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»So mußt Du doch bemerkt haben, daß Du das Aussehen eines Menschen hast, der die personifizirte Häßlichkeit vorstellen soll.«

Er machte ein Gesicht wie ein Raubthier, welches bereit ist, auf seine Beute loszustürzen. Eine solche Offenheit war ihm noch gar nicht vorgekommen. Er rang förmlich nach Athem und antworte, vor Aerger stockend:

»Bin – bin – bin ich denn gar so sehr häßlich?«

»Ja, ungeheuer.«

»Alle Teufel! Schön seh ich freilich nicht; das weiß ich auch; aber daß ich so ein förmliches Scheusal bin, das habe ich nicht gedacht. Ich habe doch keine Verletzung oder so etwas Aehnliches im Gesicht!«

»Das fehlte auch grade noch. Uebrigens kann selbst das schönste Mädchen einen Mann lieb haben, wenn er auch nicht schön ist. Weißt Du, zur wirklichen Häßlichkeit reicht das Gesicht allein nicht aus. Da kommt auch die Seele mit in Betracht. Erst durch eine häßliche Seele wird auch das Gesicht wirklich häßlich.«

»Und meinst Du, daß ich so eine häßliche Seele habe?«

»Ja. Die Narben und Flecke, welche Du nicht im Gesicht hast, die hast Du in der Seele, in Deinem Herzen.«

»Das weißt Du?«

»Alle Leute wissen es. Und wenn es Niemand wüßte, so steht ja Alles auf Deinem Gesicht geschrieben, so deutlich, daß Jedermann es lesen kann.«

»Und was für Flecken sind das, he?«

»Hartherzigkeit, Hinterlist, Heimtücke, Gefühllosigkeit, Rücksichtslosigkeit, Falschheit und vor allen Dingen Feigheit. Derjenige, welcher einem Mädchen nicht sagen kann, daß er sie zur Frau begehrt, sondern hinter ihrem Rücken und ohne ihre Zustimmung sie von ihrem Vater erschachert, der ist eben ganz entsetzlich niederträchtig und feig.«

»So?« zischte er. »Und weißt Du etwa, daß ich das gethan habe?«

»Ja.«

»Woher?«

»Ihr seid doch gekommen, um Dich mit mir zu verloben.«

»Und wenn das wäre?«

»So hattest Du erst mich zu fragen, ob ich Dich will.«

»Unsinn! Ich weiß, daß Du mich nicht magst.«

»So ist es gradezu schurkisch, mich durch den Vater zwingen lassen zu wollen. Ein Menschenkind ist kein Hund, dem man irgend einen Herrn aufzwingen kann.«

»Und das sagst Du mir in all dieser Offenheit und Gemüthlichkeit.«

»Wie Du siehst und hörst!«

»Und mit lächelndem Gesichte!«

»Sehr gern sogar!« lachte sie. »Nun hoffe ich, daß Du meine Meinung kennst und den Gedanken, mich zur Frau zu haben, aufgeben werdest.«

Jetzt trat er um einen Schritt zurück, fixirte ihre schöne Gestalt mit verlangendem Blicke und antwortete in höhnischem Tone:

»Das wäre ja eine Beleidigung für Dich!«

»Wieso?«

»Wenn ich das thäte, würde ich Dich doch Lügen strafen.«

»Meinst Du wirklich?«

»Ja. Du sagst, ich sei ein schlechter Kerl. Thät ich Dir aber den Willen, so handelte ich als Ehrenmann, und da Du mich nicht für einen hältst, so machte ich Deinen Ausspruch zu schänden. Du sollst aber Recht behalten. Ich habe Dich lieb und will Dir dies dadurch beweisen, daß ich Dir den Willen lasse, mich für einen ehrlosen Menschen zu halten.«

»Das heißt. Du giebst mich nicht auf?«

»Ja.«

»Du wirbst trotzdem um mich?«

»Versteht sich! Ich werde gleich hineingehen zu unsern Vätern und dafür sorgen, daß ich das Jawort erhalte.«

»Das kannst Du erhalten, mich aber nicht.«

»Oho! Es giebt Mittel und Wege, Dich zu zwingen.«

»Und es giebt noch kräftigere Mittel und sichere Wege, Euch heimzuschicken.«

»Das magst Du denken, weil Du ein dummes, unerfahrenes Ding bist.«

»Selbst wenn man mich zwingen könnte, Deine Frau zu werden, so würdest Du an meiner Seite die Hölle auf Erden haben. Ich würde Dein Teufel sein.«

»O, ich fürchte den Teufel nicht. Du hast zwar gesagt, daß ich feig sei; aber da irrst Du Dich außerordentlich. Ich nehme es mit dem Teufel auf. Das kann ich Dir beweisen. Da Du sagst, daß Du mein Teufel sein willst, so will ich gleich jetzt Dir eine Probe meines Muthes geben. Ich werde den Teufel küssen. Wer das wagt, der ist doch nicht feig. Komm also her!«

Er trat auf sie zu, und sie wich zurück. Aber er war noch schneller als sie und ergriff sie beim Arme.

»Laß mich los. Elender! gebot sie. »Sonst rufe ich um Hilfe!«

»Hahaha! Der Teufel ruft um Hilfe. Und vor diesem Kerl soll ich mich fürchten! Heut ist die Verlobung, und die können wir sogleich hier feiern.«

Er riß sie an sich. Da erklang es hinter ihm:

»Bei einer Verlobung müssen Zeugen sein, hier ist gleich einer.«

Der freche Patron wendete sich erschrocken um.

»Ludewig!« rief Gisela erfreut.

»Der Ludewig!« wiederholte Osec. »Wie kommst Du hierher?«

»Durch die Gartenthür grad so wie Ihr. Aber Ihr seid so mit einander beschäftigt, daß Ihr keine Augen für Diejenigen habt, welche sich außer Euch im Garten befinden.«

»Und was willst Du da?«

»Was ich sagte: Zeuge Eurer Verlobung will ich sein.«

»Packe Dich fort! Scheere Dich zum Teufel!«

»Bei dem bin ich. Hier steht er ja!«

Er deutete bei diesen Worten auf Gisela.

»Auch das hast Du gehört? Kerl, ich glaube. Du hast uns belauscht!«

»Kann ich dafür, daß Ihr so laut redet, daß man ein jedes Wort durch den ganzen Garten vernimmt.«

»Wo hast Du gesteckt?«

»Das brauche ich eigentlich nicht zu sagen, denn Dir bin ich keine Rechenschaft schuldig, aber Gisela soll es wissen, daß ich da hinter dem Busche gestanden habe.«

»Mensch, das hast Du gewagt!«

»Willst etwa Du mir sagen, was ich hier bei uns zu thun und zu lassen habe?«

»Laß das Du! Für Dich bin ich Sie!«

»Mach Dich nicht lächerlich. Du nennst mich auch nicht Sie, und für einen solchen Burschen, wie Du bist, ist es eine große Ehre, von einem braven Kerl Du genannt zu werden.«

»Ah! Wenn ich nur erst Schwiegersohn sein werde, so ist das Erste, was ich thue, daß ich Dich aus dem Hause jage!«

»Unter dieser Voraussetzung bleibe ich ewig hier, denn Du wirst niemals der Schwiegersohn werden.«

»Meinst Du! Noch heut wirst Du fortgejagt.«

»Sollte mir lieb sein, denn da bekomme ich Dich nicht mehr zu sehen. Eine Freude kann man ja an Dir nicht erleben.«

»Merke Dir Alles, was Du gesagt hast. Jetzt aber packst Du Dich fort!«

»Auf Deinen Befehl? Fällt mir nicht ein!«

»Ich gebiete es Dir!«

Er trat drohend auf Ludwig zu. Dieser lachte laut auf.

»Du nimm Dich in Acht, daß Du nicht umfällst, wenn ich Dich anblase. Ein Dutzend von Deiner Sorte werf ich über den Zaun hinüber. Nicht wahr, Gisela?«

»Ja,« nickte diese lächelnd. »Ich möchte diesen Osec fliegen sehen, wenn er es wagen wollte, Dich anzugreifen. Uebrigens hast Du ganz Recht, daß er Dir gar nichts zu befehlen hat. Er ist fremd hier und wird von uns nur geduldet. Die Herrin bin ich.«

»Ja, und wenn Du mir gebietest, daß ich ihn fortschaffen soll, so wird er schon im nächsten Augenblicke mit Eilzug abdämpfen.«

»Nein, laß ihn! Er ists doch nicht werth, daß Du ihn berührst. Du hast ja nicht einmal die zwei Gulden genommen. Das war brav von Dir und hat mich herzlich gefreut, so sehr gefreut, daß ich Dir jetzt dafür ganz extra die Hand reichen muß.«

Sie gab sie ihm und schüttelte die seinige; dann fuhr sie fort:

»Und nun setz Dich her auf die Bank, Ludwig! Oder hast Du keine Zeit?«

»Für Dich immer. Das weißt Du ja.«

»Ich setze mich zu Dir. Es ist nur für Zwei Platz. Will Herr Osec ja noch dableiben, so mag er sich einen Platz suchen.«

»Droben auf dem Kirschbaume sind mehrere Plätze. Sein Nußhähergesicht paßt ausgezeichnet da hinauf.«

Das war selbst für den hartgesottenen Osec zu viel. Er ballte die Fäuste, streckte dieselben dem Sprecher entgegen und rief wüthend:

»Merke Dir auch das noch! Ich gehe jetzt hinein, und der Kerybauer mag herauskommen und sich das hübsche Liebespaar betrachten, welches hier beisammensitzt.«

Er stürmte fort.

»Hast Du Angst vor dem Vater?« fragte Gisela.

»Nein.«

»Vielleicht aber glaubt er es wirklich, daß wir ein Liebespaar seien.«

»Das mag er glauben. Wenn es Dich nicht stört, so stört es mich vollends gar nicht. Aber besser ists doch, wenn wir nicht beisammen sitzen.«

Er stand auf und blieb seitwärts vor der Bank halten.

»Du meinst also wirklich, daß der Vater herauskommen werde?« fragte sie.

»Er kommt jedenfalls.«

»So wird er seine Wuth jedenfalls an Dir zuerst auslassen.«

»Pah! Mag es immer thun. Mir ist es nur um Dich.«

»O, ich werde auch mit ihm fertig. Nun hast Du es also erfahren, weshalb wir heut diesen hübschen Besuch haben.«

Sie sagte das, um sich nicht merken zu lasten, daß sie sein Gespräch mit seiner Mutter belauscht habe.

»Ja, ich weiß es,« antwortete er.

»So einem Menschen will man mich verschachern! Aber ich werde mich wehren. Willst Du mir dabei helfen, Ludwig?«

»Von ganzem Herzen gern!« antwortete er, hocherfreut über dieses ihr Vertrauen.

»Aber es kann Dir Schaden bringen!«

»Immerhin! Ich habe doppelten Lohn. Du wirst Dich freuen, und die Osecs werden sich ärgern. Sag mir nur schnell, was ich machen soll, denn Dein Vater kann an jedem Augenblicke kommen.«

»Ich werde jedenfalls mit auf den Saal gehen müssen, um mit dem Osec zu tanzen. Gehst Du vielleicht auch?«

»Wünschest Du es?«

»Ja.«

»Gut, so bin ich dort.«

»Stell Dich bei Zeiten ein, damit ich nicht auf Dich zu warten habe. Und richte es so ein, daß Du immer in meiner Nähe bist. Wenn dann der Osec kommt, um mich zu engagiren, so kommst Du ihm stets rasch zuvor. Ich werde Dir dazu gern behilflich sein.«

Ein süßes, namenlos glückliches Gefühl durchfluthete ihn bei dieser Aufforderung.

»Weißt Du auch, was Du verlangst?« fragte er sie.

»Vollständig!«

»Ich, der Knecht, soll mit Dir, der Tochter seines Herrn tanzen!«

»Du bist ein braver Mensch. Ich schände mich nicht, wenn ich mit Dir tanze.«

»Aber ich soll dem Dir bestimmten Bräutigam den Weg zu Dir verlegen. Dein Vater wird darüber wüthend werden.«

»Ich fürchte ihn nicht. Dich aber wird er wohl fortschicken. Das ist freilich ein Opfer, welches ich nicht von Dir verlangen kann.

Sie blickte ihn dabei lächelnd an.

»O, noch viel, viel größere Opfer könnte ich Dir bringen. Wenn Du nur um mich besorgt bist, so bleibt es gern bei der Verabredung.«

»Gut, ich nehme es an. Vielleicht kann ich Dir dafür dankbar sein.«

»Ich beanspruche keinen Dank. Wenn ich Dir einen Gefallen thun kann, so verursacht mir das tausend Freuden. Aber darauf muß ich Dich aufmerksam machen, daß es vielleicht gar zu Thätlichkeiten kommen kann.«

»Das macht mir keine Bangigkeit, denn ich weiß, daß Du Dich nicht fürchtest.«

»Nein, wahrhaftig nicht!« lachte er. »Ich bin noch niemals auf dem Saale gewesen, aber die Burschen kennen mich, und die braven unter ihnen sind alle meine Freunde.«

»Das weiß ich ja, und darum habe ich keine Angst um Dich, lieber Ludwig. Also wir halten heut fest zusammen! Hier, die Hand darauf!«

Sie reichte ihm die Hand entgegen, die er ergriff. ›Lieber Ludwig‹ hatte sie ihn genannt, heut zum ersten Male. Wie ihn das beglückte. Er hätte für sie kämpfen mögen bis zum letzten Athemzuge.

Und grad als sie sich die Hände drückten, kam der Kerybauer mit den beiden Osecs in den Garten. Die Drei schritten sehr rasch auf die Bank zu.

»Was ist mir denn das?« rief der Bauer schon von Weitem. »Was habt Ihr Euch die Hände zu schütteln?«

»Wir haben uns ein Versprechen gegeben,« antwortete Gisela sehr ruhig.

»So! Darf man wohl erfahren, welches?«

»Warum nicht?«

»Nun, heraus damit!«

»Ludwig hat mir versprechen müssen, auch dann noch da zu bleiben, wenn der Osec als mein Mann hier eingezogen ist.«

Ihr Vater vermochte nicht sogleich zu begreifen, was sie beabsichtigte.

»Das ist wohl eine Lüge!« sagte er.

»Nein. Der Ludwig bleibt bei mir. Nicht wahr?«

Die Frage war an den Knecht gerichtet.

»Ja, ich bleib bei Dir,« antwortete dieser. »Ich habe es Dir versprochen, und mein Versprechen halte ich.«

»Da hast Du es, Vater. Er ist ein braver Dienstbote, mit dem Du immer zufrieden gewesen bist. Und weil er heut beim Essen sagte, daß er fortgehen werde, so habe ich ihn gebeten, zu bleiben.«

»Ist das auch wahr?«

»Natürlich! Du hast ja gesehen, daß er mir die Hand darauf gegeben hat.«

»Ich denk, Du willst von dem Osec hier gar nichts wissen!«

Die drei neu Angekommenen waren durch das Verhalten des listigen Mädchens vollständig dupirt.

»Ja, noch vorhin war ich entschlossen, zu widersprechen,« antwortete sie. »Der Bräutigam fing seine Sache gar zu ungeschickt an. Wenn man einen häßlichen Mann bekommt, kann man wenigstens dafür verlangen, daß er nicht auch noch dazu ein Dummkopf ist. Aber Ludwig hat mir gute Worte gegeben und mir die Sache in Güte erklärt. Er hat gesagt, daß der Mann immer anders werde, als er als Bräutigam sei, und weil der Vater es nun einmal will und ich nichts dagegen machen kann, ohne großes Aufsehen zu erregen, so bin ich entschlossen, einmal zu sehen, ob er das richtige Geschick hat, sich meine Zuneigung zu erwerben.«

Die Drei blickten sich sprachlos an. Endlich sagte Osec, der Sohn:

»Und wenn ich hier einziehe, dulde ich diesen Kerl doch nicht.«

»Halts Maul!« gebot der Kerybauer. »Hier bin ich der Herr, und Du hast Niemanden fortzujagen. Der Ludwig ist gut. Sei froh, daß er der Gisela in das Gewissen geredet und sie zum Gehorsam gebracht hat! Also, Mädchen, Du willst diesen Bräutigam haben?«

»Ja,« antwortete sie bereitwillig.

»So ist heut der Verspruch, sobald die Verwandten kommen.«

»Nur nicht so schnell,« lachte sie. »Erst muß ich wissen, ob er auch gut tanzen kann.«

»Na, wenn Du weiter keine Schmerzen hast, so kannst Du bald kurirt werden,« antwortete ihr Vater, ebenso lachend wie sie. »Gleich nach der Kirche wird die Musik beginnen. Wir warten, bis die Verwandten kommen und gehen dann mit ihnen hin. Ob wir vor oder nach dem Verspruch einen Oberländer stampfen, das ist egal. Und jetzt wird eine Flasche Wein aufgemacht. Kommt Alle herein! Und Du, Bursche, gieb Deiner Braut den Arm! Du hast das Recht dazu.«

Der jüngere Osec hielt unter einer plumpen Bewegung seinen Arm hin, und Gisela legte ihre Hand auf denselben. Beide schritten als Paar hinter ihren Vätern her.

Ludwig blieb stehen. Gisela bemerkte es, drehte sich um und sagte:

»Komm doch auch mit! Vater hat gesagt, daß Alle mitgehen sollen. Da bist Du doch auch gemeint.«

»Nein,« entgegnete der Kerybauer. »Mit einem Knecht trinke ich freilich nicht aus einer Flasche. Wenn er Dir den Standpunkt klar gemacht hat, so war das seine Pflicht und Schuldigkeit, und ich bin ihm nicht noch extra verbunden, die Gläser mit ihm anzustoßen. Auf den Saal aber mag er mitkommen, und was er da trinkt, das werde ich bezahlen.

Damit war die Sache abgemacht. Ludwig fühlte natürlich die Beleidigung auf das Lebhafteste, wurde aber genugsam dafür getröstet, denn Gisela warf ihm, sich nochmals zurückwendend, einen so freundlichen, leuchtenden Blick zu, daß er darüber hätte laut aufjauchzen können.

Er blieb also im Garten zurück und nahm wieder auf der Bank Platz, wo er vor kaum einer Viertelstunde in so trüben Gedanken versunken gesessen hatte. Jetzt freilich waren seine Empfindungen ganz andere, obgleich die Verhältnisse sich seit vorhin eigentlich gar nicht geändert hatten. Ein warmer, freundlicher Blick aus einem lieben Auge kann größere Wirkung hervorbringen, als ein äußeres, wenn auch noch so einflußreiches Ereigniß. Ein solcher Augenstrahl kann eine ganze innere Welt zum Grünen und Blühen bringen.

Nach einiger Zeit kam seine Mutter in den Garten und gesellte sich zu ihm. Sie war draußen auf den Wiesen spazieren gegangen, ganz von Glück erfüllt, daß sie in ihrer Noth Rettung gefunden hatte, und theilte ihm ihren Entschluß mit, heut bei ihm zu bleiben.

»Das ist recht,« sagte er. »Nun wirst hier noch was derleben können.«

»Ja, den Verspruch der Gisela mit dem Osec.«

»Oder auch was Anderes. Es ist gar leicht möglich, daß aus der Verlobung gar nix wird.«

»Meinst? Ich glaub, es wird was draus, denn was dera Kerybauer einmal will, das führt er auch hinaus.«

»Aber die Gisela wird nicht wollen.«

»Hat sie Dir das etwan gesagt?«

»Nein. Ich denks halt nur. Ich hab hier belauscht, was sie mit Dem sprochen hat, der ihr Bräutigam werden soll. Sie hat ihn nur an dera Nasen packt und ihn daran herumizogen. Nun gehts halt in das Wirthshausen, wo er zeigen soll, daß er tanzen kann. Das sollst auch mit sehen, Mutter.«

»So, also wills ihn zuvor auf die Proben stellen. Ist er denn ein guter Tänzer?«

»Er schaut halt gar nicht darnach aus. Ich glaub nicht, daß er die Prob bestehen wird.«

»Ja, wann er so tanzen könnt wie Du, da könnt sie schon mit ihm zufrieden sein. Es hat nicht ein Jeder das Gelenk dazu.«

»Nun, das Gelenk, das ich hab, das wird sie heut wohl kennen lernen.«

»Wie? Willst sie etwan gar mal zum Tanz verengageriren?«

»Freilich wohl. Oder meinst nicht?«

Sie machte ein sehr bedenkliches Gesicht, drohte mit dem Finger und antwortete:

»Ludwig, mach keine Dummheiten! Wannst sie auch lieb hast, aber bekommen thust sie doch nicht. Ich rath Dir Gutes: Schlag sie Dir aus dem Sinn!«

»Schon gut! Brauchst keine Angst zu haben.«

»Ja, die brauch ich wohl nicht zu haben, denn tanzen thust doch nicht, und Dich blamiren, das wirst auch nicht thun.«

»Oho! Dera Ludwig Held blamirt sich wohl nicht gar so leicht.«

»Wirsts aber doch thun, wannst sie zum Tanz aufforderst, denn sie wird ihn Dir abschlagen.«

»Oder auch nicht!«

»So eine reiche und vornehme Bauerstochter tanzt nicht mit ihrem Knecht. Und nachhero, wann sie Dich abweist, dann wirst ausgelacht.«

»Aber wann sie doch mit mir tanzen will?«

»So wirds der Bauer nicht dulden; das kannst Dir denken und an denen zehn Fingern abzählen. Du mußt gewärtig sein, daß er Dich vielleichten gar aus dem Dienst jagt.«

»Das wär freilich schlimm!« lachte er leise auf.

»Vielleicht wär es nicht schlimm, sondern gut. Du kämst fort und thätst die Gisela nimmer sehen. Da könntest sie Dir leicht aus dem Sinn schlagen. Und einen andern guten Dienst bekommst doch allemal.«

»Das hab ich mir auch denkt, und darum wollen wir uns keine Sorgen machen, Mutter. Komm, wir gehen jetzund nach dem Wirthshaus. Heut werden wir ein paar Flascherln Schampagner trunken.«

Er stand von seinem Sitze auf. Sie ging auf seinen Scherz ein, indem sie antwortete:

»Ja, heut kannst groß thun und den Flamschlamper trinken. Heut hat Dir eine Fee das Geld dazu in den Kasten than. Aber besser wärs, wannsts Dir aufheben thätst.«

»Hab nur darum keine Sorg! Der Schampagner, den ich trink, der ist in dera Brauerei sotten worden und kostet das Leben nicht. Also komm!«

»Wirds nicht zu zeitig sein?«

»Nein, denn ich hab Besuch, und da muß halt die Lüderlichkeiten sobald wie möglich beginnen.«

Sie gingen Beide nicht durch den Hof, sondern sie verließen den Garten durch eine kleine Thür, welche in das Freie führte. Dort ging ein Weg an den Wiesen hin. Wenn man ihm folgte, so gelangte man zunächst an eine kleine Ziegelei, welche dem Kerybauer auch gehörte, und sodann nach dem etwas entfernten Gasthofe, der ein Wenig seitwärts der Dorfstraße lag.

Heut, am Feiertage, stand die Zigelei verwaist da. Die Arbeit ruhte ja. Dennoch ging Ludwig nicht an ihr vorüber. Als ein treuer Knecht seines Herrn konnte er nicht vorüber gehen, ohne nachzusehen, ob sich Alles in Ordnung befinde.

Sie bestand aus dem Brennofen, welcher am Eingange der Lehmgrube lag, und gegenüber zog sich ein sehr langes, niederes, auf Pfeilern ruhendes Dach hin, unter welchem auf Latten tausende von Ziegeln standen, um da vor dem Brennen lufttrocken zu werden.

Neben dem Brennofen stand eine kleine Hütte, in welcher sich die Ziegelarbeiter während ihrer freien Zeit aufzuhalten pflegten. Jetzt aber war ganz gewiß keiner von ihnen anwesend. Darum fiel es dem Knecht auf, daß der Laden geöffnet war. Ein Glasfenster gab es nämlich nicht. Auch die Thür war nicht verschlossen sondern nur angelehnt.

Ludwig trat hinzu, stieß die Thür vollends auf und blickte hinein.

Das Innere zeigte die vier nackten Wände, eine alte Holzbank und ein Strohlager in der Ecke. Dieses Letztere war in diesem Augenblicke benutzt. Auf demselben lag nämlich Usko, jener Slowak, welcher vorhin mit dem Kerybauer gesprochen hatte. Es schien ihm nicht ganz angenehm zu sein, hier getroffen zu werden. Doch stand er keineswegs von dem Lager auf.

»Was thust Du hier?« fragte Ludwig, keineswegs in einem sehr freundlichen Tone.

»Ospanliwy sem,« antwortete der Gefragte.

Das heißt zu Deutsch: Ich bin schläfrig.

»Rede deutsch!« gebot der Knecht. »Ich weiß, daß Du das ebenso gut kannst wie ich.«

Anstatt zu gehorchen, schob der Slowak seine neben ihm liegenden Blech- und Drahtwaaren noch mehr von sich ab und streckte sich in eine bequemere Lage.

»Nun, willst Du nicht reden?« fragte Ludwig.

»Ist nicht nothwendig,« erklang es kurz.

»Ich denke grad, daß es nothwendig ist. Wer hat Dir erlaubt, Dich hier niederzulegen?«

»Ich.«

»Wie bist Du hereingekommen?«

»Da herein.«

Er deutete dabei nach der Thür.

»Das ist nicht wahr. Die ist stets verschlossen, wenn die Arbeiter nicht da sind. Ich sehe übrigens auch, daß der Schlüssel fehlt.«

»Wenn Du es besser weißt, so brauchst Du mich ja nicht zu fragen!«

»Du hast den Laden aufgestoßen und bist da hereinstiegen. Die Thür hast von innen aufimacht.«

»Ja, so ists. Hast Du was dawider?«

»Sehr viel.«

»So wirf mich hinaus!«

Bei diesen Worten richtete er sich in drohende Stellung halb empor.

»Dazu könnte Rath werden,« lachte Ludwig verächtlich; »aber ich mag es nicht thun.«

»Weil Du Dich fürchtest!«

»Oho! Das bilde Dir nur nicht ein. Du bist mir zum Angreifen zu dreckig.«

»So packe Dich fort, und laß mich in Ruh!«

Der Slowak drehte sich so, daß er dem Knechte den Rücken zukehrte.

»Ja, gehen werde ich; aber Du machst auch, daßt weiter kommst. Hier ist keine Herbergen für solche Leut, wie Du bist.«

Da sprang der Landstreicher mit einem einzigen Rucke empor.

»So?« rief er funkelnden Auges. »Was sind das denn für Leute, zu denen ich gehöre?«

»Vagabunden sinds,« antwortete der Knecht furchtlos.

»Das sagst Du mir, mir?«

Er bückte sich nieder und nahm eine starke, spitze Drathscheere vom Boden auf. Er pflegte sich derselben zu bedienen, wenn er irgend eine Reparatur an den Blechgeschirren Anderer vorzunehmen hatte. Doch geschah das nur ganz selten. Usko liebte es nicht, zu arbeiten. Er gewann seinen Unterhalt auf eine ganz andere Weise und trug das Gewerbe eines Topfeinstrickers und Blechwaarenhändlers nur aus gewissen Gründen zur Schau.

»Ludwig, komm!« bat seine Mutter angstvoll, als sie die drohende Haltung des Stromers bemerkte.

»Pah!« antwortete der gewesene Unteroffizier. »Meinst, daß ich mich vor diesem Kerlen und seiner Scheer fürchten thu? Er gehört nicht hier herein. Wann er schläfrig ist, so mag er in das Wirthshaus oder in die Herberg gehen, falls er gerechte Sach hat. Durch den Laden einisteigen, das duldet Niemand.«

»So?« fragte der Slowak höhnisch. »Gehört diese Hütte etwa Dir?«

»Nein, aber meinem Herrn.«

»Und Du denkst, daß der mich hier nicht dulden würde?«

»Frag ihn doch mal! Aberst nicht, wann er allein ist, sondern wann er sich bei andern Leuten befindet.«

»Ich frage ihn überhaupt nicht. Wenn er mich fort haben will, so mag er kommen und es mir sagen. Du aber hast mir nichts zu befehlen. Dich kenne ich.«

»So? Nun, wie kennst mich dann?«

»Als einen Spion und Aufpasser, der sich um Dinge bekümmert, welche ihm ganz und gar nichts angehen.«

»Weißt das so genau?«

»Ja. Ich hab Dich beobachtet.«

»So bist also Du der Spion, wannst mich heimlich beobachtest. Aberst schau, ein gescheidter Kerlen bist freilich nicht. Wannst klug wärst, so hättst mir das nicht sagt. Indem Du Dich aber verplaudert hast, so hast damit eingestanden, daß ich ganz auf dera richtigen Spur bin. Und grad darum wärs sehr gut für Dich, wannst höflich mit mir wärst und nicht so grob. Verstanden!«

»Soll ich Dir vielleicht Kratzfüße machen?«

»Nein. Aber wannst an einem Ort schlafen oder übernachten willst, der meinem Herrn gehört, und ich komm dazu, so kannst wenigstens um Entschuldigung bitten.«

»So! Nun, so bitte ich Dich jetzt nachträglich noch um Verzeihung. Bist Du nun zufrieden gestellt?«

Das klang so höhnisch, daß Ludwig zornig auffahren wollte; er zwang sich aber zur Ruhe und antwortete:

»Ob ich zufrieden gestellt bin oder nicht, darauf kommt es Dir doch nicht an. Ich mag am liebsten gar nix mit Dir zu schaffen haben.«

»Das ist sehr klug von Dir, denn Dein Nutzen wäre es nicht, wenn wir einmal zusammengeriethen. Wenn Du noch Etwas zu sagen hast, so sage es rasch. Ich habe keine Lust, mich länger mit Dir zu ärgern. Ich bin müde.«

»Und ich bin fertig mit Dir.«

»So mach Dich von dannen!«

Ludwig hätte diesen Menschen fortjagen können. Er fürchtete sich auch nicht etwa vor ihm, aber er befolgte eine gewisse Absicht, indem er sich jetzt still mit seiner Mutter entfernte. Und es zeigte sich auch viel eher, als er es ahnen konnte, wie klug er da gehandelt hatte.

Die Beiden gingen langsam an der erwähnten langen Ziegelreihe hin.

»Dreh Dich mal um!« sagte Ludwig. »Du wirst sehen, daß der Kerlen aufistanden ist und uns nachschaut.«

Sie befolgte seine Worte und antwortete sodann:

»Ja, er stand unter dera Thür; aberst er fuhr sogleich zuruck, als ers merkte, daß ich zuruck sah.«

»Siehst! Habs mir doch denkt.«

»Wer ist dieser Kerlen?«

»Ja, wann ich das nur erst wissen thät! Ein Slowaken ist nicht. Daß er aber ein ganz und gar schlechter und gefährlicher Kerlen ist, das weiß ich genau.«

»Und er beobachtet Dich?«

»Weil er weiß, daß ich auch auf ihn aufpaß. Wann er nun was thun will, was ich nicht wissen soll, so macht er vorher den Spionen, um zu derfahren, wo ich bin und was ich thu.«

»Ja was ist denn das, was er da treibt?«

»Vielerlei, wast jetzund nicht zu wissen brauchst. Weißt, es geschehen zuweilen Dinge, die man ganz still auf dem Herzen behalten muß. Nicht mal seinem besten Freund oder seiner Muttern darf mans sagen.«

»So bist ja jetzt ein recht Heimlicher worden!«

»Freilich wohl. Aberst es kommt schon auch mal die Zeit, in der Du Alles derfahren wirst.«

»Ists etwan gefährlich für Dich?«

»Nein.«

»Der Kerl hat aberst doch ganz so than, als ob er Dir was auswischen will!«

»O, der soll mir nur kommen! Aber schau, dort ist noch Einer!«

Sie hatten jetzt die Ziegelei hinter sich und kamen an einem Gebüsch vorüber, an welchem ihnen ein zweiter Slowak langsam entgegenschlenderte.

»Kennst den auch?« fragte die Mutter.

»Grad so gut wie den Andern.«

»Und sie gehören zusammen?«

»Ja. Sie sind Verbündete. Wo dera Eine ist, da bekommt man auch bald den Andern zu sehen.«

Jetzt war der Slowak ihnen ganz nahe. Er blieb in demüthiger Haltung stehen und grüßte:

» Dobre den – Guten Tag!«

Der Knecht dankte kurz und ging weiter.

»Diese Kerlen thun, als wanns nicht Deutsch reden könnten, und doch können sie es ganz ausgezeichnet;« sagte er. »Wart mal, Mutter, ich will doch mal sehen, ob er uns wohl heimlich nachschaut.«

Der Weg hatte eine Krümmung gemacht, so daß der Slowak nicht mehr zu sehen war. Ludwig trat um einige Schritte zurück und bemerkte, daß der Kerl nachgeschlichen kam. Rasch eilte er weiter, nahm seine Mutter beim Arme, zog sie fort und schritt nun mit ihr in einer Weise weiter, als ob es ihm gar nicht in den Sinn gekommen sei, sich umzusehen. Aber als er hinter einer abermaligen Biegung des Weges angekommen war, blieb er wieder stehen und lauschte hinter die Büsche zurück. Dann sagte er:

»Er hat uns beobachtet, und nun ist er überzeugt, daß ich mich nicht um ihn bekümmere.«

»Das ist auch das Allerbest, wast thun kannst.«

»O nein. Diese Beiden haben heut was vor, und das muß ich derfahren.«

»Beileibe nicht. Willst etwan zu ihnen zuruck?«

»Ja. Sie haben sich vielleichten nach dera Ziegelhütten bestellt, und wenn auch nicht, so werdens sich jetzund gleich dort treffen. Was sie da reden, das muß ich hören.«

»Das geb ich nicht zu! Wann sie es merken, kanns Dir schlecht ergehen!«

»Da glaub ja nicht, Mutter. Von diesen Beiden nehm ich den Einen in die rechte Hand und den Andern in die Linke und werf sie nachher so hoch in die Luft, daß sie erst nach zehn Jahren wiederum herunterkommen.«

»Sie können Dir aber heimlich was anthun!«

»Ich werd meine Sach ja auch heimlich machen. Oder meinst, daß ichs ihnen merken laß, wann ichs belauschen thu?«

»Wie willst das anfangen?«

»Ich geh hier hinter die Büschen. Dort beginnt die Lehmgrube, welche sich bis hin zu der Ziegelhütten erstreckt. Sie ist tief, und es kanns gar Niemand bemerken, daß ich mich in ihr befind. Auf diese Weisen gelang ich an das Häuschen. Die Beiden werden drinnen sein, und ich schleich mich an den Laden. Dieser steht offen, und da kann ich Alles hören, was sie mitnander reden.«

»Und das ist nicht gefährlich?«

»Nein. Geh nur einstweilen weiter. Ich komm bald nach. Mach Dir keine Sorg um mich!«

»Fast möcht mir dennoch angst werden. Dera zweite Kerlen hat zwar so demüthig grüßt, aberst ich hab doch den Blick sehen, den er dabei nach Dir worfen hat. Es war da eine gar große Feindseligkeiten drinnen.«

»Weiß schon. Aber ich bitt Dich, geh nur jetzt weiter, sonst versäume ich die Gelegenheit und bekomm gar nix zu hören.«

Er eilte hinter die Büsche. Dort senkte sich eine tiefe, steile Böschung da hinab, wo man den Lehm zu den Ziegeln gegraben hatte. Die Grube war lang und schmal. Ludwig eilte auf der Sohle derselben hin bis an das andere Ende derselben, wo der Ziegelofen stand und neben ihm die Hütte. Hier kletterte er wieder an der Böschung empor und stand nun an der Hinterwand der Hütte. Er lauschte vorsichtig um die Ecke. Er sah keinen Menschen und huschte nun bis hin zu dem geöffneten Laden. Dort angekommen, vernahm er nun zu seiner Genugthuung die Stimmen der beiden Slowaken.

Der Zweite derselben, welcher ihm soeben begegnet war, hatte allerdings nicht gewußt, daß Usko sich in der Hütte befinde. Er hatte an derselben vorübergehen wollen, war aber von seinem Kameraden bemerkt und angerufen worden:

»Zerno! Du schon hier? Willst Du etwa vorübergehen! Komm herein!«

Darauf hin war der Genannte in das Innere der Hütte getreten, hatte seine Blechgefäße und Drahtwaaren zu Boden geworfen und sagte erfreut:

»Wie gut, daß wir uns finden! Ich dachte schon, Dich erst am Abend zu sehen.«

»Es ist ein Zufall, aber ein guter. Hast Du den Knecht gesehen?«

»Ja. Er Dich auch?«

»Er kam herein und that, als ob er hier der Herr sei.«

»Hättest Du ihn doch hinaus geworfen!«

»Beinahe wäre es so weit gekommen. Wo ist er hin?«

»Er ging mit der Alten nach der Schänke hin.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja.«

»Ich traue dem Hallunken nicht. Da er erst mich und sodann auch dich gesehen hat, kann er leicht auf den Gedanken kommen, wieder umzukehren um zu sehen, was wir hier treiben.«

»Das thut er nicht. Auch ich traue ihm nicht und Du weißt, daß ich vorsichtig zu sein pflege. Ich bin ihm heimlich nachgegangen und habe mich überzeugt, daß er nicht umgekehrt ist.«

»Das war gut. Ich bin nicht so vorsichtig gewesen wie Du, und das war sehr dumm von mir. Hätte ich die Thür und den Laden zu gehabt, so wäre der Kerl an mir vorüber gegangen, ohne mich zu entdecken.«

»Tröste Dich! Ein Unglück ists nicht, daß er Dich gesehen hat. Er ist nur der Knecht. Der Herr aber hält es mit uns. Hast Du schon mit ihm gesprochen?«

»Ja. Er hat mich für den Abend wieder bestellt.«

»Recht so! Morgen kann wieder ein Geld verdient werden. Drüben liegen die Waaren schon bereit.«

»So machen wir vielleicht einen doppelten Profit. Wenn wir hinüberwärts auch Etwas bekommen, so giebts zwiefältige Bezahlung.«

»Wenn wir nicht erwischt werden!«

»Unsinn! Warum sollen wir grad morgen so ein Pech haben?«

»Weil man jetzt besser aufpaßt als früher.«

»Hm! Ein Wunder ist das nicht. Wir haben es Jahre lang getrieben, ohne daß es ihnen gelungen ist, uns zu ertappen. Aber auf die beiden Osecs können wir uns verlassen. Besonders der Alte ist ein Schlaukopf ohne Gleichen. Wer weiß, was er sich jetzt wieder ausgesonnen hat, um die Beamten irre zu führen. Es ist eine Lust, unter diesen zwei Spitzbuben zu arbeiten. Giebts sonst vielleicht noch etwas Neues?«

»Ja! Zweierlei. Etwas Böses und auch etwas sehr Gutes.«

»So sage zuerst das Böse, damit man nachher das Gute zum Troste hat.«

»Dieses Böse brauchst Du eigentlich gar nicht zu wissen, denn es geht Dich gar nichts an. Es betrifft nur mich allein.«

»Das freut mich; aber erfahren kann ich es wohl dennoch?«

»Ja. Du mußt es eigentlich auch erfahren, damit Du mir keinen Schaden machst. Ich habe nämlich von früher her einen Feind, einen grimmigen Feind, und diesen Kerl habe ich gestern gesehen.«

»Ist das etwas so Böses?«

»Eigentlich nicht, wenn ich ihm aus dem Wege gehen könnte. Leider aber, ist es sehr leicht möglich, daß er mich zufällig sieht, und dann kann es um mich geschehen sein.«

»Donnerwetter! Ist der Mensch so gefährlich?«

»Ja. Ich wäre ihm gestern beinahe in die Hände gelaufen.«

»Wo?«

»Drüben in Hohenwald. Ich kam hinüber, um für morgen die Gelegenheit auszukundschaften, und ging in das Wirthshaus. Ich hatte schon die Stubenthür halb offen. Da sah ich zu meinem Erstaunen diesen Menschen sitzen und machte die Thür natürlich rasch wieder zu.«

»Hat er Dich auch gesehen?«

»Nein, sonst wäre ich nicht so davon gekommen.«

»Du scheinst gewaltigen Respect vor ihm zu haben!«

»Hm! Du kennst mich. Ich arbeite lieber mit List als mit Gewalt. Ein Goliath bin ich nie gewesen.«

»Wer ist denn dieser Kerl eigentlich?«

»Ein Zigeuner.«

Usko blickte rasch auf. Er war sichtlich überrascht.

»Ein Zigeuner? Da drüben in Hohenwald?« fragte er.

»Ja. Dort hätte ich es nicht für möglich gehalten, einen solchen zu treffen. Er ist aus der Walachei, da unten herauf.«

»Sapperment! Aus der Walachei! Das ist ja höchst interessant! Bist Du denn auch da unten gewesen?«

»Nein. Ich habe den Kerl in Ungarn getroffen. Da führte er noch seinen eigentlichen Namen. Jetzt hat er sich anders genannt. Als ich mich durch den Hof des Wirthshauses von dannen schlich, traf ich auf eine Magd und fragte nach ihm. Da erfuhr ich, daß er jetzt ein Tausendkünstler ist und sich Signor Bandolini nennt.«

»Das ist ein italienischer Name.«

»Ja. Eigentlich heißt er Jeschko.«

Da sprang der andere Slowak vom Boden auf. Es war deutlich zu sehen, daß er nicht nur überrascht sei. Die Zeichen des Schreckes standen ihm im Gesicht geschrieben.

»Jeschko!« rief er aus. »Donnerwetter! Ist das möglich!«

»Was hast Du denn? Kennst Du ihn?«

»Natürlich! Ich kenne ihn genau, sehr genau. Ich werde doch meinen – – –«

Er hielt inne.

»Was meinst Du?«

»Na, ich brauche mich ja vor Dir nicht zu fürchten, zumal er auch Dein Feind ist. Ich wollte sagen, daß ich doch meinen Bruder kennen werde.«

»Wie? Was? Dein Bruder soll er sein!«

»Ja, er ist es.«

»Du hast doch niemals erwähnt, daß Du einen Bruder hast.«

»Weil ich alle Veranlassung habe, nicht von ihm zu reden.«

»Aber der Name Jeschko ist gar nicht selten. Es kann ein ganz Anderer sein.«

»Schwerlich. Mein Bruder ist Tausendkünstler, Seiltänzer und so weiter.«

»Und dennoch kannst Du Dich irren. Es ist doch wohl möglich, daß auch ein anderer Künstler so heißen kann.«

»Freilich! Aber daß er grad nach Hohenwald gekommen ist, daß – – Himmeldonnerwetter! Wenn ich, ohne zu erfahren, daß er da drüben ist, ihm in die Hände gelaufen wäre!«

»Mensch, Du bist ja beinahe außer Dir!«

»Ich habe auch Veranlassung dazu!«

»Dich in dieser Weise vor Deinem Bruder zu fürchten?«

»Ja. Er ist ein unversöhnlicher Kerl. Und ich habe früher Etwas gethan, was er mir nie vergeben wird. Ich freilich würde es ihm auch nicht vergeben.«

»So sieh ihn Dir doch zunächst einmal von Weitem an! Vielleicht ist er doch ein Anderer.«

»Das glaube ich nicht. Daß er nach Hohenwald gekommen ist, zum Silberbauer jedenfalls, das ist mir der sicherste Beweis, daß er es ist. Ich möchte aber zum Teufel beten, daß er den Silberbauer sterben lassen möge. Wenn er leben bleibt, und ich falle unglücklicher Weise in die Hände des – – – na, schweigen wir lieber davon!«

»Bester wärs. Du erzähltest mir Alles.«

»Vielleicht später.«

»Ich könnte mich doch darnach richten. So aber kann man sich irren Ich habe geglaubt. Dir sei es sehr gleichgiltig, daß ich diesen Jeschko gesehen habe, und nun ist er gar Dein Bruder!«

»Jedenfalls ist er es. Ich glaube nicht, daß ich mich irre. Aber was hast denn Du mit ihm gehabt, daß Du jetzt vor ihm erschrecken mußt?«

»Das werde ich Dir auch später erzählen, so wie Du mir das Deinige auch heut nicht sagen willst.«

»Meinetwegen! Aber morgen kommen wir hinüber, und da werde ich mich ganz genau nach ihm umsehen. Er soll mir nicht gar lange im Wege sein.«

»Wie meinst Du das?«

»So, wie ich es sage.«

»Willst Du etwa – – –?«

Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle.

»Ja, das will ich, und das werde ich, wenn er es ist, und wenn er etwa die Absicht hat, alte Sachen wieder aufleben zu lassen.«

»Deinen eigenen Bruder umbringen!«

»Rede nicht so dumm! Feind ist Feind, selbst wenn man blutsverwandt mit ihm ist. Und ehe ich mich aufhängen lasse, mache ich doch lieber einen Andern stumm.«

»Recht hast Du. Und daß Du grad so und nicht anders denkst, das ist mir lieb. Er wird also auch mir nicht lange im Wege sein.«

»Nein. Dafür laß mich nur sorgen. Und wenn ich es nicht allein fertig bringen sollte, so wirst Du mir doch wohl mit helfen.«

»Das kannst Du Dir denken. Also auf den Silberbauer bezieht sich die Sache?«

»Ja! Auf ihn und den Thalmüller drüben in Scheibenbad.«

»Was? Auf den mit? Bist Du mit ihm feind- oder freundlich daran?«

»Wir sind Freunde.«

»So habe ich Dir noch etwas höchst Unangenehmes zu sagen. Der Müller ist nämlich gefangen genommen worden.«

»Ists wahr?« fragte Usko erschrocken.

»Ja. Ich habe es gesehen, als sie ihn brachten.«

»Alle Teufel! Dann darf ich mich ja auch nicht sehen lassen. Jetzt werden die Beiden, der Müller und der Silberbauer, wohl gar so dumm sein und Alles gestehen!«

»Der Letztere wird vielleicht kein Wort mehr sagen. Der Teufel wird ihn holen. Aber was ist es denn, was sie gestehen sollten?«

»Das geht Dich zunächst noch gar nichts an.«

»Himmel! Bist Du heut höflich!«

»Ists ein Wunder? Mein schöner Bruder ist drüben in Hohenwald – der Silberbauer ist wieder erwischt – der Thalmüller ist gefangen – wer solche Neuigkeiten hört, der hat genug. Rede lieber von der guten Nachricht, die Du mitgebracht hast.«

»Jetzt noch nicht. Erst muß ich von Dir Eins erfahren, nur das Eine. Das andre Alles magst Du noch für Dich behalten. Wenn der Jeschko Dein Bruder ist, so mußt Du doch auch ein Zigeuner sein?«

»Freilich bin ich das!«

»Er hat damals davon gesprochen, daß er einen Bruder gehabt hat. Der hat, glaube ich, Barko geheißen.«

»Stimmt ganz genau.«

»Der bist Du?«

»Ja. Hat er Dir auch gesagt, was er gegen mich hat?«

»Nein.«

»Das ist ihm ähnlich. Er ist ein höchst verschwiegener Kerl. So, jetzt weißt Du, was Du wissen willst. Und nun rede Du auch!«

Der Knecht Ludwig stand schon längst draußen vor dem Fenster und hörte jedes Wort, welches im Innern der Hütte gesprochen wurde. Jetzt dauerte es eine Weile, bevor der Slowak der an ihn ergangenen Aufforderung nachkam.

»Nun, fällt es Dir so schwer?« fragte Usko, der eigentlich Barko hieß.

»Nein; aber es ist etwas so Prächtiges, daß Du es vielleicht gar nicht glauben wirst.«

»Pah! Du wirst mir doch nicht etwa einen Bären aufbinden!«

»Nein, gewiß nicht, zumal ich Dich sehr nothwendig brauche, um endlich einmal mein Ziel zu erreichen.«

»Das erreichst Du niemals.«

»Oho!«

»Du hast mir einmal gesagt, daß Du ein Millionär werden möchtest.«

»Nun ja, grad das ist mein Ziel.«

»Und das glaubst Du, jetzt zu erreichen?«

»Ja, endlich!«

»Höre, laß Dich nicht auslachen!«

»Siehst Du, daß Du es nicht glaubst! Ich wußte es im Voraus!«

»Es ist ja auch nicht zu glauben. Um Millionär zu sein, muß man eine Million haben, und wo sollst Du sie herbekommen?«

Er lachte laut auf. Der Andere aber bemerkte ärgerlich:

»Lach mich nur aus! Ich weiß doch, wo ich sie hernehmen werde.«

»Ja, das wüßte ich auch. Man nimmt sie eben von einem Millionär. Aber diese Kerls lassen sich nicht so leicht Etwas nehmen!«

»Hier in diesem Falle ists aber ganz und gar leicht. Ich bekomme eine Million und Du auch eine. Wenigstens! Vielleicht bekommen wir noch viel mehr!«

»Mensch, das sagst Du mit solcher Gewißheit!«

»Warum nicht?«

»Und dazu machst Du ein so ganz und gar ernsthaftes Gesicht! Ich werde fast irre an Dir!«

»Das glaube ich Dir gern. Wenn Einer so mit Millionen herumwirft, so hat man wohl Veranlassung, zu zweifeln. Aber ich sage Dir, daß ich wirklich nicht flunkere.«

»So rede doch! Rede! Wenn es Dein Ernst ist, so darfst Du mich doch nicht so lange auf die Folter spannen!«

»Ja, jetzt kannst Du es nicht erwarten, und erst hast Du mich ausgelacht!«

»Weil ich weiß, daß der Zufall ein ganz sonderbarer Kautz ist. Es läßt sich schon denken, daß er uns einmal eine Million in den Weg werfen kann. Also heraus damit! Ich kann es kaum erwarten!«

»Nur langsam, langsam! Die Sache ist von so großer Wichtigkeit, daß ich, bevor ich davon rede, erst sehen muß, ob ich sicher bin. Es wäre doch möglich, daß wir belauscht werden. Ich will einmal nachsehen.«

»Vorhin war ich mißtrauisch, und jetzt bist Du es. Na, so sieh nach.«

Als Ludwig, der Lauscher, diese Worte hörte, huschte er von dem Fenster fort und nach dem Brennofen hin, hinter welchen er sich versteckte. Dort waren mehrere Tausend fertiger Ziegel aufgeschichtet; er konnte nicht gesehen werden, vermochte aber sehr gut zu bemerken, was Zerno vornehmen werde.

Dieser kam aus der Hütte heraus, blickte sich um, schritt langsam um die Hütte, um sich zu überzeugen, daß hinter derselben sich Niemand befinde, und kehrte sodann in das Innere zurück.

Dem Knechte kam es darauf an, möglichst wenig von der so wichtigen Unterhaltung zu verlieren. Darum kehrte er schleunigst auf seinen Lauscherposten zurück. Er hörte Usko sagen:

»Konnte es mir denken! Wer kommt auf den Gedanken, heut, am Feiertage, nach der Ziegelei zu gehen, um uns zu beobachten!«

»Der Knecht!«

»Du sagtest vorhin selbst, daß er mit der Alten nach der Schänke gegangen sei: Den also haben wir nicht zu fürchten. Also rede nun endlich.«

»Erst muß ich die Thür ganz zuschließen.«

Ludwig hörte den Riegel, welchen man von innen auch ohne Schlüssel bewegen konnte, in das Schloß schnappen, und dann erklang die Stimme Zerno's:

»Ich habe nämlich einen Herrn ausgegattert, welcher an einem Orte wohnt, an den ganz leicht zu gelangen ist, halb im Dorf und halb im Walde. Er hat Millionen bei sich.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja.«

»Hast Du sie gesehen?«

»Nein.«

»So weißt Du es also nicht!«

»Oho! Wenn ich es Dir sage, wer dieser Herr ist, so wirst Du es sofort glauben.«

»Nun, wer ist's?«

»Es ist – – halt! Wir sind zwar ganz allein, aber man kann in einem solchen Falle nicht vorsichtig genug sein. Selbst die Wände haben Ohren. Ich werde Dir den Namen lieber in das Ohr sagen.«

Der Knecht strengte sein Gehör auf das Aeußerste an. Er hörte, daß drin Einer dem Andern Etwas zuraunte, verstehen aber konnte er es nicht. Dann aber rief Usko fast überlaut:

»Alle Millionen Donnerwetter! Ist das wahr?«

»Natürlich!«

»Du bist des Teufels!«

»Ich kann es beschwören.«

»Kennst Du ihn denn so gut, daß gar kein Irrthum möglich ist?«

»Ich habe nur sein Bild gesehen, aber bereits viele Male.«

»So kannst Du Dich dennoch täuschen.«

»Nein, denn ich habe ihn belauscht, ihn und einen Anderen, als sie von der Mühle her kamen nach der Straße zu, welche nach Eichenfeld führt. Da nannte ihn der Andere bei seinem Titel. Und weißt Du, wer dieser Andere war?«

»Nun, wer?«

»Der alte Wurzelsepp.«

»Donner und Doria! Wenn es dieser war, so ist die Sache zu glauben. Ich habe schon einige Male gehört, daß der Alte mit ihm verkehren solle. Aber Du kennst doch auch wirklich den Wurzelsepp?«

»Wer sollte Den nicht kennen! Ich habe nachher sogar mit ihm gesprochen.«

»Sapperment! Hast Du ihn etwa gefragt, wer der Herr gewesen sei?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Das ist sehr gut. Das hast Du ganz recht gemacht, denn hättest Du gefragt, der Alte hätte Dir die Wahrheit doch nicht gesagt, sondern vielmehr Verdacht geschöpft. Er ist ein gescheidter Kerl.«

»Das ist er. Und mich hat er niemals leiden können. Er hätte, glaube ich, den Anderen sogleich vor mir gewarnt, denn er hält mich für einen Kerl, dem man nicht trauen darf.«

»Da wird er sich wohl auch nicht irren.«

»Oho! Traust Du mir etwa nicht?«

»Unsinn! Von mir ist doch gar keine Rede! Wir Beide werden doch wahrhaftig kein Mißtrauen in einander setzen! Wenn Du Dich in diesem Herrn nicht geirrt hast, so glaube ich freilich, daß wir einen außerordentlich guten Fang machen könnten.«

»Millionen!«

»Wenn auch das nicht grad, aber viel Geld hat er stets bei sich.«

»Geld? Denkst Du nur an das Geld? Sei doch nicht so dumm!«

»An was denn noch?«

»An seine Uhr, seine Ringe, seine Busennadel, an seinen Schmuck. Man weiß ja, daß bei ihm das Alles mit den größten Diamanten besetzt ist. Und er hat nicht blos die Edelsteine, welche er an seinem Körper trägt. Wenn er irgend wohin reist, so nimmt er so Vieles mit, an was er gewöhnt ist, und das ist dann Alles von Gold und mit Brillanten geschmückt.«

»Recht hast Du, sehr Recht. Kerl, Dein Gedanke kann mich ganz begeistern!«

»Nicht wahr? Ja, ich sage Dir, daß ich mich von dem Augenblicke an, als ich ihn sah, in einem gelinden Fieber befinde.«

»Das glaube ich, denn bei mir fängt es auch bereits an, den Puls schneller zu machen. Wie schinden wir uns, um einige Hundert armselige Gulden zu verdienen!«

»Wir riskiren dabei das Zuchthaus und auch das Leben. Die beiden Osecs zahlen schlecht, und der Kerybauer weiß sich so schlau zu halten, daß man ihm niemals an den Leib gehen kann. Er würde sich, wenn wir ergriffen werden, ganz sicher aus der Schlinge ziehen können.«

»Das wohl; aber sein schönes Geld, welches er stets dabei riskirt, wäre dach verloren. Es soll doch vorgekommen sein, daß er sein ganzes Vermögen an einem einzigen Abende auf das Spiel gesetzt hat.«

»Dafür aber ist es auch immer größer geworden. Ich möchte nicht wissen, wie viel er oft an einem Abende verdient; ich würde mich zu sehr ärgern, wenn ich das vergleichen müßte mit unserer Bezahlung. Nun aber können wir es auch so machen. Wir können mit einem Schlage reich werden.«

»Reich, ja. Aber ob wir diesen Reichthum anwenden können, das ist eine ganz andere Frage.«

»Warum nicht? O, ich weiß schon, was ich mit dem Gelde beginnen würde!«

»Ich auch, mit dem Gelde nämlich. Aber wir werden grad Geld vielleicht wenig bekommen. Was aber fangen wir mit den Diamanten an? Weißt Du das?«

»Die verkaufen wir.«

»Wer nimmt sie uns ab?«

»Darum habe ich keine Sorge. Ich kenne in Prag einige professionirte Hehler, welche mit Freuden zugreifen würden.«

»Aber was würden sie uns bieten? Kaum die Hälfte des Werthes.«

»Natürlich! Jeder will verdienen, und je größer das Risico ist, desto größer die Prozente. Du mußt doch auch bedenken, daß unser Käufer die Edelsteine binnen einer Jahre langen Zeit gar nicht verwerthen könnte. Die Polizei der ganzen Erde würde in Aufruhr versetzt sein.«

»So mag er sie umschleifen lassen. Dann sind sie nicht mehr zu erkennen.«

»Aber sie verlieren dadurch am Werthe, und darum dürfen wir den Preis nicht zu hoch stellen. Uebrigens ist es lächerlich, jetzt schon vom Verkaufe zu reden. Wir haben ja die Katze noch gar nicht im Sacke.«

»O, die bekommen wir!«

»Bist Du so überzeugt davon?«

»Ja. Ich habe mir dann gestern am späten Abende die Gelegenheit angesehen. Sie ist wirklich prächtig. Man kann den Fensterladen von dem Mühlendamm aus erreichen.«

»Und in dieser Stube schläft er?«

»Ja. Er wohnt und schläft da.«

»So wacht er auf dabei. Ohne Geräusch wird es sich wohl kaum thun lassen.«

Bist Du auf einmal gar so ungeschickt geworden? Du hast ja bereits Streiche mit ausgeführt, welche hundertmal schwieriger waren.«

»Das mag wohl sein; aber wenn es sich um einen solchen Herrn handelt, so wird man mißtrauisch gegen sich selbst. Auf welche Weise ist denn der Laden verschlossen?«

»Auf ganz gewöhnliche Art; durch einen eisernen Querstab, der mit dem einen Ende in der Mauer befestigt ist. Am andern befindet sich der Vorstecker, welcher nach innen geschoben wird.«

»Nun, wie willst Du da den Laden aufmachen, ohne daß ein Geräusch zu vernehmen ist?«

»Dadurch, daß ich die Angel aus der Mauer wuchte. Die Mühle macht Geräusch genug, um das Knirrschen, welches wir verursachen, unhörbar werden zu lassen.«

»Da hast Du freilich Recht. An das Klappern der Räder habe ich nicht gedacht. Aber nun kommt es auf das Fenster an. Wie kommen wir da hinein? Wie bringen wir es auf?«

»Mit einem Pflaster. Das legen wir an die Scheibe und drücken sie ein.«

»Und wenn er doch dabei erwacht!«

»Nun, so ist das doch nicht gefährlich für uns. Wir können ja ausreißen. Kein Mensch wird uns halten. Mit einigen Schritten erreichen wir den Wald.«

»Dann aber ist die Million zum Teufel!«

»Leider! Aber wir brauchen sie doch nicht aufzugeben! Warum wollen wir fliehen? Das ist doch auf keinen Fall nothwendig!«

»Auch nicht, wenn er erwacht?«

»Auch dann nicht.«

»Ich begreife Dich nicht.«

»Und ich Dich auch nicht. Mag er immerhin aufwachen. Er wird sich doch ganz ruhig verhalten.«

»Der? Auf keinen Fall!«

»Pah! Wir zwingen ihn dazu! Wenn es sich um so viel handelt, dann ist mir Alles gleich.«

»Ah! Sapperment! Du meinst – –?«

»Ja, ich meine – –«

»Das wäre ja gefährlich!«

»Gar nicht. Der Schuß ist auch nicht zu hören, denn meine Stockflinte ist ein Meisterstück. Es kann für uns nicht die allergeringste Gefahr geben.«

»Aber der Gedanke, ihn zu erschießen, ist doch im höchsten Grade un – un – un – – ich finde kein Wort, dafür.«

»Und ich finde kein Wort, um Deine Dummheit richtig zu bezeichnen. Zum Beispiel ziehen Hunderttausende in den Krieg und ein Viertel davon wird erschossen. Und Du willst Dir's zu Herzen nehmen, wenn es sich um einen einzigen Menschen handelt! Laß Dich doch nicht auslachen!«

»Aber so ein Mensch wie grad er!«

»Vor Gott sind alle Menschen gleich und vor dem Teufel auch. Also wenn wir einen Menschen in den Himmel oder in die Hölle schicken, so ist es sehr gleich, wer dieser Mensch ist. Das giebst Du doch zu?«

»Kerl, Du bist wirklich ein ganz und gar gefährliches Subject!«

»Du ebenso. Vielleicht hast Du bereits mehr auf Deinem Gewissen als ich auf dem meinigen.«

»Darüber wollen wir uns nicht streiten.«

»Nein; das fällt mir nicht ein. Aber gescheidter als Du bin ich auf alle Fälle. Du redest von dem Einbruche, zu dem wir uns entschlossen haben, wie der Blinde von der Farbe. Ich habe Dich wirklich nicht für so dumm gehalten!«

»So? Ist meine Dummheit wirklich so sehr groß?«

»Ungeheuer!«

»Wieso?«

»Meinst Du denn in Wahrheit, daß wir zu den Millionen kommen könnten, ohne daß der gegenwärtige Besitzer dran glauben muß?«

»Ich denke, daß es sich wohl auch ohne Mord möglich machen lassen werde.«

»Nein. Kannst Du denn einsteigen und ihm Alles abnehmen, ohne daß er dabei aus dem Schlafe erwachen wird?«

»Hm! Das wird sich freilich nicht thun lassen!«

»Siehst Du! Munter wird er jedenfalls.«

»So binden und knebeln wir ihn.«

»So einen Riesen? Wenn es nur für einen kurzen Augenblick zum Kampfe kommt, ist es mit uns aus. Er wird sogleich um Hilfe rufen.«

»So reißen wir aus.«

»O, der hält uns fest!«

»So ist es immer noch Zeit, die Waffen zu gebrauchen.«

»Aber es ist dann zu spät, wenn sein Hilferuf einmal gehört worden ist. Nein, er muß auf alle Fälle unschädlich gemacht werden.«

»Wenn es uns gelingt, den Laden zunächst nur ein Wenig zu öffnen, so kommen wir dann ohne alle Gefahr an's Ziel. Ich hab bemerkt, daß er während der ganzen Nacht Licht brennt. Ich habe ihn sogar durch eine Spalte des Ladens im Bette liegen sehen. Man kann ganz bequem auf ihn zielen. Er ist gleich beim ersten Schusse eine Leiche. Dann steigen wir ein und nehmen Alles weg.«

»Donnerwetter! Welch ein Aufsehen dann am Morgen!«

»Das geht uns nichts an!«

»Aber wird uns auch die Zeit dazu übrig bleiben?«

»Warum denn nicht?«

»Weil wir ja auch das Paschergeschäft besorgen müssen.«

»Das wird uns wenig stören. Punkt zehn Uhr gehts über die Grenze hinüber, und eine halbe Stunde später sind wir unsere Waaren los. Punkt zwei Uhr bekommen wir die Paquete, welche herüber zu transportiren sind. Wir haben also über drei Stunden freie Zeit zur Ausführung unseres Vorhabens. Die anderen Pascher dürfen freilich nichts davon ahnen. Sie halten das Schmuggeln für keine Sünde, den Mord aber für das größte Verbrechen. Darum ist es gut, daß die ganze Gesellschaft sich nach dem Ablegen der Pakete zerstreut und sich erst dann wieder zusammenfindet, wenn die Rückwaaren angekommen sind.«

»Es fragt sich, wie weit wir bis zur Mühle haben. Oder weißt Du bereits, welchen Weg wir dieses Mal nehmen werden und wo wir die Packete abzugeben haben.«

»Nein. Das werden wir erst morgen erfahren. Jedenfalls aber werden wir uns nicht sehr weit von der Mühle befinden.«

»Hat er denn keine Dienerschaft bei sich?«

»Ich habe Niemand bemerkt, konnte mich aber auch nicht erkundigen. Das wäre ja aufgefallen. Aber morgen früh werde ich Alles zu erfahren suchen.«

»Und wo bleiben wir heut Abend?«

»Beim Kerybauer auf dem Heustadel. Er wird uns dann unsere Weisungen geben können. Er muß natürlich vorher mit den Osecs Alles besprechen. Jetzt am Tage wird er keine Gelegenheit dazu haben. Also abgemacht?«

»Hm! Ich möchte doch noch nicht ganz bestimmt Ja sagen.«

»Feigling!«

»Schimpfe einstweilen! Es ist ein verdammt albernes Gefühl, welches Einen beschleicht, wenn man daran denkt, was er ist.«

»Hast Recht. Albern ist dieses Gefühl jedenfalls, und weil ich niemals albern gewesen bin, so mag ich mit dergleichen Gefühlen nichts zu thun haben. Du mußt bedenken, daß sich eine so außerordentliche Gelegenheit, schnell reich zu werden, niemals wieder bieten wird. Ergreifen wir sie nicht, so sind wir die dümmsten Menschen der Erde.«

»Und wenn ich nicht mitmache, so siehst Du wohl auch davon ab?«

»Ich? Davon absehen? Das fällt mir gar nicht ein! Wenn Du diesen großen Reichthum nicht mit heben willst, so hole ich ihn mir allein.«

»Das ist Dein fester Vorsatz?«

»Er steht unerschütterlich.«

»Aber Du wirst es allein nicht fertig bringen.«

»Allein viel leichter als in Gesellschaft mit Einem, der sich fürchtet.«

»Hm! So ist also der Tod dieses – dieses Mannes eine beschlossene Sache, ich mag nun mitthun oder nicht?«

»Jawohl.«

»Dann wäre ich freilich sehr dumm, wenn ich verzichten wollte. Ich kann ihn doch dadurch nicht retten.«

»Nein. Und es ist also am Allerbesten, wenn Du mitmachst.«

»Gut, so bin ich dabei.«

»Deine Hand darauf!«

»Hier!«

Der Lauscher hörte die Hände kräftig zusammenschlagen. Dann erklang Zerno's Stimme:

»So sind wir also fertig, und das ist gut. Ich habe heut fast gar nicht geschlafen und bin müde. Ich will ausruhen. Es wird wohl Niemand kommen, der uns stört. Später können wir Alles besprechen. Heut Abend im Heustadel ist dazu die beste Zeit und der beste Ort. Da wissen wir vielleicht auch bereits, wohin der Pascherzug gehen wird. Jetzt laß mich in Ruhe!«

Es erklangen die Blechgefäße. Daraus ließ sich schließen, daß die Zwei sich mit einander auf dem Strohlager Platz gemacht hatten, um sich auszuschlafen. Sie hatten den Tod eines Königs beschlossen und vermochten, darauf ruhig zu schlafen. Ludwig schauderte. Zwar wußte er nicht, von wem sie gesprochen hatten, aber er wußte doch, daß es sich um einen Mord handelte. Ists möglich, daß die Seele eines Menschen so bodenlos tief in Gott- und Gefühllosigkeit versinken kann? Man sollte es nicht glauben.

Ludwig mußte jetzt annehmen, daß das Gespräch nun zu Ende sei und er jetzt nichts mehr erfahren werde. In Folge dessen entfernte er sich. Aber wie langsam und zögernd waren seine Schritte gegen vorher. Das Gehörte ging ihm im Kopf herum. Es lag ihm so schwer auf der Seele, als ob er selbst den Entschluß gefaßt habe, einen Menschen umzubringen.

Und wer war dieser Mensch?

Zerno hatte den Namen desselben seinem Verbündeten in das Ohr geflüstert, und dann war er nicht laut genannt worden. »Herr« hatten sie immer nur gesagt. Aus Allem ging hervor, daß er kein gewöhnlicher Mann sein könne. Er trug Edelsteine im Werthe von Millionen bei sich – ihrer Ansicht nach. Außerordentlich reich war er also auch.

In einer Mühle wohnte er. Aber in welcher? Er war aus dieser Mühle gekommen und nach der Straße gegangen, welche nach Eichenfeld führt. Aber welche Straße war das? Es führten Straßen von Nord und Süd, von Ost und West nach Eichenfeld. Aus dieser Aeußerung war also nichts Bestimmtes zu schließen.

»Sollten Sie gar einen König dermorden wollen? Aberst hier in Oesterreich giebts halt keinen. Sollten sie meinen König meinen? Eichenfeld liegt ja drüben im Bayern. Und einen »Riesen« haben sie ihn nannt? Mein guter König ist von hoher und breiter Gestalt, und er würde es gar wohl mit diesen Zweien aufnehmen können, wanns ihn überfallen wollten. Aberst das ist nicht möglich, ganz und gar unmöglich. Dieser Gedanke ist ja so gräßlich, daß ihn gar kein Menschenkind haben kann!«

Er dachte weiter nach, ohne Etwas zu finden, woraus irgend eine Klarheit zu schöpfen sei. Sollte er sie jetzt sofort anzeigen und arretiren lassen? Nein, denn es stand in diesem Falle fest, daß sie Alles leugnen würden. Und dann konnte ihnen nichts geschehen.

Nein, er mußte schweigen und sie genau beobachten. Er mußte warten, bis Grund vorhanden war, sich ihrer zu bemächtigen. Das war freilich gefährlich. Sie konnten dabei Zeit finden, ihr Verbrechen auszuführen.

Aber da dachte er daran, daß sie sich heut Abend ja im Heustadel besprechen wollten. Wenn es ihm da gelang, sie abermals zu belauschen, so lernte er wohl besser als jetzt ihre Absichten kennen und konnte darnach handeln. Er beschloß also, jetzt noch zu schweigen und sich am Abende zeitig in's Heu zu legen, noch bevor sie es thaten.

»Und das, was ich immer denkt hab, ist also auch richtig. Dera Kerybauern ist ein Hauptschmugglern, und die beiden Osecs sind seine Kameraden. Darum soll die Gisela den Jungen heirathen. Nun, da werd ich wohl meine beiden Händen dazwischen halten. So ein Kerlen soll mein Dirndl nicht unglücklich machen. Wann ich sie auch nicht bekomm, so soll sie doch Einer erhalten, der kein Verbrechern ist und den sie gut leiden mag.«

In diesem Sinnen langte er beim Wirthshause an. Der Tanz hatte noch nicht begonnen, doch waren schon viele Burschen und Mädchen versammelt. Diejenigen, welche für dieses Vergnügen unentbehrlich waren, nämlich die Musikanten, saßen unter dem Baume, welcher vor dem Hause stand, und Ludwigs Mutter hatte bei ihnen Platz genommen.

Die Capelle bestand aus nur drei Personen, welche ihre Instrumente bei sich hatten – einen Violonbaß, eine verbogene und verknillte Posaune und eine alte B-Klarinette. Diese drei Künstler waren in mehreren Beziehungen hochinteressant. Zunächst wegen ihrer fast gleichlautenden Namen. Sie hießen nämlich Menzel, Wenzel und Frenzel. Darum wurde die Capelle kurz und treffend die »Wenzelei« genannt.

Die Drei waren keineswegs Musiker vom Fache. Der Rumpelfrenzel, welcher so genannt wurde, weil er den Violonbaß »rumpelte«, hatte sein Instrument von einem selig verschiedenen Vetter geerbt. Er war der Schneider des Ortes und verbrachte einen Theil seiner freien Stunden damit, seinem Basse ein Zahnschmerzen erregendes Grunzen und Stöhnen zu entlocken. Er war sehr lang, sehr dürr, trug eine schauderhafte falsche Haartour auf dem schmalen Schädel, einen blauen Sonntagsfrack mit blanken Knöpfen auf dem Leibe und einen kupferrothen Hautüberzug auf der langen Nase.

Der Posaunenwenzel war Schuster. Er hatte einem in der Stadt wohnenden Musikus lange Jahre hindurch die Stiefel geflickt, selten aber seine Bezahlung erhalten. Endlich hatte er die Geduld verloren und seinen Schuldner verklagt. Nachdem er den Proceß gewonnen und es bis zur Pfändung getrieben hatte, war von dem säumigen Musikus nichts zu bekommen gewesen als die unglückliche Posaune. Da sie ihrer Unbrauchbarkeit wegen keinen Käufer fand, so hatte sich der Schusterwenzel vor lauter Wuth darauf gelegt, sie nun selbst zu blasen. Er verstand es, ihr die unglaublichsten Töne zu entlocken. Töne, welche zwischen dem Quiken eines Ferkels und dem Brüllen eines wüthenden Ochsen hin und her fuhren, ohne auf einem festen Ton haften zu bleiben. Der Posaunenwenzel war von starkknochiger, untersetzter Gestalt. Die Haare standen ihm stets zu Berge; sein kleiner Schnurrbart sträubte sich ohne Unterlaß, und was er in seinem Geschäfte des Wochentags an Pech übrig behielt, daß pflegte ihm des Sonntags an den Händen und im Gesicht zu kleben.

Der Dritte im schönen Bunde, nämlich der Clarinettenmenzel, spielte den Musikdirector. Er war von Geburt und Herzensliebe ein echter Bayer und sprach, obgleich er bereits seit langen Jahren hier in dem böhmischen Dorfe als Hufschmied wohnte und lebte, heut immer noch seine vaterländische Mundart. Er hatte ein rothes, dickes Gesicht, war überhaupt sehr behäbig und beleibt und ging grundsätzlich nur in bayrischer Gebirgstracht – Bergschuhe, Wadenstrümpfen, Lodenjoppe, Gurt und einen Hut mit Spielhahnfeder, obgleich er während seines ganzen Lebens keine Henne, viel weniger einen Hahn sich auf das Gewissen geladen hatte.

Sein Mund hatte eine eigenthümliche Lage angenommen. Er war nämlich stets zugespitzt, mit aufgeblasener, vorgeschobener, runder Oberlippe. Das sah sehr possierlich aus, hatte aber einen guten Grund, und dieser Grund war die Clarinette.

Eines schönen Tages nämlich, kurz nachdem er hier in's Dorf gezogen und sich die Schmiede nebst einem kleinen Aeckerlein gekauft hatte, war ein alter Mann, welcher mit altem Eisen handelte, zu ihm gekommen und hatte ihm einen Sack voll dieser Waare zu einem wahren Schundpreise angeboten. Der Schmiedemenzel hatte das alte Eisen gekauft und dann unter demselben die Clarinette gefunden.

Das liebe Instrument hatte freilich nur aus den hölzernen Theilen bestanden. Die messingenen Klappen hatten sich aus dem Staube gemacht; die Löcher waren verstopft und am Schnabel fehlte das Rohrblatt, ohne welches selbst die beste Clarinette kein menschliches Herz zu rühren vermag. Das hatte den guten Menzel tief erbarmt. Er hatte beschlossen, sich des verwaisten Instrumentes als Pflegevater anzunehmen, und begann dann, die Blößen desselben zu bedecken. Er schmiedete und feilte sich selbst neue Klappen zurecht und nagelte sie an Ort und Stelle fest. Sodann bohrte er die verstopften Löcher wieder aus, freilich mit einem Bohrer, welcher viel zu stark war, und endlich brach er, da er keines Rohrblattes habhaft werden konnte, sich ein Stück von einer hölzernen Streichholzschachtel ab und band es mit starkem Eisendrahte auf den Schnabel fest.

So war das große Werk gelungen. Er kam sich vor wie ein berühmter Instrumentenbauer und rief das ganze Dorf zur ersten Musikprobe zusammen. Diese hatte, aufrichtig gestanden, einen ganz außerordentlichen Erfolg. Als er zum ersten Male oben hineinblies, heulte und jammerte es unten heraus wie von tausend Gespenstern, und die sämmtlichen Löcher winzelten und fibten so, daß er sie sofort mit allen zehn Fingern zustopfte, denn mit seinen neuen Klappen konnte er sie nicht verschließen, da er die Gelenke derselben auch mit festgenagelt hatte.

Aber sein musikalisches Genie setzte sich über solche Nebensachen leicht hinweg. Er blies und blies, bis sein Mund für immer und ewig, selbst des Nachts im Schlafe, die Gestalt des Clarinettenschnabels annahm. Wenn auch jedes Loch der Clarinette in einer anderen Tonart stand, und wenn er auch monatlich für den Schnabel mehr Streichhölzerschachteln brauchte, als er in einem Jahre Streichhölzer verbrennen konnte, er blies eben weiter und brachte es zu einer solchen Virtuosität, daß er zuletzt beim Blasen die Augen gar nicht mehr aufmachte.

Sogar Noten hatte er sich gekauft und sie einstudirt. Eines schönen Tages aber hatte ihm der Herr Lehrer mitgetheilt, daß es Orgelnoten seien, die nur mit zwei Händen und zwei Füßen gespielt werden können. Seit jener Stunde hatte er nie wieder ein Wort mit dem Lehrer gesprochen, und nur des Nachts, wenn Alles schlief, blies er noch diese Orgelfugen, bis ihn seine zornige Frau beim Wickel nahm und in's Bett schleuderte. Die Clarinette kam dann stets unter das Kopfkissen zu liegen; sie konnte gut ruhen, da nun die Frau Schmiedemeisterin aus ihrem natürlichen Schnabel zu schimpfen begann.

Diese drei Musikliebhaber hatten sich selbstverständlich sehr bald zusammengefunden. Sie begannen heimlich zu üben, draußen im Walde oder in einer abseits gelegenen Scheune oder in einem fernen Steinbruche. Es klappte besser und immer besser. Zuletzt hatten sie eine solche Uebung erlangt, daß, wenn der Eine begann, fingen die andern Beiden auch mit an. Und wenn Einer endlich aufhörte, weil er müde wurde, so brachten die andern Beiden höchstens nur noch zehn bis zwölf Fußtritte, die sie Tacte nannten, und hörten nachhero auch mit auf. Mehr konnte doch nicht verlangt werden.

Schließlich wurde sogar ein so meisterhaftes Zusammenspiel erreicht, daß sie den Walzer ganz richtig im Sechsachtel- und den Galopp im Zweivierteltacte nudelten. Und nun traten sie zum ersten Male öffentlich auf. Der Erfolg war gradezu und wörtlich ein durchschlagender.

War es ein Wunder, daß man sie nach und nach immer mehr schätzen lernte? Endlich kam es sogar so weit, daß, wenn keine auswärtigen Musikanten zu erlangen waren, die drei Künstler gebeten wurden, dem Alter und der Jugend zum Tanze aufzuspielen. Sie thaten es mit stolzem Herzen und steckten voller Genugthuung die Kupferkreuzer ein, welche sie nun ernteten.

Aber nun, da sie ein festgeschlossenes Musikcorps bildeten, stellte sich die Notwendigkeit ein, unter sich einen Director zu wählen. Jeder von den Dreien wollte den Ehrentitel für sich erwerben, und ein Jeder brachte seine guten Gründe vor. Gut waren sie alle, diese Gründe, aber diejenigen des Schmiedemenzel waren doch die besten, wie auch die ganze Gemeinde einstimmig anerkannte. Er hatte sich nämlich sein Instrument selbst reparirt, und er hatte, wie nun auch der Herr Lehrer bezeugte und mit hundert Eiden beschwören wollte, Orgelnoten achtstimmig auf der Clarinette geblasen. Das war maßgebend. Der Clarinettenmenzel wurde Concertmeister und Musikdirector. Die beiden Andern fügten sich. Nur machte der Schuster zur Bedingung, daß das vereinte Corps nach seinem wohlbekannten Namen die Wenzelei genannt werden müsse, und der Schneider bedang sich aus, daß er, während er den Baß strich, sich niemals zu setzen brauche.

»Denn,« sagte er, »ein wahrer Künstler muß stramm am Basse stehen.«

Heut nun sollte getanzt werden. Alle bekannten Musici der Umgegend waren aber vergriffen, und so hatte sich gestern am Abende eine Deputation der Jungburschen zum Herrn Musikdirector begeben, um ihn zu veranlassen, mit seinem Corps zu erscheinen. Er hatte zugesagt, war aber nicht gar zu eilig eingetroffen, denn er hatte einmal gehört, daß es vornehm sei, spät zu erscheinen.

Aus diesem angegebenen Grunde waren die drei Virtuosen nicht direct nach dem Saale gegangen. Sie hatten sich zunächst hier unter dem Baume niedergelassen, um sich an einem Biere zu stärken.

Indessen blickten die Burschen und Mädchen voller Sehnsucht durch die Fenster herab. Sie hätten die Musikanten sehr gern gerufen; aber das ließen sie wohlweißlich bleiben, denn der Schmied konnte es nicht leiden. Er pflegte anzufangen und aufzuhören, wenn es ihm paßte. War man damit nicht zufrieden, so ging er einfach nach Hause, und keine Gewalt der Erde hätte vermocht, ihn zurückzurufen. Dann hatte es natürlich auch mit dem Tanz ein Ende.

Als Ludwig jetzt näher kam und die »Wenzelei« erblickte, zuckte ihm ein guter Gedanke durch den Kopf. Der Musikdirector hielt große Stücke auf ihn, da sie ja Landsleute waren. Das bewies er auch jetzt wieder, denn er rief ihm bereits von Weitem zu:

»Na, Ludwig, wo bleibst denn so lange? Deine Muttern hats uns sagt, daßt kommen willst, und da hab ich nicht ehern beginnen wollt, bist da bist. Dich hab ich ja noch niemals tanzen sehen, und meinem Landsmann muß ich doch einen gar Feinen vormuseriziren.«

»So? Was denn für einen?«

»Einen Walzern aus B-Duren, mit sechzig Trillern und Schnörkeln, wiet noch nimmer einen hört hast.«

»Wissens denn die beiden Andern auch schon bereits?«

»Sie haben ihn noch nicht hört, aber das thut nix bei so einispielten Truppen, wie wir halt sind. Sie mögen ihre zwei Tonarten machen, ich fint schon auch noch die meinige dazu. Die Hauptsach ist und bleibt doch stets, daß wir zusammen anfangen und auch zusammen aufhören. Das Andere ist nur Nebenfach und wird von dera richtigen Discipliren recht bald funden. Ein richtiger Kapellmeistern und Musikdirectoren weiß schon, sich zurecht zu finden, wann auch einer seiner Musicum ein paar Pausen zu viel oder zu wenig blasen thut.

Dieser letzteren Ausdruck schien den Posaunenwenzel zu beleidigen. Er mußte ja gemeint sein, da sein anderer College, der Rumpelfrenzel, ja nicht blies, sondern den Baß strich. Er sagte daher:

»Bitte sehr schön, Herr Musikdirector! Ich blase niemals zu viel. Mich kennt die ganze Gemeinde als einen schenerösen Künstler. Ich gebe stets einige Tacte zu, manchmal sogar eine ganze Klause.«

»Ja,« stimmte der Schmied bei, um ihn zu beruhigen, »das weiß ich halt recht gut. Und Dich hab ich auch gar nicht meint. Ich hab nur sagen wollt, daß keiner von uns jemals irre zu machen ist.«

»Ja,« nickte der lange Schneider, »das ist sehr wahr. Wir sind nicht aus dem Concept zu bringen. Nicht einmal ich, obgleich ich das schwerste Instrument hab.«

»Du?« fragte der Schuster.

»Freilich ja.«

»Wieso denn?«

»Ich hab ja vier verschiedene Seiten zu streichen. Du aber hast nur eine Posaune. Ich hab ferner mit der rechten Hand zu sägen und mit der linken zu greifen. Das macht die Sache schwierig. Habe ich nicht Recht, Herr Director?«

»Recht hat nur Derjenige, welcher sagt, daß ein jedes Instrumenten seine eigenen und sonderlichen Schwierigkeiten besitzt,« entschied der Schmied. »Du streichst und greifst mit den Händen. Wir aber brauchen alle Finger und außerdem auch noch das ganze Maul dazu. Du hast keinen Athem nöthig, wir Beide aber müssen blasen wie mein Schmiedebalg. Ueber solche Sachen wollen wir uns nicht entzweien. Wir sind Kollegen, und ein Jeder muß die Vorzügen und Meisterschaften anerkennen. Trinken wir lieber in Frieden noch ein Bier. Du aberst, Ludwig, setz Dich mit her zu uns. Wir haben bereits Deine Muttern zu uns einiladen, und weilst mein Landsmann bist, sollst grad da neben mir sitzen.«

»Ich denk, Ihr habt keine Zeit mehr, weil dera Tanz beginnen muß?«

»Was? Keine Zeit mehr? Wer will einen Musikdirectorn zwingen, anzufangen? Den möcht ich sehen, der das wagt. Setz Dich nur nieder. Wir haben noch gar viel Zeit.«

Da antwortete Ludwig höflich:

»Das soll mir eine sehr große Ehre und Reputationen sein, wanns die Herren von dera Wenzelei derlauben.«

Diese Schmeichelei gefiel den drei Künstlern gar wohl. Der Schneider Frenzel nahm seine Mütze so schnell ab, daß er sich die Perrücke mit vom Schädel riß. Der Schuster Wenzel lachte aus allen Zahnlücken heraus und antwortete:

»Servus, Salvus, Malvus!«

Er sprach nämlich gern in Ausdrücken, welche mit »us« endigen, weil Musicus ganz dieselbe Endung hat. Auch der Herr Director lächelte wohlgefällig und meinte:

»Da merkt mans doch gleich, wer als Unteroffizier bei dem bayrischen Militär standen hat. Dort wird Einem die Nasen geputzt, daß man sehr bald die richtigen Höflichkeiten lernt.«

»Bist Du auch Soldat gewesen?« fragte ihn der Schuster.

»Nein. Als ich das richtige Alter hatte und untersucht worden bin, da haben die Herren mir auf die Achsel klopft und sagt, daß ich ein sehr tapferer Soldat werden thät und vielleicht gar ein Offizieren. Aberst weil sie es meinem Maul gleich ansehen haben, daß ich ein tüchtiger Künstlern werden könnt und sogar ein Meister auf dera Clarinetten, so habens halt mein Glück und Schenie nicht stören wollt und mich wieder heimgehen lassen. Da bin ich Schmied blieben und hab bald nachhero lernt, die richtigen Klappen auf die Clarinettenlöchern machen. Bist nicht auch irgendwo musikalisch, Ludwig?«

»Habs noch nicht versucht.«

»So bists auch nicht. Wer zu dera edlen Kunst geboren ist, der versuchts auch bald. Dera Instinct treibt ihn so lange, bis er sich zum Beispiel eine Clarinetten im alten Eisen kauft.«

»Oder eine Posaune auspfändet,« stimmte der Schuster bei.

»Oder ein Violonbaß erbt,« meinte der Schneider. »Ein jedes Talent drückt sich seiner Zeit einmal durch, wenns nicht vielleicht stecken bleibt. Aber wer kommt dort? Ist das nicht der Kerybauer mit den Seinigen?«

Der Genannte kam vom Dorfe her. Mit ihm kamen seine Frau, seine Tochter und seine beiden Gäste.

»Holla,« meinte der Schmied, indem er eine finstre Miene zog, »die Osecs sind auch dabei. Da wirds halt nicht viel Freud für uns geben.«

»Warum nicht?« fragte Ludwig.

»Weil diese Kerlen so protzend und aufbegehrend sind. Das mag ich nicht dulden. Ein Musikdirectoren muß auf Ehr halten. Wanns etwan heut wiederum auf ihren Geldsack pochen, so kommens bei mir gleich an den Unrechten. Paßt mal auf!«

Er hatte ganz richtig geahnt. Als die Genannten herangekommen waren, blieb der junge Osec, um groß zu thun, am Tisch stehen und sagte:

»Da sitzt ja bereits der Ludwig! Höre, Du bist ein armer Teufel. Was Du trinkst, das bezahl ich. Kannst Dir einen guten Tag machen.«

»Dank schön!« antwortete der Knecht. »Ich habe bereits zu trinken. Aberst was Du Dir einischenken lässest, das kannst von denen Silberstückerln zahlen, die ich Dir vorhin wiederschenkt hab.«

»Thu nicht groß,« nahm da der alte Osec das Wort. »Für einen Dienstknecht ziemt es sich nicht, aufzuschneiden. Wir aber sind reich und können zahlen. Warum sitzt Ihr noch hier, Ihr Musikanten? Ihr gehört hinauf in den Saal. Hier wird keine Faulheit geduldet. Fangt an!«

Da blickte der Schmied ihn von oben bis unten an und antwortete:

»Was wird hier nicht duldet? Faulheit? Und wer wills nicht dulden? Du etwan? Wer bist denn eigentlich? Ich aberst bin dera Herr Musikdirektor!«

»Ja, der Director von der Lausewenzelei!« lachte Osec.

Aber in demselben Augenblicke stand der Schmied vor ihm, faßte ihn mit seinen gewaltigen Händen an der Brust, hob ihn empor, setzte ihn dann wie ein Kind auf den Erdboden nieder und sagte:

»Das soll einstweilen meine Antwort sein. Wannst noch ein Wort weiter sagst, setz ich Dich hinauf auf den Baum, Du Lausbub Du! Lern erst mal die Clarinetten blasen. Du unnützer Bauerslump. Jetzt werd ich mein Musikantencorps von Dir schimpfiren lassen. Mach Dich von dannen mit Deinem jungen Starmatz, der da steht und das Maul aufsperrt, als ob die Maccaroninudeln achtundzwanzig Ellen lang wären. Ihr seid mir die Richtigen.«

»Aber, Schmied! Was fällt Dir ein,« rief der Kerybauer. »Wie kannst Du meinen Gast da in den Dreck setzen!«

»Was sagst Du zu mir? Was soll ich sein? Schmied soll ich sein?«

»Natürlich!«

»So? Siehst etwan hier meine Clarinetten nicht? Bist wohl blind worden?«

Während er diese Fragen in zornigem Tone ausrief, hielt er dem Bauer die Clarinette dicht unter die Nase. Dieser fuhr zurück und antwortete fast erschrocken:

»Natürlich sehe ich die Clarinette.«

»Nun, so mußt auch wissen, daß ich an diesem Augenblick nicht dera Schmied bin, sondern dera Musikdirectorn. Ich will meine Ehre haben für mich und meine musikalische Capellen, und wer sie mir nicht giebt, dem sollen sogleich Hunderttausendmillionen Teufeln in die Strümpfen fahren!«

Er trat bei diesen Worten drohend auf Kery zu. Dieser wich vorsichtig zurück, denn bei einer Rauferei hätte er gegen den Schmied unbedingt den Kürzern gezogen, und antwortete in beruhigendem Tone:

»Na, na, nur nicht gleich so hitzig! Du hast keinen Lump vor Dir!«

»Du auch nicht. Ich hab einen Bauer vor mir. Du aberst einen Clarinettisten. Kartoffeln kann ich auch pflanzen. Du aber, wannst Clarinetten lernt hast, so blas sie doch mal! Hier ist sie.«

Er hielt ihm das Instrument abermals entgegen.

»Das kann ich freilich nicht,« gestand Kery halb verlegen und halb belustigt.

»Nun, so thu auch nicht so dick, und verlang nicht von uns, daß wir Euch gehorchen sollen!«

»Aber wenn wir Euch bezahlen, so müßt Ihr doch auch blasen!«

»Wer hat Dir sagt, daß wir von Dir Geld haben wollen. Laß Dir vom Wind was vorblasen. Da kannst auch tanzen. Wir machen Musik, wanns uns gefällig ist. Für diese beiden Osecs aberst nun grad gar nicht. Die sind nicht mal von hier. Die zählen hier nix; die sind Luft vor unsern Augen!«

»Sie sind meine Gäste. Beleidige sie mir nicht!«

»Was willst machen, wann ichs dennoch thu? Meinst, weilst der reiche Kerybauern bist, so kannst das ganze Dorf in den Sack stecken? Da bist falsch berichtet. Reiche Bauern giebts genug allüberall. Aberst sag doch mal Deinen gescheidten Gästen, sie sollen jetzt mal da die Wenzelposaune blasen oder den Wenzelviolen spielen. Hebt Euch nur schnell hinweg, sonst lauft mir die Gallen noch mehr über, und nachhero kommen andre brave Leutln schlecht weg, denn wanns mir einfallt, so mach ich nun heut gar keine Musik!«

Da ergriff die Kerybäuerin ihren Mann beim Arme, zog ihn fort und bat:

»Komm! Mach keinen weitern Streit, sonst kann nicht getanzt werden!«

Die Worte verfehlten die beabsichtigte Wirkung nicht, obgleich der Bauer sonst einer solchen Bitte niemals zugänglich war. Er ließ sich fortziehen, konnte es aber nicht über's Herz bringen, ganz zu schweigen, vielmehr gab er noch einen kleinen Hieb zurück:

»Ja, ich gehe; aber lange warte ich auf die Musik nicht. Ich habs nicht nöthig.«

Der Schmied aber rief ihm zornig nach:

»Thu nicht so groß! Vielleicht kommt auch noch mal die Zeit, in welcher Du recht gern wartest, weils nöthig hast!«

Osec, der Vater, war still wieder vom Boden aufgestanden und hatte kein Wort gesagt. Er hatte wohl geglaubt, daß dies dem Schmied gegenüber das Beste sei. Der Kerybauer verschwand mit den Seinen in der Thür des Gasthauses. Er war nicht beliebt, dafür aber gefürchtet im Dorfe. Jetzt nun, da er es nicht hören konnte, wurde oben im Saale, von wo aus man den Vorgang mit angesehen hatte, ein Fenster geöffnet, und einer der Burschen rief herab:

»Bravo, Herr Musikdirector! So war es recht! Wenn sich die Osecs etwa auch hier oben vornehm aufspielen wollen, geigen wir ihnen zur Treppe hinab. Bravo!«

»Schaut, die Jungens habens also sehen,« lachte der Schmied. »Ja, fein bin ich nicht, aberst grob kann ich werden, wann man mich auch grob behandelt. Uebrigens hab ichs denen Osecs schon längst zugedacht. Wann ich denen mal einen Streich spielen könnt, so sollt michs von ganzem Herzen freuen.«

»Ist das Dein Ernst, Landsmann?« fragte da Ludwig.

»Kannsts gern glauben.«

»Nun, die Gelegenheit dazu kannst bereits heut schon haben.«

»Wirklich? Die sollt mir gar sehr willkommen sein. Sie haben grad heut ein Gesicht macht, als obs das große Loos gewonnen hätten.«

»Das haben sie auch. Du hasts derrathen. Wenigstens wenns auf den Kery ankommt, so erhalten sie den Gewinnst.«

»Wie meinst denn das?«

»Der große Gewinn ist die Gisela.«

»Was? Die Gisela? Die will wohl gar der junge Osec denen hiesigen Burschen wegschnappen?«

»Ja.«

»Da soll ihm doch gleich ein Donnerwettern auf den Ambos blitzen Der und die Gisela! Das thät ja, das größte Unglück für das arme Dirndl geben!«

»Das weiß sie gar wohl; darum sträubt sie sich dagegen. Auch ihre Muttern will nix davon wissen; aber der Vatern thut sie zwingen.«

»Schau, ist das so! Oho! Giebts denn hier im Ort Keinen, den sie haben mag? Der sollt sie bekommen, wenn ich was dazu thun könnt!«

»Wenigstens könntst mit wirken, daß dera Osec sie nicht bekommt.«

»So? Wie müßt ich das anfangen?«

»Weißt, sie soll mit ihm tanzen, aberst sie mag nicht.«

»Das kann ich ihr nicht verdenken.«

»Ihr seid drei Künstlern, und Du bist dazu außerdem gar noch auch mein Landsmann. Ihr habt eine Ehr im Leib?, und ich weiß, was ich Euch anvertrau, das werdet Ihr nicht wieder ausplaudern. Nicht?«

Da schlug der Schmied auf den Tisch, daß Alles krachte und rief: »Ja, Recht hast. Künstler plaudern niemals nix aus. Uns kannst Alles sagen. Ists ein Geheimnissen?«

»Ja. Ihr sollt meine Verbündeten und Wohlthätern sein.«

Da erhob der Schneider die Hand wie zum Schwüre und betheuerte: »Bei meiner Baßgeige, ich rede kein Wort aus!«

Und der Schuster stimmte bei:

»Meine Posaune soll verstummen für immer, wenn ich plaudere!«

»Hasts hört?« sagte der Schmied. »Ja, wir sind drei Kerlen, auf die man einen Verlaß haben kann. Also nun kannst reden.«

»Gut! Die Gisela will nicht mit dem Osec tanzen. Sie hat mir gesagt, ich soll stets in ihrer Nähe sein, und wenn er sie engagiren will, so soll ich stets schneller kommen und sie ihm vor dera Nasen wegnehmen.«

Da beugte seine Mutter sich von ihrem Sitze aus weit zu ihm herüber und fragte im Tone freudiger Verwunderung:

»Ists wahr, Ludwig?«

»Ja. Könnt ichs etwan sagen, wanns eine Lügen wär?«

»Nein. Wann hat sie Dirs sagt?«

»Vorhin im Garten.«

»Du lieber Herrgott, so hat – hat – hat –«

Sie hielt inne, indem sie einen zurückhaltenden Blick auf die drei Musikanten warf. Der Herr Musikdirector bemerkte denselben und sagte darum ärgerlich:

»Hat – hat – – hat – – nun, was hat sie denn? Meinst etwan, daßts wegen uns nicht sagen darfst. Ludwig, ich weiß, was sie hat.«

»Nun, was denn?«

»Lieb hat sie Dich.«

Der Bursche erröthete und schüttelte den Kopf.

»Nein,« sagte er, »das bild ich mir nicht ein. Daran ist gar nicht zu denken. Aber sie weiß, daß ich gar viel auf sie halte, und darum hat sie sich unter meinen Schutz begeben.«

»Ein Dummkopfen bist und ein Esel, ein gar gewaltiger! Wann ein Dirndl zu einem Burschen sagt, daß er nur immer mit ihr tanzen soll, weil sie mit ihrem Bräutigam nicht tanzen mag, so hat sie ihn lieb. Das ist die deutlichste Liebeserklärung, die Einem gemacht werden kann.«

»Da wirst Dich wohl irren.«

»Ich, mich irren? Oho! In denen Dirndln irr' ich mich niemals. Damals, als ich die Meinige kennen lernt hab, da hab ich ihr ein Busserl geben wollt. Sie aberst hat sich wehrt und mir eine Maulschellen einilangt, daß mir das Feuer aus denen Augen sprungen ist. Da hab ich sofort wußt, daß sie in mich ganz weg ist. Und nun geh hin zu ihr und frag sie mal, ob sie nicht meine Frauen worden ist! Nein, in diesen Sachen bin ich oh fäh, wie wir Künstlern sagen. Die Gisela hat Dich lieb, und das gefreut mich von ganzem Herzen. Du bist mein Landsmann und ein braver Kerlen. Und wann ich Dich unterstützen kann, so solls gar gern geschehen.«

»Das kannst; wannst willst. Du und Deine beiden Herren Collegen hier.«

»Es geschieht; darauf kannst Dich verlassen. Oder willst etwan nicht, Herr Frenzel?«

Er pflegte, wenn es sich um Collegenschaft handelte, die Beiden stets Herr anzureden.

»Natürlich will ich,« antwortete der Schneider.

»Und Du, Herr Wenzel?«

»Ich thu ihm auch Alles zu liebe,« meldete der Schuster. »Er läßt ja bei mir arbeiten. Noch in voriger Woch hab ich ihm eine neue Strupp an seinen Stiefel machen müssen. So werd ich ihm doch wohl hier beistehen!«

»Hasts hört, Ludwig, hasts hört? Die ganze Wenzelei steht auf Deiner Seiten. Nun sag uns also, was wir thun können!«

»Es ist fast schwer.«

»Pah! Was Leichts zu thun, das ist keine große Ehr. Heraus damit!«

»Nun, es ist doch nicht möglich, daß ich so stets und immer bei dera Gisela stehen bleib. Ich komm auch mal ab von ihr. Da wird dera Osec natürlich sogleich zugreifen, um mit ihr zu tanzen. Nachhero könntet Ihr mir den großen Gefallen thun, daß Ihr – daß Ihr – daß – – –«

»So red doch weitern! Was schnappst denn so nach Luft?«

»Weils gar zu viel ist, was ich Euch zumuthen möcht.«

»Obs zu viel ist oder zu wenig, das werden wir besser wissen als Du. Sags nur erst getrost herausi!«

Da zog Ludwig seinen Beutel aus der Tasche, nahm ein Zehnmarkstück aus demselben, legte es vor den Schmied hin und antwortete:

»Dieses Goldstuckerl geb ich Euch, wann Ihr allemal gleich mit dero Musiken aufhört, sobald er zu tanzen beginnt.«

Der Schmied sagte zunächst kein Wort. Er öffnete den Mund und blickte dem Burschen starr in's Gesicht.

»Nicht wahr, das war zu viel verlangt?« fragte dieser.

Jetzt stand der Schmied langsam auf, schlug mit der Faust auf den Tisch, daß man hätte meinen mögen, das Holz desselben müsse zersplittern, und rief:

»Nein, nein, nein! Hat man schon mal so was hört oder sehen! So eine Beleidigungen, so eine Schlechtigkeiten! Nicht wahr, Herr College Wenzel, dera Ludwig ist ein schlechter Kerlen?«

Der Schuster zögerte mit der Antwort. Da erhob der Schmied den Arm und sagte in drohendem Tone:

»Wirst gleich antworten oder nicht!«

»Ja, Herr Director, er ist einer!«

»Das wollt ich Dir gerathen haben, daßt mir zustimmen thust! Und Du, Herr College Frenzel, Du meinsts doch auch, daß er ein Lump und Beleidiger ist?«

Der Schneider schüttelte verlegen den Kopf und antwortete:

»Mit gütigem Verlaub, Herr Director, ich denke, daß diese Worte –«

»Gar nix hast zu denken, gar nix!« brauste der Schmied auf. Ich bin Euer Herr Directorn; ich hab für Euch zu denken, und Ihr habt mir zuzustimmen. Wannsts nicht sogleich auf dera Stellen thust, so hau ich Dir eine Watschen herunter, daßt mit dem Gesichten sofort in die Baßgeigen einifährst! Also red!«

»Ja, er ist ein schlechter Kerl!« gestand der Violonkünstler nun.

»So ists richtig! Aberst warum ist er ein Lump? Warum? Das wißt Ihr doch auch!«

Beide schwiegen.

»Ja, da sitzt Ihr nun und könnt nicht antworten. Was wärt Ihr für traurige Kerlen, wann Ihr nicht mich, Euern Herrn Directorn hättet! Aberst es ist auch gar kein Wunder, denn ich hab mir meine Clarinetten ganz von selber reparirt und keinen Teuxel dazu braucht. Und Noten hab ich auch lernt, ganz ohne eine fremde Hilf und Zuthat. Darum kann ich jetzt auch den Capellmeistern spielen.«

Ludwig erbarmte sich jetzt der beiden sogenannten Künstler, indem er sagte:

»Ich habs gar wohl wußt, daß es Euch beleidigen muß.«

»So? Was denn?« fragte der Schmied, indem er ihn gespannt anblickte.

»Daß ich Euch zugemuthet hab, gegen Amt und Pflicht zu handeln. Ihr dürft wohl eigentlich gar nicht aufhalten, wann Ihr einmal anfangen habt.«

»Meinst? Wer wills uns denn verbieten, es zu thun, wanns uns beliebt, he? Nein, grad das, daßt das von uns verlangst, das hat mir sehr gefallen; darüber hab ich mich freut. Aberst daßt uns ein Geld dafür geben willst, das ist eine Infamitäten sonder Gleichen. So ein armer Schluckern wie Du bist, und wir, die noblen Künstlern, sollen Dich um Deine Ersparnissen bringen! Dazu will ich gar nicht rechnen, daßt mein Landsmannen bist. Sollsts auch gleich hören, wie die Andern davon denken. Nicht wahr, Herr College Wenzel, es hat Dich beleidigt, daß er uns das Geldl anboten hat?«

Der Schuster warf einen sehnsuchtsvollen Blick auf das Goldstück und antwortete:

»Ja, schlecht genug wars von ihm.«

»So recht! Und Du, Herr College Frenzel?«

Der Schneider krazte sich so lange hinter dem Ohre, daß sich seine Perrücke verschob.

»Nun, wirst gleich antworten! Oder soll ichs Dir etwan hier mit denen beiden Fäusten vordemonstriren?«

»Hm!« antwortete der Bedrängte. »Es ist eine sehr schöne Sache um so ein hübsches Goldstück; aber wenn es dem Herrn Director so beliebt, so hat der Ludwig freilich sehr unrecht gehandelt. Es war eine großartige Beleidigung für uns!«

»Natürlich! Das ist wahr!«

»So hätte er nicht an uns handeln sollen. Ich hätt nicht geglaubt, daß er uns das anthun könnte. Aber wenn der Herr Director nichts von dem Gelde wissen will, so könnte der Ludwig es uns nachhero vielleicht heimlich geben. Dann hätte ja ein Jeder seinen Willen gehabt.«

Da fuhr der Schmied auf ihn zu, faßte ihn beim Kragen, riß ihn empor und schüttelte ihn, daß Mütze und Perrücke herunterfielen. Dabei rief er in höchstem Zorn:

»O Du gemeiner Taugenix! Wo bleibt bei Dir das künstlerische Ehrgefühl! Hinter meinem Rücken willst das Geldl nehmen! Ich werd Dirs sogleich auf Deinen Rücken zahlen, daßt denken sollst, es brennen Dir zehntausend Freudenfeuern auf dem Buckel!«

Der erschrockene und unter den Fäusten des Schmiedes sich windende Schneider bot einen so jämmerlichen Anblick, daß Ludwig hinzu sprang und ihn von seinem Bedränger befreite.

»Laß ihn doch!« bat er. Kannst Dir doch denken, daß er nur einen Scherz hat machen wollt!«

»So? Aberst einen solchen Scherz will ich mir verbitten. Der musikalische Corpsgeist muß darunter leiden. Dera Musikus muß ein Inbegriff von allen möglichen Noblessen sein, denn die Musiken ist die einzige Kunst, welche nach oben strebt. Die Töne klingen empor; die andern Künsten aber sind Larifari dagegen. Steck Dein Geldl ein, und laß es nimmer wieder sehen, sonst komm ich in die Wuth und prügle alle meine Collegen braun und blau, und Dich dazu, Du Hallunkenkerl!«

»Nun, wannst so befiehlst, so will ich gehorchen. Wie aber stehts nun mit dem meinigen Wunsch, um den sichs gehandelt hat?«

»Der wird Dir erfüllt.«

»So! Herr Director, Du verpflichtest mich da zur ewigen Dankbarkeit.«

»Mach nicht so dumme Redensarten! Ich möcht Dich so ewig dastehen sehen und mir vor Dankbarkeiten die Hand ablecken. So lang stelle ich mich nicht her. Du aberst thätst die Sach gar bald auch überdrüssig kriegen. Nein, das wird ganz anders macht. Hier ist meine Patschen. Hau mit dera Deinigen darein. Das ist ein Handschlag und ein Dank, wie er unter Männern gebräuchlich ist, besonders wann sie Künstlern sind.«

Sie schlugen ein, und sodann gab Ludwig auch den beiden Anderen die Hand. Das Zehnmarkstück aber wär ihnen viel, viel lieber gewesen.

»So, nun ists abgemacht,« sagte der Schmied. »Und nun kann die Musiken beginnen.«

»Aber meinst nicht, daß es zur Unzufriedenheit oder gar zum Streit kommen könnt?« erkundigte sich Ludwig.

»Zur Unzufriedenheit? Ich möcht Denjenigen sehen, der mit mir, dem Directorn unzufrieden thun wollt. Ich thät augenblicklich mit meinem ganzen Corps den Saal verlassen. Und gar noch Streit! Ich als Directorn bin die höchste Polizei beim Tanz, und wer einen Streit beginnt, den werf ich zum Fenstern hinaus, wann er nicht mein Freund ist.«

»Aber die hiesigen Burschen leiden doch darunter, daß die Musik aufhören soll.«

»Das geht Dich gar nix an! Darum hast Dich gar nicht zu kümmern. Ich weiß schon genau, wie man so eine feine Sachen ins Werk setzen muß. Weißt, ich sag so Einigen, die brave Kerlen sind, ein paar Worten davon; diese sagens weiter, und bald wissen Alle, die unsere Freunde sind, um was es sich handelt. Nachhero werden sie nicht unzufrieden sein, sondern sich im Gegentheile ganz außerordentlich darüber veramüseriren, daß die Osecs in dieser Art und Weisen heimileuchtet werden. So, nun ist sagt worden, was sagt werden muß, und jetzunder können wir mit dera Musik beginnen. College Frenzel, hast doch Deinen Carliphonium nicht schon wieder mal vergessen?«

Der Schneider griff in alle Taschen, suchte aber vergebens nach dem Colophonium.

»Der – der ist schon wieder daheim geblieben,« meinte er.

»Was hat er denn daheim zu thun! Hier brauchst ihn doch, hier, um den Bogen zu verschmieren, aber nicht daheim!«

»O, da brauch ich ihn auch.«

»So? Wozu denn?«

»Um den Zwirn einzuwichsen.«

»Mit Carliphonium? Das hab ich all mein Lebtag noch nie gehört. Es muß sich da doch ganz mühsam nähen!«

»Das ist schon richtig; aber es hält besser.«

»So! Aberst mitbringen mußt ihn doch! Wie soll das wieder mal klingen, wannst keinen Carliphonium zum Einreiben hast!«

»Da weiß ich mir schon zu helfen.«

»Wohl gar mit Seifen?«

»Nein, sondern ich laß mir vom Wirth ein Stückchen Faßpech geben.«

»Dann klingts zu rauch, und das Pech fliegt dabei uns in die Nasen. Mußt mehr Rücksicht auf Deine Herren Collegen nehmen. Und grad bei dera Baßgeigen kommts darauf an, daß dera Ton fein, zart und lieblich klingt. Die Baßgeigen ist das Instrument des feinen Gefühls, der noblen Zartheiten. Die Posaune kann eher mal dreinschmettern; das hört man gern an. Aberst Euch kann man die musikalische Instrumentation zehn Jahre lang derklären, so habt Ihr nachhero doch noch nix capirt. Es ist ein schwerer Beruf, Musikdirector zu sein. Das reibt aufi und bringt Einen ganz vor dera Zeit ums Leben. Ich wär bereits schon lange todt, wann ich nicht dazu geboren wäre. Das Scheni und Talent verleiht dem echten Künstler immer neue Kräften.«

Mit diesen Auseinandersetzungen schritt er seinen »Herren Collegen« voran nach dem Saale. Ludwig folgte langsam nach, mit ihm seine Mutter.

Die Musikanten wurden mit lautem Jubel begrüßt. Der Herr Director gab durch eine »noble« Handbewegung seine Zufriedenheit zu erkennen und bestieg mit seinem »Corps« das Orchester.

Dieses bestand aus mehreren leeren Biertonnen, über welche Bretter gelegt waren. Es gab für den Director sogar ein Pult, nämlich ein altes Tischgestell ohne Platte, über welches ein hölzerner Kuchendeckel gelegt war. Ein Taktstock lag darauf. Der Director hatte ihn sich selbst aus einer Ofengabel geschmiedet. Die beiden Zinken hatte er gelassen, zu welchem Zwecke, das konnte man vor Beginn jeder Tanzmusik sehen.

Nachdem er sich gravitätisch hinter sein Pult gestellt hatte, musterte er mit dem Blicke eines Jupiters das Publikum. Dann rief er mit dröhnender Stimme:

»Meine Damen und Herren, Dirndls und Buben, ich bitt um die größte Ruh und Lautlosigkeiten. Es wird einistimmt.«

Er zog einen Bindfaden aus der Tasche, befestigte die frühere Ofengabel daran und ließ sie an demselben hin und her schwingen, so daß sie endlich an das eine Bein des Dirigentenpultes schlug. Das gab einen Ton, welcher durch den ganzen Saal zu hören war. Die verflossene Ofengabel diente also als Stimmgabel. Doch hätte weder Beethoven, noch Richard Wagner sagen können, welchen Ton sie eigentlich angab.

»Herr College Frenzel, den Violonbaß will ich hören!«

Der Genannte ergriff den Bogen und fuhr mit demselben kraftvoll über alle Saiten. Anstatt eines Tones aber war nur ein ganz unbeschreibliches Quietschen und Pfiepen zu vernehmen.

»Was ist denn, das?« rief der Herr Director. »Das klingt ja, als hättest Mäusen und auch Ratten drin!«

»Es ist nix drin; aberst der Carliphonium fehlt am Bogen. Ich habs ja schon gesagt!«

»Donnerwetter! So konntest Dir doch das Pech gleich jetzunder mit heraufi nehmen. Gleich laufst und holst Dirs! Es ist eine Schand, wann die verehrten Anwesenden auf den Bassisten warten müssen.«

»Auf Dich haben sie auch gewartet!«

»Ich spiel die Clarinetten; das ist was ganz Anderes. Lauf schnell, sonst zahlst zwanzig Kreuzer Straf. Ich will Deinen Carliphon schon in Ordnung bringen.«

Der Schneider rannte fort, daß die Frackschöße flogen, und Alles lachte. Der Schmied bat um Ruhe, ließ die berühmte Stimmgabel wieder erklingen und rief sodann:

»Herr College Wenzel, ich wünsche die Deinige Posaunen zu hören.«

Der Schuster setzte das Instrument an, blies die Backen auf, pustete mit aller Gewalt hinein und fuhr nun mit dem Zuge so eilig auf und ab, daß es ein ganz unbeschreibliches Getöne und Gewinsel gab.

