than; aber er selberst hat mich dann heraufischickt, nachdem sie mir vorher in seiner Gegenwart geboten hat, sie abzuholen.«

»So ists, so also? Ich kann jedoch gar nicht begreifen, was sie dabei beabsichtigt.«

»Ich auch nicht.«

»Vielleichten ist sie Dir gut.«

»Das mag sie nur bleiben lassen. Hältst sie denn überhaupten für so Eine, die ihre Pflicht vergessen könnt?«

»Ja.«

»Warum? Hast was hört?«

»Hört und sehen.«

»Sapperment! Was denn? Sag es mir!«

»Nein, später vielleicht. Jetzund haben wir keine Zeit.«

»Mußts mir aberst versprechen, daßt mirs wirklich sagen willst!« bat er in dringlichem Tone.

»Hast das so nothwendig?«

»Kannsts Dir doch denken, daß mich das sehr verinteressiren muß.«

»Wohl weilst eifersüchtig bist auf sie?«

»Auf die? Das könnt mir grad passiren! Wann ich eifersüchtig sein wollt, so wärs nicht auf die, sondern auf – – auf eine ganz Andere.«

»Auf wen?«

»Auf – Dich, Martha.«

»Geh fort! Willst über mich lachen?«

»Nein, Martha, ich kann Dir sagen – aber horch! Ich höre da Leut gehen. Dera Gottesdienst ist aus. Wir müssen schnell machen, daß wir hinaufi kommen, ich zur Bäuerin und Du zu Deinem Oheim.«

Er nahm sie bei der Hand, um sie beim schnellen Steigen zu unterstützen, und sie folgte ihm, so schnell sie es vermochte. Kurz vor der Capelle hörte das Gebüsch auf. Rings um das Gotteshäuschen gab es einen freien Rasenplatz, welchen man mit einigen Blumen und blühenden Strauchgruppen verschönert hatte. Fritz hielt an und sagte:

»Hier ist dera Busch alle. Man darf uns nicht sehen. Tritt Du da hier heraus, und ich gehe noch ein Wengerl nach rechts. Und nun leb wohl, meine liebe Martha!«

»Behüt Dich Gott, Fritz!«

»Denkst heut mal an mich?«

»Ja, gern.«

»Und auch oft?«

»Will schauen, ob ich Zeit dazu hab. Du verlangst gleich gar zu viel. Wann man –«

Sie wurde unterbrochen. Es rauschte vor ihnen. Die Zweige wurden auseinander geschoben und – die Kronenbäuerin stand vor ihnen in aller Pracht ihrer Frauenschönheit, aber mit zorngerötheten Wangen und haßblitzenden Augen, deren Blick wie ein vernichtender Strahl an dem erschrockenen Mädchen herniederfuhr.

So standen sie sich einige Sekunden lang gegenüber, das Kätherl als das Bild voller, üppiger, anspruchsvoller Schönheit, Martha aber als ein treues Abbild zarter, stiller, reizender Jungfräulichkeit.

Endlich zischte die Bäuerin dem Mädchen zu:

»Was willst hier, Dirn?«

Martha vergaß vor Verlegenheit, ihr zu antworten.

»Willst Dir wohl den Fritz erschnappen? Von dem laß nur ab! Den bekommst nicht!«

Der verachtungsvolle Ton, in welchem diese Worte gesprochen worden waren, gab Martha ihr ganzes Selbstgefühl wieder zurück.

»Von Dir möcht ich ihn auch nicht!« antwortete sie. »Die Kronenbäuerin wär die Allerletzte, von der ich mir einen Bub geben ließ. Weißt wohl, warum!«

Sie wendete sich ab und verschwand zwischen den Büschen. Die Bäurin wendete sich nun langsam zu dem Knecht.

Dieser hatte kein Wort gesagt; aber nicht etwa vor Schreck oder aus Angst vor der Bäuerin. Nein. Er hatte aus einem ganz anderen Grunde vergessen, zu sprechen.

Als die Beiden einander gegenüberstanden, war es ihm mit aller Deutlichkeit in die Augen gefallen, wie schön eigentlich Martha war. Das war eine fromme, keusche, unberührte Mädchenblüthe, tausendmal mehr werth und tausendmal schöner noch als die üppige, pflichtvergessene Kronenbäuerin.

Diese Erkenntniß hatte ihn wie mit einem electrischen Schlage durchzuckt. Er hatte der lieblichen Nichte des grimmigen Försters stets eine große Sympathie gewidmet, ohne es ihr bemerken zu lassen. Auch heut, vorhin, als er sich so rasch entschloß, der armen Holzknechtfamilie auch Etwas zu schenken, hatte er nur die Absicht gehabt, einen traulichen Gang mit dem hübschen Mädchen durch den mondscheinüberflutheten Wald zu machen. Das sollte eine, so zu sagen, poetische Unterbrechung des alltäglichen Einerlei sein. Er hatte gar nicht etwa wirkliche Liebesgedanken und zärtliche Absichten dabei. Und als sie ihm so schnell zugesagt hatte, war ihm zwar eine Art Glücksgefühl überkommen, aber jenes selige Entzücken, welches die Liebe empfindet, wenn sie Erhörung findet, war es nicht gewesen.

Jetzt nun aber, als sich die beiden Frauen gegenüberstanden, die Kronenbäuerin trotz ihrer Schönheit doch abstoßend wirkend, und Martha hell und mild, wie der freundliche, silberne Mondesstrahl im Vergleich zu dem glühenden, ermüdenden, ja, verzehrenden Brande der Sonne, da war es auf einmal, in einem einzigen Augenblicke, licht in ihm geworden, und er fühlte, daß es nicht ein gewöhnliches, freundschaftliches Interesse sei, welches ihn so viel an Martha hatte denken lassen und zu ihr gezogen hatte. Nein, die Liebe war es gewesen, die schlummernde, sich selbst nicht kennende Liebe, die nun aber rasch erwacht war zu einem so hellen und mächtigen Bewußtsein, daß er, in dem hellen, blitzenden Lichte dieses Bewußtseins wie geblendet dastehend, gar keine Zeit fand, auf die Worte zu hören, welche zwischen der Kronenbäuerin und Martha gewechselt wurden. Erst als die Letztere sich entfernt hatte, und die Erstere nun zu ihm trat, sah er ein, daß er doch auch ein Wort hätte sagen sollen.

»So also,« sprach sie in höhnischem Tone. »Das war Deine Geliebte!«

Er blickte ihr ruhig in das Gesicht und antwortete:

»Hättst vielleichten was dagegen, wann sie es wirklich wär?«

»Ja, sehr viel.«

»Und was denn?«

»Daß Du ohne unsere Einwilligung Dir kein Dirndl anschaffen darfst.«

»Was hast denn für ein Recht, das zu verlangen?«

»Das Recht dera Mutter.«

»Ach so! So bist also meine Muttern?«

»Ja.«

»Davon hab ich noch nix wußt und noch viel weniger merkt.«

»Das zu sagen, ist der größeste und schwärzeste Undank von Dir!«

»Das glaub ich nicht. Was hab ich Dir zu danken?«

»Alles. Wir haben Dich als Waisenkind zu uns genommen –«

»Damit ich tüchtig arbeiten sollt!«

»Dich gekleidet –«

»Daß ich barfuß und halb nackt hab laufen müssen!«

»Und ernährt –«

»Daß michs vom Morgen bis zum Abend hungert hat und vom Abend bis Morgen wieder, daß ich nicht hab schlafen konnt!«

»Und Dich erzogen!«

»Mit dem Stock, so daß ich die Schwielen davon wochenlang gefühlt habe.«

»Das darfst Du nicht sagen.«

»Ists verboten, die Wahrheit zu sagen?«

»Es ist ja nicht die Wahrheit!«

»O doch! Ich bin manches Mal als Bub hinaus gangen aufs Feld oder im Winter krochen in den Keller, um mir ein Runkelrüben zu holen, die ich fraß wie ein Rind, weilst mir nix zu essen geben hattest.«

»Das waren ja Ausnahmefälle. Es geschah, um Dich zu strafen, wenn Du einen Bubenstreich begangen hattest.«

»Ach so, darum! Ja, darum hatt ich so viel zu hungern, weil ich so viele Streich begangen hab, denn Du haßtest mich, und darum konnt ich Dir nix richtig machen.«

»Ich habe Dich nicht gehaßt. Ich habe mich im Gegentheil ganz wenig um Dich bekümmert.«

»Das war dann nachhero, als dera Bauer Dir mal selbst mit dem Stock bedeutet hat, daß ich auch ein Mensch bin und nicht ein Hund, den man nur so mit den Füßen von sich schleudert.«

Ihre Augen blitzten zornig auf.

»Erinnere mich nicht daran, sonst –!«

Sie erhob drohend die Hand.

»Sonst? Was ist sonst?«

»Sonst – –! Ah, nichts ist!«

Er hatte sich hoch und stolz vor ihr aufgerichtet. Seine Augen blitzten und seine gesunden Wangen rötheten sich noch tiefer. Das gab einen Anblick männlicher Kraft und männlichen Selbstbewußtseins, bei welchem sie sich erinnerte, daß sie ihn sich doch nicht zum Feinde machen dürfe, weil sie ihn ja liebe.

»Nichts? Das hab ich mir denkt,« sagte er. »Und wannst sagst, daßt Dich nicht um mich kümmert hättest, so brauchst auch nicht zu meinen, daßt meine Muttern seist. Eine Muttern bekümmert sich um ihr Kind. Eher könnt ich behaupten, daß dera Bauer mein Vatern sei, denn er ist stets freundlich und gerecht gegen mich gewest.«

»Kannst Dich jetzt über mich beklagen?«

»Nein, jetzt nicht mehr. Du bist – sehr freundlich gegen mich.«

Fast hätte er gesagt – zu freundlich, anstatt sehr freundlich.

»Nun, wann Du das erkennst, warum machst Du mir da Vorwürfe wegen Vorkommnissen, welche längst vorüber sind?«

»Ich mache keine Vorwürfen, sondern ich hab nur beantwortet, wast gegen die Wahrheit behauptet hast. Hättest nicht sagt, daß ich kein Recht hab, mir nach meinem eigenen Geschmack und Willen ein Dirndl anzuschaffen, so wär dera ganze Streit unterblieben.«

»Geschmack? Geschmack hast Du keinen!«

»So? Das ist freilich schlimm für mich.«

»Ja. Wer sich in die Martha verliebt, der hat keinen Geschmack.«

»Ist sie denn gar so häßlich?«

»Nein. Sie hat eben eine Larv wie jede Andere auch. Kannst Schönere haben und Reichere dazu.«

»Wo denn?«

»Brauchst nur die Augen aufzumachen.«

»Nenn mir doch Eine!«

»Das ist gar nicht nothwendig. Schau Dich nur in Deiner nächsten Nähe um.«

»O Jerum! Wen giebts in meiner Nähe? Dem Wendlers Michel die Seinige? Das ist die nächste Nachbarin. Die hat Sommerflecken im Gesicht, so groß, daß man gleich einen Reitsattel hat, wann man so einen Sommerfleck aufs Pferd legt. Und faul und schmutzig ist sie halt auch.«

»Die mein' ich nicht.«

»Die Nächste ist die Körners Walburgi. Soll ich mich in die verlieben? Die hat ein schiefes Bein und dazu das böse Wesen.«

»Wer redet denn von der!« sagte sie ungeduldig.

»Nun, darnach kommt dem Rankenmüller seine Franzi. Die kann mir gar stohlen werden. Einen Schnurrbarten hats unter dera Nasen wie ein Artilleriefeldwebel; dabei stets die Schwindsucht und hustet so lieblich, daß man denkt, eine Lokomotive kommt aus dem Geleise.«

»Fritz, ärgere mich nicht! Ich meine doch keine von diesen. Ich habe sagt, daßt Dich in Deiner nächsten Nähe umschauen sollst.«

»Das wars doch auch. Ich hab doch nur von denen nächsten drei Nachbarn sprochen.«

»Wohnt dera Nachbar in dera nächsten Nähe oder nicht?«

»Nein, sondern nur nebenan. Die nächste Nähe ist nicht so weit.«

»Ach so, dann meinst gar unsern eigenen Hof, den Kronenhof?«

»Ja. Giebts denn da keine Hübsche, der Du gut sein könntest?«

»Nein.«

»Besinne Dich!«

Sie legte ihm vertraulich die Hand auf die Achsel und schaute ihm mit warmem, verführerischem Blicke in die Augen. Er that, als ob er dies gar nicht bemerke und antwortete lachend:

»Ja, Eine weiß ich gar wohl.«

»Nun, wer ist sie? Ist sie hübsch?«

Sie dachte, er würde jetzt sich den Muth nehmen, ihren eigenen Namen zu nennen. Er aber sagte:

»Hübsch ist sie wohl, sehr hübsch. Wann sie barfuß läuft, so sehen die Füßen so schwarz, daß man meint, sie hat die langen Wasserstiefeln an. Ein Schnupftuchen brauchts nicht, weils Alles gleich mit denen Fingern besorgt. Elf Zähne hats und daneben einundzwanzig Zahnlücken, und mit dem rechten Aug schauts zum linken Ohr hinüber. Das ist die Großmagd, die Vinzenza.«

»Mein Himmel! Sei doch nicht so albern! Wie kann ich denn an diese denken. Ich werd sie überhaupt wegen ihrer Unreinlichkeit fortjagen. Suche Dir eine Andere! Es giebt eine viel, viel Hübschere da!«

»So? Hm! Das ist auch eine Geschmackssache. Da ist nachhero die zweite Magd. Die reicht mir grad bis an die Westentaschen und hat eine Taille wie eine Allgäuer Kuh. Die Nasen blickt zum Himmel und die Ohrenlappen kann man gut benutzen, um einen Zentner Kartoffeln darinnen fort zu schaffen. Wenn – –«

Er kam nicht weiter, denn es raschelte abermals in den Büschen. Sie wurden mit Gewalt auseinander geschoben, und vor den Beiden stand der Oheim Martha's, der Förster Wildach.

Er war von hoher, stattlicher Figur und war ganz gewiß ein hübscher, ansehnlicher Bursche gewesen. Jetzt aber hatte er wohl die Fünfzig erreicht. Tiefe Falten durchfurchten ihm Stirn und Wangen, ein sicheres Zeichen, daß seine Vergangenheit eine sehr unruhige und von stürmischen Leidenschaften bewegte gewesen sei. Seine Nase war scharf und spitz, wie man sie bei ausgesprochenen Geizhälsen so oft findet, und sein Blick so unangenehm stechend, wie seine Stimme klanglos und schneidend war. Man ging ihm am Liebsten aus dem Wege, und es war allgemein bekannt, daß er selbst jetzt noch, in diesem Alter, zweien Leidenschaften rücksichtslos fröhnte, der Liebe und dem Gelde. Für Geld konnte er Vieles thun, wenn nicht Alles, und wenn ein Mädchen ein hübsches Gesicht und eine passable Gestalt hatte, so mußte sie sich sehr hüten, ihm aus dem Wege zu gehen. Sein Geiz war geradezu schmutzig, und in der Liebe kannte er keine Rücksicht und kein Bedenken.

Er war, wie bereits von Martha erwähnt worden war, mit seiner Nichte gekommen, scheinbar um dem Gottesdienste beizuwohnen, eigentlich aber aus einem anderen Grunde – er wollte mit der Kronenbäuerin zusammentreffen.

Als er jenseits mit seiner Nichte den Berg heraufgestiegen war – er kam nämlich von der dem Dorfe entgegengesetzten Seite – blieb er stehen und that, als ob das Bergsteigen ihn so angegriffen habe, daß ihm der Athem ausgegangen sei.

»Geh hinein!« sagte er. »Es wird sogleich beginnen. Ich aberst muß mich vorher noch ein Wenig verschnaufen.«

Sie gehorchte ohne Widerrede. Der Oheim duldete überhaupt keinen Widerspruch. Er war es gewöhnt, daß jeder seiner Befehle sofort und unbedenklich vollzogen werde.

Kaum war sie in der Capelle verschwunden, so eilte er mit schnellen Schritten über den Grasplatz hinüber und blickte nach dem Dorfe hinab. Er sah die Kronenbäuerin unten am Berge gehen.

Sie Beide, nämlich er und die Bäuerin, hatten ihre ganz bestimmte Minute verabredet. Kam Eins von Beiden früher oder später zur Kirche, so war dies ein stilles aber sicheres Zeichen, daß eine heimliche Unterredung heute nicht stattfinden solle.

Heute war die Bäuerin gerade so wie er zur richtigen Zeit unterwegs und er wußte nun, daß sie nicht abgeneigt sei, mit ihm zu reden. Er stieg also ein Stück den Berg hinab, ihr entgegen, und trat sodann seitwärts zwischen die Büsche, um von den anderen Kirchengängern nicht gesehen zu werden.

Den Ort, an welchem er stand, kannte die Kronenbäuerin. Sie trafen sich stets nur an demselben. Darum überraschte es ihn auch nicht, als sie nach kurzer Zeit vor ihm stand.

»Da bist ja,« sagte er, ihre reizende Gestalt mit gierigem Blicke überfliegend. »Grüß Dich Gott, Kätherl!«

»Grüß Gott, Förster,« antwortete sie, ihre Hand in die seinige legend, welche er ihr entgegengestreckt hatte.

»Hast Dich heut sehr fein macht, feiner, als ich Dich jemals sehen hab.«

Er wollte sie an sich ziehen. Sie aber entzog ihm schnell ihre Hand und trat um einen Schritt zurück.

»Was hast?« fragte er.

»Es muß nicht immer gleich geherzt und geküßt sein!«

»Einen einzigen nur zum Beginn!«

Er strich sich in Erwartung des gewünschten Genusses den struppigen Schnurrbart empor.

»Da kannst warten!« antwortete sie ziemlich schnippisch.

»So! Bist heut wohl bei schlechter Laune?«

»Auch nicht anderst als immer.«

»O doch! Hast Dich doch sonst nicht weigert, wann ich Dir zum Gruß ein Busserl hab geben wollt. Warum also heut?«

»Weil ich bereits satt davon bin.«

»Was? Bist küßt worden?«

»Gar sehr.«

»Donnerwetter! Von wem?«

»Vom Bauer.«

»Von Deinem Manne? Das machst mir schon gar nicht weiß. Bevor Du Dich von dem küssen lässest, da fallt eher noch dera Himmel ein.«

»Das scheinst sehr genau zu wissen.«

»Ganz so genau wie Du.«

»Woher?«

»Hasts mir doch selber sagt.«

»Das war Scherz. Eine Frauen kann doch dem Manne die Liebe nicht verweigern. Er hat das Recht, sie zu verlangen.«

»Darnach fragst Du längst nicht mehr. Nein, von dem bist nicht küßt worden. Viel eher von einem Anderen. Und wer das ist, das kann ich mir denken.«

»So? Wen meinst denn?«

»Den Officieren, der bei Dir wohnt.«

Ueber ihr Gesicht ging ein verächtliches Zucken, als sie antwortete:

»Ja, der ist ein ganz besonders Feiner und Sauberer!«

»Von Adel und so steinreich, daß er Dir für ein jedes Busserl zehn Mark zahlen kann.«

»Ich gebs ihm umsonst.«

»Kreuzmilionen! Willst mich ärgern?«

»Fallt mir nicht ein! Aber meinst etwan, weil ich meinen Bauer nicht mehr ausstehen kann, so bists nur Du allein, von dem ich mich küssen lassen darf?«

»Ja, grad das meine ich.«

»Da bist weit vom Ziele. Du hast kein größeres Recht, als ein jeder Andere, nämlich gar keins.«

»Hast mirs doch versprochen!«

»Papperlapapp! Was verspricht man nicht in einem Augenblicke, wo man grad mal ausnahmsweise liebevoll ist!«

Er zog die Stirn in zornige Falten, biß sich auf den Schnauzbart und sagte:

»Kätherl, bedenk, daßt keinen Schulbuben vor Dir hast! Bist sonst allemalen freundlich zu mir gewest. Warum heut nicht? Heut hast noch keine freundliche Miene macht. Was hast gegen mich?«

»Gar viel!«

»So sag es!«

»Das hab ich halt nicht nöthig.«

»Oho! Wir sind einig worden, daß wir uns heirathen, sobald Dein Mann stirbt; also sind wir grad wie verlobte Brautleuten. Da muß man offen gegen nander sein.«

»Zur Verlobung gehört mehr, alst aufzeigen kannst!«

Sie hatte ihm wirklich noch keinen einzigen freundlichen Blick gegönnt. Ihr Gesicht war kalt und starr, wie das einer Bildsäule. Es war klar, daß sie seine Leidenschaft zu stacheln beabsichtigte.

»Meinst wirklich?« lachte er auf. »Ich denk im Gegentheil, daß wir uns so innig verlobt haben, daß wir gar nie wieder aus nander können.«

»Niemand hält mich und Niemand Dich. Wir haben unseren freien Willen. Erst mit dera Heirath ist man bunden.«

Jetzt trat er hart an sie heran, ergriff ihren Arm und fragte streng:

»Sprichst etwan das Alles im Ernst?«

»Schau ich grad wie eine Gespaßige aus?«

»Nein. Du bist im Gegentheil heut grad wie Eine, die mich fressen will.«

»Da brauchst keine Angst zu haben. Fressen thu ich Dich nicht. Wann ich mir das vornehmen sollt, so müßtest wohl weit appetitlicher sein als jetzt.«

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, welche ihn noch mehr erbitterte.

»Kätherl, bring mich nicht auf!« drohte er.

»Schrei nicht so!« antwortete sie ruhig. »Man kann Dich doch bereits unten im Dorf hören! Oder kommen wir hier etwan zusammen, um zu prüfen, wer am lautesten rufen und reden kann?«

»Alle Teufel, hast Du heut eine Laune! Die ist dick wie ein Gewitterregen. Wer in solcher Zeit Dein Mann ist, der muß sich in Acht nehmen, daß es nicht bei ihm einschlägt!«

»Das könntest mal empfinden!«

»Davor fürcht ich mich nicht. Ich bin kein Windbeutel, den die Frau anblasen kann, wie es ihr gefällt. Jeder hat dasselbige Recht, und wann meine Frauen donnert, so blitze ich.«

»So! Das ist gar schön, daßt mir das sagst. Wann ich mal Wittwe sein werde, so hab ich also nix Eiligeres zu thun, als Deine Frauen zu werden.«

»Geh! Du weißts schon, wie ichs meine. Ich bin ein Rauher und Kräftiger; aberst eine Frauen versteh ich schon noch glücklich zu machen.«

»Deine erste wars wohl auch?«

»Allerwegen.«

»Und doch sagen die Leutln, daßt sie prügelt hast und sie zu Tod geärgert!«

»Die Leute, welche das sagen, mögen nur zu mir kommen. Ich werde sie mit der Hundepeitsche eines Besseren belehren. Nach solchen Hallunken brauchst Du Dich nicht zu richten.«

»Das thu ich auch nicht. Ich hör auf Niemand. Ich bin alt genug, um selberst zu wissen, was ich zu thun hab.«

»Nun, so sag, was thust, sobald dera Kronenbauer begraben ist!«

»Ich – leg Trauer an.«

»Das meine ich nicht. Antwort mir doch gescheidter! Mußt doch wissen, wast mir als ganz gewiß versprochen hast!«

»Deine Frau zu werden? Ja, wannst es darnach treibst, kannst nachher mein Mann sein.«

»Na, das wollt ich nur hören! Leider aberst schauts ganz so aus, als ob ich auf den Nimmermehrstag warten sollt.«

»Hast keine Geduld?«

»Dera Teuxel hole die Geduld, wann sie anfangt, langweilig zu werden. Dein Bauer ist wie dera ewige Jude: Er kann nicht sterben.«

»Sei still! Er hustet bereits.«

»Er wird noch in fünfzig Jahren husten. Er kann so alt werden wie Methusalem.«

»So was passirt jetzund nicht mehr.«

»Wanns auch nicht gar so groß mehr ist, das Alter, so ists dennoch eine verteufelte Geschichten, daß man auf den Tod eines Menschen warten soll, der ein Leben hat, wie eine Katz.«

»Mir währt es selbst auch schon zu lange.«

»Bist selberst schuld.«

»Meinst? Was kann ich Anderes thun, als warten und nur warten?«

»So? Weißt nix, gar nix, wast da thun könntest?«

»Gar nix.«

»So bist freilich bei Weitem nicht so klug, wie ich denkt hab.«

»Vielleichten gehts mir ebenso mit Dir.«

»Oho! Wann ich einen Zweck verfolg, so weiß ich auch, was für Mittel zu demselben führen.«

»Hier giebts kein Mittel.«

»Viele, sogar sehr viele.«

»Kein einziges, als eben nur dera Tod.«

»Nein, denn der Tod ist eben dera Zweck, aberst nicht das Mittel. Wann ich einen Rehbock haben will, so ist der Rehbock dera Zweck und die Büchs ist das Mittel.«

»Das klingt gut. Meinst etwan, daß ich meinen Mann derschießen soll?«

»Derschießen! Das macht zu viel Lärm. Da giebts ruhigere Wege.«

»Weißt welche?«

»Ja. Willst einen wissen?«

»Sag einen!«

»Chloroform.«

»Was ist das?«

»Das ist das Zeug, welches man einathmen muß, wann Einem die Aerzte die Besinnung nehmen wollen, damit man operirt werden kann.«

»Da wacht man doch wieder aufi!«

»Nein, wann man genug bekommt. Und wer daran storben ist, dem schauts Keiner an. Die Aerzten denken dann, der Schlag hat ihn troffen.«

»Das Zeug kann man aberst wohl nicht zu kaufen bekommen?«

»Nur schwer; aberst ich wollt Dirs schon verschaffen.«

»Ich mag es nicht. Wann man mit Etwas hanthiren will, muß man auch verstehen, mit demselbigen umzugehen.«

»So giebts noch Anderes, zum Beispiel den Arsenic.«

»Den kenn ich auch nicht.«

»Das ist Rattengift.«

»Das ist mir schon bekannt. Meinst, daß ich den Bauern vergiften soll?«

»Fürchtest Dich davor?«

»Nein; ich fürcht mich überhaupt nicht, doch hab ich oft hört, daß so eine Vergiftung sofort entdeckt wird.«

»Nicht immer.«

»Nicht immer! Ist das etwan ein Trost?««

»Ich hab ja nicht sagt, daßt ihm gleich ein ganzes Pfund Arsenic ins Essen thun sollst. Das muß subtil macht werden. Alle Tagen ein ganz, ganz klein Bisserl. Das wirkt, ohne daß es Jemand merkt. Dera Kranke geht dabei langsam ein. Man hat es dabei sogar ganz in dera Macht, ihn sterben zu lassen zu einer beliebigen Zeit und Stund.«

»Danke! Eine Giftmischerin mag ich doch nicht sein. Ich mag nicht morden.««

»Bist so furchtsam?«

»Ja, ich fürchte Gott.««

»Mach keinen Scherz! Dir fällt es gar nicht ein, Dich um die zehn Geboten zu bekümmern. Du bist die Richtige dazu! Ja, aberst wannst nix thun willst, so mußt eben warten!«

»Das will ich auch.«

»Donnerwetter, aberst mir paßt das nicht!«

»So heirath schnell eine Andere!«

»Das sagst auch nur, um mich zornwuthig zu machen. Du weißt ganz genau, daß ich keine Andere mag als nur Dich. Um Deinetwillen wär ich im Stand, das zu thun, wofür Du Dich fürchtest.«

»Was?«

»Frag nicht auch noch! Bei solchen Dingen ists besser, man thut sie still, aber man spricht sie nicht aus. Wann ich wüßt, wann ich nur genau wüßt, ob –«

Er blickte sie scharf forschend an.

»Was willst wissen?« fragte sie.

»Obst mich wirklich magst.«

»Was wäre da, wann ich Dich möcht?«

»Hochzeit wäre da, und zwar bald!««

»Das glaub ich nicht.«

»Kannsts glauben! Kätherl, wannst mir jetzund fest zuschwörst, daß ich nach dem Tode des Bauers Dein Mann werd, so – so – so sollst auf seinen Tod gar nicht mehr lang zu warten haben.«

Sie zeigte keinerlei Abscheu gegen das, was er ihr sagte; aber sie gab ihm auch nicht die gewünschte Auskunft.

»Es ist bester, mir warten doch,« sagte sie.

»Das ist nicht nach meinem Geschmack!««

»Nach dem meinigen auch nicht, und doch kann es mir nicht einfallen, mich durch ein solches Versprechen, wie Du es von mir forderst, für immer an Dich zu binden. Das wäre die größte Unvorsichtigkeit.«

»So! Hast vielleichten auch noch andere Aussichten?«

»Du weißt gar wohl, daß ich sie haben könnt, wann ich sie wollt; aberst ich denk nicht daran.«

»Warum sprichst da von einer so großen Unvorsichtigkeiten?«

»Weil man sich kennen muß, ganz, ganz genau kennen, wann man sich heirathen will.«

»Und kennst mich etwan nicht?«

»Nein.«

»So! Da schlag doch dera Teuxel drein! Jetzunder will sie mich nicht kennen, und wir sind doch schon seit Jahren bekannt und hundertmal wie Mann und Frau bei nander sessen.«

»Das ist wahr, aber ich kenne Dich trotzdem nicht. Und daran bist Du selbst schuld.«

»Ich? In wiefern?«

»Weil Du nicht aufrichtig mit mir bist. Du spielst Versteckens mit mir. Ich kann Dir weder Glauben noch Vertrauen schenken.«

Er blickte sie ganz erstaunt an.

»Was sagst da? Keinen Glauben und kein Vertrauen kannst mir schenken? Da möcht ich doch gleich wissen, warum.«

»Weilst mich belügst.«

»Ich? Dich? Millionenhagelwetter! Bring mich nicht in Harnisch, Kronenbäuerin! Wannst behauptest, daß ich Dich belogen hätt, so hast grad Du eine Lügen macht.«

»O nein. Ich kanns Dir beweisen.«

»Beweis es doch mal!«

»Das soll mir nicht schwer fallen. Willst mir mal ehrlich Antwort geben?«

»Ja.«

»Was hast gestern Abend macht, als ich von Dir fort war?«

»Ich ging –«

Er hielt inne. Es war ihm deutlich anzusehen, daß er das, was er hatte sagen wollen, zu ihr nicht sagen dürfe. Darum verbesserte er sich schleunigst:

»Ich ging zu Bett.«

»Gleich dort im Wald?«

»Natürlich nicht. Ich bin heim gangen und hab mich niederlegt.«

»Ists wahr?«

»Ja. Ich habs Dir ja bereits gestern sagt, daß ich nix Anderes thun werd, als zu Bett gehen und ausschlafen.«

»Schau, wie prächtig Du lügen kannst!«

Sie machte jetzt ein zorniges Gesicht.

»Ich lüge nicht,« behauptete er.

»Du hast aberst nicht schlafen!«

»Was denn?«

»Du bist im Wald standen während dera ganzen Nacht.«

»Sappermenten! Was soll ich im Walde stehen die ganze Nacht hindurch?«

»Um den Samiel zu fangen. Es ist von denen Soldaten, Polizisten, Schandarmen und Forstleuten jeder Weg besetzt gewest.«

Er erschrak und erstaunte zu gleicher Zeit.

»Das weißt Du? Das?« fragte er.

»Ja, das weiß ich.«

»Aberst es war ja ein tiefes Geheimniß!«

»Du siehst, daß ich es dennoch derfahren hab.«

»Von wem?«

»Das ist nun mein Geheimniß. Wann Du welche vor mir hast, so darf ich auch eins vor Dir haben.«

»Das war ein Dienstgeheimniß. Verstanden? Davon darf man gegen Niemand was ausplaudern.«

»So denkst halt Du, weilst ein Dummkopf bist und mich nicht lieb hast!«

»Oho! Einen Dummkopfen hab ich mich noch nicht von Jemand nennen lassen. Das darfst nur Du allein wagen!«

»Und doch bist einer. Es giebt viel gescheidtere Leut als Du. Mir hast kein Vertrauen schenkt und machst nun die alberne Ausred vom Dienstgeheimniß. Warum find ich denn bei Anderen Vertrauen, bei denen es grad so Dienstgeheimniß ist wie bei Dir? Dienstgeheimniß ist eben nur eine Vertrauenssache. Vertrauen erweckt Liebe. Das kannst Dir merken. Wo das nicht vorhanden ist, da soll man auch nicht von dera Liebe oder gar von dera Hochzeiten reden, so wie Du vorhin.«

»Himmelsakra, das ist eine Predigt, die ich da anhören muß!«

»Hast sie verdient!«

»Weil ich meine Pflicht than hab? Da hab ich nur Lob verdient.«

»Ich lob Keinen, der mich anlügt!«

Sie waren Beide zornig auf einander. Sie hatten sich von einander abgewendet. Er bohrte mit seinem Stocke, den er in der Hand hielt, eifrig in das Erdreich ein, und sie –? Sie lächelte, da er es nicht merkte, still und siegreich vor sich hin. Sie wußte, daß sie die gegenwärtige Schlacht gewinnen werde.

Nach einer Weile hatte er sich besonnen, was das Beste sein werde. Er nahm sich vor, zu leugnen und beim Leugnen zu verharren. Er drehte sich ihr also langsam zu und sagte:

»Ich weiß übrigens gar nicht, warum Du Dich mit mir zankst. Ich habe Dir nicht die geringste Veranlassung dazu gegeben.«

Sie blieb so, den Rücken gegen ihn gekehrt, und antwortete nicht. Darum fügte er hinzu:

»Ich hab Dich doch gar nicht belogen!«

Da fuhr sie schnell herum zu ihm, blitzte ihn mit zornigen Augen an und sagte:

»Nicht belogen? Was?«

»Nein.«

»Bist nicht mit auf Posten gewest?«

»Nein. Ich hab schlafen.«

»Aberst ich weiß doch das Gegentheil!«

»So ist Derjenige dera Lügner, von dem Du es derfahren haben willst.«

»Schön. Ganz wie Du willst. Ihm glaube ich mehr als Dir. Leb wohl!«

Sie wendete sich von ihm und ging. Aber im nächsten Augenblicke stand er ihr zur Seite und hielt sie fest.

»Kathrin'!«

Sie gab sich scheinbar Mühe, ihm ihren Arm zu entringen.

»Kätherl!« wiederholte er in bittendem und beinahe demüthigem Tone.

»Was willst?«

»Geh noch nicht fort!«

»Was soll ich hier? Mich fort und fort anlügen lassen? Das fallt mir doch nicht im Traume ein!«

»Aberst wo soll ich denn als Posten standen haben?«

»Das wirst wohl wissen.«

»Ich weiß nix. Ich hab ja schlafen.«

Da heuchelte sie möglichst großen Zorn und entgegnete:

»Nicht schlafen hast! Ich weiß, wo Du gewest bist. Ich weiß es ganz genau.«

»Nun, wo denn?«

»Im Amselbusch.«

»Donnerwetter!«

»Schau, wiet jetzund verschrickst!«

»Das ist kein Schreck, sondern nur das Verstaunen, daß ich da im Amselbusch gewest sein soll, während ich doch im Bette legen hab.«

»Welch eine Hartnäckigkeit! Bist also wirklich nicht dort gewest?«

»Nein und abermals nein!«

»Hast also auch nix dort verloren?«

»Nein.«

Er sagte das in zuversichtlichem Tone, war aber dennoch verlegen.

»Auch das nicht?«

Sie griff in die Tasche und zog einen ziemlich leeren Tabaksbeutel hervor. Er griff hastig nach demselben.

»Mein Beutel! Wie kommst zu demselben?«

»Das brauchst nicht zu wissen. Sagst mir ja auch nix. Den hast gestern im Amselbusch verloren.«

»Wo hast ihn denn funden?«

Sie hatte ihn nicht gefunden. Sie selbst hatte ihn dem Förster aus der Außentasche seiner Joppe gezogen. Er hatte auf Posten gestanden oder vielmehr im Wald gelegen. Der Samiel sollte gefangen werden, und dieser, der Samiel, nämlich die Kronenbäuerin, war so verwegen gewesen, grad die umstellte Gegend zu betreten. Sie hatte den Förster bemerkt, war leise zu ihm hin gekrochen und hatte ihm den Beutel aus der Tasche genommen, um ein Beweisstück zu haben, daß sie von ihm belogen worden war.

Jetzt wußte er nicht, wie er sich gegen sie benehmen solle. Sie antwortete:

»Im Amselbusch hab ich ihn funden.«

»So hab ich ihn früher dort liegen lassen.«

»Nein. Noch gestern Abend, bevor mir ausnander gingen, hab ich Dir selbst die Pfeif aus demselbigen stopft und ihn Dir in die Taschen steckt.«

»Das ist nicht möglich. Du wirst ihn wohl gleich behalten haben.«

Da fuhr sie auf:

»Donnerwetter! Hältst Du mich für ein Kind, daßt mir so was sagen kannst!«

»So sag, wannst ihn willst funden haben!«

»Heut früh.«

»Was hast da im Amselbusch zu suchen?«

»Thee hab ich holt für meinen Mann. Da lag Dein Beutel. Also bist dort gewest!«

»Das beweißt noch nix!«

»Ich hab mich zum Ueberfluß weiter erkundigt, um ganz sicher zu gehen.«

»Bei wem?«

»Da fragst mich zu viel. Ich hab gern derfahren, daßt wirklich dort gewest bist.«

»Das könnt Dir nur dera Officier sagt haben!«

»Ich verrath denjenigen nicht.«

»Dem sei Gott gnädig! Wann er mit Dir so vertraulich ist, daß er Dir solche Dienstgeheimnissen ausplaudert, so mußt schon sehr gut mit ihm stehen.«

»Das kann Dir sehr egal sein. Das wird Dich auch gar nicht kränken, denn Liebe hast doch nicht zu mir, da Dir so alles Vertrauen zu mir fehlt. Wannsts wenigstens noch ehrlich eingeständst! Aberst Du machst Lüg auf Lüg, und dadurch wird Alles schlimmer. Ich mag von Dir gar nix mehr wissen.«

Sie wendete sich wieder von ihm ab. Er hielt sie abermals zurück. Er nahm sich jetzt vor, von seinem Leugnen abzusehen.

»Bleib, Kätherl,« bat er. »Ich wills Dir sagen.«

»Brauchsts gar nicht einzugestehen! Ich weiß es doch!«

»Wirsts mir verzeihen?«

»Nein.«

»So sag doch nur, warumst grad darauf so brennst, zu derfahren, wo die Posten stehen!«

»Das hätt ich derfahren wollt? Ist mir gar nicht einfallen. Ich hab mich nur ärgert, daßt mich belogen hast. Mir ists ganz egal, ob Posten draußen sind oder nicht. Aberst wannst sagst, daßt nach Haus gehst, und ich hör hernachens, daß es nicht wahr gewest ist, so kanns mich kränken. Wannst mich wirklich lieb hättst, so thätst so etwas nicht. Das ist die Sach! Verstanden?«

»Nun gut, wanns weiter keinen Zweck hast, so kannst nun zufrieden sein. Ich gesteh mein Unrecht ein und bitt Dirs ab. Willsts mir verzeihen?«

»Wannst mir Besserung versprichst!«

»Ja. Ich sag nichts Unwahres mehr.«

»Auch wanns ein Dienstgeheimnissen gilt?«

»Auch dann.«

»Aberst ich werd Dich auf die Proben stellen!«

»Das kannst ja thun. Ich weiß, daß ich sie bestehen werd. Giebst mir nun zur Versöhnung Deine Hand?«

»Hier ist sie.«

Ihr Gesicht war wieder freundlich. Die Wolke war verschwunden. Sie gab ihm die Hand.

»Und einen Kuß?«

»Zwei und auch drei, weilst gute Besserung gelobt hast. Da, komm.«

Sie hielt ihm den Mund entgegen und er machte von der erhaltenen Erlaubniß einen sehr ausgiebigen Gebrauch.

Ein moralisch nur halbwegs veranlagter Beobachter hätte sich von dem Anblicke, welchen diese beiden Personen boten, abgewendet, denn es war ein gradezu widerlicher. Abgesehen auch von dem Unterschiede in dem Aeußeren der Zwei war die Zärtlichkeit des Försters eine so ungemein sinnliche, daß sie unbedingt abstoßen mußte. Und die Bäuerin nahm die Liebkosungen desselben so kalt und passiv entgegen, daß es ihr anzusehen war, sie gewähre ihm die Berührung ihrer Person nur allein aus einer allem inneren Gefühles baren Berechnung.

Endlich aber wurde es ihr denn doch zu viel. Sie stieß ihn von sich ab und sagte:

»Nun ists gut. Du derdrückst mich ja und machst mir mein ganzes Habit zu schanden. Wer mich so anschaut, was muß der denken! Du siehst, daß ich Deine Bewerbung annommen habe; nun mußt auch Wort halten und kein Geheimnissen mehr vor mir haben.«

»Nein. Nun hab ich keine mehr. Kannst auf mich rechnen?«

»Ja.« »Aberst darfst auch nicht mehr so zuwider und zurückhaltend sein wie in dera letzten Zeit. Wann man eine Frauen lieb hat, soll sie Einen auch als ihren Mann betrachten und sich darnach verhalten. Ich hab Dich in dera Zeit bisher oft bestellt, und Du bist nicht kommen. Gestern warst zwar da, aberst ich hab Dich gar nicht anrühren durft. Das kann mir nicht gefallen. Es ist ganz so gewest, als obst einen Anderen hättst. Wann werden wir wiederum ein Stelldichein haben?«

»Wannst willst.«

»Schön! Kannst heut kommen?«

»Wohin?«

»Ja, das ist nun eine böse Geschichten. Wir werden wiederum die Wege der ganzen Umgegend so besetzen, daß dera Samiel uns nicht entgehen kann, falls er in dieser Nacht nicht zu Haus bleibt, sondern abermals wildern oder stehlen geht.«

»Ihr gebt Euch doch gar gewaltige Mühe, ihn zu fangen!«

»Einmal wird er uns doch in die Hand laufen, wann wir nur lang genug aushalten und uns so heimlich verhalten, daß er es gar nicht merkt, wie schlau wir auf ihn warten.«

»Ja, schlau fangt Ihrs jetzunder an!« sagte sie in ironischem Tone. »Jedermann weiß, daß allüberall das Militär einquartirt worden ist, und nur dera Samiel allein soll es nicht wissen!«

»Mag er es wissen! Er weiß doch nicht, warum. Das Militär ist da, um Felddienstübungen abzuhalten. Daß aberst der eigentliche Zweck darinnen liegt, den Samiel zu fangen, das ist ein Geheimniß, welches er nicht eher derfahren wird, als bis man ihn dergriffen hat. Eine Anstrengungen ists freilich für Unsereinen. Man hat seinen gewöhnlichen Forstdienst zu thun und außerdem während dera ganzen Nacht auf Posten zu stehen. Woher nimmt man da die Zeit zum Schlaf! Lange darf das nicht währen, sonst rackert man sich ab und geht zu Grund. Bei diesem Leben ists eben nur die Liebe allein, die es erträglich machen kann. Und darum freut es mich, daßt wiederum gut sein willst. Heut Abend ist mein Platz unten im Amselbusch. Das ist nicht weit. Kannst dahin kommen?«

»Wann?«

»Ich tret um zehn Uhr an.«

»Da kann ich noch nicht fort. Ich muß warten, bis bei mir Alles im Schlafe liegt.«

»So komm später! Ich hab diesen Posten von dem Officier nur aus Rücksicht anwiesen bekommen, weils nicht gar weit von meiner Förstereien ist.«

»Und wo treff ich Dich da? Dera Amselbusch ist lang.«

»Kennst ihn vielleichten?«

»Ja. Ich bin einige Male dort spazieren gewest.«

»Hast da vielleichten auch die beiden Eichen sehen, welche eng neben einander stehen? Es ist eine Steinbank davor baut und weiches Moos darüber.«

»Die hab ich nicht nur sehen, sondern auch darauf sessen.«

»So wirst sie finden?«

»Ja. Es ist ja Mondschein heut, wann das Wetter sich nicht ändern thut.«

»Heut bleibts schön. Es ist sehr gut, daßt nicht Eine bist, die sich fürchten thut. Eine Andere wird nicht des Nachts durch den Wald gehen.«

»Das schreibt sich noch von meiner Jugend her; da war ich gar viel im Walde.«

»Habs hört.«

»So? Was hat man denn sagt?«

»Daß Dein Vatern ein Wilderer west ist und Du hättst ihm holfen. Er ist niemals derwischt worden.«

Sie lachte auf.

»Er konnt nicht derwischt werden, weil es nicht wahr ist, daß er wildert hat.«

»Nicht? Es giebt doch so sehr viele Stückerln, die man sich von ihm derzählt.«

»Das ist Alles nur erdacht, was sich die Leut verzählen.«

»Du sagst doch selbst, daßt viel im Wald gewest seist!«

»Aber nicht um zu wildern. Wir waren arm und sind hinaus gangen um Beeren und Schwammerln zu suchen. Auch Holz haben wir eintragen für den Winter. Da lernt man den Wald kennen. Da bricht oft dabei dera Abend und die Nacht herein, und so kommt es, daß man sich selbst in dera Dunkelheit nicht im Walde fürchtet. Vielleichten ist dera Samiel auch ein armer Bub gewest, der sich im Wald hat abmühen müssen; nun kennt er ihn und fürchtet sich nicht.«

»Wir werden ihm schon bald das Handwerk legen. Er wirds nicht mehr lange treiben, vielleichten nur noch eine ganz kurze Zeit.«

»Das glaub ich nicht. Nach Allem, was man von ihm hört, ist er ein schlauer Patron, der jetzund wohl so klug sein wird, zu Haus zu bleiben.«

»Wollen ihn schon heraus locken!«

»Womit?«

»Mit einem Köder, an welchen er ganz sicher beißen wird.«

»Wirst Dich verrechnen.«

»Ich möcht wetten, daß es uns gelingt.«

»Für einen Solchen giebts wohl keinen Köder.«

»Meinst? Es giebt im Gegentheil einen gar sehr guten, der sich bewähren wird.«

»Da möcht ich doch fast wissen, worinnen diese Lockspeis bestehen soll.«

»Das ist Dienstgeheimniß.«

»Schon wiederum eins?«

»Ja. Und ich hab die große Ehr, mir das ausdenkt zu haben. Ich hab den Plan dem Officier vorlegt. Er hat ihn für gut und schlau befunden und die Bestimmung troffen, daß er ausführt werden soll.«

»So bist ja ein Kerl, vor welchem man vor lauter Hochachtungen gleich den Hut abnehmen muß.«

»Ja, alleweile bin ich das. Und ich werd stolz sein, wann das gelingt. Nachhero komm ich wohl zur Belohnung endlich in königlichen Dienst. Das Privatforstwesen hab ich satt.«

»Königlicher Förster? Ich denk, Du willst Kronenbauer werden!«

»Ja, wann diese Zeit da sein wird, so leg ich den Dienst nieder, er mag heißen, wie er will.«

»Also, worinnen besteht denn die Lockspeisen, von der Du sprochen hast?«

Er zuckte verlegen die Achsel und sagte:

»Ja, liebes Kätherl, das darf ich Dir nicht sagen.«

»So!« fuhr sie auf. »Hast mir nicht so eben versprochen, kein Geheimnissen vor mir mehr haben zu wollen?«

»Von heut an!«

»Und nun hast doch gleich heut wieder eins!«

»Das ist kein heutiges. Das wurde bereits gestern besprochen, und was gestern war, das geht dem heutigen Tag nix an.«

»Wer hat denn sagt, daß es sich nur um die Geheimnisse von heut an handelt?«

»Das versteht sich doch von selberst.«

»Nein. Alle sind gemeint. Du sollst offen und ehrlich sein in Allem gegen mich, auch in Beziehung auf vergangene Dinge.«

»Meinswegen! Aber dieses Eine, davon darf ich nicht reden. Da hab ich mein ganz besonderes Ehrenwort drauf geben.«

»So muß es gar sehr wichtig sein.«

»Ja, außerordentlich. Nur zwei Personen wissen davon, nämlich ich und dera Officier, der Lieutenant. Keinem Förster und keinem Polizeier darf jetzt was davon sagt werden, nicht mal dem Feldwebel und denen Unterofficieren, welche in dera Umgegend stehen. Daraus magst ersehen, wie schlau und heimlich wir handeln. Darum eben bin ich überzeugt, daß dera Samiel auf den Leim gehen wird.«

»Mag der drauf gehen, ich aber nicht. Ade, Förster!«

Sie drehte sich um, zum dritten Male nun; aber ebenso schnell wie die beiden andern Male hatte er sie am Arme.

»Was läufst wiederum davon?« fragte er.

»Weil eben auf Dich kein Verlaß ist. Du hältst nicht Wort. Jetzund hast abermals ein Geheimnissen!«

»Sappermenten! Das selbige kann Dir doch ganz gleichgiltig sein!«

»Das ists mir auch. Was geht mich dera Samiel an und Alles, was Ihr thut, um ihn zu fangen! Aber es muß mich wurmen, daß Du nicht Wort halten kannst. Behalt also Dein Geheimnissen für Dich!«

Sie sagte das in zornigem, grobem Tone.

»Dazu bin ich doch verpflichtet!«

»So bin aber ich nicht verpflichtet, mich länger mit Dir abzugeben. So ein Mensch, welcher nur von Liebe spricht und vom Heirathen und daß ich zu ihm so sein soll wie eine Frauen zu ihrem Manne und der doch dabei nix weiter hat als Geheimnissen und immer wieder Geheimnissen, der kann mir stohlen werden. Ich brauch mich nicht wegzuwerfen; ich mag keinen Heimlichthuer. Ich brauch nur die Arme auszustrecken, so hängt gleich an jedem Finger ein Anderer, mit dem Du Dich nicht messen kannst. So einen Quackelhanns, wie Du bist, bekomme ich zu jeder Zeit.«

»Oho! Brauchst nicht so grob zu werden! Ich red auch vernünftig mit Dir!«

»Ja, diese Vernunft kenne ich. Ich dank dafür! Leb wohl!«

Er hielt sie noch am Arme fest; sie aber riß sich los und eilte davon. Er wollte ihr nach; da aber hörte er nahende Stimmen, welche Leuten angehörten, die wohl auch noch zur Capelle wollten; darum blieb er stehen. Er wollte sich doch nicht sehen lassen und den Leuten Veranlassung zu dem Schauspiele geben, daß er der Kronenbäuerin nachlaufe.

»Verdammt!« brummte er. »Da rennt sie mir also doch noch davon! Nun kommt sie heut gewiß auch nicht nach dem Amselbusch. Wie schön sie ist! Ein Bissen für einen König oder Kaiser! Und der Kronenhof dazu! Wann ich den bekäme! Da käme ein Geld und Vermögen zusammen! Aber ich darf doch nix ausplaudern im Dienst. Das geht nicht. Was thu ich nur!«

Er stieg zwischen den Büschen langsam zur Capelle hinauf. Es war vor derselben Niemand zu sehen. Drinnen erscholl die Melodie eines Kirchenliedes.

Er trat ein, so heimlich wie möglich, damit man nicht allgemein bemerken solle, daß er so spät komme. Sein Erscheinen und dasjenige der Kronenbäuerin kurz vorher hätte zu Redereien oder wenigstens Vermuthungen Veranlassung geben können. Er hatte sich so gestellt, daß er sie sehen konnte. Sie saß neben seiner Nichte und hatte derselben in so auffälliger Weise den Rücken zugekehrt, daß man überzeugt sein mußte, sie beabsichtige, das Mädchen zu beleidigen. Nach einiger Zeit erhob sich in Folge dessen Martha und ging hinaus. Es war für sie kein übriger Platz vorhanden.

Der Förster drehte grimmig an den Spitzen seines Schnurrbartes. Er wußte, daß diese Beleidigung seiner Nichte eigentlich an ihn adressirt sei.

Aber wenn er den Blick auf die Bäuerin heftete, so wollte sein Grimm nicht Stich halten. Sie saß so schön, so entzückend da, die Augen fromm zum Buche niedergeschlagen. Und dann, als der Pfarrer zu sprechen begann, hob sie den Blick zu ihm empor. Sie sah so fromm, so mild und lieb aus wie ein Engel, dessen Seele und Gestalt nie ein Hauch getrübt hat und auch nicht trüben kann. Sie schien so ganz in der Andacht für die Predigt aufzugehen.

Dem Förster wurde es ganz wunderbar zu Muthe. Dieser Engel, diese Heilige hatte an seinem Herzen gelegen. Er hatte die prächtigen Lippen küssen dürfen, welche jetzt halb offen, so daß die Perlenzähne dazwischen hervorschimmerten, den Inhalt der frommen Rede einzuathmen schienen. Dieses herrliche Wesen wollte auch fernerhin die Seinige sein, ihm für das ganze Leben angehören, nur solle er offen und rückhaltslos aufrichtig mit ihr sein. Hatte sie denn nicht ein Recht, dies von ihm zu fordern? Ganz gewiß, denn er verlangte ja auch von ihr die Wahrheit.

Er war von Haus aus nicht zur strengsten Gewissenhaftigkeit angelegt; er nahm sich vor, ihr den Willen zu thun. Was konnte es schaden, wenn er ihr sagte, welcher Plan gegen den Samiel ausgeführt werden solle. Sie würde es gewiß nicht ausplaudern. Was hätte sie davon gehabt?

So erwartete er mit Ungeduld das Ende des Gottesdienstes. Er wollte es so einrichten, daß er noch einmal mit der Kronenbäuerin zu sprechen kam. Darum war er der Erste, welcher am Schlusse die Capelle verließ. Draußen stellte er sich an die Stelle, wo der Weg von dem Vorplatze des Gotteshäuschens nach dem Dorfe abwärts führte. Auf diese Weise mußte sie an ihm vorüber.

Er war in der ganzen Umgebung nicht beliebt. Darum wurde er nur wenig gegrüßt. Niemand blieb bei ihm stehen, um etwa ein Gespräch zu beginnen, während dessen die Bäuerin vielleicht Gelegenheit gesucht und gefunden hätte, an ihm vorüber zu kommen, ohne von ihm angehalten worden zu sein. So war er also sicher, daß sie ihm nicht entgehen konnte.

Die Bäuerin ihrerseits hatte mit guter Ueberlegung gehandelt. Sie wußte, daß er sie ablauern werde. Sie hegte auch keineswegs die Absicht, sich ihm vollständig zu entziehen. Sie wollte, ja sie mußte mit ihm sprechen, aber es sollte nicht den Anschein haben, als ob sie dies wünsche. Sie wollte ihn besonders dadurch ärgern, daß sie sich in der Begleitung des Knechtes befand, welchen sie ja bestellt hatte. Sie wollte mit diesem recht freundlich thun, um die Eifersucht des Försters aufzustacheln. Darum schloß sie sich nicht dem Zuge der sogleich abwärts Steigenden an, sondern sie blieb an der Capelle stehen, um nach Fritz auszuschauen.

Sie sah ihn nicht. Er konnte sich hinter der Capelle befinden. Darum umschritt sie dieselbe – vergebens. Fritz war nicht zu sehen; dort aber am Wege stand der Förster, sichtlich sie erwartend. Sie ließ sich absichtlich von ihm sehen und wendete sich dann zurück, um nochmals hinter dem Gotteshäuschen zu verschwinden. Am Rande des Buschwerkes hingehend, vernahm sie Stimmen. Sie blieb stehen und lauschte. Ja, das war Fritzens Stimme. Sie hörte deutlich, was er sagte, und daß ihm eine weibliche Stimme antwortete. Er war es, dem ihre eigentliche und zwar glühende Liebe gehörte. Eine ebenso plötzliche wie mächtige Eifersucht bemächtigte sich ihrer. Sie fuhr wie eine Furie zwischen die Sträucher hinein, grad als der Förster, welcher seinen Posten verlassen hatte und ihr gefolgt war, hinter der Capelle hervortrat. Er sah sie verschwinden.

Er fragte sich, ob er ihr folgen solle. Er glaubte natürlich, daß sie, weil er am Wege gestanden habe, den ungebahnten Berg hinabsteigen wolle, nur um ihm zu entgehen. Ja, er wollte ihr nach. Wenn er sie jetzt entkommen ließ, so machte sie wohl jedenfalls alle Gelegenheit für ihn, sie allein zu treffen, zu nichte.

Eben wollte er auch in die Sträucher eindringen, als er zu seinen Erstaunen seine Nichte daraus hervortreten sah.

»Was machst da drin?« fragte er sie.

»Ich bin spazieren west.«

»Weilst aus dera Capellen fort mußt hast. Daran war die Kronenbäuerin schuld. Hast sie nicht soeben hier sehen?«

»Ja. Da drinnen steht sie.«

Sie deutete zurück.

»Sie steht? Sie läuft nicht abwärts?«

»Nein.«

Jetzt hörte er Fritzens Stimme.

»Donnerwetter!« sagte er. »Sie ist nicht allein. Wer ist bei ihr?«

»Dera Fritz, ihr Knecht.«

»Der! Wie kommt der hier herauf?«

»Sie hat ihn bestellt, damit er sie nach Haus begleiten soll.«

»Ists wahr?«

»Jawohl.«

Seine Augen begannen zu funkeln.

»Woher weißt das?« fragte er sie.

»Er selberst hat es mir sagt. Wir sind ganz zufällig mit nander zusammentroffen und haben mit nander sprachen, als jetzund die Bäurin dazu kam.«

Er glaubte, die Situation zu durchschauen. Er lächelte grimmig vor sich hin und fragte:

»Hast ihn wirklich nur ganz zufällig troffen?«

»Wie sonst?«

»Ihr habt Euch nicht bestellt?«

»Nein. Wann mir uns bestellt hätten, hätt ich mich doch nicht in die Capellen setzt. Und Du wirst wohl selberst wissen, daß mich nur die Kronenbäuerin daraus vertrieben hat.«

»Ja, das hab ich sehen. Also, sag aufrichtig: Er ist nicht etwan Dein heimlicher Geliebter?«

»Was denkst von ihm! Alle Welt weiß, daß er kein Dirndl hat.«

Aber mit jener weiblichen, angeborenen Schlauheit, welche selbst das unverdorbenste Mädchen besitzt, fügte sie hinzu, indem sie lustig auflachte:

»Das, wast jetzund sagt hast, das hat auch die Kronenbäuerin denkt. Sie hat glaubt, daß ich sein Dirndl bin.«

»So! Ist sie mißtrauisch gewest? Da hat sie sich wohl sehr darüber freut, daß sie Dich bei ihm sehen hat?«

Er hielt das Auge so scharf auf sie gerichtet, als ob er von ihrem Gesichte die Antwort ablesen, noch ehe dieselbige ausgesprochen worden war.

»Darüber freut? Das hab ich halt nicht bemerkt. Sie hat sehr zornig than.«

»Ach so! Sie hat ihm doch gar nix zu befehlen und zu gebieten.«

»Das mein ich wohl auch, aber dennerst ists grad wie eine Furie gewest, so daß ich gleich fort gangen bin; aberst vorher hab ich ihr sagt, was ich von ihr denk.«

»Was denn? Was hast sagt?«

»Sie hat wohl meint, daß er kein Dirndl nehmen darf, ohne daß er sie zuerst um die Verlaubnissen darum bittet. Da hab ich ihr aberst gleich sagt, daß ich von ihr keinen Buben nehmen möcht, grad aus der ihrigen Hand erst recht nicht.«

Sie legte auf diese letzten Worte einen ganz besonderen Nachdruck. Das fiel ihm auf. Er zog die Brauen erwartungsvoll empor und fragte:

»Warum denn das nicht?«

»Weil sie nicht diejenige ist, aus deren Hand ein Dirndl den Buben so erlangen kann, wie er sein muß.«

»Ach so! Und wie soll er denn sein?«

»Gut und brav. Er darf nicht zuvor mit einer Anderen schamerirt haben, besonders nicht mit einer verheiratheten Frauen.«

»Wie meinst denn das? Redest da etwan von dera Bäuerin?«

»Natürlich! Von einer Anderen doch nicht.«

»Könnt man vielleicht aus ihrer Hand keinen braven Buben erhalten?«

»Nein, denn sie hätt ihn vorher verdorben.«

»Schau, wast da sagst! Davon hab ich noch gar nix wußt. Kennst denn die Bäuerin gar so genau?«

»O, die kenn ich schon!«

»Woher?«

»Vom Walde her.«

»Hast sie im Wald sehen?«

»Oft.«

»Ich noch nicht. Was thut sie da?«

Sie warf ihm einen lächelnden Blick zu und antwortete:

»Solltst sie wirklich noch nicht dort sehen haben? Das thät mich gar sehr wundern.«

»Warum?«

»Nun, weilst doch dera Förster bist, der stets im Wald sein muß. Da kannst sie doch viel eher treffen als ich.«

»Ich hab sie aberst noch nicht troffen.«

»So hast sie wohl sehen, sie aberst wohl nur nicht erkannt.«

»Die Kronenbäuerin werd ich doch wohl kennen!«

»Des Nachts sind alle Kühe schwarz. Da ists möglich, daß man selbst seinen allerbesten Freund oder die beste Freundin für eine andere Person hält.«

»Des Nachts? Meinst etwan, daß die Bäurin des Nachts in den Wald geht?«

»Ja.«

»Da wird sie sich hüten.«

»O nein. Sie ists gewest. Ich hab sie ganz genau erkannt.«

»Wirst Dich irren. Hast ja selberst jetzunder sagt, daß man da selbst den allerbesten Freund verkennen kann.«

»Ja, ich hab sie aber reden hört und ganz genau ihre Stimme erkannt.«

»Reden hört? So ist Jemand bei ihr gewest?«

»Ja.«

»Wer mag das gewesen sein?«

»Das – das konnt ich freilich nicht genau wegbekommen. Es war gar zu dunkel.«

»Wars auch ein Frauenzimmer?«

»Nein, sondern eine Mannspersonen.«

»Sapperment! So laufts also mit Mannsbildern des Nachts im Wald herum! Hast den Kerlen denn nicht auch an dera Stimmen erkannt?«

»Nein. Er hat nicht so laut sprochen wie sie. Ich hab denkt, daß ich seine Stimm kennen muß. Ich hab sehr darüber nachsonnen, konnts aberst doch nicht finden.«

»Hm!«

»Sag mal, Oheim, ob das nicht ganz sehr sonderbar ist!«

»Freilich! Aberst es ist noch was Anderes dabei, was ebenso sonderbar ist.«

»Was denn?«

»Daß Du sie sehen hast. Du mußt also auch mit im Wald gewest sein.«

»Daran ist doch nix Sonderbares! Ich wohn ja im Wald. Das Forsthaus steht mitten darinnen.«

»Aber dennoch wüßt ich nicht, wast für eine Veranlassungen hättest, das Forsthaus in dera Finsternissen zu verlassen und im Wald herum zu laufen.«

»Dazu hab ich freilich keinen Grund, und ich hab es auch gar nicht than.«

»Und hast doch die Bäuerin sehen?«

»Ja. Aberst nicht im Wald, sondern in unserm Garten.«

»In – unserm – Garten?«

Er sagte das langsam und indem er die einzelnen Worte weit aus einander zog. Er machte große Augen, betrachtete ihr ihm still und überlegen entgegen lächelndes Gesicht und fuhr dann fort:

»Dort, in unserm Garten wäre sie gewest, die Kronenbäuerin?«

»Ja.«

»Des Nachts? Das ist doch ganz und gar unmöglich!«

»Es ist wahr. Ich kann mich gar nicht irren.«

»Was will sie dort?«

»Sie hat einen – – einen Liebhaber bei sich habt.«

»Bist etwan verhext?«

»Nein. Es ist die Wahrheit.«

»Wer ist denn derjenige Liebhaber gewest?«

»Ich hab Dir doch bereits sagt, daß ich ihn nicht derkannt hab.«

Er aber sah es ihrem Lächeln an, daß sie den Betreffenden gar wohl erkannt habe. Und dieser Betreffende war jedenfalls er selber, der Förster gewesen.

»Wie ist denn das kommen?« fragte er.

»Das ist sehr einfach gewest. Ich hab halt nicht schlafen konnt und bin noch ein Wengerl in den Garten gangen und hab mich in die Lauben setzt. Nachhero, als ich gehen wollt und bereits aus dera Lauben treten bin, hab ich Schritte kommen hört. Ich hab mich wundert, wer da noch herumilaufen mag, und weil ich mich nicht gern sehen lassen wollt, hab ich mich neben die Lauben an den Zaun drückt.«

»Ah! Warum bist nicht wiederum in die Lauben zurück?«

»Weil ich mir denkt hab, daß Derjenige, der da kommt, wohl auch hineingehen werde. Und sehen hat er mich doch nicht sollen.«

»Ach so! Nun, weiter!«

»Als die Person an mir vorüber ging, hab ich sehen, daß es ein Weibsbild war.«

»Donnerwetter! Es wird die Magd gewest sein.«

»Nein. Die war schlafen gangen.«

»Sie kann wieder aufistanden sein, grad so wie Du.«

»Nein. Die alte Magd ist lang und hager und geht krumm und gebeugt. Dasjenige Frauenzimmern aberst ist nicht lang gewest. Sie blieb einige Augenblicke vor dera Lauben stehen, hat hineinschaut und leise fragt: ›Bist schon da?‹ Aberst es hat ihr Niemand antwortet, eben weil gar Niemand da gewest ist.«

»So, so! Weiter!«

»Sie hat sich hinein setzt. Und bald darauf ist Der kommen, dens sucht hat.«

»Also ein Mann?«

»Ja.«

»Hast ihn Dir anschaut?«

»Nein. Er ist gar zu schnell an mir vorübergangen und in der Lauben verschwunden. Nachhero habens mit nander sprochen und ich hab sie an dero Stimmen erkannt.«

»Und ich denk halt, daßt Dich ganz sicher irrt hast.«

»Das ist gar nicht möglich, denn er hat sie mehrere Male beim Namen nannt.«

»Wie denn?«

»Kathrin hat er sagt. Nachhero, als er zärtlich war, nannt er sie ›liebes Katherl‹. Und sodann, als sie sich zankten und er zornig gewest ist, hat er sie nicht mehr Kätherl, sondern Kronenbäuerin nannt.«

»Donnerwetter! Das hast Alles hört?«

»Ja.«

»Auch was sprochen worden ist?«

»Alles.«

»Nun, was habens denn sprochen?«

»Daß er sie heirathen will, wann dera Kronenbauer storben ist. Auch vom Samiel habens sprochen und von noch anderen Dingen.«

»Sags, von was.«

»Werd mich hüten!«

»Warum?«

»Man kann, wann man ein junges Mäderl ist, nicht Alles wiedersagen, was solche Liebesleut mit nander reden und thun.«

»Verdammt! Also hast ihn nicht derkannt?«

»Nein.«

»Ists einer der beiden Jägerburschen west?«

»Nein. Das weiß ich ganz genau.«

»So möcht ich nur wissen, wer dera Kerl hat sein konnt!«

»Denk mal drüber nach!«

»Das kann nix helfen.«

»Vielleichten doch.«

»War er alt?«

»Sie hats ihm sagt, daß er kein Junger mehr ist. Darauf hat er sein Alter nannt.«

»Nun, wie alt war er?«

»Grad so alt wie Du.«

»Kreuzmillionen! Da möcht ich wohl wissen, wers gewest ist!«

»Ich auch!«

»Wer kann das für möglich halten, daß fremde Leutle sich des Nachts in unsern Garten schleichen, um dort ihre Liebesgeschichten abzumachen!«

»Ja, ich möcht wohl wissen, wie sie hineinkommen konnten. Die Gartenthür ist doch stets verschlossen.«

»Werden am End gar über den Zaun stiegen sein.«

»Eine Frau? Ueber den Zaun? Wohl nicht.«

»Oder war die Thür offen, weil Du drin gewest bist.«

»Nein. Ich bin durch das Haus hinaus, durch die Giebelthür, welche gleich in den Garten geht. Nachhero hab ich mich heimlich fortschlichen und nach dera Außenthür schaut. Sie war offen. Es konnt sie nur Einer geöffnet haben, der den Schlüssel dazu hat.«

»Sapperment! Das ist wirklich gar sehr besonderbar!«

»Ja. Es giebt doch nur zwei Schlüssel zum Garten. Einen hab ich, und den andern hast Du.«

»Eben darum kann ich es nicht begreifen, daß die Thür offen standen hat!«

»Ich hab sie nicht offen lassen.«

»Ich auch nicht.«

»Wirsts doch vielleicht selberst gewest sein, Oheim!«

»Gewiß nicht.«

»Und doch! Denn ich geh nie zu dera Thür herein oder heraus. Ich benutze stets die Giebelthür.«

»Ich werd diese Sach mal untersuchen. Wie ists denn nachhero worden?«

»Ich hab an dera Thür wartet, bis sie gangen sind. Ich hatt mich hinter den Rosenstrauch niedersetzt, der neben dera Thüren ist. Da konntens mich nicht sehen.«

»Aberst Du hast sie sehen konnt?«

»Ja.«

»Nun, so mußt doch wegbekommen haben, wer dera Mann gewest ist.«

Sie antwortete nicht und blickte vor sich nieder.

»Martha!« sagte er in strengem Tone, »wirsts sagen oder nicht?«

»Kanns Dir denn lieb sein, wann ich es sagen thu?«

»Darnach hast nix zu fragen. Ich will es wissen!«

»Nun, so brauche ichs dennoch nicht zu sagen, denn Du weißt es bereits.«

»Ich?! Unsinn!«

»Besser als ich weißt Du es! Wirst doch Dich selberst kennen!«

»Mich – selberst – kennen? Wie meinst Du denn das?«

»Nun, Du selbst bists gewest.«

»Ich? Bist nicht gescheidt im Kopf?«

»Ich hab mich nie rühmt, daß ich sonderlich gescheidt sei; aberst meine Augen und Ohren hab ich doch, und ich werd doch den Oheim kennen, bei dem ich wohnen thu.«

»Donnerwetter! Dirndl, mach mich nicht zornig! Ich soll dera Liebhaber von dera Kronenbäuerin sein!«

»Willst behaupten, daß Du es nicht bist?«

»Ja, das thu ich behaupten.«

»So weiß ich freilich nicht, wo ich meine Augen und Ohren habt habe.«

»Wirst die ganze Geschichten wohl nur träumt haben!«

»O nein! Wach bin ich gewest, sehr wach. Du kannst Dir denken, daß ich auch nachhero nicht habe schlafen konnt.«

»Konntst ruhig schlafen. Ich werd diese Sach gleich mal untersuchen. Die Bäuerin steht ja noch da im Busch. Ich werd sie gleich zur Verantwortung ziehen.«

Er machte Miene, in das Gesträuch einzudringen.

»Soll ich mit dabei sein?« fragte Martha.

»Nein. Ich thu es allein.«

»Aberst ich bin dabei doch wohl ganz nöthig, als Zeugin!«

»Ich brauch keine Zeugin. Ich denk mir, daßt Dich ganz und gar irrt hast, und da will ich Dich vor dera Kronenbäuerin nicht blamiren.«

»Daraus thät ich mir gar nix machen. Ich bin im Gegentheil ganz überzeugt, daß sie vor mir blamirt sein thät. Denn sie ist es ganz gewiß gewest.«

»Und auch ich wohl?«

»Ja.«

»Dirndl, ich sag Dir, daß ich es nicht war. Du hast Dich da gewaltig geirrt. Ich werd die Sach heraus bekommen, und dann, wann ichs Dir sag, wer und wie es gewest ist, dann wirst einsehen, daßt Dich auf einer ganz falschen Spur befunden hast.«

»Da bin ich freilich neugierig, wast für eine Verklärungen bringen wirst.«

»Eine richtige. Jetzund aberst gehst zu Haus.«

Sie gehorchte ihm und ging fort, langsam aber und zögernd. Er blickte ihr nach, bis sie hinter der Capelle verschwunden war; dann murmelte er zornig:

»Verflucht! Sie hat uns Beide erkannt. Sie weiß Alles. Sie hat jedes Wort gehört, was von uns geredet wurde, und – – da schlag doch gleich der Teuxel drein! So ist es, wann man so ein erbarmungsvolles, mildthätiges Herz hat und ein Waisendirndl zu sich nimmt. Das ist dera Dank dafür! Und die Bäuerin hats auf den Knecht absehen! Das weiß ich nun genau. Aberst ich werd ihr das verbieten! Wart nur, Kätherl!«

Er trat nahe an den Busch heran und horchte. Er hörte die Bäuerin soeben sagen:

»Suche Dir eine Andere! Es giebt eine viel, viel Hübschere da!«

Dann antwortete Fritz das, was er über die zweite Magd zu sagen hatte. Der Förster ahnte, was die Bäuerin beabsichtigte. Sie wollte den Knecht mit List dazu bringen, ihr eine Liebeserklärung zu machen. Dazu durfte es nicht kommen. Darum drang er jetzt in die Büsche ein und stand im nächsten Augenblick vor den Beiden.

Seine Augen funkelten zornig. Er ließ den Blick von der einen Person auf die Andere schweifen, und wollte sodann losbrechen. Aber die Bäurin, welche von seinem plötzlichen Erscheinen keineswegs erschreckt worden war, warf ihm einen so drohenden Blick zu, daß er sich besann und nur sagte:

»Grüß Gott, Ihr Leutln da!«

»Grüß Gott, Förster!« antwortete der Knecht ruhig.

»Dank schön!« sagte die Bäuerin. »Was willst da, Förster?«

»Nix.«

»So kannst wieder gehen.«

»O nein. Wirst mirs wohl derlauben, ein Wengerl dazubleiben.«

»Wir brauchen Dich nicht.«

»Das glaub ich schon. Aberst es gefallt mir hier.«

»Mir nicht. Darum will ich gehen,« sagte der Fritz und drehte sich um.

»Bleib!« gebot ihm die Bäuerin.

»Wirst mich wohl gehen lassen. Es giebt halt Leutln, deren Gesicht Einem zuwider ist. Da ists besser, man geht.«

Er ging. Sie aber rief ihm noch zu:

»Wart an dera Capellen. Ich komm gleich nach. Wir gehen mitsammen!«

Nun standen die Beiden, sie und der Förster, abermals bei einander.

»Hast wohl gar horcht?« fragte sie ihn.

»Nein, aber Du.«

»Ich? Wo denn?«

»Hier.«

»So! Und wann denn?«

»Vorhin, als meine Nichte mit dem Knecht sprochen hat.«

»Ja, da hab ich horcht. Ich kam ganz zufällig dazu, als sie bei nander waren.«

»Und was hast da hört?«

»Daß sie Liebesleut sind!«

»Das ist nicht wahr.«

»Meinst? Ich weiß es besser.«

»So! Ich glaub nicht, daß die Martha mich belogen hat. Sie hat mir sagt, daß sie nicht sein Dirndl ist.«

»So hat sie Dich eben belogen. Ich weiß, was ich weiß.«

»Nun, so ists auch kein Unglück.«

»Ach? Hättst wohl nix dagegen?«

»Gar nix.«

»Dera Fritz wär Dir wohl eben recht?«

»Gar sehr,« nickte er höhnisch.

»Das glaub ich wohl!«

»Bist etwan eifersüchtig?«

»Ich? Auf wen sollt ich es sein?«

»Auf meine Martha.«

»Auf die? Weshalb?«

»Weil sie Den bekommen soll, den Du selberst haben willst.«

»Was fallt Dir ein! Ich, den Knecht! Das ist halt ein Gedank, wie er gar nicht dümmer und alberner sein kann.«

»Ich halt ihn für einen sehr klugen.«

»So? Ich weiß gar nicht, obst dera Mann bist, der mal einen klugen Gedanken haben kann.«

»Das ist ja eine große Ehr für mich. Warum aberst machst Bestellung mit dem Knecht?«

»Bestellung? Davon weiß ich gar nix, kein einzig Wörtle.«

»Ists keine Bestellung, wannst ihm sagst, daß er heraufkommen soll zur Capellen, damit er Dich abholen soll?«

»Nein, das ist keine Bestellung, sondern ein Befehl, den ich ihm geben hab.«

»Das ist ganz dasselbige. Schämst Dich nicht, Dich vom Knecht abholen zu lassen!«

»Schweig!« fuhr sie ihn an. »Wer hat da vom Abholen zu sprechen! Ich will hinaus aufs Feld gehen, um nachzuschauen, was es für die jetzige Woch für Arbeit geben wird. Da muß er dabei sein.«

»So! Warum willst grad heut aufs Feld?«

»Hast etwa Du was darnach zu fragen?«

»Nein.«

»So halt auch das Maul!«

»Bekümmerst Dich ja sonst nicht um die Felder, sondern lässest dem Fritz das Alles über. Warum also heut?«

»Weil es mir so gefallt.«

»Ja, und warum es Dir grad heut so gefallt, das weiß ich auch.«

»So bist ein gar Gescheidter!«

»Man braucht nicht sehr klug zu sein, um das zu derrathen. Bist nicht mehr mit mir zufrieden, und nun soll er an meine Stelle treten.«

»Und wanns so wär, hättst vielleichten was dagegen?«

»Gar viel!«

»Das kann mir gleichgiltig sein. Mit uns Beiden ists aus, und nun kann ein Jedes thun, was ihm beliebt.«

»Schau, wie schnell das Alles geht. Meinst denn wirklich, daß ich Dich so schnell freigeben thu?«

»Wirst nix dagegen machen können!«

»So ist Dir dera Fritz wohl lieber als ich?«

»Das brauchst gar nicht zu fragen. Schau ihn an und Dich. Da kann man doch gar nicht im Zweifel sein, welcher dera Bessere ist.«

»Dera Fritz natürlich!«

»Alleweil stets!«

»Dera Lumpenhund! Laß Dich nur mal von ihm angreifen! Ich schieß ihn sofort über den Haufen!«

»Gut, daß ich das weiß; da kann ich dann gleich sagen, wer dera Mörder ist.«

Sie sagte das Alles in aller Ruhe, lächelnd und ohne Erregung. Er hingegen befand sich in einem hohen Zorne.

»Kathrin, mach mich nicht noch wilder, als ich so bereits bin,« sagte er. »Wir gehören zusammen und können nicht wiederum ausnander, nie wieder!«

»Das machst Dir nur selber weiß. Wer sollt uns zwingen, beisammen zu bleiben, wann wir nicht wollen?«

»Wollen wir denn nicht?«

»Ja.«

»Aber ich will! Ich geb Dich nicht frei; ich geb Dich nicht wieder her. Ich hab von dera Speis bereits zu viel gekostet und geschmeckt, als daß ich nun für immer auf sie verzichten sollt.«

»Ach so!« lachte sie. »Es hat wohl immer sehr gut schmeckt?«

»Ausgezeichnet!«

Bei dem Lächeln, mit welchem sie ihn jetzt so übermüthig und doch dabei verheißungsvoll anblickte, schwand sein Zorn dahin wie der Schnee vor dem Sonnenstrahle.

»So gönne doch den Anderen auch mal so was Gutes!« sagte sie.

»Das thu ich auch!«

»Nein, sondern Du willst Alles nur für Dich selberst haben.«

»Daran denk ich nicht; das fallt mir gar nicht ein. Ich kann nicht Alles haben; das weiß ich nur gar zu wohl. Ich will nur, daß sich ein Jeder suchen soll, was zu ihm paßt und was noch nicht versprochen ist. Es giebt Millionen Weibern und Dirndln in dera Welt; ein Jeder kann Eine bekommen, sogar Mehrere. Man soll mir nicht grad diejenige holen wollen, welche zu mir gehört.«

»Das sagst Du, daß ich zu Dir gehöre, und daßt mich nicht wieder loslassen willst. Doch sag das mal Anderen! Du würdest wohl sehr auslacht werden.«

»Warum?«

»Weil Niemand es glauben würd, daß ich Deine – Kebsfrauen bin.«

»O, man würde es schon glauben!«

»Niemand hält es für möglich!«

»Das denkst zwar, aberst Du irrst Dich gar sehr. Meinst etwan, daß es noch gar Niemand weiß?«

»Pah! Wer sollt es wissen?«

»Viele!«

»Keiner, kein Einziger!«

Er ließ ein kurzes, höhnisches Lachen hören und antwortete:

»Soll ich Dir etwan Einen sagen, der es weiß?«

»Ja, nenne ihn!«

»Dera Fritz weiß es.«

Sie fuhr auf, als ob Jemand sie mit einer Nadel gestochen hätte.

»Dera Fritz? Bist wohl toll!«

»Ich bin halt bei ganz gutem Verstand.«

»Wie sollt der es wissen können? Wie sollt der es derfahren haben?«

»Von dera Martha.«

»Von der! Weiß die es denn?«

»Ja.«

»So hasts ihr wohl verrathen?«

»Fallt mir nicht ein! Sie hat uns belauscht, als wir in meinem Garten in dera Lauben sessen haben.«

Jetzt war es der Bäuerin anzusehen, daß sie erschreckte. Die Röthe wich aus ihren Wangen.

»Willst mich wohl nur beängstigen?« fragte sie.

»Nein. Was hätt ich davon!«

»So hat sie uns wirklich sehen?«

»Sehen und auch hört. Sie hat neben dera Lauben steckt. Da bist erst Du kommen und nachhero auch ich. Da weiß sie also Alles.«

»Donnerwetter! Daran bist Du schuld!«

»Ich? Wie so?«

»Warum bestellst mich dahin, wo wir nicht sicher sind?«

»Kann ich es wissen, daß das Wettermaderl grad an demjenigen Abende nicht schlafen kann und darum im Garten herumläuft?«

»So hättst dafür sorgen sollen, daß ich es derfuhr, daß sie darinnen war.«

»Ich habs doch selberst gar nicht wußt!«

»Das geht mich nix an. Du hättest wachen sollen, bevor ich kam; da hättst Dir nicht entgehen könnt, daß eine Lauscherin vorhanden war. Und warum verzählst es mir erst jetzt?«

»Weil ichs nicht eher derfahren hab. Sie hat es mir erst jetzt verzählt.«

»Der Teufel soll dieses Weibsbild holen!«

Sie befand sich jetzt freilich in einer ganz anderen Stimmung als vorher. Ausdrücke wie ›Donnerwetter‹ und ›der Teufel soll dieses Weibsbild holen‹ klingen aus dem Munde einer schönen, jungen Frau keineswegs angenehm. Daß sie sich solcher Ausdrücke bediente, war ein Beweis, daß sie sich in Erregung befand. Sonst pflegte sie sehr auf sich zu achten.

»Was hast denn zu ihr sagt?« fragte sie.

»Ich habs leugnet.«

»So! Glaubt sie es?«

»Nein. Sie sagt, daß sie es ganz genau weiß, was sie sehen und hört hat.«

»So weiß sie auch unser Gespräch?«

»Ja.«

»Und – – und – –?«

»Alles, Alles weiß sie.«

Die Bäuerin stampfte mit dem Fuße, ballte die Hände und sagte:

»Ich derwürge sie, wann ich sie da zwischen meine Fingern bekomme! Was hat sie uns zu belauschen!«

»Sie hats ohne Absicht than.«

»Das ist mir ganz egal. Es darf kein Mensch wissen, daß ich es gewest bin. Du hast also Alles leugnet?«

»Natürlich!«

»Das war falsch, ganz falsch.«

»So? Warum denn?««

»Weil sie es doch nicht glaubt. Du hättst wenigstens mich in Schutz nehmen konnt. Du konntst sagen, daß es eine Andre gewest sei.«

»So! Wer denn? Wen hätt ich nennen sollt?«

»Irgend Eine.«

»Ich weiß Keine.«

»Es giebt ihrer ja genug. Oder konntst Eine nennen, die es gar nicht giebt. Das wär noch viel besser gewest.«

»Das glaub ich wohl. Ich hätts auch than, aberst es ging nicht an, weil sie Dich sehen hat, und weil sie Alles hört hat, was wir sprochen haben. Sie hat also ganz genau gewußt, daß Du es sein mußt.«

»Hm! Das ist richtig. Wir haben von meinem Mann sprochen und Von vielem Anderen, wovon nur ich allein reden kann. Die Martha kann nicht irre macht werden. Das ist wahr. Ich könnt mich fast schämen, mich vor ihr sehen zu lassen.«

»Das hast nicht nöthig!«

»Oho! Wann Du Dich nicht schämst, so ist das was Anderes. Ich aberst bin halt eine Frau. Und dera Fritz, dem sie es sagt hat! Was soll der denken!«

»Daßt eine junge, schöne Frauen bist und einen alten, blinden Mann hast. Damit ist Alles derklärt. Da giebts gar nix zum Verwundern.«

»Weißt denn genau, daß sie es ihm sagt hat?«

»Sie hat es mir nicht mitgetheilt; aberst es läßt sich doch denken, daß sie es ihm nicht verschweigt.«

»Vielleicht hat sie dennoch schwiegen.«

»Gegen ihn? Wann er wirklich ihr Geliebter ist, so hat sie es ihm sagt.«

»Hm! Das ist so eine ganz verdammte Geschichten!«

»Vielleichten ist er selberst auch dabei gewest!«

»Was denkst denn eigentlich!« rief sie erschrocken.

»Nun, wann er ihr Bub ist, besucht er sie des Abends. Da ists doch ganz leicht möglich, daß er grad an jenem Abende mit ihr im Garten steckt hat, und da hat er natürlich auch Alles bemerkt.«

»Wann das wär! Ich ärgerte mich zu Tode!«

»Es wird schon so sein. Ja, wann er nicht so ganz sicher ihr Bub wär, so könnt man sich denken, daß er noch nix weiß. Du aberst hast sagt, daß sie wirklich Liebesleut sind. Da ists natürlich sicher, daß – – – hm!«

Er hatte es darauf abgesehen, sie zu ärgern. Er weidete sich im Stillen an der Verlegenheit, in welcher sie sich befand.

»Nein, das hab ich nicht so gemeint,« sagte sie. »Ich hab nicht grad zu behauptet, daß sie sein Dirndl ist.«

»Aberst Du hasts doch sagt!«

»Dacht hab ichs mir!«

»Ach so!«

»Ich traf sie hier beisammen. Natürlich mußt ich da gleich denken, daß sie sich bestellt haben.«

»Davon ist keine Red. Ich hab dera Martha gar nix wissen lassen, daß sie mit zu dera Capellen gehen soll. Sie hats erst ganz kurz vorher derfahren.«

»So ists auch mit dem Fritz. Er hat vorher nicht wissen konnt, daßt er hier heraufi gehen muß.«

»So habens sich also zufällig troffen.«

»Da wird mir das Herz wiederum leicht. Es ist anzunehmen, daß er nicht ihr Bub ist, und daß er also noch nix weiß. Nun aberst mußt dafür sorgen, daß er auch nix derfahren kann.«

»So! Warum hast denn so große Angst vor ihm? Warum soll grad er nix wissen?«

»Keiner soll was wissen!«

»Aberst er am Allerwenigsten! Das kommt daher, weilst ihm gut bist und es auf ihn absehen hast.«

»Sei nicht albern! Es soll kein Mensch wissen, daß wir Beid, ich und Du, uns so nahe kennen. Es ist nicht nur auf den Knecht absehen. Nun hast Deine Pflicht zu thun, daß die Martha nicht plaudern kann.«

»Sie sagt nix.«

»Das möcht ich nicht beschwören.«

»Ich kenn sie als ein sehr verschwiegenes Dirndl.«

»Mag sein! Aberst es ist Keiner ganz zu trauen, keiner Einzigen. Darum mußt die richtige Maßregel dergreifen.«

»Welche wäre das?«

»Wann sie nicht mehr da ist, kann sie auch nicht reden und plaudern.«

»So meinst also, daß ichs fortschicken soll?«

»Ja.«

»Das kann ich nicht.«

»Du mußt! Es giebt nix Anderes.«

»Ich brauch sie ja!«

»Da bekommst gar leicht eine Andre.«

»Ja, eine Fremde, die ich bezahlen muß und die kaum halb so arbeitet wie die Martha.«

»Mußt Dir nur eine Sorgfältige herauswählen.«

»Ist denen Weibsbildern denn die Sorgfalten auf die Nasenspitzen schrieben? Ich bin dera Vormund, der Vaterstell vertreten muß. Ich darf sie nicht fortschicken.«

»Ich aber verlange es!«

Er freute sich im Stillen. Er hatte einen Vortheil über sie errungen. Er hätte sich dafür bei Martha bedanken mögen.

»Du verlangst es?« sagte er. »Das sprichst grad so aus, als obst die Herrin seist und ich dera Knecht!«

»Das bin ich nicht. Bei dem Verhältniß aber, in welchem wir Beid zu nander stehen, erfordert es Dein eigenes Interesse, mir diesen Willen zu thun.«

»Nein, sondern mein Interesse erfordert, daß ich das Maderl behalt. Ich bekomm kein solches wieder. Ich werd ihr sagen, daß sie nix verrathen soll, und darnach wird sie ganz gewiß schweigen.«

»Jetzt einstweilen, später aber nicht.«

»Warum?«

»Das weiß ich nicht. Man kann ja nicht wissen, was später passirt. Vielleicht kommt mal die Zeit, in welcher sie es verrathen thut, um sich zu rächen.«

»Das glaub ich nicht. Die Martha ist keine Rachsüchtige. Und für was sollte sie sich rächen? Hast vielleicht was vor gegen sie? Weißt vielleicht jetzt einen Grund bereits wegen dessen sie Deine Feindin sein wird?«

»Welcher Grund könnt das sein?«

»Vielleicht derjenige, daßt ihr den Fritz wegschnappen willst.«

»Das redest eben auch nur allein aus Eifersucht. Ich will mich gar nicht länger mit Dir streiten. Mach, wast willst und denkst. Aberst das sag ich Dir: Ich werd niemals zugeben, daß ich mit Dir im Garten gewest bin. Wir gehen aus nander und haben nix mehr mit nander zu thun. Was geschehen ist, das ist vorüber, und für uns muß es sein, als ob es gar nicht geschehen war. Leb wohl also!«

Sie reichte ihm die Hand. Es schien, als ob sie in allem Ernste beabsichtige, sich von ihm zu verabschieden, aber sie konnte doch einen kleinen Zug der Spannung nicht verbergen. Sie spielte jetzt einen Trumpf aus. Würde er einen größeren bringen und ihre Karte stechen?

Er ergriff ihre Hand und gab sie nicht wieder frei.

»Mach keinen dummen Witz!« sagte er. »Wer zwingt uns denn, ausnander zu gehen?«

»Du selbst.«

»Ja, das ist wiederum Deine alte Red mit dera Aufrichtigkeiten.«

»Nun, habe ich da nicht Recht?«

»Darüber läßt sich streiten.«

»Ich aber habe keine Lust, mich zu streiten. Also ists am Besten, wir reden gar nicht mehr von diesem Gegenstande.«

»Aberst von was Anderem?«

»Nein, sondern von gar nix mehr.«

»Das soll heißen, wir reden überhaupt nicht mehr mit nander?«

»Ja.«

»Kathrin, treibs nicht zum Aeußersten! Du weißt, wie lieb ich Dich hab!«

»Und Du weißt, daß ich Dir auch gut bin. Aberst wann Zwei sich lieb haben, so darf nix zwischen sie treten und auch ebenso nix zwischen ihnen fehlen.«

»Wast für einen starren Sinn hast!«

»Ich hab keinen Starrsinn, sondern was ich hab, das ist nur dera Charakter. Auch eine Frau muß ihre Grundsätzen haben, gegen die sie niemals handelt, selbst wann ihr Herz ihr sagt, daß sie vielleicht zu streng auftritt.«

Er hatte noch immer ihre Hand gefaßt. Er fühlte einen warmen Druck derselben. Das elektrisirte ihn. Sofort war er bedeutend weicher gestimmt.

»Kätherl, sagt Dein Herz Dir dasselbige?« fragte er.

»Vielleicht, ja.«

»So folge ihm doch und nicht diesem albernen Charakter!«

»Das geht halt nicht. Wannst nicht aufrichtig sein kannst, so ists besser, wir überwinden und vergraben unsere Lieb und gehen ausnander.«

»Das fallt mir nicht ein! Vielleichten ists wirklich dumm von mir, daß ich mir Bedenken mach, die keinen Grund haben.«

»Da hast recht, denn Du hast wirklich keinen. Mußt doch anschauen, wie wir mit nander stehen. Wann man Einen lieb hat, so macht man sich Sorg um ihn. Das kannst doch glauben und einsehen.«

Ihre Stimme war herzlicher geworden, und ihre Augen ruhten mit einem innigen Ausdrucke auf ihm.

»Sorg machst Dir um mir?« fragte er entzückt.

»Ja, das kann ich Dir wohl sagen.«

»Aberst warum denn?«

»Wegen dem Samiel. Wannst immer wachen mußt und im Wald stehen, um ihn zu fangen, so kann Dir leicht was geschehen. Ich sitz und lieg daheim und Hab die Angst. Ich leg mich von einer Seit auf die andere und kann nicht schlafen.«

»Ists wahr? Ists wahr? So lieb hast mich?«

Er schlang den Arm um sie, und sie duldete das.

»Kann es denn anderst sein?« fragte sie.

Er zog sie enger an sich, gab ihr einen Kuß und sagte:

»So hab ich es mir freilich nicht denkt. Ich hab immer angenommen, daß es Dir ganz gleichgiltig ist, was mit mir geschieht.«

»Ja, so seid Ihr Männer. Ihr thut nur was Ihr wollt, weil Ihr die Frauen nicht versteht.«

»So werd ich Dich von jetzt an richtig verstehen. Ich werd mir Mühe geben.«

»Das erbitt ich mir von Dir. Schau, wann ich weiß, wast machst und was geschieht, so kann ich ruhig sein und brauch keine solche Angst zu haben. Aber wann man in dera Ungewißheiten steckt, so ist man ganz wie auf die Folter gespannt. Darum und aus keinem andern Grunde verlange ich, daßt aufrichtig bist mit mir.«

»Und ich hab denkt, es sei blos nur so eine Neugierden!«

»Da bist auf dem falschen Weg gewest. Du hast sagt, daßt den Samiel nun fangen wirst; aberst Du verschweigst mir, wie das geschehen soll. Muß ich da nicht eine große Angst ausstehen?«

»Hm, ja! Jetzunder sehe ich das ein.«

»Und wann ichs wüßt, wannsts mir sagen thätst, so wär ich nicht nur ruhig, sondern ich thät auch mit nachdenken über die Sach und könnt Dir vielleichten gar beistehen oder wenigstens einen guten Rath ertheilen. Ihr sagt doch immer, daß wir Frauen die Schlauen sind. Hasts noch nicht hört, daß Weiberlist über Alles ist?«

»Gar wohl.«

»Und meinst etwan, daß grab nur ich allein keine List hab.«

»O, grad Dir trau ich sie zu.«

»Nun, warum willst sie da denn nicht benutzen?«

»Weil ich sie in dieser Sach nicht nöthig hab. Es ist Alles bereits besprochen und so vereinbart, daß wir keines Rathes mehr dabei bedürfen.«

»Gehts denn gar so leicht und einfach her?«

»Ganz leicht.«

»So. Da muß die Lockspeisen, von welcher Du sprochen hast, eine gar angenehme sein für den Samiel.«

»Das ist sie freilich,« lachte er vergnügt. »Dieser Vogel wird ganz sicherlich auf den Leim gehen.«

»Und woraus bestehts?«

»Das kannst doch leicht derrathen. Was ist für so einen Dieb und Räuber denn die beste Lockspeisen?«

»Meinst wohl Geld.«

»Ja.«

»Und viel aberst müßts sein.«

»Das ists auch.«

»Und grad in den Weg müßts ihm legt werden.«

»Es liegt so, daß er es ganz leicht finden und wegnehmen kann.«

»So! Aberst dann müßt Ihr es so eingerichtet haben, daß die Falle zuschnappt, sobald er nach dem Geldl greift.«

»Das haben wir; das haben wir auch. Das kannst Dir doch denken!«

»So! Darf ichs derfahren?«

»Es ist mir verboten, ein Wort zu sagen. Aberst weilsts mir derklärt hast, daß Du Dich um mich sorgst und ängstigst, so will ich mein Versprechen brechen. Schau mal her, was ich Dir zeig!«

Er zog zwei Zettels aus der Tasche und reichte ihr den einen hin. Sie nahm ihn mit heimlicher Spannung entgegen und las ihn. Er lautete:

»Dreißigtausend Mark sind gegen vier Procent sofort zu verborgen und liegen zur sofortigen Auszahlung bereit beim Förster Wildach in Kapellendorf.«

Sie war scharfsinnig genug, sich gleich denken zu können, welcher Absicht diese Annonce dienen sollte. Sie ließ sich das aber nicht merken und fragte:

»Das soll die Lockspeisen sein?«

»Ja.«

»Aberst ich sehe nicht ein, wo sich da eine Falle befinden soll.«

»Und da hast von Weiberlist sprochen?«

»Soll dera Samiel sich etwa das Geldl bei Dir borgen?«

»Nein.«

»Ah, jetzt fallts mir ein! Er soll es sich nicht borgen, sondern stehlen?«

»Ja, da hasts derrathen.«

»Darum hast die Annonce so abfaßt, daß man daraus ersieht, daß dieses. Geldl bei Dir liegt, bei Dir im Kasten.«

»So ists, so!«

»Aberst da hast eine ganz andere Ansicht von dem Samiel als ich.«

»Was für eine ist denn die Deinige?«

»Er wird auf diesen Leim nicht gehen.«

»Warum denn nicht, Kätherl?«

»Eben weil es nur Leim ist, aberst kein baares Geld.«

»Oho! Es ist baar!«

»Das glaubt Dir kein Schangdarm!«

»Denkst wohl, daß dera Samiel mir nicht zutraut, so viel Geld zbesitzen?«

»Ja, das denk ich.«

»So hältst mich für einen armen Teuxel?«

»Nein. Ich weiß, daßt ein Sparer bist, und daßt auch ganz genau weißt, wie ein Förster es anzufangen hat, sich hinter dem Rücken des Forstbesitzers ein Geldl zu machen. In dieser Beziehung bist ein gar Gescheidter und Schlauer.«

»Wannsts derrathen hast!« lachte er. »Ich hab mir schon was zusammenspart!«

»Aberst dreißigtausend Markerln! Das glaubt dera Samiel nicht.«

»Er wirds schon glauben.«

»Nein. Besonders derowegen nicht, weilst so thust, als obst sie baar da liegen hast. Wann, man sein Geldl weiter verborgen will, wenn man dem früheren Schuldner kündigt hat, so trägt man es nicht heim. Das wird ganz anderst macht.«

»Ja, so redest eben, weilst noch nicht Alles weißt. Du hast denkt, daß dera Kronenbauer ein sehr Reicher ist. Oho! Ich weiß nicht, ob ich mit ihm tauschen thät, wann er mit mir tauschen wollt.«

»Hast wohl einen Schatz hoben?«

»Nein. Das giebts nicht.«

»Oder fabricirst vielleicht falsches Geld?«

»Kommt mir nicht im Traume bei,« lachte er vergnügt.

»Oder hast in dera Lotterie gewonnen?«

»Das ists, das! Jetzunder hasts derrathen!«

»Wanns so ist, da will ich gratuliren!«

»Danke sehr. Hast noch nicht die neueste Zeitung lesen?«

»Nein.«

»Im kleinen Stadtblatt, welches schon früh erscheint, stehts halt noch nicht; aberst in dera großen Zeitungen, welche am Sonntag erst Nachmittags hierher kommt, da ists zu lesen. Dera Herr Officier hat es in die Redaction sandt. Da ists gedruckt grad so, wie es hier auf diesem Zettel geschrieben stehet. Hier hast ihn!«

Dieser zweite Zettel hatte folgenden Inhalt:

»Der Hauptgewinn der Arnsberger Kirchen- und Schulbaulotterie im Betrage zu 30,000 Mark ist gestern gezogen worden und auf die Loosnummer 12,739 gefallen. Der glückliche Gewinner ist der Förster Herr Wildach in Kapellendorf, welcher, wie wir zufällig erfahren, die Summe heut bereits erhoben hat. Eine alte Erfahrung lautet: Wo Geld liegt, da kommt Geld hin. Dieses Sprichwort bewahrheitet sich in diesem Falle wieder.«

Die Bäuerin gab ihm den Zettel zurück, lächelte ironisch und fragte:

»Das soll dera Samiel glauben?«

»Natürlich!«

»Daran ist nicht zu denken.«

»Aberst es ist ja wahr!«

»Wie? Du hättest diesen Gewinn in Wirklichkeit gemacht?«

»Ja, natürlich!«

Da veränderte sich nun freilich ihr Gesicht. Es zeigte den Ausdruck größten Erstaunens. Darum lachte der Förster:

»Ja, nun machst freilich ein gar schönes Gesichten. Glaubsts wohl noch immer nicht?«

»Nein. Das wäre ja ein riesiges Glück!«

»Ich habs, ich habs, dieses Glück.«

»Mensch! Wäre es möglich! Dreißigtausend Gulden!«

»Ja, volle dreißigtausend! Bisher hast immer denkt, daß mir mal eine große Wurst in den Magen fällt, wann ich Dich heirathen thu und Kronenbauer werd. Nun aberst sind wir uns wohl ziemlich gleich!«

Sie schüttelte stolz den Kopf.