»Stimmt!« nickte der Dirigent mit zufriedener Miene. »Du hast noch die ganze Tonleitern drin. Zieh mal ganz aus, und spuck tüchtig hinein! Das giebt dera Posaunen gleich einen viel weicheren Ton.«

Der Künstler befolgte diese Aufforderung sofort und mit größtem Eifer. Indessen kehrte der Schneider zurück. Er hatte ein drei Pfund schweres Stück Faßpech in der Hand, mit welchem er zuerst den Bogen und sodann alle vier Saiten so kräftig einrieb, daß der Staub aufflog. Sodann gab auch er die Stimmung an. Der Director erklärte sich mit derselben einverstanden und rief nun über den Saal hinüber:

»Jetzund kanns beginnen. Ein Walzer, die »gelbe Donau« genannt. Zwei Kreuzer für die Herren. Die Damen zahlen nix. Gewechselt wird nicht und wiedergeben thu ich auch nix. Die Paare kommen, wann sie mal rum tanzt haben, herbei ans Orschestern und stecken mir das Geldl in die Hosentasche. In Empfang nehmen kann ichs nicht, weil ich beide Händen für meine Clarinetten brauch. Aberst ich sag Euch, wann mir ein Einziger etwan einen Knopf anstatt eines Kreuzers in die Taschen steckt, so hat das Vergnügen allsogleich ein End. Reellität muß sein. So, jetzt wißt Ihr Alle, woran Ihr seid. Ich hab nix mehr zu sagen, und es geht los.«

Er ergriff den eisernen Taktstock, schwang ihn durch die Luft, schlug auf den Kuchendeckel, und Baß und Posaune fielen ein. Er hing gemächlich den Taktstock am Faden auf, ergriff die Clarinette und begann eine Melodie zu blasen, über welche alle Hunde des Dorfes, wenn sie da gewesen wären, ein lautes Geheul erhoben hätten.

Die anwesenden Burschen waren aber zufrieden. Was sie hörten, das war Musik, und zwar ein Walzer; das war ihnen genug.

Freilich läßt es sich denken, daß eine Musikcapelle mit Baßgeige, Posaune und Clarinette, welche drei Instrumente nicht einmal zusammenstimmten, ein geradezu schauderhaftes Spiel ergeben mußte. Der Violonfrenzel strich seinen alten Baß so nachdrücklich, als ob er einen dicken Baumstamm entzwei sägen wolle. Und da er sein bestes Augenmerk auf dieses Streichen richtete, so hatte er natürlich keine Zeit, auch noch seine linke Hand zu beaufsichtigen. Es war ihm ziemlich Schnuppe, ob er griff und wohin er griff, und so gab er die Töne aller möglichen Tonarten an, aber diejenige, aus welcher grad dieses Stück ging, brachte er nicht fertig.

Der Posaunenwenzel schien blos zu wissen, daß man vorn hineinblasen und dabei die Posaune auf und ab ziehen und schieben müsse. Takt hielt er; das ist sehr wahr; aber das Uebrige ging ihm weiter nichts an. Er befand sich mit seinen beiden Collegen niemals in derselben Tonart. Das schadete aber nichts; getanzt wurde doch.

Der Clarinettenmenzel mußte natürlich vor allen Dingen zeigen, daß er der Herr Director sei. Zu diesem Behufe gab er den Tact an; das heißt, er stampfte mit dem Fuße, daß die Fässer wackelten, auf denen das Podium errichtet war. Und that ihm davon der eine Fuß weh, so wechselte er ab und stampfte mit dem andern.

Auf sein Instrument hatte er sich gar nicht übel eingeübt. Er vermochte demselben alle Stimmen der Thierwelt zu entlocken, und darauf war er stolz. Weil er die Löcher zu weit ausgebohrt hatte und weil die Ventile so streng gingen, daß sie ihre Schuldigkeit nicht thaten, so kam natürlich mancher Ton zum Vorscheine, welcher klüger gethan hätte, sich gar nicht vernehmlich zu machen. Aber was schadet das? Die beiden Andern spielten ja auch nicht richtig, warum sollte da gerade der Dritte ganz allein rein blasen?

Hätte es sich darum gehandelt, irgend Jemandem eine Katzenmusik zu bringen, so wäre dieser Walzer ein wahres Meisterstück gewesen. Aber er wurde dennoch getanzt, und nicht blos getanzt, sondern auch bezahlt. Der Herr Director erhielt sein Geld ehrlich in die rechte Hosentasche gesteckt.

Es tanzten, wie gewöhnlich beim Beginne eines solchen Vergnügens, nur wenige Paare. Man mußte sich doch erst einrichten. Man mußte erst den Geschmack wegbekommen. Später konnte man dann diese kleine Versäumniß reichlich nachholen. Die Bursche und Mädchens mußten sich erst begrüßen. Sie hatten sich viel zu erzählen. Darum wurde der erste Walzer nur von den leidenschaftlichen Tänzern benutzt, welche sich schon bereits geärgert hatten, daß die Musik nicht längst begonnen hatte.

Der Kerybauer hatte mit seinen Gästen an einem Tische Platz genommen, welcher während des Tanzes nur von den »paar Großen« benutzt zu werden pflegte. Gisela hatte sich nicht niedergesetzt. Sie war zu einer Freundin getreten, um mit derselben zu sprechen; Andere kamen dazu; es bildete sich eine Gruppe hübscher Mädchens, in welcher zu bleiben, Gisela sehr besorgt war.

Sie wollte nicht bei den Osecs sitzen. Da konnte ja Ludwig nicht schnell zu ihr. Darum zog sie sich schließlich mit einigen ihrer liebsten Freundinnen auf die Bank zurück, welche an der Wand stand. Und zwar suchte sie sich eine solche Stelle, auf welcher sie von ihrem Vater so wenig wie möglich beobachtet werden konnte. Und zugleich war dieser Platz so ausgewählt, daß ein leeres Tischchen in der Nähe stand, welches nur für zwei Personen berechnet war.

Als dann Ludwig mit seiner Mutter eintrat und dieses Tischchen bemerkte, eilte er zu demselben, um sich da mit ihr nieder zu setzen. Auf diese Weise befand er sich mit der Mutter allein, konnte nicht belästigt werden und hatte Gisela in der Nähe.

Der Walzer war zu Ende. Jetzt, wo alle Anwesenden seine Stimme hören konnten, machte der Kerybauer seine Bestellung. Er befahl, Wein zu bringen, und blickte sich dabei mit einem Gesicht um, als ob er rundum fragen wolle: »Könnt Ihr mir das nachmachen, Ihr Lumpen?«

Der alte Osec sah, daß das die Leute ärgerte. Darum sagte er ebenso laut:

»Ja, wir haben Geld und können trinken, was unser Herz begehrt. Hier in Euerm Slowitz sind solche Leute selten. Aber, Wirth, schenk ein. Ich will den Slowitzer Burschen zeigen, daß ich ein nobler Kerl bin. Sie sollen ein Freibier haben. Wenn der reiche Mann sich eine Güte thut, so soll der arme Lazarus auch einen Brocken davon bekommen.«

Die Burschen steckten die Köpfe zusammen, flüsterten mit einander und warfen dem stolzen Protzen finstre Blicke zu.

»Das machst Du Recht,« antwortete der Wirth, welcher sich über dieses »Freibier« freute. Natürlich glaubte er ein gutes Geschäft damit zu machen. »Zeig einmal, was Du kannst. Wie viel soll ich bringen?«

»Sechs Gläser.«

Der Wirth glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Er sagte:

»Ich hab Dich wohl falsch verstanden. Hast Du wirklich sechs Gläser gemeint?«

»Natürlich. Wann ich einmal was verschenk, so geb ich auch gleich ordentlich.«

»Donnerwetter, ja, das ist nobel! Gleich sechs Gläser voll für – ja, wie viele Trinker sind denn da?«

»Sechsundzwanzig, die Mädels nicht gerechnet,« antwortete einer der Burschen.

»Sechs Gläser für sechsundzwanzig Burschen. Wieviel kommt da auf den Mann? Wer kann sich das ausrechnen? Der muß die Bruchrechnung gut verstehen.«

Der Bursche, welcher geantwortet hatte, war der Sohn desjenigen Bauers, welcher nach Kery der reichste im Orte war. Er konnte weder den Kery noch die Osecs leiden. Er trat in die Mitte des Saales und rief laut:

»Kameraden, der Osec will uns sechs Glas Bier geben, sechs Glas, sechs Glas für sechsundzwanzig Burschen. Sind wir denn gar solche Lumpe, daß wir uns für einen halben Schluck bedanken müssen? Es ist eine Beleidigung. Ich zahle dem Osec sechsundzwanzig Gläser, auf jeden Burschen eins. Wir hier in Slowitz können auch noch zahlen. Wir sind nicht bankerott und auch keine Bettler; Wirth, gieß die Sechsundzwanzig ein. Er mag saufen, bis er platzt. Dann ist auf der Welt ein Großthuer und Prahlhans weniger.«

»Bravo, bravo! So ists recht!« riefen die Burschen rundum.

»Halt, Wirth!« schrie Osec. »Schänk nicht ein. Nun sollen sie das Bier nicht haben, und ich mag auch das ihrige nicht. Solche Leute sollten froh sein, wenn sie Etwas geschenkt erhalten. Jetzt aber behalte ich mein Geld!«

»Behalte es!« antwortete der Bursche. »Ich aber nehme meine Bestellung nicht zurück. Die Sechsundzwanzig trinken wir, und außerdem bekommt die Musikcapelle ein halbes Dutzend. Schänk ein, Wirth!«

»Himmelsakra!« rief da der Schmied. »Was bist für ein braver Kerlen! Ein halbes Dutzend für meine Capellen! Das laß ich gelten. Durst hat ein Schmied halt immer und zu jeder Zeit, besonders wann er zugleich Musikdirectorn ist. Von Dir nehmen wirs gern an. Von denen Osecs aberst möchten wir keinen Tropfen haben. Wißt Ihr etwan, weshalb diese Beiden heut hier in Slowitz sind?«

»Nun, warum?«

»Die Gisela wollens haben. Verspruch wollens halten. Denkt Euch mal, das reichste Dirndl im Dorf wollens uns wegfischen; Verlobung soll sein, und da giebt dera Osec sechs Glas Bier für sechsundzwanzig Mäulern. Wann das bei dera Verlobung geschieht, wie mag es da erst bei dera Hochzeiten werden! Da müssen die Leutln halt alle verdursten. Nein, wer von Denen was trinkt, dem schau ich all mein Lebtagen nicht mehr ins Gesicht. Für unser Deputat aberst will ich mich gern gleich extra bedanken.«

Er sprang vom Orchester herab und reichte dem Burschen, welcher sich als so freigebig erwiesen hatte, die Hand. Einige andere Burschen traten hinzu, und diese Gelegenheit benutzte der Schmied, ihnen zu sagen, daß Gisela nicht mit dem Osec tanzen wolle, sondern dem Knecht Ludwig die heimliche Weisung ertheilt habe, sie sofort wegzuengagiren, wenn der Kerl auf sie zu komme.

Jetzt zeigte es sich, wie beliebt Ludwig war. Die Burschen freuten sich aufrichtig dieses großen Vorzuges, welchen er vor ihnen erhalten hatte, mit dem reichsten und schönsten Mädchen des Dorfes tanzen zu können, er, der arme Knecht.

»Aber,« meinte der Schmied, »Ihr müßt halt auch mit helfen. Vielleichten giebts einen Skandalen, denn dera Kery wird es nicht dulden wollen, daß seine Tochtern mit dem Knecht tanzt. Nachhero dürft Ihr die Zung nicht schonen und die Hände nicht in die Taschen stecken. Ihr müßt zeigen, daß hier im Saal ein Vatern keine Gewalt über seine Tochtern hat. Hier haben nur die Burschen zu gebieten, und ich bin dera Herr über Alle, weil ich halt dera Herr Capellmeistern bin.«

»Aber was geschieht dann, wenn der Osec sich dennoch einmal der Gisela aufdrängt?« fragte einer der Burschen.

»Was dann geschehen wird, das laßt nur meine Sach sein.«

»Aber wir möchtens doch wissen, damit wir uns darnach verhalten können.«

»Richtig! Nun, wann er das Dirndl engagirt, so halt ich eben auf mit spielen. Ich werds meiner Capellen sagen.«

»Das ist prächtig! Aber er wird es gewaltig übel nehmen.«

»Was machen wir uns daraus? Die Hauptsach ist, daß Ihrs nicht übel nehmt, wann ich mitten im Tanz aufhalten thu.«

»Das fällt uns gar nicht ein. Uns wirds vielmehr einen gewaltigen Jux machen, wenn er wieder zurück muß, ohne getanzt zu haben. Das wird ein Gaudium.«

»Dera Großprahler verdients halt gut, daß er auslacht wird. Doch braucht Ihrs Euch nicht etwan merken zu lassen, daß das Alles eine abgekartete Sachen ist. Lieber nehm ichs auf mich allein. Und nun sagts auch weiter, daß es die Uebrigen derfahren, nur nicht Diejenigen, die es denen Osecs heimlich verrathen würden!«

Er kehrte auf das Podium zurück und gab seinen beiden Collegen die nöthige Weisung. Dann begann der zweite Tanz.

Der junge Osec hielt sich für den vornehmsten Burschen im Saale. Darum tanzte er noch nicht. Jetzt schon zu tanzen, das wäre nicht nobel gewesen. Er feierte noch mehrere Touren hindurch; aber als dann der Director einen Galopp ankündigte, sprang er auf und wollte zu Gisela hin.

Das gelang ihm nicht sogleich, denn die Burschen traten schnell zusammen und stellten sich ihm in den Weg, scheinbar ganz unabsichtlich, und als er dann zur Bank kam, auf welcher Gisela gesessen hatte, war der Platz leer. Gisela stand neben Ludwig in der Reihe der Tänzer.

Um nicht blamirt zu sein, that Osec so, als ob er nicht zu ihr gewollt habe, sondern er engagirte ein Mädchen, welches in der Nähe saß. Da dasselbe aber die Tochter eines armen Teufels war, ärgerte er sich doppelt.

Der Tanz begann. Kery und Osec wollten ihre Kinder mit einander tanzen sehen. Sie standen vom Tische auf und traten weiter vor. Was für Augen aber machte da der Bauer, als er seine Tochter am Arme seines Knechtes sah.

»Donnerwetter, was ist denn das!« sagte er. »Der Ludwig hat sie engagirt! Welch eine Frechheit! Wenn er meint, daß ich mir das gefallen lasse, so hat er sich freilich sehr geirrt. Das werde ich ihm sofort zeigen.«

Er wollte fort, über den Saal hinüber, aber der alte Osec hielt ihn am Arme zurück und warnte:

»Bleib! Mach keinen Lärm!«

»Ein Lärm wird es gar nicht. Ich nehme sie ihm fort, ohne ein Wort zu sprechen.«

»Das giebt trotzdem ein Halloh, denn es ist eine große Schande für einen Burschen, wenn ihm seine Tänzerin genommen wird.«

»Du meinst, ich soll so Etwas dulden? Es ist auch für mich eine Schande, wenn meine Tochter mit meinem Knecht tanzt. Grad Du solltest mir nicht abreden.«

»Laß es nur das eine Mal! Später kannst Du es halten wie Du willst. Du hast gehört, daß die Slowitzer nicht gut auf mich zu sprechen sind. Wir wollen ihnen alle Gelegenheit nehmen, Streit mit uns zu beginnen. Wer ist denn das Mädchen, mit der mein Junge tanzt?«

»Ihr Vater ist Arbeiter in meiner Ziegelei.«

»Alle Teufel! Wie kommt der Kerl zu einer solchen Hungerleiderin?«

»Das kann ich auch nicht begreifen.«

»Ich werde ihn ins Gebet nehmen. So Etwas ist doch unerhört!«

»Natürlich! Wenn er meine Gisela zur Frau haben will, darf er nur mit ihr tanzen und mit keiner Anderen; das versteht sich ganz von selbst, und das ding ich mir auch aus. Und gar noch mit so Einer, wie Diese ist.«

Die Beiden setzten sich wieder nieder. Die Kerybäuerin hatte mit heftigem Erschrecken Gisela neben Ludwig gesehen. Was sollte daraus werden! Sie beobachtete mit angstvollen Blicken ihren Mann. Daß er sich wieder setzte, beruhigte sie keineswegs. Sie sah es ihm an, wie er sich ärgerte.

»Hast Du es gesehen?« fragte er sie. »Die Gisela tanzt mit dem Knechte.« Sie nickte nur.

»Eine solche Blamage ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passirt. Fast möchte ich denken, daß das Mädchen verrückt geworden ist. Aber ich werde ihr den Kopf bald wieder auf die richtige Stelle bringen.«

Jetzt war der Tanz zu Ende. Der junge Osec führte seine Tänzerin gar nicht an ihren Platz zurück, sondern er ließ sie stehen, wo er aufgehalten hatte. Das war eine Beleidigung für sie, welche von Allen bemerkt wurde.

Der bereits erwähnte reiche Bursche nahm sich ihrer sofort an. Er trat dem Osec in den Weg und fragte ihn so laut, daß Alle es hörten:

»Hast Du vielleicht diese Tour auch mit getanzt?«

»Ja. Warum fragst Du?«

»Wo ist Deine Tänzerin?«

»Dort läuft sie.«

»So! Dort läuft sie! Und zwar allein muß sie nach ihrem Platz zurück! Weißt Du nicht, was sich schickt und gehört?«

»Was gehts Dich an! Ich kann thun und lassen, was ich will!«

»Daheim bei Dir meinetwegen, ja; aber hier bei uns nicht. Hier sind die Bursche höflich. Es ist eine Ehre für einen Fremden, wenn Eine mit ihm tanzt.«

»Eine Ehre? Mach Dich nicht lächerlich!«

Damit schob er ihn zur Seite und ging fort. Der Andere aber blieb stehen und rief mit lauter Stimme:

»Hört, der Osec hat seine Tänzerin stehen lassen. Ist das nicht eine Beleidigung für sie und für uns Alle?«

»Ja, ja!« antwortete es rundum.

»Aber beleidigen lassen wir uns nicht. Unsere Mädchen müssen wir beschützen, daß so Etwas nicht wieder stattfindet. Ich schlage also vor: Keiner von uns Allen tanzt mit einem Mädchen, welche sich von jetzt an von dem Osec angreifen läßt. Diejenige, welche mit ihm tanzt, wird von uns in Verruf erklärt. Seid Ihr einverstanden?«

»Ja, Alle, Alle!«

»Außer er geht jetzt gleich hin zu seiner Tänzerin und bittet sie um Verzeihung.«

Das war dem alten Osec zu viel. Er stand von seinem Stuhle auf und rief:

»So Etwas wird ihm nicht einfallen! Selbst wenn er es thun wollte, so würde ich es ihm verbieten.«

»Ein schöner Kerl, der sich von seinem Alten verbieten läßt, höflich zu sein.«

»Willst Du mich etwa beleidigen?«

»Nein! Ich sage nur die Wahrheit und spreche in unser Aller Namen. Ihr seid es, die uns beleidigen. Wenn Ihr so weiter macht, werdet Ihr auch weiter kommen, nämlich zum Saale hinaus und zur Treppe hinunter!«

»Das wagt einmal! schrie der Kerybauer. »Sie sind meine Gäste!«

»Aber nicht die unserigen. Wenn Du Gäste bei Dir hast, so sorge auch dafür, daß sie sich anständig betragen, andres fällts auf Dich zurück. Wir brauchen keine Grobianers hier bei uns im Saale!«

»Und der Osec braucht Eure Mädchens nicht. Er hat seine Tänzerin!«

»So ist sie zu bedauern.«

»Still!« ertönte die Stimme des Schmiedes vom Podium herab. »Ich bitte mir Ruhe aus! Hier habe ich zu gebieten. Wer Veranlassung zum Streite giebt und sich nicht nobelfein betrügt, der wird einfach hinausgeworfen. Merkts Euch gut! Ihr wißt, daß ich kurzen Proceß mach, und da hilft auch keine Appellationen was!«

So war die Ruhe wenigstens einstweilen hergestellt; aber Grimm herrschte an dem Tische, an welchem Kery saß. Der alte Osec ärgerte sich natürlich nicht weniger. Er fuhr seinen Sohn an:

»Daran bist Du allein schuld! Warum hast Du nicht mit der Gisela getanzt?«

»Ich kam zu spät.«

»So lauf schneller! Ein Bursche, welcher ein Geschick hat, läßt sich sein Mädchen nicht vor der Nase wegnehmen. Du mußt gleich beim ersten Musikton hin zu ihr. Und diesen Slowitzern zeigst Du, daß Du ihre Dirnen gar nicht brauchst. Der nächste Tanz wird gemacht. Also paß auf!«

Von jetzt an stand sein Sohn auf dem Sprunge, und kaum hatte der Schmied einen Oberländer verkündigt, so eilte er zu Gisela hin. Aber bereits stand Ludwig vor ihr, sie zum Tanze auffordernd.

»Halt!« sagte Osec. »Diese Tänzerin ist mein!«

Ludwig blickte ihm lachend in's Gesicht und fragte:

»Wer hat das gesagt?«

»Ich!«

»Das gilt wohl nix. Hier hast nix zu sagen. Ich bin eher kommen als Du.«

»Aber ich leide es nicht, daß Du mit ihr tanzest! Sie gehört mir!«

»So? Ich will mich nicht mit Dir streiten. Sie muß es am Besten wissen, wer das Recht besitzt, diesen Oberländer mit ihr zu tanzen. Gisela, wer ist der Richtige?«

»Du,« antwortete sie, »denn Du bist eher da gewesen.«

Sie gab ihm die Hand, und er führte sie fort. Da aber eilte ihr Vater hinzu, ergriff sie beim Arme und rief zornig:

»Was fällt Dir ein! Mit dem Knechte wird nicht getanzt. Das muß ich mir verbitten!«

»Ja, dann muß ich gehorchen,« sagte sie ruhig.

Sie ließ Ludwig fahren und kehrte nach ihrem Platze zurück. Die Musik begann, und die Paare bewegten sich im Kreise. Ludwig schlenderte weiter, und der junge Osec ergriff nun Gisela's Arm und führte sie in die Reihe. Sie folgte ihm, ohne sich zu weigern. Er nahm eine Haltung an wie Einer, der eine Schlacht gewonnen hatte, und warf stolze Blicke rund umher. Er ahnte nicht, wie sehr er heimlich ausgelacht wurde.

Jetzt kam die Reihe an ihn. Er machte seiner Tänzerin eine höflich sein sollende Verbeugung, faßte sie um die Taille und wollte eben beginnen, kam aber nicht dazu.

»Pfififififififi!« erklang die Clarinette. »Psififififapppp!«

Der Baß und die Posaune schmiegen. Alle schauten nach dem Orchester.

»Donnerwettern!« rief der Schmied. »Das ist eine gar alberne Geschichten!«

»Was ist denn geschehen?« fragte Ludwig.

»Mein Clarinettenschnabel hat wieder mal die Diphtherumdis bekommen. Es geht nicht weiter!«

»Kannsts nicht kuriren?«

»Ja, aberst das geht nicht so schnell. Aus dem Oberländer wird nun nix. Setzt Euch wieder auf Eure Plätze. Der Schnabel kann nur durch fließendes Wasser geheilt werden. Ich muß also nunter gehn in den Dorfbach. Wartet also. Vielleichten gehts nachhero wieder besser.«

Er nahm die Clarinette unter den Arm, stieg vom Podium herab und schritt zum Saale hinaus. Die Bursche führten ihre Tänzerinnen an ihre Plätze zurück. Osec mußte dasselbe thun. Er machte ein weniger siegreiches Gesicht als früher. Doch ahnte er nicht, daß die Clarinette ihre Dipheritis nur seinetwegen bekommen hatte.

Nach einer Weile kehrte der Schmied wieder zurück und erklärte:

»Es hat gut holfen. Die Clarinetten hat ihre Stimm wiederum erhalten. Also kann der Ball fortsetzt werden. Ich will hoffen, daß unsere Instrumenten auch fernerhin gesund bleiben. Wir wollen nun den Oberländer nochmal anfangen.«

Die Tänzer suchten ihre Mädchens wieder auf, und auch Osec kehrte zur Gisela zurück. Doch mußte er abermals erleben, daß sie ihm von Ludwig entführt wurde, welcher gar nicht erst in die Reihe trat, sondern sogleich zu tanzen begann.

»Himmeldonnerwetter!« fluchte Kery. »Da hat dieser Kerl sie abermals weggenommen. Welche Frechheit! Jetzt gehe ich hin und halte das Paar mitten im Tanze an!«

Er führte diesen Vorsatz aus. Er ergriff seine Tochter am Arme, riß sie von Ludwig los und wieß diesen durch eine strenge Handbewegung fort. Der Knecht gehorchte ohne Widerstreben und entfernte sich.

»Habe ich Dir nicht verboten, mit ihm zu tanzen!« donnerte der Bauer.

»Ich dachte. Du meintest nur die vorige Tour.«

»Nein, ich meine es überhaupt, ein- für allemal!«

»Aber wenn er eher kommt als der Osec, so muß ich mit. Ich kann ihn nicht zurückweisen. Das würde die Andern beleidigen, und dann wär der Skandal sofort da. Der Osec mag doch schneller machen!«

»Das kann er nicht, weil er weiter entfernt von Dir ist als dieser Ludwig. Du wirst Dich mit zu uns setzen. Und jetzt tanzest Du mit Deinem Zukünftigen.«

Er winkte den Letzteren herbei. Dieser folgte dem Winke, nahm Gisela in den Arm und erhob bereits den Fuß zum Tanze; aber, da – – –

»Fumfumfumfum! Klapp!«

Die Musik schwieg, und alle Paare blieben stehen.

»Sapperment! Das ist dumm!« rief der Violonfrenzel.

»Was hast denn macht?« fragte der Herr Director in ärgerlichem Tone.

»Da ist mir gar der Steg umgefallen, auf dem die Saiten liegen. Nun kann ich eine Viertelstunde arbeiten, ehe ich ihn wieder aufbringe.«

»Das ist freilich ein Unglück, schuld bist aber glücklicher Weisen nicht daran. Wannst schuld wärst, da thät ich Dich gleich aus meiner Capellen entlassen und ohne Pangsion aus den Dienst jagen.«

»Oho!« fuhr der lange Schneider auf.

»Ja, das ist wahr. Da brauchst Du Dich nicht zu wundern. Eine Nachlässigkeiten duld ich nicht im Dienst. Meine Capellen ist berühmt, und ich muß zuschauen, daß sie diesen guten Ruf auch fort behalten thut. Oder meinst etwan, daß solche Nachlässigkeiten mich nicht in Schaden bringt?«

Der Schneider verstand ihn sehr gut; darum fragte er:

»Wie denn in Schaden? Das möchte ich doch wissen.«

»Weils Störung macht im Tanz. Da haben wir wiederum aufhalten müssen. Die Andern haben doch wenigstens ein paar Male herumschwenken könnt; aber dera Osec ist schlecht wegkommen. Der arme Kerlen hat eben beginnen wollt und ist gar nicht dazu kommen. Schau nur, was für ein mitleidiges Gesichten er macht! Grad als ob ihm das Kartoffelfeld verhagelt wär! Das kann einem Jeden, der ein ordentlich Herz und ein gutes Gemüth besitzt, beinahe sehr wehe thun.«

Ein lautes Gelächter erschallte rundum, und der Schneider begann, seinen Baß wieder in Ordnung zu bringen.

Natürlich waren die Burschen abermals gezwungen, ihre Mädchens nach den Plätzen zurückzuführen. Osec brachte Gisela zu ihrem Vater, wo sie sich niedersetzte, ohne mit einer Miene zu verrathen, was sie eigentlich dachte.

»Du,« meinte der alte Osec zu Kery, »das kommt mir verdächtig vor.«

»Verdächtig? Was denn?«

»Daß der Steg umgefallen ist.«

»Wie könnte denn das verdächtig sein. So Etwas kann doch vorkommen.«

»Zuerst ging die Clarinette nicht mehr, und nun hapert es auf einmal mit der Baßgeige. Ich traue dem Landfrieden nicht recht.«

»Unsinn! Wie kannst Du auf solche Gedanken kommen!«

»Warum nicht! Es passirt allemal grad in dem Augenblicke, wenn mein Junge eben anfangen will.«

»Das ist freilich wahr. Hm!«

»Nun, ich will mich jetzt noch bescheiden. Sollte nun aber auch die Posaune irgend eine Krankheit bekommen, so ist es ganz gewiß auf uns abgesehen. Wollen es einmal abwarten.«

Nach einiger Zeit war die Baßgeige reparirt, und der Tanz begann von Neuem. Osec wollte ihn tanzen, aber Gisela sagte, daß sie jetzt keine Lust habe, und vertröstete ihn auf den nächsten. Aber kurz bevor dieser begann, benutzte sie die Gelegenheit, daß eine Freundin vorüberging, und rief dieselbe zu sich. Sie sprach einige Worte mit ihr, stand auf und trat mit ihr bei Seite, um Ludwig Gelegenheit, zu geben, sie schnell engagiren zu können. Er errieth ihre Absicht und hielt sich bereit.

»Jetzund kommt ein Rheinländer, meine Herrschaften,« meldete der Schmied.

Er hatte kaum ausgesprochen, so stand Ludwig bei Gisela und bot ihr den Arm. Osec war zwar auch rasch aufgestanden, aber doch nicht schnell genug gewesen.

»Mensch,« rief der Kerybauer seinem Knechte zu, »hast Du es Dir denn nicht gemerkt? Die Gisela ist nicht für Dich. Ich verbiete es Dir, sie anzurühren. Packe Dich fort!«

Ludwig gab sie frei. Da trat Osec zu ihr und wollte ihren Arm nehmen. Die Musik begann.

»Halt!« sagte Ludwig zu seinem Nebenbuhler. »Jetzt wird Gisela nicht tanzen!«

Sofort kamen die beiden Alten herbei, und Kery fuhr den Sprecher zornig an:

»Willst Du es ihr etwa verbieten?«

»Nein,« antwortete der Knecht in aller Ruhe. »Es kann mir nicht einfallen, es ihr zu verbieten; aber einem andern Burschen werde ich verbieten, mit ihr zu tanzen.«

»Oho!«

»Ja, und da hilft kein Oho! Ich habe sie engagirt. Dieser Tanz gehört entweder mir, oder sie tanzt gar nicht. Ich habe gehorcht und sie frei gegeben. Soll sie aber einem andern Tänzer gewähren, was mir verboten worden ist, so ist das ein Schimpf für mich, den ich nicht auf mir sitzen lasse.«

»Du bist ein Knecht und mit einem Dienstboten darf meine Tochter nicht tanzen.«

»Zu Hause bin ich Knecht; hier aber bin ich Gast wie ein jeder Anderer. Hier gilt nicht der Stand und der Rang, sondern hier gilt das Tanzrecht.«

»Aber ich habe Dir verboten, meine Tochter überhaupt zu engagiren!«

»Das lasse ich mir nicht verbieten. Daheim habe ich Dir zu gehorchen; hier aber hat mir kein Mensch Etwas zu befehlen.«

»Himmelsakkerment! Das wagst Du mir zu sagen! Ich glaube. Du kennst mich noch gar nicht!«

»O, Dich kenne ich genau!«

Diese Worte sagte er in einem so eigenthümlichen Tone, daß der Bauer, in gesteigertem Zorne hart an ihn herantrat und fragte:

»Was soll das heißen? Was willst Du mit diesen Worten sagen?«

»Nichts weiter, als daß ich Dich genau kenne.«

»So! Nun, als was kennst Du mich denn?«

»Als einen Herrn, dem ich lange Jahre treu gedient habe und für den es keine Schande ist, wenn ich einmal mit seiner Tochter tanze. Ich bin Unterofficier gewesen und habe mir das eiserne Kreuz verdient. Da kann von einer Schande keine Rede sein. Du tanzest ja selbst auch gern, und zwar mit Leuten, mit denen zu verkehren ich mich schämen würde.«

»Wie! Was! Hallunke, was war das!«

»Höre, Bauer, treibe es nicht zu weit! Ein Hallunke bin ich nicht. Ein solches Wort lasse ich mir von keinem Menschen gefallen, er mag sein oder heißen, wie er will!«

»Und ich will aber hören, wer diese Leute sind, mit denen ich verkehre!«

»Topfstricker sinds, Kesselflicker und Mausefallenhändler!«

Jetzt wich der Bauer wieder zurück. Er machte ein beinahe erschrockenes Gesicht und sagte:

»Bist Du bei Sinnen! Ich, der Kerybauer, soll mit solchem Gesindel verkehren?«

»Hast Du nicht heut mit diesem Usko, dem Slowaken gesprochen.«

»Willst Du mir etwa verbieten, mit einem Kerl zu reden, zu dem ich nur gesprochen habe, um ihn fort zu weisen!«

»Ja, zum Scheine weisest Du ihn fort. Sehen lassen willst Du Dich nicht mit ihm, aber Geschäfte machst Du dennoch mit ihm, freilich wenn es Niemand sieht, im Dunkeln, des Nachts.«

»Lässest Du Dir das gefallen, von Deinem eigenen Dienstboten, Kery?« fragte der alte Osec.

»Schweig nur Du!« antwortete ihm der Knecht. »Grad Du bist Derjenige, welcher auch mit in dem Kesselflickerbunde ist. Du hättest am wenigsten Ursache, hier groß und stolz zu thun. Ich bin zwar kein reicher Bauer, sondern nur ein armer Knecht, aber meinen Lohn verdiene ich mir ehrlich und nicht auf heimlichen Schleichwegen. Verstanden, was ich meine? Und darum bleibt es dabei: Wenn die Gisela gezwungen wird, jetzt anstatt mit mir mit einem Andern zu tanzen, gebrauche ich mein Recht. Nun macht, was Ihr wollt.«

Er wendete sich halb ab.

»Und nun grad tanzest Du mit ihr!« gebot der alte Osec seinem Sohne.

Da drehte sich Ludwig wieder herum und erklärte in drohendem Tone:

»Wer sie, so lange diese Tour dauert, ohne meine Erlaubniß anrührt, der fliegt zum Fenster hinaus. Pasta! Abgemacht!«

Er ging fort, ohne sich umzublicken.

»Und nun verlange ich grad erst recht, daß Du mit ihr tanzest!« gebot der Kerybauer seinem zukünftigen Schwiegersohne.

Dieser kam dadurch in eine nicht geringe Verlegenheit. Er kratzte sich hinter dem Ohre und ging nicht von der Stelle.

»Nun, hast Du es gehört? Greif zu!«

»Ich – ich – ich möchte es doch lieber jetzt noch lassen.«

»Warum?«

»Wenn ich zugreife, so greift der Ludwig auch zu, und der hat andere Arme und andere Muskeln als ich.«

»So bin ich auch noch da!«

»Willst Du Dich mit Deinem Knechte prügeln? Das würde sich für den reichen Kerybauer schlecht schicken.«

»Was sich für mich schickt oder nicht, das ist meine Sache. Ich werde mich nicht mit ihm prügeln, aber ihn vom Saale weisen lassen, das werde ich!«

»Es würde Dir Niemand gehorchen.«

»Du fürchtest Dich also?«

»Nein; aber von Schlägereien bin ich kein Freund, weil da selbst der Sieger nichts gewinnen kann.«

»Mein Junge hat Recht,« nahm der Alte sich jetzt seines Sohnes an. »Mit solchen Menschen, wie hier im Saale sind, mag ich mich nicht abgeben. Ich bin nicht nach Slowitz gekommen, um in eine Prügelei verwickelt zu werden. Dein Knecht macht Ernst; das habe ich ihm angesehen.«

»Ja, das weiß ich auch, daß er keinen Spaß gemacht hat. Er hat es sogar gewagt, mir zu drohen. Dafür werde ich ihm kündigen. Er muß fort.«

»So will ich Dir wünschen, daß Du im Guten auseinander kommst mit ihm.«

»Ich verstehe Dich nicht.«

»Du hast doch gehört, was er sagte. Darüber muß ich ein Wort mit Dir reden. Das klang ja grad so, als ob er uns gefährlich werden wolle.«

»Und grad darum zeige ich ihm, daß ich mich nicht vor ihm fürchte. Soll ich mich etwa seinetwegen gar mit Euch entzweien? Ich will jetzt nachgeben. Dein Sohn mag noch jetzt eine oder zwei Touren warten. Dann aber tanzt er mit Gisela, und ich will Den sehen, der Etwas dagegen hat!«

Er setzte sich nieder, schob einen Stuhl so zwischen den Tisch und die Wand, daß der auf demselben Sitzende von keinem Unberufenen erreicht werden konnte, und befahl seiner Tochter:

»Hierher setzest Du Dich, da kann Niemand zu Dir, um Dich zu engagiren. Und überhaupt darfst Du mit keinem Andern tanzen als mit Deinem Bräutigam. Darnach hast Du Dich zu richten.«

Sie gehorchte mit einer Miene, als ob sie gegen den Willen ihres Vaters gar nichts einzuwenden habe. Sie wußte ja, daß seine Absicht doch vereitelt werden würde.«

Ludwig war zu seiner Mutter zurückgekehrt, welche sich in großer Sorge befand. Sie freute sich im Stillen ungemein darüber, daß Gisela sich unter seinen Schutz gestellt hatte, und doch bangte sie vor einem Zerwürfnisse mit ihrem Vater. Ludwig suchte seine Mutter zu beruhigen.

Es gingen einige Tänze vorüber, an denen Osec sich nicht betheiligte. Dann verkündigte der Schmied einen Walzer.

»Der wird getanzt,« gebot Kery. »Macht vorwärts!«

Der unerwünschte Bräutigam erhob sich. Auch Gisela stand auf, aber langsam. Sie brauchte lange Zeit, sich hinter dem Tische hervor zu schieben, und so kam es, daß der Walzer bereits im Gange war, als sie ihrem Tänzer den Arm reichte.

Er trat mit ihr vor, ohne sich der Ordnung gemäß erst in die Reihe zu stellen. Um in den Takt zu kommen, schwippte er den linken Fuß erst hin, dann her, und nun wollte er – – –

»Droh – droh – droh – fum – fum!« erklang die Posaune, und die Musik verfiel in plötzliches Schweigen.

Die Paare standen, und Alle blickten nach dem Orchester.

»Das hätte bald ein Unglück gegeben,« hörte man die Stimme des Posaunenwenzels.

Er hatte nämlich sein Instrument ganz aus einander gezogen, hielt in jeder Hand eine der Hälften, holte tief Athem, wie nach einer gewaltigen Anstrengung und schüttelte den Kopf.

»Ists wiederum mal alle?« rief der Herr Musikdirektor zornig. »Was ist denn mit dera Posaunen geschehen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Nicht? Ein Dummkopfen bist. Ausnander zogen hasts! Ists da ein Wundern, wanns keinen Ton mehr giebt!«

»Aus einander gezogen habe ich sie nicht!«

»Was? Das willst mir weiß machen? Du stehst ja da und hast die Stucken in denen Händen!«

»Ja, aber doch habe ich sie nicht aus einander gezogen sondern aus einander geblasen.«

»Das kann doch gar nicht möglich sein!«

»Und doch ists so! Es wollte kein Ton mehr kommen, und als ich nun mit aller Gewalt hinein bließ, so schob die Luft die untere Hälfte heraus. Die Lunge konnte mir dabei zerplatzen.«

»Ja, wanns so ist, so kannst freilich froh sein, daßt mit dem Leben davonkommen bist. Konntest gar leicht einen Blutsturz bekommen, und dann hätt ich meinen besten Posaunisten verloren.«

»Ich zittre noch an allen Gliedern!«

»Das sieht man wohl. Nun giebts schon wiederum eine Unterbrechung. Heut scheint dera Teuxel losgelassen worden zu sein. Am Schlechtsten kommt da wiederum der Osec weg. Er hat schon das Bein hin und her schwenkt, um sich auch mal eine Güten zu thun, und da muß nun grad auch noch die Posaunen obstinat werden. Was ist denn mit ihr?«

»Ich weiß es nicht; ich kann es mir nicht erklären. So Etwas ist mir in meiner ganzen musikalischen Praxis noch nicht passirt.«

»Aberst Du mußt doch Deine Posaunen kennen!«

»Das habe ich freilich gedacht, aber nun sehe ich, daß es mit der Posaune ist wie mit den Weibern: Man lernt sie nicht auskennen.«

»O, die wollen wir schon gleich auskennen lernen. Stecks mal wiederum zusammen, und blas hinein!«

Der Wenzel gehorchte. Er blies, daß er krebsroth wurde. Es war nichts zu hören, bis endlich ein Ton heraus kam, welcher grad so klang, wie wenn ein Bahnzug in dem Perron einfährt und alle Räder unter den Bremsen dröhnen, knarren und kreischen.

Natürlich waren die Blicke aller Anwesenden nach dem Orchester gerichtet. Als dieser Mißton erscholl, konnte sich Niemand halten: es brach ein stürmisches Gelächter los.

»Was giebts da auch noch zu lachen!« schrie der Schmied. »So eine Posaunen ist ein gar schweres Instrumenten. Es hat seine großen Mucken, und wer darunter zu leiden hat, der hat keine Lust zum Lachen. Zeigs mal her! Ich wills selberst mal probiren.«

Er blies hinein, und was sich nun hören ließ, das war noch schrecklicher als vorher.

»Das ist schlimm!« meinte er. »Bei dera Posaunen ist drinnen in denen inneren Eingeweiden Etwas nicht in Ordnung. Es wird doch nicht etwa eine Verhärtung sein! Die wäre gar schwer zu heilen. Das muß noch genauer untersucht werden.«

Er zog das Instrument aus einander und blies in die eine Hälfte.

»Die hat Luft!« meinte er. »Es muß also auf der anderen Seite liegen.«

Er blies nun auch in die andere Hälfte, bis sich sein Gesicht fast blauroth färbte. Dann setzte er ab, schüttelte bedenklich den Kopf und erklärte:

»Jetzund hab ichs entdeckt. Es sitzt auf einer gar gefährlichen Stellen. Das kann so schlimm werden, daß wir mit dera Musiken ganz und gar aufihören müssen. Wer hätte das dacht von einer Posaunen, mit der man so lange Jahren ganz zufrieden gewest ist!«

»Machst mir wohl nur Angst?« fragte der Schuster.

»Nein. Ich muß Dirs ehrlich sagen, weil ich halt Dein Directorn bin.«

»Was ists denn eigentlich?«

»Das Allerschlimmst, was bei einer Posaunen nur passiren kann: Sie ist verstopft.«

»Das ist doch gar nicht möglich!«

»Warum sollt es nicht möglich sein? Sie ist alt genug, und im Alter giebts allerlei Zufällen und Calamertäten, von denen man in dera Jugend keine Ahnung hat.«

»So müssen wir zu helfen suchen!«

»Ja freilich! Die Burschen und Dirndln wollen doch weiter tanzen. Schau, dort steht auch dera Osec noch mit seiner heißgeliebten Braut! Was er für eine Sehnsuchten hat, zu zeigen, daß er noch Sohlen auf denen Stiefeln hat. Mach schnell, damit wir fertig werden. Blas mal da hinein; ich will auf dera andern Seiten helfen.«

Der Schuster blies, und der Schmied that, als ob er ihn unterstützte. Er drückte, quetschte und schob aus allen Kräften.

»Blas, blas!« rief er dabei. »Es wird schon Luft. Es gukt schon was heraus. Blas mehr! Jetzt kommts! Da ists! Ah, Sapperment!«

Er hielt einen Gegenstand in der Hand, den er aber vorher in seinem Aermel verborgen gehalten hatte.

»Heraus ists endlich! Das hat tief drinnen steckt. Aberst schau her! Was ist das?«

»Himmeldoria!« meinte der Wenzel. »Das hab ich ganz vergessen gehabt. Mein Tabaksbeutel!«

Die beiden Musici hatten ihre Sache so täuschend gemacht, daß es wirklich ganz den Anschein hatte, als hätte der Director den Tabaksbeutel aus dem engen Rohre gezogen.

»Ja, ein Tabaksbeuteln ists,« sagte er, sehr ernst den Kopf schüttelnd. »Da kann die Posaunen freilich keinen guten Ton geben, wann so was drinnen steckt.«

»Ich habe vergessen, ihn heraus zu nehmen.«

»Also hasts wußt, daß er drinnen war?«

»Natürlich. Ich habe ihn ja selbst hineingesteckt.«

Was fallt Dir ein, den Tabaksbeuteln in die Posaunen zu stecken!«

»Da ist mein Ignaz schuld, der Kerl.«

»Wieso?«

»Der Hallunke raucht mir immer meinen Tabak weg. Ich kann ihn verstecken, wohin ich will, der Bube findet ihn allemal. Und nun seit einiger Zeit verberge ich ihn in die Posaune. Da hat er ihn noch nicht gefunden.«

»Das glaube ich, daß er ihn nicht in dera Posaunen sucht. Aberst er wird ihn wohl bald finden, denn nun ist das Geheimnissen ganz öffentlich verrathen worden. Mußt Dir also von jetzund an wiederum einen andern Ort suchen. Steck den Beuteln ein, und blas mal los, ob die Posaunen nun ihre Stimmen wiederbekommen hat!«

Der Wenzel schob die beiden Theile zusammen und blies, daß Alles dröhnte.

»Es geht. Sie ist kurirt. Und nun kann der Tanz von Neuem beginnen.«

Es läßt sich denken, welche Wirkung dieses lustige Intermezzo hervorbrachte. Es erscholl ein brausendes Gelächter, welches gar nicht enden wollte. Die Komik war eine gradezu überwältigende in Folge des hohen Ernstes, mit welchem der Musikdirektor sich dabei verhalten hatte. Daß er die Anwesenden zweimal ganz besonders auf Osec aufmerksam gemacht hatte, steigerte das Vergnügen.

Der Genannte war wirklich mit Gisela lange stehen geblieben, während die Andern sich längst gesetzt hatten. Als aber die Aufmerksamkeit Aller in dieser Weise auf ihn gelenkt wurde, beeilte er sich, nach seinem Tische zu kommen.

»Da hast Du es!« sagte sein Vater zu Kery. »Es ist auf ihn abgesehen. Ich habe ganz richtig vermuthet.«

»Jetzt glaube ich es auch, denn es ist so deutlich, daß man gar nicht zweifeln kann.«

»Was ist da zu thun? Soll ich es stillschweigend dulden? Können mir uns so Etwas gefallen lassen?«

»Nein. Aber wie sollen wir es anfangen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Ja, die Sache liegt so, daß man sie nicht anfassen kann, ohne sich lächerlich zu machen. Die Kerls haben sich gegen uns verschworen. Wer mag der Urheber sein?«

»Der Ludwig wohl!«

»Mir scheint das auch. Er hat unten bei den Musikanten gesessen, als wir kamen. Er soll das nicht umsonst gethan haben. Er muß fort. Es bleibt dabei, ich kündige ihm.«

»Wollen wir noch länger da bleiben? Es ist am Allerbesten, wir gehen fort.«

»Nein, das wäre ein Fehler. Man soll nicht sagen, daß man uns fortgetrieben hat. Wir bleiben; wir thun ganz so, als ob die Sache uns gar nichts angehe. Da ärgern sie sich.«

»Das wird ihnen nicht einfallen. Tanzen kann mein Junge nun nicht mehr. Es ist klar, daß die Musikanten abermals aufhören würden, wenn er es wieder versuchte. Wir sind besiegt von diesen Hallunken.«

»Donnerwetter! Das laß ich nicht auf mir sitzen! Soll meine Tochter nicht tanzen dürfen wie jede Andre auch!«

»Das darf sie doch. Man verwehrt es ihr ja gar nicht, wenn sie mit ihm nicht tanzt. Das ist ja eben – Du, da fällt mir Etwas ein. Ich werde diesen Kerls einen Streich spielen. Du erlaubst mir doch. Deine Frau einmal zu engagiren?« . '

»Was, Du willst selbst auch tanzen?«

»Ja. Ich bestelle eine Extratour. Die bezahle ich, und da darf nur Der mit tanzen, dem ich es erlaube. Da werden sie Alle gezwungen, zu pausiren, während ich mit Deiner Frau tanze und mein Junge mit der Gisela.«

»Hast Recht, hast Recht! Wie dumm, daß ich nicht daran gedacht habe. Das ist der beste Weg, ihnen zu zeigen, daß wir unsern Willen doch durchsetzen.«

»Aber nicht gleich. Wir warten noch einige Zeit, ehe wir es thun.«

Da sagte die Bäuerin in bittendem Tone:

»Wollen es lieber unterlassen. Wir machen uns doch nur Feinde.«

Sie scheute sich außerordentlich, mit dem alten Osec zu tanzen. Sie fühlte, daß dies gradezu eine Herausforderung war, auf welche ganz gewiß eine kräftige Antwort erfolgte.

»Was geht das mich an!« antwortete der Bauer. »Die Kerls sind ja jetzt schon alle meine Feinde. Aber ich will es ihnen vergelten. Weder der Schmied noch der Schuster noch der Schneider bekommen jemals für einen Kreuzer Arbeit von mir. Sie sollen sich alle Finger nach mir lecken. Es ist ausgemacht, Ihr Viere tanzt eine Extratour. Dabei bleibt es. Wenn es mir einfällt, engagire ich die Wirthin und tanze auch mit.«

Die Bäuerin wußte, daß Widerspruch jetzt nur geschadet hätte. Sie ergab sich in das Unvermeidliche.

Während dieses Gespräches hatten die Paare sich lustig im Kreise gedreht. Auch die folgenden Touren wurden fröhlich abgetanzt, als ob es gar keine Entzweiung geben könne. Und doch fühlten Alle, daß ein Gewitter in der Luft liege. Kery und die Osecs waren nicht die Leute, nach einem verlorenen Scharmützel friedlich nach Hause zu gehen. Irgend Etwas unternahmen sie ganz gewiß; daran war kein Zweifel. Aber was das sein werde, das wußte man nicht; man erwartete es mit Neugierde.

Es ließ nicht allzu lange auf sich warten. Während einer Pause stand der alte Osec auf, stellte sich mitten in den Saal und sagte:

»Menzel, was für ein Tanz kommt nun?«

Der Schmied that, als habe er die Frage gar nicht gehört.

»Menzel! Schmied!«

Er schmauchte ruhig an seinem Zigarrenstummel, an welchem er sich eben abquälte, weiter. Da ging Osec hin, so daß gar kein Zweifel darüber sein konnte, mit wem er reden wolle, und sagte in zornigem Tone:

»Bist Du taub, oder willst Du blos nicht hören?«

»Ich? Taub? Das bin ich nie gewest und werds hoffentlich auch nicht werden.«

»Warum antwortest Du mir nicht?«

»Ich Dir? Dazu ist doch gar keine Veranlassung gewest. Wann man eine Antworten geben soll, muß man vorher doch eine Fragen erhalten haben!«

»Ich habe laut genug gesprochen, daß Du mich verstehen konntest.«

»Ja, reden habe ich Dich wohl hört, und verständen hab ich auch ganz gut, wast sagt hast. Ich hab mich auch sehr wundert, daß dera Menzel Dir keine Antworten geben hat. Wo ist er denn eigentlich?«

Er blickte suchend im Saale umher.

»Mach keine Dummheiten! Das weißt Du, daß ich Dich gemeint habe!«

»Mich? Wie soll ich das wissen?«

»Ist etwa noch ein anderer Menzel hier?«

»Ich kenn keinen anderen; aberst es muß doch wohl einer da sein, weilt mit ihm sprochen hast. Denn wann ich gemeint wesen wär, so hättest mich wohl jedenfalls anderst genannt.«

»Hast Du denn mehrere Namen?«

»Nein, aberst einen Titel hab ich. Hier, wo ich mit meiner Kapellen bin, hat man mich Musikdirectorn zu rufen.«

»Mach Dich nicht lächerlich! Von wem willst Du diesen Titel erhalten haben?«

»Von mir! Verstanden!«

»Einen Titel muß man von Dem bekommen, der ihn zu verleihen hat.«

»Da hast ganz Recht. Wer ist das wohl, der am Allerbesten weiß, ob ich einen Titel verdien oder nicht? Das bin ich. Ich muß am Besten wissen, ob ich Musikdirectorn bin. Darum hab ich mir den Titeln auch geben, und ich verlang, daß ich dabei rufen werd. Wer das nicht thut, der kann es ja unterlassen; aberst er braucht sich dann auch nicht zu wundern, wann ich nicht antworten thu. So, nun weißt, wast wissen mußt!«

»Alle Wetter!« höhnte Osec. »Du nimmst mich ja ins Gebet wie einen Schulbuben!«

»Wer nix lernt hat, der muß eben noch lernen. Was willst von mir?«

»Ich wollte wissen, was für ein Tanz nun kommt.«

»Das weiß ich noch nicht. Ich muß stets mit dera Baßgeigen und Posaunen Converenz halten, bevor ich sag, was weiter tanzt werden soll. Willst wohl auch mal Einen versuchen?«

»Ja, eine Extratour.«

»Willst sie zahlen?«

»Ja. Aber es darf dann nur Derjenige mit tanzen, dem ich es erlaube.«

Diese Unterredung wurde von allen Anwesenden gehört. Der bereits erwähnte reiche Bursche nahm sich jetzt der Sache feindlich an, denn er rief laut:

»Wollen wir uns das gefallen lassen? Soll ein Fremder uns unser Vergnügen stören, weil er einige Kreuzer bezahlt?«

»Nein, nein!« ertönte es rundum als Antwort.

»Er weiß gar wohl, daß er nur auf diese Weise seinen Sohn auf die Beine bringen kann. Aber das soll ihm doch nicht glücken!«

Da wendete Osec sich gegen ihn:

»Wer will es mir verwehren, eine Extratour zu tanzen?«

»Wir Alle.«

»Das könnt Ihr nicht. Es ist im ganzen Lande Brauch, daß man Extratouren tanzen kann, und Ihr werdet es auch nicht so weit bringen, daß es anders wird.«

»Wir bringen es so weit, darauf kannst Du Dich verlassen. Wir tanzen eben, und ich möchte wohl wissen, wie man uns daran verhindern wird.«

Der Schmied gab ihm einen verstohlenen, beruhigenden Wink und sagte in scheinbar zornigem Tone:

»Was hast Du drein zu reden? Bist Du's etwan, der hier zu befehlen hat? Bist Du dera Herr Musikdirectorn, oder bin ich es? Ob eine Extratour tanzt werden darf oder nicht, darüber hab nur ich ganz allein zu bestimmen.«

»Nun, so bestimme schnell!« sagte Osec.

»Das kann gar kein Zweifel sein, daß man Extratouren tanzt.«

»Nun gut, ich will eine haben, und zwar sogleich.«

»Was für einen Tanz?«

»Das ist mir gleich; aber ein feiner muß es sein, den Ihr nicht alle Tage und einem Jeden vorspielt.«

»Also soll ich selberst einen wählen?«

»Ja.«

»Da mußt auch zahlen.«

»Das versteht sich ja allein. Wie viel kostet es?«

»Zehn Gulden.«

Da fuhr Osec zurück.

»Bist Du toll! Zehn Gulden eine Tour!«

»Meinst, daß ichs billiger machen kann?«

»So viel kostet es nirgends. Ich weiß, daß Du von Andern nur im höchsten Falle einen einzigen Gulden nimmst.«

»Da hast Recht. Aberst Du bist ein Fremder und sodann ist heut mein nobler Tag. Wer nicht zahlen kann, der braucht auch nicht zu tanzen. Mit Extratouren groß thun und dabei doch kein Geld im Beuteln haben, das kann ein jeder Lump. Willst Dich mit einem solchen vergleichen lassen? Du, dera reiche Osecbauer?«

»Fünf Gulden will ich dranwenden!«

»Handeln hilft nix! Ich hab auch gar keine Zeit, mich mit Einem abzuquälen, der da tanzen will, Geld ausgeben aberst nicht. Geh aus dem Wege hier! Jetzund wird getanzt.«

Er legte seinen Stummel weg und griff nach, der Clarinette.

Was blieb Osec übrig? Er wollte durchsetzen, daß sein Sohn mit Gisela tanzen könne; das konnte nur durch eine Extratouren geschehen. Zehn Gulden war freilich eine unerhörte Forderung; sein Geiz wand sich in ihm wie ein zertretener Wurm; aber er wollte seinen Willen haben und durfte auch nicht zurücktreten, weil er sich sonst gradezu unerhört blamirt hätte. Darum sagte er jetzt:

»Nur nicht so rasch! Ja, getanzt wird, aber nicht ohne meine Erlaubniß. Ich bezahle die Tour.«

»Schön! Aberst sogleich!«

»Natürlich! Oder meinst Du etwa, daß der Osec nicht zehn Gulden einstecken hat?«

Er zog den Beutel und gab die verlangte Summe hin. Dann schritt er erhobenen Hauptes nach seinem Platze zurück. Er hatte gesiegt und seinen Zweck erreicht.

Der erwähnte Bursche ärgerte sich gewaltig. Er kam zum Schmied herbei und warf ihm vor:

»Das ist Verrath an uns! Nun wird sein Sohn mit der Gisela tanzen.«

Der Schmied versenkte die zehn Gulden schmunzelnd in die Tasche und antwortete, listig mit den Augen blinzelnd:

»Hältst mich wirklich für einen Verräthern? Da wärst dumm genug!«

»Aber nun tanzt er doch!«

»Das wirst erst abwarten müssen! Hast denn nicht hört, daß er einen Feinen verlangt hat?«

»Das ist eben das Aergerlichste. Er will einen Bessern aufspielt haben als wir.«

»Den soll er auch bekommen.«

»Ich begreife Dich nicht. Ich habe sehr große Lust, es so weit zu bringen, daß alle Bursche und Mädchens fortgehen. Dann bist Du allein hier mit Deiner Capelle und kannst spielen was und für wen Du willst.«

»Das ist eine schlimme Execution!« lachte der Schmied. »Aberst es ist mir gar nicht bange. Wirst schon änderst denken, wannst nur ein paar Minuten wartest. Ich hätt den Osec gleich ganz abgewiesen. Aberst es ist besser, ich hab ihm die zehn Gulden abnommen. Ich kann sie brauchen, und er wird nix davon haben.«

»Nichts? Aufspielen mußt Du ihm doch, denn er hat bezahlt.«

»Ja, aufspielt soll werden, und wie! Nun mach Dich von dannen! Ich hab keine Zeit mehr, da mit Dir herum zu schwatzen. Die große und berühmte Extratouren wird beginnen.«

Der Bursche zog sich zurück.

»Verdammter Kerl,« hatte Osec gesagt, als er an seinen Tisch kam. »Nimmt mir da volle zehn Gulden ab.«

»Hättest sie ihm wohl lieber nicht gegeben?« fragte Kery ärgerlich.

»Nun, ists etwa nicht zu viel?«

»Theuer ist es, über den Spahn theuer. Aber Du kannst es geben, und es ist ein Sieg für uns.«

»Das ist freilich richtig. Ich will diese Kerls ärgern, daß sie platzen. Paß einmal auf!«

Da ertönte die laute Stimme des Schmiedes:

»Meine Herrschaften, es kommt eine Extratouren, die dera Herr Osec allein tanzen darf, außer wenn ers derlaubt, mit zu thun. Zehn Gulden hat er zahlt, wofür meine Capellen ihm unsern Dank sagt. Jetzunder kommt die Einleitungen. Da haben sich die Tänzern aufzustellen. Dann, wanns parat dastehen, geht es los. Ein nobler Tanz soll es sein, hat er sagt, und so wird es einer sein, den Ihr noch gar nie tanzt habt. Für zehn Gulden kann man schon was leisten. Also aufipaßt!«

Aber ehe er beginnen konnte, trat der alte Osec vor und verkündigte:

»Wer meine Extratour gern mittanzen will, der mag sich jetzt an mich wenden!«

Niemand regte sich.

»Ist keiner?«

Er erhielt keine Antwort. Und das ärgerte ihn gewaltig. Er hatte sich vorgenommen, es einem Jeden abzuschlagen, und sich bereits darüber gefreut, die Gesichter der Bittsteller, wenn sie unverrichteter Sache gehen mußten, zu sehen. Und nun kam Niemand.

»Das konntest Du Dir denken!« zürnte Kery. »Hast eine Dummheit begangen!«

»Wenn es erst losgegangen ist, bekommen sie schon Lust. Dann werden sich welche melden.«

»Das glaube ich nicht.«

Jetzt begann das, was der Schmied die Einleitung genannt hatte. Niemand hörte eigentlich darauf, denn die ganze Aufmerksamkeit aller Anwesenden war nur auf den einen Tisch gerichtet.

Der alte Osec wollte den Leuten zeigen, was für ein seiner Kerl er sei. Er machte vor der Bäuerin eine tiefe Reverenz, küßte ihre Hand und führte sie nach der Mitte des Saales. Sein Sohn folgte ihm mit Gisela. Dort warteten die beiden Paare auf den Schluß der Einleitung.

Jetzt war sie zu Ende. Und nun verkündete der Schmied:

»Dera Tanz kann beginnen. Es ist ein gar seltener.«

Er gab seiner Capelle das bekannte Zeichen und die Musik begann. Aber anstatt, daß die beiden Paare sich in Bewegung setzten, blieben sie stehen. Der Alte drehte sich verlegen nach seinem Sohne um und fragte:

»Was ists denn eigentlich für einer, den sie da aufspielen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Dummkopf! Du wirsts doch wissen!«

»Ich habe ihn noch nie getanzt.«

»Du bist jünger als ich. Du mußt doch mehr wissen als ich!«

»Was ich nicht gehört habe, kann ich nicht kennen.«

»Ists denn nicht ein Galopp?«

»Nein.«

»Oder ein Walzer oder Rutscher oder vielleicht Tyroler?«

»Keins von diesen allen.«

Da wandte sich der Alte an die Bäuerin. Auch sie konnte keine Auskunft geben. Er fragte Gisela. Sie lächelte still vor sich hin und schüttelte: den Kopf.

Da brach die Musik plötzlich ab, dann gab der Schmied das Zeichen, und sie begann wieder, und zwar in einer ganz anderen Tactart. Aber das war den Osecs auch unbekannt. Es begann sich ihrer eine große Verlegenheit zu bemächtigen.

Die anwesenden Hiesigen hatten dem Schmied gezürnt, daß er wegen den zehn Gulden von der heimlichen Vereinbarung abgewichen war. Jetzt aber fingen sie an, ihn zu begreifen. Der Schlaukopf hatte zwei Fliegen mit einer Klappe treffen wollen. Er blamirte beide Osecs ganz gewaltig und steckte dafür das schöne Geld in die Tasche.

Es wurde zwar nicht gelacht, aber auf den Gesichtern lag ein Ausdruck, über welchen die Osecs sich noch mehr ärgerten als sie sich über ein wirkliches Gelächter geärgert hatten. Was war zu thun? Wie konnten sie sich am besten und leichtesten aus dieser verzweifelten Lage ziehen? Noch ehe sie zu einem Entschlüsse kommen konnten, wechselte die Musik abermals, und auch dies? dritte Abtheilung war unmöglich zu tanzen.

»Kreuzmillionendonnerwetter!« fluchte der Alte. »Wir können doch nicht hier stehen bleiben und warten, bis er einen Walzer bringt! Er sieht es ja, daß wir warten. Ich gehe hin und sag es ihm!«

Er ließ die Tänzerin stehen und ging nach dem Podium.

»Was fällt Euch denn ein! Das ist ja gar kein Tanz!« rief er hinauf.

Der Schmied bog sich herab, hielt ihm die Clarinettenöffnung an das Ohr und blies weiter.

»Bibibibibiteltitelti!« schrillte es ihm scharf in das Gehör, und er fuhr erschrocken zurück.

»Gieb eine Antwort, Kerl!« schrie er. »Wer soll das Zeug tanzen!«

Da hielt der Wenzel ihm die Posaunenstürze entgegen.

»Trahrararara!« krachte es heraus, und er trat noch weiter zurück. Da begann er zu raisonniren und mit den Händen zu fechten – vergebens! Die Drei arbeiteten, daß der Saal erbebte. Der lange Schneider strich seinen Baß, als ob er ihn mit aller Gewalt zu Grunde richten wolle. So ging es noch eine Weile. Osec schimpfte, und die Capelle machte einen Heidenspectakel.

Das sah so urkomisch aus, daß es nun nicht mehr bei einem Lächeln blieb. Man lachte laut, immer lauter und endlich so laut, daß kaum die Musik mehr zu hören war.

Erst jetzt nun erkannte Osec, wie die Sache stand. Er rannte zu der Bäuerin zurück und zog sie von dannen. Man sah, daß er entsetzlich raisonnirte, aber was er sagte, das war ja nicht zu vernehmen. Sein Sohn folgte ihm mit seiner Tänzerin nach dem Tische zurück, wo sie sich niedersetzten und mit Kery in einen sehr erregten Wortwechsel zu gerathen schienen. Das war an ihren eifrigen Gestikulationen zu erkennen.

Die Capelle spielte wacker weiter, bis das Stück zu Ende war. Der Schmied setzte die Clarinette ab und rief:

»Jetzund ists vorüber. Ich hab gar nicht denkt, daß das Stuck so sehr gut gelingen wird, denn wir habens nur erst ein paar mal probirt. Freilich, bei einem guten Directorn ist das eine Leichtigkeit.«

Da brach der alte Osec los. Er schrie von seinem Platz herüber:

»Jetzt verlange ich augenblicklich einen Walzer. Aber schnell!«

»Einen Walzer? Für wen denn?«

»Für uns.«

»Willst wohl noch eine Extratouren?«

»Das fällt mir nicht ein! Ich habe die bezahlte noch abzutanzen.«

»Oho! Denkst etwan, wir blasen in alle Ewigkeiten weiter, bis Dir endlich mal die Musiken und dera Tact in die Beinen fährt? Da kannst Dich sehr irren!«

»Aber wenn wir bezahlt haben, wollen wir auch tanzen!«

»Natürlich! Das nehm ich auch gar nicht übel. Und darum hab ich mich sehr darüber wundert, daß Ihr gar nicht tanzt habt.«

»Jetzt, jetzt haben wir tanzen sollen?«

»Freilich! Ihr aber seid dastanden und habt Maulaffen feil halten. Nun verlangst gar auch noch einen Walzern!«

»Ich will einen Tanz haben, den ich auch wirklich tanzen kann!«

»Hast den denn nicht kennt?«

»Nein.«

»Ja, dann ists freilich gefehlt. Das hättst halt sagen sollen!«

»Ich hab Dir es ja gesagt. Ich habe mir die Lunge fast aus dem Leib herausgebrüllt.«

»Meinst, als wir spielten? Ja, da war es zu spät. Wann ich einmal im Spielen bin, so hör ich nicht eher aufi, als bis das ganze Stuckerl zu End ist. Das war ein schöner und sauberer Musikdirectorn, der in dera Mitten aufhalten wollt! Die Leut müßten doch denken, daß er nix kann. Nein, das muß gehen wie bei einer Uhren. Wann die mal aufigezogen ist, so hörts nicht eher auf, als bis sie wieder abilaufen ist.«

»Aber so einen Tanz wollt ich nicht, so einen habe ich mir gar nicht bestellt!«

»Red keine Dummheiten! Einen nobeln hast Dir bestellt, und das ist der feinste und nobelste, den ich hab.«

»Was war es denn?«

»Ja, weißt das wirklich nicht?«

»Woher sollt ichs wissen?«

»Ein Cotilljong wars, ein französischer Cotilljong, wie er in Paris tanzt wird.«

»Ich aber will keinen französischen! Ich bin kein Franzose! Ich bin nicht in Paris, sondern in Slowitz in Böhmen.«

»Nein, nicht in Slowitz bist, sondern im Irrthum bist. Ich hab meine Schuldigkeiten than. Wir haben spielt, wast verlangt hast, einen Noblen, und wir sind mit nander fertig. Wannst ihn nicht tanzt hast, so bist selber schuld daran!«

»So verlange ich mein Geld wieder!«

»Das kannst, nämlich, es verlangen. Dagegen habe ich nix, aberst wiederbekommen thusts nicht. Was ein Musikus mal in dera Taschen hat, das giebt er nicht wieder heraus.«

»Es muß zurückgezahlt werden!«

»Nein, es bleibt. Für diese zehn Gulden haben wir uns rechtschaffen plagt und schunden.«

»So ists ein Betrug!«

»Du, nimm Dich in Acht! Beleidigen laß ich mich nicht. Merks Dir.«

»Ein Betrug ists; ich sage es noch einmal! Das heißt, Einem gradezu das Geld aus der Tasche stehlen.«

Da stieg der Schmied vom Podium herab, kam herbei, stellte sich breitspurig vor ihm hin und sagte:

»Einen Betrüget hast mich nannt. Willsts gleich wiederrufen?«

»Das fällt mir nicht ein. Verklagen werde ich Dich extra!«

»Also um Verzeihung bitten willst mich nicht, he?«

»Nein. Was ich gesagt habe, das ist wahr!«

»Nun, so mach ich wahr, was ich vorhin sagt hab: Wer Lärm macht, der wird hinausworfen.«

»Wag es einmal!«

Dennoch aber wich er ängstlich zurück.

»Was ist da zu wagen! So einen schmalen Federkiel, wie Du bist, setz ich an die Luft, ohne daß ich es merk, daß ich ihn in denen Händen hab. Paß aufi!«

Er packte ihn mit eisernen Fäusten und schaffte ihn nach der Thür.

»Halt!« schrie der Kerybauer. »Das laß ich mir nicht gefallen!«

»Brauchst keine Sorg zu haben,« antwortete der Schmied zurück. »Wanns Dir nicht recht ist, daß Der da eher nausworfen wird als Du, so kannst Dich trösten. Wirst gleich auch drankommen. Wart nur noch einen einzigen kleinen Augenblick!«

Der alte Osec hing in den Armen des starken Mannes wie ein schwacher Knabe. Er bewegte kein Glied. Er kannte die Körperkraft des Schmiedes und wußte, daß Widerstand ganz vergebens sein werde.

Sein Sohn, sonst keineswegs ein Held und muthvoller Charakter, wagte es dennoch, seinem Vater zu Hilfe zu kommen. Er eilte dem Schmiede nach, zur Thür hinaus, und erreichte ihn, als derselbe grad die Treppe betreten wollte.

»Willst Du gleich meinen Vater frei geben!« schrie er ihn an. »Ich mach Dich todt!«

»Du? Mich?« lachte der Schmied. »Gut, daßt kommst! So kannst ihn gleich begleiten.«

Er gab dem Alten einen Stoß, daß dieser zur Treppe hinab – zwar nicht stürzte, aber in der Weise hinabtaumelte, daß er sich nicht eher zu erhalten vermochte, als bis er unten angekommen war. Inzwischen faßte der Schmied den Jungen, drückte ihm die Arme so fest an den Leib, daß er vor Schmerz laut aufschrie, und spedirte ihn dem Vater nach. Das ging so schnell und exact, daß Beide unten zusammenstießen und mit einander an die Wand stürzten.

Da trat der Kerybauer unter die Thür.

»Willst auch nachfolgen?« fragte ihn der Schmied. »Ich bin einmal bei dera, Arbeit und da gehts aus einer Schüssel. Ihr könnt gleich Alle so gespeist werden, daß Ihr satt bekommt.«

Da war auch die Bäuerin nachgeeilt. Sie ergriff den Arm ihres Mannes und bat ihn:

»Keine Prügelei! Das schickt sich für Dich nicht!«

»Ich weiß selbst, was sich für mich schickt, und Du brauchsts mir nicht erst zu sagen,« antwortete er. »Mit einem Schmied raufe ich mich nicht. Das ist mir viel zu respectirlich. Ich wollte nur sehen, was die Osecs mit ihm beginnen.«

»Sie haben gar nix mit mir beginnen können, sondern ich mit ihnen,« lachte der Schmied. »Und wann Du zu vornehm bist, mit einem Schmied zu raufen, so rath ich Dir, Dich von dannen zu heben. Es könnt sonst sein, daß ich mich nicht für zu vornehm halte, Dich tüchtig durchzuwalken. Ein Schmied ist auch ein Mensch, und vielleicht ein besserer noch als Du!«

Die beiden Osecs machten Miene, wieder die Treppe empor zu steigen.

»Bleibt unten!« rief ihnen Kery zu. »Ich komme auch gleich nach. Will nur erst unsere Zeche bezahlen.«

Er ging zum Wirthe und bezahlte; dann gebot er seiner Frau und Tochter, ihm zu folgen, und verließ mit ihnen die Schänke. Das war das Ende des Wirthshausgehens, welches unter ganz anderen Voraussetzungen begonnen hatte.

Die fünf Personen befanden sich keineswegs in einer guten Stimmung. Die drei Männer fühlten, daß sie sich außerordentlich blamirt hatten. Sie waren anfangs aufgetreten, als ob kein Anderer mit ihnen zu vergleichen sei, und nun waren sie mit Gewalt gezwungen worden, das Local zu verlassen. Eine solche Demüthigung fühlten sie, welche sich für die Besten und Vornehmsten der ganzen Umgegend hielten, doppelt peinlich. Darum schritten sie zunächst schweigsam neben einander her. Jeder von ihnen scheute sich, merken zu lassen, daß er in ganz wohl verdienter Weise bestraft worden sei.

Mutter und Tochter gingen eine Strecke voraus. Sie beeilten sich mehr, als sie eigentlich nöthig gehabt hätten. Sie wollten aus der Nähe der Männer kommen.

»Ich habe es mir gleich gedacht,« sagte die Bäuerin. »Wenn die Osecs mit dem Vater sind, so giebt es stets so einen Auftritt.«

»Ja, er ist so schon stolz und herrisch und wird doppelt gebieterisch, wenn er diese Uebermüthigen neben sich hat. Und da sollen wir den Jungen nun gar noch in das Haus bekommen!«

»Als Schwiegersohn! Man möchte beten, daß die Heiligen es abwenden: aber das würde doch vergeblich sein, denn was der Vater sich einmal in den Kopf gesetzt hat, das führt er auch hinaus. Und wenn man ihm Widerstand leistet, so wird es nicht besser, sondern doppelt so arg. Du armes, liebes Kind! Ich möcht mein Leben hingeben, wenn ich Dich dadurch glücklich machen könnte, und nun muß ich ruhig mit zusehen, daß Du an so einen Menschen verschachert werden sollst.«

»Gräme Dich nicht um mich, Mutter,« sagte Gisela in munterem Tone. »Es wird wohl zu ertragen sein.«

»Das sagst Du so lustig.«

»Würde mir das Weinen Hilfe bringen? Unglücklich werde ich nicht. Das weiß ich sehr genau.«

»So kann ich Dich nicht begreifen. Oder könntest Du Dich so leicht darein finden, die Frau eines solchen Mannes zu werden?«

»Ich kann mich gar nicht hineinfinden, und grad deshalb fällt es mir nicht ein, zu jammern und zu klagen. Du hast gesagt, was der Vater einmal will, das führt er auch hinaus. Nun, ich habe auch meinen Kopf, welcher dem seinigen sehr ähnlich ist, nur daß ich es noch nicht bewiesen habe. Was ich nicht will, das führt man mit mir nicht aus. Ich weiß ein treffliches Mittel, von dem Osec loszukommen.«

»Wenn es wahr wäre!«

»Es ist wahr, und leicht und probat ist es auch.«

»Welches meinst Du?«

»Ich nehme ihn einfach nicht; so komme ich von ihm los.«

»Kind treib keinen Scherz. Du thust so leicht und sicher; aber Du kennst den Vater noch nicht genau.«

»Und er mich auch nicht!«

»So willst Du Dich also weigern?«

»Ja.«

»Und gleich heut schon?«

»Natürlich! Oder soll ich etwa warten, bis ich seine Frau bin, bevor ich dem Osec sage, daß ich ihn nicht mag? Dann wäre es gar freilich zu spät.«

»Du bringst es nicht fertig.«

»Warte es ab!«

»Wenn Du nicht willst, so wird der Vater Dich zwingen.«

Da ergriff Gisela die Hand ihrer Mutter und sagte in herzlicher Weise:

»Gräme Dich nicht, Mutter! Ich habe mich stets vor dem Vater gefürchtet. Jetzt aber handelt es sich um ein Großes, um das Glück meines ganzen Lebens; da ist alle meine Furcht verschwunden. Ich fühle mich stark und fest genug, ihm zu widerstehen.«

»Ich würde ganz glücklich sein, wenn Du vor dem Dir drohenden Unheile bewahrt bliebst; aber ich kenne den Vater nur zu gut. Er giebt einen Entschluß, den er einmal gefaßt hat, niemals wieder auf. Er ist ohne alle Rücksicht. Es ist ihm ganz gleich, ob Du zu Grunde gehest oder nicht, wenn er nur seinen Willen durchsetzen kann. Das habe ich tausendmal in meiner Ehe erfahren.«

»Nimm es mir nicht übel, liebe Mutter! An dieser Erfahrung bist Du selbst auch viel mit schuld.«

»Ich? Wieso?«

»Du hättest fester sein und ihm nicht immer seinen Willen lassen sollen.«

»Wo denkst Du hin! Wenn ich nicht stets und willig nachgegeben hätte, so wäre wohl gar Mord und Todtschlag entstanden.«

»Nein. Du hast mir ja selbst gesagt, daß Du stolz gewesen bist auf ihn. Sein gebieterisches Wesen hat Dir imponirt. Du hast ihn wohl gar auch in diesem Auftreten unterstützt.«

»Da magst Du freilich nicht ganz Unrecht haben.«

»Schau, das hättest Du nicht thun sollen, denn er hat dann dieses Wesen auch gegen Dich selbst gerichtet. Und weil Du es zuvor gutgeheißen hast, hast Du es nachher nicht tadeln können. Er hat Dich doch lieb gehabt? Nicht?«

»Ganz gewiß. Freilich ist seine Liebe eine ganz andere gewesen als die Liebe anderer Burschen. Er war eben immer obenauf, auch mir gegenüber.«

»Das hättest Du nicht dulden sollen. Du hättest ihm zeigen müssen, daß Dir das zuwider ist, und liebte er Dich wirklich, so hätte er sich geändert. Und selbst wenn es zu bösen Scenen dabei gekommen wäre, Du hättest sie nicht scheuen sollen. So aber hast Du stets nachgegeben, selbst wenn Du im größten Rechte warst, und das ist ein Fehler gewesen, unter dem wir Alle nun zu leiden haben.«

In dieser Weise hatte die Tochter noch nicht mit der Mutter gesprochen. Diese fühlte, daß die Tochter wohl Recht habe. Darum entgegnete sie nichts. Gisela aber fuhr fort:

»Auch ich habe es bisher stets so gemacht wie Du; ich bin ihm unterthan gewesen fast wie eine Sclavin. Ich bin seine Tochter und muß ihm gehorchen, weil er mein Vater und mein Herr ist. Aber Herr meines Glückes, meines Lebens, meiner Seele ist er nicht. Wenn es sich um Eins von diesen Dreien handelt, so brauche ich ihm nicht zu gehorchen.«

»Darnach fragt er nicht!«

»So frage ich auch nicht nach ihm, und wir sind dann fertig!«

Sie sagte das so kurz und entschlossen, daß ihre Mutter erschrak.

»Um Gotteswillen, Kind, was hast Du vor?« fragte dieselbe.

»Was ich thun werde, das weiß ich noch nicht. Aber das weiß ich, daß ich nicht die Frau dieses Osec werde. Du hast jetzt auf dem Saale wieder gesehen, was für ein Kerl er ist. Eigentlich müßte ich mich schämen, daß ich in seiner Nähe gewesen bin; aber ich weiß, daß die Leute bald erfahren werden, woran sie mit mir sind.«

»Aber heut schon soll der Verspruch sein!«

»Ich thue nicht mit!«

»So giebt es einen Auftritt, wie es noch keinen gegeben hat!«

»Das ist Deine gewöhnliche Angst. Du bist blos besorgt, solche Auftritte zu verhüten, und dadurch hast Du dem Vater alle Macht überlassen. Ich würde mich an den Osec niemals verhandeln lassen, selbst dann, wenn ich – wenn ich – wenn ich nicht schon einen Andern wüßte, den ich lieb habe.«

»Den Ludwig! Gisela, das giebt ein Unglück!«

»Nein. Wir werden ganz im Gegentheile sehr, sehr glücklich sein!«

»Jawohl, wenn Ihr Euch heirathen dürftet. Aber dazu kommt es im ganzen Leben nicht.«

»Vielleicht kann es schon recht bald dazu gekommen sein!«

»Denke wie arm er ist!«

»Desto braver ist er.«

»Ein Knecht!«

»Er kann ein reicher Bauer werden. Er hat das Zeug dazu.«

»Wenn ich daran denke, so wird mirs wirklich himmelangst.«

»Und mir himmelswohl!«

»Habt Ihr jetzt mit einander gesprochen?«

»Nein. Ich weiß auch ohne dem, woran ich mit ihm bin. Und grad das benimmt mir alle Sorge und giebt mir den Muth, dem Vater zu widerstehen. Vielleicht bedarf es gar nicht eines offenen Widerstandes. Vielleicht genügt es, mir den Osec durch List oder Aehnliches fern zu halten. Wir werden ja sehen. Nun sind wir daheim. Wir müssen das Nachtmahl bereiten.«

Sie waren am Keryhofe angekommen und begaben sich nach der Küche, nachdem sie ihre Anzüge gewechselt hatten.

Die drei Männer kamen später. Sie waren, wie bereits erwähnt, langsamer gegangen, erst schweigend neben einander her, dann in einzelnen Ausrufen ihrer zornigen Stimmung Luft machend, bis der Kerybauer endlich zum alten Osec sagte:

»Du brauchst eigentlich gar nicht so grimmig zu sein, denn Du bist an Allem schuld!«

»Ich? Das möchte ich doch wissen!«

»Ja, Du ganz allein.«

»Das wirst Du wohl nicht gleich beweisen können!«

»Sogleich. Hättest Du nicht angefangen, so hätten sich die Glowitzer nicht so beleidigt gefühlt.«

»Meinst Du, wegen dem Biere?«

»Ja.«

»Nun, das ist lächerlich! Die mögen doch froh sein, wenn Jemand für sie bezahlt.«

»Aber das muß in anderer Weise geschehen?«

»Ich gebe nach meiner Weise und nicht nach einer anderen!«

»Wenn ein Bettler Dich anspricht, so magst Du geben, wie es Dir beliebt, und er wird sich sogar auch noch bedanken. Die Burschen aber hatten nichts von Dir verlangt.«

»Sie sind aber lauter Hungerleider, die sich sonst gar nicht weigern, Etwas anzunehmen.«

»So hättest Du wenigstens bis zu einer passenden Gelegenheit warten sollen. Du bist aber gleich mit der Thür ins Haus gefallen. Du hast sofort, nachdem wir kaum fünf Minuten da waren, vom Freibier angefangen.«

»Das grad war nobel von mir. Ich habe zeigen wollen, daß ich nicht lange warte, ehe ich etwas gebe.«

»Und sechs Biere für so Viele!«

»War das etwa nicht genug?«

»Nein. Es wäre auf die Person kaum ein Schluck gekommen. Grad darin lag ja eben die Beleidigung! Das war knickerig.«

»Oho! Willst Du mich beschimpfen?«

»Nein. Wir sind gute Bekannte und wollen uns nicht zanken. Wir werden ja bald sogar Schwäger sein. Aber wenn Du bei mir bist, so mußt Du anders auftreten. Wenn man ein Freibier giebt, so giebt man es ordentlich, sonst ist es besser, man giebt es gar nicht.«

»Nun ja; ich weiß schon; das ist gewöhnlich so. Ich bin stets der Sündenbock. Du sagst, daß ich schuld bin. Aber ein ganz Anderer hat die Sache auf dem Gewissen.«

»So! Wer denn?«

»Der Ludewig, Dein Knecht. Hätte er die Gisela nicht engagirt, so hätte mein Junge mit ihr getanzt, und es wäre nicht der geringste Streit entstanden.«

»Weiß der Teufel, wie er auf den Gedanken gekommen ist!«

»Du hast ihn verzogen; Du bist viel zu gut mit ihm gewesen.«

»Fast glaube ich, daß Du Recht hast.«

»Und wie ist er gegen Dich aufgetreten! Und nachher auch noch gegen mich!«

»Dafür werde ich ihm kündigen.«

»Was kündigen! Ich würde ihn sofort aus dem Hause jagen.«

»Das geht nicht; das ist gegen das Gesetz.«

»Pah! Was mache ich mir aus dem Gesetz! Eine offene Widersetzlichkeit ist der beste Grund, einen Knecht augenblicklich fortzujagen.«

»Das weiß ich wohl. Aber die Widersetzlichkeit fand nicht bei der Arbeit sondern auf dem Tanzsaale statt.«

»Ganz egal. Du bist sein Herr, welchem er zu gehorchen hat!«

»Und so einen bekomme ich nie wieder.«

»Das brauchst Du nicht zu glauben. Es giebt Andre, die ebenso gut und wohl auch noch besser sind. Er ist doch nicht etwa gar ein richtiger Engel! Das hat er vorhin bewiesen. Er hat doch mit Dir und auch gegen mich gesprochen, als ob er ein Polizist wäre. Das klang ja ganz so, als ob er uns anzeigen wolle!«

»Wird ihm nicht einfallen!«

»Vielleicht doch, wenn er von Dir fort ist. Dann wird er sich rächen wollen. Ich bin gradezu erschrocken. Ich habe stets gedacht, daß kein Mensch eine Ahnung hat, was für ein Geschäft wir betreiben, und da sagt Dein Knecht es uns auf öffentlichem Tanzboden gradezu in das Gesicht.«

»Er weiß nichts.«

»So könnte er nichts sagen!«

»Er ahnt es blos.«

»Das ist schon genug. Wenn er es ahnt, so muß er doch irgend Etwas gemerkt haben.«

»Das wohl.«

»Was denn? Weißt Du es?«

»Ja. Wir brauchen uns nicht zu fürchten.«

»So sage doch, was und wie viel er weiß!«

»Viel ist es nicht. Kannst Du Dich besinnen, als wir im Februar erwischt wurden und draußen vor dem Dorfe umkehren mußten?«

»Das weiß ich noch sehr gut. Wir verloren alle unsere Güter, und die Grenzer waren hart hinter uns her.«

»Damals warst Du schneller als ich. Du flüchtetest nach meinem Gute zu, und ich kam einige Minuten später. Da stand der Ludwig vor der Thür. Weiß der liebe Himmel, was er zu so später Stunde da noch zu treiben hatte. Wir fürchteten schon, von den Grenzern erkannt worden zu sein; aber es kam keiner. Du schliefst bei mir und gingst erst am nächsten Morgen fort. Ich glaubte, die Sache sei nun gut. Aber am Mittag fuhr ich mit dem Ludwig nach der Stadt, und unterwegs sagte er pfiffig:

»›Das war gestern gefährlich.‹

»›Was?‹ antwortete ich.

»›Das mit den Grenzern.‹

»›Mit welchen Grenzern?‹

»›Nun, mit denen, welche hinter Euch herkamen.‹

»›Hinter uns her? Was meinst Du denn eigentlich?‹

»›Er that einen Zug aus seiner kurzen Pfeife; dann sagte er:‹

»›Erst kam der Osec und versteckte sich; dann kamst Du ebenso eilig herbei gelaufen. Ihr hattet Beide keinen Athem mehr. Sodann kamen drei Grenzer gesprungen. Sie sahen mich stehen und fragten mich, ob ich nicht zwei Kerls hätte laufen sehen. Natürlich antwortete ich, daß sie vor fünf Minuten hier vorüber seien, das Dorf hinab, und so eilten sie weiter. Die beiden Kerls aber, welche ich gesehen hatte, waren gar nicht zum Dorfe hinab. Ich kannte sie gar wohl und wußte, wer sie waren.«‹

Nachdem Kery dies berichtet hatte, blieb es für einige Augenblicke still; dann sagte der alte Osec:

»Warum hast Du nicht gegen mich davon gesprochen?«

»Was hätte es genützt?«

»Vielleicht sehr viel!«

»Ich möchte es wissen! Ich bin vollständig überzeugt, daß der Ludwig uns niemals verrathen wird.«

»Diese Ueberzeugung habe ich nicht.«

»Nun gut, wenn er auf das Amt ginge und uns anzeigte, was könnte er da sagen, und was könnte er beweisen? Nichts, gar nichts. Er hat Dich und mich kommen sehen. Das ist Alles!«

»Weißt Du wirklich, ob das Alles ist?«

»Ja.«

»Ich denke anders.«

»Er hat ja niemals wieder Etwas gesehen.«

»Das darfst Du nicht behaupten. Du, Du hast ihn nicht gesehen, er aber Dich vielleicht um so besser. Er hat uns damals beobachtet und sogleich Verdacht geschöpft. Natürlich ist er neugierig geworden und hat Dich heimlich beobachtet. Weißt Du da, was er Alles erfahren haben kann?«

»Donnerwetter!«

»Ja, fluche nur!«

»Daran habe ich gar nicht gedacht!«

»Daß er mehr weiß, als Du denkst, das ist erwiesen aus der Art und Weise, wie er uns heut antwortete.«

»Jetzt geht mir freilich ein Licht auf!«

»Wenn es Dir eher aufgegangen wäre, so wäre es besser für uns. Er weiß, daß Du ein Schmuggler bist. Nur das hat ihm den Muth gegeben, mit Deiner Tochter zu tanzen. Darauf kannst Du Dich verlassen. Er hat keinen Respect mehr vor Dir.«

»So soll er ihn recht bald wieder bekommen.«

»Keine Unvorsichtigkeit! Wenn Du ihn falsch behandelst, kann er uns gefährlich werden. Das mußt Du bedenken.«

»Er ist nicht rachsüchtig.«

»Pah! Ein jeder Mensch ist rachsüchtig. Ich möchte einmal Einen sehen, welcher es vergißt, wenn er beleidigt worden ist.«

»Ein solcher ist der Ludwig. Er ist gradezu das, was man edel nennt.«

»Mache Dich nicht lächerlich! Ein Bauernknecht, und edel! Darüber könnte man sich todt lachen! Uebrigens glaube ich nicht, daß Du von dem sogenannten Edelmuthe sehr viel verstehest.«

»So viel wie Du, gewiß!«

»Das ist kein großer Ruhm für Dich, denn ich kann Dir offen sagen, daß ich kein Freund vom Edelmuthe bin. Man kommt dabei zu nichts. Diese Erfahrung habe ich gemacht.«

»Was! Wärest Du etwa einmal edel gewesen, Osec?«

»Nein, ich nicht; das kannst Du mir aufs Wort glauben. Ich habe diese Erfahrung vielmehr an Anderen gemacht. Sie sind dabei zu Grunde gegangen.«

»Während Du dabei reich geworden bist. Nicht wahr?«

»Das geht Dich nichts an. Jetzt reden wir von dem Ludwig. Ich warne Dich allen Ernstes vor ihm. Denke einmal, was er uns für einen Streich spielen könnte, wenn er wüßte wo sich bei Dir die heimliche Niederlage befindet!«

»O, von der hat er keine Ahnung!«

»Das kannst Du nicht behaupten.«

»Beschwören sogar kann ich es!«

»Vielleicht schwörtest Du einen Meineid. Er ist so lange Jahre bei Dir. Wenn er sich den Schuppen richtig angesehen hat, muß er doch unbedingt auf den Gedanken kommen, daß er von Außen viel, viel breiter ist als von Innen, und daß also wohl eine Doppelwand da sein müsse, hinter welcher sich ein verborgener Raum befindet.«

»Diesen Gedanken hat er niemals gehabt. Ich hätte Etwas davon gemerkt. Er hätte sich verrathen.«

»Vielleicht ists so, wie Du denkst, und das wäre gut für uns. Ich rathe Dir allen Ernstes, ihn fest im Auge zu behalten, so lange er noch bei Dir ist.«

»Das ist nicht mehr lange, nur noch ein Monat und ein paar Tage.«

»Wie leicht kann er heut merken, daß die Waaren kommen!«

»Da schläft er längst. So ein Knecht, der von früh vier Uhr bis Abends zehn Uhr stark arbeiten muß, hat keine Lust, seiner Neugierde den kostbaren Schlaf zu opfern. Nein, in dieser Beziehung habe ich keine Angst. Und selbst wenn er Alles wüßte, würde er mich doch nicht verrathen. Da kenne ich ihn doch zu genau.«

»Wollen es wünschen! Aber daß er mehr weiß, als Du denkst und als er damals gesehen hat, das ist gewiß. Er sprach doch vorhin von dem Slowaken Usko. Woher kennt er diesen?«

»Der Kerl kommt manchmal zu mir und strickt meiner Frau die Zöpfe ein.«

»Sapperment! Sollte er bei so einer Gelegenheit mit dem Knechte geschwatzt und uns verrathen haben?«

»Das ist ihm nicht eingefallen. Dieser Usko ist der Gescheidteste und Verschlagenste von Allen. Eher geht die Welt unter, als daß es Jemandem gelingen könne, ihm ein Wort zu entlocken.«

»So hat er doch wohl irgend Etwas gethan, wobei er von dem Knechte beobachtet worden ist. Anders ist es nicht möglich.«

»Das will ich eher glauben. Uebrigens macht auch das mir keine Sorge. Wenn ich von keinem Andern beobachtet werde, als von dem Ludwig, so kann ich sehr zufrieden sein.«

»Du bist ein ganz unbegreiflicher Kerl! Er hat Dich beleidigt; Du willst ihm kündigen, und doch lobst Du ihn auch in dieser Weise!«

»Weil er in seiner Arbeit wirklich ein tüchtiger Kerl ist. Das muß ich am Besten wissen, und ich erkenne es an, weil es mir Schaden macht, wenn er fortgeht.«

»Nun, so behalte ihn!«

Er sagte das in kurzem, zurechtweisendem, fast beleidigtem Tone.

»Nein; das kann mir nicht einfallen. Nach dem, was heut geschehen ist, kann ich ihn unmöglich behalten.«

»Wenn Du klug bist! Er ist ja doch der Kukuk in Deinem Neste.«

»Oho!«

»Oder vielmehr der Sperling im Staarkasten. Dieser Vergleich ist noch richtiger als der vorhergehende.«

»Wie meinst Du das?«

»Nun, Du weißt doch, daß der Sperling sich gar gern im Staarkasten häuslich niederläßt?«

»Das weiß ich ebenso gut wie Du.«

»Der Sperling ist der Ludwig, und der Staarkasten, das ist Dein Gut.«

»In dem er sich niederlassen will?«

»Ja.«

»Nennst Du das ein häusliches Niederlassen, wenn man Knecht ist?«

»Knecht!« lachte Osec. »Ja, Knecht ist er jetzt noch; aber er denkt wohl, daß er es nicht lange mehr bleiben wird.«

»Weil er fort muß?«

»Davon weiß er ja noch gar nichts. Nein, ich meine es anders. Schwiegersohn ist doch besser als Knecht.«

Da blieb der Kerybauer stehen, schlug ein lautes Gelächter auf und sagte:

»Schwiegersohn! Der Knecht! Du bist toll!«

»Nein; ich bin nicht toll, aber Du bist blind.«

»Donnerwetter! Ich habe bisher gedacht, daß ich sehr gute Augen habe!«

»Für die Ferne, ja; aber in der Nähe scheinst Du nicht so gut zu sehen.«

»Mensch, sage mir nicht solche Sachen. Von dergleichen Spaßen bin ich kein Freund.«

»Das kann ich mir sehr wohl denken. Drum mache ich auch keinen Spaß, sondern es ist mein völliger Ernst.«

»Unmöglich!«

»Mach die Augen auf!«

»Die habe ich stets offen!«

»Ja, wie die Hasen! Die schlafen dabei, indem sie die Augen offen haben.«

»Wenn Du gerechte Sache hast, so rede offen. Hast Du vielleicht Etwas gesehen?«

»Ja, und zwar genug.«

»Was?«

»Viel weniger, als Du gesehen hast. Für mich aber ist es mehr als genug. Saßen sie nicht heut im Garten neben einander auf der Bank?«

»Wenn es weiter nichts ist!«

»Und hatten einander bei den Händen!«

»Nein. Sie hielten sich nicht bei den Händen, sondern sie hatten sich nur den Handschlag gegeben. Die Gisela hatte ihm versprechen müssen. Deinen Sohn zu heirathen.«

»Und das glaubst Du wirklich?«

»Warum nicht?«

»Ich hab wirklich nicht gedacht, daß Du ein so großer Dummkopf bist!«

»Halts Maul! Wenn Du nur schimpfen willst, so brauchst Du lieber gar nichts zu sagen!«

»Gut! Ich kann ja schweigen. Aber wenn die Gisela so sehr viel aus den Knecht giebt, daß sie auf seinen Wunsch hin einen Mann nimmt, den sie vorher nicht hat haben wollen, so kommt mir das natürlich außerordentlich verdächtig vor.«

Das leuchtete dem Kerybauer ein. Er stand noch immer auf derselben Stelle und hielt den Osec beim Arme gefaßt.

»Alle Teufel!« rief er aus. »Das kann auch mir jetzt auffallen!«

»Gehen Dir jetzt die Augen auf?«

»Beinahe!«

»Und sagte sie nicht, sie hätte ihn gebeten, hier im Dienst zu bleiben? Das hast Du doch auch gehört?«

»Natürlich.«

»Nun, weißt Du nun, woran Du bist?«

»Noch nicht.«

»So weiß ich es desto besser. Mein Junge ist der Bauer hier; der Ludwig aber soll der Mann sein, der eigentliche Mann! Verstanden!«

»Kerl, das ist ja ganz unsinnig!«

»Papperlapapp! Sie ist dem Ludwig gut und er ihr auch. Heirathen können sie sich aber nicht, denn das würdest Du ja nicht zugeben – – –«

»Im ganzen Leben nicht!« fiel der Kerybauer schnell ein.

»Also haben sie sich so verabredet, daß sie doch meinen Sohn nimmt, obgleich sie ihn nicht leiden kann. Der Ludwig aber bleibt hier, und was weiter geschieht, das brauche ich Dir doch wohl nicht zu sagen.«

»Das wäre ja schön und nett und außerordentlich sauber! Himmelbataillon! Und Du meinst, meine Tochter, die Gisela, wäre ein Weibsbild, dem so Etwas zuzutrauen ist?«

»Ich habe sie bisher nicht für eine solche gehalten, gewiß nicht.«

»Sie ists auch nicht! Wer das von ihr sagt, der hat es mit mir zu thun. Sie ist mein einziges Kind. Den Ehebruch versprechen, noch ehe sie verheirathet ist sogar, dazu ist sie nicht fähig!«

»Ich möchte freilich, daß Du Recht hättest. Das sollte mir lieb sein. Ich will Dir auch gar nicht wehe thun, denn wir sind ja gute Freunde. Aber denke nachher an den Tanz, von dem wir kommen! Was ist da geschehen? Wer hat sie engagirt? Und mit wem hat sie getanzt? Mit ihrem Bräutigam oder mit dem Ludwig?«

»Osec, ich sage Dir, wenn Du in dieser Weise redest, so machst Du mich ganz irr!«

»Und weiter! Bin ich nicht mit meinem Sohne ihretwegen und des Ludwigs wegen zur Treppe hinunter geworfen worden? Wer ist schuld, daß auch Du fort gemußt hast und daß wir nun von allen den dummen Jungs, welche zugegen waren, ausgelacht werden?«

»Da schlage doch der Teufel drein!«

»Denke ja darüber nach!«

»Das thue ich eben, und – ich glaube, es gehen mir die Augen auf!«

»Recht so! Recht so!«

»Dann aber Gnade ihr Gott, wenn Du Recht haben solltest! Ich schlage sie todt.«

»Nur ruhiges Blut! Bis zum Todtschlagen sind wir noch nicht. Wir sind ja noch nicht einmal bis zur Verlobung.«

»Die wird sein; die wird sein! Natürlich noch heut! Sogleich, wenn wir nach Hause gekommen sind, beim Abendessen.«

»Nun hast Du es auf einmal weit eiliger noch als vorher. Aber meinst Du, daß wir es auch so eilig haben?«

»Was fällt Dir ein? Willst Du etwa zurück treten?«

»Fast möchte ich!«

»Schwatz doch nicht albernes Zeug!«

»Das ist kein albernes Zeug. Soll mein Junge sich eine Frau nehmen, von der er schon vor der Hochzeit weiß, daß sie ihm untreu sein wird.«

Jetzt endlich ließ Kery den Arm Osec's fahren. Er stampfte zornig mit dem Fuße und rief:

»Willst Du mich wuthig machen! Weißt Du, welche Beleidigung das ist!«

»Ich weiß es, aber Du als mein guter Freund kannst es mir nicht übel nehmen. Denk darüber nach! Ich will auch nicht zurücktreten; aber ich muß die Bedingung machen, daß der Ludwig so bald wie möglich aus dem Hause kommt.«

»Das soll er, das soll er!«

»Schön; so sind wir so weit einig.«

»Also nun nach Hause, damit wir die Sache zu Ende bringen.«

»Giebt es nicht noch vorher Etwas zu besprechen?«

»Was?«

»Das Geschäft für morgen.«

»Darüber können wir später reden.«

»Nein. Jetzt ist's besser. Jetzt sind wir ungestört und unbelauscht. Später sind wir vielleicht gar nicht mehr allein.«

»Nun, meinetwegen. Also es kommt ganz sicher Waare?«

»Noch heute.«

»Wie viel?«

»Sehr viel und sehr theuer. Das ist es eben, weshalb wir uns besonders besprechen müssen. Für gewöhnlich beträgt's nur so um tausend Gulden. Dieses Mal aber handelt es sich um viel mehr. Willst Du es wagen?«

»Ja, wenn's nicht gar zu hoch ist.«

»Fünfzehntausend sind's.«

»Gut, ich wage es trotzdem. Wir haben meist immer Glück gehabt, und so läßt sich annehmen, daß wir wohl auch jetzt, wo es sich um eine solche Summe handelt, nicht unglücklich sein werden.«

»Daran ist nicht zu denken. Natürlich werden wir doppelte Vorsicht anwenden. Das zu thun, ist Deine Sache. Ich liefere Dir die Waaren ins Haus, bis dahin habe ich die Verantwortung; nachher beginnt die Deinige. Wie aber steht es mit dem Gelde?«

»So viel habe ich natürlich nicht baar daliegen.«

»Und ich kann nichts ohne Bezahlung abgeben.«

»Hoffentlich habe ich Credit bei Dir!«

»Natürlich. Aber gegen Wechsel.«

»Einverstanden! Stelle sie auf drei Monate. Wann kommen die Leute?«

»Punkt zwei Uhr. Sorge dafür, daß Niemand mehr wach ist!«

»Die Leute sollen alle zu Bett sein.«

»Ganz besonders aber der Ludwig, denn dem traue ich nicht.«

»Da habe ich keine Sorge. Heute ist seine Mutter da, was ich übrigens niemals gern geduldet habe. Da geht er mit ihr zeitig auf seine Kammer. Nun aber wollen mir machen, daß wir nach Hause kommen.«

Sie setzten den unterbrochenen Weg jetzt wieder fort. Als sie das Gut erreichten, zeigte es sich, daß die zur Verlobung erwartete Frau Osec's nicht gekommen war. Ihr Mann grämte sich nicht gerade sehr darüber.

Kery ging in die Küche und sagte seiner Frau und Tochter:

»Heute Abend wird oben in der guten Stube gegessen. Was dort vorgeht und was da gesprochen und ausgemacht wird, das braucht das Gesinde nicht zu hören.«

Nun wußten die Beiden genau, daß die Verlobung eine fest beschlossene Sache war.

Der Nachmittag war längst vorüber gegangen und der Abend angebrochen. Droben in der guten Stube wurde die Lampe angebrannt und bald war der Tisch gedeckt. Große Kocherei war nicht gemacht worden. Das war nicht nach dem Geschmacke des Kerybauern, und die beiden Osec's waren so geizig, daß sie es gar nicht übel nahmen, daß ihnen nur kalte Küche vorgesetzt wurde.

Das Essen begann. Die drei Männer ließen es sich schmecken. Der Bauerin quoll der Bissen im Munde. Sie vermochte fast nicht, zu schlucken, solche Angst hatte sie. Wie es im Inneren Gisela's aussah, konnte man nicht merken. Sie machte sich mit der Bedienung der Gäste so zu schaffen, daß man ihr keine Besorgniß ansehen konnte. Uebrigens war sie munter und die Farbe ihres Gesichtes hatte sich nicht im mindesten verändert.

Endlich war der Appetit gestillt. Die Messer wurden fortgelegt und Gisela mußte eine Flasche Wein entstöpseln. Nachdem die Gläser gefüllt waren, erhob der Bauer das seinige.

Ein tiefer, tiefer, angstvoller Seufzer entquoll der Brust der Bäuerin. Jetzt sollte es beginnen! Die schwerste und wohl auch traurigste Stunde ihres Lebens war da.

»Laßt uns anstoßen,« sagte Kery, »auf das Gelingen unseres jetzigen Vorhabens!«

Was das für ein Vorhaben sei, sagte er freilich nicht. Die Gläser klangen aneinander. Auch Gisela stieß munter mit an. Sie that so, als ob es sich um etwas ihr ganz Willkommenes handle.

»Setze Dich nieder, Gisela,« sagte ihr Vater. »Ich habe mit Dir zu sprechen.«

Sie nahm ihm gegenüber Platz und blickte ihm scheinbar unbefangen und erwartungsvoll ins Gesicht.

»Du bist mein Kind, meine einzige Tochter,« begann er. »Du wirst einmal Alles erben, was wir besitzen, und ich möchte dafür sorgen, daß es nicht in schlechte Hände kommt.«

»Hältst Du denn die meinigen für schlecht?« fragte sie erstaunt.

»Nein, denn Du bist eine brave, fleißige und sparsame Wirthschafterin, wie ich als Dein Vater aufrichtig sagen muß.«

»Nun, so brauchst Du also gar nicht zu sorgen. Wenn es in meine Hände kommt, ist es eben in guten Händen.«

»Das ist schon wahr. Aber Deine Hände werden nicht immer Dein Eigenthum sein.«

»Wieso?«

»Du wirst heirathen.«

»Daran denke ich nicht.«

»Aber ich muß daran denken. Ich bin Dein Vater und muß Dich versorgen.«

»O, lieber Vater, für mich ist ja gesorgt. Ich erbe einmal Alles und so werde ich also niemals Noth zu leiden haben.«

»Sakkerment! Mach mir keine Flattusen vor! Ich kann das nicht leiden. Du weißt recht gut, was ich denke und was ich will. Du bist in dem Alter, in welchem man sich nach einem Manne umsieht; da Du aber das richtige Geschick und die nöthige Einsicht dazu nicht besitzest, so habe ich an Deiner Stelle für Dich Umschau gehalten. Ich habe Einen gefunden, der für Dich paßt, wie kein Zweiter, und ich hoffe, daß Du Dich nicht weigern wirst, ihm Deine Hand zu reichen, obgleich ich weiß, daß Du ihm eigentlich ein Bischen gram gewesen bist.«

»Gram? Ich kenne keinen Menschen, dem ich gram bin. Es hat mir ja noch Niemand Etwas gethan.«

»Ich weiß aber doch, daß Du ihn nicht leiden kannst.«

»Nicht leiden? Wer ist es denn?«

»Dummheit! Thu nur nicht so, als ob Du es noch nicht wüßtest! Hier sitzt er, der Sohn meines guten Freundes Osec. Willst Du ihm Deine Hand reichen?«

»Ja; hier ist sie.«

Sie gab sie dem jungen Osec hin. Dieser ergriff sie und behielt sie fest. Sie machte auch keine Miene, sie ihm wieder zu entziehen. Das verblüffte ihren Vater einigermaßen. Er warf ihr einen verwunderten Blick zu und fuhr fort:

»Das freut mich, denn eigentlich hatte ich Widerspruch erwartet. Wenn ein junges Mädchen einem Burschen nicht gleich zum Fressen gut ist, so denkt sie, sie muß sich gegen ihn sträuben. Das ist aber eine große Dummheit. Die Liebe kommt mit der Ehe. Davon kann meine Frau auch ein Wörtchen reden. Nicht war, Alte, wir haben stets gut und glücklich gelebt?«

»Sehr!« beeilte sie sich, zu antworten. Doch war der Ton, in welchem sie dieses eine Wörtchen aussprach, kein sehr herzlicher.

»Hörst Du es, Gisela!« fuhr er fort. »Ich bin gern aufrichtig mit den Meinigen und so will ichs eingestehen, daß bei mir die eigentliche, wirkliche Liebe erst nach der Hochzeit gekommen ist. So wird es auch mit Dir sein, Gisela. Du wirst Deinen Mann lieb gewinnen.«

»Das glaube ich nicht,« antwortete sie, indem sie that, als ob sie erröthe.

Der Bauer zog die Stirn in Falten und fragte in strengem Tone:

»Warum glaubst Du das nicht?«

»Vater, Du bist aufrichtig gewesen, und so will ich es auch sein. Bei mir kann die Liebe nicht erst kommen, denn sie ist schon lange da.«

»Wie! Da ist sie schon! Du bist Einem gut! Donnerwetter! Und das sagst Du so offen! Jetzt, wo Dein Bräutigam daneben sitzt!«

»Ja, grad jetzt sage ich es, denn jetzt ist die richtige Zeit dazu.«

»So. Und wer ist es denn, dem Du schon so lange gut bist?«

Er machte bei dieser Frage ein so drohendes Gesicht, daß man wußte, er werde nach der Antwort, welche er von ihr vermuthete, im fürchterlichsten Zorne losbrechen. Aber es kam ganz anders, als er und auch alle Anderen erwartet hatten. Gisela senkte in schüchterner Verlegenheit den Blick und sagte:

»Da brauchst Du doch gar nicht erst zu fragen.«

»Nicht? So! Freilich muß ich fragen. Also heraus damit! Wer ist Der, den Du meinst?«

»Der da natürlich!«

Bei diesen Worten deutete sie auf den jungen Osec. Ihr Vater fuhr vom Stuhle empor. Ihre Mutter schlug die Hände zusammen. Der alte Osec bewegte die finsteren Brauen und sein Sohn rieb sich mit dem Zeigefinger der Rechten die Nase. Er wußte nicht, ob er sich ärgern oder sich freuen solle, denn er war im Unklaren darüber, ob sie die Wahrheit oder die Unwahrheit gesagt habe.

»Mohrenelement!« rief ihr Vater. »Hier wird kein dummer Spaß gemacht!«

Sie blickte ihm sehr ernst in das Gesicht und antwortete:

»Mache ich denn etwa Spaß?«

»Was denn sonst?«

»Ernst.«

»Und das soll ich glauben?«

»Thue, was Du willst.«

»Aber Du hast es ja nie merken lassen, daß Du ihn lieb hast!«

Da lachte sie lustig auf.

»O, Ihr klugen Männer, wie seid Ihr doch in Sachen der Liebe so sehr dumm!«

»Na, bist etwa Du eine so sehr Gescheidte!«

»Daß ich gescheidter bin, als Ihr alle Drei, das hat sich ja doch soeben gezeigt. Ihr habt gedacht, daß ich ihn nicht leiden kann, und doch bin ich ihm bereits als kleines Mädchen schon herzlich gut gewesen.«

Da schlug der Bauer auf den Tisch, sah ganz verwundert zu Osec hinüber und sagte:

»Jetzt brat mir aber Einer einen Storch! Gut ist sie ihm gewesen! Schon von Kindesbeinen an! Und wir Alle haben dagegen geglaubt, daß sie ihn im Magen hat. Wer hätte das gedacht!«

»Das kommt bei Euch Männern und Burschen sehr oft vor. Ihr denkt, es sei Eine ganz verliebt in Euch und dabei lacht sie Euch heimlich aus. Und Ihr meint, es könne Euch Eine nicht leiden, und dennoch hat sie die größte Sehnsucht nach Euch.«

»So hast Du wohl auch solche Sehnsucht gehabt. Du Wettermädchen?«

»Einiges kann man wohl verrathen, aber nicht Alles. Das sind Sachen, über welche man nur mit dem Geliebten allein reden kann.«

»Richtig, richtig! Aber wenn es so steht, dann hat ja alle Noth ein Ende! Nicht wahr, Osec? Schänk ein und laß uns einmal auf diesen unerwarteten Ausgang anstoßen!«

Der alte Osec machte ein sehr finsteres Gesicht, griff zur Flasche, goß ihm ein und flüsterte ihm bei dieser Gelegenheit zu:

»Da hast Du es! Jetzt thut sie so; aber den Ludwig meint sie.«

Da verflog im Augenblicke der freudige Ausdruck aus dem Gesicht des Kerybauern. Er schob das Glas wieder von sich und sagte:

»Mädchen, spielst Du etwa Comödie mit uns? Das laß bleiben!«

»Comödie?« fragte sie verwundert. »Wie kommst Du auf diesen Gedanken?«

»Du bist einem Anderen gut und willst den Osec heirathen, um mit dem Anderen recht fröhlich leben zu können.«

Jetzt erglühte sie in Wirklichkeit bis zum Nacken herab. Ihre Augen begannen zu blitzen. Sie erhob sich vom Stuhle und fragte:

»Und wer ist der Unverschämte, der diesen Gedanken ersonnen hat?«

»Das ist Nebensache.«

»Nein, das ist für mich eine Hauptsache. Man traut mir zu, daß ich schon jetzt als junges Mädchen an Dinge denke, die nur eine scham- und ehrlose verheirathete Frau ausführen kann! Und das muß ich mir von meinem eigenen Vater in das Angesicht sagen lassen? Ist der Keryhauer ein solcher Lump und ist seine Tochter eine solche gewissenlose Dirne, daß man so Etwas wagen kann! Unter diesen Umständen kann ich keinen Augenblick länger hier bleiben!«

Sie wendete sich um und schritt nach der Thür. Ihr Vater eilte ihr nach und hielt sie fest.

»Bleib, Gisela, bleib!« sagte er. »Es war doch nur mein Spaß.«

Da blickte sie ihn fast drohend an und sagte in einem Tone, dessen sie sich noch nie gegen ihn bedient hatte:

»Solche Späße muß ich mir ein für alle Male verbitten. Wenn Du so wenig Ehre besitzest, sie zu machen, so habe doch ich Ehre genug, sie zurückzuweisen. Fühlst Du es denn nicht, daß Du Dich selbst beleidigest, wenn Du mich beleidigest!«

»Laß gut sein, laß gut sein. Setz Dich nur wieder her,« bat er. »Ich hatte es ja gar nicht so gemeint, wie es mir über die Lippen kam. Es hat ja manches Mädchen einen heimlichen Geliebten und heirathet doch einen Anderen.«

»Aber da wird ihr nicht gleich zugemuthet, was Ihr mir zugemuthet habt! Doch will ich mich nicht ärgern. Ich werde es Euch gleich beweisen, daß ich an so Etwas mit keiner Sylbe gedacht habe. Meine Wünsche sind ganz andere, viel ernstere, viel frömmere.«

»So bist Du dem Osec also wirklich gut?«

»Ja.«

»Und hast nichts dagegen, daß er Dich auch lieb hat?«

»Es freut mich im Gegentheile sehr, daß ich ihm nicht gleichgiltig gewesen bin. Desto mehr wird er den Schritt zu würdigen wissen, den ich ihm zu Liebe thue.«

»So? Was ist das für ein Schritt?«

»Ihr sollt es gleich hören. Wen man so sehr lieb hat, an den denkt man allezeit. Darum kam es häufig vor, daß ich von ihm träumte. Heute Nacht nun träumte mir, er befinde sich in großer Lebensgefahr. Ich schwitzte und jammerte vor Angst im Traume und wachte darüber auf. Ich war unendlich glücklich, daß es nur ein Traum gewesen war; aber es ahnte mir, daß dieser Traum in Erfüllung gehen werde. Da gelobte ich in meiner Herzensbangigkeit, wenn er aus dieser wirklichen Gefahr errettet werde, wolle ich in das Kloster gehen. Gleich heute schon ist er in das Wasser gestürzt. Er wäre ganz gewiß ertrunken, aber der Ludwig hat ihn gerettet. Mein Traum hat sich erfüllt, und nun soll auch mein Gelöbniß in Erfüllung gehen. Ich führe meinen Vorsatz aus und gehe in das Kloster, aus Liebe zu ihm und aus Dankbarkeit für die Rettung seines theuren Lebens.«

Diese Erklärung brachte eine ungeheure Wirkung hervor, verschieden nach der Verschiedenheit der einzelnen Charaktere.

Osec, der Vater, fuhr kerzengerade von seinem Stuhle auf, öffnete den Mund weit und starrte die Sprecherin an, als ob er etwas ganz und gar Unglaubliches gehört habe.

Sein Sohn sank in die Lehne des Stuhles zurück und machte ein Gesicht, wie es dümmer unmöglich sein konnte.

»Gisela!« rief die Bäuerin erschrocken. »Was Du da sagst, ist doch nicht etwa wahr?«

»Es ist sehr wahr,« antwortete das Mädchen. »Ich habe es mir reiflich überlegt.«

»Aber ich kann es mir doch gar nicht denken!«

»Du wirst es Dir schon noch denken können, wenn es einmal geschehen ist.«

Der Kerybauer war langsam von seinem Stuhle aufgestanden, hatte denselben mit dem Fuße so kräftig zurückgestoßen, daß er umstürzte, und stand nun mit einem Angesichte da, auf welchem das starre Erstaunen zu lesen war. Er wollte sprechen, brachte aber zunächst nichts hervor, als einige unverständliche Laute. Doch gab er den Anderen mit der Hand einen Wink, nichts zu sagen. Er schluckte und schluckte und stieß endlich mit Anstrengung den Ausruf hervor:

»Bist – Du – ver–rückt!«

Seine Tochter blickte ihn lächelnd an und antwortete:

»Verrückt? Ist man verrückt, wenn man sich der Frömmigkeit widmet?«

»Der Frömmigkeit? Donnerwetter! Man kann doch fromm sein, ohne in das Kloster zu gehen!«

»Ja. Aber wenn man ein Gelübde gethan hat, muß man es auch halten.«

»Geh zum Teufel mit Deinem Gelübde! Ehe Du ein solches Versprechen ablegen darfst, hast Du mich erst um Erlaubniß dazu zu fragen. Weißt Du das!«

»Nein. Das habe ich nicht gewußt. Ich habe geglaubt, daß man so Etwas nur mit sich selbst abzumachen hat.«

»Wenn man selbstständig ist und keine anderen Verpflichtungen hat, ja. Aber Du hast einen Vater und eine Mutter. Ohne diese Beiden darfst Du absolut nichts thun. Meine Tochter eine Nonne! Dieser Gedanke ist so unglaublich, daß ich eigentlich über ihn lachen sollte, anstatt mich über ihn zu ärgern.«

»Und mir ist er gar nicht so lächerlich, Vater. Ich meine es sehr ernst damit.«

»Unsinn! Diese Geschichte schlage Dir nur getrost aus dem Sinne. Es wird nichts daraus!«

»Aber, Vater, bedenke doch, daß es sich um ein Gelübde handelt! Das kann ich doch unmöglich brechen. Einen Meineid schwöre ich nicht.«

»Von einem Meineide ist gar keine Rede. Du magst Dir in Deiner Dummheit vorgenommen haben, ins Kloster zu gehen, der wirkliche Zwang aber, diese Dummheit auch wirklich auszuführen, ist nicht vorhanden. Meine Tochter, das einzige Kind des reichen Kerybauers, eine Nonne! Was sollte aus uns werden, aus mir und der Mutter, wenn ich diesen Unsinn zugeben wollte?«

»Ihr würdet ohne mich ja ganz gut verkommen.«

»Oho! Das ist nicht wahr.«

»Meinst Du, daß der reiche Kerybauer verhungern würde, wenn seine Tochter in das Kloster geht?«

»Nein, denn Geld hat er genug. Aber eben was wird mit dem Gelde, mit dem ganzen Vermögen, wenn Du eine Nonne bist?«

»Das Kloster bekommt natürlich Alles.«

»Mädchen, Du bist wirklich verrückt! Denkst Du, daß ich mich all mein Lebtage geschunden und abgerackert habe, um nun zu sehen, daß Alles, was ich besitze, in solche Hände kommt!«

»Es kann ja in gar keine besseren Hände kommen!«

Sie sagte das so ruhig und gleichmüthig, daß er doppelt aufgeregt wurde.

»Mädchen,« rief er, »bringe mich nicht in Zorn! Du weißt es, daß ich dann kein Guter bin!«

»Wenn Du zornig wirst, so bist Du selbst schuld daran. Du hast es nicht nöthig, denn die Sache ist gar nicht darnach. Es handelt sich um mein Seelenheil. Du solltest mich also lieber in meinem Vorhaben unterstützen, als daß Du Dich gegen die Ausführung desselben sträubst.«

»Dafür danke ich doch gar schön! Dich auch noch unterstützen und bestärken! Das könnte mir gerade einfallen. Ich bin Dein Vater, und was ich nicht will, das unterbleibt. Du hast mir einfach zu gehorchen.«

»So weit es sich um weltliche Dinge handelt, ja. Hier aber haben wir es mit einer geistlichen Angelegenheit zu thun, und da habe ich mich im Falle eines Zweifels an meinen geistlichen Vater zu wenden.«

»Ah! So! Meinst Du etwa unseren geistlichen Herrn, den Pfarrer?«

»Ja.«

»Himmelschock – Der würde freilich sagen, daß Du Dein Gelübde zu halten hast!«

»Davon bin ich überzeugt. Er muß das besser verstehen als wir und darum muß ich seinen Rath befolgen. Ich werde also morgen zu ihm gehen, um mit ihm zu reden.«

Der Bauer stand mit dem Ortspfarrer in keinem guten Einvernehmen. Er war überzeugt, daß derselbe gegen ihn sprechen werde; aber er getraute sich auch nicht, gegen den Willen des geistlichen Herrn zu handeln. Daher befand er sich jetzt in großer Verlegenheit. Es war ihm geradezu unfaßbar, seine Tochter ins Kloster gehen zu lassen, und doch konnte und durfte er sich nicht dagegen sträuben, wenn der Pfarrer darauf bestand, daß Gisela ihren Vorsatz auszuführen habe. Einem solchen Ausspruche gegenüber war er zu machtlos. Diese Erkenntniß verdoppelte seinen Zorn. Darum schlug er mit der Faust auf den Tisch, daß Alles krachte, und rief:

»Zum Satan sollst Du gehen, aber nicht zum Pfarrer! Das leide ich nicht. Lieber sperre ich Dich ein, bis Du auf andere Gedanken gekommen bist. Eine Himmelsbraut willst Du sein? Das bilde Dir nur ja nicht ein. Du bist des Osec Braut. Das will ich und dabei hat es zu bleiben. Jetzt weißt Du meinen Willen, und wenn Du nicht nach demselben handeln willst, so werde ich mir Gehorsam zu verschaffen wissen:

Er stand in drohender Haltung vor seiner Tochter und hatte die Hand erhoben, als ob er sie schlagen wolle. Seine Frau fiel ihm in den Arm und bat:

»Mann, beherrsche Dich! Du wirst doch nicht in Gegenwart fremder Leute Deine Tochter schlagen wollen!«

»Warum nicht?« antwortete er. »Wenn sie nicht gehorchen will, muß sie gezüchtigt werden. Ob da Andere dabei sind, das ist mir sehr egal.«

Gisela ließ keine Spur von Furcht blicken. Sie wich nicht vor ihm zurück. Im Gegentheile, sie trat noch näher, zog die Mutter vom Vater fort und sagte:

»Aengstige Dich nicht, Mutter. Er wird mich nicht mißhandeln. Wenn er das thäte, würde ich ihm zeigen, daß ich seine Tochter bin.«

»So!« rief er aus. »Und wie würdest Du mir das zeigen?«

»Dadurch, daß ich augenblicklich das Haus verließe. Ich bin kein Kind mehr, welches man schlagen darf.«

»Oho! Ich bin der Vater und kann Dich strafen, wie es mir beliebt!«

»Und ich kann darauf thun, was mir recht dünkt. Du hast einen harten Kopf. Nun wohl, ich hab den meinigen von Dir geerbt, aber ohne das Dir bisher zu zeigen. In Liebe und Güte laß ich mit mir sprechen, zwingen aber kann mich kein Mensch, selbst mein Vater nicht, wenn ich mir einmal vorgenommen habe, Etwas zu thun, was ich für richtig halte.«

»Soll ich Dir etwa gute Worte geben!«

»Nein, das verlange ich nicht. Ich erwarte nur, daß Du nicht in der Aufregung handelst und Dir die Sache überlegst, ehe Du ein Machtwort sprichst.«

»Hier giebt es gar nichts zu überlegen.«

»O doch! Die Angelegenheit ist von solcher Wichtigkeit, daß man sie sich gar wohl überlegen muß. Ich habe Dir meinen Entschluß mitgetheilt und ich bitt Dich, daß –«

»Und Du hast den meinigen gehört,« unterbrach er sie. »Wir sind also fertig. Mein Entschluß gilt mehr als der Deinige.«

»Möglich, nur muß das eben erst überlegt werden. Ich will Dir den Willen thun, nicht gleich zum Pfarrer zu gehen. Ich will über die Sache noch nachdenken. Vielleicht gebe ich meinen Vorsatz freiwillig auf, wenn ich nicht gedrängt und zu einem raschen Schritte gezwungen werde. Du siehst ein, daß ich nicht geradezu auf meinem Willen bestehe. Nun versuche aber auch nicht, den Deinigen augenblicklich durchzusetzen. Gieb mir eine Bedenkzeit!«

Er nahm eine etwas friedfertigere Haltung an, knurrte aber:

»Da soll also wohl aus der heutigen Verlobung nichts werden?«

»Allerdings nicht. Wir müssen sie aufschieben, bis ich mich besonnen habe.«

»Sakkerment! Es war aber doch bereits für ganz sicher ausgemacht!«

»Es hat schon Manches Aufschub erleiden müssen, was ganz fest aufgemacht zu sein schien. Ob die Verlobung heute stattfindet oder vierzehn Tage später, das wird Keinen von uns unglücklich machen. Gehst Du auf die Verzögerung ein, so ists gut. Willst Du mich aber mit Gewalt zur Braut machen, so gebe ich mein Jawort nie dazu. Du hast die Wahl. Du kannst also nun thun, was Dir beliebt.«

In dieser festen, selbstbewußten Weise hatte seine Tochter noch nie mit ihm gesprochen. Er sah ihr ins Gesicht, mehr erstaunt, als zornig, schüttelte den Kopf und sagte:

»Mädchen, Du bist ja auf einmal wie ganz umgewechselt! Dich kenne ich gar nicht mehr.«

»Kannst mich aber sehr bald kennen lernen. Die Gelegenheit ist dazu da.«

Er wollte auf diese Worte hin wieder aufbrausen. Seine Frau fiel ihm in begütigendem Tone in die Rede und bat ihn, den Wunsch Gisela's zu erfüllen. Da wendete er sich fragend an den alten Osec:

»Was sagst Du dazu? Welches ist denn Deine Meinung?«

Der Gefragte kratzte sich den Schädel und antwortete:

»Hm, das ist eine verteufelte Geschichte. Mir scheint, als ob man es gar keine eigene Meinung haben dürfe. Das habe ich heute nicht erwartet. Ich war ganz sicher, daß wir einig werden würden.«

»Das scheint doch nicht ganz so,« entgegnete Gisela.

»Warum?«

»Die Mutter des Bräutigams hat kommen wollen, ist aber doch nicht eingetroffen.«

»Sie wird abgehalten worden sein.«

»Bei einer so wichtigen Angelegenheit darf man sich nicht abhalten lassen. Wenn sie es nicht für der Mühe werth hält, bei der Verlobung ihres Sohnes gegenwärtig zu sein, so macht sie sich entweder gar nichts aus der Sache oder sie hat eben gedacht, daß es mit dem Gelingen doch noch nicht ganz sicher sei. Mir ist es freilich lieb, daß sie nicht gekommen ist. Da braucht sie nun nicht unverrichteter Sache fortzugehen. Also, Vater, sag: Aufschub oder nicht?«

Auf diese Weise in die Enge getrieben, antwortete er ärgerlich:

»Es ist wirklich eine ganz und gar verdammte Geschichte. Das ganze Dorf weiß es ja bereits, daß heute die Verlobung sein soll.«

»Daran bin ich nicht schuld. Ich habe es keinem Menschen gesagt. Wäre ich vorher gefragt worden, so wäre es ganz anders gekommen. Uebrigens kann es den Leuten sehr gleichgültig sein, ob ich einige Wochen früher oder später einen Mann bekomme.«

»Aber bekommen wirst Du ihn. Ich gehe nicht davon ab. Ich will heute ausnahmsweise einmal mit mir reden lassen, denn ich glaube wahrhaftig, daß es Dir einfallen würde, Widerstand zu leisten. Aber meinen Willen setze ich doch durch. Vierzehn Tage Zeit sollst Du haben, länger aber nicht. Merke Dir das. Es ist doch wahr, wenn so ein Weibsbild sich einmal das Kloster in den Kopf gesetzt hat, so ist es nur mit zehn Pferden davon abzuhalten.«

Er setzte sich wieder nieder, stemmte den Kopf in beide Hände und starrte die beiden Osec's an. Der Jüngere fühlte sich einigermaßen unheimlich. Er wendete sich in einem beinahe kläglichen Tone an Gisela:

»Du sagtest doch vorhin. Du hättest mich lieb!«

»Ja.«

»Und nun magst Du nichts von mir wissen. Das reimt sich doch gar nicht zusammen.«

»Es reimt sich gar wohl. Gerade aus Liebe zu Dir habe ich das Gelübde gethan.«

»Na, das ist sehr unnöthig! Aus Liebe braucht man doch nicht zu entsagen. Oder hast Du etwa Etwas an mir auszusetzen?«

»Gar nichts,« lachte sie. »So wie Du bist, bist Du mir ganz recht. Ich brauche einen Mann, der nach meiner Pfeife tanzt.«

Jetzt machte er ein wirkliches Schafsgesicht und stotterte ganz betreten:

»Nach Deiner Pfeife tanzt? Denkst Du denn, daß ich das thun würde?«

»Ja, das denke ich. Du hast ja heute bewiesen, daß Du ein seelensguter Gottfried bist.«

»Himmeldonnerwetter! Das möchte ich mir doch verbitten!«

»Pah! Thu nur jetzt nicht so kräftig! Es war doch nichts als die reine Nachgiebigkeit und Herzensgüte, daß Du nicht mit mir getanzt hast. Ich hatte mich heimlich gefreut, mit Dir eine Tour machen zu dürfen. Wir wollten auch einige Male bereits anfangen, aber Du hast alle Male gleich wieder aufgehört.«

»Weil die Musik aufhörte!«

»Ja, warum hast Du das gelitten? Eben weil Du es Dir gefallen ließest, bin ich überzeugt, daß Du einmal ein guter Mann sein wirst, den man um den Finger wickeln kann.«

»Hörst Du das, Vater?« fragte der Junge den Alten. »Sollte man so Etwas denken?«

»Ja, glauben sollte man es nicht, wenn man es nicht hörte. Oder will sie Dich etwa nur foppen? Das wollen mir doch nicht hoffen!«

»Fällt mir nicht ein,« antwortete Gisela. »Ich werde mich doch über den mir bestimmten Bräutigam nicht lustig machen! Wenn es möglich wäre, daß ich das könnte, so hätte mir der Vater einen schönen Kerl bestimmt. Also aus der Verlobung wird heute nichts. Und da ist meine Gegenwart nun auch nicht mehr unumgänglich nöthig. Ich muß einmal hinab, um nach dem Gesinde zu sehen.«

Sie ging. Die Bäuerin folgte ihr nach, ergriff sie bei der Hand und fragte besorgt:

»Gisela, sei aufrichtig! Willst Du wirklich in das Kloster?«

Da lachte das Mädchen hell auf und antwortete:

»Fällt mir ganz und gar nicht ein!«

»Gott sei Dank! Wie aber kommst Du auf den Gedanken, so zu sagen? Ich bin darüber so erschrocken, daß es mir noch jetzt in allen Gliedern liegt.«

»Du siehst ja nun, was ich damit bezweckte: einen Aufschub. Ich habe meine Absicht erreicht.«

»Aber es wird Dir doch nichts helfen. Der Vater wird Dich doch noch zwingen.«

»Warten wir das ruhig ab. Zeit gewonnen, viel gewonnen. Wer weiß, was in diesen vierzehn Tagen Alles passiren kann, Auf keinen Fall werde ich die Frau dieses Menschen. Es muß sich ein Mittel finden, von ihm loszukommen. Hilf mir mit nachdenken.«

Sie machte sich von der Mutter los und ging, aber nicht, um nach dem Gesinde zu sehen, wie sie gesagt hatte, sondern – nach dem Garten.

In welcher Absicht sie ihre Schritte dorthin lenkte, das konnte sie sich selbst nicht sagen. Vielleicht wollte sie in der frischen Abendluft ihre aufgeregten Pulse beruhigen. Vielleicht auch dachte sie an Ludwig, welcher, wie zu erwarten stand, nun bald aus dem Gasthofe zurückkehren mußte.

Wenn sie diesen Gedanken gehabt hatte, so zeigte es sich sogleich, daß sie sich nicht geirrt hatte, denn sie war kaum in den Garten getreten, so hörte sie Schritte, welche sich von der Außenpforte her näherten. Ludwig kam mit seiner Mutter.

Es war nicht hell, aber Gisela erkannte ihn bereits von Weitem an seinem Schritte. Sie ging den Beiden entgegen und sagte:

»Recht, daß Ihr kommt. Das Abendessen ist längst vorüber. Geht in die Stube. Dort steht Euer Mahl.«

»Danke,« antwortete der Knecht. »Wir haben im Gasthofe gegessen.«

»Wohl weil der Vater zu geizig ist, einem fremden Gaste etwas zu geben?«

»Vielleicht, ja. Aber auch aus dem Grunde, daß die Mutter gleich schlafen gehen kann. Sie ist müde. Wo sind die Osec's jetzt?«

»Oben in der guten Stube.«

»Hm! Da weiß man also, was geschehen ist. Darf man vielleicht gratuliren?«

»Ja.«

Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Er deutete sie natürlich so, als ob die Verlobung stattgefunden habe, und erschrak darüber.

»So hast Du also doch Ja gesagt?« fragte er.

»Nein.«

»Nicht? So bist also gar nicht fragt worden? Das ist noch schlimmer!«

»O, man hat mich allerdings gar nicht fragen wollen, aber ich habe es. mir nicht gefallen lassen. Aus dem Verspruch ist nichts geworden.«

»Was sagst Du?« fragte er schnell. »So bist also noch nicht die Braut?«

»O nein. Und ich werde sie wohl auch niemals sein.«

»Aber dennoch hast sagt, daß ich Dir gratuliren könnt. Da hab ich mir dacht, daß der Verspruch gehalten worden sei.«

»Eben daß nichts daraus geworden ist, dazu hast Du mir gratuliren sollen.«

Seine Mutter war nicht mit stehen geblieben. In ihrer bescheidenen, rücksichtsvollen Weise war sie langsam weiter gegangen. Darum rief er ihr, einem augenblicklichen Impulse folgend, mit gedämpfter Stimme nach:

»Geh hinauf in meine Kammer, Mutter, und leg Dich nieder. Ich komm nachher auch noch auf eine Minut hinaufi.«

Sie folgte dieser Aufforderung und entfernte sich. Er stand bei Gisela, wollte zu ihr sprechen und doch fiel ihm kein Wort ein, mit welchem er beginnen solle. Sie begann vorwärts zu schreiten und er hielt sich an ihrer Seite, bis sie die bereits beschriebene Bank erreichten. Dort blieb das Mädchen stehen und sagte:

»Hier war es, wo Du mir heute gegen ihn geholfen hast.«

»Ist Dir das lieb gewest?«

»Sehr lieb, sehr. Ich habe Dir recht herzlich zu danken, daß Du aus dem Saale so gut für mich gesorgt hast.«

»Brauchst nicht zu danken. Das Wenige, was in meiner Macht stand, hab ich gern gethan. Das Meiste hat dera Musikdirector gemacht.«

»War es denn verabredet, daß die Musik allemal aufhören mußte, sobald der Osec mit mir tanzen wollte?«

»Ja. Das war das Allerbeste, was geschehen konnte. Alles Andere wäre gefährlich gewest, denn ich hätt Dich so viele Male vorengagiren müssen, daß Dein Vatern ganz gewiß zuletzt gar grimmig worden wäre.«

»Das ist er auch so bereits. Einen schönen Dank kann ich Dir freilich nicht geben. Wenn Hochzeit geworden wäre, so hättest Du doch wenigstens einen guten Tag gehabt, nun aber wird leider nichts daraus.«

»Sprich nicht von einem guten Tag. So einen Tag möcht ich gar nicht haben. Aber wie ist es denn kommen, daß Dein Vatern von seinem Vorhaben abgewichen ist?«

»Er hat müssen, denn ich geh in das Kloster.«

»Himmelsakra!«

Er fuhr bei diesem Ausrufe gleich um einige Schritte zurück.

»Das erschreckt Dich wohl?« fragte sie.

»Beinahe sehr!«

»Warum?«

»Weil – weil – Du bist doch Keine, die ins Kloster gehört.«

»Wohin denn sonst?«

»Du gehörst heraus ins Leben. So Eine wie Du kann verlangen, glücklich zu sein.«

»Das kann ich doch auch im Kloster werden!«

»Meinst das wirklich?«

»Ja,« antwortete sie, sich aus die Bank niedersetzend. »Oder denkst Du vielleicht, daß es da kein Glück geben kann?«

»Ja, davon versteh ich halt nix. Ich bin kein frommer Klaußner oder Einsiedler. Ich kann mir aberst gar nicht denken, daß es in dera Klosterzellen so schön ist, daß man solche Sehnsucht haben darf, hinein zu kommen.«

»Und ich hingegen kann es mir denken. Darum sehne ich mich hinein.«

»Ists Dein Ernst?«

»Natürlich.«

»O Jerum! Da ists aber doch jammerschad!«

»Um was?«

»Um Dich!«

»Warum?«

»Weil – weil – ja, das kann ich Dir so gar nicht sagen.«

»Ich denke, daß Du es mir recht gut sagen könntest, wenn Du nur wolltest.«

»Das ist weit gefehlt.«

»Ists so schwer zu sagen?«

»Ja, weil man kein Herz dazu hat.«

»Du bist doch sonst nicht so furchtsam!«

»Da hast freilich Recht. Ich furcht mich vor dem Teuxel nicht, und nun möcht ich mich gar vor – vor – vor einem Engel fürchten.«

»Wer ist dieser Engel? Wo ist er?«

»Der ist – hm, ich denk, er wird halt nicht gar weit von hier sein.«

»Ich sehe ihn nicht. Du sprichst in Räthseln. Komm, setze Dich mit her zu mir und rede so, daß ich Dich verstehen kann.«

Es überlief ihn glühend heiß. Jetzt, im Abenddunkel, sollte er sich neben sie setzen. Er zögerte, es zu thun.«

»Nun,« sagte sie, »Du magst wohl nicht gern neben mir sein?«

Jetzt nun ließ er sich an ihrer Seite nieder und antwortete:

»Da kannst mich mit dieser Frage grad ganz aus dem Häusle bringen. Ich möcht wohl wissen, wer sich nicht gern zu Dir setzen thät. Es gab im Gegentheil gar Manchen, der da neben Dir sitzen möcht all sein Leben lang.«

»Kennst Du vielleicht einen solchen?«

»Ja.«

»Wer ist es?«

»Dera Osec.«

»Schweig von diesem! Ich mag von ihm nichts wissen.«

»Das ist sehr schön und gut, daßt von ihm nix wissen magst; aberst mußt denn derohalben nun gleich partoutement ins Klostern gehen?«

»Ja. Es giebt kein anderes Mittel, von ihm loszukommen.«

»Das denkst blos nur. Es giebt noch andere Mittel und Weg. Brauchst Dich nicht gleich fürs ganze Leben eingraben zu lassen.«

»So sei so gut und nenne mir einen solchen Weg!«

»Das kann ich schon. Du brauchst doch nur Deinem Vatern zu sagen, daßt den Osec nicht magst.«

»Das habe ich auch gethan, aber es hat mir nichts geholfen. Der Vater will mich zwingen.«

»Da hat er weit gefehlt. Das kann er nicht. Er kann Dich doch nicht mit aller Gewalt hin ans Altar schleppen.«

»Das kann er nicht. Aber er kann mich durch sein Verhalten so weit bringen, daß ich auf die Heirath eingehe, um nur Ruhe und Frieden zu haben.«

»Ja, wannst so gar weich bist, daßt Dich auf diese Weise zwingen läßt, so ists allerdings gefehlt von mir. Aberst ich hab mir immer denkt, daßt auch aufitreten kannst, wannst nur erst einmal willst.«

»So? Das hast Du Dir gedacht? Da magst Du Recht haben. Was ich mir einmal eingebildet habe, das muß geschehen. Jetzt nun bin ich fest entschlossen, in das Kloster zu gehen, und ich werde mich auch nicht davon abbringen lassen. Du freilich meinst, daß es schade um mich sei; aber warum es schade ist, das hast Du mir noch nicht gesagt.«

»Weilst so ein gar schöns und feins Dirndl bist.«

»Das denkst Du nur.«

»O nein! Du bist halt eine bildsaubere und eine gar gute dazu. Ich hab mir immer denkt, daß – daß –«

»Sprich weiter! Was hast Du Dir gedacht?«

»Ich hab mir denkt, daß Derjenige, der Dich einmal zur Frau bekommt, ganz gewiß mit keinem Andern tauschen thät.«

»Vielleicht grad ganz gern.«

»O nein, o nein, mit keinem Millionär, mit keinem König und keinem Kaiser!«

Er hatte im Eifer seine Stimme erhoben.

»Nicht so laut!« warnte sie. »Es brauchts Niemand zu hören, daß wir hier sitzen und daß Du mir solche Schmeichelhaftigkeiten sagst.«

»Das ist keine Schmeicheleien, sondern die reine Wahrheiten! Ich hab nie ein Dirndl kennt, welches sich hätt mit Dir messen können.«

»Ludewig, jetzt flunkerst Du!«

»Das fallt mir gar nicht ein. Ich kanns gleich beschwören, daß ich die Wahrheit sag. Du bist die Allerschönst in dera ganzen Gegend.«

»Aber in München, wo Du so lange Zeit als Soldat gewesen bist, da giebt es doch weit Schönere.«

»Ja, es ist verteuxeli, was es in München für Blitzdirndln giebt; aberst Du bist mir halt doch noch lieber als –«

Er hielt erschrocken inne, denn er bemerkte, daß in den Worten, welche er sagen wollte, eine ganz regelrechte Liebeserklärung lag.

Sie war heimlich vergnügt über seine Verlegenheit. Es war für sie ein so glückliches Gefühl, so neben ihm zu sitzen, zu wissen, daß er sie so lieb hatte, und doch zu beobachten, wie er sich Mühe gab, von seiner Liebe nichts merken zu lassen. In neckischem Tone fragte sie:

»Warum redest Du immer nicht ganz aus? Was hast Du sagen wollen? Daß ich Dir lieber bin als diese Münchnerinnen?«

»Nein, das hab ich nicht sagen wollt,« antwortete er sehr rasch und in besorgtem Tone. »Das ganz gewiß nicht.«

»Also sind Dir die Münchnerinnen lieber?«

»Das auch nicht.«

»Nun, was ist denn das Richtige, wenn beides nicht richtig ist?«

»Ja, wann ich, wann ich – wann – Himmelsakra! Es giebt eben auf dera Welt zuweilen Dinge, von denen man nicht so recht reden darf.«

»Ich verbiete es Dir doch nicht?«

»Du nicht, aberst es ist schon ohnedies verboten. Weißt, wann ich ein Anderer wär, nachhero könnt ich eher sprechen.«

»Und was würdest Du da sagen?«

»Wann ich so Einer wär, der nur so in denen Geldsack hineingreifen könnt, ein gar reicher und hübscher und schneidiger, da thät ich sagen, daß es kein schöneres Dirndl giebt als die Gisela auf dem Keryhofe.«

»Das darf also nur so Einer sagen?«

»Ja, ein Armer nicht.«

»Warum denn nicht? Darf ich denn keinem Armen gefallen?«

»Nein, das darfst nicht. Was thät Dein Vatern dazu sagen!«

»Was sollte er sagen? Gar nichts. Ist es etwa eine Beleidigung für ein reiches Mädchen, wenn es auch einem armen Burschen gefällt?«

»Nein. Gefallen darf er an ihr finden, aberst mehr nicht. An die Liebe und gar an die Heirath darf er nicht denken.«

»Und doch kommt es so häufig vor, daß ein Reicher eine Arme oder ein Armer eine Reiche heirathet.«

»Aberst auf dem Keryhofe kann das nicht stattfinden.«

»So hältst Du mich wohl für stolz?«

»Nein, stolz bist nicht, aberst auf Deinen Stand hältst doch auch.«

Es war nicht zu verwundern, daß er diese Ansicht von ihr hegte. Sie hatte sich ihm bisher nicht genähert. Sie hatte ferner nur mit wenigen anderen Mädchen Umgang gepflogen. Ihr Leben war ein kaltes, zurückgezogenes gewesen. Sie hatte die Liebe zu ihm im Herzen getragen, ohne sich derselben bewußt zu sein, und erst heute, als sie ihn belauschte, war sie zu der Erkenntnis gelangt, daß in ihrem Busen ein mächtiges Gefühl lebte, ein Gefühl, von dessen Seligkeit sie bisher keine Ahnung gehabt hatte.

»Ja, auf meinen Stand halte ich,« antwortete sie. »Das ist der Bauernstand. Aus ihm hinaus würde ich nicht heirathen. Mein Mann müßte ein Bauer sein.«

»Und zwar ein recht geschwollener, der die Guldenstuckerln gleich mit dem Scheffel messen kann.«

»O nein! Das habe ich nicht nöthig. Es kann auch ein Armer sein.«

»Da machst wohl einen Spaß?«

»Nein, sondern es ist mein Ernst. Ich habe zuweilen daran gedacht, wie schön es sein müsse, einem braven Burschen sein Herz schenken zu dürfen. Und doppelt glücklich müßte man sein, wenn derselbe arm, recht arm wäre, und man ihm zu der Liebe auch noch ein recht großes Vermögen geben könnte.«

Er schwieg. Es entstand eine Pause, nach welcher er fast ganz leise fragte:

»Das hast wirklich dacht?«

»Ja, sehr oft.«

»So bist ein doppelt braves Dirndl.«

»Und wenn ich daran gedacht habe, so hat mir dieser Gedanke so gut gefallen, daß ich mir schließlich vorgenommen habe, nur einen Armen zu heirathen.«

»Ja, das glaub ich schon. Wann man ein junges Dirndl ist, so macht man sich solche gar schöne Vorsätzen. Aberst nachhero im Leben wirds ganz anderst.«

»Das glaube ich nicht.«

»Wirsts schon noch glauben lernen. Wann so ein Armer käm, den würdest schön anschaun, daß er es wagt, seine Augen zu Dir empor zu heben.«

»Es käme ja darauf an, ob ich ihn lieb haben könnte oder nicht.«

»Also, wannst ihn leiden könntst, so nähmst ihn trotz seiner Armuth?«

»Ganz gewiß.«

»Aberst wann er nun nicht blos ein Armer wär, sondern ein gar Geringer?«

»Das wäre mir gleich.«

»Etwan ein Knecht blos?«

»Daran würde ich mich nicht stoßen, wenn ich ihn nur lieb haben könnte. Leider aber sind das unnütze Gedanken, weil ich in's Kloster gehe.«

»Das wirst Dir doch vorher überlegen.«

»Ja. Der Vater hat mir vierzehn Tage Bedenkzeit gegeben. Ist diese Zeit vorüber, so muß ich entweder ins Kloster oder den Osec heirathen.«

»Das ist ja eine ganz verteufelte Geschichten!«

»Welches von Beiden würdest Du wählen?«

»Da fragst mich halt zu viel. Ich an Deiner Stell thät keins von Beiden machen.«

»Es bleibt mir nur diese Wahl, keine andere.«

»Dann sag ich freilich, daßt lieber ins Kloster gehen sollst, als den Osec heirathen. Wannst im Klostern nicht glücklich wirst, so bist doch wenigstens auch nicht grad unglücklich. Das aberst würdest als die Frau dieses Kerlen sicherlich werden.«

»Schön! Das habe ich wissen wollen, Ludwig. Auf Dein Wort gebe ich sehr viel, und nun Du entschieden hast, habe auch ich entschieden. Ich gehe also ins Kloster.«

»Sapperloten!« fuhr er auf. »So ists nicht gemeint gewest. Nach mir sollst Dich halt doch nicht richten.«

»Und grad nach Dir will ich mich richten. Ich weiß, daß Du das Beste triffst.«

»Da möcht ich gleich auch ins Klostern hinein.«

»Das wäre nicht unmöglich. Es müssen doch auch Mönche sein.«

»Natürlich müssen welche sein und ich hätt gar nicht übel Lust, einer zu werden, wann ich nur nicht für meine arme Muttern und Schwestern zu sorgen hätt.«

»Ist Dir denn das Leben so verleidet?«

»Jawohl, gar sehr.«

»Ah! Davon habe ich keine Ahnung gehabt. Was ist denn geschehen, daß Du mit der Welt so zerfallen bist?«

»Etwas, was ich nimmer verwinden kann.«

»Darf ichs erfahren?«

»Ja, ich kanns schon sagen, denn das schadet Dir nix und mir auch nix. Ein Dirndl ist schuld, daß ich am Liebsten gleich sterben möcht.«

»Ein Dirndl! Schau, so ein Versteckter und Heimlicher, wie Du bist! Ein Dirndl hast Du also gehabt und Niemand hat Etwas davon erfahren.«

»Von solchen Sachen redet man nicht.«

»Wars in München?«

»Nein.«

»Aber doch drüben in Bayern?«

»Auch nicht.«

»So wohl gar hier in Oesterreich?«

»Ja, da ists; hier in Böhmen.«

»Wohl gar hier im Ort, in Slobitz?«

»Das darf ich nicht sagen.«

»So! Kenne ich sie?«

»Ja, kennen thust sie.«

»Das ist mir sehr interessant. Ist sie Dir denn untreu worden?«

»Nein.«

»Und dennoch möchtest Du am Liebsten sterben. Was hat sie Dir denn gethan?«

»Nix, gar nix. Sie weiß ja gar nicht, wie lieb ich sie hab.«

»Ah, Du hast es ihr wohl noch gar nicht gesagt?«

»Kein Wort.«

»So begreife ich Dich nicht. Du bist doch sonst kein scheuer Bursche. Warum sagst Du es ihr denn nicht? Hat sie bereits einen Andern?«

»Nein. Sie hat noch nie einen Schatz habt.«

»So kannst Du doch mit ihr sprechen.«

»Das geht nicht. Weißt, sie ist eine sehr Schöne, so schön, daß ich sie Dir gar nicht beschreiben kann.«

»Das ist gar kein Grund. Du bist ja auch nicht häßlich.«

»Aber auch nicht schön.«

»O, was das betrifft, so wollen wir uns nicht streiten. Ein Mann braucht nicht schön zu sein. Und Du bist gerade ein prächtiger Bursch, mit dem sich jede Frau sehen lassen könnte.«

»Und jung ist sie.«

»Du bist auch kein Greis.«

»Und Bildung hat sie auch. Sie ist viel besser und klüger als die andern Dirndln.«

»Dafür bist Du Unteroffizier gewesen. Klüger ist sie wohl nicht als Du.«

»Vielleicht nicht. Aberst reich ist sie, sehr reich.«

»Und Du bist brav und arbeitsam. Du verstehst Dein Fach. Das ist ebenso gut wie Geld, vielleicht noch besser.«

»Ja, wast sagst, das klingt recht gut. Aberst es ist doch eine Sach, die einen Haken hat.«

»Das denkst Du blos. Ein Unteroffizier sollte sich nicht scheuen, mit einem Mädchen zu sprechen.«

»Weißt, das verstehst halt nicht. Im Kugelregen kann ich ruhig' stehen; das hab ich wohl bewiesen und das eiserne Kreuz hab ich dafür bekommen. Wann jetzund zehn Franzosen auf mich eini kämen, so thät ich mich vertheidigen, ohne mich zu fürchten; aberst in zwei schöne Augen schauen und von dera Liebe sprechen, ohne genau zu wissen, ob man das Dirndl auch wirklich lieb haben darf, das ist halt eine ganz andere Sachen.«

»Da fürchtest Du Dich also?«

»Beinahe.«

»Und zitterst wohl sogar?«

»Nein, das Zittern bekomm ich freilich nicht. Weißt, man kann es nicht beschreiben, wie es Einem dabei ist. Das Dirndl ist Einem so lieb, so theuer so heilig, daß man ganz besorgt ist, es mit einem Wort zu kränken und zu beleidigen. Lieber sagt man gar nichts und schweigt still.«

»Aber wenn Alle so wären wie Du, dann käme ja gar keine Ehe zu Stande. Du willst nicht eher mit Deiner Geliebten reden, bis Du genau weißt, daß auch sie Dich lieb hat. Wie aber willst Du das erfahren, wenn Du sie nicht darum fragest?«

»Ja, da hast ganz Recht. Das ist eine ganz armselige Geschichten. Wanns nur nicht gar so sehr reich wär.«

»Das thut ja nichts!«

»Vielleicht bei ihr; aberst ihr Vatern – –«

»Der ist wohl ein Schlimmer?«

»Ein gar Stolzer ist er. Der würde seine Tochter niemals einem armen Knecht geben.«

»Vielleicht doch, wenn er sieht, daß sie den Knecht lieb hat.«

»Auch dann nicht. Er thät vielmehr den Knecht sogleich fortjagen.«

»Fortjagen? So? Dient denn der betreffende Knecht bei ihm?«

Ludwig erkannte, daß er sich jetzt so ziemlich verschnappt habe. Er lenkte schnell ein:

»Das hab ich nicht sagt. Es ist nur so ein Beispielen, welches ich bracht hab, um Dir die Sach richtig zu derklären.«

»Ach so! Nun, dennoch ist es gut, daß Du davon gesprochen hast. Da Du vom Davonjagen redest, so fällt mir dabei etwas ein, was ich Dir sagen muß. Nämlich mein Vater will Dir kündigen.«

»Sapperlot!«

»Das erschreckt Dich wohl? So thut es mir leid. Aber ich habe, gedacht, es sei besser, es Dir zu sagen.«

»Hast ganz recht than. Ich hab mir so was denkt. Nach dem, was heut vorkommen ist, konnt ichs ahnen, daß ich nicht mehr bei Euch bleiben darf.«

»Daran bin ich allein schuld. Hätte ich nicht gebeten, daß Du mit mir tanzen mögest, so hättest Du Dich nicht mit dem Vater überworfen.«

»Brauchst Dir nix draus zu machen; ich mach mir auch nix draus.«

»Das Du fortgehst von uns? Höre, das ist kein Compliment für uns. Du bist so lange bei uns gewesen und nun gehst Du mit so leichtem Herzen fort?«

»Davon ist keine Red. Mit schwerem Herzen geh ich fort, aberst nicht mit leichtem. Dennoch brauch ich mir nix draus zu machen, denn blieben wär ich doch nicht.«

»Warum nicht?«

»Wannst den Osec heirathest, geh ich fort, und wannst ins Klostern gehst, mag ich auch nicht bleiben; also es konnt kommen, wie es wollt, ich wär auf alle Fäll gegangen. Daß es nun so bald geschieht, das thut mir weh, aber schlimmer wird die Sach dadurch halt nicht.«

»Also auch weil ich in's Kloster gehe, magst Du nicht bleiben?«

»Ja.«

»Warum denn grad darum?«

»Weil ich nachhero, wannst nicht mehr da bist, gar keine Freud mehr hab an dera Arbeit.«

»Das klingt ja grad so, als ob Du nur um meinetwillen bei uns dientest?«

»Halt, so wars nicht gemeint. Wie könnt ich so was sagen. Da würdst mich gar sehr schön heimleuchten.«

»O nein. Es würde mich im Gegentheile herzlich freuen.«

»Meinst?«

»Ja. Ich nehme ja sehr Antheil an Dir. Das beweise ich Dir übrigens auch dadurch, daß ich Dir sage, daß mein Vater Dir kündigen will. Ich will nicht haben, daß Dir gekündigt wird. Jetzt weißt Du, woran Du bist, und kannst nun dem Vater kündigen, ehe er Dir es thut. Das ist ein Vortheil für Dich. Und sodann möchte ich Dir auch noch einen Gefallen thun, wenn Du mit darauf eingehen willst.«

»Sage es, welchen?«

»Kann ich es wirklich nicht erfahren, wer es ist, die Du lieb hast?«

»Nein, das kann ich nicht sagen.«

»Schade. Du sagst, daß ich sie kenne. Hättest Du mir ihren Namen genannt, so könnte ich sie einmal aushorchen, was sie von Dir denkt.«

»Das ist nicht nöthig. Was sie denkt, das weiß ich bereits.«

»So? Nun, was denkt sie denn?«

»Daß ich ein braver Knecht bin.«

»Weiter nichts?«

»Nein, weiter gar nix.«

»Vielleicht erwidert sie Deine Liebe, ohne daß Du eine Ahnung davon hast.«

»Nein, Sie hat mich nicht lieb, das weiß ich. Sie kann mich gar nicht lieb haben, denn sie ist in jeder Beziehung besser und höher als ich. Meine Lieb ist eine unglückliche.«

»So gehe hin und suche Dir eine Andere.«

»Meinst das im Ernst?«

»Ja.«

»Da kennst mich freilich schlecht. Ich bin kein Strumpf, den man umi numi wenden kann, ganz so, wie es beliebt. Ich hab das Dirndl lieb und werd niemals eine Andere lieb haben können.«

»So wirst Du also nie heirathen?«

»Niemals.«

»Das darfst Du nicht verreden. Der Mensch ist nicht allwissend; er weiß nicht, was später kommt.«

»Nein; aberst was heut ist, das weiß er. Und so weiß ich auch, daß meine Liebe so groß ist, daß eine andere gar keinen Platz finden könnt.«

»Und hast Du auch vorher keine Andere lieb gehabt?«

»Nein. Sie ist meine Erste und Einzige.«

»Dann bedaure ich Dich, lieber Ludwig. Ich gönne es Dir herzlich gern, daß Du glücklich werden möchtest. Da es aber so steht, so wird es wohl so werden, wie Du sagst: Du wirst einsam durch das Leben gehen.«

»Lieber« Ludwig hatte sie gesagt, zum ersten Male, seit er sie kannte. Und dabei hatte sie seine Hand ergriffen. Sie drückte dieselbe, und anstatt sie wieder loszulassen, behielt sie diese nur noch fester in der ihrigen.

Er saß still neben ihr. Er hätte trotz aller Anstrengung jetzt kein Wort hervorgebracht. Die Berührung ihrer warmen, weichen Hand durchzitterte ihn wie ein electrischer Strom. Er hatte ein Gefühl, für dessen Beschreibung es gar keine Worte giebt.

Auch sie schwieg. So saßen sie eine ganze Weile Hand in Hand nebeneinander. Endlich begann Gisela wieder:

»Und nun habe ich eine recht große Bitte an Dich, Ludwig. Willst Du sie mir erfüllen?«

»Wann ich könnt, so möcht ich Dir tausend Bitten derfüllen.«

»Es ist nur diese eine. Ich sah und hörte Einiges heut auf dem Saale, was meine Besorgniß erregt hat. Du sagtest zu dem Vater Worte, welche die Bestimmung hatten, ihm Angst zu machen, und ich sah, daß Deine Absicht gelang. Was war das, was Du sagtest?«

»Nix, gar nix!«

»Höre, jetzt bist Du nicht aufrichtig mit mir.«

»Ich kann doch nix sagen, wann ich nix weiß.«

»Du weißt Etwas.«

»Da irrst Dich wirklich.«

Jetzt stieß sie seine Hand von sich und sagte:

»Geh! Das hätte ich nicht von Dir gedacht.«

»Himmelsacra! Jetzunder bist wohl nun gar bös auf mich?«

»Natürlich! Und zwar sehr bös, sogar ganz ernstlich bös.«

»Das ist freilich schlimm!«

»Und daran bist nur Du schuld!«

»Nein, ich kann nix dafür.«

»Warum sagst Du mir eine Lüge?«

»Weißts so gewiß, daß es eine ist?«

»Ja. Ich habe mir einige der Worte gemerkt, welche Du meinem Vater und den beiden Osecs sagtest. Ich schließe aus denselben, daß Du ein Geheimniß meines Vaters kennst. Habe ich Recht?«

»Sapperlot! Was soll ich da antworten?«

»Die Wahrheit.«

»Das geht nicht.«

»O doch. Bis jetzt habe ich noch nicht verlangt, daß Du mir dieses Geheimniß mittheilen sollst. Also sei aufrichtig! Du weißt Etwas von meinem Vater? Nicht wahr?«

»Ja, ich wills eingestehen.«

»Es ist nichts Gutes?«

»Es ist Etwas, was eigentlich nicht hätte sein sollen.«

»Also etwas Verbotenes?«

»Ja.«

»Was ist es denn eigentlich?«

»Das darf ich nicht sogen.«

»Wenn ich Dich nun recht dringend bitte, es mir mitzutheilen?«

»Auch dann darf ich nix sagen.«

»Und warum denn nicht?«

»Weil es Dich kränken thät.«

»Das ist kein Grund. Ich will es wissen und wenn Du mich wirklich so – –«

Sie hielt inne. Beinahe hätte sie verrathen daß sie von seiner Liebe wisse. Sie lenkte also ein und fuhr fort:

»Wenn Du also Etwas auf mich hältst, so sagst Du es mir.«

»Das kann ich wirklich nicht. Du bringst mich in eine schlimme Verlegenheiten. Ich möcht Dir so gern jeden Willen thun und darf Dir doch den Wunsch nicht erfüllen. Wannst mir das Herz leicht machen willst, so dring nicht weiter in mich, es Dir zu sagen!«

»Nun gut. Ich weiß, daß Du diesen Wunsch nur aus gutem Grunde aussprichst. Darum will ich ihn erfüllen. Aber sagen muß Du mir doch Eins: Nicht wahr. Du könntest meinem Vater Schaden zufügen, wenn Du von der Sache zu Anderen sprächst?«

»Sehr großen Schaden.«

»So bitte ich Dich, das nicht zu thun. Willst Du mir versprechen, meinen Vater zu schonen, obgleich er nicht gut gegen Dich ist?«

Jetzt ergriff sie wieder seine Hand. Er konnte nicht widerstehen und antwortete:

»Den Gefallen werd ich Dir gern thun.«

»Dir bringt es doch keinen Schaden, wenn Du schweigst?«

»Einstweilen nicht und wohl auch fernerhin nicht. Hättest mich übrigens gar nicht zu bitten braucht. Ich hätt mich auch ohnedies gehütet, ihn in Schaden zu bringen, eben weil er Dein Vater ist.«

»Wenn er das nicht wäre, würdest Du wohl keine Rücksicht auf ihn nehmen?«

»Nein,« antwortete er aufrichtig. »Ich hätt ihn eigentlich verrathen mußt.«

»Mein Gott! Das klingt ja wirklich ganz so, als ob es sich um ein Verbrechen handle. Ludwig, ich bitte Dich, sage mir, was es ist.«

»Wann ich das thät, so würdst nix als nur ein großes Herzeleiden davon haben.«

»Aber Du mußt doch zugeben, daß ich mich so, wenn Du mich im Unklaren lassest, noch viel mehr ängstige, als wenn ich Alles wüßte. Was hat er denn gethan?«

Der Oberknecht besann sich einige Zeit, dann antwortete er:

»Wann ich mir die Sach richtig überleg, so seh ich freilich ein, daß es viel bessern ist, ich sag es Dir. Ich thät wohl schweigen, wenn Dein Vatern nur für einmal was macht hätt, was er nicht machen darf. Aber er hört nicht aufi; es geht immer fort. Da wirds wohl mal kommen, daß er derwischt wird und nachhero ists aus mit ihm.«

»Also handelt es sich nicht um eine einzelne That, sondern um ein fortgesetztes Verbrechen?«

»Ja. Und sodann denk ich auch daran, daß dadurch von denen Osecs loskommen kannst. Du sollst den Sohn heirathen, weil Sie Deinen Vater im Sack haben. Sie sind nämlich seine Verbündeten, seine Mitschuldigen.«

»Mein Himmel! Ich habe so Etwas geahnt!«

»Hasts ahnt? Wirklich? So hast wohl auch schon mal was merkt?«

»Ja. Ich habe nämlich bemerkt, daß manchmal des Nachts auf unserem Hofe Etwas vorgenommen wird, was Niemand sehen soll. Ich habe stets mein Fenster offen, wenn ich schlafe und da habe ich einige Male ein leises Hin- und Herschleichen bemerkt, ohne daß dann am anderen Morgen die Rede davon war, daß irgend Etwas geschehen ist. Die Knechte und Mägde haben nichts gewußt. Es mußten also fremde Leute im Hofe gewesen sein.«

»Das ist schon richtig: da hast ganz recht gedacht.«

»Ich habe angenommen, daß es Diebe seien und es dem Vater gesagt. Der aber hat mich zunächst ausgelacht. Später aber, als es wieder vorkam, und ich es bemerkte, wurde er, als ich es ihm wieder sagte, zornig und fuhr mich an, ich solle mich nicht um Dinge bekümmern, welche mich nichts angehen.«

»Das glaube ich schon gern, daß er das sagt hat. Und bist ihm dann gehorsam gewest?«

»Nein. Ich habe solche Angst gehabt. Und einmal, als ich wieder das Schleichen bemerkte, bin ich aufgestanden und leise hinuntergegangen. Da habe ich gesehen, daß da hinten am alten Backofen etwas Heimliches vorgenommen wurde. Ich hatte den Muth, so nahe wie möglich heranzuschlüpfen. Ich stand hinter dem Baume, und da habe ich den Vater erkannt und die beiden Osecs. Es waren noch mehrere Männer dabei, von denen ich aber nicht weiß, wer sie gewesen sind.«

»Am alten Backofen? Hm! Das hab ich freilich nicht wußt. Ich schlaf auf dera anderen Seiten und kann also nicht hören, was da drüben vorgeht, sonst wär ich wohl auch bereits aufmerksam worden. Sag weiter!«

»Als ich nun wußte, daß der Vater dabei sei, bin ich etwas ruhiger geworden, denn ich sagte mir, daß die Heimlichkeiten nicht ohne seinen Willen vorgenommen würden. Gefährlich konnten sie also für uns nicht sein.«

»Da hast falsch denkt. Sie können schon gefährlich werden. Die Männern, die Du geschaut hast, sind Paschern.«

»Ist das wahr?« fuhr das Mädchen auf. »Mein Vater soll ein Schmuggler sein?«

»Ja, das ist er.«

»Herrgott, wie Du mich erschreckst! Du wirst Dich irren, Ludwig!«

»O nein. Ich weiß es ganz genau. Die Osecs bringen die Packeten herbei auf den Keryhof und von hier aus werden dieselben dann von anderen Leuteln abholt und hinüber über die Grenz gebracht.«

»Ein Pascher, ein Pascher! Mein Vater ein Pascher!« jammerte Gisela weiter.

»Leider! Das hättst Dir eigentlich bereits denken könnt. Was solls anders gewesen sein, was da während dera Nacht trieben wird? Und wie kommts, daß Dein Vatern gar so schnell reicher und immer reicher wird?«

»Das kommt doch von unsern Ernten.«

»Nein. So schnell wird dera Landmann von denen Ernten nicht reich. Wir haben hier im Gebirg keinen guten Boden. Er trägt nicht viel. Der Keryhof ist zwar der größte in dera Gegend, aber der Besitzer hat grad sehr aufzumerken, daß er ohne Schaden und Verlust wirtschaftet. Nein. Das Geldl, auf welches Dein Vatern so stolz ist, das hat ihm die Schmuggelei einibracht. Und das Allerschlimmste dabei ist, daß er denen Osecs in die Hände gefallen ist. Die sind schlauer noch als er. Die haben ihn im Sack.«

»Er sie doch aber auch!«

»Wohl nicht. Was sie thun, das können sie vielleichten verantworten. Sie bringen ihm Sachen, welche er von ihnen kauft. Das ist doch nicht verboten. Das können sie thun, ohne daß sie dafür bestraft werden. Ich bin kein Jurist und kenne die Gesetzen nicht, doch denk ich halt, daß ich da Recht haben werd. Dein Vatern aber schafft die Packeten über die Grenz hinüber, und das ist die Schmuggelei. Werden die Leutln, die er dabei hat, mal derwischt, so kanns ihm gar schlimm ergehen. Wannst das bedenkst, so wirst auch einsehen, daß er die Osecs nicht im Sack hat, sondern sie ihn. Wann er also nicht Ja sagt mit dera Verheirathung, so verrathen sie ihn, und nachher ists gefehlt.«

»Ists so! Ists so! Also ich soll das Opfer sein. Ich soll mein Lebensglück hergeben um eines Verbrechens willen. Ludwig, lieber Ludwig, sag, was ich thun soll! Gieb mir einen guten Rath!«

»Gisela, da ist schwer rathen. Ich möcht Dir gern helfen, gar zu gern; aberst es wird mir wohl nicht möglich sein.«

»Das ist traurig. Mit dem Vater darf ich nicht sprechen. Der Mutter kann ich es nicht sagen, um sie nicht unglücklich zu machen. Fremde Leute? Nein, nein, nein! Ich habe nur Dich, Dich, allein, dem ich mein Vertrauen schenken darf. Und grad Du sagst mir nun, daß Du mir nicht zu helfen vermagst. Ich möcht vergehen vor Leid und Jammer.«

Sie lehnte ihr Köpfchen an seine Schulter und weinte leise vor sich hin. Das that ihm so wehe, daß auch seine Augen naß wurden. Trotz des innigen Mitleides, welches er mit dem schönen Mädchen empfand, war es doch noch ein zweites, ein ganz anderes Gefühl, welches in diesem Augenblicke sein Herz schwellen machte. Sie, die heimlich Geliebte, schmiegte sich an ihn, als ob er ein Recht auf eine solche Annäherung besitze. Ihre Hand hielt die seinige umschlossen, bittend, flehend, um Hilfe bei ihm zu suchen. Es war ihm so unaussprechlich wonnig, so selig zu Muthe wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er fühlte einen beinahe unwiderstehlichen Trieb in sich, den Arm um sie zu legen und sie fest, fest an sich zu drücken. Es wurde ihm wirklich schwer, diesem Impulse nicht Folge zu leisten.

So saßen sie mehrere Minuten lang bei einander, still in ihre Gefühle versenkt.

»Ludwig!« hauchte sie dann.

»Gisela, was willst?«

»Giebt es wirklich keine Hilfe aus dieser Noth?«

»Ich denk soeben drüber nach.«

Aber wenn er hätte aufrichtig sein wollen, so hätte er sagen müssen, daß er nicht darüber nachgedacht hatte. Er hatte überhaupt nicht gedacht, sondern sich nur seinen Regungen hingegeben.

»Keine Noth ist in der Welt, gegen welche es nicht eine Hilfe giebt,« sagte sie. »Also muß es doch auch hier Rettung geben.«

»Der Herrgott mags schicken, daß mir ein guter Gedanke kommt. Es ist mir ganz so, als ob ich mich an Deiner Stelle befänd. Ich kann mir denken, was für eine Traurigkeiten jetzund in Deinem Herzen wohnt. Wann ich dieselbe auf mich nehmen könnt, so wollt ich es mit tausend Freuden thun.«

»Ich glaube es Dir. Aber abnehmen kannst Du mir das Herzeleid freilich nicht, doch es mit tragen helfen, das kannst Du. Willst Du das thun?«

»Ja, das will ich redlich thun. Darauf kannst Dich verlassen.«

»So bitte ich Dich, mit darüber nachzudenken, wie es mir möglich ist, den Vater von seinen Abwegen zurückzuführen.«

»Das wird schwer sein. Willst ihn etwan bitten?«

»Das würde nichts helfen.«

»Oder ihm drohen?«

»Dadurch würde die Sache nur noch schlimmer. Womit könnte ich ihm denn drohen?«

»Freilich nur mit der Anzeige.«

»Das geht nicht. Eine Tochter kann doch unmöglich ihren Vater anzeigen.«

»Nein, das geht nicht. Entweder würde er Dich auslachen, oder er nähm die Sach zornig und thät Etwas, was ich nicht zu verantworten vermag. Es steht also fest, daßt Dich gar nicht direct an ihn wenden kannst. Du mußt so thun, als obst gar nix weißt; und sodann hinter seinem Rücken die Sach mit Schlauheit beginnen.«

»Das klingt freilich sehr schön. Aber sage mir doch die Schlauheit, die ich anwenden soll!«

»Nun, vielleicht ists nicht so schwer, als man jetzt denkt. Ich hab da einen Gedanken. Ich bin nämlich der Meinung, daß er aufhören wird, wann er bemerkt, daß ihm die Grenzbeamten auf die Finger schauen.«

»Willst Du ihn etwa verrathen?«

»Ihn nicht, aberst die Leutln, welche mit ihm arbeiten.«

»So wird er auch mit bestraft.«

»Wann er nicht mit ihnen derwischt wird, können sie ihm nix thun. Nur müßt ich vorher wissen, ob er selbst auch mit über die Grenz hinüber geht.«

»Nein, das thut er wohl nicht. Wenigstens weiß ich, daß er dann, wenn ich das geheimnißvolle Treiben beobachtet habe, stets zu Hause geblieben ist. Er ist während der Nacht nicht fortgekommen, sondern er hat sie allein gehen lassen, nämlich die Männer, welche hier waren. Ich stimme Dir bei, daß es vielleicht am Besten wäre, wenn er einmal eine ganz gehörige Schlappe erlitte; aber seine Person müßte dabei aus dem Spiele bleiben.«

»Dafür könnte gar wohl gesorgt werden. Ich will mir die Sach überlegen. Vielleicht hab ich bereits heut Gelegenheit, Etwas zu derfahren.«

»Wie? Soll etwa heut Etwas vorgenommen werden?«

»Vielleicht.«

»Hast Du Etwas bemerkt?«

»Ja.«

»Was hast bemerkt?«

»Es wird besser sein, wenn ichs Dir nicht sag. Wer nix weiß, der hat keine Verantwortung zu tragen.«

»Aber ich könnte mit lauschen. Und wenn wir Etwas hören oder sehen, so könnten wir mit einander berathen, was zu thun ist.«

»Nein, so wird das nicht gemacht. So eine gefährliche Angelegenheiten ist nicht für ein junges Mädchen gemacht. Da ists gerathen, daß Du die Hand davon lassest. Ich werd schon selbst wissen, was geschehen muß.«

»Aber wenn Du Alles heimlich machst, so habe ich doppelte Sorge und Angst.«

»Das hast nicht nöthig. Oder hältst mich vielleicht für einen Kerl, der unvorsichtig ist und gern Dummheiten macht?«

»Nein. Aber mein Vater ist dann nicht allein in Gefahr, sondern – sondern auch noch ein Anderer.«

»So! Wen meinst denn damit?«

»Einen, für welchen mir sehr bange sein würde, wenn er sich die Rachsucht der Pascher zuziehen müßte.«

»Wanns Einer ist, der klug genug ist, so hat er nix zu befürchten. Weißt, er kanns doch leicht so machen, daß von ihm gar keine Red nicht ist.«

»Ist das möglich?«

»Ich denke es. Aber gar schön wär es, wann ich derfahren könnt, wenst meinst, Gisela.«

»Kannst Dir es nicht denken?«

»Nein, wirklich nicht. Sag mir's, wer es ist, so ists mir vielleichten möglich, auch über ihn mit zu wachen.«

»Das wird Dir nicht schwer werden, Ludwig, denn Du bist ja stets bei ihm.«

»So? Ists etwan einer von denen unserigen Knechten?«

»Ja.«

»Wirklich? Ich hab mir gar nicht dacht, daß so Einer auch mit bei den Paschern ist. Der muß ein gar schlauer Patronen sein, daß er es hat treiben konnt, ohne daß ich es bemerkt habe.«

Sie lachte leise auf, trotz der trüben Stimmung, in welcher sie sich befand.

»Ja,« sagte sie, »ein kluger Kerl muß er sein, da Du nicht einmal es bemerkt hast. Du bist es ja selbst.«

Er schwieg. Ihre Worte machten einen Eindruck auf ihn, von dessen Tiefe er selbst noch gar keine Ahnung hatte. Dann, nach einer Pause, sagte er:

»Jetzund willst wohl einen Scherz mit mir machen, Gisela?«

»Nein, es ist Ernst.«

»Das mag ich kaum glauben. Wanns ein Scherz war, so thät es mir leid, denn ich mein es halt gar gut mit Dir.«

»Das weiß ich ja, Ludwig.«

»So hast also wirklich mich gemeint?«

»Ja.«

»Und willst in Sorg und Angst um mich sein?«

»Muß ich nicht, wenn Du es wagst, Dich mit so gefährlichen Leuten, wie die Schmuggler sind, zu verfeinden.«

»Da ist wohl keine große Gefahr dabei. Und, weißt, wer beim Militär gewest ist und in mehreren Schlachten und Gefechten, der fürchtet sich vor einem Pascher nicht. Dennoch dank ich Dir gar herzlich dafür, daßt auch an mich mit denkst. Ich hab immer glaubt, es sei Dir ganz gleichgiltig, welches Schicksal ein Knecht hat. Er dient und arbeitet. Dafür bekommt er seinen Lohn. Weiter ists nix, und weiter giebts nix.«

»Da hast mich freilich sehr verkannt. Ich bin nicht so selbstsüchtig wie mein Vater, und selbst dieser sagt, daß Du ein guter Knecht seist.«

»Knecht, ja. Und Knecht bleibt Knecht.«

»In meinen Augen nicht. Ein Knecht ist ein Mensch wie jeder andere. Vielleicht ist er ein besserer, als Einer, der sich wunder was einbildet. Ich will Dir aufrichtig sagen, daß ich keinen Burschen kenne, auf welchen ich so gut gesinnt bin wie auf Dich!«

»Gisela, ist das wahr?«

»Ja, hier hast Du meine Hand darauf.«

Sie drückte ihm die Hand und hielt sie dann in der ihrigen fest. Seine Stimme zitterte jetzt, als er leise sagte:

»Also giebts wirklich keinen zweiten, wirklich nicht?«

»Nein, Ludwig.«

»Herrgott! Jetzund, wannst nicht sagt hättst, daßt ins Klostern gehen willst, sodann – dann –«

Er stockte.

»Was wäre dann?«

»Dann solltst mal sehen, was ich machen thät!«

»Nun, Du kannst es mir doch wenigstens sagen, was Du thun würdest.«

»Nein. Das sag ich nicht. Es ist doch nun zu nix nütze. Und was unnöthig ist, das soll man niemals thun.«

»Dennoch möchte ich es wissen.«

»Es ist besser, ich schweig.«

»So bist Du nicht aufrichtig mit mir, wie ich mit Dir.«

»Ich bin schon aufrichtig, mit Dir am Allermeisten. Aberst es giebt auch eine Aufrichtigkeit, welche nicht am richtigen Platze ist und bald recht übel genommen werden kann.«

»Ich nehme es Dir nicht übel. Das will ich Dir ganz fest versprechen.«

»Dennoch ists besser, ich bin still; denn was ich sagen möcht, das schickt sich nicht für Eine, die ins Klostern gehen will.«

»Hm! Ich bin ja noch nicht Nonne!«

»Willsts aber werden.«

»Vielleicht besinne ich mich doch noch anders.«

Da sagte er schnell :

»Ich denk, es ist bereits fest beschlossen?«

»O nein. Schau, ich sag, daß ich aufrichtig mit Dir bin. Das will ich auch jetzt sein, indem ich Dir im Vertrauen sage, daß ich eigentlich gar keine Lust habe, ins Kloster zu gehen.«

»Himmelsakra! Warum willst dann hinein?«

»Um den Osec los zu werden.«

»Derowegen? Weißt, ich hab mal von einem Einsiedler lesen, der hat einen zahmen Bären habt. Er hat schlafen und der Bär hat neben ihm sessen. Da hat sich eine Fliegen auf dem Einsiedler seine Nasen setzt. Der Bär hat diese Fliegen verscheuchen und tödten wollt. Er holt aus und haut mit seiner Tatzen tüchtig drein: Da hat er zwar die Fliegen derschlagen, den Einsiedler aber auch mit.«

»Davon habe ich auch schon gehört. Es ist eine Fabel.«

»Ja, aber eine jede Fabel hat einen besonderen Zweck und Sinn. Wer sich oder einem Andern helfen will, darfs halt nicht so machen wie dera Bär. Die Rettung darf den Hilfsbedürftigen nicht in noch größeren Schaden bringen. Du bist jetzund auch so ein Bär oder vielmehr eine Bärin.«

»Ich danke! Du scheinst ein Virtuos zu sein im Complimentemachen.«

»Ich meins halt gut. Du willst Dir helfen durch Etwas, was noch schlimmer ist als das, wofür Du Hilfe brauchst. Um den Osec los zu werden, willst ins Klostern gehen. Das ist ja grad so, als wann Einer, der Zahnweh hat, sich den Kopf abschneiden lassen wollt. Da ist das Zahnweh weg, dera Kopf aberst auch mit.«

»Ich kenne aber kein besseres Mittel.«

Sie sagte das so ernsthaft, als ob sie an ihre eigenen Worte glaube.

»O, wannst nicht gradezu drauf versessen bist, eine Nonne zu werden, so läßt sich wohl schon auch ein anderes Mittel finden.«

»Welches dann?«

»Das muß überlegt sein. Aberst so viel weiß ich genau, daßt den Osec loswerden kannst, und zwar sehr bald.«

»Ich allein bring das nicht fertig. Und von der Mutter kann ich keine Hilfe erwarten, weil sie sich zu sehr vor den Vater fürchtet.«

»Das weiß ich wohl. Aber sag mal, thätst vielleicht die meinige annehmen?«

»Gar zu gern! Wie kannst Du da erst noch fragen!«

»Und wanns mir gelingt, Dich von ihm zu befreien, so gehst nicht in's Kloster?«

»Nein. Dann würde mir so Etwas gar nicht in den Sinn kommen.«

»Nun, so will ich Dir mein Wort geben, daß dera Kerl den Gedanken aufgeben soll, Dein Mann zu werden. Nachhero bist frei von ihm und kannst – kannst –«

»Was denn?«

»Und kannst Dich nach einem andern Burschen umschauen.«

»Das werde ich nicht thun. Ich brauche mir keinen zu suchen.«

»Nicht? Willst also ledig bleiben?«

»Auch das nicht. Es wär doch jammerschade um unser schönes Anwesen. Wenn ich als alte Jungfer stürbe, so käme Alles an lachende Erben. Das soll man nicht machen. Giebst Du mir da nicht Recht?«

»Freilich geb ichs Dir.«

»Und sodann wäre es auch schade um mich selbst. Ich weiß, daß ich einen Mann recht glücklich machen könnte, wenn er mich lieb hätte und ich ihn. Und wenn man das kann, so soll man es auch machen. Du giebst mir doch wohl auch darin Recht?«

»Mehr noch als vorher. Ja, ich glaubs schon, daßt im Stand bist, Demjenigen das Leben zum Himmel zu machen. Darum kann ich aberst auch nicht begreifen, daßt Dich nach Keinem umischauen willst.«

»Ists denn das Sache der Mädchen, sich umzusehen?«

»Na, eigentlich ists freilich dera Bursch, der die Augen aufmachen muß. Doch hier im Ort und auch in dera Umgegend kenn ich außer dem Osec keinen der es wagen wird, nach dera Kerybauers Gisela die Hand auszustrecken.«

»Ja, was mach ich dann? Was ist dagegen zu thun? Da muß ich also wohl oder übel ledig bleiben.«

»Hm! Es ist eine schlimme Geschichten. Wannst arm wärst, recht arm, so wären Hundert da, die sich die Fingern nach Dir lecken thäten. So aber bist reich, die Reichste meilenrund, und da zieht sich halt ein Jeder zuruck.«

»Ich habe aber gar nicht gewußt, daß die Jungburschen so feig sind.«

»Feig? Das ist keine Feigheit nicht. Wann zehn Deutsche gegen tausend Franzosen kämpfen sollen, so müssen sie untergehen. Darum ists ihre Pflicht, sich zurückzuziehen. Thätst Du das feig nennen?«

»Nein.«

»Also ists auch mit dem Freien. Ein Bursch, der sich sagt, daß er von einem Dirndl abgewiesen wird, wann er ihr seine Liebesderklärung macht, der ists halt seiner Ehr und seiner Reputationen schuldig, daß er ihr lieber gar nix sagt. Er ist halt klug, doch nicht feig.«

»Vielleicht aber würde sie ihn nicht abweisen. Er kann das vorher doch nicht so sehr genau wissen.«

»Es giebt Verhältnissen, in welchen man das genau wissen kann.«

»Das glaube ich nicht. Es hat schon Manche, die sehr reich war, einen Blutarmen zum Mann genommen.«

»Das kommt vor, ist aber selten.«

»Wärst auch Du so vorsichtig, wie Du vorhin sagtest?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das kommt eben auf die Verhältnissen an. Weißt, Gisela, es ist keine Schand, ein braves Dirndl lieb zu haben, die man wegen ihres Reichthumes nicht bekommen kann. Es ist mir auch so gangen. Ich hab Eine lieb habt, aber wie lieb, wie lieb! Sie war steinreich, und da bin ich halt still gewest. Aberst sagen thu ichs ihr doch noch mal, wanns mir grad so aus dem Herzen herausfließt.«

»Schau, das habe ich gar nicht gewußt. Du hast Dein Herz nicht mehr frei?«

»Nein. Das ist gefangen und kann nimmer wieder los. Ich kann das Dirndl nicht bekommen, aberst dennoch thät ich Alles, Alles, um sie glücklich zu sehen. Mein Leben gäb ich hin, wanns ihr Nutzen bringen thät.«

»Ja, das hast Du ja schon vorhin gesagt. Nur schade, daß Du mir ihren Namen nicht nennen willst.«

»Jetzt sollst ihn derfahren. Du bist in Sorg und in Noth. Du brauchst Einen, auf dent Dich verlassen kannst. Und damit Du weißt, daß Du mir vertrauen darfst, will ich Dir sagen, daß Du das Dirndl bist, an der meine Seel und mein ganzes Leben hängt. Aber brauchst ja nicht zu derschrecken. Meine Lieb ist so eine, weißt, wie im Ritter Toggenburg, was Schiller dichtet hat.«

Ihr Herz hüpfte vor Freude darüber, daß er endlich das ersehnte Wort gesprochen hatte, doch bezwang sie sich und fragte ihn in neckischem Tone:

»Diesen Ritter kenne ich gar nicht. Wie ists denn mit ihm gewesen.«

»Nun, der hat auch ein Burgfräulein geliebt, und sie hat ihn nicht haben wollen. Da ist er ins heilige Land zogen und hat denen Ungläubigen die Köpf herunterschlagen. Dann, als ihm auch das zu langweilig worden ist, ist er wiederum heim kommen. Vielleicht hat er denkt, daß er das Burgfräulein nun doch noch bekommen kann.«

»Wollte sie auch jetzt nicht?«

»Nein. Sie ist bereits im Klostern steckt und ist eine Nonne worden grad wie Du auch eine werden wolltst. Und allemalen gegen den Abend, da hat sie ihr Fenstern aufimacht und ein Wengerl herausischaut. Weil das der Ritter merkt hat, so hat er sich gegenüber eine Stuben miethet und sich da ans Fenstern setzt. Wann sie dann ausischaut hat, so hat er auch das Fenster aufimacht. Dann habens sich eine Weile ansehen, bis es dunkel worden ist.«

»Das ist doch gar zu rührend.«

Sie mußte sich Mühe geben, ein lustiges Kichern zu unterdrücken.

»Ja, mich hats auch immer rührt, wann ich das Gedichten lesen hab. Darinnen heißts:

Und so saß er viele Tage,
Saß viel Jahre lang;
Harrend ohne Schmerz und Klage,
Bis das Fenster klang.

Bis die Liebliche sich zeigte,
Bis ihr theures Bild
Sich ins Thal hernieder neigte,
Ruhig, engelsmild.«

»Du kannst es ja gar auswendig!«

»Ich habs lernt, weil ich so ein Toggenburgern bin.«

»Und was hat es dann mit ihm für ein Ende genommen?«

»Ein sehr sanftes, denn in dem Gedicht von Schillern heißts ganz zuletzt

Und so saß er, eine Leiche,
Eines Morgens da.
Nach dem Fenster noch das bleiche,
Stille Antlitz sah.«

»Das ist eine treue Liebe gewesen, eine ungeheure Anhänglichkeit. Und wie ist es nachher mit der geliebten Nonne geworden?«

»Darüber hat Schiller nix sagt. Vermuthlich hat er nix wußt. Ich denk, daß sie so lang zum Fenstern herausschaut haben wird, bis sie storben ist.«

»Ja, länger jedenfalls nicht.«

Jetzt lachte sie laut auf, hielt aber sogleich inne, um ihn nicht zu beleidigen. Aber sie hatte sich geirrt; anstatt einen Vorwurf über ihre Lustigkeit hören zu lassen, lachte er mit und sagte:

»Nicht wahr, so was kann nur ein Dichtern glauben?«

»So? Ich denke, auch Du hältst es für wahr?«

»Das fallt mir nicht ein. So ein Toggenburgern war mir ein schöner Kerl! Sich so lange Jahren ans Fenstern setzen, blos um dera Nonnen ihre Nasenspitz anzuschauen. Der müßt doch kein Hirn im Kopfe haben. Nein, man kann zwar Eine nicht bekommen, die man lieb hat, aberst das Leben macht auch noch Ansprüchen. Man darf die Händen nicht in den Schooß legen und wegen einer unerhörten Lieb den Runkelrübensyrupen weinen. Man kann dera Geliebten dienen und für sie arbeiten, auch wanns einen andern Mann nommen hat.«

»Das würdest Du thun?«

»Ja. Ich hab Dir meine Hilf und meinen Dienst anboten.«

»Du bist wirklich ein Braver, Ludwig. Aber nun kann ich Deine Hilfe leider nicht annehmen.«

»So! Warum?«

»Weil ein braves Mädchen nur die Dienste Desjenigen annehmen darf, den sie lieb hat.«

»Sappermenten! Jetzt ists gefehlt! So magst also nix von mir wissen?«

»Nein.«

»Das wollen wir noch nicht gleich gelten lassen. Ueberleg Dirs vorher noch mal.«

»Es ist bereits überlegt.«

»Denk doch wenigstens, daß ich Dein Freund bin. Eine Freundschaft ist doch nix Verbotenes. Und als Freund könnt ich gar Manches für Dich thun. Nicht?«

»Ich mag keinen Freund und ich brauch keinen Freund. Was ist ein Freund? Gar nichts! Der ist weder kalt noch warm.«

»Du, ich will Dir was sagen! Wannst mir warm machst, so kann ich sogar heiß werden.«

»So? Das würde nichts an meinem Entschlüsse ändern. Wenn mir Einer helfen will, so muß er mehr sein als nur mein Freund.«

»Was denn wohl?«

»Mein Geliebter.«

»Himmelsakra! Das laß ich mir freilich gefallen. Wer das sein könnte! Leider aber hast gar keinen, denn vorhin hast sagt, daßt Dich noch gar nicht umischaut hast und auch nicht umischauen willst.«

Wann es heller gewesen wäre, so hätte sie sehen können, daß sein gutes, ehrliches Gesicht vor Glück und Freude glänzte. Er wußte, woran er war; aber da er bemerkte, daß es ihr Vergnügen machte, ihn noch eine Zeit hinzuhalten, so that er, als ob er keine Ahnung habe.

»Das Umschauen ist doch ganz unnöthig,« sagte sie. »Was ich da suchen könnte, das habe ich bereits gefunden.«

»Was? Wie sagst? Hast schon Einen?«

»Schau, wast für eine gar Heimliche bist! Erst willst ins Klostern, und nun hast Einen. Ihr Dirndln seid doch wie das Wettern im April. Willst etwan nachhero, wann die Hochzeit vorüber ist, noch Nonne werden?«

»Wenn er mir recht gehorsam ist, dann wohl nicht.«

»So sags ihm nur vorher, damit er sich darnach richten kann.«

»O, Dem, den ich meine, brauche ich es nicht zu sagen. Er wird mich auch ohnedem auf den Händen tragen.«

»Ja, das bin ich auch überzeugt.«

»Sooooo!« dehnte sie, »Du tust ja, als ob Du ihn kenntest.«

»Natürlich kenne ich ihn.«

»Das ist nicht wahr. Du kannst unmöglich wissen, wen ich lieb habe.«

Wannt das denkst, so kennst mich schlecht. Ich weiß es ganz genau. Es hat doch gar nicht anderst kommen können.«

»Nicht anders? Wie?«

»Ich mein', daß er Einer ist, den eine Jede lieb haben muß.«

»Denkst Du?«

»Ja. Er ist ein Braver. Nicht?«

»Das ist er, ja.«

»Und ein Feiner. Er ist ein bildsauberer und schmucker Kerlen, dent der liebe Herrgott geschaffen hat, damit die Dirndln alle ihr Herz an ihn verlieren sollen.«

»Na, das wäre!«

»Ja, und ein Gescheidter ist er auch. Ich glaub halt nicht, daß es im ganzen Oesterreichen einen Zweiten giebt, der sich mit ihm messen könnt.«

»Höre, jetzt werde ich ganz irre an Dir.«

»Ich nicht, an mir nicht und auch an Dir nicht.«

»Das muß doch ein Ausbund von allen guten Eigenschaften und Vorzügen sein!«

»Das ist er auch. Das kannst eben gleich daran derkennen, daß selbst Du ihm nicht hast wiederstehen können.«

»Du!« lachte sie. »Ich bin überzeugt. Du sprichst von ihm, ohne eine Ahnung zu haben, wer er eigentlich ist.«

»Oho! Ich kenn ihn genau.«

»Woher?«

»Welch eine Frage! Ich seh ihn doch alle Tag!«

»Wo?«

»Hier im Ort und all überall. Ich weiß, wie er heißt und kann Dir seinen Namen nennen.«

»So nenne ihn!«

»Schön! Laut oder leise?«

»Wie Du willst.«

»Ich werd ihn doch lieber leise sagen, denn solche Geheimnissen muß man heimlich halten. Komm her! Ich werds Dir gleich hinein ins Ohr flüstern.«

»Schön! Ich bin wirklich neugierig, welchen Namen Du nennen wirst.«

»Den richtigen.«

»Das ist kaum glaublich.«

»Wirsts gleich hören.«

Er zog sie an sich, legte ihr den Arm um die Taille, näherte seinem Mund ihrem Ohre und – – –«

»Nun, wirds bald!« sagte sie, da er zögerte.

»Gleich! Ich habs mir überlegt, daß ich ihn nicht sagen werde, sondern lieber schreiben.«

»Worauf denn?«

»Hierher!«

Er nahm ihren Kopf in beide Hände, hielt ihn fest und gab ihr einen herzhaften Kuß.

Das hatte sie freilich nicht erwartet. Nicht vor Zorn, sondern vor Ueberraschung fuhr sie schnell mit ihrem Kopfe zurück.

»Ludwig!« rief sie.

»Schau,« lachte er. »Jetzt nennst den Namen selbst. Da brauch ich ihn Dir ja nicht zu sagen.«

»Ich bin erschrocken!«

Es war ihrem Tone wirklich anzuhören, daß sie eine Art von Schreck empfunden hatte.

»Ich nicht, Gisela.«

»Das glaube ich. Du hast auch keine Veranlassung dazu.«

»Aberst Du wohl?«

»Freilich! Wenn Einem so etwas passirt.«

»So was ganz und gar Schlimmes!«

Sie gab ihm einen zärtlichen Schlag.

»So einen Ueberfall!«

»Ja,« nickte er. »Dazu ist man Unteroffizier gewest.«

»Aber passiren darf es nicht wieder.«

»Nein, niemals! Blos nur einen Kuß, das geschieht gewiß nicht mehr. Wann man so eine herrliche Gelegenheit hat, so nimmt man sich gleich mehrere. Nicht?«

Er zog sie wieder an sich.

»Nein. Man bekommt keinen einzigen mehr,« antwortete sie, sich sträubend.

»Wann man ihn nicht freiwillig bekommt, so macht man wieder einen Ueberfall.«

»Der wird Dir nicht so gut gelingen wie der vorherige. Aber, Ludwig, reden wir jetzt im Ernst. Dieser Augenblick ist für uns Beide ein wichtiger, ein heiliger. Da wollen wir nicht scherzen. Glaubst Du wirklich, daß Du Derjenige bist, den ich lieb habe?«

»Ja, ich bins überzeugt.«

»Woher? Habe ich es mir denn merken lassen?«

»Ja.«

»Wirklich? Das ist kaum zu glauben. Ich habe mir alle Mühe gegeben, Dir nichts merken zu lassen.«

»Ja, ich hab auch gar, gar nix davon wüßt, bis heut Abend, als wir uns hierher setzt haben. Da hab ichs aus Deinen Worten hört, was für ein glückseliger Mensch ich bin.«

»So bist Du wirklich glücklich?«

»Eigentlich jetzt noch nicht.«

»So? Warum jetzt noch nicht?«

»Weilst mir noch gar nicht sagt hast, ob ich Recht hab oder nicht.« Ich könnt mich doch auch täuscht haben.«

»Nein, Ludwig, getäuscht hast Du Dich nicht. Du bist Derjenige, von welchem ich redete.«

Da schlang er beide Arme um sie, drückte sie an sich und flüsterte ihr in überquellender Zärtlichkeit zu:

»Jetzund, wann wir nicht heimlich sein müßten, solltest sehen, was ich machen thät. Ich thät mein Glück hinausirufen, daß mans auf allen Firmen und Alpenspitzen hören könnt. Du guter Herrgott droben! Daß es so ein Glück und so eine Seligkeiten bereits hier auf Erden geben könnt, das hab ich mir gar nicht dacht. Ich möcht lachen und weinen in einem Athem. Ists auch Dir so zu Muthe?«

»Ja,« antwortete sie.

»Es ist über mich kommen, so unerwartet und plötzlich, daß ich ganz aus meiner Fassung bin. Ich weiß halt gar nicht, was ich thun soll. Es wird am besten sein, ich mach vor der Hand weiter nix als – – –«

Er küßte sie, und dieses Mal wich sie nicht zurück.

»Hab ich Recht?« fragte er. »Ist das nicht das Schönste, was wir jetzt thun können?«

Sie antwortete nicht. Aber sie legte nun auch ihren Arm um ihn und schmiegte sich in voller Zärtlichkeit an seine Brust. So saßen sie eine lange Zeit, in ihre Liebe versunken und Küsse tauschend, bis er dann fragte:

»Hast denn vorher wußt, daß ich Dich so lieb habe?«

»Gedacht habe ich es mir wohl.«

»Ja, diese Lieb ist halt schon sehr alt. Gleich als ich zu Euch aufs Gut kam und Du warst noch ein kleins Dirndl, da hattests mir schon anthan. Darum bin ich auch vom Militair hinweg wiederum zu Euch kommen.«

»Da hast Du wohl gedacht, daß ich Dir auch gut sein würde?«

»Nein. Ich hab niemals eine Hoffnungen habt, daßt meine Liebe erwidern könntst. Es hat mich aber herbeitrieben, eine innere Macht, der ich nicht hab wiederstehen könnt.«

»Das war Gottes Wille!«

»Ja, das glaub ich gern. Ich hab manchmal in dera Nacht nicht schlafen konnt und an Dich denken mußt. Da ist mir einifallen, was ich thun werd, wannst einen Andern nimmst.«

»Nun, was hast Du da thun wollen?«

»Verschiedenes. Einmal hab ich mir eine Kugeln durch den Kopf jagen wollt, ein anderes Mal wollt ich in die weite Welt laufen. Zuletzt aberst hab ich an meine Muttern und Schwestern denkt, und dann hab ich wußt daß ich den Gram ruhig tragen würde und in Deiner Nähe bleiben fürs ganze Leben.«

»Das sollst Du nun auch!«

»Ja, und ganz anderst, als ich es mir vorher dacht hab. Und nun sag auch mir, seit wannt mich lieb gewonnen hast.

»Auch gleich seit dem Tage, an welchen Du zu uns gekommen bist.«

»Oho! Das soll ich glauben?«

»Ja.«

»Aber da wars eine andera Lieb als die heutige?«

»Natürlicher Weise.«

»Darnach aber hab ich nicht fragt. Ich wollt vielmehr wissen, seit wannt gewußt hast, daßt mein Dirndl werden willst.«

»Das kann ich Dir kaum sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich es selber nicht genau weiß. Die Liebe ist in mir gewachsen und groß geworden, ohne daß ich es deutlich gemerkt habe. Zur eigentlichen Erkenntniß bin ich erst heute gekommen.

»Was! Erst heut hast merkt, daßt mich lieb hast? Höre, Gisela, da kann die Lieb nicht eine gar große sein.«

»Da irrst Du Dich. Kennst Du nicht das Lied:

Kein Feuer, keine Kohle
Kann brennen so heiß
Wie heimliche Liebe
Von der Niemand nichts weiß.«

»Ja, aberst Derjenige, der sie im Herzen trägt, muß doch von ihr wissen!«

»Gewußt hab ich es, daß ich Dir herzlich gut bin, und daß kein Bursche mir so gefällt wie Du. Aber das, was ich jetzt im Herzen fühle, daß dies gar so groß und mächtig, so gewaltig und beglückend ist, das habe ich nicht gewußt; das habe ich erst heut bemerkt, als Du mit Deiner Mutter sprachst.«

»Mit meiner Mutter? Wann ist das wohl gewest?«

»Nach dem Essen.«

»Ja, da hab ich mit ihr sprochen, in dera Stuben. Kein Mensch war dabei. Davon kannst also nix wissen.«

»Nichts? O, ich weiß vielmehr Alles!«

»Nix, gar nix weißt!«

»Hast Du ihr nicht von Deiner Liebe zu mir erzählt?«

»Ja, davon hab ich sprochen. Aber wie kannst das wissen?«

»Ich hab in der Küche gelauscht.«

»Himmelsakra! Und Alles hast hört?«

»Jedes Wort!«

»Dirndl! Das war schlecht von Dir.«

»Nein, es war nicht schlecht. Du glaubst nicht, wie glücklich ich mich gefühlt habe, als Du von Deiner Liebe sprachst. Da brach es auch in mir mit aller Gewalt hervor. Von diesem Augenblicke an wußte ich, daß ich nicht allein stehen würde, meinem Vater gegenüber. Ich erkannte, daß ich einen starken, treuen Helfer an Dir haben würde. Nun konnte ich ruhig sein, denn ich weiß, daß ich glücklich sein werde.«

»Ja, das wirst sein, so viel an mir liegt, Gisela. Also ins Klostern willst nun nicht?«

»Lieber sterben!«

»Und den Osec nimmst auch nicht?«

»Wie kannst Du doch so fragen!«

»Im Scherz!«

»Leider wird es bald Ernst werden, sehr bald. Der Vater will – –«

Sie hielt erschrocken inne. In nächster Nähe hinter ihnen gab es ein Geräusch. Hinter dem Strauche, hinter welchem am Nachmittage Ludwig gestanden hatte, um Osec mit Gisela zu belauschen, trat die lange Gestalt des – – Kerybauern hervor.

Dieser hatte natürlich gedacht, daß seine Tochter, als sie sich aus der guten Stube entfernte, nach der Küche gehen werde. Einige Minuten später hatte er etwas außerhalb der Stube zu thun, und da begegnete er der Mutter Ludwigs, welche zur Treppe heraufgestiegen kam, um sich nach der Kammer ihres Sohnes zu begeben.

»Kommt Sie jetzt erst aus dem Wirthshaus?« fragte er sie.

Ja.«

»Ist Ihr Sohn noch dort?«

»Nein. Er ist mit mir heim.«

»So sitzt er nun wohl unten in der Stube?«

»Nein. Er ist im Garten.«

Der Bauer horchte auf.

»Allein?« fragte er scharf.

Jetzt erkannte sie, daß sie unvorsichtig gewesen war; darum antwortete sie:

»Ganz allein.«

»Was macht er dort?«

»Ich weiß nicht, nach was er sehen wollte. Er wird gleich nachkommen.«

»So! Sie bleibt wohl heut hier?«

»Ja, wann der Herr es erlaubt.«

»Eigentlich nicht. Nun aber ists für Sie zu spät, fortzugehen. Also legt Sie sich jetzt nieder, bei mir wird zeitig aufgestanden.«

Er kehrte in die gute Stube zurück und fand die beiden Osecs in einem leisen Gespräche, welches sie führten, obgleich die Bäuerin bei ihnen saß und durch das leise Geflüster eigentlich beleidigt werden mußte.

»Was habt Ihr denn für Heimlichkeiten?« fragte er.«

»Es ist nichts Heimliches, aber eine Geschäftssache. Mein Sohn muß gleich nach Hause.«

»Unsinn! Was fällt ihm ein! Ihr wißt doch, daß – – –«

Er sprach den Satz nicht zu Ende, warf aber den Beiden einen Blick zu, welcher ihnen sagte, was er meine. Osec der Aeltere gab ihm einen ebenso bezeichnenden Blick zurück und antwortete:

»Eben grad darum muß er fort. Es ist daheim Etwas, woran wir nicht gedacht haben, in Ordnung zu bringen.«

»So, so! Da kann ich freilich nichts dagegen habe», daß er jetzt schon geht.«

»Er wird nicht gehen, sondern er nimmt den Wagen. Es ist eilig.«

»Aber Du bleibst doch noch hier?«

»Ja. Er kommt dann zurück, um mich abzuholen.

»So will ich ihm anspannen lassen.«

Der Bauer wollte allein hinab in den Hof, aber die beiden Gäste gingen mit.

»Als sie unten an der Küche vorüber kamen, blickte Kery hinein. Sie war leer. Das fiel ihm auf. Er dachte daran, daß Ludwig im Garten sei. Wo war Gisela? Doch nicht etwa draußen bei ihm? Sie hatten mit einander getanzt. Es war anzunehmen, daß irgend eine Vertraulichkeit zwischen ihnen vorhanden sei. Es fiel ihm freilich gar nicht ein, an eine Liebschaft zu denken. Das wäre für ihn eine solche Ungeheuerlichkeit gewesen, daß es gar nicht möglich war. Aber wenn die Beiden sich im Garten befanden, so sprachen sie jedenfalls von den Osecs, von der aufgeschobenen Verlobung, vom Kloster und von all den Dingen, welche heut geschehen waren. Das mußte er hören. Er konnte sich da über die eigentlichen Absichten seiner Tochter unterrichten. Darum ließ er die Osec's allein nach dem Pferdestalle gehen und begab sich nach dem Garten.

Wer sich in demselben befand, der saß sicherlich auf der Bank. Darum schlich er sich nach jener Gegend hin, in welcher sie stand. Im weichen Grase waren seine Schritte völlig unhörbar. Als er nahe herangekommen war, konnte er die Beiden zwar noch nicht sehen, aber er hörte ihre leisen Stimmen.

»Aha!« dachte er. »Ein guter Gedanke, mich hierher zu schleichen.«

Er schlüpfte bis zum Strauche hin und bückte sich dort nieder. Gegen den helleren Himmel waren die Gestalten der Beiden ziemlich genau zu erkennen. Der Bauer bemerkte zu seinem Entsetzen, daß sie sich umschlungen hielten. Es durchzuckte ihn eine Empfindung, wie er sie in seinem ganzen Leben noch nicht gefühlt hatte. Es war, als ob ein Blitz in sein Inneres geschlagen habe.

Sein Blut kochte. Getreu seinem jähzornigen Temperamente wollte er sich sofort mit beiden geballten Fäusten auf sie stürzen; aber die Klugheit gewann doch die Oberhand. Er wollte zuvor wissen, was sie sprachen. Darum blieb er ruhig liegen und lauschte.

»Hab ich Recht?« fragte Ludwig soeben. »Ist das nicht das Schönste, was wir jetzund thun können?«

Dabei hielt er Gisela umschlungen und küßte sie auf den Mund.

Der Bauer sah und hörte das. Der Zorn trieb ihm das Blut nach dem Kopfe, so daß es ihm vor den Augen war, als ob er helle Feuerfunken stiegen sehe. Er zwang sich noch einige Secunden lang zur Geduld. Dann aber, als Gisela sagte:

»Leider aber wird es bald Ernst werden, sehr bald!«

Da konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er richtete sich aus seiner halb kauernden und halb liegenden Stellung empor, trat vor und rief:

»Ja, Ernst wirds! Und nicht etwa sehr bald, sondern sogleich!«

»Der Vater!« rief das erschrockene Mädchen, indem sie aufsprang.

Auch Ludwig stand auf, aber nicht eilig und erschrocken wie die Geliebte.

»Ja, Dein Vater ists, Du ungerathene Tochter! Also hier ist das Kloster, in welches Du gehen willst. Mit dem Knechte sitzest Du im Garten. Von ihm lassest Du Dich abküssen, und darum willst Du den Dir bestimmten Bräutigam nicht heirathen! Dir will ich zeigen, wer Dein Herr und Meister ist. Da hast Du!«

Er holte aus, um sie schlagen. Da aber ergriff Ludwig den Arm.

»Kerybauer, was fällt Dir ein!« sagte er in warnendem Tone.

»Hast etwa Du mich darnach zu fragen?«

»Ja.«

»Du – Du – Du! Mensch, soll ich Dich mit dieser meiner Faust zu Boden schlagen!«

»Das wirst Du unterbleiben lassen.«

»Nein, ich werde es thun!«

Er wollte sich von dem Griffe Ludwigs los machen; aber es gelang ihm nicht.

»Hallunke!« keuchte er.

»Ludwig, Ludwig! Thu dem Vater nichts!« flehte Gisela.

»Hab keine Sorge. Ich will ihn nur verhindern. Dich zu schlagen. Komm her, und stelle Dich hinter mich!«

Sie befolgte diesen Rath, und nun erst, da er die Geliebte in Sicherheit wußte, ließ er den Arm des Bauers los.

Dieser zitterte vor Aufregung am ganzen Körper. Er schnappte förmlich nach Athem.

»So etwas, so etwas muß ich erleben!« keuchte er. »Mir, dem Kerybauer, muß das passiren, daß – – –«

»Was ist denn dort hinten los?« rief es vom Hofe her. »Wer hat dort zu schreien?«

Es war die Stimme des alten Osec.

»Komm her, komm her!« antwortete Kery. »Du sollst sehen, was da los ist.«

Man hörte die nahenden Schritte. Vater und Sohn kamen auf das Eiligste herbei. Sie mochten meinen, daß ein Gartendieb erwischt worden sei.

»Gleich, gleich sind wir dort!« rief der Alte. »Halt ihn nur fest.«

Nun waren sie da. Sie sahen drei Gestalten, von denen ihnen nur die zunächst stehende, der Bauer, kenntlich war.

»Hast Du ihn?« fragte Osec.

»Ja, ich habe ihn!« knirschte Kery. »Aber auch sie dazu.«

»Sie? Sinds zwei?«

»Freilich. Schau sie Dir nur an!«

Die beiden Osecs traten an die Beiden heran, welche jetzt neben einander Händen. Gisela hatte, wie um Schutz zu suchen, Ludwigs Hand ergriffen.

»Donnerwetter!« fluchte der Alte.

»Kreuzmillion!« stimmte der Junge bei.

»Kennt Ihr sie denn?« fragte Kery in einem Tone, in welchem eine gewaltsam verhaltene Wuth klang.

»Die Gisela! Was thut sie hier im Garten?« fragte der ältere Kery.

»Erkundige Dich bei dem Kerl, der da bei ihr ist!«

»Bei dem Ludwig? Der ist hier bei ihr gewesen? Warum – –? Ah, heiliges Pech! Jetzt geht mir ein Licht auf. Das ist wohl gar ein Liebespaar?«

»Hasts errathen!«

»Da schlage der Teufel drein!«

»Der braucht nicht drein zu schlagen. Ich bin der Vater und werde das selbst besorgen. Sie bekommen Beide ihre Hiebe, er und auch sie!«

Ein Anderer hätte unter den obwaltenden Verhältnissen sich wohl schleunigst aus dem Staube gemacht. Ludwig aber war kerzengerade stehen geblieben. Ihm fiel es nicht ein, sich zu entfernen und die Geliebte im Stiche zu lassen. Jetzt antwortete er in muthigem, ernstem Tone:

»Mäßige Dich, Kerybauer! Von Prügeln kann hier keine Rede sein!«

»Hund, mucke nicht noch auf, sonst schlage ich sogleich zu! Hier stehen Zwei, die mir helfen werden!«

»Macht keine Dummheiten! Ich werfe Euch alle Drei aus dem Garten hinaus! Ihr wärt die Kerls, die es mit mir aufnehmen könnten. Und was Gisela betrifft, wenn Du Dich an ihr vergreifst, so hast Du es mit mir zu thun!«

»Du willst drohen!« schrie Kery und trat mit erhobenem Arme auf ihn zu.

Ludwig that nun auch seinerseits einen Schritt vorwärts.

»Zurück!«

Er rief nur dieses eine Wort, aber mit einer solchen Stimme und in solcher Weise, daß der Bauer schleunigst um einige Schritte retirirte.

»Hört Ihr es?« rief der Letztere seinen beiden Verbündeten zu. »Jetzt fängt sogar der Knecht an, zu commandiren!«

»Ich bin Dein Knecht nicht mehr,« erklärte Ludewig. »Ich bleibe nicht hier. Morgen früh ziehe ich ab!«

»Das will ich Dir auch gerathen haben! Ich jage Dich fort und werde Dir das in das Dienstbuch schreiben.«

»Versuchen kannst Du es; Du wirst ja erfahren, ob es Dir gelingt. Von einem Fortjagen ist keine Rede. Ich habe Dir vorher gesagt, daß ich morgen früh gehe. Du bist zu spät gekommen!«

»Deine Rede gilt nichts. Ich bin der Herr!«

»Jetzt nicht mehr. Wir haben nichts mehr mit einander zu schaffen!«

»Aber desto mehr willst Du wohl mit meiner Tochter zu schaffen haben?« »Das kannst Du Dir doch denken!«

»Das schlage Dir aus dem Sinn!«

»Leider kann ich diesen Rath nicht befolgen, denn Gisela wird meine Frau.«

Diese Worte hatten zunächst die Wirkung, daß eine augenblickliche Todtenstille eintrat. Dann aber stieß der Kerybauer ein Gelächter aus, welches gar nicht beschrieben werden kann. Es klang wie das Lachen eines Teufels oder eines Wahnsinnigen.

»Deine Frau!« schrie er.

»Ja, meine Frau.«

»Wann denn?«

»Sehr bald.«

»Schau, schau! Wer richtet denn die Hochzeit aus?«

»Du! Du bist ja der Vater. Du hast das soeben erst gesagt.«

»Ich richte die Hochzeit aus, die ohne meine Einwilligung abgehalten werden soll. Der Kerl ist reif fürs Irrenhaus.«

Die Osecs fielen in sein Hohngelächter, welches gar nicht enden wollte, mit ein.

»Wer spricht denn davon, daß wir Hochzeit ohne Deine Einwilligung halten wollen?« fragte Ludwig.

Das klang so ruhig und sicher, als ob er von etwas ganz Gewöhnlichem und Selbstverständlichem spräche.

»Wollen, wollen!« schrie Kery. »Was Ihr wollt, das geht mich nichts an. Ich, meine Einwilligung geben. Ich, erlauben, daß meine Tochter, mein einziges Kind, einen Knecht heirathet!«

»Warum nicht?« meinte Ludwig ganz freundlich. »Wir haben uns ja lieb.«

»Was geht mich das an. Lieb habt Ihr Euch also. Das habt Ihr Euch wohl gesagt? Und nicht erst heut, sondern bereits seit langer Zeit.«

»Nein. Wir haben uns erst vor wenigen Augenblicken mitgetheilt, daß wir uns lieb haben, und da wird Gisela ganz natürlich meine Frau.«

Die Selbstverständlichkeit, in welcher der Knecht das Alles sagte, steigerte die Erregung des Bauers auf das Doppelte.

»Hund, rede anders von meiner Tochter. Ich rufe sonst die Knechte zusammen, und lasse Dich zum Hofe hinaus peitschen.«

Er brüllte jetzt so, daß es weithin zu hören war. Gisela ergriff voller Angst den Arm des Geliebten mit beiden Händen. Dieser antwortete ganz in seiner bisherigen Weise:

»Schimpfe mich nicht, Bauer. Du kennst mich, und weißt, daß ich das nicht leide. Wir können die Angelegenheit in aller Ruhe besprechen.«

»Hier giebts nichts zu besprechen. Hinausgehauen wirst Du.«

»Mache den Versuch, ob Dir die Knechte da gehorchen werden. Sie würden Dich doch nur auslachen. Uebrigens habe ich Dich bisher für viel klüger gehalten, als Du Dich jetzt zeigst.«

»Ja, Du bist freilich gescheidter. Du willst den Keryhof erheirathen. Gescheidter kann doch kein zweiter Gedanke sein. Mein Knecht will meinen Hof.«

»Wenn es gar so eine Schande ist, daß Du Deine Tochter an der Seite des Knechtes auf der Bank sitzen fandest, warum hängst Du diese Schande an die große Glocke? Warum schreist Du, daß man es im ganzen Dorfe hören kann? Warum rufst Du diese beiden Osecs herbei, die doch davon gar nichts zu hören brauchten. Mit wenigen, leisen Worten wäre die Sache beigelegt gewesen.«

»Beigelegt?« antwortete der Bauer, jetzt allerdings nicht mehr brüllend, sondern in gemäßigtem Tone. Beigelegt soll sie werden, und zwar sogleich. »Gisela, da steht Dein Bräutigam. Geh her zu ihm.«

Er deutete auf den jungen Osec. Gisela blieb stehen. Sie war voller Vertrauen, daß der Schutz Ludwigs ausreichen werde, sie vor Gewaltthätigkeiten zu bewahren.

»Nun, wirds oder nicht!« fügte Kery drohend hinzu, als er sah, daß sein Befehl nicht befolgt wurde.

»Nein, es wird nicht,« antwortete Ludwig an Gisela's Stelle. »Der Osec ist noch gar nicht ihr Bräutigam; er wird es auch niemals werden; er wird sie nicht bekommen, und wenn er sich auf den Kopf stellen sollte.«

»Oho!« riefen die Beiden.

»Ja, ich habe es gesagt, der Knecht Ludwig Held, und das ist genug. Uebrigens habt Ihr Beide hier gar nichts drein zu reden. Ich und der Bauer sind, es, die es mit einander zu thun haben. Und wir Beide werden schon noch einig werden.«

»Ich mit Dir? Nichtsnutz!« entgegnete der Bauer. »Im ganzen Leben nicht.«

»Vielleicht sehr bald. Machen wir der Sache ein Ende. Der Zank und Streit kann zu gar nichts führen. Gisela ist meine Geliebte, und ich gebe sie nicht her. Sie wird keinen Andern heirathen als nur mich. Das merkt Euch. Uebrigens habe ich gar nicht die Absicht, schon jetzt Ansprüche zu erheben oder um das Jawort zu bitten, denn – – –«

»Du würdest es sogleich erhalten!« lachte Kery.

»Nein,« antwortete Ludwig in aller Ruhe. »Ich weiß zur Genüge: Du würdest mich abweisen – – –«

»Natürlich! Und wie!«

»Bald aber wirst Du anderer Gesinnung sein – – –«

»Im Leben nicht!« entgegnete, ihn unterbrechend, der Bauer.

»Das meinst Du jetzt; ich aber weiß ganz sicher, daß es anders wird. Darum will ich jetzt still sein und mich entfernen. Morgen in der Frühe ziehe ich ab.«

»Und lässest Dich niemals wieder hier bei mir sehen!«

»Du wirst noch froh sein, wenn ich zu Dir komme. Also morgen früh ziehe, ich ab. Wenn ich aber erfahren sollte, daß Gisela gezwungen werden soll, den Osec zu nehmen, oder wenn mir nur zu Ohren kommt, daß sie wegen des heutigen Tages von ihrem Vater schlecht behandelt wird, so bekommt er es mit mir zu thun.«

»So? Wie willst das anfangen?«

»Ich nehme sie weg von Dir.«

»Donnerwetter! Bist Du etwa ein Fürst oder Graf, daß Du in einem solchen Tone mit mir redest.«

»Nein, ich bin ein armer Knecht, aber ein Ehrenmann. Es kann mir kein Mensch etwas Unehrliches nachweisen. Ich aber kann beim Gerichte verlangen, daß man meine Geliebte aus einem Hause nimmt, in welchem Schmuggler und Spitzbuben verkehren.«

»Hört Ihrs? Hört Ihrs? fragte Kery, zu den Osecs gewendet. »Ihr verkehrt doch auch hier. Also seid Ihr auch Spitzbuben!«

»Ja, das sind sie.«

»Himmeldonnerwetter!« brauste jetzt der alte Osec auf. »Muß ich mir das etwa gefallen lassen?«

»Ja, das mußt Du Dir gefallen lassen, denn ich kann es beweisen.«

»Beweise es.«

»Wünsche nicht, daß ich es thun muß. Ich würde es nicht hier beweisen, sondern auf dem Gericht.«

»Verfluchter Kerl! Was weißt Du von uns?«

»Genug, um Euch hinter Schloß und Riegel zu bringen, wo es weder Verlobung noch Hochzeit giebt. Jetzt habe ich Euch gesagt, was ich auf dem Herzen hatte, und nun gehe ich zu Bette. Ich wünsche, daß Ihr alle so gut schlafen mögt wie ich.«

Er wendete sich zum Gehen. Da er die Hand Gisela's noch fest hielt, mußte sie mit ihm gehen.

»Halt!« gebot ihr Vater. »Gisela bleibt da bei uns.«

»Nein, sondern ich führe sie hinein,« erklärte Ludwig. »Die Osecs brauchen sie nicht.«

Sein festes, selbstbewußtes, siegessichres Auftreten und dann der Umstand, daß die Andern glaubten, er wisse viel, viel mehr als er eigentlich von ihnen wußte, waren die Gründe, weshalb die Beiden ungehindert mit einander den Garten verlassen konnten.

»Habt Ihrs gehört!« knirschte Kery.

»Grad so wie Du,« antwortete Osec der Vater. »Ich begreife Dich nicht.«

»Wieso? Warum?«

»Diesen Menschen hätte ich sofort hinauswerfen lassen.«

»Du? Schneide nicht auf. Dich kenne ich. Du wärst noch stiller und nachgiebiger gewesen als ich.«

»Da irrst Du Dich gewaltig.«

»Gewißlich nicht. Willst Du Dich ins Gefängniß stecken lassen?«

»Weiß er denn gar so viel von uns?«

»Ich habe gar keine Ahnung, wie weit er über unsere Heimlichkeiten unterrichtet ist. Vielleicht weiß er gar nichts und thut nur so, als ob er Alles erfahren habe. Klüger^ aber ist es, ihn nicht zu reizen.«

»Nein, klüger wäre es, ihn auf- und davon zu jagen.«

»Unsinn. Morgen früh geht er fort, und dann sind wir Hahn im Korbe.«

»So paß nur auf, daß er uns nicht etwa heut noch Schaden machen kann. Uebrigens, wie steht es mit der Gisela? Das mit dem Kloster war doch nur Verstellung von ihr?«

»Wie ich jetzt einsehe, ja.«

»Und wer soll sie bekommen?«

»Dein Sohn natürlich. Oder meinst Du, daß ich sie dem Knechte gebe?«

»Hm! Darüber können wir noch reden. Jetzt spannen wir ein, damit der Junge endlich fortkommt. Er muß um Zwölf wieder hier sein.«

»Und ich will hinein und dafür sorgen, daß meine Frau erfährt, was geschehen ist. Dann schicke ich die Weibsbilder ins Bett. Wir brauchen keine Zeugen.«

Er trat, während die Osecs sich wieder in den Pferdestall begaben, das Haus. Im Flur traf er auf Gisela.

»Wo ist der Kerl?« fragte er sie.

»Welcher Kerl?«

»Dein schöner Liebster!«

»Zu Bett.«

»Ists wahr?«

»Geh hinauf, und sieh nach!«

»Das werde ich auch wirklich thun.«

Er ging nach der Kammer des Knechtes und machte die Thür auf, welche noch nicht verschlossen war. Es brannte ein Licht. Beim Scheine desselben war Ludwigs Mutter zu sehen, welche im Bette lag. Er selbst hatte sich bis auf die Hose ausgezogen und lag auf einer Holzbank, beschäftigt, sich mit einem alten Mantel zuzudecken.

»Was giebts?« fragte er.

»Ich wollte nur sehen, ob Alles in Ordnung ist. Wenn man Leute im Hause hat, welche nicht herein gehören, kann man nicht vorsichtig genug sein.«

Das war natürlich eine ganz infame Beleidigung, dennoch antwortete Ludwig freundlich lachend:

»Hast Recht. Schau zu, daßt morgen Alles noch hast, was heut Abend Dein Eigen ist.«

Jetzt war der Bauer überzeugt, daß der Knecht wirklich schlafen gegangen und nun nicht mehr zu fürchten war. Er begab sich hinab zu seiner Frau, bei welcher er Gisela fand.

Diese Letztere war Hand in Hand und schweigend mit Ludwig aus dem Garten nach dem Wohnhause gegangen. Dort angekommen, fragte das Mädchen:

»Gehst Du wirklich morgen früh nun fort?«

»Ja. Fürchtest Du Dich ohne mich?«

»Nein. Jetzt habe ich keine Angst und Sorge mehr. Ich verlasse mich auf Dich. Was Du thust, das ist gut.«

»So ists recht! Ich werde über Dich wachen. Gehorche Deinem Vater, wo Du ihm Gehorsam schuldig bist; aber dulde keine schlechte Behandlung von. ihm. Geschieht irgend Etwas, was ich wissen muß, so sende das Schreiben an meine Mutter. Nicht wahr, Du schließest die Küchenthür zu, wenn Du schlafen gehst?«

»Ja.«

»Den Schlüssel nimmst Du mit?«

»Ja; ich muß ihn bei mir haben, weil ich früh wieder am ehesten munter bin.«

»Nimm ihn heut nicht mit in Deine Kammer, sondern lege ihn mir unter die unterste Treppenstufe.«

»Warum?«

»Ich kann vielleicht die Osecs belauschen, wenn sie in der Stube sitzen. Wenn es mir gelingt, leise die Küche aufzuschließen und mich drin zu verstecken, so kann ich großen Vortheil davon haben.«

»Gut, ich werde Dir den Schlüssel hinlegen.«

»Jedenfalls wird Dich Dein Vater in Gegenwart Deiner Mutter ins Gebet nehmen wollen. Wie wirst Du Dich da verhalten?«

»Ganz so, wie Du zu ihm gewesen bist, ruhig, ohne zu zanken, aber fest bei meinem Vorsatze bleibend.«

»Ja, das ist das Beste. Lebe wohl, meine liebe, liebe Gisela.«

»Lebe wohl, mein guter Ludwig.«

Sie umarmten und küßten sich. Gisela ging in die Küche und Ludwig nach seiner Kammer. Dort angekommen, sollte er seiner Mutter, welche vom Garten her die lauten Stimmen vernommen, sagen, was dort geschehen sei.