»Mit dreißig Tausend kaufst uns noch lange nicht aus!«

»Ich hab noch viel mehr. Das hab ich doch nur erst jetzt gewonnen. Was ich bereits vorher besessen hab, das kommt noch dazu.«

»Und dennoch reichst noch lange nicht an den Kronenbauer. Der hat an die Hunderttausend!«

»Ist Euer Geldsack gar so groß?«

»Ja, und er wird alle Jahren größer.«

»Desto besser! Aberst nun wirsts wohl glauben, daß dera Samiel in diese Fallen geht?«

»Hm! Vielleicht!«

»Nein, sondern ganz gewiß. Es kommt hier in dera Gegend nur äußerst selten vor, daß Einer so eine Summe baar liegen hat. Vielleicht ists gar noch niemals da gewesen. Eine solche Gelegenheit wird dera Samiel natürlich benützen.«

»Fast sollte man es meinen,« nickte sie.

In ihren Augen glänzte ein Etwas, was für den aufmerksamen Beobachter ein Beweis dafür gewesen wäre, daß der Samiel diese Gelegenheit wirklich benützen werde.

»Und zwar wird er sich sputen!«

»Ja. Er wird sich natürlich sagen, daß in Folge dieser Annonce viele Leute zu Dir kommen werden, um sich Geld zu borgen. Da kann es bald fort sein.«

»Ja, darum denk ich eben, daß er gleich kommen wird.«

»Hasts denn auch wirklich da liegen?«

»Ja,« nickte er vergnügt. »Es steckt in meinem Gewehrschrank, aberst blos heut noch, denn bereits morgen trag ich es fort, um ganz sicher zu sein. Wann dera Samiel kommt, darf er es nicht finden.«

»Aberst wann es Dir bereits heut Jemand nimmt!«

»Heut? So schnell kommt er nicht. Wer weiß, ob er die Annonce bereits heut schon lesen thut.«

»Es kann ja auch ein Anderer sein als er! Eine solche Summe ist verführerisch, selbst für einen sonst ganz ehrlichen Menschen. Wie leicht kann einer von Deinen beiden Jägerburschen auf den Gedanken kommen, sich das Geld zu nehmen!«

»Diesen Gedanken wollt ich ihm schon austreiben!«

»Wann er mit dem Geldl fort ist, was wolltst mit ihm machen!«

»Er kann ja nicht hinein in den Schrank!«

»So?«

»Ja. Und sodann weiß es kein Mensch, daß ich das Geldl bei denen Gewehren hab. Wer es stehlen will, der wirds wo ganz anderst suchen.«

»Da hast freilich Recht.«

»Die Thür zu meiner Stuben ist fest verschlossen, wann ich nicht daheim bin. Den Schlüssel hab ich hier in meiner Taschen. Die Hausthür ist des Nachts auch zu und im Haus wachen die drei Hunde. Kein Fremder kann hinein, sie thäten ihn zerreißen. Und zum Ueberfluß ist dera Gewehrschrank auch verschlossen. Den kleinen Schlüssel dazu trag ich stets hier an meiner Uhrketten. Mit denen Gewehren kann man nicht vorsichtig genug sein. Sie sind bei mir stets wohl verwahrt.«

Er zeigte ihr den Schlüssel. Er war klein und hing vermittelst eines Carabiners an der Kette. Diese sogenannten Carabiner bestehen aus einer Vorrichtung, mit deren Hilfe die Uhr oder jeder andere Gegenstand vollständig fest an der Kette hängt, aber doch mit einem nur ganz leichten Fingerdrucke abgemacht werden kann.

Die Kronenbäuerin ergriff die Kette, betrachtete sich den Schlüssel wie aus reiner, einfacher Neugierde und sagte:

»Das kleine Dingerl also ists, an dessen Besitz dreißigtausend Markerln kleben. Man siehts ihm gar nicht an.«

»Ja. Der kommt nicht von meiner Kette herunter. Wer will also das Geld holen?«

»Du scheinst ganz sicher zu sein!«

»Ja, denn ich bin auch vorsichtig. Heut Abend, wann ich in den Wald gehe, werd ich noch dazu den Hund in meine Stuben thun. Das ist dera kleine Dachsel. So einer ist noch viel besser als ein großer. So einer kann von dem Dieb nicht ergriffen werden, weil er einen großen Lärm vollführt und in die Winkeln kriecht dabei. Nun will ich schauen, wer das Geld holen kann.«

»Ja, wann es so ist, so brauchst freilich keine Sorg zu haben. Uebrigens sind doch auch die beiden Burschen daheim.«

»Nein, die nicht. Aberst das weiß doch Niemand. Sie müssen natürlich auch mit Posten stehen. Ich hab sie zu inspiciren. Aberst von morgen an bleiben wir daheim, um den Samiel zu erwarten. Das ganze Haus wird voller Soldaten sein. Er wird herein gelassen, aber nicht wieder hinaus.«

»Das wird einen gefährlichen Kampf geben, denn er wird sich natürlich wehren.«

»O, wir sind ihm ja weit, weit überlegen. Wir werden so schnell und so zahlreich über ihn herfallen, daß er gar keine Zeit findet, zur Waffe zu greifen.«

»Oft kommt es ganz anderst, als man denkt. Weißt, ich bitt Dich gar schön, daßt nicht gar zu viel wagen thust.«

»Ist Dir so sehr daran gelegen?«

»Das kannst Dir denken. Wann Dir ein Unglück widerfährt, was soll da aus mir werden! Ich weinte mir die Augen aus.«

Sie führte jetzt bereits die Schürze an ihre Augen. Das machte ihn glücklich. Er zog sie an sich und fragte im zärtlichsten Tone, der ihm möglich war:

»So sehr lieb hast mich, Kätherl?«

»Ja. Ich kanns gar nicht sagen.«

»Das gefreut mich unendlich. Aberst mach Dir keine trüben Gedanken. Ich werd mich schon in Acht nehmen.«

»Wann es zum Kampf kommt, brauchst doch nicht grad dera Vorderste zu sein!«

»Nein. Dazu sind die Soldaten da. Die werd ich vorschieben. Wann so Einer derschossen wird, ists nicht sehr schad drum. Den Gefallen will ich Dir wohl thun, obgleich ich sonst ein gar Tapferer bin.«

»Das weiß ich wohl, und eben darum hab ich solche Angst.«

»Die brauchst nicht zu haben, ich nehme mich in Acht. Also nun sind wir wohl wieder einig worden, Kätherl?«

»Du bist mir nicht mehr bös?«

»Nein, nicht mehr.«

»Und heut Abend kommst nach dem Stelldichein?«

»Ja, ich komme. Sobald daheim Alles schläft, geh ich fort. Mußt mir aber entgegenkommen.«

»Natürlich, denn es könnt sonst sein, daß ein Posten Dich anhalten thät. Der thät Dich natürlich fragen, wast da im Walde willst. Bin aberst ich dabei, so führe ich Dich so, daß Dich Keiner sieht. Nun sind wir fertig. Die Martha ist vorangangen und wartet auf mich. Ich muß fort.«

»Ich auch.«

»Ja, weil dera Fritz auf Dich wartet!«

Er machte dabei eine ziemlich unzufriedene Miene.

»Bist noch eifersüchtig?« fragte sie.

»Beinahe.«

»Auf einen Knecht! Laß Dich doch nicht auslachen. Ein Förster, der dreißigtausend Mark gewonnen hat, wird mir doch lieber sein als ein Knecht, der gar nix im Sacke hat. Kannst das nicht begreifen?«

»Begreifen kann ichs schon, denn eigentlich ists ganz selbstverständlich. Ob es aberst bei Dir wirklich dera Fall ist, das fragt sich noch.«

»Geh! Vorhin sagst, daß wir wiederum versöhnt sind, und nun fangst bereits schon wieder an! Willst mich wohl wiederum zornig machen?«

Sie zeigte bei diesen Worten ein so ernstes Gesicht, daß er sich beeilte, zu antworten:

»Nein, nein, Kätherl, das will ich nicht, sonst könnt es Dir gar einfallen, heut Abend nicht zu kommen!«

»Ganz natürlich käm ich nicht.«

»So sei nicht bös! Ich hab ja doch nicht zanken wollt! Bist mir gut?«

Er schlang den Arm um ihren Nacken und legte die andere Hand unter ihr Kinn, um ihr Gesicht kußgerecht emporzuheben.

»Frag nicht erst,« sagte sie. »Wer viel fragt, dera geht viel irre.«

»Hast Recht, hast Recht! Darum will ich nicht fragen, sondern mir gleich das nehmen, was ich haben will.«

Er küßte sie wiederholt. Sie duldete es eine ganze Weile. Dann schob sie ihn von sich ab und sagte:

»Nun ists genug. Wann wir so fortmachen, bleibt für heut Abend nix übrig und wir werden am End noch gar derwischt. Mach nun, daßt fortkommst!«

»Wannst so commandirst, muß ich schon gleich gehorchen.«

»Gut, so leb also wohl!«

»Leb wohl, Kätherl, und vergiß ja nicht, zu kommen!«

Er ging.

Als er auf den freien Platz trat, sah er Fritz, welcher mit verschränkten Armen an der Mauer der Capelle lehnte und geduldig auf seine Herrin wartete.

Er wollte nicht an ihm vorübergehen, ohne ihn zu ärgern. Darum blieb er vor ihm stehen und fragte:

»Die Zeit ist Dir wohl lang worden?«

»Vielleichten kürzer als Dir.«

»Das glaub ich nicht. Ich hab mich ganz famos amüsirt.«

»Ich auch.«

»So allein? Das machst mir nicht weiß.«

»Ich war in meiner eigenen Gesellschaft, und das ist eine brave.«

»So meinst, daß diejenige, in welcher ich mich befunden hab, keine brave sei?«

»Nimm es, wie es Dir beliebt!«

»Das werd ich dera Bäuerin sagen!«

»Hab nix dagegen!«

»Sie wird Dich fortjagen!«

»Nicht eher als Dich!«

»Donnerwetter! Was bildest Dir ein! Es wird die Zeit schon noch kommen, in der Du ganz anderst mit mir reden wirst.«

»Wohl wannst Kronenbauer bist?«

»Hast etwan horcht?«

»Nein. Aberst diese Frag sagt mir, daß ich recht gerathen hab. Wannst wirklich gedenkst, diesen guten Bissen zu verschlucken, so hab ich nix dagegen und wünsch Dir eine gesegnete Mahlzeiten. Erstick nur nicht daran, Förster!«

Der Förster ärgerte sich, daß sein Angriff an dem kalten Wesen des Knechtes zurückprallte. Darum ließ er sich zu der Unvorsichtigkeit hinreißen, zu fragen:

»Selberst hättst ihn wohl gern verschlucken wollt?«

»O nein! Danke sehr!«

»Das mußt jetzt so sagen. Dir gehts wohl auch wie dem Fuchs in dera Fabel: Weil ihm die Trauben zu hoch hängen, so daß er sie nicht derlangen kann, so sagt er halt, sie seien ihm zu sauer.«

»Diese Traube ist auch sauer; darauf kannst Dich verlassen. Jetzunder nippst nur erst daran und davon wirst schon genügsames Bauchgrimmen haben. Wie groß wird das Leibschneiden erst dann sein, wannst sie ganz und wirklich hast. Es kann gar eine Cholera daraus werden. Und weil ich so eine Krankheiten nicht haben mag, kannst diese Traube immerhin aufessen. Sie ist Dir gern gegönnt.«

»Dera Aerger spricht aus Dir. Hast vorhin mit meiner Nichte sprochen. Was hast mit der zu thun?«

»Nix.«

»Schweig! Wann man mit einem Dirndl im Busche steckt, so hat man auch seine Absichten dabei.«

»Und wann man mit einer Ehefrau fast eine geschlagene Stund zwischen denen Sträuchern steht, so giebts wohl keine Absichten? Fragst Du den Kronenbauer nicht, so darfst auch nicht denken, daß ich Dich um die Erlaubnissen frag, mich von dem reinen Zufall mal mit dera Martha zusammenführen zu lassen.«

»Willst uns wohl verrathen?«

»Ich bin keiner Frau zum Hüter setzt worden. Was Andre treiben, das geht mich nix an, wanns mich dabei in Ruhe lassen.«

»Das hast schön sagt, sehr schön und auch deutlich. Also werd ich Dich in Ruhe lassen. Leb wohl und bleib nicht hier an dera Mauer kleben.«

Er ging. Fritz warf ihm keinen Blick nach. Er hatte bereits gesehen, daß die Bäuerin mitten auf dem abwärts führenden Pfade stand, und that so, als ob er sie gar nicht bemerke.

Sie war nicht mit dem Förster aus dem Gebüsch getreten, sondern sie hatte sich durch dasselbe nach dem Wege hingearbeitet, damit es den Anschein haben möge, als ob sie nicht bis zu diesem Augenblicke mit dem Förster zusammen gewesen sei.

Als er nun gar nicht nach ihr hinblickte, trat sie näher.

»Fritz,« rief sie. »Träumst wohl?«

Jetzt kehrte er ihr das Gesicht zu, that, als ob er sie nun erst bemerke, und kam langsam herbei.

»Ich wart schon eine halbe Stund auf Dich,« sagte sie.

»Hab Dich nicht sehen.«

»Ich bin ein ganzes Stück den Weg hinab, weil ich denkt hab, Du bist voran gangen.«

»So bist nun wiederum zurück und heraufi wegen meiner? Das ist mir ja eine sehr große Ehren!«

»Ich wollte eben mit Dir gehen und hab nicht denkt, daßt Dich hier an die Mauer stellen thust. Was eine Freundschaftlichkeiten ist, das brauchst nicht als eine Ehren zu betrachten. Komm mit!«

Sie wendete sich abwärts und er folgte ihr. Es ärgerte sie, daß der Pfad so schmal war, daß sie nicht neben einander gehen konnten. Sie hätte dann viel mehr Gelegenheit zu Traulichkeiten gehabt.

»Dera Förster hat noch mit Dir sprochen?« fragte sie.

»Das hast sehen?«

»Ja. Was hatte er mit Dir?«

»Nix Wichtiges.«

»Hat er was von mir sagt?«

»Er hat von dera Martha begonnen und darüber zankt, daß ich mit derselbigen sprochen hab.«

»Ja, er denkt, daß sie Dein Dirndl ist.«

»Ich hab nix dagegen, wann er es denkt. Mit der kann man mich immerhin zusammen nennen. Sie ist ein braves und ehrliches Dirndl.«

»So magst sie wohl haben?«

»Wozu brauch ich ein Weib!«

»Da hast Recht und so mußt immer denken. So ein Bursch, wie Du bist, kann wählen unter Vielen. Wannst Deine Zeit abwartest, so wirst schon Eine bekommen, die eine volle Truhen hat und mit dert auch Staat machen kannst.«

»So bin ich neugierig, wo die jetzunder stecken mag.«

»Wie ich Dir schon sagt hab: In Deiner nächsten Nähe.«

»Also doch die zweite Magd meinst?«

»Geh! Red nicht solches Zeug! Ich hab Dir bereits derklärt, was ich unter dera nächsten Nähe verstehe.«

»Den Kronenhof.«

»Ja.«

»Aberst da hab ich bereits Alle gerathen, und Du sagst, es sei falsch.«

»Alle? Nein, nicht Alle.«

»Es ist doch weiter Keine da, die noch zu haben wär!«

»In jetziger Zeit. Aberst was man jetzund nicht haben kann, das kann man später wohl bekommen.«

»Ach so! Jetzunder verstehe ich Dich. Und nun weiß ich freilich auch, daßt nur einen guten Witz macht hast.«

»Witz? In wiefern?«

»Auf dem Kronenhof ist nur noch die Tagelohnersfrau. Der ihr Mann ist ein Trunkenbold und wird sich noch zu Tode schnapsen. Du meinst, ich soll warten, bis ihn dera Branntwein umbracht hat und mir sodann die seinige Frau nehmen.«

Da schlug sie halb belustigt, halb zornig die Hände zusammen und rief:

»Nein, wast für Einer bist! Das hab ich doch nicht denkt! Daß man sich an Einem gar so irren kann.«

»An mir?«

»Ja. Du bist doch sonst nicht so schwer mit denen Begriffen.«

»Meinst?«

»Ja. Schon als Schulbub bist immer dera Erster voran gewest; sodann im Dienst ganz ebenso. Aberst ich weiß es schon: Das viele Lesen hat Dich ganz verdreht macht.«

»Meinst, daß ich darum les, um ein verdrehter Bub zu werden?«

»Warum Du liesest, das weiß ich schon. Du willst was lernen. Da kaufst Dir für Deinen sauer verdienten Lohn lauter Büchern und Schriften und setzest Dich damit Nächte lang in die Kammer. Ein Bier trinkst nicht, eine Cigarren oder Pfeifen rauchst nicht, ein Dirndl magst nicht, von Liebe willst nix und auf den Tanz gehst auch nicht. Nicht mal ein Kegelschieben machst mit. Ists da ein Wundern, daßt da ein hölzerner Bub bleibst, der sich nicht bewegen kann? Mit denen Büchern pfropfst Dir den Kopf so voll, daß für was Anderes und Besseres gar kein Raum übrig bleibt, und so kommt es, daßt ganz einfache Sachen nicht begreifen kannst, wie zum Beispiel das, wovon wir vorhin sprachen.«

»Das ist ja eine richtige Litaneien, die Du mir da vorbetest!«

»Ja, doch sie ist gut gemeint.«

»So muß ich mich gar schön bedanken dafür.«

»Laß Deinen Dank darinnen bestehen, daßt in Zukunft besser begreifst!«

»Ich will mir Mühe geben. Aberst ich hab freilich mal lesen, daß es Dinge giebt, die selbst Einer, der den besten Kopf hat, niemals begreifen kann.«

»Ja, das sind gelehrte Sachen. Das ist die Philisiphi und die Asternomerie, und solche Dingen, mit denen man sich nicht abgeben darf, wann Einem der Kopf nicht zerplatzen soll. Ich hab auch schon davon hört und es hat Leutln geben, die sich daran ins Irrenhaus studirt haben. Davor kannst Dich nur in Acht nehmen. Aberst wir haben doch vom Heirathen sprochen und von dera Liebe. Das ist nix Schwieriges.«

»Und doch hab ich hört, daß es Leutln geben hat, die grad wegen dera Liebe oder wegen einer bösen Ehefrau auch in das Irrenhaus kommen sind.«

»Ja, wegen einer unglücklichen Liebe, wann die Liebe keine Erwiderungen findet. Das ist aberst doch bei Dir nicht dera Fall. Wie Du bist, so kanns für Dich keine geben, die Dir so leicht einen Korb ertheilt.«

»Das klingt sehr schön!«

»Ja. Du siehst, daß ich ganz offen mit Dir sprechen thu. Und Diejenige, die eigentlich gemeint ist, wird Dich am Allerwenigsten zurückweisen.«

»So! Ist sie schön?«

»Die Schönste rundum!«

»Jung?«

»Für Dich jung genug.«

»Reich?«

»Die Reichste in dera ganzen Umgebung.«

»Auch gut und brav?«

»Nicht weniger als jede Andere auch.«

»Sappermenten! So hat sie ja alle möglichen guten Eigenschaften, wie sie sonst niemals beisammen zu finden sind.«

»Ja. Brauchst nur die Augen aufzumachen. Schau Dich nur in Deiner nächsten Nähe um, wie ich Dir sagt hab.«

»Das hab ich than, aberst Du sagst immer, daß ich falsch gerathen hab.« »Weilst nicht nahe genug schaust.«

»Näher als im Kronenhof giebts ja gar Keine.«

»So sind wir jetzunder nicht im Kronenhofe. Schau Dich jetzund mal um, in Deiner nächsten Nähe, in Deiner allernächsten. Siehst da Keine?«

Sie war stehen geblieben und hatte sich rückwärts zu ihm gewendet, so daß er nun auch gezwungen war, stehen zu bleiben. Ihre Augen waren groß, voll und mit glückverheißender Zärtlichkeit auf ihn gerichtet. Er sah das wohl, aber er that, als ob er es gar nicht bemerke.

»Wo denn?« fragte er, sich ganz ernsthaft einmal um sich selbst drehend und dabei die allernächste Umgebung scharf betrachtend. »Ich sehe Keine.«

»So! Ist denn Keine da?«

»Nein.«

»Wirklich Keine, keine Einzige? Siehst denn gar kein Weibsbild, welches hier bei Dir ist?«

»Ach so! Ja, Eine ist da; die aberst bist doch Du.«

»Nun, endlich schaut er mich! Man sollte meinen, daßt ganz und gar blind bist. Bin ich nicht reich?«

»Ja,« nickte er unbefangen. »Das bist.«

»Und hübsch genug?«

»Die Leutln sagen sogar, daßt die Allerschönste seist rundum.«

»Bin ich alt?«

»Wohl nicht.«

»Und hältst Du mich für gut und brav oder nicht?«

»Ich bin doch Dein Knecht, und das Gesind ist stets verpflichtet, die Herrschaft für gut und brav zu halten.«

Sie fühlte wohl, daß er sich scheute, eine directe Antwort zu geben. Sie war aber nicht penibel genug, auf eine solche zu dringen. Sie begnügte sich also mit dem, was er gesagt hatte; es klang doch auch so leidlich wie ein Ja, und fuhr dann fort:

»Hasts wirklich nicht merkt, daß ich nur von mir sprochen hab?«

»Nein. Ich hab keine Ahnung habt.«

»So bist eben blind. Und nun sag mir mal, wast davon denkst, Fritz?«

Sie ergriff seine Hand, wollte den Arm um ihn legen und sich innig an ihn schmiegen. Er aber trat rasch zurück, entzog ihr die Hand und antwortete:

»Jetzunder denk ich halt gar nix. Das ist eine Sach, über welche man gar nicht denken kann.«

»Da hast Recht. Bei dera Liebe soll man nicht denken, sondern nur fühlen. Also was fühlst jetzund?«

»Daß es mir innerlich ein Wengerl zu sehr warm wird.«

»Schau,« lachte sie, »so ists ganz recht. Warm muß und soll es Dir werden. Das ist ja eben die Liebe. Die ist stets warm, ja sogar heiß, wenn es die richtige ist. Also sag, willst mich haben, Fritz?«

Sie stand vor ihm und fixirte ihn mit einem Blicke, welchem gar nicht auszuweichen war.

»Sapperment,« sagte er, »Du commandirst mich doch, als obst mein Feldwebel wärst!«

»Der will ich jetzt auch wirklich sein. Und darum hast Du mir zu antworten. Willst Du mich oder nicht?«

Er blickte ihr mit einem kindlich treuherzigen Lächeln in die Augen und antwortete:

»Nein.«

Sie trat schnell einen Schritt zurück.

»Was! Du sagst Nein! Ist das etwan Dein wirklicher Ernst?«

»Natürlich!«

»So sag, warumst mich nicht magst!«

»Weil ich Dich doch nicht bekommen kann.«

»Ach so! So ists gemeint!«

Sie holte tief Athem. Sie hatte wohl eine andere, vielleicht eine grobe, beleidigende Antwort erwartet. Diejenige, die ihr geworden war, war freilich so mild, daß sie sie gar nicht verdiente. Ihr Gesicht hatte einen beinahe drohenden Ausdruck angenommen gehabt. Nun aber ließ sich wieder ein Lächeln auf demselben sehen.

»Also deshalb, deshalb willst mich nicht. So ist's, so! Aber denkst denn nicht daran, daßt mich später einmal bekommen kannst? Mein Mann ist schwach und krank. Er wird nicht mehr lange leben.«

»Ich halt es für eine große Sünd, auf den Tod eines Menschen zu speculiren, besonders eines so braven Mannes, wie dera Kronenbauer ist.«

»So! Da will ich nit streiten. Aber ich denk, daß man sich doch sieht, daß man sich kennt und sich ein Wenig lieb haben darf.«

»Nein. Das ist verboten.«

»Die Liebe fragt nach keinem Verbot. Je mehr sie Hindernisse findet, desto stärker und glühender wird sie. Warum sollen wir Beide nicht daran denken dürfen, daß wir einmal Mann und Frau sein können?«

»Weil dieser Gedank eine große Sünden ist. Wann Dein Mann todt wäre, ja dann dürft man schauen, ob man zusammenpaßt. Jetzt aberst, bei seinem Leben, da gehörst ihm an und kein Anderer hat ein Recht an Dir.«

»Und wenn ich ihm nun dieses Recht ertheile?«

»Das kannst nicht, und das darfst nicht. Du hast kein Recht, über Dich zu verfügen.«

»Geh, Fritz, und laß Dich nicht auslachen. Dir hangen noch die Sprüchen an, die Du in dera Schul hast auswendig lernen mußt. Streif sie doch ab, diese alten Regeln!«

»Meinst Du wirklich, daß dies nur bloße Regeln sind? Der Herrgott hat dem Moses im Donner und Blitz die heiligen zehn Gebote gegeben. Das sechste davon lautet: Du sollst nicht ehebrechen, und die Drohung am Schluß dera Gebote lautet, daß der Herrgott die Sünden der Väter straft bis in das dritte und vierte Glied der Nachkommenschaft. Soll ich den meinigen Kindern, wann ich mal welche haben sollt, einen solchen Fluch vererben?«

»Fritz, bist denn gar so fromm?« lachte sie.

»Ob ich fromm bin, das weiß ich nicht; aberst mit voller Absicht und Ueberlegung werd ich niemals ein Gebot Gottes übertreten.«

»Der Moses hat diese Gebote niederschrieben. Er war ein Jude, wir aberst sind Christen. Uns gehen sie nix an. Hast denn nicht vernommen, daß Christus zu der Ehebrecherin sagt: Wer von Euch nicht gesündigt hat, der werfe den ersten Stein auf sie! Und sodann sagt er auch: Ihr wird viel vergeben, denn sie hat viel geliebt. Wie kannst Dich also so fürchten, eine Frau lieb zu haben?«

»Diejenige, von der er so sagte, hat ihre Sünden bitter bereut. Wer aber sündigt, weil er meint, der Herrgott werde ihm die Sünd wohl schon vergeben, der wird sicher keine Verzeihung finden.«

»Das geht mich nix an. Das sagst Du, weils Deine eigene Meinung ist. Ich aber halte mich an die Worte, welche Jesus sagt hat. Die gelten bei mir.«

»Nun, weißt auch, was er in dera Bergpredigt sagt hat?«

»Nun was?«

»Wer ein Weib anschaut, um sie zu begehren, der hat die Ehe mit ihr gebrochen in seinem Herzen. Nun kannst auch sagen, daß dies für Dich gilt.«

»Du redest ja grad so wie ein christlicher Herr. Willst etwan ins Kloster gehen?«

»Dazu hab ich kein Geschick und also auch keine Lust. Ich will schaffen und arbeiten mit meinen Händen. Wann ich da was fertig bring, so ist mirs wohl im Herzen und ich freu mich dera Arbeit und daß ich am Leben bin.«

»So hast eben noch niemals die richtige Liebe gefühlt. Die fragt und deutelt nicht. Die genießt und ist glücklich dabei.«

»Ja, das wird wohl sein, wie bei Einem, welcher trinken thut. Das schmeckt und schmeckt, bis er betrunken ist. Am andern Tag nachher kommt dera Katzenjammer und das Gefühl dazu, daß man ein ganz nichtswürdiger Bub ist. Davor soll mich Gott behüten. Komm, wollen gehen. Wir sind fast schon zu lange auf dem Berg gewest. Dera Wurzelsepp ist kommen und sitzt beim Bauer unterm Baum.«

»Der! Wann kam er denn?«

»Gleich alst fort warst. Er weiß es, daß ich Dich abholen soll. Was wird er denken darüber, daß wir so lang allein mit nander gewest sind!«

»Was ich bereits sagt hab: Ich hab Dir die Predigt verzählt.«

»Das ist eine Lüg. Die mach ich nicht.«

»Bist gar so sorgsam in Deiner Seele?«

»Man kann nicht sorgsam genug sein.«

»So werd ich Dir noch unterwegs sagen, wovon dera Pfarrer predigt hat. Dann ists keine Lüg, wannsts sagst.«

»Ich dank gar schön! Nach dem, was wir jetzund mit nander sprachen haben, wäre es eine Sünd, wann wir von so heiligen Dingen sprechen wollten.«

»Fritz, Du bist wirklich ganz unleidlich. So, wie Du jetzt bist, habe ich Dich ja noch gar nicht gekannt.«

»Ich will Dir aufrichtig sagen, daßt mir eins wahre Aengsten bereitet hast. Wann Dein Mann derführ, wast mir sagt hast, was sollt er thun und denken!«

»Pah! Was mache ich mir aus ihm! Oder willst Du es ihm sagen?«

»Vielleicht war es meine Pflicht, es ihm mitzutheilen.«

Er sagte das so ernst, daß ihr doch ein Wenig bange wurde.

»Fritz, was fallt Dir ein!« rief sie. »Wirst mich doch nicht verrathen?«

»Hab keine Sorg. Ich will nix sagen.«

»Auch gegen keinen Andern?«

»Nein.«

»Gut! So wollen wir ganz so thun, als ob gar nix sprochen worden wäre. Es wird die Zeit schon kommen, zu welcher es Dir nicht verboten ist, mit mir zu reden.«

Sie setzten den unterbrochenen Rückweg fort, schweigend und in Gedanken versunken.

Die Bäurin hatte eigentlich Lust, dem Knecht zu zürnen. Sie hatte eine Liebeserklärung gemacht und war mit derselben abgewiesen worden. Welches Mädchen oder gar Weib kann dies so leicht verschmerzen. Aber einmal war die Abweisung so schonend wie möglich ertheilt worden, und das andere Mal lag es ja klar, daß sie nicht erfolgt war aus ausgesprochener Abneigung, sondern nur aus der kindlichen Furcht und Scheu vor den Geboten Gottes. Sie zürnte ihm also nicht und war im Stillen überzeugt, daß es ihr auf andere Weise gelingen werde, den ehrlichen Menschen zu umgarnen und an sich zu ketten.

Was in ihm vorging, das ließ er sich nicht merken. Er pfiff sogar eine muntere Melodie für sich hin. Eigentlich aber war ihm gar traurig zu Muthe, Diejenige, welche seine Erzieherin, seine Mutter hätte sein sollen, hatte ihn zum Ehebruch verleiten wollen, zur größten Versündigung gegen den Mann, dem er so sehr viel zu verdanken hatte!

Hatte er sich bisher vor sie gescheut, so überkam es ihn wie ein Ekel vor ihr, wie ein Grauen vor ihrer Berührung. Ja, sie war jene schillernde Schlange, jene gleißende Viper, von welcher der Vers des Kirchenliedes sprach, den er dem Bauer vorgelesen hatte.

Als das Gebüsch aufhörte, sahen sie den Kronenhof nahe vor sich liegen. Der Bauer saß noch immer mit dem Sepp unter der Tanne. Sie schienen einander ganz gleichgiltige Dinge zu erzählen.

Die Bäurin liebte den Sepp nicht, aber sie war ihm auch nicht feindlich gesinnt. Es überkam sie, wenn er bei ihr war, immer das Gefühl, als ob sie sich vor ihm in Acht zu nehmen habe; aber sein heiteres, offenes Wesen brachte stets eine freundlichere Stimmung in ihr hervor.

So auch jetzt, als er sie kommen sah, stand er von seinem Sitze auf, schwenkte den Hut und sang:

»Schaut da kommt sie, da kommt sie,
Das prächtige Weib
Mit den klunkrigen Beinen
Und dem bucklichen Leib!«

An Stelle der Bäuerin antwortete der Knecht sogleich schlagfertig:

»Schaut, dort steht er, dort steht er,
Dera wackliche Kauz
Mit der riesigen Nas und
Dera quabblichen Schnauz!«

»Ja,« lachte der Sepp lustig auf, »dera Fritz verstehts halt schon, Einen heimzuleuchten. Dem darf man nicht kommen, besonderst, wenn er mit dera schönsten Bäurin herumi in denen Bergen geht. Grüß Gott, Bäurin! Weiß dera Teuxel, daßt halt immer hübscher wirst!«

»Und Du immer ausgelassener,« antwortete sie. »Grüß Gott! Na was hast denn hier auf dem Tisch stehen?«

»Das ist nix. Nur ein Schmortiegel oder ein Kasserolen, wie es andere Leutln zuweilen nennen.«

»Und da ist freilich was drin gewest!«

»Ganz und gar nix!«

»Oho! Man sieht und riecht es ja!«

»Da siehst und riechst eben falsch.«

»So denk ich wohl auch falsch, wann ich mein', daßt Dir gleich ein Essen bestellt hast, bevor Du Dich noch niedersetzt hattst?«

»Nein, da hast freilich Recht. Ich bin halt Derjenige, ders denen Leutln lieber gleich sagt, was er will, sonst zerbrechen sie sich die Köpf vergebens und bringen nachhero was, was ihnen viel Geld kostet und viel Mühen macht und mir aberst doch nicht schmecken thut.«

»Was hattst Dir denn bestellt?«

»Ein Ei, weiter nix.«

»So! Wars groß genug?«

»Nicht ganz. Dera Fritz hats mir auf dem Teller bracht. Dann bin ich in die Kücherl gangen und hab nachschaut, ob noch was übrig ist. Ich hab mir den Tiegel holt; er war leer; aberst ich hab ihn dennoch auskratzt und ausleckt. Dera Mensch muß reinlich sein. Und nun braucht die Magd ihn nicht abzuwaschen.«

»Ja, Du bist ein besonders Reinlicher. Das weiß man schon. Und gut ausdrücken kannst Dich auch. Da redest von einem Tiegel oder von einem Kasserolen, und wann mans anschaut, so ists halt eine große Pfannen, die drei Drescher nicht ausessen können. Du aberst hast sie leer macht.«

»Soll ich etwan nicht?«

»O doch! Wanns nur schmeckt hat.«

»Da brauchst keine Sorg zu haben. Wozu hat man alle zweiunddreißig Zähnen noch und einen Magen, der Flintenkugeln verdauen kann. Und wannst etwan meinst, daß ich zu viel gessen hab, so werd ichs Dir gleich zahlen.«

»Du erhältst es gern. Behalt nur Dein Geld.«

»Himmelsakra, Geld. Meinst, daß ichs Dir mit einem Geldl bezahlt hätt?«

»Womit sonst?«

»Mit einem Busserl. Und das ist ein nobles Bezahlen. Drinnen im München hab ich letzter Tagen eine Gräfin küßt, die hat sich das Maul abwischt und sagt, ein Busserl von mir sei zwanzig Markerln werth!«

»Oho!«

»Ja. Ich kanns Dir schriftlich bringen. Wann ich Dir also für Dein Ei eine Mark zahlen thu, so ist das sehr nobel. Ich geb Dir einen Schmatz, und die übrigen neunzehn Mark giebst mir heraus.«

»Damit wollen wir ja noch warten. Kannst Dein Großgeld noch behalten. Zum Wechseln hab ich keine Lust.«

»Ganz wie Du denkst. Aberst ich werd Dir das Essen doch bezahlen, nicht mit Geld, sondern mit einem guten Geschäft, wast machen sollst.«

»So! Willst mir Eiern abkaufen oder Milch oder Heu oder Stroh?«

»Nein. Das Heu laß ich in denen Leuten ihren Köpfen. Ich brauch es nicht. Es ist was Anderes. Kannst keinen Gast gebrauchen?«

»Einen Gast? Was für einen?«

»Einen feinen. Nicht einen, der nur da wohnt und ißt und trinkt und nachhero fortgeht, ohne fast hab Dank zu sagen, sondern einen, der fein zahlen thut.«

»Was will er denn da?«

»In die Sommerfrische.«

»Sag ihm, er soll im Winter kommen. Da ist's noch viel frischer.«

»Das kann er ebenso auch in München haben.«

»Ach, aus München ist er, aus dera Haupt- und Residenzstadt?«

Ihr Gesicht hatte vorher ganz deutlich gesagt, daß ihr an einem Gaste wohl wenig liege. Jetzt aber heiterte sich ihre Miene schnell auf.

»Ja, was hast denn denkt?« fragte der Sepp. »Woher soll er denn sein?«

»Ich hab denkt, aus einem Dorf oder einer kleinen Stadt.«

»Da kennst den Sepp freilich schlecht. Der wird dera Kronenbäurin so einen Menschen bringen. Für was hast mich denn halten. So eine noble Frau muß einen Gast bekommen, wie ihn noch Niemand hier in dera Gegend habt hat.«

»So! Ists denn so gar was Feines?«

»Nicht nur fein, sondern auch vornehm.«

»Das klingt gut. Einen vornehmen Gast hat man gern. Da läßt man auch was draufgehen.«

»Das hast nicht nöthig.«

»Wie heißt er denn?«

»Ludwig. Er wird nicht anderst als nur Herr Ludwig nannt.«

»Das klingt nicht gar vornehm.«

»Wannst nach dem Namen gehst, so kannst Dich oftmals täuschen.«

»Das ist freilich wahr. Es kann ein Lump einen feinen Namen haben. Aberst was ist er denn, dera Herr?«

»Ein Künstler ist er und dazu sogar noch ein Gelehrter.«

»So! Malt er auch?«

»Er malt Alles, was er sieht, nämlich wann er Lust dazu hat. Fürs Geld thut er es nicht. Dazu ist er viel zu reich.«

Die Augen der Bäuerin leuchteten auf.

»Ist er alt?« fragte sie.

»Nein. Er ist noch nicht ganz so alt wie ich.«

»Na, so danke ich. Wann er nicht ganz so alt ist wie Du, so kann er doch schon an die Siebzig zählen.«

»So schlimm ist es nicht. Er hat Etwas über dreißig, so bis hin zu dera Vierzig.«

»Das will ich mir eher gefallen lassen. Ich will einen Jungen und Schönen haben.«

Sie lachte dazu, als ob es ihr nur darum zu thun sei, einen Scherz zu machen; im Grunde aber war es ihr sehr ernst damit. Ein feiner, reicher, junger und auch noch hübscher Herr aus der Residenz, dazu Künstler und Gelehrter! Und sie die schönste Frau der Gegend! Was gab das für eine Aussicht! Malen konnte er. Vielleicht, wenn sie liebenswürdig zu ihm war, malte er sogar ihr Bild. Sie sah sich schon in seinen Armen.

»Schön ist er auch,« antwortete der Sepp. »Ich kann sagen, daß ich noch keinen prächtigeren Mann sehen hab.«

»Wie sieht er denn aus?«

»Er ist hoch, stark und voll, mit mächtigen dunklen Augen, vor denen man sich fürchten möcht, wann sie nicht auch so mild, lieb und gut blicken thäten.«

»Das ist grad so mein Geschmack!«

»Du, Bäuerin, einen Scherz kannst machen, wannst so sagst. Du hast Dich nur nach dem Geschmack des Bauern zu richten.«

»Das weiß ich wohl.«

»Diesem Herrn dürftst überhaupt gar nichts merken lassen, daß er Dir gefällt.«

»Nimmt er es etwan übel, wann man Wohlgefallen an ihm hat?«

»Nein; aberst merken lassen darf man es ihm nicht. Das duldet er nicht.«

»Was thut er denn da?«

»Er geht gleich fort.«

»O wehe! Da werd ich ihn gar nicht anschauen.«

»Daran thust sehr recht.«

»Kennst ihn denn genau?«

»Ja. Wann ich ihn nicht kennen thät, so würd ich ihn Dir gar nicht empfehlen.«

»Hat er eine große Familie? Kommt er mit derselbigen?«

»Nein. Er ist unverheirathet und kommt allein. Er wird überhaupt wohl niemals eine Frau nehmen.«

»Warum?«

»Weil er die Weiber haßt, denk ich mir. Er hat mal Eine – na, na, das gehört nicht hierher.«

Aber grad das wollte die Bäuerin nun erst recht wissen. Er hat mal Eine – – vielleicht eine unglückliche Liebe! Und nun haßte er die Frauen. Wenn man ihn so weit bringen könnte, eine zu lieben, eine Einzige natürlich – nämlich die Kronenbäuerin.

»Halt, Sepp,« sagte diese. »Das gehört wohl hierher. Wann man einen Gast bekommt, so muß man Alles von ihm wissen.«

»Alles, was man derfahren kann, ja. Das aberst kannst nicht derfahren, weil ich es selbst nicht weiß.«

»Wolltsts aber doch gleich sagen!«

»Ja, und da fiel es mir ein, daß ich es ja auch noch nicht weiß.«

»Bist ein Hinterlistiger!«

»O nein. Vielleichten erzählt er es Dir selbst, wannst ihn darum bittest.«

Es glitt bei diesen Worten ein undefinirbarer Zug über sein Gesicht. Ein Ausdruck schlaukindlicher Einfalt, der seinem alten Gesichte so ausgezeichnet gut stand. Er dachte sich nämlich, daß sie es gar nicht wagen werde, diesen Herrn Ludwig nach solchen Dingen zu fragen. Der gewaltige Eindruck seiner Persönlichkeit mußte sie in angemessener Ferne von ihm halten.

»Schon gut!« sagte sie. »Ich hab nur eben fragen wollt. Eigentlich bin ich gar nicht so neugierig.«

»Also sag mir die Antwort! Willst ihn hernehmen oder nicht?«

»Bevor ich antworten kann, muß ich noch Einiges wissen.«

»Was?«

»Wann will er kommen?«

»Morgen Mittag.«

»Schon! Du mußt es ihm doch erst zu wissen thun, ob ich will oder nicht.«

»O, der fragt nicht darnach, obt willst oder nicht. Er kommt eben. Er hat mir den Befehl geben, ihm hier eine Stuben zu miethen; morgen zum Mittag wird er da sein. Ich bin zunächst zu Dir kommen, weilst die nobelste Frauen bist und den größten und schönsten Bauernhof hast. Nimmst ihn nicht her, so such ich ihm einen anderen Ort.«

»Wie lange wird er bleiben?«

»Nicht gar lang. Einige Tag oder eine Woche.«

»Da möchts gehen. Für das ganze Jahr könnt ich nix vermiethen. Aberst nun wird er essen wollen wie in einem feinen Hotel im München.«

»Nein, sondern er ißt, was Ihr habt. Aberst reinlich und sauber muß Alles sein!«

»Das versteht sich ganz von selberst. Anderst ist man es ja gar nicht gewöhnt. Hast denn mit meinem Mann bereits davon gesprochen Sepp?«

»Nein. Ich hab ihm noch nix sagt. In solchen Angelegenheiten muß man dera Frau das erste Wörtle gönnen.«

Das schmeichelte ihr. Sie nickte ihm freundlich zustimmend zu und wendete sich dann an den Bauer:

»Was sagst Du dazu, Juli?«

Er hieß Julius, welchen Namen sie abkürzte. Es waren viele Monate vergangen, seit sie es zum letzten Male gethan hatte. Es kam ihm fast fremd vor, ihn jetzt zu hören.

Uebrigens that sie es nur der Form wegen, daß sie ihn frug. Sie war doch gewöhnt, zu machen, was ihr beliebte. Er antwortete:

»Ich kann da gar nix sagen. Mach also, wast willst.«

»Nein, sondern ich will auch Deinen Ausspruch hören.«

Ihr Blick streifte dabei das Gesicht des Knechtes, welcher sich neben den Sepp gesetzt hatte. Es lag eine gewisse verwunderte Zufriedenheit darauf. Das hatte sie beabsichtigt. Er sollte denken, daß sie von jetzt an ihren Mann mehr berücksichtigen wolle.

»Ich bin ja blind. Was kann ich thun und bestimmen? Nix, gar nix,« meinte der Bauer. »Sepp, was rathest Du?«

»Ich kann Euch nur mit gutem Gewissen rathen, den Herrn herzunehmen.«

»Nun, Kätherl, so nimm ihn!«

»Ja,« sagte sie, »auf eine so gewichtige Empfehlungen hin kann man sich doch nicht weigern. Doch hat die Sach einen großen Haken.«

»Welchen?«

»Wo thu ich ihn hin, wann er gar so vornehm ist?«

»Hast doch Stuben im neuen Gebäud.«

»Da hat dera Offizier die besten. Der that so vornehm, daß ich ihm eine andere gar nicht anzubieten wagt hab.«

Der Sepp meinte:

»Nun, Herr Ludwigen ist zufrieden mit dem, was Ihr ihm gebt. Vielleichten tritt dera Offizier ihm eine ab.«

»Der? Der auf keinen Fall!«

»So? Ist er gar so breit von Spur?«

»Ja. Er ist ein gar stolzer. Uns sieht er gar nicht. Nur am Nachmittag, da trinkt er seinen Wein hier unter dem Baum. Und wann wir dabei sitzen, da spricht er mit uns! Sonst aber nicht.«

»Nun, wie viele Zimmer hat er?«

»Drei.«

»Er tritt sie vielleicht alle drei dem Herrn Ludwigen ab, wann dieser ihn darum bittet.«

»Nicht eins giebt er ihm. Sie liegen so gar bequem.«

»Trag keine Sorge um meinen Herrn Ludwigen. Der hat eine gar eigene Art, zu bitten.«

»Er nimmt sichs wohl gleich?«

»O nein. Aberst er bittet so, dag man es für eine Ehre hält, wann er es von Einem nimmt.«

»Da machst mich wirklich begierig, ihn kennen zu lernen.«

»Wirst zufrieden sein. Also, abgemacht. Schlag ein!«

Er hielt ihr die Hand über den Tisch hinüber, wo sie sich niedergesetzt hatte, entgegen. Sie schlug aber noch nicht ein.

»Halt,« sagte sie. »Wir sind noch gar nicht fertig.«

»Was giebts denn noch?«

»Das Miethgeld.«

»Das ist Nebensach.«

»O nein, sondern das ist grad die Hauptsach.«

»Bist auf einmal so geldhungrig worden.«

»Nein, im Gegentheil. Ich thät lieber gar nix nehmen; aberst er wird gar nicht darauf eingehen, da er so vornehm ist. Nun weiß ich nicht, wie viel ich verlangen soll.«

»Nimmst halt, was die Sach werth ist.«

»Wer kann das schätzen? Verlang ich zu wenig, so kanns ihn beleidigen, weil er nix schenkt haben will. Verlang ich aberst zu viel, so kann es ihn ebenso beleidigen, weil er meint, daß ich ihn prellen will.«

»So nimmst ganz einfach, wie viel er Dir giebt.«

»Geht er denn darauf mit ein?«

»Allemal.«

»So bin ich aus dera Sorg heraus, und wir wollen einschlagen.«

»Ja, also topp! Es wird ihm hier in dera Gegend gefallen.«

»Er kommt direct aus München?«

»Nein. Er war einige Zeit unten in Hohenwald. Und nun will er sich eine Abwechslungen machen. Schaut, wer kommt da gefahren?«

Vom Dorfe her kam ein Einspänner. Der Wagen war ein sogenanntes Berner Wägelchen. Ein einzelner Mann saß darin, welcher die Zügel führte.

»Das ist dera Baumeister,« sagte der Knecht.

Bei diesen Worten streifte sein Blick unwillkürlich das Gesicht der Bäuerin. Diese erröthete leicht und senkte die Augen, obgleich sie sich sonst sehr in der Gewalt zu haben pflegte. Sie zog die Stirn in Falten, denn sie ahnte gar wohl, warum der Blick des Knechtes sie gestreift hatte.

Auch das Gesicht des Bauers hatte einen unfreundlicheren Ausdruck angenommen.

»Ein Baumeister?« fragte der Sepp. »Den kenn ich noch nicht, obgleich ich sonst überall bekannt bin.«

»Er ist ein Norddeutscher,« erklärte Fritz, »und erst seit einigen Monaten hier. Er hat das neue Seitengebäude errichtet.«

»Ach so! Da ists ja ein alter Bekannter von Euch. Na, ich werd ihm Platz machen.«

Er wollte aufstehen.

»Bleib sitzen!« gebot ihm die Frau. »Dera Baumeister findet schon auch seinen Platz». Er wird nicht lange hier bleiben.«

Jetzt kam der Wagen heran. Der Insasse knallte einige Male und rief dann bereits bevor et angehalten hatte:

»Guten Tag, meine Herrschaften! So traulich beisammen? Das lobe ich mir! Brrrr, eeeh!«

Er lenkte den Wagen auf eine Weise herbei, daß man merkte, er sei kein Gewohnheits-, sondern nur ein Sonntagsfahrer. Dann sprang er vom Wagen.

»Nun, kannst Du nicht helfen?« fuhr er den Knecht an, indem er ihm die Zügel hinwarf. »Paß doch auf!«

Fritz rührte keine Hand. Er ließ die Zügel ruhig an sich niedergleiten, so daß sie zur Erde fielen. Er bewegte sich nicht.

»Hast Du mich verstanden?« fragte der Baumeister.

Da wendete Fritz ihm das Gesicht zu.

»Redest mit mir?«

»Ja; aber ich bitte sehr, mich Sie zu nennen. Ich bin kein Bauernknecht!.«

»Und mich nennst auch Sie; denn ich bin kein Baumeister. Weißt wohl gar nicht, wot jetzunder bist?«

»Welch eine Frechheit! Natürlich bin ich auf dem Kronenhofe.«

»Das ist richtig. Verhalt Dich auch darnach. Bist vor keinem Wirthshaus, wo es einen Hausknecht giebt, welcher herbeispringen muß, wann Einer Mit einem Fünfzehnmark-Gaul angefahren kommt!«

Der Baumeister blickte ganz erstaunt von einer Person auf die andere.

»Was ist denn das?« fragte er. »Bin ich denn hier unter gebildeten Menschen oder nicht?«

Da antwortete ihm die Bäuerin:

»Wann Sie uns meinen, so sind Sie halt unter gebildeten Menschen. Wanns aberst sich selberst mit meinen, so mags noch unentschieden sein.«

Sein dickes, grobzügiges Gesicht wurde blutroth.

»Das sagen Sie! Sie, Frau Kronenbäuerin! Wie komme ich dazu, von Ihnen solche Grobheiten zu hören zu bekommen?«

»Weils erst selbst grob west sind. Ein Fremder, der einen Dienst verlangt, kann höflich um denselbigen bitten.«

»Ach so! Nun, das kann ich ja thun!«

Und sich zu Fritz herumdrehend, sagte er, sich höhnisch verbeugend:

»Verehrtester Herr, haben Sie die Güte, mein Pferd auszuspannen und in den Stall zu führen.«

Fritz ignorirte die Ironie und antwortete ruhig:

»Hier giebts halt keine Ausspannung. Gehens hinab in die Schänke!«

»Aber ich habe doch allemal hier ausgespannt und bin bis zum späten Abende hier Gast gewesen!«

»Das braucht aberst nicht für das ganze Leben zu sein,« sagte jetzt der Bauer sehr ernst, welcher überhaupt noch gar nicht gesprochen hatte.

»So! Also bin ich unwillkommen?«

»Ja, so ists!«

»Schön! Gut, daß ich das weiß. Ich kam, um das Innere des Gebäudes noch einmal in Augenschein zu nehmen.«

»Ist das nöthig?«

»Ja. Es sind neue baupolizeiliche Bestimmungen getroffen worden, welche ich beim Beginne des Baues noch nicht kannte. Die Frau Kronenbäuerin ist vielleicht so freundlich, mich zu begleiten.«

Ueber das Gesicht des Bauers zuckte ein zorniger Blitz.

»Willst mit ihm gehen, Kätherl?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie.

Ihr Ton war ein eigenthümlich energischer; er schien den Bauer zu beruhigen. Der Baumeister warf die Bemerkung hin:

»Bis wir wiederkommen, wird der Knecht wohl mein Pferd halten!«

»Das Pferd? Dieses?« fragte Fritz. »Lächerlich! Das ist froh, wann es nicht zu laufen braucht.«

»Gut! Wenn Du zu stolz dazu bist, so mag dort der Bettler es thun. Ich werde ihm ein Trinkgeld geben.«

Er nickte dabei zu Sepp hinüber.

»Was bin ich? Ein Bettler?« fragte dieser. »Du Grasaff, Du! Ich, dera Bettler, thät mich schämen, einen solchen Ziegenbocksgaul in denen Bergen herum zu schinden. Dem stechen ja die Knochen durch die Haut. Und was hast für einen Wagen? Das ist ein Jammerkasten, wie ich noch niemals eins sehen hab. Hier hast fünfzig Pfennige! Kauf Dir ein Schnupftuchen und bind Dir damit die Augen zu, daßt Dich nicht zu schämen brauchst. Ich, ein Bettlern! Was bist denn eigentlich für ein Fruzzifrazzi, daßt so was zu sagen wagst?«

Er war aufgestanden und vor den Baumeister hingetreten. Dieser war zunächst so erstaunt, daß er die Strafrede ganz ruhig über sich ergehen ließ. Dann aber brach auch er los.

»Wer ich bin?« rief er. »Das sollst Du erfahren, altes Kameel! Aber nicht sagen werde ich es Dir, sondern es Dir lieber gleich hinter die Ohren schreiben, damit Du es Dir besser merken kannst. Hier hast Du es!«

Er holte aus, um ihm eine Ohrfeige zu geben, flog aber in demselben Augenblicke drei oder vier Schritte entfernt von dem Punkte, auf welchem er gestanden hatte, zur Erde nieder. Der alte, kräftige Sepp hatte ihm einen Jagdhieb mit der Faust in die Magengrube gegeben und stand nun lachend da:

»Schreiben willsts mir hinter die Ohren? So! Ich kann auch schreiben. Und meine Schrift ist vielleichten noch was deutlicher zu lesen als die Deinige. Nennt mich dera Esel ein Kameelen! Komm nur heran, Du Heiducke, Du! Ich werd Dir das Leder gerben, daßt denkst, Du bist in Saffian einwickelt!«

Er nahm eine kampfbereite Haltung an. Der Baumeister raffte sich langsam empor. Er wollte sich wüthend auf den Sepp stürzen, blieb aber stehen. Der Fall hatte ihm so wehe gethan, daß es ihm schwer wurde, sich zu bewegen. Er konnte also sein Vorhaben nicht ausführen. Desto lauter aber schimpfte und wetterte er.

»Halts Maul!« lachte der Sepp. »Wirst mir wohl keine Maulschelle mehr anbieten. Du bist curirt. Wannst wieder mal einen Mann triffst, denst für einen Bettler hältst, so sag Dir nur im Stillen, daß er dennoch ein feinerer Kerl ist, als Du bist. Ein Haus kann Jeder bauen. Aberst Ohrfeigen anbieten und dann selberst hinfliegen auf die Erd, das bringt nicht ein Jeder fertig!«

Der Baumeister wollte antworten, wurde jedoch durch die Bäuerin daran verhindert. Sie nahm ihn beim Arme und zog ihn mit sich fort. Sie verschwanden mit einander in der Hausflur.

Der Knecht ging auch fort in das Haus. Der Sepp setzte sich wieder zu dem Bauer nieder. Dieser hatte nicht sehen können, was vorgefallen war, aber was gesprochen worden war, das hatte er gehört. Darum fragte er:

»Bist wohl handgreiflich mit ihm worden?«

»Ja. Er hat mir Ohrfeigen geben wollt; dafür aber hab ich ihm Eins auf den Magen geben, daßt er zur Erde flogen ist. Mit solchen Leutln darf man nicht gar zu fein sein!«

»Hasts recht macht. Es ist ihm zu gönnen.«

»Bist ihm also auch nicht gar zu wohl gesinnt?«

»Nein.«

»Was hat er Dir denn than?«

»Erst ist er kommen, weil er hört hat, daß wir bauen wollen, hat uns lange Reden halten und mit meiner Frauen schön than, damit er den Bau bekommen sollt. Nachhero, als er Hahn im Korbe war, hat er zeigt, was er kann. Es ist Alles viel theurer worden, als es veranschlagt war, und sodann, als uns das nicht recht gewest ist, hat er uns schlecht macht.«

»Donnerwetter! Wer kann denn Dich schlecht machen, Kronenbauer?«

»Mich? Wohl Keiner.«

»Und doch hat er es wagt?«

»Es hat nicht mich, sondern meine Frauen betroffen.«

»Ach so! Was hat er denn von dieser sagt?«

»Das, was man nicht gern ausspricht.«

»Sappermenten! Sie soll wohl hübsch mit ihm gewest sein?«

»Freilich.«

»Den Kerlen soll dera Teuxel reiten! Vorhin, wann ich es wußt hatt, da wär es ihm traurig ergangen. Darauf kannst Dich verlassen. Auf die Kronenbäurin laß ich nix kommen!«

Doch war es ihm anzusehen, daß diese Versicherung nicht sehr ernst gemeint war.

»Sepp!« meinte der Bauer.

»Was willst Du?«

»Willst etwann mich täuschen?«

»Fallt mir nicht ein!«

»So einen alten, guten Freund und Bekannten wie ich von Dir bin!«

»Ja, das bist, Juli.«

»Also sag mir mal aufrichtig. Lässest Du wirklich auf die Kronenbäuerin nix kommen?«

»Nein. So was nicht.«

»Ich denke, das sagst Du nur.«

»Nein; ich mein' es aufrichtig.«

»Nun, ich traue ihr die früheren Ausschreitungen auch nicht mehr zu; aber sie ist jung, und da ist leicht eine kleine Unvorsichtigkeiten begangen, welche an und für sich nix zu bedeuten hat, aber von übelwollenden Personen ungut ausgedeutet werden kann.«

»So wirds wohl sein, so! Freundlich wird sie gewest sein, zu ihm. Was Unrechtes ist nicht passirt; da möcht ich wetten. Aber dieser Kerl, dem man den Maulhelden auf zehn Meilen Entfernung ansieht, hat nun aufschnitten und Sachen sagt, die nicht wahr sind.«

»Das ist auch meine Ansicht.«

»Hasts ihm nicht sagt?«

»O doch! Er hats leugnet.«

»Dera Schuft!«

»Und darauf hat er im Wirthshaus erst recht anfangt und schimpft. Und was mich dabei am Meisten ärgert, daß dera Fritz mit dort gewest ist. Er geht nur alle Jubeljahren mal ins Wirthshaus und muß nun grad an dem Tag dort ein Bier trinken, an welchem dieser Kerl von meiner Frauen solche Sachen verzählt.«

»Hat ers Dir sagt?«

»Der? Was denkst von dem! Kein Wort, kein einziges. Der hätt sich lieberst die Zung abbissen als daß er mir so was sagt, was mich kränken kann.«

»Woher weißts aber denn?«

»Von Anderen.«

»Kann mirs denken. Es giebt viele solche gute Freunde, welche Einem nur Dinge verzählen, über die man sich zu ärgern hat. Sie thun, als ob sie es Einem aus lauter Liebe und Freundschaft berichten, und freuen sich dann im Stillen, daß es ihnen gelungen ist, Einem eine solche Kränkung zu bereiten.«

»Ja, so sind sie, grad so, wiest sie beschrieben hast. Ich ärger mich allemal heimlich, wann so ein guter Freund kommt und zu reden beginnt. Da ist ein jedes Wort ein Stachel, der mit Honig bestrichen ist. Den Honig leckt man, und dann bleibt dera Stachel in dera Zungen stecken. Da ist dera Fritz ein Anderer. Er hat mir kein Wort sagt; aberst die Bäuerin hat er vertheidigt.«

»Das ist brav! Er hat es nicht gar gut bei ihr habt; desto mehr ists ihm anzurechnen, daß er es ihr nicht nachträgt. Was hat er denn zu dem Kerl sagt?«

»Sagt? Nix, gar nix. Sagen, das ist nicht dem Fritz seine Art und Weis, wann es so was giebt. Als dera Baumeister so recht im Sprechen ist, da kommt dera Fritz zu ihm, sagt kein Wort und pfeift ihm aberst eine solche Maulschellen in das Gesicht, daß er sich mit dem Stuhl uminummi dreht hat und dann auf die Diele flogen ist.«

»Schön! Das kann mich gefreun. Nun ist eine richtige Raufereien daraus worden, und dera Fritz wird sein Ding macht haben.«

»Raufereien? Nein. Dera Fritz rauft nie. Er hat sich ganz still wieder auf seinen Platz niedersetzt und dem Baumeistern, der sich nicht an ihn wagt hat, schimpfen lassen von Rohheit, Raufsucht und ähnlichen Dingen. Aberst als dera Kerlen wiederum von meiner Frauen begonnen hat, da steht dera Fritz auch gleich schon wieder bei ihm, sagt abermals kein Wort und steckt ihm wieder eine, daß die Funken flogen sind. Nachhero hats noch eine dritte geben. Dem Baumeister seine Wange ist aufischwollen wie ein Pfannkuchen. Da hat er genug gehabt und ist still davon gangen.«

»Das ist recht so! Nachhero, wann er wieder heraus kommt, werd ich ihm auch noch eine geben, so daß er sich die Rosinen im Gras zusammensuchen muß.«

»Thu es nicht! Er hat genug!«

»Dera Kerl ist so groß und stark und dick; aberst er hat keine Schneid! Sich drei Backpfeifen geben zu lassen, ohne sich zu verdefentiren! Dem kann man ja die Knöpf von denen Hosen schneiden, ohne daß er was dagegen sagt! Das sollt mal Einer mir machen! Himmelsakra! Ich thät ihn in die Luft werfen, daßt die Leutln denken sollten, es sei ein neuer Kommet derschienen. Was aber will Deine Frauen jetzt mit ihm?«

»Hasts ja hört. Das Gebäude zeigen muß sie ihm.«

»Und das derlaubst Du?«

»Warum nicht? Meinst, daß sie Dummheiten mit ihm macht?«

»Ganz sicher nicht. Ich habs ihr anschaut, daß sie einen gewaltigen Zorn auf ihn hat. Der kann sich gefaßt machen. Die wird ihm die Wahrheit geigen. Aberst es wäre besser gewest, wenn ein Anderer mit ihm gangen wär.«

»So! Wer denn? Ich?«

»Nein. Was willst ihm zeigen? Bist ja leider blind.«

»Oder dera Fritz?«

»Das könnt nix Gutes geben. Und weiter giebts halt Keinen.«

»Dera andere Knecht? Nicht?«

»Dera Bastian? Der ist viel zu dumm dazu. Da ist die rothscheckete Kuh gescheidter als der. Wann man dem Was sagt, so steht er da und sperrt das Maul auf, als ob die Sperlinge hinein hecken sollten.«

»Ist der denn wirklich so dumm?«

»Hageldumm. Bei dem hats die Hebamme versehen. Ich glaub, sie hat ihm beim ersten Bad das Gehirn ins Wasser laufen lassen.«

»Hm, hm!«

»Was hmst Du denn, Sepp? Glaubsts wohl nicht?«

»Nein.«

»So kennst ihn schlecht.«

»Ich hab ihn schon einige Male beobachtet. Wann er denkt, daß man ihn nicht sieht, so macht er ein ganz anderes Gesichten als gewöhnlich.«

»Das kann ich freilich nicht sehen.«

»Ich halt ihn für einen Vexirbeutel. Er thut dumm und hat dabei die Klugheiten hinter denen Ohren, grad wie die Ziegen den Speck. Wann ich nicht nur so kurze Zeit da wäre, allemale wann ich komm, so thät ich ihn einmal genau beobachten.«

»So bleib doch da! Es würde mich gar sehr gefreuen. Ich kenne keinen besseren Gesellschafter für mich als den Wurzelsepp.«

»Meinst? Ja, dann könnt ich mich als gar großer Faullenzer zu Dir setzen und die Zeit verplaudern.«

»Schadet nix.«

»Oho! Das schadet schon. Ich hab auch noch andere Leutln, die mich sehen wollen.«

»Ja, das weiß ich freilich. Bist ein Allerweltsfreund und Schwager von Jedermann. Ich möcht wissen, wast so eigentlich machst bei denen vielen Leutln.«

»Gar Vieles und Verschiedenes. Später, wann ich mal todt sein werd, wirds erst an den Tag kommen, was für ein nothwendiger Kerl ich gewest bin. Jetzunder zum Beispiel wär ich vielleichten nothwendig bei dem Herrn Baumeister.«

»Warum?«

»Er bleibt mir zu lange weg. Wer weiß, wie sehr Deine Frauen sich mit ihm zu ärgern hat.«

»Die ist Manns genug. Die braucht keine Hilfe. Da kenn ich sie.«

Er hatte Recht. Dem Baumeister gegenüber brauchte sie keine Unterstützung, obgleich der Auftritt, welchen sie mit einander hatten, kein gewöhnlicher genannt werden konnte.

Als sie den Hausflur erreicht hatten und von Niemand gesehen wurden, blieb er stehen und sagte:

»Kätherl, was ist denn das?«

»Was?«

»Diese Behandlung!«

»Sie ist verdient.«

»Der Bettler hat mich hingeworfen!«

»Er ist kein Bettler.«

»Was denn?«

»Das zu derklären, dazu haben wir keine Zeit. Wir gehen auf meine Stube.«

Sie stieg voran, die Treppe empor, und er folgte ihr. Oben schloß sie ihre Stube auf und riegelte dieselbe, als sie mit einander eingetreten waren, von innen wieder zu. Sodann führte sie ihn noch eine Thüre weiter – in die Schlafstube.

»Ah, hierher! Das habe ich erwartet,« sagte er, indem seine Miene sich erheiterte.

»Erwartet? Warum?«

»Nun, weißts ja, von früher her.«

»Ach so! Sie haben sich da geirrt, Herr Baumeister.«

»Das sollte mir leid thun.«

»Wenn ich Sie heut hier herein führe, so geschieht es nur deshalb, weil wir hier von Niemandem gehört werden.«

»Sie und wieder Sie! Warum nennst Du mich heut Sie? Wollen wir es denn nicht bei dem traulichen Du lassen?«

Er wollte die Arme um sie legen. Sie aber schob ihn kräftig von sich ab.

»Damit ists aus. Ich habe eingesehen, daß ich meine Freundlichkeit einem Unwürdigen geschenkt habe.«

»Donnerwetter! Wieso?«

»Sie haben so Vieles über mich erzählt, daß Sie eigentlich eine viel andere und größere Strafe verdient haben, als Ihnen geworden ist.«

»Das ist die reine Verleumdung.«

»Natürlich! Eine Verleumdung meiner Person.«

»Nein, der meinigen habe ich sagen wollen. Ich habe über Dich und von Dir auch nicht das geringste unrechte Wort gesagt.«

»Bitte, nicht Du, sondern Sie. Wir sind zwei vollständig fremde Menschen.«

Sie blitzte ihn mit ihren Augen so drohend an, daß er augenblicklich antwortete:

»Gut, gut! Also Sie! Ich habe mich riesig zu beschweren. Ihr Knecht hat mich geschlagen, sogar in der Kneipe, öffentlich!«

»Sie haben es vollauf verdient.«

»Oho! Was er erzählt hat, ist jedenfalls erlogen gewesen.«

»Er hat kein Wort erzählt. Andre haben die Neuigkeit meinem Manne zugetragen.«

»Nun, so haben diese gelogen.«

»Nein. Es stimmt ja Alles. Sie haben Sachen erzählt, welche nur wir Beide wissen. Wenn Andere es auch wissen, so müssen Sie es erzählt haben. Wollen Sie leugnen?«

»Ja.«

»So sind Sie ein niederträchtiger Feigling. Schlechtigkeiten können Sie erzählen; aber eingestehen, daß Sie dieselben erzählt haben, das können und wollen Sie nicht; dazu fehlt Ihnen der Muth. Schämen Sie sich!«

Jetzt hatte er es nur mit einer Frau zu thun. Da fürchtete er sich nicht so sehr.

»Oho!« antwortete er. »Wer hat sich bei dieser ganzen Angelegenheit zu schämen? Ich oder Sie?«

»Sie!«

»Nein, sondern Sie. Wenn ich erzählt habe, was geschehen ist, so bin ich nicht der Blamirte. Sie sind es.«

»Nein. Sie blamiren nur sich selbst. Denn nur ein ganz und gar ehrloser Mensch kann eine verheirathete Frau, von der er Freundlichkeiten und Bereitwilligkeiten genossen hat, in dieser Weise an den Pranger stellen.«

»Handeln Sie nicht so, daß Sie an den Pranger gestellt werden!«

»Meinen Sie, daß es eine Ehre ist, der zu sein, der Jemand an diesen Pranger stellt? Jeder Henker ist ehrlos, besonders wenn er die Mitschuld trägt. Sie haben viel mehr erzählt, als was wahr ist. Und selbst wenn Alles wahr wäre, was Sie gesagt haben, so ist es eben eine bodenlose Schlechtigkeit, solche Sachen auszuplaudern.«

»Nun, wollen doch einmal sehen, was ich gesagt habe. Ich kann Alles vertreten.«

»Das meinen Sie. Aber ich kann Sie so schlagen, daß Ihnen die Augen übergehen.«

»Das sollte Ihnen sehr schwer fallen.«

»Sehr leicht, im Gegentheile.«

»Wollen sehen. Ich habe zum Beispiele erzählt, daß Sie mich geküßt haben.«

»Ich Sie!«

»Oder ich Sie; das ist doch ganz egal.«

»Nein, das ist zweierlei. Wenn ich Ihnen begegnet bin und Sie haben so plötzlich, daß ich vor Ueberraschung starr war, mich umarmt und geküßt, so haben Sie kein Recht, von freiwilligen Vertraulichkeiten zu sprechen.«

»Na, Kronenbäuerin, Sie wissen doch am Allerbesten, ob ich Ihnen Ihre Küsse abgezwungen habe oder nicht.«

»Ich behaupte, daß Sie mich stets so überraschten, daß meine Gegenwehr zu spät kam.«

»So! Wie steht es denn da mit den Anderen? Wissen Sie, die Nacht, welche ich hier bei Ihnen blieb?«

Sie lachte laut auf.

»Ich besinne mich. Sie drängten mich so mit Ihren Bitten, daß ich denselben scheinbar nachgab, aber nur, um mir einen heimlichen Spaß zu machen.«

»Einen Spaß? Ja, der war es, und zwar ein ganz famoser!«

»Allerdings! Famoser noch als Sie denken. Besinnen Sie sich noch, daß Sie kein Wort reden durften?«

»Ja.«

»Und auch ich sprach nicht?«

»Ja. Weil Ihr Mann daneben schlief.«

»Nun, ich werde Ihnen die Situation sogleich erklären.«

Sie öffnete das Fenster und blickte hinaus. Eine Magd hanthierte an der Miststelle herum. Sie winkte derselben und machte dann das Fenster wieder zu.

»Wen rufen Sie?« fragte er.

»Sie werden die Person gleich sehen.«

»Wer ists denn? Doch nicht etwa – –?«

Er machte ein höchst ängstliches Gesicht.

»Wen meinen Sie?« fragte sie.

»Den Knecht oder jenen verdammten Bettler unten.«

»Was soll ich mit denen?«

»Mich abermals – – durchprügeln lassen.«

Sie lachte laut und höhnisch auf.

»Welch ein Feigling! Und das will ein Mann sein! Haben Sie keine Angst! Wenn Sie hier oben bei mir Prügeln bekommen sollten, so haue ich Sie selbst durch. Sie würden nicht wagen, sich zu wehren.«

Und wie sie so blitzenden Auges und mit erhobener Hand vor ihm stand, war wohl zu denken, daß sie sich weniger vor ihm fürchten würde als er sich vor ihr.

Da klopfte es draußen an der vorderen Thür. Sie öffnete, und die Magd trat ein.

Sie war barfuß, jedenfalls Diejenige, deren schmutzigen Füße Fritz beschrieben hatte. Sie mußte dieselben sammt den Beinen wohl seit Monaten nicht gewaschen haben. Der Rock, der einzige, den sie an hatte, ließ deutlich erkennen, daß die Füße und so weiter fast bis an das Knie mit einer schmutzigen Kruste förmlich überzogen waren. Die aufgesprungenen Hände boten einen ebenso unappetitlichen Anblick. Die Haare waren nicht gekämmt. Kurz und gut, das Mädchen bot einen Anblick, daß ein reinlicher Mann sich gescheut hätte, ihr die Hand zu reichen.

Dazu hatte sie ein ganz idiotisches Aussehen. Ihr Gesicht war nichtssagend, und Ihr Auge inhaltslosen Blickes. Sonst aber war sie gar nicht schlecht, sogar üppig gebaut. Bei größerer Reinlichkeit und anderer Kleidung hätte sie gar keine üble Figur gespielt.

»Christel,« fragte die Bäuerin. »Kennst Du diesen Herrn hier?«

Die Magd klotzte den Genannten an, zog ein breites Gesicht, machte ein freundliches Grinsen und nickte.

»So gehe hinaus vor die Thür und warte, bis ich Dich rufe!«

Die Magd ging wieder hinaus. Als nun die Beiden abermals allein waren, fragte der Baumeister:

»Was solls denn mit diesem Frauenzimmer sein?«

»Das werden Sie bald erfahren. Gefällt sie Ihnen?«

»Pfui Teufel.«

Er spuckte aus und machte eine Geberde des Abscheus.

»Nun, so hören Sie!«

Sie stützte sich mit der Hand auf den Tisch und begann, indem sie ihn aus einer höhnischen Miene mit verächtlichem, siegessicherm Blicke musterte:

»Als ich Sie engagirte, unsern Neubau auszuführen, theilte ich Ihnen einen gewissen Wunsch mit, dessen Erfüllung Niemand erfahren sollte – –«

»Die heimlichen Thüren!« fiel er ein.

»Ja. Die Thüren und das schmale, fensterlose Cabinet hier nebenan. Sie wollten nicht darauf eingehen, und nur durch eine erzwungene Freundlichkeit brachte ich Sie so weit, diese Sachen anzubringen, ohne daß es Jemand bemerkt hat.«

»Das müssen wir nun ändern,« sagte er, indem er ein schadenfrohes Lächeln auf seinem breiten Gesicht zeigte.

»Warum?«

»Es ist verboten.«

»Durch wen?«

»Baupolizeilich.«

»Ist das erst jetzt verboten worden?«

»Nein. Es war schon damals verboten und ist niemals erlaubt gewesen. Ich ließ mich bestimmen, vom Gesetz abzugehen, weil – weil – weil – Sie mir versprachen, meine Liebe zu erhören.«

»Und nun soll das plötzlich geändert werden?«

»Ja.«

»Auf wessen Veranlassung?«

»Auf die meinige. Ich habe mir die Sache überlegt. Wenn es entdeckt wird, so werde ich unbedingt bestraft. Ich habe gegen die Verordnung der Behörde gebaut.«

»Schön! Was werden Sie thun, wenn ich nicht in diese Aenderung willige?«

»Ich zwinge Sie.«

»Ach so! Wodurch?«

»Dadurch, daß ich Anzeige mache.«

»Gut! Thun Sie das, Herr Baumeister. Mein Haus bleibt so, wie es ist. Ich lasse nichts ändern.«

»So muß ich also Anzeige machen!«

»Ich bitte Sie darum! Sie werden bestraft. Mir aber kann nichts geschehen.«

»Sie werden natürlich ebenso bestraft!«

»Nein. Ich bin nicht ein einziges Mal auf dem Bauamte gewesen. Sie haben das Alles geordnet, und die Verantwortung liegt ganz auf Ihnen.«

»Verdammt!«

»Ja. so ist es. Sie sind für Ihre Arbeit anständig bezahlt worden. Dennoch verlangten Sie von mir gewisse Zärtlichkeiten als Extrabelohnung –«

»Ich habe sie auch erhalten!«

»Von mir nicht!«

»Oho!«

»Nein!«

»Wollen Sie es leugnen?«

»Ja.«

»So lügen Sie. Was ich im Wirthshaus erzählt habe, das ist wahr.«

»Nein, es ist eine Unwahrheit. Ich wollte und mußte aus gewissen Gründen das Cabinet und die heimlichen Thüren haben. Sie wollten nicht so bauen, außer ich ging auf Ihre Wünsche ein. Nun gut, ich that, als ob ich Ihnen den Willen thue, und lud Sie in meine Schlafstube ein.«

»Sie thaten nur so?«

»Ja.«

»Ah, das ist stark!«

»Allerdings. Es ist sogar stärker als Sie denken. Passen Sie auf. Ich werde es Ihnen zeigen. Christel!«

Sie rief das laut, und die Magd trat ein. Die Bäuerin zeigte auf den Baumeister und sagte:

»Also Du kennst diesen Mann. Wer ist er?«

»Dera Maurer, der unser neues Haus baut hat.«

Sie antwortete gedehnt und tonlos, wie Blöde zu sprechen pflegen.

»Schön. Kannst Du Etwas von ihm erzählen?«

Das Mädchen lachte breit und vergnügt und antwortete:

»Viel.«

»Was denn?«

»Als mich die Bäuerin da hier in dera Stuben hat schlafen lassen, da ist er zu mir kommen.«

»Hast Du mit ihm sprochen?«

»Nein. Die Bäuerin hat mirs verboten habt.«

»Hat er sprochen?«

»Auch nicht.«

»Was hat er denn than?«

»Er hat mich angreifen wollt.«

»Und Du?«

»Ich habs nicht litten, sondern ihm eine tüchtige Schellen geben. Nachhero hat er gehen wollt, aberst nicht hinaus konnt, weil die Bäuerin zuschlossen hat. So hat er in dera Stuben sessen auf dera Dielen und wartet bis früh, wo die Bäuerin wiederum aufschlossen hat.«

»Gut! Kannst gehen.«

Die Magd ging und warf dem Baumeister noch einen freudegrinsenden Blick zu, als ob sie sagen wolle:

»Siehst Du, daß ich zehnmal gescheidter gewesen bin als Du!«

Nun wendete sich die Bäuerin wieder zu ihm.

»Nun, Herr Baumeister, was sagen Sie dazu?«

Er stand ganz starr da und schaute nach der Thür, hinter welcher die Magd verschwunden war. Die Bäuerin konnte sich nicht halten. Sie brach bei dem Anblicke seiner perplexen Miene in ein lautes Gelächter aus.

»Die, Die ists gewesen?« stieß er endlich hervor.

»Ja, Die!«

»Und ich hab – ich hab sie mit aller Gewalt geküßt, obgleich sie sich auch dagegen wehrte!«

»Wie hats geschmeckt?«

»Und die Ohrfeige! Ja, so eine Pfote, wie die hat, da war es gar kein Wunder, daß mir die Funken aus den Augen sprangen!«

»Aber trotz dieser Funken haben Sie nicht gesehen, daß Sie eine Falsche vor sich hatten. Anstatt der Erfüllung Ihrer Wünsche haben Sie Ohrfeigen erhalten, und trotzdem erzählen Sie im Wirthshause Dinge, welche gar nicht geschehen sind! Ich verlange von Ihnen, daß Sie dort erklären, daß Sie im Rausche die Unwahrheit gesagt haben. Ich gebe Ihnen blos noch heute Zeit dazu. Fahren Sie jetzt hin, und thun Sie es, sonst lasse ich überall erzählen, bei wem Sie sich befunden haben. Ihre Frau wird sich sehr darüber freuen.«

»Eine ganz verdammte Geschichte!«

»An welcher Sie selbst die Schuld tragen. Und vor allen Dingen, wenn Sie sich jetzt von meinem Manne verabschieden, so geben Sie ihm die Erklärung, daß das, was Sie über mich erzählt haben, die Unwahrheit ist. Das verlange ich.«

»Donnerwetter! Das ist zu viel!«

»Ich gehe nicht davon ab!«

»Aber wenn ich es nicht thue?«

»So lasse ich die Magd kommen. Die mag ihm Alles erzählen.«

»Dann bin ich aber blamirt!«

»Und wie!«

»Verdammt!«

»Wählen Sie das kleinere von den zwei Uebeln. Wenn Sie die Erklärung freiwillig abgeben, können Sie dieselbe in Worte fassen, unter denen Sie so wenig wie möglich leiden.«

»Hm! Ich begreife Sie nicht!«

Er blickte sie kopfschüttelnd an.

»In wiefern?«

»Ich habe Sie schlecht gemacht. Sie drohen mir mit der Magd, und doch geben Sie mir guten Rath.«

»Das ist doch sehr leicht zu erklären. Es soll Niemand von dem Cabinet Etwas wissen, und ich müßte davon sprechen, wenn ich gezwungen würde, Alles zu erklären. Daher begnüge ich mich mit einer einfachen, kurzen Ehrenerklärung, welche Sie mir geben.«

Er ließ seinen Blick an ihrer schönen Gestalt auf und niedersteigen und sagte triumphirend:

»Aber geküßt habe ich Sie doch!«

»Pah! Das konnte ich nicht verhüten, wenn ich Sie nicht auch ohrfeigen wollte.«

»O, Sie hätten sich doch besser wehren können, wenn Sie gewollt hätten.«

»Schweigen wir am Allerliebsten darüber. Kommen Sie jetzt wieder mit hinab, thun Sie Ihre Schuldigkeit, und betragen Sie sich nicht wieder so, daß Sie Ohrfeigen bekommen!«

Er kratzte sich hinter die Ohren und murmelte:

»Das kommt so, wenn man für eine schöne Frau heimliche Thüren und Cabinette baut! So etwas soll mir in meinem ganzen Leben nicht wieder vorkommen!«

Er ging, und die Bäuerin folgte ihm. Sie schloß ihre Thüre sehr sorgfältig wieder zu, denn es durfte niemals Jemand während ihrer Abwesenheit ihre Wohnung betreten.

Als die Beiden unten aus dem Hause traten, machte der Sepp ein ganz erstauntes Gesicht.

»Du,« sagte er zum Bauer, »da kommens wiederum herbei.«

»Mit nander?«

»Ja.«

»Wie schauens aus?«

»Die Deinige blickt drein wie eine Siegerin. Dera Kerl aberst macht ein Gesicht, als ob ihm das Karnikel den Geldbeutel fressen hätt.«

»So hat sie ihn tüchtig dran nommen.«

»Ja, so schauts aus, ganz so. Wollen sehen, was er nun thun wird.«

Die Beiden kamen herbei, und die Bäuerin setzte sich neben ihren Mann. Sie legte ihm die Hand auf die Achsel und lehnte sich an ihn, was eine ganze Reihe von Jahren nicht vorgekommen war.

Es durchzuckte ihn eine selige Freude. Der Sepp aber zog die Brauen zusammen. Er mußte, daß dies bei ihr nicht aus dem Herzen kam.

»Nun, wie stehts?« fragte der Bauer. »Ist das Gebäude fehlerlos?«

»Ja,« antwortete der Baumeister. »Ich habe mich überzeugt und bin beruhigt.«

»Schön! Das ist mir lieb. Aenderungen sind immer unbequem und kosten neues Geld. Hast die Rechnungen alle bezahlt, Kätherl?«

»Ja. Aberst dera Baumeister hat noch eine zu berichtigen.«

»Was für eine?«

»Wirsts gleich hören.«

Sie blickte den Baumeister erwartungsvoll an. Dieser begann abermals, sich zu kratzen.

»Ja – ja – eine Rechnung ists,« nickte er.

Weiter aber kam er nicht.

»Nur heraus damit!« gebot sie.

»Das ist leicht gesagt. Es ist aber viel schwerer, als man denkt.«

»Soll ich etwa nachhelfen?«

»Ja.«

»Gut, so rufe ich die Magd.«

»Um Himmelswillen!« rief er aus. »Nur das nicht!«

Er hatte sein Ja ganz anders gemeint und unter dem Nachhelfen ein freundliches Einhelfen verstanden.

»Dann reden Sie aber auch!«

»Was soll er denn reden?« fragte der Sepp.

»Das geht Sie nichts an!« antwortete der Baumeister. »Sie haben in diese Angelegenheit kein Wort zu sprechen.«

»Gut, so schweige ich.«

»Das ist das Beste, was Sie thun können. Wer eines schnellen Wortes wegen die Leute gleich zu Boden wirft, der gehört nicht dahin, wo – –«

Er hörte erschrocken auf, denn der Sepp nahm seinen Bergstock, welcher am Stamme der Tanne lehnte, in die Hand, erhob sich von seinem Platze und fragte:

»Wohin gehöre ich nicht?«

»Himmelsakkerment! Bleiben Sie doch sitzen! Ich habe Ihnen nichts gethan!« rief der Baumeister.

»Wann ich den Stock liegen lassen soll, so zankens nicht wiederum auf mich, sonst beginnt er zu tanzen.«

»Ja,« fiel die Bäuerin ein, »Sie haben hier Anderes zu thun, als sich mit dem Sepp zu zanken. Thun Sie, was ich Ihnen geboten habe. Dann sind Sie fertig und können den Hof verlassen.«

»Hm, ja! Jawohl!« stotterte er. »Nämlich, Herr Kronenbauer, ich habe Ihnen mitzutheilen, daß ich damals – – –«

»Nun, was denn?«

»Daß ich damals nicht ganz – – Himmelsapperment! Es geht so schwer heraus! Frau Kronenbäuerin, bitte, erlassen Sie es mir doch!«

»Nein, auf keinen Fall!« antwortete sie.

»Ich sage es später?«

»Nein heut!«

»Ich komme ja wieder!«

»Das ist nicht nöthig!«

»Könnte ich es nicht brieflich abmachen?«

»Auch nicht.«

»Das ist wirklich zu streng.«

»Es darf Sie gar nicht befremden, daß ich es verlange. Reden Sie; dann ists herunter, und wir sind mit einander für immer fertig.«

»So Etwas aber fällt so schwer!«

»So rufe ich die Magd!«

»Was hast nur mit dera Magd?« fragte ihr Mann. »Welche meinst denn?«

»Die Christel.«

»So! Wo ists denn?«

»Hinten im Hofe.«

»So wird sie ruft.«

Er rief den Namen der Magd mit lauter, weithin schallender Stimme. Daß der Bauer einmal einen Dienstboten in solcher Weise zu sich beorderte, das war eine außerordentliche Seltenheit. Daher kam das Mädchen schleunigst herbei gelaufen.

Als der Bauer den Namen Christel rief, fuhr der Schreck dem Baumeister in die Glieder.

»Halt, halt!« rief er. »Was soll sie denn da! Ich sags ja selber.«

»So machen Sie schnell!« ermunterte ihn die Bäuerin.

»Gut, gut! Nämlich, Kronenbauer, als Sie erfahren haben, daß ich Ihre Frau Gemahlin schlecht gemacht haben soll, da – – –«

Er stockte.

»Nun, was war denn da?« fragte der Bauer.

Auch Fritz hatte den lauten Ruf gehört. Zwar galt er nicht ihm; aber als er den Baumeister wieder an dem Baume bei den Andern sah, kam er schnell herbei, um nöthiger Weise bei der Hand zu sein.

»Da – da – da war ein Irrthum vorhanden.«

»Nun, welcher?«

»Dieser Irr – Irr – Irr – Himmeldonnerwetter! Da ist sie schon.«

Ja, die Christel war jetzt da. Sie zog ihr breites Gesicht, grinste Einen nach dem Andern an und sagte:

»Dera Bauer hat mich ruft. Was soll ich?«

»Ja, das weiß ich selbst nicht. Meine Frauen hat von Dir sprochen. Ich glaub, es ist wegen dem Baumeister hier.«

»Das glaub ich wohl!« lachte sie.

»So? Also weißt Du was?«

»Viel!« antwortete sie stolz.

»Was denn?«

»Daß ich ihm eine Maulschellen geben hab.«

»Warum denn?«

»Er hat mich angreifen wollt. Er hat dacht, die Bäuerin wär es, und derweilen war doch ich es, dera Holdrio!«

Sie warf einen siegesfunkelnden Blick auf den Baumeister. Dieser lehnte sich wie gebrochen an seinen Wagen. Die Anderen sahen sich wechselseitig an, und dann brach der Sepp in ein lautes Gelächter aus.

»Also, so ists, so! Darüber könnt man vor lauter Freud gleich den Ofen einschmeißen. Komm mal her, Christel! Sag mal: Dera Baumeistern ist Dir wohl sehr gut gewest?«

»Sehr!« nickte sie.

»Hat er Dich heirathen wollen?«

»Davon hat er nix sagt.«

»Was hat er denn wollt?«

»Schmatzt hat er mich, immer und immer, obgleich ich mich so wehrt hab. Aberst sie sind nicht alle aufs Maul kommen, sondern viele auch daneben.«

»Schön, sehr schön!«

»Dann hat er eine Ohrwatschen erhalten, daß er sich gleich niedersetzt hat. Da hat er mich in Ruhe lassen.«

»Und er hat geglaubt, die Bäuerin sei es?«

»Ja. Er hat ihr guten Worten geben und immer zu ihr wollt. Da hat sie mich in ihre Stuben than, und als er dann kommen ist, da hat ers nicht sehen, daß es eine Andere ist, denn Licht ist nicht da gewest, und redet hab ich auch kein Wort. Nachhero am Morgen haben wir ihn wieder aufilassen.«

»Also so, so ist das! Das ist herrlich; das kann mich gefreun, das – – halt Baumeister, wohin?«

Der Baumeister hatte es nicht länger ausgehalten. Er hatte die Zügel und die Peitsche ergriffen, war in den Wagen gestiegen und schlug nun auf sein altes Thier los, um es schleunigst von der Stelle zu bringen. Der Gaul zog aber nicht an.

»Fort,« antwortete der Gefragte.

»Bleib doch da!« rief der Sepp. »Jetzt, wie die Sach stehen thut, kannst getrost da bleiben. Es geschieht Dir nix.«

»Danke, danke! Hüh, hott, hüh!«

Der Gaul wendete sich nach rechts und links, kam aber nicht vorwärts.

»Steig nur wieder heraus. Bist jetzund Allen willkommen.«

»Bitte, bitte! Hier ist die Gegend, wo es Maulschellen schneit. Also, Kronenbauer, jetzt sitz ich im Wagen, und da läßt sich leichter reden. Deine Frau war es nicht, sondern diese verteufelte Christel ists gewesen. Mag sie der Kukuk holen.«

Ein allgemeines, schallendes Gelächter war die Antwort. Selbst der Blinde lachte mit. Das Herz war ihm ja nun erleichtert. Der Sepp aber brüllte förmlich vor Lachen.

»Die Christel, die Christel!« schrie er, indem er vor Vergnügen mit beiden Händen sich auf die nackten Knie trommelte.

»Die Christel mit dera Bäuerin zu verwechseln.«

Dem Baumeister, welcher sich noch immer vergeblich bemühte, sein Pferd von der Stelle zu bringen, gab die Geschichte jetzt selbst Spaß.

»Ja,« lachte er. »Ich kann es auch nicht begreifen.«

»Hast denn keine Nas mit habt?«

»Die hat ich freilich mit.«

»So mußts doch rochen haben!«

»Unsinn! Wer verliebt ist, der riecht nichts mehr.«

»So! Auch das ist gut. Na, mir sollt die Christel nicht kommen, ich thäts schon gleich wittern. Schau, wast für ein armer Teuxel bist! Da hast nun die Ohrfeigen um Nix erhalten.«

»Leider. Drum hoffe ich, daß der Bauer mir verzeihen wird.«

»Ja,« rief der Genannte, »steig aus dem Wagen und gieb mir die Hand. Kannst da bleiben. Wir trinken ein Bier.«

»Danke, danke! Bei Euch ist das Wetter zu veränderlich. Später komme ich vielleicht einmal wieder.«

»Wann ich wieder was zu bauen hab!«

»Ja, da läßt Du es mich wissen. Also Adjeh jetzt. Hüh, hott, hüh! Donnerwetter, was hat nur das Vieh.«

»Das Vieh hat nix,« erklärte Fritz; »aberst Du hast die Zügel falsch.«

»Falsch? Wieso denn?«

»Hast sie ja übers Kreuz nommen, den rechten links und den linken rechts. Schaust es denn nicht?«

»Ich denk, das muß so sein!«

»Unsinn.«

»Warum heißt es denn Kreuzzügel?«

»Bei zweien Pferden. Da ists ein Anderes. So, wannst rechts ziehst, läufts doch nach links, und wannst nach links willst, so gehts nach rechts.«

»Ach so! Es will Alles gelernt sein, sogar das Fahren.«

»Und doch gehts dabei wie bei dera Liebe, man fahrt zuweilen schief.«

»Ja, das habe ich an mir gemerkt. Na also, nichts für ungut! Lebt wohl.«

Ein allgemeines fröhliches Lebewohl wurde ihm nachgerufen, als er jetzt mit seinem Klepper davon fuhr.

»Dera Kerl ist nicht so schlimm, wie ich dachte,« lachte der Sepp. »Aber ein Hasenfuß ohne Gleichen – bei seiner Größe und Stärke. Aberst heut gehts hier grad wie bei einem Bienenstock. Kaum ist Einer fort, so kommt dafür ein Anderer. Wer kommt denn dort geritten?«

»Das ist dera Herr Offizier, welcher bei uns wohnt,« erklärte der Knecht.

»Welchen Rang hat er?«

»Oberlieutenant.«

»Und wie heißt er?«

»Graf von Münzer.«

»Ah, hm, hm, hm!« nickte der Alte. »Da werd ich nun endlich Platz machen.«

»Kannst sitzen bleiben,« bedeutete ihm der Bauer.

»So kommt er nicht her?«

»Er wird her kommen; aber er hat Platz. Sein Diener bringt stets einen weichen Lehnstuhl getragen.«

»Aberst ich bin ihm nicht vornehm genug.«

»Wannst ihm nicht passest, so mag er fortbleiben. Du bist mir lieber als der Graf. Nicht wahr, Kätherl?«

»Ja,« antwortete sie.

Sie konnte nämlich den Oberlieutenant nicht leiden. Warum? Er bekümmerte sich nicht um sie. Ihre Schönheit war ihm etwas so ganz und gar Gleichgiltiges, daß sie sich ärgerte, so oft sie ihn erblickte.

Als er herankam, hielt er sein Pferd an, bevor er in den Hof einritt, und musterte die Gesellschaft.

Er war eine lang aufgeschossene, hagere Gestalt mit spitzer Nase, breitem, lippenlosem Munde. Sein Haar war hinten in einem scharfen Strich abgetheilt. Die Spitzen seines langen, aber dünnen Schnurrbartes standen steif empor. Ein Monocle war in das rechte Auge geklemmt.

Er hatte ein höchst kriegerisches Aussehen. Er trug den Degen, in dessen Koppel zwei Revolver steckten. Am Sattel war außerdem ein Doppelgewehr befestigt.

Stolz, Ahnenstolz war der ausgeprägteste Zug seines Characters. Das war ihm leicht anzusehen. Es war auch in Folge dessen eine unendliche Herablassung, welche aus seiner Stimme klang, als er jetzt die Anwesenden grüßte:

» Bon jour, bon jour! Familie beisammen? Aeh, äh! Auch Gast da, neuer Gast?«

Er fuchtelte dabei mit der Reitpeitsche nach dem Wurzelsepp hinüber.

» Bon jour, bon jour!« antwortete dieser. »So neu bin ich halt nicht hier.«

Der Offizier machte ein sehr betretenes Gesicht, daß der Alte so frei war, diese französischen Worte zu wiederholen.

»So! Wer ist man denn? Aeh, äh!«

»Ich bin ein Handelsmann.«

»Aeh, äh! Und womit handelt man?«

»Zum Beispiel? Vielleicht kann man bei mir Etwas los werden. Sollt mich freuen, denn heut handle ich gerad mit Flöhen.«

Dabei kratzte er sich auf dem Buckel.

» Mille tonorres! Spricht dieser Mensch vom Ungeziefer zu mir. Scheint ein feiner Schwiemel zu sein.«

»O nein! Schwiemeln thu ich schon; aberst fein bin ich nicht.«

»Sehe es und höre es. Kann Er nicht anders antworten – äh – äh – wenn ein gebildeter Mann mit ihm spricht?«

»O ja!«

»Weiß er, wer ich bin?«

»Sehr gut. Sie sind dera Herr Oberlieutenant Graf Arthur Wipprecht von Münzer, Hochgeboren.«

Da fuhr der Graf noch höher, als er so schon war, in seinem Sattel auf.

»Arthur – Wipprecht – äh – äh – stimmt auffällig. Wer hat Ihm meinen vollständigen Namen gesagt?«

»Niemand hier.«

»Niemand? Aeh, äh! Woher kennt Er ihn denn?«

»Die gnädige Comtesse, Fräulein Schwester, hat ihn mir nannt.«

»Was! Er kennt meine Schwester?«

»Sehr gut.«

»Woher denn eigentlich?«

»O, ich hab ihr gar manch ein Schnadahüpfl auf dera Zither vorspielt.« »Er? Meiner Schwester? Der Comtesse?«

»Jawohl!«

»Wer ist Er denn eigentlich, äh, äh? Wie ist Sein Name.«

»Ich heiße Josef Brendel. Gewöhnlich aberst werd ich dera Wurzelsepp nannt.«

»Wurzelsepp! Verdammt wurzlicher und knolliger Name. Aber freut mich, freut mich. Kenne Dich bereits, alter Schwede! Aeh, äh!«

»Sie mich? Woher wollens mich kennen?«

»Eben von meiner Schwester. Sie hat mir von Dir erzählt. Hat viel Wohlgefallen an Dir gefunden. Sollst ein sonderbarer Kauz sein. Ists wahr? Aeh, äh!«

Dieses Aeh, äh war jenes langgezogene, eigenthümliche Räuspern, welches manchen Offizieren eigen ist. Bei Angehörigen anderen Standes pflegt man es wohl kaum zu finden.

»Ich, ein sonderbarer Kauz? Hm! Wenn alle Leutln so sonderbare Kauzen wären wie ich, so thät dera Herrgott vielleicht mehr Freud an denen Menschenkindern derleben als bisher.«

»So! Scheinst viel von Dir zu halten!«

»Das ist wahr. Man soll auf dera Welt möglichst viel von sich selberst und möglichst wenig von Anderen halten.«

»Hast Recht, hast Recht! Was hältst Du da von mir?«

»Bis jetzund noch gar nix.«

»Donnerwetter! Dein Ruf sagt nicht zu viel von Dir. Kerl, Du gefällst mir. Bleib hier sitzen. Ich komme auch gleich wieder. Kannst ein Glas Wein mit mir trinken.«

»Liegt mir nicht viel daran!«

»So! Wein trinken mit einem Grafen.«

»Hab ihn schon noch mit anderen Kerlen trunken. Ein Topf Buttermilch mit einem Tagelöhner schmeckt auch gut.«

»Famos, famos! Bist ein tüchtiger Kerl. Warte nur; ich komme gleich wieder.«

Er ritt sein Pferd in den Hof und ging dann nach seiner Wohnung, um abzulegen.

»Sepp,« sagte der Bauer. »Darfst nicht gar so grob sein. Solche feine Herren wollen anders angesprochen werden.«

»Meinst? Oho! Ich weiß mit solchen Leutln umzuspringen. Das lernt mir Keiner erst. Die wollen grad recht grob behandelt sein. Fein haben sie es immer. Das bekommen sie zum Ueberdruß. Wann ich hätt immer fein sein wollen, so wär ich jetzund gar nicht dera berühmte Kerl, der ich worden bin. Hasts doch hört.«

»Ja, hört haben wir es wieder mal, daßt allüberall bekannt bist. Aberst das brauchen wir gar nicht zu hören, sondern das wissen wir so bereits. Es scheint, daß dera Graf sein Wohlgefallen an Dir funden hat.«

»Meinst?«

»Ja. So hat er noch nicht sprochen, so lange er hier bei uns wohnt. Nimms in Acht, Sepp! Wer weiß, was so ein hoher Herr Dir für einen Nutzen bringen kann.«

»Ich ihm vielleicht mehr als er mir.«

»Schneidst wiederum mal aufi!«

»Nein. Es ist mir schon oft begegnet, daß ein armer Teuxel einem Vornehmen mehr Nutzen bracht hat, als dieser ihm.«

Dabei blieb er. Das war nun einmal seine Ansicht, von welcher er sich nicht abbringen ließ.

Nach einiger Zeit kam der Offizier. Sein Bursche trug ihm eine Flasche mit zwei Gläsern nach. Auch einen Polsterstuhl hatte er, den feinsten, welchen die Bäuerin hatte auftreiben können.

Er setzte sich mit an den Tisch, schenkte zwei Gläser voll, schob dem Sepp eins hin und sagte:

»Hier, altes Haus, trink mit, und denk meinswegen, es sei Buttermilch.«

»Na, verachten grad thu ich ihn nicht. Nur müssens mir sagen, auf wessen Wohl wir trinken wollen.«

»Da mach ich nicht mit, sonst sauf ich so viel auf mein Wohl, daß ich schließlich ganz und gar unwohl werd.«

»So trink auf dasjenige Deiner Herzallerliebsten! Hast keine mehr?«

»O, ich hab eine. Wanns mir da einen Gefallen thun wollen, Herr Oberlieutenant, so trinkens auch mit.«

»Schön! Wie heißt sie?«

»Leni.«

»Schön, mein Sohn! Also Deine Leni soll leben!«

»Ja sie soll leben, tausendmal hoch!«

Sie stießen an, und der Sepp trank sein Glas leer.