»Jetzt nicht,« antwortete er. »Wir wollen still sei». Ich habe nämlich eine Ahnung, daß der Bauer heraufkommen wird, um sich zu überzeugen, daß ich auch wirklich schlafen gegangen bin. Da muß ich rasch machen.«

Er zog sich aus und legte sich auf die Bank, da er seiner Mutter das Bett überlassen hatte. Eben hatte er den Mantel ergriffen, mit welchem er sich zudecken wollte, da erschien der Bauer und verhielt sich in der bereits beschriebenen Weise.

Kaum aber war Kery fort, so stand Ludwig wieder auf und zog sich wieder an.

»Ich muß hinab,« sagte er. »Lösch das Licht aus, wenn ich hinaus bin, und riegle von innen zu, damit Niemand nachsehen kann, ob ich fort bin. Wenn Jemand klopft, fragst Du nach dem Namen. Nur mich lassest Du herein.«

Er ging.

Draußen blieb er horchend stehen. Er hörte die laute, scheltende Stimme des Bauern und huschte an der Thür, hinter welcher dieser sich mit Frau und Tochter befand, vorüber. Es gelang ihm, ganz unbemerkt hinunter in den Hof zu gelangen.

Dort befand sich über einem offenen Holzschuppen der wohl gefüllte Heuboden, auf welchem die beiden Slowaken schlafen wollten. Jetzt waren sie noch nicht da. Um später gleich zu wissen, ob sie indessen gekommen seien, schlüpfte Ludwig in den Schuppen.

Dort war es stockdunkel, aber er kannte jeden Schrittbreit des Raumes. Hinten im Winkel führte eine Holztreppe hinauf nach dem Heuboden. Eine Thür gab es gar nicht. Es war Alles offen.

Ludwig zog einen Bindfaden aus der Tasche und legte ihn, lang ausgedehnt, so über mehrere der Treppenstufen, daß kein Mensch die Treppe passiren konnte, ohne die Schnur mit den Füßen aus ihrer jetzigen Lage zu bringen. Sodann trat er wieder in den Hof hinaus.

Er sah, daß Licht in dem Pferdestalle brannte. Die Thür desselben stand halb offen. Er schlich sich näher und huschte an eines der kleinen Fenster des Stalles. Er konnte nicht nur hineinblicken, sondern das Glück war ihm so günstig, daß eins der Pferde, welche den Osecs gehörten, grad an diesem Fenster postirt worden war. Der junge Osec war beschäftigt, dem Thiere das Kummet anzustecken. Sein Vater lehnte, wie es schien, neben dem Pferde an der Wand. Sie glaubten sich allein und unbeobachtet. Darum sprachen sie ziemlich laut. Da das Fenster offen stand, hörte Ludwig, was gesprochen wurde.

»Ich möchte sie nun nicht,« sagte soeben der Vater.

»Das kannst Du leicht sagen. Du bist aber noch einmal so alt wie ich.«

»Bist Du denn gar so vernarrt in sie?«

»Vernarrt? Nein. Es ist etwas Anderes als das, was man unter vernarrt versteht, aber so was Aehnliches ist es doch.«

»Hm! Eine Hübsche ist sie; das ist wahr. Wäre ich noch jung, so wüßte ich nicht, was ich machte. Ich glaube, ich verliebte mich auch in sie.«

»Da hast Du es! Und von mir verlangst Du, daß ich sie aufgeben soll.«

»Aus gutem Grunde!«

»Es giebt keinen Grund.«

»So! Daß sie Dich nicht haben mag, ist wohl keiner?«

»Ich kehre mich nicht daran.«

»Ja, wenn sie keinen Kerl hätte, da wäre doch was zu machen. Nun aber kommts heraus, daß sie sich in diesen verdammten Spion verliebt hat. Da ist nun alle Hoffnung vergeblich.«

»Der Alte wird sie schon noch herum zu kriegen wissen.«

»Das glaube ich schwerlich. Ja, wenn dieser Ludwig nicht hinter unsere Schliche gekommen wäre.«

»Fürchtest Du ihn?«

»Ganz natürlich! Wenn er uns verräth, so find wir des Teufels. Das weiß der Kerl ganz genau, darum tritt er in dieser Weise gegen uns auf, und aus ganz demselben Grunde wird es ihm gelingen, die Gisela von Dir frei zu bringen.«

»So schlage ich ihn todt!«

»Meinswegen! Gehe aber von hinten auf ihn und ja nicht von vorn! Der Kerl hat Kräfte wie ein Bär oder ein Ochse.«

»O, so was läßt sich ganz aus der Ferne machen. Und wenn der Kery sich von ihm beschwatzen läßt, so bekommt auch er es mit mir zu thun. Uebrigens bin ich zwar der Tochter gut, den Alten aber kann ich nicht gar so sehr gut leiden.«

»Es geht mir ebenso. Aber Geschäft ist Geschäft. Wir saugen ihn aus. Der gute Mann hat höchstens noch fünfzehntausend Gulden. Um diese beschummeln wir ihn heut. Dann ist er ein Bettler und muß aus dem Haus trotz des großen Maules, welches er stets hat.«

»Eigentlich kann er mir leid thun.«

»Unsinn! Ich glaube gar. Du willst Dir ein Gemüth anschaffen. Das ist das Allerdümmste, was man haben kann.«

»Er ist ehrlich mit uns.«

»Abermals Unsinn! Was Du Ehrlichkeit nennst, das ist nichts als Dummheit. Wäre die Verlobung zu stande gekommen, so hätte ich gewartet, ehe ich ihm den Strick um den Hals zuziehe. Da er sich aber von der Gisela hat verleiten lassen, ihr einen Aufschub zu geben, so ist ab. Wir zwingen ihn.«

»So kann ich allerdings mich sputen, sonst bringen unsere Kerls die echten Packete anstatt der falschen.«

»In einer halben Stunde bist Du dort. Es ist noch reichlich Zeit,«

»Aber wenn er es merkt?«

»Fällt ihm nicht ein. Er hat in letzter Zeit niemals ein Packet geöffnet.«

»Heut aber könnte er es doch thun, weil es sich um eine solche Summe handelt.«

»Laß mich nur sorgen. Ich werde ihn so beschäftigen, daß er gar nicht Zeit findet, eines aufzumachen.«

»So kann er morgen auf diesen Gedanken kommen.«

»Auch nicht. Am Tage geht das nicht, sonst würde sein Gesinde merken, was es mit dem alten Backofen für eine Bewandtniß hat. Und nach Anbruch der Dunkelheit werden die Waaren bereits abgeholt.«

»Wollen wünschen, daß es glückt. Wir machen ein famoses Geschäft dabei. Er bekommt Lumpen und altes Papier, während wir die theuren Spitzen und Seidenstoffe für uns behalten. Dafür giebt er einen Wechsel über fünfzehntausend Gulden! Hahaha!«

»Der Kaufmann drüben, jenseits der Grenze, wird sich wundern, wenn er alte Lumpen und Makulaturpapier bekommt, während ihm solche Kostbarkeiten avisirt sind. Na, Kery trägt die Kosten. Wir liefern ihm scheinbar gute Waare. Liefert er Lumpen ab, so ist der Tausch in seinem Hause vorgefallen, und er hat den Schaden zu tragen. So, jetzt bist Du fertig. Wollen anspannen.«

Ludwig hatte grad noch Zeit, unter einen Baum zu schlüpfen. Da kamen die Beiden heraus. Jeder ein Pferd führend. Die Thiere wurden vor den Wagen befestigt; der junge Osec stieg auf und fuhr davon; der Alte begab sich in das Haus zurück, um den Kerybauer aufzusuchen und bei ihm die Rückkunft seines Sohnes abzuwarten.

Als er oben in die Stube trat, war der Bauer mit seiner Tochter noch gar nicht etwa im Reinen.

»Also den Osec willst Du nicht?«

»Auf keinen Fall,« antwortete sie, trotzdem der Vater des Genannten so eben in die Stube kam und also ihre Antwort hörte.

»So enterbe ich Dich!«

»Das schadet nichts. Ich kann arbeiten.«

»Und jage Dich gleich morgen schon aus dem Hause!«

»Das ist mir lieb. So gehe ich mit dem Ludwig fort. Wir heirathen und werden schon ein Unterkommen finden.«

Der Bauer stampfte zornig mit dem Fuße.

»Mädchen, nimm Dich in Acht. Bis jetzt habe in lauter Liebe mit Dir gesprochen. Ich kann aber auch einen andern Ton anschlagen. Du kennst mich noch nicht!«

»Wenn das Liebe ist, was ich bis jetzt von Dir gehört habe, so möchte ich Dich einmal zornig sehen.«

»Spottest Du etwa?«

»Fällt mir nicht ein.«

Er wendete sich rathlos zu seiner Frau. Ja, er war fürchterlich zornig: aber größer noch als sein Zorn war sein Erstaunen über die Umwandlung, welche so ganz plötzlich mit seiner Tochter vorgegangen war.

»Sage mir nur, was mit dem Mädchen ist!« rief er aus.

»Weiß ichs? Ich kanns nicht sagen,« antwortete die Bäuerin.

Sie hätte am Liebsten weinen mögen, aber sie wußte, daß ihr Mann keine Thränen sehen konnte. Er wurde durch dieselben nur noch zorniger gemacht.

»Sie ist ja ganz und gar umgewandelt!«

»Ich bin nicht schuld daran!«

»Etwa ich?«

»Zankt Euch nicht,« fiel Osec ein, indem er sich niedersetzte und zum Weinglase griff, welches noch gefüllt auf seinem Platze stand. »Ich weiß, wer schuld ist.«

»Nun, wer?«

»Dieser außerordentlich gute und treue Ludwig, den Du immer für ein Muster von einem Knechte gehalten hast.«

»Ja, sie hat sich in ihn vergafft.«

»Und das hätte sie nicht gethan, wenn er ihr nicht den Kopf verdreht hätte. Wer weiß, was Alles da geschehen ist.«

»Ich soll nur etwas Derartiges erfahren.«

»Erst war die Gisela wie ein kleines Kind. Sie ist Euch gehorsam und unterthänig gewesen und hat niemals einen Widerspruch gehabt. Das hat mir so gut gefallen, daß ich mich wirklich gefreut habe, sie einmal meine Schwiegertochter heißen zu können. Und nun? Wie ists geworden? Heut kommen wir zur Verlobung, und wir müssen mit langen Nasen abziehen. Das hat man noch nie erlebt.«

»Denkst Du, ich sehe das gern!« grollte Kery.

»Zum Donnerwetter, so leide es doch nicht!«

»Was soll ich machen?«

»Dreinschlagen, mit allen Fäusten dreinschlagen. Ich sollte an Deiner Stelle sein. Da sollten die Fetzen fliegen.«

»Es handelt sich doch nur um einen kurzen Aufschub!«

»Laß Dir nichts weiß machen. Das kenne ich besser. Aus diesem kurzen Aufschub wird ein langer, und endlich wird aus der ganzen Sache nichts. Hast Du das denn nicht schon bemerkt? Erst hatte sie keinen Geliebten und wollte in das Kloster. Jetzt will sie nicht in's Kloster, weil sie einen Geliebten hat. Und diese Geschichte ist bereits so weit gediehen, daß der Ludwig es wagt, Dir Gesetze vorzuschreiben und auch uns zu drohen.«

Bisher war Gisela zur Rede Osecs still gewesen; nun aber fiel sie ein:

»Er wird wohl auch Ursache dazu haben!«

»Meinst Du?« lachte er höhnisch.

»Ja.«

»Hat er es Dir gesagt?«

»Nein. Er ist keine Klatschbase.«

»Pah! Er weiß nichts und spricht nur so, um uns zu ärgern.«

»Dazu hat er den Character nicht. Was dera Ludwig sagt, das ist wahr. Und wenn er von Schmugglern und Paschern redet, so kann er jedenfalls seine Worte beweisen.«

»Er mag es versuchen. Uebrigens werde ich ihn wegen Beleidigung verklagen, und es soll ihm schwer werden, sich heraus zu beißen.«

»Das wird ihm keine große Mühe machen. Und selbst wenn es ihm schwer fiele, würde ich ihm dabei behilflich sein.«

»Alle Teufel! Was fällt Dir ein! Willst Du ihm etwa Recht geben mit seinen Schmugglern?«

»Ja.«

»Willst Du damit sagen, daß Du auch so Etwas weißt?«

»Ja, das will ich.«

Seine Augen waren mit scharfem, stechendem Blicke auf sie gerichtet.

»Nun, was weißt Du denn?« fragte er.

»Das brauche ich nicht zu sagen.«

»Oho! Weil Du nichts weißt.«

»Nichts? Ist das nichts, was da hinten am alten Backofen geschieht?«

»Donnerwetter! Sollte man es denken! Am alten Backofen! Was geschieht denn dort?«

»Das wißt Ihr ebenso gut wie ich.«

»Hm, hm! Sonderbar, sonderbar! Jetzt nun weiß ich, woher der Ludwig seine Klugheit hat. Von Der da, von der Gisela! Die ists, die ihm ihre Träumereien für Wahrheiten aufgebunden hat. Jetzt bist Du nun klar über Das, was der Ludwig Dir anhaben kann, alter Kery. Ist das nicht lächerlich?«

Dem Kerybauer war es keineswegs lächerlich. Er stieg mit langen Schritten im Zimmer auf und ab. Er preßte die Lippen zusammen; er biß die Zähne auf einander. Es kämpften verschiedene Gefühle in seinem Innern gegen einander.

Er hatte seine Tochter lieb. Das fühlte er recht deutlich, heut, wo sie durch ihr Auftreten bewies, daß sie wirklich seine Tochter sei! Die Ansichten, welche er vom Leben hatte, waren beschränkt. Geld, Geld und immer wieder Geld, weiter war nichts zum Glücke eines Menschen erforderlich.

»Bist Du denn dem Ludwig gar so gut?« fragte er sie.

»Von ganzem Herzen, Vater,« antwortete sie offen.

»Aber er ist ein Lump!«

»Wen nennst Du einen Lump?«

»Wer nichts hat.«

»So ist er keiner.«

»Ach! Was hat er denn?«

»Gesundheit, Verstand, Fleiß, ein gutes Herz, eine reine Ehre und – mich. Ist das nicht genug, Vater?«

»Dummheiten sinds, die Du da vorbringst!«

»Ich halte es für keine Dummheiten.«

»Hat er denn Geld?«

»Nein.«

»So hat er eben nichts, gar nichts. Schau Dir dagegen den Osec an. Der ist reich, steinreich. Der kann Dir jeden Wunsch am Auge ablesen.«

»Nein, Vater, das kann er nicht.«

»Mache Dich nicht lächerlich!«

»Für die Wünsche, die ich habe, hätte der Osec gar kein Verständniß. Meine besten Herzenswünsche können nicht mit Geld erfüllt werden. Nimm dem Osec sein Geld, was bleibt dann noch übrig?«

Er war frappirt von dieser Frage.

»Sein Geld kann man ihm nicht nehmen,« antwortete er, so indirect zugebend, daß gar nichts übrig bliebe.

»So? Wie viele Millionen hat er denn?«

»Dummheit! Wer spricht von Millionen!«

»Ich! Es ist gar mancher Millionär schon ein Bettler geworden. Osec hat ein paar Tausende. Was ist das? Wird er arm, so bleibt nur der Haß und die Verachtung. Ludwig ist arm; er kann wohlhabend werden. Was für ein anderer Mann würde er dann sein als Osec!«

Kery war keineswegs gegen Verstandesgründe verschlossen. Er mußte im Stillen seiner Tochter Recht geben, ließ sich dies aber nicht merken. Da trat sie ganz an ihn heran und fragte:

»Sage mir einmal, Vater, wenn Ludwig grad eben so reich wäre wie Osec, welcher von Beiden wäre Dir als Schwiegersohn lieber.«

Er zog die Brauen finster zusammen. Er fühlte sich überwunden, glänzend besiegt. Aber er machte es wie die Franzosen, welche stets Sieger sind. Wenn sie eine Schlacht verlieren, so telegraphiren sie einen großen Sieg nach Paris. So machte es auch der Kerybauer. Er antwortete:

»Frag nach gescheidteren Sachen. Natürlich wäre mir der Osec zehnmal lieber.«

»Das ist nicht wahr.«

»Oho!«

»Nein. So dumm bist Du nicht. Und wenn ich so dumm wäre, so könntest Du wohl nicht stolz auf mich sein.«

Der alte Osec sah gar wohl, daß die Worte und Vorstellungen der Tochter nicht ganz ohne Eindruck auf den Vater blieben. Dem mußte er entgegenarbeiten. Darum trank er sein Glas aus, stand auf und sagte:

»Ich begreife Euch nicht, Ihr Leute. Ich werde auf das Heftigste beleidigt, indem ich dabeisitze. Anderswo macht man wenigstens erst dann die Leute schlecht, wenn sie abwesend sind. Ich bin gar nicht etwa hergekommen, um so Etwas anzuhören. Ich kann ja gehen. Es giebt noch Orte, an denen man froh ist, wenn ich komme.«

Er griff nach seinem Hute.

»Was fällt Dir ein!« rief Kery, ihm den Hut schnell wieder aus der Hand nehmend.

»Was mir einfällt? Giebst auch Du mir etwa Unrecht?«

»Nein, ganz und gar nicht.«

»Warum duldest Du es dann, daß man mich in dieser Weise beleidigt?«

»Das darf Dich nicht beleidigen.«

»Donnerwetter! Wenn man meinen Sohn schlecht macht, in dieser Weise von ihm redet, ihn mit einem Knecht vergleicht, der besser sein soll, als er – ist das etwa nicht beleidigend für mich?«

»So streng darfst Du es nicht nehmen. Du weißt ja, wie die Frauen sind.«

»Ja, das weiß ich; sie haben lange Haare und kurzen Verstand. Man darf sie nur nicht zu üppig werden lassen. Meine Frau muß in Gegenwart Anderer stets still sein. Wenn Du Deinem Mädchen aber erlaubst, in meiner Gegenwart zu reden, wie es ihr gefällt, nun so kann ich mich nur dadurch vor ihren Ungereimtheiten retten, daß ich mich entferne.«

Er drängte, trotzdem er den Hut nicht mehr in der Hand hatte, nach der Thür zu. Kery warf Gisela einen zornigen Blick zu und rief:

»Das hat man davon, wenn man ein zu guter und nachsichtiger Vater ist. Da werden Einem die besten Freunde entfremdet. Räumt hier und unten auf, und scheert Euch nachher in's Bette! Ich habe den Aerger satt. Komm, Osec, wir gehen hinab in die Niederstube.«

Indessen war Ludwig, als der junge Osec fortgefahren war, nach dem Holzschuppen zurückgekehrt. Er fand dort auf den Stufen seine Schnur noch ganz genau so, wie er sie hingelegt hatte. Das war das sichere Zeichen, daß die beiden Slowaken noch nicht angekommen waren. Er steckte also die Schnur wieder ein und stieg die Treppe empor.

Ein starker Duft drang ihm entgegen. Das Heu war bis hoch an das Dach aufgespeichert. Da er täglich einige Male hier, oben war, fand er leicht eine Stelle, an welcher er im Dunkeln nicht bemerkt werden konnte und von welcher aus es ihm möglich war, ohne Geräusch den Rückzug anzutreten. Dort legte er sich nieder.

Es war bereits über elf Uhr geworden, und die Slowaken mußten also bald eintreffen, wenn sie überhaupt eintreffen wollten. Und richtig, er lag noch kaum fünf Minuten, so hörte er Schritte, welche aus dem Hofe unten in den Schuppen traten. Dann polterten schwere Stiefel stolpernd die Treppe herauf.

»Donnerwetter, mach doch leise!« sagte eine unterdrückte aber doch deutlich hörbare Stimme.

»Ich trete, trete doch leise auf!« stammelte der Andere, dem man es anhörte, daß er betrunken war.

»Das bemerke ich nicht. Es darf doch hier Niemand missen, daß wir da sind. Leise, leise, viel leiser!«

Der Betrunkene war von einer Stufe abgerutscht.

»Ich bin – bin ja leise,« sagte er. »Es war hier eine Stufe – Stufe zu viel.«

»Du hast eine zu viel im Kopfe. Na, bist Du oben?«

Der Betrunkene stieg nämlich voran.

»Ja, ich bin – bin oben. O, Donner – donnerwetter!«

Er hatte nämlich geglaubt, bereits oben zu sein, sich aber geirrt. Es gab noch eine Stufe zu ersteigen. Er wollte aber gradaus gehen und stürzte in Folge dessen zum Eingange herein.

»Sapperment! Was war es denn?« fragte der Andere.

»Wieder eine – eine Stufe zu viel!«

»Wie viele sind denn zu viel? Wo bist Du? Ich fühle Dich doch gar nicht!«

»Hier bin ich, hier. Im Schnee – Schnee sitze ich da.«

»Schnee! Sollte man so etwas denken! Hält er das Heu für Schnee! Nein, so besoffen ist er noch nie gewesen. Wo sitzest Du denn eigentlich?«

»Hier, hier, rechts von Dir – Dir!«

Der Andere bückte sich und griff nach ihm.

»Das ist doch nicht rechts, sondern links. Und Du sitzest ja gar nicht.«

»Ich sitze – sitze fest.«

»Nein. Du liegst auf dem Bauche und streckst alle Viere kerzengerade von Dir. Steh auf. Hier am Eingange können wir nicht bleiben. Wir müssen weiter nach hinten.«

»Hinten? Ich bleib – bleib hier! Hier ists fein – fein.«

»Unsinn! Wenn zufällig ein Knecht kommt, der zu Tanze gewesen ist und hier schlafen will, weil er nicht mehr in's Haus kann, so erwischt er Dich.«

»Nein, sondern ich ihn – ihn!«

»Rede nicht, sondern komm!«

»Ich bleib!«

»So setze Dich wenigstens aufrecht.«

»Ich sitz – sitz ja schon!« behauptete er, obgleich er noch genau so wie vorher auf dem Bauche lag.

Sein Kamerad sah, daß heut mit ihm nichts zu machen sei, und ließ ihn liegen. Es wurde nicht gesprochen. Ludwig hatte bemerkt, daß sie ihre Blechwaaren nicht bei sich hatten. Wo mochten dieselben versteckt worden sein?

Nach einiger Zeit begann der Betrunkene zu röcheln und zu schnarchen.

»Himmeldonnerwetter!« fluchte der Andere. »Der Kerl schnarcht, daß man es drei Stunden weit hört! Wenn ich ihn nicht wecke, kommt das ganze Gesinde gelaufen. Usko! Usko!«

»Wa-a-as?« brummte der Slowak.

»Schnarche nicht so!«

»Ich? Ich schna-narche nicht!«

»Freilich schnarchst Du! Und wie!«

»Nein, ich bin es nicht – nicht!«

»Wer denn?«

»Usko ists. Usko schna-narcht.«

»Na, der Usko bist doch eben Du!«

»Nein. Ich bin Bar-Barko, der Zigeuner.«

Der Andere, Zerno geheißen, ließ ein leises Pfeifen hören, ganz wie Einer, welcher in der Ueberraschung die Lippen spitzt und den bekannten Pfiff ausstößt.

»Barko also bist Du?« fragte er.

»Ja. Barko schna-na-narcht niemals.«

»Dein Bruder ist Jeschko?«

»Jeschko ist mein Bru-ru-ruder. Der schna-na-narcht auch.«

Wieder war es eine kleine Weile still. Ludwig wußte nicht, wer Barko war. Er wußte nur von heut Mittag her, wo er sie in der Zigelei belauscht hatte, daß Jeschko, der Zigeuner, als Tausendkünstler nach Hohenwald gekommen sei und in irgend einer Beziehung zu dem Silberbauer und dem Thalmüller stehen müsse. Dennoch aber hatte er das Gefühl, daß das Gespräch, welches er jetzt hörte, von größter Wichtigkeit sei, wenn auch nicht für ihn, so doch für Andre. Er war daher außerordentlich gespannt auf den Fortgang desselben.

Wieder begann der Betrunkene zu schnarchen. Es klang, als ob eine starke Säge auf einen Spahn stößt.

»Usko! Usko!« rief der Andre.

Er erhielt keine Antwort; darum wendete er den anderen Namen an:

»Barko! Hörst Du mich?«

»Ja – ja,« grunzte der Gefragte. »Bist Du es – Du, Jeschko?«

»Ja,« log der Andere, welcher sicherlich auch sehr begierig war, das Geheimniß seines Gefährten zu erhorchen.

»Wo ist das Kind – Kind?«

»Ich weiß es nicht.«

»Deine Frau – Frau hat mir es wieder gestoh-stoh-stohlen.«

»Das ist nicht wahr. Meiner Frau fällt es gar nicht ein, ein Kind zu stehlen!«

»Ich ha-ha-hab es gesehen – sehen!«

Beim Sprechen überkam ihm, wie es bei Betrunkenen oft der Fall zu sein pflegt, der Schlucken. Darum wiederholte er oft ein Wort seiner Rede.

»Wann denn?« fragte Zerno.

»Ge-ge-gestern.«

Es war klar, daß er sich in seinem Rausche über viele Jahre hinweg in seine Vergangenheit zurückversetzt glaubte.

Er sprach nicht weiter, und auch der Andre schwieg. Dieser Letztere mochte sich überlegen, wie er weiter zu fragen habe. Da aber begann Usko selbst:

»Hast Du – Du die Messer mit?«

»Ja.«

»Auch die Fli-li-linte?«

»Auch diese.«

»Gut. Es gilt dem Lu-lu-ludwig. Er ist rei-rei-reich, steinreich.«

Der Knecht wäre beinahe erschrocken. Es war von Messern und einer Flinte die Rede, und er hieß ja Ludwig. Doch konnte ja von ihm gar nicht die Rede sein, da die Beiden von seiner Anwesenheit nichts wußten.

Aber nun war es die Frage, wer dieser Ludwig sei, dem es gelten sollte. War von einem Ueberfalle, von einem Morde die Rede? War ganz derselbe gemeint, von welchem sie bereits in der Ziegelhütte gesprochen hatten.

»Rede nicht davon!« sagte Zerno. »Lieber von etwas Anderem!«

Der Betrunkene verstand ihn falsch, denn er antwortete:

»Der An-Andere? Das ist der Thalmü-mü-müller. Er hat den Fe-fe-fex.«

»Fex? Der Thalmüller hat den Fex? Was ist das, der Fex? Eine Krankheit?«

»Nein, sondern der junge Ba-baron.«

»Du träumst wohl!«

»Träumen? Nein. Gieb mir Schna-naps!«

»Ja, ja, der fehlt Dir gerade noch. Der Verstand ist Dir schon zum Teufel gegangen.«

»Teu-teu-teufel! Ja, der Teufel hat ihn geho-ho-holt!«

»Wen?«

»Den Ba-barko.«

»Der bist doch Du.«

»Ni-ni-nicht mehr. Jetzt heiße ich Usko – Usko!«

»Ach so! Still! Ich höre Etwas.«

Es hatte sich unten ein Geräusch vernehmen lassen. Leise Schritte kamen die Treppe herauf.

»Usko!« erklang die Stimme des Kerybauers.

»Der kann nicht antworten,« sagte Zerno.

»Ach Du, Zerno. Was ist denn mit ihm?«

»Besoffen ist er wie ein Thier.«

»Donnerwetter! Kann er nicht damit warten, bis er Zeit dazu hat?«

»Ich habe ihn gewarnt.«

»Die Waare wird gleich kommen. Weil Usko nicht kann, wirst Du doppelt zugreifen müssen.«

»Ist weiter Niemand hier?«

»Nein. Die anderen Träger sind erst für morgen Abend bestimmt.«

»Ists schon ausgemacht, wie Alles wird?«

»Es mußte Einiges geändert werden. Ich erkläre Euch alles morgen früh. Es geht diesmal über den Föhrenbusch.«

»Ist das nicht zu gefährlich?«

»Nein. Warum sollte es gefährlich sein?«

»Weil in neuerer Zeit dort Holz geschlagen worden ist. Das steht nun in Klaftern, und man kann leicht gesehen werden.«

»Da bin ich ganz anderer Meinung. Grad die Holzstöße sind von großem Vortheile. Man kann sich hinter denselben besser verbergen, als hinter einem dünnen Baume. Es ist verteufelt ärgerlich, daß der Usko betrunken ist. Ich hatte einen Auftrag für ihn.«

»Kann ich ihn nicht übernehmen?«

»Auch. Kennst Du meine Knechte alle?«

»Alle, am Besten aber den Oberknecht.«

»Das ist der Ludwig. Ihn betrifft dieser Auftrag. Triffst Du ihn öfters?«

»Nur ganz wenig.«

»Seid Ihr etwa Freunde?«

»Ganz das Gegentheil.«

»Das ist mir lieb, denn die Sache ist nicht sehr vorteilhaft für ihn. Ich habe ihn nämlich fortgejagt.«

»Sapperment! Warum?«

»Weil er mich bestohlen und betrogen hat.«

»Der? Dieser scheinheilige Spitzbube. Da hat man es: Diejenigen, welche die ehrlichsten Gesichter schneiden, sind die gefährlichsten Spitzbuben. Was hat er denn gemaust?«

»Verschiedenes. Geld und Goldsachen.«

»Der muß angezeigt werden. Welche Freude hätte ich, wenn er ins Gefängniß käme!«

»Ich will es nicht thun. Ich will es ihm vergeben, seiner armen Mutter wegen. Ich habe ihm sogar aus lauter überflüssiger Güte erlaubt, noch diese Nacht bei mir zu schlafen, weil seine Mutter auf Besuch bei ihm war.«

»Das ist der Kerl doch gar nicht werth!«

»Allerdings. Aber was kann man dafür, daß man ein gutes Herze hat. Aber seinen Lohn soll er doch bekommen, wenn auch auf andere Weise. Und dazu sollst Du mit beitragen.«

»Vom Herzen gern! Wenn ich diesem Kerl Eins anhängen kann, so lasse ich mich recht gern sogar des Nachts aus dem schönsten Schlafe wecken.«

»Gut. Ich sehe, daß ich mich auf Dich verlassen kann. Er soll nämlich für einen Schmuggler gehalten werden.«

»Ist denn das fertig zu bringen?«

»Sogar ganz leicht.«

»Und ich soll es machen?«

»Ja.«

»So habe ich wirklich keine Ahnung, wie es angefangen werden muß.«

»Nichts leichter als das. Du hast einfach nur ein Briefchen auf den Weg zu legen, so, daß es genau aussieht, als ob Einer das Papier verloren habe.«

»Hm! Das wäre ja leicht genug. Und das soll die gewünschte Wirkung hervorbringen?«

»Ganz gewiß. Du weißt es ebenso gut, daß die Grenzbeamten jetzt ihre Augen verteufelt offen halten. Man muß Alles versuchen, sie zu täuschen. Der Brief, von dem ich rede, soll zwei Fliegen mit einem Schlage treffen. Er soll uns die Grenzer vom Halse schaffen und zugleich den Ludwig in den Verdacht bringen.«

»Darf ich den Inhalt wissen?«

»Natürlich. Er wird so abgefaßt, als ob er von einem hiesigen Pascherkaufmanne an einen jenseitigen geschickt worden sei. Es wird dem Letzteren gemeldet, er solle sich darauf einrichten, daß heut Nachts ein Uhr zwanzig Träger mit Spitzen und Seide durch das Hainholz die Grenze passiren würden.«

»Hm! Ich beginne, zu begreifen. Die Grenzbeamten werden in Folge dessen das Hainholz besetzen; wir aber gehen über den Föhrenbusch.«

»So ist es.«

»Dazu ist es aber nothwendig, den Beamten den Brief in die Hände zu spielen.«

»Der Ludwig wird ihn besorgen.«

»Der? Freiwillig etwa?«

»Sogar sehr freiwillig.«

»Das glaube ich nicht.«

»Und ich bin überzeugt davon. Ich habe eine alte Brieftasche; in diese wird der Brief gesteckt, nachdem er ganz fehlerhaft zugemacht worden, ist, so daß man leicht zu dem Inhalte kann. Der Ludwig wird in der Frühe mit seiner Mutter heim nach Oberdorf gehen. Du gehst ihm voraus und legst ihm an einer dazu passenden Stelle die Tasche hin; aber er darf Dich ja nicht erblickt haben.«

»Sapperlot, der Plan ist ausgezeichnet!«

»Nicht wahr?«

»Ja. Er wird die Brieftasche finden und aufmachen.«

»Nachher den Brief auch, weil dieser keine Adresse hat und das Couvert so lose zusammengemacht ist, daß es bei der ersten Berührung auseinander geht. Er liest den Brief und wird nichts Eiligeres zu thun haben, als ihn der Behörde zu übergeben.«

»Aber das schadet ihm doch nichts!«

»Nein, das nicht.«

»Wie soll er für einen Pascher gehalten werden?«

»Dadurch: Kurze Zeit später, nachdem er seinen Brief abgegeben hat, gelangt ein anderer an die Behörde, in welchem ungefähr Folgendes zu lesen ist:

›Der gewesene und aus dem Dienste gejagte Knecht Ludwig Held ist einer der gewandtesten Paschgänger der ganzen Grenze. Er wird heute Ihren Beamten Sand in die Augen zu streuen versuchen, indem er einen selbst verfertigten Brief vorzeigt, von welchem er angeben will, ihn gefunden zu haben. In demselben steht, daß ein bedeutender Pascherzug heute Nachts ein Uhr durch das Hainholz gehen werde. Während nun die Grenzwache nach diesem Punkte gezogen wird, geht der Pascherzug an einem weit südlicher gelegenen Orte über die Grenze. Also, hüten Sie sich!‹«

»Und die Unterschrift?«

»Gar keine oder eine fingirte natürlich.«

»Aber die Sache hat einen höchst bedenklichen Haken.«

»Ich wüßte nicht, welchen.«

»Die gleiche Handschrift der beiden Briefe.«

»Darum sorge Du Dich nur nicht. Jeder der beiden Briefe wird von einem Anderen geschrieben. So gescheidt sind wir auch, um da unsere Maßregeln zu treffen. Also willst Du die Sache übernehmen?«

»Wenn sie einen Verdienst abwirft, ja.«

»Ihr seid doch Hallunken! Keiner will einen Schritt umsonst thun.«

»Umsonst ist nicht einmal der Tod, denn auch da sind die Begräbniskosten zu bezahlen.«

»Du sollst den Weg bezahlt bekommen, mußt Dich aber früh aufmachen, denn ich weiß nicht, wann der Knecht aufbrechen wird. Dann postirst Du Dich an einen Ort, von welchem aus Du den Ludwig kommen siehst, ohne selbst von ihm bemerkt werden zu können. Du mußt genau aufpassen, ob er die Brieftasche findet und das Schreiben öffnet. An dem Ausdrucke seines Gesichtes kann ein gescheidter Kerl erkennen –«

»Na, ich rechne mich nicht zu den Dummköpfen. Oder bin ich einer?«

»Ich halte Dich für ziemlich durchtrieben. Also aus seinem Gesichtsausdrucke wirst Du zu erkennen vermögen, was er denkt und ob er den Brief abgeben wird.«

»Werde schon aufpassen.«

»Das hoffe ich. Den Brief bringe ich Dir nachher hinüber. Diese Angelegenheit ist also beendet. Jetzt kannst Du herabkommen. Ich habe den Wagen gehört. Bekümmere Dich aber vorher einmal um Usko!«

Der Slowak rüttelte seinen Kameraden. Dieser aber war jetzt so fest im Schlafe, daß er ohne besondere Anstrengung nicht zu erwecken war.

Die Beiden entfernten sich.

Ludwig hatte den Bauer für keinen Engel gehalten, aber daß er eines solchen Planes fähig sei, das hatte er niemals gedacht. Vielleicht war dieser Anschlag dem Kopfe des alten Osec entsprungen. Welch ein Glück, daß Ludwig Ohrenzeuge dieses Gespräches gewesen war!

Er hatte hier oben genug gehört und zog es vor, anstatt die Rückkehr Zerno's zu erwarten, sich lieber nach der Küche zu schleichen. Darum näherte er sich vorsichtig, um nicht an den Betrunkenen zu stoßen, dem Eingange und stieg dann leise die Treppe hinab.

Als er aus dem Schuppen herauskam, begab er sich nicht sogleich nach dem Wohngebäude, sondern er huschte vorher um eine Ecke, um einen Blick nach der Gegend des alten Backofens zu werfen.

Er wäre sehr gern näher gegangen, allein er befürchtete, bemerkt zu werden. Etwas Deutliches war ja nicht zu beobachten. Dazu wäre eine Annäherung nöthig gewesen, die ihn in die größte Gefahr gebracht hätte. Es genügte ihm, zu bemerken, daß dort Menschen sich leisen Schrittes bewegten, und nun gab er sich zufrieden.

Jetzt schritt er nach dem Wohnhause, dessen Hinterthür offen stand. Unter der letzten Treppenstufe lag, wie er mit Gisela verabredet hatte, der Schlüssel zur Küche. Es war ein gefährliches Unternehmen. Wie leicht konnte gerade im betreffenden Augenblicke Kery oder Osec aus der Wohnstube treten! Aber es war kein Laut zu hören. Vielleicht befand sich jetzt gar Niemand darin.

Er schloß leise auf, trat hinein und riegelte sodann von innen zu.

Das Fensterchen, welches nach der Stube führte, war erhellt und geöffnet. Es brannte eine Petroleumlampe drinnen auf dem Tische. Vorhanden war kein Mensch. Aber Schreibpapier lag auf dem Tische und Tinte und Federn befanden sich dabei.

Er setzte sich auf einen niedrigen Schemel, um das Kommende zu erwarten. Erst nach längerer Zeit nahten sich Schritte. Der Kerybauer trat mit den beiden Osec's in die Stube. Der jüngere Osec war wieder zurückgekehrt, nachdem er den Umtausch der echten Packete mit den gefälschten bewirkt hatte. Sie setzten sich an den Tisch.

»Also sind wir wieder einmal fertig,« sagte der alte Osec mit einem Seufzer der Erleichterung. »Es ist doch allemal eine strenge Arbeit.«

»Schwerer noch ists, die Packte über die Grenze zu schleppen,« meinte Kery. »Ich möchte es nicht versuchen.«

»Hasts auch gar nicht nöthig. Hoffentlich gelingt Dir es dieses Mal ebenso wie immer.«

»Ich habe keine Sorge.«

»Mache es nur so mit dem Briefe und Deinem Ludwig, wie ich Dir gerathen habe, so kann es gar nicht fehlgehen.«

»Ist schon besorgt. Der Zerno legt den Brief auf den Weg und der Knecht wird ihn dann sicherlich finden.«

»Wenn er ihn dann abgiebt und Dein Brief kommt hinterher, so bist Du ihn für immer los, nicht nur als Knecht, sondern auch als Hochzeiter für Deine Tochter.«

»Ich hoffe es.«

»Da ist gar nichts nur zu hoffen, sondern es ist eine wirkliche Gewißheit. Denn wenn die Behörde einmal ein Mißtrauen auf einen Menschen geworfen hat, dann wird es schwer, sich aufrecht zu halten. Es kommen Belästigungen über Belästigungen, von denen er gar nicht weiß, woher sie stammen. Es wird ihm Alles schwer gemacht, ohne daß er es bemerkt, wie und warum. Kurz und gut, wenn der Ludwig in den Verdacht kommt, ein Pascher zu sein, so wird er auch sehr bald einer werden. Und dann ist es umgedreht so, wie er Dir gesagt hat: Du brauchst Deine Tochter einem Pascher nicht zu geben.«

»Eigentlich thut er mir wirklich leid.«

»Sei still! Das brauchst Du nicht immer und immer wieder zu sagen.«

»Er war fleißig, treu, still, sehr ordentlich und der Erste des Morgens und der Letzte des Abends bei der Arbeit. Jammerschade, daß er so ein armer Schlucker, ein solcher Habenichts ist.«

»So! Wenn er also Etwas hätte, so würdest Du ihm Deine Tochter wohl geben?«

»Hm. Darüber läßt sich jetzt nun nichts mehr sagen. Ich brauch einen Schwiegersohn, welcher Geld hat.«

»Das ist die einzig richtige Erkenntnis. An dieser halte fest, sonst kann es noch schief gehen mit dem steinreichen Kerybauer!«

Er betonte das Wort ›steinreich‹ mit einem so ironischen Nachdrucke, daß der Bauer ihn schnell fragte:

»Verfolgst Du mit dieser Drohung vielleicht eine Absicht?«

»Ja und nein. Eine klare Absicht habe ich heute noch nicht, denn wir sind ja Freunde; aber warnen will ich Dich hiermit.«

»Warum warnen?«

»Weil es sehr leicht kommen könnte, daß unsere Freundschaft eine Loch erhielt. Doch wollen wir das für später aufheben. Jetzt muß das Geschäft glatt gemacht werden. Hier ist, wie wir es stets gehalten haben, das Verzeichniß der Waaren, welche Du heute übernommen hast. Darunter setzest Du Deine Empfangsbescheinigung und Quittung.«

Er gab ihm einen eng beschriebenen Papierbogen hin. Kery nahm denselben in die Hand, las ihn aufmerksam durch und fragte dann:

»Es sind doch wirklich alle diese Gegenstände in den Packeten?«

»Hat jemals Etwas gefehlt?«

»Nein. Aber heute handelt es sich um fünfzehntausend Gulden; da möchte man recht sicher gehen.«

»Du kannst ja nachsehen!«

»Dazu war und ist keine Zeit, und wenn ich die Packete öffne, so verlieren sie ihr gutes Aussehen. Also will ich Euch vertrauen und den Zettel unterschreiben.«

Er schrieb unter das Verzeichnis:

»Diese sämmtlichen Handelsgegenstände vom Lieferanten richtig, voll und in gutem Zustande empfangen zu haben, bescheinigt hiermit Slowitz.
Georg Kery.«

Als er dann das Papier zurückgab, brachte Osec ein anderes zum Vorscheine. Es war ein Wechselformular.

»Und nun acceptirst Du diesen Wechsel. Das ist eine leichte Arbeit. Deinen Namen vorn quer herüber, so ist es gethan.«

»Das ist leicht, jawohl; aber das Einlösen und Zahlen ist schwerer.«

»Ich präsentire Dir das Papier nur erst dann, wenn Du bei Casse bist.«

Kery las die wenigen Zeilen.

»Ah, Du hast ihn nicht auf ein bestimmtes Datum, sondern auf Sicht gestellt? Warum das?«

»Eben nur aus Freundschaft und Rücksicht für Dich. Da kann ich Dir ihn eben präsentiren, wenn es Dir paßt. Stelle ich ihn aber auf einen gewissen Tag, so kann es möglich sein, daß Du an demselben gerade nicht bei Gelde bist.«

»Wenn Du das wirklich freundschaftlich handhabst, so ist es ja gut.«

»Daran brauchst Du nicht zu zweifeln. Uebrigens lauten auch alle die anderen Wechsel, welche ich von Dir in Händen habe, auf Sicht. Ich habe sie nie präsentirt und auch niemals einen Kreuzer Zins verlangt. Ist das Freundschaft oder nicht?«

Das Gesicht des Bauers nahm jetzt einen ganz anderen Ausdruck an. Er war bleich geworden; er sagte:

»Auf Zinsen könnt ihr leicht verzichten, denn Ihr habt das Geld auch leicht verdient – im Spiele.«

»Nun ja; aber wenn Du das Einem sagst, so glaubt er es Dir nicht. Ein Jeder wird es für eine Unwahrheit halten, daß der geizige Kerybauer solche Summen im Spiele verloren hat. Uebrigens bist Du uns ein sicherer Mann und es fällt uns gar nicht ein, Dich zu drängen. Das Spiel wendet sich oft rasch. Vielleicht hast Du in einem Vierteljahre uns Alles wieder abgewonnen. Also schreib!«

Kery griff abermals zur Feder und acceptirte den auf Sicht und fünfzehntausend Gulden lautenden Wechsel. Die beiden Osec's verfolgten die Bewegungen seiner Feder mit gierigen Blicken. Ein triumphirendes Lächeln glänzte in ihren Zügen, als er ihnen dann das verhängnißvolle Papier hingab. Jetzt gehörte das Kerygut ihnen. Er hatte seine letzten Fünfzehntausend für Packete hingegeben, welche nur Lumpen und Papier enthielten.

Der Alte steckte Empfangsbescheinigung und Wechsel zu sich, legte sich bequem im Stuhle zurecht und sagte:

»So, das Geschäft ist geordnet und nun können wir wieder von Familienangelegenheiten reden. Wie steht es also mit Deiner Tochter? Wird sie die Frau meines Sohnes?«

»Wenn es nach meinem Willen geht, ja.«

»Ist es denn möglich, daß es gegen Deinen Willen gehen kann?«

»Ihr wißt so gut wie ich, daß in der Welt Alles möglich ist. Kann ich sie zwingen, wenn sie nicht will?«

»Ja.«

»Wie denn? Etwa sie vor den Altar schleppen? Was würde die Behörde dazu sagen?«

»Das ist Deine Sache und nicht die unserige. Ich will ganz aufrichtig mit Dir sein. Ich pfeif eigentlich auf Deine Gisela. Sie hat nichts und mein Sohn kann unter den Reichsten des Landes wählen.«

»Was! Sie hätte nichts?« rief Kery.

»Ja, gar nichts hat sie!«

»Oho! Bin ich nicht Besitzer des Keryhofes!«

»Einstweilen! Aber streiten wir uns nicht über solche selbstverständliche Sachen! Also eigentlich bin ich ganz dagegen, daß mein Sohn Deine Tochter heirathen will. Es ist eine Mißheirath –«

»Donnerwetter!«

»Ruhig! Laß mich sprechen und dann kannst auch Du reden. Leider hat er sich so in sie vergafft, daß er meint, er könne ohne sie gar nicht leben. Darum will ich Rücksicht nehmen und meine Zustimmung geben. Dafür verlange ich aber auch, daß mir von Euch nichts in den Weg gelegt wird. Du hast der Gisela heute einen Aufschub gewährt. Ich bin nicht damit einverstanden, ich laß mich nicht auf die lange Bank strecken. Ich will Gewißheit haben, und zwar bald. Ich will nächste Mittwoch nach Tische wiederkommen, da sollst Du mir Bescheid sagen.«

»Das kann ich nicht. Ich habe der Gisela vierzehn Tage gewährt.«

»Aber ich gewähre Dir nur die Zeit von heute bis Mittwoch.«

»Bis dahin kann ich ihr keine anderen Gedanken beibringen.«

»So werde ich sie ihr beibringen!«

»Wieso?«

»Ich bin Dein Freund, wenn aber die Freundschaft so mit Füßen getreten wird, wie es von Deiner Tochter geschieht, so hört sie eben auf, Freundschaft zu sein, und verwandelt sich in das gerade Gegentheil. Sagt Deine Tochter zur nächsten Mittwoch nicht Ja, so zieht Ihr aus dem Hofe.«

Der Bauer fuhr kerzengerade aus seinem Stuhle auf.

»Ausziehen?« fragte er.

»Ja.«

»Wie meinst Du das? Meinen Hof soll ich verlassen?«

»Ja, das meine ich.«

»Niemals!«

»Nicht? Schau, was Du für ein Querkopf bist. Wie willst Du es denn anfangen, hier bleiben zu dürfen?«

»Wie ich es anfangen will? Gar nicht. Ich bleib eben sitzen. Es kann mir Niemand mein Eigenthum nehmen. Ich halte es fest bis zum Tode.«

»Auch wenn ich die Wechsel präsentire, die ich von Dir in den Händen habe?«

»Ja.«

»Kannst Du zahlen?«

»Ja.«

»Womit denn wohl? Hast Du etwa Geld daliegen?«

»Nein. Aber wenn Du wirklich so schlecht wärst, sogleich auf Einlösung der Papiere zu dringen, so würde ich eine Hypothek aufnehmen.«

Da lachte Osec laut auf und sein Sohn stimmte mit ein.

»Von wem willst Du denn diese Hypothek bekommen?«

»Von überall her. Der reiche Kerybauer bekommt geborgt, so viel er haben will.«

»Auch so viel, wie die Summe meiner Wechsel ist?«

»Allemal.«

»Du scheinst keine Ahnung zu haben, wie hoch diese Summe gestiegen ist. Hast Du Dir Alles aufgeschrieben?«

»Das Spielgeld nicht; das will ich wieder gewinnen.«

»Oder noch mehr dazu verlieren! Ich habe mir Alles ganz genau notirt, die Summe und das Datum. Hier steht es auf dem Zettel. Lies einmal nach! So viele Wechsel habe ich von Dir in meinen Händen, alle auf Sicht.«

Er gab ihm den Zettel hin. Als Kery zu lesen begann, wurde sein Gesicht todtesbleich und seine Nase zusehends spitz. Seine Hände zitterten, und als dann sein Blick auf die unten stehende Hauptsumme fiel, entglitt der Zettel seinen Händen. Er legte sich in die Lehne des Stuhles zurück und schloß die Augen.

Die beiden Osec's stießen sich triumphirend mit den Ellbogen. Sie warteten, bis er sprechen werde, vergebens.

»Kery!« rief nach einer Weile der Alte.

Er erhielt keine Antwort.

»Kery! Rede doch!«

Diese Aufforderung hatte ganz denselben Mißerfolg. Der Bauer rührte sich nicht. Da ergriff der Alte ihn an der Schulter und rüttelte ihn, aber auch vergebens.

»Sapperment,« meinte sein Sohn. »Ich glaube, der Schlag hat ihn getroffen!«

»Das wäre das Allerbeste. Er käme in den Sarg und seine Familie in das Armenhaus. Wir aber hätten den schönen Hof für uns.«

»Er bewegt sich wirklich nicht!«

Jetzt stand der Alte auf und strich dem Bauer über das Gesicht.

»Er ist todt, wirklich todt!« sagte er dann. »Wir haben gewonnen!«

»Wie immer. Es ist doch gut, wenn man mit den Karten richtig umzugehen versteht. Der Dummkopf hat es niemals bemerkt, daß wir ihn betrogen haben.«

»Weil wir ihn vorher immer betrunken machten. Wäre er nüchtern gewesen, so hätte er sich nicht betrügen lassen. Er ist ein gar schlauer Kerl gewesen.«

»Aber was thun wir jetzt?«

»Wir müssen die Leute wecken. Laufe doch einmal hinaus und wecke die Frau!«

»Magst Du das nicht lieber thun?«

»Fürchtest Du Dich etwa, sie zu erschrecken?«

»Ja.«

»Schwachkopf! So werde ich gehen,«

Er ging hinaus und traf da auf – Ludwig. Dieser war Zeuge des ganzen Vorganges gewesen und hatte, als der Alte sich anschickte, aus der Stube zu gehen, schnell die Küche verlassen. Er that, als ob er zur Treppe herabgekommen sei.

»Wer kommt da?« fragte der Alte, da es so finster im Flur war, daß er den Knecht nur hörte, aber nicht sah.

»Ich.«

»Wer denn?«

»Der Ludwig.«

»Was machst denn Du hier unten?«

»Frisches Wasser will ich holen für meine Muttern. Es ist ihr unwohl worden.«

»Komm schnell da herein! Da ist Einer, dem es noch viel unwohler geworden ist.«

»Wer ists?«

»Dein Herr.«

»Der geht mich nix mehr an.«

Er that, als ob er sich entfernen wolle.

»Kerl, bleib! Der Bauer ist todt!«

»Todt? Um Gottes willen! Ist das wahr?«

»Ja, der Schlag hat ihn gerührt.«

Jetzt ging der Knecht mit hinein. Er that natürlich außerordentlich erschrocken und ließ sich nicht merken, daß er Alles wisse.

»Wie ist denn das gekommen?« fragte er.

»Ganz plötzlich und unerwartet. Wir saßen so fröhlich und freundschaftlich beisammen und redeten über die Saaten, daß sie so schön stehen draußen. Da plötzlich legte er sich hintenüber, that einen Seufzer und war todt.«

Ludwig öffnete dem Bauer die Weste, knüpfte ihm die Halsbinde ab und griff ihm mit der Hand unter das Hemde nach der Herzgegend. Seine bang besorgten Züge erheiterten sich.

»Er ist nicht todt. Er lebt noch,« sagte er. »Er ist nur ohnmächtig gewest.«

»Gott sei Dank! Das war ein Schreck! Den mag ich im Leben nicht wieder mitmachen,« rief der Alte, »welcher soeben erst gesagt hatte, daß es das Beste sei, wenn den Bauer wirklich der Schlag getroffen habe.«

»Ja, er wird wohl bald aufwachen,« erklärte Ludwig. »Soll Jemand geweckt werden?«

»Jetzt nun nicht. Vielleicht ist keine Hilfe nothwendig.«

»So kann auch ich wieder gehen.«

Er verließ die Stube, that, als ob er vom Hofe her Wasser hole und es nach dem oberen Stockwerke trage, kehrte aber heimlich in die Küche zurück, deren Thür er wieder hinter sich verriegelte. Dazu hatte er aber wegen der dabei anzuwendenden Vorsicht eine ganz beträchtliche Zeit gebraucht, im Ganzen wohl über eine Viertelstunde, und so wunderte er sich gar nicht, als er von der Küche aus bemerkte, daß Kery indessen das Bewußtsein wieder erlangt hatte.

Die beiden Osecs hatten ihn nach dem Kanapee getragen, in dessen Ecke er nun saß. Sie waren mit einander überein gekommen, ihm von dem Erscheinen Ludwigs gar nichts zu sagen. Daß dieser Letztere im vollständigen Anzuge war, das hatten sie übersehen, sonst hätten sie sich wohl veranlaßt gefühlt, größere Vorsicht anzuwenden.

Kery vermochte bereits wieder mit ihnen zu reden. Er war noch leichenblaß, und seine Stimme klang eintönig. Als Ludwig zum Fenster trat, um in die Stube zu blicken, hörte er ihn eben sagen:

»Das war das erste Mal in meinem Leben, daß mich eine solche Schwäche überkommen ist. Gebt mir jetzt Ruhe, sonst könnte es wiederkehren und würde gefährlich sein. Aus der Ohnmacht könnte ein Schlaganfall werden.«

»Ja, wir wollen Dir Ruhe geben. Wir haben ja Zeit,« antwortete der Alte. »Wir setzen uns her und warten. In einer Viertelstunde wirst Du Dich wohl erholt haben.«

»So schnell geht das nicht.«

»Ja, länger brauchen wir doch nicht da zu bleiben. Wir wollen doch auch unsern Schlaf genießen!«

»So fahrt ab!«

»Und was giebst Du uns für eine Antwort?«

»Heut keine.«

»Aber zur Mittwoch will ich sie haben.«

»Da sollst Du sie bekommen.«

»So merke es Dir genau! Wenn die Gisela nicht Ja sagt, hast Du die Wechsel zu bezahlen. Schlaf wohl!«

Er bot ihm die Hand zum Abschiede. Kery zog schnell die seinige zurück, schüttelte den Kopf und sagte mit matter Stimme:

»Geh nur, geh! Eine Hand bekommst Du von mir niemals wieder Ich weiß nun, woran ich mit Euch bin.«

»So? Woran denn?«

»Ihr seid Gauner.«

»Donnerwetter! Sagst Du das etwa im Ernst? Zum Spaße taugt es nichts.«

»Es ist mein Ernst. Ich sehe jetzt Alles klar. Erst habt Ihr mir geschmeichelt, bis ich mit Euch zu spielen begann. Ich wurde ein leidenschaftlicher, heimlicher Spieler und verlor ohne Unterlaß bedeutende Summen. Ich wollte sie wiedergewinnen und verlor immer mehr dazu. Das Geld begann mir zu mangeln. Da verführtet Ihr mich zum Paschen. Ihr habt einen festen, schuftigen Plan verfolgt, und es ist Euch gelungen. Ihr könnt zur Mittwoch kommen. Meine Antwort sollt Ihr hören.«

»Schön! Was Du da Schlimmes von uns sagst, das wollen wir Dir vergeben, denn Einem, der ohnmächtig gewesen ist, dem muß man so Etwas verzeihen. Wenn Du weißt, woran Du mit uns bist, so wissen wir auch, wie wir mit Dir halten. Du bist vollständig fertig mit Deinem Vermögen und kannst Dich nur dadurch retten, daß mein Sohn Deine Tochter heirathet.«

»Oho! Fertig bin ich noch nicht!«

»So? Was hast Du dann noch?«

»Ihr seid über meinen Besitz fast noch besser unterrichtet als ich. Die Wechsel, welche Ihr von mir in den Händen habt, betragen genau den Werth meines Gutes und – – –«

»Ja,« unterbrach ihn der Alte lachend, »da haben wir immer genau nachgerechnet. Die Wechsel liegen daheim in meinem Pulte, und dieser neue kommt auch mit dazu. Dabei liegen auch alle Lieferscheine, die Du unterschrieben hast.«

»Warum habt Ihr diese aufgehoben?«

»Zum Beweise gegen Dich. Wenn Du etwa Etwas gegen uns unternehmen wolltest, so würden wir diese Lieferscheine dem Gericht übergeben.«

»Mein Himmel! Welch eine raffinirte Schlechtigkeit!«

»Nur Klugheit ist's, weiter nichts.«

»Aber diese Scheine können ja auch Euch mit schaden!«

»Niemals. Wir haben sie gefunden.«

»Oho! Ihr, grad Ihr habt mir ja Alles geliefert!«

»Wo sieht denn das? O, wir sind sehr vorsichtig gewesen. Eine jede Quittung lautet genau so wie die heutige. Es ist von einem Lieferanten die Rede, aber sein Name steht allemal darunter, und die Ueberschrift lautet bei jedem Scheine ›Ueber gelieferte Schmuggelwaren, abgegeben auf Gefahr des Empfängers.‹«

»Ich würde beschwören, daß Alles von Euch gewesen ist!«

»Du kämst gar nicht zum Schwure!«

»Wohl Ihr?«

»Ja.«

»Und Ihr würdet einen Meineid schwören?«

»Ja. Ein Meineid ist kein Beinbruch.«

Da stand der Bauer vom Sopha auf. Er schwankte.

»Herr, mein Gott, in welche Hände bin ich da gerathen!« sagte er. »Das ist Alles so teuflisch berechnet. Da giebt es weder Mitleid noch Erbarmen. Ich bin das Opfer und werde abgeschlachtet. Aber ganz todt bin ich doch noch nicht. Noch habe ich fünfzehntausend Gulden, und bevor die nicht verprozessirt sind, bekommt Ihr meinen Hof nicht.«

»Die hast Du noch? So! Das ist schön!« lachte der Alte hämisch. »Vielleicht werden sie eher alle, als Du denkst. Also, mach Dich gefaßt. Zur Mittwoch bin ich da.«

»Ich werde Dich erwarten.«

»Hast Du Etwas noch zu bemerken?«

»Nein.«

»Dann behüt Dich Gott!«

»Euch mag er auch behüten, nämlich vor ferneren Missethaten!«

Die Beiden gingen; sie konnten das Haus durch die offen stehende Hinterthür verlassen. Er begleitete sie nicht zu ihrem Wagen, welcher mit den beiden ausgesträngten Pferden seit der Rückkehr von Osec junior draußen auf der Straße am Gartenzaune hielt. Er stieß, als er ihre Schritte nicht mehr hörte, einen lauten, unartikulirten Schrei aus, warf sich auf das Sopha, wühlte mit beiden Fäusten in dem Polster desselben und fand keinen Trost und keine einzige erleichternde Thräne.

Ludwig hatte, als er bemerkte, daß die Osecs nun bald gehen würden, die Küche verlassen und den Schlüssel, nachdem er die Thür verschlossen hatte, wieder unter die Treppe gelegt.

Er war sodann in höchster Eile nach dem Pferdestalle gelaufen, um sich einen kurzen, festen Strick zu holen. Mit demselben ging er hinaus zum Rollwagen der Osecs und befestigte den Strick in Schlingenform an die hintere Wagenachse.

Warum und wozu that er das?

Es war ihm kein Wort der Unterhaltung entgangen. So hatte er auch gehört, daß der Alte sagte, er habe die Wechsel und Schmuggelquittungen zu Hause bei sich im Pulte liegen und werde auch den neuen, heutigen Wechsel dazu thun. Als er diese Worte vernahm, kam ihm ein Gedanke, kühn, ja verwegen, aber er nahm sich vor, ihn auszuführen, wenn es irgend möglich sei. Er wollte mit den Osecs heim zu ihnen. Er mußte zugleich mit ihnen dort eintreffen. In den Wagen konnte er sich nicht zu ihnen setzen, denn sie durften ja nicht wissen, daß er bei ihnen sei, und so befestigte er die Schlinge an die Achse. Wenn er mit den Füßen in dieselbe trat und sich mit den Händen oben am Wagen festhielt, so konnte er leicht mit ihnen fortkommen, ohne von ihnen bemerkt zu werden.

Als er diese einfache Vorbereitung getroffen hatte, legte er sich hart am Zaune hin auf den Erdboden, um die Osecs zu erwarten.

»Der Herrgott wird mir verzeihen, daß ich heut zum Spitzbuben und vielleicht gar zum Einbrecher werden will!« dachte er. »Ich nehme nur geraubtes Gut zurück und erlöse Unschuldige aus dem Elende. Der Kery könnte es nicht überleben, seinen Hof verlassen zu müssen. Er thut sich ganz sicher ein Leid an. Das muß verhütet werden!«

Er brauchte nicht lange zu warten, so kamen die Beiden.

»Donnerwetter, hat der Kerl ein zähes Leben!« sagte der Alte. »Ich freute mich bereits auf das Begräbniß. Da muß dieser verdammte Knecht kommen und uns die Freude zu Wasser machen! Wenn er den Bauer nicht Luft geschafft hätte, so wäre dieser sicherlich nicht wieder aufgewacht.«

»Ja, dieser verteufelte Ludwig muß doch überall seine Hand im Spiele haben!«

»Nun nicht mehr. Er hat ausgespielt ebenso wie sein Herr.«

»Wie der sich auf die Fünfzehntausend vertröstete!«

»Er wird sich wundern, wenn er hört, daß der Empfänger nichts bezahlt, weil er nur Lumpen erhalten hat. Dann wird er klein beigeben.«

»Er war bereits jetzt ganz sanft. Er that sogar fromm, was ihm früher niemals eingefallen ist. Na, die Stränge sind in Ordnung. Steig ein! Es kann fortgehen!«

Während die Beiden vorn aufstiegen, kroch der Knecht behend herbei, griff sich hinten an der Oberleiste fest und setzte die beiden Füße in die Schlinge. Er stand in der Letzteren ganz hübsch und sicher, so daß er seine Hände gar nicht sehr anzustrengen brauchte. Dann setzte sich der Wagen in Bewegung, erst langsam und dann in schnellen Trab.

Bis zu dem Dorfe, in welchem die Osecs wohnten, hatte man eine gute Stunde zu gehen. Zu Wagen gelangte man in einer halben hin, selbst jetzt bei Nacht, da der Weg ein guter und dem Geschirrführer wohl bekannt war.

Das Gut, welches die Beiden bewohnten, lag vor dem Dorfe. Ludwig kannte es genau, ebenso von innen wie von außen. Er war als Bote seines Herrn sehr oft da gewesen.

Am Thore angekommen, mußte der Wagen halten, bis es aufgeschlossen wurde. Diese Gelegenheit benutzte Ludwig, aus der Schlinge zu steigen und dieselbe von der Achse zu lösen. Dann schlich er sich fort, längs eines niedrigen Zaunes hin, welchen er an einer gewissen Stelle überstieg. Nach wenigen Schritten stand er an der hinteren Seite des Hauptgebäudes.

Dieses Letztere war im Gebirgsstyle erbaut, mit weit hervorstehendem Dache, unter welchem im Stockwerke oben ein hölzerner Söllergang um alle vier Seiten des Hauses lief. Diese Galerien, welche man besonders in Oberbayern, Tyrol und der Schweiz zu sehen bekommt, werden meist von hölzernen Säulen getragen. So auch hier. Ludwig ergriff eine dieser Säulen und flüsterte, wie sich aufmunternd, vor sich hin:

»Hier müssen wir halt hinauf. Da ist die Stub von dem Alten und daneben seine Schlafkammern. Von dem Söller aus kann man in beide schauen, und es ist sogar eine Thür da, durch welche man auf den Hausboden kommen kann.«

Es war ihm ein Leichtes, da hinaufzuklettern und über die Brüstung zu steigen. Er befand sich nun auf der Galerie. Er schlich sich leise nach der vordern Seite des Hauses und bemerkte, daß die Beiden noch im Stalle waren. Die andern Bewohner des Hauses schliefen jedenfalls.

»Das paßt ausgezeichnet,« sagte er sich. »Da hab ich noch gut Zeit, mir den Eingang zu verschaffen.«

Er schlüpfte zu der Thür, welche von der Außengalerie hinein in das Innere des Stockwerkes führte. Sie war leicht zu öffnen, auch von außen. Er trat da ein und tastete sich möglichst rasch nach der Stube des alten Osec, in welcher er auch schon einige Male gewesen war. Die Thür war nicht verschlossen. Er huschte hinein und drehte die Wirbel des einen Fensters auf, so daß dasselbe von der Galerie aus aufgestoßen werden konnte. Nachdem er sich so den ›Einbruch‹ erleichtert hatte, kehrte er eiligst auf demselben Wege nach der Galerie der hinteren Hausseite zurück. Dort kauerte er sich neben dem Fenster, dessen Wirbel er von innen geöffnet hatte, nieder und wartete auf den Alten, der nun jedenfalls bald zu Bette ging und vorher den Wechsel und die Empfangsbescheinigung ins Pult in Sicherheit brachte. Bei dieser Gelegenheit konnte Ludwig hoffentlich sehen, in welcher Abtheilung oder in welchem Fache die Werthpapiere, nach deren Besitz er strebte, steckten.

Was er zu unternehmen beabsichtigte, war gefährlich. Ertappte man ihn dabei, so wurde er ganz sicherlich als Dieb festgenommen und bestraft. Sein Gewissen aber sagte ihm, daß er kein Verbrechen beabsichtige, sondern daß ganz im Gegentheile Das, was er vorhatte, eine gute und lobenswerthe That sei. Dieses Bewußtsein gab ihm den Muth und die innere Ruhe, deren er bedurfte, wenn sein Unternehmen gelingen sollte.

Er hatte nicht lange zu warten, so hörte er Schritte, welche sich der Stube näherten. Die Thür ging auf, und der alte Osec trat ein, eine hellbrennende Lampe in der Hand, hinter ihm sein Sohn.

Der Alte setzte die Lampe auf den Tisch, hing seinen Hut an den Nagel und griff dann in die Tasche, aus welcher er die beiden bereits erwähnten Papiere hervorzog, mit ihnen noch ein drittes, einen Brief. Diesen Letzteren bemerkend, sagte er:

»An den habe ich gar nicht gedacht. Das ist der Brief, den der Kery an die Grenzbehörde geschrieben hat, damit sie den Ludwig für einen Pascher halten sollen. Er hat ihn mir zur Besorgung gegeben, weil wir näher an der Bahn wohnen als er.«

»Er sollte aber doch bereits morgen Vormittags in den Händen der Behörde sein!«

»Freilich. Darum kannst Du noch nicht schlafen gehen. Du mußt hinüber nach der Haltestelle laufen und ihn dort in den Briefkasten stecken. Da kommt er mit dem Fünfuhrzuge noch mit fort.«

»Noch einmal fort zu laufen, das paßt mir schlecht. Ich bin müde.« »Es geht nicht anders, und wenn – – – was ist denn das? Da liegt ja auch einer.«

Er hatte erst jetzt ein Schreiben bemerkt, welches auf dem Tische lag. Er nahm es in die Hand und las die Adresse. Dann sagte er:

»Von drüben herüber. Der ist heut Nachmittag angekommen, und die Mutter hat ihn hierher gelegt, damit ich ihn gleich sehen soll. Sie wird gedacht haben, daß es eilig sei.«

Er öffnete den Brief und las ihn.

»Wohl eine Bestellung?« fragte sein Sohn.

»Ja, und zwar eine tüchtige. Das wird uns Etwas einbringen.«

»Zeig einmal her!«

Er erhielt den Brief, las ihn durch und meinte sodann:

»Das wäre freilich ein gutes Geschäft, ein Geschäft, wie wir es noch gar nicht gemacht haben; leider müssen wir mit dem Kery theilen.«

»Müssen? Wer sagt das?«

»Es ist ja immer so gewesen!«

»Aber es kann auch einmal anders gemacht werden.«

»Und die Träger verlangen auch ihr Antheil.«

»Das ist mir immer ärgerlich gewesen. Aber weißt Du, die Waare, welche hier bestellt wird, nimmt nicht viel Raum ein. Es werden nur vier Packete, freilich aber außerordentlich werthvolle. Zwei Männer genügen, sie hinüber zu schaffen.«

»Hm! Meinst Du etwa – – –?«

Der Alte nickte zu der nicht ausgesprochenen Frage und sagte:

»Ja, das meine ich. Wir brauchen eigentlich gar Niemand dazu. Wir können es selbst thun.«

»Ich denke das auch. Aber wir müssen dann auch die Gefahr auf uns nehmen.«

»Natürlich! Oder fürchtest Du Dich?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Na, also!«

»Wann würde es sein?«

»Nicht eher als am Donnerstage, aber auch nicht später.«

»Das paßt, weil wir Mittwoch zu Kery müssen. Dann wissen wir, woran wir mit ihm sind, und brauchen in Beziehung auf dieses Geschäft keine Rücksicht auf ihn zu nehmen. Gieb also Antwort hinüber, daß wir die Waaren am Donnerstage selbst bringen werden.«

»Ich werde gleich morgen früh schreiben. Aber welchen Ort geben wir an?«

»Das ist die Hauptsache. Wir müssen einen Weg einschlagen, den wir ganz genau kennen, auf welchem aber die wenigste Gefahr ist, mit den Grenzern zusammen zu treffen.«

»So schlage einen vor!«

»Es fällt mir im Augenblicke keiner ein.«

»Ich wüßte wohl, eine Route, welche die beste wäre, sie ist aber auch die beschwerlichste.«

»Welche meinst Du?«

»Der Wendelsteig.«

»Sakkerment! Der ist des Nachts nicht nur beschwerlich, sondern gradezu gefährlich!«

»Der gefährlichste Theil ist drüben in Bayern. Wenn wir es richtig anfangen, brauchen wir den gar nicht zu betreten. Die drüben mögen uns entgegenkommen.«

»Wenn sie darauf eingehen, so sollte es mich freuen.«

»Natürlich gehen sie darauf ein. Ich werde den Brief darnach einrichten.«

»Und wo treffen wir sie?«

»Grad mitten im Felsenklamm.«

»Dazu rathe ich nicht.«

»Warum?«

»Der Ort ist zu gefährlich.«

»Das denke ich nicht. Er eignet sich im Gegentheile am Allerbesten zur Zusammenkunft. Hüben und drüben Felsen. Wie oft ists schon passirt, daß die beiden Parteien sich nicht getroffen haben. Das ist aber im Felsenklamm ganz unmöglich.«

»Aber wir können auch desto leichter gefangen werden!«

»Pah! Es weiß ja Niemand um unser Vorhaben. Wir sind die beiden Einzigen. Wir sprechen zu keinem Andern davon, und so müßte es gradezu mit dem Teufel zugehen, wenn wir erwischt würden.«

»Es könnte ganz zufällig ein Grenzer sich dorthin postiren.«

»Ein Einzelner? Nun, der würde uns wohl nicht sehr stören, sondern vielmehr wir ihn.«

»Du meinst, daß wir Gewalt anwenden würden?«

»Wenn es nöthig ist, ja.«

»Hm! Dann ists desto gefährlicher.«

»Pah! Wir stecken die Pistolen zu uns. Giebt es Einen, der sich uns in den Weg stellt, so ists um ihn geschehen. Uebrigens kommt es sehr darauf an, welche Zeit wir wählen.«

»So spät wie möglich.«

»Nein, sondern grad im Gegentheile so zeitig wie möglich. Die meisten Pascherzüge werden zwischen Mitternacht und dem Morgengrauen unternommen; darum sind die Grenzer um diese Zeit am Aufmerksamsten. Vor Mitternacht fühlen sie sich sicherer. Da kommen wir also viel leichter durch.«

»Das, ist schon wahr; aber vor Mitternacht können wir nicht hinüber. Bedenke, daß es bis zum Felsenklamm von hier aus fast drei Stunden sind. Wir müßten also, um noch vor Mitternacht dort einzutreffen, um acht Uhr hier aufbrechen. Da ist es noch nicht gehörig dunkel. Man würde uns sehen.«

»So theilen wir den Weg.«

»Wie meinst Du das?«

»Wir schaffen am vorhergehenden Abende die Packete eine Strecke weit fort.«

»Und lassen sie dort liegen?«

»Ja.«

»Das ist ja viel zu riskant. Wenn wir sie da nicht ganz ausgezeichnet verstecken, so werden sie gefunden, und wir sind nicht nur um das viele Geld, sondern laufen sogar die größte Gefahr, erwischt zu werden.«

»Das befürchte ich nicht.«

»Und ich befürchte es sehr. Wenn unser Versteck entdeckt wird, so wird man uns bei demselben ablauern. Wenn wir dann am andern Abende kommen, werden wir ergriffen. Donnerwetter! Das wäre mir eine schöne Bescheerung!«

»Mir natürlich auch. Aber ich habe da gar keine Sorge, denn ich weiß einen Ort, an welchem wir die Packete ganz unbesorgt liegen lassen könnten.«

»Welcher wäre das?«

»Ich meine beim Pfarrer in Felsberg.«

»Bist Du toll!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Der Pfarrer wird sich hüten, Dir Deine Paschergüter aufzubewahren!«

»Wenn ich ihn fragte, ja, da würde er mich wohl hoch nehmen. Aber er darf ja davon gar nichts wissen. Wir schleichen uns mit den Packeten in seine Scheune. Die hat er oben unter dem Dache noch ganz voll Stroh vom vorigen Jahre.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja. Ich wollte ihm einen Theil davon abkaufen und bin erst vorgestern hinaufgestiegen, um es mir anzusehen. Ich habe mir da gleich die Localität gemerkt. Die Leiter liegt stets an, und die Thür ist weder bei Tag noch bei Nacht verschlossen.«

»Hm! Ich traue doch nicht recht.«

»Unsinn! Wir tragen das Schmuggelgut hinauf und verstecken es ganz hinten tief unter dem Stroh.«

»Wenn man uns dabei ertappt!«

»Das ist gar nicht möglich. Wir dürfen es nur nicht dumm anfangen. Liegen die Packete einmal da oben, so sind sie uns sicher. Darauf kannst Du Dich verlassen. Von da an haben wir dann am Donnerstag Abend nur eine halbe Stunde bis zur Grenze und drei Viertelstunden bis zum Felsenklamm. Also kann ich die Jenseitigen ganz gut schon für elf Uhr des Abends bestellen.«

»So, wie Du es hermachst, scheint es freilich leicht zu sein.«

»Es ist auch leicht, und wir machen es nicht anders.«

»Nun, meinetwegen. Ich bin dabei und will nur wünschen, daß es glückt.«

»Es muß glücken. Also abgemacht! Und nun will ich die Papiere aufheben.«

Er trat ganz nahe zum Fenster heran. Dort stand eine alte Rollkommode, welche wohl vom Urgroßvater stammte. Er zog einen Schlüssel aus der Hosentasche und öffnete. Als die Rolle aufgeschoben war, wurden mehrere Kästchen sichtbar, welche nicht verschlossen, sondern zum Herausziehen mit einem Knopfe versehen waren. Darunter war ein Bret angebracht, welches nach innen geschoben und auch wieder herausgezogen werden konnte. Im letzteren Falle bildete es den Schreibtisch des alten Osec.

Dieser zog jetzt das Bret heraus, holte die Lampe herbei, um sie darauf zu setzen, und schob sich einen Stuhl herbei, auf welchem er Platz nahm. Dann zog er eines der Kästchen auf, in welchem weiter nichts als eine alte Brieftasche lag. Er nahm sie in die eine Hand, schlug mit der anderen darauf und sagte.

»Hier stecken Moses und die Propheten! Wieviel giebst Du dafür?«

»Den Keryhof zahle ich dafür.«

»Ja. genau so viel beträgt es.«

»Aber ob wir ihn auch bekommen!«

»Ob? Oho! Da giebt es ja gar keinen Zweifel zu hegen.«

»Er wird sich bis auf das Aeußerste wehren.«

»Das weiß ich freilich auch; aber sein Wehren wird ihm nichts nützen.«

»Er wird behaupten, daß wir falsch gespielt haben.«

»Kann er, es beweisen?«

»Freilich nicht.«

»Nun, wer soll uns da Etwas anhaben!«

»Muß man gewonnenes Spielgeld nicht herausgeben, wenn man angezeigt wird?«

»Nein. Sobald man das Geld in den Händen hat, hat man es sicher.«

»Aber Du hast es ja nicht.«

»Hier sind Wechsel! Das ist genau so gut wie Geld.«

»Aber es ist kein baares Geld. So ein Wechsel hat meiner Ansicht nach nur den Werth, daß Du mit ihm beweisen kannst, dem Kery die Summe, auf welche er lautet, abgewonnen zu haben. Also ist die Schuld eine Spielschuld und kann nicht eingeklagt werden.«

»Schau, was für ein gescheidter Kerl Du bist!« lachte der Alte. »Der reine Advocat! Hast Du etwa Juristerei studirt?«

»Ja,« antwortete der Sohn, in das Lachen einstimmend.

»Wo denn?«

»Hier, bei Dir! Du bist der allerbeste Lehrmeister in solchen Sachen.«

»Das mag richtig sein. Wenigstens hat es noch Keinen gegeben, dem es gelungen wäre, mich zu übertölpeln. Und der Kery soll nicht der Erste sein, von dem ich mich überlisten lasse. Wenn die Wechsel auch nur Spielschulden bedeuten, so muß doch ein jeder Wechsel bezahlt werden. Wenn ich ihn einklage, hat das Gericht nichts zu fragen, woher er stammt. Und da schau her! Auf einem jeden steht ganz deutlich zu lesen: ›Werth erhalten‹. Er hat also von mir die Summe erhalten, die er hier unterschrieben hat.«

»Wenn er das aber leugnet!«

»Das hilft ihm nichts. Uebrigens habe ich ein gutes Mittel, ihn zum Schweigen zu bringen, nämlich hier die vielen mit seinem Namen unterschriebenen Empfangsbescheinigungen über erhaltene Schmuggelwaaren. Er wird es nicht so weit treiben, daß ich diese Unterschriften dem Gericht übergebe.«

Er hatte die Brieftasche geöffnet und ein Päcktchen Wechsel und sodann ein ebenso großes Päcktchen Empfangsbescheinigungen hervorgenommen. Weiter enthielt die Tasche nichts. Er klopfte mit der Hand auf diese beiden kleinen Packete und fuhr fort:

»Wir haben uns tüchtig schinden müssen, ihn im Spiel zu überlisten. Nun aber ists gelungen, und den Gewinn lasse ich mir auf keinen Fall entgehen.«

»Nimmst Du zur Mittwoch diese Wechsel mit zu ihm?«

»Wozu sollte ich sie mitnehmen?«

»Um sie ihm zu präsentiren.«

»Das fällt mir nicht ein. Ich gebe sie, wann er uns ja abweisen sollte, dem Advocaten. Der mag sie ihm präsentiren und auch sogleich den Prozeß beginnen. Jetzt aber nimm den Brief und schaffe ihn fort. Es ist heut sehr spät geworden, und ich will schlafen gehen.«

Der Sohn ergriff den Brief. Ihn betrachtend, las er die Adresse laut vor und fügte dann hinzu:

»Die Herren werden sich wundern, wenn sie ein Schreiben erhalten, welches mit einem Guldenstücke versiegelt worden ist.«

»Sollte der Kery etwa sein Petschaft zum Versiegeln nehmen, damit sie entdecken konnten, wer der Schreiber ist? So dumm ist er freilich nicht. Jetzt mach, daß Du fort kommst!«

»Du hasts heut eilig mit dem Schlafe. Ich aber muß noch hinaus in die Nacht.«

»Wird Dir nicht viel schaden. Wer jung ist, braucht sich nicht vor so einem Weg zu fürchten.«

Der Sohn ging. Der Alte legte die Päcktchen in die Brieftasche und diese Letztere in das Kästchen zurück, welches er dann zuschob. Die Kommode aber verschloß er nicht. Er brauchte sie, die ihm als Schreibepult diente, ja gleich morgen früh wieder, wo er den erwähnten Brief zu schreiben hatte. Er stand vom Stuhle auf, riegelte die Thür von innen zu, ergriff die Lampe und ging in die nebenan liegende Schlafkammer. Dort zog er sich aus, blies die Lampe aus und legte sich ins Bett.

Ludwig hatte nicht nur Alles gesehen, sondern auch Alles gehört. Besser hatte es gar nicht gehen können. Es war ihm Alles so mundrecht gemacht worden, daß er gar nicht zu warten brauchte, bis der Alte eingeschlafen war.

Die Kommode stand so nahe am Fenster, daß er, wenn das Letztere geöffnet war, das betreffende Kästchen mit der Hand erreichen konnte, ohne in die Stube steigen zu müssen.

Er schob das Fenster leise, leise auf. Es gelang ihm dies, ohne daß dabei das mindeste Geräusch verursacht wurde. Er zog ebenso leise das Kästchen heraus und griff nach der Brieftasche.

»Soll ich sie mitnehmen?« fragte er sich. »Nein, sie muß hier bleiben, damit er sie nicht sogleich vermißt.«

Er öffnete sie, nahm die beiden Päcktchen heraus und steckte dieselben ein. Als er dann die Brieftasche wieder zumachte, war diese nun freilich sehr dünn geworden.

»Hm!« dachte er. »Wann er das bemerkt, so ists gefehlt. Ich muß irgend was hinein thun, damit sie noch so dick ist wie vorher.«

Er hatte eine Zeitung bemerkt, welche auf dem Fensterbrette lag. Er nahm dieselbe und brach sie so zusammen, daß sie die Größe der Brieftasche bekam, in welche er sie nun steckte. Die Letztere wurde nun zugemacht und an ihren Ort zurückgelegt. Dann schob er das Kästchen zu.

Jetzt galt es, den Fensterflügel so heran zu ziehen, daß der Bauer nicht sogleich bemerken konnte, daß das Fenster offen gewesen sei. Er zog also sein Taschenmesser hervor, stach die Spitze desselben in das Holz des Flügels und zog den Letzteren zurück. Jetzt war es geschehen.

Er kletterte auf dem Wege, auf welchem er heraufgekommen war, wieder hinab und stieg über den Zaun. Draußen blieb er stehen, holte tief Athem und seufzte erleichtert:

»Gott sei Dank! Jetzt ists gelungen! Nun mag er die Wechseln präsentiren und die anderen Papieren dem Gericht zeigen. Die beiden heutigen sind auch schon mit dabei, denn ich hab gesehen, daß er sie mit dazulegt hat. Nun ist dera Kery gerettet und kann nicht zwungen werden, ihm die Gisela zu geben. Ich bin dera Retter, und wann der Kery ein Gewissen im Leib hat, muß er mir nun wieder freundlich gesinnt werden.«

Er begab sich nun auf den Rückweg, war aber kaum einige Schritte gegangen, so blieb er stehen.

»Hm! Der Briefen, den der Sohn nach dem Anhaltepunkt schafft, wann ich denselbigen haben könnt, so wär es sehr gut für mich.«

Er sann einen Augenblick nach, dann wendete er sich um und eilte in einer andern Richtung weiter.

Der Weg, welchen er jetzt eingeschlagen hatte, führte nach einem nahen Dorfe, welches von der Bahn berührt wurde. Dort gab es einen kleinen Bahnhof oder vielmehr Anhaltepunkt, an welchem die Züge nur nach Bedürfniß hielten. Und dort befand sich der Briefkasten, in welchen der junge Osec den betreffenden Brief stecken wollte.

Als Ludwig ungefähr fünf Minuten gelaufen war, hörte er Schritte, welche ihm entgegen kamen. Er trat zur Seite und duckte sich nieder. Der Begegnende ging an ihm vorüber, ohne ihn zu bemerken.

»Das war dera Osec. Er kommt schon zurück. Nun kann ich weiter.«

Er stand auf und setzte seinen Weg fort. Bald erreichte er das Dorf und auch das Stationsgebäude. Aber als er nun vor dem Letzteren stand, kam ihm der Gedanke, an welchen er bereits längst hätte denken sollen:

»Sapperloten! Ich will den Brief haben; aber wie kann ich ihn bekommen? Er ist doch nun in dem Kasten! Vielleicht hat dera Osec ihn nicht ganz hineinsteckt, so daß ich ihn noch derwischen und wiederum heraufiziehen kann.«

Er wußte, daß der Briefkasten sich um die Ecke befand. Eben als er um dieselbe treten wollte, stand eine andere Person im Begriff, ihm entgegen um sie zu biegen. Die Beiden prallten zusammen.

Es gab hier kein Steinpflaster. Darum waren die Schritte nicht zu hören gewesen, und übrigens war Ludwig so leise wie möglich aufgetreten.

»Himmeldonnerwetter!« rief der Andere. »Nimm Dich doch in Acht! Siehst Du mich denn nicht?«

»Nein, ich hab Dich nicht hört und auch nicht sehen.«

»So paß auf!«

»Ebenso kannst auch Du aufipassen!«

»So! Ich! Freilich ist das Aufpassen mein Amt. Und vielleicht ist es gut, daß ich heut aufgepaßt habe. Es geht heut Nacht hier ja recht rege zu. Vor kaum einer Viertelstunde hörte ich Einen hier; aber als ich kam, war er schon fort. Und nun treffe ich schon wieder auf Einen. Das ist ja ein außerordentlich lebhafter Verkehr. Wer bist Du denn eigentlich?«

»Sag mir doch zuvor, wer Du selbst bist, und obst ein Recht hast, hier herum zu schleichen und die Leutle auszufragen.«

»Dieses Recht hab ich gar wohl. Es ist sogar meine Pflicht, denn ich bin die Bahnpolizei.«

»Sappermenten! Da bist freilich ein gar großer Kerlen, und da werd ich sogleich einen gewaltigen Respecten vor Dir haben.«

»Das kann ich auch verlangen!«

»So! Bist wohl ein Mann von großer Bedeutung?«

»Ja. Mir ist der ganze Bahnhof anvertraut. Ich bin der Bahnhofswächter.«

»So! Hab mirs doch gleich denkt, daßt nicht dera Herr Director bist.«

»Wieso denn?«

»Weilst mich gleich Du nannt hast. Ein Anderer hätte doch wenigstens Sie gesagt.«

»Ach so! Soll ich Dich etwa Herr Baron oder Herr Professor nennen? Thu nur nicht groß! Von so einem Bayerländer lasse ich mir nichts befehlen.«

»Woher weißt, daß ich aus Bayern bin?«

»Deine Sprache sagt es deutlich genug.«

»Da magst Recht haben. Ein Bayer ist gar leicht zu erkennen. Aberst daßt dera Bahnhofwächtern bist, das glaub ich halt nicht.«

»So! Warum willst Du es nicht glauben?«

»Weil es keinen giebt. Ich bin hier auch bekannt und weiß genau, daß hier kein Wächtern anstellt ist.«

»Da irrst Dich sehr. Ich bin bereits seit vierzehn Tagen hier im Amte. Es sind einige Male des Nachts Ungehörigkeiten vorgekommen, verübt von losen Buben, und da hat man eben einen Wächter angestellt.«

»Und der bist Du?«

»Ja. Du glaubst es wohl nicht?«

»Ich muß es halt glauben.«

»Nun siehst Du also ein, daß ich ein Recht besitze, Dich zu fragen. Uebrigens muß ich Deine Stimme schon gehört haben. Sie kommt mir bekannt vor.«

»Ich bin der Ludwig vom Keryhof in Slowitz drüben.«

»Der Ludwig! Habe es mir doch gleich gedacht! Und ich bin der Schustermax, der bei Euch im Herbste tagelöhnern thut, wenn es nach der Ernte viele Arbeit giebt.«

»Dera Max! Drum ist mir Deine Stimme auch gleich bekannt vorkommen. Also der Bahnhofswächtern bist! Da hast wohl auch eine Uniformen an? Man kann es bei dera Dunkelheiten nicht derkennen.«

»Nein, eine Uniform habe ich noch nicht; aber ich hoffe, daß ich es schon noch zu einer solchen bringen werde. Wenn man nur erst ein Amt hat, mags auch nur klein sein, so kann man weiter avanciren. Vielleicht werde ich auch noch einmal Weigensteller oder Wagenschieber.«

»Ja, so weit kannsts schon mal bringen, denn einen anstelligen Kopf hast stets habt, besonders beim Essen.«

»Da stelle ich freilich meinen Mann; aber mein Amt versorge ich auch gut. Und Vertrauen besitze ich auch. Denke Dir, ich habe sämmtliche Schlüssels, weil ich doch als Wächter überall hin können muß, wenn während der Nacht Etwas passirt. Siehst Du daraus nicht, welch einen guten Stand ich bei den Vorgesetzten habe?«

»Ja, das sehe ich gar wohl ein. Ich glaub gar, Du thätst mit mir schon gar nimmer tauschen.«

»O doch vielleicht, denn als Oberknecht hast Du einen hohen Lohn, und Dein Herr hält gar viel auf Dich; das weiß ich ja ganz genau. Aber nun sage mir auch, was Du eigentlich hier am Bahnhofe willst. Hast Dich wohl verlaufen?«

Als Ludwig hörte, daß sein Bekannter, welcher ein ziemlich dummer Tagelöhner war, im Besitze aller Schlüssel sei, war ihm ein guter Gedanke gekommen. Er folgte demselben, als er jetzt antwortete:

»Nein, verlaufen habe ich mich nicht, aberst vergriffen. Und das kann mich ärgern.«

»Vergriffen? Worinnen?«

»In denen beiden Briefen.«

»Das verstehe ich nicht. Du mußt es mir erklären.«

»Ich bin jetzunder zum zweiten Male hier. Derjenige, dent schon vorhin hört hast, der war ich.«

»Du? So ist ja Alles gut. Ich habe fast geglaubt, daß es ein Spitzbube gewesen ist.«

»Nein, ich stehle nicht.«

»Das weiß ich, und darum darfst Du es mir nicht anrechnen, daß ich Dir vorhin ein Wenig grob gekommen bin.«

»O, ich bin nicht so zimperlich; das weißt ja doch. Und eine Grobheiten hätt ich schon verdient, wenn auch nicht von Dir, sondern aber von meinem Herrn. Er hat nämlich zwei Briefen schrieben, von denen der eine sehr eilig ist. Ich hab ihn hierher tragen mußt, damit er noch beim Zug mit kann. Da bin ich nun herlaufen und hab ihn in den Briefkasten steckt. Nachhero aber auf dem Heimweg hab ich nachdenkt, und da ists mir einifallen, daß ich die beiden Briefen mit nander umiwechselt hab. Dera falsche steckt hier im Kasten.«

»Sapperlot! Das ist dumm!«

»Freilich. Ich bin auch gleich wieder umikehrt, um zu sehen, ob ich ihn vielleichten wieder derwischen kann.«

»Ja, wie willst Du ihn wieder erwischen?«

»Ich hab ihn vielleicht nicht ganz tief in den Kasten steckt.«

»Da wollen wir doch gleich einmal nachsehen.«

Sie traten zum Kasten, und der Wächter untersuchte denselben.

»Er ist ganz drinnen, ganz und gar,« sagte er. »Du kannst ihn also nicht wieder herausziehen.«

»Das ist eine ganz ärgerliche Geschichten! Heraus bekommen muß ich ihn. Und nun kann ich mich bis fünf Uhr herstellen und warten.«

»Worauf?«

»Auf den Zug. Nachhero wird doch hier Licht macht, und die Beamten sind alle da. Der Kasten wird geöffnet, und da kann ich mir meinen Brief geben lassen.«

»Meinst Du, daß Du ihn wieder bekommst?«

»Ja.«

»Ich glaube es nicht.«

»Warum?«

»Was die Post einmal hat, das giebt sie wohl nicht wieder heraus.«

»Da kennst halt die Gesetzen schlecht. Ich muß meinen Brief wieder bekommen. Ich beweise es, daß er mir gehört.«

»Wie willst Du das beweisen?«

»Indem ich ganz genau die Adresse sage und auch das Siegel beschreibe.«

»Ja, wenn Du das kannst, so ist es freilich erwiesen, daß er Dir gehört. Und dann wirst Du ihn wieder bekommen.«

»Aber nun soll ich bis fünf Uhr warten! So eine lange Zeit. Wann dera Herr Bahnhofsinspectorn noch wach wäre, thät er aufischließen lassen und ihn mir geben. Oder meinst, daß ich ihn wecken darf?«

»Auf keinen Fall! Wo denkst Du hin! So einen Herrn vom Schlafe wecken!«

»Auch keinen Andern?«

»Auch nicht!«

»Ich brauch ja eigentlich den Inspectorn gar nicht. Wanns nur irgend ein Beamter ist, der hier eine Bedeutung hat, der könnt ihn mir wiedergeben, wann er den Schlüssel haben thät.«

»Den Schlüssel habe ich.«

»Zum Briefkasten?«

»Nein. Zu dem giebts gar keinen Schlüssel. Die Briefe fallen gleich von hier außen hinein in die Stube in einen Korb, der untergestellt ist. Das ist der Briefkorb.«

»Und dazu hast den Schlüsseln?«

»Zur Stube, ja.«

»Das wäre ja schön! Und wannst nun ein wirklicher Beamtern wärst, so könntst mir den Briefen amtlich aushändigen, und mir wäre geholfen. Weilst aberst nur dera Nachtwächtern bist und kein richtiger Angestellter, so muß ich leider verzichten.«

Da aber kam er bei dem verflossenen Tagelöhner schön an. Dieser fragte beinahe zornig:

»Was sagst Du? Was bin ich?«

»Dera Nachtwächtern.«

»So! Da irrst Du Dich fürchterlich. Ich bin der Bahnhofswächter aber nicht der Nachtwächter!«

»So! Da liegt wohl ein Unterschieden drin?«

»Und was für einer! Ein ganz gewaltiger. Nicht jeder Nachtwächter kann auch Bahnhofswächter sein. Ein Bahnhof hat Etwas zu bedeuten! Wenn da ein Zug entgleist, gehen gleich viele Menschenleben zu Grunde!«

»Das sehe ich freilich nun ein. Aber ist denn ein Bahnhofswächtern auch ein Beamtern?«

»Natürlich!«

»Nein, wohl nicht!«

»Und wie! Ich bin Beamter!«

»Geh! Das glaubst selbst nicht.«

»Oho!«

»Wannst ein wirklicher Beamter bist und sogar den Schlüssel zur Stuben hast, warum getraust Dich da nicht, mir den meinigen Brief zu geben? Warum willst mich da hier warten lassen noch stundenlang?«

Der Nachtwächter kratzte sich hinter dem Ohre und antwortete dann:

»Davon steht in meiner Instruction gar nichts.«

»Ja, dann bist eben kein Beamter, denn in dem seiner Instructionen steht Alles. Da hast also den Unterschieden.«

»Donnerwetter! Mache mich nicht zornig! Ich sage Dir, daß ich ein Beamter bin!«

»Nein, Du bist keiner!«

»Ich bin einer! Soll ich es Dir etwa beweisen?«

»Das kannst ja gar nicht!«

»Ich kann es schon!«

»Wie denn?«

»Dadurch, daß ich Dir Deinen Brief zurückerstatte.«

»Ja, nachhero muß ich es glauben, daßt ein wirklicher Angestellter bist.«

»So sollst ihn haben. Kannst auch selbst gleich mit hereinkommen.«

»Darf ich denn?«

»Wer will es Dir verbieten?«

»Die Instructionen.«

»Ach was. In meiner Instruction steht kein Wort davon, daß ich Dich nicht mit hereinnehmen darf. Du bist ein guter Bekannter von mir, und ich weiß, daß Du nichts stehlen wirst.«

»Nein, ein Spitzbub bin ich nicht.«

»Du bist keiner. Diese Bürgschaft kann ich als Beamter leisten. Also komm!«

Er schloß das Expeditionszimmer auf und brannte eine in demselben befindliche Lampe an. Es war genau so, wie er gesagt hatte: Der Briefeinwurf mündete in das Zimmer, und ein auf einem Stuhle stehender Korb hatte die Bestimmung, die hereinfallenden Briefe aufzunehmen.

Ludwig trat auf den Korb zu; aber der Wächter ergriff ihn beim Arme, hielt ihn zurück und sagte:

»Halt! Dahin darfst Du freilich nicht.«

»Warum nicht?«

»Wegen des Briefgeheimnisses.«

»Ich mache doch keinen auf!«

»Aber auch ansehen darfst Du Dir keinen. Du bist ein Fremder und darfst also keine Amtshandlungen vornehmen. Verstanden!«

»Donnerwettern! Jetzunder sehe ich freilich, daßt ein richtiger Beamtern bist. So ein Gesicht und so eine Miene, wiet jetzunder machst, kann nur ein Beamter haben.«

»Ja, nun erkennst Du mich wohl an? Sag es nur den Leuten, wenn einmal die Rede von mir ist, was ich jetzt für eine Stellung bekleide! Also ich werde als Beamter handeln, und Du wirst mir antworten. Wie lautet die Adresse Deines Briefes?«

Der Gefragte gab die verlangte Antwort. Er konnte das, weil er es genau gehört hatte, als der junge Osec die Adresse las.

»Und wie ist das Siegel?« fragte der Wächter in strengem Amtstone weiter.

»Es ist ein Guldenstück anstatt des Petschaftes genommen worden.«

»So! Sag Deinem Herrn, dem Kerybauer, daß ich mir das verbitten muß. Er hat in Zukunft alle Briefe mit einem richtigen Petschaften zuzusiegeln. Ich bin der Bahnhofswächter und darf solche eigenmächtige Ungehörigkeiten nicht länger dulden.«

»Ja, wannst so auftrittst, so muß selbst dera Kery einen Respecten vor Dir bekommen!«

»O, ich kann noch ganz anders auftreten. Jetzt aber will ich den Brief herauslesen.«

Er trat zum Korb und griff in den da liegenden Karten und Briefen herum, ohne aber den Brief zu bringen.

»Nun?« fragte Ludwig. »Ist er etwa nicht drin?«

Der Wächter begann abermals, sich hinter dem Ohre zu kratzen.

»Drin wird er schon sein,« antwortete er.

»So nimm ihn doch heraus!«

»Das geht doch nicht.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ihn nicht finden kann.«

»Ich habe Dir doch die Adresse sagt.«

»Freilich wohl – aber – aber – – –«

»Was hast denn? Warum kratzest Du Dich so?«

»Weil ich gar nicht an die Hauptsache gedacht habe.«

»Und was ist das?«

»Ich – ich – ich kann nicht lesen.«

»O Jerum, das ist schlimm!«

»Wie will ich also den Brief finden!«

»Kannst ihn doch am Siegel derkennen!«

»Ja, da sind einige mit Siegeln, mit großen und auch mit kleinen Siegeln. Aber weil ich nicht lesen kann, so weiß ich doch auch nicht, welches das richtige Siegel ist.«

»So muß ich mir ihn doch selber suchen.«

»Nein. Das geht nicht.«

»Wann ich aberst sehr schön bitten thu?«

»Auch dann nicht. Da hilft kein Bitten und kein Betteln.«

»Ich muß doch meinen Brief haben!«

»So mußt Du eben warten, bis die Andern aufgewacht sind.«

»Bis dera Zug kommt? Das ist mir zu lang, viel zu lang!«

»Ich kann es nicht ändern.«

»Hast mirs aberst doch versprochen!«

»Ich hatte vergessen, daß ich nicht lesen kann.«

»Also ein Beamter, der sein Wort nicht hält!«

»Oho!« meinte der Wächter zornig.

»Ja, ein Wortbrüchiger! Und nun glaub ichs doch nicht, daßt ein Beamtern bist. Ein Angestellter muß lesen können.«

»Schweig! Sonst steck ich Dich hinaus. Ich verbitte es mir sehr, mich hier in unsern Büroh zu beleidigen.«

»Beleidigen will ich Dich nicht; aberst von einem Beamten verlange ich auch, daß er sein Wort hält.«

»Das ist mir dieses Mal unmöglich.«

»Ja, warum soll ich mir denn den Brief nicht selberst suchen?«

»Weil Du die Adressen der andern nicht lesen darfst.«

»Das will ich doch gar nicht.«

»Aber Du wirst sie doch lesen, wenn Du in den Korb blickst.«

»So können wir es anders machen. Ich schau gar nicht in den Korb.«

»Wohin sonst?« «

»Du nimmst einen Brief nach dem andern heraus und zeigst ihn mir. Ich sage Dir dann, ob es der richtige ist.«

»Ja, das geht; da hast Du Recht. Auf diese Weise wird es gehen. Du siehst Dir die einzelnen Adressen an, aber natürlich ohne sie zu lesen. Dann wirst Du Deinen Brief erkennen.«

So wurde es gemacht. Da der Inhalt des Korbes überhaupt kein bedeutender war, so dauerte es nur wenige Augenblicke, bis Ludwig den Brief hatte.

»So,« sagte der Wächter. »Man muß nur Alles beim richtigen Anfang beginnen, dann nimmt es auch ein ordentliches Ende. Nun bist Du wohl befriedigt?«

»Vollständig.«

»Und hast mich wirklich in meinem Amte gesehen.«

»Natürlich! Das muß ich denen Leuten derzählen, wast jetzund für ein Kerlen bist.«

»Ja, das kannst Du immer thun. Es schadet gar nichts, wenn die Leute erfahren, daß Unsereiner auch ein Mann bei der Spritze ist. Jetzt aber müssen wir wieder hinaus.«

Er löschte die Lampe aus und schloß, als sie Beide das Zimmer verlassen hatten, die Thür wieder zu.

»Nun kannst Du heimkehren,« meinte er. »Die Verwechslung der Briefe kann wieder umgeändert werden. Das hast Du aber nur mir zu verdanken.«

»Natürlich. Ich werds Dir nie vergessen. Und nun muß ich doch auch fragen, was ich Dir schuldig bin.«

»Schuldig? Habe ich Dir vielleicht einmal Etwas geborgt?«

»Nein.«

»Ich könnte mich auch auf nichts besinnen.«

»Ich meine heut. Es ist doch eine jede Amtshandlung zu bezahlen.«

»Sapperment! Daran habe ich gar nicht gedacht. Du hast doch die Gebühren und Sporteln zu entrichten.«

»So sag, wieviel!«

»Das weiß ich nicht.«

»Als Beamter!«

»Davon steht in meiner Instruction nichts. Hast Du vielleicht zufällig mal gehört, wie viel man für die Aushändigung eines verirrten Briefes zu bezahlen hat?«

»Nein.«

»So ist das eine schlimme Geschichte. Ich muß doch nach den Gesetzen handeln. Ich darf das Geld nicht verschenken.«

»Freilich nicht. Aberst auf dem Gnadenwege darfst mir erlassen.«

»Ist das wahr?«

»Ganz gewiß.«

»Nun wohl, so will ich Gnade für Recht ergehen lassen und Dir die Sporteln schenken. Bist Du nun zufrieden?«

»Sehr.«

»Aber weißt Du, ein paar Kreuzer könntest Du mir doch zukommen lassen. Ich bin ein armer Teufel und möcht mir gern einen Tabak für meine Pfeifen kaufen.«

»Wie viel brauchst?«

»Einen Sechser.«

»Den geb ich gern. Ich will Dir sogar zwanzig Kreuzer schenken. Brenn ein Streichholz an, damit ich das Geld erkennen kann.«

Der Wächter machte Feuer, und Ludwig suchte ihm zwanzig Kreuzer zusammen, welche er ihm schenkte. Dann schieden sie, Beide herzlich zufrieden mit dem Erfolge der hochwichtigen Amtshandlung, welche der Bahnhofsnachtwächter vorgenommen hatte, obgleich nichts davon in seiner Instruction stand.

Jetzt nun erst konnte Ludwig vollständig mit seinen Erfolgen zufrieden sein. Es war ihm Alles leichter und besser gelungen, als er es für möglich gehalten hatte. Er kehrte höchst befriedigt nach Glowitz zurück.

Dort kam er durch die stets unverschlossene Hinterthür in das Haus und schlich sich hinauf in seine Schlafstube. Er klopfte, und seine Mutter öffnete ihm.

Sie hatte keinen Augenblick geschlafen, natürlich aus Sorge um ihn. Sie bat ihn, daß er ihr erzählen solle, was geschehen sei. Er sprach einige beruhigende Worte und erklärte, daß er ihr am Tage Alles erzählen wolle; jetzt sei er müd und müsse schlafen.

»Sage mir nur das Eine, ob etwas Unglückliches geschehen ist!« bat sie.

»Was geschehen ist, ist kein Unglück,« antwortete er. »Es ist etwas Unangenehmes, kann aber für mich ein sehr glückliches Ende nehmen.«

»Was ists denn?«

»Ich ziehe ab.«

»Was! Du gehst aus dem Dienste?«

»Ja.«

»Wann?«

»Am Vormittage.«

»Herrgott! Ists wahr?« fragte sie erschrocken.

»Ja. Ich gehe mit Dir heim.«

»So schnell! Wie ist denn das gekommen? Hat er Dich fortgejagt?«

»Nein, sondern ich bin es, der den Dienst aufgesagt hat.«

»Warum?«

»Er traf mich bei Gisela im Garten und wurde grob. Da sagte ich ihm, daß ich morgen früh fortgehen werde.«

»Und er willigte ein?«

»Natürlich, denn er stand eben im Begriff, mich fortzujagen.«

»Warum wurde er denn grob? Es war doch gar nichts Böses von Dir, mit Gisela zu reden.«

»O nein; es war im Gegentheile etwas sehr Gutes. Ihm aber gefiel nicht. Denn eben als er kam, uns zu belauschen, sagten wir uns, daß – nun, rathe einmal, was wir uns sagten, Mutter!«

»Das kann ich nicht.«

»Wir sagten uns, daß wir uns lieb hätten.«

»Ists wahr!«

»Ja. Und daß wir uns heirathen werden.«

»Die Gisela Dich?«

»Natürlich, und ich sie.«

»Sie hat wirklich, wirklich gesagt, daß sie Dich nehmen will?«

»Sie hat gesagt, daß sie niemals heirathen werde als nur mich.«

»Den Heiligen sei Lob und Dank! Sie wird Wort halten, wie ich sie kenne.«

»Heut sollte ihre Verlobung mit dem Osec sein: Nun kannst Du Dir denken, welch eine Scene es gab, als ihr Vater uns erwischte.«

»Das glaube ich. Aber was soll nun werden?«

»Ich ziehe ab, werde aber in kurzer Zeit wieder anziehen.«

»Da könntest Du Dich in dem Kerybauer doch geirrt haben.«

»Ich irre mich in ihm ebenso wenig, wie ich mich in Dir oder mir irren kann. Ich werde meinen Wiedereinzug in das Kerygut nicht als Knecht, sondern als Schwiegersohn halten.«

»Bilde Dir nicht zu viel ein!«

»Ich bilde mir gar nichts ein. Wenn ich Dir Alles erzählt habe, wirst Du mir Recht geben.«

»So erzähle doch!«

»Jetzt nicht. Ich habe den Schlaf nothwendig. Es ist bereits spät, und wer weiß, ob ich heut Abend schlafen kann.«

»Was hast Du da vor?«

»Verschiedenes, was Du noch erfahren wirst. Jetzt aber wollen wir schweigen. Gute Nacht, liebe Mutter!«

»Gute Nacht, Ludwig!«

Nach wenigen Augenblicken schliefen Beide. Ludwig war müde, und seine Mutter fühlte sich durch seine Worte so beruhigt, daß sie jetzt schnell den Schlaf fand, der sie vorhin gemieden hatte.

Da sie so spät einschliefen, war es gar kein Wunder, daß sie auch erst spät erwachten. Ludwig ging sofort hinab, sich sein Dienstbuch zu erbitten, welches sich in der Aufbewahrung seines bisherigen Herrn befand.

Der Bauer antwortete ihm kein Wort, setzte sich aber hin und schrieb. Als er fertig war und dem Knechte das Dienstbuch gab, las dieser nur die Worte:

»Muß heut meinen Dienst verlassen.«

Weiter stand nichts da. Ludwig legte ihm das Buch wieder hin und sagte:

»Mit dieser Bemerkung bin ich nicht einverstanden.«

»So! Warum nicht?«

»Sie enthält eine Unwahrheit.«

»Oho! Mußt Du nicht heut aus dem Hause?«

»Nein. Ich muß nicht, sondern ich gehe aus eigenem Antriebe.«

»Das ist nicht wahr!«

»Ich habe Dir gestern Abend in Gegenwart Deiner Tochter erklärt, daß ich heut früh Deinen Dienst verlassen werde.«

»Und ich habe Dir in derselben Gegenwart gesagt, daß ich Dich fortjage.«

»Zu spät!«

»Nein!«

»Ich werde aber doch nicht fortgejagt!«

»Doch!«

»Nun, so jage mich einmal hinaus!«

Er war zornig geworden.

»Wenn Du nicht augenblicklich gehst, so jage ich Dich hinaus!«

»Und wenn Du Dich nicht weniger grob ausdrückst, so weiß ich, was ich zu thun habe!«

»Willst Du schon wieder drohen? Das verfängt bei mir ganz und gar nicht. Ich weiß nun, was Du Dir einbildest.«

»Es ist keine Einbildung. Ich weiß, was ich weiß. Ich weiß sogar weit mehr als Du.«

»Ah! Was denn?«

»Daß ein Pascher den andern betrügt.«

»Da sagst Du mir nichts Neues; aber es geht mich nichts an, weil ich kein Schmuggler bin.«

»Dein bester Schmuggelkumpan wird in ganz kurzer Zeit im Gefängnis sitzen.«

»Das ist mir lieb. Ich bin kein Schmuggler, wie ich bereits gesagt habe, und wenn ein Pascher zum Sitzen kommt, so kann ich als ehrlicher Mann nur Freude darüber haben. Du lebst im Traume, in der Einbildung, wirst aber auch noch erwachen!«

»Mein Erwachen wird da aber jedenfalls ein weit besseres sein. Wenn Dir die Augen aufgehen werden, so wirst Du vor einem Abgrunde stehen, an welchem nur eine einzige Hand Dich vor dem Sturze bewahren kann.«

»So? Welche wohl?«

»Die meinige.«

»Du bist wirklich ein so eingebildeter Mensch, daß man Dich nur auslachen sollte anstatt man sich über Dich ärgert.«

»Es ist weder zum Aergern noch zum Lachen, sondern nur zum Weinen. Es wird die Zeit kommen, daß Du mich wieder zu Dir rufest, daß Du froh sein wirst, mich bei Dir zu haben.«

»Höre, werde nicht frech!« rief der Bauer. »Nimm Dein Buch, und packe Dich fort!«

»Mit diesem Eintrage nehme ich mein Dienstbuch nicht!«

»So bleibt es liegen!«

»Gut! Ich werde es mir durch die Behörde kommen lassen. Setzest Du kein richtiges Zeugniß hinein, lasse ich die Sache untersuchen. Du hast zu erwähnen, ob ich treu, fleißig und ehrlich gewesen bin.«

»Was ich zu schreiben habe, weiß ich. Darüber hast Du mich nicht zu belehren. Jetzt aber gehest Du und kommst mir nie wieder in das Haus. Treffe ich Dich aber einmal mit Gisela zusammen, so schlage ich Dir alle Knochen im Leibe entzwei!«

»Schön! Darauf freue ich mich außerordentlich. Ich habe mich bereits längst gesehnt, einmal meinen Meister zu finden. Also ich soll mich nicht mit Gisela treffen lassen? So wirst Du mir aber doch wenigstens erlauben, mich von ihr zu verabschieden.«

»Nein. Das verbitte ich mir!«

»So wirst Du mich öfters mit ihr treffen. Darf ich aber Abschied nehmen, so – – –«

»Hinaus!« schrie der Bauer, indem er aufstand und gebieterisch nach der Thür zeigte. Da aber ging diese Letztere auf, und Gisela kam herein.

»Ich war in der Küche und habe Alles gehört,« sagte sie. »Der Ludwig will Abschied von mir nehmen, und er hat ein Recht dazu.«

»Wer hat es ihm gegeben?«

»Ich.«

»Du? Dirne, redest Du so mit mir!«

»Ja. So wie Du mit mir rede auch ich mit Dir. Das darf Dich nicht befremden.«

Sie standen einander gegenüber, Auge in Auge. Er zornig, sie ruhig entschlossen.

»Gehe in Deine Küche!« befahl er ihr.

»Wenn ich mit Ludwig gesprochen habe, eher nicht.«

»Ich werfe den Kerl hinaus!«

»So gehe ich mit ihm und komme niemals wieder nach Hause zurück!«

Sie sagte das in so entschlossenem Tone, daß er einsehen mußte, wie ernst es ihr mit dieser Drohung sei. Da sagte Ludwig in bittendem Tone zu ihr:

»Rege Dich meinetwegen nicht auf, Gisela. Es kommt doch so, wie es kommen soll. Es wird nicht lange dauern, so sieht Dein Vater, wer sein, Freund oder sein Feind gewesen ist.«

»Nun, Du willst doch wohl nicht etwa mein Freund gewesen sein!« rief der Bauer.

»Dein bester sogar!«

»Kerl, nun packst Du Dich aber hinaus!«

»Ja, Du hast Recht; es ist besser, ich gehe. Mein Bleiben nützt Dir und mir heut doch nichts. Also leb wohl, Kerybauer! Wir sehen uns bald wieder. Leb auch Du wohl, Gisela! Wir brauchen uns nicht zu grämen, daß wir jetzt aus einander müssen. Desto größer ist dann die Freude, wenn wir uns wieder haben.«

»Der Teufel soll Euch haben!« schrie der Bauer. »Macht Euch fort!«

»Ja, das thun wir bereits,« lachte Ludwig.

Er ergriff Gisela bei der Hand und zog sie aus der Stube.

»Wirst Du mir treu bleiben?« fragte er draußen.

»Bis zum Tode.«

»So ist ja Alles gut. Ich muß meine Sachen hier lassen. Nimm sie in Verwahrung, bis ich sie holen lasse.«

»Vielleicht lässest Du sie gar nicht erst holen.«

»Ja. Ich ahne auch, daß ich bald wieder da sein werde.«

»Hast Du gestern Etwas erlauscht?«

»Ja.«

»Was?«

»Davon später. Du wirst zu seiner Zeit Alles erfahren. Jetzt aber ist es besser, daß Du noch im Unklaren bleibst.«

»Sag nur wenigstens, ob es etwas Gutes oder etwas Böses war.«

»Es sollte etwas Böses für uns werden, wird sich aber, nun ich es erfahren habe, in Glück und Freude für uns kehren. Und nun, behüte Dich Gott, mein Mädchen.«

Er zog sie an sich und küßte sie innig. Sie erwiderte seinen Kuß und sagte dann in traurigem Tone:

»Ich werde hier im Hause nicht wie im Himmel wohnen. Komm bald zurück, Ludwig, sonst halte ich es nicht aus!«

Dann entzog sie sich ihm schnell und ging in die Küche.

Er suchte nun auch die Bäuerin auf, um Abschied von ihr zu nehmen. Sie war an ihn gewöhnt, ja, sie hatte ihn so lieb, fast als ob er ihr eigener Sohn sei. Sie begann zu weinen. Er verkürzte also den Abschied so viel wie möglich. Sodann suchte er die Knechte und Mägde auf. Sie alle sahen ihn nicht gern gehen. Er hatte den Vermittler gemacht und viele Härten des Bauers gemildert. Nun er fortging, bekamen sie es mit Kery direct zu thun, und davor hatten sie Angst.

Nun konnte Ludwig gehen. Ein kleines Bündel in der Hand, wanderte er mit seiner Mutter fort, zum Hause hinaus, in welchem er so lange Zeit treu und redlich gedient hatte.

Unterwegs erzählte er ihr die Vorkommnisse des gestrigen Abends, aber nur so weit, wie er es für unumgänglich nöthig hielt, um sie auf dem Laufenden zu erhalten. In die Geheimnisse aber weihte er sie nicht ein.

So schritten sie rüstig vorwärts. Mit scharfem Auge durchforschte er den Weg und seine Umgebung. Er mußte ja nun bald den Ort erreichen, an welchem er den Brief finden sollte. Seiner Mutter hatte er nichts davon gesagt. Wenn sie nichts davon wußte, so spielte sie die Finderin mit vollendeter Wahrheit und die Lauscher wurden sicherer getäuscht.

Denn es verstand sich ganz von selbst, daß Zerno in der Nähe sein werde, um zu beobachten, welchen Erfolg der Fund des Briefes machen werde. Höchst wahrscheinlich war auch Usko dabei. Ludwig war, bevor er das Kerygut verließ, einmal hinauf ins Heustadel gegangen und hatte sich überzeugt, daß die beiden Slowaken nicht mehr da seien.

Jetzt führte der Weg in kurzen Windungen zwischen dichten Büschen eine Höhe empor. Es gab keine geeignetere Stelle für die Absicht Zerno's. Und wirklich, da blieb Ludwigs Mutter, welche augenblicklich voranschritt, weil der Weg hier schmal war, plötzlich stehen und sagte:

»Was ist das? Hier liegt ein Papier.«

»Wo?«

»Grad im Wege. Schau! Am Ende ist es gar ein Brief.«

Sie hob denselben auf und gab ihn ihm in die Hand. Er las die Adresse mit lauter Stimme und sagte dann:

»Allerdings ein Brief. Aber den Namen kenne ich nicht, der darauf steht. Ah, das Couvert ist offen. Da kann man ihn doch lesen und dabei sehen, an wen er ist. Es steht wohl der Name des Mannes da aber kein Ort dabei.«

Er zog das Blatt aus dem Couvert, faltete es aus einander und las mit lauter Stimme die wenigen Zeilen. Er wußte, daß er gehört und beobachtet werde.

»Hast Du das verstanden?« fragte er sodann seine Mutter.

»Nicht ganz.«

»So will ich es Dir noch mal lesen.«

Er begann von Neuem.

»O, jetzund versteh ich es schon besser,« sagte sie nun. »Aberst was ist denn das?«

»Ein Briefen, den der Eine an den Andern schreibt.«

»Ja, das kann ich mir schon denken.«

»Und Beide sind Pascher.«

»Herrgottln! Einen Brief von Paschern haben wir funden?«

»Ja, anderst ists nicht.«

»Sie schreiben also wohl gar vom heutigen Abend?«

»Freilich. Da steht der Ort und die Zeit, wo und wanns zusammenkommen wollen, um die Waaren herüber und hinüber zu transportiren.«

»So eine Schlechtigkeiten! Und auch welch eine Unvorsichtigkeiten! Wer so ein Schreiben verliert, der sollt eine richtige Strafen bekommen, denn er kann sich und auch die Kameraden ganz in das Unglück bringen.«

»Diese Straf wird er auch erhalten.«

»Meinst? Was für eine?«

»Er wird derwischt werden.«

»Auf welche Weisen soll das geschehen?«

»Ich werd dafür sorgen.«

»Du? Willst Dich wohl gar mit einer solchen Sach abgeben? Das wirst nicht thun!«

Da Ludwig seiner Mutter nichts davon gesagt hatte, daß er es wußte, daß man ihm einen solchen Brief in den Weg legen werde, so hatten ihre Worte, ihre Mienen, überhaupt ihr ganzes Verhalten den Ausdruck der Wahrheit. Er hatte berechnet, daß die Lauscher sich dadurch täuschen lassen würden.

Und diese Berechnung trog ihn nicht, denn die beiden Slowaken kauerten in Wirklichkeit hinter einem der nächsten Büsche, um den ganzen Vorgang anzusehen und anzuhören.

Sie hatten diesen Ort für denjenigen gehalten, welcher für ihr Vorhaben am Allerbesten geeignet sei. Erstens konnten sie sich hier so verstecken, daß sie nicht gesehen wurden, dabei aber Alles leicht zu beobachten vermochten. Und bei der Schmalheit des Pfades konnte Ludwig gar nicht vorübergehen, ohne den für ihn bestimmten Brief zu bemerken.

Jetzt nun freuten sie sich über jedes Wort, welches sie hörten. Nach ihrer Ansicht war ihr Vorhaben vom besten Erfolg gekrönt. Ludwig ging auf die ihm gesteckte Leimruthe. Er wollte den Brief abgeben.

»Freilich werde ich es thun,« sagte er. »Ich bin sogar gezwungen dazu.«

»Wer sollte Dich zwingen?«

»Mein Gewissen. Oder meinst Du, daß ein braver Mann ein Verbrechen ausüben läßt, wann er das selbige verhindern kann?«

»Ja, die Schmuggelei ist freilich verboten, doch ein wirkliches Verbrechen ist sie wohl nicht.«

»Sie ist verboten und wird streng bestraft, also ist sie auch ein Verbrechen, und so muß ich es zur Anzeig bringen.«

»Bist aberst doch kein Polizist oder gar ein Grenzbeamter.«

»Aberst ein Unterthan bin ich, der seine Rechten und also auch seine Pflichten kennen muß. Ich bin ein Bayer. Soll ich es dulden, daß die Oesterreicher, von denen ich gar nix hab und die mich jetzunder sogar hinausstoßen haben, mit ihrer Schmuggeleien sich unser schönes bayrisches Geldl derschwindeln? Nein, das darf ich nicht. Ich muß allsogleich zur nächsten Grenzstation, wo ich diesen Briefen abzugeben habe.«

»Wirds aber auch was nützen?«

»Allemalen! Es steht doch ganz deutlich hier, wann die Paschern kommen wollen und wo sie sich treffen werden.«

»Vielleichten kommen sie gar nicht. Wir haben diesen Briefen hier mitten im Wege funden. Der Bote hat ihn verloren, und so ist er also gar nicht an Denjenigen abgeben worden, für den er bestimmt war.«

»Das denkst, weilsts nicht verstehst. Schau mal her! Sind nicht zweierlei Schriften da?«

»Ja, das sehe ich schon. Die eine ist mit Tinten und die andere mit Bleistiften. Wie mag das kommen?«

»Das ist sehr einfach. Derjenige, der den Briefen schickt hat, der hat ihn mit Tinten schrieben. Und Derjenige, der ihn empfangen hat, der hat mit Bleistiften eine Bemerkungen daraufi macht. Also ist dera Briefen doch sicher an den richtigen Adressaten kommen, und dera Pascherzug wird heut Abend jedenfalls vor sich gehen.«

»Aberst wannst die Anzeig machst, kannst doch nicht etwa vielleicht in Schaden kommen?«

»Was denkst denn da! Wie soll es mir Schaden bereiten, wann ich meine Pflicht erfüll? Ein Lob werd ich erhalten und auch noch gar ein Geldl dazu.«

»Ist das wahr?«

»Ja. Derjenige, der dazu beihilft, daß ein Schmuggelzug abfaßt wird, erhält eine Prämie. Und die kann sehr groß sein, wanns werthvolle Waaren sind, die abfaßt werden.«

»So hab ich freilich nix dagegen, daßt diese Anzeigen unternimmst. Eine Pflicht derfüllen und auch noch ein Geldl dazu derhalten, das ist ja sehr gut. Besser kann man es ja gar nicht haben.«

»Schau, wie das Geldl gleich einen großen Eindrucken auf Dich macht! Ja, das Weibsvolk hat das Geldl lieb. Da lachts gleich im ganzen Gesicht, wanns einen Thalern oder ein Fünfmarkl derblickt. Aberst komm weiter. Wir bleiben hier stehen und müssen doch eilen, damit ich denen Briefen recht bald abgeben kann.«

Sie setzten ihren Weg fort.

Sobald sie verschwunden waren, standen die beiden Slowaken vom Boden auf.

»Prächtig!« meinte Zerno. »Besser konnte es gar nicht gehen. Unsere Absicht ist so gut gelungen, wie sie nur gelingen konnte. Wenn nun auch der andere Brief in die richtigen Hände kommt, so gilt der Ludwig für einen Pascher und kommt unter Polizeiaufsicht.«

»Das gönne ich ihm von ganzem Herzen. Wir kommen gut weg dabei. Der Verdacht ist auf ihn gelenkt. Wir werden weniger beobachtet, weil man nun sehr auf ihn merkt, und können unser Handwerk leichter treiben.«

So erfreut wie sie über das Gelingen ihres Streiches waren, war es auch Ludwig über das Gelingen des seinigen. Er schritt eine Weile rasch aus, um aus dem Bereiche der Lauscher zu kommen. Dann, als der Weg wieder breiter wurde und nicht mehr von Büschen eingefaßt war, so daß er sich überzeugen konnte, daß er nicht mehr beobachtet werde, sagte er zu seiner Mutter:

»Aber weißt, aus dera Belohnung wird doch nix werden.«

»Denkst, daß keine bekommst? Meinst wohl, daß die Paschern nicht derwischt werden?«

»Nein. Sie werden nicht derwischt.«

»Aber wannst den Briefen abgiebst, so muß man sie doch ergreifen!«

»Ich geb ihn gar nicht ab.«

»So hast Dich schon anderst besonnen? Was bist doch für ein wetterwendischer Kerlen jetzt. Jetzt willst so und in einer Minuten schon bereits wieder das Gegentheil.«

»O nein. Ich hab gleich erst wußt, daß ich den Briefen nicht abgeben werd.«

»Geh mir doch von dannen! Warum hast da ganz anderst sprochen? Ich hab mich nun bereits auf die Prämie freut, welche wir doch bekommen hätten.«

»Wir hätten keine erhalten, denn erstens kommen die Paschern gar nicht auf demjenigen Weg, der hier im Briefen steht, und zweitens tragen sie nur Lumpen und altes Papier über die Grenz. Wann man es ihnen abnimmt, so giebt das doch keine Prämie für mich. Es ist ja gar nix werth.«

»Und das weißt so genau?«

»Ja. Ich weiß sogar, daß dieser Brief nur deshalb hinlegt worden ist, damit ich ihn finden und abgeben soll.«

»Das weißt? Woher denn? Ich bin ganz derstaunt darüber. Bist denn mit denen Paschern so bekannt, daß sie Dir Alles sagen?«

»Kennen thu ich sie sehr gut, aber mir was zu sagen, da werdens sich schön hüten. Ich hab sie belauscht. Sie kommen heut Abend nicht durch den Ort, der hier im Briefen angeben ist, sondern durch das Föhrenholz.«

»O Jerum! Das ist ja ganz nahe bei unserem Oberdorf!«

»Ja, ganz nahe.«

»Und willst sie da nicht abfangen lassen?«

»Nein. Und ich hab meine guten Gründen dazu. Erstens bringen sie nur Lumpen, und zweitens käm dera Kerybauern dabei in großen Schaden. Er ist dera Gisela ihr Vatern, und da will ich ihn nicht ins Unglück bringen.«

»Der Bauer!« rief sie erstaunt. »Ist denn der etwa auch dabei?«

»Freilich. Er und die beiden Osecs sind eigentlich die richtigen Anführern.«

»Herrgottle! Wer hätt das denken konnt!«

»Ja. Sie haben bisher Alles so schlau anfangen, daß Niemand einen Verdachten auf sie haben kann. Aberst dera Krug geht halt so oft zum Wasser, daß er endlich doch mal zerbrechen thut. Und dieses End ist nahe herbei kommen.«

»Da weiß ich gar nicht, was ich sagen soll! Dera reiche Kerybauern giebt sich mit denen Schmugglern ab! Er, der so stolz thut und mich nicht mal niedersitzen läßt, wann ich zu Dir auf Besuchen komm!«

»Wann man es zum ersten Mal derfährt, ists freilich zum Verwundern. Nachhero aberst, wann man sich an den Gedanken gewöhnt hat, so ists gar leicht zu begreifen. Ich schau ganz klar hinein in diese Angelegenheiten.«

»Wie bist denn dahinter kommen?«

»Durch einen Zufall. Und von da an hab ich immer aufmerkt bis gestern, wo ich dann Alles entdeckt hab. Dera Kery hat reich werden wollen durch denen Schmuggel, doch Alles, was er sich dabei erworben hat, das haben die Osecs ihm im falschen Spiele abnommen, heut ist er ebenso arm wie ich, und gar vielleichten noch viel ärmer. Ich mag nicht mit ihm tauschen.«

»Mein grundgütiger Himmel! Weiß die Bäurin davon und die Gisela?«

»Sie wissen nur ein Wenig, und wann es nach mir geht, sollen sie auch niemals Alles derfahren. Die Osecs wollen den Kery vom Hof fortjagen und dann sich hineinsetzen wie der Sperling, wann er in das Staarnest kommt. Aberst dera Ludwig ist auch noch da. Er wird es nicht dulden, daß sein Dirndl zur Bettlerin macht wird.«

»Dagegen wirst wohl nix thun können!«

»Meinst? O, ich kann da viel thun, vielleicht gar Alles.«

»Was denn?«

»Darüber darf ich nicht reden. Weißt, wanns sich um solche Sachen handelt, wie die Pascherei eine ist, so ists gefährlich, viel darüber zu reden. Ich will also lieber schweigen.«

»Bei dem Allen wirds mir himmelangst nun auch um Dich!«

»Um mich brauchst keine Sorg zu haben. Ich werd jetzunder einige Tagen lang gar nicht viel zu Hause sein; doch darf Dich das nicht in Angst versetzen. Die Wegen, auf denen ich gehe, sind gute.«

»Willst Dir einen andern Dienst suchen?«

»Nein. Ich brauche keinen.«

»Mußt aber doch leben und arbeiten!«

»Das werd ich auch, nämlich wiederum in meinem jetzigen Dienst beim Kerybauer.«

»Nachdem Ihr so im Zorn ausnander gangen seid? Wer soll das glauben!«

»Du. Was ich sag, das kannst für die richtige Wahrheit nehmen. Ich weiß schon, was ich thu. Ich weiß bereits vorher, wie Alles wird. Es ist mir Alles klar. Nur über ein Einziges bin ich mit mir in Zweifel.«

»Was ists? Kann ich Dir nicht vielleicht einen Rath ertheilen?«

»Nein. Du weißt es auch nicht.«

»Was?«

»Die Paschern werden heut in dera Nacht durch das Föhrenholz kommen. Sie redeten davon, daß in dera Nähe eine Mühlen liegt. Weißt Du eine?«

»Nein.«

»Das Föhrenholz liegt gleich neben unserm Dorf. Doch eine Mühlen giebts in dera weiten Umigegend nicht. Das macht mir Schmerzen.«

Ludwig täuschte sich. Was er erlauscht hatte, handelte nicht vom Föhrenholze, sondern vom Föhrenbusche. Beide Orte lagen weit aus einander. Das Föhrenholz war eine kleine Kiefernwaldung ganz in der Nähe von Oberndorf, der Heimath Ludwigs. Der Föhrenbusch aber befand sich bei Hohenwald, eine nicht sehr bedeutende Strecke von der Mühle entfernt, in welcher jetzt König Ludwig wohnte.

Diese Verwechslung der beiden Orte konnte für den Monarchen leicht verhängnißvoll werden.

»Ja,« fuhr Ludwig fort. »Ich hab schon nachsonnen und nachsonnen immerfort, aberst es fallt mir keine Mühlen ein.«

»Wirst fragen müssen.«

»Das kann auch nix helfen. Ich kenn die Gegend grad so gut wie jeder Andere, und es wird Keinen geben, der in dera Gegend vom Föhrenholz eine Mühlen entdecken kann.«

»Ists denn so wichtig?«

»Sehr wichtig. In dera Mühlen soll nämlich heut in der Nacht was macht werden, was ich verhüten muß.«

»Was denn? Das klingt grad so, als obs was Böses ist.«

»Das ists auch.«

»Und wohl gar gefährlich?«

»Sehr.«

»Mein Gott! Ludwig, ich bitt Dich, thu mir doch den Gefallen und gieb Dich nicht mit solchen Dingen ab. Wer sich in Gefahren begiebt, der kann sehr leicht darinnen umkommen. Bedenk, daßt eine Muttern und eine Schwestern hast!«

»Und gar auch noch ein Dirndl, was meine Frauen werden soll!« lachte er.

»Du lachst hierüber! Mir ists gar nicht zum Lachen. Wannst von einer Gefahren redest, so kann ich doch nicht ruhig dabei sein.«

»Hab ich denn sagt, daß ich es bin, für den es eine Gefahren giebt?«

»Ja.«

»Nein. Mir will Niemand nix thun, sondern es ist ein ganz Anderer, dem es an den Kragen gehen soll. Und diesen möchte ich so gern derretten. Ich werd halt doch nach dera Mühlen fragen, und nachhero, wann ich keine Auskünften derhalten kann, so muß ich die Sach dera Polizeien melden.«

»Und wanns Dich auch nicht betrifft, so wirds mir doch gleich ganz angst und bang dabei! Red lieber richtig aus dera Seel heraus, damit ich weiß, woran ich bin. Wann man sich so in Ungewißheiten befindet, so macht man sich das Leben schwerer, als es nöthig ist.«

»Da hast schon Recht. Darum werd ich Dir später Alles derklären. Nur jetzund kann ich nicht. Ich kann Dir aberst sagen, daß ich in gar keiner Gefahr bin, auch nicht in dera kleinsten. Und nun wollen wir von diesem Gespräch ablassen. Hier ist das Gasthaus. Wir werden mal einikehren, denn wir Beid sind noch ganz nüchtern im Magen.«

Sie hatten wirklich noch nichts genossen und darum war ihnen die Schänke eben recht. Diese lag am Eingange eines kleinen Dörfchens, durch welches der Weg nach Oberdorf führte. Nach einer anderen Richtung ging die Straße gegen Eichenfeld und Hohenwald hin.

Die Schänke war ein ärmliches Gebirgshäuschen, fast nur eine Blockhütte zu nennen, da das auf sie verwendete Baumaterial fast nur aus Baumklötzen bestand. Doch machte sie einen freundlichen Eindruck mit ihren kleinen, spiegelblank geputzten Fenstern und den Epheu- und wilden Weinranken, welche die Wände bis an das niedere Dach und die beiden Giebel bis zur Firste hinauf mit ihrem grünenden Kleide umzogen.

Vor der Hütte standen einige Tische nebst den dazu gehörigen Bänken, aus rohen Holzstangen zusammengenagelt. An einem dieser Tische saß ein Gast, ein einzelner, welcher die Nahenden mit erfreutem Blicke musterte. Er stand auf, ergriff seinen alten, mit allerlei Blumen und Kräutern geschmückten Hut, wirbelte ihn in die Luft, fing ihn wieder auf und rief dabei:

»Wer kommt denn da angedampft! Das ist doch dera Ludwigen vom Keryhof mit seiner Muttern! Nein, so was! Wer hätt denn das denkt, daß man hier heroben mit so einem feinen Bub und mit so einer hübschen, jungen Damen zusammentreffen thät! Nein, so eine Freuden! Hier ist meine Hand! Willkommen auch! Setzt Euch herbei und trinkt, was Euer Herz begehrt! Ich zahl Alles, Alles, was nicht über fünfzehn Pfennigen ist.«

Die Frau hatte bereits, als sie ihn von Weitem erblickte, im ganzen Gesicht gelacht. Jetzt antwortete sie, ihm die Hand reichend:

»Grüß Gott auch, Wurzelsepp! Bist und bleibst doch immer dera alte Schabernack!«

»Was sagst? Ich ein Schabernack! Wannst das nochmals sagst, mußt mich gleich mit einem Kussen versöhnen!«

»Mich eine junge, hübsche Damen zu nennen!«

»Bists etwan nicht? Dem Methusalem seine Urgroßmuttern ist achttausend Jahren alt worden. Bist etwan nicht jung gegen diese?«

»Ja, gegen so eine Achttausendjährige! Das ist richtig!«

»Also hab ich doch Recht. Und nun hast auch Du eine Hand von mir, Ludwig. Wie kommts, daßt mal vom Keryhof fort darfst? Hast eine Kindtaufen daheim, oder so eine andere ähnliche Festivitätin?«

»Nein.«

»Also einen Urlauben?«

»Auch nicht. Ich bin fortjagt worden.«

»Fortjagt? Bist auch ein Hallodri, der, mir da einen Bären aufibinden will!«

»Es ist kein Bär, sondern die Wahrheit.«

»Das glaubt Dir dera Teuxel, ich aber nicht. Dera Ludwig wär eben ein Kerlen, den Einer fortjagt! Und dera Kery weiß ganz genau, wen er an Dir hat.«

»Er hats so genau wußt, daß er mich eben fortschickt hat. Aberst reden wir davon nicht. Ich hab einen Dursten und auch einen Hungern. Da setz Dich herbei, Muttern! Jetzt wird gessen und trunken, was das Hotel hier zu schaffen vermag.«

»Holst doch recht groß aus!« lachte der Wurzelsepp. »Hast eine Lotterie gewonnen?«

»Nein; aberst eine Fröhlichkeiten hab ich in mir, die muß heraus.«

»Worüber wohl?«

»Ueber Dich.«

»Willst gleich das Maul halten! Wer wird über den alten Sepp fröhlich sein!«

»Ein Jeder. Wer Dir begegnet, der freut sich sicherlich. Bist eben ein Sonntagsmensch, wie es selten einen giebt. Wo kommst her?«

»Von Oberdorf, wohin Ihr wollt.«

»Und wohin willst?«

»Hinüber nach Hohenwald.«

»Hast wohl dort Geschäften?«

»Ja. Ich hab jetzund meine Stationen dort, wannst mich mal besuchen willst.«

»Dazu kann Rath werden und die Zeit dazu hab ich ja auch.«

»So ists also wirklich wahr, daßt fort bist aus dem Deinigen Dienst?«

»Ja.«

»Himmelsakra! Warum denn eigentlich?«

»Weil – weil – na, weil ich eben nur so ein armer Teuxeln bin.«

»So! Ein armer Teuxeln! Was geht das dem Kery an, wannst Deine Arbeiten machst und Dir nix zu schulden kommen läßt.«

»Aberst ich hab mir was zu schulden kommen lassen.«

»Du? Das glaub ich nicht. Was denn?«

»Nix, als eben nur, daß ich arm bin.«

Der Sepp blickte ihm forschend in das Gesicht, stieß dann einen Pfiff aus, schnippste mit den Fingern und rief:

»Verdorio! Da hab ichs fest! Da ist auch wiederum ein Dirndl schuld daran! O, Ihr jungen Leutln, was seid Ihr doch für ein unnützes Volk! Kaum sieht Einer ein Dirndl, so vergafft er sich in sie, obgleichs die Tochter seines Herrn ist. Und kaum siehts Dirndl den Buben, so langt sie mit allen zehn Fingern nach ihm, obgleich er der Knecht ist und sie einen ganz Andern bringen soll, nämlich den Osec!«

»Ah! So weißt auch davon?«

»Was könnt dera Wurzelsepp nicht wissen?«

»Ja, Du bist dera Vetter von aller Welt, und ein Jeder theilt Dir seine Geheimnissen mit. Aber dera Kery wird Dir wohl nix sagt haben.«

»Der wäre der Richtige! Den kann ich so gut leiden wie den Leichdornen am Fuß. Nein, der sagt mir nix. Dennoch hab ich wußt, daß dera Osec sein Schwiegersohnen werden soll. Das dies dera Gisela nicht passen thut, das konnt ich mir denken, aberst daß es ihr grad um Deinetwillen nicht passen will, das ist mir unbekannt gewest.«

»Ich habs auch nicht wußt,« lachte Ludwig.

»So! Das soll ich glauben?«

»Ja. Ich hab es erst am gestrigen Abend derfahren, und da kam auch sogleich dera Bauern dazu und hat einen Spektakeln macht, daß ich ihm gleich sagte, daß ich heut früh vom Hofe fortgehe.«

»Ists so! Also fortjagen hast Dich nicht lassen, sondern selbst bist gangen. Das kann ich mir denken, denn so Einer wie Du, der sieht sich wohl vor, daß er nicht einen Schandfleck in das Dienstzeugniß bekommt. Also mit dera Gisela bist einig?«

»Ja.«

»Und was sagt ihre Muttern dazu?«

»O, die ist nicht dagegen.«

»Das ist gut. Da werdst Ihr Euch auch bekommen, und wann dera Kery sich noch so sehr dagegen sträubt. Ich bin seit einiger Zeit nicht hinunterkommen nach Slowitz. Aber ich werd in den nächsten Tagen mal hinab und da will ich dem Kery eine Bußpredigten halten, daß ihm die Augen übergehen.«

»Das kann ihm nix schaden. Aberst wo ist denn dera Wirth! Sieht uns denn Niemand sitzen?«

»Laß nur! Es ist kein Mensch daheim, als nur die alte Großmuttern! Bei dieser geht es langsam. Ich hab mir ein Käß und Brod bestellt. Ehe die das fertig bringt, kann eine Woch vergehen.«

»So lang kann ich mich nicht hersetzen; ich hab keine Zeit dazu. Geh Du doch mal hinein zu ihr, Muttern, und hilf ihr dabei. Das wird ihr willkommen sein. Hol ein Bier heraus und ein Essen dazu.«

Seine Mutter folgte dieser Aufforderung.

»Hasts doch recht eilig!« meinte der Sepp.

»Ja, ich hab heut noch gar viel vor.«

»Was denn? Willst Dir einen neuen Dienst suchen?«

»Nein. Ich hab andere Sachen zu versorgen.«

»Und damit hasts gar so schnell?«

»Es erleidet keinen Aufschub. Vielleichten sehen wir uns bereits heut wieder. Ich muß nach Hohenwald.«

»So kannst doch gleich jetzt mit mir.«

»Ich komme nach. Ich möcht doch erst zur Schwestern gehen, um sie zu begrüßen.«

»Nun, wannst dazu Zeit hast, so ist die Sach doch nicht so eilig, als wie ich dachte.«

»Es hat Zeit bis am Nachmittag. Also Deine Stationen hast jetzund in Hohenwald? So kennst wohl auch die Leutln dort?«

»Die kenn ich so gut wie mich selbst, bereits seit langer, alter Zeit, auch ohne daß ich meine Station dort aufschlagen thu.«

»So kannst mir am End eine Auskunften geben.«

»Ja, gern. Was willst wissen?«

»Sind jetzunder fremde Leutln dort im Dorf?«

»Ja. Warum fragst nach ihnen?«

»Ich möcht Einen aufisuchen.«

»Wen?«

»Er soll ein Hexenmeistern sein, ein Tausendkünstlern.«

»Da kenn ich keinen in Hohenwald. Die Bauern, die da wohnen, sind keine Tausend–«

»Er soll im Gasthofen wohnen,« fiel ihm Ludwig in die Rede.

»Ah, im Gasthofen! Sappermenten, das kann schon sein. Jetzunder weiß ich, wenst meinst. Heißt er nicht Signor Bandolini?«

»Ja. Aberst eigentlich nennt er sich anders.«

»So kennst also seinen wirklichen Namen?«

»Ja.«

Das Interesse des alten Sepp begann sich zu verdoppeln. Er zog seine alte Tabakspfeife hervor und begann, den in dem Kopfe enthaltenen Tabaksrest in Brand zu setzen. Es war zu erwarten, daß er etwas Neues, Wichtiges erfahren werde, und dabei mußte die Pfeife brennen. Das erhöhte den Genuß. Er that einige tüchtige Züge und fragte sodann:

»Und wie nennt er sich dann?«

»Jeschko.«

»Das stimmt.«

»Er ist ein Zigeunern?«

»Auch das stimmt.«

»So kennst ihn also?«

»Ganz gut.«

»Mit dem muß ich reden!«

»Das kannst sehr leicht. Er ist immer anzutreffen. Doch, darf ich nicht vielleicht wissen, wast von ihm willst?«

»Ich möcht nicht davon sprechen.«

»Ach so! Es ist ein Geheimnissen?«

»Ja.«

»So behalts für Dich, wannst kein Vertrauen hast zum Wurzelsepp!«

Er stand von der Bank auf und entfernte sich. Er ging in das Innere der Schänke, entweder um die beiden Frauen zur Eile anzutreiben oder weil er sich ärgerte, daß Ludwig nicht mittheilsamer mit ihm war.

Bald brachte er dessen Mutter getrieben. Auch die alte Großmutter kam herbei gehinkt, um das verlangte Essen und Trinken zu bringen. Sie war fast ganz taub, hörte kein Wort von dem, was gesprochen wurde, und entfernte sich bald wieder.

Die Drei begannen zu essen. Der Sepp schien seine gute Laune verloren zu haben.

»Bist mir wohl bös?« fragte Ludwig.

»Bös? Warum sollt ich das sein?«

»Weil ichs Dir nicht sagt hab.«

»Wie könnt ich Dir das übel nehmen? Ein Jeder hat das Recht, zu thun, was ihm beliebt; Du auch.«

»Ich kann Dir nämlich nix sagen, weil ich eigentlich selbst nix weiß.«

»Das klingt seltsam!«

»Ich will es erst derfahren.«

»So! Nun, vielleicht kann ich Dir eine Auskunften geben.«

»Du wohl nicht.«

»So! Hast noch niemals hört, daß dera Wurzelsepp Alles weiß?«

»Ja, aberst dieses kannst nicht wissen. Was geht Dich dera Jeschko und dera Barko an!«

Da legte der Sepp schnell sein Messer hin, sprang auf und rief:

»Barko! Kennst Einen, der so heißt?«

»Ja.«

»Was ist er?«

»Ein Slowak.«

»O wehe! Da ist er es nicht.«

Der Alte setzte sich wieder nieder. Ludwig aber machte die Bemerkung:

»Als Slowak nennt er sich nämlich Usko.«

»So geht er mich nix an.«

»Aber eigentlich heißt er Barko und ist ein Zigeunern.«

Sofort sprang der Sepp wieder auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Kreuzmillion! Warum sagst denn das nicht gleich!«

»Ich kann doch nicht Alles auf einmal sagen! Ein jedes Wort braucht seine Zeit, um aus dem Mund heraus zu kommen.«

»So sperr ihn weiter auf, damit es rascher geht! Weißt, je größer das Loch ist, desto mehr kann hindurch.«

»Ja, Du bist ein Kluger. Du weißt halt Alles auf dera Welt!«

»Nun sei still und schweig und beantwort mir lieberst meine Fragen!«

»Das kann ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Wann ich schweigen soll, kann ich doch nicht antworten.«

»Willst still sein, Du Unnutz! Ich will nun rasch wissen, obst den Barko kennst.«

»Ich kenne ihn.«

»Wo hält er sich aufi?«

»All überall.«

»Er muß doch eine Wohnung haben!«

»Hast Du etwan eine?«

»Hm, eigentlich nicht. So ist er wohl auch so ein Herumtreiber grad wie ich?«

»Ja. Er handelt mit Blechwaaren, Mausefallen und solchen Dingen.«

»Ah, so hab ich ihn vielleicht schon mal sehen. Wann ich nur wissen thät, wo er grad heut und jetzund steckt! Kannsts nicht vielleichten derfahren?«

»Hm! Wann ich mir Mühe geben thät, so wär es vielleicht möglich.«

»Schön! Wannsts möglich machst, so kannst einen schönen Lohn verdienen.«

»Von Dir?«

»Ja.«

»Wieviel wird das sein?«

»Mehr alst vielleichten denkst. Weißt, dera Barko wird gar nothwendig braucht. Es hat Niemand wußt, daß er noch lebt, selbst sein Brudern nicht.«

»Wie? So weißt also, daß der Barko dem Tausendkünstlern sein Brudern ist?«

»Ja. Erst von Dir hab ich jetzt derfahren, daß er noch vorhanden ist.«

»Das ist freilich ein guter Zufall.«

»Die Polizei wird sich freuen, wann sie ihn finden kann!«

»So? Warum?«

»Weil er ein Criminali ist, wie es keinen Zweiten giebt.«

»Das weißt auch bereits?«

»Besser als Du!«

»Vielleicht doch nicht besser.«

»Oho! Hast vielleicht von dem Silberbauern hört?«

»Daß er gefangen ist? Ja.«

»Und vom Thalmüllern?«

»Auch. Mit denen Beiden hat dera Barko früher zu thun habt.«

»Verteuxeli! Der Kerl, dera Ludwig, weiß wahrhaftig auch was davon! Wer hat es Dir denn sagt?«

»Erlauscht habe ich es. Und nachhero war dera Barko betrunken und hat allerlei Zeug sprochen, von einem Knaben, der beim Thalmüllern ist und der – ich weiß nicht mehr, wie er heißen soll. Es war so ein gar besonderlicher Name.«

»Etwa Fex?«

»Ja, ja, Fex hat er sagt. Kennst Du diesen?«

»Sehr gut. Und da er diesen Namen sagt hat, so ists nun auch ganz gewiß, daß er dera Richtige ist, den wir brauchen können. Er ist nämlich ein großer Verbrechern.«

»Das weiß ich auch.«

»Du? Woher willst das wissen?«

»Besser weiß ichs als Du. Er ist ein ganz niederträchtiger Schmugglern.«

»Davon weiß ich freilich nix. Kannst das auch beweisen?«

»Ja.«

»Sappermenten! So bist ganz dera Kerlen, den wir gern haben werden.«

»Wanns daraufi ankommen sollt, so kann ich mit noch weit mehr dienen.«

»Bist ein Tausendsassa!«

»Ja. Ich weiß nicht nur, was er than hat, sondern sogar auch noch, was er thun will.«

»Bist etwan allwissend?«

»Nein. Ich habs derlauscht, als er es seinem Kumpan derzählte und es mit ihm verabredete.«

»Was will er thun?«

»Einen Mord.«

»Donnerwettern! Wann?«

»Eigentlich weiß ich nicht, obs recht ist, wann ich Dir Alles sagen thu. Eigentlich sollt ich zu dera Polizeien gehen.«

»Papperlapapp! Wanns sich um diesen Barko handelt, so bin grad ich die allerrichtigste Polizeien; das wirst bald merken und einsehen. Also heraus damit! Wann will er einen Mord thun?«

»Heut Abend.«

»Herr Jerum! Ist das möglich! An wem denn?«

»Das weiß ich nicht. Kennst vielleichten das Föhrenholz?«

»Natürlich. Es liegt bei Oberdorf, wo ich jetzunder soeben herkomme. Ich bin also durchgegangen.«

»Giebts da eine Mühlen?«

»Nein.«

»Und doch muß es dort eine geben!«

»Nein. Kannst eine ganze Stund im Umkreis laufen, ohne eine Mühlen zu finden. Das weiß ich genau, und auch Du sollsts wissen, da das doch Deine Heimath ist.«

»Ich weiß es ebenso; aber ich bin ganz irre worden. Der Barko hat behauptet, daß es eine Mühlen giebt, welche in dera Nähe des Föhrenholzes liegen muß.«

»So! Was ists denn mit dera Mühlen?«

»Dort soll der Mord geschehen.«

»An dem Müllern?«

»Nein. Der Betreffende muß ein Fremder sein, weicher jetzunder bei dem Müller wohnt.«

Die Augen des alten Sepp wurden größer.

»Sapperment! Jetzt geht mir eine Ahnung auf. Wirst Dich wohl versprochen haben. Beantwort mir nur schnell die Fragen: Weshalb soll er dermordet werden? Etwan aus Rachsucht?«

»Nein. Sie wollen ihn berauben.«

»Himmelsakra! Hat er denn was?«

»Sie sagten, daß er sehr reich sein muß. Sie redeten von dera Uhr und denen Ringen, von Gold und Diamanten.«

»Das Licht, welches mir aufigeht, wird immer größer. Was sagtens denn noch?«

»Ich hab aus ihren Reden hört, daß er von großer Gestalt sein muß, denn sie nannten ihn einen Riesen.«

»Das ist er auch, ja, das ist er.«

»Was! Kennst ihn etwa?«

»Wart erst noch! Haben sie nicht auch seinen Namen nannt?«

»Es scheint so, daß er grad so heißt wie ich, Ludwig.«

»Himmeldonnerwettern! Jetzund ists richtig, ganz richtig! Habens denn nicht auch sagt, was er ist?«

»Nein.«

»Sie müssen doch davon sprochen haben, ob er was ist, ein Kaufmann, ein Bauer, ein Professorn oder so was.«

»Nein. Nur mal ist ihnen ein Wörtle entschlupft. Das muß aberst ein Versehen sein, denn so was ist doch die allerreinste Unmöglichkeit!«

»Wie lautete das Wort?«

»König.«

Da fuhr der Sepp mit den beiden Händen nach seinem Hute, riß ihn vom Kopfe, warf ihn zu Boden und rief:

»Jetzund ists richtig! Ich habs! Es kann zusiegelt werden so sicher, wie ich da meinen Hut auf die Erde werfen thu. Ja, ja, so ists, so ists! Es ist gar kein Zweifel möglich!«

»So ahnsts wohl, wer es ist?«

»Ahnen? Nein, ahnen thu ich es nicht; aber wissen thu ichs, wissen, so sicher und gewiß, daß ich gleich tausend Eiden daraufi schwören könnt.«

»Wirst Dich auch nicht täuschen?«

»Nein. Das werd ich nun gleich noch sehen. Also beim Föhrenholz soll diese Mühlen liegen?«

»Ja.«

»Hasts vielleichten falsch verstanden. Haben sie nicht sagt, beim Föhrenbusch?«

Ludwig stutzte.

»Föhrenholz, Föhrenbusch,« sagte er einige Male hintereinander. »Hm! Ich kann es nicht genau behaupten. Diese beiden Worten sind einander so ähnlich, daß man sie ganz leicht verwechseln kann.«

»Denk nur richtig nach!«

»Ja, wann ichs mir recht überleg, so wird es wohl so sein, wie Du es sagt hast. Sie haben nicht das Föhrenholz meint, sondern den Föhrenbusch.«

»Habs mir doch gleich denkt.«

»Giebts denn einen solchen?«

»Freilich giebt es einen, und den kenne ich sehr genau. Es ist so, ich habe Recht. Meine Vermuthung ist ganz die richtige.«

»Wo ist dera Busch?«

»Bei Hohenwald liegt er.«

»Und ist eine Mühlen dabei?«

»Freilich! Gar nicht weit davon.«

»Und da wohnt wohl so ein reicher Kerlen?«

»Ja, und der heißt ganz richtig Herr Ludwig. Der also soll dermordet werden. Der! Herrgottsakra! Wer so was sagen thät, den möcht man ins Irrenhaus stecken!«

»Und es ist aber so. Ich habe es ganz deutlich hört.«

»Heut in dera Nacht? Wirklich? Doch um Gotteswillen nicht eher?«

»Nein. Vor Mitternacht ist er noch ganz sicher; aber hernach kommen sie.«

»Nun, so kannst jetzund nicht nach Haus gehen nach Oberdorf, sondern Du mußt mit mir gleich nach Hohenwald kommen. Mach schnell, daßt austrinken thust!«

»Wanns so steht, muß ich freilich mit. Und das thu ich gern. Eine Ermordung zu verhüten, das war mein Bestreben. Nur hab ich vergebens nach dera Mühlen sucht. Ich hätt nicht dacht, daß ich sie durch Dich finden würd.«

»Welch ein Glück, welch großes Glück, daßt mich troffen hast! Ohne das war dera Mord ausführt worden, und Hernachens dieses Unglück, dieses Herzeleid, dieses Aufsehen und dieser Jammer!«

»Vielleicht hätt ichs auch ohne Dich funden. Ich hab ja am Nachmittage nach Hohenwald gehen wollt. Dorten hätt ich mich erkundigt und wohl hört, daß es da einen Föhrenbusch und in dessen Nähe eine Mühlen giebt.«

»Auch das ist möglich. Besser aber ists doch, daß wir uns troffen haben.«

»Was ist denn dera Herr Ludwigen für ein Mann?«

»Kein Schustern und kein Schneidern. Er ist ein gar reicher Herr?«

»Ja, die beiden Slowaken redeten gar von Millionen.«

»Die hat er auch. Und dazu ist er ein sehr hoch anstellter Mann. Das Amt, was er hat, ist kein kleines. Also mach, daßt mit mir kommst! Diese Angelegenheit hat eine große Eilen.«

Er setzte seinen Hut auf, warf den Rucksack über und griff nach seinem Alpenstocke. Da sagte Ludwigs Mutter:

»Und ich werd gar nicht fragt, ob ich ihn mit Dir gehen laß!«

»Was giebts da zu fragen!«

»Soll ich allein nach Haus!«

»Wirst den Weg schon finden. Es ist ja heller Tag.«

»Kann er denn nicht nachkommen?«

»Nein. Er muß halt gleich mit mir. Ich halt ihn fest und laß ihn nicht wieder los.«

»Da wollt Ihr gegen zwei Mördern gehen! Herrgottle, Ludwig, thu mir den Gefallen und mach nicht mit! Man weiß nicht, was geschehen kann.«

»Mutter, was fällt Dir ein! Es ist meine Pflicht, mitzugehen.«

»Aber wannst sie mit fangen sollst! Da kommts zum Kampf. Wie leicht kannst dabei derschossen oder gar derstochen werden.«

»Halts Maul, alte Heulmeierin!« rief der Sepp. »Natürlich werden die beiden Kerle festnommen, wanns kommen. Aberst dazu brauchen wir Deinen süßen Ludwigen nicht. Da sind noch andera Leuteln da. Oder willst vielleicht auf die Belohnung verzichten, die er zu erwarten hat?«

»Meinst, daß er eine bekommen wird?«

»Und was für eine!«

»Wenn auch. Für fünf Mark oder zehn soll man sein Leben nicht riskiren.«

»Fünf Mark oder zehn! Wo denkst hin! Dera Herr, um den sichs handelt, giebt mehr, viel mehr. Hundert ist da noch zu wenig. Er zahlt tausend.«

»O Jerum!« rief sie, die Hände zusammenschlagend.

»Wohl auch noch mehr!«

»Mach mir nix weiß!«

»Sei still! Du bist halt so dumm, daß man Dir gar nix weiß zu machen braucht. Wir haben jetzt keine Zeit mehr, uns mit der alten tauben Großmuttern abzugeben. Hier hast ein Geldl! Zahl die Zech, und mach Dich nachhero davon!«

Er nahm einen Thaler aus der Tasche und legte ihn hin.

»Halt, Sepp, das zahl ich,« meinte Ludwig.

»Du? Du willst zahlen? Für den Wurzelsepp? Da kommst schön an! Heut ist mein guter Tag. Da zahl ich Alles.«

»Was nicht über fünfzehn Pfennige ist, hast vorhin sagt.«

»Das war ein Gespaß. Ich bin ein reicher Kerlen und kann das Geldl wegwerfen, wann ich Lust dazu verspür. Jetzt komm!«

Er wendete sich ab.

»Wann kommst heim, Ludwig?« fragte die Frau.

»So bald wie möglich, Mutter.«

»Doch schon am Nachmittag?«

Da wendete der Sepp sich noch einmal zu ihr herum, machte sein grimmigstes Gesicht und antwortete:

»Willst ihn Dir nicht lieber gleich auf den Buckel binden, he? So eine Karfunkeln hab ich doch noch gar nicht sehen! Dera Ludwigen ist Unteroffizieren west und hat sich gar in dera Schlacht das eiserne Kreuzerl derworben, und nun will ihn die Muttern behandeln, als ob er aus Pfefferkuchen backen und mit Prowangseröhlen bestrichen wär. Schäm Dich! Heut kann er nun nicht kommen.«

»O Jerum! Warum heut nicht?«

»Weil er viel zu verzählen hat und als Zeuge dienen muß. Er wird vor Gericht vernommen werden, und – – –«

»Er wird doch nicht etwan gar mit einisteckt werden!« unterbrach sie ihn.

»O Du großartige Dummheiten! Wird man einen Lebensrettern einistecken! Mach Dich von dannen, sonst lauft mir die Gallen in den Magen, und das könnt nachhero leicht mein Tod und letztes Ende sein. Dann käm ich als Gespensten allnachts an Dein Bett und streckte Dir die Zung heraus!«

»Bist aber heut ein Protziger, und Grober!«

»Du hast die Schuld daran! Dera Ludwig geht mit mir und kommt erst morgen nach Haus. Er wird der Gast des reichen Herrn sein, den er derrettet hat, und dabei wird er sich wohler und besser befinden, als wannst ihn mit nach Haus nimmst, in Watten und Seidenpapieren einiwickelst und dann ins Glasschrankerl stellst, damit ihm ja kein Lüfterl an die Nasen weht und er den Schnupfen bekommt. So, jetzt hast genug! Merk Dirs, und behalt den alten Wurzelseppen lieb. Wannt wieder mal jung wirst, kannst seine Frau werden. Behüt Gott!«

Er schritt von dannen. Ludwig verabschiedete sich von seiner Mutter, sagte ihr einige beruhigende Worte und folgte dann dem Sepp.

Dieser brummte, während sie rüstig weiter schritten:

»So sind die Weibern. Sie heulen und klagen, wanns an eine Gefahr denken. Aberst sodann, wann die Gefahr wirklich hereinbrochen ist, nachhero könnens auch die richtigen Helden sein. Dann besitzt oft so ein schwaches Weib, mehr Muth und Ausdauer als dera stärkste Mann.«

»Hast sie freilich tüchtig ausscholten!«

»Das muß man. Wann ich es ihr nicht gar so derb sagt hätt, so hätt sie anfangen zu wimmern wie eine Ziehharmonika, in welche die Katz ein Paar Löchern einifressen hat. Das kann ich nicht ausstehen. Freilich, wanns wissen thät, wer Der ist, dent rettet hast, so würd sie ein gar anderes Gesichterl machen, ein Gesichterl wie Schneeglöckchen und Selleriesalaten.«

»Warum hasts ihr nicht sagt?«

»Weil das Weibsvolken nicht Alles zu wissen braucht. Verstanden?«

»Aber ich darfs wohl derfahren?«

»Eigentlich nicht, denn es ist ein Geheimnissen. Ich denk aberst, daßt ihn kennen wirst.«

»So ist er wohl ein Bekannter von mir?«

»Ein sehr guter sogar, aberst nicht etwan so einer, mit demt schon Sechsundsechzig spielt hast oder einen Scaten oder Schafkopfen. Sehen hast ihn oft, aberst nicht mit ihm redet. Wannst ihn derblickst, so wirst ihn gleich kennen. Darum denk ich, es ist bessern, daß ich Dir schon jetzt sag, wer er ist.«

»Nun, wer?«

»Eigentlich bist ein gewaltiger Dummerian, daßt das nicht schon weißt.«

»Woher sollte ich es wissen?«

»Aus Allem, was sprachen worden ist. Er ist reich; er hat Millionen. Verstanden! Und Ludwigen heißt er auch! Nun denk doch mal nach, wo in Bayern einen Ludwigen giebt, der so reich ist an Millionen!«

Da hielt der einstige Unteroffizier den Schritt an, legte dem Alten fast erschrocken die Hand auf die Schulter und sagte:

»Sepp, sollt meine Ahnung die richtige sein!«

»Nun, was ahnst denn?«

»Dein Herr Ludwig ist ein Mann von sehr großer, starker Figur?«

»Ja, ein Großer ist er.«

»Und eine hohe Stellung hat er? Wohl eine sehr hohe?«

»Eine gar sehr hohe, ja.«

»Um Gottes willen! Sage mir einmal, ist der König jetzunder in München?«

»Nein.«

»Wo denn?«

»Er ist auf eine Sommerfrischen gangen.«

»Wohin, wohin?«

»Na, nach Hohenwald.«

»Herrgott! Also doch, also doch!«

»Was jammerst denn?«

»Ich jammere ja nicht. Aber nachträglich möcht ich erschrecken über die Gefahr, in welcher er geschwebt hat. Also er ists, der König, unser lieber, guter König?«

»Ja, der ist es.«

Ludwig holte tief, tief Athem. Er wollte etwas sagen, aber es kam ihm ein anderer Gedanke. Er wendete sich schnell der Richtung des Weges zu, eilte fort und rief:

»Komm, Sepp, komm schnell! Wir müssen zu ihm, zu ihm!«

Er schritt so aus, daß ihm der Alte gar nicht zu folgen vermochte.

»Kreuzmillionenschockhaselnüssen!« schimpfte er. »Willst gleich anschleifen! Legst sofort den Hemmschuh an! Wer soll denn da mit Dir laufen!«

»Komm nur, komm!«

»Ich komm ja schon! Aberst mach ein Wenig langsamer, sonst bringst mich um! Auf zehn Minuten kann es nun auch nicht ankommen.«

»Auf eine einzige kann es ankommen!«

»Die That soll doch erst in dera Nacht geschehen. Und wannst so fortläufst, so läufst gleich über Hohenwald hinaus: und bist um drei Uhr in Hamburgen und um Vier drüben in Amerika. Was soll aus meiner Lung werden und aus den meinigen Beinen. Ich setz mich hier nieder und geh gar nicht von dera Stell. Nachhero kannst Dir den Herrn Ludwigen selberst suchen!« Er that wirklich so, als ob er sich niedersetzen wollte, und das half.

»Na, komm,« meinte Ludwig. »Du hast Recht. Wir haben ja noch genug Zeit.«

Nun schritten sie neben einander hin, möglichst rasch zwar, aber doch nur so schnell, als der Alte auszuhalten vermochte. Dabei mußte Ludwig nun ausführlicher erzählen, was er erlauscht hatte.

Er hütete sich, Etwas zum Vorschein zu bringen, was dem Kerybauer schaden konnte. Er erzählte überhaupt nur, daß er gestern an der Ziegelhütte vorübergegangen sei und da bemerkt habe, daß sich Jemand darinnen befinde. Er habe sich näher geschlichen und durch die Ladenöffnung Alles mit angehört. Er verschwieg, daß er die beiden Slowaken auch dann am Abende noch einmal beschlichen habe. Der Kerybauer und die ganze Schmuggelei mußte aus dem Spiele bleiben.«

Als er geendet hatte, meinte der Sepp:

»Das hat halt dera liebe Herrgott schickt, daßt an dera Ziegeleien vorüber bist. Wann das nicht wär, so wär morgen in dera Früh das Bayern ein Waisenkind. Ich darf gar nicht daran denken, so steigen mir sogleich alle Haaren zu Berge.«

Nun schwieg die Unterhaltung, der Wald, durch welchem der Weg führte, senkte sich tiefer und tiefer, bis der Pfad in die bekannte, von Steinegg führende Straße mündete. Da lenkten sie links ein und sahen bald Hohenwald vor sich liegen.

Sie hatten die bereits vielfach erwähnte Brücke zu überschreiten und bogen dann wieder rechts, um nach der Mühle zu gelangen. Sepp deutete nach einer Stelle des Waldes rechter Hand, wo die Wipfel einiger sehr hoher Kiefern über die andern Bäume emporragten.

»Schau,« sagte er, »dort ist dera Föhrenbusch, von welchem die Red gewesen ist. Dort sind jetzunder die Bäumen niederschlagen und das Holz steht zum Verkauf in Klaftern; daher also werden die Kerlen kommen!«

Jetzt kamen sie an dem Wehre vorüber und sahen die Mühle vor sich liegen.

»Siehst das Fenstern hier am Giebel,« meinte der Sepp. »Das ist dasjenige, durch welches sie einisteigen wollen.«

»Da drinnen wohnt der König?«

»Ja.«

»Ein König und eine solche Wohnung!«

»Ja, weißt, Du glaubst gar nicht, was für ein eigener und lieber Her? unser guter König ist. Wer ihn nicht kennt, der denkt, er sei ein recht Kalter und Stolzer. Aberst er ist grad das Gegentheil. Das wirst nun auch derfahren. Komm!«

Sie schritten nach dem Eingange zu. Als jetzt der Augenblick da war, vor seinem Könige zu erscheinen, fühlte Ludwig doch Etwas, was er bisher selbst in der Schlacht nicht empfunden hatte. Er kämpfte es aber tapfer, nieder.

Eben kam die alte Haushälterin aus der Thür.

»Dera Sepp!« sagte sie scherzend. »Bist schon wieder da, Du Wegebreit und Unkraut! Wann man mal froh ist und denkt, daßt endlich fort bist, so bist erst recht wiederum daheim!«

»Daran ist nur die schöne Barbara schuld!« antwortete er.

»Ich? Geh und laß mich aus!«

»Nein, ich kann Dich nicht auslassen. Ich hab Dich einmal tief im Herzen drin. Du bist die schöne und liebreizende Schweinefinne, welche mir im Fleische sitzt. Darum komm ich immer wiederum zu Dir herbei!«

»Wannst so weiter redest, werd ich den Tact dazu schlagen,« drohte sie, nach einer Schaufel greifend, welche zufälliger Weise neben der Thür lehnte.

»Das kannst bleiben lassen! Ich bin schon fertig und hab weiter keine Zeit. Ist dera Herr Ludwigen daheim?«

»Ja, er sitzt eben in seiner Stuben und hat die Zeitung in dera Hand.«

»Schön! Komm, Ludwig!«

Er wollte hinauf. Da aber stellte Barbara sich ihm in den Weg und sagte:

»Oho! So rasch geht das nicht! Meinst, ich hab hier gar nix mehr zu gebieten und zu bedeuten! Hier ist kein Ort, wo jeder fremde Vogel ein- und ausfliegen kann, ganz so, wie es Dir beliebt.«

»Hast Recht! Das hätt ich gar beinahe vergessen. Du muß doch wissen, wer mein junger Freund ist!«

»Auch ein Freund! Wie viele Freunde hast denn eigentlich?«

»Zehntausend und noch einige mehr. Also dieser junge Herr, der ist ein berühmter Professor der Astronomie aus Wien, der vor einigen Tagen den Vollmond entdeckt hat. Und diese hier« – fuhr er fort, auf Barbara deutend – »ist die Fürstin Pompadur, die vor sechshundert Jahren die Krinolin derfunden hat. So, nun kennt Ihr Euch, und wir dürfen eini!«

Die Barbara wollte anfangs zürnen, brach aber doch in lautes Lachen aus, gab den Eingang frei und sagte:

»Dich kennt man schon, alter Lügenpatron! Hast nix als bunte Raupen und Würmern im Kopf. Niemals soll ich wissen, wer die Leutle sind, die er mitbringen thut! Aberst ich werds schon noch derfahren, wer dieser Vollmondastronomen eigentlich ist. Er ist weit laufen, das sehe ich schon. Er wird einen Hungern und einen Dursten haben. Darum werd ich gleich einen Schmarren backen, den kann er essen, wann er vom Herrn Ludwigen wieder abikommt. Und nachhero wird er mir sagen, wer er ist.«

Halb gerührt wendete der alte Sepp sich zu Ludwig:

»So ist sie halt immer, die alte, gute, treue Seele. Wann Jemand einikommt, dem muß sie gleich Etwas braten oder backen. Das ist ihr größtes Vergnügen auf dera Erdenwelt, und wanns mal sterben thut, so muß man sie in den Kochheerd oder den Backofen einimauern, sonst findets halt keine Ruhe nicht. Na, mach nur den Schmarren fertig, mein gutes Bärberl, und mach ihn nicht gar zu klein, denn ich helf auch mit essen.«

»Das kannst bleiben lassen! Von mir bekommst im ganzen Leben nix mehr präsenterirt. Du bists nicht werth.«

Da streichelte er ihr die vollen, rothen Wangen und bat zärtlich:

»Nur ein einziges Mal noch! Nicht?«

»Na, ist denn dera Appetiten gar so groß?«

»Ja, und dera Trinketiten noch größer.«

»So will ich mich noch mal derbitten lassen. Aberst mach, daßt Dich endlich besserst, sonst mußt noch verhungern, und wann ich bis an den Hals im Eierkuchen stecken thät!«

»O Jerum! Den möcht ich sehen, was da für eine gar große und dicke Rosinen drinstecken thät. So was Appetitliches und Extrafeines häts noch gar nie geben!«

Er stieg die Treppe hinauf und flüsterte, oben angekommen, dem ihm folgenden Ludwig leise zu:

»Wart hier heraußen. Ich will Dich erst anmelden. Wann man zum König geht, ists was ganz Anderes, als wenn man seinen Gevattern besucht.«

Er legte Rucksack und Bergstock ab, nahm den Hut vom Kopfe, strich sich das Kopfhaar und den gewaltigen weißen Schnauzbart zurecht und klopfte dann an:

»Herein!« antwortete die sonore Stimme des Königs.

Der Sepp trat hinein und zog die Thür hinter sich zu. Der König richtete den Blick fragend auf ihn.

»Bitt gar schön um Verzeihung, Herr Ludwigen. Es steht Einer draußen, der halt mal mit Ihnen reden möcht.«

Der Monarch hatte sich für seine Lectüre gerade jetzt wohl mehr als gewöhnlich interessirt, denn er zog, verdrießlich über die Störung, die Brauen zusammen und sagte in einem ziemlich scharfen Tone:

»Hoffentlich kein Querulant!«

»O nein! Das fallt Demjenigen gar nicht ein!«

»Und auch wichtig genug, so daß es sich rechtfertigen läßt!«

»Das versteht sich. Er ist ein guter und ein gar braver Bayer.«

Die Brauen wichen aus einander und ein leises Lächeln war zu sehen. Der König kannte den Alten. Wenn es nach dem Sepp gegangen wäre, so hätte er jeden braven Bayer zum Könige gebracht.

»Kannst Du das verbürgen?« erklang es, besser gelaunt als vorher.

»Von ganzem Herzen! Er ist ein ebenso guter Patriot, wie da mein Hut, auf dem noch keine Blume steckt hat, die nicht im schönen Bayernlande pflückt worden ist.«

»Auf solche Patrioten, wie Dein alter Chapeau da ist, kann Dein König freilich stolz sein. Das ist allerdings eine dringende Empfehlung für Den, der draußen steht.«

»O, er hat noch weit bessere. Er ist Unteroffizieren gewest und zweimal verwundet worden, hat das eiserne Kreuzerl erhalten und dient bei einem reichen Bauern als der Oberknecht, um seine arme Muttern und Schwestern unterstützen zu können.«

»So! Was wünscht er denn?«

»Wünschen und bitten will er nix. Aberst bringen will er dem Herrn Ludewigen was, und zwar das Allerbest, was es nur geben kann.«

»Was meinest Du?«

»Die Errettung vom Tode.«

Der König richtete, obgleich er sitzen blieb, den Oberkörper langsam empor, maß den Sprecher mit einem vollen, erstaunten Blicke und sagte:

»Errettung vom Tode? Wer soll gerettet werden, Sepp?«

»Sie!«

»Sepp!«

Wieder wollten die Brauen sich finster auf die großen, dunklen Augen senken.

»Bitt gar schön um Verzeihung! Aberst wanns nicht erschrecken wollten, so thät ich es sagen, was es ist.«

»Sprich!« erscholl es gebieterisch.

»Zwei fremde Slowaken haben Sie hier in dera Mühlen sehen und derkannt. Sie wollen heut in der Nacht kommen und Sie durchs Fenstern herein derschießen, um sich die Ringen und Diamanten zu holen.«

Da stand der König auf, kam hinter dem Tische hervor und fragte: »Das ist doch nur die Erfindung eines wahnwitzigen Menschen, welcher es auf ein Geschenk abgesehen hat.«

»Nein, Herr Ludwigen. Es ist die reine Wahrheit. Und wann dera Ludwig Held, wie er heißen thut, nicht das Gespräch der beiden Mördern belauscht hätt, so wehten morgen im ganzen Lande Bayern die Trauerfahnen.«

»Sepp, das sagst Du mit solcher Ueberzeugung! Bedenke, daß ich es nicht gewöhnt bin, mit mir scherzen oder mir eine ersonnene Fabel aufbinden zu lassen.«

Da antwortete der Alte in höflichem, aber doch einigermaßen vorwurfsvollem Tone:

»Dera Herr Ludwigen kennt mich wohl genau. Ich will gleich hier auf dera Stelle sterben, wann ich nicht vollständig überzeugt bin, daß dera Mordanschlag wirklich und in Wahrheit beabsichtigt wird.«

»Dann wollen wir die Sache untersuchen. Laß den Mann herein!«

»Darf ich auch dabei bleiben?«

»Ja.«

Der Sepp öffnete die Thür.

»Kannst hereinikommen. Fürcht Dich aber nicht und red halt von dera Leber weg!«

Ludwig trat herein, während der Alte die Thür hinter ihm zumachte, stellte sich in militärisch strammer Haltung vor den König hin, blickte ihm fest aber bescheiden in das Angesicht und erwartete so die Anrede des Monarchen.

Dieser musterte den jungen Mann mit scharfem Blicke. Die Prüfung mußte wohl befriedigend ausgefallen sein, denn er nickte ihm gnädig zu und fragte:

»Du kennst mich und weißt, wer ich bin?«

»Zu Befehl, Ew. Majestät.«

»Ich höre, daß ein Anschlag gegen mein Leben geplant worden ist. Bist Du überzeugt, daß dem so ist?«

»Zu Befehl, Ew. Majestät.«

»Nenne mich Herr Ludwig! Ich bin hier nicht der König. Erzähle mir in kurzen Worten, was Du mir zu sagen hast.«

Er winkte ihm dabei, eine bequemere Haltung anzunehmen. Ludwig gehorchte und begann seinen Bericht. Er trug denselben ohne Zagen mit klarer, sicherer Stimme vor. Er versprach sich dabei nicht ein einziges Mal. Seine Art und Weise machte sichtlich einen guten Eindruck auf den König, wenn auch der Inhalt seiner Rede einen ganz entgegengesetzten hervorbringen mußte. Als er geendet hatte, trat er einen Schritt zurück und wartete in ehrerbietiger Haltung auf den Bescheid des Königs.

Dieser sagte zunächst kein Wort. Er trat an das Fenster und blickte längere Zeit hinaus, ohne sich zu regen. Sein Gesicht war nicht zu sehen. Welche Regungen mußten jetzt durch seine königliche Seele gehen!

Als er sich dann wieder umdrehte, zeigte sein Gesicht den Ausdruck ruhiger, milder, wohlwollender Freundlichkeit. Anstatt von dem Mordanschlage zu sprechen, fragte er:

»Bist Du arm?«

»Ja, Herr Ludwig.«

»Und unverheirathet?«

»Ja.«

Bei dieser Antwort flog eine leichte Röthe über sein offenes, Vertrauen erweckendes Angesicht. Der König bemerkte es. Er konnte nicht darüber in Zweifel sein, was dieses Erröthen zu bedeuten habe.

»Aber Du hast eine Braut?« fragte er lächelnd.

»Eine Braut nicht, aber eine Geliebte.«

Auch den Sinn dieser Worte faßte der Monarch sofort richtig auf, wie gleich seine nächste Frage bewies:

»Ihre Eltern sind wohl dagegen?«

»Nur dera Vatern. Der ist ein reicher Bauern drüben in Slowitz, ich aberst bin ein armer Bub.«

»Slowitz, das ist drüben in Böhmen, hm! Ist der Mann denn gar so reich?«

»So gar mit Scheffeln wird er die Ducaten doch wohl nicht messen können.«

»Erzähle mir von Deiner Familie!«

»O, da ist nicht Vieles zu derzählen. Die leben schlecht und recht und thun ihre Schuldigkeiten. Damit ist wohl Alles sagt, und da kann kein Dichtern eine Novelle oder gar einen Roman draus machen.«

»Dennoch will ich mehr von Deiner Mutter, Deiner Schwester und Deiner Geliebten hören. Von Personen, welche man lieb hat, spricht man doch gern.«

»Ja, das ist schon richtig. Wann ich es so nehmen thu, so könnt mir freilich sogleich das Herz überlaufen.«

»Nun, so laß es einmal überlaufen!«

Der König nahm wieder auf dem Sopha Platz und es gelang ihm, durch aufmunternde Fragen dem bescheidenen Burschen eine aufrichtige Darstellung seiner Verhältnisse zu entlocken.

Der Sepp erlaubte sich zuweilen eine Bemerkung, durch welche er entweder etwas Unbekanntes oder Ungenaues erläuterte, oder dem Erzähler Muth zu machen suchte, weniger zurückhaltend zu sein.

Es waren kaum zehn Minuten vergangen, so hatte Ludwig dem Könige weit, weit mehr erzählt, als er selbst glaubte; denn was nicht gesagt worden war, das wußte die scharfe Combinationsgabe des Monarchen auf das Sicherste zu errathen.

Jetzt war er zu Ende. Es war ein wirklich herzensfreundlicher Blick, welchen der König auf ihn warf, um abermals seine Gestalt zu prüfen.

»Und nun erzähle, auf welche Weise Du im Kriege verwundet worden bist und Dir das eiserne Kreuz verdient hast.«

Auch dieser Aufforderung kam der junge Mann nach, doch in so bescheidener Weise, daß zu hören war, er wolle mehr verbergen als erzählen. Das brachte ihm das Wohlwollen des Königs in noch höherem Maße ein. Der Letztere streckte ihm jetzt sogar die Rechte entgegen und sagte:

»Held, Du bist wirklich das, als was der Sepp Dich mir bezeichnete, ein guter, braver Bayer. Ich freue mich. Dich kennen gelernt zu haben, und hoffe, daß auch Du diesen Tag nicht vergessen wirst. Hier, nimm meine Hand. Es passirt nur Wenigen, dieser Auszeichnung sich rühmen zu dürfen. Der Händedruck Deines Königs mag Dir in Erinnerung bleiben für Dein ganzes Leben; er sei Dir die beste Belohnung für Deine Tapferkeit und Treue, ebenso für das, was ich Dir heute wieder zu danken habe, und der Gedanke an den gegenwärtigen Augenblick schwebe immer vor Dir wie ein Engel, welcher Dich vor dem Bösen warnt und vor jedem Fehltritt behütet!«

Das war ernst aber freundlich gesprochen. Der König hielt die Hand des armen Knechtes während der ganzen Rede fest umschlossen. Ludwig schluchzte. Es war ihm so selig, so fromm zu Muthe, wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er bückte sich nieder, drückte seine Lippen auf die königliche Hand und konnte es nicht verhindern, daß dabei einige Thränentropfen auf dieselbe fielen.

»Mein König und mein Herr,« schluchzte er, »ich möcht vor Wonne und vor Leid gleich sterben. Es ist mir, als ob meine Seele ausnander springen möcht vor Freud und vor Glück, und doch ists mir auch ganz so, als ob ich ein ganzes Meer von Wehmuth in mir hätt, vor Wehmuth darüber, daß ein solcher Herr sich herabläßt, in dieser Güt und Freundlichkeiten mit mir zu reden. Verlangens mein Leben und ich gebs her, gleich auf dera Stell und mit tausend Freuden.«

»Nein,« lächelte der König gerührt, »ein solches Opfer verlange ich nicht von Dir. Du sollst leben, Dir und mir zur Freude. Du hast mir das Leben erhalten und dafür soll es fortan mein Bestreben sein, daß das Deinige sich glücklich gestaltet. Mein Dank wird nicht auf sich warten lassen.«

»O nein. Dank sinds mir gar nicht schuldig. Wann Einer von uns dem Andern danken muß, so bin halt nur ich Derjenige. Ich hab nur meine Schuldigkeiten than, und dabei ist doch gar nix, denn es war Alles so gar leicht und ich hab nix dabei zu wagen habt. Aber die Hauptsach ist, daß Sie wirklich meinen, mir einen Dank schuldig zu sein. So glaubens nun also, daß ich die Wahrheiten sagt hab?«

»Ja. Nachdem ich Dich gehört habe, bin ich vollständig überzeugt, daß ich morgen nicht mehr leben würde, wenn Du nicht gekommen wärest, mich zu warnen.«

»Gott sei Dank! Darauf, daß Sie das glauben, kommt ja Alles an. Da werdens nun also auch die Vorbereitungen treffen, daß der Anschlag nicht gelingen kann.«

»Ja, das werde ich ganz gewiß, und da wirst Du auch erkennen, daß Deine Warnung für Dich nicht ganz so gefahrlos ist, wie Du vorhin meintest.«

»Ich hab doch wirklich keine Gefahr gehabt.«

»Bis jetzt noch nicht. Sie wird aber ganz gewiß noch kommen. Es fällt mir natürlich gar nicht ein, dem Mordanschlage nur aus dem Wege zu gehen, sondern die Hauptsache ist, die Mörder für alle Zukunft unschädlich zu machen.«

»Freilich, freilich! Das denk ich auch. Wir müssen sie ergreifen.«

»Wir, sagst Du?«

»Ja, natürlich!«

»So willst Du also auch mit dabei sein?«

»Ich hab mir das als eine ganz besondere Gunst und Gnad erbitten wollt.«

»Nun siehst Du, das ist es ja grad, was ich meine. Die Festnahme solcher Leute ist doch nicht ungefährlich, und wenn Du Dich dabei betheiligen willst, so begiebst Du Dich in Gefahr.«

»Sappermenten!« meinte Ludwig stolz. »Ich bin doch nicht etwa dera Kerlen, der sich vor denen Beiden fürchten thut!«

Er hatte sich bei diesen Worten stramm emporgerichtet, und blickte dem Könige fast herausfordernd ins Gesicht. Dieser lächelte fröhlich und meinte:

»Ja, wie Du so dastehst, so machst Du wohl den Eindruck, daß Du kein Hase bist.«

»Na, ein Has, wann ich der wär, so thät ich mich gleich vor mir selber schämen. Nein, nein. Wissens, Majestät, wanns die Kerlen dergreifen wollen, so brauchens dazu keinen Andern, als halt nur mich ganz allein. Ich nehm sie Beid beim Wipfel, daß es ein Vergnügen sein soll.«

»Ich traue es Dir zu; aber Vorsicht ist auch hier nothwendig. Du wirst mir schon erlauben müssen, noch einige Andere daran zu betheiligen.«

»Das versteht sich ganz von selbst,« fiel da der alte Wurzelsepp ein. »Ich bin nicht Derjenige, der in der Ferne stehen möcht, wanns einen solchen Fang gilt.«

»Also auch Du, Alter, wirst mit helfen?«

»Natürlich! Oder meinens etwa, daß ich kein Mark mehr in denen Knochen hab? Da will ichs doch lieberst gleich mal zeigen. Komm her, Ludwig. Wollen mal mit nander raufen, damit unsera Majestäten sieht, was dera Wurzelsepp noch vermag.«

Er streifte die Aermel seiner alten Jacke empor, ballte die Fäuste und trat auf den Oberknecht zu.

»Halt,« lachte der König, »wir sind hier in keiner Schänke. Ich glaube auch ohne diesen Beweis, daß Du Dich nicht gleich werfen lassen wirst.«

»Gewißlich nicht! Ich möcht denen Urian sehen, der den Wurzelsepp zu Boden bringen will. Und so zwei armselige Slowakern, das wären die Richtigen dazu! Also wir Beiden, dera Ludwigen und ich, wir genügen. Es braucht kein Dritter dabei zu sein.«

»Hm! Ihr seid wirklich recht siegesgewisse Leute. Ich fürchte mich auch nicht, aber um allen Zufälligkeiten vorzubeugen, werde ich noch Zwei zu Euch commandiren.«

»Noch Zwei? Etwa den Müllern?«

»Nein. Der darf von der ganzen Angelegenheit nichts wissen.«

»Nichts? Das ist gefehlt. Er ist doch dera Hauswirthen und muß unterrichtet werden.«

»Grad er auf keinen Fall. Er würde sich dabei vielleicht so verhalten, daß die Slowaken es bemerkten, daß sie verrathen worden sind.«

»Ja, dieser Gedank ist wohl richtig. Wann er es dera Barbara plaudert, so erhebt die ein Geschrei, daß man es in Asien und Amerika hören thut. Das thäten die Kerlen vielleicht merken.«

»Das ist ja meine Ansicht. Wir müssen uns die Sache gut überlegen.«

»Ganz richtig!« schmunzelte der Sepp. »Wir müssen es machen wie ein kluger Generalen, bevor er die Schlacht beginnt. Es gehört da eine richtige Strategerie und Taktiken dazu. Und dieses Beides verstehen wir.«

»Du ganz besonders,« nickte der König belustigt. »Darum sollst auch Du der Erste sein, den ich um Rath frage. Wo wie werden wir uns am Besten verhalten müssen?«

»Das ist doch sehra leicht. Wir warten, bis sie kommen, und greifen tüchtig und schnell zu. Wann wir sie nachhero einmal in denen Fäusten haben, so kommen sie gewißlich nicht wieder los.«

»Was sagst Du dazu?« fragte der König den Knecht.

»Ich bin gegen diese Ansicht,« antwortete der Genannte in bescheidenem Tone.

»Warum?«

»Weil wir denen Mördern auf diese Weis Gelegenheit geben, eine Ausred zu machen.«

»Du hast sehr Recht.«

»Wir dürfen sie nicht gleich dergreifen, wann sie kommen, sondern wir müssen warten, bis sie den Mord begangen haben.«

»Bist verrückt?« rief der Sepp.

»Nein, das bin ich nicht.«

»Aberst Du meinst halt doch, daß sie unsere Majestäten dermorden sollen!«

»Das hab ich nicht sagt. Wir müssen sie aus dera That ertappen. Wir müssen warten, bis sie schossen haben und durch das Fenstern in die Stub einisteigen.«

»Jetzund bleibt mir dera Verstand gleich stillstehen! Sie sollen schießen und doch soll dera König nicht dermordet sein?«

»Nein, er lebt noch.«

»Aberst er wird sich doch nicht etwan hier ins Bett legen sollen?«

»Nein.«

»O Du Schwachkopf Du! Wann er nicht drin liegt, so schießens eben nicht!«

»Es legt sich ein Anderer hinein!«

»So schießens den todt, weils ihn für den König halten!«

»Das schadet nix.«

»Mensch, Dein Hirn möcht ich sehen! Das muß wie ein Leimtopf ausschauen! Wer soll sich denn hineini legen und derschießen lassen? Etwan ich? Fallt mir nimmer ein! Ich hab meinen König lieb und bin bereit, mein Leben für ihn zu wagen, aberst auf eine so unnöthige Art und Weisen sich im Bett umbringen lassen,, dazu bin ich nicht als kleiner Bub auf die kommen. Oder willst Du die Rolle übernehmen?«

»Nein. Hab ebenso wenig Lust dazu wie Du.«

»Wer solls dann sein?«

»Eine Puppe.«

Der alte Sepp sperrte das Maul weit auf, starrte ihn einige Augenblicke an, gab sich dann selbst eine schallende Ohrfeige und sagte:

»Sepp, Sepp, was bist doch für ein Dummrian gewest. Dera Ludwig hat Recht! So ein Gedank kann halt gar nicht besser sein! Wir machen eine Pupp, eine Figurenperson, und legen sie ins Bett. Wanns nachhero diese erschießen, so ists nicht schad um sie.«

»Nein! Wir aberst können denen Beiden beweisen, daß sie den König und Herrn haben derschießen wollen.«

»So ists! Ludwig, bist wirklich kein dummer Kerlen! Aberst wann? etwan merken, daß es nur eine Puppen ist!«

»Das merkens nicht. Dera Usko hat sagt, daß dera König ein Nachtlichten brennen thut. Dasselbige müssen wir so klein machen, daß es nur einen geringen Schein abgiebt. Nachhero brauchen wir gar keine ganze Figuren in Menschengröße, sondern nur einen Kopf, den wir auf's Kissen legen. Und das Deckbett ziehen und legen wir so, daß es den Anschein hat, als ob der Leib unter demselbigen läg.«

»Ich stimm vollständig bei! Nachhero könnens einisteigen und – Himmel sacra, den Kopf hab ich schon!«

»Den Deinigen etwa?«

»Nein, den geb ich nicht dazu her. Drunten im Gewölb hat dera Müllern einige Kürbissen liegen. Aus denen schneiden wir den Kopf. Die Schale ist dunkel, die giebt das Haar. Auf anderen Seiten schneiden wir sie weg und schnitzen ein Gesichten mit Mund und Nas und Stirn und Augen. Das soll ein Prachtkopf werden. Meinst nicht auch, Ludwig?«

»Ja, das ist das Best, was wir thun können, wann nämlich unser Herr damit einverstanden sein will.«

Der König hatte die Beiden nicht unterbrochen. Jetzt, als Ludwig die letzten Worte direct an ihn richtete, antwortete er ihm:

»Es ist wirklich eigenthümlich, daß Du ganz denselben Plan entwickelst, welcher auch mir vorschwebte. Ich hatte gleich den Gedanken, mich einer Puppe zu bedienen. Und der Kürbis ist geeigneter als jedes Andere dazu. Nur darf der Müller einstweilen noch nichts davon merken, daß ihm ein solcher fehlt.«

»Er soll nix wissen,« antwortete der Sepp. »Ich bin ein ehrlicher Kerlen, aberst bei so einer Gelegenheiten kann ich mausen wie ein Rab oder eine Elster.«

»Gut! Aber wer schneidet das Gesicht?«

»Ich,« antwortete der Alte.

»Wirst Du es bringen?«

»So gut und noch bessern als jeder Andere. Wann ich zuweilen ins Oberammergau kommen thu, so hab ich gute Bekannte unter denen dortigen Holzschnitzern und da sitz ich allemalen tagelang bei ihnen und schneid irgend eine Figuren zurecht.«

»Aber wie!« lachte der König.

»Oho! Da giebts halt gar nix zu lachen! Ja, erst, da wollts nicht recht gelingen. Wann ich einen Frauenkopf schneiden wollt, so war es ein Elephantengesicht und wann ich ein Pferd schnitzen wollt, so wars nachhero ein Papageien. Sodann aberst gings immer besser und besser und jetzt bring ich ganz genau das, was ich bringen wollt. Also dera Kürbiskopf wird ganz gut werden, und wann ich mir ein Wengerl Mühen geb, so glaub ich sogar, daß er einige Aehnlichkeiten haben soll.«

»Das möchte ich mir eigentlich verbitten,« scherzte der König.

»Werdens sich aber diesmalen doch gefallen lassen müssen! Je ähnlicher die Visagen wird, desto eher lassen die Slowaken sich täuschen. Nun möcht ich auch wissen, wer die Anderen sind, die mit helfen sollen.«

»Zwei gute Bekannte von Dir. Der Lehrer und der Fex.«

»Ah, diese Beiden! Das laß ich mir schon gern gefallen. Wann die mit dabei sind, da muß die Sach gelingen. Wie aberst soll es anfangen werden?«

»Sehr einfach. Nachdem wir den Kopf in das Bett gelegt und die Decke so draperirt haben, daß es den Anschein hat, als ob ein Mensch unter derselben liege, verstecken sich Zwei von Euch hier im Zimmer. Die zwei Andern aber verbergen sich draußen vor dem Fenster so, daß sie den Mördern nahe sind, ohne von ihnen bemerkt zu werden.«

»Das ist leicht. Es steht ja Hollunder längs dera Mauer hin. Das giebt ein gutes Versteck. Aberst ich mein, daß es besser sei, wann sich Alle hier in dera Stub verstecken. Nachhero kommen die Mörder einistiegen und werden sogleich dergriffen.«

»Nein, dazu rathe ich nicht und ich habe meine guten Gründe. Ich muß Euch so viel wie möglich schonen.«

»Uns? Wer soll uns Etwas thun? Wir sind doch vier Personen gegen zwei.«

»Das ist richtig. Ich bin überzeugt, daß Ihr die Beiden überwältigen werdet; aber es ist doch leicht möglich, daß es trotz Eurer Uebermacht zum Kampfe kommen kann.«

»Wehren werden sich die Hallunken freilich, aberst es soll ihnen nix nützen. Wir nehmen sie halt gleich so fest, daß sie sich gar nicht rühren können.«

»Es fragt sich, ob Euch das gelingt. Und ich glaube, die Slowaken haben gefährliche Waffen bei sich. Wie leicht könnte da Einer von Euch verwundet werden!«

»Was schadet das? Gar nix!«

»Aber es kann und muß verhütet werden. Uebrigens dürft Ihr nicht denken, daß Alles so glatt gehen wird, wie Ihr es Euch denkt. Die Beiden können nicht zugleich einsteigen. Der Eine kommt hinter dem Andern. Wenn nun Derjenige von ihnen, welcher voransteigt, bemerkt, daß der Kopf ein vingirter ist, so –«

»Ein vingirter – wie soll ich das verstehen? Er ist doch aus einem Kürbis schnitten!«

»Vingirt heißt ein nachgemachter, unechter Kopf.«

»Ach so: Nun, wann ers bemerkt, so hat das nix zu bedeuten. Wir dergreifen ihn doch.«

»Aber dann wohl den Zweiten nicht. Der Erste wird sofort zurück wollen.«

»Wir halten ihn fest.«

»Ja doch, aber der Zweite, welcher noch nicht in der Stube ist, wird Zeit gewinnen, zu entkommen.«

»Sappermenten, das soll er nicht!«

»Es kann ihm aber gelingen, wenn alle Vier sich hier befinden. Nein, zwei von Euch müssen unbedingt draußen sein. Ich denke mir, daß dann der Erste von Zweien hier und dann der Zweite von den anderen Zweien draußen, während er sich beim Hereinsteigen befindet, festgenommen wird.«

»Hm, das will mir jetzund einleuchten. Das wird das Beste sein.«

»Ganz gewiß. Ich selbst werde mich draußen vor der Thür befinden und im geeigneten Augenblicke hereinkommen. Stricke, um die Strolche zu binden, müssen vorhanden sein.«

»Die werd ich auch besorgen und zwar vom allerbesten Hanf. Wann ich sie gleich daran aufihängen könnt, so sollts mir ein Gaudi und Vergnügen sein.«

»Also wann wollen sie kommen?«

»Ich denk mir halt, daß sie kurz nach Ein Uhr hier sein werden,« antwortete Ludwig.

»So müssen wir bis Mitternacht die Vorbereitungen beendet haben. Und wie waren ihre Namen?«

»Usko und Zerno. Aberst dera Usko heißt eigentlich anderst, nämlich Barko. Er ist ein Zigeunern, das hab ich derlauscht, und soll einen Bruder hier in Hohenwald haben, nämlich den Tausendkünstler Jeschko.«

Diese Mittheilung machte einen sehr schnellen Eindruck auf den König.

»Jeschko?« sagte er. »Den Signor Bandolini? Dessen Bruder ist er? Ah, das hinge ja mit der Vergangenheit des Fex zusammen!«

»Ja, vom Fex habens auch mit nander sprachen!«

»Welch ein Fang, den wir da machen werden! Vielleicht erhalten wir da Aufklärung über Verschiedenes, was uns bisher noch dunkel gewesen ist. Sepp, gehe doch in das Wirthshaus und schicke mir den Tausendkünstler heraus. Ich muß mit ihm sprechen.«

»Darf er wissen, wers ist, mit dem er da redet?«

»Nein. Uebrigens kennt auch Ihr Beide mich nicht. Ich heiße Ludwig, anders nicht.«

»So werd ich gleich laufen. Die Barbara kann mit ihrem Schmarren, dens machen wollt, warten, bis ich wiederum zuruck bin.«

Der König lächelte über diese Bemerkung des Alten und sagte:

»Na, so eilig habe ich es nicht. Wir haben ja noch lange Zeit. Also laß Dir immerhin den Schmarren vorher schmecken. Es genügt, wenn dieser Bandolini überhaupt noch vor Abends zu mir kommt.«

»Na, bis dahin bringe ich ihn schon her citirt, so wie er leibt und lebt.«

»Schön! So sind wir also für jetzt fertig. Ich danke und werde Euch noch weiter danken. Wo wirst Du Dich bis zum Abende hier aufhalten?«

Ludwig, an welchen diese Frage gerichtet war, antwortete:

»Ich bleib mit dem Sepp beisammen. Wo der ist, da bin ich auch. Und wann uns die Zeit zu langsam vergeht, so ist doch eine Schänk im Dorf, wo man sich eine Kurzweil bereiten kann.«

»So will ich wenigstens verhindern, daß Du um meinetwillen Dein schwer verdientes Geld verzehrst. Hast Du eine Geldtasche mit?«

»Ja, einen Beutel hab ich gar wohl.«

»So mache ihn einmal auf.«

Er zog seine Börse hervor, um den Inhalt derselben in Ludwigs Beutel zu schütten. Der junge Bursche aber fuhr wie erschrocken zurück und sagte:

»Nein, nein! Ich dank gar schön! So was kann ich nicht zugeben!«

»Ich wünsche es aber.«

»Alles, Alles will ich thun, Majestät, aberst eine Bezahlung annehmen, das möcht ich nicht. Wann Sie es gebieten, so muß ich freilich gehorchen, aberst ich bitt gar schön, es nicht zu thun.«

Da reichte der König ihm die Hand.

»Braver Bursche! Aber wie soll ich Dir dankbar sein, wenn Du nichts von mir annehmen willst?«

»Ich hab den Dank bereits genossen und werd ihn im Herzen haben, so lang wie ich lebe.«

»Nun gut, so sollst Du Deinen Willen haben. Also geht jetzt zu Eurer Barbara und schickt mir den Fex und den Lehrer herbei, wenn Ihr diese Beiden trefft. Sagt ihnen aber ja nicht, um was es sich handelt.«

Der Sepp machte eine seiner curiosen Verbeugungen; der Andere aber machte ein militärisches Honneur; dann gingen sie.

Draußen nahm der Alte Alpenstock und Rucksack auf und stieg die Treppe hinab. Unten wendete er sich an seinen Gefährten:

»Nun, was sagst dazu?«

»Gar nix!« antwortete Ludwig leuchtenden Angesichts.

»Hast die Sprach verloren?«

»Beinahe.«

»Und wie ists Dir zu Muthe da herum, in dera Gegend, wo das Herz sitzen thut?«

»Ganz unaussprechlich.«

»Ja, man siehts Dir auch an, daßt im siebenten Himmeln bist. Ich weiß, wie es mir da unterm Kamisol gewumpert und gepumpert hat, als ich zum ersten Male mit ihm sprach. So einen Zweiten giebts halt nicht. Oder kennst vielleicht Einen?«

»Nein.«

»Ich auch nicht. Vergiß diese Stund nicht, Ludwig. Du wirst bald erkennen, wie wichtig sie für Dein Leben sein wird.«

»Es wird die schönste und heiligste Stund meines ganzen Lebens sein und bleiben.«

»Ja, aberst nicht nur in dieser Beziehung, sondern auch in einer anderen. Dein Leben wird eine ganz andere Gestalt erhalten. Du wirst die Füßen auf einen ganz neuen Weg zu setzen haben.«

»Wie meinst das?«

»Das kannst Dir nicht denken? Warum hast das Geldl nicht angenommen? Ich habs so blinken sehen. Es waren viele Goldstuckerln dabei.«

»Das hab ich auch sehen. Aberst eher wär ich davonlaufen, als daß ich ein Geldl genommen hätt. Eine Bezahlung von meinem guten König! Nein, nein! Und wann ich verhungern sollt, das, was ich than hab, diese Pflicht und Schuldigkeiten laß ich mir nicht bezahlen.«

»Ja, das ist brav und auch klug. Es scheint, daßt ein gar kluger Rechner bist.«

Sein Blick war mit einem schalkhaften Ausdruck auf Ludwig gerichtet.

»Ja, rechnen kann ich wohl,« antwortete dieser ganz unbefangen.

»Das hab ich gleich dacht, sonst hättst das Geldl nommen.«

»Wie meinst denn das?«

»Nun, weilst nun noch viel mehr bekommen mußt.«

»Was fallt Dir ein!«

»Seh, thu doch nicht so, als obst mich nicht verstehen thätst. Ein Kluger bist, ein gar Kluger, das hab ich sagt und das werd ich auch noch fernerhin sagen.«

»Sapperment! Sag doch, wast meinst! Ich kanns nicht begreifen.«

»So, den Geheimnißvollen willst auch dazu spielen? Da kommst bei dem alten Sepp nicht gut an! Er schaut Dir durch und durch. Oder denkst etwan, daß dera König sich von Dir das Leben retten läßt, ohne es Dir zu danken. Da bist schief gewickelt.«

»Ich will aber keinen Lohn!«

»Ja, das ist eben die Klugheit von Dir. Wannst das Geldl nommen hättest, so wären es vielleicht hundertundfünfzig oder zweihundert Markerln gewest. Das war freilich zu wenig für das Leben eines Königs.«

»Sepp, was fallt Dir ein?«

»Was mir einifallt? Gar nix und doch auch viel. Du magst keinen Lohn? Denkst etwan, dera König richtet sich darnach, wast magst oder nicht? Er wird Dich belohnen, darauf kannst Dich verlassen und weilst das Geldl nicht nommen hast, nun grad wird er Dir noch mehr geben.«

»Er soll mir nur kommen!«

»Was willst dagegen machen?«

»Ich nehm halt nix. Das ist gewiß.«

»Auch die Gisela nicht?«

»Die hat nix damit zu thun.«

»So! Bist wirklich ein gescheidter Kerlen! Na, dera Wurzelsepp wirds dem König sagen, daßt nix haben magst, nicht mal die Gisela und wannst nachhero als alter Junggesellen begraben wirst, so darfst nicht schimpfen, denn Du selbst bist schuld daran. Aberst jetzt still, denn da guckt sie schon!«

Die Barbara war nämlich unter die halb offene Küchenthür getreten.

»Was giebts denn da unter Euch zu zanken?« fragte sie. »Daß nun dera Sepp niemalen Ruh und Frieden halten kann! Kaum hat er einen neuen Bekannten entdeckt, so schimpft er auf ihn hinein. Der kann mir gut gestohlen werden!«

»So stiehl ihn Dir selberst, denn eine alte Spitzbübin bist doch immer gewest. Wie steht es denn in dera Küchen! Ist das Essen bald fertig?«

»Noch nicht. Und wannst mich störst, so kannst noch lange warten. Schaff, daßt wiederum hinaufi kommst.«

Er war nämlich zu ihr in die Küche getreten, sie aber schob ihn wieder hinaus.

»Wie fein das riecht!« lachte er. »Wie nur gleich? Jetzt weiß ich wirklich nicht, was sie uns zusammenschmort.«

»Brauchsts auch nicht zu wissen; wirsts schon bald derfahren. Also, mach Dich davon.«

Sie schob ihn vollends heraus, machte die Thür zu. und schob von innen den Riegel vor, freilich nur zum Scherz. Da drehte er von außen den Schlüssel um und flüsterte Ludwig zu:

»Das macht sich gut. Jetzunder kann sie nicht heraus und ich werd den Kürbis mausen.«

»Wo ist er?«

»Gleich hinter dera Thür daneben.«

»Wo schaffst ihn hin?«

»Hinaus in den Garten. Da versteck ich ihn in den Büschen und kann ihn mir nachhero heimlich holen.«

»Aber sieht Dich Niemand?«

»Nein, denn ich hör, daß dera Müller in der Mühlen ist. So ist die Luft rein und es wird Niemand merken, was ich thu. Geh also hinein in die Stub. Ich komm auch gleich nach.«

Ludwig folgte dieser Aufforderung. In der Stube war Niemand. Er setzte sich, auf einen Stuhl an den Tisch. Da knarrte hinter ihm eine Thür. Er blickte sich um und sah das rothe, lachende Gesicht der alten Barbara.

Wenn Sepp geglaubt hatte, sie fest eingeschlossen zu haben, so war er im Irrthum gewesen, denn die Küche hatte ja zwei Thüren, eine nach dem Hausflure und eine nach der Wohnstube. Durch diese letztere kam sie jetzt herein.

»Wo ist er?« fragte sie leise.

Ludwig war beinahe erschrocken. Wie nun, wenn Sepp jetzt erwischt wurde?

»Wer denn?« fragte er verlegen.

»Nun, dera Sepp.«

»Er ist noch draußen, wird aber sogleich reini kommen.«

»Warum hat er den Schlüssel umidreht?«

»Hat er das macht?«

»Ja.«

»So möcht ich wissen, warum! Vielleicht weil Du selbst auch zuschlossen hast!«

»Nein, denn wann ich zuschließ, so braucht er nicht noch auch zuzuschließen. Er hat glaubt, ich bin nun einischlossen und kann nimmer heraus. Wer weiß, was für eine Narrheiten er treiben will. Ich werd gleich mal nachschauen.«

Sie schritt nach der Stubenthür.

»Sapperment, wo willst hin?« fragte Ludwig.

»Hinaus.«

»So bleib doch da.«

»Warum? Was machst für ein Gesicht?«

Sie betrachtete ihn aufmerksam. Er versuchte, gleichgiltig zu erscheinen und antwortete:

»Was soll ich für eins machen? Das meinige doch.«

»Das weiß ich. Aberst das ist in diesem Augenblicke ein gar besonderbares. Bist doch ganz verlegen. Weshalb denn?«

»Verlegen? Ich? Das fallt mir gar nicht ein! Ich wüßt auch nicht, warum?«

Er war langsam näher gekommen und versuchte nun, sich zwischen sie und die Thür zu stellen. Das aber fiel ihr auf. Sie gab ihm einen gelinden Rippenstoß und fragte:

»Was willst hier? Warum bleibst nicht dort sitzen, wost sessen hast?«

»Weil ich mit Dir sprach, komm ich herbei.«

»Kannst auch dort sprechen. Weißt, Du kommst mir verdächtig vor.«

»Was fallt Dir ein!«

»Ja. Dera Sepp schließt mich in die Küchen ein und Du versperrst mir den Weg. Da ist was nicht richtig in denen Backbirnen. Ich muß doch gleich mal nachschauen.«

Sie griff nach der Klinke; er aber faßte ihre Hand und sagte: »Was hast für Gedanken! Bleib doch hier! Der Sepp wird gleich kommen.«

»Ja, aber ich werd ihm auch gleich kommen!«

Sie riß sich los und stieß die Thür auf.

»Herrjemineh!« rief sie aus.

»Himmelsacra!« schrie draußen der Sepp.

Er war in diesem Augenblicke aus der gegenüber liegenden Thür des Gewölbes getreten, einen Kürbis von der Größe eines Männerkopfes in den Händen. Jetzt ließ er ihn vor Schreck fallen, so daß die Frucht bis vor Barbaras Füße rollte.

Nun standen sie sich gegenüber unter den beiden offenen Thüren.

»Was machst da?« fragte sie erstaunt.

»Das siehst ja,« stotterte er.

»In dem Gewölb bist gewest?«

»Leider!«

»Und den Kürbis hast mausen wollt!«

»Ja, leiderer!«

»Wohin hast ihn denn schaffen wollt?«

»Auf den großen Pappelbaum draußen vor dera Mühlen.«

»Bist ein Unnutz, den Niemand bessern kann.«

»Und Du bist eine alte Hexen, vor welcher kein Engel und kein Teuxel sicher ist. Wie kommst denn hier herbei? Ich hab Dich doch ganz fest einischlossen habt!«

»Ja, hast aberst nicht daran dacht, daß aus dera Küchen auch eine Thür in die Stuben führt.«

Da gab er sich wieder eine Ohrfeige und zwar noch viel kräftiger, als vorhin droben beim Könige.

»Verteuxeli!« schimpfte er. »Diese zweite Thüren hab ich freilich ganz vergessen habt. Nun steh ich da, wie ein Schulbub, der sich die Hosen vorn und hinten zerrissen hat.«

»Ja, ein Bub bist, aberst kein Schulbub, sondern ein Spitzbub. Für wen hast denn den Kürbissen haben wollt?«

»Für mich.«

»Wozu?«

»Das brauchst nicht zu wissen.«

»So! Also nicht mal derfahren soll ichs, warum ich bestohlen werd? Gleich schaffst den Kürbissen wiederum hinein!«

»Das ist schlimm! Könntst ihn mir doch auch lassen!«

»Ja, das könnt ich, denn auf einen Kürbissen kommts mir halt gar nicht an; aberst wissen muß ich, wozu ihn brauchen willst.«

»Das darf ich nicht sagen.«

»So bekommst ihn auch nicht. Also heraus mit dera Sprachen! Willsts sagen oder nicht?«

»Nein.«

»So schaff ihn wiederum hinein!«

»Sappermenten! Das ist eine ganz verfluchte Geschichten!« lachte er. »Jetzund muß dera Spitzbub die Sach wieder zurucklegen.«

Er bückte sich und hob den Kürbis auf.

»Es geschieht Dir ganz recht!« antwortete sie. »Jetzund legst ihn wieder hinein und bekommst ihn nicht eher, als bist mir sagst, wozu er braucht werden soll. Denn – – – o Jerum, jetzund lauft mir die ganze Buttern aus dem Kasseroltiegeln heraus!«

In der Küche ließ sich nämlich das laute Kreischen aufschäumender Butter hören. Die Alte eilte, so schnell sie konnte, hinein, um zu retten, was zu retten war. Ebenso schnell war auch der Sepp fort, nämlich mit dem Kürbis durch die Hinterthür in den Garten hinaus. Schon eine Minute später kehrte er von dort zurück, machte die noch offene Gewölbethür zu und trat nun in die Stube, um sich zu Ludwig zu setzen.

»Das war ärgerlich!« sagte dieser.

»Ich bin fast so verschrocken wie ein wirklicher Spitzbub. Konnst sie denn nicht festhalten hier in dera Stuben?«

»Ich hab es wollt, aberst es ging nicht. Nun ists mit dem Kürbissen gefehlt.«

»O nein.«

»Willst ihn noch holen?«

»Ja, aus dem Garten.«

»So ist er draußen?«

»Ja. Die heiße Buttern hat uns den Kürbissen gerettet. Nun ists dennoch gelungen. Und dera Schmarren wird auch gelingen. Das riech ich bereits. Ich will nur immer mein Messern herausnehmen, damit es nachhergleich beginnen kann.«

Er nahm wirklich sein altes Messer heraus und legte es vor sich hin. Bald trat die alte Barbara glühenden Angesichtes aus der Küche. Sie hatte ein wahres Meisterstück geliefert. Der Sepp griff sofort zum Messer.

»Halt!« sagte sie, indem sie den Schmarren auf den Tisch setzte. »Was willst?«

»Essen.«

»Das glaub ich schon, doch daraus wird heut wohl nix!«

»Und ich denk, daß sehr viel daraus wird.«

»Nicht eher, als bis ich Zweierlei derfahren hab. Nachher erst darfst zugreifen.«

»Nun, was willst wissen?«

»Zuerst, wast mit dem Kürbissen hast machen wollt.«

»Kegelschieben.«

»Halts Maul! Die Wahrheit will ich wissen.«

»Na, meinswegen! Wann ichs nicht sag, so druckts Dir das Herze ab. Ich hab ihn Dir bringen wollt. Weißt, so ein Schnittle Kürbissen in denen Schmarren hinein, das ist die größte Delicatessen, die es nur geben kann.«

Sie schlug erstaunt die Hände zusammen.

»Kürbissen in den Schmarren! Das hab ich all mein Lebtag noch nimmer hört! Wer hats Dir weiß macht?«

»Weiß macht? Was denkst von mir! Ich bin Keiner, der sich was weiß machen läßt.«

»Und doch ists nicht wahr!«

»Oho! Versuchs nur mal! Die junge Baronessen drüben in Schloß Steinegg hats mir sagt.«

»Eine Baronessen! Ja, die haben einen ganz verwunderlichen Geschmack sehr oft.«

»Der ist nicht verwunderlich. Es schmeckt wirklich so ausgezeichnet, wie ich noch gar nix gessen hab.«

»So hasts auch schon gessen?«

»Ja, mit eben dera Baronessen.«

»So ists also wirklich wahr? Dann muß ichs doch mal versuchen. Und wannst den nächsten Schmarren bekommst bei mir, so ist ein Kürbissen darin.«

»Verteuxeli!«

»Was sagst? Ists Dir nicht recht?«

»O ja. Aberst gleich einen ganzen brauchst darum nicht hinein zu schneiden.«

»Das weiß ich auch. Heut freilich mußt ihn nun ohne Kürbissen verspeisen.«

»Nun weißts also. Und was willst noch wissen, alte Neugierde?«

»Wer Dein guter Freunden hier ist.«

»Das kannst derfahren. Der ist der Ludwig Held aus Oberdorf, ein gar braver Kerlen. Er hat eine alte Muttern und eine arme Schwestern, für die er sich abschinden thut, damits nicht hungern müssen.«

So Etwas konnte die Barbara nicht gut hören. Sofort waren ihre Augen feucht.

»Armes Wurm!« sagte sie. »Ja, wer eine alte Muttern hat, der soll auch für sie sorgen. Hast nicht das schöne Lied mal hört von dera Mutter?«

»Welches?«

»Es beginnt:

Wenn Du noch eine Mutter hast,
So danke Gott, und sei zufrieden.
Es ist auf dieser Erdenwelt
Nicht Jedem solch ein Glück beschieden.

Aber leider weiß ich nicht, wie es weiter geht. Und weilst so für Deine Muttern sorgest, so bist mir sehr willkommen. Da macht Euch also über den Schmarren her, und laßt mir fein nix übrig!«

Sie setzte sich zu ihnen und sah mit Vergnügen zu, wie das kochkünstlerische Meisterstück so schnell hinter den gesunden Zähnen der beiden Männer verschwand. Dabei flogen launige Reden herüber und hinüber, und als der Schmarren verspeist war und die beiden Männer von ihren Sitzen aufstanden, meinte die Alte:

»Das ist schön gewest; das hat mir gefallen. Wollt Ihr etwa schon fort?«

»Ja, wir müssen ins Dorf.«

»Aber Ihr kommt doch wieder?«

»Gegen Abend. Vielleicht bleibt dera Ludwigen hier bei Euch über Nacht.«

»Das sollt mir sehr lieb sein, denn dann könnt ich Euch gleich bereits heut Abend noch einen Schmarren machen mit Kürbissen darein.«

»Danke sehr! So schnell braucht das nicht probirt zu werden. Ein und dasselbige Essen zweimal des Tages, das ist nicht gut. Dabei verdirbt man sich nur denen Magen.«

Sie gingen nun nach dem Dorfe und fanden den Tausendkünstler daheim. Sein Wagen stand im Hofe des Wirthshauses. Er selbst hatte sein Domicil in der Scheune aufgeschlagen. Dort auf der Tenne lagen einige Bunde Stroh, und auf einem derselben saß Signor Bandolini oder Jeschko, wie sein eigentlicher Name war.

Er schien schlechter Laune zu sein und empfing die Beiden nicht eben sehr freundlich. Dem Wurzelsepp, mit dem er bereits einige Male zusammengetroffen war, gab er die Hand. Ludwig schien er gar nicht zu sehen. Wenigstens nahm er keine Notiz von ihm.

Sepp ließ sich sogleich auf das Stroh nieder und fragte:

»Ich komm heut, um zu fragen, wanns denn endlich mal Ihre Vorstellungen beginnen. Die Leuteln hier möchten doch auch mal von Ihren Künsten was sehen.«

»Ist nicht nothwendig!« klang es beinahe unhöflich.

»Ja, nothwendig ists freilich nicht; aberst ich denk, Sie sind herbeikommen, um hier ein Theater sehen zu lassen.«

»Eigentlich, ja; aber meine Truppe ist mir zersprengt worden, und zudem fehlt mir die Lust, eine Vorstellung zu geben.«

»Dann verdienens auch kein Geldl.«

»Was die hiesigen Bauern zahlen würden, das kann ich wohl verschmerzen.«

»Es giebt auch einige wohlhabende darunter. Nicht alle sind so arm wie dera Finkenheiner.«

»Gehen Sie mir mit Dem! Ich mag von ihm nichts hören.«

»Hat er Ihnen was than?«

»Ja. Das Aergste, was mir Einer thun konnte.«

»So! Das wundert mich. Er ist ja sonst so ein braver und guter Kerlen!«

»Das will ich nicht bestreiten, und eigentlich trägt ja auch nicht er die Schuld, sondern die Anna ists gewesen.«

»Seine Frau?«

»Ja. Der Assessor hat mir verboten, von diesen Angelegenheiten zu sprechen; aber ich weiß, daß Sie eingeweiht sind. Da kann man wohl ein Wort fallen lassen.«

»Freilich. Gegen mich brauchens gar nicht zuknöpft zu sein, und hier mein Kamerad weiß auch schon Alles. So wollens wohl gar nicht lang mehr hier bleiben!«

»So bald diese verfluchte Amtsgeschichte, bei welcher man mich als Zeuge braucht, vorüber ist, schüttele ich den Staub von den Sohlen, und Niemand erblickt mich wieder. An dieses Hohenwald will ich denken.«

»Warum? Ist das, was Ihnen hier geschehen ist, denn gar so schlimm?«

»Ja. Ich hatte eine Frau, die wurde mir untreu. Und dann lernte ich eine zweite kennen, von der ich annahm, daß sie die Meinige werden würde. Jetzt nun erfahre ich hier, daß sie die Frau des Finkenheiner ist und daß sie bei ihm bleibt.«

»Donnerwettern, daß ist freilich ein Pech! Hat die Anna denn niemals sagt, daß sie seine Frau ist?«

»Ja und nein. Sie hat sich genirt, ausführlich darüber zu sprechen.«

»Das läßt sich denken; aberst eine Untreue ist das doch nicht. Da müssens sich also über Ihre erste Frau noch weit mehr kränkt und ärgert haben.«

Der Zigeuner blickte finster vor sich hin. Erst nach einer Weile fragte er:

»Waren Sie verheirathet?«

»Nein.«

»So wissen Sie nichts, gar nichts. Sie haben gar keine Ahnung davon, was es heißt, eine untreue Frau zu haben.«

»Hm! Ich hab halt nur deswegen nicht heirathet, weil mein Dirndl mir untreu worden ist.«

»So! Also haben Sie doch auch dieselbe Erfahrung gemacht wie ich. Sie taugen doch Alle nichts. Es ist keine Einzige dabei, welcher man Glauben und Vertrauen schenken darf.«

»Sollts wirklich so gar schlimm sein?«

»Ja, ganz sicher. Meine Frau gab sich sogar mit meinem Bruder ab. Sollte man das für möglich halten!«

»Mit dem Barko also?«

Der alte Sepp hatte diese Frage ganz im gleichgiltigsten Tone ausgesprochen; aber dennoch machte sie einen gewaltigen Eindruck. Der Zigeuner sprang von seinem Sitze empor und rief:

»Barko! Was wissen Sie denn von ihm?«

»Hm!« brummte Sepp.

»Woher wissen Sie, daß ich einen Bruder Namens Barko habe?«

»Hm!«

»Ich habe Ihnen ja gar nichts von ihm erzählt. Ich habe mich überhaupt stets gehütet, von ihm zu reden. Also, woher wissen Sie es?«

»Es hat mir von ihm träumt.«

»Unsinn! Man kann nur von bekannten Gegenständen träumen. Uebrigens ist Barko längst todt.«

»Wissens das genau?«

»Ich war zugegen als er starb.«

»So war ich zugegen, als er wiederum auferstanden ist.«

Der Zigeuner trat um mehrere Schritte zurück und starrte den, Alten an.

»Auferstanden?« fragte er. »Ein Todter kann nie auferstehen.«

»Aberst Einer, der noch nicht ganz todt ist.«

»Alle Teufel! Wollen Sie etwa sagen, daß Barko noch lebt?«

»Ja.«

»Wo?«

»Gar nicht weit von hier.«

»Unmöglich!«

»Na, wanns nicht glauben wollen, so lassens halt bleiben! Mir kanns sehr gleichgiltig sein.«

»Es ist jedenfalls ein ganz Anderer, der nur denselben Namen hat.«

»Nein, es ist ganz Derselbige, nur daß er einen andern Namen hat. Er nennt sich nämlich nicht mehr Barko sondern anders.«

»Ich kanns nicht glauben!«

»So lassens eben bleiben!«

»Er ist ja vor meinen Augen gestorben.«

»Das ist ein Irrthum.«

»Nein. Können Sie mir beweisen, daß er lebt?«

»Ja wohl.«

»Wie ist Ihnen das möglich?«

»Soll ich ihn Ihnen etwa herbringen?«

»Alle tausend Donnerwetter! Wenn er wirklich noch lebte, wenn Sie ihn mir bringen könnten! Welch eine Scene! Das wäre eine Rache, eine Entschädigung für Vieles, Vieles, Vieles, was ich erduldet habe und kaum tragen konnte. Aber was Sie sagen ist unwahr. Sie täuschen sich, oder Sie werden getäuscht. Es ist gar nicht anders möglich.«

»Und doch ist es wahr, auch weiß er, daß Sie sich hier in Hohenwald befinden.«

»Was sagen Sie?«

»Und deshalb fürchtet er sich, hierher zu kommen.«

»Ist das wahr?«

»Ja, ich kanns beschwören.«

»Er kennt mich also? Er sagt wirklich, daß ich sein Bruder bin?«

»Ja.«

»Woher wissen Sie das?«

»Hier sitzt Einer, der es selbst hört hat.«

Er deutete auf Ludwig. Der Zigeuner wendete sich daher an diesen:

»Bestätigen Sie die Behauptung des Sepp?«

»Ja, ich kenne Ihren Bruder seit längerer Zeit. Ich kann Ihnen sagen, daß er den Silberbauer kennt, den Fex und den Thalmüller.«

»So ist er es, so ist ers? Geschehen denn wirklich noch Zeichen und Wunder!« Er schritt in höchster Aufregung auf der Scheunentenne hin und her.

»Ein Wunder ist das nicht,« bemerkte Ludwig. »Sie haben sich eben getäuscht. Er ist gar nicht todt gewest.«

»Er war todt!«

»Nein!«

Der Zigeuner blieb stehen, griff sich an den Kopf, befühlte seine Glieder, dann trat er näher heran und sagte, indem seine Augen in rollende Bewegung kamen:

»Er war todt; ich selbst habe es gesehen; ich selbst habe – habe – habe ihm damals die Kugel in die Brust gejagt.«

»Herrgott!« schrie der Sepp auf. »Sie haben ihn derschossen?«

»Ja, ich.«

»Ihren eigenen Bruder!«

»Er war mein Bruder nicht mehr. Er war ein Satan. Der Zigeuner hat keine Brüder. Er liebt nur Den, von dem er Liebe erhält, und er haßt selbst seinen Bruder, wenn dieser es verdient.«

Er ging jetzt wieder in langen, hastigen Schritten auf und ab. Sepp blickte Ludwig ganz betroffen an. Eine solche Kunde, ein solches Geständniß hatten Beide nicht erwartet. Dann warf der Zigeuner sich neben sie in das Stroh nieder und sagte, mehr zu sich selbst als zu ihnen:

»Also er soll leben – er soll in der Nähe sein – er soll sich vor mir fürchten! Das will ich glauben! Er hat mich zu fürchten, sehr, sehr, mehr als irgend einen Andern! Wenn er noch lebte, so würde ich meine Rechnung abermals mit ihm zum Abschlusse bringen. Erzählen Sie mir, wo er ist und wie sie ihn getroffen und kennen gelernt haben.«

»Das kann ich nicht,« sagte der vorsichtige Ludwig.