»Tausendmal! Uebertreib es nicht. Sie hat sonst zu viel zu steigen.«

»Das thut nix. Das Steigen ist sie ja gewohnt. Sie war halt eine Sennerin.«

»Sie war eine. Aber jetzt ist sie keine mehr.«

»Das läßt sich denken, in den Jahren!«

»Was? Jahren? Wie alt soll sie denn da sein?«

»Nun, wenn sie Deine Leni ist, so läßt sie sich bis auf Siebzig taxiren. Wieviel Urenkel hat sie bereits?«

»Ja Urenkel! Da hats nicht einschnappt. Die ist noch gar nicht mal verheirathet.«

»Was! Ein Mädchen?«

»Ja.«

»Aber ein altes.«

»Nein. Die Leni ist das allerschönst Dirndl weit und breit. Auf denen bayrischen Bergen hats noch niemals so eine Sennerin geben.«

»Großartig, wenn es wahr ist.«

»Es ist wahr!«

»So möchte ich sie doch einmal sehen.«

»Vielleicht habens sie schon sehen. Wann auch nicht in Person, sondern in dera Photographie. Sie wird bereits allüberall verkauft.«

»Deine Leni? Eine Sennerin?«

»Ja.«

»Wie ist denn ihr eigentlicher Name?«

»Magdalene Berghuber. Daheim hieß sie die Muren Leni, nun aber hat sie daraus Mureni macht.«

Da fuhr der Offizier vom Stuhle empor.

»Mureni! Die Sängerin?«

»Ja.«

»Alle Teufel! Wegen der bin ich doch – – Die kennst Du also?«

Wenn er seinen Satz hätte aussprechen wollen, so hätte er sagen müssen:

»Wegen der bin ich doch hierher geschickt worden. Ich habe ihretwegen einem Kameraden ein Wenig Blut abgezapft. Das ist zwar glücklich vertuscht worden; aber man rieth mir, für einige Zeit auf's Land zu gehen. Und damit ich nicht aus der dienstlichen Uebung komme, hat man mich nach diesem liebenswürdigen Erdenwinkel geschickt, damit ich den noch viel liebenswürdigeren Samiel fangen soll.«

»Und ob ich sie kenne,« antwortete der Sepp. »Ich bin doch ihr Pathe und auch ihr Pflegevatern.«

»Ach so! Ists möglich!«

Er betrachtete den Sepp mit Augen, in denen deutlich zu lesen war, daß ihm die Pflegetochter noch viel interessanter vorkomme als der Pflegevater.

»Freilich ists möglich. Wollens wohl nicht glauben?«

» Oui, ich glaube es. Ich hab gehört, daß sie von niedrigster Geburt sein soll. Aeh, äh. Ists wahr?«

»Nein, sondern sie ist von allerhöchster Geburt.«

»Ah! Wie ist das möglich?«

»Weils droben in denen Alpen zur Welt kommen ist. Ist Ihnen das hoch genug?«

» Oui! An diese Art von Höhe habe ich freilich nicht gedacht. Wenn es darnach ginge, wie hoch über dem Meeresspiegel man das Licht der Welt erblickt, so würden alle Mütter auf den Chimporasso steigen, um dort das hübsche Fest ihrer Entbindung zu feiern. Was war denn ihr Vater?«

»Ein Bayer.«

»Unsinn, Alter! Ich meine, welches Gewerbe er trieb.«

»Es war halt ein armer Handwerksmann, wie es im lieben Bayernland gar so viele giebt. Als er starb und die Mutter auch, hab ich mich des Dirndls angenommen.«

»Und sie zur Sängerin ausbilden lassen? Aeh – äh!«

»Dazu reichts bei mir nicht aus.«

»Ja. Ich hab gehört, daß sich höchste Herrschaften für sie interessirt haben?«

»Wui! Dera König selberst hat ihr das Singen lehren lassen.«

»Sapperment! Wie ist sie zum König gekommen?«

»Sie zu ihm? Nein; er kam zu ihr.«

»Querkopf! Also hat der König sie ganz zufällig getroffen?«

»Ja.«

»Verdammt! Wenn ich es gewesen wäre, der sie zum ersten Male traf! Ich hätte dafür gesorgt, daß sie von keinem Zweiten gefunden wurde.«

»Wie hättens das anfangt?«

»Ich hätte sie entführt und versteckt.«

»Ja, die Leni, die ist die Richtige zum Verführen. Wanns davon zu ihr sprochen hätten, so hättens für Maulschellen nicht zu sorgen braucht.«

»Sapperment! Ist sie giftig?«

»Nein. Sie ist eine Seele von einem Dirndl; aberst thun darf man ihr nix.«

»Hat sie, als sie noch Dirndl war, auch einen Buben gehabt?«

»Ja.«

»O weh! Was war er?«

»Wildschütz.«

»Alle Teufel! Die Geschichte wird weiß Gott immer interessanter. Jetzt mag sie wohl nichts mehr von ihm wissen?«

»Nein, sondern er mag nix von ihr hören.«

»Mensch! Halbgott! Affe! Bist Du des Teufels!«

»Teufel! Mensch! Bist etwan ein Affe! Wozu brauchen denn Sie das Alles zu wissen?«

»Weil ich mich riesig für sie interessire.«

»So! Weiter nix?«

»Was verlangst Du weiter, zürnender Zeus?«

»Haltens den Schnabel mit diesen fremden Worten. Sie sind zu nix nütze. Redens deutsch, daß man sich nicht mit Ihnen zu schämen braucht.«

Der Graf wußte nicht, wie er diese Lection aufnehmen solle. War sie ein Ausfluß eines kindlich unbefangenen, derben Biedersinnes, oder sprach aus dem Alten nur eine berechnende Unverschämtheit?

Aber der Sepp hatte ein so ernstes, eifriges Gesicht gemacht, daß der Offizier gar nicht dazu kam, ihm bös zu werden. Er erklärte ihm:

»Ich kenne nämlich die Mureni.«

»So! Habens mit ihr sprochen?«

»Ja. Auf einer Soiree wurde ich ihr vorgestellt.«

»Ja, diesen Schnickschnack muß sie jetzunder besuchen; aberst gern thut sie es nicht etwan. Wann ich mal einige Tagen bei ihr bin, so kommts gar nicht aus dem Haus.«

»So! Was thut sie da?«

»Was solls thun? Sie zieht ihren kurzen Alpenrock an, setzt ihr kleines Sennerhüterl aufi und dann sind wir beisammen, und ich muß verzählen von Allem, was ich inzwischen derlebt und derfahren habe.«

»Kurios!«

»Das ist gar nicht kurios! Verstehens! Ich wollts dera Leni gar nicht rathen, wanns mir stolz werden wollt und die Alpe vergessen und ihre frühere Armuth und vielleichten gar auch noch den alten Wurzelsepp.«

»Hm! Aber wenn Du sie besuchst, stören darfst Du sie trotzdem nicht?«

»Stören? Wie könnt dera Sepp sie stören! Nein, uns darf Niemand stören. Sie schließt Alles zu, daß Niemand herein kann.«

»Aber wann nun vornehmer Besuch kommt!«

»Vornehm? Was ist vornehm?«

»Nun, zum Beispiel ein Graf?«

»Den thut sie einfach zur Treppe hinunterschmeißen lassen. Wann ich einmal da bin, so will sie nur mich haben. Höchstens noch diejenigen Personen, die ich mitbringen thu.«

»Sapristi! Sepp, was verlangst Du von mir, wenn Du mich einmal mitnimmst?«

»Verlangen? Was soll ich verlangen?«

»Nun, Geld. Du willst doch auch Etwas verdienen. Ich zahle gut.«

»Hörens, ich auch. Ich zahl vielleichten noch besser als Sie, aberst in einer ganz anderen Münz. Die Ihrige klingt, und die meinige klatscht.«

»Klatscht? Aeh, äh! Du drückst Dich wirklich ein Wenig zu unpoetisch aus.«

»Aberst desto verständlicher. Meinens etwan, daß ich mich durch Geld veranlassen lasse, der Leni einen Menschen zu bringen, der nix werth ist? O nein, da kennens mich und sie gar schlecht.«

»Nun, ich hoffe doch nicht, daß ich nichts werth bin.«

»Viel aber auch nicht.«

Jetzt lachte der Oberlieutenant aus vollem Halse. So eine Aufrichtigkeit war ihm doch noch nicht vorgekommen. Darum wuchs seine gute Laune schnell an.

»Sepp,« sagte er. »Ich will Dir eine Bitte vortragen.«

»Nun tragens her und legens da auf den Tisch.«

»Also, ich hab die Mureni gesehen.«

»So! Das weiß ich bereits.«

»Sogar auch gesprochen.«

»Sehr schön!«

»Sie sehen und lieben war natürlich Eins.«

»Eins? Dazu gehört dreierlei.«

»Was?«

»Sehen, Lieben und zur Treppe nunter worfen werden.«

»Sei kein Barbar! Ich will Dir aufrichtig gestehen, daß ich mir die Mühe gegeben habe, bei ihr vorzukommen.«

»Das ist schwerer als wieder hinauszukommen.«

»Ja, leider. Meine Bemühungen waren vergebens.«

»Freut mich!«

»Was! Das freut Dich?«

»Natürlich! Sie ist ein braves Dirndl.«

»Das ist Schadenfreude. Und da trinkst Du meinen Wein mit aus.«

»Hier habens Ihr Gläserl wieder. Ich brauch den Fusel nicht.«

»Sepp, bleib doch bei Verstand!«

»Und kommens zu Verstand!«

»Ich bin dabei. Ich sage Dir, daß ich zum Juwelier gegangen bin und Geschmeide gekauft habe, um es ihr zu schicken.«

»Hat sie es behalten?«

»Gar nicht angenommen.«

»Ja, sie ist ein Blitzmadel.«

»Ein Blitzmadel stelle ich mir anders vor.«

»Wie denn?«

»Die theilt keine Ohrfeigen aus, hat alle Tage einen Anderen und – – –«

»Und wird dafür auch von Allen sitzen lassen. Ich danke schön für so eine Art von Blitzmadel. Das könnt mein Geschmack sein! Pfui Teuxel!«

»Ueber die verschiedenen Richtungen des Geschmackes läßt sich ja nicht streiten. Also höre: Es ist alles vergeblich gewesen, mich der Mureni zu nähern. Jetzt nun will ich das Allerletzte versuchen.«

»Was ist das?«

»Du bist es.«

»Ich? Ich bin das Allerletzte. Das ist sehr gut. Das kann mich gefreun.«

»Siehst Du! Mich gefreuts auch. Also ich werde mich hinter Dich stecken. Du machst den Schleppdampfer und bugsirst mich glücklich in den Hafen Deiner Pflegetochter.«

»Schön! Aberst wollens mir vorher sagen, was Sie dort wollen?«

»Wollen? Aeh, äh! Was denn wollen?«

»Na, zum Donnerwetter! Sie müssen doch dort was wollen! Wozu gehens denn hin?«

»Komische Frage! Um mich zu amüsiren.«

»So! Weiter nix?«

»Nein.«

»Wollens sie etwan heirathen?«

»Das wäre die Liebe doch etwas zu materiell genommen.«

»So! Dann bleibens lieber weg, sonst werdens noch viel materieller genommen. Die Mureni ist keine Person, die für einen Jeden da ist.«

»Aber, Sepp, bedenke: Ein Graf!«

»Was ist denn das weiter, ein Graf! Er ist ganz dasselbige Menschenkind wie ein jeder Andere.«

»Bitte, bitte! Blaues Blut!«

»Ja, blaues Blut und rothe Hanswurstnase. Beweisens mir doch, daß ein Graf was Anderes ist als ein anderer Mensch. Wann ihn dera Stiefel drückt, bekommt er Hühneraugen. Wann er Kirschen, Sauerkraut, Bier, Kuchen und unreifen Kürbisbrei unter nanter ißt, so gehts ihm darnach wie jeden Anderen auch. Kämmt er sich nicht, so bekommt er Ungeziefer! und lauft er nackend im Winter, so derfriert er die Vorder- und Hinterfüßen. Er ist also gar nix anderes. Und da soll die Mureni denken, einen Grafen müßt sie zu sich lassen? Nein. Die vornehmen Herren sind oft die größten Lumpen.«

»Sepp!«

»Was?«

»Vergiß Dich nicht!«

»Das thu ich nie.«

»Es scheint aber so.«

»Ja, wanns mich in den Harnisch bringen und nicht aufhören mit diesen Sachen, so könnens von mir was zu hören bekommen.«

»So wird es besser sein, wir brechen ab.«

»Das ist mir sehr recht.«

»Wir können ja später wieder einmal davon sprechen.«

»Lieber gar nicht wieder. Die Leni hat nicht die mindest Lust, die Moden dera Sängerinnen mitzumachen, welche nix lernen und sich von den Herren, mit denens schameriren, ernähren lassen. Sie hat was lernt und lebt nur für ihre Kunst. Wann da Einer käm, ders heirathen wollt, der müßt schon Haaren auf den Zähnen haben. Und wann gar Einer käm, der sich nur eine Pläsiren mit ihr machen wollt, der müßt vorher seine Knochen zu Haus lassen, damit sie ihm nicht zerschlagen werden. Wann er zur Hausthür herauskäm, müßten die Leutln denken, er sei in einer Knochenmühlen gewest.«

»Ist das denn gar so schlimm?«

»Schlimm? Nein, gut ists. Also gebens sich keine Mühen mit dera Leni. Gebens sich lieberst die rechte Mühen, den Samiel zu fangen. Da tragens viel mehr Ehren davon. Das kann ich Ihnen rathen!«

Der Graf machte bei der Eröffnung, die ihm hier wurde, ein sehr zweifelhaftes Gesicht. Er wäre vielleicht gegen den derben Alten losgebrochen. Zum Glücke aber erwähnte derselbe den Samiel, und sofort erheiterten sich die Züge des Offiziers. Es war ja der Gedanke, den Samiel zu fangen, von ihm mit einer wahren Leidenschaft ergriffen und verfolgt worden.

»Der!« sagte er. »Der wird nicht mehr lange hier herumlaufen.«

»Meinens wirklich?«

»Ja, ich bin nicht umsonst hierher gekommen. Ich muß ihn haben.«

»Das klingt wohl gut. Wenn Sie es aberst nur auch fertig bringen!«

»Fertig bringen? Daran ist gar kein Zweifel zu legen.«

»Oho! Schwer genug ist es.«

»Für mich nicht. Ich kann ja gar nicht anders. Ich kann nicht zurück, denn ich habe die Schiffe hinter mir verbrannt.«

»Was! Schiffe habens verbrannt?«

»Ja.«

»Habens Ihnen gehört?«

»Nein.«

»Und das sagens so ruhig? Ein Mordbrenner sinds? Donnerwetter! Wenn das die Polizeien derfährt! Vielleichten wird dera Brandstifter schon sucht. Sie wollen den Samiel fangen und sind nun selbst so ein Bösewicht.«

Der sonst so stolze Graf lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten.

»Und da lachens auch noch!« rief der alte Sepp zornig. »Das Lachen wird Ihnen schon vergehen! Denkens, weils ein Graf sind, daß Sie Schiffe verbrennen dürfen? Wer weiß, wie viele arme Menschenwürmer dabei umkommen sind!«

»Aber Sepp, so schweig doch!« sagte der viel belesene Fritz, welcher sehr wohl wußte, was die vom Grafen angezogene Redensart zu bedeuten hatte.

»Was, auch noch schweigen soll ich!«

»Es ist ja nur eine Redensart.«

»Desto schlimmer, wenn man wegen einer Redensart die Schiffe vermordbrennern thut!«

»Du regst Dich ganz vergeblich auf – – –«

»Vergeblich?« fiel der Alte ein. »Wirsts schon derfahren, obs vergeblich ist oder nicht. Es kann mich aberst von Dir wundern, daßt den Verbrecher mit vertheidigen willst. Das hab ich nicht denkt von Dir, dert sonsten so ein braver Kerlen bist.«

»Hör mal, ich muß es Dir verzählen. Es war mal ein Feldherr – – –«

»Laß mich aus mit Deinem Feldherr! Hier ist die Red von einer Brandstiftereien auf der See!«

»Hör doch nur weiter!«

»Hab keine Lust dazu!«

»Ich wills Dir doch verklären.«

»Dauerts lang?«

»Nein.«

»So magst meinetwegen reden. Aberst mich kriegst nicht herum! Anzeige werd ich machen auf alle Fälle!«

»Wirsts schon unterbleiben lassen.«

Da schlug der Sepp mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Nein. Ich laß es nicht unterbleiben! Dera Kerl muß bestraft werden. Dein Feldherr mag heißen, wie er will!«

»Wie er heißen hat, das weiß ich nicht mehr. Er fuhr mit Schiffen in ein ander Land, um es zu erobern. Er wurde von einer übermächtigen Anzahl der Feinde zu einer Schlacht gezwungen. Am Abend vor der Schlacht hörte er, daß seine Krieger sich vor der Uebermacht der Feinde fürchteten. Sie wollten auf die Schiffe fliehen und mit diesen ausreißen – –«

»Das waren feige Hallunken! Einen Feldherrn darf man nicht so ehrlos im Stiche lassen! Wußt er, das sie das thun wollten?«

»Er erfuhr es noch zur rechten Zeit.«

»Das wahr gut. Was hat er than?«

»Er ließ sofort alle Schiffe verbrennen.«

»Sappermenten.«

»Nun konnten die Seinigen nicht fliehen. Sie mußten siegen oder sterben, und weil bei ihnen Alles, Alles am Siege hing, so kämpften sie wie Verzweifelte und schlugen den übermächtigen Feind auf das Haupt.«

»Herrlich! Ja dera Feldherr ist ein gar tüchtiger Kerl gewest. Ich hätts auch nicht anders macht.«

»So! Seit jener Zeit ist das nun zum Sprichwort worden. Wann Einer was unternimmt, wobei er nicht mehr rückwärts kann, so sagt er als Vergleich: Ich habe meine Schiffe hinter mir verbrannt – wie jener Feldherr, meint er natürlich. – So hat es auch dera Herr Graf meint.«

Der Sepp machte ein Gesicht wie ein Schulbube, der Prügeln bekommen hat. Dann aber lachte er hell auf.

»So hat dera Herr Grafen gar keine wirklichen Schiffe verbrannt?« fragte er.

»Nein.«

»Himmelsakra! Was bin ich da für ein Dummkopf gewest!«

»Wirst ihn nun anzeigen?«

»Fallt mir nicht ein! Werd mich so riesig blamiren. Wollens mir verzeihen, Herr Oberlieutenant?«

Er hielt ihm die Hand hin. Der Graf ergriff sie zwar nicht, aber er nickte ihm freundlich zu und antwortete:

»Natürlich. Es handelt sich hierbei ja nur um ein Mißverständniß. Ich wollte sagen, daß ich moralisch gezwungen bin, den Samiel zu fangen. Wenn ich mich nicht riesig blamiren will, muß ich ihn entdecken und ergreifen.«

»So machens nur die Augen auf!«

»O, die sind offen.«

»Habens ihn schon sehen?«

»Leider nein. Dann hätt ich ihn auch. Sobald er sich nur sehen läßt vor mir, ist er verloren.«

»Nehmens sich aberst in Acht, daß Sie nicht etwan dera Verlorene sind!«

»Pah! Keine Rede davon! Ich bin Graf und Offizier. Verstanden! Was wird der Samiel sein? Ein Bauer, ein Bürger, ein Handwerker, weiter nichts. Wie will der sich mit Unsereinem messen?«

Da warnte der Blinde:

»Lieber Herr, nehmens ihn nicht so gering! Ich habs mit meinem Augenlicht büßen müssen, daß ich nicht auf seine Warnung hört hab.«

»Pah! Mir soll er nicht in die Augen schießen. Ich habe den gespannten Revolver stets in der Hand. Sobald ich den Kerl erblicke, ist er verloren. Ehe er seine Flinte erhebt, habe ich ihm sechs Kugeln in den Leib gejagt.«

»Wollens wünschen. Ich würd gleich vor Freuden den Armen ein großes Geschenk geben, wann er derwischt würde.«

»So machen Sie das Geld flott! Sie können es bereits in den nächsten Tagen auszahlen.«

»Sinds so gewiß?«

»Ja. Die Schlinge ist ihm bereits gelegt.«

»Aberst ob er den Kopf hinein steckt?«

»Vielleicht steckt er schon darin. Sie braucht nur noch zugezogen zu werden. Ich bin bereit, mit Jedem eine Wette einzugehen, daß ich im Laufe dieser Woche den Kerl fangen werde.«

Er sagte das in einem so auffordernden Tone, daß die Bäuerin sich nicht mehr halten konnte. Sie hatte bisher ruhig zugehört. Jetzt aber sträubte sich ihr Inneres empor.

»Ich möcht fast mit wetten,« sagte sie.

Der Graf schien erst jetzt von ihr Notiz zu nehmen. Er heftete sein Monocle über das Auge, betrachtete sich die Frau genau und antwortete:

»Es ist sonst nicht meine Passion, mit Weibern mich einzulassen; aber eine Wette, die ich ausgeboten habe, nehme ich niemals zurück. Wenn Sie gegen mich setzen wollen, so halte ich Part.«

»Ich bin überzeugt, daß Sie den Samiel gar nicht fangen, viel weniger bereits in dieser Woche!«

Das klang förmlich schroff, fast beleidigend, geringschätzig.

»Donnerwetter!« fuhr der Graf auf. »Halten Sie mich für einen Knaben?«

»Ich habe kein Urtheil über Sie, denn ich kenne Sie nicht. Ueber den Samiel aber haben wir so viel gehört, daß wir ihn beurtheilen können. Er wird sich von Ihnen nicht fangen lassen.«

»Superfein! Das sagt mir eine Frau!«

»Ja, das sage ich. Sie sprechen von einer Schlinge, die Sie ihm gelegt haben. Ich denke, der Samiel ist ein Wild, welches Schlinge sammt Lockung wittert. Er wird sich hüten, den Kopf hineinzustecken.«

»O, meine Falle ist so construirt, daß selbst das schlaueste Wild nichts von ihr merken kann.«

»Das sagen Sie, weil Sie kein Jäger, sondern ein Laie sind.«

Der Graf erhob sich langsam von seinem Sitze. Er fixirte die Bäuerin mit großen Augen und räusperte sich:

»Aeh, äh! Hm! Ich ein Laie?«

»Ja!«

»Wie meinen Sie das? Das ist eine wirkliche Beleidigung!«

»Nein. Sie sind natürlich Soldat?«

»Versteht sich!«

»Aber ein Soldat ist kein Polizist. Der berühmteste Feldherr kann sich vergeblich Mühe geben, einen Einbrecher zu fangen.«

»Hm! Nicht übel! Der berühmteste Feldherr! Könnte mich fast versöhnen mit Ihnen. Aeh, äh! Also ich bin kein Polizist und werde darum den Samiel nicht fangen!«

»Das ist meine Meinung. Ich möchte Ihnen sogar rathen, sich in Acht zu nehmen.«

»Auch noch?«

»Ja. Sie treten zu offen gegen ihn auf. Sie erzählen überall, daß Sie ihn fangen werden. Sie reizen ihn also.«

»Schön! So mag er kommen!«

»Vielleicht wird er das thun, denn Ihr Verhalten ist herausfordernd. Ein Polizist, welcher Erfahrung hat, würde ganz verkleidet hierher kommen und nach ihm forschen, ohne daß Jemand es bemerkt. Sie aber treten so offen auf, als ob es sich nur darum handele, einen Apfel vom Baume zu pflücken.«

»Ich bin Soldat. Ich kämpfe ehrlich!«

»Dann ist er Ihnen eben überlegen. Er kennt seinen Feind und weiß ihn jeder Zeit zu finden. Sie aber suchen vergeblich nach ihm.«

Der Graf fühlte, daß Sie Recht hatte; aber sein Selbstgefühl gab es nicht zu, daß er dies bekannte. Er meinte in wegwerfendem Tone:

»Die Ansichten einer Bauersfrau können natürlich nicht die meinigen sein. Ich werde den Kerl fangen; dabei bleibt es.«

»Und ich behaupte, er fangt Sie eher als Sie ihn.«

»Donnerwetter! Wenn Sie keine Frau wären, würde ich Sie zwingen, mit mir zu wetten.«

»Sie brauchen mich nicht zu zwingen. Ich thue es ungezwungen.«

»Schön! Wie hoch?«

»So hoch Sie wollen.«

Er trat ganz erstaunt vom Tisch zurück. Eine Bauersfrau wagte es, bei gleicher Kasse zu sein wie er. Die mußte er natürlich niederschmettern.

»Um fünftausend Mark?« sagte er.

»Gut; ich stimme bei.«

»Sapperment!« fuhr er auf.

»Kätherl, was thust?« warnte der Bauer. »Wann ichs mir überleg, geb ich Dir Recht. Aberst wer kann wissen, was geschieht! Und so viel! Fünftausend Mark? Wanns noch fünfhundert wären!«

»Nun, Sie sind Ehemann,« sagte der Officier in ironischem Tone. »Sie können Ihrer Frau natürlich verbieten, zu wetten. In diesem Falle erlaube ich ihr großmüthig, zurück zu treten. Es ist für Sie keine Kleinigkeit, fünftausend Mark zu verlieren, während ich mir aus fünf Tausendmarkscheinen einen Fidibus mache, um die Cigarrette anzubrennen.«

Wenn er mit diesen Worten die Absicht verfolgte, den Bauer zu veranlassen, seiner Frau die Wette zu erlauben, so war diese Absicht sofort erreicht. Der Bauer war kein stolzer Mann, aber es gab Punkte, die man bei ihm nicht berühren durfte.

»Wie?« fragte er. »Großmüthig wollens sein? Das ist nicht nöthig. Wann ich auch kein Graf und Offizier bin und wann ich auch den Werth des Geldes so gut kennen thu, daß es mir gar nicht einfallt, einen Fidibus daraus zu machen, so kann ich an eine solche Wette doch recht gut fünftausend Markln riskiren. Wann Sies gewinnen, werden wir sehen, ob Sie wirklich sich damit die Cigarr anzünden. Kätherl, wett also mit!«

»Vortrefflich! Aeh, äh!« hustete der Graf. »Also wetten wir. Aber wie formuliren wir die Bedingung?«

»Sie haben von dieser Woch sprochen,« sagte die Bäuerin.

»Ja, und ich bleib dabei.«

»So ists ja ganz einfach. Fangt dera Samiel Sie, so gewinn ich; fangen Sie ihn, so gewinnen Sie. Das muß aberst in dieser Woch geschehen, von heut ab bis zum Sonnabend.«

»Einverstanden!«

»Und das Geldl wird sogleich hinterlegt!«

Der Graf machte ein verlegenes Gesicht!

»Halten Sie das für nöthig?« fragte er.

»Ja. Bei uns wirds stets so macht, wann man wettet. Ich werd also meine fünftausend Mark herabholen.«

»Hm! Verdammt! Aeh, äh! Man kann natürlich nicht verlangen, daß ich fünftausend Mark baar mit mir herumschleppe!«

Der Bäuerin gab das Spaß.

»So darf man auch nicht wetten,« sagte sie.

»Wie? Was? Mein Wort ist so viel wie Geld.«

»Das versteht sich,« meinte der Sepp. »Aberst weils hier in dieser Gegend so Sitte ist, daß man das Geldl gleich legt, so müssens sich freilich an dieselbige halten.«

»Aber ich habe kaum tausend Mark bei mir.«

»Schadet nix. So paar lumpige Markln kann ich Ihnen schon einstweilen geben.«

Der Graf machte ein Gesicht, wie er es wohl in seinem ganzen Leben noch nicht gemacht hatte.

»Duuuu?« fragte er.

»Ja. Wollens das Geldl von mir annehmen?«

»Ists denn Dein Eigenthum?«

»Freilich! Habs mir zusammenspart und trags stets mit mir umher.«

»Gut! Noth bricht Eisen. Ich werde aber sofort meinen Burschen fortschicken, um zu telegraphiren. Morgen bekommst Du es wieder.«

»Das eilt nicht so sehr. Das hat Zeit.«

»Und einen Schuldschein sollst Du natürlich auch haben.«

»Thuns mich halt nicht beleidigen. Ihr Wort ist mir so viel werth wie dera Schein und das baare Geld. Wollen mal zählen.«

Er öffnete den Rucksack und nahm eine alte Holzschachtel aus demselben. Als er sie öffnete, sahen die Andern, daß sie voller lauter hochwerthiger Banknoten war.

»Sepp!« rief der Graf. »Das ist Alles Dein, Alles?«

»Ja,« nickte der Alte einfach. »So ein kleines Wengerl kann man schon mit sich herumtragen. Das Andere hab ich freilich besser aufhoben.«

Und nun nahm er einen Schein nach dem andern heraus und zählte fünftausend Mark auf den Tisch.

Die Bäuerin nahm sich keine Zeit, sich über den ungeahnten Reichthum des Sepp zu wundern. Sie entfernte sich und kehrte in kurzer Zeit mit der gleichen Summe zurück, welche sie auf den Tisch zählte.

»So, Zehntausend!« sagte der Graf. »Aber wer bekommt das Geld zur Aufbewahrung? Ein Unparteiischer natürlich.«

»Das ist eben nur dera Sepp,« sagte die Bäuerin. »Sinds einverstanden damit, Herr Graf?«

»Ja.«

»Habs mirs denkt!« sagte Sepp und legte die Zehntausend in seine Schachtel, die er dann wieder in den Rucksack steckte.

»Nimms in Acht!« warnte der Graf. »So eine Summe darf nicht verloren gehen. Du müßtest sie ersetzen.«

»Habens nur keine Bangigkeiten! Mir nimmt Niemand einen Pfennig, selbst dera Samiel nicht.«

»Oho!« lachte die Bäuerin.

»Selbst der nicht,« meinte der Alte. »Der sollt sich hüten, mit dem Wurzelseppen anzubinden! Wann er mirs abnehmen will, mag er nur kommen.«

»Komm mit herauf zu mir,« sagte der Graf. »Ich will Dir den Schuldschein ausfertigen.«

»Lassens mich in Ruh von wegen dem Schein! Ich mag keinen!«

»Aber Sicherheit mußt Du doch haben!«

»Ich brauch keine!«

»Und meine Ehre erfordert, daß ich Dir welche gebe. Was thu ich nur? Ach, da habe ich es. Das wird genügen.«

Er zog einen Ring von seinem Finger.

»Hier, nimm diesen Ring. Er ist ein altes kostbares Familienerbstück. Ein Brillant mit Smaragden und Saphiren. Jeder Juwelier giebt Dir sofort zehntausend Mark dafür.«

Der Sepp blickte in diesem Augenblicke nicht auf den Ring sondern auf die Kronenbäuerin. Sie erbleichte und ihre Augen funkelten gierig auf. Aber sofort nahm sie eine gleichgiltige Miene an.

Der Sepp sagte kopfschüttelnd:

»Ich mag auch den Ring nicht. Wenn Sie ausgehen so lassens ihn daheim, sonst wird er Ihnen von dem Samiel geraubt.«

»Wie kannst Du das wissen!«

»Denken kann ichs mir.«

»So willst Du ihn also wirklich nicht?«

»Nein.«

»Hartkopf!« meinte der Graf, indem er den Ring wieder ansteckte.

»Ich thät ihn nicht anstecken in dieser Woch,« meinte der Alte. »Es ist gar so sehr gefährlich.«

»So denkst auch Du, daß ich die Wette verliere?«

»Kann sein.«

»Und ich bin so überzeugt, daß ich sie gewinne, daß ich mir noch eine Flasche Wein kommen lasse, um sie mit Dir auszustechen, alter Sepp. Dann schlafe ich ein Wenig. Um neun Uhr muß ich bereits wieder fort.«

Er pfiff seinem Burschen, welcher im Stalle beschäftigt war, das Pferd zu putzen. Dieser mußte den Wein holen.

Die Bäuerin entfernte sich. Sie ging nach dem Hofe und dann in den Pferdestall. Auf der Streu lag eine menschliche Gestalt, in eine alte Decke gewickelt.

»Bastian!« sagte sie leise.

Obgleich sie den Namen nur ganz leise ausgesprochen hatte, schnellte sich der Bursche von der Streu auf und stand augenblicklich neben ihr.

»Schnell hinauf!«

Der Knecht verschwand aus dem Stalle. Sie ging auch hinaus, langsam, mit der Miene einer Bauersfrau, welche nachsieht, ob sich Alles in Ordnung befindet. So schlenderte sie über den Hof hinüber, trat in das Haus und stieg die Treppe hinauf. Vor ihrer Thür stand bereits der Knecht.

»Bist sehen worden?« fragte sie.

Er schüttelte den Kopf.

Sie öffnete und verschloß die Thür dann wieder, als sie eingetreten waren.

»Was macht der Offiziersbursche jetzt?« fragte sie.

»Er wurde rufen.«

»Vorher?«

»Striegelt er den Gaul.«

»Wie lange wird er noch zubringen?«

»Eine halbe Stunden.«

Der Knecht gab so richtige und deutliche Antworten und stand doch mit der vollständigen Miene und Haltung eines Blödsinnigen vor ihr.

Er war selten zu einer Antwort zu bringen, und wenn er sie gab, so war sie unverständlich, daß man das Meiste errathen mußte. Er galt für ganz und gar geistesschwach, besaß aber wahrhaft riesige Körperkräfte.

Seine hervorragendste Eigenschaft war Häßlichkeit. Selbst wenn er im Besitze seiner Geisteskräfte gewesen wäre, hätte seine Häßlichkeit dadurch nur wenig verbessert werden können.

Kurze Beine und lange Arme wie ein Affe, zurücktretende Stirn und ein überweit vorgeschobenes Gebiß; große Ohren, rothstruppiges Haar, eine kleine, häßliche Stumpfnase und tiefliegende, triefige Schweinsaugen. So war der Kerl beschaffen. Und dazu paßte sein Anzug, welcher aus lauter zusammengeflickten Fetzen bestand.

Es war zum Erbarmen, diesen Menschen zu sehen. Und doch – –!

»Nimm den Krätzer! Wir müssen dem Grafen die vollen Patronen aus den Revolvern nehmen und taube dafür hineinstecken.«

Da gewannen seine Züge Leben und Bewegung. Er öffnete einen an der Mitte der Wand stehenden Schrank, welcher voller Kleider hing, kroch hinein und verschwand.

Die Bäuerin folgte ihm. Der Schrank hatte keine Rückwand. Aus ihm trat man in einen fensterlosen, dunkeln Raum, jedenfalls das »Kabinet«, von welchem der Baumeister gesprochen hatten Ein leises Klirren ließ sich hören.

»Hast ihn?« fragte sie leise.

»Ja. Alles!«

Nun trat sie an die Gegenwand. Dort gab es zahlreiche, kleine Löcherchen, welche jenseits durch das Muster der Tapeten maskirt waren. Die Bäuerin blickte hindurch.

»Es ist Niemand in dera Schlafstuben. Mach aufi!« flüsterte sie.

Ein leises, fast unhörbares Rauschen ließ sich hören. Es wurde hell. Jenseits im Schlafzimmer des Grafen stand ein Ofen an der Wand. Dieser Ofen trat zurück, auf Gummirädern rollend, die man drüben nicht bemerken konnte, da der Sockel des Ofens stehen blieb.

Jetzt traten die Beiden in die Schlafstube. Der Knecht huschte mit der Schnelligkeit und Behendigkeit einer Katze nach der anderen Thür, welche zum Wohnzimmer führte, trat hinein und kam wieder zurück, die zwei geladenen Revolver des Grafen in der Hand.

»Sind wir sicher?« fragte sie.

»Ja.«

»Hast genau nachsehen?«

»Von da drin aus sieht man Alles. Der Graf sitzt unter dem Baum und trinkt, und der Bursche ist wieder im Stall.«

Es war wunderbar, wie der Ausdruck seines Gesichtes sich verändert hatte. Aus seinen Augen leuchtete das klarste Verständniß. Seine Wangen rötheten sich. Es war, als ob der Blick der Bäuerin, ihr Wille allein ihn aus einem niederen Wesen in ein höheres verwandeln könne.

Und wie schnell hatte er die Arbeit vollendet. Nicht eine Minute hatte er gebraucht. Dann legte er die kleinen Waffen wieder hinaus auf den Tisch.

Sie kehrten auf demselben Wege, auf welchem sie gekommen waren, wieder nach dem Schlafzimmer der Bäuerin zurück. Der Ofen rückte wieder an seine Stelle. Niemand konnte bemerken, daß Jemand dagewesen sei.

Die Bäuerin setzte sich auf einen Lehnstuhl, welcher unweit des Fensters stand. Der Knecht schob ein Fußbänkchen hin, aber nicht, damit sie die Füße darauf stützen solle, sondern er setzte sich darauf, legte den Ellbogen in den Schooß der schönen Frau und stemmte seinen Kopf auf die Hand.

So saßen sie ganz in derselben Stellung, wie ein Kind sich zu den Füßen einer geliebten Mutter niederläßt.

Die Augen des Blödsinnigen strahlten jetzt förmlich vor Liebe und Wonne. Er blickte erwartungsvoll zu ihr auf.

»Bastian,« sagte sie in leisem Tone, »kannst Du den Grafen leiden?«

Er schüttelte den Kopf.

»Warum nicht?«

»Er will Dich fangen.«

»Ja. Wird er mich bekommen?«

»Nein. Lieber sterbe ich!«

Sie legte ihm die Hand auf das wirre, rothe Haar. Ein wonniges Zittern durchlief seinen Körper. Er holte tief und laut Athem, fast schnurrend, wie eine gestreichelte Katze.

»Ich habe mit ihm gewettet,« sagte sie.

»Was?«

»Er will mich in dieser Woche fangen.«

»So fangen wir ihn!«

Das kam im verächtlichsten Tone hervor.

»Das will ich auch.«

»Wann soll dies geschehen?«

»Heute noch.«

»Ich freue mich darauf.«

»Um neun Uhr geht er fort, nach der Försterei zu. Du kannst die Anzüge besorgen.«

»Machen wir ihn todt?«

»Nein. Er soll leben bleiben.«

»Aber einen Hieb auf den Kopf?«

»Ja. Er muß besinnungslos werden.«

»So nehmen wir den Todtschläger mit. Wie hoch ist die Wette?«

»Fünftausend Mark.«

Die Höhe dieser Summe machte nicht den mindesten Eindruck auf ihn. Sein Gesicht veränderte sich ebenso wenig als ob sie gesagt hätte einen Pfennig.

»Du bekommst auch Etwas davon,« sagte sie.

»Ich mag nichts.«

»Wenigstens hundert Mark.«

»Ich mag aber nichts!«

Das klang beinahe zornig.

»Aber Du mußt doch auch einmal ein Geldl haben!«

»Ich mag nichts, gar nichts als nur Dich! Komm her!«

Er griff mit den langen Armen nach ihr empor, zog ihren Kopf abwärts und küßte sie. In der Stellung, welche ihr Oberkörper dabei einnahm, kam ihr voller Busen in seine Nähe. Er fühlte die Wärme desselben. Seine Augen schlossen sich. Dann blinzelten sie unter den halb offenen Lidern hervor auf die Schönheit die ihn entzückte. Er schnellte auf, riß auch die Bäuerin mit riesiger Kraft vom Stuhle empor, warf die Arme um sie und preßte sie an sich, daß sie hätte um Hilfe schreien mögen.

Das ganz Thierische, Sinnliche seines Wesens war erwacht. Er gab ihr Kuß um Kuß. Mit einem Arme hielt er sie umschlungen und mit der andern Hand war er bemüht, in ihre Geheimnisse einzudringen. Sie wehrte ihm nicht. Sie wußte, daß sie durch die Gegenwehr ihn wie wahnsinnig machen würde. So hing dieses abscheuliche, häßliche, in diesem Augenblicke vollständig viehische Wesen an der schönen Frau. Die Bäuerin wußte den Blödsinnigen zu behandeln. Als er ihr zu lästig, wurde, sagte sie:

»Den Förster besuchen wir auch.«

Er ließ augenblicklich von ihr ab, starrte sie wie abwesend an und antwortete nicht. Seine Augen waren mit Blut unterlaufen. Seine Augen waren ausdruckslos.

»Hörst mich nicht?« fragte sie.

Er antwortete nicht.

»Bastian!«

Ein leises, heißeres Knurren ließ er hören, sonst nichts.

Da führte sie ihn nach dem Fußbänkchen zurück, setzte ihn nieder, nahm wieder auf dem Stuhle Platz und begann seinen Kopf zu streicheln.

Er vergrub sein Gesicht wie ein Kind in ihrem Schooße.

»Bastian, hörst mich?« fragte sie nach einer Weile.

»Ja,« antwortete er jetzt, aber ohne den Kopf zu erheben.

»Schau mich an!«

Jetzt blickte er langsam zu ihr empor.

»Hast mich lieb?« fragte sie.

Er fletschte die Zahne wie ein Raubthier, knirrschte sie aneinander, ballte die Fäuste und antwortete:

»So sehr, so sehr! Wer Dich nicht lieb hat, der muß sterben.«

»Hast Du auch den Förster lieb?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil er Dir gut ist.«

»Aber er will mich zur Frau.«

Sofort nahm sein Gesicht einen drohenden Ausdruck an.

»Du, seine Frau? Du mußt die meinige werden. Soll ich ihn erschlagen?«

»Nein.«

»Warum nicht? Bist Du ihm etwa gut?«

»Fällt mir nicht ein.«

»So kannst Du mir auch erlauben, ihn zu tödten.«

»Später. Jetzt noch nicht.«

»Wie Du willst.«

»Aber heut strafen wir ihn.«

»So! Das freut mich.«

»Wir nehmen ihm viel, viel Geld.«

»Bin ich dabei?«

»Ja. Du mußt von zwei Uhr an unter den jungen Fichten liegen, welche grad gegenüber vom Forsthaus stehen.«

»Was bringe ich mit?«

»Die Anzüge und die Leiter.«

»Weiter nichts?«

»Wir brauchen nichts weiter.«

Er blickte vor sich hin. Es war ihm anzusehen, daß er die erhaltenen Befehle im Stillen wiederholte und sich die Bedeutung derselben klar zu machen suchte. Dann sagte er:

»Nun weiß ich Alles.«

»Wirst Du keinen Fehler machen?«

»Nein. Ich thue Alles! Aber ich muß auch wissen, daß Du meine Frau werden willst.«

»Ich habs Dir ja versprochen.«

»Wirst Du es halten?«

»Ja.«

»Dann kaufe ich mir Sammethosen und einen neuen Hut und geh mit Dir spazieren. Und wer uns ein schlecht Gesicht macht, den bringen wir des Nachts um!«

Es war klar. All sein Sinnen und Denken war auf Zweierlei gerichtet – auf die Liebe zur Bäuerin und auf die verbrecherischen Thaten des Samiel.

Wer hätte denken können, daß der Samiel, von dem man als gewiß annahm, daß er eine ganze Bande befehlige, ein Weib sei, welches nur unter der Mithilfe eines neun Zehntel blödsinnigen Menschen ihre Thaten ausführte!

Nach einiger Zeit ließ sie den Knecht wieder herab. Er schlich sich ungesehen in den Stall. Sie ging in die Küche und trat dann hinaus vor die Thür. Ihr Mann saß noch immer auf demselben Ort, aber allein.

Sie ging zu ihm und setzte sich nieder, aber nicht neben ihm wie vorher, sondern ihm gegenüber.

»Wo ist dera Fritz?« fragte sie.

»Er ist mit dem Sepp ins Wirthshaus. Sie wollen dort von dera Wette erzählen. Ich wollts ihnen verbieten.«

»Warum?«

»Weils nix nützen kann, wann es so publik wird.«

»Aberst schaden kanns auch nix.«

»Meinswegen. Vielleichten gewinnst.«

»Auf jeden Fall!«

»Da hast freilich eine gute Hoffnung. Es ist fast, als obst den Samiel kennen thätst. Wann man Dir zuhört, so ists ganz so.«

Sie erschrak. Sie hatte doch vielleicht einen Fehler begangen, auf die Wette mit einzugehen.

»Ja,« lachte sie. »Wann ich den kennen thät! Was thät da mit ihm geschehen!«

»Nun, was?«

»Er bekäme einen Lohn, wie er ihn verdient hat.«

»Thätst ihn anzeigen?«

»Das könnt mir nicht einfallen.«

»Nicht? Du müßtest doch!«

»Nein, ich thät nicht müssen, denn wann ich ihn entdecken thät, so würde ich es keinem Menschen sagen.«

»Du ließest ihn also fort wirthschaften?«

»Was denkst von mir. Ich thät mit ihm ins Gericht gehen. Und wie!«

»Man darf der Obrigkeit nicht vorgreifen!«

»Wie kannst nur Dieses sagen! Welche Straf thät er bekommen, wann man ihn fangen thät?«

»Den Tod oder lebenslang Zuchthaus.«

»Ist das genug?«

»Ich möchts meinen.«

»Leidet er da, was Du litten hast?«

»Nein. Wird er hinrichtet, so ist er schnell weg und ohne Schmerzen. Kommt er ins Zuchthaus, so hat er seine Wohnung, Kleidung und Nahrung, seine Arbeit und Ordnung ganz wie ein Anderer und vielleicht noch besser als ein ehrlicher Mann. Das ist keine Straf.«

»Also siehsts selber ein, daß es besser ist, sich selbst zu rächen. Wann ich es heraus bekam, wer dera Samiel ist, so müßt er zunächst blind werden.«

»Kätherl!« rief der Bauer aus.

»Ja, gewiß! Ich thät ihm ebenso das Pulver in die Augen schießen, wie er es bei Dir macht hat.«

»Um Gotteswillen. Das darf und kann ich nicht hören!«

»O, er müßt grad das ausstehen, was Du ausstanden hast und – ich dazu.«

Er seufzte, schwieg aber.

»Was holst Athem?« fragte sie. »Meinst wohl, daß ichs immer nur so gut habt hab grad wie im Himmel?«

»Besser hasts habt als ich.«

»Ja, ein Wengerl. Daß ich das Augenlicht hab; das ist Alles. Du hasts mit Deiner Blindheit auch fast gut.«

»Na, ich dank gar schön! Da soll die Blindheiten auf einmal gut sein!«

»Nun, ists nicht wahr?«

»Nein.«

»Brauchst nicht zu arbeiten.«

»Soll das ein Glück sein? O, wann ich arbeiten könnt wie vorher, ich wollt dem Herrgott stündlich dafür auf denen Knieen danken.«

»Für wen wolltst Dich schinden?«

»Das kannst Dir denken!«

»Ja, für den Deinigen, nicht aberst für die Frau!«

»Auch für die Frau, denn sie ist doch die Mutter.«

»Es wäre damals vielleicht besser gewest, ich hätt den Buben nicht in das Eisenbahncoupée than.«

»Was denn?«

»Besser wärs, wann er todt gewest wär.«

»Kätherl! Herrgott! Willst gar eine Mörderin sein!«

»Das hab ich nicht sagt. Ich hab nur meint, daß er ein kränklicher Bub war, der gar leicht sterben konnt.«

»Dann hätten wir jetzunder keinen.«

»Nun, ich weiß nicht, ob es ein Glück ist, daßt ihn haßt. Für mich ists keins.«

»Das merk ich wohl.«

»Es giebt gar vielen Aerger dabei. Besonders wannst so Hand in Hand mit ihm da sitzest und ihm die Händen streichelst. Was soll er davon denken! Es wäre besser west, wannst ihn in Chrudim lassen hättest beim Wagenschieber, wo sie ihn erzogen haben. Was thun wir mit ihm?«

»Was wir müssen!«

»Das ist unmöglich.«

»O, doch nicht!«

»Doch! Unser Kind kann und darf er niemals sein. Um beweisen zu können, daß er es ist, müßten wir verzählen, daß wir ihn nach Böhmen schafft haben um ihn los zu werden. Nachhero hasts bereut und ihn als Knecht wieder heimholt.«

»Reden wir lieber nicht darüber.«

»Ja, hast Recht. Es ist ein jeder Knoten zu öffnen, warum nicht auch dieser! Wir wollen uns nur gedulden und die richtige Zeit derwarten.«

Unter dieser richtigen Zeit verstand sie den Todestag ihres Mannes, welcher jetzt vor ihr saß, herzlich befriedigt davon, daß seine Frau endlich einmal mit ihm sprach. Sie hatte, ohne es zu ahnen, sich selbst das Urtheil gefällt, als sie sagte, daß sie den Samiel blind schießen werde.

Der Sepp war, wie bereits erwähnt, mit Fritz in das Wirthshaus gegangen. Er hatte es dem Alten zu Gefallen gethan, um ihm eine Freude zu machen.

Als sie dort anlangten, sahen sie, daß der Rollwagen des Baumeisters noch dastand.

»So ist er wahrhaftig hier einkehrt,« sagte der Sepp. »Nun möcht ich wissen, ob er es denen Leutln sagt hat, daß die Bäuerin die Unschuldige ist.«

»Das werden wir sehr bald derfahren. Horch, da hör ich schon seins Stimm. Er hält bereits wiederum eine Red.«

Er klinkte die Thüre auf und blickte durch die Lücke hinein. Die Stube war ziemlich gefüllt, weil es Sonntag war. An dem großen, runden Tische saßen die Wohlhabendsten des Dorfes, bei ihnen der Baumeister. Er schien bereits einen kleinen Rausch zu haben und befand sich mitten in einer Erzählung.

»Schön ist sie; das muß man zugeben, schön wie eine griechische Göttin, besonders wenn sie sich entkleidet hat,« sagte er.

»Hast sie denn so sehen?« fragte Einer.

»Natürlich! Viele Male. Wenn das der alte, blinde Kronenbauer wüßte, daß ich seine Stelle bei seiner Frau vertreten – – –«

Er kam nicht weiter. Fritz hatte genug gehört. Er öffnete die Thür weit, war mit einigen raschen Schritten bei dem Verleumder und gab demselben eine Ohrfeige, daß er vom Stuhle flog.

»Ah, dera Fritz, und dera Wurzelsepp,« rief es allüberall. »Willkommen Fritz! Willkommen Sepp! Läßt Dich auch mal sehen!«

»Still!« rief der Knecht. »Ihr könnt den Sepp nachhero auch begrüßen. Erst muß – – – sakra, wo ist denn dieser Herr Baumeistern hin? Hinaus kann er doch noch nicht sein.«

»Da neben dem Kanapee hat er sich hinter die Seitenlehne niedersteckt,« lachte Einer, indem er nach dem Kanapee zeigte.

Fritz ging hin. Da kauerte der Baumeister, zitternd vor Angst.

»Komm mal vor, Du Lodrian!« sagte der Knecht, indem er ihn nach dem runden Tische zerrte. »Was hast hier verzählt?«

»Was soll ich erzählt haben,« sagte er.

»Wir haben von der Politik gesprochen.«

»Das ist eine Lüge,« fiel ein Gast ein. »Er hat nur immer von der Kronenbäuerin erzählt.«

»Was?«

»Daß er vorhin wieder auf dem Hof gewesen ist.«

»Das ist wahr.«

»Daß er da mit ihr nach ihrer Schlafstube ist.«

»Auch das kann wahr sein, denn sie hat ihn im ganzen Gebäud herumführen mußt.«

»Und daß – daß – na, das Andere kannst dazu denken. Wanns wahr ist, was er sagt, so ist die Bäurin ein Weib, welches man anspucken muß.«

»Obs wahr ist, das sollt Ihr gleich hören und sehen. Gebt mal einen Stuhl herbei.«

Der Stuhl wurde gebracht. Der Baumeister hatte seine Peitsche mit herein in die Schänkstube gebracht und da an die Wand gehängt. Fritz sah sie und nahm sie herunter. Dann sagte er zu dem wie ein Verbrecher sein Urtheil erwartenden Menschen:

»Steig aufi auf den Stuhl!«

Der Aufgeforderte zögerte, zu gehorchen.

»Steig aufi, sag ich Dir, sonst helf ich mit dera Peitschen nach!«

Jetzt stieg er auf den Stuhl. Es herrschte tiefe Stille in der Stube.

»Jetzunder antwortest mir auf jede Frage der Wahrheit gemäß! Wannst keine Antwort giebst oder eine falsche, bekommst die Peitsche!«

»Laß mich doch lieber herunter! Laß mich fort!« bat der Geängstigte.

»Ja, fort kannst, aberst erst dann, wannst beichtet hast.«

Und sich zu dem Publikum wendend, erklärte er:

»Nämlich Alles, was er sagt, ist Lüg. Er hat erst vorhin bei uns um Verzeihung bitten mußt. Er hat uns auch versprechen mußt, hier die Wahrheit zu verzählen, damit die Bäuerin gerechtfertigt sei. Statt dessen, macht er sie hier abermals schlecht. Da helfen weder gute Worten noch Ohrfeigen. Da hilfts nur, daß er an den Pranger stellt wird, damit eine jede Frau derfährt, daß sie sich vor ihm zu hüten hat. Also, Baumeister, antwort! Hast vorhin bei uns abbeten mußt?«

Er antwortete nicht, erhielt aber sofort einen Hieb, daß er mit beiden Beinen in die Luft sprang und rief:

»Au! Verflucht! Ja, ich habe abgebeten.«

»Hast zugestanden, daß es Lügen sind?«

»Ja.«

»Hast die Bäurin mal so sehen, wie Du vorhin sagtest?«

»Wie denn?«

»Nun, wie eine Göttin?«

»Hm!«

Da pfiff die Peitsche durch die Luft.

»Donnerwetter! Nein, ich habe sie nicht so gesehen.«

»Bist in ihrer Kammer gewest des Nachts?«

»Ja.«

»War ein Frauenzimmer drin?«

»Ja.«

»Wer war es?«

»Die – die – die – –«

»Na, heraus damit! Sonst kommt die Peitsch!«

»Die – die Christel.«

Ein allgemeines, unbeschreibliches Hallo brach los. Als dann Fritz das Uebrige erklärt hatte, wurde der Baumeister hinausgeworfen und erhielt den Rath, sich niemals wieder sehen zu lassen.

Nun trat wieder Ruhe ein. Der alte Sepp, welcher Allen willkommen war, mußte erzählen. So verging die Zeit, und es war nahe zur Dämmerung, als die Beiden heimkehrten.

Aber sie gingen nicht direct nach Hause. Als sie die Stelle erreichten, wo sich der Steig empor nach der Capelle wendet, lenkte der Sepp nach demselben ein.

»Wo willst hin?« fragte Fritz.

»Nicht weit fort. Nur bis ans Gebüsch, um uns dort niederzusetzen.«

»Warum das?«

»Weil ich gern ein Wengerl mit Dir plaudern möcht.«

»Können wir das nicht auch daheim?«

»Nicht so gut wie hier. Hier werden wir nicht gestört und auch nicht belauscht.«

Der Knecht wußte, daß der Sepp niemals Etwas ohne Absicht that; darum folgte er ihm, ziemlich gespannt auf das, was er jetzt hören werde.

Sie setzten sich da, wo sie den Kronenhof vor den Augen hatten, auf einen Grummetschober nieder. Dann sagte der Sepp:

»Fritz, ich kenne Dich nun bereits seit einer sehr langen Zeit, viel länger, alst denkst. Als ich Dich zum ersten Male schaut, da warst ein Huschibuschi mit dem Zulpen im Maul. Von da an hab ich Dich nie wieder aus den Augen lassen.«

»Wie ist das möglich? Du mußt Dich irren!«

»Nein.«

»Wie kannst mich kannt haben, als ich so klein war? Ich bin doch als großer Bub nach Kapellendorf kommen.«

»Vorher hab ich Dich sehen.«

»Wo?«

»In Chrudim.«

»Da hättst mich auch bereits sehen?«

»O, sogar noch früher.«

»Wast sagst!«

»Bei Deinem Vater und Deiner Mutter.«

Der Knecht sprang aus dem Grummet auf.

»Sepp, meine Eltern kennst?« rief er.

»Schrei nicht so!« warnte der Sepp. »Wir brauchen keinen Lauscher. Setz Dich niedern und bleib ruhig!«

»Da soll man ruhig bleiben!«

»Ich bin doch auch ruhig!«

»Ja, Du.«

»Oho! Ich, ich könnt nun auch bald mal aus dera Haut fahren. Ich hab in letzter Zeit nix Anderes zu thun habt, als Eltern ihre Kinder und Kindern ihre Eltern oder Geschwistern ihre Geschwister zurückzubringen. Das halt dera Teuxel aus. Der Allerletzt, zu dem ich komme, der bist halt Du.«

»Sepp, ich bitt Dich, mach keine lange Red! Lebt mein Vätern noch?«

»Ja.«

»Meine Mutter?«

»Nein.«

»Gott sei Dank!«

»Was, Gott sei Dank?«

»Ich hab keine Lust, sie kennen zu lernen.«

»Da bist ja ein sauberer Bub!«

»Hab auch saubere Eltern habt! Sie haben mich hinausworfen in die Welt und sich nimmer um mich kümmert.«

»Meinst? Da irrst Dich gewaltig. Deine Mutter hat sich um Dich zu Tode härmt. Sie ist storben aus Liebe zu Dir.«

»Was? Ists wahr?«

»Ja, das werd ich Dir verzählen.«

»So mach schnell!«

»Und Dein Vater hat sich um Dich kümmert und nach Dir schaut, so lange er Augen habt hat, und noch darüber hinaus.«

»Sepp, Du kommst mir so plötzlich. Du hast mich kannt von Kindesbeinen an und hast doch nie was sagt. Warum beginnst jetzt, grad heut?«

»Weil ich denk, daß die Zeit da ist, in der ich reden muß.«

»Weiß es mein Vatern?«

»Nein. Dera weiß gar nicht, daß ich Dich kennen thu.«

»So ist wohl plötzlich was geschehen?«

»Ja, heut.«

»Was Böses?«

»Was Gutes nicht.«

»Um Gotteswillen! Was ists?«

»Für Dich ists ein sehr Böses; für Andere aberst ein sehr Gutes. Ich habe nämlich heut – –« er blickte sich vorsichtig um und fuhr dann fort: »den Samiel entdeckt.«

»Bist nicht gescheidt!«

»Ich bin grad gescheidt, sonst hätt ich ihn nicht entdeckt.«

»Und hat das was mit mir zu thun?«

»Ja, sehr viel.«

»Erkläre Dich! Du machst mir Angst!«

»Kannst dennoch ruhig sein. Eigentlich ists doch auch ein Glück. Freilich ists stets eine traurige Sachen, wann ein so reich begnadetes Menschenleben dera Sünd anheimfällt und an ihr zu Grunde geht. Wann ich Dich jetzt frag, wast nicht gleich verstehst, so wirsts dann bald begreifen. Vor allen Dingen aberst muß ich Dich bitten, aufrichtig mit mir zu sein. Willst, Fritz?«

»Ja.«

»Grad so, als ob ich Dein Vatern wär?«

»Ja, grad so.«

»So sag mir vor allen Dingen mal, obst die Kronenbäuerin für schön hältst.«

»Ja. Sie ist wohl sehr schön.«

»Das ist wahr. Könntest ihr so gut sein, wie man einem Dirndl gut ist, welches man heirathen will?«

»Nein.«

»Gewiß und wirklich nicht?«

»Nein.«

»Gott sei Dank! Das ist meine Angst gewest.«

»Daß ich mich in sie verlieben könnt?«

»Ja.«

»Das kann mir nicht einfallen. Sie hat mir trotz ihrer Schönheit immer eine Furcht und Scheu einflößt.«

»Das hat dera Herrgott than. Nun aber sag auch, ob sie nicht vielleicht wünscht hat, daßt ihr Liebster sein sollst!«

»Ja, das hat sie.«

»Hab mirs doch denkt! Sie hat da einen Plan, der ein wahrhaft gottloser, ein haarsträubend gottloser ist. Wann hat sie das than?«

»Heut zum ersten Male.«

»So! Droben bei dera Capellen?«

»Ja.«

»Hab es mir denkt, als sie Dich hinauf befohlen hat. Ist die Red nur von Liebe gewest oder auch vom Heirathen?«

»Vom Heirathen.«

»Ganz richtig. Erst hat sie Dich haßt, und nun liebt sie Dich so sehr, daß sie Dich zum Mann haben will. Ich bin froh, daß sie Dir da nicht schon längst gefährlich worden ist.«

»Die? Könnt mir gar niemals gefährlich werden.«

»Hast wohl eine Andere?«

Fritz erröthete, antwortete aber aufrichtig:

»Lieb hab ich eine; aberst ob sie auch mich liebt, das ist noch eine Frag!«

»Wer ists? Darf ichs wissen?«

»Die Martha beim Förster!«

»Du, da geb ich Dir meinen Segen dazu. Die ist nicht nur das allerschönst Dirndl rundum, sondern auch eine gar Brave. Da halt Dich dazu. Da es so steht, wird mir das Herz immer leichter. Soll ich mal den Freiwerber machen?«

»Nein, Sepp. Ich muß mit ihr sprechen. Und – eine Frau nehmen kann ich doch jetzt noch lange nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ein armer Kerlen bin. Ich hab mir zwar was spart, aber bis es langt, um was zu pachten, da müssen noch sechs, acht Jahren vorüber.«

»Wanns das ist, da red in Gottes Namen mit dera Martha. Du bist ein reicher Bub.«

»Ich? Machst doch nur Spaß?«

»Nein. Dein Vatern ist ein steinreicher Mann.«

»Ists möglich!«

»Freilich! Ich kenn ihn ganz genau.«

»Wo wohnt er? Dort drüben im Böhmen?«

»O nein, sondern hierüben.«

»Weit?«

»Nicht gar sehr weit von hier.«

»Aberst, wann er so reich ist, warum hat er mich fortgeben?«

»Das hat er nicht than.«

»O ja! Die Eltern müssen mich fortthan haben. In der Eisenbahn laßt kein Vatern oder Muttern ein Kind nur aus Versehen liegen.«

»Das ist wahr. Ich werd es Dir verzählen. Weißt, ich war sehr oft bei den Deinigen Eltern. Ich war ihnen stets willkommen, denn so bald ich kam, war dera Frieden im Haus.«

»Sonst nicht?«

»Nein. Deine Eltern lebten sehr bös mit nander, mehr als wie Hund und Katz. Sie waren gezwungen west, sich zu heirathen, obgleich sie sich haßten. Dein Vatern war ein braver Mann, aberst er wollt gern eine schöne Frauen haben. Deine Muttern war eine Sibylle und Xantippe, die schmutziger als die niedrigste Magd im Haus herumlief und sich keine Mühe gab, ihrem Manne zu Gefallen zu sein. Ists ein Wunder, daß sie ihm jetzunder nun ganz und gar zum Ekel ward?«

»Nein, gewiß nicht.«

»So wirst ihn auch nachhero milder beurtheilen. Du warst ihr einziges Kind, und ich hab Dich auch damals schon auf meinen Armen habt. Du warst und bist nach dem Vatern gerathen. Von dera Muttern aberst hast nix an Dir. Um dieselbige Zeit kam eine Verwandte ins Haus, ein gar junges Ding, aberst eitel, bildsauber, gefallsüchtig, ohne Gewissen und blutarm. So jung sie war, hat sie doch schon rechnen konnt und es auf einen reichen Mann absehen habt. Ich hab sie dort kannt und beobachtet, und sie hat mir niemals gefallen. Darauf bin ich lange Zeit nicht hinkommen; aberst bald, als ich zum letzten Male da gewest war, lief ich drüben im Böhmen herum und kam auch nach Pardubitz. Wen fand ich da im Bahnhofe? Die Verwandte.«

»Sie kannte Dich?«

»Natürlich. Ich bin sogleich zu ihr gangen. Sie hatte ein Kind bei sich, aberst fest verwickelt, so daß man das Gesichten nicht sehen konnt.«

»Ich errathe es. Das bin ich gewest.«

»Ja, Du warst es. Ich hab mir ein paar Worte mit ihr sprochen und bin dann gangen. Zufälliger Weise hats mir sagt, daß sie nach Chrudim fahren will.«

»Hast sie denn nicht fragt, was für ein Kind sie hat?«

»Ja. Das ihrige könnts freilich nicht sein. Sie hat sagt, daß es einer Base gehört, der sie es bringen muß. Nachhero, nach einer abermaligen Zeit, komm ich zu den Deinigen Eltern und hör, daßt raubt worden seist.«

»Raubt und von wem?«

»Von Zigeunern.«

»Grad wie dem Kronenbauern sein Sohn!«

»Ja, fast grad so. Es waren Zigeunern da gewest, und als sie fort waren, warst auch Du fort. In einigen Dörfern, wo Nachfrag halten wurde, hatten manche Leutln Dich sehen. Das ist aberst nicht wahr gewest.«

»Du meinst, daß die Verwandte mich heimlich fortschafft hat?«

»Ja.«

»Das hast Dir gleich damals denkt?«

»O nein. Wie hätt ich das denken konnt? Ich hab nicht wußt, daßt verschwunden warst grad zu derjenigen Zeit, an welcher ich sie mit dem Kinde troffen hatte. Auch konnt ich ihr eine solche Schlechtigkeiten gar nicht zutrauen.«

»Was haben meine Eltern sagt?«

»Die kränkten sich gar sehr. Deine Muttern, die immer kränklich war, hats sich so zu Herzen nommen, daß sie nachhero storben ist.«

»Und der Vatern?«

»Der hat viel und lange nach Dir suchen lassen und sich nachhero die zweite Frau nommen.«

»Wohl die Verwandte?«

»Ja.«

»Beinahe grad wie bei meinem Kronenbauern, nur daß diese zweite Frauen die Mündel gewest ist.«

»So ists!« nickte der Sepp.

»Habens denn glücklich lebt?«

»Erst ja, dann aberst bald nicht mehr. Da bin ich wieder mal im Böhmen gewest und nach Chrudim kommen. Ich hab ein Bier trunken mit Einem, der an dera Bahn anstellt war. Bei dem war sein kleiner Bub. Dieser ist mir auffallen, denn er hat grad so eine Narben an dera Stirn habt wie Du.«

»Hat ich eine?«

»Ja. Du warst mal von einer unvorsichtigen Magd tragen worden und hattst Dich an einen Nagel stoßen. Das gab eine tiefe Wunde, die nur schwer vernarben wollt. Also dieser kleine Bub hat auch so eine Narbe an ganz derselbigen Stelle, nur wars fast ganz verheilt. Ich fragt den Mann, wie der Bub dazu kommen sei, aberst er hats nicht wußt, weil dera Bub ein Findelkind sei, und er war nur dera Pflegevatern.«

»Ach, so war ich dera Bub?«

»Ja.«

»Aberst ich kann mich nicht besinnen, daß ich Dich in Chrudim sehen hab.«

»Das war nur eine Viertelstunden lang, und Du warst noch sehr klein. Dera Pflegevatern hat mir verzählt, wie Du im Bahnwagen funden worden bist. Das Bettchen ist noch da gewest, und als ich es mir ansehen hab, da hab ich sogleich schaut, daß es ganz dasselbige sei, was damals die junge Verwandte in denen Armen trug.«

»Das ist ein großer Zufall!«

»Ja. Auch zufälliger Weis hab ich noch ganz genau wußt, an welchem Datum ich sie in Pardubitz troffen hab. Auf dera Bahn in Chrudim hat man sich auch den Tag aufschrieben, und das hat so Alles ganz genau zusammenstimmt.«

»Was hast da than?«

»Was sollt ich thun? Gings mich eigentlich was an?«

»Natürlich!«

»Oho! Diejenige, welche Dich im Bahnwagen verlassen hatte, war die zweite Frau Deines Vaters worden. Konnt ich da nicht denken, daß er einverstanden gewest sei?«

»Vielleicht. Aberst auch dann hättest ihn zwingen sollt, mich zu sich zu nehmen!«

»Nun, ich hab nicht Sturm laufen wollt. Zunächst hab ich mich derkundigt, ob er Freud haben werd, wann er sein verlorenes Kind wiederfinden thät. Er hat sagt, daß er ganz glücklich sein thät. Dann hab ich ihm sagt, daß ich es weiß. Und endlich hat er Alles derfahren.«

»Ah! Was hat er than. Warum hat er mich nicht sofort holen lassen?«

»War das möglich?«

»Natürlich! Warum sollt es nicht?«

»Weil es herauskommen wär, daß Deine Stiefmutter die Kindesräuberin war. Sie wär wohl aufs Zuchthaus kommen.«

»Also sie war die Zigeunerin!«

»Ja. Was nun zwischen Deinem Vatern und Deiner Stiefmuttern vorkommen ist, das weiß ich nicht; aberst denken kann ich es mir, daß er sie sehr lieb habt hat, weils sie sehr schön war, und daß er sie nicht hat unglücklich machen wollt. Darum hat er Dich einstweilen noch in Chrudim lassen und Alles für Dich zahlt.«

»So hat er sich wegen dera Stiefmuttern schwer an mir versündigt. Sind denn weitere Kinder vorhanden?«

»Nein.«

»Ich das einzige! Vielleicht hätt das nicht werden könnt! Wann er meine Stiefmuttern schonen wollt, so braucht er mich doch nur an Kindesstatt anzunehmen.«

»Das hat er doch than!«

»Wie?«

»Ich sag, daß er es than hat.«

»Mich hat aberst doch dera Kronenbauer annommen.«

»Ja freilich, der. Weißt Deine Stiefmuttern war nicht eine Verwandte sondern eine Mündel von ihm.«

»Herr Jesus! So ist – –«

Er fuhr abermals aus dem Grummetschober empor, blieb starr vor dem Sepp stehen und fuhr dann fort:

»So ist dera Kronenbauer mein Vatern?«

»Ja.«

»Herr, mein Gott, wie dank ich Dir dafür. Dera Kronenbauer, dera Kronenbauer mein Vater. So hat mein Vater mich also nicht verlassen. Wie mich das glücklich macht. Darum hab ich ihn so lieb, und darum ist er stets so zärtlich gegen mich west, was ich hab gar nicht begreifen konnt.«

»Aberst die Bäuerin desto böser mit Dir!«

»Ja. Aberst es soll ihr vergeben sein. Ich bin so glücklich, so unendlich glücklich, daß ich Niemandem zürnen mag. Ich gehe jetzt nach Haus und –«

Er wollte fortstürmen, aber der Sepp rief:

»Fritz, bleib! Wir sind noch nicht fertig.«

»Noch nicht? O, für jetzt bin ich fertig. Ich brauch weiter nix!«

»Aber ich brauch noch was!«

»Was denn?«

»Dich. Lauf ja nicht fort, denn das Alterwichtigste kommt erst noch.«

»Was kann wichtiger sein, als das, daß ich der richtige Sohn des Kronenbauers bin. Etwas für mich Wichtigeres kann es gar nicht geben.«

»Oho! Bald wirst einsehen, daß es noch viel wichtigere Dingen giebt.«

»Das glaub ich nicht.«

»Hör mir nur zu! Setz Dich wieder her.«

»Noch nicht, noch nicht. Erst muß ich mich austhun, sonst ists mir unmöglich, sitzen zu bleiben.«

Er rannte hin und her, schlug mit den Armen um sich, machte die possirlichsten Sprünge und wollte gar laute Jodler ausstoßen. Da aber kam der Sepp ihm in die Quere:

»Höre, Bub, wannst auch noch das ganze Dorf herbeirufen willst, so kann ich ja gehen. Von mir aber derfährst kein Wörtle mehr!«

»Gut, gut, Sepp! Ich werde gehorchen. Ich setz mich wieder zu Dir. Hier bin ich!«

»Schön! Nun wollen wir weiter reden. Also Dein Vatern hat Deine Stiefmuttern zwungen, Dich wieder herzunehmen. Sie hat Dich damals fortschafft, um kein Stiefkind zu haben, als sie ihn heirathen that. Verstehst mich wohl. Sie weiß, daßt das Kind ihres Mannes bist, ihr Stiefsohn. Und dennoch macht sie Dir den Antrag, sie zu heirathen, wann dera Bauer storben ist. Was sagst nun dazu, Fritz?«

»Das ist schrecklich! Das wird jawohl eine Todsünde sein!«

»Das denk ich auch. Aberst Du darfst nicht meinen, daßt der Einzige bist, den sie lieb hat. Dera Förster ist auch ein Liebhaber von ihr. Mit ihm kommt sie zusammen wie Mann und Frau.«

»Herrgott! Ists wahr?«

»Ja.«

»Weißts gewiß?«

»Ich habs sehen, und damit ists gut. Sie ist eine Ehebrecherin, wie ich keine Zweite kennen lernt hab und wie es keine Zweite giebt viele Meilen in dera Runde, und sie ist noch mehr als das, noch viel, viel mehr!«

»Was denn?«

»Wirsts nachhero hören. Wie sie sich wegwirft, um ihren Lüsten zu fröhnen oder auch, wie ich noch eher glaub, aus noch viel entsetzlicheren Gründen, das kannst Dir denken, wann ich Dir noch Einen sag, der ihr Kebsmann ist.«

»Noch Einen! Wer ist das?«

»Dera Bastian.«

»Der Blödsinnige?«

»Ja.«

»Das zu denken ist doch dera reine Wahnsinn! Wer das glaubt, der muß gradezu auch blödsinnig und verrückt sein!«

»Ich denk mirs nicht, sondern ich habs sehen, mit diesen meinen Augen.«

»Unmöglich!«

»Ja. Es war ganz entsetzlich, so was anzuschauen.«

»Wann und wo ists denn gewest?«

»Als ich das letzte Mal da war, draußen im Garten, im Grasgarten. Könntst mir die Beschreibung erlassen.«

»Nein. Ich muß es wissen. Ich muß es hören und derfahren.«

»Nun, das war so. Es war ein warmer Abend, und ich sollt in dera Kammer schlafen; aberst da war mir die Luft zu schwül, und so ging ich in den Garten, wo an demselbigen Tag gemäht worden war. Ich legt mich hin. Eben war ich am Einschlafen, da hört ich Schritte. Aufstehen that ich nicht, weil man mich sonst hätt sehen können, sondern ich wälzte mich hinüber an den Rand, ganz an den Zaun hinan. Da kam die Bäuerin und hinterher dera Bastian. Das Andre kannst Dir denken. Ich hab Alles geschaut und auch hört. Dera Blödsinnige war gradezu wahnsinnig vor Liebe und – nein es ist nicht zu beschreiben. Sie haben dabei auch sprochen. Und das, was ich da von denen Beiden hört hab, das hat mich zuerst auf den entsetzlichen Gedanken bracht, daß die Kronenbäuerin – dera Samiel ist.«

Fritz stieß einen lauten Angstschrei aus.

»Sepp! Sepp! Sepp!«

Der Alte ergriff ihn beim Arme und gebot ihm:

»Schweig! Wast hören wirst, das ist freilich fürchterlich; aberst Du bist ein Mann und mußt Dich beherrschen!«

»Dera Samiel!«

»Ja. Sie ists, sie.«

»Was habens denn mit nander sprochen?«

»So einige Ausdrücke und Worte hab ich verstanden, nicht genug, um es genau zu wissen, aberst hinlänglich, um es für gewiß zu denken. Erst heut hab ich die richtige Sicherheit erhalten.«

»Sepp, Sepp, Du mußt Dich irren!«

»Nein, nein! Jetzund ist kein Irrthum mehr möglich. Die Beweise sind da.«

»Der Samiel kann doch keine Frau sein!«

»Warum nicht?«

»Eine Frau, eine Frau, eine so schöne Frau!«

»Wirsts schon glauben müssen!«

»Ich kann diesen Gedanken nicht fassen. Es ist mir zu ungeheuerlich!«

»Mir war er es auch. Jetzunder aber bin ich so vertraut mit ihm, daß ich in aller Ruhe meine Nachstellungen machen werd. Und dabei sollst mir helfen. Deshalb werd ich Dir Alles sagen, und deshalb hab ich Dir bereits schon so viel sagt.«

»Wanns wahr wäre! Diese Schand! Mein armer, armer Vater!«

»Jammere nicht um ihn. Er wird von einem Scheusal befreit. Es ist zu seinem Glück. Und vielleicht steht ihm auch ein noch viel größeres bevor. Weißt, dera Herr Ludwigen, der bei Euch wohnen soll, hat einen Herrn bei sich, der ein gar berühmter Arzt ist. Er heilt ganz besonders gern Blinde und hat schon Manchem, der auf das Augenlicht ganz und für immer verzichtet hat, dasselbige zurückgeben. Ihm hab ich verzählt, wie Dein Vatern blind worden ist, und er hat sagt, daß da vielleicht noch Hilfe möglich ist.«

»Kommt er mit?«

»Ja, morgen schon.«

»Mein Gott! Wann dera Vatern wiederum sehen lernen könnt. Dann thät er das Andere wohl ruhiger ertragen.«

»Das ist auch die meinige Meinung.«

»Hast ihm schon was sagt von dem Arzte?«

»Kein Wort. Man soll nicht eine Hoffnung erwecken, von der man nicht weiß, daß sie in Erfüllung gehen kann. Er darf gar nicht wissen, daß dieser Herr ein Arzt ist, nicht eher, als bis derselbige die Augen anschaut hat.«

»Weiß denn übrigens dera Vater, daß Du mir erzählt hast, wer ich bin?«

»Nein.«

»Darf ers erfahren?«

»Nein, heut noch nicht. Ich werds Dir schon sagen, wann die richtige Zeit dazu gekommen ist.«.

»Werd ichs aberst auch vermögen, gegen ihn ruhig zu sein?«

»Du mußt. Du weißt gar nicht, wie heimlich er damit zu jeder Zeit than hat. Es ist, als ob sein Gedächtnissen ihn verlassen hätt. Ich bin es gewest, der Dich aufifunden hat und doch thut er gegen mich, als ob ich gar nix davon wissen thät.«

»Redet er mit Dir davon?«

»Seit damals nie wieder. Aberst vorhin hat er es mit erwähnt, freilich auch so, als ob ich ein ganz Fremder sei, der gar nix weiß.«

»Das wird sich Alles aufklären. Nun aberst wollen wir zu dem Schlimmen schreiten. Was hast für Beweisen dafür, daß die Bäuerin dera Samiel ist?«

»Das sollst hören. Wir werden da von vorn anfangen, als Dein Vatern blind worden ist.«

»Herrgott, das fallt mir nun erst ein!«

»Was?«

»Wann meine Stiefmuttern wirklich dera Samiel ist, so ist sie es doch west, die ihn blind macht hat!«

»Freilich ist sie es!«

»Hilf Himmel! Welch ein Abgrund thut sich da auf! Weshalb soll sie es denn than haben?«

»Damit er sie nicht beobachten kann, wanns mit anderen Männern ihr Wesen treibt.«

»Darum! Darum also!«

»Ja, das ist der Grund.«

»Und mein Vatern, hat er eine Ahnung?«

»Nicht die Spur davon. Er hat mir am Nachmittag, alst in dera Küchen warst, Alles verzählt und mir auch die Briefen anvertraut, welche er damals erhalten hat.«

»Briefe? Davon weiß ich nix.«

»Er hats heimlich behalten. Ich werd es Dir berichten.«

Er erzählte dem Knecht Alles, was der Bauer ihm mitgetheilt hatte. Fritz hörte ihm mit einer Spannung zu, welche ganz unbeschreiblich war. Er las ihm förmlich die Worte vom Munde und sagte, als der Alte geendet hatte:

»Die Briefe, die hast erhalten?«

»Ja. Ich hab dem Bauer versprochen, zu forschen; darum hat er sie mir anvertraut.«

»Zeig her, zeig her!«

»Hier sind sie. Lies!«

Es war noch hell genug, die Zeilen zu lesen. Fritz las sie mehrere Male.

»Kennst die Schrift?« fragte Sepp.

»Nein. Ich hab sie noch nie sehen.«

»Ich auch nicht und Dein Vatern ebenso nicht. Ich könnt wohl ahnen, wer dera Schreiber wär.«

»Wer?«

»Der Bastian.«

»Der kann nicht schreiben!«

»Du, sei still! Der Kerl ist ein Doppelmensch. Den werd ich ganz genau beobachten. Wie alt ist er jetzt?«

»Der ist nicht mehr jung. Er kann fast an die Dreißig sein.«

»Diente er damals schon bei Euch, als Dein Vatern blind wurde? Ich kann mich nicht mehr genau besinnen.«

»Ja, er war bereits da.«

»Schön! So möcht ich daraufi schwören, daß er dera Schreiber ist.«

»Ich kanns nicht denken.«

»Er ist das willenlose Werkzeug dera Bäuerin, die ihn durch Liebe blind macht hat. Er stellt sich blödsinnig, damit er nicht in Verdacht kommen mag, Verbrechen begangen zu haben, welche nur Einer thun kann, der geistig gesund und kräftig ist. Aberst ich werd ihm hinter die Coulissen schauen! Für mich ists ganz sicher, daß er dera Schreiber ist. Da ist die Bäuerin am Sichersten. Bei ihm wird nicht nach einer Schrift forscht. Mir aber soll er schon was schreiben. Wie oft, wann dera Samiel was begangen hat, liegt nicht ein Zettel dabei, auf dem schrieben steht, daß dera Samiel es gewest ist. Ich glaub, diese Zettels alle schreibt dera Bastian.«

»So glaubst als sicher, daß meine Stiefmutter der Samiel ist?«

»Ja. Geht das nicht deutlich aus denen Briefen hervor?«

»Fast.«

»Denk weiter! Fünf Minuten, bevor Dein Vater schossen worden ist, will sie noch bei dera Wäsch gewest sein. Dann hat sie schon so schlafen, daß sie den Schuß nicht hört haben will. Glaubst das?«

»Nein.«

»Bedenk auch die Gestalt des Samiels!«

»Es ist die ihrige; das ist wahr. Aberst die Kleider!«

»Die liegen jedenfalls irgendwo versteckt und werden vorgezogen, wanns braucht werden.«

»Gut! Ich will mal denken, daß diese Briefen damals von dera Bäuerin stammen. Hast noch andere Beweise?«

»Ja.«

»Nun, so sag einen!«

»Die Wette heut.«

»Alle Teufel, ja!«

»Thät sie fünftausend Markln riskiren, wann sie nicht selberst dera Samiel war?«

»Hast Recht.«

»Warum wird dera Samiel nicht derwischt? Weil derselbige Officier bei ihm wohnt, der ihn fangen will, und weil dera Förster dera Liebhaber ist vom Samiel.«

»Herrgott! Wie leuchtet mir das Alles ein! Es wird ganz licht um mich!«

»Siehst! Ja, so ists mir auch gangen. Hättst nur den Blick sehen sollt, den sie auf den Diamantring werfen that. Den nimmt sie ihm ganz gewiß ab.«

»Aberst wo thut sie den ganzen Raub hin?«

»Dazu braucht sie gar nicht viel Platz. Dera Samiel raubt niemals Sachen, die einen großen Raum beanspruchen.«

»Sagtst Du nicht, daß ihr Vater ein Wildschütz gewest sei?«

»Ja.«

»Und als Wilddieb hat dera Samiel anfangen.«

»Ja, und ist immer weiter kommen bis zum Einbrecher. Ich denk, daßt nun auch überzeugt bist, wer er ist?«

»Ja, ja, vollständig! Nun denk ich an Dinge, welche ich früher gar nicht beachtet oder verstanden hab, und Alles steht in einem anderen Lichte.«

»So haben wir also ganz dieselbige Meinung und wollen mit nander handeln.«

»Ja. Was gedenkst zu thun?«

»Ich glaub, es ist am Gerathensten, die Bäuerin und den Bastian gar nicht aus dem Aug zu lassen.«

»Freilich wohl. Aber wer kann sich hinstellen Tag und Nacht und Wach halten!«

»Das ist nicht nöthig. Bei Tag unternehmen sie gewißlich nix. Und des Abends, wann es dunkel ist, da ist es leichter, Jemand zu beobachten.«

»Aber ich werd so oft braucht.«

»Ich gar nicht. Wir lösen einander ab, so gut wir können.«

»Wollens wir noch Jemand anvertrauen?«

»Keinem Menschen, keinem einzigen. Je weniger außer uns davon wissen, desto sicherer können wir handeln.«

»So wollen wir nun heim gehen. Es ist jetzt Essenszeit.«

Sie kehrten nach dem Gute zurück, wo das Abendessen fast vorüber war. Man hatte heute etwas eher gegessen, warum, daß wußte Niemand, als nur die Bäuerin und ihr Gehilfe. Es war fast neun Uhr und da brach der Officier auf.

Es war mittlerweile Abend geworden. Der Bastian ging in den Stall zu den Pferden, um nochmals nachzusehen, ob Alles in Ordnung sei. Dann war er plötzlich verschwunden.

Die Bäuerin saß ganz allein unter der Tanne. Sie hielt die Augen scharf nach den zur Wohnung des Officiers gehörigen Fenstern gerichtet.

Da verlöschte dort das Licht. Sie stand auf und ging am Zaune des Gartens langsam dahin. Der Mond war noch nicht aufgegangen.

Da kam ihr Jemand vom Hause her entgegen. Sie hatte sich nämlich wieder zurück gewandt. Der Graf war es. Er erkannte sie.

»Nun, Bäurin, wollen Sie mit?« fragte er.

»Danke sehr!«

»Heute kann der Samiel mich fangen. Ich geh ganz allein erst nach der Försterei und dann nach der Kupferhöhle.«

»Spottens nicht! Was man an die Wand malt, das kann leicht kommen.«

»Nun, ich wollte, der Samiel käme. Ich habe mir sogar eine Blendlaterne mit genommen, um ihn anleuchten zu können, wenn er mir begegnet.«

Er hielt ihr die kleine Laterne nahe an das Gesicht, damit sie dieselbe kennen könne.

»Vielleicht leuchtet er Sie an, anstatt Sie ihn!« sagte sie.

»Wollen es abwarten.«

»Was hilft Ihnen die Laterne, wann kein Licht darinnen ist!«

»Das wird später schon noch angezündet werden. Oder meinen Sie, daß der Samiel sich so nahe am Dorfe umhertreiben werde?«

»Das kann man nicht wissen.«

»In diesem Falle wäre er längst in unsere Hände gefallen. Also gehen Sie heut nicht so zeitig schlafen. Vielleicht bringe ich Ihnen den Kerl.«

»So wünsche ich Ihnen viel Glück!«

»Donnerwetter! Kennen Sie den alten Aberglauben? Einem Jäger darf man niemals Gutes wünschen, sonst widerfährt ihm Böses. Gute Nacht!«

Er ging.

Nur zwei Secunden lang blieb die Bäuerin lauschend stehend, dann huschte sie über den Weg hinüber, wo ein Rain zwischen zwei hochhalmigen Roggenfeldern nach dem Walde führte. Als sie den Rain erreicht hatte, ließ sie den einzigen Rock, welchen sie jetzt anhatte, fallen. Es kam eine Männerhose zum Vorscheine. Sie raffte den Rock auf, rollte ihn zusammen und sodann ging es beinahe im Galopp dem Raine entlang, dann über eine kahl geschoorene Wiese hinüber, zwischen Ginsterbüschen hin – ein Dauerlauf von über fünf Minuten.

Auf diese Weise war sie dem Officier voran gekommen. Sie blieb hinter einem Baume stehen.

»Pst!« hörte sie es.

»Bastian?«

»Ja.«

»Schnell her damit!«

Er hatte ein Päckchen in der Hand. Er trug hohe Stiefel, breitkrempigen Hut, schwarze Maske, kurz, ganz so, wie man den Samiel zu beschreiben pflegte. Ganz dieselben Stücke hatte er auch für die Bäuerin da.

Sie zog ihre Frauenjacke aus und dafür eine Männerjacke an. Es waren seit ihrer Ankunft noch nicht zwei Minuten vorüber, so hatte sie sich in den Samiel umgewandelt.

»Kennst Deine Rolle?« fragte sie den Bastian.

»Ja.«

»Den Todtschläger nehm ich. Nun mach Deine Sach gut. Ich geh auf die andere Seiten.«

Sie huschte über den Weg hinüber, welcher hier auf der einen Seite mit lichten Bäumen und auf der anderen mit dichtem Besenginster eingefaßt war. Dort kauerte sie sich erwartungsvoll nieder, den Todtschläger in der rechten Hand.

Der Oberlieutenant war den gewöhnlichen Weg gegangen, welcher viele Windungen machte. Daher kam er um so viel später als die Bäuerin.

Jetzt erklangen seine langsamen Schritte. Er schien sich Zeit zu nehmen. Er kam heran. Da ertönte zu seiner linken Hand:

»Grüß Gott, Graf Münzer! Sie wünschen, mich fest zu nehmen?«

Da, wo die dumpfe Stimme erklungen war, trat der Samiel aus dem Dunkel der Bäume heraus – Bastian.

»Alle Teufel!« entfuhr es dem Officier.

»Nun, greifens zu!«

»Das werde ich thun!«

Der Graf war wirklich keine Memme. Den Revolver in der Linken schußfertig, faßte er den Samiel an der Brust.

»Ergieb Dich!« gebot er. »Widerstand würde vergeblich sein.«

»Graf und Wurm! Ich mich Dir ergeben! Komm her!«

Der Samiel faßte ihn mit riesiger Kraft hüben und drüben an den Hüften und hob ihn empor, um ihn zur Erde zu schmettern.

Diese Situation benutzte der Graf, den Lauf des Revolvers nach dem Kopfe seines Feindes zu richten. Er gab Feuer – ohne Wirkung; kein Schuß ging los.

»Ah, willst mich derschießen!« klang es dumpf unter der Maske hervor. »So schieß. Ich hab nix dagegen!«

Der Samiel setzte den Grafen behutsam wieder auf die Erde nieder. Sofort riß der Letztere den anderen Revolver hervor und drückte ab – mit demselben Mißerfolge. Er schäumte vor Wuth.

»Verdammte Patronen!« schrie er. »Aber hier ist ein Anderes. Ergiebst Du Dich oder nicht?«

Er trug ja stets den Degen bei sich und zog jetzt blank.

»Fallt mir nicht ein! Stich zu!« antwortete der Samiel.

»So fahre zum Teu–«

Er konnte nicht aussprechen. Die Bäuerin hatte sich ganz an ihn geschlichen, von hinten natürlich, und ihm mit dem Todtschläger einen Hieb versetzt, der ihn sofort betäubte. Er fiel zur Erde nieder.

»Jetzt schnell, die Stricke heraus!« flüsterte sie dem Knechte zu.

Sie selbst aber kniete neben dem Grafen nieder, nahm ihm die Uhr, den Geldbeutel, die Brieftasche und zog ihm sodann sämmtliche Ringe von den Fingern. Das Alles steckte sie ein. Die Taschen der Hosen waren wahre Säcke. Es ging da viel hinein.

Nun wurde er hart am Wege an einem Baume aufgerichtet und aufrecht dort angefesselt. Die Laterne wurde angebrannt und ihm in eins der Knopflöcher befestigt.

»Hast einen Zettel schrieben?« fragte die Bäuerin.

»Zwei. Wir brauchen ja heut Abend noch einen.«

»So steck ihn an.«

Der Graf erhielt ein viereckiges Stück Papier mittelst einer Nadel angeheftet. Darauf stand in ungelenker, unorthographischer Schrift:

»Der Samiehl ießts gewäsen.«

»Jetzt fort!« gebot die Bäuerin.

Sie huschten nach dem Orte, an welchem sie sich umgezogen hatten. Dort legte die kühne, verbrecherische Frau die männliche Kleidung ab, welche Bastian zu verstecken hatte, und kehrte nun spornstreichs auf demselben Wege, den sie gekommen war, wieder zurück.

Als sie wieder unter der Tanne vor dem Kronenhofe anlangte, war seit ihrer Entfernung von dort gar nicht viel über eine Viertelstunde vergangen. Sie setzte sich grad so wieder hin, wie sie vorher dort gesessen hatte.

Von ihrem Platze aus konnte man das Licht des brennenden Laternchens ganz deutlich sehen. Die Luftlinie von hier bis dort war keine beträchtliche.

Sepp und Fritz hatten, weil sie später zum Essen gekommen waren, auch später aufgehört. Dann waren sie recognosciren gegangen. Sie hatten weder die Bäuerin noch den Bastian gesehen.

Als sie dann abermals in den Stall kamen, lag er auf der Streu.

»Wo warst Du?« fragte der Fritz.

»Garten,« war nach der lakonischen Art und Weise der Geistesschwachen seine Antwort.

»Was hast dort macht?«

»Birnen sucht.«

»So! Liegen welche?«

»Nein.«

Sie traten aus dem Stalle.

»Komm in den Garten,« meinte der Sepp.

»Wozu?«

»Wenn Birnen liegen, so war er nicht hier und hat uns belogen.«

Es lag Fallobst genug am Boden, als sie hinaus kamen. Der Bastian hatte also gelogen und war irgend wo anders gewesen. Aber wo?

»Laß uns weiter nach der Bäuerin suchen,« meinte der Sepp.

Sie fanden sie nun auf der Bank unter der Tanne.

»Setzt Euch nieder,« sagte sie freundlich. »Es ist so schön im Freien heut Abend.«

»Da hast Recht,« antwortete der Sepp. »Bist wohl bereits lange hier?«

Die Bäuerin glaubte, die Beiden seien erst jetzt aus der Stube gekommen, und darum, antwortete sie unbesorgt:

»Schon seit dem Abendessen.«

Das war nicht wahr. Sie hatte also mit dem Bastian ein Geheimniß gehabt. Aber war für eins war das?

Der Sepp hatte sich dicht neben sie gesetzt. Da für den Augenblick Niemand sprach, war es sehr still rund umher. Da hörte er das leise, unterdrückte Dicken einer Uhr.

Das Geräusch schien von unten zu kommen. Das mußte er untersuchen. Er nahm also seinen kurzen Tabaksstummel heraus, that, als ob er ihn stopfen wolle und ließ ihn fallen. Es war finster unten, darum fand er den Stummel nicht sogleich, als er sich niederkauerte, um ihn zu suchen.

Bei dieser Gelegenheit hielt er sein Ohr ganz nahe an diejenige Stelle, wo unter dem Rocke der Bäuerin das Geräusch zu hören war. Ja, richtig! Es tickte eine Uhr!

Er setzte sich wieder hin und stopfte sich die Pfeife.

»Wie hoch an dera Zeit wird es sein?« fragte er.

Dabei gab er dem neben ihm sitzenden Fritz einen Stoß, daß dieser ja nicht antworten solle. Da er schwieg, so meinte die Bäuerin:

»Zwischen neun und zehn.«

»Weißts nicht genau?«

»Nein.«

»Könntst doch mal an die Uhr schauen. Ich will die meinige stellen.«

»Das kannst doch auch.«

»An Deine Uhr sehen?«

»Ich meine die drinnen in dera Stuben.«

»Uno ich meine die Taschenuhr, die Du einstecken hast.«

»Ich hab keine.«

»Freilich! Ich hör sie ja ganz deutlich schlagen.«

Er bückte sich nieder, um sein Ohr an die betreffende Stelle zu bringen. Sie stand sofort erschrocken auf, sagte aber geistesgegenwärtig genug:

»Das ist dera Käfer hier im Holz, dens halt die Todtenuhr nennen. Wann der da drinnen ist, so bleib ich nicht hier sitzen. Ich gehe fort.«

Sie ging in das Haus.

»Was hattst denn mit dera Uhren?« fragte Fritz.

»Sie hat eine einstecken.«

»Das glaub ich nicht, denn sie trägt keine Uhr. Sie kann das nicht leiden.«

»Ich habs aber deutlich hört!«

»Wirst Dich täuschen. Es wird die Todtenuhren gewest sein.«

»Nein. Sie hat eine Uhren einstecken. Ich hab extra meine Tabakspfeifen fallen lassen, um mich bücken zu müssen, damit ich horchen konnt.«

»Sapperment! Sie ist fort gewesen! Hat eine Uhr einstecken! In welcher Gegend erklang sie denn?«

»Da, wo bei denen Mannsbildern die Hosentaschen sind.«

»Sollte sie Männerhosen anhaben!«

»Als Samiel? Warum nicht?«

»Wann wir dies derfahren könnten.«

»Das ist gar nicht nothwendig. Ich kann mir bereits auch ohne nähere Untersuchung denken, daß sie Männerhosen unterm Rocke hat, wanns beabsichtigt, auszugehen. Aberst komm, schnell, schnell!«

»Wohin?«

»Komm nur! Reden können wir nachhero auch.«

Sie eilten nach dem Hofe. Dort stand ein hohes Fuder Grummet, welches noch nicht abgeladen war, weil es heut Sonntag war.

»Da hinauf.«

Mit diesen Worten ergriff der alte Sepp das Seil und turnte sich hinauf. Fritz folgte ihm sofort.

»Leg Dich platt nieder,« flüsterte der Alte.

Fritz that es und fragte:

»Warum kletterst aberst hieraufi?«

»Weil ich die Bäuerin belauschen will.«

»Wie denn?«

»Von hier aus. Dera Wagen steht hart an dera Mauer. Schau, wir haben bis zu ihrem Fenster kaum zwei Ellen.«

»Denkst, daß sie heraufkommen wird?«

»Ganz gewiß.«

»Warum?«

»Das ist doch sehr einfach. Sie ist verschrocken, daß ich die fremde Uhr merkt hab, und wird dieselbige schnell verstecken.«

»Das kann sie auch unten thun.«

»Wird sich hüten!«

»Wollte sie es überhaupt hier oben thun, so wäre sie bereits herauf gekommen.«

»Schau, wie so klug Du bist!«

»Denkst nicht so?«

»Nein. Die ist gar vorsichtig. Wann sie wegen dera Uhr vor mir ausreißt und sogleich nach ihrer Stuben rennt, so muß mir das auffallen. Also wird sie noch ein Weilchen unten warten.«

»Kannst Recht haben. Bist kein alberner Kerlen!«

»Meinst! Hm!«

»Aberst wanns nun auch heraufi kommt und aberst kein Licht mit hat.«

»O Du talketer Bub! Was denkst von ihr! Ich bin überzeugt, daß sie diese Uhr erst jetzt irgendwo holt hat. Du nicht?«

»Ich auch. Sie ist mit dem Bastian fort gewest.«

»Nun, so ist sie ein Weib. Sie kann die Uhr nicht verstecken, ohne sie erst genau betrachtet zu haben.«

»Das ist möglich.«

»Hab nur Geduld. Wir warten.«

»Aberst wann sie nun aus dem Fenster schaut!«

»Das müssen wir uns gefallen lassen. Kriech nur weiter eini ins Grummet, daß man Dich nicht sehen kann. Ich steck so weit drin, daß ich nur noch mit dera Nasen herausschau.«

Sie hatten nur noch eine ganz kleine Weile zu warten, da sahen sie Licht erscheinen, erst in der vorderen Stube und dann in der Schlafstube der Bäuerin. Sie konnten ganz deutlich sehen, was sie that.

»Paß auf,« flüsterte der Sepp. »Erst schaut sie aus dem Fenster.«

Er hatte ganz richtig gerathen. Sie öffnete einen Fensterflügel, athmete hörbar laut den Duft des Grummets ein und schaute sich dann nach rechts und links um. Der Wagen schien ihr gar keine Bedenklichkeiten zu verursachen. Vielleicht hielt sie ihn ganz im Gegentheile für einen ganz praktischen Fensterschirm, welcher die Leute verhinderte, in ihre Stube zu blicken.

Sie machte das Fenster wieder zu.

»Nun wirds wohl den Vorhang herunter lassen,« meinte Fritz.

»Nein. Das glaub ich nicht. Das ruhige Gesicht, was sie machen that, war ein sicheres Zeichen, daß sie kein Mißtrauen hegt. Schau!«

»Sapperment!«

»Sie hat Hosen!«

»Männerhosen! Wahrhaftig!«

Die Zwei hatten ihre Köpfe, wie bereits gesagt, kaum zwei Ellen weit von dem Fenster entfernt. Sie hätten selbst kleinere Gegenstände ganz deutlich erkennen können.

Die Bäuerin schlug ihren Rock zurück, und da kamen nun freilich zwei schwarze Hosenbeine zum Vorscheine.

Die Beiden lauschten mit angestrengten Sinnen.

»Du, Fritz, schau! Jetzund greift sie in die Tasche. Paß aufi, was sie heraus bringt.«

»Eine Uhr.«

»Ja, das ist sie.«

»Einen Geldsack!«

»Und was für einen! Dera Bügel muß gar von Silber sein. Sie schaut hinein.«

»Sie zählt. Weiter! Eine Brieftaschen. Die macht sie auch auf. Sapperment! Da sind wohl gar große Geldscheine drin!«

»Ja, man sieht sie. Und jetzt?«

»Ringe! Siehsts?«

»Ja. Schau, jetzt hat sie einen, einen großen. Sie steckt ihn an; sie läßt ihn funkeln. Was sagst dazu?«

»Daß es dem Grafen seiner ist.«

»Ja. Sie haben ihn angefallen. Wo mag er sein!«

»Irgendwo. Todt macht habens ihn nicht. Schau, jetzunder packts zusammen. Nun bin ich begierig, zu derfahren, wohin sie den Raub stecken wird.«

»Ich auch. Paß auf!«

»Ah, in den Schrank.«

»Himmelsakkerment! Hast sehen?«

»Natürlich! Du doch auch?«

»Ja. Wo ist sie?«

»Das weiß dera Teuxel.«

Die Bäuerin war nämlich durch den bereits erwähnten Schrank in das geheime Cabinet gestiegen. Darum war es nun in der Schlafstube finster. Das Cabinet hatte bekanntlich kein Fenster.

»Du,« sagte der Sepp, indem er die Mauer forschend betrachtete, »ich weiß, woran ich bin.«

»Woran denn?«

»Dieser Schrank ist dera Eingang zu einer verborgenen Stuben.«

»Meinst?«

»Ja. Das neue Gebäud ist an den Giebel des alten gebaut, wo dera Frau ihre beiden Stuben liegen. So war es leicht, sich vom Baumeister, ohne daß wer was derfuhr, die Mauer durchbrechen und ein Stück vom neuen Gebäude dazugeben zu lassen.«

»Ja, nur so kann es sein.«

»Schau Dir nur die Fenster an! Da neben dera Schlafstuben ist ein fast zu großer fensterloser Raum. Gott sei Dank! Wir sind dem Versteck des Samiel auf dera Spur!« .

»Nicht nur auf der Spur, sondern wir haben es bereits.«

»Noch nicht. Wir müssen wissen, wie geöffnet wird.«

»Das werden wir schon bald merken. Schau, jetzt kommt sie bereits wieder, mit dem Licht in dera Hand. Wie sie lächelt! Sie scheint gar zufrieden zu sein mit dem Fang, dens macht hat.«

»Ja. Das ist ein guter gewest! Ein Ring von über zehntausend Markln! Na, sie wird Alles wieder hergeben müssen!«

»Komm! Wollen auch wieder hinab. Man darf uns nicht hier sehen.« Sie stiegen wieder hinab, säuberten sich von den anhängenden Grummetfäden und kehrten unter die hohe Tanne zurück.

Kaum hatten sie sich niedergesetzt, so hörten sie einen eigentümlichen, lauten, getragenen Ton.

»Was ist das?« fragte Fritz.

»Horch nur erst!«

Sie lauschten.

»Du, das ist ein Hilferuf!« sagte der Sepp.

»Denkst wirklich?«

»Ja. Es ist heut nicht das erste mal, daß ich um Hilfe rufen hör.«.

»Wo ists? Wo kommt es her?«

»Es scheint mir, dort vom Walde, wo – – siehst das kleine Licht?«

»Ja.«

»Das muß eine Laternen sein.«

»Aberst sie bewegt sich nicht.«

»So ist sie aufgehängt irgendwo.«

»Horch, horch! Ja, dorther kommts. Wir müssen hin. Wollen gleich noch die Tagelöhnern mitnehmen. Wann ein Unglück geschehen ist, so ist es gut, daß die Hilfe so schnell und zahlreich wie möglich erfolgt.«

Sie eilten hinein in die Stube und meldeten, daß man drüben am Waldesrande um Hilfe rufe. Diese Nachricht brachte die Wirkung hervor, daß sämmtliche Tagearbeiter aufsprangen und sich bereit erklärten, hinzueilen.

Sepp warf einen beobachtenden Blick auf die Bäuerin. Sie betheiligte sich mit an der allgemeinen Aufregung, gab guten Rath und wollte schließlich selber mit.

»Bleib nur da!« sagte der Sepp. »Kannst uns doch nix nützen. Es ist dera Graf.«

Sie sah ihn groß an.

»Der? Warum meinst das?«

»Weilst hast Deine Wette gewinnen wollen.«

»Ich versteh Dich nicht.«

»Nun, dera Samiel wird ihn haben fangen nommen.«

»Sepp, wie kannst Du das wissen?«

Er machte seine unbefangenste Miene und antwortete:

»Wissen kann ich es nicht, aberst errathen möcht ich es. Wer Unglück haben will, der muß mit einem Frauenzimmern wetten. Da verliert er sicherlich.«

Er schloß sich den Davoneilenden an. Die Bäuerin aber stand an der Hausthür und blickte und horchte ihnen nach.

»Was war das?« fragte sie sich. »Ists wirklich nur eine blose Vermuthung, oder – oder beginnt der alte Schlaukopf, mir in die Karten zu schauen? Ich muß ihn mehr beobachten als bisher, wenn er da ist.«

Die Retter liefen natürlich so schnell wie möglich. Je näher sie der Stelle kamen, desto deutlicher wurde das Rufen.

»Wir kommen; wir kommen!« antwortete Sepp. »Nur still!«

Alle waren höchst gespannt, zu erfahren, wer es sei und was ihm widerfahren sei. Wie erstaunten sie, als sie in den an den Baum Gefesselten den Grafen erkannten. Sepp las den Zettel, der ihm angeheftet war.

»Himmelsakkerment!« sagte er. »Das ist doppeltes Pech! Herr Oberlieutenant, wie sinds denn eigentlich da an den Baum kommen?«

»Davon später!« knirrschte der vor Wuth und Aufregung bebende Officier.

»Wars wirklich dera Samiel?«

»Ja.«

»Warum habens nicht schossen?«

»Ich hab geschossen; aber nichts ging los. Ich kann das nicht begreifen.«

»Nun ist auch die Wette verloren!«

»Und Alles fort. Alles, Ringe, die Uhr, die Brieftasche! Ich bin vollständig ausgeraubt. Das ist eine schöne Bescheerung. Doch zum Erzählen ist keine Zeit. Ich habe einen Hieb auf den Kopf bekommen. Ich weiß nicht ob ich heut dienstfähig bleiben werde. Will mich Jemand nach dem Forsthause führen? Da ist das Rencontre. Es mus; sofort eine großartige Suche durch den Wald veranstaltet werden. Die Einwohnerschaft sämmtlicher umher liegender Dörfer hat sich daran zu betheiligen. Alle Hunde sind mitzubringen und –«

»Und alle Katzen und Affen auch!« lachte der Sepp.

»Was? Wollen Sie sich über mich lustig machen?« rief der Officier.

»Nein. Aberst Sie müssen doch Zweierlei wissen: Erstens, daß dera Samiel nun längst über alle Berge ist und sich nicht hersetzen wird, bis die Manns- und Weibsleutln dera ganzen Umgegend bis morgen Abend hier versammelt sein werden. Und zweitens müssens wissen, was für ein Beamter das Recht hat, ein solches Aufgebot zusammenzubringen. Sie können den Wald noch Jahre lang mit Ihrem Militär besetzen, den Samiel fangens doch nicht. Das will anderst anfangt sein.«

Der Graf wußte nicht, was er sagen solle. Er fühlte, daß der Alte Recht habe, wollte aber doch auf seiner Autorität bestehen und antwortete deshalb:

»Wer in dieser Beziehung zu befehlen hat, ich oder ein Anderer, das kann ich jedenfalls auch entscheiden. Dazu brauche ich keines guten Rathes.«

»Nun,« meinte der Alte, »einen guten Rath hab ich Ihnen auch gar nicht geben wollen. Es war mehr als ein guter Rath. Es war eine Warnungen. Es ist jedenfalls nicht angenehm für den Herrn Grafen, wann er ein Aufgebot ergehen läßt an alle Dörfer dera Umgegend, und kein Einziger kommt. Nachhero wird man höchstens nur auslacht.«

»Oho! Ich möchte Den sehen, der es wagen wollte, mich auszulachen!«

»Nun, das könnens Keinem verbieten. Freilich ins Gesichten hinein wird Ihnen sogleich Niemand lachen, sondern ohne daß Sie es zu sehen bekommen, nämlich hinter dem Rücken. Und das ist viel schlimmer als wann man es bemerkt und sieht. Nehmens meine Worten auf ganz nach dem Ihrigen Wohlgefallen. Mir kann, es ja ganz egal sein, was Sie denken und was Sie thun.«

»Was ich zu thun habe, das weiß ich genau. Ich werde zunächst mit dem Förster sprechen, Dann wird sich das Andere finden. Also mag mich Einer von Euch hinführen.«

Einer der Tagelöhner erklärte sich bereit dazu. Mit ihm entfernte er sich, fluchend und grollend über den Streich, der ihm gespielt worden war. Er hatte sich denselben selbst zuzuschreiben.

Das war auch das Thema, welches unter den Männern verhandelt wurde, welche nun wieder nach Kapellendorf heimkehrten. Der Graf handelte als Soldat aber nicht als Polizist. Ein Räuber und Dieb ist nicht zu fangen, indem man aller Welt und also auch ihm wissen läßt, welche Maßregeln man ergreift, um ihn zu fangen.

Die Bäuerin stand unter der Tanne, um die Rückkehr ihrer Leute zu erwarten. Sie that natürlich, als ob sie gar nicht wisse, was geschehen sei, doch große Neugierde fühlte sie, es zu erfahren.

»Nun?« fragte sie bereits aus der Ferne, »wer war es denn?«

»Ganz so wie ichs mir denkt hab, nämlich dera Graf,« antwortete der Sepp.

»Der Graf! Und warum hat er um Hilfe gerufen?«

»Weil er fangen worden ist, fangen und an einen Baum bunden.«

»Das ist doch gar nicht möglich! Von wem denn?«

»Vom Samiel. Du hast also Deine Wette gewonnen, Kronenbäuerin.«

»Das glaub ich halt nicht.«

»Frag diese Leutln hier!«

»Ists denn auch wahr?« wendete sie sich an dieselben.

»Ja freilich,« antwortete ein Tagelöhner. »Dera Sepp hat die Wahrheiten sagt.«

»Das ist doch gar nicht zu begreifen! So zeitig am Abende! Da wird der Samiel also immer frecher.«

»Ja. Es wird bald Zeit, daß ihm das Handwerk legt wird. Er treibts halt von Tag zu Tag ärger.«

»Vielleicht gelingt es, ihn heut zu ergreifen.«

»Heut nicht, aberst bald.«

»Denkst? Hast vielleicht einen Grund zu dieser Vermuthungen?«

»Ja. Daß er heut nicht derwischt wird, das versteht sich ganz von selberst. Er wird sich natürlich aus dem Staub macht haben, denn er hat heut einen solchen Raub macht, daß er vorläufig genug haben kann.«

»Und warum denkst, daß er bald ergriffen werden mag?«

»Hm! Ich selbst werd ihn fangen.«

»Du? Bist etwa auch Einer von dera Polizeien? Vielleicht so ein Heimlicher?«

»Ja.«

Er sagte das in einem Tone, daß man diese Antwort leicht für einen Scherz nehmen konnte. Das that auch die Bäuerin, denn sie antwortete:

»Ja, das hab ich mir immer denkt. Du hast ganz das Aussehen von einem Gerichtsamtmann oder gar von einem Polizeiministern.«

»Das glaub ich schon, denn womit man halt umigeht, das hängt Einem an.«

»So hast wohl den Samiel entdeckt?«

»Freilich.«

»Wann hast ihn denn entdeckt?«

»Schon vor längerer Zeit.«

»Und da nimmst ihn nicht fangen, sondern lassest ihn weiter machen?«

»Ja. Das ist aberst nur so eine feine und kluge Polizeifinessen von mir. Ich will ihn sogleich auf frischer That ertappen. Bis mir dieses gelingt, muß ich natürlich warten.«

»Ach so! Ja, Du bist wirklich ein Schlauer. Sogar dera Samiel hat sich vor Dir in Acht zu nehmen. Vielleicht fängst da auch gleich seine ganze Bande mit!«

»Natürlich! Das will ich ja.«

»Du mußt aberst nachforschen, wer dazu gehören thut, Sepp!«

»Das hab ich freilich allbereits than.«

»Alle, Alle mit nander!« rief die Bäuerin, vor ironischer Verwunderung die Hände zusammenschlagend. Und in kaum unterdrücktem Hohne fuhr sie fort:

»Da kannst gar noch ein berühmter Mann werden. Vielleicht erhältst einen Orden und eine hohe Belohnungen vom König!«

»Einen Orden mag ich nicht, und ein Geldl brauch ich nicht. Wann ich den Samielen fang, so hab ichs halt nur than, um mir selbst eine Freuden zu machen. Aberst mit dem König, da hast wirklich Recht. Er wird wohl vielleichten gar mit dabei sein, wann ich den Samiel dergreifen thu.«

»Dera König! Meinst wohl Einen, welcher König heißt?«

»Nein, sondern den richtigen, welcher König ist.«

»Unsern Herrn Ludwigen?«

»Ja.«

»Sepp, Sepp! Was bist für ein berühmter Kerlen, daßt Dir gar auch den König kommen lassen kannst, wannst ihn brauchst!«

»Das ist weiter nix. Ich und dera König, wir sind zwei so gute Bekannten, daß er gern kommt, wann ichs ihm wissen laß, daß ich ihn bei mir haben will.«

»So kann ichs mir allbereits denken, was es für ein Aufsehen im Land erregen wird, wann es heißen thut: Dera Wurzelsepp und unser König Ludwigen, diese Beiden haben mit nander den Samiel fangen.«

»Ja, so wird es heißen, ganz genau so. Wann dera König Zeit habt hätt, so hätt ich den Samiel bereits schon ergriffen.«

»Und seine Bande auch mit. Er muß gar viele Leut haben. Nicht?«

»Ja.«

»Hast sie zählt?«

»Schon längst.«

»Wie viele sinds?«

»Grad hundert.«

»Himmelsakra! Gar so viele?«

»Freilich!«

»Das ist kaum zu glauben.«

»O, ich werd Dir schon noch beweisen, daß ich Recht hab. Du sollst diese Hundert zu sehen bekommen.«

»Wirst sie mir zeigen?«

»Ich werd es so einrichten, daßt sie zu sehen bekommst, und dann wirst staunen, wie genau ich Alles wußt hab.«

»Aber hundert! Das kann man sich kaum denken.«

»O doch! Die beiden Nullen haben doch nix dabei zu bedeuten.«

»Wie meinst das?«

»Wannst mich jetzunder nicht verstehst, so wirsts nachhero begreifen.«

»Und wo wohnt denn dera Samiel? Das mußt doch auch wissen!«

»Natürlich weiß ich es, und zwar ganz genau. Er wohnt in Kronsdorf.«

»Kronsdorf? Das kenn ich doch gar nicht.«

»Bist noch nicht dort west? Sollt mich gar sehr wundern. Es ist ein allbekannter Ort.«

»Ich hab noch nix davon hört. Was ist er denn, dera Samiel?«

»Räuber ist er.«

»Geh, Sepp! Das weiß man ja. Aberst er muß ja einen Stand haben; er muß einen Beruf treiben.«

»Das thut er schon; aberst Du fragst mich zu viel. Du kannst Dir natürlich denken, daß ich nicht alle meine Geheimnissen so ausplaudern darf.«

»Da hast Recht. So ein Mann wie Du, der es gar mit dem Samielen aufnehmen will, der muß fein verschwiegen sein.«

»Freilich. So, wie dera Graf darf man es nicht machen. Der sagt ganz öffentlich, was er vorhat. Wann man das thut, muß man gewärtig sein, daß dera Samiel mit dabei sitzt und Alles hört. Nachhero ists auch kein Wunder, wann der Graf fangen wird, anstatt dera Samiel.«

»Dieser Ansicht bin ich auch west, und darum hab ich die Wette mit macht.«

»Und nun hast sie schon gewonnen. Du bist ein Glückskind, Bäuerin. Ich möcht nicht an Deiner Stellen sein.«

»Nicht? Warum nicht?«

»Weil es mir immer unheimlich wird, wann Einer gar ein zu großes Glück hat. Gewöhnlich brichts dann mal ganz plötzlich zusammen.«

»Was sollt bei dera Kronenbäuerin zusammenbrechen!«

»Hast Recht. Dera Kronenhof ist ein gar festes Gebäuden, den kann Dir Niemand einreißen. Nimm Dich nur in Acht, daß Dir dera Samiel nicht mal hinein geräth.«

»Da brauchst keine Sorg zu haben. Der soll mir nicht kommen.«

»Meinst nicht? Er kann mal im Kronenhof sein, bevor mans denkt.«

»Das fallt ihm sicherlich gar nicht ein. Mußt doch bedenken, daß dera Offizier bei uns wohnen thut!«

»Vor dem fürchtet er sich nicht, das hat er bereits bewiesen. Ein Glück für den Grafen ists, daß dera Samiel so ein gutes Gemüth hat. Er hat ihm nur einen kleinen Klapps geben auf den Kopf. Wie leicht hätte er ihn tödten konnt!«

»Dera Samiel und – ein gutes Gemüth! Ein Räuber! Sepp, mach Dich doch da nicht lächerlich!«

»Das ist nicht lächerlich. Wenn dera Samiel denjenigen, der sein ärgster Feind ist und ihn fangen will, so schonen thut, so ist das ein Beweis, daß er ein gutes Herz hat. So ein Gemüth findet man sonst nur bei einem Frauenzimmer. Man könnt da ganz irr an ihm werden. Ich werd ihm das vergelten.«

»Du? Wieso?«

»Ich werd, wann ich ihn fang, ihn grad so behandeln, als ob er ein Frauenzimmer war. Aber jetzund wollen wir unsere schöne Zeit nicht verschwatzen. Ich bin müd und möcht schlafen gehen. Erlaubst, doch, Bäuerin, daß ich auf dem Kronenhof bleib?«

»Freilich! Bist den ganzen Nachmittag da gewest, kannst auch hier schlafen.«

»Aber wo?«

»Wie es Dir gefallt. Im Bett oder auch auf dem Heu.«

Da meinte Fritz, der Knecht:

»Kannst auch bei mir bleiben, Sepp. Dera Bastian schlaft stets im Stall. Da ist sein Bett immer frei, welches mit in meiner Kammer steht.«

»Gut, das ist mir recht. Kann ich da gleich schlafen gehen?«

»Sehr gern. Ich geh auch mit. Oder hast noch einen Befehl für mich, Bäuerin?«

»Nein.«

»So schlaf wohl! Morgen ist Montagen. Da muß man zeitig aufi aus dem Schlaf. Darum leg ich mich jetzt bald aufs Ohr.«

Er ging mit dem Sepp fort, über den Hof hinüber, wo eine Treppe hoch seine Kammer lag. Vorher aber traten die Beiden in den Stall. Dort brannte eine Laterne, bei deren Schein sie den Blödsinnigen auf der Streu liegen sahen. Er that als ob er schlief.

»Bastian, schläfst bereits?« fragte Fritz.

Der Knecht antwortete nicht.

»Bastian!«

Er stieß ihn leise an, doch regte sich der Gestoßene nicht.

»Laß ihn,« meinte der Sepp. »Was willst den armen Kerl aus dem Schlafe aufiwecken?«

»Er soll die Latern auslöschen.«

»Das kannst ja an seiner Stell auch thun.«

»Ja; aberst dann merkt er es nicht und läßt sie ein anderes Mal wieder über die Nacht brennen. Wie bald ist da ein Unglücken schehen.«

»Ja, besonders bei so Einem, der nicht richtig im Kopfe ist.«

»Das ists ja eben, weshalb ich mich sorgen thu. Wann die Bäuerin sehen thut, daß noch Licht im Stall ist und er schläft dabei, so könnts ihm schlecht ergehen.«

»Ist sie so streng?«

»Ja, besonders mit dem Bastian hier.«

»Mit dem? Warum?«

»Das weiß ich nicht. Sie kann ihn wohl gar nicht leiden.«

»Der arme Teuxel!«

»Ja, auch mich hat er immer dauert, wann sie zornwuthig mit ihm gewest ist. Mit einem Menschen, welcher seine fünf Sinnen nicht beisammen hat, muß man wohl ein Wenig nachsichtiger sein können. Na, ich will das Licht auslöschen und ihm den Schlaf gern gönnen.«

Er blies das in der Laterne befindliche Lämpchen aus, und dann gingen sie.

Gleich neben dem Stalle führte die Treppe zu seiner Kammer empor. Auf derselben angekommen, wollte er sprechen; aber der Sepp gab ihm einen Rippenstoß und flüsterte ihm zu:

»Schweig jetzt! Dera Kerl könnt uns nachschleichen und Etwas hören.«

So verhielten sie sich ruhig, bis sie in die Kammer gelangt waren, und auch dann sprachen sie so leise, daß ein etwaiger Lauscher draußen nichts hören konnte.

»Hast nicht ein Licht da?« fragte der Sepp.

»Ja, ein Talglicht sieht auf dem Tisch.«

»So brenn es an!«

»Warum? Wir müssen doch im Dunklen sein, damit man nicht sieht, was wir thun.«

»Nein, wir müssen Licht haben. Ich denk mir halt, daß die Bäuerin unten steht und uns heimlich beobachtet. Sie muß sehen, daß wir uns ausziehen.«

»Ach so! Willst also wirklich ins Bett?«

»Das fallt mir gar nicht ein. Ich will sie beobachten. Aberst grad darum muß sie denken, daß ich mich niederlegt hab und Du auch mit. Wir ziehen die Westen aus, damit sie das Hemden derblickt. Da denkts ganz sicher, daß wir nachhero schlafen.«

So geschah es. Sie brannten das Licht an und zogen ihre Jacken und Westen aus. Dann traten sie einige Male so nahe an das Fenster, daß man sie von dem Hofe und dein Hauptgebäude aus deutlich sehen konnte, und nun löschten sie das Licht wieder aus. So hatte es ganz den Anschein, als ob sie sich nun niedergelegt hätten.

Nun saßen sie neben einander auf Fritzens Bette und flüsterten mit einander.

»Denkst wohl, daß sie heut noch Etwas beginnt?« fragte der Knecht.

»Wissen thu ichs freilich nicht; aberst ich ahne es. Es liegt mir halt ganz so in denen Gliedern, als ob wir noch was derfahren müßten.«

»Und ich hab die Ansicht, daß sie das bleiben lassen wird.«

»Warum?«

»Aus zweierlei Gründen. Erstens kann sie sehr zufrieden sein mit dem, was sie heut gestohlen hat. Und zweitens bist Du so unvorsichtig gewest. Sie wird ahnen, daßt sie für den Samiel hältst und also nix unternehmen, so lang Du Dich hier bei uns befindest.«

»Meinst wirklich, daß dera Wurzelsepp ein Unvorsichtiger ist?«

»Ja. Hast ihr heut Verschiedenes merken lassen, wast für Dich hättest behalten sollen.«

»So! Was denn?«

»Nun zum Beispiel, daß sie die Uhr in dera Taschen habt hat. Dadurch muß sie doch mißtrauisch worden sein.«

»Hm! Bist wirklich ein Kluger, der das Gras wachsen hört. Grad das hab ich doch wollt, daß sie mißtrauisch werden soll.«

»Warum aber denn?«

»Damit sie die Uhr schnell verstecken soll.«

»Das hat sie freilich sofort than. Was aber kann Dir das nützen?«

»Sehr viel. Das hast doch auch sehen. Ich hab wissen wollt, wo sie ihr Versteck hat. Indem ich sie mißtrauisch macht hab, ist sie gleich in ihre Kammer gangen. Wir haben sie beobachtet und wissen nun, wo dera Raub zu suchen ist.«

»Sapperment! Ja, wannst das so beabsichtigt hast, so bist freilich ein kluger Kopf.«

»Ja, den Wurzelsepp kannst Dir nicht für ein paar Pfennige kaufen. Da mußt schon mehr zahlen, wannst ihn bekommen willst!«

»Aberst nachhero hast Reden fallen lassen, aus denen sie merken muß, in welch einem Verdacht Du sie hast.«

»Was schadet das?«

»Sehr viel. Sie wird sich nun so sehr in Acht nehmen, daßt nun gar nix mehr derfahren wirst.«

»Das darfst freilich dem Sepp nicht sagen. Zunächst wissen wir bereits so viel, daß wir sie bereits schon jetzt fangen können –«

»Wann sie nun nix mehr thut! Wo willst sie dann fangen?«

»Wir brauchen nur in ihrem Versteck aussuchen zu lassen. Da wird genug funden werden, um ihr zu beweisen, daß sie dera Samiel ist. Und sodann mußt auch noch an die Hauptsach denken. Mit dem, was ich ihr sagt hab, hab ich sie ängstlich machen wollt. Wann Einer ängstlich wird, so verliert er die kalte Ueberlegungen und begeht viel leichter eine Unvorsichtigkeiten!«

»Das mag wohl sein; aberst ich denk, daß sie keine Unüberlegtheit thun wird, sondern sie wird von nun an lieber gar nix thun. Als sie Dich fragt, wo dera Samiel wohnt, hast sagt in Kronsdorf. Da muß sie doch gleich wissen, daßt den Kronenhof meinst.«

»Jetzunder bist in diesem Augenblick mal gescheidter als sie. Ich habs ihrer Stimme und Antwort angehört, daß sie das nicht denkt hat.«

»Und nachhero das von den Hundert, die zu ihrer Bande gehören. Da hast sagt, daß auf die beiden Nullen gar nix ankommt. Wann man diese von dera Hundert wegstreicht, so bleibt nur noch Eins übrig, also besteht ihre Bande nur aus einem einzigen Menschen, nämlich dem Bastian.«

»So hab ichs freilich meint.«

»Und sodann hast von dem guten Gemüth sprochen, woraus man fast meinen könnt, daß er ein Frauenzimmer sei. Ist das nicht deutlich genug?«

»Jawohl.«

»Sie muß also wissen, daßt sie für den Samiel hältst.«

»Sie kann es ahnen, und das will ich ja. Das wird sie verwirren, und dann ertapp ich sie viel leichter auf dera That.«

»Nun, wannst meinst, daßt Recht hast, so will ich nix dagegen sagen. Nun aber sprich mal, ob ich unten im Stall bei dem Bastian nicht klug gewest bin?«

»Ja, das war gut, daßt sagt hast, die Bäuerin sei nicht schön mit ihm. Da wird er nicht denken können, daß wir ihn für ihren Verbündeten halten.«

»Und was willst heut Abend noch beginnen?«

»Ich steig wieder auf den Wagen in das Grummet. Da will ich sie beobachten.«

»Wirst nix zu sehen bekommen.«

»Vielleicht doch. Machst auch mit?«

»Ich? Ich muß fort.«

»Wohin?«

»Zu dera Martha.«

»Ach so, ja! Wann willst sie treffen?«

»Zur Mitternacht.«

»Nun, bis dahin kannst mit bei mir sein. Jetzt aberst wollen wir an das Fenstern gehen. Vielleichten ist was zu sehen.«

»Ich glaub halt nicht, daßt da viel entdecken wirst.«

»Das kann mich nicht abhalten, Alles zu thun, was ich für nothwendig halt.«

Sie standen auf und stellten sich an das Fenster, und da zeigte es sich sofort, daß der Sepp Recht gehabt hatte, denn kaum hatten sie diesen Standort angenommen, so sahen sie die Bäuerin schnell über den Hof herüberhuschen, nach dem Stalle zu.

Es war so heller Mondschein, daß man sie ganz deutlich erkannte. Es gab auf dieser Seite des Hofes keine schattige Stelle, welche sie benutzen konnte, um unbemerkt den Stall zu erreichen. Drüben aber, am Hauptgebäude, zog sich ein breiter Schattenstreifen hin, in welchem auch der Grummetwagen stand.

»Schau, da kommt sie!« sagte der Sepp. »Hab ich Recht habt oder nicht?«

»Da hasts freilich richtig errathen.«

»Sie muß was vorhaben.«

»Das brauchst deshalb nicht zu denken.«

»Nun, warum geht sie zum Bastian?«

»Vielleicht wills ihm einen Befehl geben, was morgen früh geschehen soll.«

»Das hätts Dir auch sagen konnt. Und warum gehts nicht langsam über den Hof? Warum huschts so scheu und vorsichtig herüber?«

»Das fallt mir freilich auf.«

»Ich will mit wetten, daß dera Samiel heut noch was vor hat. Wollen schauen, was sie thut, wanns beim Bastian gewest ist.«

Sie warteten eine ziemliche Zeit, um zu sehen, wohin sie sich wenden werde. Da plötzlich knarrte es draußen.

»Pst!« flüsterte der Sepp. »Hasts hört?«

»Ja.«

»Das war auf dera Treppen.«

»Es ist da ein Stuf, welche knarren thut. Wer mag es sein?«

»Hat Jemand hier oben was zu suchen?«

»Nein.«

»So ists dera Bastian, welcher sehen soll, ob wir schlafen. Hast die Thür verschlossen?«

»Nein, noch nicht.«

»Dann schnell hinein ins Bett!«

»Er wird doch nicht hereinkommen?«

»Es ist ihm schon zuzutrauen.«

Sie krochen behend in die beiden Betten und deckten sich so zu, daß nicht zu sehen war, daß sie nur die Jacken und Westen ausgezogen hatten.

Es blieb eine Weile ruhig. Dann war es ihnen, als ob ein leiser Luftzug zu fühlen sei. Der Mond schien zu dem kleinen Fenster herein, aber blos bis zur Thüre der Kammer, so daß die Thür im Dunkeln lag. Da erklang Bastians leise Stimme:

»Fritz!«

Der Gerufene antwortete natürlich nicht.

»Fritz! Sepp!« ertönte es lauter.

Nun, als auch jetzt keine Antwort erfolgte, blieb es still. Bastian hatte sich überzeugt, daß die Beiden eingeschlafen seien. Ein leises, kaum vernehmliches Knacken verrieth, daß er hinausgeschlichen war und die Thüre hinter sich zugemacht hatte. Dann knarrte die betreffende Treppenstufe wieder.

»Jetzt ist er fort,« sagte der Sepp. »Wir können wiederum heraus.«

Sie stiegen aus den Betten, und der Knecht meinte:

»Das ist freilich stark! Sich bis in die Kammer zu uns herein zu wagen!«

»Das ist kein Wagniß.«

»Wann wir nun noch wach gewest waren und ihn derwischt hätten!«

»So hätte er irgend einen Befehl an Dich auszurichten habt. Die Beiden haben dies gar schön besprochen. Er wirds dera Bäuerin sagen, daß wir schlafen. Schau, er hat es schon than, denn da geht sie wieder über den Hof hinüber. Sie nimmt sich auch gar nicht so in Acht wie vorher. Sie glaubt also, vor uns sicher zu sein. Die Beiden haben irgend etwas vor. Was das ist, das müssen wir derfahren.«

»Aber wie?«

»Wir steigen auf den Wagen und schauen in die Kammer dera Bäuerin.«

»Das geht jetzunder noch nicht. Sie würden uns sehen, weils zu hell ist.«

»Das ist freilich wahr. Wann wir über den Hof hinüber gehen, so müssen sie uns ganz deutlich sehen. Ja, wann, wann es einen andern Weg geben thät.«

»Hm! Ich wüßt wohl einen.«

»Welchen?«

»Gleich unter dera Treppen hier ist dera Holzstall. Von da geht ein Laden hinaus in den Garten. Wann wir da hinaus steigen, können wir uns hinter dera Scheun herumschleichen bis hinüber zum Haus, wo wir in den Schatten kommen.«

»So thun wirs gleich!«

»Ja, gut. Aberst dera Bastian könnt im Stall doch die Stufe hören, welche an dera Trepp knarren thut. Es ist die dritte von oben herab. Steig über dieselbige hinweg. Was machen wir aber mit unsera Kammerthür?«

»Die wird verschlossen. Wir müssen gewärtig sein, er kommt nochmals aufi und sieht da, daß wir nicht drinnen sind.«

»Aberst wanns nun auf einmal verschlossen ist, wirds ihm auch auffallen.«

»Wir haben später daran denkt, daß sie auf ist und haben nachhero zumacht. Komm!«

Sie kleideten sich an und verließen die Kammer. Nachdem Fritz dieselbe verschlossen hatte, steckte er den Schlüssel zu sich. Sie gelangten in den Holzstall und von da durch den Boden in den Garten. Der Sepp schritt voran und Fritz folgte. Sie befanden sich im Schatten. Rechts um die Ecke biegend, gelangten sie hinter die Scheune, welche eine Seite des viereckigen Hofes bildete. Sie schritten an derselben entlang. Sie war durch einen offenen Gang in zwei Hälften getheilt, der Tenne und dem sogenannten Pansen. Durch diesen Gang gelangte man aus dem Hof in den Garten. Hier mußten die Beiden durch.

Sepp, als der Voranschreitende, trat zuerst in den Gang. Er hatte aber noch nicht drei Schritte gethan, so drehte er sich schnell um, ergriff Fritz am Arme und riß ihn zurück, aus dem Gang hinaus.

»Was hast?« fragte der Knecht.

»Dera Bastian! Schnell hinter den Busch an dera Scheunenwand.«

An der Hinterwand der Scheune wucherte ein dichter Hollunder, hinter welchem die Beiden sich schleunigst niederduckten.

»Hast ihn genau sehen?« flüsterte Fritz.

»Ja. Er kam über den Hof herüber und grad auf den Gang zu.«

»So muß er auch Dich erblickt haben.«

»Nein. Er befand sich im lichten Mondscheine, wir aberst waren im dunkeln Gange. Horch!«

Sie hörten Schritte. Dann sahen sie den Blödsinnigen aus dem Gange in den Garten treten. Er blieb stehen und blickte sich um, kaum vier oder fünf Schritte von den Beiden entfernt.

»Schau, was hat er in dera Hand?« raunte der Knecht dem Sepp zu.

»Einen Stock.«

»Nein. Das ist länger und stärker als ein Spazierstock. Das ist fast wie ein langer Schaufelstiel.«

»Ein Schaufelstiel ist gebogen, dieser Stock aber ist gerade. Vielleichten ists gar eine Stockflinten.«

»Das ist möglich: Wann er nur nicht nach dieser Seiten kommt, wo wir kauern. Er müßt uns sehen.«

»Ja. Doch, da läuft er nach dem Gartenzaun. Er steigt hinauf und springt hinaus auf den Weg. Schnell hin! Ich muß wissen, wohin er geht.«

Sie eilten nach dem Zaune und kamen noch zur rechten Zeit, um zu sehen, daß der Bastian quer über den Weg ging und dann in den Rain einbog, welchen vorhin die Bäuerin benutzt hatte, um dem Grafen zuvor zu kommen.

»Wollen wir ihm nach?« fragte Fritz.

»Nein.«

»Man sollt aberst doch wissen, wohin er sich wendet.«

»Dazu haben wir keine Zeit. Wir müssen auf die Bäuerin aufpassen. Sie ist ja die Hauptpersonen. Komm!«

Jetzt kehrten sie zu dem Scheunengang zurück. Im Hofe angekommen, huschten sie nach links an die hintere Seite des Hauptgebäudes hinüber, wo sie sich nun wieder im Schatten befanden. Von da schlichen sie sich zum Wagen hin. Der Sepp begnügte sich nicht damit. Er ging auch nach der Hinterthür, um diese zu probiren. Sie war verriegelt, wie immer des Nachts.

Nun kletterten sie, alles Geräusch vermeidend, auf den Wagen und krochen wieder so weit in das Grummet hinein, daß nur ihre Gesichter aus demselben hervorschauten.

In der Stube und dem Schlafraume der Bäuerin war es dunkel. Dann aber wurde es plötzlich in dem letzteren licht, so plötzlich, daß dieses Licht bereits vorhanden gewesen sein mußte und nicht erst angebrannt wurde.

»Schau, sie hat doch Licht und ist hier oben,« flüsterte der Sepp. »Siehsts, wo sie war?«

»Ja, im Versteck. Sie kommt aus dem Schrank heraus.«

Die Bäuerin stellte, als sie aus dem Schrank getreten war, das Licht auf den Tisch und beschäftigte sich mit einem kleinen Gegenstande, welchen sie in der anderen Hand gehabt hatte.

»Siehsts, was sie hat?« flüsterte der Sepp.

»Ja, einen Revolver.«

»Sie ladet ihn. Sappermenten, da hat sie wohl schlimme Absichten!«

»Vielleicht brauchts ihn nur, um sich zu vertheidigen, wann man sie fangen will.«

»Möglich. Wollen weiter sehen.«

Aber sie bekamen zunächst nichts zu sehen, denn die Bäuerin blies das Licht aus.

»Sollts schlafen gehen,« meinte Fritz.

»Nein. Da hätts sich vorher entkleidet. Dera Bastian ist fort, ihr voran. Sie wird ihm folgen.«

»Wollen wir ihr nach?«

»Das weiß ich noch nicht!«

»Wann wir ihr folgen wollen, dann müssen wir jetzund vom Wagen herab, denn sie wird zu dera Hinterthüren herauskommen. Da sind wir nachhero gleich hinter ihr her.«

»Gut, wollen also – – halt! Wieder schnell hinein!«

Sie hatten sich bereits mit dem Oberkörper aus dem Grummet erhoben, fuhren aber augenblicklich wieder tief hinein, denn die Bäuerin öffnete ihr Fenster und blickte heraus.

Sie verharrte wohl fünf Minuten lang in ihrer lauschenden Stellung. Dann öffnete sie auch den anderen Fensterflügel. Sie ließ etwas zur Erde nieder und trat dann wieder zurück.

»Was hats herunterworfen?« meinte Fritz.

»Weiß es nicht. Dera Schatten läßts einem nicht genau sehen. Pst! Da ist sie wieder!«

Jetzt sahen sie zu ihrem Erstaunen, daß die Bäuerin aus dem Fenster stieg. Schnell und gewandt wie ein geübter Turner. Als sie sich außerhalb befand, zog sie die beiden Fensterflügel heran und glitt zur Erde nieder. Ein Rauschen wie von einem Stricke, welcher sich an einem Balken reibt, war zu hören; die Fensterflügel öffneten sich ein Wenig wieder, als ob Etwas zwischen ihnen hindurchgezogen werde, und dann glitt die Bäuerin fort, am Hause hin, in den Scheunengang hinein und hinaus in den Garten.

Das war so schnell geschehen, daß es kaum so schnell erzählt werden kann.

»Sapperment! Wie ist sie denn da herabkommen?« meinte der Fritz.

»An einem Strick, wie es scheint.«

»So muß es sein. Aberst ich denk, wir wollen ihr nach?«

»Das ist noch unbestimmt. Wenigstens muß ich sehen, wohin sie ist.«

Er glitt blitzschnell vom Wagen herab, und Fritz folgte ihm. Sie eilten nach der Scheune und durch den Gang hinaus in den Garten. Da sahen sie eben die Bäuerin über den Zaun springen. Als sie an denselben gelangten und durch die Latten blickten, bog sie nach oben demselben Raine ein, welchem vorhin der Bastian gefolgt war.

»Hab mirs denkt,« sagte der Sepp. »Sie macht ihm nach.«

»Aber wohin?«

»Wer kann das wissen!«

»Wär es nicht gut, wann wir es zu derfahren suchten?«

»Ja, das wär schon gut; aberst wir werdens nicht derfahren.«

»Warum nicht? Wir brauchen ihr ja nur zu folgen.«

Der Sepp schaute nachdenklich durch die Latten hinaus, lachte leise vor sich hin und antwortete:

»Da hast freilich Recht. Also lauf ihr nach! Versuchs doch mal!«

»Du nicht mit?«

»Nein. So dumm bin ich nicht. Siehst denn nicht den Mondschein, daß es fast tageshell ist? Wannst ihr nachlaufst, so brauchts sich nur mal umzuschauen, so sieht sie Dich sofort. Dann ists gefehlt.«

»Man muß sich nur fern genug von ihr halten.«

»Du wirst sie bald aus dem Aug verlieren, besonders wann sie an den Wald gelangt ist. Nachhero stehst bei denen Bäumen, sperrst das Maul aufi und weißt nicht, wohinst gehen sollst, ob rechts, ob links oder grad aus.«

»Hm! Das ist dumm! Aber Du hast Recht.«

»Es ist also am Besten, wir bleiben hier.«

»Ich muß doch fort.«

»Schon! Ist die Zeit bereits da?«

»Es wird bald Mitternacht sein.«

»So nimm Dir wenigstens noch die Zeit, nochmals mit zurück zu kommen. Wir müssen sehen, wie sie aus dem Fenster zur Erde gelangt ist.«

Sie kehrten zu dem Wagen zurück und traten grad unter dem Fenster an die Mauer. Es war nichts zu sehen.

»Sappermenten! Ich hab fast glaubt, daß hier ein Seil herabhangen werd.«

»Ein Seil nicht, aberst eine Schnur,« antwortete Fritz, welcher mit der Hand an der Wand hingestrichen und dabei die Schnur zwischen die Finger bekommen hatte.

»Zeig her!«

Der Knecht gab sie dem Sepp in die Hand. Dieser prüfte sie und sagte erstaunt:

»An diesem Bindfanden kann sie doch nicht herabstiegen sein! Der ist viel zu dünn. Meinst nicht auch?«

»Ja. Der wär ganz sicher zerrissen.«

»Natürlich. Man braucht ja nur zu versuchen, mal daran zu ziehen, so sieht man sogleich – – – Himmelsakra!«

Er sprang zurück und drehte sich schnell um. Er glaubte, von irgend Jemand einen Hieb auf den Kopf erhalten zu haben. Sein Hut war ihm herunter geschlagen worden. Aber zu seinem Erstaunen erblickte er keinen Menschen.

»Da schlag dera Teuxel hinein!« sagte er: »Es ist Niemand hier!«

»Wer soll denn da sein?«

»Der natürlich, der mich über den Kopf haut hat. Dera Kerl muß sich hinter den Wagen steckt haben.«

Er wollte fort, um dort nachzuschauen, doch Fritz hielt ihn zurück.

»Bleib! Hast denn nicht merkt, wers gewesen ist?«

»Nein.«

»Schau her. Hier hängts.«

Er deutete nach der Mauer. Da, wo vorhin nur die Schnur sich befunden hatte, hing jetzt eine Strickleiter herab.

»Sappermenten! So war diese es, die mir auf den Kopf fallen ist?«

»Ja.«

»Na, so ists gut! Besser konnts ja gar nicht kommen. Da können wir also nun aufi und die Geschichten recht genau betrachten. Gehst natürlich mit?«

»Ja. Aberst eine dumme Geschichten ist es doch, Sepp.«

»Warum?«

»Wann die Bäuerin zurückkommt und die Strickleiter hangen sieht, so wird sie gleich wissen, daß wer dagewest ist.«

Der Alte kratzte sich.

»Verdammt! Ja, da hast freilich Recht. Wie ist die Leiter wieder hinauf zu bringen!«

»Möglich muß es sein.«

»Vielleicht.«

»Sogar sehr leicht.«

»Wieso?«

»Weils die Bäurin auch hinaufbracht hat. Und das ist schnell gangen; nur einen Augenblick hats dauert.«

»Hm! Vielleichten mit dera Schnuren. Wo ist sie denn?«

Er suchte nach ihr; sie war nicht mehr da; aber an ihrer Stelle gab es eine zweite, welche, wie der Sepp merkte, durch Oesen an der Strickleiter emporlief.

»Da ist ein anderer Bindfaden,« sagte er. »Wills mal versuchen.«

Er zog. Der Erfolg war ein augenblicklicher. Nämlich die Schnur wurde ihm aus der Hand gerissen, die Strickleiter fuhr empor, und an ihrer Stelle kam der Bindfaden wieder herab, welcher zuvor herabgehangen hatte.

»Sapperment!« kicherte der Alte erfreut. »Da haben wirs. Das ist ja eine ganz richtige Maschinerie. Zieht man an diesem Faden, so kommt die Leiter abi, und zieht man an dem anderen, so geht sie wiederum aufi. Das hat die Bäurin sich sehr gut aussonnen.«

»Aberst warum!« meinte Fritz. »Warum steigt sie zum Fenster heraus?«

»Warum? Dumme Frag! Kann sie denn durch die Mauer heraus?«

»Nein; aberst zur Hinterthüren.«

»Ja, das ist schon wahr. Aberst das ist zu gefährlich für sie. Wie leicht könnte sie da mal entdeckt werden. Sie kann die Thür doch nicht von außen wieder zumachen. Sie müßt sie also auflassen, und das thät natürlich auffallen.«

»Hm! Da hast Recht. Und wann Jemanden bemerken thät, daß die Thür auf ist, so thät er sie natürlich zumachen. Dann könnt die Bäuerin nicht wieder herein, wann sie zurückkäm. Dann wär Alles verrathen.«

»Siehst also, wie schlau sie ist! Jetzt aberst wollen wir aufisteigen.«

»Probir erst mal, obs Dich hält.«

»Jedenfalls. Es geht.«

Er hing sich an die Leiter, und da sie nicht zerriß, so vertraute er sich ihr an und stieg hinauf und zum Fenster hinein.

»Komm nach! Es geht halt prächtig,« flüsterte er herab.

Bald stand auch Fritz in der Schlafstube.

»Nun suchen wir das Licht,« meinte der Sepp. »Als sie es verlöschte, stand es da auf dem Tisch.«

»Ists nicht gefährlich, das Licht anzubrennen?«

»Nein.«

»Wann man uns sieht!«

»Wer soll uns sehen. Alle schlafen hier auf dieser Seit, und dera Bastian ist mit dera Bäuerin fort. Es ist ja gar Niemand da, der uns sehen könnt.«

»Wann sie nun indessen zurückkehrt!«

»So ists auch kein Unglück. Sie hätte da alle Ursach, zu verschrecken, nicht aber wir.«

»Na, ganz wie Du denkst. Da ist das Licht auf dem Tisch, auch Streichhölzern dazu.«

»Brenn an! Wir müssen sogleich die Strickleitern empornehmen, damit Niemand zu uns aufi kann.«

Als nun das Licht brannte, sahen sie, daß die Strickleiter mit den beiden erwähnten Schnuren über eine Doppelrolle lief, welche an das eine Bein des Bettes befestigt war. Die Vorrichtung war eine ganz einfache. Durch die eine Schnur wurden die Rollen auf- und durch die andere abgedreht; so kam es, daß die Strickleiter ganz leicht auf- und abbewegt werden konnte. Der Sepp nahm sie herein.

»So!« sagte er. »Und nun schaun wir uns das Versteck an.«

Er trat zu dem Schranke und fand zu seiner Freude, daß der Schlüssel steckte.

»Das ist sehr gut! Das kann mich gefreun!« lachte er. »Die Bäuerin ist doch nicht so klug, wie ich dacht hab! Laßt uns da den Schlüssel stecken! Das ist doch eine große, große Unvorsichtigkeiten!«

»Sie hat doch nicht denken konnt, daß Jemand einsteigt bei ihr!«

»Wann sie klug wär, thät sie auch an diesen Fall denken. Man sollt ihr doch gleich eine tüchtige Maulschellen geben. So ein Frauenzimmern hat doch niemals die Gedanken richtig beisammen!«

»Was räsonnirst denn! Für uns ist das doch sehr vortheilhaft!«

»Magst Recht haben, und doch kann ich mich über eine solche Unvorsichtigkeiten so erbosen, daß ich gleich mit denen Füßen dreinspringen möcht. Na, wir wollen uns mal Platz machen.«

Der jetzt offene Schrank hing voller Kleidungsstücke. Sepp gab Fritz das Licht zum Halten und schob die Kleider zurück und auseinander.

»Sapperment! Da ists ja zu!« sagte er.

Jetzt war nämlich eine Hinterwand vorhanden.

»Hast denn denkt, daß es aufi ist?« fragte Fritz.

»Natürlich! Die Bäuerin ist ja da hindurchgangen. Nun ist aberst gar eine Rückwand am Schranke.«

»Sie wird sich öffnen lassen.«

»Ja, ganz gewiß! Laß schauen! Leucht mal her. Es muß ein Schloß da sein, ein Riegel oder sonst was.«

Er suchte, aber vergebens. Die Hinterwand schloß sich fest an den Boden, die Decke und die Seitentheile. Es war keine Spur irgend einer Vorrichtung zu sehen, durch welche sie geöffnet werden konnte.

»Donnerwetter! Das ist mir unbegreiflich!« fluchte der Sepp. »Hindurch kann man, das ist gewiß. Dahinter ists hohl. Horch!«

Er klopfte, und es war allerdings dem Tone anzumerken, daß der Schrank nicht an einer Mauer stand.

»Wer soll das begreifen! Da steht mir doch dera Verstand still!« brummte Sepp.

»Ich weiß auch keinen Rath!«

»Das glaub ich wohl. Aberst wollens doch mal versuchen. Schau Du mal nach. Vielleicht findest durch Zufall, was ich nicht funden hab.«

Nun untersuchte der Knecht den Schrank, aber auch vergeblich.

»Weißt,« sagte er, »wollens heut lassen!«

»Das fallt mir nicht ein.«

»Wir haben für heut bereits genug derfahren. Wollen zufrieden sein.«

»Aberst ich bin einmal darauf versessen, das Versteck zu finden!«

»Laß es sein! Du weißt, wo es liegt. Damit kannst Dich einstweilen begnügen. Später, wann wir wieder hier sind, werden wir entdecken, wie die Wand aufzumachen ist.«

»Ich möchts aberst heut derfahren!«

»Dann bemerkt die Bäuerin, daß Jemand hier gewest ist.«

»O, die kommt nicht sogleich zurück. Die ist hinaus in den Wald.« »Aberst wir verbrennen ihr hier das Licht. Wann sie heim kommt und das sieht, so schöpft sie Verdacht.«

»Hm! Das ist freilich wahr. Also müssen wir die Geschicht lassen bis ein anderes Mal, wo wir Licht mit haben.«

Er schloß den Schrank wieder zu und begann, in der Schlafstube und dem vordern Zimmer sich genau umzuschauen. Es war nicht das Mindeste zu entdecken, was darauf hätte weisen können, daß hier der Samiel wohne.

»Vorsichtig ist sie doch,« sagte er. »Wann wir nur durch den Schrank könnten. Da liegen sicherlich die Beweise, welche wir suchen.«

»Natürlich! Hier aber findet man nix, als höchstens das Eine – hier das Bett.«

Fritz deutete auf das Bett, welches aufgeschlagen war. Decke, Betttuch und Unterbette waren zur Seite geschlagen.

»Was ists denn?« fragte Sepp.

»Das siehst nicht?«

»Daß Niemand drin im Bett liegt, das seh ich schon!«

»Ja, das sieht auch ein Blinder. Aberst schau mal da her! Da ist eine Spannfedernmatratze, und darauf liegt eine Strohmatratze. Zwischen denen Beiden ist diese Stelle hier eingedrückt. Warum?«

»Ah, ja! Jetzunder weiß ich, wast meinst. Hier zwischen denen beiden Matratzen versteckts die Strickleiter am Tag, wanns sie nicht brauchen thut.«

»Ganz recht. Das ist doch wenigstens Etwas, was wir entdeckt haben.«

»Kann uns aberst nicht viel helfen. Doch wart nur, wann ich wiederkomme! Da werd ich mir Licht genug mitbringen. Für heut muß man es lassen.«

Er blies das Licht aus und setzte es an die gehörige Stelle. Dann ließ er die Strickleiter hinab. Fritz mußte zuerst hinuntersteigen, und dann folgte der Alte. Draußen zog er die beiden Fensterflügel zusammen, ganz so, wie die Bäuerin es gemacht hatte. Da er nun die Mechanik der Leiter kannte, war es ihm, als er unten angekommen war, leicht, sie emporzuschaffen, so daß die Bäuerin bei ihrer Rückkehr Alles genau so fand, wie sie es verlassen hatte.

»Nun muß ich aberst fort,« sagte Fritz. »Was thust Du indessen?«

»Ich bleib natürlich hier. Ich versteck mich wiederum auf den Wagen ins Grummet hinein und wart, bis dera Samiel wiederkommt. Vielleichten giebt er mir eine Gelegenheiten, etwas Neues zu schauen oder zu derfahren. Es kann auch sein, wann ich genau aufipaß, daß ich dann seh, wie dera Schrank hinten geöffnet wird.«

»Wollen es hoffen. Mach nur die Augen aufi!«

»Das brauchst mir gar nicht zu sagen, denn das thu ich schon ganz von selberst. Und Du, wann wirst zurückkommen?«

»Ich werd nicht lange bleiben. Wir gehen zum Holzknecht, dessen Weib krank ist.«

»Willst ihr was bringen?«

»Ja. Ich hab ein Brod und Wurst und Anderes im Dorf kaufen wollen, um es ihr zu geben, aberst da ich keine Zeit dazu funden hab, weil am Nachmittag gar so viel passiren that, so will ich ihr dafür ein kleines Geldl geben.«

»Ja, ein kleines,« lachte der Sepp. »Ein großes wirst wohl nicht zusammenbringen.«

»Weil ich meinen Lohn stets auf die Sparkassen tragen hab, so hab ich nicht viel im Beutel. Da hast Recht.«

»Wie viel willst ihr denn geben?«

»Vielleichten drei Mark oder fünf. Mehr kann ich nicht abthun.«

»Damit ist denen Leutln auch nicht viel geholfen, denn auch er ist krank.«

»Wie? Du kennst sie?«

»Ja. Es ist ein braves und armes Völkle. Weißt, ich werd Dir auch was dazu geben.«

»Das wollt ich wohl mit Dank besorgen.«

»So komm her und mach die Hand aufi.«

Er zog seinen alten Beutel, suchte drei Geldstücke hervor und gab sie dem Knecht. Dieser befühlte das Geld mit den Fingern, um zu erfahren, wie viel es sei. Da er aber nicht recht klug werden konnte, so trat er aus dem Schatten in den Mondenschein und sah es sich an.

»Du, Sepp,« sagte er, »Du hast Dich ganz gewiß vergriffen.«

»Wieso?«

»So viel hast nicht geben wollt.«

»Meinst?«

»Ja. Es sind zwei Zwanzigmarkerln und ein Zehnmarkstückerl.«

»Grad so viel wollt ich geben.«

»Aberst Du – fünfzig Mark!«

»Halts Maul! Hast heut ja sehen, daß ich ein Geldl verborgen und auch verschenken kann. Nimms nur hin!«

»So vergelts Gott, lieber Sepp! Die Leutle werden eine Himmelsfreud haben, wanns das empfangen.«

»Und ich freu mich mit. Aberst sag ja nix, daß es von mir ist!«

»Ich muß es doch sagen!«

»Nein, kein Wort!«

»Sonst denkens doch, es sei von mir!«

»Das mögens denken!«

»Mit fremden Federn mag ich mich nicht schmücken.«

»So sag, wast willst, aberst mich laß aus dem Spiel. Wannst ihnen meinen Namen nennst, so bist mein Freund gewest. Das kannst Dir merken.«

»Bist ein besonderbarer Kerlen! Doch will ich Dir den Willen thun.«

»So mach, daßt nun fortkommst!«

»Gut! Das laß ich mir nicht mehrere Male sagen. Also, wann ich wiederkomm, da treff ich Dich auf dem Wagen?«

»Ja, doch nimm Dich in Acht, damit nicht gesehen wirst und auch mich nicht verrathen thust dabei. Die Beiden könnten schon vor Dir wiederkommen sein.«

»Ich werd mich schon so an den Wagen schleichen, daß mich Niemand bemerken kann.«

»So mag es sein. Grüß mir auch die Martha, und sag ihr, daß ich den Brautherrn machen möcht. Sie soll sich also beeilen und Dir das Jaworten geben.«

Er stieg auf den Wagen, und Fritz ging fort, durch den Scheunengang. Er stieg grad da, wo vorher der Bastian und die Bäuerin über den Zaun gesprungen waren, auch über denselben und ging dann quer über einige Wiesen, um an den von Martha bestimmten Ort zu gelangen, ohne von irgend Wen gesehen zu werden.

Als er denselben erreichte, war sie noch nicht da. Er setzte sich unter einen Baum und wartete, im Dunkel des Schattens verborgen. Der Weg führte da vorüber, rechts nach dem Dorfe und links nach dem Forsthause.

Er hatte noch nicht fünf Minuten da gesessen, so hörte er von rechts her ein leises Geräusch. Er horchte aufmerksam hin. Es schien sich nicht zu nähern, aber auch nicht zu entfernen, und doch klang es, als seien es langsame, leise Schritte.

Um seiner eigenen Sicherheit willen mußte er nachsehen, was es sei. Er stand also auf und schlich sich auf das Vorsichtigste hin, etwas tiefer in den Wald hinein und sodann parallel mit dem Wege fort.

Er kam näher und näher. Dann blieb er halten und legte sich auf den Boden nieder. Er kroch auf Händen und Füßen weiter und konnte nun gegen den lichten, vom Monde beschienenen Streifen, welchen der Weg bildete, eine weibliche Gestalt erkennen, welche neben diesem Wege unter den Bäumen auf und niederschritt.

Schon wollte er aufspringen und hervortreten, denn er dachte, daß Martha es sei, da hustete die Gestalt zu seinem Glücke, und gleich darauf hörte er in gedämpftem Tone die ungeduldigen Worte:

»Himmeldonnerwetter! Der Kerl kommt weiß Gott noch immer nicht! Ich könnte ihn zerreißen.«

Er sah, daß das Frauenzimmer dabei die Erde mit dem Fuße stampfte, ganz in der ihm bekannten Art und Weise, in welcher die Kronenbäuerin dies that, wenn sie sich in Zorn befand.

Auch ihre Stimme war es gewesen. War die Bäuerin wirklich da, oder täuschte er sich? Er mußte Gewißheit haben. Darum kroch er noch näher, fast zu nahe für seine eigene Sicherheit.

Sie ging jetzt kaum vier Fuß entfernt an ihm vorüber. Ein Mondesstrahl drang durch die Wipfel und fiel auf ihr Gesicht. Sie war es!

Was wollte sie da? Auf wen wartete sie? Wen hatte sie bestellt? Etwa den Förster, mit welchem sie heut ja so lange gesprochen hatte?

Er sollte sofort Antwort erhalten auf diese Fragen, denn von links her kamen jetzt eilige Schritte. Sie hielten mitten auf dem Wege, grad da, wo die Bäuerin daneben unter den Bäumen stand.

»Kätherl?« ertönte es halblaut.

»Ja,« antwortete sie.

»Wo bist?«

»Hier, links.«

»Komm heraus!«

»Daß man uns sieht! Komm lieber herein unter die Bäumen!«

Er trat zu ihr herein. Fritz erkannte an der Kleidung sogleich den Förster.

»Gott sei Dank! Endlich!« sagte dieser.

»Ja, endlich!« zürnte sie. »Wannst nun nicht kommen wärst, hätt ich keinen Augenblick länger wartet. Denkst denn, ich bin eine Einlegpuppen, daßt mit mir machen kannst, wast willst! Wannst nicht Wort halten kannst, so brauchst mich nicht zu bestellen.«

»Sei ruhig, Kätherl! Ich kann ja gar nix dafür!«

»Und Du sei still! Das ist eine Ausreden, die bei mir nix gelten thut. Bei so was kann man wohl dafür.«

»Nein, gar nix. Ich bin unschuldig.«

»So! Und wer trägt da denn die Schuld?«

»Dera Oberlieutenant.«

»Der? Warum?«

»Du weißt doch, was mit ihm schehen ist? Deine Leut haben ihn ja funden.«

»Ja, sie haben es mir verzählt.«

»Ists nicht schauderhaft von dem Samiel?«

»Ein großmächtiges Wagnissen ists von ihm. Das ist wahr.«

»Am Wege, mitten zwischen dem Dorf und meiner Förstereien den Grafen anzufallen, auszurauben und auch noch dazu an den Baum zu binden!«

»Ja, es ist erstaunlich! Aberst was hat das damit zu thun, daßt mich hier warten lassest?«

»Sehr viel. Dera Graf hat vom Samiel einen Hieb auf den Kopf erhalten. Dein Tagelöhner bracht ihn zu mir und ging darauf wiederum fort. Der Offizier hat glaubt, daß dieser Hieb ihm nix schaden werde; bald aberst ists ihm ganz schlimm und übel worden; es ist ein Schwindel kommen, und er hat sich niederlegen müssen.«

»Was!« erklang es in einem Tone, als sei sie darüber erschrocken.

»Brauchst nicht zu verschrecken. Es ist nicht lebensgefährlich. Wann er diese Nacht hübsch ruhig schläft, ists morgen wieder gut.«

»Das gefreut mich sehr. Wo liegt er denn also?«

»Bei mir, in meiner Stuben.«

»Wo Du selberst schläfst?«

»Ja.«

»Sappermenten!«

Das klang so, als ob sie es zwischen den Zähnen hindurchstoße.

»Was hast denn? Aergerst Dich?«

»Freilich!«

»Warum denn?«

Sie antwortete nicht sogleich. Sie durfte es sich doch nicht merken lassen, welch einen Strich durch ihre Rechnung es ihr machte, daß nun der Graf in der Stube schlief, aus welcher sie das Geld hatte holen wollen. Doch fand sie eine passende Antwort:

»Ich muß mich gar wohl ärgern, denn ich hatte mich gar sehr auf diese Stuben gefreut.«

»Auf die Stuben? Aus was für einem Grunde denn?«

»Weil ich denkt hab, ich könnt mit Dir ein Wenig hinaufi gehen, wann nachher Dein Dienst zu Ende ist.«

»Das hast wollt, wirklich?« fragte er im Tone der Freude.

»Ja. Du hörsts ja, daß ich es sage.«

»Das hab ich mir freilich nicht denkt.«

»Ich aberst habs mir so aussonnen habt. Wir hatten uns heut zankt und waren dann wieder einig worden. Hätten wir sodann, wann Dein Nachtdienst beendet war, ein Wenig hinaufi in Deine Stuben schleichen könnt, s o hätten wir die Versöhnung viel besser feiern können als wann wir so im Wald herumilaufen.«

»Kätherl, liebes Kätherl! Was bist doch für ein prächtig Weib! Komm her! Ich muß Dich umarmen.«

Sie umschlangen sich, und Fritz vernahm das Geräusch kräftiger Küsse.

Es schüttelte ihn. Dieses Weib, seine eigene Stiefmutter, hatte ihm einen Liebes- und Heirathsantrag gemacht.

»Laß gut sein!« mahnte sie nach einer Weile. »Hat denn dera Graf Dir gar so viele Arbeiten macht, daßt erst so spät fortkommen konntest?«

»Ich bin schon längst fort. Weil er im Bett liegt, muß ich seine Stell vertreten und die Posten revidiren. Ich bin gerannt wie ein gehetztes Wild, um wenigstens jetzt hier einzutreffen. Ich hoffe, daß Du mir verzeihen wirst.«

»Wanns so ist, kann ich Dir freilich nicht zürnen. Wer ist denn nun bei dem Grafen, der ihn pflegt?«

»Die Martha schaut nach ihm und die alte Magd wird sie dabei unterstützen.«

»Da werdens sehr zu thun haben!«

»O nein. Er wird wohl fest schlafen. Wann Einer einen Hieb gegen den Kopf erhält, so wird er dumm und taub im Gehirn und schläft gar fest. Ich hab auf seinem Befehl sogar die Hunde aus dem Hause schaffen mußt, damit sie ihn nicht stören. Sie sind im Stall einischlossen worden.«

»Da ist die Förstereien ja ohne allen Schutz in dieser Nacht!«

»So schlimm ists schon nicht. Es ist Alles zugeschlossen, und kein Dieb weiß es, daß man durch den kleinen Kuhlstall hinein in den Hausflur gelangen kann.«

»Das ist auch eine Unvorsichtigkeiten von Dir. Kann man denn von Außen in den Stall gelangen?«

»Ja. Es ist innen ein Holzriegel und daneben ein Loch, durch welches man von Außen hineingreift und ihn zurückschieben kann.«

»Und sodann, wann man sich nun im Stall befindet, kann man in das Haus?«

»Ja. Man braucht nur die andere Thür zu öffnen, welche aus dem Stalle in den Hausflur führt.«

»Geht die denn aufi?«

»Es ist nur eine Klinke dran, gar kein Schloß, zu welchem ein Schlüssel gehört.«

»Förster, das mußt ändern lassen! So eine Unvorsichtigkeiten dürft mir in meinem Haus nicht vorkommen.«

»Hast Recht, Kätherl. Ich werd mir morgen, wann ich mein Geld in die Stadt trag, ein gutes Schloß mitbringen und es an die Außenthüre schlagen. Also nun, mein liebes Kätherl, bleiben wir jetzunder beisammen?«

»Ja; dazu bin ich doch wohl kommen. Oder willst etwan nicht?«

»Warum werd ich nicht wollen! Es ist doch mein allergrößtes Glück, Dich bei mir zu haben. Komm mit fort von hier.«

»Nach Deinem Posten, von demt gestern sprochen hast?«

»Noch nicht. Da kommen wir erst später hin. Vorher muß ich hinaufi nach dem Dachsberg, wo zwei Posten zu revidiren sind.«

»Da kann ich aberst doch nicht mit!«

»Warum nicht? Ists Dir zu weit?«

»O nein. An Deiner Seit ist mir kein Weg zu weit. Aberst die Posten werden mich doch sehen, und das dürfens doch nicht.«

»Meinst, daß ich Dich sehen laß! Fallt mir gar nicht ein. Wann ich mit ihnen sprech, bleibst einstweilen hinter dem Busch stehen.«

»Gut! So komm also.«

Sie gingen.

Der Förster ahnte nicht, daß er der Bäuerin förmlich den Weg in sein Haus gebahnt hatte. Erst, als sie hörte, daß der Graf heut Nacht in der Försterei bleiben und sogar in demselben Zimmer schlafen werde, in welchem sich der Gewehrschrank mit dem Gelde befand, hatte sie geglaubt, auf ihr heutiges Vorhaben verzichten zu müssen. In diesem Falle war ihr die hohe Summe verloren, indem der Förster das Geld nur bis morgen bei sich behalten wollte.

Nun aber, da sie hörte, daß der Graf fest schlafen werde, daß keine Hunde in dem Hause seien und daß es einen sicheren Weg in das Innere desselben gebe, war sie entschlossen, nicht auf die Ausführung ihres Planes zu verzichten. Welch eine Wonne für sie, wenn es morgen heißen werde, daß der Samiel dreißigtausend Mark aus einer Stube geholt habe, in welcher der Graf schlief und wo sich sogar die Waffen der Försterei befanden.

Fritz hatte ein jedes Wort vernommen. Es kam ihm Manches unheimlich vor. Warum erkundigte die Bäuerin sich so genau nach dem Eingang in das Haus? Der Förster hatte von Geld gesprochen, welches er nach der Stadt tragen wolle. Hatte sie es vielleicht auf dasselbe abgesehen?

Wohl nicht, denn sie befand sich jetzt doch bei ihm. Wie konnte sie da in seine Wohnung eindringen um zu stehlen?

Eins war ihm unlieb. Nämlich daß Martha den Grafen zu pflegen hatte. Vielleicht war sie nun abgehalten, heut zu kommen.

Dennoch kehrte er nach der Stelle zurück, an welcher sie ihn erwarten wollte. Diese war nur wenige Schritte entfernt. Wie groß war da die Gefahr gewesen, vom Förster oder der Bäuerin bemerkt zu werden.

Er hatte nicht vergebens gehofft. Bereits nach kurzer Zeit vernahm er schnelle, leichte und leise Schritte. Er befand sich natürlich nicht mitten auf dem lichten Waldwege, sondern er hatte unter den Bäumen gewartet. Er erkannte die Geliebte, welche stehen blieb und sich umschaute. Er trat hervor. Sie erschrak zunächst bei seinem Anblicke; aber als sie ihn erkannte, verwandelte sich ihre Bestürzung in Freude.

»Bist noch da!« sagte sie.

»Wo soll ich sein, wannst mich herbestellt hast, Martha?«

»Ich hab denkt, daßt davon gangen bist, weil ich so spät kommen thu.«

»O nein. Ich hätt wartet bis morgen früh. Ich weiß, daßt gern Dein Wort hältst.«

»Ja, wann ich kann, dann allemalen. Heut aberst wär es beinahe nicht gangen. Ich muß Dir sagen, warum, damitst mir nicht bös bist.«

»Ich bin Dir nicht bös, denn ich weiß es schon.«

»Nein, das kannst nicht wissen.«

»Sogar ganz gut. Meinst doch den Graf?«

»Ja. Ich hab hört daßt mit dabei gewest bist als er funden worden ist; Du weißt also, was ihm geschehen ist. Das Weitere aberst kannst nicht wissen.«

»Und dennoch weiß ich es.«

»Nun, was?«

»Daß dera Oberlieutenant bei Euch schläft und daßt ihn pflegen mußt.«

»Wahrhaftig, er weiß es schon!« sagte sie, erstaunt die Hände zusammenschlagend. »Von wem weißt es denn?«

»Von Deinem Oheim.«

»Hättst mit ihm sprochen?«

»Nein. Ich hab ihn belauscht, als er es seiner Liebsten verzählte.«

»Seiner Liebsten? Wen meinst?«

»Weißts nicht?«

»Nein – – nein,« antwortete sie zögernd.

»Martha, Du weißts aber doch. Du willsts mir aber nicht sagen.«

»Weißt denn Du so was?«

»Ja.«

»Nun, so sag mal, wer Diejenige ist, die Du meinst!«

»Meine Bäuerin.«

»Himmel! Er weiß es auch!«

»Ja, das weiß ich, und auch noch Andere wissen es.«

»Welche Schand!«

»Ja, es ist gar nicht auszusagen! Einen armen, blinden Mann zu betrügen!«

»Und die Beiden haben heut Abend mit nander sprochen?«

»Ja. Sie hatten sich bestellt und zwar gleich hier, zwanzig oder dreißig Schritte vorwärts von uns.«

»Herrgottle! Da hättens uns ja ganz leicht derwischen konnt!«

»Freilich! Es ist ein Glück, daßt so spät kommen bist. Auch dera Förster kam so spät. Die Bäuerin war ganz zornig auf ihn deshalb.«

»So sinds wohl im Zorn ausnander gangen?«

»O nein, Sie hat ihm verziehen, als sie hörte, weshalb er nicht kommen konnt.«

»Und wohin sind sie nun?«

»Hinaufi zum Dachsberg, wo er nach den Posten zu schauen hat. Da geht sie mit?«

»Das ist ja eine Todsünden!«

»O, es ist eine noch viel größere Sünden, alst Dir denken kannst. Es ist noch viel mehr dabei, alst ahnen magst.«

»Was denn? Du machst mir beinahe eine große Angst.«

»Brauchst keine zu haben!«

»So sags mir, wast meinst!«

»Später, Martha, später! Jetzt ist die Sach noch nicht so reif, daß man von derselbigen zu denen Leutln reden könnt.«

»Du meinst, zu denen fremden Leutln?«

»Ja.«

»Da mußt freilich schweigsam sein. Mir aber kannsts doch sagen?«

»Warum grad Dir?«

»Weil – weil – weil ich doch nicht eine Fremde für Dich bin.«

»Nicht? Was bist denn?«

Sie schwieg.

»Martha, bitte, sag, wast mir bist!«

»Eine – eine – eine Freundin.«

»So! Das glaub ich nicht.«

»O, das kannst glauben.«

»Hasts etwan schon bewiesen?«

»Nein. Aberst gieb mir nur die Gelegenheit, es Dir zu beweisen.«

»Das wird wohl fehlschlagen. Schau, wann man Freund und Freundin ist, so sagt man doch wenigstens einen Gruß und reicht sich die Hand. Hast das than vorhin?«

»Hast Recht, Fritz. Ich hätt grüßen sollt. Aberst alst so da aus denen Bäumen tratst, war ich ganz verschrocken, und nachhero hab ich mich so freut darüber, daß es kein Anderer war. Darum hab ichs ganz vergessen, einen Gruß zu sagen. Nun aber will ich es gleich nachholen. Hier hast meine Hand. Grüß Dich Gott, Fritz!«

»So ists recht, Martha! Grüß Dich Gott! Hast Dich also freut, als ich es war?«

»Ja. Nun aberst stehen wir bereits so lange hier. Wollen doch gehen.«

»Jawohl. Aberst ich hab da ein Bedenken. Auf allen Wegen stehen Posten. Wann Einer uns derblickt, muß er uns anhalten. Dann erfährts Dein Oheim, daßt mit mir gangen bist.«

»Er wirds nicht erfahren.«

»Denkst wohl, sie sagen es ihm nicht?«

»Sie werden uns gar nicht sehen. Die Posten sind bei uns ausgeben worden, und ich war dabei. Ich weiß also, wo sie stehen und wie man gehen muß, wann man keinen treffen will. Kannst also getrost mit mir kommen.«

»O, für mich hab ich keim Sorge, sondern nur für Dich.«

Sie setzten sich in Bewegung; da aber sagte Martha, welche sah, daß er sich ihr mit leeren Händen anschloß:

»Wo hast die Sachen, die Du mitbringen wolltest? Ich hab denkt, Du hast sie hier wohl bei Dir liegen.«

»Ich wollt Einiges mitbringen, doch gab es am Nachmittag so viel zu thun, daß ich gar keine Zeit funden hab, mir was zu besorgen.«

»Das ist schade! Ich hab mich so freut über die Wonne, welche die armen Leutln habt hätten, wannst ihnen auch was hättest geben konnt.«

»Ich werde ihnen was geben und zwar ein Geldl.«

»Das ist auch gut, sehr gut. Das ist ihnen wohl lieber als alles Andere. Zu essen habens bis morgen. Das bring ich ihnen hier im Korbe mit. Von dem Geldl aberst könnens sich kaufen, was sonst nachhero nöthig ist. Wie viel willst geben?«

»Ich hab nicht mehr als fünf Mark heut.«

»O, das ist viel und genug!«

»Denkst wirklich?«

»Ja. Du glaubst gar nicht, welch ein Kapital fünf Mark für solche bluthungerarme Leut sind. Was die sich dafür kaufen, das sollt man gar nicht meinen.«

»Das gefreut mich sehr. Und da hab ich eine noch viel größere Freuden für Dich und für sie.«

»Welche?«

»Das sag ich Dir erst dann, wannst mir auch eine große Freuden machst.«

»Ja, wann ich könnt!«

»Du kannst.«

»So sag es mir.«

»Ich möcht gern haben, daßt Deinen Arm in den meinigen legst.«

»Geh fort!«

»Martha! Willst nicht?«

»Wozu sollt es sein, Fritz?«

»Hier durch den Wald ists besser man führt sich am Arm. Du kennst den Weg besser als ich. Darum möcht ich gern Deinen Arm in den meinigen haben.«

Sie gab ihm den Arm und er nahm ihn in den seinigen, ergriff dabei ihr Händchen, hielt dasselbe fest, damit sie es ihm nicht entziehen könne und sagte:

»So! Ich dank Dir gar schön, daßt mir die Bitt erfüllt hast. Doch ist es auch noch ein anderer Grund, wegen dem ich Deinen Arm gern haben wollt.«

»Welcher wäre das?«

»Ich hab immer hört, daß es gar so herrlich sein soll, wann man mit einem guten, braven Dirndl so Arm in Arm neben nander geht.«

Da wollte sie ihm den ihrigen wieder entziehen; er aber hielt ihn fest.

»Bitte, laß mich los, Fritz!« sagte sie.

»Warum, Martha?«

»Ich hab mich anderst besonnen.«

»So plötzlich!«

»Ja. Es wird doch wohl besser sein, wann wir einzeln gehen.«

»So! Wer hat den vorhin sagt, daß sie meine Freundin sei?«

Sie antwortete nicht.

»Nun, weißt nicht mehr, wer das gewesen ist, Martha.«

»Ich,« sagte sie halb laut.

»Meine Freundin! Und jetzt willst mir nicht mal den Arm lassen!«

»Ich thät ihn Dir so gern lassen; aber wannst so redest, so – – –«

»Nun, wie denn?«

»So – so – ganz wie andere Buben, die ich gar nicht leiden mag.«

»Ists das? Wie soll ich denn reden, damitst mich leiden kannst.«

»So recht verständig und gesetzt und ehrwürdig.«

»Ja, grad wie ein heiliger Eremit! Nicht wahr, so meinst?«

Er lachte dazu. Sie stimmte leise in sein Lachen ein und antwortete:

»Nein. Ganz und grad so doch nicht. Ich kanns Dir nicht gut sagen, wie ich es gern sagen möcht.«

»Darum ists eben besser, Du sagsts gar nicht. Sag mir lieber, wiests noch hast möglich machen konnt, zu kommen.«

»Das war gar nicht schwer. Dera Oheim und die Jägerburschen sind fort und werden vor dem Morgen nicht wieder kommen. Die merken also nix.«

»Aber die Magd!«

»Die ist auf meiner Seiten.«

»Die weiß es also?«

»Ja. Sie hat mir holfen den Korb einpacken.«

»So weiß sie also auch, wohinst gehst?«

»Ja.«

»Weiß sie auch, daß ich heut bei Dir bin?«

»Nein. Das werd ich ihr doch nicht sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil – weil – – weil – – –«

Sie stockte. Wäre es am Tage gewesen, so hätte er sehen können, daß eine glühende Röthe ihr schönes Gesichtchen überfluthete.

»Weil – weil – – ich weiß, was hast sagen wollen.«

»Nun was denn?«

»Weilst Dich schämst, mit mir zu gehen.«

Sie blieb sofort stehen, ganz als ob sie sehr erschrocken wäre.

»Fritz, das darfst mir nicht anthun. Thät ich jetzt mit Dir gehen, wann ich mich dafür schämen müßt?«

»Es ist ja Nacht, da siehts Niemand.«

»Grad daß ich in dieser Nacht mit Dir geh und mitten im Wald, daß muß Dir ein Beweis sein, daß ich mich nicht Deiner schäm. Und warum sollt ich mich denn schämen?«

»Weil ich ein armer Knecht bin.«

»So! Und was bin denn ich?«

»Die Nichte und Erbin des reichen Försters von Kapellendorf.«

»Nein, seine Magd, weiter nix, seine Magd.«

»Dera Arbeit nach, das mag wohl sein, aber seine Verwandte bist doch und also auch seine Erbin.«

»Das werd ich niemals werden.«

»Warum? Hat ers zu Dir sagt?«

»Zu mir nicht, aberst zu dera Kronenbäuerin.«

»Du hast die Beiden wohl mal belauscht?«

»Ja, und zwar in finsterer Nacht in unserm Garten.«

»Hm, ja; das trau ich ihnen wohl zu. Und da habens von dera Erbschaft sprochen?«

»Ja. Sie haben sagt, daß sie sich heirathen wollen, wann dera Kronenbauer storben ist, daß sie dann Kindern haben werden, welche die reichsten in dera ganzen Umgegend sein werden. Und die Bäuerin hat verlangt, daß er mich fortjagen soll.«

»Das ist ihr zuzutrauen. Wohin thätst dann gehen?«

»Wohin sollt ich gehen? Ich hab auf dera Welt außer dem Oheim keine Menschenseel', die sich meiner annehmen möcht. Ich thät mir einen Dienst suchen.«

»Und ich mir auch.«

»Warum Du?«

»Nun, wann dera Förster die Kronenbäurin heirathen thät, so müßt ich auch fort. Das kannst Dir denken.«

»Ja. Er scheint auf Dich eifersüchtig zu sein.«

»Dann thät ich mir auch einen anderen Dienst suchen. Und weißt, bei wem?«

»Nun, wo?«

»Da, wo Du wärst. Du die Magd und ich dera Knecht, wir Beid in einem Hause und unter einem Dache, das müßt herrlich sein. Nicht?«

Er drückte ihren Arm fester an sich; sie antwortete nicht. Es war ein wehmüthiger Ernst über sie gekommen.

»Du schweigst, Martha? Wärs Dir nicht lieb, wann wir so bei nander wären?«

»Ja, es war mir freilich lieb. Aberst so weit kommts schon nicht.«

»Warum?«

»Weilst nicht dahin gehen würdest, wo ich bin.«

»Da irrst Dich schon gar sehr.«

»Und soweit ists auch noch gar nicht, daß dera Förster an die Stelle des Kronenbauern kommt, wann dieser storben ist.«

»Warum denkst das?«

»Ich kanns nicht glauben, daß die Bäurin meinen Oheim wirklich lieb hat.«

»Sie geht doch heimlich mit ihm zusammen!«

»Wer weiß, was für einen Grund dies haben mag.«

»Da hast Recht. Jedenfalls hat es einen Grund. Lieben thuts ihn nicht. Weißt, Du bist ehrlich mit mir gewest, und so will ich auch mit Dir aufrichtig sein. Die Bäurin hat mir auch einen Heirathsantrag macht.«

Martha erschrak so heftig, daß sie ihm ihren Arm nicht entzog, sondern förmlich entriß.

»Ists wahr?« rief sie.

»Ja, ich sag Dir natürlich keine Lüge.«

»Wann?«

»Heut, als wir von dera Kapellen mit nander nach Haus gingen.«

»Habs mir denkt!«

»Was, Du hasts Dir denkt?«

»Ich habs ihr ansehen, daß sie Dich lieb hat, sehr lieb.«

»O, das hat doch ganz anders ausschaut, gar nicht nach Liebe. Sie hat ein Gesicht macht wie eine Furie, grad als obs mich fressen wollt.«

»Nein, mich, Dich nicht. Ich bin keine Kluge und Witzige; aberst das ist gleich zu sehen, ob Eine einen Buben lieb hat oder nicht. Wann Sie Dich nicht lieb hätt, könnts ihr doch ganz gleichgiltig sein, wannst bei mir stehst.«

»Das möcht ich beinahe zugeben. Also war sie auf Dich eifersüchtig gewest?«

»Ja.«

»So muß sie Dich also für ein Dirndl halten, der ich gut sein kann.«

Eine solche Dialectik hatte Martha nicht vermuthet.

»Geh,« sagte sie., »Bist auch ein Spitzfindiger!«

»Nein. Aberst ich geb der Bäurin Recht. Selbst wann Einer sie lieb hätt, könntst ihr gefährlich werden. Um wie viel mehr aberst bei Einem, der sie hassen und verachten muß.«

»Das thust wohl?«

»Ja. Sie ist eine Schlimme, so schlimm und gottlos, wiest gar nicht denken kannst. Du wirsts aber schon noch derfahren. Du bist wenigstens ebenso schön wie sie, aberst viel, viel besser, so lieb und so gut, so brav und – – –«

»Schweig,« fiel sie ihm in die Rede. »Das kann ich nicht erhören.«

»Klingts schlecht?«

»Es ist eine Schmeicheleien und die kann ich nicht hören.«

»Wer sagt Dir denn, daß es eine Schmeicheleien sei?«

»Ich hörs denen Worten an. Bitte, sprich nicht davon, sondern lieber von dera Kronenbäuerin! Was hat sie Dir sagt?«

»Daß ich sie heirathen soll, wenn dera Mann todt ist.«

»Herrgott! Dera richtige Heirathsantrag bei Lebzeiten ihres Mannes! Da muß sie doch auch sagt haben, daß sie Dich lieb hat?«

»Ja.«

»Und daß Ihr jetzund bereits schon mit nander gut und – und zärtlich sein wollt?«

»So hat sie sagt.«

»Und was hast Ihr da antwortet?«

»Mit dera heiligen Schrift und den heiligen zehn Geboten. Da ist sie nachhero still gewest.«

»So eine Schlimme und Schlechte!«

»Ja, sie ist so schlimm, daßt mir ihretwegen gleich Deinen Arm entzogen hast.«

»Ich war so ganz verschrocken.«

»Das habe ich merkt. Willst ihn mir nicht wiedergeben, Martha?«

»Nein. Hast auch nicht Wort halten.«

»Wiefern denn?«

»Hast sagt, daßt mir eine Freuden machen willst und denen armen Holzknechtsleutln, wann ich Dir ihn geb.«

»Ach so, das hab ich freilich ganz vergessen. Wannst mir ihn wieder giebst, sollsts erfahren, Martha.«

»Kannsts mir nicht auch so sagen?«

»Ja, das könnt ich schon. Aberst es ist so schön, wenn ich Dich am Arme hab. Magst mir denn nicht den Gefallen thun?«

»Vielleichten nachhero. Erst aberst mußts mir sagen.«

»Gut, ich will nicht hinterrückig sein. Weißt, ich hab einen guten Freund, dem hab ichs sagt, daß ich heute Abend mit Dir nach dem –«

»Herrgottle! Was haßt denn than?«

»Ists was Schlimmes?«

»Ja. Was müssen die Leutln von mir denken? Von einem Dirndl, welches mit einem Buben nach Mitternacht im Wald umherläuft?«

»Die Leutln? Die wissen gar nix.«

»Die werdens aberst von ihm derfahren!«

»Nein. Er ist ein gar Verschweigsamer.«

»Das denkst nur! Ich kenn hier keinen Menschen, keinen einzigen, dem ich so was anvertrauen möcht!«

»Hier? Ja, hier! Da hast Recht. Er ist aber gar nicht von hier; auch hat er ein gutes, liebes Herz und auch einen offenen Beutel. Er hat mir für die armen Leutln ein Geschenk mitgeben.«

»So! Wohl ein Geldl?«

»Ja.«

»Das ist sehr gut. Wie viel?«

»Fünfzig Mark hat er mir geben.«

Da setzte sie das kleine Handkörbchen auf den weichen Waldboden, blieb stehen, ergriff seinen Arm und fragte beinahe athemlos:

»Machst Scherz oder Ernst?«

»Ernst!«

»Hast wirklich fünfzig Markerln mit für die guten Leutln?«

»Fünfzig Markerln, drei Goldstuckerln!«

»O heilige Madonna, welch eine Freuden wird das sein! Fritz, da geb ich Dir gern meinen Arm. Behalt ihn, behalt ihn! Ich nehm ihn Dir nicht wieder. Aberst komm, komm schnell!«

Sie schob ihren Arm in den seinigen und wollte ihn fortziehen. Er widerstrebte:

»Nur sachte, sachte, Martha!«

»Nein, schnell, nur schnell! Komm Fritz!«

Sie riß ihn wirklich eine kurze Strecke mit sich fort.

»Dirndl, Dirndl! Bist ja ganz und gar aus dera Contenance!«

»Ja, wanns fünfzig Markerln sind, so kanns nicht schnell genug gehen, also vorwärts, Bub, vorwärts!«

Sie zog abermals aus Leibeskräften.

»Aberst Dirndl, sollen die Leutln denn diese fünfzig und sodann auch meine fünf Markerln bekommen?«

»Auch das Brod und Andres, was ich ihnen mitbringe. Komm!«

»So! Wo hasts denn, wast ihnen geben willst? Hast ja gar nicht merkt, daßt vor lauter Eifer Deinen Korb hast stehen lassen!«

»Ja, ja! Hast Recht! Was bin ich doch für ein unköpfiges Dirndl! Gleich werd ich ihn holen.«

Sie holte den Korb, schob dann abermals den Arm in denjenigen des Knechtes und zog ihn, der nun unweigerlich folgte, schnell mit sich fort.

Sie konnten es nicht erwarten, die glücklichen Gesichter zu sehen. Gut war es, daß sie sich beinahe am Ziele ihrer nächtlichen Wanderung befanden. Sie gelangten nach kurzer Zeit in ein waldiges Thal, auf dessen Sohle sich ein munteres Bächlein murmelnd hinschlängelte. Da stand, vom Monde hell beschienen, eine niedrige Hütte, halb aus rohen Steinen, halb aus unbehauenem Holz errichtet und mit Moos verstopft. Zwei Oeffnungen, anderthalb Fuß hoch und eine Hand breit, bildeten die Fenster. Die Thür war niedrig und so rissig, daß man ohne große Mühe durch sie das ganze Innere überschauen konnte.

Die Beiden schlichen sich leise hinan und guckten hindurch.

Das Innere wurde durch einen brennenden Kienspan erleuchtet. Einen Ofen gab es nicht. Eine auf mehreren Feldsteinen ruhende Platte bildete den Heerd. Der Rauch konnte sich, da es keinen Schornstein gab, den Ausweg ganz beliebig suchen. An Möbeln war ein Schemel, ein alter Tisch und ein Bret, auf welchem die wenigen vorhandenen Koch- und Tischgefäße standen, vorhanden. Auch von Bettstellen war keine Rede. Die eine Hälfte des Raumes war fußhoch mit trockenem Wassermoos und Laub bedeckt. Das war das Lager, auf welchem die Glieder der Familie in allen möglichen Stellungen Platz genommen hatten.

Dort, wo der Kienspan brannte, saß auf einem Baumklotze, welcher den Stuhl bildete, eine abgezehrte, bleiche Frau, welche sich Mühe gab, ihrem vor Hunger schreienden Säuglinge die Nahrung zu geben, welche in der hageren kranken Brust nicht mehr vorhanden war.

Martha wendete sich erröthend von diesem Anblicke ab, und doch standen bereits Thränen des Mitleides in ihren Augen.

»Klopf an, Fritz,« bat sie leise.

»Gehst doch allein hinein?«

»Nein. Du mußt doch auch mit!«

»Ich?« meinte er verlegen. »Ich thu es nicht gern.«

»Warum?«

»Weil – weil – weil mir das Herz brechen thät, wenn ich so ein Elend anschauen müßt.«

»Wirst dann auch gleich eine desto größere Freuden schauen.«

»Wenn auch! Ich bleib lieber hier außen.«

»So geh auch ich nicht hinein!«

»Martha! Bist so eigensinnig? Das hätt ich nicht dacht.«

»Nein, eigensinnig bin ich nicht. Ich will Dir es auch gönnen und zeigen, was für eine Seligkeiten es ist, wenn man so einem Elende Linderung bringen kann.«

»Das glaub ich wohl. Aberst muß man dann dabei sein?«

»Nein; das ist wahr.«

»Also geb ich Dir das Geldl. Du nimmsts mit hinein, und ich thu hier warten.«

»Nein. Ich versteh Dich wohl. Du bist halt ein gar guter und edler Bub. Du willsts nicht haben, daß diese Leutln sich bei Dir bedanken müssen. Hab ich Recht oder nicht, Fritz?«

Er zögerte mit der Antwort.

»Nun, sag mirs doch!«

»Ja, Martha, ich thät wohl ein gar albernes Gesicht dabei machen, wanns sich bei mir bedanken müßten.«

»Hab ich es mir doch gleich denkt, daß es so ist, aberst da kommst bei mir nicht gut an. Wer Böses thut, soll auch die Straf erleiden, und wer seinen Mitmenschen Gutes erweist, der darf sich nicht ihrem Dank entziehen.«

»Aberst dazu fehlt mir das Geschick!«

»Das wird sich schon einfinden. Weißt, lieber Fritz, wenn diese Leutln sich nicht bedanken dürfen, so thut es ihnen wehe. Sie sind keine Bettlern, sondern nur durch die Krankheit so arm worden. Ihr Dank ist das Einzige, was sie geben können und den gebens doch gar so gern. Wer den Dank abschlägt, der wirft eine Last auf die Seele dessen, der empfängt. Die Gabe ist dann nix werth, ja, sie ist ein Wehe, welches man den Leutln zufügt. Also gehst mit hinein! Nicht wahr?«

»Lieber Fritz!« hatte sie sagt. Wie wohl diese zwei kleinen Worte aus diesem geliebten Munde seinem Herzen thaten. Er hätte ihr jetzt viel, viel zu Gefallen thun, ihr in der Ueberfülle seines Herzens große und schwere Opfer bringen können, und dennoch zögerte er, ihr diese kleine Bitte zu erfüllen. Sein bescheidener Sinn, sein Charakter sträubte sich gegen den Dank, den er voraussichtlich hier empfangen mußte.

»Also, bitte, bitte, Fritz!« wiederholte sie, indem sie ihn bei der Hand nahm.

Er vergaß dieses kleine, liebe Händchen zu drücken und antwortete stockend:

»Martha, thu mir den einzigen Gefallen und laß mich hier außen. Ich werd Dich hier erwarten.«

»Nein. Du mußt mit hinein.«

»Ich kann nicht. Ich reiß aus!«

»Ich werd schon dafür sorgen, daßt mir nicht entkommst!«

Sie faßte ihn fest beim Aermel und klopfte an.

Drin wurde es still. Sogar der Säugling schwieg auf einige Augenblicke. Die sorgenvollen Gesichter erheiterten sich, und die hungernden Kinder richteten sich von ihrem Lager auf.

Sie hatten heute vergeblich auf ihre reizende Wohlthäterin gewartet. Da es klopfte, hofften sie, daß diese es sein werde.

»Herein!« bat die Frau, die Augen mit hoffnungsvollem Blicke nach der Thür gerichtet.

»Martha, laß los! Es wird mir ganz dumm im Kopf, wenn ich mich so anschauen lassen soll!«

»Ach was! Schau sie nicht an! Drehe ihnen den Rücken zu!« antwortete sie.

Während sie ihn mit der einen Hand fest hielt, öffnete sie mit der anderen die Thüre.

»Bücke Dich, Bub, sonst stößt Dir der Kopf eini!« lachte sie.

Dabei faßte sie ihn beim Kragen, zog seine Schultern in eine gebeugte Stellung nieder und schob ihn mit einem kräftigen Stoße zur Thüre hinein.

»Himmelsakra!« rief er aus. »Die duldet keinen Widerspruch! Mit so einer ist schlecht Kirschen essen. Die wirft Einem die Kernen alle an den Kopf!«

»Ja, das thu ich auch, wannst nicht parirst,« lachte sie, indem sie eintrat und die Thür hinter sich zumachte. »Grüß Gott, liebe Leutln! Heut komm ich spät. Es ging nicht anderst. Seht Ihr auch, wem ich Euch da mitbringen thu?«

Die Frau hatte gleich als Martha klopfte, ihre Brust mit einem Fetzen oedeckt, von welchem man nicht genau sagen konnte, ob er das Hemde oder die Jacke sei. Sie hatte den Knecht mit einigem Erstaunen betrachtet und antwortete nun:

»Das ist ja dera Fritz aus dem Kronenhofe. Ein braver Bub. Der ist wohl Dein Bräutgam, Martha?«

Fritz lehnte in größter Verlegenheit an der Wand. Martha wußte nicht sogleich, was sie sagen sollte, wurde aber glücklicher Weise der Antwort überhoben, denn der kranke Holzknecht machte auf seinem Lager eine für seine geschwächten Kräfte sehr rasche Bewegung und sagte mit matter Stimme:

»Dera Fritz? Ja, er ists! Das ist ja ein guter Besuch! Willkommen, Fritz!«

»Grüß Gott!« antwortete der Knecht, froh, daß er einen Laut von sich geben durfte, ohne seine Verlegenheit merken lassen zu müssen. »Grüß Gott, Leutln! Ich hab hört, daß es Euch nicht gut ergeht.«

»Leider ists schlimm genug,« antwortete die Frau. »Seit mein Mann krank worden ist, da hat es uns stets – –«

Das, was sie weiter sagte, wurde durch das Geschrei des Säuglings übertäubt, welcher jetzt seine Stimme wieder erhob, und zwar kräftiger als vorher.

»Herjesses, Herjesses!« rief Martha, halb erschrocken und halb scherzend. »Hat das eine Stimmen! Aberst ich weiß schon, was ihm fehlt. Er schreit noch dera Milchen. Die ist sein Lieblingstrank. Ich hab sie ihm mitbracht, und er soll sie sogleich haben.«

Sie bückte sich zu ihrem Korbe nieder, welchen sie auf den Boden niedergesetzt hatte.

Erst jetzt fiel Fritzen auf, wie eigenthümlich das Mädchen gekleidet war. Sie trug ungewöhnlich lange Röcke, und zwar war sie unten so dick, daß man hätte meinen mögen, sie habe eine Krinoline oder ein ganzes Dutzend Röcke an. Darüber war eine große Jacke zu sehen, unter welcher sie ein breites, langes, wollenes Tuch um den Oberleib geschlungen hatte. Sie war in Folge dessen fast noch einmal so dick als sonst.

Sie brachte eine Rolle aus dem Korbe und fuhr erklärend fort:

»Gleich bevor ich fortging, hab ich noch die schwarzschecketen Kuh molken und die Milch in eine Flasche than. Sie war ganz lebenswarm, und da hab ich sie in Strickwolle einischlagen, daß sie unterwegs nicht kalt werden soll. Da ist sie, die Milch für das kleine Büberl und das Strickgarnen für Dich, daßt Dir ein Paar Strümpfen stricken kannst.«

Sie gab Beides der Frau, welche die Milch noch warm genug fand, sofort einen Sauger auf die Flasche setzte und sich dabei in regen Dankesworten erging.

»Schweig!« wurde sie von Martha unterbrochen. »Schau lieber mal her zu mir! Wie gefall ich Dir heut?«

Dabei drehte sie sich lustig einige Male rundum, um sich von allen Seiten ansehen zu lassen. Die Frau antwortete, indem sie dem jetzt schweigenden Säugling zu trinken gab:

»Ja, wie schaust denn aus, Martha? Hast wohl gleich den ganzen Kleiderschranken angezogen?«

»Der Kleiderschranken nicht, aberst meine Truhen, in welcher ich die Kleider aufbewahr, die noch von meiner Muttern stammen. Ich hab denkt, daß sie Dir passen werden und Dir das Beste davon mitbracht. Willsts haben?«

»Herrgottle, Martha! Bist ja selberst ein armes Waisendirndl! Wie kannst so was verschenken wollen?«

»Hab keine Sorg um mich! Ich nehm mir mal einen steinreichen Mann, der mir andere Sachen kauft. Ich hab keinen Packt machen wollen, den ich tragen muß darum hab ich die Sachen gleich anzogen. Vorerst aberst wollen wir erst den Hunger stillen, den die Kinder haben werden!«

Sie theilte den Inhalt des Korbes, welcher aus gestrichenen Butterbroden bestand, an Eltern und Kinder aus. Das wurde mit wahrer Gier verschlungen. Dann meinte sie:

»Und nun will ich meine Kleidertruhen von mir legen. Wollen schauen, was Alles dazu gehören thut. Paßt mal aufi!«

Sie putzte die riesige Schnuppe von dem brennenden Kienspan, so daß die Flamme heller zu leuchten begann, und stellte sich sodann in den Schein derselben, damit die Anwesenden deutlicher sehen konnten, was sie thun werde.

Dann knöpfte sie die große Jacke auf, zog sie aus und warf sie von sich, auf einen freien Theil des Moos- und Blätterlagers.

»Das ist dera eine Spenzer,« sagte sie. »Wart nur; es kommen noch einer und – – noch einer.«

Bei diesen Worten warf sie nach einander zwei Jacken ab, welche sie über einander gezogen hatte, dazu das bereits erwähnte Tuch. Nun erst zeigte sich das Mieder, welches sie heut am Nachmittag getragen hatte.

»Und jetzund nun kommen die Rück und die Schürzen daran. Paß mal aufi!«

Bei diesen Worten knüpfte sie drei Schürzen und drei Röcke los, welche sie zur Erde fallen ließ und stand nun ganz so da, wie sie an der Kapelle gewesen war. Sie legte die Sachen zu den andern auf das Lager und sagte, lustig die Hände zusammenschlagend:

»So, da hab ich mich halt ausgeschält und bin nun nicht mehr die dicke Schlampampen mit dera Riesentaljen wie vorher. Frau, wie gefallt Dir das?«

Der Säugling hatte getrunken und war nun ruhig. Die Frau legte ihn von sich und antwortete:

»Martha, wast da thust, ist doch wohl nur ein Scherzen?«

»O nein. Diese Sachen sollen Dir gehören. Komm her, und thu sie mal an, damit ich schau, wie sie Dir auch passen.«

»Das kann ich doch gar nicht glauben.«

»Wannsts nicht glaubst, so kannst mich grad beleidigen. Willst das etwan thun?«

»Nein, kränken will ich Dich nicht. Das war ja gar eine Sünden bei so einer extra braven Personen, wie Du bist. Aber so ein armes Schacherl, wiest selberst bist, darf doch nicht so große Geschenken machen. Ich darf mich nicht an den Deinigen Sachen vergreifen. Denk nur mal daran, daßts selber brauchen thust!«

»O nein. Sie passen mir gar nicht. Was will ich mit ihnen thun?«

»Kannst sie ändern lassen, damit sie Dir nachhero auf den Leib passen.«

»Ach geh! Da wird auch nix Gescheidtes draus.«

»Aberst so viel, so gar viel!«

»Ich geb halt grad so viel, wie ich hab. Und wannsts nicht nehmen willst, so trag ichs wieder fort und gebs nachhero einer Anderen, mit welcher ich mich nicht so zu ärgern brauch. Aberst ins Haus komm ich Dir dann nicht wieder. Darauf kannst Dich nur verlassen.«

»Also ists wirklich Dein Ernst?«

»Mein völliger!«

»Nun gut, so muß ichs schon nehmen, um nur an Dir nicht eine gar so schlimme Feindin zu bekommen.«

»So schau es an, aberst schnell! Ich kann es halt gar nicht derwarten, zu sehen, ob es Dir auch passen wird.«

Nun wurden die Sachen angeprobt. Die arme Frau schwamm in einem Meere von Wonne, da sie sah, daß sie die Kleidungsstücke anziehen und tragen könne. Sie richtete ihren schwerkranken Mann in sitzende Stellung empor, damit auch er sie richtig betrachten könne. Selbst die Kinder machte sie auf jedes einzelne Kleidungsstück aufmerksam, welches sie anlegte. Es war eine Freude und ein Jubel, wie er in diesem ärmlichen Räume selten stattgefunden haben mochte.

Und Martha war die Allerglücklichste unter ihnen. Sie half die Kleider anlegen. Sie war ganz Wonne. Ihr Gesichtchen strahlte förmlich im Glücke des Wohlthuns. Ihre Bewegungen waren so gewandt und schnell; ihre Stimme klang wie ein silbernes Glöcklein. Fritz wurde gar nicht müde ihr zuzusehen und vermochte es kaum, den Blick einmal für einen Augenblick von ihr abzuwenden.