»Warum nicht.«

»Dann müßte ich Einiges verrathen, was auf Wunsch des Gerichtes noch Geheimniß bleiben muß. Wenigstens kann ich Ihnen nicht eher Etwas erzählen, als bis ich erfahren habe, welche Rechnung Sie mit Ihrem Bruder abzuschließen haben.«

»Sie wollen mich ausforschen?«

»Nein.«

»Pah! Sie sind wohl ein verkleideter Polizist?«

»Nein, das bin ich nicht. Ich bin ein ganz einfacher Bauernknecht und ganz zufällig mit Ihrem Bruder in Berührung gekommen. Ich kann es beschwören, daß er es ist.«

»Und dennoch möchte ich es kaum glauben. Können Sie ihn mir beschreiben?«

»Ganz genau. Aber es fragt sich halt sehr, obs ihn aus dera Beschreibungen derkennen werden, denn ich kanns mir denken, daß Sie ihn seit langen Jahren nicht wieder sehen haben.«

»Das ist richtig. Aber gewisse Dinge giebt es doch, die sich selbst in den Jahren nicht sehr verändern, die Statur, die Farbe der Haare, der Augen und noch Anderes. Er hat überhaupt ein Kennzeichen, welche man beim ersten Blick bemerken muß.«

»Meinens etwa die Nasen? Er muß wohl mal einen Hieb darauf erhalten haben.«

»Von mir selbst. Vorher war er ein sehr hübscher Kerl, nachher aber sah er entstellt aus. Also Derjenige, den Sie meinen, hat eine solche breitgeschlagene Nase?«

»Ja. Freilich mag sich diese Beschädigung im Lauf der Jahre wiederum ziemlich verwachsen haben, doch sehen thut man es noch.«

»Alle Teufel! Sollte er es wirklich sein?«

»Ganz sicher. Er hat eine starke, untersetzte Statur. Seine Haare sind mit Grau vermischt, müssen aberst pechschwarz gewest sein, ebenso auch die Augen.«

»Das stimmt, das stimmt!«

Er befand sich in großer Aufregung und schritt, während er sprach, immer schnell hin und her. Die Andern ließen ihm gewähren. Sie störten ihn nicht, bis er, plötzlich vor Ludwig stehen bleibend, sagte:

»Also Sie können mir wirklich nicht sagen, was Sie von ihm wissen und was Sie mit ihm gesprochen haben?«

»Nein, das darf ich nicht.«

»Sie sprachen von der Behörde. Ist er mit ihr in Conflict gerathen?«

»Ja. Ich kann mir denken, daß sie ihn gar gefangen nehmen werden.«

»Ah! Das ist mir lieb. Lebt er wirklich noch, so ist er an seinen damaligen Verletzungen nicht gestorben, und ich bin kein Brudermörder. Das hat mir stets wie ein Alp auf der Seele gelegen und war auch schuld, daß ich niemals, selbst jetzt nicht, wo ich ausgefragt worden bin, die reine Wahrheit über das früher Geschehene gesagt habe. Nun aber kann ich Alles erzählen. Ich bin kein Mörder; ich bin frei von dieser Schuld und weiß dennoch, daß er seinen Lohn erhalten wird.«

Er holte tief, tief Athem. Man sah es ihm an, wie sehr er sich erleichtert fühlte. Das Bewußtsein seiner Schuld mußte wirklich schwer auf ihm gelegen haben.

»Wanns so ist, so könnens freilich froh sein,« sagte der Sepp. »Und wanns uns derzählen wollen, was mit dem Barko vorgegangen ist, so wissen wir nachhero auch, ob wir Ihnen sagen dürfen, was er treibt und wo er sich befindet.«

»Ich brenne darauf, dies zu erfahren, und darum will ich Ihren Wunsch erfüllen. Das wird kein Fehler sein, denn ich weiß, daß Sie in die ganze Angelegenheit ebenso eingeweiht sind, wie die daran näher Beteiligten.«

Er setzte sich jetzt wieder zu ihnen hin und begann:

»Ich bin kein Italiener, obgleich ich einen italienischen Namen trage, sondern ein Zigeuner.«

»So ist also auch dera Barko kein Slowak?«

»Nein; er ist Zigeuner wie ich, und zwar ist er mein älterer Bruder. Er war Hirt bei den Heerden des Barons von Gulijan. Ich aber führte ein wanderlustiges Leben. Während er bei Slatina seine Hütte hatte, zog ich als Scherenschleifer im Lande herum und verdiente mir nebenbei durch allerhand Kunststücke und Productionen ein schönes Geld. Ich konnte nach den Verhältnissen, in denen wir Zigeuner leben, für wohlhabend gelten.«

»Hatte er auch eine Frau?«

»Nein. Wir Beide lernten ein und dasselbe Mädchen kennen, eine junge, schöne Zigeunerin. Er war hübscher als ich, und sie hatte ihn also lieber als mich; aber ich war reicher, und da heuchelte sie mir Liebe und wurde meine Frau. Nun mußte ich eine Heimath haben, denn meine Frau wollte nicht mit mir im Land umherziehen, und so kaufte ich ein kleines Häuschen bei Slatina, in der Nähe der beiden Mühlen. Das bewohnten wir.«

»Aha, jetzunder kommen nun auch die beiden Müllern zum Vorschein.«

»Ja. Da ich mein Handwerk nicht aufgeben wollte, war ich öfters wochenlang nicht daheim. Meine Frau kehrte sich nicht daran. Sie hat niemals geäußert, daß es ihr unlieb sei, so oft allein zu sein. Und wenn ich selbst einmal davon erwähnte, so sagte sie, daß sie nie ganz ohne Schutz und Hilfe sei, weil ja mein Bruder ganz in der Nähe wohne.«

»Vielleicht hat das ihr grad gefallen.«

»Ich ahnte das nicht, habe es aber später leider einsehen müssen. Wenn ich daheim war, so hatte ich nichts zu thun. Dadurch wurde ich zu allerhand Dingen verleitet, welche verboten waren. Ich ging in den Wald und legte dem Wilde Schlingen. Dabei bin ich mehrere Male von dem Obermüller erwischt worden. Er sagte, daß ihm das nichts angehe und er mich also nicht anzeigen werde. Später wollte ich mir einmal des Nachts Etwas aus seiner Mühle holen. Da ertappte er mich auch, zeigte mich aber auch da nicht an.«

»Hm! Etwas holen? Wohl ohne seine Erlaubnissen?«

»Das war also ein Diebstahl. Die Zigeuner mausen doch wohl alle?«

»Alle! Das ist ihnen angeboren. Der Zigeuner hält eben den Diebstahl nicht für ein Verbrechen, sondern einfach für ein Vergnügen, welches sich der Kluge macht, den Dummen zu übervortheilen.«

»Aber Sie reden vom Obermüller. Wer ist denn das?«

»Der jetzige Silberbauer. Er hatte die obere Schiffsmühle, und Keller die untere in Pacht, darum wurden sie Ober- und Untermüller genannt.«

»Wie ists denn eigentlich kommen, daß er Sie nicht angezeigt hat?«

»Weil er selbst ein Wilddieb war. Die beiden Müller schlichen des Nachts im Walde herum und schossen gar manches Wild weg. Sie fingen das aber so schlau an, daß sie niemals erwischt worden sind.«

»Ja, schlau sind sie alle Beid immerfort gewest. Das muß man sagen. Aber daß er Sie auch dann nicht anzeigt hat, als Sie in seiner eigenen Wohnung einbrachen sind, das ist zum Verwundern.«

»Auch das hatte seinen Grund. Ich hatte ihn nämlich einmal belauscht, als er die Baronin auf einem Spaziergange traf, den sie machte. Er war verliebt in sie und wagte es, ihr eine Liebeserklärung zu machen und nachher als sie ihn abwies, ihr zu drohen. Dann einige Tage später ging ich in den Busch, um nach den Schlingen zu sehen, die ich gelegt hatte. Da hörte ich zwei laute Stimmen und schlich mich näher. Es war der Baron, welcher den Müller hier getroffen hatte. Beide befanden sich im höchsten Zorn. Die Baronin hatte es ihrem Manne gesagt, was der Obermüller ihr gegenüber gewagt hatte. Das gab einen so heftigen Zusammenstoß, daß der Baron den Müller mit der Faust in das Gesicht schlug und sodann davon ging.«

»Was that da der Müller? Hat er es sich gefallen lassen? Das würde ihm gar nicht ähnlich sehen.«

»Er stand erst ganz steif und unbeweglich. Sodann stich er einen wilden Fluch aus und zog den dicken Stock, welchen er in der Hand hatte, auseinander. Jetzt sah ich, daß dies eine Stockflinte war. Dann folgte er dem Baron nach. Ich huschte so vorsichtig wie möglich hinter ihm her und hörte nachher zwei Schüsse.«

»So sind sie zusammengerathen!«

»Das dachte ich auch, jetzt aber denke ich ganz anders darüber. Ich war so erschreckt, daß ich gar nicht nachdachte, ab es gut für mich sei, mich sehen zu lassen. Ich eilte hinzu. Da lag der Baron am Boden und der Müller kniete bei ihm und griff ihm an das Herz, um nach dem Pulse zu fühlen.«

»Was machst Du hier?« schrie er mich an, als er mich erblickte.

»Das geht Dich nichts an! Was aber hast Du hier gemacht?«

Ich deutete auf die Leiche, denn der Baron war todt. Der Müller aber hatte, wie es ein solcher Wildschütze stets thut, nach dem Schusse seine Stockflinte gleich wieder zusammengeschoben. Er ließ sich nicht aus der Fassung bringen und antwortete:

»Nichts habe ich gemacht. Ich war hier im Wald und hörte den Schuß. Da eilte ich herbei und fand die Leiche. Der Baron ist ein Selbstmörder. Er hat sich erschossen.«

»Das soll ich wohl glauben?«

»Wie soll es denn anders sein?«

»Er ist erschossen worden.«

»Von wem denn?«

»Von Dir!«

Da stand der Müller vom Boden auf, stellte sich drohend vor mich hin und sagte:

»Du bist wohl wahnsinnig? Womit sollte ich ihn erschossen haben? Es ist ja kein anderes Gewehr als das seinige vorhanden.«

»Dieses da!« sagte ich, indem ich auf seine Stockflinte deutete.

»Das ist mein Stock. Mit dem kann ich doch nicht schießen.«

»So nicht, wohl aber wenn Du ihn auseinander schraubst.«

»Kerl, woher weißt Du das?«

»Das ist Nebensache. Ich weiß es, das ist genug.«

»Da sah der Müller mich mit solchen Augen an, daß mir angst und bange wurde. Es war ihm anzumerken, daß er den Gedanken hatte, mich niederzuschießen. Dann aber lachte er laut aus und sagte:

»Kerl, Du bist ein Schlaukopf und hast mich, während Du Schlingen legtest, einmal beobachtet. Nun ja, ich habe eine Stockflinte, mit welcher ich mir zuweilen eine Kleinigkeit schieße. Hier schau sie Dir an. Vergleiche ihr Kaliber mit dem Loch, welches die Kugel des Barons gemacht hat, und Du wirst sehen, daß der Schuß nicht aus meiner Flinte gekommen sein kann.«

Da hatte er freilich Recht. Die Wunde konnte nur von einer Kugel stammen, für welche das Kaliber der Stockflinte viel zu klein war. Ich konnte mir das nicht erklären. Hatte der Baron sich wirklich erschossen? Das war doch nicht anzunehmen. Als ich das dem Müller sagte, lachte er mich aus und antwortete:

»Der sich erschießen? Das wäre ihm im ganzen Leben nicht eingefallen. Es ist eine Unvorsichtigkeit gewesen. Wer weiß, wie er das Gewehr getragen oder gehalten hat. Niemand war dabei.«

»Aber vorher hast Du Dich mit ihm gezankt!«

»Was? Wer sagt das?«

»Ich. Ich habe es gehört. Ich habe es sogar gesehen, daß er Dich geschlagen hat.«

»Mensch! Ist das wahr?«

»Ja. Ich weiß sogar, weshalb er Dich geschlagen hat.«

»Nun, weßwegen?«

»Wegen seiner Frau.«

Er wurde leichenblaß, und in seinen Augen blitzte Etwas auf, was ganz nach Mord und Todtschlag aussah. Das machte mir Angst, denn er war stärker als ich. Darum fügte ich schnell hinzu:

»Aber das Alles geht mich gar nichts an. Ich habe keine Lust, mich in solche Sachen zu mischen.«

»Höre, Jeschko, daran thust Du ganz recht. Ich will nicht thun, was ich eigentlich thun sollte. Kannst Du mir beweisen, daß ich Den da erschossen habe?«

»Nein, denn die Kugel ist aus seinem Gewehre gekommen.«

»So sind wir Beide eben ganz zufällig hier in der Nähe gewesen, als er sich durch eine Unvorsichtigkeit entleibte. Am Besten ists, wir wissen nichts davon. Wenn wir es melden, so haben wir tausend Scheerereien. Das können wir vermeiden. Bist Du einverstanden?«

»Nicht ganz. Wir haben doch wohl die Pflicht, die Meldung zu machen.«

»So habe ich auch die Pflicht, anzuzeigen, daß Du ein Wilddieb bist und bei mir eingebrochen hast.«

»Du wilderst doch auch!«

»Beweise es. Ich will sehen, wem, man mehr glaubt, mir oder Dir. Ich erkläre Alles, was Du vorbringen würdest, für eine Fabel. Ja, ich bin sogar im Stande, zu behaupten, daß diese Stockflinte Dir gehört und daß ich Dich hier an der Leiche des Barons getroffen habe!‹

»Es war ihm zuzutrauen, daß er diese Drohung ausführen werde. Darum überlegte ich nicht lange und versprach ihm, daß ich schweigen wolle.«

»›Gut, abgemacht,‹ sagte er sodann. ›Lassen wir den Todten liegen. Er geht uns ja gar nichts an. Also komm!‹

»Und nachdem wir uns von der Stelle weit entfernt hatten, blieb er stehen und meinte:

»›Damit Du erkennst, daß ich Dir vertraue und daß ich es gut mit Dir meine, will ich Dir ein Geheimniß mittheilen. Wer ist denn eigentlich der Mann Deiner Frau? Du oder der Barko, Dein Bruder?‹

»Ich war von dieser Frage so verblüfft, daß ich keine Antwort gab.«

»›Nun?‹

»›Ich natürlich.‹

»›So! Du? Armer Junge! Hast Du denn noch gar nicht bemerkt, daß diese Beiden es mit einander halten?‹«

»›Tausend Teufel! Ists wahr?‹«

»›Ueberzeuge Dich nur. Du brauchst ja nur zu thun, als ob Du in Geschäften fortgingst. Du bleibst aber da und beobachtest sie. Da wirst Du bald sehen, wer der eigentliche Herr in Deinem Hause ist. Leb wohl jetzt, und halte reinen Mund! Dann bleiben wir gute Freunde. Solltest Du aber plaudern, so magst Du die Folgen auf Dich nehmen.‹«

»Er ging fort, und ich stand da, als ob mich der Schlag gerührt habe.«

»Das glaub ich gar wohl,« meinte der Sepp. »Wann man eine solche Botschaften zu hören bekommt, so ists grad, als ob man mit einem Beil einen Hieb auf den Kopf empfangen thät.«

»Ja, so war es, ganz so!«

»Für jetzt ist mir die Hauptsach, ob dera Müller denen Baronen derschossen, hat oder nicht.«

»Ich bin überzeugt, daß er der Mörder ist.«

»Vorhin habens aber doch ganz anderst sprochen, nämlich von wegen dem Kaliber!«

»Ja, damals habe ich mir die Sache nicht erklären können. Je mehr ich aber später über dieselbe nachdachte, desto klarer ist es mir geworden, wie der Vorgang eigentlich gewesen ist.«

»Nun, wie soll er gewest sein?«

»Der Müller ist dem Baron nach und hat ihn mit seiner Stockflinte erschossen – – –«

»Da wär doch das Mundloch kleiner gewest.«

»Lassen Sie mich ausreden! Damit man nun annehmen möge, daß die Kugel aus dem Gewehre des Barons gekommen sei, hat der Müller dann die Mündung desselben grad auf die Wunde gehalten und die größere Kugel noch hindurchgeschossen. Beide sind vorn in den Kopf und hinten wieder hinaus. Das Gewehr ist ganz nahe an die Stelle gehalten worden, denn sie war versengt und verbrannt.«

»Himmelsakra! Wäre das richtig?«

»Ganz gewiß. Sie müssen sich erinnern, daß ich nicht einen Schuß, sondern zwei Schüsse gehört hatte.«

»Ja, ja! Zuzutrauen ist ihm ein solches Experimenten gar sehr wohl. Was hat man denn über den Baronen denkt?«

»Es ist viel nachgesucht worden an Ort und Stelle; man hat nichts finden können. Aus Allem aber läßt sich ersehen, daß die Baronin verrathen hat, wer der Mörder gewesen ist.«

»Nun, vielleichten bringts heut noch die Sonne an den Tag. Wie ists dann mit Ihrer untreuen Frauen worden?«

»Ich habe am nächsten Morgen gethan, als ob ich mich wieder auf eine meiner Wanderungen begebe, und sie hat mich eine Strecke weit begleitet und dann zärtlichen Abschied genommen. Aber am Abende war ich wieder daheim. In meinem kleinen Häuschen brannte Licht. Ich konnte durch das Fenster sehen. Da saß mein Bruder bei ihr, und ich sah nun, was ich nicht zu beschreiben brauche. Sie waren wie Mann und Frau.«

»Donnerwettern! So eine Weihnachten! Was habens denn da macht?«

»Zunächst wollte ich die Thür einschlagen und Beide umbringen. Aber von diesem Gedanken kam ich glücklicher Weise bald ab. Dann habe ich lange, lange an der Mauer gelehnt und bitterlich geweint. Endlich dachte ich an den Schieber im Dache. Hinter dem Häuschen lag die Leiter. Ich lehnte sie an, stieg auf das Dach und schob den Schieber auf. Ich stieg hinein und befand mich nun auf dem niedrigen Boden. Dann schlich ich mich die Treppe hinab. Die Beiden waren so sicher, daß sie nur die Haus- nicht aber die Stubenthür abgeschlossen hatten. Ich machte auf und stand nun so plötzlich vor ihnen, daß sie sich vor Schreck nicht zu rühren vermochten.«

»Ist ihnen auch zu gönnen, und nicht nur dieses, sondern noch weit mehr.«

»Eine Ausrede für sie gab es nicht. Ich habe kein Wort gesagt, kein einziges. Ich habe mich umgedreht und den Ort verlassen. Als ich nach langer, langer Zeit wieder hin kam, war mein Bruder verschwunden. Er hatte jedenfalls meine Rache gefürchtet und sich aus dem Staub gemacht.«

»Ich dacht, Sie hätten ihn derschossen?«

»Damals nicht. Das geschah später.«

»Und Ihre Frau?«

»Die war auf dem Schlosse Amme geworden. Ihr Kind, dessen Vater ich wohl nicht gewesen bin, war gestorben.«

»Haben Sie dieselbige denn nicht besucht?«

»Nein. Aber am nächsten Tage begegnete ich dem Bruder, welcher heimlich in die Gegend gekommen war, um sich nach der Lage der Sache umzusehen. Es war im Freien, und wir standen uns ganz plötzlich gegenüber. Ich hob unwillkürlich den Arm empor, wie um nach ihm zu schlagen, und da packte er mich blitzschnell mit beiden Fäusten an der Gurgel. Wir kamen zum Ringen und stürzten nieder. Dabei gerieth mir ein Stein in die Hand, mit welchem ich ihm einen Hieb ins Gesicht versetzte, der ihn für den Augenblick betäubte. Später habe ich gesehen, daß ich ihm die Nase zerschlagen hatte. Es war eine große Wuth über mich gekommen; aber ich überwand sie und ließ den Kerl liegen, ohne ihm ein Weiteres anzuthun.«

»Das hätten viele Anderen wohl nicht so fertig bracht.«

»Ich habe mich selbst auch darüber gewundert. Später hatte ich eine solche Selbstbeherrschung nicht. Ich traf auf meiner Wanderung auf eine Zigeunerbande, der ich aber aus dem Wege ging. Ich bog weit um ihr Lager herum und setzte dann den Weg fort. Da kam Einer von ihnen, der zum Lager zurückkehrte, auf mich zu. Er hatte eine Flinte überhängen. Es war – mein Bruder!«

»Sapristi! Jetzt kommts!«

»Ja. Wir erkannten uns auf der Stelle, trotzdem indessen die Blattern mein Gesicht zerrissen hatten. Er riß sogleich das Gewehr herab und legte auf mich an. Dabei rief er mir zu, meine letzte Stunde sei vorhanden, weil ich ihm damals die Nase zerschlagen hätte. Aber ich war schneller als er. Wuth und Todesangst gaben mir doppelte Kräfte. Ich entriß ihm das Gewehr, sprang zurück, richtete den Lauf auf ihn und schoß – aus einer Entfernung von drei Schritten grad durch die Brust. Er stürzte nieder. Ein Blutstrom quoll aus seinem Munde. Ich aber ergriff schleunigst die Flucht. Seit jenem Augenblicke habe ich ihn für todt gehalten.«

»Er lebt. Er muß geheilt worden sein.«

»Möglich ist es ja. Selbst wenn die Kugel durch die Lunge gegangen ist, kann die Wunde heilen. Freilich bedarf es da einer ganz außerordentlichen Pflege. Aber die Zigeuner verstehen sich auf Wundbehandlung. Also er lebt und ich kann ihn zu sehen bekommen?«

»Ja. Und das sehr bald. Vielleicht schon heut Abend.«

»Wo?«

»Das darf ich nicht verrathen, aber Sie werdens wohl gleich derfahren, sobalds mit dem Herrn Ludewigen sprochen haben.«

»Meinen Sie den, der in der Mühle wohnt?«

»Ja.«

»Der weiß auch davon?«

»Er weiß Alles und hat uns herschickt, damit Sie zu ihm kommen sollen. Er will mit Ihnen über diese Angelegenheiten reden.«

»Und da sitze ich hier und verschwatze die kostbare Zeit!«

Er sprang wieder von seinem Sitze auf.

»So eilig ists halt nicht,« beruhigte ihn der Sepp. »Wanns nur am Nachmittag hin kommen.«

»So lange soll ich warten? Das bringe ich nicht fertig. Ich muß möglichst bald von meinem Bruder erfahren. Ich gehe sofort.«

Er griff nach seinem Hute, welcher an einem Pflocke hing.

»Halt!« rief der Sepp. »Laufens doch nicht davon! Wir haben noch mitnander zu reden.«

»Was denn?«

»Wir müssen doch derfahren, was damals Alles geschehen ist.«

»Das können Sie später auch hören.«

»Von wegen daß das Schloß wegbrannt worden ist – – –«

»Dazu habe ich nun keine Zeit.«

»Und wie Sie mit dera Frau des Finkenheiner zusammenkommen sind.«

»Kommen Sie später wieder. Jetzt muß ich vor allen Dingen wissen, was der Herr Ludwig mit mir zu sprechen hat.«

Er eilte davon. Der Wurzelsepp schlug sich zornig mit der Faust auf das Bein, stand auch auf und sagte:

»So ists, wann man sich auf die Leut verlassen thut! Grad wanns bleiben sollen, da laufens erst recht davon!«

»Und wann sie laufen sollen, da bleiben sie sitzen.«

»Ja. Was thun wir nun?«

»Ganz was Dir gefällt.«

»Wollen wir etwan hier warten, bis dieser Zigeunern wiederkommt?«

»Nein. Dazu habe ich keine Geduld.«

»Ich auch nicht.«

»Sollten wir nicht den Lehrer und den Fex nach der Mühle schicken?«

»Ja, das werden wir jetzunder thun. Die Beiden sind schnell dicke Freunden worden. Ich kann gleich drauf schwören, daß dera Fexen sich jetzt beim Lehrer befindet. Gehen wir dahin!«

Er hatte sich nicht geirrt. Die beiden Genannten waren beisammen und begaben sich nach der erhaltenen Botschaft sogleich nach der Mühle. Der Sepp schlug mit Ludwig ganz dieselbe Richtung ein, nur langsamer und gemächlicher.

Dort angekommen, schlich er sich in den Garten und holte den Kürbis aus demselben. Sie begaben sich in den nahen Wald und setzten sich an ein Plätzchen, welches rings von Büschen umgeben war, so daß sie nicht leicht entdeckt werden konnten.

Sepp begann sein Meisterwerk. Während sie sich eifrig unterhielten, schnitt er an dem Kürbis herum, daß es eine Art hatte. Später, als die rohen Umrisse vorhanden waren und es nun darauf ankam, die feineren Linien heraus zu bringen, ging es freilich viel langsamer, doch war, als die Dämmerung hereinbrach, die Arbeit vollendet.

Er knüpfte den Kopf in sein Sacktuch und begab sich zum Könige. Dieser zeigte sich über diese Arbeit sehr befriedigt. Der alte Sepp hatte wirklich kein übles Geschick zum Bildschnitzen, und eine kleine Ähnlichkeit war unbedingt zu erkennen.

Der König theilte ihm mit, daß die Vorbereitungen getroffen worden seien und daß auch Jeschko, der Zigeuner, mit dabei sein werde. Punkt zwölf Uhr wollte der Letztere mit dem Lehrer und dem Fex kommen.

Nun begab sich der Alte mit Ludwig hinab in die Mühle, wo das Abendbrot bald auf dem Tische stand. Der Finkenheiner war mit seiner Tochter Liesbeth gekommen, und so gab es eine recht animirte Unterhaltung. Der Abend verging. Der Finkenheiner verabschiedete sich mit der Liesbeth, und der Sepp begab sich mit Ludwig nach der Kammer, die ihnen zum Nachtlager angewiesen worden war.

Nach kurzer Zeit aber waren sie bereits überzeugt, daß der Müller mit der alten Barbara schlafen sei. Die Mühle sollte heut einmal von dem alten Knappen Peter bedient werden. Der bekümmerte sich ganz gewiß nicht darum, ob Jemand noch nicht eingeschlafen sei.

Die Beiden schlichen sich also leise wieder hinab und öffneten die Hausthür, vor welcher sie den Fex mit dem Lehrer fanden. Als diese Beiden kaum nach der Stube des Königs gegangen waren, kam auch der Zigeuner. Er wurde hinauf geleitet.

Es war hoch interessant, ihn beim Eintritte zu beobachten. Er hatte den Fex noch nicht gesehen. Als nun sein Blick auf denselben fiel, blieb ihm der Gruß, welchen er bereits ausgesprochen hatte, im Munde stecken.

»Was haben Sie?« fragte der König.

Das Fenster war vorsichtiger Weise verhängt worden, und eine Lampe brannte so hell, daß die Züge eines Jeden auf das Deutlichste zu erkennen waren.

»Wer – wer – wer – –!« stammelte der Gefragte anstatt der Antwort.

»Sprechen Sie doch!«

»Wer – wer – wer ist das?«

Da antwortete der Sepp:

»Das ist dera Wasserfex, welcher den Barko mit fangen soll.«

»Der – der – Wasserfex! Mein Gott, Herr Baron! Das ist ja der Herr Baron von Gulijan, er und kein Anderer!«

»Sprechen Sie leiser!« warnte der König. »Es ist allerdings zu vermuthen, daß unser junger Freund der Sohn des ermordeten Barons ist, aber wir haben noch einige Glieder für die Kette des Beweises zu suchen. Jetzt können wir uns damit nicht befassen. Wir haben uns zu postiren. Sie sehen, daß der Kopf bereits im Bette liegt. Und die Falten des Letzteren sind so geordnet, daß man selbst bei einem sehr aufmerksamen Blicke zum Fenster herein unbedingt der Meinung sein muß, daß ich selbst im Bette liege.«

Er öffnete sodann einen großen Kleiderschrank, welcher in der Stube stand.

»Hier dieser Schrank ist ausgeleert worden. Zwei Stühle stehen darinnen. Auf ihnen werden der Fex und Jeschko Platz nehmen, um die Mörder hier zu erwarten.«

»Darf ich denn nicht mit hier im Zimmern bleiben?« fragte Sepp. »Ich möcht halt gern dera Erste sein, welcher zugreifen thut.«

»Nein. Es steht zu erwarten, daß Barko als Erster einsteigen werde. Wenn er seinen Bruder erblickt, wird er so erschrocken sein, daß er für den ersten Augenblick alle Gegenwehr vergißt. Auch meine ich, daß er über den Anblick des Fex so erstarren wird wie hier sein Bruder Jeschko. Ehe er sich erholt, ist er überwunden. Da im Schranke liegen Stricke zum Fesseln. Vor das Fenster postiren sich der Herr Lehrer und da mein Lebensretter und Namensvetter Ludwig. Eine Instruction brauche ich ihnen wohl nicht zu geben.«

»Aberst wohin werde denn nun ich posterirt?« fragte der Sepp ungeduldig.

»Hinaus vor die Stubenthür.«

»Donner und Doria! Da soll ich wohl gar nicht dabei sein, wann dera Krawall beginnt? Das mach ich nicht mit.«

»Du sollst auch mit dabei sein. Sobald Du draußen hörst, daß der Kampf hier losgeht, trittst Du schnell ein.«

»Das will ich mir schon eher gefallen lassen.«

Um ihn vollends zu beruhigen, fügte der König hinzu:

»Uebrigens werde ich mich nach der Wohnstube hinab begeben und auf dem Kanapee die Entwickelung abwarten. Es kann da leicht vorkommen, daß ich eines schnellen und zuverlässigen Menschen bedarf. Darum habe ich Dich auf den Hausboden postirt. Von der Stubenthür aus kann ich leise mit Dir reden, ohne daß ein Unberufener es hört.«

»Schön! So bin ich also dera Flügeladjutant. Das will ich mir gefallen lassen.«

»Jetzt löschen wir die Lampe aus und brennen das Nachtlicht an. Wenn dann noch der Vorhang vom Fenster weggenommen ist, so sind alle Vorbereitungen getroffen.«

»Aber wie steht es mit dem Laden?« fragte der Lehrer.

»Der ist zu aber nicht verschlossen. Sie können ihn leicht und ohne Geräusch von draußen aufziehen. Man muß ihnen so wenig Schwierigkeiten wie möglich, bieten. Also, ein Jeder nun an seinen Platz!«

In Zeit von einer Minute lag die Mühle in tiefer Nacht und Ruhe. Die Stille wurde durch das Klappern und Knarren der Räder eher hervorgehoben als unterbrochen.

Der Fex hatte sich mit dem Zigeuner in den Schrank gesetzt und die Thüre desselben von innen zugezogen. Ihre Lage war eine möglichst bequeme.

»Dürfen wir mit einander sprechen?« fragte Jeschko.

»Leise, ja.«

»Aber vertreiben wir da nicht vielleicht die Einbrecher?«

»Nein. Nach dem von dem Knecht gelieferten Bericht steht zu erwarten, daß sie schießen werden. Bevor also der Schuß nicht gefallen ist, haben wir sie hier in der Stube nicht zu erwarten.«

»Welch eine Dreistigkeit, schießen zu wollen! Das muß man ja hören!«

»Vielleicht besitzt Ihr Bruder eine Windbüchse oder ein geräuschloses Deschin. Sie müssen natürlich den Bewohner des Zimmers erst tödten, bevor sie einsteigen können.«

»Na, kommt nur herein! Wir werden Euch empfangen!«

»Sie scheinen sich förmlich darauf zu freuen, den Mann, welcher Ihnen so nahe verwandt ist, dem Arme der Gerechtigkeit zu überliefern.«

»Er hat es verdient, um mich, um Andere und vor allen Dingen auch, um Sie.«

»Ich habe das, was ich erlitt, meist nur dem Silberbauer und dem Thalmüller zu danken.«

»Aber Barko war ihr Verbündeter. Sie müssen sich doch seiner ganz gut erinnern können.«

»Nein. Vielleicht habe ich ihn niemals gesehen.«

»Sie sind ja eine ganze Zeit von ihm herumgeschleppt worden.«

»Davon weiß ich nichts. Ich war zu jung. Ich erinnere mich nur noch der Amme.«

»Das war meine Frau.«

»Die Frau des Finkenheiner, mit welcher Sie hier angekommen sind, hat es mir mitgetheilt. Sie haben mit dieser Frau nicht glücklich gelebt?«

»Sehr glücklich, bis sie mich betrog. Sie war die Geliebte meines Bruders.«

»Das müssen Sie mir später einmal erzählen. Würden Sie sie erkennen, wenn Sie ihr heut begegneten?«

»Ganz gewiß. Eine Person, welche man so lieb gehabt hat, erkennt man sofort. Aber von einer Begegnung ist keine Rede. Sie ist ja todt.«

»Ja, aber ich werde Ihnen einmal ihr – – – Bild zeigen. Es ist so außerordentlich täuschend, daß Sie staunen werden.«

»Horch! War das nicht am Laden?«

»Ja. Auch ich hörte es!«

»Dann pst!«

Sie lauschten mit angehaltenem Athem. Es ließ sich ein leises, klingendes Knicken hören.

»Sie haben eine Fensterscheibe mit Hilfe eines Pflasters eingedrückt,« flüsterte der Fex. »Nun wird sich der Schuß hören lassen. Horch!«

Ein nicht zu lauter Knall ertönte. Er wurde von dem Klappern der Mühle übertäubt. Draußen war er jedenfalls nur ganz schwach zu hören Hier im Zimmer war er vernehmlich gewesen.

Nun erklang das Fenster. Es knisterte von dort her. Dann hörte man, daß ein Mensch hereingestiegen kam und mit einem leisen Sprunge auf der Diele fußte.

»Einer ist da,« flüsterte der Zigeuner. »Wollen wir hinaus?«

»Ja. Aber vorher mal schauen.«

Er schob die Schrankthür um eine ganz kleine Lücke auf und blickte hinaus. Ein Mensch schlich an das Bett und beugte sich über den vermeintlichen Kopf des Königs.

»Jetzt! Leise noch!« sagte er und erhob sich geräuschlos vom Stuhle.

Ebenso geräuschlos öffnete sich die Thür des Schrankes. Es war nicht das mindeste Knarren zu vernehmen. Die Beiden traten heraus, voran der Fex.–

Der Lehrer hatte mit dem Knecht Ludwig nicht ganz nach dem Willen des Königs gehandelt, dessen Instruction er bereits am Nachmittag erhalten hatte. Es war ihm die Weisung geworden, sich in das Hollundergebüsch, welches längs der Mauer wucherte, zu verstecken. Als er aber jetzt nun mit Ludwig herauskam und am Hause stehen blieb, schien es ihm doch bedenklich zu sein, der erhaltenen Weisung Folge zu leisten.

»Meinen Sie auch, daß wir uns in diesen Hollunder stecken?« fragte er.

»Ja.«

»Das ist gefährlich.«

»Und ich denk grad das Gegentheil.«

»Stecken wir drin, so können wir nicht weichen. Wie nun, wenn die beiden Kerls auf den Gedanken kommen, das Buschwerk abzusuchen.«

»Hm! Darauf können sie allerdings sehr leicht kommen.«

»Sie müssen das sogar, wenn sie nur eine Spur von Gehirn haben. Entdecken sie uns, so ists aus mit unserem Vorhaben.«

»Nun, ergreifen würden wir sie doch.«

»Nein. Ehe wir uns aus den Sträuchern fitzen können, sind sie fort. Und selbst wenn es uns gelingt, sie festzuhalten, so haben wir sie doch nicht auf vollendeter That erwischt.«

»Sehr richtig! Wir müssen uns also anderswo postiren.«

»Uebrigens können wir sie auch nicht genau beobachten, wenn wir da unten auf der Erde liegen, dicht an die Mauer gedrückt und vom Hollunder überdeckt.«

»Ja, wenn wir uns dem Fenster gegenüber stellen könnten! Da würden wir freilich Alles sehen.«

»Das können wir doch!«

»Ohne alle Deckung?«

»Wir haben Deckung, nämlich das Dunkel der Nacht. Wir legen uns in das Gras. Da sind wir an der dunklen Böschung gar nicht zu sehen und haben alle Freiheit der Bewegung. Kommen sie uns zu nahe, so entfernen wir uns kriechend. Kommen Sie, es ist das Allerbeste.«

Sie zogen sich also bis auf ungefähr zwanzig Schritte von dem betreffenden Fenster zurück und legten sich da dicht neben einander in das weiche Gras, in welchem sie bis auf vier, fünf Schritte Entfernung nicht erkannt werden konnten.

»Woher werden Sie kommen? Von welcher Seite?« fragte Ludwig.

»Jedenfalls von rechts, aus dem Walde. Links ist ihnen der Mühlgraben im Wege. Es steht natürlich zu erwarten, daß sie vorher die ganze Mühle umschleichen werden. Nachher wird –«

Er hielt inne.

»Was wird nachher?«

»Still! Hörten Sie nichts?«

»Nein.«

»Mir war, als ob mit einem Stiefel auf Stein getreten worden sei.«

»Ja, ja. Sehen Sie da gegen die weiße Mauer, an der Ecke.«

»Das scheint ein Mensch zu sein. Kriechen wir näher.«

Sie bewegten sich leise fort, dem Gebäude entgegen, und gewahrten nun deutlich eine an der Ecke lehnende menschliche Gestalt.

»Das ist der Eine, der auf den Anderen wartet,« flüsterte der Lehrer. »Dieser Andere wird sich noch auf Recognition befinden.«

»Nein; da kommt er.«

Eine zweite Gestalt bog um die Ecke und Beide huschten sodann nach dem Laden. Es war ein leises, ganz leises Klingen zu hören. Der Laden wurde geöffnet. Das sah man genau, weil nun das von dem Nachtlichte erleuchtete Fenster zum Vorscheine kam.

»Jetzt werden sie hineinblicken,« vermuthete Ludwig.

»Nein. Sehen Sie, daß sie erst nach rechts und links die Mauer absuchen? Jetzt würden sie uns entdecken, wenn wir uns dort versteckt hätten. Sie finden nichts; nun kehren sie zurück.«

Der eine der beiden Einbrecher erhob den Kopf an das Fenster und blickte hinein, eine ziemlich lange Zeit. Dann sahen die beiden Lauscher, daß etwas Dunkles an die Glastafel gehalten wurde.

»Ein Pechpflaster,« meinte der Lehrer. »Sie drücken das Fenster ein.«

Jetzt hörten auch sie jenes leise Knirschen, welches der Fex mit dem Zigeuner vernommen hatte. Das Pflaster verschwand und mit demselben die Glastafel. Dann wurde wieder ein Kopf sichtbar, welcher durch das Fenster in die Stube lugte, und nun wurde ein langer Gegenstand in das durch die entfernte Glastafel entstandene Loch gesteckt.

»Eine Flinte!« sagte der Lehrer. »Der Kerl zielt sehr, sehr lange. Er will natürlich keinen Fehlschuß thun. Ah, jetzt!«

Der Schuß erklang, aber so, daß er vom Mühlengeklapper fast ganz verschlungen wurde. Sodann lauschte wieder Einer in die Stube hinein und langte nachher mit dem Arme durch die Oeffnung, um die Wirbel zu öffnen. Als das geschehen war, stieg der Mann ein.

»Jetzt ist unsere Zeit gekommen,« meinte der Lehrer. »Kriechen wir ganz hinzu. Der Andere wird auch sogleich einsteigen.«

Sie bewegten sich in gerader Richtung nach dem Fenster hin. Jetzt schwang sich auch der Zweite hinauf und wollte hinein.

»Jetzt können wir aufstehen,« sagte Ludwig. »Ich bin stark. Ich halte den Kerl ganz allein fest. Binden Sie ihn!«

»Dann rasch. Wir dürfen ihn nicht in die Stube lassen, sonst sind da drinnen Zwei gegen Zwei. Nehmen wir ihn bei den Beinen! Ah, was ist das?«

»Er kommt wieder.«

Der Einbrecher wollte zurück. Drinnen in der Stube waren Stimmen zu vernehmen. Es war ein kritischer Augenblick.

Usko und Zerno waren mit den anderen Paschern nach dem Föhrenbusch gekommen und hatten da an andere hier versteckte und auf sie wartende Schmuggler ihre nichts als Lumpen enthaltende Packete abgegeben. Bis sie Rückfracht bekamen, konnten mehrere Stunden vergehen. Diese Frist benutzten sie zu dem verabredeten Ueberfalle.

Sie hatten nicht weit bis nach der Mühle. Usko hatte die Lage derselben und deren Umgebung bereits ganz genau ausgekundschaftet. Es handelte sich nur, zu erfahren, ob man noch wache oder nicht. Das fiel den schlauen Verbrechern gar nicht schwer. Sie wußten sehr bald, daß nur ein alter Knappe in der Mühle wache.

Nun lauschten sie an den vorderen Parterrefenstern. Es ließ sich keine Spur von Leben hören. Die Bewohner waren schlafen gegangen.

»So sind wir sicher,« sagte Usko. »Komm!«

Er huschte nach der Ecke, mußte aber dort noch kurze Zeit warten, da der übervorsichtige Zerno abermals zu horchen begann. Endlich war Letzterer befriedigt und sie näherten sich nun dem Fenster. Usko hob den Kopf und blickte durch eine kleine Spalte des Ladens.

»Wie steht es?« fragte Zerno.

»Sehr gut. Er schläft fest.«

»Aber der Laden. Den können wir ohne Geräusch doch nicht öffnen. Das muß ihn unbedingt aufwecken.«

»Pah! Du scheinst sehr ungeschickt zu sein. Uebrigens steht uns ja eine Probe frei – – Himmelsapperment! Das ist gut! Der Laden ist gar nicht richtig zu! Es ist vergessen worden, den Vorstecker einzuschieben. Schau, da geht er auf.«

»Leise, leise!«

»Keine Sorge! Ich mache jede Thür und jeden Laden auf, ohne Geräusch zu verursachen.«

»Halt, jetzt klingts!«

»Das war so wenig, daß es kein Mensch hört. So, jetzt ist er auf. Aber wir wollen doch aus Vorsicht mal nachsehen, ob wir uns auch wirklich ganz allein hier befinden. Gehe Du rechts und ich links.«

Sie recognoscirten die Giebelmauer bis zu den beiden Ecken hin, und da sie nichts Verdächtiges fanden, kehrten sie befriedigt zu dem Fenster zurück, durch welches Usko nun sehr aufmerksam schaute.

»Er hat nichts gemerkt,« sagte er. »Er schläft wie ein Ratz. Ich glaube, der Anschlag wird gelingen. Gieb mir jetzt das Pechpflaster her!«

»Aber mach ja leise!«

»Pah! Ein Fenster einzudrücken, das habe ich gelernt.«

Er drückte das Pflaster fest an die Scheibe, legte dann die beiden Handflächen darauf und gab einen raschen, kräftigen Druck. Die Scheibe war herausgebrochen und blieb an dem Pflaster kleben. Es hatte nur leise geknirscht.

»So!« sagte er. »Auch das ist gelungen. Nun haben wir leichtes Spiel. Jetzt einen Schuß und wir sind die Herren im Hause.«

»Ist es wirklich nothwendig, daß wir ihn ermorden?«

»Wimmre nicht, altes Kind! Ehe ich mich erwischen lasse, muß lieber ein Anderer dran glauben. Wer dieser Andere ist, das ist mir sehr egal.«

Er nahm das mitgebrachte Gewehr, welches er vorher gegen die Mauer gelehnt hatte, empor und legte an. Er zielte auf das Sorgfältigste und drückte sodann ab.

Es gab einen leisen Knall, welcher aber, wie bereits erwähnt, nicht vernommen wurde, wenigstens von den Schläfern nicht. Sodann lehnte er die Flinte wieder zurück.

»Getroffen!« sagte er. »Grad in die Schläfe. Er bewegt sich nicht, er ist augenblicklich todt gewesen. Jetzt können wir hinein.«

»Wer steigt voran?«

»Ich natürlich. Habe ich Alles machen müssen, so will ich auch das noch thun.«

Er schwang sich empor und stieg in die Stube. Da angekommen, lauschte er einige Augenblicke und schlich sich dann auf den Fußspitzen nach dem Bette. Er beugte sich, während Zerno sich anschickte, nachzusteigen, über die vermeintliche Leiche.

»Ja, grad in die Schläfe,« sagte er; »ein Meisterschuß. Aber – Donnerwetter!«

»Was ists?« fragte Zerno, indem er in seinen Bewegungen inne hielt.

»Das – das ist ja gar kein Kopf!«

»Was? Kein Kopf!«

»Nein.«

Er ergriff den Kopf mit beiden Händen, hob ihn empor, betrachtete ihn und flüsterte dann hastig:

»Der ist aus einem Kürbis geschnitzt. Alle tausend Teufel! Mach wieder hinaus, Zerno. Wir sind verrathen!«

Er selbst drehte sich um, um nach dem Fenster zurückzueilen, blieb aber erstarrt stehen, denn vor ihm stand der Fex.

»Guten Abend, Barko!« sagte dieser.

Der Zigeuner wankte. Er griff mit den Händen um sich, nach einer Stütze suchend.

»Der Ba-ba-ba-ron!« stieß er hervor.

»Ja, der Baron. Was thust Du hier?«

»Ich – ich – ich – Himmel und Hölle!«

Er sah jetzt auch seinen Bruder, welcher aus dem Schrank getreten war.

»Jesch-jesch-jeschko!« stöhnte er.

»So?« antwortete der Genannte. »Du kennst mich also noch. Komm her, mein Lieber, wir haben Armbänder für Dich!«

Er hob den Strick empor.

Da erkannte Usko die ganze Größe der Gefahr. Wenn er nicht floh, so war er verloren, fürs ganze Leben verloren. Zerno war vom Fenster verschwunden. Das letztere stand offen und frei. Da hinaus mußte er. Der Fex sah nicht stark aus, darum sprang Usko auf diesen ein, um ihn bei Seite zu schleudern. Aber da hatte er sich geirrt. Der Fex wich keinen Zoll breit zurück, sondern versetzte ihm vielmehr einen Stoß, daß er bis zur Thür hin taumelte.

Das brachte ihn auf einen anderen Gedanken: Vielleicht gelang es ihm, durch die Thür zu entkommen. Er wollte hinaus und riß sie auf. Da aber ertönte ihm, unter dem Schnurrbarte des alten Sepp hervor, entgegen:

»Hier kannst halt nicht außi, mein Bub. Bleib also liebern daheimi!«

Der Sepp schob ihn zurück und trat mit herein. Er hatte einige Stricke in der Hand.

Usko wollte nun blind um sich schlagen, hatte aber auch damit keinen Erfolg, denn er wurde von seinem Bruder und dem Fex von hinten so fest gehalten, daß der Sepp ihn in aller Gemüthlichkeit fesseln konnte. Dann trugen ihn die Drei hinunter in die Wohnstube.

Zerno hatte, als der Warnungsruf seines Gefährten erschallte, sofort die Flucht ergriffen. Er schob sich aus dem Fenster zurück und sprang zur Erde. Dort aber blieb er für einige Augenblicke bewegungslos stehen, denn hinter ihm ertönten die Worte:

»Haben ihn! Ich halt ihn fest! Bindens ihn gar schön, Herr Lehrern!«

Im gleichen Augenblicke legten sich die Arme des riesenstarken Ludwig um seinen Leib. Der flinke Lehrer zögerte nicht, der an ihn ergangenen Aufforderung nachzukommen. Noch ehe dem Einbrecher die Besinnung recht zurückgekehrt war, lagen ihm die Stricke so fest um den Leib, die Arme und Beine, daß er sich nicht zu rühren vermochte.

»Nun hinein mit ihm. Ich nehme ihn auf die Achsel. Bringens seine Flinten mit!«

Bei diesen Worten schwang Ludwig sich den Gefangenen auf die Achsel und trug ihn wie einen Sack in das Haus und die Stube hinein. Der Lehrer folgte mit dem Gewehre. In der Stube war es noch dunkel. Darum sagte Ludwig:

»Hier ist Einer, Herr Ludwig. Den Anderen werdens wohl auch bald bringen. Jetzund sollten wir ein Streichhölzerl haben.«

»Ist schon da,« antwortete der Lehrer, indem er ein Hölzchen anstrich und dann die auf dem Tisch stehende Lampe anbrannte.

Jetzt wurde eben Usko zur Treppe herabgebracht. Man legte die Beiden auf die Diele neben einander.

»Willkommen auch!« lachte der alte Sepp. »Schaut, so kommen die fremdsten Leutln zusammen. Ihr hättet wohl nicht glaubt, Euch mal hier in dera Mühlen zu begegnen? Na, uns gefreuts auch gar sehr, daß wir Euch kennen lernen. Wir werden Euch so bald nicht wieder fortlassen.«

»Warum werde ich gefangen?« fragte Zerno. »Ich habe gar nichts gethan!«

»Nichts? Bist wohl nicht einistiegen?«

»Ich, aber in der besten Absicht.«

»So! Was war denn das für eine?«

»Ich kam am Wasser her und sah bereits von Weitem, daß Einer durch das Fenster stieg. Ich eilte herbei und bin ihm nach, um zu sehen, ob das vielleicht wohl gar ein Spitzbube sei.«

»Wars denn Einer?«

»Das weiß ich nicht, denn in diesem Augenblicke wurde ich ergriffen und gebunden.«

»Wie jammerschade! Man soll gar nicht glauben, daß das so einem braven Kerlen passiren kann. Ja, es kommen Sachen vor, die selbst ein Spitzbub nicht begreift. So kennst wohl diesen Anderen hier gar nicht?«

»Nein.«

»Und doch geht Ihr mit nander auf den Handel!«

»Das ist nicht wahr.«

»Und schlaft mit nander auf denen Heuböden bei denen Bauern.«

»Das ist eine Lüge.«

»Und steckt mit nander in denen Ziegelhütten. Ist auch das unwahr?«

»Ja.«

»So seht Euch mal da diesen Buben an. Es scheint, daß der uns belogen hat.«

Er zog Ludwig herbei, welcher bis jetzt seitwärts gestanden hatte.

»Dieser!« knirschte Usko, als er den Knecht erblickte.

Weiter sagte er nichts.

»Den kenne ich nicht!« log Zerno.

»Das braucht Dich nicht zu ärgern, denn Du wirst ihn recht bald kennen lernen. Sodann kann es leicht kommen, daßt ihn fein lieb gewinnen wirst.«

Er wendete sich ab. An seiner Stelle trat Jeschko zu den Gefangenen heran. Er funkelte seinen Bruder mit haßerfüllten Augen an und sagte:

»Nun wirst Du keine Frauen mehr verführen, keine Schlösser anbrennen und keine Kinder mehr rauben können!«

»Hund!« zischte der Gefangene wüthend.

»Das beleidigt mich nicht. Die allergrößte Beleidigung für mich erfuhr ich an dem Augenblicke, an welchem ich als Dein Bruder geboren wurde. Du hast es lange genug getrieben. Nun bricht das Strafgericht über Dich herein.«

Anstatt der Antwort spuckte der Gefangene vor seinem Bruder aus. Dieser wendete sich von ihm ab.

Der König hatte diese beiden Scenen schweigend beobachtet. Jetzt winkte er den Lehrer zu sich heran und sagte:

»Besorgen Sie einen Wagen, in welchem die Gefangenen sofort in das Gefängniß geschafft werden. Sie mögen mit dem Sepp und Ludwig Held als Bedeckung mitgehen. Lassen Sie den Assessor wecken und sagen Sie ihm, daß ich unverweilt mit ihm sprechen muß. Ich bin gezwungen, bis zu seiner Ankunft hier unten zu bleiben, da eben nichts verändert werden darf. Also beeilen Sie sich!«

Als der Lehrer zur Thür hinaus wollte, begegnete er unter derselben der alten Barbara, welche in einem unbeschreiblichen Negligée hereintrat.

»Was ist, denn das für ein Lärm im Haus? Was ist geschehen?« fragte sie.

»Zwei Freier haben wir in Deiner Kammern funden und sie allsogleich verarretirt,« antwortete der Sepp.

»Freier? Bei mir? Was fallt Dir wieder mal eini, Du alter Nixnutz! Marie, Joseph! Da liegen wirklich Zwei!«

Sie schlug die Hände zusammen und dabei entfiel ihr das alte Saloppentuch, welches sie übergeworfen hatte. Als sie sich nun augenblicklich nach demselben bückte, rutschte ihr auch die riesige Nachthaube vom Kopfe. Beides aufraffend, erkannte sie nun zu spät, daß sie sich nicht in einer salonfähigen Toilette befinde. Wie der Wind war sie zur Thüre hinaus. –

Am nächsten Mittwochstage saß der Kerybauer wieder mit seiner Familie beim Mittagsessen. Es ging heute noch stiller und trüber als gewöhnlich zu.

Heute war der Entscheidungstag. Heute wollten die Osecs sich die Antwort holen, und doch hatte er weder mit der Frau noch mit der Tochter wieder über das schwierige Thema gesprochen.

Und warum hatte er das nicht gethan?

Er selbst hätte auf diese Frage wohl keine klare Antwort zu geben vermocht. Der einzige Grund lag in seiner verborgenen, ihm selbst unbewußten Liebe zu Gisela.

Ihr letztes kräftiges und selbstständiges Wesen hatte ihm imponirt. Ihr Widerstand, obgleich gegen ihn selbst gerichtet, war ihm sympathisch. Er fühlte, daß er an ihrer Stelle ganz ebenso gehandelt hätte, und darum brachte er es nicht dazu, ihr zu zürnen.

Aber seine Lage wurde dadurch nicht gebessert. Er befand sich in den Händen der Osecs. Seine einzige Hoffnung waren die fünfzehntausend Gulden, welche er für die vorgestern abgelieferten Waaren im Laufe dieser Woche bekommen mußte. Dieses Geld mußte ihn schwimmend erhalten. Vielleicht scheuten die Osecs einen Proceß.

So saß er an dem Tische und aß, obgleich ihm kein Bissen schmeckte. Niemand wagte, eine laute Aeußerung zu thun. Man sah es ihm an, daß er sich in der allerschlechtesten Laune befand.

Da kam der Postbote und brachte einen eingeschriebenen Brief. Das Gesicht des Bauers erheiterte sich. Er erkannte die Handschrift des Kaufmannes, welchem er die Schmuggelwaaren geliefert hatte.

Er quittirte, stand vom Tische auf und ging hinauf in seine Stube. Dort öffnete er den Brief. Derselbe lautete, anstatt in gewohntem, freundlichem Tone, folgendermaßen:

»Herrn Georg Kery.
Wenn Sie meinen, mich im Laufe einer längeren Zeit durch scheinbare Ehrlichkeit so kirre gemacht zu haben, daß Sie nun einen desto lohnenderen Betrug gegen mich ausführen können, so haben Sie sich in vollständigem Irrthum befunden. Mit einem so gemeinen Schwindel übertölpelt man mich nicht. Zum Glück haben Sie weder eine Empfangsbestätigung noch ein darauf lautendes Werthpapier in den Händen. Sie bekommen anstatt der fünfzehntausend Gulden keinen Kreuzer. Die alten Lumpen und das alte Papier, welches die Packete enthielten, können Sie sich nach Berichtigung der Lagerkosten bei mir abholen. Länger als eine Woche aber behalte ich diesen Schund nicht bei mir.
»Für weitere Geschäftsverbindung ernstlichst dankend, kann ich Ihnen nur den Ausdruck meiner tiefsten Verachtung zu Theil werden lassen.«

Hierauf folgte die Unterschrift. Als der Bauer diese Zeilen gelesen hatte, sank er in einen Stuhl. Seine Brust ging hoch. Der Athem stockte ihm. Dann sprang er plötzlich auf, riß die Thür auf und rief hinab:

»Hanns! Hanns! Wo steckst Du!«

In dieser Weise hatte er noch niemals gebrüllt. Unten wurden alle Thüren aufgerissen. Der Gerufte kam die Treppe herauf, aber der Bauer herrschte ihn an:

»Spar die Stufen! Es giebt keine Zeit! Sattle sofort den Braunen! In fünf Minuten muß er vor der Thür stehen!«

Das war ein Befehl, welcher ungeheures Aufsehen erregte. Seit einem vollen Jahrzehnt war Kery in keinen Sattel gekommen. Der Knecht nahm gleich zwei, drei Personen mit, die ihm helfen sollten.

»Was muß geschehen sein?« sagte die Bäuerin besorgt zu ihrer Tochter.

»Wer weiß es, der Brief ist schuld.«

»Jedenfalls. Mir wird ganz angst und bange. Etwas Gutes kann es nicht sein.«

»Da haben jedenfalls die Osecs wieder die Hand im Spiele. Mir ist Alles gleich.«

Die fünf Minuten waren kaum vergangen, so kam der Bauer herab. Sein Gesicht war hochroth gefärbt. Er befand sich sichtlich in einer ungeheuren Aufregung. Seine Frau wagte es nicht, eine Frage auszusprechen.

»Na, wo ist das Pferd!« schrie er.

»Es sind erst vier Minuten vergangen,« antwortete Gisela ruhig. »Ueberhaupt kannst Du nicht verlangen, daß ein Pferd in fünf Minuten bereit stehen soll.«

Er blickte sie ganz betroffen an. So Etwas hatte sie niemals gewagt.

»Jungfer Naseweis, sei still!« fuhr er sie an.

Sie aber fuhr unbeirrt fort:

»Im Circus Renz oder Herzog kann man so Etwas verlangen, aber nicht bei einem Bauer, wo das Zeug erst stundenlang zusammengesucht und geputzt werden muß.«

»Habe ich befohlen, daß man es putzen soll?«

»Nein; aber das ist doch selbstverständlich.«

»Du scheinst Dir ganz fremdartige Mucken anzugewöhnen. Die muß ich Dir austreiben!«

»Ich übe mich ein, die Frau Osec zu spielen. Das kannst Du mir nicht übel nehmen. Es ist ja Dein Wille so.«

Da wurde er noch zorniger.

»Himmelkreuzmillion! Noch hat er Dich nicht, der Schwindler!«

»Ah, hat er Dich betrogen?«

»Ja und wie! Aber das geht ja Euch nichts an. Da kommt das Pferd. Wenn nachher die Osecs kommen, so sagt Ihnen, daß ich erst am Abend punkt neun Uhr zurückkehre. Bis dahin mögen Sie machen, was ihnen beliebt. Am Besten ists, sie gehen ins Wirthshaus.«

»Hier behalten werden wir sie auf keinen Fall.«

Noch vor wenigen Tagen wäre auf ein solches Wort eine harte Strafe erfolgt, jetzt aber ging er hinaus, ohne ein Wort zu entgegnen. Er schien wie umgewechselt zu sein. Nachdem er aufgestiegen war, ritt er in scharfem Trabe davon, in der Richtung nach Westen, der bayrischen Grenze zu.

Natürlich hatte er die Absicht, den Verfasser des Briefes aufzusuchen, um sich über die Veranlassung zu demselben zu unterrichten.

Die beiden Frauen dachten vergeblich darüber nach, was ihn in eine solche Aufregung versetzt haben möge. Kurze Zeit später hatte Gisela oben irgend eine Verrichtung und kam sehr bald wieder, den unglückseligen Brief in der Hand. Ihr Vater hatte in seiner Aufregung vergessen, ihn einzuschließen.

»Mutter, Mutter,« rief sie. »Hier steht es, was geschehen ist.«

»Ist das der Brief, den er bekommen hat?«

»Ja.«

»Woher?«

»Von drüben herüber. Hier ist der Beweis, daß der Ludwig Recht hat; der Vater ist ein Pascher. Er ist einer und scheint jetzt mit einem Male fünfzehntausend Gulden verloren zu haben.«

»Mein Himmel! Das ist doch unmöglich!«

»Hier steht es.«

»Zeig her!«

Die erschrockene Frau riß ihrer Tochter den Brief aus der Hand und las ihn selbst. Dann stieß sie einen Wehelaut aus und ließ ihn fallen.

»Glaubst Du es nun?« fragte Gisela.

»Ja. Fünfzehntausend Gulden. Das ist ein Vermögen, ein ganzes Vermögen! Darum war er so ganz aus der Fassung! Das ist die Strafe! Das sind die Folgen, wenn man gegen die Gesetze sündigt! Mein Gott, mein Gott! Wer kann da Hilfe bringen!«

»Ich weiß Einen.«

»Wen?«

»Ludwig.«

»Ja, wenn er noch hier wäre! Aber selbst dann hätte er keinen Einfluß. Dein Vater ist ja ein Starrkopf, der sich von keinem Menschen Etwas sagen läßt.«

»Und dennoch brächte er es fertig!«

»Er war so lange bei uns und hat es nicht ändern können.«

»Da hat er nichts davon gewußt. Jetzt aber ist es etwas Anderes. Wäre er hier und könnte er diesen Brief lesen, er wüßte doch vielleicht einen Weg zur Hilfe zu finden.«

»Er ist auch nicht allmächtig.«

»Aber ein kluger, anstelliger Kopf.«

»Hm! Ist er denn wirklich ganz plötzlich in Deiner Hochachtung so sehr gestiegen?«

»Ja. Ich habe jetzt einen förmlichen Respect vor ihm. Seit er mir gesagt hat, daß er mich liebt, sehe ich ihn mit ganz anderen Augen an. Horch!«

Es hatte an die Stubenthür geklopft. Die Beiden befanden sich ganz allein in dem Räume.

»Herein!« antwortete die Mutter, ganz verwundert, wer der höfliche Besuch sein werde.

Da wurde die Thüre um eine Lücke aufgemacht und eine schnarrende Stimme sagte:

»Verzeihung! Ein armer Handwerksbursche! Haben Sie nichts von der gesegneten Mahlzeit übrig?«

»Nein,« antwortete die Frau, indem sie aufstand, um dem Manne ein kleines Geldstück zu geben.

»Oder ein paar alte Stiefeln?«

»Auch nicht.«

»Oder ein abgesetztes Hemd?«

›Leider nicht.«

»Auch keinen Sonnenschirm oder ein Kanapee? Ich nehme Alles.«

Das war noch nicht dagewesen. Die Bäuerin konnte den Handswerksburschen nicht sehen, weil er die Thür nur ein ganz klein wenig geöffnet hatte.

»Wollen Sie nicht das ganz Bauergut geschenkt haben?« lachte sie.

»Nein; aber erben möchte ich es.«

»Daraus wird nichts. Hier ist Etwas!«

Sie schob die Hand zur Thürluke hinaus, um ihm den Kreuzer zu geben. Er aber hielt die Hand fest und sagte:

»Und daraus wird Etwas! Ich erb den Keryhof. Hier ist meine Hand darauf!«

Er schüttelte die ihrige. Sie wollte die Thür aufstoßen, brachte das aber nicht fertig, da er zu fest hielt.

»Lassen Sie los!« befahl sie. »Wer sind Sie denn eigentlich?«

»Der Retter in der Noth. Nicht wahr, Gisela?«

Hatte er bisher in schnarrendem Tone gesprochen, so bediente er sich bei den letzten Worten seiner natürlichen Stimme.

»Ludwig, Ludwig!« rief das Mädchen, vom Stuhle aufspringend und nach der Thür eilend.

»Der Ludwig soll es sein?« fragte ihre Mutter. »Der hat keine solche Stimme, wie ein alter Papagei.«

»Er macht es doch nach. Komm herein!«

Jetzt nun freilich öffnete er die Thür sperrangelweit. Ja, Ludwig war es. Mit glückstrahlenden Augen betrachteten sich die Beiden.

»Gisela!«

»Ludwig!«

Nach diesen beiden Ausrufen hatten sie einander beim Kopfe. Dabei aber reichte er auch ihrer Mutter die Hand.

»Grüß Gott, Bäuerin!« sagte er. »Da bin ich wieder mal zu sehen.«

»Um Gotteswillen! Mein Mann hat es ja verboten!« sagte sie ängstlich.

»Ich mach mir nix daraus!«

»Aber wir müssen doch gehorchen!«

»Niemand kann uns zwingen. Uebrigens ist er gar nicht daheim.«

»Das weißt Du schon?«

»Ja. Er ist mir ja begegnet.«

»Hat er Dich gesehen?«

»Man sollte es denken, denn er hat mich beinahe niedergeritten. Aber es schien ganz so, als ob er mich gar nicht angesehen habe. Er ritt Galopp, daß die Funken flogen. Darf ich mich ein Wengerl setzen?«

»Meinetwegen, ja. Aber wenn mein Mann es erfährt, so geht es uns schlimm.«

»Ich nehms auf mich.«

»Das kannst Du nicht.«

»Wer weiß.«

»Du bist nur seit zwei Tagen fort und doch haben wir so viel Schlimmes indessen erlebt. Heut kommen die Osecs.«

»Das weiß ich und eben darum komme ich auch.«

»Um Gotteswillen! Wenn sie Dich sehen!«

»So brauch ich mich nicht zu schämen.«

»Aber sie sagen es meinem Manne.«

»Mögen sie! Ich sage es nochmals, daß ich Alles auf mich nehme.«

»Laßt das jetzt!« meinte Gisela. »Komm her, Ludwig. Setz Dich nieder und erzähle uns, was Du seit dem Montag Alles begonnen hast!«

Sie zog ihn an den Herrschaftstisch. Ihre Mutter schüttelte den Kopf dazu, ließ es aber doch nicht nur geschehen, sondern setzte sich auch selbst mit hin

»Dazu bin ich nicht gekommen,« sagte er. »Ich komme, um zu derfahren, wie es auf dem Keryhofe geht.«

»Nicht besser, sondern eher schlechter als bisher. Vorhin zum Beispiel hat der Vater einen Brief bekommen und sogleich das Reitpferd bestellt. Wohin er ist, das wissen wir nicht. Das Pferd. Es mußte in fünf Minuten gesattelt dastehen.«

»Vielleicht holt er den Freier für Dich.«

»Nein. Das war etwas ganz Anderes. Es ist ein Unglück geschehen.«

»Welches?«

»Es ist – es sind – Mutter, darf ich ihm den Brief zeigen?«

»Ich glaube nicht, daß ich das erlauben darf. Der Vater darf es nicht einmal wissen, daß wir ihn in den Händen gehabt haben.«

Ludwig schüttelte lachend den Kopf.

»Dank schön! Ich brauch ihn gar nicht zu lesen. Ich weiß doch, was drinnen steht.«

»Unmöglich!«

»Ganz gewiß.«

»Es ist Etwas, was Du nicht wissen kannst.«

»Wollen wir wetten?«

»Um was?«

»Um ein Busserl. Wer verliert, der hats zu geben.«

»Das könnt man schon versuchen. Theuer ist das nicht.«

»Also machst mit?«

»Wenn die Mutter es erlaubt.«

»Ihr seid kleine Kinder,« antwortete diese, trotz dieser Worte gerührt über das Glück, welches diese Beiden fühlten, daß sie sich nach einer so ewig langen Trennung von zwei Tagen wieder sahen.

»Also sie hat nichts dagegen,« sagte Gisela. »Die Wette ist also angenommen.«

»Schön! So kann es also beginnen.«

»Ja; aufgepaßt, Ludwig! Was steht in dem Briefe?«

»Grobheiten.«

»Das genügt nicht. So Etwas kann man sehr leicht errathen, wenn man weiß, daß der Vater so in Aufregung gewesen ist.«

»Gut, so sage ich also weiter: altes Papier?«

»Was? Wie?«

»Alte Lumpen.«

»Mutter! Hörst Du es? Er weiß es!«

»Weiter!« lachte Ludwig. »Also erst, was nix werth ist, Papier und Lumpen. Sodann aber viel Besseres, nämlich Geld.«

»Wieviel?«

»Fünfzehntausend Gulden.«

»Mein Gott! Er weiß wahrhaftig Alles! Ludwig, wer hat es Dir gesagt?«

»Niemand.«

»Weißt Du auch, um was es sich handelt?«

»Ja. Um ein Schmuggelgeschäft.«

»Denke Dir, Mutter! Auch das weiß er!«

»Dein Vater soll Lumpen und Makulaturpapier eingepackt und dafür fünfzehntausend Gulden verlangt haben.«

»Nun bekommt er sie nicht?«

»Nein.«

»Das klingt ja ganz so, als ob er ein Betrüger sei.«

»Freilich. Der Kaufmann hält ihn für einen solchen. Und darum reitet er Hals über Kopf hin, um seine Ehre zu retten.«

»Wird ihm das gelingen?«

»Ja. Er ist unschuldig. Er ist selbst betrogen worden.«

»Von wem?«

»Von den Osecs. Sie haben ihm Lumpen gesandt, für welche er fünfzehntausend Gulden geben hat. Er sendet sie weiter und bekommt nix dafür. Da ist das Geld verloren.«

Die beiden Frauen blickten ihm rathlos ins Gesicht. Sie verstanden ihn nicht. Nur das Eine lag der Bäuerin so schwer auf dem Herzen:

»So ist er also wirklich ein Schmuggler?«

»Sogar der Anführer einer ganzen Gesellschaft.«

»Herr mein Gott! Der reiche Kerybauer ein Pascher! Ich kann diesen Gedanken nicht ertragen. Warum thut er uns das an! Ludwig, ist er nicht davon abzubringen?«

»Sehr leicht,« antwortete er in zuversichtlichem Tone.

»Siehst Du!« rief Gisela fröhlich. »Habe ich es nicht gesagt, daß er eine Hilfe weiß!«

»Ludwig,« meinte die Frau, »wenn Du ein Mittel weißt, so sag es uns, damit wir es anwenden. Ich werde es Dir danken Zeit meines Lebens.«

»Habs schon mit!« lachte er.

»Wo?«

»Hier in dera Taschen.«

Er klopfte auf die Brusttasche.

»Darf man es sehen?«

»Nein. Es ist jetzund noch ein Geheimnissen, und es soll auf den Bauer ankommen, ob Ihrs derfahren dürft. Vielleichten sagt ers Euch freiwillig und schon heut.«

»Schon heut?«

»Ja. Ich denk es mir. Und darum bin ich zu Euch kommen. Ich will dem Bauer von dem Uebel helfen. Wie groß dasselbige ist, davon habt Ihr gar keine Ahnung. Doch wollen mir jetzund nicht darüber sprechen, sondern lieber von – schau, da kommt ein Wagen. Das werden wohl die Osecs sein.«

Es rollte der bekannte Wagen der Osecs in den Hof. Vater und Sohn stiegen aus.

»Ludwig, versteck Dich in die Küche,« bat die Bäuerin.

»Nimm mirs nicht übel! Das thu ich nicht. Vor denen Osecs reiß ich nicht aus.«

»Aber sie sehen Dich ja!«

»Ich sie auch. So sind wir dann quitt.«

»Sie sagen es meinem Manne!«

»Ich werde es ihm selberst sagen. Ich habe gar keine Veranlassung, ihn oder andera Leutln zu scheuen.«

»Hättsts nur mir zu Gefallen gethan! Nun aber ist es zu spät. Sie kommen schon.«

Die beiden Freiersleute traten ein, ohne anzuklopfen. Der Keryhof war ja doch ihr sicheres Eigenthum. Als der Alte Ludwig erblickte, blieb er unter der Thür stehen und vergaß ganz, zu grüßen.

»Was ist denn das?« rief er aus. »Da sitzt ja dera Knecht! Ich habe geglaubt, daß er fortgejagt sei!«

»Gehts Dich was an?« fragte Ludwig.

»Jetzund noch nicht.«

»Auch später wirst mir nix zu sagen haben. Wannst überhaupten in eine Stuben kommst, so nimmst den Hut herab und sagst ein Grüß Gott dazu!«

Die Augen Osecs wurden größer und größer. Er kam langsam näher, schwenkte seinen Stock wie drohend hin und her und antwortete:

»Wie ist mir denn? Hab ich da den Herrn Kerybauer vor mir oder einen Knecht, der keinen Dienst besitzt?«

»Keins von Beiden. Ich bin der Herr Ludwig Held, ehrenvoll verabschiedeter und mit dem eisernen Kreuz ausgezeichneter bayrischer Unteroffizier. Ihr aberst seid zwei Schufte, Hallunken, Schurken, Spitzbuben und Gurgelabschneidern. Ihr schmuggelt, Ihr raubt, Ihr stehlt, Ihr spielt falsch, Ihr treibt alle Lastern und Verbrechen. Und wann so ein Hallunkenvatern mit seinem Schurkensohne vor einen braven Unteroffizieren tritt, so kann man wenigstens verlangen, daß die Beiden grüßen. Verstanden!«

Die zwei Osecs und die beiden Frauen standen wortlos. Ludwig aber trat hart an die Ersteren heran und sagte in befehlendem Tone:

»Nun, wirds bald! Herab mit denen Hüten!«

Und als diesem Befehle nicht sofort Gehorsam geleistet wurde, nahm er dem Alten schnell den Stock aus der Hand – ein Hieb mit demselben und noch einer, die beiden Hüte flogen von den Köpfen.

Die Bäuerin stieß einen Schrei des Schreckens aus. Sie kam herbei und sagte athemlos:

»Ludwig, was fällt Dir ein! Denk an meinen Mann!«

Aber Gisela sagte in stolzem Tone:

»Laß ihn, Mutter! Er hat Recht. Es ist eine Flegelei, hereinzutreten, ohne Gruß, den Hut auf dem Kopfe und den Herrn des Hauses spielen. Wenn wir uns das jetzt schon gefallen lassen sollen, wie soll das dann sein, wenn so ein Mensch als Schwiegersohn sich im Hause befindet. Durch solche Rohheiten gewinnt man sich nicht die Liebe eines Mädchens.«

Die beiden Osecs hatten sprachlos dagestanden. Ludwigs Verhalten kam ihnen als ein so ungeheures Wagniß vor, daß sie ganz starr waren. Nun aber brach der Alte los:

»Kerl, bist Du verrückt? Uns die Hüte vom Kopf zu schlagen! Augenblicklich hebst Du sie uns auf und bittest um Verzeihung, sonst –«

Er trat in drohender Haltung auf Ludwig zu.

»Sonst?« fragte dieser ruhig, dem Manne lächelnd in das Gesicht blickend.

»Sonst – schlage ich Dich nieder, wie einen Hund, der mich angebellt hat!«

»Schön! Das kannst ja thun. Hier stehe ich, und nun schlag zu!«

Er that einen Schritt vorwärts. Der Alte holte wirklich aus, aber sein Sohn ergriff ihn am Arme und sagte:

»Halt, Vater! Willst Du Dich wirklich an einem fortgejagten Knecht vergreifen? Das ist der Kerl doch gar nicht werth. Wir sind viel zu gut und viel zu vornehm für so einen Lumpen.«

»Vornehm? Ihr?« lachte Ludwig. »Ja, Eure Vornehmheit ist außerordentlich. Ihr seid unter den Bauern so vornehm, wie dera Wiedehopf unter denen Vögeln. Aber Du hast mich einen Lumpen nannt. Meinst, daß ich das dulden werde? Ich fühle mich nicht zu vornehm, Dir dafür den Dank sogleich abzuzahlen. Hier hast ihn!«

Er gab ihm eine so gewaltige Ohrfeige, daß der Getroffene sich um sich drehte und sodann in die Stube fiel.

»So!« fuhr er fort. »Und wer noch ein ungrades Wort sagt oder gar mich angreifen will, den werfe ich an die Wand, daß er gleich dran hangen bleibt!«

Die Bäuerin zitterte vor Angst. Sie ergriff seine Hand und bat:

»Ludwig, sei vorsichtig. Du weißt ja gar nicht, was darauf folgen wird.«

»Was darauf folgen wird, o, das weiß ich schon. Ausreißen werdens und eine Hand werdens ballen in dera Taschen. Doch mit mir sich raufen, das werdens schön bleiben lassen!«

Der junge Osec hatte sich wieder aufgerafft. Sein Gesicht glühte in Folge des erhaltenen Schlages, dasjenige seines Vaters aber vor Grimm über die seinem Sohne widerfahrene Züchtigung. Er ballte die Fäuste, schüttelte wie kampfbereit die Arme und schrie:

»Hund elender! Du wagst es, Dich an uns zu vergreifen. Ich werde –«

Da unterbrach ihn Ludwig mit donnernder Stimme:

»Was wirst? Nix wirst! Wannst nochmals so ein Wort sagst wie ›Hund‹, so erhältst ganz ebenso eine Maulschellen wie Dein armseliger Bub, dem ganz recht geschehen ist! Ich werd Euch zeigen, wie solche Leut von Eurem Schlag behandelt werden müssen!«

»So hau doch mal her!«

Er wollte hart an Ludwig herantreten; aber sein Sohn hielt ihn abermals zurück und warnte:

»Laß ihn, Vater! Du weißt ja, daß die Dummen gewöhnlich stärkere Fäuste haben als die Klugen. Wer Dreck angreift, der besudelt sich nur. Es giebt ein Mittel, ihn zu bestrafen; das ist besser als eine Rauferei.«

»Welches meinst Du?«

»Wir zeigen ihn bei Gericht an. Da wird er eingesteckt.«

»Ja, da hast Du Recht. Es giebt noch Gesetze, welche einen braven Mann beschützen.«

»Ja, das ist wahr,« lachte Ludwig. »Daß es solche Gesetze giebt, werdet Ihr sehr bald derfahren, wohl noch viel eher, als Ihr denkt und als Euch lieb ist. Freilich, wer das ist, den diese Gesetze beschützen, ob ich oder Ihr, das wird sich bald zeigen.«

»Du hast meinen Sohn geschlagen. Du bists also, welcher bestraft wird.«

»Und Ihr habt mich beleidigt. Wann ich Euch dafür tüchtig verhau, so hat das Gesetz gar nix dagegen. Eine Ohrfeigen auf so ein Schimpfworten, das ist das Passende und das Richtige.«

»Oho! Meinst Du, daß wir so dumm sind, nur das anzuzeigen? Du hast noch ein ganz anderes Verbrechen begangen, ein noch viel schwereres.«

»So? Was denn für eins?«

»Du hast einen Hausfriedensbruch begangen.«

»Ach so! Das ist mir wirklich was ganz und gar Neues.«

»Weil Du zu dumm bist, es zu begreifen.«

»Ja, die Osecs sind klüger als alle anderen Leut. Sie haben die Gescheidtheit gleich mit Löffeln gegessen und nun möchtens davon zerplatzen. Ich und Hausfriedensbruch. Darüber könnt man sich krank lachen!«

»Lach nur immer! Wer zuletzt lacht, der hat gewonnen und Du wirst das nicht sein. Wer hat Dir erlaubt, nach dem Keryhofe zu kommen, he?«

»Ich!«

»Es ist Dir aber verboten.«

»Von wem?«

»Vom Bauer.«

»Aberst doch nicht von Dir.«

»Ich bin so gut wie der Bauer.«

»So! Nun, das magst nur immer erst zuvor beweisen.«

»Ich kanns beweisen. Wenn ich will, so ist der Keryhof sofort mein Eigenthum!«

»Und wenn ich will, so fliegst sofort hinaus!«

»Versuche es doch!«

»Das kann sehr bald geschehen. Hast etwan den Hof gekauft? Zeig doch mal den Kaufbrief, wannst ihn hast.«

»In welcher Weise der Hof mein Eigenthum geworden ist, das geht Dich gar nichts an!«

»Das geht mich freilich was an. Bis jetzt weiß ich nur, daß Kery der Besitzer ist. Ihr geltet hier gar nix, noch viel weniger als ich. Ich bin hier mit Erlaubniß der Bäurin und der Tochter. Ihr aber habt gar keine Erlaubniß, hier zu sein.«

»Der Bauer hat uns eingeladen.«

»Das ist nicht wahr. Ihr habt Euch selbst eingeladen. Und wann die Bäurin Euch fortjagen will, so müßt Ihr hinaus, sonst seid Ihr es, die wegen Hausfriedensbruch verklagt werden können.«

»Uns fortjagen? Das sollte sie mal wagen!«

»Pah! Thut nur nicht gar so groß. Mit Euch wagt man gar nix.«

»Das wird sich finden. Uebrigens haben wir mit Dir kein Wort mehr zu sprechen, sondern nur mit dem Bauer. Wo ist er denn? Warum läßt er sich nicht sehen?«

Diese Frage wurde an die Bäurin gerichtet, deren Angst keine geringe war. Sie gab Ludwig innerlich vollständig Recht, fürchtete sich aber doch so vor den Osecs, daß ihr sein kräftiges Auftreten die größte Besorgniß einflößte.

»Er ist nicht da,« antwortete sie.

»So! Er ist nicht da? Er hat aber doch gewußt, daß wir kommen werden.«

»Er mußte fort. Es kam etwas sehr Notwendiges dazwischen.«

Der Alte lachte ungläubig auf.

»Etwas Notwendiges? Es kann für Deinen Mann nichts Notwendigeres geben, als das, was wir mit ihm zu reden haben. Er wird sich vor uns fürchten und sich aus Angst versteckt haben. Wir lassen uns nicht täuschen. Wo steckt er denn? Heraus mit ihm!«

»Er ist wirklich nicht da.«

»Das ist eine Lüge.«

»Fragt da die Gisela!«

»Die wird uns auch belügen. Wir lassen uns nichts weiß machen. Wir gehen jetzt, ihn zu suchen, überall, im ganzen Haus. Wenn wir ihn dann finden, so hat er es sich selbst zuzuschreiben, wenn wir nicht sehr gnädig mit ihm verfahren.«

Er wendete sich nach der Thür und sein Sohn wollte ihm folgen. Da aber rief Ludwig ihnen zu:

»Die Beiden haben Euch sagt, daß dera Bauer nicht da ist. Ihr habt sie dafür Lügnerinnen nannt. Das ist eine Beleidigungen, die ich nicht dulden kann. Ihr habt nix im Haus zu suchen. Wann Ihr eine einzige Thür aufmacht, so helf ich Euch dabei, aber wie!«

Der Alte rief zurück:

»Du hast uns nichts zu befehlen!«

»Nein. Aberst hinauswerfen werde ich Euch doch. Darauf könnt Ihr Euch verlassen. Hier hast Deinen Stock. Nimm ihn und trolle Dich von dannen. Das ist das Allerbest, wast hier thun kannst. Wannst meinen Rath nicht befolgst, so fliegst hinaus auf die Straßen wie eine Fliegen. Mit Euch wird gar kein Summs gemacht.«

Es war Ludwig anzusehen, daß es ihm Ernst war. Der junge Osec sagte einige leise Worte zu seinem Vater. Dieser sann einen Augenblick lang nach und wendete sich dann an die Bäuerin:

»Also Dein Mann ist wirklich nicht da?«

»Nein.«

»Gut, so warten wir hier, bis er kommt.«

»Da könnte Euch die Zeit doch wohl zu lang werden.«

»Warum?«

»Er kommt erst am Abend zurück, um neun Uhr, hat er gesagt.«

»Donnerwetter, das ist uns freilich zu lang. So befindet er sich also nicht im Dorf oder auf dem Felde?«

»Nein. Er ist verreist.«

»Verreist? Das fehlt uns grad! Wie kann er verreisen, da er doch weiß, daß wir heut kommen werden. Konnte er diese Reise nicht aufschieben?«

»Nein, sie war zu nothwendig.«

»Das hast Du uns bereits einmal gesagt, und ich habe Dir meine Antwort darauf gegeben. Wo ist er denn hin?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was? Dein Mann ist verreist und Du weißt nicht, wohin? Wer soll Dir das glauben? Eine Frau weiß stets, nach welchem Orte ihr Mann ist, wenn es sich um eine Reise handelt.«

»Er hat mir nichts gesagt.«

»Hm! Das glaub der Teufel! Was will er denn dort?«

»Auch das weiß ich nicht.«

»So scheint die Sache ein großes Geheimniß zu sein. Aber wir wissen genau, woran wir sind. Dein Mann ist fortgegangen, um uns aus dem Wege zu gehen. Wir sind gekommen, um uns Bescheid zu holen. Er will uns den nicht sagen und darum ist er ausgerissen. Das kann ihm aber nichts helfen. Er macht dadurch die Sache nur noch schlimmer. Wir lassen uns nicht betrügen.«

Das war der Bäuerin denn doch zu viel. Sie sagte in ernstem Tone:

»Osec, ich habe mir bisher Alles gefallen lassen, denn ich liebe den Frieden. Aber Ihr treibt es doch zu bunt. Du thust ja ganz so, als ob Du hier der Herr und Gebieter seist.«

»Der bin ich auch.«

Sie blickte ihn groß an.

»Das glaubst Du wohl nicht?« fragte er.

»Wie könnte ich das glauben!«

»Und ich könnte es Dir sehr leicht und auch sofort beweisen.«

»Mein Gott! Ich verstehe Dich nicht!«

»Da« kann ich mir wohl denken. Dein Mann wird sich wohl gehütet haben, Dir zu sagen, wie wir mit ihm stehen.«

Ludwig war zum Fenster getreten. Er blickte hinaus, als ob er auf das Gespräch gar nicht mehr achte, aber natürlich entging ihm kein einziges Wort desselben.

»So! Wie steht Ihr Euch denn mit ihm?« fragte die Bäuerin.

»Sehr gut. Er ist unser Schuldner.«

»So wird er Euch bezahlen.«

»Natürlich muß er uns bezahlen. Was aber werdet Ihr dann anfangen?«

Er sprach diese Frage in dem höhnischesten Tone aus, der ihm zur Verfügung stand. Sie blickte mit Augen zu ihm auf, in denen ihre ganze Fassungslosigkeit zu lesen stand.

»Was wir dann anfangen werden? Ich begreife Dich nicht.«

»Du würdest mich aber begreifen, wenn Du wüßtest, wie viel er mir schuldig ist.«

»Viel wird es nicht sein.«

»Oho!«

»Mein Mann hat keine Schulden; das weiß ich gewiß.«

»Nichts weißt Du, gar nichts.«

»Er würde es mir doch sagen.«

»Ja, ja, der Kerybauer ist derjenige, der seiner Frau solche Sachen anvertraut.«

»Wenn er Euch wirklich etwas schuldig ist, so kann das doch nur eine Kleinigkeit sein, wie man sie sich gelegentlich von einem Bekannten borgt.«

»Eine Kleinigkeit ist es, ja, aber eine sehr große Kleinigkeit. Sie ist so groß, daß ich Euch das Fell über die Ohren ziehen kann.«

Jetzt wurde sie bleich.

»Osec!« rief sie. »Das ist nicht wahr.«

»Ich sage die Wahrheit. Aber wenn mir gedroht wird, daß ich gar hinausgeworfen werden soll, so fang ich an, zu reden. Aus dem Keryhofe lasse ich mich nicht werfen, denn er ist mein, mein rechtmäßiges Eigenthum.«

»Herrgott! Hat mein Mann ihn denn etwa verkauft?«

Sie faltete die Hände. Es sprach eine unendliche, angstvolle Ueberraschung aus ihren Zügen. Auch Gisela trat schnell näher. Ihr wurde ganz ebenso bange wie ihrer Mutter.

»Verkauft?« lachte Osec. »Nein, verkauft hat er ihn nicht, aber verspeculirt.«

»Das ist doch ganz unmöglich.«

»Pah! Es ist die reine Wirklichkeit!«

»Mein Mann ist doch kein Kaufmann! Er kann ja gar nichts verspeculiren.«

»O, das wissen wir freilich besser. Er hat sehr viel speculirt, freilich unglücklich.«

»Womit denn?«

»Hm! Das mag er Dir lieber selber sagen. Die Lamentation möchte ich nicht mit sehen und anhören.«

Da kam der Frau ein fürchterlicher Gedanke. Sie dachte an die Schmuggelei.

»O Ihr Heiligen im Himmel droben!« rief sie aus. »Meine Ahnung, meine Ahnung!«

»Hast Du eine Ahnung?« nickte Osec. »Darf ich erfahren, was Du ahnst?«

»Der Schmuggel, der Schmuggel!«

»Hm! Wie kommst Du auf dieses Wort?«

»Mein Mann ist ein Pascher.«

»So? Wer hat Dir das gesagt?«

»Ich weiß es.«

»Davon habe ich freilich nichts gewußt. Hätte ich eine Ahnung davon gehabt, so hätte ich ihn gewarnt, denn ich bin sein Freund und meine es ehrlich mit ihm.«

Da rief die Frau in zorniger Angst:

»Du, sein Freund? Schweig! Verstelle Dich nicht! Dich kenne ich!«

»Das ist mir lieb. So wirst Du auch wissen, daß ich es stets gut mit ihm gemeint habe.«

»Du? Ja, gut gemeint hast Du es, aber nur mit Dir selbst. Verführt hast Du ihn, zum Schmuggel verleitet.«

»Unsinn! Der Kerybauer ist nicht derjenige, der sich zu irgend Etwas bereden läßt. Der thut nur das, was er selbst will. Ich habe freilich keine Ahnung gehabt, wozu er immer das Geld brauchte, welches er sich von mir borgte. Hätte ich es gewußt, so hätte er freilich keinen Pfennig bekommen.«

»Lüge nicht! Du hast Alles gewußt!«

»Kein Wort! Ich kann es beschwören.«

»Wie viel ist es, was er Dir schuldig ist?«

»Das möchte ich doch lieber nicht sagen.«

»Ich will es aber wissen!«

»Dein Mann hat es mir verboten.«

»Das mag ich nicht hören. Ich bin die Frau und muß es wissen. Deinem Auftreten nach ist es nicht wenig.«

»Nein, wahrlich nicht.«

»So sage es, sag es doch!«

Sie faßte ihn am Arme und schüttelte denselben. Er blickte mit teuflischer Schadenfreude auf sie nieder und sagte:

»Na, wenn Du so in mich dringst, so muß ich Dir den Willen thun. Aber vorher muß da der Knecht hinaus.«

»Warum?«

»Der braucht es nicht zu hören.«

»Der kann es hören. Er hat bereits nun genug gehört.«

»So willst Du Dich und Deinen Mann vor ihm blamiren?«

»Der Ludwig ist treu. Vor ihm kann ich mich nicht blamiren. Er wird keinem Menschen Etwas sagen.«

»Denkst Du? Ich meine vielmehr, daß er es schnell allen Leuten sagen wird. Also lieber hinaus mit ihm!«

»Nein, er bleibt da. Also sprich! Wie viel ist es?«

»Versprich mir erst, nicht zu erschrecken.«

»Herrgott! Isis denn gar so gefährlich, daß ich Dir so ein Versprechen geben soll?«

»Ja. Ihr Frauen seid ja so schwach. Und ich kann das Heulen und Jammern nicht vertragen, weil ich ein so gutes Herze hab.«

Da sprühten ihre Augen zornige Blitze.

»Schweig und treibe keinen Frevel mit mir. Was Du für ein gutes Herze hast, das weiß alle Welt. Ich bin gefaßt, das Schrecklichste zu hören. Ich verspreche Dir, daß ich ganz still und ruhig sein will. Ich werde nicht jammern. Also sage es!«

»Na, es mag Dir freilich unerwartet kommen, aber ich sage Dir, daß es nicht ganz so schlimm ist, wie es klingen mag. Von Haus und Hof treiben will ich Euch doch nicht. Es kommt ganz darauf an, wie Ihr Euch zu uns verhaltet.«

»Von Haus und Hof treiben! Gott, mein Gott, was werde ich hören! Wie viel ists, wie viel? Heraus damit!«

»Es ist grad so viel, wie der Keryhof werth ist.«

Er hatte in diesem Augenblicke ganz das Aussehen eines Spielers, der seinen besten und höchsten Trumpf auf den Tisch legt. Seine Mienen waren triumphirend und in seinen Augen leuchtete die Lust eines Raubthieres, welches sich an den Qualen seines Opfers weidet.

Auch sein Sohn zeigte diese Freude. Er war an die Seite des Vaters getreten und hielt den Blick höhnisch auf Gisela gerichtet, um den Eindruck zu beobachten, den die Worte seines Vaters auf sie hervorbringen würden.

Beide Frauen sagten zunächst kein Wort. Beide waren todtesblaß geworden. Dann fragte die Bäuerin mit zitternder Stimme und die Silben nur einzeln hervorstoßend:

»Wie – viel – soll – es – sein?«

Und der alte Osec antwortete, jedes Wort langsam und scharf betonend:

»Grad so viel, wie der Keryhof kostet.«

Die Bäuerin fuhr sich mit beiden Händen nach dem Kopfe. Sie wankte. Ihre Tochter schlang schnell beide Arme um sie und rief:

»Mutter, Mutter, glaube es nicht.«

»Nein!« hauchte die arme Frau, »es ist ja auch nicht zu glauben.«

»Eine Lüge, eine himmelschreiende Lüge ist es! Der Osec will uns nur erschrecken.«

»Das fällt mir gar nicht ein,« antwortete er. »Was hätte ich davon? Nichts, gar nichts. Und der alte Osec thut nichts, gar nichts, wenn er nicht wenigstens Etwas davon hat.«

»Ja, das ist wahr. So bist Du bekannt. Aber jetzt hast Du doch eine Ausnahme gemacht. Jetzt war es doch ein Spaß, den Du Dir mit uns hast machen wollen.«

»Das denke ja nicht, Bäuerin! Es ist mir jetzt sehr ernst zu Muthe. Wenn ich an das viele, schöne Geld denke, welches Dein Mann mir abgelockt hat, so möchte mir gleich himmelangst werden. Er darf nur ohne meine Erlaubniß eine Hypothek aufgenommen haben, so komme ich um mein ganzes schönes Geld.«

»Herrgott! Sollte es wirklich wahr sein?«

Da machte der Alte ein ärgerliches Gesicht.

»Himmeldonnerwetter! Ich habe es gesagt, wie es ist! Und nun macht mir keine unnöthigen Redensarten vor.«

Aber sie mochte und wollte es doch noch nicht glauben. Darum erkundigte sie sich:

»Hast Du es denn schwarz auf weiß?«

»Natürlich.«

»Und er hat sich unterschrieben?«

»Nicht nur unterschrieben, sondern sogar quer geschrieben hat er.«

»Wie – was – etwa Wechsel?«

»Ja, lauter schöne gute, unanfechtbare Wechselbriefe, auf Sicht lautend. Wenn ich sie ihm präsentire, muß er augenblicklich bezahlen, sonst ist der Hof mein Eigenthum.«

Da konnte sie nicht länger zweifeln. Sie schlug beide Hände vor das Gesicht, stieß einen lauten, durchdringenden Schrei aus und glitt in die Kniee nieder.

Gisela dachte jetzt nicht an das Furchtbare, was sie gehört hatte. Sie dachte in diesem Augenblicke nur an ihre Mutter. Sie kniete neben derselben nieder, schlang beide Arme um sie und rief bittend:

»Mutter, meine liebe, gute Mutter! Sei stark, sei stark! Es ist wohl nicht gar so schlimm, wie er es macht.«

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Es ist so schlimm, ganz gewiß. Ich kenne ihn genau. Er hat die Wahrheit gesagt.«

»Ja,« lachte er befriedigt. »Nun seht Ihr wohl, wie dumm Ihr vorhin gewesen seid. Ihr habt mich fortjagen wollen und nun kniet Ihr da zu meinen Füßen. Oh, Ihr werdet uns noch gern um Erbarmen anflehen.«

Da fuhr Gisela augenblicklich aus ihrer Stellung empor. Sie zog auch ihre Mutter auf und rief zornig:

»Was? Wir vor Euch knieen? Das bildet Euch nur nicht ein. Ich würde lieber sterben als Euch ein einziges gutes Wort geben.«

»Na, na, nur sachte, sachte! Ein solches Aufbegehren steht Euch nicht. Wer auf dem letzten Loche pfeift, der muß ganz anders reden. Ihr seid jetzt am Bettelstab und –«

»Gut, so gehen wir betteln,« antwortete das Mädchen. »Aber zu Euch kommen wir nicht.«

Da trat Ludwig wieder heran.

»Zum Bettelngehen ist die Sach noch lange nicht,« sagte er. »Laßt Euch nur nicht gar so sehr angst machen. Es wird keine Speisen so heiß gessen, wie sie kocht worden ist und grad vor denen Osecs braucht Euch nicht sehr bang zu sein. Sie haben stets nur das große Maul habt und ist aber nix dahinter gewest.«

»Oho!« lachte der Alte. »Jetzt hast Du das große Maul. Du wirst aber bald anders reden müssen. Ich habe den Kery einen Bettler genannt. Das ist er, so bald ich will.«

»Nein. Noch kann er arbeiten und noch bin ich auch da. Ich habe meine gesunden Arme und so lange ich mit denselbigen noch zugreifen kann, so lange werden die Kery's nicht zu hungern und auch nicht zu betteln brauchen.«

»Ja, Du bist ein gar gewaltiger Kerl. Es wird nicht lange dauern, so giebst Du ihnen gar schon ihren Hof zurück.«

»Ja, das will ich auch. Das werde ich thun.«

»So gratulire ich dazu.«

»Das hast nicht nöthig. Und wann wir sodann hier beisammen sind, so wirst auch Du mit dem Deinigen Sohn gar schön beisammen sein, nämlich im Zuchthaus drinnen, wo der beste Ort für Euch ist.«

»Kerl, merk Dir das.«

»O, ich vergeß es nicht. Merkts nur auch Euch selbst. Nun habt Ihr sagt, was zu sagen war. Was wollt Ihr noch hier? Macht Euch doch lieber fort.«

»Oho! Wir werden hier bleiben, bis der Bauer kommt.«

»Etwan bis heut Abend neun Uhr?«

»Ja. Wir gehen nicht eher fort, als bis wir mit ihm gesprochen haben.«

»So setzt Euch fein nieder. Hier sind die Stühlen und dera Tisch. Wir aber werden aus dera Stub gehen und dieselbige verschließen. Nachhero möcht Ihr sehen, womit Ihr Euch die Zeit vertreibt. Komm, Bäuerin, komm, Gisela!«

Er ergriff die Beiden bei der Hand, um sie fortzuführen. Sie gingen willig mit. Noch aber waren sie nicht bei der Thür, so sagte der alte Osec:

»Donnerwetter, dazu haben wir keine Lust. Uns einschließen lassen, das fällt uns gar nicht ein.«

»So macht Euch also fort, hinaus!« meinte Ludwig, stehen bleibend.

»Ja, das thun wir, aber freiwillig, nicht weil Du es sagst.«

»So macht aberst nur schnell, sonst werdet Ihr freiwillig hinausworfen.«

»Schön! Mit Dir Burschen rechnen wir einmal extra zusammen.«

»Dabei aberst werdet Ihr die Rechnung bezahlen müssen.«

»Wird sich finden. Bäuerin, denke ja nicht, daß wir gehen. Wir bleiben im Wirthshause bis zum Abende. Dann kommen wir wieder, um uns die Entscheidung zu holen. Bis dahin kannst Du Dich von dem Knechte trösten lassen, mit dem Du so ungeheuer intim bist. Dein Mann wird sich sehr darüber freuen, wenn wir es ihm erzählen.«

Sie gingen, aber noch unter der Thür drehte sich der Alte um und zog eine höhnische Fratze, wie sie kein Teufel beleidigender fertig gebracht hätte.

Jetzt wendete sich die Frau an Ludwig:

»Ich bin wie im Traume, aber es ist ein schrecklicher Traum. Ists denn wirklich wahr, was er gesagt hat?«

»Ja, leider ists ganz so.«

»Du weißt es?«

»Ich weiß es.«

»Um Gotteswillen! Wie ist das möglich?«

»Der Bauer hat sich von denen Osecs verführen lassen, zur Schmuggeleien und auch zum Spiel. Sie haben heimlich spielt, und dabei ist ihm das Geld abnommen worden.«

»Und das soll gelten? Er muß wirklich bezahlen?«

»Er muß, weil er die Wechsel unterschrieben hat.«

»So ist das mein Tod. Das kann ich unmöglich überleben.«

Sie sank in das Kanapee und weinte bitterlich. Gisela nahm an ihrer Seite Platz, um sie zu trösten. Aber Ludwig unterbrach sie:

»Sei still, Gisela! Deine Muttern wird gleich ruhig sein, wann ich mit ihr sprechen thu. Die Sach wird sich schon noch machen lassen.«

»Wie?« fragte die Bäuerin, schnell zu ihm aufblickend. »Kann es denn da noch Rath und Hilfe geben?«

»Freilich wohl.«

»So weißt Du einen Rath?«

»Einen sehr guten. Dera Osec hat so im Hohne sagt, daß ich Dich trösten soll. Er hat gar keine Ahnung, wie gut ich Dich zu trösten vermag.«

»So sprich, was sollen wir thun?«

»Zunächst, nicht weinen. So eine Thränen sind die Osecs gar nicht werth. Sie denken, sie haben den Sack bei allen vier Zipfeln, aber sie irren sich. Ja, den Sack habens wohl, aberst es ist nix darinnen.«

»Wieso?«

»Das möcht ich Euch freilich gleich gern sagen, aberst ich darf das nicht. Es giebt eben Dinge, welche man einer Frau erst dann erzählt, wanns geschehen sind. Ich kann Euch nur sagen, daß Ihr den Hof behaltet.«

»Wirklich, wirklich?«

»Ja. Ihr könnts mir glauben.«

»Gott, wenn das wahr wäre.«

»Es ist wahr. Ich habe Euch Beiden viel zu lieb, als daß ich Euch blos einen Trost geben wollt, wann nix dahinter wäre.«

»Aber Du kannst Dich doch wohl irren?«

»Nein, ein Irrthum ist da gar nicht möglich. Ich will Euch nur so viel sagen, daß ich hinter die Schlichen dera Osecs kommen bin. Ich weiß Alles, was sie than haben und was sie thun wollen, und hab allbereits im Voraus dafür sorgt, daß nix daraus werden kann.«

Die Bäuerin ergriff seine Hand, drückte dieselbe herzlich und sagte:

»Lieber Ludwig, Du weißt, daß ich Dich stets sehr gern gehabt habe. Du bist brav und treu und gut. Das beweisest Du auch jetzt wieder. Wie soll ich Dir dafür danken.«

»Dadurch, daßt ein fröhliches Gesichten machst. Es wird Alles ein gutes End nehmen. Ich versprech es Dir und werd mein Wort halten. Ich glaub, daß bereits heut Abend Alles in Ordnung kommen wird.«

»Das mag der Herrgott geben! Mein Mann, ein Pascher! Den Keryhof verspekulirt. Schrecklich, schrecklich!«

»Ja, er hat ihn verspekulirt und verspielt; aber er soll ihn nicht verlieren.«

»Er muß vom Spiele und vom Paschen lassen.«

»Das wird er gern, wenn wir es geschickt anfangen. Weißt, wann er heut kommt, so mußt ganz so thun, als ob Du keinen Trost von mir empfangen hast. Das wird ihn wohl so weit bringen, daß er in sich geht.«

»Darf er denn wissen, daß Du dagewesen bist?«

»Ja. Wannsts ihm nicht sagst, so derfährt er es doch von denen Osecs.«

»Er wird fürchterlich zornig sein darüber.«

»Was thut das? Fürchtest Dich?«

»Ja. Ich habe ihn stets gefürchtet.«

»Jetzunder brauchst doch keine Angst mehr vor ihm zu haben. Wann er zankt, so zankst auch. Hast ja Veranlassung dazu. Er hat den Hof verspielt und muß ruhig sein.«

»Da kennst Du ihn doch wohl nicht recht.«

»O, den kenn ich schon genau! Und wann er auch darüber zankt, daß ich da gewest bin, so hat das gar nix zu sagen. Ich werd ihn gleich wiederum gut machen. Ich bleib nämlich da, bis er kommt.«

»Um Gotteswillen! Wenn er Dich sieht!«

»Das soll er.«

»Er wirft Dich hinaus!«

»Ich werde freiwillig gehen. Vorher aber muß ich mit ihm sprechen. Und das, was ich ihm zu sagen hab, das ist so erfreulich, daß er mich wohl bitten wird, wieder in seinen Dienst zu treten.«

»Meinst Du?«

»Ja.«

»Ich halte das kaum für möglich.«

»Und ich bin überzeugt davon. Laßt mich nur machen. Wann er kommt, gehe ich hinauf in meine Kammer. Er braucht nicht sogleich zu wissen, daß ich da bin. Nachhero aberst, wann die Osecs fort sind, sodann werde ich zu ihm gehen.«

»Darf er es wissen, daß wir den Brief gelesen haben?«

»Ja. Er wird es sich ganz von selbst denken, denn es wird ihm wohl unterwegs einifallen, daß er ihn liegen lassen hat. Kannst das Schreiben aberst doch wieder hinaufi legen. Dann werden mir halt sehen, was er thut.«

Die beiden Frauen fühlten sich durch das zuversichtliche Wesen des Knechtes wenn auch nicht ganz aber doch leidlich beruhigt. Zwar sagte er ihnen keinesweges, was er thun und reden wolle, aber er zeigte doch eine Siegesgewißheit, durch welche sie mit fortgerissen wurden.

Der Nachmittag wurde in traulichem Beisammenleben verbracht. Die Dämmerung trat ein. Da ließ sich draußen Hufgetrappel vernehmen.

»Um Gotteswillen, der Vater!« sagte Gisela, welche durch das Fenster geblickt hatte.

»So kommt er um Vieles eher,« meinte Ludewig. »Er wird daran dacht haben, daß er den Brief liegen lassen hat. Das hat ihn zur Eile antrieben.«

»Verstecke Dich! Schnell in die Küche!«

»Bin schon drüber!«

Er huschte in die Küche. Eigentlich war das nicht nöthig, denn der Bauer kam nicht herein. Er war vom Pferd gesprungen und schnell durch den Flur gegangen. Man hörte seine raschen Schritte von der Treppe schallen. Droben trat er in seine Stube und sofort an den Tisch, auf welchem er den Brief liegen gelassen hatte. Gisela hatte ihn wieder hingelegt. Er ergriff und betrachtete ihn. Dann ging er eiligst hinab in die Stube. Einen raschen, forschenden Blick auf Mutter und Tochter werfend, fragte er:

»War Jemand in meiner Stube?«

»Ja, ich,« antwortete Gisela.

»Hast Du den Brief gesehen, welcher auf dem Tische lag?«

»Ja.«

»Ihn wohl auch gelesen?«

»Ja.«

»Die Mutter auch?«

»Ich habe ihn ihr herunter gebracht.«

Da schritt er zornig auf sie zu, holte aus und – – – er hielt den Arm ausgestreckt, ohne den Schlag zu führen. Seine Tochter blickte ihm starr in die Augen.

»Schlag doch zu!« sagte sie.

»Verdammtes Geschmeiß, welches überall herum kriecht und nach Heimlichkeiten hascht!«

Er ließ den Arm sinken und schritt nach der Thür. Dort aber drehte er sich noch einmal um und fragte:

»Waren die Osecs hier?«

»Ja.«

»Was sagten sie?«

»Daß sie um neun Uhr wiederkommen wollen. Sie sind in der Schänke.«

»Schön! Ah – da kommen sie. Wahrscheinlich haben sie mich vorbeireiten sehen.«

Er ging hinaus. Soeben kamen die Osecs zur Hausthür herein.

»Da bist Du ja,« sagte der Alte. »Wir sahen Dich kommen. Wo bist Du denn gewesen, daß Du gar nicht auf uns hast warten können?«

»Das sollt Ihr erfahren. Kommt herauf!«

Seine Stimme hatte einen eigentümlichen heiseren Klang. Er schritt ihnen voran. Droben angekommen, brannte er die auf dem Tische stehende Lampe an. Es war bereits dunkel in der Stube.

Die Beiden nahmen gemächlich Platz. Sie dünkten sich, Herren der Situation zu sein. Darum fiel es ihnen auch gar nicht ein, aus den starren, jetzt unheimlichen Zügen Kerys etwas für sie Schlimmes zu lesen.

Er setzte sich nicht zu ihnen. Er blieb stehen, lehnte sich an die Wand, verschlang die Arme über der Brust und fragte:

»Nun, was habt Ihr mir zu sagen?«

»Das fragst Du uns?« meinte der Alte im Tone der Verwunderung.

»Du hörst es ja.«

»Vielmehr haben wir zu fragen, was Du uns zu sagen hast.«

»Vor der Hand nichts.«

»So! Aber später?«

»Vielleicht,« nickte er finster.

»Wir wollen uns natürlich Deine Antwort holen. Wie steht es? Giebst Du Deine Tochter meinem Sohne?«

»Nein.«

Das klang so bestimmt, daß Osec fast erschrocken aufblickte. Eine solche Antwort hatte er nicht erwartet.

»Nicht? Was fällt Dir ein!«

»Es ist kein Einfall; es ist eine sehr wohl überlegte Antwort.«

»Hoffentlich meinst Du es anders.«

»Ich wüßte nicht, wie.«

»Du willst Ja sagen anstatt Nein.«

»Nein. Dein Sohn bekommt meine Tochter nicht.«

Da stand Osec langsam vom Stuhle auf.

»Ist das wirklich der Bescheid, den Du uns zu geben hast?«

»Natürlich.«

»Warum giebst Du Deine Einwilligung nicht?«

»Weil ich mein Kind nicht unglücklich machen will.«

»Alle Teufel! Das Mädel muß froh sein, wenn es einen solchen Mann bekommt!«

»Ja, einen Spieler und Pascher!«

Das klang im Tone größten Hohnes.

»Bist Du das nicht selber?«

»Leider!«

»So ist es doch kein Grund, Dich zu weigern!«

»O, ich habe heut eingesehen, was für ein elender Kerl ich gewesen bin. Ich habe mein Glück, eine gute Frau und ein liebes, braves Kind zu besitzen, nicht erkannt. Ich habe mein Eigenthum verspielt. Ich habe – – – ah pah, das Lamentiren hilft nun doch nichts. Aber ich will meine Tochter vor dem Schicksale bewahren, dem ich verfallen bin. Sie soll glücklicher werden als ich.«

»Du bist ein Dummkopf!«

»Gewesen, jetzt aber nicht mehr!«

»Unsinn! Nimm Verstand an!«

»Den habe ich. Es bleibt bei Dem, was ich gesagt habe.«

Da schob der alte Osec seinen Stuhl bei Seite, griff nach dem Hute und sagte:

»So sind wir mit einander fertig!«

»Ja.«

»Wenigstens für heut. Das Uebrige wird nachfolgen.«

»Ich erwarte es ruhig.«

»Ruhig? Das glaube ich nicht.«

»Hm! Bin ich etwa nicht ruhig?«

Osec betrachtete ihn vom Kopfe bis zu den Füßen. Es begann in ihm sich ein ganz eigenartiges Gefühl zu regen – – er fürchtete sich vor dem Manne, dessen Freund er sich genannt hatte und der jetzt so kalt, so stolz und finster vor ihm stand.

»Ja, ruhig bist Du,« sagte er. »Aber wenn Du wüßtest, was nun kommt, so würdest Du es nicht sein.«

»So! Was wird denn kommen?«

»Die Wechselklage.«

»Und nachher?«

»Du mußt aus dem Hofe.«

»Und nachher?«

»Ziehen wir herein.«

»Und nachher?«

»Donnerwetter! Frage doch nicht so albern! Oder meinst Du, daß wir Dich etwa nicht verklagen werden?«

»O, ich bin im Gegentheile sehr überzeugt davon.«

»Oder daß Du den Proceß gewinnen wirst?«

»Ich processire nicht.«

»Nun, zum Teufel, was denkst Du denn? Willst Du mit Deinen lumpigen fünfzehntausend Gulden dicke thun?«

»Nein. Die habe ich nicht mehr.«

»Was? Nicht mehr?«

»Nein. Sie sind futsch. Ich bin darum betrogen worden.«

»Sakkerment! Wie denn?«

Er heuchelte das größte Erstaunen.

»Thue doch nicht so, als ob Du es nicht wüßtest,« antwortete Kery. »Du selbst bist ja der Betrüger.«

»Was fällt Dir ein!«

»Willst Du es leugnen?«

»Ich weiß ja gar nicht, was Du meinst!«

»Nicht? Pfui Teufel! Wer den Muth hat, eine Schurkerei zu begehen, der sollte doch auch den Muth haben, sich zu ihr zu bekennen!«

»Von welcher Schurkerei redest Du denn eigentlich?«

»Mache Dich nicht lächerlich! Du weißt es ja ebenso gut wie ich.«

»Ich? Ich habe keine Ahnung davon.«

»Hier liegt der Beweis.«

Er deutete auf das offen auf dem Tische liegende Schreiben.

»Was ists mit dem Briefe?«

»Lies ihn doch.«

Osec griff zu. Sobald er die Hand des ihm wohl bekannten Schreibens sah, wußte er den Inhalt. Er las aber dennoch die Zeilen und zwang sich, als er sie aus der Hand legte, zu einer Miene unendlichen Erstaunens.