»So,« sagte sie endlich, als Alles anprobirt worden war. »Jetzunder sind wir fertig. Nun hab ich sehen, daß Alles paßt, und ich freu mich königlich, daßt die Kleidern so schön tragen kannst.«

»Ja,« nickte die glückliche Frau. »Nun darf ich auch mal in die Kirch gehen, denn ich kann einen Staat machen, wie die reichste Bauerfrauen ihn nicht besser hat. Jetzund, wenn ich noch ein Geldl hätt für ein Paar Schuhen und eine Hauben, nachhero war ich das feinste Weib in der ganzen Gegend rings umher.«

»Das kannst,« antwortete die Martha. »Ein Paar Schuhen sollen werden.«

»Das möcht ich aberst wissen, woher.«

»Vom Fritz dahier.«

Die Frau wandte sich zu dem Knecht und sagte lachend:

»Ja, will mir denn dera Fritz etwan ein Paar alte Schuhen von sich schenken? Da würde ich bald probiren, obs mir an den Fuß passen thun.«

Jetzt war es an ihm, ein Wort zu sagen, aber er brachte nichts hervor.

»Na, Fritz, so red doch auch mal!« forderte Martha ihn auf.

Er fuhr sich mit der Hand in die Haare und brummte dann Etwas, was Niemand verstehen konnte.

»Red lauter! Man weiß ja gar nicht, wast sagen willst.«

»Ja, das weiß ich selberst auch nicht,« gestand er aufrichtig.

»Na, das wirst doch wissen.«

»Wahrhaftig nicht. Ich hab Dir gleich sagt, daßt mich hier nur in die Verlegenheiten bringen thust. Hättst mich gar nicht mit herein nehmen sollen!«

»Schau, wiest reden kannst, wannst mir einen Vorwürfen machen willst! Jetzt sagst gleich, wast eigentlich hier wollt hast.«

»Sappermenten! Jetzunder zerrts mich gar beim Zügel. Da muß ich gehorchen.«

»Ja, das verlang ich auch von Dir! Also sag, was hast hier wollt?«

»Was ich wollt hab? Hm, ich glaub, ich hab was mitbringen wollt.«

»Was denn?«

»Ein kleines Geldl ists gewest.«

»Gewest? Es ist ja noch.«

»Na freilich ists noch.«

»So thu es doch herausi!«

»Ja, nachdem Du gar so viel herschenkt hast, getrau ich mich gar nicht hervor mit denen paar Groschen, die ich geben wollt.«

»Bist ein talketer Bub! Hier wird Alles angenommen. Heraus damit!«

»Giebs lieber selberst.«

Er zog sein Fünfmarkstück aus der Westentasche und gab es Martha; diese hielt es der Frau hin und sagte:

»Da hast! Das ist vom Fritz. Es sind nur fünf Markerln, aberst er hat nicht mehr abthun konnt. Er ist ein armer Knecht und kann keinen Hunderter geben.«

Die Frau hielt das Geldstück in das Licht des Kienspanes, betrachtete es mit freudeglänzenden Augen und rief:

»Fünf Markerln, fünf volle Markerln! Wahrhaftig, es sind fünf. Und das willst uns schenken, Fritz?«

»Ja, wannsts nehmen willst,« nickte er.

»Es ist ja zu viel!«

»Nein. Ich hatts grad übrig.«

»Aberst ich sag dennoch, daß es zu viel ist.«

Das gab ihm den Muth, zu reden. Er antwortete:

»Es ist nicht zu viel. Mußt bedenken, daß mancher Knecht so viel und auch noch mehr auf dem Saal vertrinken und vertanzen thut. Und weil ich nicht auf den Tanz geh, so kann ich mal fünf Markerln verschenken. Also nimms getrost. Machst mir eine große Freuden damit.«

»Ists Dir wirklich eine Freuden?«

»Ja, kannsts glauben. Wann man es vertanzt oder gar verspielt hat, so thuts halt keinen Nutzen. Hier aberst werd ich gar lang daran denken, daßt Dir was Notwendiges davon hast kaufen können.«

»Wann es so ist, so nehme ichs freilich gern. Hier hast meine Hand dafür, Fritz, ich dank Dir gar schön. Und mein Mann will sich auch bedanken. Schau, er reicht Dir bereits die Hand entgegen.«

»Ich auch – ich auch – ich auch!« riefen die Kinder und streckten dem Knechte die Hände hin. Er drückte sie alle. Die Leute weinten vor Freude, und die Frau sagte schluchzend:

»Nun kann ich meinem Mann mal ein Fleisch kaufen. Dera Doctor hat sagt, daß ihm keine Medizinen hilft. Er soll fleißig Bullerong trinken von Rindfleisch, und Hühnerfleisch soll er essen und gar noch einen Wein trinken. Dann thät er schnell wieder gesund werden. Aberst woher soll ich den Wein nehmen und die Hühnern? Wenigstens kann ich nun vom Kuhfleisch ihm eine Bullerong kochen. Das wird ihm gut thun.«

»Wart, sollst auch Hühnern kaufen können,« sagte Martha.

»Ich? Was denkst! Woher soll ich das Geldl nehmen, wann eine Henne zwei Markln kostet und noch mehr.«

»Woher? Hm! Das wüßt ich schon.«

»So? Du? Willst mir vielleichten ein Lotterielos schenken, was gewinnen thut?«

»Nein. Brauchst doch nur junge Hähnderl zu kaufen. Da kannst eins schon für fünfzig Pfennige erhalten. Hier auf dem Dorf sinds ja billiger als in dera Stadt.«

»Hast Recht. Aberst fünfzig Pfennigen, das sind auch bereits eine halbe Mark. Von denen fünf Markerln könnt ich da freilich zehn Hähnderln kaufen; aberst es giebt noch andera Dingen, die auch nothwendig sind und bezahlt werden müssen.«

»Geh weg!« lachte das schöne, glückliche Mädchen. »Ich weiß Einen, der kann Dir so viel geben, daßt Dir gleich ein ganzes Hundert Hähnderln kaufen kannst.«

»Hundert? Herjesses!« rief die Frau, die Hände zusammenschlagend.

»Glaubsts etwan nicht?«

»Nein.«

»Es ist aberst wahr!«

»Nein; das kann nicht wahr sein.«

»Warum nicht?«

»Hundert Hähnderln zu fünfzig Pfennigen eins; das wären ja gar fünfzig ganze Markerln.«

»Ja, fünfzig!« nickte Martha.

»Und die wollt mir Einer geben?«

»Ja.«

»Aber wer denn?«

»Auch dera Fritz.«

»Dieser Fritz dahier?« fragte die Frau ungläubig, indem sie auf den Knecht deutete.

»Ja, ganz derselbige.«

»Da machst nun freilich ein Gespaß!«

»Nein. Frag ihn nur selberst.«

»Da brauch ich halt gar nicht zu fragen. Fünfzig Markerln kann nur Einer verschenken, der eine Millionen im Beutel hat.«

»Vielleichten hat derjenige so viel, ders ihm für Dich geben hat.«

»Was? Es hats ihm Einer geben?«

»Ja.«

»Wer ist denn der reiche Gute?«

»Das hab ich ihn auch schon fragt; aberst er sagts halt nicht.«

»So! Also wär es wirklich – – doch nein, es kann nicht sein!«

»Freilich, es ist so! Fritz, ists wahr oder nicht?«

»Ja,« stimmte der Knecht bei. »Es ist ganz gewiß wahr.«

»So thue es doch herausi!«

Erst jetzt zog Fritz den Beutel, nahm die drei Goldstücke heraus und gab sie der schönen Förstersnichte. Er hätte sie ja gleich der Frau direct geben können, aber es war ihm, als sei es viel besser und schöner, wenn das Geld durch die Hand der Geliebten gehe.

Diese ließ die Stücke einzeln im Lichte des Kienspanes funkeln und sagte:

»Schau her, was ist das?«

Die Frau trat näher und rief:

»Herjesses! Das sind ja Goldstuckerln!«

»Freilich! Wie viele?«

»Drei.«

»Und was gelten sie?«

»Das weiß ich freilich nicht.«

»Nicht? Wirsts doch wissen!«

»O nein. Wir haben noch niemals so ein Goldstuckerl besessen; auch nicht mal in denen Händen hab ich eins habt. Wie kann ich es da wissen, wie viel es gelten thut.«

»So werd ich es Dir zeigen. Mach gleich mal die Hand auf, und halt sie her. So! Paß auf!«

Sie hielt mit der Linken die Hand der Frau und zählte mit der Rechten die Goldstücke einzeln hinein. Dazu sagte sie:

»Schau, das sind zwanzig Markerln. Wie viel? Sag es nach!«

»Zwanzig.«

»Und hier wieder ein Zwanzigmarkerl. Wie viel nun zusammen?«

»Vierzig.«

»Schön! Und dieses kleine ist ein Zehnmarkerl. Da hasts! Wie viel ists nun zusammen?«

»Fünfzig.«

»Nun also! Glaubsts jetzt endlich?«

»Ja; aberst das Geldl ist nicht mein.«

»Nicht? Hasts doch in dera Hand.«

»Er wirds natürlich gleich wieder haben wollen.«

»Daran denkt er gar nicht. Fritz, sag, willsts etwan wieder?«

»Nein,« antwortete der Gefragte, indem er sehr nachdrücklich mit dem Kopfe schüttelte.

Die Frau blickte erst ihn und sodann Martha an, machte ein ganz verblüfftes Gesicht und sagte:

»Wann er es nicht will, so ists also doch Dein. Da nimms, Martha!«

»Fallt mir gar nicht eini. Schau, ich hab den Fritz heut troffen und ihm sagt, daß ich zu Euch will. Er hat meint, daß es wegen dem Samiel zu gefährlich für mich ist, allein zu gehen. Darum hat er mich beten, mitkommen zu dürfen, und ich habs ihm derlaubt, weiter ein gar so Braver ist.«

»Ja, das ist er. Das wissen alle Leutln. Darauf kann man schwören.«

»Und nachhero hat er Einen troffen und ihm von Eurer Noth verzählt. Dem ist das Herz aufigangen, und er hat dem Fritz diese fünfzig Markerln für Euch mitgeben. Nun sind sie also Euer.«

Da kam hinten aus der Ecke ein ganz unbeschreiblicher Ton hervor. Die Drei blickten hin. Da lehnte der arme Holzknecht an der Wand und weinte grad aus vor Freude. Weil ihm aber seine kranke Brust dabei unendlich schmerzte, wollte er das Schluchzen unterdrücken, und so gab es einen Ton, den man mit gar nichts vergleichen konnte.

»Mann, mein lieber, lieber Mann! Sei still. Thu Dir nur keinen Schaden!« rief die Frau voller Sorge, eilte hin, kniete zu ihm nieder und nahm seinen Kopf an ihre Brust.

»Ich kann – – ja nicht – anders. Ich muß – – weinen!« schluchzte er.

»Ja, ich kann mich auch nicht halten!« rief sie, indem sie einstimmte.

Die Kinder weinten natürlich auch mit.

Martha ergriff die Hand Fritzens und blickte mit feucht schimmernden Augen zu ihm auf. Er machte ein ganz unbeschreiblich grimmiges Gesicht, drückte die Lippen zusammen, knirschte mit den Zähnen; hatte aber doch nicht die volle Kraft, sich zu beherrschen und brach dann plötzlich in ein lautes Schluchzen aus.

»Fritz!« bat Martha.

»Ja, zum Sapperloten!« schluchzte er. »Daran bist nun schuld. Nun steh ich da und heul wie eine Kinderammen. Wannst mich nicht mit hereini nommen hättst, stand ich nun draußen in dera Sicherheiten und braucht mich nicht auslachen zu lassen!«

»Wer lacht Dich denn aus?«

»Doch Du!«

»Ich! Schau mich doch an, ob ich so ausschau, als ob ich über Dich lachen könnt!«

Er blickte sie durch Thränen an und sah allerdings, daß sie auch weinte.

»Ja, nun flennst und grinsest auch!« sagte er. »Das hat man davon, wann man denen Dirndln folgt. Aberst es soll mich – – –«

Er kam nicht weiter, denn die Frau war wieder aufgestanden und herbei gekommen. Sie ergriff seine Hand und fragte:

»Fritz, ists so wahr, wie die Martha sagt hat?«

»Freilich ists so.«

»Das Geldl ist also nicht von Dir?«

»Nein.«

»Sonst könnt und dürft ichs nicht nehmen, weilst selberst ein armer Teuxel bist. Aberst mußt mir auch ganz die Wahrheit sagen. Ists wirklich von einem Anderen?«

»Himmelsakra! So glaubs doch nur.«

»Wer ists denn?«

»Er hats mir verboten, es zu sagen.«

»Kannsts mir dennoch sagen.«

»Nein. Mein Wort muß ich halten.«

»Aberst ein hiesiger ists?«

»Nein. Es ist ein Fremder.«

»Den ich nicht kennen thu?«

»Sehen hast ihn wohl schon einmal. Aberst nun frag nicht weiter; ich weiß sonst gar nicht, was ich antworten soll. Behalts Geldl, und kauf Dir davon, wast brauchen thust.«

»Also behalten kann ichs, wirklich, wirklich?«

»Ja doch! Es ist Dein. Hasts ja längst schon paarmal hört.«

»Mann, hasts hört? Hasts verstanden? Es ist unser! Wir dürfens behalten! O Du lieber Herrgott im Himmel droben, und Du heilige Mutter Gottes! Was für eine Freud und Wonnen das ist. Hier, Mann, nimm das viele Geld doch mal in die Hand. Und giebs auch denen Kindern. Sie sollen auch sehen, wie es ist, wann man so gar sehr reich ist.«

Sie gab die drei Goldstücke dem Manne in die Hand und legte sie auch jedem Kinde auf einige Augenblicke hinein. Dabei rief sie immer:

»Fünfzig Markerln, fünfzig ganze Markerln. Welch ein Geldl! So reich sind mir im ganzen Leben noch nicht west. Martha, ich kanns mir gar nicht ausrechnen. Sags doch mal denen Kindern, wie viele Groschen das sind!«

»Fünfhundert.«

»Und wie viele Pfennige?«

»Fünftausend.«

»Mein grundgütiger Himmel! Fünftausend Pfennigen! Hasts hört Mann?«

»Ja, fünftausend!« schluchzte er.

»Was man sich dafür kaufen kann. Fünftausend Pfennige können doch gar nimmer alle werden! Steht aufi, Ihr Kinder, und bedankt Euch bei denen Beiden. Sie sind zu uns kommen, wie die wahren Engel vom Himmel abi. Bedankt Euch gleich!«

Jetzt kamen nun allerlei Gestalten unter den Lumpen, welche als Decke dienten, hervor. Es gab ein Händedrücken, welches kein Ende nehmen wollte, bis Fritz sagte:

»Martha, komm, wollen gehen. Wanns so fort währt, so weiß ich halt gar nicht mehr, wie viele Händen die meinigen sind.«

»Nein, bleibt nur – bleibt!« bat der Kranke. »Ich muß – mich doch auch – – bei Euch bedanken!«

Er streckte ihnen seine beiden hageren Hände hin. Da er nicht aufstehen konnte, mußten sie zu ihm hin. Die ungewöhnliche Gemüthsbewegung strengte ihn an. Er begann zu husten, und zwar so, daß es den Beiden Angst und Bange wurde.

»Das hat man davon!« sagte Fritz. »Nun wird dera Aermste wiederum krank. Wann ich draußen blieben wäre – – –«

»So hätt er jetzt auch husten,« fiel Martha ihm in die Rede. »Das bringt einmal die seinige Krankheit mit sich.«

»Ja, was hat er denn für eine?«

»Weißts noch nicht?«

»Ich habs hört. Es soll gar die Schwindsuchtsverzehrungen sein. Das ist eine gar böse Krankheiten, und er mag sich nur fein dagegen stemmen, daß sie ihn nicht gar umreißt.«

»Nein, die Schwindsuchten ists nicht,« berichtigte die Frau. »Es ist was ganz Anderes. Es ist nämlich – – –«

»Weib!« fiel ihr Mann ihr in die Rede.

»Was willst?«

»Sei still!«

»Warum? Wohl weil wir Niemand was sagen sollen?«

»Ja. Du weißt – daß er – es uns verboten hat.«

»Ja, das weiß ich gar wohl.«

»Also schweig! Es ist zu gefährlich.«

»O, diesen beiden guten Leutln werd ichs dennoch sagen. Ich fürcht mich nicht.«

»Es ist auch nicht blos wegen uns.«

»Meinst wohl auch wegen ihnen?«

»Ja. Wann er – es merkt, daß – – sie es wissen, so – – gehts ihnen schlecht.«

Er stieß diese Worte nur hustend hervor.

»O, die werden schweigen; die werden es Niemandem sagen. Nicht wahr, Martha?«

»Wir werden nix ausplaudern,« antwortete sie.

»Und grad Ihr habts doch verdient, daß wir keine Lügen machen, sondern Euch die Wahrheiten sagen. Mein Mann hat nicht die Schwindsuchten und auch nicht die Auszehrungen, sondern er ist schossen worden.«

»Schossen? Herrgottle! Von wem?«

»Von – von – – kannsts nicht rathen?«

»Nein.«

»Und doch ists so leicht.«

Da meinte Fritz:

»Etwan vom Samielen?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Wann?«

»O, bereits seit langer, langer Zeit.«

»So ist er troffen worden?«

»Ja, durch die Brust.«

»Himmel! Ist die Kugeln herausi?«

»Ja. Sie ist vorn hinein und hinten wieder herausi.«

»Und wie steht es denn mit dera Wunden? Ist sie zuheilt?«

»Nein. Sie ist hinten und vorn offen. Sie eitert nach denen beiden Seiten hin.«

»Was sagt dera Arzt dazu?«

»Mein Mann soll recht viel Bullerong und Wein trinken.«

»Dera Kerl ist verrückt.«

»O nein. Er hat ja meinen Mann noch gar nicht sehen.«

»Wie? Was? Noch gar nicht sehen? Das ist doch gar nicht möglich!«

»O doch. Ich hab ihn gar nicht zu uns bestellt. Ich hab ihm auch nicht sagt, daß mein Mann schossen worden ist. Ich bin zu ihm in die Stadt gangen und hab ihm sagt, daß mein Mann krank und schwach ist und viel husten thut. Darauf hat er mir einen Thee geben – – –«

»Weilst eine andera Arzneien nicht bezahlen kannst?«

»Ja.«

»Und herauskommen ist er auch nicht, weilst kein Geldl hast, die Rechnung zu zahlen.«

»So hat er dacht. Nachhero als dera Thee nix holfen hat, hat er uns eben Huhnerspeis rathen und Wein und Bullerong. Da wird mein Mann wieder gesund werden.«

»Nein. Kränker wird er werden, und sterben muß er!«

»Herrgott! Denkst das wirklich?«

»Jawohl.«

»So machst mir himmelangst und bange!«

»Du mußts doch dem Arzt sagen, was dem Patient geschehen ist.«

»Das darf ich doch nicht.«

»Warum?«

»Dera Samiel hats doch verboten.«

»Auch das noch! Erst schießt er ihn, und nachhero verbietet er Euch, es zu sagen.«

»So ists leider gewest.«

»Verzähl mirs doch einmal.«

»Weib!« warnte der Mann. »Nimm Dich in Acht!«

»Ach geh!« antwortete sie. »Diesen beiden guten Leutln muß ich es sagen.«

»Ja, sags,« bat Fritz. »Vielleicht giebts einen guten Rath und dann noch Rettung hinterdrein. Also, wie ists gewest?«

»Mein Mann war im Wald um Holz zu fällen. Er hat des Abends bei denen Baumstämmen gelegen, um da zu schlafen. Er hat kein Glied bewegt. Da auf einmal ist ein Schuß fallen, so hart neben ihm, daß er aus dem Schlaf aufwacht und aufsprungen ist. Dera Mond hat scheint. Drüben am Waldessaum ist ein Hirschen hinstürzt, und hüben, gar nicht weit von meinem Manne hat dera Schütz standen.«

»Dera Samiel?«

»Ja, schwarz angezogen mit einem breiten Hut und einer schwarzen Larven vor dem Gesicht.«

»Das ist er; ja, das ist er. Weiter!«

»Kaum hat dera Samiel meinen Mann sehen, so hat er den zweiten Lauf auf ihn abschossen, so daß mein Mann sofort hinstürzt ist und die Besinnungen verloren hat.«

»Kreuzhimmelsakra!« rief Fritz, alle Vorsicht vergessend. »Wart, das werd ich Dir anstreichen.«

»Wem?« fragte die Frau.

»Dem Samiel.«

»Kennst ihn denn?«

Erst jetzt erkannte der Bursche, daß er sich zu weit hatte hinreißen lassen. Er antwortete:

»Nein. Woher sollt ich ihn kennen?«

»Weilst sagst, daßts ihm anstreichen willst.«

»Weil ich denk, daß ich ihm schon mal begegnen werd. Dann aberst werd ichs ihm mit Fäusten gedenken.«

»Nimm Dich in Acht!«

»O, den Kerlen fürcht ich nicht.«

»Er ist aberst fürchterlich!«

»Für mich nicht. Verzähl weiter.«

»Als mein Mann wiederum zu sich kommen ist, sind zwei Samiels vor ihm standen anstatt nur einer. Denk Dir nur!«

»Kanns mir schon denken!«

»Wie? Das kannst Dir denken?«

»Ja, weil alle seine Leutln sich grad so anzogen haben wie er selbst.«

»Das ist die Möglichkeit. Also sie haben bei ihm standen und daneben hat dera Hirschen legen. Sie haben meinen Mann auszogen habt und ihn verbunden. Der Eine hat ihm verboten, von der Sach zu erzählen. Wann ein Wort sagt, so soll er und seine ganze Familie dermordet werden und der Andre auch, dem er es verzählt hat.«

»Himmelsakra! Das ist teuflisch!«

»Nun weißts, warum ichs dem Arzt nicht sag, daß mein Mann eine Wunden hat.«

»Solltsts ihm dennoch sagen.«

»Das darf ich nicht.«

»O doch! Mußts ihm dann sagen, von wem dera Schuß ist?«

»Wie soll ich denn sagen?«

»Daß er des Nachts schossen worden ist, und Den, der es gewest ist, den hat er gar nicht sehen konnt.«

»Da hast Recht! Daran hab ich gar nicht denkt.«

»So sags ihm noch jetzt.«

»Da wird er sich gleich verkundigen, warum ich es ihm nicht gleich sagt hab. Was werd ich ihm dann antworten?«

»Das ist eine schlimme Geschicht. Eine gute Ausreden wirds da wohl gar nicht geben.«

»Das denk ich auch, und darum ists viel besser, ich schweig.«

»Nein! Wannst ihn retten willst, so mußt reden.«

»Dann dermordet uns dera Samiel.«

»Vielleicht sagt dera Doctor Niemandem was. Mußt ihn nur darum bitten.«

»Da kommst schön an. Grad dera Doctor ist dera Richtige! Wann der was derfährt, so kann bald ein jedes Kind davon reden. Er ist dera richtige Dorfkalender.«

»So schweig meinswegen. Ich werd mir diese Sach mal überlegen. Vielleichten find ich ein Mittel, welches Euch Hilfe bringt.«

»Das wär gar schön!«

»Ja. Weißt, dera Mann, welcher mir die fünfzig Markerln für Euch geben hat, der ist ein gar Gescheidter. Den werd ich mal um Rath fragen.«

»So mußts ihm verzählen?«

»Ja. Aberst hab keine Sorg! Er ist ein gar Verschwiegener. Auf den kannst Dich sehr gut verlassen. Er hat schon gar Manches glatt macht, was andere, kluge Menschen nicht glatt brachten. Vielleichten komm ich schon morgen wieder her und bring Euch seine Antworten.«

»So sag ihm nur vor allen Dingen unsern Dank, Fritz. Sag ihm daß wir für ihn beten werden alle Tag, so lang uns dera Herrgott unser Leben läßt.«

»Ich werds ihm sagen. Nun aberst müssen wir fort. Es ist gar spät worden, und wann meine Bäuerin derfährt, daß ich um diese Zeit noch nicht daheim bin, so giebt es eine Reprimanden und einen Verweis, den ich halt gern vermeiden möcht.«

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Beiden, ehe sie gingen, noch mit Zeichen des herzlichsten Dankes förmlich überschüttet wurden. Als sie sodann draußen waren und die Hütte hinter sich hatten, sagte Fritz:

»Gott sei Dank, daß dies vorüber ist! Ich will lieberst einen großen Acker mit zwei wilden Stieren umpflügen als einen solchen Dankessturm aushalten. Das kostet Wasser, nämlich Schweiß und auch – Thränen. Man weint dabei grad wie ein Schulbub. Ich hab denkt, daß ich gar nicht mehr weinen kann.«

»Du und nicht weinen!« antwortete Martha. »Du hast ein Gemüth, das ist wie Butter. Wann die Sonn drauf scheint, so läufts ganz ausnander.«

»Ja, und wannst Dein Mehl dazu giebst, so kannst gleich Kuchen backen.«

»Bist auch ein Scherzhafter! Mir aberst ist gar ernst zu Muthe, aberst nicht etwan trüb und unglücklich, sondern gar wohl und selig. Weißt, Fritz, es ist doch nix so schön, als wann man einem Menschen Gutes erweisen kann. Meinst nicht auch?«

»Ja. Wann mans nur recht können thät. Man müßt einen recht braven Geldsack haben, der nimmer leer wird. Aberst grad denjenigen Leutln, welche das allerbeste Herz dazu hätten, denen fehlt das Geldl. Und wo dera Reichthum steckt, da sitzt der alte Geizmichel drüber und laßt keinen Pfennig ausschlupfen. Es ist halt eine gar verkehrte Welt alleweile.«

»Bist ja ein recht tiefsinniger Kenner von dera Welt!« lachte das Mädchen. »Thust ja, als obst allbereits neunzig Jahre lang in ihr lebt hättest!«

»Neunzig Jahren? Das braucht man nicht. Dera Mensch kann in einer einzigen Stund so viel durchmachen, daß er innerlich ein hoher Greis wird, während Andere ein graues Alter erreichen und im Innern doch so bleiben, wie sie in dera Jugend gewest sind.«

»Hast auch eine solche Stund derlebt?«

»Jawohl und gar erst heut.«

»Darf man derfahren, was es gewest ist?«

»Heut nicht, wirsts aberst schon bald hören. Es ist eine Sach, die bald allgemein bekannt sein wird.«

»Etwas Ungutes für Dich?«

»Etwas Schlimmes sogar.«

»So solltsts mir doch sagen, Fritz!«

»Was kanns nützen?«

»Wanns auch nix nützt, so hast Dir doch das Herz leicht macht und mir zeigt, daßt ein Vertrauen hast zu mir.«

»Das hab ich wohl, und zwar ein gar sehr großes, sonst thät ich mich hüten, es überhaupt zu erwähnen. Wollen lieber jetzund nicht davon reden. Später sollst Alles derfahren, und dann wirst Dich nicht nur weidlich darüber verwundern, sondern auch einsehen, daß ich nicht davon hab reden dürfen.«

»Wanns so ist, so lassen wir es sein; aberst das kannst mir glauben, daß es mir wehe thät, wann Dich ein Unglücken troffen hätt.«

»So machst mir eine große Freuden mit diesen Worten, grad so, wie Du auch die armen Leutln da drin heut glücklich macht hast.«

Er ergriff ihre Hand. Sie ließ ihm dieselbe, und so gingen sie vertraulich Hand in Hand neben einander her.

Der Mond schien hell, aber die vor demselben liegende Höhe warf doch einen Schatten, welcher das Licht dämpfte. Das magische Dreivierteldunkel äußerte seinen Einfluß auf die Stimmung der beiden nächtlichen Spaziergänger.

Wie der Physiker nachgewiesen hat, daß der Körper des Mondes einen unverkennbaren und sogar bedeutenden Einfluß auf die Erde ausübt, daß er eine hohe Fluthwelle des Weltmeeres emporhebt, hinter sich her zieht und in Folge dessen die Gezeiten, nämlich Ebbe und Fluth hervorbringt, daß sein Einfluß sogar mit den Erdbeben in Beziehung zu bringen ist, so kann auch der Psycholog nicht leugnen, daß der Mond auf Geist und Gemüth den Menschen eine ganz unverkennbare Wirkung äußert.

Der Dichter besingt die sittig lächelnde Luna, der Bildhauer stellt sie dar in keuscher Gewandung, mild freundlichen Angesichtes. Der silberne Strahl des Mondes dringt durch das Auge in das Gemüth und zieht die Oberfläche desselben in sanft fluthenden Wellen zu poetisch gehobener Stimmung empor. Die Gegensätze werden ausgeglichen. Das Harte, Schroffe sinkt und verschwindet, und milde, versöhnliche Stimmungen und Regungen tauchen selbst aus der Tiefe eines verbitterten Herzens empor; der Haß flieht, und wo vorher eine stille, noch verborgene Neigung vorhanden war, da tritt sie in das Bewußtsein und treibt mit aller Macht, aus der Verborgenheit hinaus zu gelangen und ausgesprochen zu werden.

So auch hier bei diesen Beiden. Als sie so Hand in Hand dahin gingen, fühlte Fritz noch deutlicher als am Nachmittage, wie tief er eigentlich das schöne Mädchen in sein Herz geschlossen habe – ganz ohne es zu wissen. Und ihr war es so wohl und selig im Herzen; es war ihr gar nicht so, als ob sie heut zum ersten Male mit dem braven Burschen beisammen sei. Sie hatte im Gegentheile die Empfindung, als seien sie schon lange, lange beisammen, als gehörten sie überhaupt für immer zu einander und dürften sich nie, nie wieder verlassen.

Da flog eine Sternschnuppe über den Himmel hin.

»Hast sie gesehen?« fragte Martha, nach den Sternen deutend.

»Ja. Dort ist sie hinab. Da ist ein Mensch storben.«

»Wer hat das sagt?«

»Hasts noch niemals hört?«

»Nein.«

»Ich hatt eine Großmuttern, die war gar fromm. Sie hat mich erzogen bis ich aus dera Schulen kommen bin; darnach starb sie, und der Oheim nahm mich zu sich. Sie hat ein gar tiefsinnig Gemüth habt und mir Mancherlei verzählt von denen Menschen auf dera Erd, denen Geistern in dera Luft und denen Engeln und Seligen im Himmel droben. Auch von denen Sternschnuppen hats wußt, was sie zu bedeuten haben.«

»So ist sie eine gar kluge Frauen gewest.«

»Ja, das war sie, denn die größte Klugheit besteht nur darinnen, daß man fromm ist, an den lieben Herrgott glaubt, denen Menschenkindern brav Gutes erweist und sich fleißig in Acht nimmt, eine Sünd zu begehen.«

»Da hast sehr recht; das ist ja auch ganz die meinige Meinung. Wie aberst ists denn mit denen Sternschnuppen gewest?«

»Das ist folgendermaßen: Wann ein böser Mensch stirbt, so fährt seine Seel still, heimlich und im Dunkel von dannen, von dera Erd hinweg, damit ja Keiner es merken und ein Gebet für sie sprechen soll. Aberst wann ein guter Mensch seine irdische Wallfahrt beschließen thut, so kleidet dera Engel des Todes seine Seel in ein Gewand von lauter Strahlenglanz, und darum leuchtet sie, wann sie zum Himmel geht, grad wie ein Sternenmeteor so licht und hell. Wers nicht weiß, der nennts halt eine Sternschnuppe; aberst wer es weiß, dem ist es offenbar, daß es eine Seele ist, die zur Seligkeiten eilt, und wer sie derblickt, der soll die Worten beten:

Herr, gieb auch mir die Seligkeit,
Die Diesem Du gegeben,
Und leite mich nach dieser Zeit
Empor zum ew'gen Leben.
Aus Todesnacht
Zur Sternenpracht
Trag mich ein Seraphim empor,
Zu preisen Dich im höhern Chor.«

Sie sagte das so einfach und innig, im Tone innerster Ueberzeugung, daß er tiefer davon ergriffen wurde, als wenn er eine langathmige Predigt vernommen hätte. Was er schon geglaubt hatte, das wurde ihm nun zur Sicherheit, nämlich daß dieses Mädchen ein Schatz sei, dessen Besitz das höchste irdische Glück zur Folge haben müsse.

Unter dem Eindrucke dieser Regung legte er, vielleicht ohne sich dessen selbst bewußt zu werden, im Gehen den Arm leise um ihren Leib. Sie schien diese Berührung gar nicht zu fühlen, denn sie sträubte sich nicht gegen dieselbe. Die Sympathie, welche ihre Herzen zu einander zog, war eine fromme und von der Sünde ungetrübt.

So schritten sie still und in Gedanken versunken oder vielmehr ihren Gefühlen hingegeben neben einander her, bis links vom Wege eine dunkle Baumgruppe sichtbar wurde. Es waren die Eichen, zu denen der Förster die Bäuerin heut bestellt hatte.

Die dicht belaubten Bäume breiteten ihre mächtigen Kronen über einen weiten Umkreis aus. Zwischen ihnen stand die Bank, welche vom Förster erwähnt worden war, und hart hinter derselben hatte sich im Schutze der Bäume ein ziemlich dichtes Hasel- und blätterreiches Acazienbuschwerk gebildet.

Ganz unwillkürlich lenkte Fritz seitwärts nach der Bank ein.

»Was willst dort?« fragte Martha.

»Magst Dich nicht ein Wengerl mit niedersetzen?«

»Warum setzen?«

»Weils so gar schön ist heut Abend hier im Thale. Meinst das nicht auch?«

»Ja, schön ists gar wohl; aberst hast nicht erst vorhin sagt, daß die Bäuerin zanken thät, wannst nicht nach Haus kommst?«

»Vielleicht merkt sie es nicht. Auch sagt ich es nur, um von denen Leutln fort zu kommen, denn vor dera Bäuerin hab ich keine Angst.«

»Ich denk, sie ist eine gar Gestrenge?«

»Das ist sie, doch mach ich mir nix daraus.«

»So fürchtest sie nicht?«

»Nein. Ich mein vielmehr, daß sie sich vor mir zu fürchten hat.«

»Sie vor Dir? Bist gar ein so furchtbarer und schrecklicher Kerlen?«

»O nein. Ich mag keinen Wurm zertreten; aberst es giebt halt doch Sachen, die selbst den Stillsten und Ruhigsten in den Harnisch bringen können. Nachhero, wann dera Zorn da ist, geht die Freundlichkeit von hinnen. Komm, thu mir den Gefallen, und setz Dich halt einen Augenblicken mit her!«

»Wannsts so gern willst, so darf ichs Dir doch nicht abschlagen. Also komm!«

Er ließ den Arm, welchen er bisher um ihre Taille gehalten hatte, sinken und setzte sich mit ihr auf die Bank.

Er hatte ganz nahe an ihr Platz nehmen wollen; sie aber rückte wie in einer sie plötzlich überkommenden Schüchternheit ein Stückchen von ihm weg.

»Wanns mein Oheim wüßt, daß ich mit Dir so allein hier im Walde sitz!« sagte sie.

»Hätt er was dagegen?«

»Ich glaube, ja.«

»So! Hasts vielleicht bemerkt, daß er mir feindlich gesinnt ist?«

»Ja.«

»Warum wohl?«

»Weil er jedenfalls denkt, daß – daß – – daßt Deiner Bäuerin gut bist.«

»Da kann er ruhig sein! Wann er sie haben will, so steh nicht ich ihm im Wege, sondern ein Anderer.«

»Wer?«

»Dera Bauer natürlich. Noch ist er nicht todt, und ich will hoffen, daß er auch nicht so bald sterben wird, wie sie wohl denken mag. Er soll vielmehr noch recht lange leben bleiben. Was ich dazu thun kann, das soll sehr gern und aus allen Kräften geschehen. Wann ich Einer gut sein soll, so muß sie ganz anderst sein als die Bäuerin.«

»Wie müßt sie denn sein?«

»Nun, zunächst müßt sie unverheirathet sein. Ich bin nicht so gottlos, daß ich einem Manne sein Weib stehlen möcht, und wann dasselbige noch so schön wäre.«

»Also ein Mädchen müßt sie sein?«

»Ja.«

»Nicht eine Wittfrau, vielleichten eine recht junge, hübsche und reiche?«

»Nein. Sie darf noch keinen Mann habt haben.«

»Und weiter! Reich müßt sie wohl sein? Nicht wahr, Fritz?«

»Nein; das verlang ich nicht. Es ist zwar gar schön, wann man reich ist. Man kann zwar dabei ganz rechtschaffen arbeiten, aberst man hat doch keine Sorg, und es ist Einem möglich, denen Menschen Gutes zu thun. Doch ists nicht dera Reichthum, welcher glücklich macht. Wann zwei junge Leutln, welche sich lieb haben, sparsam und fleißig sind, so giebt die Liebe ihnen doppelte Lust und Kraft zum Schaffen, und sodann müßts gar mit dem Teuxel zugehen, wann sie nix vor sich bringen thäten.«

»Wanns gesund bleiben, ja. Mußt aberst weiter reden. Nicht wahr, hübsch müßt sie auf alle Fällen sein?«

»Ja, eine gar Häßliche möcht ich freilich nicht haben. Appetitlich müßt sie sein, weißt, grad wie eine Kirschen oder ein rothwangigter Apfel, in den man so gern hineinbeißen möcht.«

»Geh fort! Bist denn so ein Beißiger?«

»Wann ich es haben kann, ja.«

»Das hast wohl bereits schon ausprobirt?«

»O nein. Ich hab bisher noch niemals ein Dirndl habt.«

»Oeffentlich nicht, aberst heimlich wohl!«

»Auch das nicht.«

»Und wie müßt sie nachhero noch sein?«

»Fein häuslich und wirtschaftlich; aberst nicht so eine, welche nur viel Rumor macht den ganzen Tag, damit man sie als fleißige Schafferin loben soll, und wann dera Abend kommt, so ists nix gewest, sie hat nix fertig bracht und Alles falsch macht. Sie müßt so eine Stille und Bedächtige sein, der mans gar nicht anmerken thut, was sie Alles fertig bringt. Weißt, so eine Hummel, die draußen auf dera Wiesen und dem Feld herum brummt und summt und einen ewigen Lärmen macht, die hat, wann man in ihr Nest schaut, gar wenig Honig. Die richtige Bienen aberst, die man kaum fliegen hört, die ist einträglich und hat so viel Honig, daß sie ihn gar noch verschenken kann. So ists auch mit denen Frauen.«

»Bist ein großer Frauenkenner und hast gar gelehrte philosophische Gedanken!«

»Da ist nix Sonderbares dabei. Wann man die Augen aufthut, so kann man sehen. Ich hab solche Hummeln kennen lernt, welche treppaufi und treppabi steigen, aus dera Küch in den Keller, aus dera Stuben in den Stall, aus dem Garten auf das Feld rennen und dabei Alles umistürzen. Das schaut so aus, als ob so Eine für Zehn schaffen und arbeiten thät. Aberst wann man sich die Sach genauer betrachten thut, so bekommts ein gar anderes Gesicht: Schneidet man den Käs an, den sie macht hat, so findet man den Haarkamm darinnen; in dera Buttern steckt dera Rasierpinsel; im Reisbrei findet man eine Zündholzschachtel; in die Milchen hat sie das Petroleum verschüttet; ans Hemd, woran ein neuer Aermel soll, flickts ein Hosenbein hinan; die Kindern wäschts anstatt mit Seifen mit dera Stiefelwichsen ab; im Stall wird sie vom Stier geschlagen, weil sie ihn anstatt dera Kuh hat melken wollen; wanns in die Kirchen gehen will, so setzts das Schnupftuch aufi und nimmt die Hauben in die Hand; da giebts im ganzen Haus kein blankes Fenster und keinen reinlichen Tisch; das Geschirr hat Risse und Löchern; dera Ofen raucht; die Wasch sieht schwarz; das Vieh wird krank; das Feld verarmt; die Wies' verdorrt; der Mann flucht; die Frauen zankt; die Kinder heulen; das Gesind schimpft, und das Alles nur deshalb, weil sie eine gar so Fleißige, Unermüdliche und Haushälterische ist. Dann ist dera Himmel auf dera Erden, aberst was für ein Himmel, o Jerum!«

Er hatte diese kräftige Beschreibung mehr ernst als scherzhaft gemeint. Martha lachte laut auf und sagte:

»Das wär freilich Eine, vor der ein Mann sich hüten müßt. Mit so Einer zusammen zu wohnen, das muß ja schrecklich sein!«

»Ja freilich. Ich möcht sie nicht. Und außerdem müßt die meinige Frauen nicht dumm sein, sondern sich leicht in Alles schicken und finden können. Besonders ein gutes Herz müßts haben, denn wann eine Frau sich nicht über das Wohl anderer Menschen freut und ihnen behilflich ist, glücklich zu sein, so ist sie im Innern gleichgiltig oder gar neidisch und hart und wird auch für den Mann und die Kinder nicht das richtige Gemüth besitzen.«

»Du, Fritz, wannst so Eine willst, so kannst weit suchen!«

»Meinst, daß es keine solche giebt?«

»Vielleichten, aberst selten. Du machst gar zu große Ansprüchen.«

»Ja, die mach ich freilich. Meine Ansprüchen sind sogar so groß, daß ich Keine nehmen thät, die nicht grad denjenigen Namen hat, mit welchem ich sie nennen will und der mir dera liebste ist.«

»Da wird Deine Bescheidenheit ja immer geringer! Welches ist denn dera Name, den sie haben muß?«

»Martha muß sie heißen; eine Andere mag ich nicht.«

»Martha! Warum grad so?«

»Weil Eine so heißt, der ich so recht von ganzem Herzen gut bin.«

»Ach so! Und vorhin hast sagt, daßt kein Dirndl lieb hättst!«

»Das hab ich nicht behauptet, sondern ich hab sagt, daß ich noch kein Dirndl habt habe. Lieb hab ich freilich eins, und wann dasselbige nicht meine Frauen werden will, so bleib ich halt für immer ledig.«

»Ist Deine Lieben denn gar eine so große und mächtige?«

»Sie hat keinen Umfang, keine Grenz und kein End.«

»Da möcht man fast fragen, wo dieses Dirndl zu suchen sei.«

»Das darf ich nicht verrathen.«

»Warum nicht?«

»Wanns hört, daß ichs lieb hab, so wirds halt bös und zornig auf mich.«

»Geh! Kein gescheidts Dirndl wird zornig darüber, daß Einer es lieb hat!«

»Die aberst doch!«

»Nein. Es giebt tausend Dirndln, die sogar stolz damit thun, daß sie nicht nur von einem, sondern von mehreren Buben begehrt werden.«

»Zu diesem gehört sie nicht. Ihr liegt gar nix daran, von Einem geliebt zu werden, welchem sie nicht gut sein kann.«

»Meinst, daß sie Dir nicht gut ist?«

»Ja, das denk ich eben.«

»Kannst mir ihren Namen dennoch nennen, denn ich werds ihr nicht verrathen, daßts mir sagt hast.«

»So! Also wirst wirklich schweigen?«

»Ja, gewiß. Also wo ist sie zu finden?«

»Weilst mir so fest versprichst, daß sie nix davon derfahren soll, so will ich es Dir anvertrauen. Sie ist zu finden grad da, wo ich bin.«

»Wo ist denn das?«

»Hier auf dera Bank.«

»Das ist nicht wahr, denn da sitz doch ich ganz allein bei Dir.«

»Und doch ists wahr. Nun verraths aberst ja nicht, Martha!«

»Werde mich hüten, denn Diejenige, die Du meinst, thät mich nur darüber auslachen.«

»Auslachen? Warum?«

»Weil sie wissen thät, daßt mir nur was weiß macht hast.«

»Oho! Gegen Dich bin ich aufrichtig. Was ich Dir sag, das gilt so fest, als obs im Gebetbuch stehen thät.«

»So thäts aberst doch nicht glauben.«

»Wannst das so genau weißt, so mußt sie doch kennen!«

»Ja, ich kenn sie freilich.«

»Das gefreut mich sehr. Da kann ich Dich doch gleich mal nach ihr fragen. Weißt nicht, ob sie bereits einen Buben hat?«

»Nein, sie hat keinen; sie hat überhaupt noch niemals einen habt.«

»Und will wohl auch niemals einen haben?«

»Vielleicht, wann ein recht braver käm, dens lieb haben könnt, da thät sie ihn wohl nicht fort weisen.«

»Wie müßt er denn sein? Kannst ihn mir nicht beschreiben?«

»Nein. Ich hab sie noch nicht darüber fragt, und ich glaub auch nicht, daß sie bereits einmal darüber nachdenkt hat.«

»Das kann mir nicht gefallen. Ich hätt gar zu gern wußt, was für einen Geschmack sie hat.«

»Da wirds am Besten sein, wannst sie selberst mal fragst.«

»Sie wird mir gar keine Antwort geben. Vielleicht läßts mich gar gleich sitzen und geht hinweg von mir!«

»Ist sie denn eine so Rasche und Resolute?«

»Eigentlich nicht, sondern sie ist mild und freundlich, weißt, grad wie dera Mond droben am Himmel, den auch alle Menschenkindern lieb haben.«

»Und da denkst, daß sie gegen Dich allein hart und unfreundlich sein könnt?«

»Ja, denn sie hat sagt, daß sie mich nicht haben möcht.«

»Was! Das hätt sie sagt?«

»Davon weiß ich nix.«

»Sie hat sagt, daß sie sich nur einen steinreichen Mann nehmen thät, und ich bin doch ein armer Bub, ein Knecht, der gar nix hat.«

»Wann solls denn das sagt haben?«

»Gleich vorhin, dort in dera Holzknechtshütten, als sie dera Frau die Kleider gab und diese sie nicht nehmen wollt. Da hats sagt, sie könne das ganz leicht geben, denn sie thät sich mal einen steinreichen Mann nehmen, der ihr das Alles wieder kaufen thät.«

»Das hats wohl nur sagt, damit die Frau die Sachen nehmen soll, ohne eine große Red darum zu machen. Weißt, Fritz, wollen uns darüber den Kopf nicht zerbrechen. Es ist gar spät worden, und da ists besser, wann wir nach Haus gehen.«

Sie stand auf. Er aber ergriff schnell ihre Hand und zog sie auf die Bank zurück. Dadurch kam sie ihm ganz nahe zu sitzen, und er behielt auch ihre Hand in der seinigen. Sie machte zwar eine kurze, mädchenhafte Anstrengung, sie ihm zu entziehen, gab aber diesen Widerstand bald auf.

»Mußt denn sogleich nach Haus?« fragte er. »Dera Förster ist doch wohl die ganze Nacht im Walde?«

»Er kehrt erst am Morgen wieder heim; das ist wahr, aberst dann muß ich auch bereits ausschlafen haben.«

»Einige Minuten kannst schon noch bleiben. Ich mag nicht eher von hier fort, als bis ich ganz genau weiß, ob Diejenige, von der wir sprochen haben, mich lieb haben kann oder nicht.«

»Fritz, bist doch ein gar Stürmischer. Solche Sachen muß man ruhig abwarten.«

»O nein. Kein Mensch kann sein Glück zeitig genug erfahren. Weißt, wer da glücklich sein kann und warten will, bis das Glück sich ihm ganz zufällig in den Schoß setzen thut, der ist eben gar nicht werth, glücklich zu sein, denn er verscherzt die Zeit, in welcher er es erreichen könnt. Martha, sag, nicht wahr, Du weißt, wen ich meint hab?«

Sie zögerte mit der Antwort.

»Bitte, sags mir doch!«

Sie neigte das Köpfchen zur Seite und antwortete verschämt:

»Fritz, daßt von mir sprochen hast, das weiß ich wohl; aberst ich denk halt, daßt nur so eine Red macht hast, weißt, wie die Buben immer thun, wann sie sich mal mit einem Dirndl eine Unterhaltungen machen wollen. Heut sagens, daß sie dem Dirndl gut sind, und morgen sehens es nicht wieder an.«

»So! Das sind Lotterbuben! Hältst mich also auch für so einen?«

»Du bist immer änderst gewest als solche.«

»Nun, wannst das meinst, warum denkst denn, daß ich es nicht aufrichtig meine? Schau, Martha, ich hab viel an Dich denkt und mich allemalen sehr gefreut, wann ich Dich mal sehen hab, aberst denkt hab ich mir dabei nix weiter. Ich hab mir nur sagt, daßt ein gutes, seines Dirndl bist wie keine Zweit im ganzen Kreis herum. Aberst heut, als die Kronenbäuerin so zornig vor Dir standen ist, da gings wie ein Blitz durch meine Seel, daß ich Dich lieb hab, gar so lieb. Die Bäuerin gilt für die schönste Frauen, aberst als Du so vor ihr standest, so ohne alle Schuld und Unreinigkeiten in dera Seelen, da kamst mir tausend Mal schöner vor als sie; da hätt ich sie niederschlagen konnt, obgleichs nur ein Weib ist und ich eine Mannspersonen. Ich wollt Dich in Schutz nehmen gegen sie; aberst Du warst gar zu schnell fort. Dann mußt ich mit ihr gehen, und sie macht mir die Liebeserklärungen und den Heirathsantrag. Da hab ich einen Ekel gegen sie empfunden, grad so, als ob ich eine Unk und Kröten angreifen sollt. Da hab ich an Dich denkt und wieder an Dich und immer wieder nur an Dich, und da hab ich mich auszankt in meinem Innern, daß ich Dir noch nicht sagt hab, wie gut ich Dir bin. Da ist eine Angsten über mich kommen, daß ein Andrer kommen und Dich mir wegnehmen könnt. Da hab ich kaum die Zeit derwarten könnt, in welcher wir uns bestellt hatten. Und nun, da Du bei mir bist, soll und muß es von meinem Herzen herab, daßt mir das Liebste bist auf dera Welt und daß ich keine Andere lieben kann als nur Dich allein. Was ich Dir jetzt sag, das kommt aus aufrichtigem Herzen. Und nun bitt ich Dich gar schön, Martha, sag mir, ob ich Dir recht bin oder obst lieber auf einen Andern warten willst. Jetzt hast mein Glück in den Deinigen Händen. Thu damit, wast für richtig hältst!«

Er schwieg und erwartete ihre Antwort. Sie war auch stille. Er neigte sich wieder zu ihr und sah, daß ihr die Thränen still über die Wangen rannen.

»Martha! Du weinst! Hab ich Dir vielleicht Wehe than?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Was ist denn? Was thut Dir wehe?«

»Nix, gar nix!«

»Da thätst doch nicht weinen!«

Da lehnte sie leise ihr Köpfchen an ihn und antwortete:

»Es ist ja vor Glück!«

»Vor Glück? Vor Glück weinst? Herrgottle, ists wahr? Bist mir gut?«

»Fritz ich hab Dich ja längst schon lieb gehabt, so sehr lieb.«

Da sagte er nichts, aber er legte beide Arme um sie und zog sie innig an sein Herz. Sie lagen an einander, und ihre Seelen verschmolzen in ein Dankgebet, welches zwar nicht in Worten auf zum Himmel stieg aber desto tiefer im Herzen empfunden wurde. Erst nach einer Weile unterbrach Fritz die eingetretene Stille:

»Aberst Martha, nun bekommst freilich keinen steinreichen Mann, der Dir so viele schöne Kleider kaufen kann!«

»Fritz, ich bin grad darüber froh, daßt so arm bist. Wir wollen brav schaffen und sparen, nachhero wird Gottes Segen bei uns sein.«

»Ja, der soll nicht bei uns fehlen, und – – vielleichten werden wir viel ehern reich, alst denkst.«

»Wieso?«

»Weißt doch, daß ich keine Eltern hab?«

»Ja, bist ein Findling gewest.«

»Nun denk, mir hat träumt, daß dera meinige Vatern ein reicher Bauern sei.«

»Das war nur Traum.«

»Ja. Der Vatern kam und gab mir Alles, was ihm gehört.«

»Ja, wann so ein Traum zur Wahrheit werden thät, so wärs schon mitzunehmen. Ich hab sagen hören, daß es dem Menschen meist träumt von dem letzten Gedanken, den er hat, bevor er einischläft. Da hast wohl auch denkt, wie gut es sei, wann Dein Vatern ein reicher Bauern wär, und sodann hat dera Traum diesen Gedanken weiter sonnen.«

»Vielleicht ists so, vielleicht auch geht dera Traum in Erfüllung. Es giebt Träumen, denen man es gleich anmerkt, daß sie keine Schäume sind, und so einer war derjenige auch.«

»Wann er in Erfüllung ging, thätst da auch noch an mich denken?«

»Aber Martha, was fallt Dir eini? Ich denk an Dich zu aller Zeit, weißt, wie es in dem schönen Ständchen heißt:

»Ich denke Dein in Lust und Leid;
Ich denke Dein zu aller Zeit,
Zur Morgenstund, zur Abendstund,
So recht aus treuem Herzensgrund
Und grüße Dich Liebchen, mein Liebchen.«

»Das ist ein gar schönes Lied. Das lautet grad so, wie ich es gern haben möcht.«

»Es geht noch weiter, nämlich:

»Wenn ich im Felde wandern geh,
Die goldnen Aehren wallen seh,
Da denk ich an Deiner Locken Quell,
Der Dir ums Haupt fließt golden hell,
Und grüße Dich, Liebchen, mein Liebchen.

Und wenn die stille Nacht erscheint
Und Thau der liebe Himmel weint,
Dann denk ich an das Rosenlicht,
Das glühend aus Deiner Seele bricht,
Und grüße Dich, Liebchen, mein Liebchen.«

Und so ists ja wirklich mit mir, Martha. Ich denk an Dich immerfort, wie könnt ich Dich da vergessen, wann ich wohlhabend werden thät? Erst recht würd ich mich darüber grad um Deinetwillen freuen, weil ich Dir dann dasjenige – – Himmel, schau dort, da kommt Jemand!«

Er deutete nach links. Von daher kamen zwei eng aneinander geschmiegte Gestalten, eine männliche und eine weibliche, langsam auf die Bank zu.

»Das ist ein Liebespaar,« sagte Martha.

»Ja, aberst wer?«

»Wer kann das wissen! Wer geht jetzund so spät des Nachts mit seinem Dirndl im Wald spazieren, wo dera Samiel – – –«

»Du,« fiel Fritz ein, »sollts vielleichten gar Dein Oheim sein mit meiner Bäuerin.«

»Das wär ein Unglücken! Laß schauen!«

Sie beugte sich vor und strengte ihre Augen an, nicht vergebens, denn sie sagte ganz erschrocken:

»Ja, dera Oheim ists! Fort, schnell fort!«

Sie wollte in unüberlegter Schnelligkeit forteilen, Fritz aber hielt sie fest.

»Nicht fort, nicht fort!« warnte er.

»O ja! Sonst derwischt er mich!«

»Nein. Hier ists dunkel. Wannt hinaus fliehst in den Mondesschein, da erkennt er Dich sogleich. Hier mußt bleiben, hier im Schatten; da sieht er uns nicht. Jedenfalls gehens schnell hier vorüber.«

»So komm! Mach rasch, sonst wird es zu spät. Sie sind ja schon da!«

Die beiden Nahenden waren ungefähr noch fünfzehn Schritte entfernt. Die beiden jungen Leute konnten es nicht wagen, tief in das hinter der Bank stehende Gebüsch einzudringen, denn das Rascheln desselben hätte sie verrathen. Darum setzten sie sich gleich unter die ersten Akazienzweige nieder. Sie befanden sich so nahe, daß Fritz die Bank mit der Hand erreichen konnte, aber doch so im tiefen Schatten, daß es fast unmöglich war, sie zu bemerken, zumal sie Beide nach dortiger Sitte ganz dunkel gekleidet waren.

Der Förster kam mit der Bäuerin herbei. Sie gingen nicht vorüber sondern blieben bei der Bank stehen.

»Hier ist mein eigentlicher Posten,« sagte er. »Hier hab ich die ganze Nacht zu bleiben.«

»Himmelsakra! Was wird da mit uns!« flüsterte Fritz seinem Mädchen zu.

»Außer wannst revidiren gehst,« sagte die Bäuerin.

»Ja. Jetzund aberst wollen wir uns mal setzen. Das Steigen über Stock und Stein im dunkeln Wald strengt an.«

»Kennst sie, wers ist?« fragte Fritz Martha, flüsternd.

»Ja, Deine Bäuerin.«

»Da werden wir was zu hören bekommen!«

»Wann wir nur fort könnten.«

»Er will die Posten revidiren. Wann er das thut und fort ist, können wir unbemerkt entkommen. Bis dahin mußt Dich gedulden. Wannst unbequem sitzen thust, so lege Dich nur an mich!«

Während die Beiden sich diese Bemerkungen zuflüsterten, hatten sich der Förster und die Bäuerin auf die Bank gesetzt. Der Erstere nahm seinen Hut ab, legte ihn neben sich, strich sich mit der Hand durch das spärliche Haar und sagte:

»Jetzunder möcht ich, dera Samiel käm grad daher gelaufen.«

»Warum jetzunder?«

»Weilst bei mir bist. Wir sitzen hier im Schatten und er kann uns nicht sehen. Wir aber thäten ihn ganz deutlich derkennen, weil er im Mondscheine wär. Ich wollt ihm zeigen, wer ich bin!«

»So! Was thätst denn machen?«

»Hier mit dieser Büchsflint thät ich ihm einen guten Abend sagen.«

»Thätst ihn derschießen?«

»Das thät mir nicht einfallen! Lebendig will ich ihn haben. Ich thät ihn nur lahm schießen, so daß er nicht laufen könnt. Er müßt gleich niederbrechen, und die Flucht wär für ihn eine Unmöglichkeiten.«

»Meiner Ansicht nach kannst sicher sein, daß er nicht kommt.«

»Warum?«

»Selbst wann er in diese Gegend käm, würd er doch nicht so dumm sein, diesen von dem Mond so hellbeschienenen Pfad zu betreten; er würde sich vielmehr da hinter oder da vor uns am Thalrande durch das Gebüsch schleichen.«

»Um daran zu denken, müßt er sehr klug sein.«

»Hältst ihn für dumm?«

»Das grad freilich nicht.«

»Oder mich für ganz besonders gescheidt, da ich den Gedanken hab, dent dem Samiel nicht zutraust?«

»Sappermenten, welch eine Frag! Natürlich bist eine Gescheidte, die Gescheidtste, die ich kennen thu unter Allen. Aberst was noch viel angenehmer ist: Du bist auch die Allerschönste von Allen!«

»Schmeichler!«

»Ich schmeichle nicht, sondern das sagen ja alle Leutln, wann von Dir die Red ist.«

»Ists wahr?« fragte sie in wohlgefälligem Flötentone.

»Ja. So sagen sie, und sie haben Recht. Die Lieb zu Dir könnt Einem gerade ganz verrückt machen!«

»Das verlang ich gar nicht.«

»Aberst es ist so. Wann ich daran denk, daß Dich Dein Mann umarmt und küßt und – –«

Sie unterbrach ihn mit einem lauten Lachen.

»Pst! Still doch!« warnte er. Es darf ja Niemand hören, daß Jemand hier ist.«

»Ja, wannst so lächerlich redest, da kann ich doch nicht weinen! Dera Kronenbauer mich umarmen und küssen! Dera kalte Eiszapfen thät in meiner Gluth zerschmelzen, so daß er ganz aus einander tropfen thät. Was denkst von mir? So ein altes, dürres und blindes Gestell soll mich umschlingen? Lieber thät ich mich doch gleich vom Tod umarmen lassen!«

Fritz machte eine zornige Bewegung, als ob er aufspringen wolle. Martha flüsterte, indem sie schnell die Arme um ihn schlang, ihm erschrocken zu:

»Bleib um Gotteswillen. Willst uns etwan gar verrathen!«

»Hast Recht,« antwortete er leise. »Sie wird ihren Lohn gewiß erhalten, auch wann ich ihr ihn nicht sofort gebe. Du bist bei mir. Wann das nicht wäre, so ständ ich jetzt schon vor ihr und sagt ihr, wer meinen guten Va – – –«

Er hielt inne. Beinahe hätte er sein Geheimniß ausgeplaudert.

»Was wolltest sagen?« fragte sie.

»Später. Horch jetzund, wovon sie reden.«

Der Förster antwortete der Bäuerin:

»Also auf ihn brauch ich gar nicht eifersüchtig zu sein?«

»Wannst das wärst, so wärst entweder verrückt oder dera allergrößte Schafskopf, dens nur geben kann auf dera Welt.«

»Aberst desto mehr muß ich einen Andern ins Auge fassen.«

»Wen?«

»Den Knecht, den Fritz.«

»Das ist auch ein ganz dummer Gedanke.«

»Nein, dem Fritz bist gut, das weiß ich genau.«

»So. Ich bin dreißig Jahre alt und er erst kaum über die Zwanzig. Es ist fast noch ein Schulbub, und da soll ich mich in ihn verlieben. Laß Dich auslachen.«

»O, Du weißt genau, daß er dera sauberste Bursch ist im ganzen Dorf und auch noch weit darüber hinaus.«

»Darauf hin hab ich ihn noch gar nicht ansehen. Da Du mich darauf aufmerksam machst, muß ich ihn mir schnell anschauen.«

»Um ihn Dir anzuschaffen.«

»Warum nicht, wann er mir gefallt,« lachte sie auf.

»Leise, leise! Lach nicht so! Wir befinden uns doch auf Posten.«

»Du, aberst nicht ich. Ich werde also lachen, so oft Du was Lächerliches bringst, um mich zu ärgern.«

»So lächerlich ist das nicht.«

»Freilich ists lächerlich, wannsts für möglich hältst, daß ich mich in meinen Pflegesohn verlieben könnt, zumal er doch bereits sein Dirndl hat.«

»Welches denn?«

»Das Deinige, die Martha.«

»Das hast bereits schon sagt; aberst ich glaubs halt nicht.«

»Und doch ists so. Ich weiß es zwar noch nicht gewiß, aberst als ich die Beiden so bei einander stehen sah, da leuchtete die Liebe ihnen aus den Augen, und wenn sie es einander auch noch nicht sagt haben, so wirds doch gar nicht lange währen, so sind sie einig worden.«

»Hörsts, wie Recht sie hat?« flüsterte Fritz, indem er die Geliebte an sich drückte.

»Das könnt mir fehlen!« zürnte der Förster! »Dera Fritz mag sich nur keine Rechnung auf mein Dirndl machen.«

»Warum? Hast was gegen ihn.«

»Sonst nicht, aberst ich hasse ihn.«

»Thätst sie ihm also nicht geben?«

»Nein.«

»Eigentlich hatt ich dacht, daß es Dir ganz willkommen wär, wann er Dich um ihre Hand bitten thät!«

»Willkommen? Dazu könnt ich keinen Grund finden, auch nicht einen einzigen.«

»Und ich weiß einen sehr großen.«

»So magst ihn mir sagen. Ich bin sehr neugierig daraufi.«

»Wannst ihn nicht selberst findest, so bist halt dumm genug. Ich hab die Eifersucht meint.«

»Wie denn so die Eifersucht?«

»Nun, Du denkst, ich bin ihm gut. So gieb ihm doch die Martha. Dann hat er eine Frau und wird mich nicht mehr anschaun.«

Er schwieg eine ganze Weile. Man konnte sein Gesicht nicht sehen; aber er hatte die Hände wie zur Abwehr erhoben, und seiner ganzen Haltung war anzusehen, daß er sich in einer Ueberraschung befand.

»Nun, was sagst dazu?« fragte sie.

»Dazu möcht ich halt gar nix sagen.«

»So? Mußt aberst doch eine Meinung haben!«

»Ja, die hab ich auch, und gut und richtig wird sie sein.«

»Darf ich sie derfahren?«

»Warum nicht? Da macht ich erst recht nicht mit, dem Fritz aus lauter Eifersuchten meine Martha zu geben.«

»Warum nicht?«

»Das wäre eine schöne Geschichten! Du wärst meine Frauen und meine Nichte die seinige. Da wäre er doch mein Verwandter!«

»Natürlich!«

»Als mein Verwandter könnt er mich besuchen, wann und wie oft es ihm gefallen thät, und da hätt ich mir freilich gar den Geisbock als Gärtner für den Sallat bestellt. Er thät ihn mir wegfressen anstatt ihn mir zu bewahren.«

»Das versteh ich nicht.«

»Soll ichs Dir etwan noch deutlicher sagen?«

»Ja freilich. Ich will doch wissen, wast eigentlich meinst.«

»Nun, so lang er Knecht ist auf dem Kronenhof und Dein Mann ist todt und ich bin dera Bauer worden, kann ich den Fritz fortjagen, wann es mir nur gefallt. Wann er aberst die Martha hat, kann ich ihm die Thür nicht zeigen. Er kann mich besuchen, oder vielmehr Dich, und Ihr könnt nachhero hinter meinem Rücken machen, was Euch beliebt.«

»So meinst, daß er nachhero mein Kebsmann ist?«

»Ja.«

»Donnerwetter, bist aber Du aufrichtig!«

»Das muß man sein, wann man sich heirathen will.«

»So hältst mich also für Eine, welche neben ihrem Manne noch einen zweiten haben möcht?«

»Ja.«

»Himmelsakkerment! Das ist noch viel aufrichtiger!«

»Hab ich etwan nicht Recht?«

»Nein.«

»So! Hast etwan jetzt keinen Mann?«

»Leider.«

»Und doch mich dabei!«

»Das ist etwas ganz Anderes. Meinen jetzigen kann ich nicht leiden. Wann ich den nur derblick, so überlauft mich schon eine Gänsehaut. Wann ich aberst sodann Dich hab, so brauch ich doch keinen Andern.«

»Wann es so wär, dann wär es gut.«

Sie wendete sich in erkünsteltem Zorne von ihm und sagte:

»Wannst mir schon jetzt nicht traust, wie soll es dann später werden. Da ist es doch viel besser, wir sehen von einander ab.«

»Na, so war es nicht gemeint.«

»Das ist keine Ausred und keine Entschuldigung. Ich nehm ein jedes Wort, wie es sagt worden ist und nach dem Sinn, welchen es hat. Wannst gewohnt bist, Dich anderst auszudrücken, als Du es meinen thust, so können wir nicht mit nander verkommen. Also denk ich, daß es besser sei, wir gehen aus nander, und zwar jetzt gleich.«

Sie stand auf. Er aber griff schnell mit beiden Händen nach ihr und zog sie wieder zu sich nieder.

»Sei doch nicht so schnell. So eilig ists doch mit dem Auseinadergehen nicht. Wann Dich das Wort beleidigt hat, so nehm ich es halt wieder zuruck, und Du kannsts vergeben. Willst Kätherl?«

»Was hilfts, wann ich will und es kommt doch wieder vor?«

»Nein, es kommt nicht wieder vor. Das kann ich Dir versprechen.«

»Ich kann auch gar nicht begreifen, wast hast. Das ich Dir gut bin, das weißt doch nun, und da ist es die größte Dummheiten von Dir, eifersüchtig zu sein, besonders gegen den Fritz, aus dem ich mir gar nix machen thu.«

»Aberst die Martha willst ihm doch geben!«

»Ich? Wer hat das sagt?«

»Ich denks. Deine Red hat ganz so klungen.«

»Laß Dich doch nicht auslachen. Mir fallts gar nicht ein; ihm mein Jawort zu geben, wann er die Martha haben will.«

»So! Warum?«

»Weil sie nicht für ihn paßt.«

»Ich denk, daß ein Jeder mit ihr verkommen kann.«

»Das mag sein; aberst Schuster, bleib bei dem Leisten! Sie paßt nicht für ihn. Sie ist ein armes Ding, und er ist dera Pflegesohn vom reichen Kronenbauer. Das ist ein Unterschied.«

»Du, Kätherl, mit dem Unterschied wirds nicht weit her sein. Ich hab nicht merkt, daß er als Sohn gehalten wird. Er ist dera Knecht und arbeitet als Knecht. Meine Nichte aberst ist ein Förstermadel. Das ist schon was Anderes als eine Bauernmagd.«

»Sie ist Deine Magd, nix weiter.«

»Oho!«

»Ja. Hältst sie etwan als Tochter?«

»Ja.«

»Natürlich. Aberst blos deshalb, weilst einer Tochter keinen Lohn zu geben brauchst. Dera Fritz aberst erhält von uns seinen Lohn. Und giebst ihr etwan was mit, wann sie mal heirathen thut?«

»Das wird sich finden.«

»Und machst sie zu Deiner Erbin?«

»Das fallt mir nicht ein. Erben sollst ja Du mal Alles, wann ich sterbe und wir haben keine Kindern. Ebenso könnt ich auch fragen, ob dera Fritz Euer Erbe ist.«

»Der mag sich den Mund waschen. Bekommen thut er nix.«

»So stehen die Beiden also gleich.«

»Nein, noch lange nicht. Dera Fritz gehört in einen großen Bauernhof, und wann er heirathen will, soll er eine Reiche bringen, sonst bekommt er unsere Einwilligungen nicht. Er soll uns keine Schande machen.«

»Dera Findling? Willst etwan aus Stolz über ihn gar noch platzen?«

»Nein. Ich sprach auch nur von dem Fall, daß er heirathen will, bevor Du mein Mann bist. Später, wenn dera Kronenhof Dir gehört, mag er machen, was er will. Er geht uns sodann nix mehr an, und Du wirst ihn bald genug fortgejagt haben.«

»Ja; wann ich einziehe in den Hof, so muß er in demselbigen Augenblick hinaus. Ich mag keine Stund mit ihm beisammen sein und will hoffen, daß es Dir recht ist.«

»Wann ich nur Dich bekomm, so ist mir Alles recht.«

»Ists wahr, Kätherl?«

»Ja.«

»So gar lieb hast mich wirklich?«

»Willsts immer noch nicht glauben?«

»O ja; aberst es klingt so schön, wannsts mir sagst; darum frag ich Dich immer und immer wieder.«

»So will ich Dir jetzund zum tausendsten Male sagen, daß ich Dich von ganzem Herzen lieb habe. Komm her; ich muß Dir einen tüchtigen Kuß geben!«

»So laß ich mirs gefallen! So bist grad, wie ich Dich gern hab. Küsse sollst gern bekommen, wievielst nur haben willst.«

Er schlang die Arme um sie, drückte sie an sich und küßte sie so gierig, daß sie es sich wohl nicht gefallen lassen hätte, wenn es nicht grad jetzt ihre Absicht gewesen wäre, ihm zu einer so langen und innigen Umarmung Gelegenheit zu geben.

Nämlich sie hatte sich bereits daheim unter alten, nicht mehr gebrauchten kleinen Schlüsseln einen ausgewählt, welcher genau die Gestalt und Größe hatte wie derjenige des Försters, welcher dessen Gewehrschrank schloß. Sie hatte ihn mitgebracht, ihn während der Unterhaltung aus der Tasche genommen und in der Hand gehalten.

Es kam ihr darauf an, dem Förster seinen Schlüssel zu nehmen, ohne daß er es bemerkte und den anderen an die Stelle desselben zu hängen. Darum hatte sie ihn sich heut bei der Capelle so genau angesehen. Hätte sie ihn einfach weggenommen von der Kette, so war es sehr leicht möglich, daß er das Fehlen desselben bemerkte, hing sie aber einstweilen einen anderen an dessen Stelle, so konnte der Förster jetzt, bei Nacht, seine Uhrkette zehnmal in die Hand nehmen, ohne zu bemerken, daß der Gewehrschrankschlüssel fehle.

Als er sie nun so innig umarmte und fest an sich drückte, umschlang sie ihn nicht, sondern hielt ihre Arme an sich, so daß sie zwischen ihrem und seinen Leib zu liegen kamen. Das hatte ganz den Anschein, als ob sie die allzu feste Umarmung von sich abwehren wolle. Indem er sie nun mit fast thierischem Ungestüm preßte und küßte, schaffte sie sich mit dem linken Arme für die rechte Hand den nöthigen Raum, um seine Uhrkette zu erwischen.

Sie fühlte dieselbe. Ein Druck an den Carabiner, an welchem der Schlüssel hing, und er öffnete sich. Der Schlüssel befand sich in ihrer Hand. Ebenso leicht gelang es ihr auch, den falschen Schlüssel an den Carabiner zu befestigen.

Jetzt, da sie ihren Zweck erreicht hatte, entzog sie sich seiner mehr als stürmischen Liebkosung. Sie schob ihn von sich ab und sagte, nach Luft schnappend:

»Herrjesses, Du drückst mir ja die Seel aus dem Leib! Deine Lieb ist so gewaltig, daß mans gar nicht aushalten kann! Hörst nicht, daß ich gar keinen Athem mehr hab?«

»Mag sein; aberst so muß man es machen bei dera richtigen Lieb. Einen Genuß muß man davon haben.«

»Aber keinen, an welchem der Andere versticken kann.«

»So schnell geht dem Menschen die Lebensluft nicht aus. Komm her! Wollens noch mal versuchen!«

»Das hat noch Zeit. Laß mich nur erst erholen.«

»Bist doch sonst nicht so zart. Bist wohl in dera letzten Zeit schwach worden?«

»Nein, aberst Alles hat sein Maaß und Ziel, auch die Liebe.«

»Da dank ich für das Maaß, mit welchem Du heut messen willst! Ich hab Dich gar so wenig, und wann ich Dich mal bekommen will, so müssen wir uns heimlich fortstehlen und uns in denen Winkeln umherdrücken. Das ist nix Willkommenes. Es kann mich nicht gefreuen.«

»Mich auch nicht. Es geht aberst leider jetzt nicht anderst.«

»Ja, später wirds besser, wann ich erst Dein Mann bin. Da wohnen wir bei nander, und kein Mensch hat uns nix zu sagen. Nachhero aberst werd ich meine schöne Frau genießen. Da kannst Dich nur darauf gefaßt machen!«

»O Jegerl, das wird gefährlich!«

»Gefährlich nicht, aberst herrlich. – Donnerwettern! Die Zeit ist längst schon vorüber, in welcher ich revidiren muß. Was ist da zu thun?«

Er hatte seine Uhr gezogen und gegen einen Mondesstrahl gehalten, welcher durch die Zweige fiel. Die Bäuerin war darüber erschrocken, fühlte sich aber vollständig beruhigt, als er die Uhr wieder einsteckte, ahnungslos, daß dei Schlüssel, welchen er ja auch mit in der Hand gehabt hatte, ein falscher sei.

»Was zu thun ist,« sagte sie, »das mußt selberst wissen.«

»Fort muß ich mal!«

»So geh!«

»Ich kann Dich doch nicht hier lassen?«

»Warum nicht?«

»Weil ich Dich gern so lang wie möglich bei mir haben will. Also gehst mit?«

»Daran liegt mir nix.«

»Warum denn? Bist müd?«

»Ja, ich bin müd worden von dem Weg, den wir macht haben, und sodann ists ja auch möglich, daß ich sehen werd, wann ich mit Dir geh.«

»O nein! Bevor ich zum Posten geh, um mit ihm zu reden, bleibst hinter denen Büschen stehen.«

»Steht dera Posten auf einer Stell?«

»Nein. Er geht in seinem Bereich hin und her.«

»So kann er leicht auf uns treffen, ehe wir bemerken, daß er kommt. Und was soll er dann denken, wann er mich bei Dir sieht?«

»Da hast freilich Recht.«

»Ich geh also nach Haus.«

Das war keineswegs ihre Absicht. Sie mußte ihm ja den Schlüssel wieder heimlich zustecken. Sie sagte aber so, um von ihm selbst zum Bleiben aufgefordert zu werden. Sie hatte sich auch nicht verrechnet, denn er sagte sofort:

»Schon heim willst? Das geht nicht!«

»Ich möcht halt wissen, warum!«

»In dera Nacht allein heimgehen?«

»Was ists weiter? Dera Mond scheint doch, und ich kenne den Weg.«

»Und wann dera Samiel Dir begegnet?«

»Der wird einer Frau nix thun. Bei mir ist nix zu holen.«

»Aberst eben weilst eine Frau bist, und noch dazu eine schöne Frau.«

»Meinst, daß er sich in mich verliebt?«

»Er wird kein Esel sein. Wann so ein Räuber des Nachts im Wald einer schönen, jungen Frau begegnet, so kann man sich gar leicht denken, was passiren wird.«

»Oho! Ich thät mich wehren.«

»Gegen den Samiel? Damit würdest nicht sehr weit kommen!«

»Ich bin ganz überzeugt, daß es ihm gar nicht einfallt, sich daher in den Wald zu setzen. Nachdem er an dem Oberlieutenant so ein gutes Geschäft macht hat, wird er heimgangen sein und sich aufs Ohr ins Bett legt haben.«

»Und wannst Recht hättest, so kannst doch einem von unsern Posten in den Weg laufen, und diese sollen Dich nicht sehen.«

»Auch das geschieht nicht.«

»Gar leicht.«

»Nein. Du hast mir doch sagt, wo die Posten sich befinden. Da kann ich ihnen nun leicht aus dem Weg gehen.«

»Du hast ja hört, daß sie nicht auf einer und derselben Stell stehen bleiben. Du kannst wirklich gar leicht derwischt werden. Es ist am Allerbesten, Du bleibst hier und wartest, bis ich wiederkomm.«

»Meinst?«

»Ja. Nachhero führ ich Dich durch den Wald, bis er zu Ende ist.«

»Darfst denn von hier fort?«

»Eigentlich nicht; aberst Dir zu Lieb wag ich es gern, gegen die Instructionen zu handeln.«

»Hast ja auch eine Ausred.«

»Welche meinst denn?«

»Wannst derwischt wirst wo anderst als auf Deinem Platz, kannst ja sagen, daßt revidiren gewest bist.«

»Daran hab ich auch schon denkt. Uebrigens werd ich um eine Ausred gar nicht sehr verlegen sein. Also, willst hier warten oder nicht?«

»Wannst denkst, so bleib ich hier.«

»Ja. Ich werd mich sehr beeilen.«

»Wie lange wird es dauern, bis Du wiederkommst?«

»Das ist freilich lang. Die Zeit wird Dir nicht kurz werden. Eine halbe Stund hab ich bis zu dem einen Posten und eine Viertelstund bis zum andern, zuruck also ebenso weit, das thät in Summa anderthalbe Stund machen. Aberst wann ich recht rasch geh, kann ich in einer Stund wohl wiederum da sein.«

»Brauchst Dich nicht gar zu sehr anzustrengen; ich werd gern warten.«

»Aberst die Langeweile, welche Du dabei haben wirst.«

»Die wird nicht arg sein, denn ich werd mich auf die Bank legen und versuchen, ob ich schlafen kann. In dieser Nacht versäum ich meinen Schlaf, da kann ichs sehr gut gebrauchen, wann ich ein Stündchen schlafen thu.«

»Hast Recht. Aberst so allein im tiefen Wald zu schlafen, das ist für eine Frauen nix Gewöhnliches. Wirst Dich fürchten.«

»O nein. Vor wem denn?«

»Vor denen Geistern und Gespenstern.«

»Da laß mich aus! Es giebt ja keine.«

»Denkst das wirklich?«

»Ja. Ich hab niemals an solche Dummheiten glaubt. Geh also in Gottes Namen; um mich braucht Dir nicht bang zu sein.«

»Na, wanns so ist, dann bin ich freilich beruhigt. Ich werd also gehen. Vorher aberst giebst noch einen Kuß!«

»Hast schon wieder Appetit!«

»Zu so was Delicatem jede Minut!«

»Da hast ihn! Und nun mach, daßt fort kommst, damit ich schlafen kann. Je eher Du gehst, desto eher kannst wiederum da sein.«

»Gut. Aberst man kann nicht wissen, was passiren thut. Es kann doch Jemand kommen, vielleicht gar der Samiel. Schlaf nicht zu fest, und wann Jemand kommt, so versteckst Dich sogleich hier hinter dera Bank in die Büschen, bis ich zurückkehren werd.«

»Schön! Ich hab meine Instructionen und werd sie befolgen,« lachte sie.

»Das mußt auch thun. Also leb wohl auf Wiedersehen, Kätherl!«

»Adje, lieber Schatz!«

Er war bereits mehrere Schritte fort. Da blieb er stehen und sagte:

»Adje, lieber Schatz? Donnerwetter! Wannst so zärtlich und liebenswürdig zu mir redest, da muß ich Dir gleich noch aus reiner Dankbarkeit einen recht derben Schmatz geben.«

Er kam wieder zu ihr zurück und wollte sie abermals umarmen; sie aber wehrte sich dagegen und sagte:

»Wannst so unersättlich bist, werd ich andere Saiten aufziehen müssen. Ich werds mir merken, daß ich nicht liebenswürdig mit Dir sein darf.«

»Geh her, Kätherl! Nur noch einen, einen einzigen!« bat er.

»Na, da hast ihn, daßt nur endlich fortkommst! Aberst aus dera Ferne; nicht so nahe. Angreifen darfst mich nicht dabei, sonst druckst mich abermals so, daß ich es nicht aushalten kann.«

Er mußte gehorchen und ihr den Kuß aus der Distance geben. Dann ging er.

Sie blickte ihm nach, bis er aus dem hell beschienenen Thale in den dunklen Wald getreten war. Dann stampfte sie mit dem Fuße und knirrschte so laut, daß die beiden Lauscher es hörten:

»Endlich! Dera verdammte Kerl war ja gar nicht fortzubringen! Nun kann ich aberst schnell machen! Vorwärts also!«

Sie nahm den Rock hoch empor, so daß die nun mit den Männerhosen bekleideten Beine nicht am schnellen Laufe gehindert waren, und sprang längs des Weges hin und bog dann rechts ab in der Richtung nach dem Forsthause zu.

Sie hatte, wenn sie langsam wäre, eine Viertelstunde zu gehen, bei der Eile aber, mit welcher sie vorwärts strebte, konnte sie in der Hälfte dieser Zeit dort sein.

Sie hielt nun keineswegs den gebahnten Weg inne, denn sie wußte, daß sie sonst auf einen der ausgestellten Posten gestoßen wäre. Sie wendete sich vielmehr unter die weit auseinander stehenden hochstämmigen Bäume. Zwar war es da ziemlich dunkel, und sie hatte hier und da rechts oder links um die Bäume zu beugen; aber es war besser, etwas langsamer weiter zu kommen, als von Jemand bemerkt zu werden.

Sie kannte den Wald und besonders diese Parthie desselben so genau, daß ein Irren gar nicht möglich war. Aus diesem Grunde gelangte sie nachher, als sie die Gegend des Forsthauses erreichte und wieder nach rechts bog, um auf den freien Platz, auf welchem es stand, zu kommen, ganz genau an die Stelle, an welche sie ihren Knecht Bastian bestellt hatte.

Er hatte sich dort unter die Zweige des jungen Nadelholzes verstecken sollen. Trotz der Eile, mit welcher sie gelaufen war, waren ihre Schritte im weichen Moose doch so leicht und leise gewesen, daß Bastian sie gar nicht gehört hatte.

»Pst!« machte sie leise, indem sie stehen blieb und nun auf Antwort horchte.

Erst jetzt bemerkte er, daß Jemand da sei. Er steckte den dicken Kopf unter den Zweigen hervor, lugte heraus und sah sie an.

»Hier!« antwortete er.

Mit einigen Schritten kam sie hin zu ihm.

»Hast Alles mit?« fragte sie.

»Natürlich!«

»Auch die Latern und das Blatt?«

»Ja. Kannst hereinkommen.«

»Hilf mir! Es muß rasch gehen!«

Er kam heraus zu ihr, ergriff ihre Hand und zog sie hinein in das Dickicht. Dort hatte er ein zwischen Bäumen liegendes, kleines Plätzchen ausfindig gemacht, welches Raum genug dazu bot, die Samielskleidung anzulegen.

Die dazu nöthigen Stücke lagen da am Boden. Auch das Dings, welches Sepp und Fritz für eine Stockflinte oder so etwas Aehnliches gehalten hatten. Bastian zeigte auf dasselbe und sagte:

»Hier ist auch die Leiter.«

»Gut! Aber wir werden sie nicht brauchen, Bastian.«

»Das wäre gut, denn klettern thu ich nicht gerne.«

»Wir können in das Haus. Erst dachte ich, wir müßten zum Fenster hineinsteigen.«

Während sie sprach, natürlich sehr leise, kleidete sie sich an.

Der Bastian hatte die Samielstracht bereits vorher angelegt. Während er seiner Herrin half, die ihrige anzulegen, fragte er:

»Also Geld willst holen und wie groß ist die Summen?«

Sie sagte es ihm nicht gern; er hätte lieber nicht wissen sollen, welch einen bedeutenden Fang sie machen wolle. Morgen aber wurde jedenfalls allüberall davon gesprochen, und da mußte er es doch erfahren. Darum antwortete sie der Wahrheit gemäß:

»Dreißigtausend Markln.«

»Kreuzdonnerwetter!«

»Was fluchst?«

»Weils so viel ist.«

»Das ist noch lange keine Million!«

»Aberst beinahe.«

»Unsinn! Du hast keine Ahnung, was zu einer Million gehört.«

»Wohl viel mehr?«

»Freilich, noch tausendmal mehr.«

»Sakkerment! Doch sag, giebst mir auch was von denen dreißigtausend?«

»Ja. Wie viel willst haben?«

»Dieses Mal werd ich viel verlangen.«

»Nur nicht allzu viel. Also sags!«

»Giebst mir hundert Markln!«

»Du, werde nicht unverschämt!«

»So sags selbst, wast geben willst.«

»Fünfzig.«

»So, also fünfzig! Weißt, ich weiß noch was viel Besseres!«

»Was denn?«

»Wannst mir einen Willen thust, brauchst mir gar nix zu geben.«

»Nun, was willst Du denn?«

»Ich will – will – Dein Mann sein.«

»Natürlich wirst Du der; aber das geht doch nicht so schnell, wie Du denkst?«

»Wohl weil dera jetzige noch lebt?«

»Ja.«

»Ach, wann der auch noch lebt, so kann ich es doch auch mit sein.«

»Ich will es mir überlegen.«

»So überleg es bald, sonst nehm ich die fünfzig Markln.«

»Jetzt giebt es zum Ueberlegen keine Zeit, Bastian. Wir müssen schnell machen, denn ich muß rasch wieder fort, sonst ists verrathen, daß wir Beide es sind, die den Samiel spielen. Das Geld ist nämlich in dem Förster seiner Stube, im Gewehrschrank.«

»Sapperment! Der wird wohl verschlossen sein?«

»Ja, doch hab ich den Schlüssel.«

»Das ist sehr gut, sehr schön und fein.«

»Aber es ist ein dummes Ding dabei. Nämlich der Graf bleibt heut Nacht im Forsthause und schläft grad in diesem Zimmer.«

»Den soll dera Teuxel holen! Kann er nicht wo änderst schlafen?«

»Diesen Gefallen wird er uns freilich nicht thun.«

»Können wir denn in seine Stuben?«

»Jedenfalls. Hoffentlich schläft er!«

»Und wann er nicht schläft, so wird er Lärm machen.«

»Das müssen wir zu verhüten suchen.«

»Aber wie? Ich weiß ein Mittel. Es ist das beste, was es giebt.«

»Dieses Mittel kenne ich. Du hältst es bei jeder Gelegenheit für das beste.«

»So? Was hab ich denn meint?«

»Du willst ihn todtschlagen. Nicht?«

»Natürlich!«

»Und ich will es nicht!«

»So bist dumm genug. Wann er Lärm macht, sind wir caput.«

»O nein. Er wird sich nicht groß wehren, und außer ihm sind nur noch die Martha und die alte Magd daheim.«

»Wanns so ist, so hab ich keine Sorg. Mit denen Dreien werden wir schon fertig.«

»Das Geld will und muß ich haben, auf alle, alle Fälle. Darum werde ich, wenn man mich zwingt, zum äußersten Mittel greifen, das heißt, ich werde die Person niederschießen, die mich in eine wirkliche Gefahr bringt.«

»Kanns sein, wer will?«

»Ja.«

»Schön! Darauf freu ich mich gar sehr!«

»Red nicht solches Zeug! Man soll nicht aus reiner Wollust morden. Aber wenn es sich um meine Person handelt, so wehre ich mich natürlich auf das Aeußerste. Ich bin jetzt fertig. Komm!«

Sie schlüpfte aus dem Unterholz hinaus, und Bastian folgte ihr.

Draußen schien natürlich der Mond, aber rund um die Lichtung lag ein breiter Schattenstreifen. Im Schutze desselben schlüpften sie bis an den hintern Gartenzaun der Försterei. Ueber diesen sprangen sie hinweg und befanden sich nun im Garten, aus welchem sie ganz ohne alle Mühe in den Hof gelangten.

»Wo sind die Hunde?« flüsterte Bastian.

»Sie sind eingeschlossen, damit sie den Grafen nicht stören sollen.«

»Das haben die dummen Kerls sehr gescheidt macht. Nun können wir weiter.«

Die Bäuerin war bereits oft hier gewesen. Sie kannte die Lage des Kuhstalles. Als sie ihn erreichte, fand sie an der Thüre desselben das Loch, von welchem der Förster gesprochen hatte. Sie langte hinein und fühlte den Holzriegel, den sie aufschob.

Auf diese Weise gelangten sie ohne, alle Mühe in den Stall. Sie machten natürlich die Thüre hinter sich wieder zu, und sodann brannte Bastian die kleine Blendlaterne an, welche er mitgebracht hatte.

Als dieselbe brannte, leuchtete er im Stalle umher.

»Niemand hier,« war das Resultat seiner Nachforschung.

Die beiden Kühe lagen auf der Streu und kauten wieder.

»Jetzt nun beginnt das Gefährliche,« sagte die Bäuerin. »Wir müssen hinaus in den Hausflur. Ich will erst mal nachschauen, ob Jemand draußen ist.«

Sie nahm dem Knecht die Laterne aus der Hand und steckte sie zunächst vorsorglich in die Tasche. Sodann trat sie an die zweite Thüre des Stalles und öffnete dieselbe leise, um hinaus in den Hausflur zu blicken.

Es war finster draußen und kein Lüftchen regte sich.

»Komm!« flüsterte sie.

Bastian folgte ihr, die Thüre hinter sich zumachend.

Nun befanden sie sich im Flur. Sie horchten. Das Schnurren eines Spinnrades ertönte aus der Wohnstube.

»Sie sind da drin,« raunte die Bäuerin dem Knecht zu. »Da weiß man, wie es geht: die Eine spinnt, und die Andere liest oder schläft. Sie sind ungefährlich. Wir können also die Trepp hinaufi steigen. Nimm Dich nur in Acht, daß sie nicht knarren thut. Ich werd dazu leuchten.«

Sie nahm die Taschenlaterne wieder heraus und leuchtete. Die Treppe war gut gebaut und bestand aus ganz vortrefflichem Holze. Sie knarrte nicht. Als sie aber den Vorplatz erreichten, hielt die Bäuerin erst Umschau. Da gab es über den hier befindlichen Thüren Geweihe aller Art. Alte Jagdutensilien hingen an den Wänden; dabei auch eine Anzahl fester Koppelriemen für die Jagdhunde.

»Das paßt!« flüsterte sie. »Die können wir gebrauchen.«

»Wozu?« fragte Bastian.

»Um den Grafen zu fesseln. Paß nur recht auf, was ich mach. Da mußt allemalen gleich schnell mit helfen.«

Sie nahm die Riemen zu sich und schlich sich nun an die ihr bekannte Thüre, welche zur Stube des Försters führte. Sie horchte und glaubte ein ziemlich lautes, regelmäßiges Schnarchen zu vernehmen.

»Er scheint zu schlafen,« flüsterte sie. »Ich werd mal aufimachen. Tret ich hinein, so kommst auch und riegelst die Thür hinter Dir zu, damit wir nicht von außen überrascht werden.«

Sie klinkte langsam auf, langsam und vorsichtig, so daß dabei nicht das geringste Geräusch verursacht wurde. Sodann zog sie die Stubenthüre ein wenig auf und blickte hinein.

Der Graf lag ausgezogen in dem weiß und neu überzogenen Bette. Er hatte den Mund auf und schlief schnarchend. Der Hieb, welchen er auf den Kopf erhalten hatte, schien doch nicht ganz ohne nachtheilige Folgen für ihn gewesen zu sein.

»Komm schnell!«

Bei diesen Worten schlüpfte sie lautlos hinein, und der Knecht folgte ihr, ebenso unhörbar wie sie. Dann verschloß er die Thür. Sie steckte die Laterne in die Tasche und huschte hin an das Bette, neben welchem auf dem Tische eine Lampe brannte. Bastian folgte ihr auch dorthin.

»Das paßt, daß er den Mund aufi hat,« raunte sie ihm zu. »Da können wir ihm einen Knebel hineinstecken, ohne daß es uns eine große Mühen macht.«

»Wovon bereiten wir denselben?«

»Von seinem Schnupftuchen, welches da auf dem Stuhle liegt. Aberst paß aufi! Sobald ich ihm dem Knebel in den Mund schiebe, wird er aufwachen und sich bewegen. In ganz demselbigen Augenblick mußt ihm sofort ganz schnell einen Riemen um die Arme binden, so daß sie an den Leib gepreßt sind, sonst kann er sich mehren und den Knebel aus dem Mund entfernen. Dann binden wir ihm auch die Beinen zusammen, daß er sich gar nicht regen kann.«

Sie drückte das weiße Taschentuch des Officiers fest zusammen und trat zu Häupten des Bettes. Bastian ergriff einen der Riemen und hielt denselben, an der Seite des Bettes stehend, bereit.

Jetzt schob die Bäuerin das Taschentuch dem Grafen in den Mund. Sie stopfte es mit dem Finger so tief wie möglich hinein. Natürlich erwachte der Graf, da er keinen Athem mehr durch den Mund bekam. Er fuhr vor Schreck in die sitzende Stellung empor.

Das war für den Bastian außerordentlich bequem. Im Nu hatte er ihm den Riemen um die Arme geschlungen und zog denselben so zusammen, daß die Ersteren fest an den Leib gepreßt wurden. Ein zweiter Riemen vollendete das Werk.

Jetzt kam der Graf eigentlich erst zum richtigen Erwachen. Er hätte sich bisher noch halb im Schlaf und instinctiv bewegt. Er riß die Augen weit auf und sah den Bastian vor sich stehen. Die Bäuerin konnte er nicht sehen, da diese hinter ihm am Haupte des Bettes stand. Ein ungeheurer Schreck bemächtigte sich seiner. Aber er überwand denselben augenblicklich und machte eine Bewegung, aus dem Bette heraus zu kommen. Aber da er nur die Beine frei hatte, so war es für Bastian leicht, dies zu verhindern. Er band ihm auch die Beine, trotzdem der Graf sich strampelnd dagegen mehrte. Der Letztere sank erschöpft und fast erstickt mit dem aufgerichteten Oberkörper wieder nieder, und augenblicklich legte ihm die Bäuerin ein Kopfkissen auf das Gesicht, damit er nicht sehen könne.

»Jetzt geh wieder hinaus, und halt die Wach vor dera Thür,« gebot sie dem Bastian leise. »Wann Jemand aufikommen sollt, so schlüpfest gleich wieder herein und machst den Riegel wieder vor!«

Er entfernte sich gehorsam. Er wußte, daß die Bäuerin nicht gern bemerken lassen wollte, daß der Samiel eigentlich aus zwei Personen bestehe. Bei allen ihren Raubanfällen und Wildereien hatte sie es stets so eingerichtet, daß nur Eins von ihnen Beiden bemerkt werden konnte.

An der Wand hingen verschiedene Jagdtrophäen. Unter Anderen auch ein scharfer, spitziger Nickfänger. Den nahm sie herab und hielt ihn in der rechten Hand. Dann nahm sie das Kissen wieder von dem Gesichte des Grafen, so daß er sie sehen konnte. Sie beugte sich über ihn und sagte mit unter der Maske dumpf hervorklingender Stimme:

»Kennst mich, Graf?«

Er konnte nicht antworten, wie sich ja ganz von selbst verstand.

»Hast wohl nicht denkt, daßt mich heut Abend noch mal sehen wirst?«

Ueber sein Gesicht ging ein krampfhaftes Zucken. Er schien sich Mühe zu, geben, den Knebel aus dem Munde zu stoßen. Die Kraft der Zunge aber reichte dazu nicht aus.

»Weißt was, Graf,« fuhr sie fort, »damitst mir antworten kannst, werd ich den Knebel entfernen. Aberst das sag ich Dir: Wannst einen Laut von Dir giebst, oder gar um Hilfe rufst, so stoß ich Dir gleich dieses Jagdmessern in das Herz. Darauf kannst Dich nur verlassen. Also sag, willst nur ganz leise sprechen?«

Er nickte. Es war ihm natürlich nur darum zu thun, den Knebel, welcher ihn fast erstickte, los zu werden.

»Gut! Aberst kein lautes Wort! Das befehl ich Dir!«

Sie machte ihm das Hemd vorn auf und setzte ihm mit der Rechten die Spitze des Nickfängers auf die nackte Brust. Sodann zog sie ihm mit der Linken das Taschentuch aus dem Munde.

Er holte tief, tief Athem. Sein von der Athemnoth dunkelroth gefärbtes Gesicht nahm wieder eine natürliche Farbe an. Er sagte sich im Stillen, daß Widerstand ganz vergeblich sei. Dem Samiel jetzt nicht zu gehorchen, das hätte sich nur ein Wahnsinniger unterfangen; es bedurfte ja nur eines kleine« Stoßes mit dem Messer, um den Wehrlosen zum todten Mann zu machen.

Aber wenn er sich auch äußerlich in sein Schicksal ergeben mußte, so bäumte sich doch innerlich sein reges Ehrgefühl, sein ganzer Officiersstolz gegen seine jetzige Machtlosigkeit auf. Doch behielt er genug Besinnung, sich zu sagen, daß Klugheit jetzt das Allerbeste sei. Der Samiel wollte mit ihm sprechen. Vielleicht war, wenn man es schlau anfing, es möglich, aus dem Gespräche gewisse Anhaltepunkte darüber zu erlangen, wer und was der Samiel eigentlich sei, wo er wohne, und so weiter. Darum beschloß der Oberlieutenant, nicht den geringsten Widerstand zu leisten, sondern in ganz passiver Weise auf seinen Vortheil bedacht zu sein.

Eins freilich machte ihm Bedenken. Was wollte der Samiel hier bei ihm? Ausgeraubt hatte er ihn schon. In dieser Beziehung war also nichts zu holen. Wollte er ihn etwa tödten aus Rache dafür, daß es die Aufgabe des Grafen war, den Räuber zu fangen? Das mußte nun freilich in möglichster Kaltblütigkeit abgewartet werden.

Der Samiel hatte durch die beiden in die schwarze Maske geschnittenen Augenlöcher den Grafen scharf fixirt. Er hielt das Messer zum Stoße bereit und sagte:

»Jetzunder werd ich ein Verhören mit Dir anstellen. Wirst mir alle meine Fragen richtig beantworten?«

»Ja,« antwortete der Gefragte leise, »ja, nämlich wenn ich kann.«

»Du wirst können. Aberst mach mir ja keine Dummheiten, denn sonst bin ich ein strenger Richter über Dich!«

Es kam eine Art von Galgenhumor über den Grafen, in Folge dessen er die Antwort gab:

»Ich bitte, es gnädig mit mir zu machen, hoher Herr Gerichtshof!«

»Schweig! Spaßen darfst nicht mit mir treiben. Das kann ich nicht vertragen. Warum bist eigentlich kommen, um mich zu fangen?«

»Weil ich muß!«

»Kannst Dich doch dagegen wehren!«

»Beim Militär giebts keine Gegenwehr den Vorgesetzten gegenüber.«

»So! Also hast wirklich nicht anders konnt?«

»Nein.«

»Nu. wann das ist, will ichs Dir nicht nachtragen.«

Dem Grafen gab das trotz seiner Lage gewissen Spaß. Er wußte jetzt nur so viel, daß der Samiel kein Verständniß für militärische Verhältnisse hatte.

Das war doch wenigstens schon Etwas. Vielleicht ließ sich bei sorgfältiger Verlängerung des Gespräches auch noch Wichtigeres erfahren.

Vor allen Dingen war der Graf bemüht, an dem Aeußeren des Samiels irgend etwas Auffälliges, irgend ein Merkmal zu entdecken, woran man ihn vielleicht dann erkennen konnte.

Er betrachtete ihn also mit scharfen, forschenden Blicken, doch vergeblich.

In Folge der Larve klang die Stimme dumpf und tief. An die Larve schloß sich ein Fortsatz von Tuch an, welcher auch den ganzen Hinterkopf bedeckte; darum und weil der Samiel auch den breitkrämpigen Hut tief in das Gesicht gezogen hatte, war nicht einmal die Farbe des Haares zu erkennen.

Auch vom Halse war nichts zu sehen. Es war ein schwarzes Tuch um denselben geschlungen.

Die Gestalt des Räubers war klein, aber voll. An den Händen trug er Handschuhe, ein Beweis, daß seine Hände derart beschaffen seien, daß er sie nicht sehen lassen durfte. Sie waren klein wie Frauenhände.

Das war Alles, was der Graf im Verlaufe des Gespräches an dem Samiel entdecken konnte; mehr leider nicht.

Dieser Letztere fügte seinen bereits erwähnten Worten zu:

»Es ist mir überhaupten lieb, daßt kommen bist. Wann ein Anderer kommen wäre, so hätts für mich viel mehr Gefahr geben. Dera Andere wär wohl viel gescheidter gewest als Du. Du aberst bist so dumm, daß ich mich vor Dir gar nicht in Acht zu nehmen brauch.«

»Besten Dank für dieses Compliment!« lächelte der Graf grimmig.

»Bitt gar schön! Weißt, warum ich kommen bin?«

»Habe nicht das Vergnügen.«

»Nun, dera Förster hat dreißigtausend Markln dort in dem Schrank. Die will ich mir holen.«

»Donnerwetter!«

»Ja, Das hast wohl nicht denkt.«

»Hol Dich der Teufel!«

»Dazu hat er noch lange nicht Zeit. Bist ein gar kluger Mann! Hasts mit dem Förster besprochen, daß Ihr mir eine Schlingen stellen wollt mit denen Dreißigtausend. Ihr habt denkt, ich werd nun bald kommen, sie mir zu holen.«

»Heiliges Kreuz! Das weißt Du?«

»Ja.«

»Woher weißt Du das?«

»Ich hab Euch belauscht.«

»Da schlage das Wetter drein!«

»Drum bin ich eher kommen. Ich werd mir das Geldl holen. Fangen könnt Ihr Euch, wen Ihr wollt, aberst mich bekommt Ihr nicht. Paß mal aufi!«

Er trat an den Gewehrschrank, zog den Schlüssel aus der Tasche und schloß auf. Eine Brieftasche lag da. Der Samiel öffnete sie und sah, daß sie voller Banknoten war. Er trat damit an das Bett zurück und sagte:

»Schau, das schöne Geldl! Das wird mir eine große Freud bereiten. Noch viel größer aberst ist die Freud darüber, daß ichs aus dera Stuben holt hab, in welcher dera Herr Graf, der mich fangen will, sich befindet. Das wird eine große Ehre für Dich sein, und die Leutln werden es sich verzählen und darüber lachen.«

Ein Zähneknirschen des Grafen war die einzige Antwort, welche er von demselben erhielt. Er schob die Brieftasche in die Innentasche seiner Jacke und fuhr fort:

»Nun. kannst den Herrn Förstern von mir grüßen. Auch er wird sich freuen. Einer wird eine so lange Nasen haben wie dera Andere. So kommts, wann man sich für klüger hält als man ist. Wie ist Dir denn dera Hieb bekommen, dent vorhin von mir erhalten hast?«

»Hole Dich der Satan!«

»Ich hab Dir bereits sagt, daß der keine Zeit dazu hat. Schau, ich hätt Dir gar nix than, denn Du bist ein altes gutes Loderle, welches mir gar nit schaden kann; aberst Du hast mit dera Kronenbäuerin wettet –«

»Verdammt!« stieß der Graf hervor.

»Daßt mich in dieser Woche fangen willst!«

»Woher weißt Du das?«

»Ich habs erlauscht.«

»Das ist nicht wahr!«

»So glaubs halt nicht!«

»Als wir wetteten, war Niemand dabei, der es verrathen konnte.«

»Aberst dera Sepp und dera Fritz habens im Wirthshaus verzählt, und da ist mir halt wiedersagt worden. Darum hab ich mir denkt, wannst Dich für gar so klug hältst, so werd ich Dir einen Denkzettel geben. Also hab ich Dich ablauert und Dir Alles abgenommen. Das hast davon!«

»Du bist wirklich ein Satan!«

»Und Du ein Esel! Die schöne Uhren mit dera goldenen Kett und dera Ring mit denen Diamanten sind mir sehr angenehm gewest. Ich werd ein gutes Geldl dafür erhalten.«

Da durchzuckte den Grafen ein Gedanke. Hier gab es eine vortreffliche Gelegenheit, den Samiel in eine Falle zu locken, aus welcher er sicherlich nicht entkommen konnte. Kaum hatte der Graf den Gedanken gefaßt, so führte er ihn auch aus, indem er sagte:

»Du willst die Sachen verkaufen?«

»Ja. Was soll ich sonst damit thun?«

»Man wird Dir nicht viel dafür geben, denk ich mir.«

»Billig verkauf ichs nicht!«

»Du mußt Dich an einen Hehler wenden, welcher Dir nicht den zwanzigsten Theil des Werthes giebt.«

»An einen Hehler? Jeder Juwelierer kauft mir so einen Ring ab.«

»Da täuschest Du Dich freilich außerordentlich. Ich werde natürlich öffentlich in den Blättern bekannt machen, was Du mir geraubt hast, und die einzelnen Gegenstände so genau beschreiben, daß Niemand Dir einen Pfennig dafür bieten würde. Sobald Du zu einem Goldarbeiter oder Juwelier kämst, würde er die Sachen gleich erkennen und Dich festnehmen lassen.«

»Wann ich selberst komm! Dafür aberst werde ich mich hüten!«

»So sendest Du also einen Boten, den man arretirt, und die Sachen werden confiscirt und mir zurückgegeben. Du erhältst also nicht einen Pfennig dafür.«

»Das machst mir nur weiß.«

»Du wärst ein schlechter Spitzbube, wenn Du nicht einsähest, daß ich Recht habe. Es bleibt Dir nichts Anderes übrig, als zu einem Hehler zu gehen, und von einem solchen bekommst Du natürlich nur einen Lumpenpreis ausgezahlt.«

»So muß ich auch zufrieden sein!«

»Wenn Du so denkst, so bist Du freilich nicht auf Deinen Vortheil bedacht. Du könntest leicht mehr bekommen, mehr noch, als ein Juwelier Dir bieten würde, falls er den Handel für ehrlich hielt.«

»So! Inwiefern denn?«

»Indem Du auf einen Vorschlag eingehst, den ich Dir machen will.«

»So laß denselbigen hören!«

»Ich will die Sache ganz objectiv betrachten. Wenn es Dir gelingt, die Sachen zu verkaufen, ganz gleichgiltig, wieviel Du dafür bekommst, so erhalte ich mein Eigenthum, niemals wieder. Abgesehen von dem Gelde, welches dabei war und welches ich verschmerzen will, liegt mir viel daran, die Uhr und besonders den Ring wieder zu bekommen. Er ist ein altes Erbstück, und ich mag nicht auf ihn verzichten.«

»Ja, wie willst ihn denn wieder erhalten?«

»Dadurch, daß ich Dir Uhr und Ring abkaufe.«

»Sapperment!«

»Nicht wahr, das überrascht Dich?«

»Freilich.«

»Du siehst, daß ich sehr verständig sein will, und ich hoffe darum, daß Du auf meinen Vorschlag eingehst.«

»Das kann ich schon thun, wann wir einig werden.«

»Ich hoffe es. Wieviel willst Du für die Uhr haben?«

»Wieviel ist sie werth?«

»Fünfhundert Mark mit Kette.«

»Giebst mir so viel?«

»Nein. Der Hehler würde Dir nicht mehr als fünfzig Mark bieten.«

»So bekommt er sie nicht.«

»Dann kannst Du sie nutzlos liegen lassen, und schließlich wird sie gar noch einmal zur Verrätherin an Dir. Ein Mann wie Du muß streng nach dem Grundsätze handeln, die geraubten Sachen schleunigst von sich zu geben, um sie zu verwerthen, und besonders aus dem Grunde, daß sie nicht bei ihm gefunden werden und ihn dann in Strafe bringen.«

»Das ist auch schön.! Erst willst mich fangen, und nun giebst mir einen guten Rath, wie ich es machen soll, um nicht entdeckt zu werden.«

»Ich spreche jetzt nicht als Beamter, sondern als Privatmann, als Besitzer der geraubten Sachen zu Dir, die ich gern wiederhaben möchte.«

»So sag nur erst, wast geben willst!«

»Für die Uhr zweihundert Mark. Ich kann sie entbehren und gebe also keinen Pfennig mehr.«

»Hm!«

»Gehst Du darauf ein?«

»Da prositirst dreihundert.«

»Und Du hundertfünfzig, gegen den Preis, welchen der Hehler Dir zahlen würde. Das mußt Du berechnen.«

»Nun gut, sollst sie haben für die zweihundert Markln.«

»Und wieviel verlangst Du für den Ring?«

»Sag erst, was er werth ist?«

»Rund tausend Mark.«

»Das ist nicht wahr.«

»Wenn Du ihn für werthvoller hältst, so bist Du ein schlechter Kenner.«

»Ich kenn es schon. Dera Ring ist unter Brüdern zehntausend Mark werth.« »Oho!«

»Ja, so ists!«

»Da täuschest Du Dich gewaltig.«

»Nein, denn sonst hättst Du selberst Dich auch täuscht.«

»Wieso?«

»Weilst sagt hast, ein jeder Juwelierer thät gleich gern zehntausend Markln dafür geben.«

»Wie? Das hätte ich gesagt? Wann und zu wem?«

»Im Kronenhof heut, alst die Wetten macht hast mit dera Bäuerin.«

»Donnerwetter!«

»Ja, nun fluchst! O, ich weiß Alles.«

»Wie kannst Du denn wissen, daß ich das gesagt habe?«

»Weil es auch im Wirthshaus verzählt worden ist.«

»So bist Du dort gewesen?«

»Werde mich hüten! Ich bin gar nicht von hier aus dera Gegend. Ich hab einen Gehilfen, welcher dabei gewest ist.«

»So! Dann hat er falsch verstanden oder Dich falsch berichtet.«

»Nein. Dieser Mann sagt ein jedes Wort genau. Er weiß, was darauf folgen thät, wann er mir was Falsches sagt.«

»So mag er meinetwegen richtig gehört haben. Aber Diejenigen, welche es erzählt haben, die haben sich geirrt.«

»Auch nicht. Es sind Zwei gewest, dera Sepp und dera Fritz, und Zwei werden Dich doch nicht zugleich falsch verstanden haben. Diese Beiden haben gute Ohren.«

»So, kennst Du sie?«

»Wer sollt diese nicht kennen?«

»Nun, angenommen, daß ich in Wirklichkeit so gesagt hätte, so wäre es doch nur meine Absicht gewesen, mit dem Ringe ein Bischen aufzuschneiden.«

»Ach so! So bist also ein Großmaul!«

»Deshalb nicht. So einen Scherz erlaubt sich ein Jeder einmal.«

»Aberst kein Graf. Wann so Einer gegen einfache Bauersleut größer thut als er ist, so ists eine Schand für ihn.«

»Nimm das, wie Du willst. Der Ring ist bei Weitem nicht so viel werth, wie ich ihn taxirt haben soll.«

»Aberst doch mehr als tausend Markln!«

»Dann trüge es nur eine Wenigkeit aus.«

»Das glaub ich nicht. Wir wollen uns nicht streiten. Ich will zugeben, daßt Dein Maul mit denen Zehntausend mal zu voll genommen hast, aberst wann ich ihn taxiren soll, so gehe ich unter Fünftausend nicht herab. Darauf kannst Dich verlassen. Betrügen läßt dera Samiel sich nicht.«

»Ich will darauf eingehen, daß wir uns nicht streiten. Nehmen wir also an, der Ring sei fünftausend Mark werth. Wieviel würde der Hehler bieten?«

»Tausend.«

»Nein, sondern höchstens fünfhundert.«

»So behalt ich ihn.«

»Und wirst ihn also nicht los. Tragen kannst Du ihn auch nicht, wozu hast Du ihn mir also genommen?«

»Ich will ihn schon los werden!«

»Schwerlich!«

»Ganz leicht. Ich brech die Edelsteinen heraus und verkauf sie einzeln. Da werd ich schon ein schönes Geldl dafür erhalten.«

Der Graf sagte sich, daß der Spitzbube damit sehr Recht habe. Das brachte ihn in Verlegenheit. Er wollte natürlich seinen Ring wieder haben, und zugleich bei dieser Gelegenheit sich des Räubers bemächtigen. Es gab keinen andern Ausweg, als einen guten Preis zu bieten. Darum erklärte er:

»Das wird gar nicht viel sein. Ich gebe Dir auf alle Falle mehr.«

»Nun, wieviel?«

»Giebst zweitausend Markln?«

»Nein.«

»Ich gebe tausend oder im höchsten Falle fünfzehnhundert.«

»Da mach ich nicht mit. Die Uhren war fünfhundert werth und dera Ring kostet fünftausend. Wannst für die Uhren zweihundert giebst, so kannst also für den Ring zweitausend zahlen. Das ist sodann ganz dasselbige Verhältnissen.«

»Hm! Wenn Du so rechnest, so hast Du freilich Recht.«

»Also, was sagst dazu?«

»Um diese unangenehme Geschichte abzukürzen, will ich Ja sagen.«

»Gut! Also zusammen zweitausendundzweihundert Markln?«

»Ja.«

»Hast Geld mit?«

»Hast Du die Gegenstände mit?«

»Nein. Die liegen daheim.«

Die Augen des Grafen leuchteten bei diesen Worten auf.

»Daheim bei Dir selbst?« fragte er.

»Ja.«

»So! Also hast Du mich belogen, als Du sagtest, Du seiest nicht aus dieser Gegend. Wenn Du von der Zeit an, in welcher Du mich beraubtest, bis jetzt bereits zu Hause gewesen und nun schon wieder hier bist, so kannst Du gar nicht weit von Kappellendorf wohnen.«

Der Samiel erkannte, welch einen Bock er geschossen habe, doch war er resolut und antwortete sogleich:

»Hab ich sagt, daß ich daheim gewest bin?«

»Ja.«

»Nein. Ich hab nur sagt, daß ich die Sachen daheim liegen. Dabei gehts Dich gar nix an, ob ich dieselbigen durch einen Kameraden hab heimschaffen lassen oder nicht.«

»Hm!« brummte der Graf zweifelnd.

»Ja. Aberst hast denn überhaupt das Geldl, mich zu bezahlen?«

»Natürlich.«

»Hier in Kapellendorf? In Deiner Wohnungen beim Kronenbauer?«

»Nein. Ich hatte Alles einstecken, und Du hast es mir abgenommen.«

»So bist also blitzeblank vom Geldl und willst mir doch eine solche Summen geben?«

»Warum nicht? Ich brauch ja nur meinem Bankier einen Brief zu schreiben, so sendet er mir, was ich brauche. Oder, um die Sache zu vereinfachen, geb ich Dir lieber einen Wechsel.«

»Dafür dank ich gar schön! Von einem solchen mag ich nix wissen.«

»Nun gut, dann machen wir baare Zahlung.«

»Wann?«

»Bestimme die Zeit!«

»Das kommt darauf an, wannst das Geldl erhalten wirst.«

»Früh schreibe ich gleich; übermorgen also ist es da.«

»Schön! So kannst mir also übermorgen das Geldl geben, und Du empfängst die Uhr und den Ring dafür.«

»Wo aber?«

»Hm! Das ist eine gar schwierige Sachen. Meinst nicht auch?«

»Gar nicht. Wir treffen uns an einem bestimmten Orte und zu einer verabredeten Minute und tauschen Geld und Sachen mit einander aus. Dann sind wir fertig. Die Sache ist sehr einfach.«

»Nein, die Sach ist gar nicht so einfach, und auch nicht fertig sind wir sodann.«

»Was sollte denn noch kommen?«

»Meine Gefangennahme.«

»Ah! Wieso?«

»Denkst etwan, ich weiß nicht, wast willst und welche Absichten Du hast?«

Der Graf machte ein so ehrlich erstauntes Gesicht wie nur möglich. Er antwortete:

»Meine Sachen will ich wieder haben. Das beabsichtige ich, weiter nichts.«

»Oho! Die Sachen willst wieder haben und mich dabei ergreifen lassen!«

»Das kommt mir nicht in den Sinn!«

»O doch! Ich möcht darauf schwören, daßt nit Anderes willst!«

»So würdest Du falsch schwören.«

»O nein! So klug und weise wie ein Grafen oder ein Offizieren bin ich auch noch, vielleichten noch viel gescheidter und vorsichtiger.«

Der Graf nahm diese beleidigende Pille ruhig hin und sagte:

»Wann Du das denkst, so kannst Du doch Deine Maßregeln darnach treffen.«

»Meinst? Dagegen giebts gar keine.«

»Auf jeden Fall!«

»So sag mir doch mal, welche!«

»Dies auszusinnen, ist Deine Sache.«

»Schön! Da brauch ich mir gar nix auszusinnen. Auf denen Leim, dent mir stellen willst, geh ich nicht. Mich fängst auf keinen Fall. Wannsts ehrlich meinst, bekommst Deine Sachen wieder, und ich erhalte das Geld dafür.«

»Aber wie?«

»Das laß mir allein über. Ich werds schon so einzurichten wissen, daß Alles klappt. Schreib nur dem Bankier. Ich werds sofort wissen, wannst das Geld erhalten hast. Nachhero wird der Umtausch stattfinden auf eine Art, die Alles in Ordnung bringt, ohne daß ich in Gefahr dabei komme.«

»Davon muß ich doch vorher wissen!«

»Nein, vorher nicht, aberst zur richtigen Zeit wirsts derfahren.«

»Darf ich also annehmen, daß unser Geschäft als abgeschlossen zu betrachten ist?«

»Ja.«

»So verlasse ich mich fest darauf!«

»Kannsts als sicher nehmen. Nun sind wir fertig, und ich werd gehen.«

»Aber das Geld nimmst Du doch nicht mit!«

»Nicht? Was fallt Dir ein!«

»Es gehört dem Förster!«

»Es hat ihm gehört, jetzunder ists nun das meinige Eigenthum.«

»Mann, wage nicht zu viel!«

»Pah! Was giebts da zu wagen?«

»Wannst Du es zu arg treibst, geht es Dir dann desto schlechter.«

»Das behalt für Dich. Meinst, daß ich gekommen bin, mir das Geldl nur anzuschauen und es dann recht brav und ehrlich wieder hinein in den Schrank zu legen? Das wäre eine Verrücktheiten, die ganz ohne Gleichen sein würde.«

»Bemitleidest Du denn den armen Förster gar nicht?«

»Den bemitleiden! Er ist ein alberner Kerl, dem nix Anderes gehört. Er hat es gewonnen und kanns also gar leicht verschmerzen.«

»Thu es wieder hinein, dann will ich nichts gegen Dich unternehmen.«

»Ah! Was wolltest denn unternehmen?«

»Um Hilfe rufen.«

Der Samiel hatte nämlich das Messer im Laufe der Unterredung fortgelegt. Jetzt aber ergriff er es sofort wieder, zückte es gegen die Brust des Grafen und antwortete:

»Beim ersten lauten Ruf wärst Du eine Leiche. Und selbst wann das nicht wäre, so könnt Dir dera Hilfeschrei gar nix einbringen.«

»Da irrst Du Dich. Der Förster würde sogleich mit seinen Burschen gesprungen kommen.«

»Schau, wast alles sagst! Ist er denn zu Haus?«

»Ja.«

»So! Da hast Dich sehr im Samiel geirrt. Dera Förster ist draußen im Wald mit seinen Burschen, mit dera Polizei und denen Soldaten.«

»Davon weiß ich nichts.«

»Lüge nicht. Ich weiß Alles. Sie wollen mich fangen, und indessen hole ich dem heutigen Anführer, der die Andern sogar revidiren muß, damit ich ihnen ja nicht entgehen kann, das Geldl aus dem Schranke. Ist das nicht lustig?«

»Du bist ein verdammter Kerl!«

»Und Du ein altes, gutes, dummes Loderl. Mach nun das Maul wiederum aufi. Ich muß Dir den Knebel hineinstecken.«

Der Graf erschrak und bat:

»Das wirst Du doch nicht thun!«

»O doch. Es ist gar nothwendig.«

»Ganz und gar nicht. Ich bin ja gefesselt. Wozu soll ich auch noch geknebelt werden?«

»Damitst nicht rufen kannst.«

»Was schadet das, wann Du fort bist?«

»Sehr viel. Du beginnst gleich zu schreien, wann ich noch im Haus bin.«

»Das wäre dumm. Die alte Magd kann mir nicht helfen und die Martha auch nicht.«

»Hm! Kannst Recht haben.«

»Und bedenke, daß ich leicht ersticken kann, wenn ich so daliegen muß, bis der Förster zurückkehrt. Der kommt ja erst, wenn die Nacht vorüber ist.«

»Schau, wie genau Du nun auf einmal weißt, daß er draußen im Walde ist! Ja, Du bist ein gar Kluger, grad so klug, daß es für Dich ausreichen thut. Nun, ich will ein Einsehen haben und Dich nicht wieder knebeln, wannst mir versprichst, nicht eher zu rufen, als bis eine Viertelstunden vergangen ist.«

»Das verspreche ich,« antwortete der Graf, dem dieses Zugeständniß das Herz erleichterte.

»Auf Ehrenwort?«

»Auf Eh – – –«

Er hielt inne. Sollte er dem Räuber wirklich sein Ehrenwort geben, welches zu halten er dann doch gezwungen war? Man konnte ja nicht wissen, was geschah. Innerhalb einer Viertelstunde kann sich Vieles ereignen.

»Nun?« fragte der Samiel.

»Genügt Dir mein Versprechen nicht?«

»Nein. Mach auf das Maul.«

Er ergriff das Taschentuch.

»Was willst Du thun, wenn ich den Mund nicht aufmache? Du mußt es Dir gefallen lassen.«

Der Samiel zückte das Messer und antwortete:

»Was willst dagegen thun, wann ich Dir das Maul hier mit dem Messer aufimachen thu? Du mußt es Dir doch gefallen lassen. Paß aufi!«

Er ergriff den Grafen mit der Linken beim Kopf und näherte die Messerklinge dem Munde des Gefesselten.

»Halt!« rief der Letztere. »Ich verspreche, nicht zu schreien.«

»Auf Ehrenwort?«

»Ja, auf Ehrenwort.«

»Schön! So kannst liegen bleiben, wie Du jetzunder bist. Nach einer Viertelstunden darfst meinetwegen schreien, daß dera Himmel einistürzt.«

Er zog ein Papier aus der Tasche, welches ihm der Bastian gegeben hatte, bevor sie im die Stube traten. Es standen ganz dieselben von Bastians Hand geschriebenen Worte darauf wie auf dem Papiere, welches vorher dem Grafen draußen im Walde angehängt worden war.

»Schau,« sagte er, »da will ich einen Zettel in den Schrank legen, worauf schrieben steht, daß ich es bin, der das Geld nommen hat.«

»Das ist gar nicht nöthig!«

»O doch! Man könnt gar leicht Dich für den Spitzbuben halten, weilst hier in dera Stuben gewest bist.«

»Kerl!«

»Sei still, und brauße nicht aufi! Ein Graf kann auch mausen. Eure Ahnen sind doch fast alle Raubrittern und Spitzbuben gewest, und Ihr seid doch stolz daraufi, daß deren Blut noch heut in Euern Adern lauft.«

Er legte den Zettel hinein und schloß den Schrank zu. Den Schlüssel steckte er natürlich wieder ein.

»Na, die Freuden,« lachte er dumpf unter der Larve hervor, »die große Freuden, welche dera Förster haben wird, wann er hineinschaut und sein Geldl nicht mehr findet. Ich möcht das Gesicht sehen, welches er dabei machen wird.«

»Das wird nicht schlimmer sein als dasjenige, welches Du einst machen wirst, wenn Du zum Galgen geführt wirst,« antwortete der Graf.

»O, damit hats alleweil noch gute Zeit. Den Samiel fangt Ihr doch nicht. Der ist viel zu klug für Euch.«

»Ein verflucht gescheidter Kerl bist Du; das muß ich freilich zugeben. Woher hast Du denn den Schlüssel zu diesem Gewehrschrank bekommen?«

»Das brauchst nicht zu fragen. Ich hab Schlüssel, welche alle Schlösser schließen. Gute Nacht! Leb wohl, und laß Dir die Zeit nicht lang werden.«

Er huschte mit unhörbaren Schritten aus der Stube. Die Thür verschloß er hinter sich, wie der Graf hörte.

Dieser Letztere befand sich in einem Zustande höchsten Ingrimms. Es hatte all seiner Kraft bedurft, denselben zu bemeistern, was ganz nothwendig war, um den Samiel nicht zu erzürnen. Sein Blick glitt nach Hilfe suchend durch das Zimmer. Neben dem Bette, hart an dasselbe stoßend, stand ein Tisch und darauf lag ein Messer, eine Gabel und ein Löffel.

Wenn es ihm gelang, das Messer zu erwischen, so konnte er sich befreien.

Er hatte bisher absichtlich ganz steif im Bette gelegen, um dem Samiel glauben zu machen, daß er sich gar nicht bewegen könne. Die Arme waren ihm an den Leib gebunden, so daß die Hände unten am Bauche zusammenlagen. Die Beine waren auch gefesselt, aber nicht gar zu fest, denn er hatte, als ihm von Bastian der Riemen um dieselben geschlungen worden war, sie nicht fest aneinander gedrückt, so daß ihm nun ein Spielraum von wenn auch nur einem Zolle blieb, um die Füße zu bewegen.

Das Hüftgelenk aber war frei. Er gab sich mit dem Oberkörper einen Schwung nach oben und kam so zum Sitzen. Indem er sich nun herumdrehte und die Beine aus dem Bette streckte, erreichte er mit den Füßen den Fußboden und richtete sich aufrecht empor. Nun beugte er sich in den Hüften so weit nieder, daß sein Gesicht auf den Tisch zu liegen kam und er mit den Lippen und Zähnen das Messer erreichen konnte.

Er schob es bis an die Tischkante, richtete sich wieder auf und vermochte nun, das Messer mit der Hand zu erfassen. Er hielt es fest am Griffe, schob die Klinge unter den um seinen Leib gebundenen Riemen und begann, so weit er die Hand bewegen konnte, an den Riemen zu sägen.

Dies Alles geschah in fieberhafter Hast und schneller, als man es zu erzählen vermag. Bereits nach wenigen Augenblicken war der Riemen durchschnitten und der Graf hatte seine Hände frei. Keine Secunde später hatte er auch den Riemen an seinen Beinen gelöst.

»Ah! Frei!« seufzte er erleichtert auf. »Und nun dem Kerl nach. Vielleicht ist er noch im Hause! In diesem Falle soll er mir nicht entgehen. Ich habe mein Ehrenwort gegeben, nicht zu schreien; aber daß ich auch nichts Anderes thun werde, daß habe ich nicht versprochen. Ihm also nach!«

Er riß einen Hirschfänger von der Wand und – – – bemerkte nun erst, daß er nicht angekleidet war. In fieberhafter Hast zog er nur Hose, Weste und die Stiefeln an und eilte dann nach der Thür – vergebens! Sie war ja verschlossen.

Seit dem Augenblicke, an welchem der Samiel die Stube verlassen hatte, waren nicht drei Minuten vergangen. Er konnte noch im Hause sein.

Der Graf suchte nach einem anderen Ausgange, und dieser war vorhanden.

Eine Thür führte in eine kleine Nebenstube. Der Graf stieß sie auf. Von da ging eine Thür hinaus nach dem Vorplatz zur Treppe. Eben als der Graf auch diese öffnete, ertönte unten eine weibliche Stimme:

»Herrgott! Dera Samiel!«

Den Hirschfänger mit den Fingern fest umklammernd, sprang der Graf zur Treppe hinab. Er hörte verworrene Stimmen und dann einen Schuß. Es war ihm gewesen, als ob der Ruf aus dem Munde Marthas erklungen sei.

Diese Vermuthung war die richtige. Es war Martha, die ihn ausgestoßen hatte. –

Sie hatte mit Fritz, als die Kronenbäuerin auf eine so seltsame Weise von dem Orte des Stelldicheins fortgeeilt war, noch einige Augenblicke lautlos gewartet, ob die Bäuerin nicht wiederkommen werde. Dann war Fritz aufgestanden, hatte ihre Hand ergriffen und sie fortgezogen.

»Komm!« sagte er. »Wir dürfen nicht länger hier bleiben.«

»Wohin?« fragte sie.

»Nach Haus natürlich.«

Sie eilten schnell über den vom Monde beschienenen Raum weg und blieben sodann, als sie den Schatten erreichten, verschnaufend stehen.

»Hasts hört, was sie sagte, als sie fortgangen ist?« fragte Martha.

»Ja.«

»Was mag sie vorhaben?«

»Wer kann das wissen.«

»Und wohin kann sie sein?«

»Auch das weiß ich nicht. Mir scheint, daß sie Etwas thun will, was Deinem Oheim schädlich ist.«

»Das hab ich mir auch denkt, aberst das kann doch nicht sein.«

»Warum nicht?«

»Weil sie ihn so sehr lieb hat.«

»Martha, glaubst das wirklich?«

»Ja. Sie hats ja selberst sagt!«

»Sie hat ihn belogen.«

»O nein! So lügen kann doch unmöglich eine Frauen.«

»Meinst Du?«

»Ja. So – so – so gar zärtlich mit ihm sein, sich so – so – solche Liebe gefallen lassen und ihm doch nicht gut sein, das ist doch in dera ganzen Welt gar nicht möglich.«

»Bei der Bäuerin aber doch!«

»Herrgott! Ich thät vor Scham sterben, wann Einer, den ich nicht lieb hab, so mit mir thät, wie dera Oheim mit ihr than hat.«

»So! Aber von Einem, den Du lieb hast, ließest Du es Dir gefallen?«

»Auch nicht, so nicht!«

»Wie aber denn?«

Er legte die Hand um sie und zog sie sanft an sich.

»Wie? Das weiß ich nicht,« antwortete sie leise.

»Das weißt nicht? Wohl weilst noch keinen Buben habt hast?«

»Ja.«

»Hat denn noch Keiner den Arm so um Dich legt, wie ichs jetzund thu?«

»Nein.«

»Aberst einen Kuß hast doch schon bereits mal erhalten?«

»Nie, nie! Es hat Keinen geben, dem ich so was hätt derlauben mögen.«

»Und es giebt wohl auch Keinen? Keinen Einzigen?«

Er beugte sich zärtlich zu ihr nieder. Seine Stimme hatte jenen unbeschreiblichen Ton, den nur die Liebe der menschlichen Kehle zu verleihen vermag.

Sie antwortete nicht. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Ja wollte sie nicht sagen, um ihn nicht zu betrüben, und Nein konnte sie nicht hervorbringen. Ihr reines, jungfräuliches Gefühl sträubte sich dagegen.

»Martha, magst mir nicht antworten? Giebts Einen, dem Du es erlauben würdest, Dich zu küssen?«

»Ja,« hauchte sie, »aberst nur ein Einziger, ein Allereinziger ists.«

»Wer?«

»Das weißt nicht?«

»Ich kanns mir denken.«

»Nun, wen denkst Dir denn?«

»Ich denk, daß ich es bin. Hab ich da Recht?«

»Ja.«

Er drückte sie noch inniger an sich.

»Schau, Martha, das ists, was mich so gar sehr glücklich macht, daß ich der Erste und Einzige bin, der Dich anrühren darf. Wann ein Weib noch so schön ist, und es hat bereits einem Anderen gehört, nachhero möcht ichs gar nicht haben.«

»Du bist doch auch so. Du hast auch noch kein Dirndl lieb habt, Fritz.«

»Ja, und darum passen wir so gar sehr gut zu einander, meine herzliebe Martha. Uns soll nix trennen. Kein Mensch, kein Unglück und keine Gewalt soll uns aus nander bringen können. Das wollen wir uns hier versprechen. Nicht wahr, mein gutes Maderl?«

»Ja, Fritz.«

»Giebst mir die Hand daraufi?«

»So gern! Hier hast sie!«

Sie schlugen ein, und Fritz sagte mit vor Wonne bebender Stimme:

»So bist nun mein, ganz mein, und ich darf Dich an mein Herz nehmen. Dort soll Dein Platz sein, so lange ein Athem in meiner Brust ist und ein Gedank in meiner Seelen. Komm her, mein süßes, liebes Martherl!«

Er zog sie innig an sich, hob ihr Gesichtchen empor und küßte sie herzlich.

So standen sie bei einander in seligem Entzücken. Sie liebten sich; sie hatten sich; sie gehörten einander unzertrennlich und für das ganze Leben an. In diesem Bewußtsein dachten sie nur an sich, nur an ihr Glück, nur an den gegenwärtigen Moment. Sie vergaßen, wo sie waren und was sich ereignet hatte. Der Förster, die Kronenbäuerin, der Samiel, sie waren vergessen. So verging Minute um Minute, bis Martha doch endlich den Geliebten erinnerte:

»Fritz, wollen wir nicht weiter gehen?«

»Weiter? Mir ists, als ob hier das herrlichste Plätzchen sei auf dera ganzen Welt, als ob wir hier bleiben müßten fürs ganze Leben. Diese Stelle ist mir heilig und wird mir ein Gedächtniß bleiben, so lange als ich nur denken kann.«

»Auch ich werd mir sie merken. Aberst nun möcht ich doch nach Haus. Schau, dera Mond ist schon bereits weit hinüber. Mußt nicht auch nach Haus?«

»Ja freilich. Hast Recht, wir wollen gehen. Wir werden einander ja doch fleißig wiedersehen. Meinst nicht auch?«

»Ja, fleißig und bald.«

»Sehr bald. Wann denn?«

»Willst wohl morgen bereits wieder zu mir kommen?«

»Von ganzem Herzen gern.«

»So komm! Ich freu mich schon heut darauf.«

»Und wo treffen wir uns?«

»Grad da, wo wir uns heut troffen haben.«

»Und wann?«

»Ja, wann denkst denn eigentlich?«

»So spät nicht wieder wie heut.«

»Nein, sondern eher. Aberst die Zeit, wann ich fortkommen kann, weiß ich heut noch nicht genau.«

»So werd ich, wann wir gessen haben, mal herauslaufen nach dem Forsthaus. Außen am Zaun werd ich stehen, weißt, hinter dera Lauben, in welcher Du den Förster mit meiner Bäuerin mal sehen hast. Da brauchst nur in die Lauben zu treten, um mit mir durch den Zaun sprechen zu können, und da kannst mir sagen, wannst Zeit hast, zu kommen.«

»Ja, so wollen wir es machen. Komm!«

Sie umschlangen sich und schritten langsam weiter.

Freilich hatten sie es nun in ihrer glückseligen, weltvergessenen Stimmung nicht gar sehr eilig. Sie gingen den Schritt aller Liebenden – langsam, in süßem, flüsterndem Gekose und die Blicke tief in einander gesenkt. Sie ahnten ja nicht, was während derselben Zeit im Forsthause geschah.

Als sie dieses endlich erreichten, wollte er sie nach der Hausthüre führen; sie aber sagte:

»Nicht vorn, sondern hinten hinein werd ich gehen.«

»Hast den Schlüssel nicht mit?«

»Nein. Ich bin durch den Stall heraus und werd auch durch denselbigen wiederum hineingehen. Den Gartenschlüssel aberst hab ich mit.«

Sie umschritten die Försterei und gelangten an den hinter derselben gelegenen Garten. Martha öffnete die Thür desselben.

»Hier wollen wir Abschied nehmen,« sagte sie.

»Kann ich nicht mit bis zum Stall gehen?«

»Warum?«

»Weil ich wissen muß, daßt auch sicher heim gelangst.«

»Ich bin doch bereits daheim!«

»O nein. Jetzund bist immer noch im Freien, und da kann Dir sehr leicht noch was begegnen.«

»Hier nun nicht mehr. Dera Samiel wird sich nicht in das Forsthaus wagen.«

»Vielleicht doch! Nein, ich geh mit bis an den Stall. Wannst da drin bist, nachhero kann ich ruhig sein.«

»Aberst ich muß doch hier die Gartenthür verschließen!«

»Was thut das? Nix.«

»Dann kannst ja nicht wieder herausi!«

»O doch. Ich steig über den Zaun.«

»Wannst Dir solche Mühen machen willst, so hab ich nix dagegen. Komm also mit!«

Sie verschloß die Thür, und nun gingen sie mit einander aus dem Garten in den Hof und über denselben hinweg nach der Stallthüre zu. Dort blieben sie noch einige Augenblicke lang stehen.

Das war grad zu derselben Zeit, in welcher der Samiel den Grafen verließ.

Der Mond schien so hell hernieder, dahin, wo sie standen. Sie konnten sich so in die Gesichter sehen, als ob es am hellen Tage sei. Er zog das liebe, schöne Mädchen noch einmal recht innig an sich und fragte:

»Martha, solls Dein Oheim wissen, daß wir einander lieb haben?«

»Ganz wie Du willst.«

»So wollen wir es ihm noch für kurze Zeit verschweigen.«

»Hast einen Grund dazu?«

»Ja. Ich werd ihm erst mal zeigen, daß ich der Einwilligung der Bäuerin nicht bedarf, wann ich mir eine Frau nehmen will.«

»Das war eine Dummheiten, die sie sagt hat. Sie hat doch kein Recht und keine Vormundschaft über Dich!«

»Nein, gar keine, und – – Pst! Hast nicht was hört?«

»Ja.«

»Was war es?«

»Es war wie wenn man eine Thüren aufklinken thut.«

»So ists auch mir vorkommen.«

»Und zwar drin im Stall. Ich kenne diesen Ton genau.«

»Sollt Jemand drinnen sein?«

»Wir werden uns täuscht haben.«

»Nein. Ich habs ganz deutlich hört, denn es war – – Schau! Himmelsakra!«

Er deutete nach dem kleinen Fensterchen des Stalles, welches in diesem Augenblicke durch den Schein eines Lichtes erleuchtet wurde.

»So ist doch wer drin!« flüsterte Martha.

»Aberst wer!«

»Nur die Magd kann es sein. Die Rothschecketne hat heut nicht fressen wollt, und da wird die Magd nachschauen wollen, was die Kuh macht und ob sie vielleichten gar krank ist.«

»Wanns so ist, so soll es mich gefreuen. Wanns aberst anders ist, so – schau! Alle Teufeln! Da geht die Thüren aufi!«

Sie standen grad der Thür gegenüber. Diese wurde geöffnet, und der Bastian trat heraus, ohne die Beiden im ersten Augenblicke zu bemerken, denn er hatte das Gesicht nach dem Innern des Stalles zugewendet.

Martha erblickte die dunkle Gestalt in der oft beschriebenen, gefürchteten Tracht. Der Schreck darüber entlockte ihr den lauten Schrei.

»Herrgott! Dera Samiel!«

Da fuhr der Bastian blitzschnell herum. Er erblickte die Beiden und erkannte sie auf der Stelle.

»Die Martha!« rief er aus, indem er rasch einige Schritte auf die Beiden zutrat.

Die Bäuerin, anstatt zurückzuweichen und sich einen anderen Ausweg zu suchen, trat sofort auch aus dem Stalle heraus.

»Noch einer!« schrie Martha auf.

»Dera Fritz!« entfuhr es der Bäuerin. »Also doch!«

Damit hatte sie sich verrathen; aber Fritz wußte auch ohnedies, daß er seine Herrin und seinen Mitknecht vor sich hatte. Martha umschlang ihn in ihrer Angst und legte den Kopf an seine Brust.

»Hilf mir, Fritz, hilf mir!« stammelte sie.

»Hab keine Angst!« antwortete er. »Bei mir bist sicher.«

Der Bastian lachte höhnisch auf. Er konnte Fritz nicht leiden, wie ja die Tugend stets von der Sünde gehaßt wird. Jetzt hatte er Gelegenheit, ihm Eins auszuwischen.

»Sicher beim Fritz, bei dem Lausbub!« rief er aus. »Dirndl, Du mußt mein werden.«

Er sprang herbei und griff nach ihr.

»Zurück!« donnerte Fritz ihm entgegen.

»Hund, was hast mir zu befehlen!« entgegnete Bastian.

Er riß den Todtschläger unter der Jacke hervor und holte zu einem fürchterlichen Schlage aus. Hätte dieser Hieb getroffen, so wäre Fritz sofort eine Leiche gewesen.

Der wackere Bursche aber war schneller als sein Feind. Er schlug diesem mit blitzartiger Geschwindigkeit die Faust mit solcher Gewalt in das Gesicht oder vielmehr an die vor das Gesicht befestigte Larve, daß Bastian mit einem lauten Wehschrei zusammenbrach.

Das brachte die Bäuerin zur augenblicklichen Energie. Sie hatte Fritz hier bei Martha getroffen; er war für sie verloren, denn er liebte dieses Mädchen. Warum sollte sie ihn schonen? Es galt, sich des niedergeschmetterten Bastians anzunehmen.

»Verdammter Kerl!« kreischte sie auf, so daß man aus ihrer Stimme leicht errathen konnte, daß der Samiel ein Frauenzimmer sei. »Das sollst mir sehr büßen.«

Sie drang mit beiden Fäusten auf Fritz ein, während Bastian sich langsam vom Boden erhob. Fritz lachte laut auf und rief:

»Seit wann kämpfen den Katzen gegen den Bären. Weig fort, sonst zerbrech ich Dir die Krallen!«

Er schleuderte sie von sich. Anstatt aber zur Besinnung zu kommen und zu bedenken, daß sie aus einem Kampfe mit ihm unmöglich als Siegerin hervorgehen könne, wendete sie sich wieder zurück. Sie fuhr mit der Hand in die Tasche. Der Lauf ihres Revolvers glänzte im Mondesstrahl – –

»Das hast für die Katz, Du Hundekerl!« rief sie.

Der Schuß krachte.

Sobald Martha die Waffe erblickte, ergriff sie den Geliebten am Arme und schrie voller Angst:

»Weig aus! Er schießt.«

Sie riß ihn an sich. Er zuckte zusammen und wankte.

»Herrgott! Er ist troffen!« zeterte Martha und warf ihre beiden Arme um ihn, ihn fest umschlingend.

Die Bäuerin hatte nach diesem Schusse sofort die Flucht ergriffen. Sie rannte nach dem Zaune und kletterte mit der Schnelligkeit einer Katze hinüber. Der Bastian hatte sich von dem erhaltenen Hiebe wieder erholt; er sah ein, daß Flucht das Gerathenste sei und folgte seiner Herrin mit derselben Schnelligkeit.

»Laß mich! Laß mich los!« rief Fritz. »Ich will ihnen nach; ich will sie haben.«

»Nein, nein!« antwortete Martha, ihn nur noch fester umschlingend. »Sie schießen auf Dich; sie dermorden Dich; Du darfst nicht fort.«

»Nix, gar nix könnens mir thun. Laß mich nur fort.«

»Nein, Du bleibst, Du bleibst!«

»So zwingst mich, Gewalt zu brauchen!«

Er wollte sie von sich abschieben, aber er konnte es nicht, außer wenn er ihr hätte sehr wehe thun wollen. Sie hing sich so an ihn, daß er gezwungen war, nachzugeben.

»Herrgottle! Warum lässest mich nicht fort!« seufzte er auf. »Nun sinds entkommen.«

»Laß sie!« bat sie zitternd. »Sie mögen immer entkommen, wann sie nur Dir nix anhaben können. Hörst, was ist das?«

Sie hörten jetzt, daß heftig an der hintern Thür gerüttelt wurde.

»Wer will herausi?« fragte Martha.

»Ich, der Graf!«

»Ach so! Sagens dera Magd.«

»Die ist nicht zu finden.«

Dabei trat er mit den Beinen abwechselnd gegen die Thür.

»Da ist zu; da könnens nicht ausi. Gehens durch den Kuhstallen. Dann sinds sogleich im Hof.«

Jetzt hörten die Beiden eine Thür aufreißen; dann erscholl ein zorniger Schrei im Stall:

»Himmelelement! Wer liegt denn da?«

Das Mädchen trat an die Thür und fragte hinein:

»Was fluchens denn?«

»Ich bin über einen Kerl gestürzt.«

»Das ist kein Kerl, sondern unsere rothschecketne Kuh.«

»Alle Teufel! Was will die denn da?«

»Na, das ist doch ihr Stall! Oder meinens, daß ich die Kuh in den Glasschrank stellen soll?«

»Ach so! Der Stall! Das ist ja richtig. Aber wo ist meine Waffe?«

»Suchens nur!«

Es vergingen einige Augenblicke, während deren er suchte; dann hörte man seine Stimme:

Hier fühle ich sie. Ja, das ist der Hirschfänger.

»Nun, da bin ich. Wo ist der Hallunke?«

Er erschien unter der Thür, den Hirschfänger in der Faust, und blickte sich um. Als er Fritzen sah, sprang er auf ihn zu und rief:

»Da ist er! Da haben wir ihn! Hund ergieb Dich sofort!«

»Was?« lachte Fritz. »Ich soll mich ergeben?«

Der Graf sprach nicht weiter. Er erinnerte sich jetzt daran, daß der Samiel eine ganz andere Tracht gehabt hatte. Er erkannte zugleich auch des Knechtes vom Monde erleuchtetes Gesicht.

»Sapperment!« sagte er. »Ein Irrthum. Ich dachte der Samiel wäre es.«

»O nein. Der bin ich nicht.«

»Das weiß ich. Aber er war doch hier!«

»Freilich!«

»Wo ist er?«

»Fort, entkommen.«

»Alle Teufel! Warum habt Ihr ihn nicht festgehalten?«

»Warum habens ihn nicht selberst festhalten, Herr Grafen?«

»Weil – brrr! Wische mir den Hirschfänger mal gehörig ab.«

Er hielt ihm die Waffe hin. Fritz aber trat zurück und antwortete lachend:

»Dank schön, Herr Oberlieutenant.«

»Was geht mich der an! Gar nix. Werfens ihn weg, so sinds ihn los.«

»Hm! Ja, hast Recht.« Er warf ihn fort und sagte dann weiter: »Also Ihr habt den Samiel gesehen?«

»Ja, alle Beide,« antwortete Fritz.

»Beide – – –?«

»Sapperment! Droben bei mir – – –«

Er sprach nicht weiter, denn in diesem Augenblicke, wo er von seinem Abenteuer erzählen wollte, erkannte er erst, wie wenig ruhmvoll dasselbe für ihn sei. Ließ sich das nicht vertuschen? Vielleicht doch! Niemand wußte, daß der Samiel bei ihm gewesen sei, und der Samiel würde doch nicht sich selbst verrathen.

»Was wolltens sagen?« fragte Fritz.

»Ich meinte, droben bei mir hörte ich den Schrei, daß der Samiel hier sei. Darum zog ich schnell das Allernothwendigste an, riß den Hirschfänger vom Nagel und eilte herab. Leider war die Hausthür verschlossen. Ich ging in die Stube, mir öffnen zu lassen; aber es war Niemand da. Endlich erhielt ich den guten Rath, durch den Stall zu eilen, und darum komme ich zu spät. Sapperment! Da es zwei gewesen sind, so hat der Eine Wache gestanden, während der Andere mich – – na, jammerschade, jammerschade, daß ich nicht zur rechten Zeit gekommen bin. Warum hast Du sie denn entkommen lassen!«

»Ich konnt sie nicht halten.«

»Oho! So ein junger Kerl wie Du! Du brauchtest ja nur zuzugreifen.«

»Sie auch. Und sie habens doch nicht than.«

»Ich? Wieso?«

»Am Abend draußen im Wald, wo Sie festbunden worden sind vom Samiel. Warum habens ihn da nicht auch festhalten?«

»Das ist was ganz Anderes.«

»Nein. Sie waren bewaffnet und ich nicht. Sie wurden nicht abgehalten, sich zu wehren, ich aberst, als ich sie festhalten wollte, konnte ich nicht, weil die Martha hier mir die Hände halten hat. Wer hat also den Vorwurf verdient? Sie oder ich?«

»Raisonnire nicht!«

»Ich zank ja nicht, sondern ich antworte ganz ruhig und höflich.«

»Wo kamen die Kerls denn her?«

»Da aus dem Stall.«

»Ah! Und wo gingens hin?«

»Dort über den Zaun.«

»So! Hm! Wer hat denn geschossen? Ich hörte einen Schuß.«

»Dera eine Samiel schoß auf mich, als ich den zweiten niederworfen hatte.«

»Wurdest Du getroffen?«

»Ja.«

»Wo?«

»Ich weiß noch nicht genau, aberst ich glaub halt, an dera Brust, denn da thut mirs weh, und es lauft mir auch das warme Blut herab. Das thu ich deutlich fühlen.«

Martha schrie vor Schreck laut auf:

»Herr, mein Heiland! Verwundet bist?«

»Hab keine Sorg! Es kann nicht gefährlich sein.«

»Wer kanns wissen! Mein Himmel! Wannt Dich verbluten thust. Ich habs wohl merkt, daß es Dir einen Zuck und Ruck geben hat, als dera Samiel auf Dich schießen that. Komm schnell eini in die Stuben. Wir müssen sofort nachschauen.«

Sie ergriff ihn am Arme und zog ihn mit sich fort. Der Offizier folgte still. Ihm war gar nicht wohl zu Muthe. Er hätte gern losgedonnert und losgewettert, aber die Furcht vor der ungeheueren Blamage lag ihm in den Gliedern. Natürlich verrammelten sie nun jetzt, da es zu spät war, die Stallthüre so fest, daß es keinem Samiel wieder gelingen konnte, einzudringen.

Als sie in die Stube gelangten, war es in derselben finster.

»Wo ist denn die Magd mit dera Lampen?« fragte Martha.

»Es war schon vorhin dunkel, als ich hereinkam, um mir öffnen zu lassen.«

»Sie kann aberst doch nicht fort sein! Zu Bett ist sie nicht, denn sie muß auf mich warten. Dorothea, Dorothea?«

Sie rief diesen Namen mit laut schreiender Stimme, denn die alte Magd war sehr taub. Als sie nun still horchten, hörten sie einen Seufzer.

Dieser Seufzer klang so angstvoll und hohl, als ob er aus der Tiefe des Erdinnern herauskäme.

»Dorothea, wo steckst denn? So sag es uns doch nur.«

Da erklang es ebenso dumpf und hohl wie vorher:

»O sichrer Mensch, bekehre Dich!
Du lebst ja hier nicht ewiglich.
Zu seiner Zeit mußt Du davon,
Und dann erhältst Du Deinen Lohn,
Nachdem Du hast in dieser Welt
Viel schlimme Dinge angestellt!«

»Was ist denn das?« fragte der Graf. »Das klingt ja höllisch schauerlich.«

»Das ist das einzige Lied, welches die Alte im Kopf hat. Das betet sie bei jeder Gelegenheit, wann sie Angst oder Freude hat, zur Kirmeßzeit und auch zum Allerseelentag. Dorothea, so komm doch nur! Wo hast denn die Lampen hinthan? Wir wollen Licht machen!«

Als Antwort erklang es schauerlich:

»O schlag, Du sichres Menschenkind,
Die Warnung ja nicht in den Wind!
Laß ab von Deiner Missethat;
Noch ist es Zeit, noch ist es Rath.
Was Du versäumst in dieser Zeit,
Das reut Dich in der Ewigkeit!«

Da stampfte Martha ungeduldig mit dem Füßchen und klagte:

»Wann wir noch lang so stehen müssen, da kann dera Fritz sich fast verbluten. Hat Keiner ein Streichholz?«

»Ich hab welche,« antwortete Fritz.

»Brenn schnell eins an.«

Der Bursche that das, und nun sah man beim Scheine des Hölzchens einen wirren Haufen in der Stubenecke liegen.

»Was ist denn dort?« fragte Fritz.

»Das sind die Kartoffelsäcke, welche die Dorothea heut Abend hat ausbessern müssen.«

»Von dorther kam auch die Stimm, welche sprochen hat. Sie wird doch nicht darunter stecken!«

»Warum sollt sie das thun?«

»Wer weiß es! Aus Furcht, ich werds doch mal untersuchen.«

Er ging in die Ecke und bückte sich nieder. Ja wirklich, da lag die Alte unter ihnen, zusammengerollt fast wie ein Igel. Als er sie berührte, schrie sie laut auf:

»Gnade, Gnade! Mich nicht, mich nicht!«

»Was fallt Dir ein! Steh doch aufi!«

»Nicht mich, nicht mich!« wimmerte sie. »Schlagt eine Andere todt.«

Er faßte sie an und hob sie empor. Dann hielt er die Zitternde fest, brachte seinen Mund nahe an ihr Ohr und schrie:

»Wo ist die Lampe.«

»Ich hab sie in die Ofenröhre versteckt. Thut mir aber nix. Ich bin eine alte Frauen und hab weder Geld noch Kind noch Kegel.«

Jetzt holte Martha die Lampe aus dem Ofen und Fritz brannte sie an. Als die Alte nun beim Licht die Anwesenden erkannte, schlug sie die Hände zusammen und rief:

»Was, Ihr seids? Ich hab denkt, die Samielen sinds.«

»Was weißt Du denn von denen?« rief Fritz ihr in das Ohr.

»Ich hab sie sehen. Ich wollt mal hinausgehen, und als ich die Thür aufimachen that, da warens grad an derselbigen vorüber und stiegen die Treppe empor. Da hab ich die Thüren wieder leise zumacht, die Lampe auslöscht und in den Ofen stellt und mich unter die Kartoffelsäcken verkrochen. Wo sinds hin?«

»Fort.«

»Habens was stohlen, raubt oder gar dermordet?«

»Wollen erst sehen.«

»Du mein Herrgottle, welch ein Schreck! Wann ich nicht mein Lied habt hätt, was ich immer hersagt hab, so wär ich vor Angst vergangen. Ich wills nur gleich noch einmal hersagen.«

Sie kauerte sich in die Ecke auf ihre Säcke nieder und begann das Lied von Neuem zu beten.

Martha hatte große Lust, sie auszuzanken, aber der Gedanke an den verwundeten Geliebten ließ sie nicht dazukommen.

Fritz mußte die Jacke, die Weste ausziehen. Das Hemd war ganz blutig. Es wurde an der linken Seite aufgeschnitten. Da zeigte es sich, daß er einen Streifschuß erhalten hatte, grad in der Höhe des Herzens. Wenn Martha ihn nicht im Augenblicke des Schusses an sich gerissen hätte, wäre ihm die Kugel durch das Herz gegangen.

Als er das sah, biß er die Zähne zusammen und sagte:

»Also todtschossen sollt ich werden! Ah! Nun hab auch ich kein Derbarmen!«

»Mit wem?« fragte der Offizier.

»Mit dem Samiel.«

»Kennst Du ihn denn? Hast Du denn bisher Erbarmen mit ihm gehabt?«

Fritz sah ein, daß er unvorsichtig gewesen war. Er antwortete:

»Ich hab meint, daß ich kein Derbarmen haben werd, wann er mir nochmals so wie am heutigen Abend in die Hände läuft.«

»Ach so! Na, dieses Mal bist Du noch gut weggekommen. Es wird zwar sehr schmerzen; die Kugel hat ein tüchtiges Stück Fleisch aufgerissen, aber lebensgefährlich ists nicht, obgleich Du ein tüchtiges Wundfieber bekommen wirst.«

»Daraus mach ich mir nix. Dera Samiel wird mir das Fieber und auch die Schmerzen aus seinem eigenen Beutel bezahlen. Nun möcht ich aberst wissen, was er wollt hat.«

»Wer weiß es!« antwortete der Graf ausweichend. »Ich kann mich Ihrer Ansicht nicht anschließen.«

Fritz beachtete die Zweifel des Grafen nicht. Er sann einige Minuten nach, dann gab er seinen Gedanken Ausdruck.

»Also zur Treppe empor sinds gangen. Wohin aberst?«

»Mein Gott!« rief Martha, welche eifrig beschäftigt war, den Geliebten zu verbinden, »da fallt mir ein, daß dera Oheim ein gar großes Geldl aus der Stadt bracht hat. Das werdens doch nicht holt haben?«

»Wo liegts?« fragte Fritz.

»Im Oheimen seiner Stuben oben, im Gewehrschrank. Da wo dera Herr Graf schlief.«

Der Bursche blickte den Offizier forschend an und fragte:

»Sinds heut Abend stets daheim gewest?«

»Ja.«

»Und dera Samiel ist nicht zu Ihnen hinein kommen?«

»Nein.«

»Das wissens bestimmt?«

»Ganz bestimmt. Erst als ich Martha unten rufen hörte, habe ich das Zimmer zum ersten Male verlassen.«

»Hm! Man möcht sich beinahe mal den Gewehrschrank anschauen!« bemerkte Fritz auf die Erklärung des Grafen.

»Das können Sie thun. Gehen Sie, wenn der Verband angelegt ist, mit hinauf.«

Als Förstersnichte war Martha mit der Behandlung einer Wunde so ziemlich vertraut. Bald war der Verband angelegt, und dann begab sich Fritz mit Martha hinauf in die Stube. Es zeigte sich hier nicht die geringste Spur, daß Einbrecher hier gewesen seien, und auch das Schloß des Gewehrschrankes ließ keine Gewaltthätigkeit vermuthen. Der Graf blieb bei seiner Behauptung, daß er von gar nichts wisse.

Fritz drang darauf, daß sofort alle Räume untersucht würden. Auch das war vergebens. Es fehlte nicht das Mindeste, und so konnte man nur annehmen, daß die beiden Samiels zwar eingedrungen seien, um irgend eine Unthat zu verüben, aber durch ein Hinderniß davon abgehalten worden waren, ohne in das Zimmer eingedrungen zu sein.

Mit diesem Resultate, welches ihn aber keineswegs befriedigte, begab Fritz sich auf den Heimweg. Er dachte über Alles nach, was er heut Abend erlebt und über jedes Wort, welches er gehört hatte, und kam zu der Ueberzeugung, daß der Samiel dennoch irgend Etwas gegen den Förster ausgeführt habe. Die Worte des Zornes, welche die Bäuerin ausgesprochen hatte, als sie sich von der Bank unter den Eichen entfernte, ließen das vermuthen.

Er traute dem Grafen nicht. Das Wachen desselben war ihm so gedrückt und heimlich vorgekommen. War doch mit dem Etwas geschehen? Jedenfalls war das unerfahren.

Diesen Gedanken hing Fritz während des Heimweges nach, doch ganz vergeblich. Er vermochte es nicht, sich diese Fragen zu beantworten.

Er kehrte natürlich auf demselben Wege nach dem Kronenhofe zurück, auf welchem er diesen verlassen hatte, über den Zaun und durch den Durchgang der Scheune nach dem Hofe. Der Mond hatte sich nach Westen gesenkt und stand nun so hinter dem Stallgebäude, daß dieses einen tiefen Schatten über den Hof warf. Es war da also so dunkel, daß es für Fritz, selbst wenn ein Lauscher vorhanden gewesen wäre, keiner großen Vorsichtsmaßregeln bedurfte, um unbemerkt an den Wagen zu kommen, auf welchem der Wurzelsepp seiner wartete.

Als er den Wagen erreichte, blieb er einige Augenblicke horchend stehen. Kein Lüftchen bewegte sich.

»Fritz!« flüsterte Sepp von oben herab.

»Ja, ich bin es,« antwortete er.

»Komm herauf, aber leise.«

»Kann es Jemand hören?«

»Ja, der Bastian.«

»Ist er denn da?«

»Schon seit einiger Zeit. Er kam halt freilich sehr leis geschlichen; aberst ich habe ihn dennoch hört. Er ist in dem Stall, und ich weiß nicht, ob er sich niederlegt hat, oder ob er wartet und irgendwo steckt, bis die Bäuerin kommt.«

Fritz stieg langsam auf den Wagen und hütete sich, ein vernehmbares Geräusch hervorzubringen. Das Heu raschelte freilich ein Wenig, aber nur so viel, daß, wer es von fern hörte, annehmen konnte, daß es von einem kleinen Thiere hervorgebracht worden sei.

Und es war allerdings gehört worden; denn kaum hatte sich Fritz möglichst tief in das Heu eingegraben, so hörten die Beiden in der Nähe des Wagens schleichende Schritte, und dann fragte eine halblaute Stimme:

»Ist Jemand da?«

Sie schwiegen natürlich.

»So red doch!«

Als sie auch darauf keine Antwort gaben, blieb es eine sehr kurze Zeit still, und dann brummte es:

»Ich habs ganz deutlich hört. Es war hier beim Wagen. Sollte Jemand hinaufstiegen sein? Ich werd gleich mal nachschauen.«

»Es ist der Bastian,« flüsterte der Sepp.

»Was thun wir, wann er halt aufi kommt?«

»Still sind wir. Das Weitere kannst dann mir überlassen.«

»Was willst thun?«

»Wart es ab!«

Der Knecht kam wirklich an dem Seile, durch welches der über der Ladung liegende Wiesbaum festgehalten wurde, heraufgeklettert, aber glücklicher Weise nicht ganz. Als er so hoch war, daß er mit dem Kopfe über das Heu emporragte, hielt er an. Er konnte die Beiden nicht sehen, da sie sich tief eingewühlt hatten.

»Nix! Niemand!« brummte er. »So ists halt eine Maus gewest oder eine Ratten oder auch gar wohl eine Fledermaus.«

Er stieg wieder ab, begab sich aber nicht nach dem Pferdestalle, sondern setzte sich unweit des Wagens auf die Schwelle der Hinterthüre nieder.

»Das ist dumm!« flüsterte der Sepp. »Jetzund, wann uns ein Halm vom Heu in die Nasen kommt, so daß wir niesen müssen, sind wir verrathen.«

»So müssen mir uns in Acht nehmen. Sei nur still und beweg Dich nicht; er thät es hören.«

Sie mußten weit über eine Stunde in dieser unangenehmen Lage ausharren. Dann aber, als diese Zeit vergangen war, hörten sie von der Scheune her leise Schritte nahen.

»Das ist die Bäuerin,« lispelte der alte Sepp seinem jungen Kameraden zu.

Er hatte Recht. Der Knecht Bastian hatte ihr Kommen auch bemerkt und empfing sie mit den halblauten Worten:

»Endlich! Ich hab halt eine große Sorgen um Dich habt. Warum kommst denn so spät?«

»Ich konnte nicht eher. Aber sprich leiser!«

Der Knecht dämpfte zwar seine Stimme noch mehr; aber die beiden auf dem Wagen Befindlichen konnten dennoch hören, was gesprochen wurde, denn die Sprechenden befanden sich neben dem Wagen.

»Bist also glücklich davonkommen?« fragte Bastian.

»Ja. Und Du?«

»Auch. Nur der verdammte Schmiß auf die Nasen wird mir zu schaffen machen.«

»Ist er schlimm?«

»So schlimm, daß man ihn sehen wird.«

»So mußt halt eine Ausred machen.«

»Ja, ich werd mir eine aussinnen. Dieser verdammte Kerl, der Fritz! Was hat er in dera Förstereien zu thun!«

»Ich werd ihn strenger halten. Ich duld halt keine Liebschaften bei einem Knecht.«

»Auch bei mir nicht?«

»Nein.«

»Aberst doch die Liebschaft mit Dir?«

»Sei still! Ich hab setzt Notwendigeres zu thun als mit Dir von solchen Dummheiten zu reden. Ist hier Alles in Ordnung?«

»Ja. Nur einmal hats ein Geräusch geben, das ist aberst wohl nur eine Katz gewest.«

»So geh nun schlafen.«

»Gleich. Doch sag, was wirds mit dem Geldl, wast mir für heut Abend versprochen hast?«

»Willsts etwan gleich haben?«

»Nein. Wanns mir nur sicher ist.«

»Ich werd Dich nicht darum betrügen. Zwar hast zu mir sagt, wann ich Dir nur immer gut bleib, so möchtest gar kein Geld nicht haben, aber ich werds Dir dennoch geben. Jetzt geh!«

Er gehorchte ihr und entfernte sich.

Sie wartete, bis seine leisen Schritte nicht mehr zu vernehmen waren, dann zog sie an der herabhängenden Schnur. Die Leiter bewegte sich aus dem Fenster herab. Die Bäuerin stieg hinauf; dann zog sie die Strickleiter hinauf und machte das Fenster zu.

»Gott sei Dank!« seufzte Fritz. »Ich bin froh, daß das vorüber ist. Wir konnten gar leicht entdeckt werden.«

»Auch ich hatte große Angst und freu mich, daß es vorüber ist. Schau, was sie thut!«

Die Bäuerin setzte sich auf das Bett und zog die Brieftasche des Försters hervor. Sie öffnete dieselbe und begann, die gestohlenen Kassenscheine zu zählen. Als sie damit fertig war, stand sie wieder auf und trat zum Kleiderschranke.

Es versteht sich von selbst, daß sie, bevor sie das Geld zu zählen begonnen, ein Licht angebrannt hatte. Mit diesem verschwand sie in dem Schranke.

»Nun versteckt sie halt das Geldl,« meinte der Sepp. »Bevor sie wiederkehrt, kannst mir sagen, wie es draußen gangen ist.«

»Sehr gut und auch sehr bös, wie man es halt nimmt. Ich freilich bin sehr zufrieden mit dem, was ich sehen, hört und derfahren hab.«

Er erzählte ihm in kurzen Zügen das erlebte Abenteuer. Er war grad fertig mit seinem Berichte, als die Bäuerin wieder aus dem Schrank gekrochen kam.

»Jetzt hat sie ihr Tagewerk vollbracht und wird nun schlafen gehen,« sagte der Alte. »Wie so ein Weib schlafen kann, das begreif ich nicht.«

»Ich begreif es gar wohl. Sie ist gottlos und hat kein Gewissen; da wird sie durch nix im Schlaf gestört. Sie fühlt sich halt so sicher, daß sie nicht mal den Vorhang am Fenster niedermacht hat.«

»Weil sie halt eben nur ein Weib ist. Und wann ein Frauenzimmern noch so klug ist, so hat sie doch lange Haar und kurzen Verstand. Einen Fehlern macht sie stets. Ein Mann thät den Vorhang nicht oben lassen. Schau, nun wir sie belauscht haben, läßt sie ihn hernieder, weil sie sich auskleiden will. Das soll Keiner sehen. Aberst daß sie dera Samiel ist, das halt haben wir erschauen können.«

»So ists jetzt gut. Wir wollen gehen.«

»Noch nicht. Sie könnt das Rascheln im Heu doch hören. Wir müssen noch warten. Sag mir nun, wast zu thun gedenkst!«

»Das möcht ich von Dir hören.«

»So! Mich geht diese Sach eigentlich viel weniger an als Dich. Red also Du zuerst!«

»Ich möcht am liebsten Anzeig machen.«

»Natürlich werden wir das!«

»Aberst so bald wie möglich! Morgen!«

»So schnell brauchts nicht zu sein.«

»O doch! Jetzund ist Alles beisammen. Wann wir ihr Zeit lassen, kann sie die Beweise vernichten.«

»Das fallt ihr gar nicht ein. Was meinst denn für Beweise?«

»Alles was sie geraubt und versteckt hat.«

»Was das betrifft, so brauchst schon gar keine Sorg zu haben. Sie wird meinen, daß ihr Versteck das Beste ist, was es giebt. Nein, die Beweise, die wir haben, die gehen uns nicht verloren. Warten wir also noch!«

»Aber, wozu warten!«

»Weil ich meine Gründe dazu hab.«

»Welche denn? Kann man sie derfahren?«

»Nicht jetzt sogleich. Ich sag sie Dir aber bald. Dann wirst mir ganz gewiß Recht geben.«

Sie warteten noch eine Weile; dann stiegen sie leise herab und schlichen sich nach Fritzens Kammer, wo sie sich niederlegten.

Sepp schlief sehr gut. Fritz aber wälzte sich auf seinem Lager ruhelos von einer Seite auf die andere. Der vergangene Tag war ein unendlich wichtiger für ihn gewesen. Er hatte ihm Aufklärungen zu verdanken, welche sein Sinnen und Denken so in Anspruch nahmen und seine Seele so erregten, daß vom Schlafe keine Rede war. Kaum graute der Tag, so erhob er sich leise, um den Sepp nicht zu wecken und ging an seine Arbeit.

Als er dabei nach einiger Zeit in den Stall kam, lag der Bastian schlafend in einer Ecke auf dem Stroh. Fritz fütterte die zwei Pferde, welche seiner Obhut anvertraut waren. Die beiden andern hatte Bastian über.

Dieser Letztere wachte bei dem Geräusch, welches Fritz verursachte, auf, wendete diesem das Gesicht zu und sagte in mürrischem Tone:

»Hats denn schon fünf geschlagen, daßt hier schon zu rumoren beginnst?«

»Nein,« antwortete der Gefragte einsilbig.

»So gieb auch Ruhe! Ich will schlafen.«

»Wegen dera Viertelstund, die noch fehlt, geh ich nicht wieder fort.«

»Willst Dich wohl bei dera Herrschaft einschmeicheln, daß es heißt, Du seist so ein gar Fleißiger?«

»Fallt mir nicht ein. Ich hab ausschlafen und brauch doch nicht zu faullenzen. Bist wohl sehr spät schlafen gangen, daßt über mich zankst?«

»Nein.«

»So kannst auch den Mund halten. Gähnst freilich ganz so, als obst Dich gleich erst herlegt hättst.«

Bastian glaubte, das nicht auf sich sitzen lassen zu dürfen. Er wollte nicht wissen lassen, daß er wegen Mangel an Schlaf noch müde sei. Darum raffte er sich brummend von seinem Strohlager auf und begann seine Pferde zu füttern.

Fritz that, als ob er ihn gar nicht beachte; dann aber schaute er ihn einmal wie ganz zufällig an, schlug die Hände erstaunt zusammen und fragte im Tone des Schreckes:

»Ja, was ist denn heut mit Dir, Bastian?«

»Mit mir, was soll da sein?«

»Wie schaust aus? Was hast im Gesicht?«

»Im Gesicht? Was soll ich da haben? Die Augen, das Maul und die Nasen, kurzum Alles, was ich sonst auch darinnen hab.«

»Die Nasen? Nein. Eine Nasen hast nicht mehr, sondern das ist was ganz Anderes.«

»Was soll es denn sein?«

»Das schaut aus wie eine große Birne oder so was. Aberst blau ists und grün und gelb.«

Bastian that, als ob er von seiner fürchterlich geschwollenen Nase noch gar nichts wisse. Er befühlte sie und sagte:

»Donnerwetter! Was ist denn das? Die ist ja ganz geschwollen!«

»Freilich! Schaust gar schön aus! Woher ist das denn kommen?«

»Das muß von dem Schimmel sein.«

»Wieso denn?«

»Er hatte sich in dera Nacht losgerissen und lief im Stall hin und her. Ich hab ihn im Finstern einfangen müssen und wiederum anbunden. Dabei bin ich gestürzt und von dem Pferd stoßen worden. Die Nasen hat mir gleich wehe than, weil ich grad auf sie fallen bin; aberst daß es gar so schlimm ist, das hab ich freilich nicht dacht.«

»Dera Schimmel ist doch sonst so ruhig!«

»Er hat doch mal seinen Koller habt.«

Damit schien die Sache abgemacht zu sein. Fritz that, als ob er der Erklärung Glauben schenke; Bastian aber verwünschte ihn im Stillen und dachte wie er sich freuen wollte, wenn einmal die Gelegenheit käme, sich zu rächen.

Nachdem die Pferde versorgt waren, begaben Beide sich in die Stube, um ihre Morgensuppe zu essen. Die Bäuerin schlief noch, der Bauer ebenso. Die älteste Magd hatte die Pflicht, täglich diese Suppe zu kochen.

Als das vorüber war, hatte Bastian im Garten zu thun. Er arbeitete mit Verdruß, und dieser Verdruß wuchs, als er den Wurzelsepp sah, welcher in den Garten geschlendert kam.

Als der Letztere den Knecht bemerkte, rief er in einem Tone, als ob er sich darüber freue:

»Du bists, Bastian? Ah, das kann mich sehr gefreun. Das ist mir unendlich lieb!«

Der Knecht fuhr in seiner Arbeit fort und antwortete mürrisch, ohne den Alten anzusehen:

»Möcht wissen, warum es Dich gefreun sollte!«

»Soll ichs Dir sagen?«

»Brauchs nicht zu wissen!«

»Ah! Wannsts nur wüßtest, so würdest mich gar weiter fragen.«

»Das denk ich nicht.«

»So glaubst halt nicht an Träume?«

Damit hatte der Alte ein Thema berührt, für welches der Bastian sich außerordentlich interessirte. Er war, wie die meisten Menschen seines Schlages, ungeheuer abergläubisch. Ahnungen und Träume hatten nach seiner Ansicht viel zu bedeuten. Er glaubte, daß jeder Traum in Erfüllung gehe. Darum war er neugierig, zu erfahren, was Sepp eigentlich meine. Er antwortete:

»An Träume glaub ich schon. Was gehts aber Dich an? Ich hab heut nicht träumt.«

»Ich desto mehr und gar schön!«

»Das geht mich nix an!«

»Sehr viel! Wannst wüßtest, was mir träumt hat, so thätst vor Freud gleich einen Purzelbaum schlagen.«

»Es ist mir nicht so zu Muthe.«

»Denk Dir! Mir hat zunächst träumt, dera Bauer war storben!«

»Und das nennst einen schönen Traum!«

»Das nicht. Aber das ist ja erst der Anfang: das Schöne kommt nun erst, denn wann dera Bauer stirbt, so ist die Bäuerin doch eine Wittfrauen worden.«

Da legte der Bastian die Schaufel, mit welcher er gearbeitet hatte, weg, sah den Sepp fragend an und erkundigte sich:

»So hast Du träumt, daß sie Wittfrau worden ist?«

»Ja, und daß sie wieder heirathet hat.«

»Was sagst da? Wen denn?«

»Das würdest nie derrathen!«

»Das glaub ich wohl.«

Der kluge Alte hatte den Aberglauben und – die Liebe des Knechtes zu der Bäuerin in seine Berechnung gezogen. Er hatte die Absicht, sich eine Schriftprobe des Bastians zu verschaffen, um aus der Vergleichung ersehen zu können, ob er es sei, der die mit ›der Samiel‹ unterzeichneten Zetteln schreibe. Da aber der Bastian nicht dumm war und stets geleugnet hatte, schreiben zu können, so mußte die Sache klug angefangen werden. Er mußte bei seinen Schwächen und Leidenschaften gepackt werden.

»Das glaubst, daßts nicht derrathen kannst?« fuhr der Alte fort. »Und doch bists grad Du, der es am Leichtesten rathen könnt.«

»Warum?«

»Weilsts selber bist, den sie heirathet hat.«

»Ich? Mich hat sie zum Mann nommen?«

Sein häßliches Gesicht klärte sich auf. Es breitete sich der Ausdruck froher Ueberraschung auf dasselbe.

»Ja, Du bist dera Kronenbauer worden. Das hat mir träumt, und zwar so genau und lebendig, als obs nicht ein Traum, sondern die Wirklichkeit war. Ich bin mit auf dera Hochzeiten gewest. Als ich aufwachen that, da hab ich mich gar nicht dreinfinden konnt, daß es nicht die Wahrheit sein sollt. Aberst ich hab gleich denkt, was nicht ist, das kann noch werden, denn Träume sind keine Schäume, und so ein lebendiger Traum, der geht ganz gewiß in Erfüllung. Was aberst hast denn an dera Nasen?«

»Gefallen bin ich im Stall, weil das Pferd sich losreißen that. Es ist nix und wird bald wiederum heil werden. Aberst wast da sagst von wegen dem Traum, das kann nicht in Erfüllung gehen.«

»So! Warum nicht?«

»Die Bäuerin würde mich nicht mögen.«

»Dich nicht mögen? Warum denn nicht?«

»Ich bin ja nur ein Knecht!«

»Hats etwa noch niemals eine Frau geben, die ihren Knecht heirathet hat?«

»Da weiß ich freilich gleich einige.«

»So schau! Warum soll es bei Dir nicht sein?«

»Weil ich nicht hübsch bin.«

»Geh! So hübsch wie ein Andrer bist allemal.«

»Und dumm!«

»Du sollst dumm sein? Geh, Bastian, da kenn ich Dich besser! Wer Dich für dumm kaufen will, der ist selberst nicht klug. Du bist einer der Klügsten, aberst Du lassest Dir es halt nicht merken.«

»Meinst?«

»Ja. Ich hab Dich auskennen lernt.«

Das Gesicht des Knechtes glänzte vor Wonne. Für nicht häßlich und nicht dumm gehalten zu werden, das war ihm noch nicht widerfahren. Er selbst glaubte natürlich, hübsch und gescheidt zu sein, doch meinte er bescheiden:

»Jetzt machst ein Gespaß mit mir. Aberst wanns auch die Wahrheit wär, wann ich klug wär und auch nicht häßlich, so thät die Bäuerin mich doch nicht heirathen. Die thät nur einen Steinreichen nehmen.«

»Nun, bist das etwa nicht?«

»Ich reich?«

»Ja, steinreich sogar!«

»Was fallt Dir ein!«

»Es ist die Wahrheit. Zweimalhundertundfünfzigtausend Mark hast ja!«

Der Bastian machte ein ganz und gar unbeschreibliches Gesicht. So ein Vermögen sollte er haben?

»Bist wohl verruckt?« fragte er.

»Nein. Ich sag die Wahrheit. So ein Geldl hast, grad so viel wie ich.«

»Woher soll ichs denn haben?«

»Nun, Du hasts doch in dera – – Sappermenten!« fuhr er fort, sich an die Stirn schlagend, »was hab ich denn nur dacht! Wie hab ichs denn vergessen konnt, daß ich es nur träumt hab! Es ist mir wirklich ganz so gewest, als obs die reine Wahrheiten sei.«

»Träumt hasts, daß ich so reich bin? So sag doch auch, woher ich das Geldl hab!«

»Aus dera Lotterie.«

»Hab ichs gewonnen?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Da muß ich spielen!«

»Dieser Gedank ist gar nicht schlecht.«

»Nein, es ist das Allerbest, was man nur denken kann. Wanns Einem träumt, daß man in dera Lotterien gewinnt, so soll man schleunigst spielen. Meinst nicht auch?«

»Ja freilich.«

»Ich hab mich schon oft nach so einem Traume sehnt; aberst es ist mir keiner kommen.«

»Und mir hats schon oft so träumt.«

»Und hast nicht spielt?«

»Nein.«

»Was bist da für ein dummer Kerl, Wurzelsepp. Hast etwa nicht das Geldl dazu?«

»Das hätt ich schon; aberst ich bin halt wohl ein Wengerl zu leichtsinnig gewest. Ich hab die schöne Zeit vorübergehen lassen, ohne sie zu benutzen.«

»Das fiel mir freilich nicht ein. Ich greif gleich zu. Drum sag, was Dir da eigentlich träumt hat!«

»Es hat mir träumt, daß wir in dera Hamburger Lotterien spielt haben.«

»Wer? Wir Beide?«

»Ja, Du und ich.«

»Die Hamburger kenn ich gar nicht.«

»Aberst ich kenne sie. Man kann da gleich auf einmal fünfmalhunderttausend Mark gewinnen.«

»O Jerum!«

»Denk Dir! Das ist eine halbe Million!«

»Sepp, ists wahr?«

»Ja. Wir haben das ganze Loos spielt und die halbe Million gewonnen.«

»Du, Sepp, das müssen wir machen!«

»Hm! Ich hab keine rechte Schneid dazu.«

»Warum?«

»Wann wir nix gewinnen, so ist unser schönes Geldl zum Teuxel.«

»Wo denkst hin! Wanns Dir wirklich träumt hat, so geht es auch in Erfüllung.«

»Ja, wann man das genau wissen thät!«

»Ich weiß es, ich weiß es! Und nachhero kommt gleich noch Eins dazu, an das ich denken muß. Es ist mir nämlich weissagt worden, daß ich durch die Lotterieen mal ein sehr reicher Mann sein werd.«

»Von wem?«

»Drin in dera Stadt von einer klugen Frau, die mir die Karten auslegt hat.«

»Du, Bastian, wanns so ist, so ists vielleichten doch wahr!«

»Natürlich ists wahr. So ein Traum, wann er so deutlich ist, der täuscht nie. Ja, wir müssen spielen, wir Beid, denn Einer allein thäts nicht gewinnen. Machst mit?«

Er war ganz Feuer und Flamme geworden und hielt dem Sepp die Hand hin. Dieser that als ob er zögere, und sagte:

»Weißt, ich möchts da lieber allein versuchen.«

»Warum?«

»Dann hätt ich ganz allein die halbe Million und braucht Dir nicht die Hälfte zu geben.«

»Wirst doch nicht so schlecht sein!«

»Das ist nicht schlecht. Nicht Dir hat es träumt, sondern mir. Der Traum gehört mir, also sollt auch dera ganze Gewinn mein sein.«

»Hats Dir denn träumt, daß ich mit spielt hab?«

»Freilich.«

»So mußt mich auch mit lassen, sonst gewinnst nix. Es muß genau so macht werden, wie dera Traum es sagt hat.«

»So muß ich auch schon reden hört.«

»Also darfst mich nicht zurückweisen. Wir spielen zusammen. Schlag ein.«

»Na, wannst denkst – – –?«

»Ja, ich denks.«

»So solls geschehen, weilst Du es bist.«

Er schlug kräftig in die dargereichte Hand und fuhr dann fort:

»Nun wirsts auch glauben, daß die Bäuerin Dich im Traume heirathet hat. Wer die Hälfte von einer halben Million Mark in dera Lotterie gewonnen hat, der darf sich das schönste Weib auswählen.«

»So denk ich auch. Wann nur dera Bauer nicht leben thät!«

»Mir hat ja träumt, daß er stirbt.«

»Ja, dann ists richtig. Das muß in Erfüllung gehen. Und bei dera Hochzeit bist gewest?«

»Ja. Ich hab mit gessen, trunken und tanzt.«

»Sappermenten! So ein Traum! Na, es wird spielt, und zwar sogleich. Wer aberst zieht die Nummer? Du oder ich?«

»Die wird gar nicht zogen.«

»So? Warum nicht?«

»Da bekäm ich doch die richtige nicht.«

»Ja, weißt denn, welches die richtige ist?«

»Natürlich! Ich hab sie mir merkt.«

»Sepp, Sepp! Sogar die Nummer hat Dir träumt? Ists wahr?«

»Ja. Als ich aufwacht bin, hab ich sie wußt, und so hab ich sie mir ganz genau merkt.«

»Mensch! Mann! Sepp, was bist für ein Glückskind. Da brauchen wir freilich nicht zu ziehen, sondern wir verlangen diese Nummer. Wie heißt sie denn?«

»Es waren drei Vierer und drei Sechser, nämlich 444666; darum hab ich sie mir so leicht merken konnt.«

Der Alte hatte eine Zahlenstelle zu viel gesagt. So viele Loose giebt es in gar keiner Lotterie. Er war in seinem Eifer nicht aufmerksam genug gewesen. Bastian aber dachte gar nicht daran; mißtrauisch zu werden. Er befand sich geradezu in Begeisterung für die Sache. Er sollte reich werden und die Bäuerin heirathen. Das verwirrte ihm beinahe die Sinne.

»Gut, daß es so eine leicht merksame Nummern ist,« sagte er, »sonst hättst sie vielleicht doch vergessen. Also die nehmen wir.«

»Aber woher denn?«

»Vom Collecteur natürlich.«

»Da giebts hier keinen. Von dera Hamburger Lotterie giebts nur in Hamburg Collecteure.«

»Von ihnen bekommt man die Loose?«

»Ja. Man muß an einen Collecteur schreiben.«

»So thue es!«

»Das kannst leicht sagen. Es geht nicht.«

»Warum?«

»Meinst etwan, daß ich schreiben kann.«

»Nicht?«

»Nein. Zu dera Zeit, in welcher ich noch ein kleiner Bub war, da hat es nicht die Schulen geben, wie sie heut sind.«

»Ich glaub aberst doch, daß ich Dich irgend mal hab schreiben sehen.«

»Nein. Da hab ich mir wohl nur eine Bemerkungen macht. Weißt, so zwei oder drei Krakerln kann ich aufs Papieren malen, weiter nix. Einen richtigen Briefen bring ich nicht fertig.«

»So mußt einem Andern den Auftrag geben.«

Der Sepp lachte laut auf.

»Wie meinst denn das? Ich soll mir den Briefen von einem Andern schreiben lassen?«

»Ja.«

»Das könnt mir einfallen!«

»So! Warum denn nicht.«

»Aus mehreren Gründen. Erstens ist es verboten in dera Hamburger zu spielen – – –«

»Was geht das uns an?«

»Sehr viel.«

»Nein, gar nix. Mögen sie es verbieten, ich spiel doch! Ich kann mein Geld hinthun, wohin es mir beliebt.«

»Aberst wann es heraus kommt, so wird Derjenige bestraft, der den Brief schrieben hat.«

»Das thut nix. Wir bezahlen ihn gut.«

»Wannst so denkst, so mag es sein; aberst es geht dennoch nicht an; nein, nein, gar nicht.«

»Warum denn nicht? Hast noch einen Grund?«

»Ja, und einen sehr richtigen. Wann ich mir den Brief von einem Andern schreiben laß, so muß ich gewärtig sein, daß er diese Glücksnummer für sich kommen läßt.«

»Sapperment!«

»Verstehst mich nun? Ich muß ihm die Nummer doch sagen!«

»Du hast Recht.«

»Nachhero sitzen wir da. Er gewinnt das große Geldl und lacht uns aus.«

»Dem Kerl thät ich den Hals brechen!«

»Besser ists, wir brauchen keinen Andern.«

»Hm! Das scheint mir auch so.«

»Ich seh überhaupt gar nicht ein, warum ich mir da Sorge mach. Ich alter Kerl kann nicht schreiben. Du aberst hast eine gute Schule habt und wirsts wohl können.«

»Meinst, daß ich den Brief schreiben soll?«

»Ja doch.«

Der Bastian blickte den Alten forschend an. Es kam ihm für einen Augenblick der Gedanke, daß es doch vielleicht beabsichtigt sei, ihn auf das Eis zu führen; aber der Sepp machte ein so grundehrliches Gesicht, und der Traum war ein so sehr glückverheißender, daß der Knecht sich schnell wieder beruhigt fühlte. Er erklärte:

»Weißt, von dera Schul hab ich keinen großen Nutzen habt; aberst einen Briefen werd ich schon fertig bringen. Natürlich aberst mußt mir da einen Gefallen erweisen.«

»Gern. Welchen denn?«

»Daßt keinem Menschen von diesem Schreiben ein Wort sagst. Verstanden?«

»Das versieht sich ja ganz von selberst. Es darf ja gar Niemand wissen, was wir mit nander vorhaben. Der Brief wird zur Post tragen, und geht fort, ohne daß ihn ein anderes Aug als das unserige derblickt hat.«

»So will ich es gelten lassen. Aber wann soll er schrieben werden? Wohl bald?«

»Natürlich! Sonst müssen wir gewärtig sein, daß unsera Glücksnummer nicht mehr vorhanden ist.«

»Das thät grad noch fehlen! Lauf gleich zum Krämer und hol ein Papieren! Tint und Feder treib ich wohl selberst auf. Nachhero geh ich wohin, wo ich nicht sehen werden kann, und Du kannst mir den Brief dictiren! Das verstehest doch?«

»Ja, dictiren kann ich Dir, wast nur immer willst, aber schreiben nicht. Ich lauf schnell nach dem Papiere.«

Froh, seine Absicht so vollständig erreicht zu haben, beeilte er sich sehr, damit der Knecht sich nicht etwa anders besinne. Er holte Briefpapier beim Dorfkrämer, und sodann wurde auf der Häkselschneidemaschiene der Brief, welchen der alte Sepp dictirte, von dem Knechte geschrieben. Als er in das Couvert gesteckt und adressirt worden war, schob Sepp ihn befriedigt in die Tasche und sagte:

»So, das ist gemacht. Nun werd ich gleich nach dera Stadt laufen und ihn auf die Post geben, damit er schnell vorwärts geht.«

»Hast da nicht gleich das Geld zu zahlen?«

»Nein. Wir wissen doch nicht, ob wir das Loos bekommen können. Der Collecteur wird es so machen, daß wir das Geld an den Briefträger geben müssen, wann er uns die Nummer bringen thut.«

Er ging.

Als er aus dem Thore trat, sah er den Kronenbauer und dessen Frau unter der Tanne sitzen. Sie tranken ihren Kaffe. Er wollte grüßend vorübergehen, doch hielt ihn die Frau an, indem sie ihn fragte:

»Nun, lieber Sepp, hast diese Nacht gut bei uns schlafen?«

»Lieber Sepp!« So hatte sie noch niemals zu ihm gesagt. Sie machte ein überaus freundliches Gesicht, ganz anders als gewöhnlich. Er wußte, was für eine Absicht sie dabei hatte, und antwortete ebenso freundlich:

»Natürlich! Bei dera Kronenbäuerin ist Alles so ordentlich und sauber, daß man sich allemalen freut, wann man einmal bei ihr im Hof sein kann.«

»Und hast auch schon die Suppen gessen?«

»Nein. Ich bin soeben erst aus denen Federn heraus.«

»So setz Dich herbei und trink den Kaffee mit!«

In dieser Aufforderung lag eine große Ehre für ihn. Das war eine höchst ungewöhnliche Herablassung. Er wußte, daß sie ihn sondiren und für sich einnehmen wolle und ging darauf ein. Er hatte ja Zeit, denn es war ihm ganz selbstverständlich gar nicht eingefallen, den Brief wirklich auf die Post zu geben. Er trat nahe heran, lächelte ihr dankbar und fast unterthänig zu und sagte:

»Wannsts derlaubst und dera Bauer auch, so kann ich es mir schon gefallen lassen. Ein Kaffee ist für so einen gar Alten, wie ich bin, besser als eine Suppen. Darum mit gütigem Verlaub!«

»Ja, setz Dich nur!« stimmte der Bauer bei. »Wannst bei mir bist, so kannst allemalen denken, daßt daheim bei Dir seist.«

»O weh! Wo bin ich daheim! Dera alte Wurzelsepp hat weder Heimath noch Heerd.«

»Wo Du hinkommst, da ist Deine Heimath, denn Du bist halt überall gern gesehen. Aber horcht! Da hör ich einen Wagen rollen. Der kommt aus dera Stadt. Wer mag das sein, so morgens in dera Früh?«

Er hatte richtig gehört. Es kam ein Wagen in scharfem Trabe herbei, in welchem so viele Personen, und zwar lauter männliche, saßen, daß sie kaum Platz hatten.

Der Sepp beschattete seine Augen mit der Hand gegen die Sonne, welche eben über dem Horizonte erschien, und blickte scharf nach dem Wagen. Als er die darin Sitzenden erkannte, warf er einen schnellen verstohlenen Blick auf die Bäuerin und bemerkte, daß sie die Farbe wechselte. Sie erbleichte.

»Was ist denn das?« sagte er im Tone der Ueberraschung. »Im Wagen sitzt dera Wildachförster. Weshalb mag der schon so früh in dera Stadt gewest sein? Ich glaub gar, daß er eine Amtsgeschichten hat.«

»Heut früh?« meinte der Bauer. »Das ist gar nicht möglich. Warum denkst denn das?«

»Weil drei Schandarmen bei ihm sitzen und auch zwei Herren vom Gericht.«

»Wirklich? Obs den Samiel betrifft?«

»Das werden wir gleich sehen.«

Der Kutscher wollte vorüber; da aber sagte der Förster zu einem der Gerichtsbeamten, welcher der Staatsanwalt war, einige Worte, worauf dieser Letztere halten und die im Wagen sitzenden alle aussteigen ließ. Er grüßte höflich und sagte:

»Hier wohnt der Kronenbauer, wie ich höre?«

»Ja, der bin ich,« antwortete der Blinde.

Es war der Bäuerin anzusehen, daß sie gewaltig erschrak. Daß direct nach ihrem Manne gefragt wurde, ließ sie befürchten, daß der Staatsanwalt mit ihm oder auch mit – – ihr zu thun habe. Doch fühlte sie sich sofort wieder beruhigt, als er weiter fragte:

»Sie haben einen Knecht, welcher Friedrich Hiller heißt?«

»Ja.«

»Ist er daheim?«

»Er muß im Hofe sein.«

»Ich habe mit ihm zu sprechen. Bitte, lassen sie ihn einmal kommen!«

Der Sepp eilte fort, um Fritz zu holen. Als er ihn brachte, fixirte der Anwalt den hübschen, jungen Mann und sagte:

»Der Herr Förster ist heut sehr früh gekommen, um anzuzeigen, daß er während der vergangenen Nacht von dem Samiel bestohlen worden ist. Wissen Sie Etwas davon?«

»Ja, ich weiß es.«

»Wollen Sie mir den Vorgang erzählen?«

»Das werd ich gar gern thun.«

Er berichtete Alles. Er sagte auch, weshalb er überhaupt in den Wald gegangen sei, nämlich um die armen Leute zu besuchen. Der Beamte fragte ihn sehr eingehend aus, und die Bäuerin vernahm ein jedes Wort, welches er sagte. Sie war natürlich außerordentlich gespannt, ob er sagen werde, daß er eine der beiden vermummten Persönlichkeiten erkannt habe. Zu ihrer großen Beruhigung antwortete er:

»Das ist mir ganz unmöglich gewest.«

»Kam ihnen denn nicht die Gestalt bekannt vor?«

»Nein.«

»Auch nicht die Stimme?«

»Auch nicht.«

»Sie werden sich jetzt mit uns an den Ort der That begeben müssen, damit ich mich ganz genau zu orientiren vermag. Uebrigens sind Sie bereits vorher Zeuge einer andern That des sogenannten Samiel gewesen.«

»Zeuge nicht. Wir kamen zu spät.«

»Aber Sie haben den Herrn Oberlieutenant befreit. Der Sepp war auch dabei und einige Tagelöhner. Diese Leute mögen herbei kommen, wenn sie da sind, und mich an die betreffende Stelle begleiten, damit ich dort ihre Aussagen hören kann.«

Der Bauer war außerordentlich erstaunt, daß der Graf gestern von dem Samiel beraubt und angebunden worden war, hatte er bereits noch am Abende gehört; aber daß der freche Wilderer und Dieb dann beim Förster eingebrochen sei, davon hatte er keine Ahnung.

Auch seine Frau heuchelte einen großen Schreck.

»Da ist man ja seines Lebens gar nicht mehr sicher!« klagte sie. »Dera Kronenhof liegt so einsam vor dem Dorfe. Da ists gar leicht möglich, daß dieser Spitzbub uns auch mal so einen Besuch macht. Ich werd Gewehre kaufen lassen, damit man ihn gleich niederschießen kann, wann er es wagen sollt, bei uns einzubrechen.«

Der Beamte beachtete diese Auslassung nicht. Er ließ den Wagen leer nach der Försterei fahren und begab sich mit den Leuten zu Fuß nach der Stelle, an welcher gestern Abend der Oberlieutenant angefallen worden war.

Als die beiden Eheleute sich dann allein befanden, ergingen sie sich in Auslassungen über die Unsicherheit der Gegend.

»Wann ich sehen könnt,« sagte der Bauer, »so wär dera Samiel schon längst gefangen und im Zuchthaus. Vielleicht wär er gar bereits am Galgen storben.«

»Wolltest Du ihn fangen?«

Das klang wie versteckter Hohn.

»Ja, ich, denn ich bin derjenige, der ein gar ernstes Wort mit ihm zu sprechen hat. Er ists gewest, dem ich all mein Elend zu verdanken hab. Vielleichten giebt mir dera Herrgott die Gnad, bald zu hören, daß dera Kerl ergriffen worden ist.«

»So wirsts aber Du nicht sein, der ihn ergreift!«

»Das kann man nicht wissen.«

»Wie sollt ein Blinder ihn fangen können!«

»O, der liebe Gott macht seine Sach oft gar wunderbar. Man kann nie wissen, was geschieht. Wann dera Samiel zum Beispiel mal auf unsern Hof käm, um uns zu bestehlen, so würd ich ihn empfangen, obgleich ich ein Blinder bin.«

»Ah! Wie wolltst das thun?«

»Meinst, daß ich ihn nicht hören thät? Ich kann nicht schlafen, und es entgeht mir kein Geräusch des Nachts. Er mag sich vor mir hüten!«

Es war ein unendlich höhnischer Blick, den sie auf ihn warf; dann begab sie sich in das Haus, um nach dem Gange der wirthschaftlichen Arbeiten zu sehen. Als sie dann nach längerer Zeit bemerkte, daß der Wurzelsepp mit den Tagelöhnern zurück kam und sich zu dem Bauer setzte, ging sie sofort wieder hinaus unter den Baum. Es lag ihr natürlich daran, von seiner Erzählung nicht das Geringste zu versäumen.

»Da bist ja schon wieder,« sagte sie. »Ich hab dacht, daßt mit nach dera Förstereien hast gehen müssen.«

»Nein, dort hab ich nix zu thun. Ich bin ja heut in dera Nacht gar nicht dort gewest.«

»Und was hast für eine Aussagen macht?«

»Nix Anderes als wast Dir auch selber denken kannst. Du weißts ja von gestern Abend, wie es zugangen ist. Dera Herr Staatsanwalt hat sich den Ort ansehen und ihn sogar auf ein Papier abzeichnet. Er hat auch den Erdboden angeschaut, um nach Spuren zu suchen; da ist aber gar nix zu sehen gewest.«

»So wird ihm dera Samiel wohl wieder entgehen!«

»Das hab ich ihm auch gleich sagt. Dera Samiel ist viel zu gescheidt für solche Leut.«

Sie warf ihm einen verstohlen forschenden Blick zu, um zu errathen, wie er diese Worte meine. Er machte ein sehr unbefangenes, aufrichtiges Gesicht.

»Das meinst doch nicht,« sagte sie. »Die Herren vom Gericht haben doch studirt, dera Samiel aber nicht.«

»So? Woher weißt denn das?«

»Das kann man sich doch denken. Ein studirter Herr wird nicht den Räuberhäuptling machen.«

»Das darf man nicht behaupten. Es hat bereits auch studirte Spitzbuben geben.«

»So denkst also, daß man ihn gar niemals derwischen wird?«

»O doch. Eine jede Gans wird mal gessen, früher oder später. Der Samiel wird auch noch seinen Mann finden.«

»Wohl nicht?« lachte sie.

»Warum nicht?«

»Geh, Sepp! Laß Dich nicht auslachen!«

»O, was ich sag, das mag lächerlich klingen; aber es ist gar nicht so zum Lachen. Mir gehts halt grad wie Dir. Ich möcht gleich eine Wetten mit machen.«

»Wie so?«

»Grad wie Du gestern wußt hast, daß dera Graf die seinige verlieren wird, also bin ich auch sicher, daß ich die meinige gewinnen thät, obgleich ich kein studirter Herr bin.«

»So! Mit wem möchtst dann wetten?«

»Eben mit dem Samiel.«

»Bist nicht recht klug?«

»Was fragst grad so? Wann ich ihn heut treffen thät, so wird ich ihm eine Weit anbieten, daß ich ihn von heut an in zwei Wochen gefangen hab.«

»Sepp! Was bist für ein Gescheidter!«

»O, es scheint mir, daß eine gar sehr große Gescheitheiten gar nicht dazu gehört. Man braucht halt nur die Augen zu öffnen.«

»Hast sie denn schon aufi macht?«

»Nein, denn was meines Amtes nicht ist, davon laß ich meine Hand. Ich weiß von dem Samiel nicht mehr als ein jeder Andere. Aberst wann ich mit ihm gewettet hätt, dann thät ich mir freilich Mühe geben.«

»So ists jammerschad, daßt mit ihm nicht diese Wetten machen kannst, eben weilst ihn nicht treffen wirst.«

»Leider! Und ich hätt doch so gern gewettet.«

Er sagte das in einem Tone solchen Bedauerns, daß sie sich innerlich beleidigt fühlte. Ihr Auge leuchtete in verstecktem Zorne auf. Sie sagte:

»Nun, wannst so gern wettest, so kannsts auch thun ohne ihn.«

»Ich wüßte nicht, wie.«

»Wett mal mit mir!«

»Mit Dir? Bist etwan dera Samiel?«

Sie lachte laut auf.

»Ich dera Samiel! Da hast einen sehr guten Witz gemacht. Eine Frau?«

»Oho! Es hat bereits mehrere Male solche berüchtigte Spitzbuben geben, welche dann, als sie ergriffen worden sind, sich als Frauen entpuppt haben. Du freilich bist reich. Du hasts nicht nöthig, den Räuber zu spielen.«

»Ja. Und zu meinem Reichthum hab ich auch gar noch die gestrige Wett gewonnen. Das Geldl werd ich bekommen müssen.«

»Natürlich. Du sollsts erhalten, wann dera Lieutenant dabei gegenwärtig ist.«

»Schön! Da ich es aber so leicht gewonnen hab, so kann ich es auch leicht wieder wagen. Ich hab sehen, daßt ein schönes Geldl bei Dir hast. Willst die gleiche Summe dagegen setzen?«

»Hm! Ists Dein Ernst?«

»Ja.«

»Das geht mir an den Kragen!«

»Schau, daßt bereits schon Angst bekommst!«

»Ich hab vorhin nur so einen halben Spaß macht; aberst wann ich gezwungen werd, so mach ich einen Ernst daraus.«

»Nun gut, machen mir Ernst! Wettest Du mit?«

Ihr Gesicht hatte sich geröthet. Es ärgerte sie, daß der Alte sich angemaßt hatte, sie fangen zu wollen. Das benahm ihr die Vorsicht. Sie hielt dem Sepp die Hand entgegen.