»Was – was soll das bedeuten!« rief er aus. »Lumpen sollen darin gewesen sein?«

»Ja. Du hast es doch gelesen.«

»Das ist ein Betrug!«

»Natürlich!«

»Das darfst Du Dir nicht gefallen lassen!«

»Hm! Was will ich machen? Der Betrüger ist bereits bezahlt und wird sich sehr hüten, das Geld zurückzugeben.«

»Er muß!«

»Meinst Du?«

»Ja. Wir zwingen ihn!«

»Nun gut, so gieb mir meinen auf fünfzehn Tausend Mark lautenden Wechsel retour!«

»Ich? Wie käme ich dazu?«

»Nun, der Betrüger bist ja Du.«

»Kery, bist Du des Teufels?«

»Nein. Du hast die Lumpen eingepackt.«

»Mensch, wie kommst Du auf diesen kopflosen Gedanken!«

»Wie jeder Andere auch sogleich auf denselben kommen würde.«

»Er ist ja ganz ungeheuerlich. Sollten etwa die Träger den Coup begangen und die Packete vertauscht haben?«

»Ganz gewiß nicht.«

»Oder der Adressat?«

»Auch nicht.«

»Das kannst Du nicht behaupten.«

»O doch. Ich war ja bei ihm. Es waren im Ganzen vierundzwanzig Packete. Achtzehn hat er geöffnet. Sie enthielten Lumpen und altes Papier. Die letzten sechs hat er uneröffnet gelassen, um mich zu überzeugen, daß der Betrug nicht auf seiner Seite geschehen ist. Ich machte sie auf und fand – – ebenso Papier und Lumpen.«

»So sind die Träger schuld.«

»Nein. Die können so Etwas nicht wagen. Der Betrug ist geschehen, bevor ich die Packete in das Haus bekommen habe.«

»Also wohl von uns?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Beleidige uns nicht!«

»Pah! Verstelle Dich nicht. Dieser Coup ist nur die Krone, welche Du Deinem bisherigen Verhalten aufsetzest. Oder wärst Du bereit, mir den Wechsel zurückzugeben?«

»Kann mir nicht einfallen!«

»Davon bin ich natürlich überzeugt.«

»Ich habe nicht fünfzehntausend Gulden zu verschenken.«

»Ich noch viel weniger als Du.«

»Untersuche nur die Sache genau. Der Schuldige muß entdeckt werden.«

»Er ist entdeckt. Zur Untersuchung ist es zu spät. Ich hätte die Packete untersuchen sollen, bevor ich Dir dafür den Wechsel gab.«

»Ja. Das hättest Du freilich thun sollen. Dann würde sich heraus stellen, daß ich ehrlich bin.«

»Nun, so leugne meinetwegen! Ich habe nichts dagegen; aber ich weiß, woran ich bin.«

»Mensch, so nimm doch nur Verstand an! Wir sind ja Deine Freunde. Wir wollen Dir helfen. Willst Du denn diese fünfzehntausend Gulden schwimmen lassen?«

»Ja. Ich bekomme sie doch nicht wieder.«

»Dann hast Du aber gar nichts mehr!«

»Ich weiß es.«

»Na, ich begreife Dich nicht. Aber es kann mir auch nicht einfallen, Dich zu zwingen. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Ich an Deiner Stelle könnte nicht so ruhig dastehen und von diesem Verluste wie von einer selbstverständlichen Sache, von einer Kleinigkeit reden.«

»Hm! Bin ich denn wirklich so ruhig?«

»Ja. Ich kenne Dich wirklich nicht mehr.«

»Du wirst mich schon wieder kennen lernen, lieber Osec!«

Das klang freundlich, aber es lag eine Drohung darin, welche Osec ganz gut heraus hörte. Er schüttelte den Kopf und sagte in einem Tone, welcher theilnehmend klingen sollte:

»Du mußt doch bedenken, daß dieses Geld Dein Letztes war!«

»Das weiß ich gar wohl.«

»Und daß Du nun ein Bettler bist.«

»Noch nicht ganz. Der Kerybauer wird niemals betteln gehen.«

»Was aber willst Du anfangen? Dich als Knecht verdingen?«

»Nein. Was ich thun werde, das wirst Du schon noch erfahren.«

»Du könntest ja ganz leicht Kerybauer bleiben.«

»Wieso?«

»Gieb meinem Sohne Gisela!«

»Giebst Du mir dafür etwa meine Wechsel zurück?«

»Nein. Aber Du giebst mir das Gut. Dafür bekommst Du Deine Wechsel retour. Mein Sohn zieht zu Dir, und Niemand braucht zu erfahren, daß er der Herr ist und nicht Du.«

»Ich danke sehr!«

»Du machst nicht mit?«

»Nein. Einer solchen Sklaverei ziehe ich den Tod vor.«

»Hartkopf!«

»Ja, ich bin hart gewesen, zu hart, und das habe ich jetzt zu bereuen. Es ist während des schweren Rittes, den ich heut gemacht habe, eine Veränderung mit mir vorgegangen, von welcher Du keine Ahnung hast. Ich bin viel zu stolz, Euch Vorwürfe zu machen. Ihr seid Spitzbuben, aber dennoch bin ich ganz allein selbst an meinem Schicksale schuld. Ich hätte mich nicht von Euch übertölpeln lassen sollen. Nun aber ists dennoch geschehen, und ich habe zu tragen, was ich verdiene.«

»Das klingt ja ganz wie Leichenrede!«

»Die ist es vielleicht auch.«

»Puh! Wer mag an so was denken! Ich sehe aber, daß kein guter Rath mehr bei Dir hilft. Du willst Dich selbst unglücklich machen, und so sollst Du Deinen Willen haben. Morgen werden Dir die Wechsel präsentirt!«

»Und wenn ich sie nicht einlöse?«

»Folgt Wechselklage und Pfändung. Oder denkst Du, daß es für Dich irgend ein Hinterthürchen giebt?«

»Nein. Ich bin heut gleich mit beim Advocaten gewesen und habe mich erkundigt. Die Wechsel sind giltig, und der Keryhof ist zum Teufel. Ich bin in eine scheußlich schlau angelegte Falle gegangen. Mit mir ist es aus. Aber die Gauner sollen ihrer Ernte auch nicht froh sein. Ich verhagle sie ihnen.«

»Wie meinst Du das?«

Kery öffnete ein verschlossenes Schränkchen und nahm einen Revolver heraus.

»Schau dieses kleine Ding,« sagte er. »Das ist der Richter zwischen Euch und mir.«

Die Beiden fuhren zurück.

»Donnerwetter!« rief der Alte. »Mach mir nicht etwa Dummheiten!«

»Dummheiten? Pah! Meinst Du, daß ich es überleben mag, aus dem Hofe gestoßen zu werden? Nicht einen Tag, nicht eine Stunde oder auch nur einen Augenblick.«

»Willst Du Dich erschießen?«

»Ja.«

»Kerl, das laß bleiben!«

»Ich thue es. Aber nicht allein ich werde sterben sondern Andre auch.«

»Wer denn etwa, wer?«

»Zunächst werde ich Demjenigen, der mir einen der Wechsel, welche Du von mir in den Händen hast, präsentirt, eine Kugel durch den Kopf jagen.«

»Du bist ja gradezu verrückt! Meinst Du etwa, daß ich so dumm sein werde, Dir selbst die Papiere zur Zahlung zu präsentiren?«

»Wer sonst?«

»Das wird der Advocat thun.«

»Nun, dem werde ich freilich nichts thun; er ist ja völlig unschuldig. Aber der Schuldige oder vielmehr die beiden Schuldigen werden ihrem Schicksale nicht entgehen.«

»Zielt das etwa auf uns?«

»Ja.«

»Da willst Du uns wohl bedrohen?«

»Nein. Ihr sollt nur die Folgen Eures Verhaltens zu kosten bekommen, grad so, wie ich auch diejenigen meiner Dummheit tragen werde.«

»Wir haben uns nichts vorzuwerfen!«

»Nein. Ihr habt ja Eure Sache außerordentlich gut gemacht. Aber desto mehr habe ich Euch vorzuwerfen. Ich sage Euch: Mich bringt man nicht lebendig vom Keryhofe hinweg; man trägt mich als Leiche hinaus.«

»So! Na, Du kannst ja machen, was Du willst.«

»Und Euch bringt man aber auch nicht lebendig hinein. Darauf schwöre ich!«

»Donnerwetter! Du willst uns ermorden?«

»Wenn es Euch Vergnügen macht, könnt Ihr Euch als Leichen hineintragen lassen.«

»Du, sollen wir Dich etwa anzeigen!«

»Versucht es einmal!«

»Dann wirst Du eingesperrt!«

»Möglich, aber wahrscheinlich ist das nicht. Ihr seid durch Unrecht und Schwindel zu meinem Eigenthum gekommen. Mit dem Gesetze kann ich Euch nichts anhaben, folglich wehre ich mich so gut, wie ich kann.«

Er stand erhobenen Hauptes vor ihnen, den Revolver in der Hand. Die Beiden waren keine Helden. Sie fürchteten sich vor ihm. Es wurde ihnen angst und bange. Wie nun, wenn er auf den verteufelten Gedanken kommen sollte, gleich jetzt auf sie zu schießen! Sie schauerten. Der war ja heut ein schrecklicher Kerl! Man mußte sich vor ihm in Acht nehmen. Gab es denn kein Mittel von ihm los zu kommen? Dem Alten kam nur ein Gedanke, wie dem Bauer vielleicht beizukommen sei.

»Dir hat wohl der Ludwig den Kopf verdreht gemacht?« fragte er.

»Der? Was hätte ich mit dem zu thun?«

»Er war ja da!«

»Wann?«

»Am Nachmittage, als wir kamen.«

»Was! Wirklich? Wo war er?«

»Unten in der Stube, bei Deiner Frau und Tochter.«

»Was wollte er?«

»Weiß ich es denn? Er würde es uns nicht sagen, selbst wenn wir ihn gefragt hätten.«

»So! Also hinter meinem Rücken besucht er die Meinigen! Das ist ja schön!«

»Und uns wollte er hinauswerfen!«

Der Bauer lachte grimmig vor sich hin.

»Dieser Gedanke ist gar nicht übel von ihm!«

»So? Er hat uns mit meinem eigenen Stocke die Hüte vom Kopfe geschlagen!«

»Warum?«

»Weil wir sie nicht abgenommen hatten. Der Kerl muthete uns zu, zu grüßen – in einem Hause, welches so gut wie unser Eigenthum ist. Und sodann gab er meinem Sohne sogar eine Ohrfeige.«

»Hm! Dafür könnte ich ihn lieb haben! Er ist doch ein tüchtiger Kerl!«

»Und wie hat er uns genannt! Betrüger, Schwindler, Spitzbuben und so weiter.«

»Da hat er wohl Unrecht?«

»Schweig! Und wie gar freundlich die Gisela zu ihm war. Wie sie ihm in Allem Recht gab und ihn beschützte.«

»Meine Frau wohl auch?«

»Na, die war verständiger. Sie fürchtete sich vor Dir. Sie bat ihn einige Male, an Dich zu denken.«

»Ja, sie ist brav, so brav, wie ich es gar nicht verdiene. Aber – da kommt mir ein Gedanke. Meine Tochter hat diesen Brief hier gefunden und mit hinabgenommen. Am Ende hat der Ludwig ihn auch gesehen.«

»Ein Brief lag freilich auf dem Tische, und ich möchte fast glauben, daß es dieser hier gewesen ist.«

»Das ist freilich eine ärgerliche Geschichte. Davon brauchte er nichts zu wissen.«

»O, er weiß noch mehr.«

»So? Was denn?«

»Alles!«

»Alles? Was meinst Du damit?«

»Nun, Alles! Daß der Keryhof von jetzt an mir gehört, weil Du mir so viel schuldig bist, ferner daß – – –«

»Mensch,« fiel ihm der Bauer in die Rede, »Du hast doch nicht etwa geplaudert.«

»Freilich habe ich Alles gesagt.«

»Welch eine Unvorsichtigkeit.«

»Na, ich hab ihnen ja auch mit gesagt, daß Du mir Verschwiegenheit geboten hast.«

»Und in Folge dieses Gebotes hast Du nun grad schwatzen müssen!«

Das war ein Vorwurf, aber er klang gar nicht so zornig, wie man hätte erwarten sollen. Es legte sich dabei ein trübes Lächeln um den Mund des Bauers. Wenn die Seinen es bereits wußten, wie es um ihn stand, so brauchte er es ihnen nicht erst mitzutheilen. Dieses schwere Geschäft war ihm also abgenommen worden.

»Deine Frau that es nicht anders,« erklärte Osec.

»Das ist Unsinn! Wie kann sie Etwas verlangen, wovon sie gar nichts weiß?«

»Sie wußte es doch aus dem Briefe.«

»Da steht von Dir nichts drin.«

»Das Eine folgte aus dem Anderen. Sie fragte weiter und immer weiter, bis Alles heraus war.«

»Schwachkopf! Sich von einem Weibe so aushorchen zu lassen.«

»Oho!«

»Das paßt Dir wohl nicht. Nun ja, ich will zugeben, daß es nicht Schwachköpfigkeit von Dir gewesen ist. Ich kenne Dich und Dein großes Maul. Du hast prahlen wollen. Da ist Dir der Ludwig brav in die Quere gekommen, und so hast Du einfach gesagt, daß Dir Niemand Etwas zu befehlen habe, weil der Keryhof Dir gehöre.«

»Denke und rede, was Du willst, sie wissens nun einmal doch.«

»Auch der Ludwig?«

»Ja. Ich wollt haben, daß er hinausgeschickt werde, aber darauf gingen sie nicht ein.«

»Ich habe ihn gar nicht gesehen.«

»So ist er wieder fort. Und da will ich Dir einen Vorschlag machen, der für beide Theile gleich vortrefflich ist.«

»Solltest Du wirklich etwas so Gutes und Vortreffliches für uns haben!«

»Ja. Deine Frau und Tochter wissen es nun doch einmal, wie es steht. Wie wäre es, wenn Du die Entscheidung in ihre Hände legtest? Gisela wird freiwillig sagen, daß sie meinen Sohn nehmen will. Dadurch bleibt Ihr ja im Hofe sitzen.«

Kery lachte laut und grimmig auf. Aber er antwortete nach einer Weile doch:

»Ich habe sie dazu zwingen wollen, und das ist vergeblich gewesen. Jetzt sollte sie es freiwillig thun wollen!«

»Versuche es.«

»Es ist fruchtlos.«

»Und grad ich denke, daß es gelingen wird.«

»Ich könnte es nicht verantworten.«

»Warum? Denkst Du etwa, daß es für sie ein Leichtes ist, den Hof zu verlassen?«

Kery schritt einige Male in der Stube auf und ab. Dann war er zu einem Entschlusse gekommen. Er theilte denselben mit:

»Ich würde meine Einwilligung zu dieser Ehe nun nicht geben; aber ich will nichts unterlassen, was zu thun mir meine Pflicht gebietet. Ich werde also mit ihr reden.«

»Lassest Du sie heraufkommen?«

»Nein. Ich gehe hinab.«

»Wir mit?«

»Nein. Ich muß mit ihnen allein sein. Vielleicht lasse ich Euch nachher holen, damit Ihr den Bescheid erfahren sollt.«

Er steckte den Brief und den Revolver zu sich und ging hinab in die Wohnstube.

Ludwig hatte sich, um nicht erwischt zu werden, hinauf in seine bisherige Kammer begeben. Dieselbe lag im gleichen Corridore mit der Stube des Bauern. Er zog sich den Stuhl an die Thür, machte diese eine kleine Spalte auf und setzte sich nieder. Auf diese Weise konnte er ganz bequem beobachten, was auf dem Corridore vorging.

Jetzt hörte er den Bauer hinabgehen. Er konnte ihn zwar nicht sehen, weil es im Gange dunkel war, aber er kannte den Schritt zu genau, als daß er sich hätte irren können.

Ludwig war ein anstelliger Kopf. Er errieth sofort, was Kery unten wolle. Es kam sehr viel darauf an, zu hören, was er sagen werde; darum schlich er sich ihm sofort nach, in die Küche.

Es war sehr gut, daß er nicht noch schneller gemacht hatte, sonst wäre er von Kery erwischt worden.

Als dieser unten in die Stube trat, saß seine Frau mit Gisela am Tische, auf welchem eine Lampe brannte. Sie hatten sich eine weibliche Arbeit vorgenommen.

»Ist Jemand in der Küche?« fragte er.

»Nein,« lautete die Antwort.

»Will doch erst nachsehen.«

Er öffnete die Thür, welche aus der Stube hinausführte. Es war Niemand darinnen. Das beruhigte ihn. Kaum aber hatte er die Thür wieder geschlossen, so trat Ludwig zu der anderen leise herein, welche aus dem Hausflure nach der Küche führte. Er huschte an das Fenster, sah eben noch, daß der Bauer nach dem Tische ging, schob schnell bei beiden Thüren den Riegel vor, um ja von keiner Seite überrascht werden zu können, und blieb dann neben dem Fenster stehen. Da konnte er Alles hören und auch sehen.

Kery blieb nicht am Tische stehen. Er wendete sich wieder um und begann nun, mit großen Schritten auf und ab zu gehen. Er wußte nicht, wie er beginnen solle.

Das, was er jetzt fühlte, hatte er in seinem ganzen Leben nicht gefühlt. Es war ihm so weich und so wehe in seinem Herzen.

Dort saß die Frau, der er vor dem Altare versprochen hatte, ihr das Leben leicht zu machen und sie auf den Händen zu tragen. Und wie hatte er sein Versprechen gehalten! Diesem lieben, guten, geduldigen Wesen hatte er das Leben zur Hölle gemacht. Er war der Herr, sie aber die Sclavin gewesen. Und sie hatte es still, ruhig und ohne Murren ertragen. Er fühlte ein unendliches Mitleid für sie und einen Grimm, einen maßlosen Grimm gegen sich selbst. Jetzt, in diesem Augenblicke erkannte er zum ersten Male, wie lieb er sie trotzdem und trotz alledem gehabt hatte und noch hatte.

Und dort die Tochter, die blühende, bildschöne Tochter. Was war er gewesen? Etwa ein freundlicher, zärtlich besorgter Vater? Ein fröhlicher, teilnehmender, nachsichtiger Beschützer ihrer Jugend? Nein, und wieder nein. Ein harter, egoistischer Tyrann war er gewesen. O, er wußte jetzt, wie sehr er gesündigt hatte und wie groß seine Pflicht war. Alles gut zu machen.

Gut zu machen! Ja, das war nun nicht mehr möglich. Es war zu spät. Zu spät! Welch ein fürchterliches Wort für den Reuigen, dessen Seele nach Sühne lechzt! Der Bauer ballte beide Fäuste. Er hätte sich ermorden können und – – pah, er wollte dies doch auch ohnedies thun!

Die beiden Frauen blickten nicht von ihrer Arbeit auf. Es bangte ihnen vor ihm. Sie ahnten ja nicht, welche Gefühle jetzt sein Inneres bewegten.

Da endlich blieb er bei ihnen stehen.

»Bertha,« sagte er, »Ihr habt den Brief gelesen. Wißt Ihr, was er zu bedeuten hat?«

Bertha! Das war ihr Name. Er hatte seine Frau seit langen Jahren nicht bei demselben genannt. Er hatte geglaubt, sich durch eine solche Zärtlichkeit den Respect zu vergeben.

Seine Stimme hatte bei der Frage leise gezittert. Sie klang mild und warm; fest lag der Anflug einer Furcht in ihrem Tone.

Die Frau blickte überrascht auf. Er senkte den Blick. Er konnte ihr nicht in das offene, fragende Auge sehen.

»Ja, wir wissen es,« antwortete sie.

»Alles? Wißt Ihr Alles?«

»Alles!«

»Daß ich ein Schmuggler, ein Spieler gewesen bin?«

»Ja.«

»Und Alles verloren habe?«

»Alles,« antwortete sie, das Auge voller Thränen.

»Und da sitzest Du so still da! Ich kann mir nicht denken, daß Du wirklich Alles weißt. Weißt Du denn, daß wir vom Hofe müssen?«

»Die Osecs haben es gesagt.«

»Und das nimmst Du so ruhig hin? Du springst nicht auf mich ein? Du ballst nicht die Fäuste und schlägst mir ins Gesicht? Du spuckst mich nicht an, und giebst mir nicht die Namen, die ich verdient habe?«

Da legte sie die Arbeit fort. Ein großer, voller Blick traf ihn aus ihren guten Augen. Dann stand sie auf.

»Georg,« sagte sie, indem sie mit Gewalt ein hervorbrechen wollendes Schluchzen überwand, »sag das Wort noch einmal!«

»Welches?«

»Meinen Namen.«

Statt glühender, grimmiger Vorwürfe diese fast demüthige Bitte! Er wußte nicht, wie ihm geschah. Seine Kniee begannen zu zittern. Sie bogen sich. Er konnte sich nicht beherrschen; er vermochte nicht zu widerstehen. Er sank vor der Frau nieder, er ergriff ihre beiden Hände und rief:

»Bertha! Ich bin ein Ungeheuer!«

Da zog sie ihn zu sich empor, umschlang ihn, legte ihren Kopf an seine Brust und weinte ihm leise zu:

»Georg; es ist nun Alles wieder gut!«

»Alles wieder gut? Nein, es ist ja Alles verloren.«

»Der Hof ist verloren; wir aber haben uns wiedergefunden. Wir werden arbeiten und dabei recht, recht glücklich sein.«

»Weib, einer solchen Entsagung bist Du fähig!«

»Es ist das keine Entsagung, Die Liebe ist viel, viel besser als aller Reichthum!«

»Aber wir werden gar, gar nichts haben!«

»Wir haben ja uns. Und haben wir etwa jetzt nicht auch arbeiten müssen. Wir haben geschafft wie andre Leute auch. Arbeiten ist ja eine Lust. Daß Du mich wieder Bertha nennst, dieses eine Wort ist mir lieber als der ganze Keryhof.«

Da schob er sie von sich ab, blickte ihr mit überströmenden Augen in das Gesicht und rief:

»Gott, welch ein Hallunke bin ich gewesen! Ich war ein Elender und kann nicht den tausendsten Theil von Dem, was ich auf dem Gewissen habe, wieder gut machen.«

Da trat Gisela herbei, schlang die Arme um ihn und bat:

»Sprich nicht so, Vater! Das kann ich nicht hören. Du hast nichts verbrochen. Laß den Hof fahren. Mag er fort sein. Mich haben die Aecker und Wiesen, welche unser waren, nicht glücklich gemacht. Sie sind vielmehr schuld, daß ich habe unglücklich werden sollen. Sind wir arm, so ziehen wir fort, dahin, wo uns Niemand kennt. Dort arbeiten wir und lernen, zufrieden und glücklich zu sein.«

Da drückte er sie innig an sich.

»Gisela, mein Kind. Und einen solchen Schatz habe ich an Hallunken. wie die Osecs sind, verschachern wollen. Sie schicken mich herab zu Euch. Wenn Du den Jungen heirathen willst, so soll der Keryhof scheinbar unser bleiben, so daß ich wenigstens vor den Nachbarn nicht blamirt werde. Was sagst Du dazu?«

»Sag erst, was Du selbst denkst.«

»Ich denke, daß Du ein solches Opfer nicht bringen darfst.«

»Ist das Dein Ernst?«

»Ja, Gisela.«

»So ist ja Alles, Alles gut. Ich würde diesen Menschen nicht nehmen, selbst wenn ich nicht bereits einen Andern lieb hätte. Er ist ein solches Opfer gar nicht werth. Du verlangst also nicht von mir, daß ich Ja sage?«

»Nein. Wolltest Du es sagen, so würde ich Dich allen Ernstes warnen. Also Du hast bereits einen Andern lieb? Doch wohl den Ludwig?«

»Ja, Vater.«

»Sehr?«

Sie verbarg ihr Gesichtchen an seiner Brust und antwortete verschämt:

»Ich mag niemals einen Andern.«

»Und ich, ich habe ihn fort gejagt, der mir so treu gedient hatte!«

»Er wird wiederkommen.«

»Er wird sich hüten. Er weiß ja wohl auch, daß Du nichts mehr hast.«

»Das weiß er; aber ich glaube, ihm ist es lieb, daß ich arm geworden bin. Er wird mit uns gehen, wohin Du nur immer willst, lieber Vater.«

Er schob jetzt auch Gisela von sich ab, blickte abwechselnd sie und ihre Mutter an und sagte, indem seine Augen zu glänzen begannen:

»Ich bin wirklich wie im Traume. Ich habe Vorwürfe erwartet und finde solche Liebe. Könnt Ihr denn wirklich leben ohne den Hof?«

»Georg, wir finden überall eine zweite Heimath,« antwortete seine Frau ernst und innig.

»Und Du, Gisela?«

Da stieß die Tochter ein fast fröhliches Lachen aus und rief:

»Immer fort mit dem Hofe! Da darf ich dann doch dem Ludwig gut sein!«

Sie ahnte nicht, daß der Glückliche in der Küche stand und jedes Wort hörte.

»Und so denkt Ihr wirklich?« fragte der Bauer. »Das ist Euer Ernst?«

»Ja, ja,« antworteten die Beiden.

»Herrgott! Und ich, ich wollte – – –!«

Er schlug sich mit der Faust an die Stirn.

»Was? Was wolltest Du?« fragte seine Frau.

»Du wirst erschrecken, wenn Du es hörst. Es ist etwas Fürchterliches, Aber ich muß es Euch sagen, mir zur gerechten Strafe. Ich wollte mich – erschießen.«

Zwei Schreckensrufe erklangen.

»Ja, mich und die beiden Osecs. Ich glaubte, die Schande nicht überleben zu können, und wollte ihnen nicht gönnen, meinen Hof zu besitzen. Ein Mörder und Selbstmörder wollte ich werden!«

»Ist das wirklich wahr, Georg?«

»Ja. Hier hast Du den Beweis.«

Er zog den Revolver aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch.

»Herr, mein Gott! Ists geladen?« fragte die Bäuerin.

»Ja, scharf.«

»Thu ihn weg, schnell, schnell!«

»Du brauchst Dich nicht mehr zu fürchten. Er ist mir nicht mehr gefährlich. Ich mag nun nicht sterben, sondern ich will leben bleiben, leben bleiben, um gut zu machen. Ich will arbeiten, daß mir die Schwielen an den Händen bersten, und wenn auch der Hof verloren ist, so werden wir doch noch eine Wenigkeit retten, so daß wir wenigstens nicht ganz nackt anderswo beginnen müssen.«

Er zog Frau und Tochter innig an sich. Thränen flossen, liebe, gute Worte wurden gewechselt. Der Kerybauer war ein so ganz Anderer und sagte zuletzt:

»Wer hätte das gedacht! Jetzt erfahre ich es an mir selbst, daß der Reichthum nicht glücklich und die Armuth nicht unglücklich macht. Es ist vielmehr grad das Gegentheil der Fall. Zwar wird es mir fürchterlich wehe thun, dem Hofe den Rücken zukehren zu müssen, und ich werde das niemals ganz verschmerzen können, aber ich werde doch nicht unglücklich sein. Und das sollen die beiden Osecs sofort erfahren.«

»Gehst Du wieder hinauf zu ihnen?« erkundigte sich seine Frau.

»Ja, ich hole sie herab, und nachher mögen sie schleunigst verschwinden. Unsere Freundschaft hat ausgespielt,«

Er ging und brachte die beiden Schurken herab. Sie waren natürlich außerordentlich begierig, das Ergebniß zu erfahren. Sie hatten sich eingebildet, die Frauen in Thränen, und den Bauer im Zorn zu sehen. Dort auf dem Tische lag der Revolver. Hatte der Vater seiner Tochter vielleicht gar mit dem Erschießen gedroht, um ihren Widerstand zu brechen?

Aber da gab es doch keine Spur von Thränen. Das Gesicht der Bäuerin war ernst, aber ganz und gar nicht traurig, und um Giselas Mund hatte sich ein glückliches Lächeln gelegt.

Auch das Gesicht Kerys war ein ganz anderes. Solche Augen wie jetzt hatte er noch niemals gemacht.

»Ja, was ist mir denn das?« fragte der Alte. »Ich hab gedacht, Alles in Thränen zu finden.«

»Da hast Du Dich geirrt, wie Du siehst,« antwortete der Bauer.

»Ich sehe es. Das ist ja grad so, wie es in dem Liede heißt:

»Wir sitzen so fröhlich beisammen
Und haben einander so lieb.«

Und Kery fügte lachend hinzu:

»Erheitern einander das Leben;
Ach, wenn es doch immer so blieb.«

»Das lasse ich mir freilich gefallen, und ich freue mich herzlich darüber, daß Ihr so einig geworden seid.«

»Ja, einig sind wir geworden, einig, so wie wir es noch niemals gewesen sind.«

»Das ist sehr gut für uns.«

»Hoffentlich.«

»Und wir dürfen mit fröhlich sein?«

»So lustig, wie es Euch beliebt.«

»So thu nur erst den Revolver fort.«

»Laß ihn immerhin liegen. Es geschieht Euch nichts Böses. Ich bin vollständig kurirt und habe überhaupt vorhin mit meiner Drohung nur einen dummen Spaß gemacht.«

»Wenns wahr ist!« meinte der Alte.

»Kannst es glauben.«

»Wie steht es da mit den Wechseln?«

»Die kannst Du präsentiren, am liebsten gleich morgen.«

»Das werde ich freilich thun. So einen Wunsch erfüllt man sehr gern. Und wie steht es mit dem Hofe?«

»Den kannst Du nehmen.«

»Aber wir sagen, daß er noch Dir gehört.«

»O nein. Wir wollen doch lieber die Wahrheit sagen. Man soll auch in solchen Dingen keine Lügen machen.«

»Schön. Das ist mir noch lieber. So lößt sich ja Alles in Wohlgefallen und Freundschaft auf. Wer hätte das er erwartet!«

»Ja, unverhofft kommt oft.«

»Es könnte wahrhaftig gar nicht besser sein. Das soll aber auch eine Hochzeit sein, wie man sie im Lande noch niemals gesehen hat. Geh also hin zur Gisela und gieb ihr den Verlobungskuß.«

Diese Aufforderung war an seinen Sohn gerichtet. Dieser hielt sich verlegen die Hand vor den Mund, hüstelte einige Male und schritt dann auf das Mädchen zu.

Schon hob er die Arme, sie zu umschlingen, da blieb er aber halten. Sie that gar nicht so, als ob sie sich von ihm küssen lassen wolle. Sie lachte ihm vielmehr so in das Gesicht, daß es ordentlich eine Beleidigung für ihn war.

»Na, so mache doch und ziere Dich nicht!« rief ihm sein Vater zu.

Der Sohn kratzte sich hinter den Ohren und antwortete:

»Hm, ja, sie will doch nicht!«

»Warum nicht? Sie hat ja noch gar nichts dagegen gesagt!«

»Aber schau sie doch an! Was sie für ein Gesicht macht!«

»Ach was, Gesicht! Jede Jungfer zieht eine Visage, wenn sie im Beisein Anderer geschmatzt werden soll. Nachher, wenn Ihr unter vier Augen seid, wird sie schon ein anderes Gesicht machen.«

Das erhöhte den Muth des vermeintlichen Bräutigams. Er hob die Arme abermals und trat näher zu ihr heran. Sie aber wich zurück und fragte:

»Was willst Du denn eigentlich?«

»Du hast es doch gehört! Den Kuß.«

»Ich habe keinen.«

»Was?« fragte er verblüfft.

»Ich habe keinen für Dich. Meine Küsse sind alle bereits von einem Anderen bestellt.«

»Mach keinen dummen Witz!«

»Mit Dir wird kein Witz gemacht. Ehe ich Dir einen Kuß gebe – oh!«

Es war ein unbeschreiblicher Abscheu, welcher aus diesem Ausrufe sprach. Da wendete er sich zu seinem Vater zurück:

»Da hast Du es. Sie will nicht.«

»So wird sie müssen. Kery, setze ihr doch mal den Kopf zurecht!«

»O,« antwortete der Bauer, »den hat sie ganz auf der richtigen Stelle und das Herze auch. Ich wüßte ja gar nicht, weshalb sie sich von Deinem Jungen küssen lassen sollte.«

»Warum nicht? Sapperment! Zur Verlobung.«

»Wo ist denn Verlobung?«

»Na, hier!«

Sein Gesicht nahm den Ausdruck größten Erstaunens an.

»Wer hat denn das gesagt?«

»Doch Du!«

»Ist mir nicht eingefallen.«

Das Gesicht Osecs wurde länger und länger.

»Donnerwetter!« rief er aus. »Will man denn hier mit uns etwa Fastnacht spielen?«

»Dazu sind wir viel zu ernst gestimmt.«

»Nun, so ists ja ganz in Ordnung, daß mein Bube Deine Tochter umarmt.«

»Du irrst. Ich glaube, daß Du mich nicht richtig verstanden hast. Gisela mag ihn ja nicht.«

Da fuhr Osec zornig auf:

»Warum hast Du das nicht gleich gesagt!«

»Ich habs gesagt.«

»Nein.«

»O doch! Ich habe gesagt, daß Du den Hof nehmen und den Leuten sagen kannst, daß er Dir gehört. Das ist nach unserer vorhergehenden Unterredung grad so viel, als wenn ich gesagt hätte, daß sie ihn nicht mag.«

Da stieß der Alte seinen Stock auf die Diele und rief:

»Auch gut! Weißt Du nun, was folgt?«

»Ja.«

»Morgen präsentire ich die Wechsel.«

»Schön.«

»Ich selbst.«

»Ist mir lieb.«

»Oder meinst Du, daß ich mich vor dem Revolver fürchten soll?«

»Das hast Du nicht nöthig. Ich habe nur Spaß gemacht.«

»Ich komme aber schon früh bei Zeiten!«

»Nur nicht schon während der Nacht. Alles hat seine Zeit, auch das Wechselpräsentiren.«

»Was das betrifft, so brauchst Du mich nicht zu belehren. Wirst Du denn zahlen können?«

»Das wirst Du morgen sehen.«

»Pah! So ein Heidengeld hat Keiner beisammen. Sodann gehen die Wechsel sofort aufs Gericht zum Protest. Die Klage erfolgt. In vierzehn Tagen ist die Auspfändung da, und der Hof ist mein Eigenthum.«

»Das geht ja recht schnell!«

Der Bauer lachte. Er konnte wirklich lachen. Wie groß mußte da die Veränderung sein, welche in seinem Innern sich vollzogen hatte.

»Lach nur jetzt. Es wird schon noch das Weinen kommen.«

»Das glaube ich nicht. Um Deinetwillen weine ich nicht.«

»Aber um des schönen Gutes willen!«

»Auch da nicht. Ich kaufe mir ein anderes.«

»Ja, ein Rittergut für sechs Kreuzer. Das wird eine schöne Wirthschaft werden. Da kannst Du auch den schönen Ludwig wieder als Oberknecht zu Dir nehmen. Dann paßt Ihr zusammen, Lump zu Lump!«

Da fuhr ihm der Bauer donnernd entgegen:

»Osec, so kommst Du mir nicht! Du hast mich zu Grunde gerichtet, und ich will mich nicht dagegen wehren, obgleich sich gar wohl ein Punkt finden ließe, an welchem Du noch zu fassen wärest; aber beschimpfen lasse ich mich nicht. Uebrigens ist der Ludwig ein Ehrenmann. Sein kleiner Finger ist mehr werth, als Ihr beide Kerls am ganzen Körper. Das will ich Euch noch sagen. Laßt mir ihn in Ruhe!«

»Wie hast Du ihn denn am Sonntag geheißen? Da war er Alles, aber kein Ehrenmann.«

»Selbst am Sonntage habe ich gesagt, daß er ein braver und treuer Bursche ist.«

»Nun, so gieb ihm doch die Gisela. Da können sie arme Ritter in Elendsfett backen!«

»Das ist nicht nöthig,« ertönte es hinter ihm. »Ein Gänsebraten thuts auch, wann er recht knusprig backen ist.«

Ludwig war eingetreten. Er wendete sich an Kery:

»Mußt halt schön verzeihen. Zwar bin ich aus dem Dienst bei Dir, aberst ich hab noch meine Sachen droben in dera Kammer, und sodann giebts noch was Wichtiges, was ich gern mit Dir besprechen möcht.«

Er streckte ihm treuherzig die Hand entgegen und Kery schlug freundlich ein, wobei er antwortete:

»Du bist mir willkommen. Setze Dich nur nieder!«

»Das ist ja sehr schön. Da können wir nun wohl gehen? Denn zu einem solchen Kerl passen wir doch nicht.«

Da wendete sich Ludwig ihm zu und antwortete, noch bevor der Bauer eine Entgegnung geben konnte:

»Hast Recht, Lump! Wir passen nicht zusammen, eben weilst ein Lump bist. Schaff Dich also von dannen! Hier hast nix mehr zu suchen.«

»Oho! Ich bin hier Herr im Hause!«

»Beweise es!«

»Morgen am Vormittage werde ich den Beweis führen.«

»Darauf bin ich sehr neugierig. Vielleicht derlaubt mirs dera Kerybauer, daß ich mit dabei sein darf.«

Kery nickte zustimmend. Osec aber höhnte:

»Du siehst, daß er es Dir erlaubt, seine Schande mit anzusehen. Wo kein Ehrgefühl ist, da ist auch niemals welches hinzubringen. So habe ich also das Vergnügen, die Herrschaften morgen wieder zu sehen!«

»Ja, aber darfsts ja nicht versäumen, sonst könntst nachhern verhindert sein.«

»Verhindert? Wieso?«

»Habs Dir bereits mal sagt. Wann man im Zuchthausen steckt, kann man keine Besuchen machen, um Wechsel einzukassiren, die man im falschen Spiel gewonnen hat.«

»Kerl, Dich selbst werd ich aufs Zuchthaus bringen.«

»Da bin ich neugierig, wie Du es anfangen willst. Bei Dir aber kostets mich nur ein einziges Wort, und dieses Wort, ich werd es sprechen.«

»Das bildest Du Dir ein. Du Habenichts.«

»Mach Dich hinaus, sonst helf ich nach. Es juckt mir schon bereits in denen Fingern. Wann ich Dich beim Salpeter krieg, so walk ich Dich, daß alle Knochen klingeln.«

Er schritt auf ihn zu; da fuhren beide, Vater und Sohn, zur Thür hinaus. Ludwig ging ihnen nach, um sich zu überzeugen, daß sie nicht etwa irgendwo sich versteckten, um zu lauschen. Als er dann wieder in die Stube trat, saß der Bauer mit der Frau und Tochter am Tische.

»Du bist wohl heut gekommen, um Deine Sachen zu holen?« fragte dieser ihn.

»Nein. Ich habe eine viel wichtigere Angelegenheit.«

»Was betrifft sie denn?«

»Die Osec's und Dich.«

»So hättest Du jetzt die beste Zeit gehabt, die Sache an den Mann zu bringen. Nun aber sind die Beiden fort.«

»Hab sie dennoch angebracht. Die Schufte haben freilich keine Ahnung davon. Also ich darf morgen mit dabei sein, wanns kommen, um die Wechsel vorzuzeigen?«

»Ich habe es Dir versprochen und Du weißt, daß ich mein Wort halte. Ich weiß, daß Du Dich nicht über mein Unglück freuen wirst!«

»Nein, sondern über Dein Glück.«

»Das wird auf sich warten lassen!«

»Wer kann wissen, was passirt.«

»Was geschehen wird, das weiß ich. In Zeit von einigen Wochen bin ich vom Hofe.«

Ludwig schüttelte den Kopf und meinte bedenklich:

»Ich glaubs nicht, glaubs nicht.«

»Das ist sicher.«

»Wohl nicht ganz.«

»Es ist keine Rettung. Ich bin heut mit beim Advocaten gewesen. Er hat mir alle Hoffnungen auf einen Ausweg benommen.«

»So ist er eben ein dummer Rather!«

»Es ist der beste in der Stadt.«

»Da ist ja ein Bauernknecht gescheidter.«

»Etwa Du?«

»Ja.«

Es lag etwas in seinem Tone, was dem Bauer auffiel. Er musterte ihn mit forschendem Blicke und sagte:

»Du thust ja ganz so, als ob Du wirklich eine Rettung wüßtest.«

»Die weiß ich auch.«

»Einbildung.«

»Nein, ich weiß wirklich eine Rettung.«

»Höre Ludwig, Du bist ein braver Knecht und ein tüchtiger Landmann: aber zu einem Juristen, der alle Hinterpförtchen des Prozeßverfahrens kennt, gehört doch mehr.«

»Oho. Es giebt sehr feine Advocaten und Juristen; aber zu einem guten Knecht, der seinen lieben Herrn retten will, gehört doch mehr. Und ich setz da gleich einen Schwur darauf, daß ich denen Osec's eine Nasen aufsetze, an ders zu tragen haben sollen all ihr Leben lang.«

»Wenn Du das könntest.«

»Ich kanns, ich kanns!«

»Wie wolltest Du das anfangen?«

Während die Augen der Anderen mit größter Spannung auf ihn gerichtet waren, lachte er fröhlich vor sich hin und antwortete sodann:

»Anfangen? Wann ichs nun heut erst anfangen wollt, da die Osec's bereits fast fertig sind, da wär es weit gefehlt. Ich hab schon längst wußt, was ich thu, und heut bin ich halt fertig.«

»Schon längst?« fragte der Bauer überrascht.

»Ja freilich.«

»So hast Du Dich bereits früher mit dieser Angelegenheit beschäftigt?«

»Schon seit dem, als Du, weißt, damals sucht wurdest, und ich hab sagt, daß dera Schmuggler das Dorf hinunterlaufen ist.«

»Schlauberger und Hinterlistiger!«

»Ja, die Hinterlist laß ich mir gefallen, dies darauf absehen hat, Andere vor Schaden zu behüten! Wann dera Herr darauf los wirtschaftet, nachhero muß der Knecht die Sache desto mehr in Acht nehmen.«

Er hatte das im Tone des Scherzes gesagt, dennoch drohte ihm die Bäuerin sofort mit dem Finger und warnte:

»Pst! Keine Vorwürfe!«

»Das solls auch gar nicht sein; dafür soll mich dera Herrgott behüten. Es ist mir halt so über die Zung laufen. Aberst sag nur mal, Bauer, warumst Dir von denen Osec's einen solchen Schrecken einijagen lassest.«

»Das muß ich wohl. Sie haben mich doch in den Händen.«

»Ich glaube das nicht.«

»Gewiß. Ich weiß kaum selbst genau, wieviel ich ihnen schuldig bin.«

»Habens denn was darüber in denen Händen?«

»Lauter gute Sichtwechsel.«

»Ich glaubs nicht.«

Er wiegte dabei wieder wie vorhin den Kopf bedenklich hin und her.

»Wirst's wohl glauben müssen. Ich habe sie ja natürlich alle selbst acceptirt und unterschrieben.«

»Das glaube ich gern, aberst daß sie dieselbigen auch wirklich haben, daran möcht ich zweifeln.«

»Natürlich haben sie sie. So Etwas hebt man sich auf. Was sollten sie denn damit gemacht haben?«

»Ja, das weiß ich nicht.«

»Sie haben sich überhaupt sehr sicher gesetzt. Im Falle ich gegen sie klagen sollte, besitzen sie eine große Anzahl Lieferscheine in Beziehung der Schmuggelei. Wenn Sie diese der Polizei übergeben, werde ich noch extra als Pascher bestraft.«

»Ja, das sind die richtigen Klugen. Doch glaub ichs halt nicht, daß sie solche Lieferscheinen von Dir haben.«

»Weshalb nicht?«

»Weilst zu klug bist.«

»Ich bin eben dumm gewesen und habe mich von ihnen überlisten lassen.«

»Nun, so ist Dein Oberknecht viel zu klug dazu. Was dera Eine nicht ist, das kann der Andere sein.«

»Wie meinst Du das?«

»Wie sollt ich es meinen! Mags halt stehen wie es will, den Keryhof lassen wir Dir nicht nehmen.«

»Aber morgen präsentiren sie die Wechsel!«

»Mögen sie. Nachhero erst kommt die Klage.«

»Und die geht aber schnell!«

»So machen wir noch schneller.«

»Was denn?«

»Nun, wannst die Wechseln nicht bezahlen kannst, so können sie Dir doch nur das nehmen, wast hast.«

»Natürlich.«

»Und wast nicht hast, das können sie eben nicht bekommen.

»Auch richtig.«

»Wannst also keinen Hof hast, können sie Dir keinen nehmen.«

»Ach, jetzt verstehe ich Dich. Daran habe ich auch bereits gedacht.«

»Nicht wahr, dieser Gedank ist nicht übel?«

»Nein; aber er läßt sich nicht ausführen.«

»Warum nicht?«

»Wo finde ich sofort einen Käufer, welcher mich gleich bezahlen kann?«

»Ja, das ist schwer.«

»Bedenke wohl, daß es noch heut geschehen müßte. Verkaufte ich erst nachdem mir die Wechsel präsentirt worden sind, so wäre das Betrug, wegen dem ich bestraft werden könnte.«

»So muß es anders anfangt werden.«

»Aber wie? Etwa ein Scheinkauf? Der ist doppelt gefährlich.«

»Das kann ich mir leicht denken. Aber muß es denn grad ein Kauf sein?«

»Ich wüßte nichts Anderes.«

»Vielleicht ein Tausch?«

»Erst recht nicht.«

»Ja, warum aber nicht?«

»Bei einem Tausche bekäme ich kein Geld sondern doch ein anderes Gut. welches mir dann grad so weggenommen würde wie der Keryhof.«

»So darfst kein Bauerngut eintauschen.«

»Was denn?«

»Werthpapieren.«

»Hm! Das ließe sich freilich hören. Aber es müßte eben auch' heut geschehen.«

»Das denk ich auch.«

»Und wo finde ich einen solchen Tauschlustigen?«

»Brauchst Dich blos umzuschauen.«

»Wo?«

»Hier in dera Stuben.«

»Etwa Du?«

»Ja.«

»Höre, Ludwig, ich habe gedacht, daß Du diese Angelegenheit wirklich ernsthaft nimmst.«

»Das thue ich auch.«

»Nein. Was Du jetzt sagtest, kann nur ein Spaß sein.«

»Es ist mein Ernst.«

»Unsinn!«

Da hielt Ludwig dem Bauer die rechte Hand hin und sagte!

»Es ist mein Ernst, daß ich Dir das Kerygut abtauschen will. Ich hab Papieren, welche grad so viel gelten, wie das Gut werth ist. Wannst mitmachst, so kann dera Handel sofort abschlossen werden.«

Da stand der Bauer langsam, langsam auf. Er blieb kerzengrade vor dem Knechte stehen und sagte:

»Ludwig, ist's wirklich Dein Ernst? Spanne mich um Gotteswillen nicht auf die Folter.«

»Es ist mein Ernst, ich schwör Dirs zu.«

»So hast Du Dich heimlich nach einem Manne umgesehen, der den Tausch mit eingehen will?«

»Ja, und ich hab einen funden.«

»Wer ist's?«

»Rathe mal.«

»Das kann ich nicht.«

»Das glaub ich wohl. Den würdest im ganzen Leben nicht derrathen. Es ist grad derjenige, vor demt Dich am Meisten fürchtet hast.«

»Wer wäre das?«

»Dera alte Osec.«

Der Eindruck dieses Namens war ein augenblicklicher. Der Bauer schlug mit der Faust auf den Tisch und rief zornig:

»Mensch! Habe ich Dir nicht verboten, Scherz mit mir zu treiben?«

»Ludwig!« rief auch die Bäuerin in vorwurfsvollem Tone.

Gisela aber sah es dem Geliebten an, daß er ein Geheimniß hege. Seine Augen leuchteten so innig vergnügt. Er mußte es mit der Rettung ihres Vaters wirklich ernst meinen. Darum bat sie:

»Vater, werde nicht zornig. Höre ihn doch nur!«

»Ach was, hören! Es versteht sich doch ganz von selbst, daß er Unsinn macht. So etwas ist doch gar nicht denkbar!«

»Warum nicht?« fragte Ludwig.

»Derjenige, welcher mich unglücklich machen will, wird mich doch nicht etwa retten?«

»Sappermenten, das scheint mir nicht gar so sehr unmöglich zu sein.«

»Dann bin ich entweder ganz von Sinnen, oder Du bist – ein –«

Er sprach nicht weiter, aber er warf einen drohenden Blick auf den Knecht. Dieser aber meinte lachend:

»Der Osec wird Dich retten, aber dera Kerlen weiß gar nix davon.«

»Wie sollte das geschehen?«

»Eben durch die Papieren, die er Dir für das Gut zum Umtausch sendet. Und das Allerbeste bei diesem Tausche ist, daß Du die Papieren bekommst und das Gut gar nicht dafür zu geben brauchst.«

»Das wäre doch gar kein Tausch!«

»Freilich nicht. Es ist ein Geschenk, ein großartiges Geschenk, welches er Dir macht. Freilich weiß er eben gar nix davon.«

»Das sind mir lauter Räthsel.«

»Die werden gleich gelöst werden. Da, paßt mal aufi.«

Er erhob sich nun von seinem Sitze und ging erst in die Küche, deren beide Thüren er verschloß. Dann sah er auch hinaus an die Läden und in den Hausflur, um sich zu überzeugen, daß es keinen Lauscher gebe. Als er wieder in die Stube trat, meinte Kery:

»Du thust doch recht heimlich und vorsichtig dabei!«

»Das muß ich. Was wir thun und sprechen, das darf kein Mensch wissen, und auch Keiner darf jemals davon derfahren. Nur wir vier, wir behalten es als ein großes Geheimnissen bei uns.«

»Du versetzest mich in die größte Spannung.«

»Wirst gleich schauen, was es ist.«

Er zog ein Päckchen, welches in ein blaues Papier geschlagen war, aus der Tasche, öffnete es, nahm ein Papier heraus, gab es dem Bauer und fragte:

»Kennst Du das?«

Kery faltete es auseinander, warf einen Blick darauf, stieß einen Ruf freudigen Erstaunens aus und sagte mit bebender Stimme:

»Mein Wechsel, mein Wechsel! Die fünfzehntausend Gulden habe ich wieder! Kein Mensch erhält ihn aus meiner Hand!«

»Daran thust sehr recht. Dieses Geldl, um das Dich dera Osec betrügen wollte, haben wir also glücklich rettet.«

»Aber, Mensch, Ludwig, wie ist das möglich? Woher hast Du ihn denn?«

»Er lag bei denen andern,« lachte der Knecht.«

»Bei was für andern?«

»Bei diesen hier.«

Er nahm eine zusammengelegte Anzahl von Papieren und gab sie ihm. Der Bauer schlug sie auseinander.

»Herr Gott! Was ist das?« rief er.

Seine Augen schienen die Zettel verschlingen zu wollen.

»Ists so richtig?« fragte Ludwig.

»Meine Lieferscheine!«

»Alle?«

»Alle mit einander!« rief Kery, indem er mit zitternden Händen die Zettel zählte.

»Auch ich glaub nicht, daß einer fehlt.«

»Kein einziger.«

»Nun mag dera Osec Dich einmal bei dera Polizeien anzeigen wegen Pascherei.«

»Nein, nun kann er nicht. Ich bin gerettet! Ich bin nun sicher vor dieser fürchterlichen Gefahr, und kein Teufel soll mich jemals verführen, wieder zu paschen.«

Er streckte der Frau und der Tochter die Hände zur Bekräftigung entgegen, gab dann auch dem Knechte eine Hand und fragte:

»Aber Ludwig, lieber Ludwig, wo hast Du denn diese Papiere her?«

»Na,« lachte der Gefragte glücklich, »woher soll ich sie haben? Sie lagen eben auch bei den anderen.«

»Bei welchen?«

»Bei diesen hier.«

Er gab den Rest des Packetes hin. Kery griff zu. und öffnete und las. Sein Gesicht wurde bald roth und bald blaß. Er zählte die einzelnen Stücke, legte dann alles auf den Tisch, starrte den Knecht wie abwesend an und stieß mit bebender Stimme hervor:

»Ludwig!«

»Was?«

»Ludwig, ist so was möglich?«

»Man sollts denken, da man es sieht.«

»Kannst Du zaubern?«

»Nein.«

»Aber wie kommst Du zu den Papieren?«

»Auf die einfachste Art und Weisen in dera Welt.«

»Meine Wechsel, alle, alle meine Wechsel!«

»Ists wahr, ists wahr?« riefen Frau und Tochter, Beide von ihren Stühlen aufspringend.

»Ja; schau, Bertha; schau, Gisela! Das sind die Wechsel, mit denen ich meine Seele dem Teufel verschrieben hatte. Es war ein dreifacher Teufel, der Spiel- und der Pascher- und der Hochmuthsteufel. Nun bin ich erlöst. Ich habe sie zurück!«

»Gott, Gott sei Dank,« hauchte die Frau und sank weinend in den Stuhl zurück.

»Und auch der Keryhof ist gerettet! Morgen kann mir kein Wechsel präsentirt werden. Seit wann hast Du sie denn eigentlich, Ludwig?«

»Seit dem Sonntag.«

»Und die Osecs wissen es nicht?«

»Ja, wann die es wüßten!«

»Wie bist Du zu ihnen gekommen?«

»Grad so, wie auch die Osecs zu ihnen kommen sind: durch eine Schlechtigkeiten. Ich bin ein Spitzbub. Ich hab sie stohlen; ich hab sie maust.«

»Kerl, gestohlen!«

»Ja.«

»Du bist aus Liebe zu Deinem Herrn ein Dieb geworden!«

»Leider. Ich hab nicht anders konnt. Ich habs freilich nicht eher than, als bis ich mit meinem Gewissen eine Zwiesprachen halten hab, und das hat mich freisprochen. Ein Verbrechen hab ich nicht begangen.«

»Ein Verbrechen! Nein, das ist es nicht.«

»Und ists ein Verbrechen, eine Sünd, so wirds mir der Herrgott vergeben und mich gnädig dafür strafen.«

»Es, ist weder ein Verbrechen noch eine Sünde. Es ist kein Diebstahl. Ich bin um dieses viele Geld betrogen worden. Du hast mir mit List mein Eigenthum zurückerobert, welches man mir mit List abgenommen hatte. Meine Wechsel, meine Wechsel!«

In seiner Herzensfreude küßte er das Packet. Er sprang in der Stube herum und rief dann aus:

»Kommt heraus in die Küche! Wir wollen einen Scheiterhaufen errichten und diese bösen Geister verbrennen.«

Er ging hinaus und machte ein Feuer im Ofen.

»Aber Georg, darfst Du das?« fragte seine Frau.

»Warum nicht?«

»Ist das alles Dein Eigenthum?«

»Ja.«

»Gehört es nicht den Osecs.«

»Nein. Geraubtes Gut kann dem Räuber niemals gehören. Seht, da brennt es!«

Er hatte das ganze Päckchen den Flammen, die es gierig ergriffen, überliefert.

»Aber wenn es dennoch ein Unrecht wäre,« sagte die Bäuerin.

Da beruhigte sie der Knecht:

»Hab keine Sorg! Wann ich glaubt hätt, daß es ein Unrecht sei, so hätte ichs nicht than.«

»Aber wir müssen es verschweigen.«

»Ja freilich.«

»Und was Andre nicht wissen dürfen, das ist ein Unrecht.«

»Nicht immer. Man schweigt auch oft nur aus Klugheit und nicht aus Angst. Und warum kann keine Spielschuld einiklagt werden? Das Gesetz meint doch, daß es kein ehrlich verdientes Geld sei. Und die Osecs haben noch dazu mit falschen Karten gespielt.«

»Weißt Du das?«

»Ja, ganz gewiß. Sie haben davon sprochen und den Kerybauer auslacht. Ich stand dabei und hab alles hört.«

»Nun aber bin ich es, der sie auslachen wird,« sagte Kery. »Sie sollen mir morgen nur kommen! Aber, Ludwig, wie hast Du die Papiere an Dich gebracht? Das mußt Du uns erzählen.«

»Ja, das sollt Ihr hören. Aber nicht jetzund.«

»Warum nicht?«

»Na, Ihr guten Leutln, wißt Ihr denn nicht, wie ihr in dera Zeiten lebt? Es ist schon längst die Zeit, das Abendmahl zu bereiten. In einigen Minuten werden die Gesinden kommen und essen wollen.«

Da schlug die Bauerfrau die Hände zusammen und rief:

»Er hat Recht. Ich hab mich ganz vergessen. Nun können wir uns gleich sputen, um fertig zu werden, Gisela.«

»Ja,« meinte der Bauer. »Macht heut was Gutes! Der Ludwig mag indessen mit mir in meine Stube gehen und mir erzählen, wie Alles zugegangen ist. Wenn das Essen fertig ist, so ruft Ihr uns!«

Die Beiden begaben sich nach oben. Dort brannte die Lampe noch.

»Setz Dich her an den Tisch,« sagte Kery. »Und,« fuhr er fort, mehrere Cigarren hinlegend, »brenn Dir eine Virigina an!«

Das war eine Auszeichnung, die in diesem Hause noch nie einem Dienstboten widerfahren war. Ludwig genirte sich nicht. Er sagte:

»Wannst meinst, daß ich eine rauchen darf, so nehm ichs halt mit großem Danke an.«

»Nimm nur! Was ist so eine Cigarre gegen für das, was ich von Dir hab! Ich hab Dir das Kerygut, meine Ehre und auch mein Glück, vielleicht gar mein Leben zu verdanken.«

»Na, gar so schlimm ist es nicht.«

»Weniger auch nicht. Nun will ich mir eine anstecken. Und jetzt erzähl!«

Ludwig berichtete Alles, vom Augenblicke an, an welchem der erste Verdacht in ihm aufgestiegen war, bis zum Gelingen seines Diebstahles. Als er fertig war, fragte er sodann:

»Die Packete mit den Lumpen sind also hinüber nach Bayern. Ist denn auch die Rückfracht richtig angelangt?«

»Warum erkundigest Du Dich nach ihr?«

»Weil ich ein großes Interesse an ihr hab. Warum? Das wirst Du gleich hören.«

»Ja, sie ist angelangt. Aber es soll das letzte Mal sein, daß ich es thue. Der alte Backofen wird morgen weggerissen.«

»Ich hab mir ihn gar nicht genau angeschaut, weil ich denkt hab, daß er zu nix mehr nütze ist.«

»Zum Verbergen der Waaren war er ausgezeichnet. Wers nicht wußt, der konnt dort noch so gut suchen, er hätte nichts gefunden. Kannst Dir ihn morgen früh ansehen, ehe ich ihn wegreißen lasse. Je eher er wegkommt, desto eher verschwindet ein Zeuge gegen mich. Aber warum fragtest Du nach der Rückfracht?«

»Ist dabei nix passirt?«

»Nein. Es ist alles gut abgelaufen.«

»Wirklich Alles.«

»Ja, nur daß Zwei doppelte Lasten zu tragen gehabt haben.«

»Warum?«

»Es sind unterwegs zwei Träger abhanden gekommen.«

»Weißt Du, welche?«

»Ja, die beiden Slowaken. Sie müssen sich in der Zwischenzeit verspätet haben.«

»Das ist sehr richtig. Verspätet haben sie sich, und zwar sehr.«

»Weißt Du Etwas davon?«

»Ich weiß Alles. Sie haben sich so weit verlaufen, daß sie in ihrem ganzen Leben nicht wiederkommen können.«

»Ah! Wohin?«

»Ins Gefängniß, von wo aus sie in das Zuchthaus gehen werden, höchst wahrscheinlich lebenslänglich.«

»Donnerwetter! Weshalb? Doch nicht etwa wegen Pascherei?«

»Nein, sondern wegen eines Mordes.«

»Herrgott! Das ist wahr?«

»Ja, ich war dabei.«

»Du? Wieder dabei? Kerl, es scheint, daß ohne Dich gar nichts mehr geschehen kann.«

»Ja, es ist beinahe so!« lachte Ludwig.

»Also Mord! Diese Menschen waren allerdings höchst gefährliche Subjekte. Ich will nicht fürchten, daß meine Pascherei dabei mit ins Spiel kommt.«

»O nein. Dafür habe ich gesorgt.«

»Du wieder? Wie war das möglich? Ich glaube nicht, daß Dein Wunsch bei so etwas maßgebend sein kann.«

»Warum nicht? Ich bin es ja, durch den der Fang geglückt ist.«

»Du? Immer wieder Du! Bist ein Tausendsassa.«

»Ich hatte die Anzeige gemacht und mir ausbedungen, mit bei dem Fange sein zu dürfen.«

»Wie konntest Du davon wissen?«

»Ich hatte die beiden Slowaken erst in der Ziegelhütte und dann auch auf unserm Heuboden belauscht.«

»Heuboden? Warst Du oben?«

»Ja,« lachte Ludwig. »Usko war so betrunken, daß Du mit Zerno reden mußtest.«

»Alle Teufel!« rief der Bauer.

»Stimmt es?«

»Ja. Aber – aber – hast Du Alles gehört. Alles?«

»Jedes Wort.«

»Sakkerment! Das ist ja eine ganz verfluchte Geschichte.«

»Na, ich denke, daß es Dir jetzt leid thut?«

»Und wie! Du hast nur immer auf mein Wohl gesonnen, und zum Dank dafür habe ich Dich ins Verderben jagen wollen.«

»Du hast doch nicht gewußt, wie gut ich es mit Dir meinte; also bist zu entschuldigen.«

»Du bist mir also nicht bös?«

»Nein.«

»Gieb mir die Hand darauf!«

»Hier ist sie. Und auch noch was will ich Dir darauf geben.«

»Was?«

»Hier diese beiden Briefen.«

Er zog sie aus der Tasche und legte sie ihm hin.

»Alle Wetter! Das ist doch der Brief, den Zerno Dir in den Weg legen sollte, und dann auch der andere, den der Osec nach dem Bahnhofe besorgen wollte. Wie bist Du zu dem Letzteren gekommen?«

Ludwig erzählte es. Als er geendet hatte, war der Bauer sehr verlegen. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Nun siehst Du, was für ein schlechter Kerl ich gewesen bin. Meinen, besten Freund habe ich unglücklich machen wollen. Höre, Du mußt es mir nicht nur vergeben, sondern mir auch noch einen Gefallen thun!«

»Ganz gern, wenn es in meiner Macht liegen sollte.«

»Du kannsts. Bitte, sag meiner Frau und auch der Tochter nichts von diesem Anschlage, den wir gegen Dich geplant haben!«

»Das brauchst Du gar nicht erst zu bitten. Ich hätte auch ohne dies geschwiegen.«

»Ists wahr?«

»Denkst etwan. ich werd den Deinen Etwas von Dir verzählen, was Deiner Reputation bei ihnen schaden könnt?«

»Ja, ein braver Kerlen bist. Darauf kann ein Jeder schwören. Und Du meinst, daß die beiden Slowaken mich nicht mit ins Dekerment bringen werden?«

»Sicher nicht. Ueberhaupt, wie wollten sie das thun?«

»Sie könnten von mir erzählen. Sie könnten sagen, was sie im Walde zu thun gehabt haben, nämlich schmuggeln.«

»Das werden sie bleiben lassen. Kein Gottloser, der wegen eines Verbrechens gefangen ist, wird freiwillig gestehen, daß er auch noch ein zweites begangen hat.«

»Es soll aber so Etwas zuweilen doch vorkommen, wie ich gehört habe.«

»Bei solchen verstockten, hart gesottenen Sündern, wie diese Beiden sind, sicherlich nicht. Uebrigens ist die That nicht im Walde, sondern in der Hohenwalder Mühle geschehen.«

»Was! In der oberen oder unteren?«

»Oben.«

»Um Gotteswillen! Sie haben doch nicht etwa den braven Müllerhelm ermordet?«

»O nein.«

»Oder die gute, alte Barbara?«

»Auch diese nicht.«

»Auch den Knappen Peter nicht, das alte Inventarstück der Obermühle?«

»Auch dera lebt.«

»So fällt mir ein Stein vom Herzen! Ich halte große Stücke auf diese Leute. Kennst Du sie vielleicht?«

»Ich hab sie am Montage kennen lernt und sie gleich sehra lieb gewonnen.«

»Ja, das sind Leute, die man sofort lieb hat. Aber gegen wen ist denn der Anschlag gerichtet gewesen? Es wohnt doch weiter kein Mensch in der Mühle.«

»Jetzund ist ein Herr auf Sommerfrische da. Er heißt Herr Ludwigen, ist aus dem München und ein steinreicher Mann. Den habens dermorden und berauben wollen.«

»Und ists ihnen gelungen?«

»Nein, eben weil ichs derlauscht und anzeigt hab. Laß es Dir verzählen.«

Er erzählte das Ereigniß, hütete sich aber wohl, zu sagen, daß dieser Herr Ludwig der König sei.

»Welch eine That, welch ein Abenteuer!« sagte der Bauer, als der Bericht zu Ende war. »Der Herr hat Dir sein Leben zu verdanken. Wenn er wirklich so reich ist, daß er Brillanten und Diamanten besitzt, so wird er Dir dankbar sein.«

»Ich habs ihm sagt, daß ich nix nehmen werd.«

»Das ist schön! Das freut mich von Dir! Du brauchst Dir von keinem Fremden Etwas schenken zu lassen.«

»Ich hab doch meine gesunden Arme. Das ist das schönste Geschenk vom lieben Herrgott.«

»Ganz richtig! Und was das Uebrige betrifft, so hast Du mich.«

»O, damit ists aus.«

»Warum?«

»Weil ich aus dem Dienste bin.«

»Pah! Das war ein Irrthum, ein Versehen von mir! Uebrigens hab ich nicht Dir gekündigt, sondern Du mir. Darum darf ich es nicht zurücknehmen, sondern Du wirst es thun.«

»Hm! Das wird schwer gehen!«

»Hoffentlich nicht. Ich erwarte ganz bestimmt, daß Du wieder zu mir kommst.«

»Werd es mir überlegen.«

»Was giebts da zu überlegen? Gar nichts! Du kommst eben wieder und bist da. Du brauchst ja gar nicht wieder zu kommen, denn Du bist schon da. Nun bleibst Du gleich hier. Das versteht sich ganz von selbst.«

»Ja, wann dies ginge. Weißt, heut kann ich mal hier schlafen, um morgen da zu sein, wann die Osecs kommen. Aberst gegen Abend muß ich wieder fort.«

»Wohin denn?«

»Wann ich das sagen dürft!«

»Ists ein Geheimniß?«

»Ja.«

»Mensch, Du steckst ja jetzt voller Geheimnisse wie der Keller voller Kartoffeln! Bist Du etwa ein Diplomat geworden?«

»Ein Stück davon.«

»Du hast doch nicht vielleicht wieder so Etwas vor wie am Montage?«

»Grad so was.«

»Jemand gefangen nehmen? Du bist ja der reine Polizist geworden! Nimm Dich in Acht, damit es Dir nicht einmal schief geht!«

»Es ist dies das letzte Mal. Es gilt Leuten, denen ich es bereits schon seit langer Zeit getippt habe. Morgen laufens nun endlich mal ins Garn.«

»Sinds Bekannte von mir?«

»Vielleicht. Ich werds Dir übermorgen sagen.«

»Warum nicht eher, nicht gleich heut?«

»Weil ich ein Schloß vor dem Munde hab.«

»So will ich nicht in Dich dringen. Aber wenn eine Gefahr für Dich dabei vorhanden ist, so bitte ich, Dich in Acht zu nehmen. Es sollte mir herzlich leid thun, wenn Dir ein Unfall widerführe.«

»Hab keine Angst um mich! Ich bin nicht allein. Uebrigens werd ich mich auch nicht grad dahin stellen, wo ein Stein vom Himmel fallt und mir grad auf den Kopf.«

»Dann kommst Du aber wieder zu mir?«

»Das kann ich nicht versprechen.«

»Hast Du vielleicht schon eine andere Stelle? Willsts mir nicht sagen?«

»Ich hab noch keine. Wann ich wiederum in Dienst gehe, so komm ich nur zu Dir.«

»Das ist mir recht und lieb. Uebrigens soll es kein Dienst sein, in dem Du bei mir stehest. Du bist nicht mein Knecht.«

»Was denn?«

»Mein – mein – na, kannst Du es Dir denn nicht denken?«

»Na, Oberknecht?«

»Nein.«

»So nennen wir es lieber Schirrmeister. Das ist vornehmer und klingt hübscher.«

»Ist noch nicht das Richtige.«

»Wohl gar Verwalter oder Inspector?«

»Das nähert sich schon mehr demjenigen, was ich meine. Denk doch an die Gisela.«

»O, an die denk ich halt stets und immer.«

»So ist sie Dir wohl sehr lieb und werth?«

»Mehr als mein Leben. Weißt, ich bin ein einfacher Kerlen. Ich kann kein Gedicht machen, und wann ich einen Liebesbriefen schreiben wollt, so würd er wohl recht sehr verwunderlich werden. Desto wärmer und tiefer aber sitzts im Herzen drinnen. Wann ich also sag, daß mir die Gisela lieber ist als mein Leben, so ist das keine Redensart, sondern eine Wahrheiten, von der nix abzuklopfen und abzubrechen ist. Ich werd nie heirathen, wann nicht sie meine Frau werden kann.«

»Nun, was denkst Du da von mir? Werde ich Euch mein Jawort geben?«

»Wannst klug und auch brav sein willst, so sagst ja. Kannst als guter Vatern gar nicht besser handeln. Ich thät die Gisela und die Eltern auf denen Händen tragen.«

»Ja, das würdest Du thun; ich weiß es. Und darum sollst Du sie haben, als Lohn dafür, daß Du mir den Keryhof erhalten hast. Topp, schlag ein!«

Er war überzeugt, hiermit etwas Großes gesagt und gethan zu haben. Er, der reiche Kerybauer, wollte seine Tochter seinem Knechte geben! Es war heute eine große Umwandlung mit ihm vorgegangen. Aber es gab doch immer noch Schlacken, welche von dem guten Golde getrennt werden mußten.

Darum wunderte er sich nicht wenig, als Ludwig nicht sofort einschlug. Der Knecht bog sich zurück und sagte:

»Nimm mirs nicht übel! Einischlagen kann ich da nicht!«

»Nicht – –? Wa – – rum?« erklang es gedehnt.

»Weils ein Lohn sein soll.«

»Das ist doch nichts Böses?«

»Nein, etwas Böses nicht. Aberst die Gisela ist mir viel zu gut und werth, als daß sie als Lohn gelten soll. Was ich than hab, das ist meine Pflicht und Schuldigkeiten west. Ich habs nicht than um eines Lohnes willen, sondern aus Liebe zu Dir.«

Der Bauer blickte ihn tief gerührt an.

»Ludwig,« sagte er, »Du bist wirklich nicht nur ein braver, sondern auch ein edler und vornehmer Mensch, obgleich Du nur eben ein Knecht bist.«

»Ich würde kein Knecht sein, wann ich nicht die Gisela gar so lieb hätt. Sie hat mich wieder herzogen, ohne daß sie es wußt hat. Ich selbst hab ja nicht ahnt, was in mir lebt. Darum mag ich sie eben nicht als Lohn. Wannst nix gegen unsere Lieb hast, so machst mich unendlich glücklich, und ich dank Dir es all mein Leben lang. Aber ich bitt Dich, laß uns gehen. Wann die rechte Zeit und Stund kommen ist, werden wir schon vor Dich und die Mutter hintreten und um Euern Segen bitten. Giebst Du denselbigen gern, so wirds Dir der Herrgott vergelten. Hier, nun nimm meine Hand!«

Er streckte sie ihm hin. Kery schlug kräftig ein und sagte, indem ihm ein großer Tropfen im Auge stand:

»Ja, so soll es sein! Ihr sollt thun, was Euch gefällt. Die Liebe duldet keinen Zwang und auch kein Triebwerk. Sie will für sich selbst blühen, und wenn sie mit profanen Fingern angegriffen wird, so geht ihr schönster Schmelz verloren.«

Da öffnete die Bäurin die Thür und meldete, daß das Essen fertig sei. Die Beiden folgten ihr Ludwig ging natürlich, so wie er es gewohnt war, nach seinem Platze am Gesindetische.

»Halt!« sagte der Bauer. »Du bist heut nicht im Gesinde, sondern mein Gast. Du setzest Dich mit herüber zum Herrentisch.«

Das war noch niemals da gewesen. Die Knechte und Mägde machten große Augen und sperrten die Mäuler noch weiter auf.

»Du, Christel, hasts gehört?« fragte einer der Knechte, indem er der neben ihm sitzenden Magd einen Rippenstoß gab, daß sie fast vom Stuhle fiel.

Sie griff sich in die Seite, rieb die betreffende Stelle eine Weile und antwortete, als der Athem zurückgekehrt war, den sie in Folge des Stoßes verloren hatte:

»Ja. Das ist ein tausends Wunder!«

»Gradezu ein Mirakel.«

»Der Ludwig mit am Herrentisch!«

Dabei fuhr sie mit dem Löffel, welchen sie voll Milchsuppe hatte, nach dem Ohre, anstatt in den Mund, und da der Löffel dort keinen Eingang fand, so lief ihr die Suppe am Halse herab.

»Da kann noch was draus werden,« nickte der Knecht.

Er war über die Weisheit, welche in dieser Prophezeihung zu liegen schien, selbst so erstaunt, daß er rund im Kreise ein Gesicht nach dem andern anblickte, um zu beobachten, ob diese Klugheit das erwartete Erstaunen hervorrufe. Dabei sah er nicht auf die Schüssel, und da fuhr er nicht nur mit dem Löffel, sondern mit der ganzen, schmutzigen Hand in die Milchsuppe.

»Sakkerment!« sagte sein Nebenmann. »So paß doch auf! Willst Du denn ersaufen?«

»Wo denn? fragte der Gute, die Hand noch immer in der Suppe habend.

»Da, hier in der Schüssel.«

Erst jetzt sah er nieder und gewahrte, wohin er gerathen war.

»Verflucht!« schimpfte er. »Jetzt konnt ich mich verbrennen!«

Er ließ den Löffel drin liegen, zog rasch die Hand zurück und leckte sie sich begierig ab. Dann schaute er rund auf dem Tische herum.

»Was suchst Du denn?« fragte Einer.

»Na, meinen Löffel natürlich.«

»Der liegt ja in der Suppe.«

»Der Esel! Als ob er da hinein gehörte!«

Er langte nun mit der rechten Hand wieder in die Schüssel, um zu fischen und brachte nun endlich den Löffel glücklich heraus.

»Da ist er ja!« meinte er befriedigt.

Er leckte nun behaglich erst den Löffel und dann auch die beiden Hände ab. Dabei bemerkte er, daß die Anderen aufgehört hatten, zu essen.

»Na, macht nun wieder weiter!« munterte er sie auf.

»Was? Wir sollen diese Suppe essen?«

»Na freilich!«

»Wo Du mit den Händen drin herumgelaufen bist! Schau sie nur an! Wie schaut sie aus! Was hast Du denn dran kleben?«

»Wagenschmiere.«

»Damit fährst Du in die Suppe, und wir sollen weiter essen? Pfui, Teufel!«

»So laßts bleiben! Mir ists recht.«

Er zog sich die Schüssel hin und begann nun, sich solo über ihren Inhalt her zu machen, und das mit einem solchen Eifer, daß sie ebenso schnell leer war, als wenn Alle mit gegessen hätten.

Daran war die Auszeichnung schuld, die der Oberknecht erlangt hatte.

Am Herrentische ging es nicht so lautlos wie gewöhnlich zu. Der Bauer war ganz anders als früher. Er redete! Da gab es Fragen und Antworten, Rede auf Rede, daß es schier zum Verwundern war.

Als dann ein Jeder seine Schuldigkeit gethan hätte, sagte der Bauer, sich erhebend:

»Heut Abend gehe ich einmal in die Schänke. Was thust Du, Ludwig?«

»Ich habe einen nothwendigen Gang.«

»Dauerts lange?«

»Das weiß ich noch nicht.«

»Wenns nicht zu spät ist, so kannst Du ein Wenig nachkommen.«

Er zog den anderen Rock an, setzte den Hut auf und ging, nachdem er sich freundlich von Frau und Tochter verabschiedet hatte.

Wieder gab es am Gesindetische Rippenstöße und heimliche Bemerkungen.

Gisela's Gesicht glänzte vor Freude. Daß dem Geliebten eine so große Auszeichnung widerfahren war, erfüllte sie mit Stolz und Glück. Sie wußte nun, daß der Vater mit ihrer Liebe einverstanden sei.

Als sie dann bemerkte, daß Ludwig sich zum Gehen anschickte, schlich sie sich hinaus vor die Thüre, um ihn zu erwarten. Als er kam, ergriff sie seine Hand, zog ihn, um nicht mit ihm bemerkt zu werden, eine kleine Strecke fort und blieb dann stehen.

»Ludwig,« sagte sie innig, »was für ein Tag ist das gewesen!«

»Ein sehr guter!«

»Ein glücklicher, der glücklichste meines Lebens!«

»Weil dera Vater gar so anderst worden ist. Nicht wahr?«

»Ja, und besonders auch weil Du es bist, dem wir es zu verdanken haben. Wie hast Du das nur fertig gebracht?«

»Ich habs dem Vater derzählt.«

»Darf ichs mit der Mutter nicht auch erfahren?«

»Ja, ich werde es Euch schon noch berichten.«

»Heut?«

»Da ist keine Zeit dazu.«

»Wohin willst Du?«

»Das möchte ich Dir wohl gern sagen, doch es geht nicht.«

»So! Es ist also eine Heimlichkeit?«

»Sogar eine sehr große.«

»Und wohl gefährliche?«

»Fürchterlich!« scherzte er.

»So errathe ich es.«

»Gewiß nicht.«

»Gewiß! Du willst eine alte Geliebte aufsuchen, um ihr zu sagen, daß Du nun eine neue hast. Das ist das Gefährlichste, was es geben kann.«

»Meinst Du?«

»Ja. Nimm Dich vor ihr in Acht!«

»Mach mir keine Angst.«

»Ich muß Dich warnen. Ich weiß, was ich so Einem sagen und thun würde. Da kann ich mir nur denken, was Dich erwartet.«

»O wehe! Da möcht ich lieber nicht gehen.«

»Ja, bleib da!«

»Wann ich dürft!«

»Ists denn gar so nothwendig?«

»Ja, es leidet keinen Aufschub. Und wanns Dich beruhigen thut, so will ich Dir sagen, warum ich gehe. Aberst es darfs kein Mensch derfahren.«

»Ich rede es ganz gewiß nicht aus.«

»Es gilt wieder denen Osecs. Sie haben heut was vor, was ich mir mit anschauen muß.«

»Was ists?«

»Eine Pascherei.«

»Du, da kannst Du leicht in Gefahr kommen. Laß es lieber sein!«

»Nein, heut giebts keine Gefahr.«

»Das denkst Du wohl. Aber die Osecs sind natürlich wüthend auf Dich. Wenn sie Dich bemerken, so kann es Dir schlecht ergehen.«

»Sie können mich nicht bemerken. Und selbst wanns mich sehen thäten, so fürcht ich mich vor denen noch lange nicht. Mir kann nun Niemand mehr was anhaben. Da kannst ganz ruhig sein.«

»So? Warum?«

»Wegen Deiner. Wer eine solche Lieb wie ich im Herzen trägt, der ist geschützt in aller Fährlichkeit.«

»Ists denn mit dieser Liebe etwas gar so sehr Schlimmes?«

»Etwas Schlimmes nicht, sondern etwas – – etwas – – ja, wann ich nur gleich das richtige Worten finden thät! In denen Worten hab ich gar nix los. Grad allemalen dasjenige, welches ich haben will, das läßt sich nicht sehen. Aberst in denen Thaten, da leist ich schon Etwas!«

»Ja, im Kegelschieben und solchen Sachen!«

»Auch in anderen und schöneren Dingen.«

»Zum Beispiel?«

»In dera Liebe auch.«

»Ach geh!«

»Glaubsts wohl nicht? Da muß ichs Dir nur gleich beweisen. Ich hab Dir vorher meine Lieb beschreiben wollt, aber nicht den richtigen Ausdruck funden, aberst den richtigen Armdruck, den hab ich gleich. Oder nicht?«

Er zog sie innig an sich.

»Ja,« antwortete sie. »Dieser Druck ist schon fast zu stark.«

»Das muß er sein.«

»Warum denn wohl?« fragte sie zärtlich.

»Weilsts mir sonst nicht glaubst, daß ich Dich so innig lieb habe.«

»Das hast wohl auch dem Vater gesagt?«

»Nein. Mit dem sprach ich von solchen Dingen nicht. Weißt, die Lieb ist eine Heiligkeiten, die nicht in jeden Mund kommen darf.«

»Da hast Du Recht. Darum wollen auch wir recht heimlich mit ihr tun. Nicht wahr?«

»Ja, meine gute, meine liebe Gisela.«

»Aber der Vater muß Dir doch wohl auch ein Wort über mich und Dich gesagt haben?«

»Das hat er freilich than.«

»War es ein freundliches?«

»Ein sehr gutes. Wir dürfen uns lieb haben. Er hat nix dagegen. Und wannst auch Du nix dagegen hast, so möcht ich mir jetzt ein Busserl mit auf den Weg nehmen.«

»Ist das gar so dringend?«

»Ganz nothwendig.«

»Warum?«

»Weil ich da im Gehen immer nur an Dich denk.«

»Das thust wohl gern?«

»Gar so gern. Kannsts glauben.«

»So nimm gleich zwei oder drei.«

»Das werd ich mir nicht zweimal sagen lassen. Komm, gieb Dein liebes Mäulchen her!«

Sie küßten sich, aber nicht nur zwei- oder dreimal, sondern mehrere Male. Dann machte er sich auf den Weg. –

Die Osecs wollten ihre Paquete in der Scheune des Pfarrers von Felsberg versteckten. Dieser Ort, ein kleines Dorf, lag nicht sehr weit von Slowitz entfernt. Ludwig hatte auch erlauscht, zu welcher Zeit sie ungefähr dort eintreffen würden, und so konnte er sich darnach richten.

Das betreffende Pfarrgut lag neben der Kirche, am Anfange des Ortes auf einem kleinen Hügel. Ludwig kannte es gar wohl.

Dort angekommen, begann er zu überlegen. Die Osecs mußten zunächst außerhalb anhalten, um zu recognosciren. Sie mußten sich überzeugen, daß die Luft rein sei. An welchem Orte nun würden sie das voraussichtlich thun?

Es war dunkel. Ludwig ging im Geiste die Oertlichkeit durch. Hinter der Scheune gab es ein wildes Kirschengebüsch. Das war der gelegenste Platz, für Ludwig noch besonders deshalb vortrefflich geeignet, weil nur höchstens vier bis fünf Schritte davon der Pfad vorüberführte, auf welchem sie kommen mußten.

Er kroch also in dieses Gebüsch hinein und machte es sich da so bequem wie möglich. Die Zeit, in welcher die Beiden zu erwarten waren, stand nahe.

Aufmerksam lauschend, hörte er bereits nach wenigen Minuten leise Schritte, welche auf dem Wege hielten, grad gegenüber dem Gebüsche. Ein Flüstern drang zu ihm. Die Worte konnte er nicht verstehen.

Dann kamen zwei Gestalten ganz herbei.

»Wo warte ich?« fragte die eine.

»Hier hinter den Sträuchern. Das ist der schönste Platz dazu,« antwortete die andere.

Sie legten ihre Packete ab. Der Eine, jedenfalls der Sohn, setzte sich nieder. Der Vater schlich sich fort. Nach ungefähr zehn Minuten kehrte er wieder zurück.

»Nun, wie steht es?« fragte der Sohn.

»Alles gut. Nur ein Knecht ist noch auf. Er stand mit der Laterne im Hofe und wird den Umgang gemacht haben.«

»Hoffentlich stellt er sich nicht ewig hin!«

»O nein. Ich weiß, wo die Knechte schlafen. Man kann von hier aus die Fenster sehen, und wir werden das Licht bemerken. Dann können wir hinein. Ich will mich bis dahin niedersetzen.«

Er legte sich neben dem Sohne in das Gras. Ludwig hätte Beide mit seiner Hand erreichen können.

»Du meinst also, daß wir leichte Arbeit haben werden?« fragte der Sohn.

»Sehr leichte. In einer Viertelstunde kann es gethan sein. Dann haben wir morgen den halben Weg und sind gegen elf Uhr im Felsenklamm.«

»Was thun wir heut noch, wenn wir nachher fertig sind?«

»Hm! Weiß auch nicht.«

»Zum Schlafen habe ich noch keine Lust.«

»Ich auch nicht. Der Tag war zu aufregend. Da kommt man nur schwer zur Ruhe. Wollen wir heimwärts durch Slowitz gehen?«

»Meinetwegen.«

»Vielleicht ist noch ein Gasthaus offen. Da trinken wir ein Bier und ärgern die Slowitzer dabei.«

»Schön! Ich wollte, der Kery wäre da. Den häkelten wir an. Nicht?«

»Und gehörig! Die andern Gäste müßten schon heut erfahren, was er morgen zu erleben hat.«

»Das giebt einen Spaß. Den allergrößten Spaß aber würde es mir geben, wenn ich einmal diesem verdammten Knechte, dem Ludwig, Eins auswischen könnte.«

»Dann aber gleich etwas Tüchtiges. Hoffentlich giebt es einmal eine Gelegenheit dazu. Ja, früher, da wäre es leicht gegangen.«

»Wie?«

»Im Keryhofe. Da waren wir mit Kery noch coulant; wir konnten nach Belieben kommen und gehen, auch im Hause umherlaufen. Das ist nun vorbei.«

»Das Haus wird ja unser!«

»Ja, aber der Knecht ist dann nicht mehr da. Wir hätten ihm Etwas in seine Truhe stecken können, meine Uhr oder meinen Geldbeutel. Dann hätten wir aussuchen lassen. Er wäre der Dieb gewesen und hätte in das Gefängniß gemußt.«

»Prächtig! Schade, daß dies nun nicht mehr geschehen kann.«

»Es wird sich schon noch was Anderes finden. Kommt Zeit, kommt Rath. Schau, dort sieht man das Licht. Der Knecht geht also schlafen.«

»Ja. Wir können hinein. Komm!«

Sie nahmen ihre Packete wieder auf und verschwanden in der Richtung nach der Scheune zu.

Jetzt kroch Ludwig aus seinem Verstecke. Er hatte seinen Zweck vollständig erreicht. Seine Absicht war gewesen, zu erfahren, ob die beiden Pascher ihre Packete heut nach diesem Orte bringen würden. Kamen sie, dann führten sie auch auf alle Fälle ihr morgendes Vorhaben aus. Jetzt hatte er diese Gewißheit verlangt und konnte gehen.

Unterwegs dachte er weniger an die Geliebte – trotz der Küsse, die ihn an sie erinnern sollten – als vielmehr an die Schlechtigkeit, an die Verworfenheit dieser beiden Osec. Ihn zum Dieb machen!

Er ballte die Fäuste und murmelte:

»Mich ins Gefängnissen bringen! Oho! Wartet nur bis morgen Abend, sodann steckt Ihr selbst darinnen. Dafür werd ich gern die Sorge tragen.«

Er verdoppelte seine Schritte um baldigst früh vor den Beiden im Gasthofe anzukommen. Hätten sie gewußt, daß er sie belauscht hatte!

Im Gasthofe war nicht nur noch auf, sondern es ging sogar sehr lebhaft da drinnen zu. Die Laden waren zwar verschlossen; aber durch die Lücken derselben drangen doch genug Lichtstrahlen, um zu verkünden, daß sämmtliche Lampen noch brannten.

Ludwig hatte noch nicht die Hausthüre erreicht, so erkannte er bereits die laute Stimme des Schmiedes alias Herrn Musikdirectors. Derselbe schien einen Vortrag zu halten.

Als er die Thür öffnete, drang ihm dicker Tabaksqualm entgegen. Man konnte zunächst wohl die einzelnen Gestalten unterscheiden, nicht aber die Gesichter. Wer längere Zeit hier saß, hatte sich dann an die Atmosphäre gewöhnt und konnte dann auch besser sehen.

Als Ludwig grüßte, richteten sich aller Augen auf ihn. Der Schmied sprang von seinem Stuhle auf und rief erfreut:

»Dera Ludwig! Eine weiße Schwalben! Landsmann, willkommen auch. Wie kommts, daßt Dich mal in das Wirthshausen verlaufen thust.«

»Ich hab Durst.«

»Du? Einen Durst? Na, das ist auch das vierzehnte Wunder auf dera Welt. Das dreizehnte bin ich nämlich selberst, wenn ich mal keinen Dursten hab. Komm her, Ludwig. Trink außi.«

Er hielt ihm einen großen, vollen Maßkrug hin und ruhte nicht, bis Ludwig ihn ausgetrunken hatte.

»So,« sagte er dann. »Nun setz Dich her. Heut laß ich Dich nicht weg von mir. Bist mal in mein Garn gerathen, so magst auch drinnen stecken bleiben.«

Der Schneider und Schuster, die beiden edlen Musici, saßen auch dabei. Man hatte überhaupt mehrere Tische zusammengeschoben und auf diese Weise eine lange Tafel gebildet, an welcher über ein Dutzend Gäste saßen, die sich in einer außerordentlich animirten Stimmung befanden.

Ludwig lachte in sich hinein. Wehe den Osecs, wenn sie es sich beikommen ließen, sich das Mißfallen dieser Leute zuzuziehen.

»Also hierher, gleich neben mich,« meinte der Schmied. »Landsleute gehören zusammen.«

Schon wollte Ludwig, dieser Aufforderung folgend, sich setzen, da ertönte von einem andern Tische die Stimme des Kerybauern:

»Wirst ihn aber doch aus dem Garne lassen müssen, Schmied.«

»Wieso denn?«

»Weil er sich zu uns setzen soll.«

Kery saß nämlich mit den beiden wohlhabendsten Bauern des Ortes beim Kartenspiel. Der Schmied war fast verblüfft.

»Meinst den Ludwig?« fragte er.

»Dich nicht!« antwortete Kery.

»Der soll zu Euch.«

»Hast Du etwas dagegen?«

»Nein, gar nicht. Aberst so eine Auszeichnungen, die ist ja großartig.«

»Dir würde sie jedenfalls nicht widerfahren. Du kannst doch Scat spielen, Ludwig?«

»Wann Ihr nicht zu hoch spielt.«

»Es reicht aus. Und wenn Deine Kasse nicht langt, so helfe ich aus. Komm her.«

Es trat eine tiefe Stille ein. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Der Kerybauer lud seinen Knecht ein, mit ihm Scat zu spielen.

»Erlauben die Herren!« sagte Ludwig, an den Scattisch tretend, um sich auf den vierten Stuhl zu setzen.

Die beiden Bauern nickten bejahend, nicht mürrisch aber auch nicht grad freundlich. Die Nachbarschaft des Knechtes war ihnen keineswegs hochwillkommen; aber einestheils wollten sie Kery nicht beleidigen, und anderntheils war Ludwig doch so beliebt und geachtet im Dorfe, daß sie ihm nicht wehe thun wollten.

»Eigentlich geb ich ihn nicht gern her,« meinte der Schmied. »Er kam grad zur rechten Zeit, um meine Rede anzuhören.«

»Die kann ich hier auch hören,« antwortete Ludwig.

»Nein. Wannst spielst, so mußt dort Achtung geben und nicht hier. Aberst sag mal vor allen Dingen, was für eine Stimmen hast.«

»Wie denn Stimmen?«

»Frag nicht so dumm. Ich mein', obst einen Tenoren oder einen Bassen singst.«

»Meine Stimm ist ein erster Baß.«

»Donnerwetter! Da mußt mitmachen.«

»Was denn?«

»Im Gesangverein. Wir sind nämlich hier drüber einen Gesangvereinen zu gründen, dessen Herr Direktoren ich natürlich werden soll. Machst mit?«

»Wills mir überlegen.«

»Da giebts gar nix zu überlegen. Du machst eben mit. Schneider, Du bist dera Schriftführer. Schreib seinen Namen mit ein. Ludwig Held aus Oberndorf. Erster Bassen mit Solostimme in D-dur. Zwei Kreuzer Steuer wöchentlich und einen halben Gulden Eintrittsgeld. Macht er nicht mit, so zahlt er zwei Gulden und wird noch extra nausschmissen, wann er nicht kommt.«

Der Schneider schrieb das Dictat auf das Eifrigste nieder. Indessen begann bei Ludwig das Spiel. Es nahm ihn so in Anspruch, daß er der Andern wenig achtete.

Jetzt erhob sich der Schmied wieder, klopfte an seinen Krug und rief:

»Silicium, zu Deutsch: Alle sollen die Mäulern halten, wann ich jetzt reden thu. Nun kommt nämlich die Grundsteinrede des neuen Gesangvereins. Ich werde sie halten, Euch zur Belehrung und mir, damit ich nachhero besser trinken kann.«

Er räusperte sich und begann dann:

»Ein jeder Mensch hat Etwas in sich. Wann dasselbige herauskommt, so wirds seine Stimme nannt. Also ein jeder Mensch – –«

»Auch das Vieh hat eine, zum Beispiel die Gans,« warf der Schuster ein.

»Schweig!« rief der Redner. »Ich hab Sicilium sagt, und Ihr haltets Maul. Auch der Esel hat eine Stimm; das sieht man an Dir. Aberst es ist doch keine menschliche. Die Stimm des Menschen unterscheidet sich nämlich von derjenigen des Thieres dadurch, daß sie nach Noten singen kann. Die Stimm ist eine große Gabe Gottes, und wer keine hat, der hat sie durch den Schnupfen verloren und muß Kandiszucker, Lakritzensaft und eingelegte Preußelbeeren fressen. Mehrere Stimmen zusammen heißen ein Terzett, noch mehrerein Quartett, noch viel mehrere ein Sextett, und sinds über zwanzig, so ists auch nett. Besitzt nun ein Dorf Stimmen im Ueberfluß, so singen die schlechtesten daheim, die besten aber gehen ins Wirthshausen und gründen einm Gesangverein, dem sie einen poetischen Namen geben. Welchen Namen wir dem unserigen geben, wollen wir gleich berathen. Wer hat einen Vorschlag?«

»Ich,« rief der Schneider.

»Nun, heraus damit!«

»Adelgundina.«

»Esel! Denkst wohl, weil Deine Alte Adelgunde heißt. Der brauchst keinen Denksteinen hier bei uns zu setzen. Wenns nach Deiner Stimmen ging, so müßt der Name des Vereines heißen Quietschania oder – Sappermenten! Wer kommt da!«

In diesem Augenblicke waren nämlich die beiden Osec hereingekommen. Auch sie konnten vor Rauch nicht sehen, und so bemerkten sie nicht, daß der Schmied den Andern ein Zeichen gab und sodann flüsterte:

»Nun können wir den Verein nicht weitergründen, denn es wird bald Besseres zu thun geben.«

Die Osecs sahen sich um. Außer den bereits besetzten Möbels stand nur noch ein einziger Tisch in der Ecke, derselbe, an welchem gewöhnlich der Nachtwächter seinen Platz hatte. Das wußten sie nicht und setzten sich hin. Sie ließen sich zwei Biere geben und gingen dann leise zu Rathe, wen und wie sie ihn ärgern sollten.

Zunächst wollten sie mit dem Schmied anfangen. Er hatte sich am Sonntag als ihr größter Gegner gezeigt.

»Nun, Herr Musikdirector, wie geht es heut?« fragte der Alte.

Der Schmied antwortete gar nicht. Er that, als ob er gar nichts gehört habe.

»Herr Musikdirector!«

Wieder keine Antwort.

»Schmied!«

Jetzt endlich drehte er sich langsam zu ihnen um und fragte:

»Was soll sein.«

»Wie geht es heut dem Herrn Musikdirector?«

»Weiß ichs? Wie kann ich das wissen.«

»Nun, Du bists ja selber!«

»Ich? Da irrst Dich wohl.«

»Na, wer denn sonst! Ich habs ja am Sonntag gesehen.«

»Ja, das ist was ganz Anderes. Wann ich Sonntags meine Musiken mach, da bin ich dera Herr Kapellmeistern und Musikdirectoren. Des Wochentags aber bin ich dera Schmied und heiße Wenzel.«

»Ach so! Da hast Du wohl auch an Wochentagen kein so großes Maul wie des Sonntags?«

»Nein, da red ich fast gar nicht.«

»Das ist sehr gut. Ein Schmied sollte überhaupt nicht viel reden.«

»Warum?«

»Sondern desto mehr arbeiten, damit er es zu Etwas bringt.«

»Da hast Recht. Was bist denn Du früher gewest?«

»Was ich heut bin.«

»So! Da hasts also auch zu nix bracht, wannst das noch bist, wast früher warst.«

»Oho! Ich hab es weiter gebracht, als Ihr es ahnt. Ihr werdet es aber bald erfahren.«

»Machst mich neugierig.«

»Vielleicht morgen schon.«

»Was giebts denn da?«

»Einen, der aus seinem Hause muß.«

»Du etwa?«

»Das wäre unmöglich. Es ist Einer von Euch, ein Slowitzer.«

»Was! Ein Slowitzer müßte morgen aus seinem Hause?«

Es war eine tiefe Stille eingetreten. Alle lauschten dem Gespräche der beiden Männer. Außer dem momentanen, klatschenden Aufschlagen der Karten dort am Spieltische waren nur die beiden Stimmen der Sprechenden zu vernehmen.

»Wer sollte das sein?« fragte der Schmied.

»Das wirst Du morgen früh erfahren.«

»So! Das soll ich glauben?«

»Glaube es oder auch nicht. Mir ist das sehr gleichgiltig.«

»Ich wüßt aber Keinen, mit dem es so schlecht stünde!«

»Man irrt sich oft in den Menschen. Es ist nicht Alles Gold was glänzt.«

»Das kann bei Dir dera Fall sein.«

»Oho!«

»Ja, Du bist auch so ein Glänzender. Da soll man meinen, es sei Gold, und wenn man es richtig anschaut, so ists nur ein Messing.«

»Da kennst Du mich wenig.«

»Geh! Euch Osecs kennt man schon! Ihr kommt halt nur zu uns, um unsere Bürger zu verschimpfiren. Aberst das kann Euch mal schlecht bekommen. Wann Ihr sagt, es müsse ein Slowitzer aus dem Hause, so kann es leicht werden, daß Ihr aus einem Slowitzer Hause müßt, nämlich hier aus dem Wirthshause. Verstanden!«

»Wir zahlen unser Bier so gut wie Ihr.«

»Dafür dürft Ihr es trinken. Aber zu Anderem berechtigt Euch Euer Geld nicht. Merkt Euch das. Lügen lassen wir uns nicht aufbinden.«

»Es ist keine Lüge.«

»So sagt den Namen.«

»Ist nicht nöthig. Ihr braucht Euch nur umzuschauen.«

»Etwa hier in dera Stuben?«

»Ja.«

»So ist er hierinnen?«

»Freilich.«

»Sakkermenten! Habt Ihr es hört! Einer von uns soll morgen früh aus seinem Haus worfen werden! Wollen wir das dulden? Wer es ist, der mag ehrlich sein und sich melden, damit kein Anderer in denselbigen Verdacht kommt!«

Er hatte das laut und in aufforderndem Tone gesprochen. Aber Keiner meldete sich.

»Siehsts Osec, es ist Keiner da,« sagte er.

»O, der Betreffende wird sich hüten, es einzugestehen.«

»Da kennst unsera Leutln schlecht. Die sind Alle ehrlich. Wär ein solcher da, der thät es sagen. Wannsts so genau weißt, warum sagst da den Namen nicht?«

»Weils nicht nöthig ist. Ich sag nur das, was ich will. Zwingen laß ich mich nicht.«

»So schweig lieber ganz still, sonst kann Dir das Maul stopft werden.«

»Das will ich sehen! Wenn ich die Wahrheit sage, so kann mir Niemand was anhaben.«

Ludwig hatte jetzt eben Karten gegeben und war also für einen Augenblick frei. Er kam zu dem Schmied herüber und flüsterte ihm zu:

»Schaffst sie mit hinaus?«

»Gern.«

»In denen Wassertrog?«

»Sapperment! Das wird hübsch. Wann?«

»Wann ich aufsteh und den Einen nehm, nimmst Du den Andern. Wir Beiden sind genug; Hilfe brauchen wir nicht, aber Lichtern, um sie anzuleuchten.«

»Wird besorgt.«

»Ich verlaß mich darauf.«

Er kehrte an seinen Tisch zurück und spielte weiter, scheinbar sich um das Gespräch gar nicht kümmernd.

Der Schmied wendete sich nach dieser kurzen Unterbrechung wieder an Osec:

»Könnt mans denn nicht wenigstens derrathen?«

»Wenn Du das Geschick dazu hast, ja.«

»Wollens versuchen. Ists ein Junger?«

»Nein.«

»Also ein Alter. Ists ein Armer?«

»Nein.«

»Also ein Reicher. Ists Einer bei uns herüben?«

»Auch nicht.«

»Also Einer am Spieltisch. War er vorher ein guter Freund von Dir?«

»Ja.«

»So ists der Kerybauer?«

»Ich habe nichts dagegen.«

»Schön! Kery, was sagst dazu?«

Der Bauer, an welchem diese Frage ergangen war, wendete sich gleichmüthig um und antwortete:

»Wenn ich es wäre, so hätte ich mich vorhin gemeldet. Ich möchte wissen, wer den Kerybauer von Haus und Hof vertreiben wollte.«

»Ich!« rief Osec, sich stolz von seinem Stuhle erhebend.

»Du?« lachte Kery höhnisch. »Du wärst der Kerl dazu. Bezahle Deine Schulden, bevor Du ehrliche Leute verleumdest!«

»Wer sagt es, daß ich Schulden habe?«

»Ich.«

»Ich habe nur ein Hypothek auf meinem Gute.«

»Ist das keine Schuld? Bezahle sie. Ich habe keine Hypothek. Mein Hof ist vollständig schuldenfrei.«

»Ja, aber Wechsel hast unterzeichnet.«

»Wer behauptet das?«

»Ich.«

»Beweise es.«

»Ich habe sie doch selbst in den Händen.«

»Das ist eine Lüge.«

»Es ist die Wahrheit. Willst Du es etwa noch leugnen?«

»Ja.«

»Bin ich nicht etwa heut deshalb bei Dir gewesen?«

»Ja, aber bist Du nicht etwa heut deshalb bei mir fortgejagt worden?«

»Morgen komme ich wieder.«

»So wirst Du hinausgeworfen.«

»Das wollen wir sehen. Ich werde morgen früh punkt acht Uhr hier in der Schänke sein und von da aus zum Kerybauer gehen, um ihm die Wechsel zu präsentiren. Wenn er nicht zahlen kann, nehme ich ihm das Gut weg, und er muß fort, meinetwegen in das Gemeindehaus.«

»Kery, ist das wahr?« fragte der Schmied mit zornbebender Stimme.

»Nein. Er kann mir keinen Wechsel präsentiren. Er lügt.«

»Was! Ich lüge?« rief Osec. »Seht Ihr es denn nicht, wie es mit ihm steht! Er spielt ja mit seinem eigenen Knechte. Würde er das thun, wenn er noch der reiche Kerybauer wäre? Früher war ihm ein Fürst zu klein, jetzt sitzt er bereits mit dem Gesinde in der Kneipe. Ein Hundsfott neben dem andern.«

»Laternen an!« rief da Ludwig. »Jetzt wird es mir zu bunt.«

»Mir auch,« stimmte der Schmied ein. »Die Osecs sind verrückt worden. Sie haben das hitzige Fieber. Was ist da wohl zu thun?«

»Man muß sie abkühlen.«

»Gut! Landsmann, faß an! Macht die Thüren aufi und leuchtet dazu!«

Drei, vier Laternen brannten, und die Thüren wurden geöffnet. Ludwig packte den alten Osec an, und zwar so, daß diesem gleich die Arme schlaff am Leibe niederhingen. Der Schmied nahm den Jungen. Beide trugen ihre Leute hinaus vor das Haus, wo ein riesengroßer, steinerner Wasserbottich stand, in welchen aus einer Holzröhre kaltes Quellwasser floß.

Die beiden Gefangenen schrieen aus Leibeskräften. Niemand kehrte sich daran.

»Hinein!« rief der Schmied.

»Plumps und Plumps!« erklang es. Vater und Sohn fielen in die eiseskalte Fluth. Sie brüllten grad auf. Sie wollten heraus, wurden aber immer wieder zurückgestoßen.

Es war eine unbeschreibliche Scene. Rund um dem Bottich standen die Männer. Der Trog war nicht tief. Das Wasser ging den Beiden nur bis über die Hüften, und sie waren auch nur beim ersten Male untergetaucht; aber von allen Seiten wurden sie, wenn sie heraus wollten, zurückgewiesen. Man spritzte sie an und warf ihnen ganze Ströme Wassers in das Gesicht.

Sie heulten vor Angst, Wuth und Kälte. Es half ihnen nichts, bis endlich der Schmied das Commando gab:

»Gebt sie frei. Sie haben genug. Nun mögen sie morgen den Kery aus den Hof treiben. Wir werden aber auch dabei sein.«

Die Beiden sprangen heraus und flohen so schnell sie konnten, ihre Hüte in der Schänke lassend. Die Zeche hatten sie nicht berichtigt. Sie wurde für sie bezahlt.

Der Spaß wurde noch einige Minuten lang besprochen, und dann kehrten Alle zu ihrer früheren Beschäftigung zurück, der Schmied mit den Seinen zur Gründung des berühmten Gesangvereines und die Scatspieler zu ihren Karten.

Als später Kery mit Ludwig nach Hause ging, sagte er:

»Die beiden Kerls müssen doch eine entsetzliche Wuth haben, sonst würden sie es nicht wagen, sogar in der Kneipe, wo sie wissen, daß Alles gegen sie ist, zu schimpfen. Ich möchte dabei sein, wenn der Alte morgen früh die Brieftasche öffnet.«

»Ich natürlich auch. Welch ein Gesicht!«

»Vielleicht bekommen wir dieses Gesicht zu sehen.«

»Schwerlich.«

»Es kommt ganz darauf an, ob er die Brieftasche zu Hause erst einmal öffnet, um sich zu überzeugen, daß Alles in Ordnung ist.«

»Das wird er doch.«

»Man sollte es meinen. Aber vielleicht ist er seiner Sache so sicher, daß er es gar nicht für nöthig hält, noch einmal nachzuschauen. Das ist ganz sicher: Wenn er zu uns kommt, so glaubt er, die Wechsel noch zu haben.«

»Das wird dann ein unbezahlbarer Augenblick.«

Es war jetzt mit den Beiden, als ob Vater und Sohn mit einander verkehrten. Zu Hause angekommen, reichten sie sich oben im Corridore die Hand, auch Etwas, was früher niemals geschehen war.

Als Ludwig in seine Kammer, trat, fand er ein anderes, feineres Bett als früher, frisch überzogen und darauf eine Rose. Er drückte sie an die Lippen, denn sie war jedenfalls von Gisela geküßt worden. An die Geliebte denkend, schlief er ein. Er fühlte sich so glücklich wie noch nie in seinem Leben.

Am anderen Morgen wachte er bei Zeiten auf. Er ging durch Hof und Stall, unbeschäftigt, nur um sich zu unterhalten.

»Pst!« hörte er es vom Gartenzaun herüber.

Gisela stand dort, und er eilte natürlich zu ihr. Sie war so morgenfrisch und schön.

»Ich danke Dir!« sagte er, ihr die Hand drückend.

»Wofür?«

»Für die Gute Nacht, gestern Abend.«

»Ich weiß von nichts.«

»Geh! Die Rose.«

»Ja, welche Rose?«

»Auf meinem Bette.«

»Auf Deinem Bette hat eine Rose gelegen? Warte, Christel! Das will ich mir verbitten.«

»Die Christel soll sie mir hingelegt haben?«

»Ja. Ich ließ ihr das Bett überziehen, und so ist sie es gewesen, der Du die Rose verdankst. Vielleicht betet sie Dich im Stillen an?«

»O wehe! Ich habe sie geküßt.«

»Die Christel? Puh!«

»Nein, die Rose.«

»Das will ich eher verzeihen. Ich werde dafür sorgen, daß niemals wieder eine dort liegt.«

»O bitte, alle Abende eine.«

»Was soll das nützen? Du gehst ja fort.«

»Aber ich komme bald wieder.«

»So mache schnell, sonst werden meine Rosen alle.«

»Deine Rosen? Also warst Du es doch!«

»Na, wer sonst!« lachte sie. »Ich wollte es der Christel gerathen haben, Dich mit Rosen zu verehren. Ist Dein Weg gestern von Erfolg gewesen?«

»Vollständig.«

»Du hast die Osecs getroffen?«

»Zweimal. Erst da, wo ich sie suchte, und sodann auch in der Schänke.«

Er erzählte ihr, wie es ihnen da gegangen war. Das verständige Mädchen fand keine Freude daran. Sie sagte:

»Nun werden sie noch wüthender gegen uns, und das kann uns auf keinen Fall einen Nutzen bringen.«

»Sollen sie uns ungestraft öffentlich beleidigen dürfen?«

»Man muß nicht hinhorchen.«

»Aber man hört es doch. Auf einen groben Klotz gehört, ein grober Keil. Diese Kerls halten nicht eher auf, als bis sie so gedemüthigt sind, daß sie gar nicht mehr aufschauen können. Und daß dies geschehe, dafür werde ich sorgen.«

Es war kurz vor neun Uhr, so hielt der Wagen der Osecs draußen vor der Thür. Sie stiegen Beide aus, obgleich es genügt hätte, wenn Einer die Wechsel präsentirt hätte. Sie wollten sich Beide an der Verlegenheit des Kerybauers erlaben.

Sie waren nicht vorher nach dem Gasthofe gegangen. Sie schämten sich, nach der gestrigen Scene sich dort sehen zu lassen.

Die Vermuthung des Kerybauern bestätigte sich. Der alte Osec hatte die Brieftasche eingesteckt, ohne sie erst zu öffnen. Sie hatte das gewohnte Volumen; es war also kein Grund zum Mißtrauen vorhanden gewesen.

Jetzt traten sie nun langsamen, gewichtigen Schrittes herein. Kery hatte dafür gesorgt, daß keine Gesindeperson anwesend sei. Er saß mit Frau und Tochter am Tische. Ludwig stand, eine Cigarre rauchend, am Fenster.

Die Osecs nahmen dieses Mal ihre Hüte ab. Sie grüßten mit ironischer Höflichkeit:

»Guten Morgen den geehrten Herrschaften!«

»Guten Morgen!« dankte Kery kurz.

»Ich weiß nicht, ob wir willkommen sind?«

Als der Alte diese Worte sagte, machte er eine theatralische Geste dabei, die er irgend einem Mitglieds irgend einer herumziehenden Schauspielertruppe, vielleicht dem Zettelträger, abgelauscht haben mochte.

»Mir ist jeder brave Mann willkommen. Heimtücker aber fertige ich schnell ab.«

»Nun, als Heimtücker kommen wir nicht.«

»Soll mir lieb sein.«

»Ich komme sogar mit einer Frage, welche beweisen wird, daß ich Dir mein Vertrauen schenke.«

»Ah! So frage einmal los.«

»Du warst doch gestern Abend im Gasthofe?«

»Ja.«

»Und weißt, wie man uns mitgespielt hat?«

»Hm!«

»Ja oder nein! Weißt Du es?«

»Und kennst auch die Thäter?«

»Natürlich.«

»Gut, das ists, was ich wissen wollte. Ich werde nämlich diese Sache zur Anzeige bringen, und Du wirst mir als Zeuge dienen.«

»Ich? Wie komme ich dazu?«

»Weil Du dabei warst.«

»Es waren auch noch Andere da.«

»Ich möchte aber am liebsten Dich namhaft machen, weil ich weiß, wie gut Du bei dem Gericht angeschrieben stehest. Es trifft sich, daß ich heut noch bei Gericht zu thun habe – Du weißt schon, weshalb – da kann ich die Klage gleich mit vorbringen.«

»Du weißt schon, weshalb? Ich weiß gar nichts. Ich bin in keine Deiner Absichten eingeweiht.«

»Ich meine natürlich, in Deiner Angelegenheit.«

»In meiner? Giebt es denn eine solche?«

»Pah! Verstelle Dich nur nicht! Wenn Du Verstand annimmst, so kann noch Alles gut werden. Ich will mich sogar nochmals zu der Frage herablassen, ob Gisela nicht vielleicht noch einwilligt?«

»Auf keinen Fall.«

»Nun gut, da muß die Freundschaft schweigen und der Geschäftsmann hervortreten. Du weißt doch, weshalb wir kommen?«

»Ihr habt es ja gestern laut genug ausposaunt. Ich aber kann es nicht begreifen.«

»Pah! Da müßtest es natürlich leugnen, um wenigstens bis heut noch als reich zu gelten. Damit aber ists alle. Kannst Du zahlen?«

»Ja.«

»Wie? Was!«

»Was ich schuldig bin, pflege ich zu bezahlen.«

»Auch das, was Du mir schuldig bist?«

»Ja.«

»Donnerwetter! Etwa baar?«

»Baar! Das versteht sich ganz von selbst.«

»Woher hast Du diese Masse Geld?«

»Das kann Dir sehr gleichgiltig sein. Uebrigens kennst Du meine Vermögensverhältnisse nicht im Entferntesten so genau, wie Du zu denken scheinst.«

»O, ich pflege mich nicht zu täuschen. Also wenn Du Geld hast, so ist es mir natürlich lieb. Baares Geld ist mir viel willkommener als der Keryhof, wenn ich ihn Dir erst abpfänden muß. Das macht Kosten, die man niemals ersetzt bekommt.«

»Abpfänden? Meinen Hof abpfänden? Was fällt Dir ein?«

»Na, verstelle Dich doch nicht! Wir Beide brauchen nicht Comödie mit einander zu spielen.«

»Das fällt mir auch gar nicht ein. Ich habe nicht die mindeste Lust, Comödie zu spielen.«

»So wundere Dich auch nicht, wenn ich vom Pfänden spreche.«

»Hm! Närrischer Kerl! Ich glaube gar. Du willst die verrückte Idee, die Du gestern hattest, hier in Wirklichkeit in Scene setzen.«

»Verrückte Idee?«

»Ja, das ist doch eine?«

»Mensch, ich begreife Dich nicht!«

»Und ich Dich auch nicht. Wenn ich nicht annehmen soll, daß Du wahnsinnig bist, muß ich Dich für krank halten. Du phantasirst.«

»Wieso?«

»Nun, ist das nicht geradezu wahnsinnig, nur immer davon zu reden, daß ich Dir schuldig bin. Jetzt kommst Du sogar zu mir herein, und Dein erstes Wort, daß ich Geld auszahlen soll.«

»Natürlich. Ich will endlich mal mein Guthaben eincassiren.«

»Wenn Einer sein ausgeborgtes Geld zurückverlangt, so ist das nur ganz in der Richtigkeit. Aber imaginäre Schulden cassirt man doch nicht ein.«

»Imaginär? Was ist das?«

»Was nur in der Einbildung existirt.«

»Donnerwetter! Meinst Du etwa, daß auch Deine Schuld eine so imaginäre ist? Das wäre stark! Das wäre wirklich stark!«

»Nein, stark ist, daß Du mich nicht in Ruhe lassest und sogar in der öffentlichen Kneipe erzählst, daß Du mich vom Hofe treiben willst. In Rücksicht auf alte Freundschaft zu Dir habe ich bisher dieses Verhalten einfach ignorirt. In Zukunft aber muß ich es mir auf das Strengste verbitten!«

Osec sperrte den Mund sperrangelweit auf und rief:

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich Dich begreife! Ich möchte darauf schwören, daß Einer von uns verrückt ist!«

»Das weiß ich schon lange. Ich aber bin geistig kerngesund. Du leidest an dieser wunderlichen Monomanie.«

»Monomanie! Was ist nun wieder das?«

»Wenn ein Irrer immer eine und dieselbe Idee hat und nicht von ihr abzubringen ist. Du leidest an der Idee, daß ich Dir eine große Menge Geld schuldig sei. Und doch ists eben nur Monomanie.«

»Mo-no-ma-nie! Himmelsakkerment! Das lasse ich mir nicht länger gefallen. Zahlst Du oder nicht?«

»Was ich schuldig bin, bezahle ich.«

»Dann heraus mit dem Gelde!«

»Dir bin ich nichts schuldig.«

»Soll ich es Dir beweisen?«

»Natürlich!«

»Hier sitzt das Finanzministerium!« sagte Osec triumphirend, indem er an die Brusttasche klopfte.