»Wie soll denn die Wetten sein?« fragte er.

»So, wie Du sagt hast. Du willst in zwei Wochen den Samiel fangen.«

»Schön!«

»Wannsts fertig bringst, zahl ich, aber wanns Dir nicht gelingt, zahlst Du!«

»Hm! Ich bin wohl ein Wengerl zu vorwitzig gewest; aberst was ich sag, das nehm ich niemalen wieder zurück. Ich mach also mit.«

»Wirklich?«

»Ja. Die Wett gilt bis heut über vierzehn Tag, wannsts so zufrieden bist.«

»Ich stimme bei.«

»So hast meine Hand. Hier!«

Sie schlugen ein, sie, indem sie ein Lachen hören ließ, aus welchem Hohn und Aerger klangen, und er in seiner treuherzigen Weise, ohne sich in Miene oder Ton eine heimlich bewußte Ueberlegenheit merken zu lassen.

»Ihr seid wie die Kinder,« bemerkte der Bauer. »Macht kein so dummes Gespaß.«

»Meinst, daß es ein Scherz ist?« fragte, seine Frau pikirt.

»Was denn anders?«

»Ernst ists, unser völliger Ernst!«

»Den möcht ich mir schon verbitten!«

»Was? Verbitten willsts Dir? Du thust grad so, als ob ich gar nicht mehr machen dürft, was ich will!«

»Wer hier zu befehlen hat, Du oder ich, darüber wollen wir uns nicht streiten. Ich will Dich nur aufmerksam machen, daßt Dich in eine Gefahr begiebst, wannst solche Wetten machst.«

»Welche wäre das?«

»Man könnt da sehr leicht denken, daßt den Samiel kennen und mit ihm in Verbindung stehen thätst. Das darf ich nicht dulden.«

»Ich glaub, Du hast den Verstand verloren! Ich, die Kronenbäuerin, soll den Samiel kennen!«

Sie brach in ein lautes Gelächter aus, welches aber nicht so herzlich klang, wie es von ihr beabsichtigt worden war. Der Bauer wollte darüber auffahren, aber der Sepp begütigte ihn durch die warnende Bemerkung:

»Laßts gut sein! Da kommt wieder Einer vom Dorfe her. Vielleicht will er zu Euch.«

»Wer ists denn?« fragte der Blinde.

»Das kann man nicht so genau sehen. Ach, er geht so hoch und grad wie Einer, der beim Militär standen hat, und wann ich mich nicht irren thu, so kenne ich ihn auch. Es ist dera Ludwig Held aus Oberdorf, der beim reichen Kerybauer dient hat drüben im Böhmischen.«

»Ja, der ists,« stimmte die Bäuerin bei. »Ich kenne ihn. Er wird von Daheim kommen.«

Ludwig kam mit schnellen, kräftigen Schritten die Straße daher wie Einer, der sein Ziel gern schnell erreichen will. Als er den Sepp erblickte, blieb er stehen und rief:

»Was Teuxel, ists denn wahr? Dera Sepp ist hier vorhanden! Bist doch wirklich allgegenwärtig. Was machst hier in Kapellendorf, alter Schwede?«

»Ich halt hier mein Seebad ab, weißt, wie die vornehmen Leutla es alle thun.«

»Wo hast denn da die See?«

»Hinterm Haus im Wassertrog.«

»So nimm Dich nur in Acht, daß es nicht einmal einen Seesturm giebt, sonst könntst gar leicht mit Mann und Maus zu Grunde gehen!«

»Mach Dir keine Sorg! Ich schwimm schnell ans Land; das ist hier gar nicht weit vom Wasser. Willst nicht ein Wengerl herkommen?«

»Ich habs eilig.«

»Eine Viertelstunden kannst schon ausruhen.«

»Dessen bedarf es nicht. Ich komm von dera Muttern, und die wohnt ja nur eine kleine Stund von hier. Müd bin ich also nicht; aberst weil Du es bist, so möcht ich mich schon eine Minuten mit herbei setzen, wann ich wüßt, daß die anderen Herrschaften nix dagegen haben.«

»Bist willkommen,« sagte die Bäuerin, indem sie den hübschen kräftigen Burschen mit wohlgefälligem Blicke betrachtete. Sie hatte ja überhaupt einen guten Blick für dergleichen männliche Gestalten.

Ludwig gab den Dreien die Hand und setzte sich neben den Sepp, welcher sich sogleich erkundigte:

»Ich hab hört, daßt jetzt bei Deiner Muttern bist. Wo willst hin?«

»Hinunter nach Slowitz zu meinem Bauer.«

»Ich denk, Ihr seid uneinig mit nander?«

»Nicht mehr. Wir haben uns versöhnt, und er hat schickt, daß ich kommen soll.«

»So trittst wiederum bei ihm in Dienst?«

»Ja. Ich habs voraus wußt, daß es so kommen wird.«

»Ich habs mir auch denkt, denn so Einen, wie Du bist, bekommt er sonst nicht wieder. Auch hast ihm einen gar großen Dienst erwiesen, daßt ihn von den beiden Osec befreit hast. Die sitzen nun im Loch und werden nicht gleich wieder herauskommen. Nun kann der Sohn die Gisela heirathen!«

»Die hätt er auch sonst nicht bekommen.«

»Weil sie Dich haben will!«

»Wer hat das sagt?«

»Geh! Willsts nicht eingestehen! Bist auch so ein Heimlicher, der immer schwarz thut, und wann man ihn bei Licht beschaut, so ist er weiß. Wie gehts denn Deiner alten Muttern und dera Schwester?«

»Ich danke! Sehr gut.«

»Ja, das hab ich hört. Die sind nun über alle Sorg hinaus. Nein, so ein Geld zu bekommen! Wer hätt das denkt!«

»Was für ein Geld?« fragte die Bäuerin schnell.

»Hasts noch nicht gehört?«

»Nein.«

»Dera König hat an dem Ludwig seinen todten Vatern denkt, welcher so lange Invalid gewest ist, ohne eine Pensionen zu bekommen. Nun hat er diese Pensionen dera Wittfrau nachzahlen lassen für die vielen Jahre und ihr auch noch selbst ein Gehalt ausgesetzt.«

»Welch ein Glück!« rief die Kronenbäuerin. »Ja, unser guter König! Aber auf so viele Jahre, das muß doch eine große Summe sein!«

»Ja, es sind ein hübsch paar Tausend.«

»Baar?«

»Natürlich!«

»Das gefreut mich, denn sie ist eine gar brave Frau, und es ist ihr gern zu gönnen. Aber was thut sie denn mit dem vielen Gelde?«

Das war die Frage, deren Beantwortung sie wünschte. Hier gab es vielleicht wieder einen Fang zu machen. In ihrem Eifer übersah sie es, daß der alte, kluge Sepp sein Auge scharf auf sie gerichtet hielt.

»Das wird meiner Schwester zu Gute kommen,« antwortete Ludwig. »Nun kann sie heirathen. Bishero hat das Nöthigste dazu gefehlt. In einigen Wochen wird sie die Hochzeit halten.«

»So! Da wird das Geld wohl schnell ausfliegen, grad wie die Tauben, wann gutes Wettern ist.«

»O nein. So treiben wir es nicht. Es wird nur eine Wenigkeit davon weggenommen, und das Andere legen wir auf Zinsen einstweilen an. Wir haben es bis dahin dem hochwürdigen Herrn aufzuheben geben.«

»Dem Pfarrer?«

»Ja.«

»Warum dem?«

»Weil es bei ihm jedenfalls sicherer liegt als in dera kleinen Hütten bei dera Mutter.«

»Das glaub ich nicht. Es kann einem Pfarrer ebenso stohlen werden, wie Deiner Muttern. Denk an den Samiel!«

»O, der ist nicht zu fürchten.«

»Er derfährt Alles.«

»Aber das nicht. Wir haben es noch Niemand sagt. Selbst wann er es wüßt, daß der Herr Pfarrer das Geldl hat, würd er es doch nicht finden, wann er es sich auch holen wollt.«

»Warum?«

»Weil dera Pfarrer es sehr gut versteckt hat, nämlich in seiner Studierstuben in das alte, große Bibelbuch, welches ganz oben über den anderen Büchern steht.«

Die Bäuerin verschlang ein jedes Wort, welches Ludwig sprach. Sie holte tief Athem; sie war hoch befriedigt von dem, was sie erfahren hatte.

Ebenso befriedigt war der alte Sepp, der den Blick nicht von ihr gelassen hatte. Er ahnte, was in ihr vorging; ihre Gedanken waren ihr zu deutlich auf das Gesicht geschrieben. Sie zwang sich förmlich, in gleichgiltigem Tone zu sagen:

»Da ists freilich sehr gut aufgehoben. Da wird es Niemand suchen, und da könnt Ihr es liegen lassen.«

»Na, gar lange wird es wohl nicht liegen. Bereits morgen wird dera geistliche Herr nach der Stadt gehen, um mit dem Manne zu sprechen, welcher die Bank besitzt. Vielleicht giebt er es diesem. Da bekommen wir einen Schein, der ist so gut wie baares Geld, und die Zinsen können wir uns holen, wann es uns beliebt.«

»Daran thut Ihr klug. Man muß sein Geld so anlegen, daß es Einem keine Sorge bereitet. Ich werd' Dir einen Kirschengeist holen. Wer den trinkt, der läuft gleich noch mal so schnell.«

Sie entfernte sich eigentlich nur, um die Freude nicht bemerken zu lassen, welche sie fühlte. Als sie in die Stube trat, stand der Knecht Bastian drin, und zwar am Fenster, durch welches er hinausgesehen und die Sprechenden beobachtet hatte.

»Das ist ja dera Oberndorfer Ludwig,« sagte er. »Was will er?«

»Er hat sich nur im Vorübergehen niedersetzt. Von ihm hab ich was derfahren?«

»Was Gutes?«

»Ja. Hast heut Abend wieder Lust?«

»Wannst willst, allemal, wohin?«

»Nach Oberdorf hinüber, zum Pfarrer dort.«

»Zu dem armen Teuxel? Was soll es dort geben? Der kann bei seinem armseligen Gehalt verhungern. Dort ist nix zu finden.«

»Ich werd aber doch bei ihm Geld finden.«

»Das ist schwer zu glauben.«

»Es gehört nicht ihm. Er hat es nur in Aufbewahrung erhalten.«

»Dann ist es leichter denkbar. Ich mache mit.«

»Ich werde Dich natürlich gut bezahlen.«

»Das ist nicht nöthig.«

»Warum?«

»Ich thue es umsonst. Ich brauche kein Geld. Ich mag auch für gestern gar nichts haben.«

Sie blickte ihn verwundert an.

»Wie kommst mir vor? Es braucht doch ja der Mann ein Geldl, und von meiner Lieb allein kannst doch nicht leben.«

»Wann ich nur Deine Lieb hab, so ists schon gut. Dein Geld brauch ich nicht. Ich hab schon selber welches.«

»Du? Woher denn?«

»Das ist ein Geheimnissen.«

»Geh!« lachte sie. »Thu nicht so wichtig, als obst gar große Geheimnissen hättest!«

»O, es ist groß genug, größer alst denkst.«

»Wie lautet es denn?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Wohl gar niemals?«

»Später.«

»So! Willst wohl gar den Samiel ohne mich spielen? Willst Dir ein Geldl irgendwo allein verschaffen?«

»Nein; ich bekomme es ehrlich.«

»So kannst mir auch sagen.«

»Nein; das geht nicht. Wenn dieses Geheimnissen mir allein gehören thät, so könnt ich davon reden; es gehört aber einem Andern mit.«

»Wem denn?«

»Auch davon darf ich nicht sprechen.«

»Du, das gefallt mir nicht. Wirst doch nicht etwan eine Dummheiten machen!«

»O nein. Es ist grad im Gegentheile eine sehr große Gescheidtheiten.«

»Mir ahnt was ganz Anderes. Wannst Dich mit einem Andern außer mir abgiebst, so kann es sehr leicht fehl gehen. Wannsts nicht verrathen darfst, so sag mir wenigstens, wer es ist, mit dem Du anfangen hast.«

»Nun, das darf ich Dir vielleicht mittheilen. Es ist halt dera Sepp.«

»Der Wurzelsepp?« rief sie erschrocken. »Der ist grad der Allergefährlichste für uns. Vor ihm müssen wir uns am Meisten in Acht nehmen.«

»Das weiß ich auch!«

»Du machst mir angst. Weißt, der ist unter Umständen schlauer als wir alle Beid. Jetzt sagst sogleich, wast mit ihm hast!«

»Ich darf ja nicht.«

»Gut! So ists aus mit uns Beiden! Wannst ihm mehr Vertrauen schenkst als mir, so mag ich nix mehr von Dir wissen.«

»Das ist nicht Dein Ernst!«

»Mein völliger sogar. Grad dera Sepp ist es, der uns Beid ins Unglück bringen will.«

»Mir aber will er Glück bringen.«

»Auf welche Weise? Gleich sagst es mir!«

Sie sagte das in einem so strengen Tone, daß er ängstlich wurde. Er antwortete:

»Es ist ja nur ein Traum.«

»So? Was für einer?«

»Er hat ein Lotterieloos träumt, welches wir mit nander spielen.«

»Das glaub ich nicht.«

»Es ist wahr. Er hat sich sogar die Nummer merkt. Er hat träumt, daß der Bauer stirbt und daß ich dann Dein Mann werd, weil ich ein so großes Geldl in dera Lotterie gewinn.«

Sie blickte ihm nachdenklich in das Gesicht.

»Das will er träumt haben? Ob es auch wahr ist? Oder hat er es sich nur ausgesonnen?«

»Wozu denn?«

»Ja, das kann ich auch nicht begreifen. Er ist ein gar Schlauer. Er müßt doch eine Absicht dabei haben. Aber ich kann nachdenken wie ich will, so kann ich dieselbige nicht errathen.«

»Er hat nur die Absicht dabei, die Hälfte mit zu gewinnen.«

»So spielst also wirklich mit ihm?«

»Ja.«

»Warum aber hat er grad Dich dazu erwählt?«

»Weil ihm träumt hat, daß ich mit ihm spiel. Wann er einen Andern dazu nahm oder wann er allein spielen thät, so würd doch dera Traum nicht in Erfüllung gehen.«

»Das ist wahr, und das will mich beruhigen. Nur das Andere, was er träumt hat, daß mein Mann sterben soll und daß dann Du dera Bauer wirst, das macht mir Sorg. Es kommt mir ganz so vor, als ob er sich das nur so ausdenkt hat. Paß auf auf ihn, und nimm Dich sehr in Acht. Wann Der Dich einmal in dera Taschen hat, so kommst nicht wieder heraus. Also mach Dich fertig für heut Abend. Wann Alle zu Bett sind, gehen wir fort. Vorher aber, gleich nach dem Essen, gehst in den Wald, um die Anzüg zu holen.«

Sie nahm die Flasche mit dem Kirschbranntwein und ging hinaus. Die Traumgeschichte gab ihr zu denken. Sepp bemerkte bald, daß sie einsylbiger geworden war und ihn heimlich beobachtete. Er ahnte, da sie so lange Zeit gebraucht hatte, den Schnaps zu holen, daß sie mit dem Knechte gesprochen hatte, und gab sich nun so heiter und unbefangen wie möglich, um ihre Besorgniß zu zerstreuen.

Ein verstohlener Blick nach den Fenstern der Stube überzeugte ihn, daß er jedenfalls nicht falsch gerathen habe, denn er sah das Gesicht Bastians hinter den Scheiben.

Als Ludwig sein Glas ausgetrunken hatte, erhob er sich, um zu gehen; er wollte bereits der Bäuerin seine Hand zum Abschiede reichen, da zog er sie schnell wieder zurück und blickte überrascht den Weg entlang, welcher nach dem Walde führte.

»Sakra! Wer ist denn das!« sagte er.

»Wo?« fragte der Sepp.

»Dort auf dem Wege. Das ist ja gar der ...«

Er hielt inne, denn der Sepp trat ihm schnell auf den Fuß. Er verstand den Wink und verbesserte sich:

»Das ist ja dera Herr Ludwig aus der Hohenwalder Mühle!«

»Ja, das ist er,« antwortete Sepp. »Und dera Herr Arzt ist bei ihm. Bäuerin, das ist der Herr, der bei Dir wohnen will. Du wirsts ihm gleich anschauen, daß er ein nobler Herr ist, und ich denk, daßt ihn gut empfangen wirst. Ich empfehle ihn Dir.«

Die Frau war aufgestanden und betrachtete sich die Nahenden. Die Gestalt und Haltung des Königs machte einen imponirenden Eindruck auf sie. Ohne es eigentlich zu wollen, ging sie ihm einige Schritte entgegen.

Sepp und Ludwig zogen ihre Hüte. Der König nickte ihnen mildfreundlich zu. Die Bäuerin machte einen tiefen Knix und sagte:

»Dera Wurzelsepp hat mir sagt, daßt kommen willst, Herr Ludewig. Ich will Dich auch gern bei mir aufnehmen, aberst ich denk, daß es Dir bei mir nicht sehr gefallen wird.«

»Warum nicht?«

»Weil wir keine vornehmen Leutla sind.«

»Das verlange ich auch nicht. Sauberkeit ist die Hauptsache, und die hoffe ich doch hier zu finden.«

»Ja, was das anbelangt, sauber können wir schon sein,« antwortete sie, die Augen kokett niederschlagend und mit den Händen die Schürze glättend.

»Der Sepp hat natürlich Alles vorbereitet, sodaß wir unsere Zimmer bereit finden?«

»Nein, Herr, so weit ists halt noch nicht. Er wollte die besten Stuben für Dich haben; die hat aberst schon ein Anderer.«

»Wer ist das?«

»Der ist gar ein Graf und Oberlieutenant. Sein Name lautet Arthur Wipprecht von Münzer. Er ist hier, um den Samiel zu fangen.«

Ueber das ernste Gesicht des Königs flog bei den Worten »gar ein Graf« ein flüchtiges Lächeln. Er antwortete:

»Was für Stuben giebt es noch?«

»Nur zwei. Jede hat ein Bett.«

»So werde ich die Wohnung des Grafen nehmen.«

Die Bäuerin blickte ihn erstaunt an.

»Das wird er nicht zugeben.«

»Glauben Sie?«

»Ja. Ein Graf!«

»Er wird mir seine Wohnung freiwillig abtreten und irgendwohin ziehen, vielleicht in den Gasthof.«

»So könnt er doch die beiden anderen Stuben nehmen?«

»Die wird hier dieser Herr bewohnen, welcher ein Arzt ist.«

»So möcht ich aberst doch vorher erst mit dem Herrn Grafen reden.« »Das ist nicht nöthig. Ich kenne ihn und versichere, daß er sich sehr gern nach einem anderen Aufenthalte umsehen wird.«

»Wanns so ist, so solls mir recht sein.«

»Zeigen Sie mir also die Wohnung!«

»Da mußt – mußt – da müssens halt doch erst ein Wengerl warten. Ich muß vorerst nachschauen, ob Alles in Ordnung ist. Wann so ein Junggesell in dera Stuben wohnt, so ists den ganzen Tag so, als ob ein Sturmwind gangen wär. Ich will hoffen, daß Du – – daß Sie ein Ordentlicher sind.«

Sie brachte es doch nicht fertig, das Du länger beizubehalten. Die ganze Erscheinung des Königs war so ehrfurchtgebietend, daß ihr das höflichere Sie in den Mund kam.

Sie eilte in die Küche, um eine Magd zu holen, welche ihr behilflich sein sollte, in der Wohnung des Grafen Ordnung zu schaffen.

»Mach schnell!« munterte sie das Mädchen auf. »Es ist ein neuer Gast da. Und der schaut mit solchen Karfunkelaugen drein, daß man gleich ganz still sein muß, wenn er Einen anschaut.«

Die Wohnung wurde im Fluge hergerichtet, und dann begab sich die Bäuerin erst noch nach ihrer Stube, um sich noch ein Wenig »schöner« zu machen. Sie hing eine Kette an, steckte einige goldene Nadeln in ihr Haar und band die schwerseidene Feiertagsschürze vor. Nun erst ging sie wieder hinunter unter den Baum.

»Jetzt, wanns kommen wollen, könnens sich das Logement anschauen,« sagte sie.

Während ihrer Abwesenheit hatte sich der Ludwig verabschiedet, von dem Bauer und dem Sepp mit einem herzlichen Händedruck und von dem König und dem Geheimen Medizinalrath mit einer respectvollen Verneigung. Dieser Letztere hatte sich dann mit dem Bauer unterhalten und dabei seinen forschenden Blick auf die Augen des Blinden gerichtet gehalten. Der König hatte still dabei gesessen und sich begnügt, die frische, erquickende Luft des nahen Hochwaldes einzuathmen.

Jetzt folgte er der Aufforderung der Bäuerin, und der Arzt schloß sich den Beiden an. Sepp blieb bei dem Bauer zurück.

»Du, Sepp,« sagte dieser in einem ganz eigenthümlichen tiefen, schweren Tone, »mir ist so ganz fremd zu Muthe.«

»Warum denn?«

»Diese Stimme, diese Stimme!«

»Welche denn? Welche meinst?«

»Dem Herrn Ludwigen seine.«

»Was ists denn mit ihr?«

»Die hab ich schon mal hört; ja, ich hab sie hört. Ich hab lange nachdenkt, als er so still da saß, wo ich sie hört hab, und dann hab ich mich darauf besonnen.«

»Das thu ich bezweifeln. Ich glaub es halt nicht, daßt sie hört hast. Er ist aus dem München. Dort bist sicherlich nicht mit ihm zusammenkommen.«

»Nein, sondern hier.«

»Auch da nicht. Er ist noch nie hier gewesen.«

»O doch!«

»Nein. Ich weiß das genau.«

»Und ich weiß es ebenso genau. Freilich in dera Wirklichkeit ists nicht gewest sondern nur im Traume.«

»Ach so! Hast von ihm träumt?«

»Ja, kannst Dich nicht auf den Traum besinnen, von dem ich Dir gestern verzählt hab?«

»Ja, das fallt mir ein.«

»Von dem Herrn, der zu uns kommen ist, und von dem Doctor, der bei ihm war und mir das Augenlicht wiedergeben hat!«

»Meinst, daß sie es sind?«

»Ja, es sind ihre Stimmen, ganz genau von demselbigen Klang, wie sie im Traume sprochen haben. Da im Traume hab ich dann auch ihre Gesichter sehen und ihre Gestalten. Wann ich nicht blind wär, so würd auch dieses stimmen; ich fühl es; ich weiß es und könnt gleich um Alles wetten.«

Er hatte das schnell, fast athemlos gesagt, er befand sich in einer innerlichen Aufregung, welche sich auch seinem Aeußeren mittheilte.

»Bring Dich nicht auf!« warnte der Sepp. »Man soll nicht an Träume glauben.«

»Das weiß ich, und ich bin ja sonst gar kein Leichtgläubiger. Dieser Traum aberst war so licht, so hell, so deutlich, als ob dera liebe Herrgott ihn mir geschickt hätte. An ihn möcht ich glauben.«

»Wann er was zu bedeuten hätt, so sollt es mich gefreuen. Aberst Du mußt Dich in Acht nehmen. Wer zu viel hofft, der ist nachhero, wann die Hoffnung zu schanden wird, doppelt unglücklich.«

»Auch das weiß ich; aberst ich hab ein Gefühl, welches ich gar nicht beschreiben kann, ein Gefühl, als ob was recht Großes und Gutes mit mir vorgehen müßt. Ich kann nicht dafür. Ich will auch nicht, daß es mich überwältigen soll; aberst ich kann es nicht beherrschen. Ich möcht; ich möcht – – – ja, was möcht, ich denn gleich? Beten, beten, beten!«

Er lehnte sich an den Stamm des Baumes und faltete die Hände. Der Sepp schwieg. Er wollte den Unglücklichen in seiner Andacht nicht stören.

So saßen Beide, bis die Bäuerin kam und strahlenden Auges bemerkte:

»Sie sind Beid mit ihren Stuben zufrieden, der Eine grad so wie der Andere. Dieser Herr Ludwigen muß aber doch ein gar vornehmer Herr sein.«

»Warum?« fragte der Sepp.

»Er schaut ganz so aus. Und wenn er Etwas sagt, so klingt es ganz so, daß man gar nichts dagegen sagen kann.«

»Ja, er ist halt das Befehlen gewöhnt.«

»Was ist er denn?«

»Er ist Einer – Einer – hm, Einer aus demjenigen Haus in München, in welchem regiert wird.«

»So was hab ich mir denkt. Er wird ein Rath von den Commerzien oder wohl auch von dera Philosophie sein.«

»Ja, so was ist er.«

»Und reich, reich muß er sein!«

»Hasts gemerkt?«

»Ja. Was er für Ringen anstecken hat! Das blitzt nur so von Diamanten! Und die Knöpf im Hemd! Und die Uhr. Als er sie herausnommen hat, um nach dera Zeit zu schauen, bin ich fast verschrocken über die Edelsteinen, welche daran gewest sind!«

Ihre Augen funkelten förmlich gierig, als sie dieses sagte. Der Sepp bemerkte das sehr wohl. Er sagte:

»Ja, arm ist er nicht; das ist wahr.«

»Und Dir soll ich sagen, daßt gleich mal zu ihm kommen sollst.«

»So! Und das sagst erst jetzt! Daß er so lange hat auf mich warten mußt! Kronenbäuerin, Du bist auch Eine! Merks Dir, daß dieser Herr Ludwigen nicht Einer ist, den man warten lassen darf. Wannst ihn versäumst, so zieht er gleich wieder fort.«

Er entfernte sich eilig.

Als er nach einem discreten Anklopfen eintreten durfte, saßen der König und der Arzt mit einander am Tisch.

»Sepp,« sagte der Erstere. »Du hast mir dieses Haus empfohlen und ich hoffe, daß ich mich hier wohl befinden werde.«

Der Alte kratzte sich hinter dem Ohre und antwortete ziemlich verlegen:

»O weh! Damit ists gefehlt!«

»Was? Warum hast Du mich hierher gebracht? Unten in der Mühle konnte ich nicht gut länger bleiben, weil mein Incognito in Gefahr stand, verrathen zu werden. Deshalb suchte ich mir einen anderen Aufenthalt. Ich verließ mich auf Dich, folgte Deinem Rathe, der sich ja schon so oft bewährt hat, und nun ich da bin und die Zimmer bezogen habe, kratzest Du Dir den Kopf!«

»Ja, Maje– wollte sagen, Herr Ludwig, wann ich wüßt hätt, was ich heut weiß, so hätt ich mich vorher kratzt.«

»Nun, was weißt Du denn?«

»Daß es hier nicht mehr so steht wie vorher. Die Bäuerin ist eine ganz andere.«

»Ist sie Dir nicht mehr Freund?«

»Nein.«

»Warum?«

»Weil ich sie fangen will.«

»Du sprichst in Räthseln. Erkläre Dich!«

»Habens schon mal von dem Samiel hört?«

»Leider mehr als genug.«

»Nun – hm! Wie bring ich es nur gleich heraus! Ich weiß gar nicht, wie!«

»Rede deutlich!«

»Nun, die Bäuerin und dera Samiel, das ist das – Himmelsakra, sie ist er, oder meinswegen auch er ist sie.«

Der König schüttelte leise den Kopf und sagte:

»Sepp, was faselst Du?«

»Ja, wann ich faseln thät, so wollt ich wohl gar froh sein!«

»Wenn ich Dich recht verstanden habe, so hast Du sagen wollen, daß die Kronenbäuerin der Samiel sei?«

»Ja, grad dasselbige hab ich sagen wollt.«

»Du träumest wohl?«

»Nein. Ich schlaf halt nicht, sondern ich bin sogar ganz munter.«

Der König erhob sich von seinem Stuhle, trat auf ihn zu und fragte:

»Soll etwa der Herr Geheimrath untersuchen, wie viele Schläge Dein Puls macht?«

»Dagegen hab ich nix. Da ist er!«

Er hielt dem Arzte die Hand hin; da dieser aber sich nicht bewegte, fuhr er fort:

»Es möcht Einem wahrlich ganz dumm im Kopfe werden. Dera Samiel ein Weibsbild! Ich thäts halt selberst nicht glauben, wann ich es nicht selberst entdeckt hätt.«

»Mensch, so ists wirklich Dein Ernst?«

»Ja, mein völliger.«

»Du bist erst gestern angekommen. Gestern wußtest Du noch nichts von Samiel. Es muß also Etwas geschehen sein.«

»Viel, sehr viel ist geschehen.«

»So erzähle es!«

»Das werd ich thun, wanns derlauben. Aberst da muß ich auch van alten Zeiten sprechen, von dem Fritz und anderen Dingen, damit Alles seine richtige Verklärung findet.«

»Wir haben Zeit. Fang an!«

»So schnell geht das nicht. Erst muß ich mal schaun, ob wir nicht etwan belauscht werden.«

Der König hatte drei Räume. Eine Art Vorstube, ferner das Wohnzimmer, in welchem sie sich jetzt befanden, und endlich die Schlafstube, wo der bereits erwähnte Ofen stand, welcher bewegt werden konnte.

Da hinaus trat der Sepp. Er sah sich um, kam dann wieder herein, zog die Thüre hinter sich zu und sagte leise:

»Da drinnen dürfens halt nicht schlafen!«

»Warum?« fragte Ludwig erstaunt.

»Weils sonsten sehr leicht umibracht und massakrirt werden können.«

»Sepp!!!«

Das klang in einem sehr strengen Tone. Der Alte aber sagte, ohne sich irre machen zu lassen:

»Ich weiß halt, was ich sag, denn ich hab ihre Augen sehen, als sie von Ihren Diamanten und Edelsteinen sprach.«

»Die Kronenbäuerin?«

»Ja, freilich.«

»So soll sie also wirklich der Samiel sein?«

»Auf alle Fälle.«

»Aber sie kann ja gar nicht, selbst angenommen, daß Du mit Deiner ungeheuerlichen Behauptung Recht hast, in dieses Schlafzimmer kommen!«

»Sehr leicht sogar.«

»Ich verschließe Thür und Fenster.«

»So kommt sie durch die Wand.«

»Giebt es etwa da eine geheime Thür?«

»Ja.«

»Zeige sie mir!«

»Ja, ich weiß sie nicht.«

»So wird Deine Vermuthung eine überhaupt falsche sein.«

»Nein, gewiß nicht. Ich hab keine heimliche Thür sehen, aberst ich denk, daß es eine giebt. Von drüben her hab ich mich in ihre Schlafstuben schlichen, die an dieses neue Gebäuden stößt, aberst die Thür nicht entdecken können. Wanns mirs derlauben, so werd ich auch von hüben suchen. Vielleichten find ich sie hier besser.«

»Wenn es so ist, so werden wir natürlich gemeinschaftlich suchen. Jetzt erzähle! Ich erlaube es Dir, Dich dazu zu setzen.«

Der Sepp machte von dieser Erlaubniß keinen Gebrauch. Er erzählte mit halblauter Stimme Alles, was er heute nun wußte. Nur von der Vermuthung, daß die Bäuerin auch heute Abend nach Oberndorf gehen werde, um den Pfarrer zu bestehlen, sagte er nichts. Während seines Berichtes öffnete er einige Male leise die Thür zur Schlafstube, um nachzusehen, ob man dort vielleicht heimlich eingedrungen sei, um zu lauschen. Es war aber Niemand dort.

Der König sowohl wie auch der Geheimrath hatten ihm zugehört, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. Jetzt blickten sie einander schweigend an. Keiner sagte ein Wort. Dann erhob Ludwig sich von seinem Sitze und schritt mehrere Male im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor dem Alten stehen, legte ihm die Hand auf die Achsel und sagte:

»Sepp, es ist wahr. Du hast nicht geträumt. Es ist entsetzlich, wirklich entsetzlich, Deinen Worten glauben zu müssen, aber es ist auch unmöglich, daran zu zweifeln.«

Und wieder ging er hin und her. Seine Stirn lag in Falten und die Augen hielt er finster zu Boden gerichtet.

»Ist es möglich, ist es denn wirklich möglich, daß es solche Menschen geben kann?« sagte er.

»Ein Weib –« antwortete der Geheimrath. »Damit ist Alles gesagt.«

Der König blieb vor ihm stehen.

»Ein Weib!« wiederholte er. »Und welch herrliche Anschauungen verbindet man mit dem Worte Weib! Ein Weib ist das Herrlichste, das Reinste, das Erhabenste, Zarteste und Empfindlichste, was es geben kann und –«

Er hielt inne; der Arzt fügte hinzu:

»Und doch ist ein gesunkenes Weib häßlicher und abscheulicher als ein gesunkener Mann. Ein Mann kann in den tiefsten Schlamm der Sünde, des Verbrechens sinken, er kann sich ebenso gut wieder erheben. Ein Weib aber, welches einmal gesunken ist, erhebt sich niemals wieder.«

Ludwig setzte seinen Gang durch das Zimmer fort; dann wendete er sich an Sepp:

»Geh hinab zu diesem armen, beklagenswerthen Mann und warte, bis ich Dir vom Fenster aus winken werde. Dann bringst Du ihn herauf. Es soll untersucht werden, ob der Zustand seiner Augen ein hoffnungsloser ist.«

Der Sepp wendete sich zum Gehen. Noch aber hatte er die Thür nicht erreicht, so drehte er sich wieder um und sagte:

»Wegen dem Bauer hätt ich eigentlich eine gar schöne Bitt, wanns mir nicht übel nähmen.«

»Welche?«

»Wann Hoffnung vorhanden war, so sollens ihm das nicht sagen.«

»Warum?«

»Sein Weib darfs nicht derfahren.«

»Denkst Du, daß sie im Stande wär, noch einmal Etwas zu thun, was – ah!«

Er strich sich mit der Hand über die Stirn, wie Einer, der an etwas ganz und gar Unbegreifliches glauben muß.

»Nein,« antwortete der Alte. »Das meine ich nicht. Man thät schon dafür Sorge tragen, daß sie ihm nix mehr thun kann; aberst sie muß überrascht werden. Wann ihr Mann so ganz unerwartet vor sie hintritt und sie hell anschaut grad dann, wann sie bei einem neuen Verbrechen ist, dann muß sie vor Schreck zusammensinken. Das ist eine Straf, die sie verdient hat, und die muß sie erhalten.«

»Ahnst Du ein neues Verbrechen?«

»O, die hört nicht aufi. Ich werd sehr gut lauschen und es gewiß heraus bekommen, wann sie wieder was vor hat. Dann werde ich es melden.«

»Gut. Wir müssen es uns überhaupt überlegen, ob wir sie bereits jetzt festnehmen oder später auf der That ergreifen wollen. Gehe jetzt! Ich winke später.«

Es war eine lange, lange Unterredung, welche Ludwig mit dem Medicinalrathe hatte. Der Sepp behielt die Fenster des Zimmers im Auge und als er endlich den König an demselben erscheinen und ihm winken sah, nahm er den Bauer bei der Hand, um ihn hinauf zu führen. Dabei begegneten sie der Bäuerin.

»Wohin?« fragte sie.

»Zum Doctor hinaufi,« antwortete Sepp.

»Wohl wegen der Augen?«

»Ja.«

»Da wünsche ich viel Glück!«

Sie sagte das in einem Tone, welcher theilnehmend sein sollte, aber die Beiden hörten doch einen nicht ganz zu unterdrückenden Hohn hindurchklingen.

Als sie in das Zimmer Ludwigs traten, welches deshalb zu der Untersuchung gewählt worden war, weil es mehr Helligkeit als jedes andere besaß, hatte der Arzt seine Instrumente auf dem Tisch ausgebreitet.

»Kronenbauer,« sagte er, »ich möchte einmal Ihre Augen untersuchen. Wollen Sie mir das erlauben?«

Der Gefragte dachte an seinen Traum. Er lauschte mit angehaltenem Athem dem Klange dieser Stimme und antwortete in vibrirendem Tone:

»Herrgott! Wie gern!«

»So kommen Sie her; setzen Sie sich!«

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn zum Stuhle. Als er nun den Kopf des Blinden in die richtige Lage gebracht hatte, begann er die Untersuchung. Er ging bei derselben ungemein sicher zu Werke und bediente sich dabei nach einander des Refractions-Ophthalmeskop von Coccius, Meierstein und Giraud-Teulon.

Es dauerte eine geraume Zeit, ehe er fertig war; dann nickte er befriedigt lächelnd dem Könige zu. Dieser winkte ihn ein Stück ab und fragte leise:

»Wie steht es?«

»Viel besser, als ich nach der Betrachtung mit dem blosen Auge denken konnte. Die Pistole ist nicht mit Vogeldunst geladen gewesen. Was in das Auge eindrang, das waren nur un- oder halbverbrannte Pulverkörner.«

»So ist kein edler Theil verletzt?«

»Doch, aber nicht so, daß es keine Hilfe gebe. Die Hornhaut steckt voller schwarzer Pulverpünktchen, welche sogar theilweise in die vordere Augenkammer eingedrungen sind; aber die Linse ist unverletzt, und das ist die Hauptsache.«

»So ist Hilfe möglich?«

»Sogar sehr leicht. Ich habe das Pulver zu entfernen, jedes Pünktchen einzeln, wozu nichts erforderlich ist, als eine feste, sichere Hand.«

»Aber die Schmerzen!«

»Es giebt keine. Ich kann hier unsere allerneueste Entdeckung anwenden, indem ich die örtlichen Empfindungsnerven während der Operation außer Thätigkeit setze. Der Patient fühlt nichts, gar nichts. Er wird gar nicht merken, daß ich mit der Pincette in seinem Auge arbeite.«

»Und wie lange wird es dauern?«

»Sicherlich über zwei Stunden.«

»So beginnen Sie. Sagen Sie ihm aber nichts!«

Der alte Sepp hatte in der Nähe gestanden und jedes Wort gehört. Sein Herz hüpfte vor Freude über diesen außerordentlich günstigen ärztlichen Ausspruch. Er hätte am Liebsten den Geheimrath laut jubelnd umarmen mögen.

Dieser Letztere trat wieder zu dem Blinden zurück.

»Nicht wahr, es steht schlimm?« fragte dieser.

Er hatte die Herren flüstern hören und glaubte, wenn sie etwas Gutes zu sagen gehabt hätten, so wäre es laut geschehen.

»Das möchte ich doch nicht sagen,« antwortete der Arzt freundlich. »Ich habe mich bisher nur über das Allgemeinbefinden der Augen überzeugen können. Der Nerv ist noch in Thätigkeit; das Pigment ist empfänglich. Aber das Pulver, das Pulver! Es hat vielleicht alles Andere zerstört. Um darüber urtheilen zu können, muß ich Sie einer noch eingehenderen Untersuchung unterwerfen, und ich glaube nicht, daß Sie die dazu nöthige Geduld haben werden.«

»Lieber Herr, wann Einer blind ist, so hat er wohl lernen müssen, geduldig zu sein.«

»Es wird vielleicht über zwei Stunden dauern, Kronenbauer.«

»Herrgott! Ich halt gern zwei Jahre her, um nur zu derfahren, ob noch eine kleine Hoffnung vorhanden ist oder nicht.«

»Nun, so wollen wir es versuchen. Der Sepp hat eine stille Hand, er mag Ihren Kopf mit halten.«

Der Blinde wurde in die richtige Lage gebracht. Sepp unterstützte ihn. Später gab selbst der König seine Hand dazu her. Dann nahm der Arzt ein kleines Pinselchen in die Hand, tauchte es in eine Flüssigkeit, welche sich in einer Phiole befand, und sagte dann:

»So wollen wir mit Gottes Hilfe beginnen!«

Der Blinde hatte aus diesen Worten errathen können, daß man im Begriff stehe, eine Operation vorzunehmen; aber er dachte das nicht. Er dachte überhaupt gar nichts, und wenn er ja an Etwas dachte, so war es nur daran, recht still zu halten.

Der Arzt ließ einen Tropfen dieser Flüssigkeit vermittelst des Pinsels auf den Augapfel fallen, wodurch derselbe das Gefühl für die Pincettenstiche verlor. Dann begann die eigentliche Arbeit.

Sie war minutiös und mühevoll. Dem Geheimrath gingen sehr oft die Augen über, so daß er sie eine Zeit lang ausruhen lassen mußte; endlich aber, endlich war er fertig.

»Gelungen!« hätte er jubeln mögen.

Aber er rief dieses Wort nicht aus; er nickte es nur den Beiden heimlich zu. Wenn die Haut nicht durch die Stiche gereizt worden wäre und in Folge dessen sich in geschwollenem Zustande befunden hätte, so hätte der Bauer bereits jetzt wieder sehen können.

Er bekam eine kühlende Flüssigkeit eingeträufelt und dann wurden ihm beide Augen mit einer Binde, welche der Arzt zu diesem Zwecke mitgebracht hatte, dicht verbunden.

»Wozu das?« fragte der Bauer. »Ach hab doch jetzt auch keine Binde habt!«

»Jetzt ist sie für kurze Zeit nöthig, da ich mit meinen Instrumenten Ihr Auge zu sehr angegriffen habe.«

»So! Wie stehts denn nun? Nicht wahr, ich muß blind bleiben?«

»Das behaupte ich keineswegs. Noch aber kann ich kein Urtheil fällen. Ihre Augen müssen sich erst beruhigen; dann sehe ich sie mir nochmals an.«

Da stand der Kronenbauer langsam vom Stuhle auf, drehte sich zu dem Sprechenden um und sagte langsam und gewichtig:

»Herr Doctor, wissens halt, was nachhero kommt, wann man das Augenlicht verloren hat?«

»Nun, was?«

»Dann wird alles Andere desto schärfer.«

»Das weiß ich wohl.«

»Das Gehör, das Gefühl, der Geruch und der Geschmack. Mein Gehör ist, seit ich blind bin, so scharf worden, daß ich auch Alles hör, was ich nicht hören soll. Ich erkenn an dera Stimm des Menschen, was er denkt, und so hab ichs auch dera Ihrigen anhört, wie es mit mir steht.«

»Das bezweifle ich,« lächelte der Arzt.

»O, ich weiß es ganz genau!«

»Nun, so sagen Sie es!«

»Ja, ja, ich will es sagen!«

Und in wirklich jubelndem Tone fuhr er fort:

»Sepp, Sepp, hab ichs nicht sagt, daß es die Stimmen der beiden Herren sind, von denen ich träumt hab? Ich irr mich nicht; es ist ganz gewiss mein Traum geht in Erfüllung. Ich werd wieder sehen können!«

Er wartete, was man dazu sagen werde, und da Niemand antwortete, so fragte er:

»Herr Doctor, habens etwan das Herz, Nein zu sagen?«

»Nein, das habe ich nicht; aber ich kann auch noch nicht Ja sagen.«

»O, Sie könnens, Sie könnens, wanns nur wollen! Herrgott, warum soll mir so eine Freuden verschwiegen werden? Warum soll ich in so einem entsetzlichen Zweifel bleiben! Wann die Herren Menschen sind und ein Gefühl im Herzen haben, so werden sie mir die Wahrheit sagen.«

Da konnte der König es nicht über das Herz bringen; er legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte mild:

»Kronenbauer, beruhigen Sie sich!«

»Die Stimm, die Stimm!« flüsterte dieser wie abwesend.

»Was meinen Sie mit meiner Stimme?«

»Sie ists, sie ists!«

Da erklärte Sepp die Sache. Er erzählte, was der Bauer geträumt hatte.

»Ja,« bestätigte dieser am Schlusse. »Das ist mir im Traum vorgekommen und den hat mir der liebe Herrgott gesandt. Jetzt, wanns den Muth dazu haben, da sagens mir, daß ich blind bleiben muß!«

»Nein,« sagte der König. »Diesen Ausspruch werden wir nicht thun. Können Sie schweigen? Können Sie sich bezwingen?«

»O, so sehr, wie Sie nur wollen.«

»Auch gegen Ihre Frau?«

»Erst recht!«

»So will ich Ihnen sagen, daß Sie sehr bald wieder, sehen werden.«

Der Blinde lauschte. Es war, als ob er ein jedes Wort einathmen wolle.

»Sehen werden!« flüsterte er, indem ein unbeschreiblich seliges Lächeln über sein eingesunkenes Gesicht flog.

»Vielleicht schon morgen,« fügte der Medicinalrath hinzu.

»Morgen – morgen schon!«

»Das heißt, wenn es Abend geworden ist. Dann werde ich Ihre Binde öffnen und Sie können sich beim milden Sternenlichte, welches Ihren Augen nichts schadet, überzeugen, daß Ihnen das Glück des Gesichtes wieder zurückgegeben worden ist.«

Da sank der Bauer auf die Knie nieder, hob die gefalteten Hände empor und rief:

»Mein Jesus und mein Heiland! So ists nun also vorüber mit dieser schweren Noth! Ich – ich – ich –«

Er wollte weiter sprechen, aber er brachte vor Schluchzen nichts mehr hervor.

»Beruhigen Sie sich!« bat der Arzt, ihn emporhebend. »Sie dürfen sich nicht aufregen und am allerwenigsten weinen. Jede Thräne kann meine Operation erfolglos machen. Nehmen Sie sich in Acht.«

»Wanns so ist, so werd ich nix sagen und nix thun, als bis Sie mirs derlauben. Aber das sag ich, daß ich Ihnen die Operation, denn eine solche ists gewest, das merk ich nun, daß ich Ihnen die Operation danken will, so gut ich kann. Machens mir Ihre Rechnung! Verlangens zehntausend Mark, zwanzigtausend oder auch noch mehr! Ich werds von Herzen gern bezahlen!«

»Davon ist jetzt keine Rede. Denken Sie nicht an solche unnütze Sachen, sondern sorgen Sie dafür, daß sowohl Ihr Körper als auch Ihr Gemüth die nöthige Ruhe habe.«

»Bekomme ich auch eine Medicinen?«

»Nein.«

»Ich muß doch einen Thee trinken oder sonst was aus dera Apotheken!«

»In diesem Falle nicht, mein Lieber.«

»Aber mich ins Bett legen?«

»Auch nicht. Setzen Sie sich getrost wieder unter den Baum, da, wo Sie vorher gesessen haben. Das schadet Ihnen nichts; ja, es ist nur gut für Sie. Hüten Sie sich nur vor Erkältung. Das ist das einzige.«

Der Bauer konnte nicht begreifen, daß er nicht als schwerer Patient behandelt werden sollte. Er wollte sich abermals in Dankesversicherungen ergehen, da aber erhielt der Sepp einen Wink, ergriff ihn beim Arme und führte ihn hinab und unter den Baum.

Als die Beiden dort anlangten, saß die Bäuerin dort, Gemüse putzend. Als sie die Augenbinde sah, lachte sie laut auf und fragte:

»Jetzund wird wohl eine Maskerade trieben?«

Der Bauer antwortete nicht.

»Ja,« sagte der Sepp.

»Nicht wahr, das hab ich 'mir denkt! Einem Blinden auch noch die Augen verbinden, das ist grad so, als wann man einem Tauben die Ohren verstopfen wollt. Was hat dera Herr Doctor denn sagt?«

»Er hat ihm in denen Augen herumstochen und nachhero meint, daß er noch nit sagen kann.«

»So! Das ist Alles?«

»Alles!« nickte der Sepp.

»So ists ja kommen, wie ich mir denkt hab. In denen Augen herumstochen! Auch noch! Da hat er ihm blos das, was noch gut gewest ist, vollends zerstochen. So eine Sach ist immer nutzlos. Wer blind ist, der mag blind bleiben. Er ists einmal gewohnt und merkts halt gar nicht mehr.«

»Würdst auch so sagen, wann Du es wärst, die blind ist?«

»Ja. Ich thät mich zufrieden geben.«

»Sündige nicht!«

»Ist das eine Sünd, wann ich sag, daß ich mich in mein Schicksal ergeben thät? Es ist im Gegentheil eine Sünd, mit demselben unzufrieden zu sein. Was hat mein Mann zu klagen? Er hat Alles, was sein Herz begehrt, tausendmal mehr als andere Menschen. Daß er nicht sehen kann, das muß er eben ertragen!«

Das war dem Bauer doch zu herzlos. Er sagte langsam und in feierlichem Tone:

»Du sollst fortan Deine Augen nicht mehr da haben, wo sie nicht hingehören. Merke Dirs!«

Sie erbleichte. Das waren ganz dieselben Worte, welche der Samiel an jenem Abende an der Laube zu ihm gesagt hatte, als er ihm die Pistole vor die Augen gehalten hatte. Sie stand auf, um sich zu entfernen. Da fiel ihr Auge auf den Waldweg und sofort setzte sie sich wieder nieder. Sie hatte Fritz gesehen, welcher von der Försterei kam.

Er mußte sich natürlich sofort zu den Dreien setzen.

»Sags schnell, wie es gangen ist!« forderte die Bäuerin ihn auf, noch bevor ein Anderer ein Wort gesagt hatte.

Es war ihr anzusehen, daß sie brannte, das Resultat des Verhöres zu erfahren. Sie hatte bisher ja nur Ruhe geheuchelt.

»Wie es gangen ist?« antwortete Fritz in gleichgiltigem Tone, indem er ihr von der Seite einen Blick zuwarf. »Langsam.«

»Das hab ich merkt, talketer Kerl! Wann ich so eine Antworten hätt haben wollt, so braucht ich Dich gar nicht zu fragen. Was hast aussagen müssen?«

»Alles, was ich wußt hab.«

»Und die Martha?«

»Ganz dasselbige.«

»Ist denn was entdeckt?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»Wer hats verboten?«

»Der Staatsanwalt.«

»Was! So darfsts uns nicht mal sagen?«

»Nein.«

»Das ist ganz unnütz! Was verhandelt wird, das muß das Volk wissen. Wozu geben wir unsere Steuern und Gelder!«

»Was das Volk wissen will, das wird es zu seiner Zeit derfahren. Ich kann nur soviel sagen, daß dera Samiel sich in Acht nehmen mag.«

»Es soll ihm wohl traurig ergehen?«

»Ja. So was wie heut Nacht gelingt ihm doch nicht wieder.«

»Geh doch hin und sags ihm selber!«

»Hab keine Lust dazu. Seine eigene Haut ists, die er zu Markte tragen wird.«

»Und was sagt dera Förster?«

»Der ist freilich ganz außer sich. Er schlägt ein über das andere Mal die Händ über den Kopf zusammen und redet von nix als von seinem Geld. Er ist fast wahnsinnig. Das kannst daraus schon ersehen, daß er nicht mal grüßen läßt.«

Sie blickte schnell von ihrer Arbeit auf und ihm in das Gesicht. Sie wollte sehen, wie er diese Worte gemeint habe. Er aber sah ganz gleichmüthig zu ihr herüber. Das machte sie irre.

»Warum sollte er mich grüßen lassen?« fragte sie pikirt.

»Hat er es denn noch nicht than?«

»Er hats nicht nöthig.«

»So! Ich habs mir anders denkt!«

»Wie denn?«

»Zärtlicher.«

Da legte sie die Arbeit weg, blickte ihn drohend an und fragte: »Wie meinst das? Jetzt sagsts gleich!«

Er zuckte die Achseln und schwieg.

»Willst reden oder nicht! Was ists mit mir und mit dem Förster?«

»Das wirst wissen!«

»Nein, ich weiß es nicht, ich will es aber derfahren. Heraus damit!«

»Nun, wannsts hören willst, so will ich es Dir sagen, obgleich Dein Mann dabei sitzen thut.«

»Der kann hier sitzen. Ich hab nie was than, was er nicht wissen könnt. Willst mir wohl was nachsagen?«

»Ja.«

»Ah! Du! Mir! Weißt, wer ich bin?«

»Die Kronenbäuerin.«

»Und wer Du bist?«

»Dera Knecht.«

»Schön! So wirst auch wissen, daß ich Dich fortjagen kann.«

»Du nicht, aber dera Bauer.«

»Mensch! Wenn Du so zu mir kommst, so kannst sogleich hinausfliegen!«

Sie hatte sich erhoben und stand wie eine Furie vor Fritz. Dieser antwortete ruhig:

»Das wirst bleiben lassen! Denn sonst könnts sein, daßt vorher selber hinausflögest!«

»Ich? Ah! Mann! Hörst Du es!«

Der Bauer saß ganz still da. Es war seinem Gesicht nicht anzusehen. was er dachte und fühlte.

»Obsts hörst, hab ich fragt!«

»Freilich!« nickte er.

»Und Du duldest so was!«

»Was will ich thun? Dera Fritz hat stets wußt, was er sagt.«

»Ah! Steht es so! Gut, so muß der Kerl fort. Ich werd ihm gleich seinen Lohn zahlen.«

Sie machte eine Bewegung, als ob sie in das Haus eilen wolle. Fritz aber hielt sie mit der Bemerkung zurück:

»Von Dir nehm ich keinen Lohn. Ich bleib!«

»So schick ich nach dera Polizeien!«

»Was soll dieselbige thun?«

»Dich hinauswerfen.«

»Das thut sie nicht. Ich aber würd dera Polizeien Etwas verzählen, was ich heut dem Staatsanwalt hätt sagen können.«

»So! Warum hasts ihm nicht sagt?«

»Weil mir dera Bauer leid thut.«

»Und was ists denn eigentlich?«

»Die schöne Scene im Wald. Weißt wohl nix davon?«

»Was soll ich wissen?«

»Nun, da drüben stand Eine und wartete auf den Förster. Mit dem ist sie im Wald spazieren gangen und hat sich nachhero mit ihm unter die Eichen auf die Bank setzt. Weißt vielleichten, wer das gewest ist?«

Sie schwieg. Sie wollte antworten, aber sie fand keine Luft. Ihre Brust arbeitete heftig. Der Knecht fuhr fort:

»Soll ich weiter verzählen? Was hat nachhero Diejenige macht, als dera Förster fort war? Wohin ist sie gangen?«

»Fri– Fri– Fritz!« stammelte sie.

Ihre Augen schienen aus den Höhlen treten zu wollen. Ihr Gesicht hatte eine kupferrothe Farbe und schien geschwollen zu sein. Sie stand einem Schlaganfalle nahe. Der Sepp bemerkte das und sagte:

»Schweig, Fritz! Wozu das unnütze Gered! Dazu ist hier nicht dera rechte Ort!«

Das gab der Bäuerin ihre Selbstbeherrschung wieder. Sie kniff den Mund zusammen, knirschte mit den Zähnen, ballte die Fäuste und stieß einen Fluch aus. Damit aber hatte sie sich Luft gemacht, und nun sagte sie in einem verächtlichen Tone:

»Märchenfritz! Glaubst, daß irgend Wer Lust hat, anzuhören, wast Dir aussonnen hast? Mit Dir werde ich schon bald fertig sein!«

Sie ergriff die Gemüseschüssel und ging in das Haus. Fritz wendete sich an den Bauer:

»Verzeih, wann ich Dir wehe than hab! Es hat gar so gewaltig druckt in mir und wollt heraus.«

»Laß es drucken!« sagte der Bauer in einem so ruhigen Tone, daß Fritz ihn ganz erstaunt anblickte.

»Wie! Du bist mir nicht bös?«

»Nein.«

»Was sagst aber zur Bäuerin?«

»Nix.«

»Ich begreif Dich nicht! So was thät mir die Gall aus dem Leibe reißen.«

»Mir nicht.«

»Aber warum nicht?«

»Weil – weil ich einen ruhigen Körper und ein ruhiges Gemüth haben soll. Und nun laß mich aus! Laß mich in Ruhe! Ich mag solchen Quatsch nicht hören. Ich will nicht wieder blind werden!«

»Bravo! Er mag Dich in Ruhe lassen! Fritz, komm! Ich hab mit Dir zu reden!«

Der Knecht war aufgesprungen. Er starrte den Bauer an. Erst jetzt fiel ihm auf, daß dieser eine Binde um die Augen trug. Er wollte fragen, aber der Sepp zog ihn mit sich fort, hinter das Haus und hinaus auf das nahe Feld, wo sie von Niemandem gehört und gesehen werden konnten. Erst hier ließ er ihn zu Worte kommen.

»So! Hier nun kannst reden. Hier ist Keiner, demst Schaden machen kannst. Was fallt Dir denn ein, in dieser Art und Weisen mit dera Bäuerin zu reden!«

»Weil ich bös bin auf sie!«

»Ich auch! aberst dennoch bleib ich ruhig. Mit solchem Geschwätz verdirbst uns Alles. Und den Bauer hast so grimmig geärgert, jetzt, wo er sich doch nicht ärgern soll!«

»Warum jetzt grad nicht? Was hat er meint, als er sagt, daß er nicht wiederum blind werden will?«

»Das sollt ich Dir auch nicht sagen, aber ich bin Dein Freund, und so sollsts wissen. Der Bauer ist operirt worden.«

Er erzählte Fritz von der Ankunft der beiden vornehmen Männer und was dann geschehen war, und fügte am Ende hinzu:

»Und weils jetzunder so gefährlich ist, hier zu wohnen und wir also die Beiden schützen müssen, so will ich Dir sagen, wer sie sind. Der eine ist ein Geheimer Medicinalrath und dera Andere ist gar unser guter König Ludwig selberst.«

Fritz hatte bereits den ersteren Theil dieser Mittheilung mit größtem Erstaunen angehört, der Inhalt des letzteren Theiles aber, daß der König in eigener Person sich hier befinden solle, brachte ihn aus aller Fassung und raubte ihm fast die Sprache.

»Wie – wa – wo – wer?« stotterte er.

»Der König.«

»Sepp! Mach keine Lügen!«

»Donnerwetter! Hab ich Dich bereits einmal belogen? Wann ich halt sag, daß es dera König Ludwigen ist, so ist er es auch.«

»Was könnte er denn hier bei uns wollen?«

»Nun, Euretwegen ist er freilich nicht da. Er will das haben, was die Aerzte eine Sommerfrische nennen. Eine Cur will er machen. Darum ist ja auch ein Doctor bei ihm. Der ist ein gar gescheidter Kerlen und hat den Bauer geheilt.«

»Wanns so ist, so muß ich gleich zum Bauer. Er ist mein Vater und es drängt mich, ihm –«

Er wollte schnell fort. Der Sepp aber hielt ihn fest und sagte:

»Da bleibst! Dera Bauer darf keine Aufregung haben. Das hat ihm dera Arzt verboten. Und ich hab halt Notwendigeres mit Dir zu reden.«

Fritz griff sich mit beiden Händen nach dem Kopfe.

»Nothwendiges? Mein Gott! Mir wird ganz schwindelig zu Muthe. Was ich seit wenigen Stunden, seit gestern derfahren und derlebt hab, das ist allzu viel für einen Menschen. Das macht mir den Kopf ganz wirr. Und nun kommst auch noch Du und sagst, daßt Nothwendiges hast. Was ists denn?«

»Etwas von dera Bäuerin.«

»Ich mag jetzt nichts mehr von ihr wissen!«

»Das mußt aber wissen, denn Du sollst mir helfen.«

»Auch noch! Laß mich in Ruh!«

»Na, wann Dir dera Kopf halt so brummt, so will ich Dich nicht belästigen; aberst ich hab denkt, daßt so einen alten, guten Freund, wie ich bin, nicht im Stich lassen wirst.«

»So! Wannst mich bei dieser Seit angreifst, so muß ich es schon gelten lassen, alter Sepp.«

»Also machst mit?«

»Ja, wann ich kann.«

»Du kannst. Die Bäuerin will wieder einbrechen.«

»Schon wieder! Wann denn?«

»Am heutigen Abend.«

»Das wäre ja toll. Sie nimmt sich doch nicht mal die Zeit, richtig auszuschlafen!«

»Ja, sie treibt es freilich arg; aberst sie nimmt halt mit, was sie mitnehmen kann.«

»Wo denn?«

»In Oberdorf beim Pfarrer.«

»Was wollt sie da holen? Der ist ja blutarm!«

»Er hat jetzt ein schönes Geldl daliegen.«

»Das kann nicht sein Eigenthum sein.«

»Nein. Es ist ihm zum Aufheben geben worden.«

Er erzählte nun, daß Ludwig Held dagewesen sei und was er von diesem erfahren hatte.

»Aber wie willst da wissen, daß sich dera Samiel das Geld holen will?« fragte Fritz.

»Ich habs dera Bäuerin angesehen.«

»So! Ja, ein Schlauer bist, kannst Gedanken derrathen. Das hab ich bei Dir schon oft merkt.«

»Und daß sie heut gehen wird, weiß ich auch.«

»Woher?«

»Weil dera König Ludwig sagt hat, daß das Geldl schon morgen in die Stadt getragen werden soll.«

»Dann glaub ich freilich auch, daß sie es sich schon heut holen wird.«

»Ja, und sodann hat sie bereits mit dem Bastian davon sprachen.«

»Das weißt auch schon?«

»Ja. Sie hat in dera Stub mit ihm steckt; da kann man derrathen, was sie mit nander habt haben. Sie gehen heut Abend sicher.«

»Und was willst da thun?«

»Die Sach vereiteln, natürlich.«

»Ja, aberst wie?«

»Das weiß ich noch nicht genau.«

»Willst sie festnehmen?«

»Wohl noch nicht.«

»Warum nicht? Es wird das Allerbeste sein, wann wir sie schon heut unschädlich machen.«

»Daß sie nix weiter thun kann? Ja, da hast eigentlich wohl Recht; aberst da wird sie einisteckt und sieht es nicht, daß dera Bauer sein Augenlicht wiederhat.«

»Das wird sie beim Verhör schon sehen, denn er wird im Amt auch mit ihr zusammen kommen.«

»Das ist schon gewiß; aberst ich möcht haben, daß sie hier daheim damit überrascht wird. Dabei muß ich sein. Es muß einen gewaltigen Schreck auf sie ausüben.«

»Mach, wast willst. Ich thu halt mit. Es hat nur den einzigen Haken, daß es mir heut Abend nicht gut paßt.«

»So! Ich wüßt nicht, wast zu thun hättest!«

»Ich hab dera Martha versprochen, zu kommen.«

»Sie mag bis morgen warten.«

»Ich hab sie in den Wald bestellt, wo mir uns treffen wollen. Da kann ich sie doch nicht so stundenlang stehen lassen.«

»So läßts ihr sagen, daßt keine Zeit hast.«

»Durch wen? Wem soll ich mich anvertrauen?«

»Mir. Du selbst kannst nicht hin, weilst hier zu thun hast. Ich aber hab den ganzen Tag frei. Da werd ich zu ihr gehen.«

»Wanns so ist, laß ich es mir gefallen. Da kannst also heut Abend auf mich rechnen.«

»Schön! Ich glaub, die Bäuerin wird nicht eher aufbrechen, als bis Alle zu Bett sind.«

»Das versteht sich ganz von selbst. Und wann gehen wir?«

»Wann sie fort ist.«

»Da kommen wir zu spät.«

»O nein. Sie kann doch nicht die gerade Straße gehen, weil sie da gesehen wird. Sie muß die Schleichwege benutzen. Wann wir uns da auf dera Straßen halten, so kommen wir viel eher hin als sie.«

»Hast Dir vielleicht auch schon überlegt, wie wir uns dort verhalten werden?«

»Nein. Das muß dera Augenblick bringen. Nun aber wollen wir ausnandergehen, damit Niemand uns sieht und denkt, daß wir was Heimliches haben. Ich mach mich hinaus nach dera Förstereien und Du kannst an Deine Arbeit gehen.«

Der Alte trollte sich von dannen. Fritz blieb noch einige Zeit im Garten. Er mußte das, was er gehört hatte, innerlich verarbeiten.

Es erfüllte ihn mit einer seligen Freude, daß sein Vater wieder sehen lernen solle. Er hätte in die Kniee sinken mögen, um Gott für diese Gnade zu danken. Aber zu dieser Freude gesellten sich Regungen ganz entgegengesetzter Natur. Es wurde ihm nicht leicht, sein inneres Gleichgewicht herzustellen.

Die Kunde von dem nächtlichen Einbruch im Forsthause hatte sich schnell in der ganzen Umgegend verbreitet und wer Zeit hatte, der lief in den Wald, um irgend einen Bewohner der Försterei zu treffen und ihn nach diesem Ereignisse zu fragen. Der Förster ließ sich von keinem Menschen sehen. Es hieß, er renne wie verrückt im Walde herum und brülle laute Flüche vor sich hin.

Der Oberlieutenant wurde allgemein ausgelacht. Er war gekommen, den Samiel zu fangen, und mußte es nun erleben, daß dieser ihn nicht nur selbst ausraubte und an einen Baum band, sondern sogar in seiner Gegenwart den Förster bestahl. Er war schrecklich blamirt, und als seine Sachen im Laufe des Nachmittages aus dem Kronenhofe in das Dorfwirthshaus geschafft wurden, hieß es allgemein, daß er da wohl nicht lange wohnen werde. Es stand zu erwarten, daß seine Vorgesetzten ihn sehr bald abberufen würden.

So verging der Tag. Der König war am Nachmittage mit dem Geheimrathe spazieren gegangen und setzte sich dann, als die Dämmerung hereinbrach, zu dem Bauer unter dem Baume nieder.

Die Bäuerin hatte sich wo möglich noch ›schöner‹ gemacht als am Vormittage und kam auch heraus. Sie spielte die Liebenswürdige, zog sich aber bald vor Aerger wieder zurück, denn der vornehme Gast hatte gar nicht gethan, als ob sie vorhanden sei. Und wenn sie sich mit irgend einer Frage direct an ihn gewendet hatte, so war ihr anstatt von ihm die Antwort von dem Arzt geworden, und zwar in einem Tone, aus dem sie entnehmen konnte, daß den beiden Herren gar nichts daran liege, mit ihr zu reden.

Das verdroß sie natürlich gewaltig. Sie war die reichste, die angesehenste und auch – die schönste Frau der Umgegend. Alle Männer, die sie bisher kennen gelernt hatte, hatten dies durch ihr Verhalten anerkannt, und nun wurde sie mit einer solchen Verachtung behandelt!

Wie alle Frauen dieser Art, fühlte sie nun gegen die beiden Verächter einen Haß, der den Gedanken der Rache in ihr erweckte.

»Ich werd sie dafür auszahlen,« zürnte sie im Stillen. »Er soll seine Diamanten nicht lange behalten. Eine Gefahr ist nicht dabei, im Gegentheile ists sehr gut, wann dera Samiel einmal auch im Kronenhof einbricht. Dann kann man gar nimmer auf den Gedanken kommen, daß ich es selber bin.«

Als dann der König sich in seine Gemächer zurückziehen wollte, stand der Sepp, seiner wartend, unter der Thür.

»Was willst Du?« fragte Ludwig, welcher es dem Alten ansah, daß er einen Wunsch hatte.

»Darf ich nicht mal mit hinaufi gehen in Ihre Stuben, Herr Ludewigen? Ich möcht halt das Bett wegstellen.«

»Ach so! Wegen der geheimen Thür?«

»Ja, damit nix passirt.«

»Wohin willst Du es stellen?«

»Herein in die Wohnstuben. Die Thür schließen wir zu. Da kann Niemand herein.«

»Gut! Aber das kannst Du nicht allein machen!«

»Ich hole den Fritz dazu.«

»Den Knecht, welcher zugleich der Sohn ist? Weiß der denn auch, wer die Bäuerin ist?«

»Er weiß Alles.«

»Wohl auch, wer ich bin?«

»Ja.«

»Hat er mich erkannt, oder hast Du es ihm gesagt?«

»Ich habs ihm halt sagt.«

»Plaudertasche!«

»O, bitt gar schön! Das ist nicht geplaudert. Wann sich dera Herr Ludwigen in einer Gefahr befindet, brauch ich den Fritz, damit er mit wachen muß.«

»Hm! Ich will es gelten lassen. Also hole ihn! Aber Niemand darf wissen, daß ich mich ausquartiere. Morgen früh muß das Bett wieder in die Schlafstube zurückgeschafft werden.«

Dann später kam das Abendessen. Das Gesinde hielt sich, als dasselbe vorüber war, noch einige Zeit wach und ging dann schlafen. Es wurde still im Hofe.

Der Sepp hatte gethan, als ob er wieder bei Fritz schlafen werde. Sie hatten sich bisher fern von einander gehalten und sogar so gethan, als ob sie sich ein Wenig gezankt und veruneinigt hatten. Erst in Fritzen's Kammer trafen sie wieder mit einander zusammen.

»Warst noch im Stall?« fragte Sepp.

»Ja, soeben.«

»Hast den Bastian drin gesehen?«

»Nein.«

»Habs mir denkt. Er ist fort.«

»So! Wohin? Schon nach Oberdorf etwa?«

»Das glaub ich nicht. Er muß doch gewärtig sein, daß man nach ihm schaut. Beide können gar nicht eher fort, als bis sie ganz genau wissen, daß ihre Abwesenheit nicht mehr bemerkt werden kann.«

»Das meine ich auch. Wohin also mag er sein?«

»Ich hab so meine Gedanken darüber und denk, daß ich es wohl richtig derrathen werd.«

»Auch ich kann mir was denken. Ich glaub, daß die Beiden die Kleider des Samiel im Wald versteckt haben. Meinst nicht auch?«

»Ja, das ist gewiß.«

»Wann sie nun einen Gang machen wollen, müssen sie diese Kleider haben.«

»Ah, ich merk, daßt ganz dasselbige denkst wie ich. Dera Bastian ist fort, um die Kleider zu holen. Hab ichs derrathen?«

»Ja. Der Ort, wo sie versteckt sind, liegt jedenfalls in ganz entgegengesetzter Richtung als nach Oberdorf zu. Da muß der Bastian sie herbei holen, damit sie nachhero, wann sie aufbrechen wollen; Alles beisammen haben.«

»Ja, er bringt sie vielleicht in den Garten.«

»Hast ihn gehen sehen?«

»Nein. Er ist heimlich fort.«

»Noch vor einer halben Stunde war er im Stall.«

»So ist er also noch gar nicht lange fort und wir könnten in den Garten gehen und aufipassen, wann er kommt.«

»Das hab ich mir denkt. Jedenfalls steigt er über den Zaun herein, weil die Hausthür zu ist und das Hofthor auch.«

»Und grad ganz an derselbigen Stell, an welcher er gestern übergestiegen ist. Wollen wir gehen?«

»Ja, komm!«

Sie schlichen sich in den Garten und legten sich unter die Sträucher, welche am Zaune standen. Ihre Berechnung war eine ganz richtige, denn sie hatten noch gar nicht lange da gelegen, so kam der Bastian von außen her an den Zaun. Er blieb eine kleine Weile stehen, um zu horchen, ob wohl ein verdächtiges Geräusch zu hören sei. Als er dann überzeugt war, daß er sicher sei, warf er ein dunkles Packet über die Stacketen und stieg dann selbst auch herüber. Er hob den Pack wieder auf und trug ihn fort.

Die beiden Lauscher folgten ihm, indem sie ihm auf allen Vieren nachkrochen. Er ging langsam und leise quer durch den Garten, nach einem Beete, auf welchem sich Bohnen an hohen Stangen emporzogen. Zwischen diese Stangen steckte er das Packet hinein. Es konnte trotz des Mondscheines nicht gesehen werden.

Die im Garten stehenden Obstbäume gaben überhaupt so viel Schatten, daß auch Fritz und Sepp nicht bemerkt wurden.

Dann ging Bastian nach der Scheune, um durch den bereits beschriebenen Gang in den Hof zu kommen.

»Wollen wir nachschauen, was es ist?« fragte der Sepp.

»Ja. Wir gehen hin.«

Sie zogen das Packet hervor. Es bestand aus den zwei Samielanzügen. Auch die zwei breitkrämpigen Hüte und die schwarzen Masken waren dabei.

»Jetzt kannsts wissen, daß sie wirklich nach Oberdorf wollen,« meinte der Sepp. »Wir könnten nun, da wir das genau wissen, sogleich aufbrechen.«

»Das geht nicht. Wir haben unsere Kammerthür nicht zugemacht. Die müßten wir erst verschließen.«

»So wollen wir es thun. Komm!«

»O, da ist Einer genug. Geh Du!«

»Ja. Stell Dich bis dahin wieder in den Schatten zurück. Man kann nicht wissen, wozu es gut ist.«

Der Sepp befolgte diese Weisung. Er setzte sich unter einen Baum und lehnte sich an den Stamm, so daß er nicht gesehen werden konnte. Fritz begab sich nach seiner Kammer und schloß die Thür zu. Als er dann sich zur Treppe hinabgeschlichen hatte und eben auf den vom Monde erhellten Hof treten wollte, fuhr er erschrocken zurück, denn gerade in diesem Augenblicke wurde gegenüber von ihm die Hinterthür des Hauptgebäudes geöffnet und er sah den Bastian aus derselben treten. Die Bäuerin war dabei, aber nicht um mit in den Hof zu kommen, sondern nur, um die Thür hinter dem Knechte wieder zuzumachen.

Dieser ging nicht nach dem Stalle, sondern er schlug wieder die Richtung nach dem Garten ein. Fritz eilte lautlos hinter ihm her. Es war ihm darum zu thun, schnell in den Schatten zu kommen.

Der Bastian ging wieder nach dem Bohnenbeete, wo er sich zu schaffen machte; dadurch gewann Fritz Zeit, sich zu Sepp zu schleichen und bei diesem niederzulassen. Sie sahen, daß der Knecht nun sich wieder nach dem Hof zurück begab, und als Fritz ihm von Weitem folgte, bemerkte er, daß der Erstere seinen Weg nun nach dem Stalle einschlug und hinter der Thür desselben verschwand. Jetzt stand nicht zu befürchten, daß er sobald wiederkommen werde, und Fritz ging wieder zu Sepp zurück, um ihm das mitzutheilen.

»Da wird er nun noch einige Zeit warten,« meinte der Alte, »und dann brechen sie mit einander auf. Wir wollen auch gehen.«

»Ja; da kommen wir ganz gewiß vor ihnen auf der Pfarre an. Aber vorher möcht ich wissen, was er noch gewollt hat.«

»Er wird noch was hintragen haben.«

»Aber was, was er von dera Bäuerin holt hat. Was mag es sein.«

»Das können wir leicht sehen. Komm!«

Sie begaben sich abermals nach dem Beete und untersuchten das Packet. Es zeigte sich, daß in die eine Jacke zwei Doppelpistolen gesteckt worden waren.

»Sappermenten! Sie wollen schießen!« sagte Sepp.

»Doch nur, wenn sie sich zu vertheidigen haben.«

»Ja, aberst schießen wollen sie unter Umständen also doch. Schau mal nach, ob die Dinger auch wirklich geladen sind.«

»Ja,« antwortete Fritz, als er die Pistolen untersucht hatte. »Sie sind scharf geladen.«

»Man weiß nicht, was passiren kann. Das kann auch für uns bös werden, wanns fehl gehen sollt.«

»Da müssen wir was dagegen thun.«

»Ja, aber was?«

»Wegnehmen können wir die Waffen nicht, sonst merken sie, daß Jemand hier dabei gewest ist.«

»Wollen die Zündhütchen abnehmen.«

»Das ist auch leicht zu bemerken.«

»Hm! Ist der Krätzer daran?«

»Ja. Haken und Schraube ist gleich an dem eisernen Ladestöckchen angebracht, was am Laufe steckt.«

»Schön! So ziehen wir die Kugeln heraus!«

»Das könnt eher angehen. Das Pulver können wir ja drin lassen und den Pfropfen, der es festhalten thut. Aberst, hm, auch das geht nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Sie könnten doch mal mit dem Ladestock versuchen, und da thäten sie sofort, bemerken, daß dera Lauf nicht mehr so voll ist als vorher.«

»Nun, auch dagegen giebt's ein Mittel. Wir pfropfen Etwas hinein. Ich hab ein altes Papier einstecken.«

»Gieb es her! Ich wills machen!«

Fritz zog die Kugeln mit dem Krätzer heraus und stopfte dafür Papier hinein. Jetzt, wenn abgedrückt wurde, ging der Schuß zwar los, weil sich das Pulver noch im Laufe befand, aber er konnte nichts schaden, weil die Kugeln entfernt worden waren. Dann wurden die Pistolen wieder in die Jacke zurück gesteckt.

»So!« sagte der Sepp in zufriedenem Tone. »Nun sind wir sicher, daß wir nicht derschossen werden können, und wollen aufbrechen.«

»Ueber den Zaun?«

»Ja. Was Andres können wir nicht thun.«

Sie stiegen über die hintere Umfassung des Gartens und gingen um das nahe Dorf herum, damit Niemand sie sehen sollte. Auf der Straße angekommen, folgten sie derselben in raschen Schritten in der Richtung nach Oberdorf.«

Dort angekommen, bemerkten sie, daß die Bewohner des Ortes sich zur Ruhe begeben hatten. Nur durch die Läden des Pfarrhauses schimmerte ein verstohlener Lichtstrahl. Sie guckten durch eine Ladenritze und sahen den alten geistlichen Herrn ganz allein am Tische sitzen. Er las in einem Buche.

Sie klopften an, aber nur so laut, daß kein Anderer als der Pfarrer es hören konnte. Sie sahen, daß er aufhorchte. Als der Sepp zum zweiten Male klopfte, kam der alte Herr an das Fenster, öffnete es und fragte durch den Laden:

»Ist Jemand da?«

»Ja, Hochwürden. Wir haben mit Ihnen zu reden.«

»Wer ists denn?«

»Dera Wurzelsepp und noch Einer.«

»Du, Sepp! So spät noch! Ich mache gleich auf.«

Er machte das Fenster zu und kam nach wenigen Augenblicken, um die Thür zu öffnen.

»Grüß Gott, Herr Pfarrer,« sagte der Alte. »Nehmens es nur nicht übel, daß wir so spät kommen!«

»O nein! Bringst einen Freund mit?«

»Ja, einen sehr guten.«

»Ihr braucht ein Nachtlager? Ich werde die Köchin gleich wecken. Kommt aber nur herein!«

»Lassens nur die Köchin schlafen! Wir brauchen sie nicht. Es ist uns viel lieber, wann sie liegen bleibt und gar nix derfährt von dem, was wir wollen.«

»Was Ihr wollt? Nicht übernachten?«

»Nein. Mein Freund dahier ist kein reisender Handwerksbursch und auch nicht so ein alter Herumlaufer wie ich. Wir brauchen kein Nachtlager aus Barmherzigkeit, sondern wir haben Ihnen, was sehr Wichtiges mitzutheilen.«

»So kommt herein! Ihr seid willkommen.«

Er führte sie in die Stube und sah nun erst das Gesicht Fritzens deutlich.

»Ah! Das ist ja der Fritz vom Kronenhofe in Capellendorf! Nicht?«

»Ja,« antwortete der junge Mann, »ich bins.«

»So glaube ich gern, daß Ihr nicht gekommen seid, für heut eine Beherbergung bei mir zu suchen.«

»Der Sepp wird Ihnen gleich mittheilen, weshalb wir heut noch so spät zu Ihnen gekommen sind.«

»Ja, das werde ich,« sagte der Alte. »Vorher aber wollen wir die Vorhäng herunter lassen.«

Er trat an die Fenster, um das zu thun.

»Warum sollen die Rouleaux herab?« fragte der Pfarrer, dem das verwunderlich erschien.

»Weil uns Niemand sehen und hören soll. Sie aber haben halt Ritzen in denen Fensterläden. Auch sprechen müssen wir ganz leise, damit wir nicht von draußen hört werden können.«

»Ist denn der Grund Eures Kommens ein gar so geheimnißvoller?«

»Ja. Das ist er.«

Als er die Vorhänge herabgelassen hatte, setzte er sich mit Fritz zu dem Pfarrer, welcher nun wartete, was sie ihm sagen würden.

»Nicht wahr,« begann der Alte, »Sie haben ein schönes, großes Stück Geld hier in Ihrem Haus?«

Der Pfarrer machte ein verwundertes Gesicht.

»Wie kommst Du zu dieser Frage?«

»O, ich habe Grund dazu!«

»Wenn ich nicht wüßte, daß Ihr zwei so ehrliche Personen seid, so würde ich glauben, Ihr kämt in einer schlimmen Absicht zu mir altem Manne.«

»O, unsere Absicht ist sehr gut. Aberst nicht wahr, es ist so, wie ich sagte? Sie haben viel Geld hier?«

»Ja. Woher aber wißt Ihr es?«

»Dera Ludwig hats mir herzählt.«

»Welche Unvorsichtigkeit!«

»Nicht wahr? Zwar mir kann er es immer sagen, denn bei mir ist so was gut aufgehoben. Aberst es könnens doch auch Andere hören!«

»Sehr richtig! Und ich hab die Leute noch extra gebeten, es keinem Menschen wissen zu lassen.«

»Die Freud über das Geldl hat ihnen die Zung gelöst. Sie können nicht an sich halten. Sie denken, ein Jeder, dem sie es sagen, ist ihr Freund.«

»Da täuschen sie sich. Man muß vorsichtig sein.«

»Ja, zumalen jetzund. Man erzählt es einem guten Freund, und grad kann dieser der Samiel sein!«

»Sepp! Du erschreckst mich!«

»Nun, hab ich nicht Recht?«

»Ja, wir kennen ja den Samiel nicht. Unser bester Nachbar kann es sein. Es ist nicht zu trauen.«

»Richtig! Und grad darum kommen wir zu Ihnen.«

»Wegen dem Samiel?«

»Ich verstehe Euch nicht!«

»Wir wollen Sie beschützen.«

»Mein Gott! Was meint Ihr denn?«

»Dera Samiel will bei Ihnen einbrechen.«

Der Pfarrer wurde leichenbloß.

»Bei – mir – einbrechen?« fragte er.

»Ja.«

»Und das wißt Ihr?«

»Ja. Ganz genau.«

»Wann will er denn kommen?«

»Heut Nacht. Er ist vielleicht schon unterwegs.«

»Sepp! Das sagst Du in so einem ruhigen Tone!«

»Soll ich es in alle Welt hineinschreien?«

»Nein; aber wenn Du es wirkliche genau weißt, so müssen wir schnell, alle Nachbarn wecken.«

Er stand auf, um fort zu eilen.

»Wartens nur,« bat Sepp. »Das ist gar nicht nothwendig, denn wir Beid sind ja da.«

»O, das ist viel zu wenig!«

»Nein, sondern wir sind Manns genug.«

Er ergriff ihn am Arme und führte ihn auf seinen Sitz zurück. Der Pfarrer zitterte.

»Aber, Leute, wie habt Ihr denn erfahren, daß dieser Dieb zu mir kommen will?« fragte er.

Fritz war neugierig, was Sepp auf diese Frage antworten werde, denn es war anzunehmen, daß er die Wahrheit verschweigen werde.

»Das kann ich Ihnen sagen,« erklärte der Alte. »Ich ging mit dem Fritz nach dem Abendessen noch ein Wengerl hinaus in den Mondenschein. Wir redeten von dem Samiel, der – ah, Sie wissens halt doch, daß er heut Nacht bei dem Förster von Capellendorf stohlen hat?«

»Ja. Jedermann weiß es bereits.«

»Nun gut. Davon redeten wir. Am Waldesrand setzten wir uns nieder. Wir waren noch nicht lange da, da kamen zwei Kerls auf uns zu. Sie sahen Beid so aus, wie dera Samiel beschrieben wird. Darum eilten wir gleich ein Stück in den Wald hinein, damit sie uns nicht sehen sollten. Und da war es ein Glück für Sie, daß sie ganz nahe bei uns stehen blieben. Es war dera Samiel mit noch Einem. Sie redeten davon, daß sie zu Ihnen wollten, um das Geld zu holen.«

»Kinder! Ist das möglich!«

»Ja. Wir habens hört.«

»Woher mag er es wissen von dem Geld!«

»Wer weiß das!«

»Und da ist er bereits unterwegs?«

»Ja.«

»So muß ich nach Hilfe eilen!«

Er wollte abermals fort.

»Nein, bleibens da! Sie dürfen nicht hinaus. Das ist zu gefährlich!«

»Wollt Ihr vielleicht Leute holen?«

»Fallt uns auch nicht ein!«

»Aber ich muß doch Hilfe haben!«

»Die habens, denn wir sind da.«

»Das ist aber zu wenig.«

»Nein, es ist genug. Zwei gegen Zwei fürchten wir uns gar nicht. Ueberhaupt ists am Besten, man rettet das Geld, ohne daß ein Kampf entsteht.«

»Das ist ja doch nicht möglich!«

»Es ist sogar sehr leicht.«

»Wie denn?«

»Man muß eine List anwenden. Nicht wahr, Sie haben das Geld in dera Bibel?«

»Auch das wißt Ihr?«

»Ja. Dera Samiel hat es sagt.«

»Heilige Maria! Wie kann er es wissen?«

»Wer weiß, wie er es derfahren hat. Ich will Ihnen mal einen recht guten Rath geben.«

»Sprich, sprich, mein lieber Sepp!«

»Schauns, hinaus können wir nicht, um Hilf zu holen. Dera Samiel könnt bereits draußen verborgen sein und uns niederstechen, ohne daß man einen Mux thun könnt.«

»Das ist wahr! Wir bleiben hier! Ihr sollt Euer Leben nicht auf das Spiel setzen. Das geb ich nicht zu!«

»Wir haben auch gar keine Lust dazu.«

»Wir werden warten, bis er kommt. Dann werde ich ihm sagen, daß das Geld einer armen Wittwe gehört. Ich werde versuchen, sein hartes Herz mit Gottes Wort zu erweichen, und –«

»Und er wird Sie auslachen und das Geld doch nehmen; das ist sicher!«

»Aber was soll ich thun?«

»Sagens mir, ob das Geld gleich so in den Blättern des Bibelbuches stecken thut.«

»Nein. Es ist eingeschlagen.«

»In Papier?«

»In ein Couvert.«

»Steht was auf dem Couvert?«

»Ja. Die Summe, welche es enthält.«

»Sehr schön! Habens noch so ein Couvert?«

»Viele.«

»So ists ja gemacht. Sie nehmen so ein Couvert und stecken Papier hinein; auch müssens die Summe von dem Geld darauf schreiben. Das steckens in die Bibel und nehmen dafür das Couvert heraus, in dem sich das Geld befindet.«

Das Angesicht des Pfarrers heiterte sich ein Wenig auf. Er sagte erfreut:

»Sepp, diesen Gedanken hat Dir Gott eingegeben!«

»Meinens? Nun, das kann ich nicht bestreiten. Ich hab freilich denkt, das; er aus dem meinigen Kopfe herauskommen ist. Aberst auf diese Weis werden wir den Samiel betrügen.«

»Ob es aber gelingt?«

»Sicher!«

»Wenn er das Couvert aufmacht!«

»Das fallt ihm nicht ein!«

»Er kann es aber doch thun!«

»Nein. Er wird erfreut sein, wann er es findet und die große Ziffer darauf. Er wird schleunigst machen, daß er fortkommt.«

»Ich wollte. Du hättest Recht!«

»Ich hab Recht. Meinst nicht auch, Fritz?«

Der Gefragte antwortete bejahend. Dann fiel dem Pastor erst die Hauptsache ein. Er sagte:

»Aber auf diese Weise kommt er mir doch herein in das Haus!«

»Ja, das ist nicht zu ändern.«

»Wenn er mich tödtet!«

»Fallt ihm nicht ein! Er will nur das Geldl. Findet er das Couvert, so denkt er gar nicht an Sie. Darauf möcht ich schwören.«

»Man kann nichts vorher wissen!«

»Nun gut! So sind wir Beide da.«

»Ihr wollt also wirklich bei mir bleiben?«

»Natürlich!«

»Ihr guten, braven Menschen! Wie bin ich Euch zu Dank verpflichtet!«

Er reichte Beiden die Hände. Sepp trieb ihn an:

»Nun machens aber rasch! Gehens aufi nach dera Stuben, wo das Geldl ist und holens es herab, auch Papier und Couvert. Nachhero gebens mir ein Papier und Tint und Feder.

»Wozu?«

»Ich muß was aufschreiben. Gehens also! Aberst nehmens kein Licht mit. Dera Samiel könnt bereits da sein und es merken, daß wir ihm ein X für ein U machen wollen.«

»So muß ich in die Oberstube! Mein Herr und Gott! Wann er sich bereits im Haus befände!«

»Das glaub ich nicht. Er kommt sicherlich nicht eher herein, als bis Alles finster ist.«

»Er kann doch kommen und mich überfallen wollen!«

»Nein. Uebrigens wollen wir mit hinaus in den Flur gehen, damit Sie sich sicher fühlen.«

»Ja, kommt mit, sonst getraue ich mich nicht fort!«

Der alte, ehrwürdige Mann, welcher ein tüchtiger und treuer Streiter Gottes, aber kein Held im weltlichen Sinne war, wankte mehr hinaus als er ging. Die Beiden folgten und nahmen unten an der Treppe Posto, welche er mit zitternden Füßen emporstieg.

Nach einer Weile kam er wieder herab.

»Ich hab Alles!« sagte er.

»So kommens wieder herein.«

Als sie sich wieder in der Stube befanden, legte er das Couvert, in welchem sich die Geldscheine befanden, auf den Tisch, ein zweites dazu und mehrere unbeschriebene Papierblätter, welche zusammengenommen, wenn sie im Couvert steckten, dasselbe Volumen wie die Scheine hatten. Auch Tinte und Feder hatte er mitgebracht.

»Es befand sich Alles oben in meiner Studirstube,« erklärte er.

»Und wo schlafen Sie?« fragte Sepp.

»Daneben.«

»Und die Köchin?«

»Auf der andern Seite des Hauses.«

»Das ist gut, denn da wird sie jedenfalls von dera ganzen Angelegenheiten gar nix merken. Also dieses Couvertl mit dem Geld steckens nur getrost in Ihre Taschen; das soll dera Kerl nicht bekommen. Morgen aberst schaffen Sie es sofort aus dem Haus, daß die Versuchung für die Spitzbuben nicht mehr vorhanden ist.«

»Gleich in der Frühe kommt es fort! Gebe nur Gott, daß es gelingt, es zu retten!«

»Darum hab ich gar keine Angst. Nun aber schreibens hier auf das andere Couvertl die Ziffer, wie viele Tausend darinnen stecken sollen!«

Das that der Pfarrer. Dann aber nahm der Sepp die Feder und schrieb auf eines der weißen Blätter zwei Zeilen. Auf der oberen stand nur ein Wort, auf der unteren aber zwei Worte; das sah sowohl der Pfarrer als auch Flip.

»Was hast denn schrieben?« fragte der Letztere.

»Willsts wohl wissen?«

»Ja.«

»Eigentlich ists ein Geheimnissen.«

»So behalts für Dich!«

»Oho! Brauchst nicht gleich so wichtig zu thun. Ich kann es Euch ja zeigen. Da, schaut mal her!«

Er zeigte ihnen das Blatt hin. Es stand darauf:

»Pah!!!

Der Wurzelsepp.«

»Warum hast das schrieben?«, fragte Fritz.

»Das kannst Dir nicht denken?«

»O ja. Aberst es ist ja unnütz!«

»Großen Nutzen hat es nicht; aberst ich will den Samiel ärgern. Er soll halt wissen, wem er diesen Streich zu verdanken hat. Verstanden?«

Er blinzelte dabei Fritz listig von der Seite an.

»Ja, ich verstehe Dich halt schon,« antwortete dieser. »Aergern wird sich freilich gewaltig.«

»Aber, Sepp, Du bringst Dich dadurch jedenfalls in große Gefahr,« bemerkte der Pfarrer.

»Daraus mach ich mir nix.«

»Das darfst Du nicht sagen.«

»O doch! Ich fürcht mich nicht vor dem Samiel.«

»Er wird, sich rächen!«

»Wie denn? Was kann er einem so armen, alten Kerl thun, wie dera Wurzelsepp ist?«

Dabei blieb es. Er wollte einmal, daß der Samiel sich über ihn ärgern sollte. Fritz verstand ihn natürlich sehr gut. Wie mußte die Bäuerin ergrimmt sein, wenn sie das Couvert öffnete und, anstatt Geld zu finden, die Worte des Alten las und das leere Papier sah!

Der Sepp legte die weißen Blätter zusammen und legte sie in das neu beschriebene Couvert, so, daß seine Worte, wenn man es öffnete, sofort in die Augen fallen mußten.

»So,« sagte er. »Nun machens noch fünf schöne Siegeln drauf, und drückens Ihr Petschaften darüber. Dann schauts ganz genau so aus. als ob das Geldl darinnen sei.«

Auch das geschah. Der Pfarrer steckte das eigentliche Werthcouvert zu sich und fragte:

»Jetzt habe ich Deinen Rath befolgt. Was thun wir nun. Ich werde mich ganz auf Euch verlassen.«

»Das könnens getrost. Sagens uns erst, wie ein Einbrecher am Besten ins Haus kommen kann!«

»O, er braucht nur über die niedrige Mauer in den Hof zu steigen.«

»Ist kein Hund da, welcher Lärm machen kann?«

»Nein. Ich habe, da ich kein reicher Mann bin, alle Sicherheitsmaßregeln für überflüssig gehalten.«

»Ganz recht. Und die Leutln, welche hier wohnen, sind ehrlich. Ihren Pfarrer bestehlen sie nicht.«

»Ich hoffe zu Gott, daß der Samilie kein Glied meiner armen, ehrlichen Gemeinde sei.«

»Nein. Der steckt wo ganz anders.«

»Ahnst Du das?«

»Ja, Herr Pfarrer!«

»Hast Du einen Grund dazu?«

»Ja. Weil wir den Samiel heut Abend drüben bei Kapellendorf getroffen haben und er wollt doch hier einsteigen, so ists halt sehr leicht zu denken, daß er nicht von hier sein kann.«

»Da hast Du Recht. Das erleichtert mein Herz!«

»Aberst wie kommt er denn auf dem Hof, wenn er über die Mauer stiegen ist, in's Haus hinein?«

»Ganz einfach durch die Hinterthür.«

»Hat die kein Schloß von innen?«

»Nein, nur einen Drücker, welcher auch von außen bewegt werden kann. Man ist eben hier nicht auf Diebe eingerichtet.«

»So braucht er dann nur in aller Gemüthlichkeiten die Treppe emporzusteigen?«

»Ja. Die Thür meiner Studierstube habe ich nie verschlossen. Heut aber werde ich es thun.«

»Warum?«

»Nun, damit er nicht hinein kann.«

»Das ist falsch.«

»Ich denke grad, daß er da vielleicht umkehrt.«

»O nein. Der geht gewiß nicht eher wieder fort, als bis er meint, das Geldl zu haben.«

»So soll ich die Studirstube auflassen?«

»Ja. Ich denk nämlich, es ist besser, wann man ihm die Sach so leicht wie möglich macht.«

»Das meine ich auch,« stimmte Fritz bei. »Macht man es ihm schwer, so zwingt man ihn, Gewalt anzuwenden, und dann kann es freilich leicht kommen, daß er auch seine Waffen gebraucht.«

»Mein Gott!« seufzte der Pfarrer. »Nur keine Waffen! Lieber will ich Alles auflassen!«

»So ists richtig, hochwürdiger Herr! Ich bin dera Wurzelsepp und werd Ihnen keinen schlechten Rath geben. Jetzt gehen wir zu Bett.«

Er stand von seinem Stuhle auf.

»Wie?« fragte der Pastor ganz betreten. »Du willst Dich wirklich zur Ruhe legen?«

»Fallt mir gar nicht ein! Ich hab nur meint, daß wir nun hinauf in Ihre Schlafstub gehen.«

»Ach so! Ihr bleibt natürlich bei mir!«

»Ja.«

»Und die aus der Studir- nach der Schlafstube führende Thür schließen wir natürlich zu?«

»Ich möcht das lieber nicht!«

»Warum?«

»Ich möcht die beiden Kerls gern beobachten.«

»Das kannst Du ohnedies. Neben der Thür ist ein kleines Fensterchen, an welchem ein durchsichtiger Tüllvorhang ist. Durch denselben kann man sehr leicht sehen.«

»Schön! So schließen wir zu! Gehen die Thüren leicht auf?«

»Ein kleines Geräusch macht jede.«

»Das ist gut. Da hören wir die Kerls vielleichten kommen. Gehen wir also! Aber vorsichtig! Ich wette, die Beiden stehen schon draußen und lauern. Sie werden denken: Jetzund geht der geistliche Herr zu Bett. Wir lassen ihn einischlafen, und sodann holen wir uns das Geldl. Prosit die Mahlzeit.«

Er griff nach der Lampe.

»Wollen wir die denn mitnehmen?« fragte der Pfarrer.

»Ja. Damit sie sehen, daß Sie zu Bett gehen.«

»Die Lampe machts zu hell. Ich habe Kerzen, von denen wir lieber eine nehmen wollen.«

»Gut, das ist besser. Wir Beiden, nämlich dera Fritz und ich, müssen uns überhaupt in Acht nehmen, damit wir nicht von unten sehen werden.«

Die Lampe wurde ausgelöscht und das Licht angebrannt. Dann gingen die Drei nach der Studierstube hinauf. Dort hielten sich die Beiden so, daß weder ihre Gestalten, noch ihre Schatten von unten gesehen werden konnten. Der Pfarrer legte das Vexircouvert in die Bibel, und dann traten alle Drei in das nebenan liegende Schlafzimmer.

»Setzens das Licht auf den Tisch,« sagte der Sepp, »und machens sich was am Fenster zu schaffen!«

»Daß ich von unten gesehen werde?«

»Ja. Dann ziehens den Rock aus und tretens in Hemdärmeln noch mal hin, damit die Kerls merken, daß Sie sich auskleiden.«

Dieser Rath wurde befolgt; dann schloß der Pfarrer die Thür zu und verlöschte das Licht.

Bis hierher waren die Vorbereitungen getroffen. Nun handelte es sich darum, ob sich dieselben bewähren würden.

Der Pfarrer sank auf das Kanapee, welches dem Bette gegenüber stand. Er seufzte:

»Mir klopft das Herz, als ob ich Fieber hätte.«

»Das meinige ist ganz ruhig,« meinte der Sepp.

»Ja, Du bist aus einem ganz anderen Stoff gemacht als Unsereiner!«

»Mein Stoff ist nur Haut und Knochen. Daran zittert nix vor Angst. Komm her, Fritz. Wollen am Fenster schauen, ob wir was sehen.«

Die Beiden blickten hinunter in die ziemlich helle Mondscheinnacht. Sie selbst konnten, da die Fenster im Schatten lagen, nicht gesehen werden. Es verging eine Weile, welche dem Pfarrer wie eine Ewigkeit vorkam. Dann sagte Sepp:

»Du, Fritz, siehsts, da drüben am Zaun?«

»Nein.«

»Es hat sich was bewegt. Da drüben habens steckt und das Haus beobachtet. Paß auf, nun wird es bald losgehen. Schau!«

»Ja. Jetzt sehe ich es auch!«

»Es sind zwei Punkte, die sich bewegen. Sie schleichen sich nach hinten herum. Jetzt verschwindens hinter dera Ecke. Nun können wir noch innen horchen. Wollen uns Stühle her an das Fenster setzen, damit wir nachhero in aller Bequemlichkeiten zuschauen können, was drinnen in dera Studierstuben vorgeht.«

Sie zogen sich zwei Stühle an das Verbindungsfenster und setzten sich darauf. Ein leises Flüstern sagte ihnen, daß der Pfarrer in seiner Herzensangst Stoßgebete sprach.

»Betens noch leiser!« bat Sepp. »Man hört es noch viel zu deutlich!«

Der Pfarrer war nun ganz still. Er zitterte am ganzen Körper vor Angst.

Nun verging fast eine volle halbe Stunde. Dann gab es draußen in der Studirstube ein Geräusch, als ob eine Thür mit größter Vorsicht geöffnet werde. Dann war wieder lange nichts zu hören.

Jetzt zuckte ein Lichtschein draußen durch die Studierstube, verschwand aber sofort wieder.

»Sie sind da,« wisperte Fritz.

»Sie werden horchen, ob dera Pfarrer schläft,« antwortete der Sepp ebenso leise. Wart, ich werd was hören lassen.«

Er holte tief, laut und regelmäßig Athem wie Einer, den man schlafen hört, ohne das er wirklich schnarcht. Er erreichte seine Absicht, denn sofort wurde draußen die Studirstube hell.

»Schausts!« meinte er.

»Ja!«

»Alle Beid sind da.«

»Sie suchen nach dera Bibel.«

Bei dem Scheine der Blendlaterne, welche die Diebe mitgebracht hatten, konnte man ihre Gestalten deutlich erkennen. Sie standen mit einander am Büchergestell. Der Eine griff hoch hinauf, nahm die Bibel herab und öffnete sie. Er sah das fünffach versiegelte Couvert, nahm es mit einer Bewegung der Befriedigung heraus und steckte es ein. Dann stellte er die Bibel wieder an ihren Platz.

Wenige Augenblicke später war das Knirrschen der Thüre wieder zu hören.

»Jetzt sinds wieder fort!« sagte der Sepp.

»Ists gewiß?« fragte der Pfarrer.

»Ja!«

»Ich glaube es kaum.«

»Warum nicht?«

»So schnell kann es nicht gehen!«

»O, solche Spitzbuben haben ihr Geschäft gelernt. Und nach dem großen Bibelbuche braucht man nicht monatelang zu suchen!«

»Mir hat das Herz gebebt vor Angst!«

»Mir auch. Aberst vor Freude.«

»Wenn sie bemerkt hätten, daß wir sie betrogen haben!«

»Betrogen? Hm! Machens sich etwan gar noch ein Gewissen daraus?«

»Nein; aber welche Gefahr! Sie hätten hier die Thüre aufgesprengt!«

»Und uns gefunden! Da wärens davon gelaufen wie sechs Dutzend Schneider. Komm Fritz! Sie müssen widerum da unten vorüber!«

Dieses Mal trat auch der Pfarrer wieder ans Fenster. Nach wenigen Secunden sahen sie die beiden Gestalten, welche unten am Zaune vorsichtig hinhuschten.

»Schauen Sie die Kerls, Hochwürden?«

»Ja,« antwortete der Pfarrer, tief aufathmend.

»So ists also vorbei.«

»Dem Herrn sei Lob und Preis!«

»Und wir gehen auch.«

»Wie? Ihr wollt mich verlassen?«

»Ja. Wir müssen fort.«

»Um Gotteswillen nicht! Bleibt hier!«

»Wozu denn?«

»Ihr müßt mich weiter schützen!«

»Vor wem? Die Gefahr ist vorüber.«

»Noch lange nicht. Der Samiel kann wiederkommen!«

»Das kommt ihm gar nicht in den Sinn!«

»Er wird merken, daß er das Geld nicht hat.«

»Selbst wann er das merkt, kommt er nicht wieder. Uebrigens könnens ja auch ein paar hiesige Leutln wecken lassen, die her kommen.«

»Das ist wahr. Ihr aber wäret mir die Allerliebsten. Ihr habt mir bewiesen, daß Ihr so voller Muth und Vertrauen seid.«

»O, das sind Andere auch. Dort kommt Jemand. Wer mag das sein?«

»Das ist der Nachtwächter,« erklärte der Pfarrer, nachdem er die nahende Gestalt betrachtet hatte.

»Nun, den könnens ja gleich rufen.«

»Das werde ich thun. Also Ihr bleibt wirklich nicht bei mir?«

»Nein. Wir können nicht. Wir müssen heim.«

»So weiß ich gar nicht, wie ich danken soll!«

»Sie haben uns gar nix zu danken, Hochwürden. Rufen Sie den Wächter.«

Der Pfarrer öffnete das Fenster und rief den Beschirmer des Ortes. Das Licht wurde wieder angebrannt, und die drei gingen hinab. Der geistliche Herr wußte vor lauter Dankbarkeit nicht, was er angeben sollte. Der Sepp und Fritz wiesen Alles ab und brachen auf. Zehn Minuten später war das ganze Oertchen wach, und alle Einwohner desselben wußten, was geschehen war.

Die beiden Beschützer des geistlichen Herrn eilten die Straße entlang, Kapellendorf zu. Sie wollten eher dort eintreffen als die zwei Samiels.

Das gelang ihnen auch, denn die Bäuerin hatte mit dem Bastian ebenso wie vorher einen Umweg zu machen. Sie sprachen unterwegs nicht mit einander, waren aber Beide sehr zufrieden, daß es ihnen geglückt war, den Diebstahl zu verhindern und dem Samiel einen solchen Streich zu spielen.

Als sie dann am Ziele angekommen und über den Zaun gestiegen waren, fragte Fritz:

»Warten wir hier, bis sie kommen?«

»Wozu?«

»Ich wüßte auch keinen besonderen Grund.«

»Wir haben nichts mehr zu thun. Nur beobachten möcht ich die Bäuerin wann sie das Couvert aufimacht.«

»Das ist leider nicht möglich. Zwar liegt unser Fenster dem ihrigen gegenüber, aber es ist zu weit um deutlich sehen zu können.«

Sie begaben sich nach Fritzens Kammer und entledigten sich ihrer Oberkleider. Sie setzten sich an das geöffnete Fenster und behielten dann den Hof scharf im Auge.

Es dauerte sehr lange ehe sie die Kommenden bemerkten, länger als es zu erwarten gewesen war. Jedenfalls war der Grund derjenige, daß Beide ihre Kleidung nach dem Verstecke gebracht hatten.

Endlich kamen sie, Beide zu gleicher Zeit. Die Bäuerin stieg drüben zur Strickleiter empor und dann ging der Bastian in den Stall. Eine kurze Zeit später würde in der Schlafstube der Bäuerin Licht gemacht.

»Du,« kicherte der Sepp, »jetzunder macht sie den Geldbrief auf. Nicht?«

»Jedenfalls!«

»Das Gesicht möcht ich sehen! Gleich hundert Mark thät ich geben, wann ich es sehen könnt!«

Beide blickten über den Hof hinüber nach den erleuchteten Fenstern. Plötzlich war das Licht weg.

»Sollt sie sich bereits niederlegen?« fragte Sepp.

»Nein. Sie wird in das verborgene Cabinet gegangen sein.«

»Das glaub ich auch, denn – Du, da ist sie ja! Sie kommt mit dera Latern!«

Die Hinterthür des Wohnhauses wurde aufgemacht, und zwar keineswegs leise, und man sah die Bäuerin erscheinen, mit einer Laterne in der Hand.

»Was hat sie vor?« fragte Fritz.

»Ich weiß!« antwortete Sepp. »Schnell ins Bett hinein!«

Er sah, daß die Bäuerin wie eine Furie über den Hof herübergefegt kam.

Die Beiden fuhren in das Bett und deckten sich zu.

»Meinst, daß sie zu uns kommt?« flüsterte Fritz.

»Ja.«

»Ach! Das wäre toll!«

»Sie ist jetzt im Stand, noch viel Tolleres zu thun. Hast doch die Kammerthür nicht richtig zuschlossen?«

»Nein.«

»So kann sie herein. Sie will sehen, ob ich da bin. Thu so, als obst schläfst!«

Die Beiden machten die Augen zu. Der Sepp fing sogar an, zu schnarchen. Da knirrschten die Stufen der Treppe unter den Tritten der Bäuerin. Sie kam rasch an die Thür und riß sie auf. Die Laterne hoch emporhebend, trat sie an das Bett.

Sie hatte dabei ein solches Geräusch verursacht, daß die Beiden sich nicht schlafend stellen konnten. Der tiefste Schläfer wäre aufgeweckt worden. Darum that der listige Alte so, als ob er aufwache, reckte und dehnte sich, sah die Bäuerin erstaunt an, fuhr schnell auf und sagte:

»Die Bäuerin? Donnerwettern! Was solls sein? Was ist denn los? Brennts wo?«

Er sprang aus dem Bette, Fritz ebenso. Sie erschraken beinahe über das Gesicht der Frau. Von Schönheit war da keine Rede. Sie hatte das Aussehen einer Furie. Die Wangen waren todesbleich; die Augen leuchteten; die Lippen waren geöffnet und ließen die grimmig auf einander gebissenen Zähne sehen.

»Schweig!« herrschte sie den Alten an.

»Was soll ich?« fragte er. »Was willst hier? Was hats denn geben?«

»Wann bist zu Bett gangen?« schrie sie ihn an.

»Warum fragst?«

»Wannst zu Bett gangen bist!« wiederholte sie, mit den Füßen aufstampfend.

»Sappermenten! Heut bist aberst eine Ungestüme!«

»Wannst schlafen gangen bist, will ich wissen!«

Sie schrie diese Worte förmlich. Die Laterne schwang in ihrer vor Wuth zitternden Hand hin und her.

»Herrjesses! Vor Dir derschrickt man ja! Gleich nach dem Essen bin ich schlafen gangen.«

»Ists wahr, Fritz?«

»Ja.«

»Sags richtig, Fritz! Ist dera Sepp wirklich gleich nach dem Abendessen hier gewest?«

»Ja. Er war sogar noch eher hier als ich.«

»Und hat er sich da gleich niedergelegt?«

»Ich glaub, ja.«

»Du hast gar nix zu glauben! Du hast zu sagen, wie es gewest ist. Das kann ich halt von Dir verlangen.«

»Ich habe ja schlafen.«

»So! Weißt also auch nicht, ob er unterdessen mal fortgangen ist?«

»Nein.«

»So! Und das soll ich glauben?«

»Glaubs oder nicht. Mir ists egal!«

Sie sah ihn mit einem finsteren, durchdringenden Blicke an. Er erwiderte denselben festen Auges.

»Willst etwan Revolution gegen mich machen?«

»Gegen Dich? Das ist gar nicht möglich.«

»Wieso?«

»Weilst nicht mein Herr bist. Das ist dera Bauer.«

»So! Ich bin die Herrin!«

»Das magst denen Mägden sagen, mir aber nicht.«

Da fragte sie fast zischend:

»So meinst, daß ich nur den Mägden zu gebieten habe?«

»Ja.«

»Oho! Da bist in einem gewaltigen Irrthum befangen. Mein Wort gilt bei den Knechten und Mägden.«

»Und wanns so wär, so gilts doch bei mir nicht.«

»So jage ich Dich zum Teufel!«

»Dann würde geschehen, was ich Dir schon sagt hab: Du würdest selberst zum Teufel gehen müssen!«

Da trat sie hart an ihn heran, setzte die Laterne nieder, ballte beide Fäuste und knirrschte:

»Etwa vor Dir?«

»Ja,« antwortete er fest.

Da konnte sie sich vor Wuth nicht mehr halten. Sie holte aus, ihn zu schlagen. Er aber ergriff ihre Hand.

»Bäuerin!« rief er, sie festhaltend. »Willst Du den Erben des Kronenhofes schlagen?«

Da wurde sie leichenblaß. Sie ließ, als er ihre Hand frei gab, den Arm sinken.

»Was sagst – was?« stöhnte sie.

»Wast gehört hast!«

»Wen meinst denn mit dem Erben?«

»Mich!«

»Ah! Bist verrückt!«

»Nein. Ich bin dera Sohn des Bauern.«

»Der hat keinen!«

»Weil er ihm geraubt worden ist!«

»Ja, von Zigeunern!«

»Nein, von Dir!«

»Mensch!«

»Schweig! Wer hat mich nach Chrudim bracht? Du wohl nicht? Antworte mir doch einmal!«

Sie sank auf die Truhe nieder, welche neben dem Bette stand, schlug die Hände zusammen und rief:

»Herrgott! Was muß man sich gefallen lassen!«

»Wann mans verbrochen hat! Ja, hast Recht!«

»Wer hat Dir denn solch Zeug weiß macht?«

»Niemand. Eine Wahrheit kann Einem Niemand weiß machen. Warum hat mich dera Bauer holt?«

Sie schwieg.

»Sags doch mal! Warum ist er nach Chrudim kommen, um mich nach dem Kronenhof zu holen?«

»Aus Mitleid, weilst ein Findelkind warst!«

»Dafür dank ich gar schön! Ich weiß, woran ich bin. Ich werd Dir die Beweise zu bringen wissen!«

»So sag doch nur, von wemst das Alles hast?«

»Das geht Dich nix an! Vom Bauern aberst nicht, denn dem hasts verboten, mir zu sagen, daß er mein Vater ist. Aberst die Zeit, in der er nur Dir allein gehorcht hat, ist bald vorüber!«

»Willst etwan gegen mich klagen?«

»Fallt mir wiederum nicht ein! Es giebt noch andere Leut, welche Dich anfassen werden.«

»So ist's gut! Mit Dir bin ich fertig. Ich werd Dir schon noch die richtige Antwort geben. Jetzt hab ich mit dem Sepp zu reden. Laß uns allein!«

»Diesem Befehl brauch ich nicht zu gehorchen; aberst weilst mir zuwider bist, will ich gehen.«

Er zog seine Jacke an und ging zur Thür hinaus, ohne sie nur eines Blickes zu würdigen. Als er an die Treppe kam, lehnte der Bastian da.

»Was willst hier?« fragte er ihn.

»Nix!« antwortete der Knecht erschrocken.

»Horchen willst. Da hast den Lohn!«

Er holte aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Da fuhr Bastian auf ihn los und rief:

»Hallunk, wie kannst mich schlagen!«

»Bursch, sei zufrieden mit der einen, sonst bekommst noch mehrere! Komm! Fort mit Dir in den Stall!«

Er warf ihn die Treppe hinab, faßte ihn unten beim Genick und packte ihn in den Stall, dessen Thür er von außen verriegelte.

Wohin sollte er gehen? Wo warten, bis die Bäuerin mit Sepp fertig war? Sein suchendes Auge fiel auf die noch offen stehende Hinterthür.

»Ah!« lachte er in sich hinein! »Das paßt mir gut! Sie wird ihre Stubenthür offen haben. Ich weiß, was ich thu; mag kommen, was da will.«

Er ging in das Wohnhaus und da leise die Treppe empor. Als er an der Thür der Bäuerin probirte, ging diese auf. Er trat ein und kroch unter das altväterische Kanapee, welches lang genug für ihn war. Die herunterhängende Decke verbarg ihn vollständig.

Die Bäuerin hatte ihm einen wüthenden Blick nachgeworfen. Zwar hörte sie, daß er draußen einen Wortwechsel mit dem Bastian hatte; aber sie achtete gar nicht darauf. Sie wendete sich zu Sepp, und zwar mit einem Blicke, in welchem die grimmigste Feindschaft lag.

»Nun hab ich Dich allein, alter Gleisner und Heuchler! sagte sie. »Jetzt stehst mir Rede!«

»Wann ich will!« antwortete er.

Dabei griff er nach seiner Jacke, zog seine alte Pfeife und den Tabaksbeutel hervor und begann, sich gemächlich die Pfeife zu stopfen. Das erhöhte ihre Wuth.

»Hier wird nicht geraucht!« rief sie.

»Rauch ich denn?«

»Du willst ja!«

»Bis jetzt stopf ich nur.«

»Wannst mich ärgern willst, schmeiß ich Dich hinaus!«

»Das müßt schön ausschaun. Das war ein Gaudium! Wollens doch mal versuchen, Bäuerin!«

»Ich kann schon Ernst machen. Vorher aberst sagst mir, wo Du heut Abend gewest bist!«

»Hm! Im Kronenhof.«

»Sonst nirgends?«

»Nein.«

»Nicht in Oberdorf?«

»Was sollt ich dort?«

»Das wirst wissen!«

Jetzt aber blickte er sie an, fest und lange Zeit. Sie senkte den Blick vor dem seinigen. Dann sagte er:

»Schau, Bäuerin, Du könntest denken, dera Sepp fürchtet sich vor Dir, und das darf nicht sein. Darum will ich Dir keine Unwahrheiten sagen. Gieb mal her!«

Er nahm ihr die Laterne aus der Hand, öffnete sie und brannte sich seine Pfeife an.

»Sollst nicht rauchen! Thu die Pfeif weg!«

Er machte die Laterne wieder zu, setzte sie auf die Diele nieder, that einige kräftige Züge und antwortete:

»Höre, ich will Dir mal was sagen: Dera Wurzelsepp hat grad jetzt Lust, seine Pfeif zu rauchen. Wannst ihm das verbieten willst, so versuchs! Dann kannst sehen, was geschieht.«

»Nun, was soll geschehen?«

»Ich werf Dich hinaus.«

»Du – mich –«

»Ja. Mit Dir wird nicht gefackelt! Was hast Dich um mich zu kümmern? Warum kommst bei nachtschlafender Zeit und störst mich in dera Ruhe?«

»Weil ich wissen will, wast heut getrieben hast.«

»Das kannst derfahren.«

»Nun?«

»Frag nur! Ich werd antworten.«

»Gut. Hast wirklich schlafen?«

»Nein.«

»So warst fort?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Nach Oberdorf.«

»Ah! Zu wem?«

»Zum Pfarrer.«

»Donnerwetter! Was hast dort gewollt?«

»Meine Wette gewinnen.«

»Ach so! Welche?«

»Die ich mit Dir macht hab.«

»Den Samiel fangen?«

»Ja.«

»Nun, die gewinnst halt nicht.«

»Oho! Ich hab sie schon gewonnen!«

»So zeigs einmal!«

»Ich hab den Samiel!«

»Wo denn?«

»Hier. Da steht er.«

Er deutete auf sie.

»Ich?« lachte sie. Aber dieses Lachen klang gellend und angstvoll.

»Ja, Du! Willsts leugnen?«

»Sepp, ich bin überzeugt, Du mußt ins Irrenhaus!«

»Und Du ins Zuchthaus!«

»Du bist wirklich überschnappt!«

»Nein. Weißt, wir wollen keine unnütze Reden machen. Mit Dir ists halt aus. Ich habs dem Fritz verzählt, daß er dera Sohn ist. Er weiß Alles. Er hat Dich gestern als Samiel erkannt. Er ist auch vorhin mit in Oberdorf gewest. Dera Pfarrer hat das Geldl in die Taschen steckt und Dir das Couvertl mit meiner Schrift hinlegt. Wir wissen Alles, Alles! Für Dich giebts keine Rettung mehr!«

Sie blickte ihm starr in das Angesicht. Sie hatte das Gesicht einer Leiche.

»Schau, wiest derschrickst!« sagte er. »Die Straf kommt bereits jetzt. Wie wirds erst dann später sein. Es wird Alles über Dich zusammenbrechen. Dera Bauer thut mir leid. Ich bin sein ältester Freund und möcht ihm gern die fürchterliche Schand dersparen. Darum will ich Dir einen guten Rath geben.«

Er sah sie an, ob sie antworten werde. Sie machte ein Gesicht wie eine Wahnsinnige, ob vor Wuth oder Schreck, das war nicht zu entscheiden. Mit sichtbarer Mühe stieß sie hervor:

»Sag den Rath!«

»Es ist nur ein kleines Wörtle. Das lautet: Stirb!«

Da stand sie langsam auf.

»Sterben soll ich?«

»Ja, und zwar noch heut!«

»Ah! Das sagst mir, mir, mir!«

»Ja, Dir sage ich es. Ich will Dir auch noch Zeit geben, Deine Sach in Ordnung zu bringen. Du sollst noch einen Tag und eine Nacht leben können. Mach da so viel wie möglich gut. Wannst aber dann am Morgen noch nicht todt bist, so – – –«

»So – – nun, was soll dann geschehen?«

»So laß ich Dich arretiren!«

»Das klingt gar wunderbar! Die Kronenbäuerin soll arretirt werden!«

Sie schlug ein schrilles Gelächter auf.

»Immer lach! Es ist das letzte Mal!«

»Die Kronenbäuerin! Weil ein alter Landstreicher so verrückt ist, sie für den Samiel zu halten!«

»So bists wohl nicht?«

»Nein, und tausendmal nein!«

»Ich beweise es!«

»Womit?«

»Das ist meine Sach!«

»Ja, so sagst, weilst gar nix weißt!«

»Ich werd mich hüten, Dir Alles zu sagen. Ich wiederhols Dir nochmals: Stirb, dann kann man die Sach vielleicht vertuschen, und Du erhältst ein ehrliches Begräbniß. Willst das nicht, nun, so kommst in das Gericht und in die öffentlichen Verhandlungen. Dann kannst stolz darauf gewest sein, daßt Du Kronenbäuerin gewest bist.«

»Schön! Hast mir noch was zu sagen?«

»Nein, kannst gehen!«

»Du – Du willst mich hinausweisen?«

»O nein! Aberst es ist für Dich besser, wannst gehst. Ueberleg Dir meinen Vorschlag genau.«

Er wendete sich von ihr ab, dem Fenster zu. Sie stand da, lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen. Dann trat sie herbei, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in einem höhnisch freundlichen Tone:

»Lieber Sepp, bist mir bös?«

»O nein! Du dauerst mich nur!«

»So! Dann bin ich zufrieden. Ich hab Dich immer so sehr lieb gehabt. Es thät mir die Seel zerschneiden, wannst mir bös wärst. Thätst wir eine Bitt erfüllen?«

»Kann ich denn?«

»Ja.«

»So sag sie mir!«

»Gehst mit mir zu Grabe, wenn ich todt bin?«

»Ja.«

»Und nachhero, wann dera Bauer sich wieder eine Frau nimmt, bist auf der Hochzeit mit?«

»Auch!«

»Schön! So ist dann auch mein Mann versorgt. Du thätst mir einen großen Gefallen, wannst gleich auf dem Kronenhof wohnen bliebst!«

»Diese Bitt kann ich Dir leider nicht erfüllen. Ich hab zu viele Leutln, die ich dann und wann besuchen muß.«

Er gab diese Antworten in seiner treuherzigen Weise, obgleich er ganz genau wußte, wie sie ihre Worte meinte.

»Ja,« höhnte sie, »die Menschheit hält gar so große Stuckeln auf Dich, darum sollst eben mit mir zu Grab gehen, oder – – wannst vielleichten eher sterben sollst als ich, so geh ich mit dem Deinigen Sarg!«

»Kann auch sein. Sind wir nun fertig?«

»Ich mit Dir, ja.«

»Und ich mit Dir auch. Gute Nacht!«

»Schlaf wohl, mein guter Sepp! Also noch einen Tag und eine Nacht?«

»Ja, keine Stunde länger. Merks gut.«

Sie nahm ihre Laterne und verließ unter einem höhnischen Gelächter die Kammer. Als sie unten an der Treppe ankam, hörte sie ein Klopfen von innen an der Stallthür. Sie öffnete und sah, das Bastian der Klopfer war.

»Was giebts? Wer hat Dich einschlossen?«

»Dera Fritz, der Hallunke.«

»Wie ist das kommen?«

»Weil – weil er meint, daß ich horcht hab.«

»Und das hast wohl auch than?«

»Ja. Ich wollt wissen, was es da oben für einen Lärmen gab.«

»So! Wohin ist dera Fritz gangen?«

»Ich weiß es nicht.«

Da trat sie nahe an ihn heran und flüsterte ihm zu:

»Schleich Dich hinter mir her! Kommst mit auf meine Stuben. Ich hab Dir was zu sagen!«

Sie ging mit der Laterne weiter und löschte sie an der Hinterthür aus. Dort wartete sie, bis der Bastian kam und verriegelte sie dann, worauf die Beiden leise nach der Schlafstube der Bäuerin gingen.

Sie trat zum Fenster, machte den Vorhang nieder und verhüllte es außerdem noch extra. Dann brannte sie ein Licht an. Als sie das auf den Tisch gestellt hatte, sank sie müd und schwer auf das Kanapee nieder, unter welchem Fritz verstohlen lag.

Der Bastian stand vor ihr und betrachtete sie aufmerksam. Sie blieb lange, lange sitzen, ohne ein Wort zu sagen.

»Kätherl,« begann er, »was ist mit Dir?«

Sie holte tief Athem. Dann antwortete sie.

»Bastian, Du hast mir oft sagt, daßt mich lieb hast. Ist das auch gewiß wahr?«

»Lieber als mein Leben!«

»Ich kanns Dir glauben?«

»Sag, wie ichs Dir beweisen soll!«

»Du kannsts beweisen. Was könntest wohl alles für mich thun, lieber Bastian?«

»Eben Alles!«

»So! Stehlen zum Beispiel. Das hast schon than. Ob aber auch noch mehr? Sags doch mal!«

»Noch viel mehr!«

»Was denn zum Beispiel?«

»Todtschlagen.«

»Das thätest für mich?«

»Ja.«

»Wann ich Dich nun auf diese Probe stellen thät?«

»Probire es!«

»Das sagst mit solchem Tone? Es ist kein Spaß, einen Menschen um das Leben bringen!«

»Wann ich es für Dich thun kann, so ists für mich ein Spaß. Sags nur, wer sterben soll!«

»Komm, setz Dich her zu mir!«

Er setzte sich neben sie. Sie legte den Arm um ihn, drückte ihn an sich und flüsterte ihm zu:

»Bastian, Du bist dera einzige Mensch, den ich lieb habe. Die Andern sind Alle meine und auch Deine Feinde. Siehst das nicht ein?«

»Das hab ich längst wußt.«

»Und weißt, wer unser größter Feind ist?«

»Ja, dera Fritz.«

»Weil er Dich jetzt einschlossen hat?«

»Nicht derowegen. Er ist stets unser Feind gewest und denkt noch heut an unser Unglück.«

»Da hast freilich Recht. Es wär viel besser, wann er gar nicht hier wär.«

»Soll ich ihn fortschaffen?«

»Willst denn?«

»Darfsts nur befehlen.«

»Nein, befehlen thu ich Dir nichts. Dazu bist mir viel zu lieb. Aberst ich bitt Dich gar schön darum!«

»Ich werds thun.«

»Wirklich?«

»Ja, ganz gewiß. Gieb mir aber einen Kuß!«

Sie erfüllte seine Bitte. Dann fragte er:

»Wann denkst denn, daß ichs machen soll?«

»Bald. Es hat keine Zeit.«

»Heut noch?«

»Heut paßts nicht mehr. Aberst in nächster Nacht?«

»Ja, gern. Ich will froh sein, wann er weg ist. Du thust mir den größten Gefallen damit, daß er sterben soll. Ich hab den Kerl niemals dersehen konnt. Aber woran soll er sterben?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Soll ich ihn erschießen?«

»Vielleicht. Aber ein Messer macht weniger Lärm.«

»Gut! So will ich ihn lieber derstechen!«

»Es handelt sich aber nicht nur um ihn, sondern noch um einen Andern.«

»Wer ist das?«

»Der Sepp.«

»Ah der? Den soll ich auch todt machen?«

»Ja, unbedingt.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich mit ihm in dera Lotterien spiel.«

»Ah, schweig von dieser Lotterie!«

»Oho! Es handelt sich um eine halbe Million!«

»Keinen Pfennig gewinnst!«

»Wir bekommen den großen Gewinnst. Er hat es träumt, und so triffts auch ein.«

»Du bist doch ein Dummkopf!«

»So darfst mich nicht nennen, Bäuerin! Das kann ich nicht vertragen. Dumm bin ich nicht!«

»Na, schweig! So schlimm war es nicht gemeint. Ich hab halt nur sagen wollt, daßt einen Aberglauben hast; denn mit den Träumen ist es nix. Und wer weiß, ob er Dir die Wahrheit sagt hat.«

»Er hat mir nix weiß macht!«

»Und ich denk grad, daß er Dich belogen hat.«

»So möcht ich wissen, warum.«

»Ja, auch ich hab, seits mir sagt hast, darüber nachdenkt, aberst vergeblich. Ich kann den Grund noch immer nicht entdecken. Er ist Derjenige, welcher am Meisten bestrebt ist, den Samiel zu fangen.«

»Er? Donnerwetter! Das mag er bleiben lassen! Er ist ja kein Polizist. Wann er sich in diese Sachen mischen sollt, die ihm gar nix angeht, so hat er es halt mit mir zu thun!«

Das sagte er in drohendem Tone. Das war der Bäuerin willkommen, und darum fuhr sie fort:

»Er hat sogar gestern mit mir gewettet, daß er den Samiel binnen vierzehn Tagen fangen will.«

»So! Das hat er than! Ich werd ihm auf die Finger sehen und tüchtig darauf klopfen!«

»Und nun paßt er aufi, Tag und Nacht, mehr als er bereits früher than hat. Er hat auch einen Erfolg gehabt, denn er ist in Oberdorf gewest.«

»Etwa heut?«

»Ja, heut Abend, beim Pfarrer.«

»Alle Teufel! Als wir dort gewest sind.«

»Ja. Er ist schon eher dort gewest als wir.«

»So hat er gar nicht schlafen?«

»Nein. Er hat dem Pfarrer sagt, daß, dera Samiel kommen wird, um das Geld zu holen.«

»Das kann nicht sein, denn wenn das wäre, so hätten wir das Geldl ja gar nicht bekommen.«

»Haben wir es denn?«

»Ja doch.«

»Nein, wir haben nix, gar nix.«

»Ich hab doch den Geldbriefen selber ganz genau angesehen. Es waren sogar fünf Siegel darauf.«

»Das ist Betrug gewest. Weißt, was ich funden hab, als ich den Brief aufbrechen that?«

»Nun, was?«

»Das da.«

Sie stand vom Kanapee auf und ging zu der Kommode, auf welcher das Couvert und der Inhalt desselben lag. Sie gab ihm Alles in die Hand.

Er starrte das leere Papier und die Schrift eine ganze Weile sprachlos an und sagte dann:

»Das ist drin gewest, das?«

»Weiter nix.«

»Ein gewöhnlich Papier! Und was steht darauf?«

Er las laut und langsam vor:

»Pah!!!

Der Wurzelsepp.«

Die Bäuerin nahm ihm die Papiere aus der Hand, ballte sie zornig zusammen, warf sie auf die Diele, trat darauf und sagte:

»Nun siehsts mit eigenen Augen, wie er uns betrogen hat. Gefoppt find wir worden, gefoppt!«

»Himmeldonnerwettern! Das soll er entgelten!«

»Das denk ich auch!«

»Wie aber hat er denn wissen konnt, daß wir zu dem Pfarrer gehen werden, und grad heut?«

»Weiß ich es?«

»Aus sich heraus kann er es doch nicht haben!«

»Nein. Es giebt nur eine einzige Erklärung. Er war dabei, als dera Ludwig uns von dem Geldl verzählte, und da hat er es sich denkt.«

»So! Dann müßt er es doch ganz genau wissen, daß Du dera Samiel bist.«

»Er weiß es. Er hat das auch dem Fritz sagt, und dieser ist mit in Oberdorf gewest.«

»Auch dieser! O, dieser Heuchler!«

»Ja! Ich bin so zornig gewest, als ich diese seine Schrift lesen hab, daß ich gleich hinüber gerannt bin, um zu sehen, ob er vielleicht noch nicht daheim sei. Sie haben aberst mit nander bereits im Bette gelegen, doch nur zum Schein, denn sie hatten nur die Jacken auszogen und sogar noch die Halstüchern umibunden. Dann hab ich den Sepp ins Gebet genommen und ihn gezwungen, Alles zu gestehen.«

»Hat ers gestanden?«

»Ja. Und dann hat er mir eine Zeit von einem Tag geben; da soll ich mich ums Leben bringen. Wann ich das nicht thu, will er Anzeig machen.«

»Kätherl!« fuhr der Knecht erschrocken auf. »Das wirst doch nicht thun, Dich selbst dermorden!«

Er ergriff sie an beiden Händen und zog sie zärtlich an sich. Sie küßte ihn und antwortete:

»Nein. Schon Deinetwegen nicht, weil ich Dich gar so lieb hab. Ich werd mich gegen ihn wehren.«

»Dabei helf ich Dir. Ich helfe Dir!«

»Gut! Das hab ich von Dir erwartet. Aber weißt auch, worinnen die einzige Hilf besteht?«

»Nun?«

»In dem Tode. Niemand hat eine Ahnung, daß ich dera Samiel bin, Niemand als nur dera Sepp und dera Fritz. Wann Beide sterben, so sind wir sicher. Sie können dann nix ausplaudern. Oder weißt vielleicht einen andern Weg?«

»Nein. Ja, sie müssen sterben. Ich werd sie Beide tödten! Aber die Lotterie, die Lotterie!«

»Laß Dichs nicht dauern!«

»Das gar so schöne Geldl!«

»Es ist Schwindel. Kannsts mir glauben. Wir werden schon noch derfahren, was er dabei bezweckt hat.«

»Ich wär ein steinreicher Mann worden, und dann hättest Du mich ganz gewiß geheirathet.«

»Das thu ich auch ohne der Lotterie.«

»Ists wahr?«

»Ja, ich schwöre es Dir zu!«

»Heb dabei die Fingern empor!«

Er hatte die Ansicht, daß ein Schwur nur bei Beobachtung dieser Formalität Giltigkeit habe.

»Hier siehst sie! Also ich schwöre Dir zu, daßt mein Mann werden wirst, wann dera Bauer erst todt ist. Geld haben wir genug. Die Lotterie brauchen wir nicht dazu.«

Sie hatte wirklich die rechte Hand erhoben und streckte die drei Finger des Schwures empor.

»Gut! Jetzt glaub ich Dir. Aberst besser wär es doch, wann ich den Gewinnst hätte.«

»Nun, den kannst doch bekommen. Du kennst doch die Nummer.«

»Aber er muß mitspielen!«

»Das thut er auch. Er lebt ja noch! Ihr braucht nur das Loos zu bestellen. Wenn er es bestellt, so spielt er mit. Ob er dann nach der Bestellung stirbt, das thut ja nix.«

»Bestellt ist das Loos.«

»Auf welche Weis denn?«

»Durch einen Briefen, den er zur Stadt tragen hat und – – – Himmelsakkermenten! Da fallt mir was ein!«

Er sagte das, als ob er über den Gedanken, den er meinte, erschrocken sei.

»Was ists?« fragte sie.

»Er wollte den Brief gleich sofort in die Stadt tragen. Aber als ich dann in die Stube kam, sah ich ihn bei Dir und dem Ludwig unter dem Baum sitzen. Und auch nachhero ist er nicht in dera Stadt gewest.«

»Weißt das gewiß?«

»Ja. Er hat beim Abendessen doch selbst davon gesprochen, daß er am ganzen Nachmittag in dera Förstereien war. Er hat also den Brief gar nicht fortgetragen.«

»Schau, schau! Das ist kein gutes Zeichen. Was hat denn eigentlich in diesem Briefen standen?«

»Er war an den Collecteur in Hamburg richtet; die Nummer stand dabei und daß er sie schnell senden soll.«

»An wen? An den Sepp?«

»Nein, an mich.«

»So muß doch Deine Adressen bezeichnet sein?«

»Das war sie; mein Name und Wohnort.«

»So!« Hat dera Sepp das verlangt.«

»Ja, er hats so dictirt.«

Die Bäuerin fuhr erschrocken zurück.

»Dictirt! Er hat dictirt. Wer hat denn schrieben?«

»Ich.«

»Was! Bastian, Du hast den Briefen schrieben?«

»Ja, denn dera Sepp kann nicht schreiben.«

»O, o, jetzund wird mir Alles klar, Alles. Was hast für eine große Dummheiten macht!«

»Was für eine Dummheiten soll das sein?«

»Die allergrößte, die es nur geben kann! Dera Sepp kann schreiben, viel besser als Du!«

»Ists wahr?«

»Ja. Ich Hab ihn nicht nur einmal schreiben sehen.«

»Warum sollt er mich da belogen haben?«

»Um Deine Handschrift zu bekommen.«

Sie sagte das in erhobenem Tone. Nun erschrak auch der Knecht. Auch er durchschaute jetzt die Absicht des alten, schlauen Wurzelhändlers.

»Dieser Teufel!« stieß er hervor.

»Ja, er ist ein Teufel, ein Verführer und Versucher. Er hat Dich überlistet, der schlaue Fuchs!«

»Meine Handschrift, meine Handschrift hat er haben wollt! O, ich Esel, ich hundertfacher Esel!«

Er schlug sich mit der Faust an die Stirn.

»Ja, ein Esel bist gewest, mehr noch als ein Esel. Weißt denn, was er mit Deiner Schrift will?«

»Ja, vergleichen will er.«

»Mit der Schrift des Samiel. Und wer hat diese Zettel alle, die Du schrieben hast, in der Hand?«

»Das Gericht.«

»Ja, er will also mit dieser Schrift auf das Gericht gehen. Nun weißt genau, woran Du bist mit Deiner albernen Lotterien!«

Der Knecht setzte sich wieder auf das Kanapee und schwieg. Die Bäuerin ging hin und her, ohne zu sprechen. Erst nach einer Weile sagte Bastian:

»Kätherl, Du hast Recht. Du bist wiederum die Gescheidte und ich war der Dumme!«

»Diese Einsicht kommt leider zu spät.«

»Nein, nicht zu spät. Noch ist es Zeit.«

»Aber die allerhöchste Zeit.«

»Ja; sie soll aber nicht unbenutzt vorübergehen.«

»Willst also thun, was ich Dir sagte?«

»Ja. Auch dera Sepp muß sterben.«

»Versprich es mir mit dera Hand!«

»Hier hast sie! Dieser Kerlen soll es büßen, daß er mich betrogen hat. Ich erstech ihn noch heut!«

Der Schreck war bei ihm vorüber und hatte einem bedeutenden Zorne Platz gemacht.

»Heut nicht,« sagte die Bäuerin. Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Es ist schon zu spät dazu. So Etwas darf nicht im Zorn geschehen, sondern muß sehr gut überlegt werden. Dera kleinste Fehler kann verderblich sein.«

»Ich werd keinen Fehler begehen.«

»Das kannst jetzt nicht wissen. Der Fritz und der Sepp sind heut vorsichtig. Beide sind aufgeregt. Wer weiß, wann sie einschlafen. Nein, nein! Heut darf es nicht vorgenommen werden.«

»Aber ists denn morgen nicht zu spät?«

»Nein, denn dera Sepp hat mir ja bis zum frühen Morgen Zeit geben. Du schleichst Dich in dera Nacht hinein und machst sie stumm!«

»Aber was sollen die Leut denken, wann dera Mord geschehen ist?«

»Daß dera Samiel es war. Du legst einen Zettel hin, wie gewöhnlich. Und während Du das thust, hol ich mir dem Fremden seine Sachen. Er hat viel Juwelen bei sich. Auch ihm leg ich den Zettel hin. Dazu müssen wir Beid die Kleider des Samiel anhaben. Dann, wann derselbige bei uns einbricht und bei uns einen doppelten Mord vollbringt, kann kein Mensch ahnen, daß wir Beiden es sind.«

»Kätherl, was bist Du für ein schlaues Weibsbild! Ich komm noch lange nicht an Dich heran!«

»Also mußt immer nur das thun, was ich Dir sag. Merk Dir das gut für alle Zeiten!«

»Aber wie willst zu den Herrn Ludwig kommen?«

»Ganz leicht, durch den Ofen. Wann ich diesen zur Seite schieb, bin ich gleich in seiner Schlafstuben.«

»Das weiß ich wohl, daßt da hineinkannst. Aber es ist möglich, daß dadurch dera geheime Eingang entdeckt wird.«

»Ich werd vorsichtig sein. Auf eine andere Weis kann ich nicht hinein; denn es ist wohl gewiß, daß er seine Thür zuschließen wird. Aber wanns vorüber ist, geh ich zur Thür hinaus, die ich ja öffnen kann.«

»Machsts heimlich?«

»Wanns geht, ja.«

»Besser wär es, wann er Dich sehen thät, denn da wüßt er, daß es dera Samiel ist.«

»Hast Recht. Ich werd ihn also wecken.«

»So kann er sich aber auf Dich werfen. Er ist lang und breit und scheint sehr stark zu sein.«

»Ich müßt sehr dumm sein, wann ich mich von ihm anfassen lassen wollte. Erst raub ich ihn aus; dann mach ich mir recht leise alle Thüren auf und geh nachhero an sein Bett zurück, um ihn zu wecken. Ich sag ihm, daß ich dera Samiel bin und eil aber sogleich hinaus. Die Thür verschließ ich hinter mir, so daß er mir nicht nachfolgen kann.«

»Ja, das ist gut. Aber er wird Lärm machen!«

»Was thut das? Ich lauf schnell in den Garten, wo Du auf mich warten mußt, denn wir richten es so ein, daß Du eher fertig bist als ich. Da geb ich Dir rasch die Kleider, welche Du fortschaffst, und ich eil in das Haus zurück. Wann er um Hilfe schreit, so wird eine große Verwirrung entstehen, bei welcher es Niemandem einfallen kann, grad besonders auf mich zu achten.«

»Das ist freilich wahr.«

»Dann komm ich ganz erschrocken auch herbei, nur halb angezogen, und Jedermann wird da denken, daß ich schlafen hab.«

»Wollen hoffen, daß Alles grad so ablaufen thut, wie Du jetzund sagt hast.«

»Es wird und muß gelingen. Mach Du nur Deine Sach richtig, und hab nicht etwan Mitleid mit den beiden Kerls!«

»Das fallt mir gar nicht ein. Ueber mich sollst nicht zu klagen haben. Sei Du nur auch klug!«

»Ich werd mich vorsehen.«

»Man kann nicht in die Zukunft schauen. Wie nun, wann dera Herr Ludwigen aufi wacht, ehe Du es denkst und Dich ergreift?«

»So nehm ich die Pistolen mit und schieß ihn gleich über den Haufen. Sie sind noch scharf geladen, denn wir haben sie heut nicht braucht.«

»Ja, nimm sie mit. Bester ist besser. Und auch ich werd vorsichtig sein. Ich werd die Beiden nicht derstechen, sondern derschlagen, und zwar mit einem fremden Beil.«

»Woher willsts nehmen?«

»O, ein Beil ist gar leicht zu bekommen, ein Rasiermesser aber nicht. Weißt, es soll mir ein wahres Gaudium sein, wann ich die Kerls todt vor mir liegen seh! Am Allerliebsten möcht ich sie gleich heut noch umbringen.«

»Das geht ja nicht. Du weißt nicht mal, ob dera Fritz wieder in seiner Kammer ist.«

»Warum ging er fort?«

»Weil ich es ihm befohlen hab. Ich wollt mit dem Sepp allein sein, denn ich hab nicht denkt, daß auch dera Fritz schon Alles weiß. Dieser lauft nun vielleicht im Garten oder Feld herum, und wann er heimkehrt, muß Alles in Ordnung sein. Er darf nicht bemerken, daßt bei mir gewest bist. Darum kannst jetzt nicht länger hier bleiben und mußt in den Stall. Wir haben ja nun gar nix mehr zu besprechen.«

»Hast Recht. Ich wär zwar gern noch eine Stund bei Dir blieben; aber wir müssen klug und vorsichtig sein. Weißt, am Besten ists, daß Du mich wiederum einriegelst in den Stall. Wann dann dera Fritz zurückkehrt, so sieht er, daß dera Riegel noch vorgeschoben ist, und wird nicht ahnen, daß ich indessen bei Dir war.«

»Du hast freilich sehr Recht. Auf diesen Gedanken wär ich freilich nicht kommen. Also komm mit hinab, wollen gehen.«

Sie schlichen sich leise hinaus, die Treppe hinab und zur Hinterthür hinaus. Nichts konnte dem lauschenden Fritz willkommener sein, denn auf diese Weise konnte er sich auch unbemerkt entfernen. Er kroch unter dem Kanapee hervor und huschte hinter ihnen her, und zwar so schnell, daß er bereits auf der Treppe stand, als sie die Hinterthür öffneten.

Während sie nun über den Hof nach dem Stalle gingen, trat auch er hinaus und schlich sich schnell an der Mauer hin, bis er sich in sicherer Entfernung befand. Er sah die Bäuerin zurückkehren und hörte, daß sie die Thür verriegelte. Er wartete noch eine Weile und ging dann mit lauten Schritten über den Hof. An der Stallthür blieb er stehen, öffnete den Riegel und trat hinein, als ob er sehen wolle, wo der Bastian sei. Dann ging er fort, ohne den Riegel wieder vorzuschieben. Der Knecht mußte denken, daß er erst jetzt zurückgekommen sei. Jedenfalls sagte er das am Morgen der Bäuerin, und so konnten Beide nicht ahnen, daß er sie belauscht hatte.

Der Sepp saß noch am Fenster. Er hatte sich noch nicht wieder niedergelegt.

»Kommst endlich!« sagte er. »Wo hast denn eigentlich steckt in dera langen Zeit?«

»Bei der Bäuerin in ihrer Schlafstuben.«

»Pah! Ich Hab Dich doch von dem Garten herbeikommen sehen.«

»Das war Schein. Sepp, was hab ich hört!«

»Was denn?«

»Wir sollen dermordet werden.«

»Das weiß ich schon.«

»Von wem?«

»Von dera Bäuerin.«

»Hat sie Dir droht?«

»Direct nicht; aberst aus ihren Reden könnt ich leicht merken, was sie sich dabei dacht hat.«

»Was hat sie denn noch bei Dir wollt?«

»Mich ausfragen, weiter nix. Hör zu!«

Der Sepp erzählte ihm seine Unterredung mit der Bäuerin, und sodann berichtete Fritz, was er unter dem Kanapee erlauscht hatte. Der Alte hörte ihm schweigend zu und sagte, selbst als der Bericht beendet war, kein Wort. Erst nach einer ganzen Weile meinte er:

»Mein lieber Herrgott! Also so stehts! So weit ists mit dera Kathrin' kommen! Da war es freilich eine Sünd, sie nur noch eine Stund zu schonen. Nicht nur wir Zwei befinden uns in größter Gefahr, sondern dera König auch. Ich werd ihm gleich früh Alles verzählen.«

»Ja, das mußt, damit er sich darnach zu richten hat.«

»Wir werden die Beiden auf frischer That ertappen. Meinst nicht?«

»Ja.«

»Und das mit dem Ofen wollen wir uns gut merken. Nun weiß man wenigstens, wie sie hereinkommen kann in die Schlafstuben des Königs. Wer hätt das noch gestern, als ich hier ankam, denken können, daß solche Sachen geschehen. Ich hab die Bäuerin immer für eine leichtsinnige Frau gehalten, für den Samiel und für so eine Gottlose aber nicht.«

Die Beiden saßen bei einander, bis der Tag anbrach. Es war ihnen unmöglich, zu schlafen. Sie verließen aber die Kammer erst dann, als das andere Gesinde auch bereits munter war. Dann begab Fritz sich an seine tägliche Arbeit.

Sein Mitknecht gönnte ihm keinen Blick, desto größere Aufmerksamkeit aber widmete Fritz ihm. Er wollte aufpassen, was der Bastian in Betreff des Beiles thun werde.

Der Sepp begab sich zum Könige, sobald er bemerkte, daß dieser aufgestanden sei. Er war fast eine ganze Stunde bei ihm und kam dann zur Bäuerin, um zu fragen, ob der Herr Ludwig nicht einen Wagen bekommen könne, um nach der Stadt zu fahren. Sie gab den Befehl, daß der Staatswagen angespannt werden solle. Fritz solle kutschiren. Nach einiger Zeit fuhr der König ab und kam erst gegen Mittag wieder.

Als Fritz dann die Pferde ausschirrte und sich bei ihnen im Stall befand, kam Sepp zu ihm.

»Hat dera König mit Dir sprochen?« fragte er.

»Ja, und so lieb und freundlich. Ich hab ihm meinen ganzen Lebenslauf verzählen müssen.«

»Und von heut Abend hat er Dir sagt, was Alles geschehen soll?«

»Ja.«

»Du hast einen schlimmen Posten.«

»O, ich denk nicht, daß eine Gefahr dabei ist.«

»Nein, wannst Dich still verhältst, nicht. Du hast grad solches Haar und fast einen solchen Bart wie der hohe Herr. Ein Licht wird nicht brennen, und wannst Dich dann ins Bett legst und ihr nicht grad das ganze Gesicht hinhältst, so wird sie glauben, daß Du wirklich dera Herr Ludwigen bist.«

»Was wird sie verschrecken, wann sie Alles sieht und erkennt!«

»Darauf freu ich mich königlich!«

»Und dem Bastian wirds in unsera Kammern ebenso ergehen wie ihr. Hast aufipaßt, ob er heimlich mal fortgewest ist?«

»Er ist nicht einen Augenblick aus dem Hof wegkommen. Ich kann mir ungefähr denken, wo er sich das Beil holen wird.«

»Wohl aus dera Schmiede?«

»Ja. Die Werkstatt ist offen bei Tag und Nacht. Warum auch nicht? Kein Mensch wird den Ambos forttragen. Und ich weiß ganz genau, daß hinten in dera Eck unter dem Blasebalg allerlei altes Eisenwerk liegt. Da ist sicher auch ein Beil dabei. Jetzt will ich gehen, damit man uns nicht bei einander findet.«

In den ersten Stunden des Nachmittages kam der Förster. Er wollte wegen des bei ihm verübten Einbruches in die Stadt und kehrte unter dem Baume ein.

Er saß einige Zeit bei dem Bauer und der Bäuerin. Seinen erregten Mienen und Gesticulationen war leicht anzusehen, in welch einer grimmigen Verfassung er sich befand.

Grad als er gehen wollte, kam ein Gensdarm vorüber. Es war nicht der in dieser Gegend stationirte Beamte, sondern einer, den man hier noch nicht gesehen hatte. Den Abzeichen nach, welche er trug, bekleidete er einen höheren Rang.

Die drei unter dem Baume sitzenden Personen wurden nicht gewahr, mit welchem Interesse er bereits von Weiten den Bauerhof heimlich betrachtete. Als er die Bäuerin erblickte, murmelte er leise:

»Diese Frau ist schön, steht in der Mitte der Dreißiger – es stimmt. Sie muß es sein. Ich thu, als ob ich vorübergehen wolle. Der Kleidung nach ists der Förster, der mit da sitzt.«

Er schritt, ohne nach den Dreien zu blicken, seines Weges fürbaß. Da rief der Förster ihm zu:

»Herr Schangdarm, wohin?«

»Nach dem Forsthause,« antwortete der Gefragte. »Das ist hier doch der richtige Weg.«

»Ja. Wollens etwa zum Förster?«

»Zu ihm, ja. Ich habe mit ihm zu reden.«

»So könnens herbeikommen. Ich bin dera Förster und kann Ihnen den Weg ersparen.«

»Das freut mich. Ich bin so sehr beschäftigt, daß diese Ersparniß mir sehr lieb ist.«

Er kam herbei und wurde aufgefordert, sich zu setzen. Der Förster sagte:

»Ich will jetzt eben nach dera Stadt, um mich zu erkundigen, wie es steht.«

»So brauchens nicht weiter zu gehen. Ich bin zu Ihnen gesandt worden, Sie zu benachrichtigen.«

»Das ist mir lieb. Aber ich kenne Sie gar nicht. Ich habe Sie hier noch nie gesehen!«

»Ich bin allerdings nicht hier stationirt, sondern drüben in Heinigsfeld. Ein Dienstweg führt mich her.«

»Wegen dem Samiel?«

»Ja.«

»Hats was Neues geben? Ist was entdeckt?«

»Glücklicher Weise, ja. Haben Sie bereits gehört, daß er in letzter Nacht wieder eingebrochen ist?«

»Nein, kein Wort. Wo denn?«

»In Oberdorf beim Pfarrer; aber das ist ihm nicht geglückt, denn der Pfarrer ist gewarnt worden.«

»Von wem?«

»Das weiß man nicht. Der geistliche Herr will es nicht verrathen, weil er meint, daß sich der Samiel dann an dem Warner rächen werde.«

»Das steht freilich zu erwarten.«

»Nun nicht mehr, denn der Samiel ist unschädlich gemacht worden.«

»Alle Teufel! Hat man ihn fangt?«

»Ja.«

»Ists wahr, ists möglich?«

»Ich kann es Ihnen versichern, denn ich selbst war es, der ihn arretirt hat.«

»Sie selbst! Gott sei Dank! Wann denn?«

»Heut am Vormittage.«

Das Gesicht, welches die Bäuerin machte, war gar nicht zu beschreiben. Schon vorher, als der Gensdarm sagte, daß der Pfarrer den Warner nicht verrathen wolle, war es wie eine stille Befriedigung über ihr Gesicht gegangen. Jetzt, aber, da sie vernahm, daß der Samiel gefangen worden sein solle, kam und ging das Blut in ihren Wangen. Sie wurde bald roth und bald blaß, beugte sich weit vor und las dem Gensdarm die Worte förmlich von den Lippen.

Dieser beobachtete sie scharf, aber so, daß sie es gar nicht beachtete.

»Wer ists denn, wer?« fragte der Förster.

»Der Viehhändler Thierbach.«

»Der! Ah, den kenne ich! Ein reicher Kerlen, aberst ein Trinker und Krawaller wie kein Zweiter. Nun weiß man ja, woher sein Reichthum stammt. Hat er es gestanden?«

»Nein. Der Mensch war äußerst renitent und hat sich seiner Verhaftung in einer Weise widersetzt, daß wir ihn fesseln mußten. Seine Bestrafung wird dadurch wohl nicht eine mildere werden.«

»Dera Kerl muß hingerichtet werden.«

»Wenn auch vielleicht das nicht; aber lebenslängliches Zuchthaus ist ihm gewiß.«

»Wie hat er sich denn verrathen?«

»Durch das von Ihnen gestohlene Geld.«

»Hurjesses! Mein Geld! Ists da!«

»Ja.«

»Und ich bekomms wieder?«

»Natürlich. Ich selbst habe es gezählt und mit dem Gefangenen dem Gericht überliefert. Es war genau so viel, wie Ihnen gestohlen worden ist. Die Scheine steckten auch in einer Brieftasche, genau wie die beschriebene.«

»Das ist gut, das ist gut! Das kann mich gefreun! Ah, das ist schön!«

Der Förster war ganz außer sich vor Entzücken. Der Gensdarm nickte ihm befriedigt zu und fuhr fort:

»Ich bin von Seiten des Gerichts sofort beauftragt worden, mich zu Ihnen zu begeben, um Ihnen den Sachverhalt zu melden.«

»Schön, schön! Das sollens nicht umsonst than haben. Ein solcher Weg muß bezahlt werden. Wann man dreißigtausend Mark rettet, kann man nobel sein. Hier habens ein Geschenk!«

Er zog den Beutel und legte dem Beamten eine Mark und einen Fünfzigpfenniger hin. Dieser aber schob ihm das Geld lächelnd wieder zu und sagte:

»Behalten Sie es nur, Herr Förster!«

»Warum denn?«

»Erstens ist es mir verboten, ein Geschenk anzunehmen, und zweitens steht die Höhe dieser Gratifikation nicht im Verhältniß zu der Summe, die ich Ihnen gerettet habe.«

»Wie meinens das? Ists zu wenig?«

»O nein, sondern im Gegentheile zu viel. Mit fünfzig Pfennigen hätten Sie ganz gut Ihre Schuldigkeit gethan.«

»Das will ich nicht; ich bin gern nobel. Nehmens nur die Kleinigkeit!«

Er schob ihm das Geld wieder zu; da aber gab ihm die Bäuerin einen Fußtritt und rief:

»Dummkopf! Merkst denn nicht, daßt nur auslacht wirst!«

»Auslacht? Von wem?«

»Von mir und auch vom Schangdarm. Für dreißigtausend Mark giebt man nicht fünfzehn Groschen. Verstanden, alter Knauserig!«

»So? Wieviel denn?«

»Ein paar hundert Mark!«

»Bist grün im Kopf!« rief er erschrocken.

»Du aber hinter den Ohren. Wann man einem Kellner im München für ein Bier, welches zwanzig Pfennige kostet, oft fünf Pfennige Trinkgeld giebt, wie ich hört hab, daß manche noble Herren es so machen, so kannst Dir ausrechnen, was das bei dreißigtausend Mark betragen thät.«

»Hier handelt es sichs nicht um ein Bier. Ich gab keinem Kellner einen Pfennig, und ich hab auch für mein Geld nix zu zahlen. Ich muß es ganz umsonst bekommen. Wann ich also anderthalb Mark freiwillig gab, so ist das sehr angenehm und nobel!«

»Da haben Sie sehr recht,« bestätigte der Gensd'arm, »da ich aber nichts annehmen kann, so muß ich das Geld zurückweisen. Geben Sie es der Ortsarmenkasse!«

Da griff der Förster schnell zu, steckte das Geld ein und sagte:

»Das kommt mir gar nicht in den Sinn! Meine Ortsarmenkasse ist hier meine Tasche. Ich bin kein Rothschild und kann mein Geld schon selberst brauchen. Nun aber sagens doch, wie Sie auf diesen Viehhändler kommen sind.«

»Sehr einfach. Sie hatten das Geld bei einer Lotterie gewonnen, und die Polizei telegraphirte sofort an die betreffende Stelle nach den Nummern der Kassenscheine, welche Ihnen ausgezahlt worden waren.«

»Hat man denn die Nummern wußt?«

»Ja. Solche Leute notiren sich die Nummer jedes Werthpapieres, welches durch ihre Hände geht.«

»Das ist sehr praktisch, und ich will es mir merken. Unsereiner kann das ja auch machen.«

»Wenn jeder Privatmann diese Vorsicht anwendete, so hätten wir Polizisten sehr oft viel leichteres Arbeiten. – Also wir bekamen die Nummern geschickt und merkten sie uns. Sie wurden allen Geld-, und Kaufleuten mitgetheilt. Gestern Abend nun meldete mir ein Kaufmann, daß der Viehhändler einen der bezeichneten Scheine bei ihm habe wechseln lassen. Ich überzeugte mich, daß es wirklich einer der Ihnen gestohlenen sei, und machte mich sofort mit mehreren Kameraden auf den Weg, den Viehhändler zu vernehmen.«

»Zu arretiren!«

»Nein. Er konnte das Geld doch auch von einem Anderen erhalten haben. Wir kamen sehr spät hin und fanden ihn nicht zu Hause, doch besetzten wir heimlich seine Wohnung.«

»Ich kann mir denken, wo er steckt hat,« bemerkte die Bäuerin, welche jetzt zum ersten Male das Wort nahm.

»So? Nun, wo?«

»Er ist während dieser Zeit beim Pfarrer in Oberdorf gewest, um einzubrechen.«

»Sie haben es errathen, obgleich er das leugnete.«

»Er wird sich hüten, Etwas einzugestehen, wobei man ihn nicht ertappt hat!«

»Ich hoffe, daß es dem Richter gelingen werde, ihn zu überführen. Als er nach Hause kam, war es fast heller Tag. Wir nahmen ihn fest und fanden eine Summe von dreißigtausend Mark bei ihm. Nur der eine Schein fehlte, welchen er ausgegeben hatte. Natürlich wurde er nun strenger gefragt. Er konnte sich über den rechtlichen Erwerb dieses Geldes nicht ausweisen, und bei einer Durchsuchung seiner Wohnung fanden wir nicht nur allerlei fremdes Gut, was jedenfalls von früheren Einbrüchen herrührt, sondern auch einen dunkeln, breitkrämpigen Hut, wie der Samiel ihn zu tragen pflegt, und endlich auch eine schwarze Sammetmaske. Damit war es natürlich erwiesen, daß er der Samiel ist.«

»Ganz recht, ganz recht! O, wie mich das gefreut, wie mich das gefreut!« rief die Bäuerin.

Sie befand sich fast in Extase. Der Ausdruck ihrer Freude war ein so lauter und auffälliger, daß der Gensdarm sie verwundert anblickte. Sie bemerkte das und erröthete verlegen. Sie erröthete verlegen. Sie erkannte, daß sie irgend Etwas zur Entschuldigung ihres Verhaltens sagen müsse. Darum fragte sie:

»Wunderns sich etwa über meine Freude?«

»Ein Wenig, ja, wie ich offen gestehe.«

»Nun, es muß sich doch Jedermann freuen, daß dieser Kerl endlich ergriffen worden ist!«

»Allerdings; aber selten wird diese Freude sich in so stürmischer Weise Luft machen.«

»Je größer die Sorge vorher, desto größer die Freud nachher.«

»Das gebe ich auch zu. Aber Sie glühen ja förmlich vor Entzücken!«

»Das liegt nun einmal in meiner Naturen. Ich bin ein Wenig feurig in Allem. Sie müssen nur bedenken, in welcher Aengsten grad wir hier in dieser Gegend schwebt haben. Unser Hof ist als dera größte und reichste bekannt. Wie leicht könnt da dera Samiel auf den Gedanken gerathen, grad uns mal einen Besuch abzustatten, zumal –«

Sie hielt inne.

»Sprechen Sie weiter!« forderte er sie auf.

Sie fügte in gesenktem Tone hinzu:

»Zumal er schon mal bei uns gewest ist.«

»Ah! Davon weiß ich gar nichts.«

»Es ist bereits lange her. Er hat nix wegtragen könnt, denn mein Mann hat ihn derwischt.«

»Das ist mir interessant! Da ist es wohl gar zu einem Kampfe gekommen?«

»Ja. Er hat meinen Mann in die Augen schossen, daß dieser seit dera Zeit blind ist.«

»Wie schrecklich! Das wird nun natürlich auch mit zur Sprache kommen. Da hat er also sich damals ohne Raub zurückziehen müssen?«

»Er hat gar nix mitnehmen konnt, weil durch den Schuß die Leut herbeirufen worden sind. Er hat wußt, daß wir damals ein hübsches Geld liegen hatten und sich dasselbige holen wollen.«

»So wäre es freilich zu wünschen gewesen, dieser Diebstahl wäre ihm gelungen, anstatt daß er, um sich zu vertheidigen, Ihren Mann blind gemacht hat. Das Geld läßt sich weit eher verschmerzen, als das Augenlicht.«

Der Bauer hustete leicht und bemerkte mit zitternder Stimme:

»Die Sach hat damals doch was anders legen.«

»Wie denn?«

»Er mag wohl nicht wegen dem Geld kommen sein, sondern aus einem andern Grund.«

»Dürfte ich diesen erfahren?«

»Es ist eine Familiengeschicht, und ich red nicht wieder davon. Was ich zu tragen hab, das will ich tragen; dera Herrgott wird der Richter sein.«

Dieser Ausgang ihrer Bemerkung war der Bäuerin keineswegs lieb. Sie sah, daß der Gensdarm sie forschend anblickte. Darum sagte sie in energischem Tone:

»Kommst wieder mal auf die alte Geschichte zurück! Um Familiensachen hat es sich damals nicht gehandelt.«

»Um was denn sonst? Um das Geld auch nicht.«

»O ja! Wenn sichs um die Familie gehandelt hätt, so wär doch nur allein ich gemeint, denn sie besteht ja nur aus mir und Dir!«

»Freilich wohl!«

Bei diesen in ruhigem, ergebungsvollem Tone gesprochenen Worten lehnte der Bauer den Kopf nach hinten an den Baum und machte mit der Hand eine Bewegung, welche bedeuten sollte:

»Ich weiß doch, was ich weiß; aber ich halte es für das Beste, kein Wort darüber zu verlieren.«

Das ergrimmte seine Frau. Sie fühlte sich als still Angeklagte und sagte in betheuerndem Tone:

»Gott ist mein Zeuge, daß Deine Erblindung mir ebenso viel Leid bracht hat wie Dir. Wann es eine ewige Gerechtigkeiten giebt, so muß dera Samiel grad so wie Du das Licht seiner Augen verlieren!«

»Kathrin'!« rief der Bauer erschrocken.

»Ja, das ist meine Meinung!«

»Weißt auch, wast sagst?«

»Ganz genau!«

Der Bauer faltete die Hände und wiederholte langsam und mit Nachdruck ihre Worte:

»Wann es eine ewige Gerechtigkeit giebt, so muß dera Samiel grad so wie Du das Licht seiner Augen verlieren!«

Die Art und Weise, wie er diese inhaltsschweren Worte, diese freche Herausforderung Gottes, wiederholte, machte einen tiefen Eindruck auf die Anwesenden. Auch die Bäuerin überlief es eiskalt, aber sie ließ es sich nicht merken und begehrte nur desto strenger auf:

»Und das wär nicht mal genug für ihn!«

»Was denn noch?«

»Er müßt auch meine und Deine Seelenqual empfinden, welche endlos gewest ist in dieser langen Zeit.«

Der Bauer streckte wie warnend und beschwörend den Arm gegen sie aus.

»Weib! Bedenk in Deiner Seel, wem Du das Alles anwünschest!«

»Dem Samiel!«

»Und wer ist er?«

»Weiß ich es? Mag er sein, wer er will. Ihm ist die Höll schon hier auf Erden zu gönnen, und mein einzigs Gebet ist gewest, daß ihn die Straf ereilen mag!«

»Mein Gott, mein Gott!« stöhnte der Bauer.

»Thäts Dir etwa leid um ihn?« höhnte sie.

»Lästre nicht!«

»Ich kann Dich nicht verstehen und begreifen! Das klingt doch grad, als obst in Deinen Schutz nehmen möchtest. Kennst ihn vielleicht?«

»Nein.«

»Es hat fast so klungen!«

Der Gensdarm war diesen Auslassungen zwischen Mann und Frau mit größter Aufmerksamkeit gefolgt. Jetzt sagte er:

»Ich muß allerdings auch bemerken, daß Ihre Aeußerungen, Kronenbauer, sehr leicht vermuthen lassen, daß Sie gewußt haben, wer der Samiel ist. Wollen Sie sich nicht darüber aussprechen?«

»Nein.«

»Ich bitte Sie in meiner amtlichen Eigenschaft darum. Ich bin verpflichtet zu dieser Bitte.«

»Das geht mich nix an.«

»Wissen Sie, daß ich Sie zwingen lassen kann?«

»Mich, einen alten, blinden Mann!«

»Darauf darf in solchen Angelegenheiten keine Rücksicht genommen werden.«

»So wird dera Herr Staatsanwalt auch weiter nix derfahren als Sie!«

»Sie scheinen einen harten Kopf zu haben!«

»Nein. Es scheint nur so. Wissens, Herr Schangdarm, ich hab einen Verdacht in mir habt in letzter Zeit, einen gräßlichen Verdacht. Ich hab denkt, dera Samiel ist eine Person, welche mir nahe steht. Nun es sich aberst herausstellt hat, daß dera Viehhändler es ist, so bin ich von dieser Last befreit.«

»Ach so! Nur ein Verdacht! Das ist etwas ganz Anderes. Einen Verdacht mir mitzutheilen, kann ich keinen Menschen zwingen. Sie, Herr Förster, brauchen also nicht nach der Stadt zu gehen. Ich habe Ihnen den Trost gebracht, daß Sie Ihr Geld wiederbekommen werden, und kann nun gehen!«

Er erhob sich und streckte die Hand aus, als ob er sich bei dem Förster verabschieden wolle, zog sie aber wieder zurück, that, als ob er sich besinne, und sagte dann:

»Da ich mich auf dem Kronenhof befinde, fällt mir Etwas ein. Zufälliger Weise kenne ich den Baumeister, welcher Ihr neues Nebengebäude errichtet hat. Stehen Sie auf freundschaftlichem Fuße mit ihm?«

»Nicht sehr,« antwortete die Bäuerin, welche über diese Wendung des Gespräches erschrak.

»Aus welchem Grunde wohl?«

»Er verleumdet uns.«

»Hm! Das ist mir auch so vorgekommen.«

»Hat er etwa was zu Ihnen sagt?«

»Positives nicht. Er hat nur so verblümt bemerkt, daß Sie sehr gegen die Gesetze gebaut hätten und ihm nicht erlaubten, die gebotenen Veränderungen vorzunehmen.«

»Der Schuft!«

»Er scheint es darauf abgesehen zu haben, Ihnen schaden zu wollen.«

»Das ist richtig. Er hat nur die Absicht dabei, sich ein Geldgeschenk zu erpressen.«

»Lassen Sie ihn bestrafen!«

»Kann ich das?«

»Natürlich! Sobald Sie nachweisen können, daß er Sie nur verleumdet, können Sie ihn zur Anzeige bringen.«

»Das sollt mir lieb sein. Ich werd mal mit dem Advocaten reden.«

»Das ist gar nicht nöthig. Wissen Sie, ich bin Jahre lang bei der Baupolizei angestellt gewesen und verstehe mich auf dieses Fach. Wenn Sie mir erlaubten, mich einmal in dem Neubau umzusehen, so könnte ich Ihre Sache bei der Behörde vertreten.«

»Was wollens denn ansehen?«

»Ich hab nur zu beachten, ob die Räume sich in einem Zustande befinden, welcher der Gesundheit nicht nachtheilig ist. Das ist das Einzige, um was es sich handelt.«

Die Bäuerin fühlte sich erleichtert, als sie das hörte. Also war von geheimen Thüren und Räumen doch nicht die Rede gewesen.

»Da könnens nachschauen,« sagte sie. »Wanns mal paßt, so kommens wieder her!«

»Heut bin ich einmal da. Paßt es Ihnen?«

»Mir wohl; aberst ich hab halt zwei Herren da wohnen, von denen ich nicht weiß, ob Sie ihnen willkommen sein werden.«

»O, ich werde mich zu entschuldigen wissen.«

»So will ich Sie führen!«

Sie begab sich mit ihm in das neue Gebäude. Das Vorbringen der baupolizeilichen Angelegenheit war nur ein Vorwand gewesen. Die wirkliche Absicht des Polizisten war, die Wohnung des Königs sehen zu können, ohne daß die Bäuerin den eigentlichen Grund ahnte. Er hatte dieselbe heut Abend zu besetzen und wollte sich orientiren. Von dem Zerwürfniß zwischen dem Baumeister und der Bäuerin hatte er im Gasthofe erfahren und sich das zum Nutzen gemacht.

Natürlich hatte weder der Medizinalrath noch der König Etwas dagegen, daß ein Polizist ihre Wohnungen in Augenschein nahm. Da sich die Bäuerin dabei befand, konnten die Herren nicht sprechen, aber auf einen verstohlen fragenden Blick des Königs verneigte sich der Gensdarm leicht und bejahend. Dann entfernte er sich. Wieder unten angekommen, fragte ihn die Bäuerin nach dem Resultate seiner Besichtigung.

»Ich begreife diesen Baumeister nicht,« antwortete er. »Es ist ja Alles in der besten Ordnung!«

»Nicht wahr! Das hab ich wußt.«

»Sie können ihn also zur Strafe ziehen.«

»Das werd ich thun, wann er nicht aufhört.«

Sie griff in die Tasche, um ihm ein Geldgeschenk zu machen; er aber wies es zurück und entfernte sich.

Auch der Förster ging, um den Seinigen mitzutheilen, daß sein Geld glücklich gerettet sei.

Von da an verlief der Tag in der altgewohnten, ruhigen Weise. Die beiden einlogirten Herren gingen spazieren. Fritz versorgte seine Arbeit, und der Sepp war nicht zu sehen. Er lag hinter einem Busch auf der halben Bergeshöhe, von wo aus er den Kronenhof übersehen konnte. Er hatte sich vorgenommen, genau aufzupassen, ob der Bastian denselben verlassen werde.

Dabei gab er sich einer eigenthümlichen Beschäftigung hin. Er hatte nämlich zwei Kürbisse, welche er eifrig mit dem Messer bearbeitete, um sie in eine kopfähnliche Form zu bringen. Dieser Versuch schien ihm auch wirklich recht gut zu gelingen.

So wurde es Abend. Das Tagewerk war vollbracht und auf dem Kronenhofe saßen Herrschaft und Dienstboten beim Nachtmahle. Nur der Sepp fehlte. Das fiel aber Niemand auf, auch der Bäuerin nicht, da er sich selten an die Ordnung des Hauses, in welchem er sich zufälligerweise aufhielt, gebunden fühlte.

Er stand allein zwischen Dorf und Hof an der Straße und lauschte nach der Richtung des Dorfes hin. Da hörte er Schritte. Mehrere Leute kamen. Das war zu hören. Als sie nahe waren, erkannte er Uniformen und trat ihnen entgegen.

»Gut, daß Sie pünktlich kommen!« sagte er. »Drin im Hof wird gessen. Ich werd Sie führen.«

Es waren zehn Gensdarmen. Sie wurden von Demjenigen angeführt, welcher heut am Nachmittage hier gewesen war.

»Weißt Du auch gewiß, daß wir nicht bemerkt werden, Sepp?« fragte er.

»Ganz sicher! Soeben erst hab ich wieder nachschaut und will auch nochmal voranlaufen. Kommens langsam nach!«

Er eilte fort. Als sie am Hofe anlangten, stand er wartend da und meldete:

»Sie sind noch Alle beisammen. Nicht wahr, Sie theilen sich?«

»Ja. Fünf werden die Bäuerin fassen, dabei bin ich, und die anderen Fünf sollen sich so verstecken, daß sie den Bastian bei offener That fassen können.«

»Habens Laternen mit? Ich kann hier keine verschaffen, ohne daß es auffallen thät.«

»Wir haben alles Nöthige mit.«

»So gehen Sie mit Ihren vier Leuten nur getrost in das neue Gebäude. Wanns die Treppe hinaufkommen und anklopfen, wird dera Herr Ludwigen aufimachen; er wartet schon. Und die anderen Fünf werd ich durch das Thor führen.«

»Aber daß ihnen kein Mensch begegnet!«

»Das ist nicht möglich. Kommens nur, Ihr Herren!«

Er ging ihnen voran in den Hof, am Stalle vorüber und die Treppe hinauf, welche nach Fritzens Kammer führte. Wenn man an der Thür der Letzteren vorüber ging, so gelangte man in eine alte Rumpelkammer, in welche fast während des ganzen Jahres kein Mensch kam. Dorthin versteckten sich die Polizisten in der Dunkelheit.

»Wartens, ich werd aufschließen,« sagte er. »Ich hab mir den Schlüssel vom Fritz geben lassen und auch das Schloß eingeölt, damit es nicht schreit. Da machens von innen zu, damit kein Mensch hinein und Sie sehen kann. Nachhero werd ich schon kommen und Ihnen sagen, wanns losgehen wird und wann Sie ihre Laternen anbrennen können. Verhaltens sich nur still!«

»Der Kerl wird Ihnen doch keinen Schaden thun können?« fragte Einer.

»O nein! Wir bleiben gar nicht in dera Kammer.«

»Ach so! Aber da findet er Sie doch nicht.«

»Er findet uns schon, wenigstens wird er es denken. Wir machen zwei Puppen mit Kürbisköpfen; die legen wir hinein. Licht hat er sicherlich nicht mit, und der Mond läßt nur so viel Helligkeiten durch das Fenster, daß dera Bastian die Puppen für uns halten wird. Sobald er in die Kammer ist, schleichens hin, und wann er die Kürbissen dermordet hat, da nehmens ihn fest. Dann hat er keine Ausred, und es ist bewiesen, daß er wirklich hat morden wollt.«

Nun ging er und stellte sich wieder auf die Lauer. Nach kurzer Zeit sah er den Bastian aus dem noch offenen Thore kommen und verstohlen nach dem Dorfe gehen. Er zog seine schweren Schuhe aus und folgte ihm. Da konnte er sich sehr bald überzeugen, daß er sich nicht geirrt hatte. Der Knecht stahl sich in die offene Schmiede.

Nun kehrte der Sepp zurück und wartete wieder in der Nähe des Gutes, bis der Bastian zurückkehrte. Er hatte sich in den Straßengraben gelegt und sah, daß der hart an ihm Vorübergehende ein Beil in der Hand trug. Ihm wieder folgend, überzeugte er sich, daß der Knecht das Mordwerkzeug in die Bohnen versteckte und dann über den Zaun ins Freie sprang. Jedenfalls wollte er nun die beiden Samielsanzüge herbeiholen.

Jetzt begab sich der Alte nach der Kammer Fritzens. Dieser saß seiner wartend da.

»Nun, wie ists gangen?« fragte der Letztere.

»Alles in Ordnung. Er ist eben fort, um die Anzüg zu holen. Wo befindet sich die Bäuerin?«

»Die hat sagt, sie hätt Kopfschmerzen und ist zu Bett gangen.«

»Heuchlerin! Der Bastian hat aus dera Schmiede das Beil holt und im Bohnenbeet versteckt, damit will er uns kalt machen.«

»Wollen wir die Puppen schon hineinlegen?«

»Noch nicht. Erst legen wir uns hinein.«

»Was? Wozu?«

»Nun, heut kannst versichert sein, daß dera Bastian vorher kommen wird, um nachzuschauen, ob wir auch wirklich zu Bett sind. Also komm!«

Sie legten sich gleich in den Kleidern nieder und ließen die Thür unverschlossen. Es verging über eine halbe Stunde, da stellte es sich heraus, daß der Alte ganz richtig vermuthet habe. Ein lauter Schritt kam zur Treppe herauf und dann klopfte es draußen an die Thür.

»Sepp!« rief es.

Sie erkannten die Stimme des Bastian.

»Was?« fragte der Alte.

Da machte der Knecht die Thür ein Stück auf, natürlich um sich zu überzeugen, ob sie verschlossen sei oder nicht.

»Ist dera Fritz auch da?«

»Ja.«

»Schläft er?«

»Nein. Was willst?« antwortete Fritz.

»Die Bäuerin schickt mich noch. Sie will in der Früh nach dera Kreisstadt fahren, und Du sollst anspannen.«

»Welche Zeit?«

»Vier Uhr.«

»Sapperment! So zeitig! Da kann ich nur schnell schlafen. Ich hab noch nicht ausschlafen von gestern.«

»Glaubs!« bemerkte der Bastian höhnisch.

»Am End verschlaf ichs gar!«

»Soll ich Dich etwa wecken?«

»Ja, wannst aufiwachst.«

»So riegel aber nicht zu, damit ich herein kann, um Dich aus dem Bett zu ziehen, wannst etwan schlaftrunken bist.«

»Gut! Die Thür bleibt auf.«

»So schlaf wohl!«

»Gute Nacht! Bist ja heut recht höflich!«

»Weil man bei den jetzigen Zeitläuften gar nicht wissen kann, wie oft man noch eine gute Nacht wünschen darf.«

Er ging.

»Verfluchter Kerl!« flüsterte Fritz. »Welch ein Hohn auch noch!«

Der Sepp sagte gar nichts. Er sprang aus dem Bett und huschte barfuß hinaus und zur Treppe hinab. Es dauerte eine ziemliche Weile, ehe er wiederkam. Da meldete er:

»Jetzt ist der Bastian bei dera Bäuerin.«

»Durch die Thür?«

»Nein, durchs Fenster. Sie hat ihm die Strickleiter herunter lassen.«

»Sie werden sich besprechen.«

»Ja. Und er hat ihr den Anzug mit heraufibracht. Nun wollen wir die Puppen hereinlegen. Komm!«

Die aus Stroh gedrehten Figuren lagen unter dem Bette. Sie wurden in dasselbe gelegt und die Köpfe daran befestigt. Dann deckte der Sepp sie recht hübsch zu.

»So!« lachte er. »Die haben am Längsten gelebt. Das schaut wirklich ganz so aus, als ob wir Beid recht hübsch mit nander schlafen thäten.«

»Ja. Der eine Kürbis hat noch die dunkle Schale auf dem Kopfe; das bin ich, weil ich schwarzes Haar hab. Den anderen hast abgeschält; das bist Du mit dem grauen Kopf. Aberst wann er nun herfühlen thut, da merkt er sofort die Täuschung.«

»Er wird sich hüten, uns erst so gemüthlich zu betasten, bevor er uns derschlägt. Nein. Der kommt herein, schaut die beiden Köpfe an, hält sie für die unserigen und haut zu. So wird es sein. Nun komm! Du mußt den Bauer holen. Aberst nimm Dich in Acht, daß sie es nicht bemerkt!«

Sie gingen. Bevor sie aber die Treppe hinabstiegen, ging der Sepp nach der Rumpelkammer, klopfte an und nannte seinen Namen. Die Gensdarmen machten auf.

»Jetzt gehn wir fort,« sagte er. »Habt Ihrs hört, was dera Kerl vorhin wollte?«

»Ja, der Fritz soll anspannen.«

»O, das war nur zum Schein. Er wollt sehen, ob wir da sind und sich auch versichern, daß wir die Thür offen lassen. Also jetzt gehen wir fort. Wer nun kommt, der ist dera Mörder; den nehmt fest. Es kann zwar wohl noch ein Stündchen dauern oder auch noch länger; aberst es ist besser, daß Ihr schon jetzt die Laternen anbrennt, damit Ihr sie bereit habt. Aber laßt das Licht nicht zu früh sehen.«

Er ging zu Fritz, welcher unten an der Treppe stand. Dort schieden sie für wenige Minuten von einander. Der Sepp ging zum König, und Fritz suchte den Bauer auf, zu welchem Zwecke er sich ein Küchenfenster fürsorglicher Weise von innen aufgewirbelt hatte, um einsteigen und so in das Haus kommen zu können.

Wie der Sepp ganz richtig gesehen hatte, war der Bastian zur Bäuerin gegangen. Sie hatte ihm die Strickleiter herunter gelassen, und er stieg hinauf, um ihr den Anzug zu bringen.

»Darf ich nicht mit hinein?« fragte er, außen am Fenster hangend.

»Komm und mach rasch! Aber stoß nicht an das Fenster, sonst klirrt es!«

Er sprang hinein. Es war dunkel drin, und er drückte sie mit beiden Armen fast übermäßig fest an sich.

»Kätherl!« flüsterte er. »Heut leben unsere Feinde noch; morgen aberst sind sie todt. Dann muß nur noch dera Bauer sterben; nachhero bist mein.«

»Ja, dann bin ich Dein; aber zerdrück mich nur nicht. Wir haben noch Zeit. Es ist noch nicht Mitternacht. Zwischen Zwölf und Eins schläft man am Festesten. Hast Alles besorgt?«

»Ja, es fehlt an nix. Auch das Beil ist da.«

»Woher?«

»Aus dera Schmiede.«

»Das hast klug macht. Ueberhaupt haben wir unsere Sach so geschickt eingerichtet, daß sie gut gelingen muß. Wir haben seit Mittag kein Wörtle mit nander sprochen, darum weißt auch noch nicht, was dera Schangdarm wollt hat.«

»Als ich ihn sah, hab ich fast Angst bekommen.«

»Ich auch; aberst wir können uns im Gegentheil freuen über das, was er wollt hat. Das könntest niemals errathen, Bastian?«

»So? Was ists denn?«

»Denk Dir nur! Sie haben heut Vormittags den Samiel arretirt.«

»Wa–a–a–as! Wen denn?«

»Einen Thierhändler.«

»O, das ist herrlich! Das ist gut für uns! Dem werden sie Alles aufiladen.«

»Hm! Nur bis morgen; denn wann es morgen heißt, daß dera Samiel bei uns einstiegen ist und den Herrn Ludwigen beraubt und die beiden Andern dermordet hat, so kommts ja heraus, daß sie den Falschen arretirt haben.«

»Wie kommts denn, daß er einsteckt worden ist? Er ist unschuldig!«

Sie erzählte es ihm, und längere Zeit hatten sie ihren Spaß darüber. Dann aber trat ihr gegenwärtiges Vorhaben mit seinen ernsten Forderungen an sie heran. Sie besprachen Alles noch einmal genau, besonders, daß Bastian eher anfangen und auch eher fertig sein müsse als sie, weil er ja im Garten zu warten hatte, um ihren Anzug in Empfang zu nehmen. Dann trennten sie sich, nachdem sie nochmals sehr zärtlich mit ihm gewesen war, um ihm Muth zur Ausführung seines Vorhabens zu machen.

Sie kroch durch den Schrank, um sich in dem geheimen Cabinette anzuziehen. Sie steckte auch die beiden Doppelpistolen zu sich. Vier Schüsse! Damit konnte sie sich jedenfalls Luft schaffen, wenn Etwas schief gehen sollte.

Nun wartete sie noch eine Weile und trat dann in die Ecke, in welcher der Ofen stand.

Man konnte von dieser Seite eine Kachel fortnehmen und durch die so entstandene Oeffnung in die Schlafstube des Herrn Ludwig sehen. Sie entfernte die Kachel vorsichtig, so daß kein Geräusch entstand, und sah, daß kein Licht brannte. Als sie horchte, hörte sie die regelmäßigen, tiefen Athemzüge eines Schlafenden.

Um zu probiren, wie tief sein Schlaf sei, hustete sie halblaut. Selbst wenn er es hörte, war das nicht gefährlich. Sie konnte ja weder gesehen noch irgendwie anders entdeckt werden, wenn sie die Kachel wieder an ihre Stelle brachte.

Nicht das mindeste Geräusch antwortete auf ihr Husten. Der Schläfer athmete ruhig weiter. Sein Schlaf war also sehr gesund und tief. Sie hatte nichts zu befürchten. Darum griff sie nach der Mechanik und schob den Ofen in das Schlafzimmer hinein. Durch die so entstandene Oeffnung trat sie ein und schob dann den Ofen wieder zurück.

Jetzt blieb sie abermals lauschend stehen. Dann, als Nichts sich regte, huschte sie an das Bett. Sie beugte sich über den Schlafenden. Sie konnte seinen Kopf ziemlich deutlich erkennen. Er lag mit dem Gesicht gegen die Wand gerichtet.

Vor dem Bette stand der Schlaftisch. Auf demselben tikte die kostbare Uhr. Die abgezogenen Ringe und andere Kostbarkeiten lagen da. Sie steckte das Alles schnell zu sich. Dann nahm sie sogar die Hose vom Stuhle, um zu untersuchen, was sich in den Taschen derselben befinde. Sie fand ein gut gefülltes Portemonnaie und steckte es auch ein.

Jetzt war sie hier fertig. Nun mußte sie den Schläfer wecken, um sich ihm zu zeigen, damit er morgen sagen könne, daß der Samiel ihn beraubt habe.

Da aber zu erwarten war, daß er sofort Lärm machen werde, mußte sie auf eine schleunige, ungehinderte Flucht bedacht sein. Dazu war es nöthig, daß sie sich vorher alle Thüren öffnete, um sie während der Flucht schnell hinter sich zu verschließen. Das wollte sie jetzt thun.

Sie wendete sich also zur Thür, welche aus dem Schlaf- in das Wohnzimmer führte und öffnete dieselbe, nicht langsam, sondern schnell und energisch, indem man sie dabei fest in die Angeln drückt, so geht selbst eine schlecht geölte Thür leise auf.

Also das that sie. Sie zog die Thür mit einem kräftigen Rucke auf und – – stieß einen lauten Schrei aus. Das Zimmer war erleuchtet. In Mitten desselben, auf einem Polsterstuhle, saß eine einzige Person – ihr Mann, der Bauer, die jetzt unverbundenen, scheinbar lichtlosen Augen starr auf sie gerichtet.

Warum hatte sie geschrieen? Der Blinde konnte ihr doch nichts schaden, da er sie nicht zu sehen vermochte. Sie brauchte sich nur an ihm vorüber zu schleichen. Also gefährlich war er ihr gar nicht. Ganz einfach nur die Ueberraschung hatte ihr den Schrei entrissen. Was hatte ihr Mann hier zu suchen, während der Bewohner des Gemaches schlafend im Bette lag? Das konnte sie sich nicht erklären.

Sie nahm an, daß ihr Mann sie nicht gesehen habe; aber gehört hatte er sie, denn er erhob sich langsam vom Stuhle, hielt den Blick noch starr auf sie gerichtet und fragte ernst:

»Was willst dahier?«

Sie fragte sich, ob es bester sei, sich von dem Schläfer auch noch sehen Ka lassen oder lieber gleich flüchtig an ihrem Manne vorüber zu huschen. Sie wählte das Letztere, denn es war besser, der Gefahr schnell zu entgehen, als dieselbe herauszufordern.

Sie antwortete also gar nicht auf die an sie gerichtete Frage und ging leisen Schrittes nach der Thür, welche nach dem Vorzimmer führte. Dabei blickte sie nicht von ihrem Manne weg, und, eigenthümlich, auch er drehte sich so, wie sie ging, und wendete den Blick nicht von ihr, grad, als ob er sie sehen könne.

Jetzt hatte sie die Thür erreicht und wollte sie aufmachen.

»Gieb Dir keine Mühe, Samiel!« sagte der Bauer. »Die Thür ist von außen verschlossen. Du kannst nicht hinaus.«

Sie erschrak. Was war zu thun? Sprechen durfte sie trotz der Maske nicht, denn ihre Stimme konnte erkannt werden. Der einzige Weg zur Rettung war jetzt der durch den Ofen zurück. Verrathen war da doch nichts, denn der Blinde konnte ja nicht sehen. Sie eilte also nach der Schlafstubenthür zurück und – erstarrte fast vor Schreck, denn da trat Fritz, der Knecht unter die Thür.

»Wo willst hin, Samiel?« fragte er. »Hier kannst auch nicht durch!«

Das Entsetzen raubte ihr die Sprache. Also Fritz, welchen sie jetzt schon todt meinte, stand vor ihr! Grad Derjenige, welcher Alles wußte.

Aber wenn Alles fehlschlug, so war er der Sohn ihres Mannes. Selbst wenn ihr die Flucht nicht gelang, konnte er sie nicht dem Strafgericht übergeben. Und vorher hatte sie ja ihre Pistolen.

Dieser letztere Gedanke gab ihr die Fassung zurück. Sie riß die eine Pistole aus der Tasche und rief mit dumpfer, verstellter Stimme:

»Zurück, Unglücklicher!«

Es war ihr Ernst, ihn niederzuschießen. Wenn er todt war, konnte er nichts verrathen, und ihr Mann war ja blind. Aber Fritz war schneller als sie. Er entriß ihr die Waffe, warf sie fort und sagte:

»Unsinn! Ein Weibsbild hat kein Geschick zum Schießen! Mach Dich nicht lächerlich!«

Da zog sie die zweite Pistole, aber dieser erging es nicht anders als der ersteren, auch sie wurde fortgeschleudert.

Und da legte sich eine Hand auf ihre Achsel. Ihr Mann war hinter ihr herangekommen und erklärte drohend:

»Samiel, Du bist unser Gefangener!«

Sie wendete sich um zu ihm. Seine Augen glühten ihr voller Haß entgegen. Waren das blinde Augen? Konnten diese Augen nichts mehr sehen?

Da ging es wie ein Blitz durch ihr Hirn. Der Arzt hatte ihn operirt; die Operation war gelungen, er konnte sehen. Das überwältigte sie so, daß sie fast zusammensank. Aber sie raffte sich zusammen, zeigte nach der vorderen Thür und gebot, noch immer mit verstellter Stimme:

»Macht auf! Ich will fort!«

»Nachdem Du mich bestohlen hast?« lachte Fritz. »Du hältst mich für einen sehr dummen Kerl!«

»Dich!« rief sie.

»Ja, ich wars, der im Bette lag. Dera Herr Ludwig hat keine Lust habt, sich von Dir besuchen zu lassen. Thu nur die Larve herab. Wir kennen Dich längst!«

Er faßte sie mit der linken Hand ohne alle Rücksicht kräftig bei der Gurgel, schlug ihr mit der Rechten den Hut herab und riß ihr dann die Maske vom Gesicht. Sie mußte erfahren, daß selbst das kräftigste Weib einem Manne nicht gewachsen ist.

Als nun ihr Gesicht nicht mehr verhüllt war, hätte man denken sollen, daß eine große Scham sie überkommen müsse; aber dem war nicht so. Sie ballte vielmehr die Fäuste, drang auf Fritz ein, faßte ihn bei der Brust und schrie:

»Hund! Verräther! Was hast hier zu thun. Fort mit Dir ins Bett. Was ich in meinem Haus mach, das geht Dich nix und gar nix an!«

»In Deinem Hause?« fragte da der Bauer. »Welcher Stein dieses Hauses gehört Dir? Du bist als Bettlerin zu mir gekommen und wirst noch viel ärmer von mir gehen. Die Liebe hat Dich bei mir aufgenommen, aber die Rache wird Dich von mir entfernen. Die Schande, welche Du auf mein Haupt geladen hast, werden mir die Menschen vergeben, denn ich habe sie im Voraus abgebüßt. Dein Schicksal aber wird sein – –«

»Was wird mein Schicksal sein?« rief sie, ihn unterbrechend. »Nehmt erst Euer Schicksal hin – den Tod!«

Sie schnellte sich zwischen den Beiden hindurch, riß die eine der Pistolen von der Diele auf, spannte blitzschnell die beiden Hähne und drückte erst auf ihren Mann und dann auch auf Fritz ab.

Die beiden Schüsse krachten.

Sie hatte ganz genau nach den Köpfen gezielt. Die beiden Männer standen ihr so nahe, daß sie treffen mußte. Sie erwartete, daß sie umsinken würden. Statt dessen aber lachte Fritz:

»Spiel nicht mit dera Schlüsselbüchsen, Bäuerin. Dazu bist zu dumm und kannst nur Dir selbst schaden.«

Ohne zu bemerken, daß die beiden Männer sich gar keine Mühe gaben, sie daran zu hindern, hob sie auch die zweite Pistole auf und spannte die Hähne.

»Schieß nicht!« sagte Fritz. »Es hilft Dir doch nix. Da schau mal hin!«

Er deutete nach der Thür.

 

Unterdessen hatte auch der Bastian sich an die Lösung seiner schrecklichen Aufgabe gemacht. Er war in den Garten gegangen, hatte dort den Anzug angelegt und die Maske vorgebunden, dann das Beil ergriffen und sich nach der zu Fritzens Kammer führenden Treppe geschlichen.

Er stieg sie möglichst leise hinauf; aber eine der hölzernen Stufen knarrte doch.

»Hört Ihr es?« flüsterte droben einer der Gensdarmen. »Es knarrte eine Stufe. Ich glaube, er kommt.«

Die Beamten lauschten. Sie hörten deutlich, daß Jemand leise geschlichen kam. Dann kreischte die Kammerthür kaum hörbar.

»Sepp!« wurde halblaut gerufen.

»Ah! Der Kerl geht sicher. Er will sich zuvor überzeugen, daß sie fest schlafen.«

»Fritz!« rief er wieder.

Natürlich kam keine Antwort. Darum trat er ein, die Thür hinter sich weit offen lassend.

»Kommt!« commandirte der Gensdarm. »Zwei leuchten und Drei werfen sich auf ihn!«

Der Bastian huschte, das Beil in der Hand, an das Bett. Dort bückte er sich nieder. Er sah die Köpfe, einen scheinbar mit weißen und den anderen mit schwarzen Haaren. Der Letztere, Fritz war es, den er am Meisten haßte.

»Den nehme ich eher!« flüsterte er.

Er erhob das Beil, holte aus und der Hieb sauste nieder. Er hörte und fühlte, daß der Kopf zerschmettert sei. Sofort führte er den zweiten, ebenso kräftigen Hieb gegen den anderen Kopf. Auch dieser war vollständig zerschmettert.

»Gott sei Dank! Die sind dahin!« sagte er laut. »Nun könnens uns anzeigen! Das Beil laß ich hier!«

»Nein, das nimmst Du hübsch!« erklang es hinter ihm.

Er fuhr herum. Er sah nichts; aber dann wurde es plötzlich Licht um ihn her. Er sah Uniformknöpfe schimmern. Starke Arme erfaßten ihn, und ehe er nur Widerstand zu leisten vermochte, war er mit eisernen Schellen und Ketten gefesselt.

Jetzt erst kam ihm die Sprache.

»Was – was – was –« fragte er lallend, wie Einer, den der Schlag getroffen hat, wobei die Sprachwerkzeuge in Mitleidenschaft gezogen sind.

»Was meinst Du, Kerl?« fuhr ihn einer der Polizisten an.

»Was – was – was wollt Ihr von mir?«

»Das fragst Du auch noch?«

»Was – was – was –«

Er brachte nichts Anderes hervor und starrte ganz wirr und fassungslos um sich.

»Schön, schön!« meinte lachend der Beamte. »Ich verstehe Dich! Du bist ein verflucht geistesgegenwärtiger Kerl. Du hast augenblicklich eingesehen, daß es nur eine einzige Rettung für Dich giebt, nämlich die, daß Du den Blödsinnigen spielst. Versuche es immerhin! Du wirst bald merken, daß man Dir in die Karten guckt. Vorwärts mit Dir! Diese Kammer wird verschlossen und so gelassen, wie sie ist.«

Er wurde abgeführt, hinüber in das neue Nebengebäude. Der Flur desselben war erleuchtet, die Treppe ebenso. Oben mit dem Gefangenen angekommen, klopften sie an und traten in die Vorstube.

Dort standen ihre fünf Collegen lauschend an der nach der Wohnstube führenden Thür. Der alte Sepp befand sich bei ihnen.

Der Anführer kam herbei, ließ sich flüsternd einen kurzen Bericht erstatten und winkte dann, den Gefangenen in die Nähe der Thür zu stellen.

Das Gesicht desselben war ganz dasjenige eines vollständig Blöd- und Stumpfsinnigen. Aber wenn man genauer hingesehen hätte, so wäre zu erkennen gewesen, daß er mit wahrer Herzensangst nach der Thür horchte, hinter welcher man laute Stimmen hörte.

Er wußte das Weib, das er über Alles liebte, dort, um welcher willen er Verbrecher geworden war. Hier sah er die Gensdarmen, und nun war es ihm fast gewiß, daß man auch sie gefangen nehmen werde.

Da erdröhnten drinnen die zwei Schüsse.

»Vorwärts, hinein!« gebot der Anführer.

Die Polizisten schlossen schnell auf und drangen in das Zimmer, ihren Gefangenen mit sich hineinzerrend. Die Schüsse hatten zwar Pulverdampf verursacht, aber man konnte trotzdem Alles deutlich erkennen. Soeben deutete Fritz mit der Hand nach der Thür und rief der Bäuerin entgegen:

»Da, schau mal hier!«

Sie ließ die Hand mit der bereits zum Schusse erhobenen Pistole sinken und starrte die zehn Polizisten an. Sie war steif und unbeweglich, wie eine Statue. Der Anführer trat zu ihr und sagte:

»Kronenbäuerin, Sie sind meine Gefangene!«

»Weshalb?« fragte sie, jedenfalls nur ganz mechanisch, ohne alle bedachte Absicht.

»Weil Sie der Samiel sind?«

Da ging ein plötzliches Zucken durch ihren Körper.

»Dera Samiel?« rief sie. »Den wollt Ihr arretiren? Nein, den bekommt Ihr noch lange nicht. Lebendig läßt er sich von Euch nicht anrühren!«

Sie erhob, ehe man sie zu hindern vermochte, die Hand mit der Pistole, hielt sich die Mündung vor den Kopf und schoß beide Läufe zugleich auf sich ab.

Alles eilte herbei – sie war nicht umgestürzt. Die Pistole fallen lassend, schlug sie mit den Armen um sich und stieß einen schrillen, entsetzlichen Schrei aus. Dann schlug sie die Hände vor das Gesicht und sank stöhnend zu Boden.

»Herrgott!« rief der Bauer. »Was hat sie than! Sie hat sich nicht tödtet, denn dera Fritz hat die Kugeln herausmacht gehabt, sondern sie hat sich nur die Augen zerschossen!«

Sie hörte das. Den Kopf erhebend, fragte sie:

»Was ists? Was sagst? Leb ich, oder bin ich todt? Hab ich nicht zwei Kugeln im Kopf?«

»Nein,« antwortete ihr Mann. »Der Fritz hat die Kugeln heimlich mit dem Krätzer entfernt.«

»Wann?«

»Gestern Nachts, als die Pistolen draußen auf dem Beet im Garten lagen.«

»Das ist nicht wahr. Ich bin todt. Es ist ja finster um mich her; ich sehe nix!«

»Weilst Dir das Pulver in die Augen schossen hast!«

»Das – Pulver – in – die Augen – schossen –« wiederholte sie wie mechanisch, als ob sie sich jedes Wort einzeln überlegen müsse, was es zu bedeuten habe.

Der Anführer der Gensdarmen bückte sich zu ihr nieder und sah ihr Gesicht an.

»Ja,« erklärte er, »es ist so. Wir brauchen sie nicht zu fesseln; sie wird uns willig folgen müssen.«

Da erklang ein Geheul, wie von einem wilden Thiere. Der Bastian stieß es aus. Er riß sich von Denen, die ihn hielten, mit aller Kraft los und stürzte sich zu den Füßen seiner Herrin nieder.

»Kätherl, mein Kätherl!« schrie er. »Lebst oder lebst nicht? Wach aufi! Ich bin da, dera Bastian, denst so lieb hast. Wach auf, denn ich mag ohne Dich auch nicht leben. Ich will sterben mit Dir!« .

Er mußte mit Gewalt von dem Weibe gerissen und in das Vorstübchen geschafft werden. Er schrie und heulte aber immer in einem Athem fort und hörte auch nicht auf, als der König mit dem Geheimrath kam und an ihm vorüberschritt.

Der hohe Herr hatte sich, als sich die Katastrophe vorzubereiten begann, in die Zimmer des Arztes zurückgezogen, um den Ausgang zu erwarten. Als erst die zwei Schüsse fielen und dann die nächsten zwei, welche aber wie einer klangen, konnten sich die Beiden sagen, daß die Entscheidung, die überhaupt gar nicht zweifelhaft sein konnte, jetzt erfolgt sei. Sie begaben sich darum hinüber an den Ort der Arretur. Dort standen alle im Kreise um den weiblichen Samiel. Die Bäuerin war vor Schreck darüber, daß sie nicht todt, sondern blind sei, in Ohnmacht gefallen.

Der Geheimrath übersah mit einem einzigen Blicke das Geschehene; einige Worte reichten hin, ihn zu informiren. Er kniete nieder und untersuchte das Gesicht der Ohnmächtigen. Als er sich erhob, erklärte er:

»Jedenfalls für immer blind!«

Dieses Wort wirkte wie ein Gerichtswort. Es trat eine tiefe Stille ein. Dann sagte der Gensdarmerieführer ergriffen:

»Gott läßt sich nicht spotten. Sie hats gewollt!«

Der Bauer aber faltete die Hände und stöhnte:

»Wanns eine göttliche Gerechtigkeit gäb, so müßt dera Samiel so blind werden wie Du! So hat sie sagt! O mein Herr und mein Gott, sei gnädig und barmherzig mit ihr, so wie ich ihr auch vergeb!«


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