»Nun, so laß diese Excellenzen doch mal raus!«

»Sogleich, sogleich! Aber wehe Dir, wenn Du nachher kein Geld hast!«

Er nahm die Brieftasche heraus, schlug mit der flachen Hand darauf und sagte:

»Das ist der Keryhof.«

Kery zuckte mitleidig die Achsel.

»Eben Deine alberne Idee.«

»Idee? Diese Idee soll sofort zur Wirklichkeit werden. Ist etwa ein Sichtwechsel eine Idee?«

»Nein, sondern sogar etwas sehr Reales.«

»Nun, so will ich Dir diese Realitäten vorreiten. Macht mal Platz hier!«

Er war an den Tisch getreten, schob Alles, was darauf stand und lag, zur Seite, als ob er aufzählen wolle, und öffnete die Brieftasche. Sein Sohn stand an seiner Seite und zeigte jenes, breite, dumme, selbstgefällige Lächeln, welches Leuten seines Schlages eigen zu sein pflegt. Es hieß so viel wie:

»Paßt auf! Jetzt kommt es! Ihr seid Alle Lumpen. Nur allein wir Beide sind die richtigen Kerls!«

Der Alte hatte den Verschluß der Tasche aufgezogen. Er legte nun die Hälften auseinander und wollte in die Abtheilungen greifen. Da wurde sein Gesicht leichenblaß und sein Auge starr. Es war, als ob er plötzlich versteinert sei.

»Na, heraus damit!« sagte Kery.

Osec antwortete nicht. Er war noch immer wie ganz steif.

»Was hast Du denn?«

»Das – das – das ist ja – eine – eine Zeitung!« stotterte er.

»Eine Zeitung! Das konnte ich mir denken! Wo sollten die Wechsel herkommen! So eine alberne Monomanie! Geh nach Hause, leg Dich zu Bette und laß Dir kalte Umschläge machen. Die werden Dir gut thun!«

»Umschläge! Ich und Umschläge!« schrie Osec. »Ich bin bestohlen worden!«

»Bestohlen? Von wem denn?«

»Weiß ichs? Weiß ichs?«

»Was soll man Dir denn genommen haben?«

»Deine Wechsel und die Pascherquittungen.«

»Pascherquittungen? Du hättest welche gehabt? Du, das sage ja Niemandem, sonst könnte es Dir schlecht ergehen.«

»Sie sind fort! Alle, alle! Man hat mir Zeitungspapier hineingesteckt!«

»Du jedenfalls selbst!«

»Ich? Ich? Was fällt Dir ein! Ich kenne dieses Papier gar nicht.«

»Siehe es Dir doch nur an!«

Osec nahm die Zeitung heraus und betrachtete sie. Er war abermals überrascht.

»Ja,« rief er, »diese Zeitung ist auch von mir. Es ist die Nummer der Prager ›Politik‹, die ich mir wegen einer Annonce extra habe kommen lassen.«

»Na,« lachte Kery, »da sage ja nicht, daß Du bestohlen worden seiest! Die Zeitung gehört Dir. Wer anders als Du soll sie hineingethan haben?«

»Und ich bins doch nicht gewesen!«

»Kein Anderer!«

»Junge, sage einmal, wo steckten die Wechsel?«

»Hier in der Nothen; das weiß ich ganz gewiß,« antwortete sein Sohn.

»Also!«

»Unsinn!« meinte Kery. »Geh nach Hause, und suche nach! Suche Alles aus! Dann wirst Du überzeugt sein, daß Deine ganze Idee von meiner Schuld nur ein Aberwitz gewesen ist.«

»Was, Du willst es leugnen?«

»Ja.«

»Alles?«

»Alles!«

»Junge, hat er uns nicht kürzlich einen Wechsel auf Sicht über fünfzehntausend Gulden acceptirt?«

»Ja, Vater.«

»Du weißt es ganz gewiß? Du warst mit dabei?«

»Natürlich. Ich habe sogar dabei gestanden, als Du den Wechsel mit der Empfangsbescheinigung zu den anderen Papieren in diese Brieftasche legtest.«

»Na also!«

»Bei Euch ist nicht nur Einer verrückt, sondern Ihr seid es alle Beide. Wofür sollte ich Euch denn einen solchen Wechsel gegeben haben?«

»Für Pascherwaaren.«

»Was? Ihr liefert Schmuggelgüter? Das laßt ja Niemandem hören. Das wird sogar sehr streng bestraft. Es soll sogar vorkommen, daß ein Geisteskranker sich einbildet, einen Wechsel auf fünfzehntausend Mark für Lumpen und altes Papier bekommen zu haben. Der Wahnsinn spiegelt dem Menschen doch die tollsten Dinge vor!«

Die beiden Osecs blickten ganz erstaunt auf den Sprecher.

»Was?« fragte der Alte. »Du willst leugnen, von mir Pascherwaaren bezogen und dann weiter geschickt zu haben?«

Da legte Kery ihm die Hand auf die Achsel und fragte in strengem Tone:

»Sage mir zunächst, ob Du verrückt oder bei Sinnen bist?«

»Ich bin sehr wohl bei Sinnen.«

»Nun gut, so muß ich mit Dir reden als mit einem Manne, der für das, was er sagt, verantwortlich gemacht werden kann.«

Und mit erhobener, fast donnernder Stimme fuhr er fort:

»Also verbitte ich mir jede derartige Anschuldigung! Sagst Du mir noch ein einziges solches Wort, so lasse ich Dich sofort arretiren und als Paschhändler bestrafen. Merke Dir das! In solchen Dingen verstehe ich keinen Spaß!«

»Donnerwetter!« sagte Osec, indem er erschrocken zurückfuhr, »es passiren weiß Gott ganz unmögliche Dinge!«

»Das sehe ich an Dir. Ich soll gepascht haben. Ich soll Dir Geld schuldig sein, und weiß kein Wort davon!«

»Es ist aber doch wahr!«

»Beweise es!«

»Die Wechsel sind fort!«

»So geh, und verklage mich!«

»Das muß ich thun!«

»Sage aber dabei gleich, wofür ich Dir das Geld zu geben haben soll, nämlich für gelieferte Pascherwaaren!«

Osec blickte starr vor sich nieder. In seinen Zügen lebte ein ganz unbeschreibliches, leidenschaftliches Spiel. Kery legte ihm die Hand auf die Achsel und fragte lächelnd:

»Nicht wahr, Alter, jetzt überlegst Du, wer wohl der größere Schurke sei, Du oder ich? Ja, es wird selbst der Gescheidteste, sogar selbst ein Osec überlistet. Gehe nach Hause, und such nach den Wechseln. Sobald Du sie gefunden hast, werde ich sie einlösen müssen.«

Da blickte Osec zu ihm herüber. Sein Gesicht hatte etwas Raubvogel-, etwas Geierartiges.

»Kery,« zischte er, »jetzt weiß ich Alles!«

»So! Nun?«

»Du hast sie mir gestohlen!«

»Pah! Wann denn?«

»Ja, das weiß der Teufel!«

»So frage ihn!«

»Gieb sie heraus!«

»Ich habe sie nicht.«

»Mensch, Du hast sie! Gieb sie heraus! Ich will Dir die Hälfte schenken!«

»Und wenn Du mir Alles schenkst, so kann ich sie Dir nicht geben.«

»Warum nicht?«

»Weil ich sie nicht habe. Ich kann sie ja gar nicht haben. Sie sind ja imaginär, nur eingebildet.«

»Donnerwetter! Mach mich nicht verrückt!«

»Das bist Du schon seit langer Zeit.«

»Und ich weiß nun, daß Du sie hast! Ich verlange sie wieder! Heraus mit den Wechseln, sonst geschieht Unheil!«

Da trat Ludwig zu ihm heran und sagte:

»Alter Sünder, wannst keine Ruhe giebst, so trag ich Dich augenblicklich wieder in das Wassern wie gestern Abend. Du hast Dich hier still und höflich zu verhalten! Du hast hier lang genug den Herrn spielt; nun kannst auch mal zu Kreuz kriechen. Wannst noch ein Wort sagst, was mir nicht gefallt, so ists um Dich geschehen!«

Da nahm der Alte sein Zeitungspapier, steckte es in die Brieftasche und schob diese Letztere in den Rock. Dann trat er hart an den Bauer heran und zischte:

»Kery, wir sind nicht etwa fertig mit einander. O nein. Wir fangen erst mit einander an. Denke nicht, daß Du gewonnen hast! Ich will und muß Dein Meister werden.«

»Versuche es! Gieb Dir alle Mühe!«

»Das ist nicht nöthig. Ich bin von Natur klüger wie Du, der Du doch ein ausgesprochener Dummkopf bist. Leb wohl einstweilen! Wir sehen uns wieder!«

Er ging mit dem Sohne fort. Sie stiegen in ihren Wagen. Der Sohn lenkte die Pferde. Der Alte saß still und in tiefe Gedanken versunken neben ihm. Er preßte die Lippen zusammen und zuweilen knirschten die Zähne laut an einander.

»Was sagst Du dazu, Vater?« frug der Sohn.

»Sag erst, was Du denkst!«

»Vielleicht liegen die Wechsel zu Hause?«

»Sie sind nicht aus dieser Tasche gekommen. Darauf will ich meine Seligkeit setzen.«

»Aber wie kommen sie heraus und die Zeitung hinein?«

»Darüber denk ich eben nach. Kery hat sie mir gestohlen.«

»Unmöglich!«

»Pah! Oder stehlen lassen.«

»Durch wen?«

»Wenn er sie hat stehlen lassen, dann durch keinen Andern als durch diesen verdammten Ludwig.«

»Er war ja zornig auf ihn!«

»Verstellung.«

»Hat ihn sogar fortgejagt.«

»Aus Diplomatik. Er hat ihn gehen heißen, um ihm Zeit zu geben, den Coup auszuführen. Aber wann ists geschehen? Wir müssen daheim nachsuchen. Der Dieb kann nur durch das Fenster gedrungen sein, und – alle Teufel!«

»Was ists?«

»Da fällt mir ein, daß ich diese Zeitung, welche sich jetzt in der Brieftasche befindet, auf das Fenster gelegt hatte. Fahr zu; fahr zu!«

Kaum waren sie zu Hause angekommen, so eilten sie nach oben. Sie durchsuchten zunächst die Kästen der Rollkommode nach den Wechseln – vergebens.

Sodann wurde das Fenster untersucht.

»Schau,« sagte der Alte. »Hier hat ein Messer gesteckt. Der Dieb ist durch das Fenster ein- und ausgestiegen. Hier hat er die Spitze seines Taschenmessers in den Fensterrahmen gestochen, um das Fenster zuziehen zu können. So weit sind wir also, und hoffentlich kommen wir auch noch weiter. Der Keryhof soll mir nicht verloren gehen, und sollte ich ihn umlagern Tag und Nacht!«

Mit dem resultatlosen Besuche der beiden Osecs hatte die Angelegenheit Kerys ihren vorläufigen Abschluß gefunden. Ludwig hatte für heute in Slowitz nichts mehr zu suchen und begab sich also auf den Weg nach der Grenze. Er machte Anzeige über das beabsichtigte Vorhaben der beiden Pascher und mußte mit einem Grenzoberbeamten nach Felsberg gehen.

Der dortige Pfarrer erstaunte nicht wenig, als er hörte, daß seine Scheune den Paschern zur Niederlage diene.

»Welch eine Frechheit!« klagte er. »Nicht einmal die Wohnung eines Geistlichen ist mehr sicher vor dem Verbrechen. Schaffen wir schleunigst die Packete fort!«

»Das geht nicht, Hochwürden,« meinte der Beamte. »Wir wollen nicht nur die Packete, sondern auch die Pascher.«

»Wollen Sie diese in meiner Scheune ergreifen?«

»Auch das nicht. Wir würden nur die Zwei erwischen; aber wir wollen auch die Andern haben, welchen die Packete übergeben werden. Darum müssen die Letzteren hier bei Ihnen liegen bleiben, und keiner Ihrer Leute darf eine Ahnung davon haben. Wenn die Pascher kommen, müssen sie Alles ganz genau so vorfinden, wie sie es verlassen haben.«

Er stieg dann ganz allein in der Scheune empor, um nach den Packeten zu suchen. Er fand sie auch und kam dann wieder herab. Er empfahl dem Pfarrer, den Schmugglern ja nichts in den Weg zu legen und entfernte sich sodann mit Ludwig.

Dieser bat, bei der Festnahme der Osecs mit zugegen sein zu dürfen, und diese Bitte wurde ihm bereitwilligst gewährt. Der Beamte bestimmte ihm für den Abend ein Rendez-vous, und dann trennten sie sich.

Ludwig ging nach Oberdorf zu seiner Mutter, verbrachte da die ersten Stunden des Nachmittages und begab sich nachher hinab nach Hohenwald, um die Personen, mit denen er seit dem Montage dort Bekanntschaft geschlossen hatte, zu besuchen.

Er gedachte auch, vielleicht den König zu sehen; dieser war aber nicht mehr da, sondern – nach Oberdorf gegangen, woher Ludwig kam. Daß Beide sich nicht begegnet waren, hatte seinen Grund in dem Umstande, daß Beide verschiedene Wege eingeschlagen hatten.

Am Morgen war ein Courier nach der Mühle gekommen und hatte eine große Mappe verschiedener Scripturen gebracht. Nach Erledigung derselben hatte der König zwei von ihnen zu sich gesteckt und war dann nach Oberdorf aufgebrochen.

Er kannte die Richtung, in welcher das Dorf lag, und glaubte, nicht fehl gehen zu können. Sein Ortssinn war ihm ein vortrefflicher Führer. Obgleich er nur Fußpfade eingeschlagen hatte, sah er doch in vorausgesehener Zeit den kleinen, armen Gebirgsort vor sich liegen.

Ein wenig müde von der Wanderung, setzte er sich auf einen mit Moos bewachsenen Fels nieder, welcher wie eine breite Bank aus der Bergwand ragte.

Die Stelle war eine recht traulich heimliche. Drunten im Grunde lag das Dorf, rechts und links zog sich dichtes Buschwerk die Höhen hinan, und gegenüber stieg ein schwarzer Hochwald düster empor. Hier und da schlang sich ein Bächlein wie ein Silberfaden durch das Grün.

Der Ort, an welchem der König saß, mußte zuweilen besucht werden, wie aus gewissen Spuren und Anzeichen zu errathen war.

Bald hatte er sich ausgeruht, und schon schickte er sich an, den Fels zu verlassen und zu Thal zu steigen, da ließ sich erst rechts und sodann auch links ein Jauchzer hören, der erstere von einer männlichen, der letztere von einer weiblichen Stimme.

Diese Jauchzer wiederholten sich und kamen dabei näher. Es war klar, daß die beiden Personen sich treffen wollten, und zwar wahrscheinlich hier.

Warum er es that, er wußte es eigentlich auch nicht – der König zog sich zurück. Aber er ging nicht abwärts, wo er einer der beiden Personen begegnet wäre, sondern er stieg von seiner Bank zu einer zweiten Felsplatte empor, welche wie ein Baldachin die erstere überragte und mit Sträuchern und Gras bestanden war. In das Letztere ließ er sich nieder und verhielt sich von jetzt an ganz ruhig.

»Hanna!« ertönte es jetzt anstatt des bisherigen Jauchzers von links herüber.

»Stephan!« antwortete es von rechts.

Nach wenigen Augenblicken vernahm der König Schritte. Er bog den Kopf vor und sah einen kräftigen Burschen, welcher die landläufige Gebirgstracht trug und mit raschen Sprüngen sich der Felsbank näherte.

Das war jedenfalls Stephan, der gerufen worden war. Seine Kleidung ließ errathen, daß er nicht reich sei. Sein offenes Gesicht machte einen sympathischen Eindruck, doch lag um seine Mundwinkel ein herber Zug, welchen es früher in diesem Gesicht wohl nicht gegeben hatte. Er bildete etwas Fremdartiges, was nicht in die früher heitere Physiognomie paßte.

Bald kamen auch von rechts herüber Schritte. Zwischen den Büschen trat ein schlankes Mädchen hervor, von ebenmäßiger Gestalt und hübschen, regelmäßigen Gesichtszügen, bei deren Anblick der König sofort an den Oberknecht Ludwig Held dachte.

Auch sie war ärmlich, aber außerordentlich sauber gekleidet. Sie hätte noch für frisch gelten können, wenn sich nicht ihre Mundwinkeln wie entsagend herabgebogen und an ihren Augen jene Fältchen gezeigt hätten, welche man Krähenfüße nennt.

Trotzdem war sie ein gar stattliches und begehrenswerthes Kind.

»Bist da, Stephan?« sagte sie, ihm die Hand bietend. »Hast gut Zeit gehalten.«

»Ja, Hanna, wir können schon gut Zeit halten. Wir haben es lernen mußt.«

»Klagst schon gleich wieder!«

»Ich möcht nicht aufihören mit klagen. Wann man sich so gar lieb hat wie wir und ist an die sieben Jahren in allen Ehren mit nander gangen, und es heißt immer nur Warten, Warten, so will das Herzerl doch auch mal unwillig werden. Andera, die sich lieben, die dürfen sich auch holen.«

»Hast mich ja, Stephan!«

»Ja, wann denn? Mal auf eine Viertelstund. Nachhero mußt gleich wieder hinab zu dera Muttern.«

»Sei stät, Bub! Dera Herrgott weiß am Besten, was gut ist für den Menschen.«

»Das glaub ich wohl; aberst das gefallt mir nimmer, daß grad für uns Beiden allein das Warten gut sein soll. Du tröstest immer und immer, um mir Muth zu machen. Aberst ich weiß es, wannst allein bist so siehts gar anderst aus. Dann kommts auch trüb und bitter heraufi aus dera Seel, und in denen guten, lieben, braunen Guckerln laßt sich ein kleines Wassern sehen. Hab ich Recht, Hanna?«

Er schlang den Arm um sie und zog sie an sich.

»Ja, kannst rechtschaffen Recht haben,« antwortete sie, den Kopf an seine Schulter lehnend.

»Ja, das hab ich mir denkt. Unsera Jugend geht vorübern, und nachhero, wanns Alter kommt, haben wir uns noch immer nicht. Warum? Vatern sagt, auf dem Höhlbauershof kann der Herr keine Frau mit Kindern dernähren. Er hat Recht, denn es ist ein gar wüstes Land, und aus Steinen machst kein Brod. Euer kleines Hüttle ist eigentlich für eine Ziegen zu eng, und doch wohnst mit dera Muttern und dera Kuh darinnen, und wann dera Ludwig mal kommt, findet er auch noch einen Platz. Aberst was für einen! Daß es Gott derbarm. Und was habts zu essen! Die Kuh hats noch am Allerbesten von Euch.«

»Der Ludwig bringt auch zuweilen ein Geld!«

»Ja, dera Gute nimmt sichs aus dem Leben heraus. Und doch könntens wir Beid so sehr viel besser haben. Ich hatt eine Reiche, und Du hattst einen Reichen; aber wir hatten nur uns lieb und blieben lieber ledig. Zusammen können wir nicht, und so bleiben wir die Einsamen, aberst auch die Treuen. Nicht wahr?«

Sie nickte nur. Sie hätte schluchzen müssen, wenn sie geredet hätte, und das wollte sie doch nicht. Sie durfte ihrem Herzensbuben das Leben nicht noch schwerer machen.

Nun saßen sie eine ganze Weile still und innig beisammen. Er streichelte lind und ohne Aufhören ihr seidenweiches Haar. Sie mußten sich recht herzlich lieb haben. Dann sagte er plötzlich:

»Sakra! Das hätt ich gar bald vergessen. Ich hab Dir was mitbracht.«

»Eine Blumen wohl?«

»Dieses Mal was ganz Andres. Ich war unten in dera Stadt. Da gabs einen vornehmen Herrn mit zweien Fräuleinen, denen hab ich den Weg zeigt. Dabei setztens sich niedern und brachten eine Düten hervor mit allerlei Delikatessen vom Conditoren. Ich muß recht Augen macht haben beim Zuschauen, denn das eine Fräuleinen fragt mich, ob ich noch nicht so was gessen hab.«

»Im ganzen Leben nicht,« hab ich antwortet.

»Auch Dein Dirndl nicht?«

»O, das Dirndl hat noch weniger für das Schnaberl als ich.«

»Als sie das hört, hat sie gleich die Düten zumacht und mir in die Taschen einisteckt. Ich solls meinem Dirndl geben. Hier hasts, Hanni!«

Er zog die Düte aus der Tasche und gab sie ihr.

»Was ists?« fragte sie. »Eine Conditoreien! So was hab ich fast noch gar nie sehen. Laß mal schauen. Es sind noch vier Stuckerln drinnen; aberst wie sie heißen, das weiß ich halt nicht.«

»Wanns nur schmeckt!«

»Mußts auch kosten. Da!«

»Dank schön! Unsereinem ist ein Tabak lieber.«

»Und hast keinen?«

»Von nix stirbt man nicht, ist also auch gut. Aberst, was legst denn die Düten weg? Sollsts ja essen.«

»Nein, Buberl, das eß ich nicht.«

»Wer sonst?«

»Zwei Stuckerln bekommt die Muttern und zwei die Bas daneben. Die ist krank und kann fast gar nix mehr genießen. Vielleicht schmeckt ihr diese Conditoreien.«

»Bist doch eine Gute!«

»O nein! Ich bin oft auch eine richtige Zuwiderwurzen, und die Mutter hat manche liebe Noth mit mir.«

»Weiß schon, woher das kommt.«

»Nun, woher?«

»Von dera Lieb, wanns warten muß. Man wird gar so leicht ungeduldig. Und noch Eins bring ich mit, was grad schön für uns paßt. In dera Stadt hab ich ein Bier trunken. Da lag ein Buch auf dem Tisch und ich las darinnen. Da stand das, was ich für Dich abschrieben hab. Soll ichs lesen?«

»Bitt schön, mein guter Stephan!«

Er faltete einen mit Bleistift beschriebenen Zettel auseinander und las:

»Trost.

Horch, klopfte es nicht an die Pforte?
Wer naht, von Himmelsduft umrauscht?
Woher des Trostes süße Worte,
Auf die mein Herz voll Andacht lauscht?
Wer neigt, als alle Sterne sanken,
Mit mildem Licht und stiller Huld
Sich zu dem Staub- und Erdenkranken?
Es ist der Engel der Geduld.
O, laß den Gram nicht mächtig werden,
Du tiefbetrübtes Menschenkind!
Wiß, daß die Leiden dieser Erden
Des Himmels beste Gaben sind,
Und daß, wenn Sorgen Dich umwogen
Und Dich umhüllt des Zweifels Macht,
Dort an dem glanzumfloss'nen Bogen
Ein treues Vaterauge wacht.
O laß Dir nicht zu Herzen steigen
Die lang verhaltne Thränenfluth.
Wiß, daß grad in den schmerzensreichen
Geschicken tiefe Weisheit ruht,
Und daß, wenn sonst Dir nichts verbliebe,
Die Hoffnung doch Dir immer lacht,
Da über Dich in ewger Liebe
Ein treues Vaterauge wacht.

O, wolle nie Dich einsam fühlen!
Obgleich kein Aug sie wandeln sah,
Die sorgenheiße Stirn zu kühlen,
Sind Himmelsboten immer nah.
Wer gern dem eignen Herzen glaubte,
Der kennt des Pulses heilge Macht.
Drum wiß, daß über Deinem Haupte
Ein treues Vaterauge wacht.

Drum füge Dich in Gottes Walten,
Und trag Dein Leid getrost und still.
Es muß das Herz ihm stille halten,
Wie ers zum Lichte führen will.«

Als er geendet hatte, sagte sie nichts. Sie lag an ihn gelehnt, den Kopf an seiner Schulter. Sie nahm das Papier aus seiner Hand, drückte es an ihr Herz und weinte leise vor sich hin.

Das war eine Scene so still, so ergreifend. Das waren zwei gute, herzliebe Menschen. Dem Könige stand das Wasser in den Augen. Nach längerer Zeit seufzte der Bursche:

»Ich möcht' doch mal nur für eine Stund wissen, wie es ist, wann man reich ist. Nur für eine Stund. Das möcht gar schön sein. Ich thät mir Eins wünschen, nur Eins und weiter nix.«

»Und was würdest Du Dir wünschen?«

»Dich!«

Sie umschlangen einander eng und warm. Sie küßten sich, aber in einer Weise, welche deutlich verrieth, daß an dieser reinen Liebe kein anderer als nur der Wurm der Armuth nage.

»Weißt,« tröstete sie, »die Reichen sind auch nicht alle glücklich.«

»Das ist freilich wahr. Zum Exempel, ich möcht nicht König sein.«

»Warum?«

»Er hat Alles, was sein Herz begehrt. Aber hat er eine Tabakspfeifen, wann er Appetit verspürt? Darf er ein Bier trinken und einen Schafkopfen spielen? Hat er so ein Dirndl wie ich, was er lieb haben will und lieb haben kann? Nein, ich thät doch nicht mit ihm tauschen. Er ist der Sclaven von seinem Amt. Und grad dera unserige ist so ein lieber und guter! Das ist eine Seel und ein Gemüth von einem Menschen. Da droben hat er eine Sennerin zur Sängrin macht und drunten in Scheibenbad einen armen Fährmann zum Virtuosen. Hasts auch hört?«

»Ja. Die Bas hats verzählt, und Alle haben sich drüber gefreut.«

»Du, wann der mal heraufi käm!«

»Geh! Da thätst vor Angst zittern!«

»Ich! Was denkst von mir!«

»Vor einem König? Und nun gar vor so einem! Ich thät gleich in die Knieen zusammenbrechen. Schon wann man einen noblen Herrn schaut, er braucht gar kein König zu sein, da hat man gleich eine Angsten und Bangigkeiten. Weißt, so einen, wie den Herrn Ludwigen in Hohenwald.«

»Kennst den?«

»Nein. Mein Brudern, dera Ludwig, hat ihn mir beschrieben und dabei sagt, daß er ein gar feiner, guter und vornehmer Herr sei. Den habens gar dermorden wollen.«

»Sollt mans denken!«

»Ja, zwei Slowaken sinds west; aber mein Brudern hat ihn warnt.«

»So hat er ihm wohl das Leben gerettet?«

»Fast möcht ichs denken.«

»Der Glückliche! So wird er wohl auch eine Belohnungen erhalten.«

»Nein. Er hat sagt, daß er diesen Herrn Ludwigen so von Herzen lieb hat, daß er nix, gar nix von ihm annehmen mag.«

»Ist er nicht da dumm? Dieser Herr kann es ja vielleicht geben. Für ihn ists gar nix, und für Unsereinen ists wie eine Million.«

»Geh! Bist auch ein Sauberer! Willst Dir eine Gutthat gleich bezahlen lassen!«

»Hanna, was denkst von mir! Kennst mich denn nicht besser? Ich habs ja gar nicht so meint, wie Du es nommen hast. Hab ich nicht sagt, daß ich mit dem König nicht tauschen thät? Aber, denk mal, wann ich dem guten König Ludwig einen Dienst derweisen könnt, der ihm was werth wäre und er könnt mich und Dich mit einem Worte glücklich machen, so könnt ichs wegen meiner wohl abschlagen, aber nicht wegen Deiner und seiner. Für ihn wärs ja eine große Beleidigungen, und außerdem thäts ihn drücken und nagen sein Lebelang, daß er einem armen Teufel was schuldig ist und hats nicht abtragen können. Kannsts mir glauben, ein gutes Wörtle von einem armen Arbeiter kann einen braven König so glücklich machen wie Unsereinen hunderttausend Thalern.«

»Ja. Das kann ich mir schon denken. Aber es soll auch gar grausam sein, was so ein großer Herr immer zu geben hat. Das soll man nicht thun. Schau, mein Vatern ist auf dera Jagd, wo er Treiber wesen ist, von einem hohen Hofherrn so ins Bein schossen worden, daß es ihn hat abschnitten werden mußt. Er ist ein Krüppel worden und hat fast gar nix mehr verdienen können. Viele haben ihm sagt, er soll doch an den König schreiben. Der Herr Pfarrer hat ihm ein gutes, ein schönes Attestum geben wollt; aber er hat stets antwortet, daß er das nicht thun mag, weil dera gute König für so viele Andre auch zu sorgen hat. Er hat lieber hungert mit uns und ist auch bald vor Armuth storben. Der Herrgott schenk ihm die Seligkeit, dem treuen Vatern. So solltens Andre auch machen. Schau, mein Brudern hat von dem Herrn Ludwigen nichts nommen; dera Dank dafür ist ihm sogleich vom Himmel schickt worden. Er war vorhin hier und ist ganz glücklich gewest, denn dera steinreiche Kerybauer drunten in Slowitz will ihm die Gisela, sein einzigs Kind geben. Wir haben vor Freud und Seligkeit so weinen mußt, und das war die frohe Botschaft, die ich Dir bringen wollt; darum hab ich Dir das Zeichen geben, daßt aufikommen sollst.«

»Wast sagst! Dem Kerybauer seine Gisela?«

»Ja.«

»Das allerschönst Dirndl und so reich!«

»Sie hat ihn so lieb und er sie auch. Und ich glaub, er muß dem Kery auch einen schönen Dienst erwiesen haben, denn der hat ihn gleich mit an den Herrentisch nommen und auch sogar im Gasthofen mit ihm Karten spielt.«

»Sappermenten! Das heißt Etwas! Das kann mich gefreuen. Das ist grad so, als obs mir selbsten widerfahren sei. Dera Ludwig ist ein Braver, den ich sehr lieb hab und alles Gute gönnen thu.«

»Sollst nur meine Mutter hören! Die schwebt jetzund in allen Himmeln.«

»Und Du auch mit!«

»Ja, denn weißt, wann nachhero dera Ludwig Bauer ist, dann wird er schon auch drauf schauen, daß wir Beid zusammenkommen. Denkst nicht auch?«

»Ja, das thut er ganz gewiß.«

»Und freust Dich drauf?«

»Das kannst Dir denken! Freilich darfst nicht zu viel von ihm verlangen. Wann er auch die Tochtern nimmt, so ist er doch dera Bauer nicht. Er bleibt so arm wie vorher und kann nicht von seinem Schwiegervatern verlangen, daß der um unsertwillen ein großes Opfer bringt.«

»O Jegerl! Daran hab ich gar nicht dacht. Ich hab glaubt, die Hilf sei nun nahe.«

»Nein. Das darfst dem Bruder gar nicht anthun, daßt ihn um was bittest. Du machst ihm da nur Schmerz und Verlegenheiten. Wollen lieber geduldig noch ein paar Jährle warten. Dera Herrgott wird dann schon ein Einsehen haben. Wann wir uns nur lieb behalten. Vielleicht derscheint uns nachhero mal eine Fee und giebt uns einen Wunsch auf, der in Erfüllung geht.«

»Wanns nur auch welche gäbe!«

»Leider! Ja, es sollt welche geben. Das war eine Herrlichkeiten, wann zum Beispiel jetzt, in diesem Augenblicke eine Stimme vom Himmel herab käme und zu mir sagte – – –«

Er wollte weiter sprechen; er wollte sagen, welche Worte er von dieser Himmelsstimme hören möchte; aber er verstummte, denn in demselben Augenblicke erscholl es über ihnen, grad wie aus den Wolken heraus:

»Höhlbauers Stephan, sag mit lauter Stimme einen Herzenswunsch! Er soll Dir heut noch in Erfüllung gehen!«

»O Du liebs Herrgottle,« rief Hanna, auf das Tiefste erschrocken.

Sie sank von dem Felsensitze herab auf ihre Kniee, faltete die Hände und wagte nicht, empor zu blicken.

Ihr Bursche aber stand zwar auch vor Ueberraschung starr und steif, aber in seinen Augen glänzte das Licht entschlossenen, freudigen Vertrauens, Er lauschte. Zum zweiten Male ließ sich die Stimme vernehmen:

»Höhlbauers Stephan, sag mit lauter Stimme einen Herzenswunsch! Er soll Dir heut noch in Erfüllung gehen!«

Da nahm er sich zusammen und antwortete laut und deutlich:

»So bitt ich von ganzem Herzen, gieb mir da meine Hanna zur Frau!«

Ein Augenblick verging, dann fragte die räthselhafte Stimme:

»Hanna Held, bist Du mit diesem Wunsche einverstanden?«

»Antworte rasch!« bat Stephan.

»Ja,« hauchte sie.

»Lauter!«s

»Ja.«

»Immer lauter! Um Gotteswillen, red laut! Sonst gehts vorüber!«

Da nahm sie sich zusammen, preßte beide Hände an die Brust und rief:

»Ja, von ganzem Herzen!«

Und nun folgte sofort die Bestätigung.

»Der Wunsch ist erfüllt. Seid fromm und gut, seid glücklich!«

Hanna blieb auf ihren Knieen liegen, und Stephan stand noch eine ganze, lange Weile, bevor er es wagte, den Blick zu erheben.

Das war die gewöhnliche Umgebung, ganz dieselben Steine, Bäume und Büsche; aber dennoch waren sie so ganz anders. Der Grund lag nicht in der äußeren Natur, sondern im Innern der beiden jungen Menschenkinder.

»Ists vorbei?« fragte das Mädchen.

»Ja, kannst aufistehen.«

»Aber, wanns noch da ist!«

»Ich steh ja auch.«

Sie erhob sich, sah ihm mit einem großen, weiten Blicke in die Augen und sagte:

»Hältsts für möglich?«

»Ja.«

»Wir hatten davon sprochen. Wer mags gewesen sein? Eine Fee.«

»Nein. Eine Fee ist eine Frau; diese Stimme aber war männlich.«

»So wars ein Engel.«

»Wer weiß es! Weißt, Mancher thät vielleicht sagen, daß Jemand hier gewest sei, der unser Gespräch gehört und nachhero den Engel macht hat. Ich glaub, daß es ein gutes Wesen war, und werd schauen, was nun folgen thut.«

»Das ist das Allerbest. Ich glaub auch daran.«

»Oder soll ich mal suchen, ob Jemand da oben steckt?«

»Nein, thu es nicht. Ich bitte Dich!«

»Gut. Aber Hanna, wanns eintreffen thät! Bereits heut!«

»Welch ein Glück!«

»Dann aber müßten wir auch sein Gebot erfüllen. Wir müßten immer fromm und gut sein. Dann wären wir auch glücklich.«

Sie blickte ihn so fromm und innig an, ohne zu antworten. Er zog sie an sich und fragte:

»Wirsts Deiner Muttern sagen?«

»Darf man das?«

»Ja. Ich sag es dem meinigen Vatern gleich auch.«

»Wann er darüber lacht!«

»So mag er lachen. Es wird sich doch schon heut zeigen wer Recht hat. Bleiben wir noch hier, meine Hanna?«

»Nein, wollen gehen. Es ist mir allzu heilig hier. Ich kann kaum Athem holen. Sehn wir uns heut noch mal wieder?«

»Vielleicht. Bei wem Etwas passirt, der kommt eilends zum Anderen gelaufen. Hier hast die Hand, mein gutes Dirndl! Ich möcht gleich niederfallen und beten, daß es doch ein Engel gewest sein möge! Diesen Tag und diese Stund aber werd ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen.«

Sie nahmen zärtlichen Abschied und gingen dann auseinander.

Der König hatte die Worte von oben herab gerufen. Dann war er schnell hinter die Büsche geschlüpft und hatte versucht, auf einem Umwege den abwärts führenden Pfad zu erreichen.

Die beiden jungen Leute waren ihm bekannt, wenn auch nicht persönlich. Als er am Montage den Großknecht Ludwig nach seinen Familienverhältnissen ausgefragt hatte, war ihm von diesem eine ziemlich ausführliche Mittheilung gemacht worden. Auch seines verkrüppelten Vaters hatte er erwähnt. Der Monarch war gleich auf den Gedanken gekommen, den von Ludwig zurückgewiesenen Dank auf dessen Familie überzuleiten. Er hatte das Nöthige schleunigst verfügt, und vorhin hatte der Courir das Dokument gebracht, welches der König nun in der Tasche trug.

Er schritt eilig und in sehr animirter, ja sogar gehobener Stimmung den Berg hinab. In der Nähe des Dorfes fragte er einen ihm begegnenden kleinen Jungen nach der Wittfrau Held und wurde nach einem kleinen Häuschen gewiesen, dessen Firste er beinahe mit der ausgestreckten Hand hätte erreichen können.

Er machte einen weiten, weiten Umweg, um von einer ganz andern Seite zu kommen. Er stieg sogar in eine Schlucht hinab, um den Anschein zu erwecken, daß er ja nicht mit der Fee da oben auf dem Berge in Beziehung stehe.

So kam er also von Süden heraufgestiegen, als Hanna von dem nach Norden liegenden Berge kommend, langsam über die Haide schritt.

Grad bei ihrem Häuschen begegneten sie sich. Sie wollte zur niedern Thür hinein und glaubte, er werde vorübergehen. Er aber lüftete den Hut und sagte:

»Verzeihung, liebes Kind! Wohnen Sie in diesem Häuschen?«

»Ja,« antwortete sie, leicht verlegen.

»Ich bin durstig. Haben Sie nicht vielleicht einen Schluck Milch für einen armen Wandersmann?«

Sie warf einen lächelnden Blick auf sein Aeußeres und sagte:

»Ja, ein gar arg Armer scheinens zu sein; aberst die Milch bekommens halt immer gern. Wollens eine gestandene welche mehr kühlt, oder eine gleich von dera Kuh weg, welche man trinkt, wann man verhitzt ist?«

»Eine kühle.«

»Sogleich.«

Sie trat nur einen kurzen Augenblick in die Hütte und brachte ein einfaches Tischchen und einen Stuhl heraus, beide glänzend vor Sauberkeit, trotzdem sie keine Zeit gehabt hatte, abzustäuben.

»Bitt schön, wanns sich setzen wollen! Dahier giebts einen guten Blick hinauf in die Berge und hinab ins Land. Die Luft ist so rein und mild, und wann nachhero auch die Milchen noch mundet, so soll es mich gefreun.«

Das war so anheimelnd, so traulich, so wahr. Er setzte sich.

Als sie dann die Milch brachte, glänzte das Glas tadellos. Dazu brachte sie einen Teller mit einem Stücke groben Schwarzbrodes und sagte:

»Und da ist auch ein Brod zur Milchen, wanns Ihnen gefallt. Butter oder Käs kann ich nicht geben. Die werden verkauft, weil wir halt ein armes Volkl sind und doch auch ein Geldl brauchen.«

Sie blieb bei ihm stehen, um etwaige Fragen zu beantworten. Er trank von der Milch, ja, er aß sogar einige Bissen des groben Brodes, und zwar mit Appetit. Das freute sie, drum sagte sie:

»Das ist halt lieb von Ihnen, daß Sie unser Brod nicht verschmähen. Wir habens leider nicht besser.«

Er musterte die Hütte mit einem sympathischen Blicke, ließ denselben auch auf Tisch und Glas und Teller schweifen und antwortete:

»Aus einer so sauberen Hand muß Alles munden.«

Sie erröthete lebhaft vor Freude, wies aber das Compliment zurück:

»Hier in dera Luft und wo es ein so gar vieles und schönes Wasser giebt, da kann man leicht sauber sein. In denen großen Städten aber da wird es schon schwerer macht.«

»Sind Sie die Besitzerin dieses netten Häuschens oder die Tochter?«

Trotz der Einfachheit ihrer Erziehung wußte sie die erstere Bezeichnung sofort richtig zu verstehen. Sie antwortete abermals erröthend:

»Ich bin die Tochtern. Die Muttern ist wohl mal fortgangen, um was zu holen. Wanns zurückkommt, wirds sich gar sehr freuen, daß unser Hüttle einen Gast funden hat.«

Sie hatten kaum von der Mutter gesprochen, so kam dieselbe herbei, ärmlich aber ebenso sauber wie ihre Tochter gekleidet.

»Schau, Hanna, was hast da für einen feinen Besuchen!« sagte sie schon von Weitem. »Da möcht man sich fast gar nicht traun, herbeizukommen!«

»Kannst immer herbei. Dera Herr ist ein gar braver. Denk nur, er hat gar von unserm Brod gessen.«

Die Frau schlug die Hände zusammen und rief:

»Von dem unserigen? Das ist gar schön und gefreut mich auch über die Ehr, die's uns anthun, aber machens nur, daß Sie kein Leibgrimmen bekommen, wanns das hiesige nicht gewöhnt sind. Nun grüß Gott, und willkommen auch!«

Sie hatte eine sehr reinliche Schürze um. An dieser wischte sie sich die Hände ab und streckte ihm Beide entgegen. Er schlug kräftig ein. Ein warmer Zug lag auf seinem Gesicht. Das war so die richtige biedere bayrische

Weise, höflich, wahr und kräftig zu gleicher Zeit, einer der wackersten, redlichsten Stämme des deutschen Vaterlandes.

»Wollen Sie sich nicht mit her setzen, liebe Frau, wenn Sie Zeit haben?« fragte er sie.

»Ich mich mit zu Ihnen setzen? Zu Ihnen? Zu so einem so sauber feinen Herrn? Das darf ich doch gar nicht wagen!«

»Das ist kein Wagniß, sondern Sie machen mir eine große Freude damit.«

»Ja, wanns halt so ist, daß ich Ihnen eine Freuden machen kann, so muß ich wohl gehorchen. Aber da mußt mir einen Stuhl bringen, Hanna.«

Die aufmerksame Tochter aber war bereits in das Innere der Hütte getreten, da sie den Wunsch der Mutter vorher errathen hatte. Ludwig verließ seinen Stuhl und näherte sich der Thür.

»Dürfte man vielleicht einmal eintreten?« fragte er.

»Warum nicht,« antwortete die Frau bereitwillig. »Wollens sich vielleichten etwas aus dera Stuben holen?«

»Nein, sondern ich möcht gern einmal nachschauen, wie es in einer solchen Gebirgswohnung aussieht.«

»O Jegerl! Da werdens aber nicht viel Feines zu schauen bekommen. Ich weiß aberst schon, die Stadtleutln sehen sich gern so was an. Darum kommens nur auch herrein!«

Das Häuschen war aus starken Baumstämmen zusammengefügt und mit Schindeln gedeckt. Die Zwischenräume der Stämme, alle Ritzen und Löcher, hatte man mit Moos verstopft.

Das Innere bestand aus zwei Theilen, einem größeren, welcher als Wohn- und zugleich Schlafstube diente, und einem kleineren, dem Kuhstalle. Die Wohnstube erhielt ihr Licht durch drei kleine, quadratische Fenster, an denen Blumen blühten. Der Tisch, die Stühle und alles Geschirr glänzten vor Sauberkeit, sogar der alte, riesige Kachelofen sah aus, als ob er erst heut gesetzt worden sei.

An der einen Seite standen zwei roh gearbeitete Bettstellen, mit langem, getrockneten, elastischen Wassermoos gefüllt. Der Bettlaken und die Decke waren schneeweiß.

Ueber dem Tische hingen zwei eingerahmte Tafeln. Auf der einen stand:

»Deinen Eingang segne Gott,
Deinen Ausgang gleichermaßen,
Segne unser täglich Brod,
Segne unser Thun und Lassen,
Segne uns mit selgem Sterben
Und mach uns zu Himmelserben.«

Und auf der andern war zu lesen:

»Im Glück nicht jubeln, im Sturm nicht zagen.
Das Unvermeidliche mit Würde tragen,
Und stets an Gott und bessre Zukunft glauben,
Heißt leben, heißt dem Tod sein Bittres rauben.«

Und gegenüber hing ein kleiner, alter aber blitzblank geputzter Spiegel, zu beiden Seiten desselben zwei Bilder. Das eine stellte den König vor und das andere die einstige Geliebte und Braut desselben, die Prinzessin Sophie, Tochter des Herzogs Max von Bayern.

Er stand vor diesem letzteren Bilde und blickte es lange an. Um seine Lippen zuckte es eigenthümlich; dann wendete er sich rasch ab.

Die Bilder waren keine Meisterstücke, sondern ganz billige Oelfarbendrucke. Der König war schlecht getroffen, und da er auf dem Bilde in großer Galauniform dargestellt war, so erschien es als kein Wunder, daß die beiden Frauen ihn nicht erkannten.

Er trat wieder hinaus und nahm auf seinem Stuhle Platz. Die Mutter setzte sich neben ihm, aber respectvoll nur auf die Hälfte des Stuhlsitzes. Hanna stand neben der Thür. Sie hatte einen Strickstrumpf zur Hand genommen und arbeitete, daß die Nadeln klirrten.

»Nun?« fragte die Frau, »wie gefallts Ihnen in unsern Hütten?«

»Ganz gut!« antwortete er.

»Ih gehens! Das sagens doch blos nur, um uns nicht zu betrüben.«

»Nein, ich sage es, weil ich es wirklich so meine.«

»Aber wann es eine solche Armetheien giebt, so kann ein so vornehmer Herr doch keinen Wohlgefallen finden.«

Er war durch den Anblick des Bildes der Prinzessin elegisch gestimmt worden. Auf die Frage der Frau schüttelte er fast traurig den Kopf und anwortete:

»Sie sprechen von Armethei? Sie wissen gar nicht, wie reich Sie sind.«

Da schlug sie die Hände zusammen und sagte:

»Reich? Wir reich? Ja, was machens denn da für ein Gespaß?«

»Es ist kein Scherz, sondern mein Ernst.«

»So, dann solltens mal einige Tagen oder Wochen bei uns sein, da würdens wohl bald merken, wo dera Reichthum steckt. Oder meinens halt etwan, daß wir wo die alten Strümpfen verborgen haben, welche voller Thalers sind?«

»Nein,« lächelte er, »zu solchen gefüllten Strümpfen werden Sie wohl nicht kommen.«

»Da habens gar Recht. Wissens, wovon wir leben?«

»Nun?«

»Von dera einzigen Kuh und von dem kleinen Acker da neben dem Häusle. Der ist dreißig Schritten breit und vierzig lang. Hier heroben in denen Bergen ist das Land nicht so gut wie da drunten in dera Ebene, und so könnens sich wohl denken, wie wir das liebe Gut zusammennehmen müssen. Wanns nur unsern Küchenzettel wüßten!«

»Darf ich ihn nicht erfahren?«

»Ganz wohl. Des Morgens in dera Früh, wann wir aufstanden find, giebts eine Haferschleimsuppen. Die ist gut und gesund und hält die Brust und die Lungen sauber und macht keine Löchern in den Magen. Nachhero am Vormittag, da giebts ein Stückerl Brod, so wie Sie es da gessen haben.«

»Und was darauf?«

»Ein Salzen.«

»Weiter nicht?«

»Ja, was weiter soll man daraufi thun?«

»Butter und Käse.«

»O weh! Die Butter und denen Käs machen mir zwar, aberst zu essen bekommen wirs halt nicht. Nein, es bleibt beim Salzen, und das ist genug. Wissens, die Buttern schmeckt wohl gut, aber sie macht einen kurzen Athem und soll auch für die Milz und Lebern nicht viel taugen. Da laßt mans lieber sein.«

»Hm! Sie scheinen also sehr besorgt für Ihre Gesundheit zu sein!«

»Das muß man auch, wann man am Leben bleiben will. Und mit dem Käs ists halt auch nix. Ich hab hört, daß man von dem vielen Käs gar fast den Blasenstein bekommt. Den mag ich nicht; das könnens mir wohl glauben.«

»Ganz gern! Und was giebt es Mittags?«

»Da giebts halt Kartoffeln, zur Abwechslung heut in dera Schaalen, morgen in dera Montur und übermorgen in dera Livrée.«

»Und was dazu?«

»Wieder was dazu? Ein Salzen wieder, ganz natürlich.«

»Das ist aber doch zu frugal!«

»Frugal? Was das heißt, das weiß ich nicht.«

»Ich meine, zu einfach, zu arm!«

»Da habens aber Unrecht. Denkens denn, wir können uns keine Delicatessen machen? Da kommens gar schön an. Zum Mittagsmahl mögen wir das Salzen nicht so, wie es ist, da sind wir zu fein. Sondern es wird in den Tiegel than, und übers Feuer setzt. Da wirds hübsch braun und bekommt einen noblen Geschmacken. Wann man nachhero die Kartoffeln hineinithut, so ists was gar sehr Feines. Habens das denn noch gar nicht versucht?«

»Nein,« lächelte er.

»Was! Noch kein braun gemachtes Salzen habens gessen? Da wissens doch noch gar nicht, was gut schmeckt. Da könnens mich fast dauern.«

»Ich werde es nächstens versuchen.«

»Das könnens ja thun. Kann denn Ihre Frau gut kochen?«

»Ich bin mit meiner Küche zufrieden.«

»Sagens aber nur, daß das Salzen nur hellbraun werden darf. Sobald es dunkler wird, nachhero verbrennt es und schmeckt nimmer gut. Es ist dann jammerschad um das schöne Geld, denn das Pfund Speisesalzen kostet jetzunder neun Pfennige. Vergessens das ja nicht!«

»Nein, ich werde es daheim streng andeuten. Und wie lautet Ihr Speisezettel weiter?«

»Am Nachmittagen giebts halt wiederum ein Stückerl Brod mit Salzen; das hält die Zähne weiß und frisch, und des Abends nachhero giebts einen Kaffee, einen feinen und guten!«

»Wie viele Bohnen für die Person?«

»Bohnen? Ja wann wir Bohnen trinken dürften! Nein, habens schon mal die Nüssen sehen, die auf dera Eichen wachsen?«

»Sie meinen Eicheln?«

»Ja, Eichnüssen. Die werden sammelt und in dem Tiegel überm Feuer brannt. Das ist dera Kaffee.«

»O weh!«

»Sagens nicht! Der ist sehr gesund und macht die Augen hell. Wann wir uns aberst mal eine Extra-Güten thun wollen und ein Geldl dazu übrig haben, so bringen wir uns aus dera Stadt ein Päckchen homöopathischen Gesundheitskaffee mit. Das Päckchen kostet acht Pfennigen, und wir können grad vier Wochen lang alle Abende davon trinken.«

»Der steigt wohl nicht in's Blut?«

»Nein, dazu ist er zu dünn. Aberst zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten, und wann wir unsera Namenstagen haben, dann wird ein feiner Bohnenkaffee kocht. O Jegerl, ist das nachhero ein Fest! Wann man da ein Stück Schwarzbrod in solchen Kaffee brockt, so ists grad, als ob man beim König essen thät!«

»Hm! Und wann giebt es Fleisch?«

»Fleisch? Das giebts auch zuweilen, besonders im Jahr einmal, nämlich zu Weihnachten, wo man doch mal ein Geldl springen lassen muß. Nun wissens unsern Küchenzettel. Was meinens dazu?«

»Ich möchte nicht mitthun.«

»Das glaub ich schon. Aberst wanns hier wohnen thäten, so wirds Ihnen wohl schon schmecken. In dera Luft hat man einen Appetiten und einen Hungern, daß man nur immer kauen möcht! Das könnens glauben. Wann man nur auch immer was haben thät.«

»Nun, zu hungern brauchen Sie aber doch wohl nicht?«

Sie blickte vor sich nieder, strich sich bedenklich die Schürze glatt, warf einen Blick auf ihre Tochter und antwortete:

»Nun, vor Hungers storben sind wir freilich noch nicht. Aberst es ist doch schon oft vorkommen, daß wir gern was gessen hätten und haben nichts mehr habt.«

»Sie Aermste!«

Bei dem bedauernden Tone, in welchem er das sagte, blickte sie rasch zu ihm auf. Ihr Auge war hell und munter, als sie antwortete:

»Na, gar so schlimm dürfens sich das nicht denken. Habens auch schon mal hungert?«

»Gott sei Dank, nie!«

»So wissens halt auch nicht, welch einen Werth dera Hunger hat!«

»Ich spreche ihm nicht viel Werth zu.«

»Da thuns ihm Unrecht. Sehens, wann man immer und immer Brod und Kartoffeln mit Salzen hat, so wills halt mal nicht mehr munden. Dann kommt die Noth und dera Hunger; man hat einige Tagen nix zu beißen. Herrgottle, wann man nachhero wiederum ein Stuckerl Brod und eine Kartoffeln hat, dann solltens mal schauen, wie man da zugreifen thut. Ja, kommens nur heraufi zu uns. Wir wissen gar gut zu leben!«

»Haben Sie denn niemals gewünscht, es besser zu haben?«

»Besser – besser – besser – –!« Sie glättete sich abermals die Schürze und blickte nachdenklich vor sich hin. »Was ist besser? Was meinens damit? Wann ichs jetzunder besser hab, nachhero bin ich noch nicht zufrieden und wills noch immer besser haben.«

»Da haben Sie freilich Recht. Zufrieden sein, das ist das höchste Gut.«

»Und Gesundheiten dazu! Schauns, ich denk, daß wir gar glücklich sind. Wir haben unsern Herrgott; wir haben einen gar braven König und ein gut Regiment, und wir sind gesund und zufrieden. Was will man mehr! Und dazu sind wir jetzt gar reich worden. Wir haben ein gar großes Glück macht.«

»So? Welches?«

»Ich hab einen Sohn, einen gar tüchtigen Buben. Er ist beim Militairen west und hats eiserne Kreuzl erlangt. Er heißt Ludwig, grad wie dera König, und wird ein gar reiches Dirndl heirathen.«

»Ich gratulire!«

»Dank Ihnen schön! Wann nur erst die Hochzeiten vorüber ist, nachhero gehts bei uns heroben auch hoch her. Dann sind wir wohl so gestellt, daß wir unsera Buttern, Quark und Käsen selberst essen können. Das wird nachhero ein Leben wie im Schlaraffenlandl, und wanns da wiederkommen, nachhero haben wir wohl gar ein paar Hühnern und können Ihnen einen Eierkuchen vorsetzen.«

»Das sollte mich freuen. Also der Ludwig heirathet. Wie steht es denn mit der Hanna?«

Die Tochter erröthete und trat in die Stube zurück. Die Mutter wartete, bis sie sich entfernt hatte, und antwortete nachher:

»Mit dera Hanna? Ja, mit der ists halt gefehlt.«

»Hat sie denn keinen Schatz?«

»Sie hat wohl einen; aberst sie kann ihn nicht nehmen.«

»Warum nicht?«

»Weils halt nicht zureichen will.«

»Ist er denn so arm?«

»O, fast noch ärmer als wir.«

»Aber wohl brav?«

»Dera bravst Bursch im Dorf. So wie ihn giebts halt keinen im ganzen Umkreis. Er arbeitet vom frühen Tag bis zum späten Abend und gönnt sich keine Ruh und kein Vergnügen.«

»Was ist er denn? Ein Handwerker?«

»O nein. Er ist ein Bauerssohn.«

»Ein Bauerssohn? Und dabei so blutarm, daß er nicht heirathen kann?« »Ja. Wissens, das sind ganz besondere Verhältnissen. Einen Bauer hieroben dürfens halt nicht vergleichen mit einem Bauern da unten an dera Donauen, wo dera Roggen und Weizen mannshoch wachsen thut. Sein Großvatern ist wohlhabend gewest. Das war dera alte Höhlenbauer. Wissens, er hieß so, weil sein Grundstück an einer tiefen Höhlung lag, die zwischen dem Berg einisunken war. Er war ein gar wüster Mensch, ein Trinker und Spieler. Seine Frau starb vor Gram, und als er nachhero mal beim Wildern eine Kugel bekam, hat er nix als Schulden hinterlassen. Sein Sohn, was der jetzige Alte ist, war dagegen ein sehr braver. Er hat sich fast die Haut von denen Händen abarbeitet und nach und nach die Schulden seines Vaters zahlt. Das hat aberst gar viele Jahren dauert. Und als er nachhero damit fertig war, da ist im Frühjahr dera Felz vom Berg abistürzt und hat ihm sein ganzes Feld verschüttet. Davon hat auch das Wasser eine ganz andera Richtung erhalten und lauft ihm nun übers Land und schwemmt ihm Alles davon. So ist er ärmer als vorher. Sie sind ein Stadtherr und wissen gar nicht, was das zu bedeuten hat.«

»Hatte er denn nicht versichert?«

»Nein. Hier oben wir trauen denen Versicherungen nicht. Nun fangt dera Höhlbauer wiederum von vorn an, und sein Sohn, dera Stephan, kann nicht daran denken, eine Frau zu nehmen.«

»Ists denn gar so schlimm?«

»Ja. Wanns sich heirathen thäten, was solltens da thun? Zu mir ziehen? Mein Hüttele thät das Paar nicht dernähren. Oder in das Höhlgut ziehen? Da reichts auch nicht aus.«

»So legen Sie doch Beides zusammen!«

»Das geht ja nicht. Und wanns auch für sie ausreichen thät, so denkens doch, wann nachhero Kinder kämen! Das war ja eine Traurigkeiten!«

»Aber Sie müssen doch auch an den Herrgott denken!«

»Das thun wir auch; aberst man soll sich nicht auf Gottes Hilf verlassen und dabei in den dicken Tag hineinleben. Man muß halt in die Zukunft denken, und was man nicht haben und nicht durchführen kann, das soll man sich nicht wünschen und soll es nicht beginnen. Ja, es war ein Glück für den Stephan und die Hanna, wanns sich so haben könnten. Das wär halt ein Paar, wie es die Tauben nicht besser und lieber zusammentragen könnten. Vielleicht hat dera Herrgott ein Einsehen und sendet mal einen Engel herab, der die Hilfe bringt.«

»Nun, wenn Ihr Sohn eine so reiche Heirath macht, so kann er doch Ihrer Tochter helfen.«

»Das möcht man denken. Aberst die Hanna mag nicht betteln.«

»Das ist keine Bettelei.«

»Mag sein. Denkens denn vielleicht, daß ein Schwiegersohn sogleich mit dem Geld des Schwiegervaters um sich werfen kann? Nein. Die Beiden mögen warten. Wann nur noch so drei Jahren vorüber sind oder vier, so dann – – na, ich sag halt nix, aberst nachhero kanns wohl besser werden.« Sie hatte das Letztere mit leiser Stimme gesagt und sich dabei vorsichtig nach der Hütte, in welcher Hanna war, umgeschaut.

»Sie haben wohl gar ein Geheimniß?« fragte der König.

»Freilich.«

»Darf man es erfahren?«

»Hm! Ich habs noch keinen Menschen sagt.«

»Aber mir können Sie es doch sagen!«

»Meinens? Ja, Sie haben ein so gutes Gesicht und so ehrliche Augen. Ihnen kann ichs am End mittheilen.«

»Ich sage nichts wieder.«

»Das dürfens auch nicht. Wanns mich verrathen thäten, dann wäre mir halt meine ganze Freud verdorben.«

»Sie können sich darauf verlassen, daß ich schweigen werde.«

»Schön! So will ichs sagen. Ich hab – ich hab – ich hab ein – – –«

Sie beugte sich weit zu ihm herüber, hielt die Hände an beide Seiten des Mundes und raunte ihm zu:

»Ein – ein Sparkassenbuchen.«

Er fuhr in komischem Erstaunen weit zurück und machte ein Gesicht, als ob er etwas ganz Unglaubliches gehört habe. Ihre Augen leuchteten glücklich auf.

»Habens auch richtig hört?« fragte sie.

»Ja, ganz richtig.«

»Und da sinds halt so verstaunt?«

»Außerordentlich!«

»Ja, das hättens mir wohl nicht zutraut?«

»Ganz und gar nicht!«

»Ich glaubs schon! Aberst ich bin halt die Richtige! Ich weiß schon, wie man so was anfangen muß!«

»Aber wie haben Sie das fertig gebracht?«

»Das wollens wissen? Ja, das ist eine ganz gehörige List und Klugheiten von mir. Dera Käs, dera Käs ist schuld daran!«

»Der Käse ist schuld am Sparkassenbuch?«

»Ja, blos dera Käs. Könnens sich das denn nicht verklären?«

»Nein. So weit reicht mein Scharfsinn nicht.«

»Und es ist ganz einfach. Nämlich ich hab doch stets die Butter und den Käs verkauft. Was die Butter einbracht hat, das ist in dera Wirtschaft verbraucht worden, für Steuern, Abgaben, für den Schuster und Anderes. Aberst von dem Käs, da hab ich mir ein Sparkassenbücherl anschafft.«

»Ach so! Hm! Wie gescheidt!«

»Nicht wahr? Ja, hinter denen Ohren muß man es haben!«

»Ists denn viel?«

»Ja,« antwortete sie, indem sie ein Gesicht machte, als ob es sich um eine Million handle.

»Wie hoch ist die Summe?«

»Rechnen Sichs mal aus: Alle Wochen zwanzig Pfennige, fünf Jahren lang.«

»Das macht in Summa zweiundfünfzig Mark.«

»Jawohl, und noch die Zinsen dazu.«

»Das ist ja großartig!«

»Fein ists, sehr fein! Und wenn ich nun noch zwei oder drei Jahren so weiter spar, nachhero – – pst, da kommt die Hanna wieder heraufi. Ich bitt um aller Welt, lassens sich ja nix merken!«

»Kein Wort!«

»Reden wir gleich von etwas Anderem!«

»Schön! Aber wovon?«

»Vom Wetter. Das ist halt das Allerbest, wann man nix Andres weiß.«

Die Heimlichthuerei der guten Frau gab ihm großen Spaß. Sie begann wirklich, vom Wetter zu reden. Er ging darauf ein, und mit triumphirender Miene nickte sie ihm ihre Genugthuung darüber zu, daß die Tochter nichts gemerkt habe.

Nach einiger Zeit erhob er sich, um zu gehen. Er fragte nach dem Preis der Milch, die er getrunken hatte; aber da kam er schön an. Die Frau wäre beinahe grob geworden, und die Tochter blickte ihn so bittend an, daß er davon absah, ihnen eine Bezahlung aufzuzwingen.

»Kommens nur bald wieder!« meinte die brave Alte. »Das soll uns eine Freud sein, und dann ists grad so, als obs uns ein Geldl geben hätten.«

»Gern käm ich wieder; aber ich weiß nicht, ob meine Geschäfte es mir erlauben.«

»So? Was habens denn eigentlich für ein Geschäften?«

»Es ist weniger ein Geschäft als vielmehr ein Amt.«

»Ah, ein Amt! Das hab ich mir dacht, denn ich habs Ihnen gleich beinahe anschaut. So was sieht Unsereine so einem Herrn gleich an dera Nasenspitzen an.«

»Und ehe ich gehe, möchte ich Sie gern um ein Andenken bitten.«

»Ein Andenken? O Jegerl, was könnt ich Ihnen denn da gleich geben. Ich hab ja nix!«

Sie blickte verlegen an ihrem ärmlichen Anzug nieder.

»Nun,« meinte er, »ich werde mir schon Etwas erbitten.«

»Ja, was denn? Sagens es nur!«

»Zunächst von Hanna die Nelke, welche sie an der Brust stecken hat.«

Das hübsche Mädchen wurde glühend roth.

»Oder wollen Sie mir die Blume nicht gern geben, Fräulein?« fragte er.

»Gar zu gern, wanns von so einem armen Dirndl die Nelken annehmen wollen.«

Sie hielt sie ihm hin.

»Nicht so! Ich habe kein rechtes Geschick dazu. Haben Sie die Güte, mir die Blume ins Knopfloch zu befestigen!«

Die Röthe ihres Gesichtes wurde noch intensiver. Doch trat sie an ihn heran und steckte ihm die Nelke mit Hilfe einer Nadel an die Joppe, welche er trug.

»Ich danke Ihnen sehr, Hanna! Und nun Sie,« wendete er sich an ihre Mutter.

»Jetzt ich!« meinte sie. »Da bin ich doch neugierig, was ich Ihnen geben soll.«

»Es ist ein Stück Ihres Hausrathes.«

»Ein Hausrath? Das ist besonderlich! Wollens vielleichten einen Stuhl mitnehmen oder gar den Tisch zum Andenken?«

»Nein. Es ist etwas Anderes, was Sie leichter entbehren können.«

»Wann ichs nicht brauch, so sollens es gar gern bekommen.«

»Sie haben drin zwei Bilder. Ich glaube, das eine stellt den König vor?«

»Ja, es ist das Conterfei von unserem guten Ludwigen.«

»Das möchte ich gern haben.«

»Das?« fragte sie erschrocken. »Warum denn grad dasselbige?«

»Weil ich mich für ihn interessire.«

»O weh! Da ists gefehlt.«

»Warum?«

»Weil ichs nicht hergeben kann.«

»Haben Sie einen Grund dazu?«

»Ja. Meinen König soll ich aus dem Haus geben? Nein, das kann ich nicht!«

»Ich will ja das Bild nicht geschenkt haben. Ich kaufe es Ihnen ab; ich bezahle es Ihnen.«

»Da mache ich schon gar nicht mit. Lieber thät ichs Ihnen schenken. Meinen guten König kann ich nicht verkaufen. Für Geld geb ich ihn schon gar nicht her! Oder meinst Du doch, Hanna?«

Man sah es der Tochter deutlich an, daß sie nicht gern unbereitwillig gegen den Gast war, aber sie antwortete doch:

»Nein, Mutter, den können wir gar nimmer verkaufen.«

»Aber warum denn nicht?«

»Weil wir ihn lieb haben.«

»Das ist wohl gut. Aber wann ich Ihnen das Bild abkaufe, können Sie sich doch für das Geld ein anderes anschaffen.«

»Da habens wohl Recht,« entgegnete die Mutter, »aber ganz ebenso können doch auch Sie sich ein anderes kaufen.«

»Ich habe es grad auf dieses abgesehen.«

»Warum auf dieses?«

»Weils grad zum andern Bilde paßt, worauf seine Braut ist.«

»Mein Seliger hat damals, als unser König so gar unglücklich war, daß er seine Braut verlieren mußt, sein letztes Geldl hergeben, um sich auf dem Jahrmarkt die beiden Bildern anzuschaffen. Sie gehören zusammen und sollen auch zusammen bleiben.«

»So kaufe ich beide. Da bleiben sie also beisammen.«

»Nein, ich verkauf sie nicht. Wanns ein Andenken haben wollen, so seins halt so gut und suchens sich was Anderes aus!«

»Ich mag nichts Anderes. Wie viel hat denn damals Ihr Mann bezahlt?«

»Für beide Bildern einen halben Thalern.«

»Ich gebe Ihnen einen ganzen, nur für das eine Bild.«

»O nein! Ich verkaufs halt nicht.«

»Fünf Mark.«

»Nein, Herr.«

»Ich gebe Ihnen zehn Mark.«

»Heilige Maria! Zehn Mark! Das ist gar viel, gar viel! So viel könnens doch für solche Bildern nicht geben!«

»Ich zahle es Ihnen dennoch!«

»Führens uns nicht in Versuchung! Zehn Mark ist ein schönes Geld, aberst ich geb das Bild nimmer her!«

Da trat er einen Schritt näher an sie heran und sagte in dringlichem Tone:

»Liebe Frau, seien Sie doch verständig. Ich meine es gut mit Ihnen. Sie sind arm und können das Geld gebrauchen, und mir machen Sie eine Freude, wenn Sie mir das Bild ablassen. Ich will sogar noch ein höheres Gebot thun. Ich gebe Ihnen – hören Sie wohl! – ich gebe Ihnen zwanzig Mark.«

Sie hob den erstaunten Blick zu ihm empor.

»Zwan-zig – Mark!«

»Ja, zwanzig.«

»Wollens mich foppen?«

»Nein. Also, sagen Sie ja!«

»Zwan-zig – Mark! Hanna, wie viel Thalern sind das?«

»Sechs Thalern und zwanzig Silbergroschen,« antwortete die Tochter.

»Und wie viel ists nach dem früheren Geld?«

»Wohl über elf Gulden.«

»Mein lieber Gott! So ein Geld! So ein gar großes Geld!«

»Ja, es ist ein guter Preis,« stimmte der König bei. »Also schlagen Sie ein!«

Er hielt ihr die Hand hin. Sie achtete aber nicht darauf.

»So viel bietet Ihnen Niemand wieder.«

»Zwan-zig – Mark! Ueber elf Gulden! Was man sich dafür kaufen könnt!«

»Also wäre es sehr unklug von Ihnen, wenn sie auf diesen Handel nicht eingehen wollten.«

»Zwan-zig – Mark für den guten König Ludwig! Nein, ich kann nicht, ich kann doch nicht. Das Bild ist mir ans Herz wachsen und ich hab meinen König lieb. Ich verkauf ihn nicht, auch um zwanzig Mark nicht.«

»Aber, liebe Frau, ich begreife Sie nicht! Ich will Ihnen sogar noch etwas mehr bieten. Ich gebe Ihnen dreiß–«

»Halt!« rief sie.

Das klang so gebieterisch, daß er mitten in seinem ›Dreißig‹ inne hielt. Ihr Gesicht war blaß geworden und ihr Auge glänzte feucht.

»Führens mich nicht in Versuchung!« fuhr sie fort. »Das Geldl, was Sie uns bieten, das ist fast ein Vermögen für uns arme Leutln; aberst Sie dürfen nicht denken, daß wir dafür was hergeben, was uns immer heilig gewest ist. Thäten denn Sie das Bild verkaufen?«

»Ja.«

»Dann habens halt unsern guten König nicht lieb. Ich hab mich da sehr irrt in Ihnen. Da solltens sich schämen! Wer so einen gar braven König nicht gern hat, dem ists auch zuzutrauen, daß er solche arme Leutln in Versuchung führt. Gehens weg! Ich mag halt nix mehr von Ihnen wissen!«

Er war tief gerührt von dem heiligen Zorne, in welchem sich der Patriotismus dieser blutarmen Frau Luft machte.

»Aber, gute Frau, ich habe es ja ganz gut mit Ihnen gemeint,« entschuldigte er sich.

»Gut? Davon hab ich halt nix merkt.«

»Ich wollte Ihnen auf diese Weise Etwas geben, weil Sie für die Milch nichts genommen haben.«

»Gehens! Ich mag ja gar nichts haben! Sie wollen von dem König nix wissen.«

»Ich will ja grad im Gegentheile sein Bild haben!«

»Aberst uns wollens es nehmen. Sagens doch mal, wo habens denn Ihr Amt? Wohl drüben im Oesterreichischen?«

»Nein.«

»Oder im Norddeutschen?«

»Auch nicht, sondern hier in Bayern.«

»So! In Bayern sinds also! Und was für ein Amt ist denn das Ihrige?«

»Ich bin – bei der Regierung angestellt.«

»So, bei dera Regierung! Da solltens sich aber doch freuen, wann wir unsern König lieb haben, und sollten sich nicht Mühe geben, uns sein Bildniß wegzureden!«

»Ich gebe Ihnen Recht. Sie sollen es also behalten. Wollen Sie mir verzeihen?«

»Na, wanns halt nun so ein Einsehen haben und selberst Einer von dera Regierungen sind, so will ichs Ihnen nimmer anrechnen. Suchens sich also nur ein anderes Andenken aus.«

»Ich danke Ihnen. Ich will lieber darauf verzichten, denn ich könnte abermals in Gefahr gerathen, Ihnen wehe zu thun. Ich will mich also mit dieser Nelke begnügen. Leben Sie wohl und vielen Dank!«

Er gab ihr die Hand, die sie treuherzig schüttelte.

»Behüt Gott!« sagte sie. »Und wanns halt bei dera Regierungen sind, so sehens wohl auch manchmal den König?«

»Ja.«

»Kommens vielleicht gar mit ihm zu reden?«

»Oft.«

»So seins so gut und grüßens ihn und sagens ihm, daß er gar nicht weiß, wie gut wir ihm sind und was für gar große Stücke wir auf ihn halten.«

»Ich werde es ausrichten.«

»Aber vergessens ja nicht!«

»O nein. Er wird es eher erfahren, als Sie es denken und ahnen. Leben auch Sie wohl, Hanna!«

Er reichte ihr die Hand und that, als ob er gehen wollte. Aber nach einigen Schritten blieb er stehen, drehte sich wieder um und sagte:

»Da fällt mir ein: Ich kann mich doch gleich bei Ihnen erkundigen.«

»Nach was? Wo wollens hin?«

»Ich will zu einer Wittfrau, welche Held heißt.«

»Wittfrau? Held? Hier in Oberdorf?«

»Ja.«

»Da giebts doch nur eine einzige Familie, die Held heißt. Diejenige Wittfrauen muß ich also sein.«

»Ah, Sie?«

»Ich denk mirs halt.«

Er zog das Schreiben aus der Tasche, blickte auf die Adresse und erkundigte sich:

»Heißen Sie denn Rosalie Held, geborene Rottmann?«

»Herrjesses, so heiße ich. Das bin ich selberst.«

»Wer hätte das gedacht! Ich komme nur Ihretwegen nach Oberdorf und sitze eine volle Stunde und noch länger bei Ihnen, ohne zu ahnen, daß Sie Diejenige sind, welche ich suche.«

»Was ists denn? Was giebts denn? Warum kommen Sie zu mir?«

»Ich habe Ihnen diesen Brief zu übergeben.«

»Diesen Briefen! Herrgott! Sie haben ein Amt! Kommt er etwan aus dem Amt?«

»Ja.«

»Ich bin doch nicht etwa verklagt worden?« fragte sie erschrocken.

»Nein. Es handelt sich nicht um eine gerichtsamtliche oder gar polizeiliche Angelegenheit.«

»Um was denn? Ists was Böses?«

»Nein, sondern vielmehr etwas Gutes.«

»Etwas Gutes! Das giebt schon einen Trosten. Aberst ich kann mir nicht denken, wie ich zu einem solchen Briefen komm!«

»Der Inhalt wird Ihnen wohl Aufklärung bringen. Nehmen Sie!«

Er reichte ihr den Brief hin.

»Wartens, Herr! Ich muß mir doch erst vorher die Fingern abwischen!«

Obgleich sie vollständig reinliche Hände hatte, wischte sie sich dieselben doch recht umständlich an der Schürze ab. Dann griff sie nach dem Briefe, hielt ihn aber nur an der Ecke fest und betrachtete ihn.

»Da ist doch gar keine Postmarken darauf!«

»Weil ich ihn bringe und nicht der Briefträger.«

»Ach so! Und was für ein großes Siegellacken mit Petschaften. Da könnt Einem beinahe angst und bange werden. Wie lautet denn die Adreß? Lies mal vor, Hanna!«

Sie gab der Tochter das Schreiben und diese las:

»An die Wittfrau Rosalie Held, geborene Rottmann in Oberdorf.«

»Ja, das ist ganz richtig,« nickte die Alte. »Diejenige bin ich. Aberst nun das Inwendige! Ich kanns kaum derwarten.«

»So öffnen Sie doch!« lächelte Ludwig.

»Ja. Aber womit macht man denn so einen Amtsbriefen aufi? Mit dera Scheeren oder mit dem Messer?«

»Das ist gleich.«

»So lauf, Hanna, und schneid ihn aufi?«

Die Tochter ging ins Haus und kehrte bald mit dem aufgeschnittenen Convert zurück.

»Soll ich den Brief herausnehmen?« fragte sie.

»Freilich mußt ihn herausnehmen, wannst ihn vorlesen sollst. Mach rasch!«

Hanna zog den Bogen heraus und faltete ihn auseinander. Sie begann zu lesen:

»Der Wittfrau Ro–«

»Halt!« wurde sie von ihrer Mutter unterbrochen. »Wart noch einen Augenblick. Ich muß mich setzen. Man weiß doch nicht, was darinnen steht. Und wann ich sitzen thu, bin ich besser auf Alles gefaßt. So! Jetzund kannst nun beginnen!«

Hanna war nicht weniger als ihre Mutter begierig, den Inhalt des Schreibens kennen zu lernen. Sie begann von Neuem:

»Der Wittfrau Rosalie Held, geborene Rottmann in Oberdorf.
Nachdem es leider zu spät zu Unserer Kenntniß gekommen ist, daß der Arbeitsmann Peter Held von einem Unserer Hausbeamten derart verletzt worden ist, daß er fast gänzlich arbeitsunfähig wurde, so sprechen Wir in Anbetracht angegebenen Umstandes seiner Wittwe Rosalie, geborenen Rottmann, hiermit eine Pension von jährlich 600 Mark, sage sechshundert Mark, welche jährlich pränumerando zu zahlen ist, zu.
»Zugleich verfügen Wir, daß diese Pension als von dem Todestage des erwähnten Peter Held an laufend zu berechnen und seiner Wittwe nebst fünf Procent Verzugszinsen nachzuzahlen ist.
»Die hierzu nöthigen Gelder sind Meiner Privatschatulle zu entnehmen Genehmigt und gezeichnet
Ludwig, König von Bayern.«

Hanna hatte längst, das letzte Wort gelesen und stand noch immer mit offenem Munde da, den Brief in beiden Händen.

Ihre Mutter hatte sich langsam, langsam erhoben und starrte ihre Tochter wie abwesend an.

»Hanna, Hanna!« rief sie dann. »Das steht drinnen?«

»Ja, Mutter.«

»Das steht drinnen? Wirklich?«

»Ja,« antwortete Hanna, und zwar in einem Tone, als ob sie es selbst nicht glaube.

»Und wie lautet die Unterschriften?«

»Ludwig, König von Bayern.«

»Und Peter Held, dera Namen Deines Vatern steht auch dabei?«

»Hier ist er.«

Da schlug die Frau die Hände zusammen und rief:

»Herr mein Gott! Einen Brief von dem König! Einen Brief von meinem lieben, guten König! Ich, die arme, alte Wittwe, erhalt ein Schreiben von ihm! Ich – ich – ich!«

Und nun sprang sie auf die Tochter zu.

»Zeig her, zeig her! Wo steht der Namen? Wo steht dera Ludwig?«

»Hier!«

Hanna deutete mit dem Finger auf die betreffende Stelle.

»Zeig her den Brief!«

Sie nahm ihn der Tochter aus der Hand, hielt ihn breit vor sich hin und betrachtete die Unterschrift mit wonnefunkelnden Augen.

»Das hat er schrieben, unser König? Nicht wahr, Hanna? Er?«

»Ja. Das Andre hat ein Andrer schrieben; aberst den Namen, den hat er selbst daruntersetzt.«

»Er selberst, er selberst! Mein König hat dieses Papieren in seiner Hand habt und seinen Namen herschrieben! Welch ein Glück und eine Freuden. O mein Gott, mein Gott!«

Sie drückte den Bogen an ihre Brust. Sie legte die Lippen auf die Unterschrift und fuhr doch sofort erschrocken zusammen, als ob sie eine Sünde, eine Entheiligung begangen hätte. Sie blickte die Stelle besorgt an, ob sie vielleicht unter dem Kusse gelitten habe, und sagte dann:

»Hanna, hast denn einen Begriff davon, was das heißt, daß dera König, die Majestäten, einen Briefen an mich sendet?«

»Mutter, ich weiß, welch ein Heil und welche Gnade uns dadurch widerfährt!«

Ihre Augen standen voller Wasser. Es waren Freudenthränen.

»Ja, hast Recht! Ein Heil und eine Gnade ists! Diesen Briefen werd ich mir einrahmen lassen in einen schönen, goldenen Rahmen, und sollt michs so viel Geldl kosten, daß ich mein ganzes Sparkassenbuchen – o Jegerl, was hab ich da schwatzt! Ich bin halt ganz närrisch worden vor Freud und vor Entzücken. Da weiß man gar nimmer, was man sagt!«

»Aber,« fragte der König, welcher alle Kraft aufbieten mußte, seine Rührung zu beherrschen, »wissen Sie denn auch, was drin steht? Haben Sie da aufgepaßt?«

»Was drinnen steht? O ja, da hab ich freilich gar sehr aufipaßt.«

»Nun, was steht drin?«

»Mein Mann steht drin, mein Seliger.«

»Weiter!«

»Ich steh auch darinnen.«

»Immer weiter!«

»Und dera König steht drin. Dera König, mein Mann und ich. Sollt man so was denken? Sollt man so was für möglich halten? Man sollt es überhaupten gar nicht glauben, wann man es nicht sehen thut.«

»Hier steht es aber,« sagte Hanna.

»Freilich stehts da, mit Tinten aus Papieren schrieben. Schwarz auf Weiß. Mit einem Siegellacken drunter und dem König seiner eigenen Handschriften! Da muß mans glauben, selbst wann man es nicht glauben möcht!«

»Und weiter steht nichts drin?« fragte der König.

»Weiter? Was dann weiter? Daß mein Seliger schossen worden ist, das ist auch mit hinein schrieben.«

»Und dann?«

»Und dann? Ja, was war es denn noch? Hanna, schau gleich noch mal hinein!«

Die gute Frau war so beseligt von dem Gedanken, daß der König an sie geschrieben habe, daß sie die Hauptsache gar nicht beachtet hatte.

»Das hast wohl gar nicht mit anhört, von dera Pension?« fragte ihre Tochter.

»Von dera Pension? Da steht was drin?«

»Ja.«

»Dera Vatern hat um eine bitten sollen, hats aber nicht than.«

»Darum bekommst Du sie jetzt.«

»Ich? Bist wohl närrisch?«

»Nein. Ich habs doch lesen!«

»Das kann doch nicht drin stehen, denn wir haben nicht darum beten!«

»So hör doch mal! Hier heißts ja:

»so sprechen Wir in Anbetracht angegebenen Zustandes seiner Wittwe Rosalie, geborene Rottmann, hiermit eine Pension von jährlich 600 Mark, sage sechshundert Mark, welche jährlich pränumerando zu zahlen ist, zu

Da hörsts ja, daß von einer Pensionen die Red ist.«

»Ja, jetzund hör ichs wohl. Eine Pensionen soll ich erhalten, eine Pensionen! Wer hätte das gedacht!«

Sie faltete die Hände und blickte freudestrahlend auf ihre Tochter.

»Ja,« sagte diese, »eine Pensionen von sechshundert Mark.«

»Herrgott, sechshundert! Dieses Geldl soll ich erhalten?«

»Ja, meine liebe Muttern.«

»Und alle Jahren, alle Jahren?«

»Freilich, und zwar pränumerando.«

»Was heißt das, prämerando?«

»Vorher heißts. Du bekommst das Geldl nicht am letzten December, sondern wanns beginnt, am ersten Januaren.«

»Auch noch! Mein grundgütiger Himmel, was soll ich da anfangen mit dem vielen Geldl! Hanna, Hanna, ich kann gar nicht glauben!«

»Fast möcht auch ichs nicht glauben, aberst es steht ja da und die Unterschrift des Königs dazu.«

»Sogar mit seinem Siegellacken und großem Petschaften!«

Das große Siegel schien, da sie es so oft erwähnte, ihr ganz besonders imponirt zu haben.

»Ja, da müssen wir es freilich glauben,« fuhr sie fort. »Sechshundert Mark! Es ist zu viel, zu viel! Eine Pensionen von fünfzig Markln im Jahr, das schon könnt uns emporhelfen; aberst sechshundert Markln, das ist doch fast gar nicht auszuhalten, da wirds Einem ganz angst dabei. Wo soll ich dieses viele Geld hinthun? Was soll ich mit demselbigen anfangen!«

»Ich bin auch ganz außer mir vor Entzücken! O Mutter, Mutter, jetzund hat alle, alle Noth und Sorg ein End!«

Sie schlang die Arme um sie und weinte heiße Freudenthränen. Ihre Mutter fiel laut schluchzend ein. Dann wendete die Letztere sich an den König.

»Seins uns nicht bös, wann wir ganz so thun, als ob wir alleini hier wären! Eine solche Ueberraschungsfreuden läßt sich nicht stumm hinunterschlucken. Das muß heraus aus dem Herzen. Und nun sagens uns nur, obs wirklich wahr ist, daß wir so ein Heidengeld erhalten sollen!«

»Ich bestätige es.«

»Und noch dazu prämando auszahlt!«

»Ja. An jedem ersten Januar wird Ihnen diese Summe zugehen.«

»O mein guter Heiland! Eine solche Summe aller Jahren! Da werden wir ja die reichsten Leutln in dera ganzen Umgegend! Was wollen wir da denen Armen geben und schenken, und wie werden wir uns freuen, daß wir auch mal ein Gutes thun dürfen! Aberst sagens doch, wie ists denn kommen, daß wir eine Pensionen erhalten, ohne daß wir darum beten haben?«

»Der König hat von Ihnen erfahren.«

»So. Wer hats ihm denn sagt?«

»Ich glaube, Herr Ludwig, welcher in Hohenwald wohnt, ists gewesen.«

»Der! Dera Herr Ludwigen, den unser Ludwig rettet hat! Ja, dera Ludwig hats sagt, daß der ein gar vornehmer Herr sein soll. Hanna, da müssen wir uns gleich morgen in dera Früh aufimachen und zu ihm gehen, um uns zu bedanken. Wir müssen ihm auch ein Geschenken mitbringen. Weißt, was wir ihm mitnehmen?«

»Nun, was?«

»Ich hab in meiner Truhen noch sechs Ellen Leinwand liegen, die wir selbst derbaut und auch selber sponnen haben. Das reicht grad zu einem Hemd. Wann wir ihm das geben, so wirds ihn außerordentlich gefreun.«

»Mutter, wo denkst hin! Einem so feinen Herrn eine Leinwand schenken!«

»Warum nicht?«

»Noch dazu eine so grobe!«

»Was fallt Dir eini! Das weiß ich besser. Solche Leutln kaufen Alles in dera Stadt, wo Alles theuer ist und nicht echt. Da giebts in dera sogenannten Leinwanden eine ganze Menge Baumwollen mit. Das ist Alles nur Schund und Betrug. Wir aberst bringen ihm eine echte, reine Leinwanden, da ist kein Trug und keine Falschheiten dran. So eine Leinwanden hat er gar nicht. Das wird seine Haut kühl halten, und er wird sich ganz gewiß sehr darüber gefreuen.«

»O, er wird es gar nicht annehmen!«

»Nicht annehmen?« rief sie eifrig. »Dummes Ding! Was thust heut klug und gescheidt! Meine Leinwanden nicht annehmen! Wo denkst nur hin! Ich wickle sie gar schöni ein in ein sauber Papieren. Wir haben zwar keines. Aberst ich werd zum Herrn Pfarrer gehen, der liest die Zeitung und wird mir wohl ein Blatt schenken, das er nicht mehr braucht. Dann putzen wir uns brav heraus und gehen nach Hohenwald. Herrgott, wird das ein Feiertag sein. Aber lieber Herr, sagens doch, warum unser guter König gleich so viel schicken will!«

»Für ihn ist das nicht zu viel. Er hat Euch gründlich helfen wollen.«

»Nun, das kann uns nur gefreun. Und hat er sich das auch selberst ausdacht, nämlich das mit dem Prämando?«

»Natürlich.«

»Nein, nein, was für einen gar lieben König wir haben! Das ist schon gar nicht zu sagen. Sogar an das Prämo hat er gedacht!

Je größer ihr Entzücken wurde, desto kürzer, wurde das Pränumerando. Prämerando, Prämando und Prämo. Doch trotz ihrer Herzensfreude war sie Wirthin genug, um sich zu erkundigen:

»Also bekommen wir die sechshundert Markln wohl am nächsten Januaren?«

»Nein,« antwortete die Tochter. »Hasts denn nicht hört, daß wir mehr, viel mehr bekommen?«

»Wie denn? Wo steht das schrieben?«

»Hier. Da lautet es:

»›Zugleich verfügen wir, daß diese Pension als vom Todestage des erwähnten Peter Held an laufend zu berechnen und seiner Wittwe nebst fünf Procent Verzugszinsen nachzuzahlen ist.‹«

»Das versteh ich halt nicht,« meinte die Mutter. Diese Pensionen soll laufen! Wanns mir nur nicht davonlauft! Und Procenten soll ich zahlen? Da werd ich doch vorsichtig sein, sonst könnt ich am End gar Zinsen zahlen und gar keine Pensionen bekommen.«

»Du hasts falsch verstanden, Mutter. Ich muß es Dir derklären, Nämlich diese Pensionen bekommst nicht von heut an, sondern vom Tage an, an dem der Vatern damals storben ist.«

»Du, das ist nicht wahr.«

»O ja. Hier stehts.«

»Und dennoch ists nicht wahr. Ich hab ja doch nix bekommen.«

»Du bekommsts ja nun nachzahlt!«

»Nachzahlt? Das ganze Geldl, was ich da bisher erhalten hätt?«

»Freilich.«

»O Jemine! Wann das wär, so thät mir ja dera Verstand stehen bleiben!«

»Mir ists auch ganz so zu Muthe. Mir ist, als ob sich der ganze Kreis um mich drehen thät. Mir wird ganz schwach und schwindelig.«

Die Mutter nahm sie beim Arme und rief:

»Mach mir keine Dummheiten nicht. Jetzt wirst vor Schwindel herfallen! Wir haben das Geld noch gar nicht erhalten. Wann wirs haben, nachhero kannst den Schwindel bekommen, eher aber nicht!«

»Aber, bedenke doch, Mutter, wie viel das ist! Sechshundert Mark fürs Jahr und dera Vatern ist nun allbereits schon seit neun Jahren todt.«

»So bekommen wir es wohl gar neunmal auszahlt?«

»Ja, das ists eben, was mich ganz schwindelig macht.«

»Da steigt mir auch das Blut in die Hauben. Neunmal. Wie viel wäre das denn?«

»Fünftausendundvierhundert Mark.«

Da schüttelte die Alte den Kopf, machte eine halb zornige Bewegung und sagte:

»Halts Maul! Willst mich an dera Nasen zupfen? Oder kannst nimmer rechnen?«

»Das kann ich schon noch.«

»Hast Dich aber doch verrechnet!«

»Nein. Du kannsts ja nachrechnen!«

»So hoch komm ich nicht.«

»O doch. Sechs Hundert sinds und neun Jahren sinds auch. Wie viel ist sechs mal neun?«

»Das ist vierundfünfzig.«

»Also machts vierundfünfzig Hundert.«

»Ja, das ist aberst noch lange nicht tausend. Und Du hast gar von fünftausend sprechen wollt.«

»O Muttern, was thust Dich blamiren! Fünftausendundvierhundert das ist ja eben vierundfünfzig Hundert.«

»So! Wannst so weiter rechnen thust, so lauf ich vor Verwunderung an denen vier Wänden empor.«

»Und dazu kommen gar noch die Verzugszinsen. Fünf Procent von sechshundert Mark auf neun Jahren, das macht in Summa zweihundertundsiebenzig Mark.«

»Auch das erhalten wir?«

»Ja.«

»Hanna, Hanna, mir wirds innerlich ganz weich und armselig im Magen. Ich muß mich ein Wengerl niedersetzen, sonst kann mir gar was passiren. Das ist doch grad, als ob das Geld heut nur so vom Himmeln herabfallen thät. Geh eini, Hanna, und hol mir das Stuckerl Kalmus, was in dera guten Kaffeetassen liegt, die neben dem Gebetbuch steht. Ich muß ein Wengerl Kalmussen kauen, damit dera Magen wiederum in Ordnungen kommt. Mir ists, als ob er im Leib hin und her schwingen thät wie eine Glocken, wann zur Kirch läutet wird.«

Die Tochter wollte ins Haus treten, um den Wunsch ihrer Mutter zu erfüllen, diese aber rief ihr zu:

»Halt! Den königlichen Briefen nimmst halt nicht mit hineini. Der bleibt heraußen bei mir. Leg ihn mir hier auf den Tisch, damit ich ihn vor meinen Augen hab.«

Hanna legte den Brief hin und ging in die Stube. Die Alte legte beide Hände auf das Schreiben, als ob sie ein heiliges Gut bewahren müsse, und sagte zum Könige, der der rührenden Scene stehend beigewohnt hatte:

»Setzens sich doch noch ein Wengerl zu mir her! Ich glaubs halt, daß Alles so ist, denn das Siegellacken ist ja auf den Brief gemacht, und doch möcht ich Sie fragen, obs auch wirklich und gewißlich wahr ist.«

»Sie dürfen nicht zweifeln.«

»Auch an denen Fünftausend nicht?«

»Nein. Es wird sogar noch mehr.«

»Was? Noch mehr?«

»Ja, noch sechshundert mehr.«

»Herrgott! Das wächst ja wie die reine Ueberschwemmung! Wanns so fortgeht, so wirds bald eine Millionen sein!«

»Nun, so hoch kommt es wohl schwerlich.«

»Ja, machens nur so weiter, dann haben wir sie morgen oder übermorgen sicher! Gieb her! Das wird mich stärken!«

Sie nahm das Kalmusstück und das Messer, welches beides Hanna ihr gebracht hatte, schnitt sich ein Stück ab und schob es in den Mund. Dann fuhr sie kauend fort:

»Wie viel wirds nachhero zusammen sein?«

»Das ist leicht auszurechnen,« antwortete Ludwig. »Ihr Mann ist seit neun Jahren todt, das macht neunmal sechshundert; eine Jahrespension bekommen Sie pränumerando, das macht zehnmal sechshundert. Und dazu kommen zweihundertundsiebzig Mark Verzugszinsen, macht zusammen sechstausendzweihundertundsiebenzig Mark.«

»Sechstau – – Herr, sinds, denn gescheidt im Kopfe?«

»Es ist schon so!« nickte der König, innerlich hoch vergnügt.

»Ists wahr, Hanna?«

»Ja, Mutter.«

»Da muß ich doch gleich – –«

Sie schnitt eiligst noch ein Stück Kalmus ab, schob es der Tochter hin und fuhr fort:

»Da, kau schnell, sonst fallt auch Dir dera Schreck in den Magen. Und wann der einmal drinnen ist, so kann er nicht wieder heraus!«

Hanna war vor Freude ganz außer sich. Sie weigerte sich nicht, das sonderbare Mittel zu nehmen. Sie schob den Kalmus mechanisch zwischen die rothen Lippen und weißen Zähne und begann, zu kauen. Das sah so urkomisch aus, daß der König in ein herzliches Lachen ausbrach. Hanna erröthete vor Verlegenheit: ihre Mutter aber fragte:

»Was lachens denn? Wohl über meinen Kalmussen?«

»Ja.«

»Den dürfens mir nicht verlachen. Der macht die Nerven stark und ist das allerbeste Mittel gegen alle Zufälligkeiten des Leibes und dera Seelen. Den hab ich schon gut erprobt. Sie wissen es halt gar nicht, was es zu bedeuten hat, wann zwei so arme Würmern, wie wir halt sind, ein solches Geld – – aberst, da fällt mir eini: Wann wir das prämando erhalten sollen, so muß das also – hm! Wann werden wir es denn erhalten?«

»Sofort.«

»Was heißt das? Wann die Herren vom Amt sagen sofort, so heißt das gewöhnlich, daß es in mehreren Monaten oder Jahren geschehen soll.«

»Nein, hier heißt es so viel wie gleich.«

»Da meinens, daß wir das Geldl heut noch erhalten werden?«

»Ja.«

»Von wem denn?«

»Von mir.«

»Sie habens mit?«

»Ja.«

»Und wollens hierher legen? Daher auf diesen Tisch? Vor meinen Augen?«

»Gewiß.«

Sie starrte ihn an, ganz fassungslos, dann raffte sie sich mit aller Gewalt zusammen, schnitt schnell ein Stück Kalmus ab, schob es ihm in den Mund und rief:

»Da, kauens auch einen Kalmussen! Mir scheint, es ist Ihnen ein Rad sprungen hinter dera Stirn dahier.«

Sie tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Stirn. Er biß lachend auf die sonderbare Medicin und antwortete:

»O hier ist Alles ist Ordnung und hier auch.«

Bei diesen Worten deutete er zunächst auf seine Stirn und schlug dann gewichtig an die Brusttasche seiner Joppe.

»So! Alles richtig? Da und dort! In dera Taschen soll wohl das Geldl stecken?«

»Ja.«

»So zeigens doch mal her! Zählens mal vor! Ich kanns nicht glauben!«

Er zog seine Brieftasche heraus, öffnete sie und begann, zweiundsechzig Hundertmarkscheine auf den Tisch zu legen. Dann zog er die Börse und fügte aus derselben noch siebzig Mark hinzu.

»So!« sagte er, von dieser Arbeit aufblickend. »Das ist Ihr Eigenthum. Nehmen Sie es an sich!«

Aber er erschrak über das Aussehen der alten Frau. Sie war mit dem Oberkörper in die Lehne des Stuhles gesunken. Ihre Wangen waren todtesblaß und ihr Kopf hing schlaff auf die Brust herab.

»Mutter, Mutter, meine liebe, liebe Mutter!« rief Hanna voller Angst.

»Sie ist ohnmächtig geworden,« beruhigte sie der König, indem er die Hand der Frau ergriff, um nach dem Puls zu fühlen. »Ja, es ist eine Ohnmacht. Aengstigen Sie sich nicht, sondern bringen Sie schnell kaltes Wasser herbei.«

Hanna brachte das Gewünschte und befeuchtete Stirn und Wangen ihrer Mutter. Diese kam bald wieder zu sich.

»Was ist mit mir? Was war es denn?« fragte sie.

»Du warst in eine Ohnmachten fallen.«

»Nein, das war keine Ohnmachten. Ich bin niemals in einer Ohnmachten gewest. Jetzund war ich weg, weit fort, im Himmel droben. Da saß dera Herrgott und neben ihm der gute König und viele tausend Engel standen umher. Und da kam die Himmelskönigin, legte mir die Hand auf den Kopf und sagte, ich sollt recht fleißig beten für meinen König und dem Herrgott täglich danken für die Gnad und Barmherzigkeit, die mir heut erwiesen worden ist. Darauf bin ich aufiwacht und nun wiederum bei Euch. Ich seh das viele Geldl daliegen. Das soll unser sein. Das Herz möcht mir springen vor Glück und Seligkeit. Dir nicht auch?«

Hanna schlang die Arme um die auf dem Stuhle wie eine Verklärte sitzende Mutter, zog deren Kopf an ihre Brust und antwortete schluchzend:

»Mutter, ich kann Dir gar nicht sagen, wie mirs ist. Ich bin wie eine Selige des Himmels. Ja, wir wollen beten und danken, nicht nur dem Herrgott und dem Könige und dem Herrn Ludwig in Hohenwald, sondern auch diesem Herrn da, der uns die frohe Botschaft herbeibracht hat.«

»Hast Recht, hast Recht. Er ist kommen wie ein Gottesbote. Darum müssen wir ihm auch dankbar sein.«

Sie streckte ihm ihre Hände entgegen. Er drückte sie ihnen freundlich und unterbrach ihre Dankesworte durch die Bemerkung:

»Jetzt müssen Sie mir vor allen Dingen quittiren, Frau Held, denn die Quittung wird zu den betreffenden Scripturen geheftet.«

»Ja, quittiren möcht ich gar wohl, aber das geht ja nicht.«

»Warum?«

»Ich kann wohl ein Wengerl lesen, schreiben aber nicht.«

»So machen Sie ein Kreuz, und ich schreibe darunter, daß das Ihre Unterschrift sei.«

»Na, ein Kreuzerl könnt ich schon machen, aberst auch das geht nicht.«

»Auch nicht? Aus welchem Grunde?«

»Weil ich keine Tinten da in meiner Wirtschaften hab. Unsereins hat gar nix zu schreiben. Vor langer Zeit hab ich mir wohl mal für einen Pfennig Tinten kauft, aber die ist nun längst eintrocknet und wann ich auch ein Feuer anmachen wollt, um sie wiederum aufzukochen, so fehlt mir doch nachhero die Schreibfedern!«

»Nun, da kann ja geholfen werden. Ich trage stets eine Patentfeder bei mir, zu welcher man keine Tinte braucht. Man taucht sie nur ins Wasser. Und Wasser haben Sie doch wohl hier?«

»So viel, wie's nur haben wollen. Hanna, bring mal einen Eimer voll herbei!«

»Danke, danke!« lachte Ludwig. »Ein einziger Tropfen genügt vollständig.«

Die Tochter brachte eine Tasse voll Wasser. Der König zog das Quittungsformular heraus, füllte es aus und schob es dann nebst der Feder der Frau hin.

»So! Machen Sie Ihr Kreuz hierher,« forderte er sie auf, indem er ihr die betreffende Stelle mit dem Finger angab.

»Das sollens gleich herschrieben haben,« sagte sie. »Wie groß solls denn sein, wie lang, breit und dick?«

»Nur deutlich. Das genügt.«

»Hanna, bring mal meine Gesangbuchsbrillen heraus und das Handtuchen, damit ich sie mir putzen kann!«

Beides wurde gebracht. Die Brille war eine uralte, sogenannte Nasenquetsche. Sie wurde gehörig abgerieben, als ob sie jahrelang im tiefsten Schlamme gelegen hätte. Dann wurde sie auf die Nase gesetzt.

Nun gab sich die gute Frau eine Positur, als ob sie die Aufgabe habe, ein unendlich schwieriges wissenschaftliches Problem zu lösen, stieß die Feder bis an die Hälfte des Halters in das Wasser, trocknete den Letzteren mit der Schürze wieder ab und – – that einen so kräftigen Strich, daß sie mit der Feder durch das Papier fuhr und im Holze der Tischplatte stecken blieb.

»O Jerum Je–!« rief sie. »Das ist ein gar zu dünnes Papieren. Da bin ich ja gleich durchgerannt und die Federn steckt im Tisch. Was ist da zu machen?«

Der König lachte fröhlich auf.

»Ja, wenn Sie beim Schreiben so thun, als ob Sie mit dem Spaten ein Gartenbeet bearbeiten wollen, da fahren Sie freilich durch das Papier. Leise, viel leiser!«

Er zog die Feder aus dem Tische, prüfte sie, ob sie noch brauchbar sei, tauchte ein und gab sie ihr in die Hand.

»Schön! Ich werds ganz leise und sanftmüthig machen. Es soll kein Loch mehr werden.«

Ein Loch wurde es freilich nicht, aber sie setzte ein Kreuz hin, zehn Centimeter lang und acht Centimeter breit.

»So!« sagte sie, vor lauter gelehrter Anstrengung tief aufathmend. »Jetzt ist quittirt. Nun ist das Geld mein?«

»Ja, Sie können es nehmen. Bewahren Sie es gut auf. Was werden Sie damit machen?«

»Das werd ich mir überlegen. Ich werds wohl gleich zum Herrn Pfarrer tragen. Nachhero – – oh, jetzt weiß ich es, was geschieht. Hanna, nicht wahr, dera Ludwig, Dein Brudern, braucht kein Geldl von mir? Er freit ja ein reiches Dirndl.«

»Wirst ihn wohl selberst fragen müssen.«

»Ich weiß schon, was er sagen wird.«

»Was denn?«

»Er wird sagen, daß ich es Dir geben soll. Da kann dera Höhlbauer seinen Hof frei machen und Du wirst die junge Bäuerin. Meinst nicht auch?«

Im Gesichte des Mädchens kam und ging das Erröthen.

»O Muttern, liebe Muttern!« stammelte sie.

»Willsts wohl nicht haben?«

»Es gehört ja Dir.«

»Schwatz mir nicht dareini! Was mein ist, das ist auch Dein. Wann ichs Dir geb, so werd ich wohl stets ein Stückerl Brod von Dir bekommen, so oft ich Hunger hab. Und wann das Jahr vorüber ist, so bekomm ich doch schon wiederum sechshundert Markerln. Willsts nehmen oder nicht?«

»Da muß ich erst mit dem Bruder reden und auch mit dem Stephan, was diese Beiden dazu sagen. Herrgott, wer hätt vorhin denkt, baß es so schnell geht?«

»Was?«

»Das mit dera Fee.«

»Mit dera Fee? Was plauderst von einer Fee? Hast etwan eine gesehen?«

»Nein, aber gehört.«

»Wo?«

»Droben am Berg.«

»Hast wohl träumt?«

»O nein. Dera Stephan war auch mit dabei. Der hat sogar mit dera Fee sprochen und ich hab auch Ja sagen mußt.«

»Ich weiß nicht, wast willst. Red deutlicher.«

Hanna nickte verlegen nach dem Könige hin und antwortete:

»Nachher, Muttern, sollst Alles derfahren. Ich weiß nun, daß es Himmelsboten giebt. Ich kanns beweisen. Nimm jetzund das Geld. Wir wollens in der Truhen einischließen.«

»Ja. Hol mal das neuwaschene Betttuch heraufi. Dahinein wollen wirs schlagen.«

»Ein Halstuch oder Kopftuch ist doch wohl auch groß genug dazu.«

»Nein. Es muß viel, viel Mal eingewickelt werden, damit Keiner dazukommen kann. Wann man reich ist, so beginnt auch gleich die Angst um die Spitzbuben. Wir steckens ganz unten hinein in die Truhen und thun dann die drei Hängschlössern hinan. Wann wir nachhero noch ein paar Nägel in den Deckel schlagen und einen Strick darum binden und mit Siegellacken ankleben, nachhero möcht ich den Spitzbuben sehen, der uns das Geldl nehmen kann, ohne daß wir ihn dabei derwischen.«

Ludwig hatte einige Worte der Bescheinigung unter das Riesenkreuz gesetzt und steckte dann die Quittung zu sich. Er mußte sich mit aller Gewalt zusammennehmen, nicht in ein lautes Lachen auszubrechen, als Hanna jetzt wirklich mit einem großen, neuwaschenen Betttuche erschien, in welches das Geld mit größter Sorgfalt gewickelt wurde.

»So!« meinte die Alte befriedigt. »Was man hat, das muß man auch verwahren, sonsten kann man leicht drumkommen. Geh mit hinein, Hanna. Wir wollens einschließen. Dera Herr wird nicht bös sein, wenn wir ihn eine Minuten alleini lassen.«

Sie verschwanden im Innern der Hütte.

Ludwig wartete eine Weile. Sie kamen nicht wieder. Da näherte er sich leise der Thür und blickte hinein.

Da, wo das Weihwassergefäß hing und das Crucifix darüber, knieten Beide betend an der Erde. Vor ihnen auf einem Stuhle, den sie an die Wand gerückt hatten, lehnte so, daß es deutlich zu sehen war – das Bild des Königs. Sie hatten es von der gegenüberliegenden Wand herabgenommen.

Er trat leise zurück, fuhr sich mit dem Taschentuche nach den Augen und entfernte sich dann eiligst.

»Wie klein und gering die Gabe und doch wie groß das Glück!« sagte er für sich. »Sie werden nicht die Einzigen sein, denen ich heute Freude bringe. Jetzt nun hinüber nach Eichenfeld!«

Eine ziemlich gut fahrbare Strecke führte in die angegebene Richtung. Er folgte ihr. Sie stieg erst steil an. Als er oben auf der Höhe angekommen war, blieb er stehen und blickte zurück.

Man mußte jetzt sein Verschwinden bemerkt haben. Und wirklich sah er jenseits des Dorfes eine weibliche Gestalt mit eiligen Schritten über die Wiese laufen. Ein einsam stehendes Gut schien ihr Ziel zu sein. Er erkannte sie.

»Das ist die Hanna. Jetzt sucht sie den Geliebten auf, um ihm versprochener Maßen die Botschaft zu bringen, daß sich das Wort der Fee erfüllt hat. Werdet glücklich, Ihr braven, treuen Herzen! Ihr seid es werth!«

Er schritt weiter. Nach der eingezogenen Erkundigung hatte er bis Eichenfeld gegen drei Viertelstunden zu gehen. Der Weg führte unausgesetzt durch Tannenwald, dessen Ränder zur Seite der Straße mit Gebüsch besetzt waren.

Ungefähr eine Viertelstunde lang war der König gegangen. Da erblickte er einen Mann vor sich, welcher langsam und etwas unsicheren Schrittes dieselbe Richtung verfolgte. Da Ludwig schneller ging, hatte er ihn bald eingeholt.

Als der Mann Schritte hinter sich hörte, blieb er stehen und drehte sich um. Ludwig sah ein farbloses, aufgedunsenes, bartstoppeliges Gesicht, aus dem zwei kleine Augen stechend ihre Beobachtungen machten. Der Leib des Menschen war angeschwemmt, die Beine krumm, das Haar wirr. Der Anzug war früher einmal ein eleganter Gesellschaftsanzug gewesen, jetzt aber sah er abgeschabt und schäbig aus und war sogar an einigen Stellen zerrissen. Auch die Nähte der Stiefel waren aufgegangen. Die Fußbekleidung schien überhaupt seit längerer Zeit weder Wichse noch Schmiere gekostet zu haben.

Der Besitzer dieses Anzuges machte einen höchst verkommenen Eindruck. Wer ihn sah, hatte sofort das Gefühl, daß man sich vor ihm in Acht zu nehmen habe. Er trug in der einen Hand ein in ein blaues Schnupftuch eingebundenes Päcktchen und in der anderen einen fast übermäßig starken, knorrigen Knotenstock.

Sein Gang war unsicher, ganz wie derjenige eines Menschen, welcher zu tief in das Glas geschaut hat, und wirklich bemerkte Ludwig sofort, das; der Mann von einer widerlichen Schnapsatmosphäre umgeben war.

Der Strolch riß den schäbigen Filz vom Kopfe, streckte die Hand aus und machte dabei ein möglichst jammervolles Gesicht.

»Ein armer Reisender bittet um einen Zehrpfennig,« sagte er.

Ludwig wäre lieber an ihm vorüber gegangen, aber in einer jener plötzlichen und unbegreiflichen Regungen zog er seine Börse und gab ihm ein Fünfzigpfennigstück.

Der Mann war höchst erstaunt über diese nach den gegebenen Verhältnissen hohe Gabe. Er schwenkte höchst ergeben den Hut und sagte:

»Besten Dank, mein Herr! Ich sehe, daß Sie ein nobler Mann sind. Wohin wollen Sie? Vielleicht haben wir gleichen Weg. Ist dies der Fall, so können wir mit einander gehen.«

Der König hielt diese Frechheit mehr für eine Lächerlichkeit. Er überflog die Gestalt des Mannes mit einem lächelnden Blick und antwortete:

»Wohl weil dann zwei noble Herren zusammen sind?«

»Ja.«

Dieses Ja kam so überzeugungsvoll heraus, daß Ludwig lachen mußte.

»Sie lachen? Wohl über mich?«

»Ueber mich selbst jedenfalls nicht.«

»Also doch über mich!«

»Natürlich.«

Der Mann hatte Etwas an sich, was der König nicht definiren konnte, was ihn aber abhielt, ihn so zurückzuweisen, wie er es eigentlich verdient hätte und wie es von Ludwig auch gewiß in jedem andern Falle geschehen wäre. Es lag in seinem Gesichte, in seinem ganzen Wesen etwas Räthselhaftes, was den Menschenkenner aufforderte, es zu lösen und also bei diesem Manne zu bleiben, obgleich sein Anblick eigentlich abstoßend wirkte.

»Lachen Sie nur,« sagte derselbe. »Sie haben jawohl jetzt eine Veranlassung dazu. Wenn Sie mich aber früher gesehen hätten, so würden Sie mehr Respect vor mir haben.«

»So!« dehnte der König.

»Ja, gewiß.«

»Was sind Sie denn?«

»Jetzt bin ich Privat-Secretär.«

»Das heißt, Schreiber?«

»Ja, so sagt der gewöhnliche Mann. Aber wenn ich zum Beispiel irgend einem Manne, der die Kunst des Schreibens nicht versteht, einen Brief verfasse, so bin ich Secretär. Nicht?«

»Ja.«

»Und weil ich für Privatleute schreibe, so bin ich also Privatsecretär.«

»Wenn Sie das in dieser Weise begründen, so muß ich Ihnen freilich Recht geben. Wo wohnen Sie, denn?«

»Hm! Ich wohne nicht.«

»Sie müssen doch ein Unterkommen haben.«

»Ich habe augenblicklich weder ein Unter-, noch ein Auskommen. Die fünfzig Pfennige, welche Sie mir gaben, sind mein ganzes Besitzthum.«

»Aber eine Heimath haben Sie doch!«

»Was man einen Unterstützungswohnsitz nennt, hm, den habe ich nicht.«

»Sie müssen doch auf irgendwelche Weise irgendwo gewohnt haben!«

»Ich danke für diese irgendwelche Weise! Sie hat mir ganz und gar nicht gefallen.«

»Nach dem Gesetze haben Sie Ihren Unterstützungswohnsitz da, wo Sie zum letzten Male zwei Jahre lang gewohnt haben!«

»Zwei Jahre lang habe ich nirgends gewohnt, außer an dem Orte, von welchem ich jetzt komme. Und für diesen danke ich. Ich mag nicht wieder hin!«

Der König war in seinem gewohnten Schritt rasch weiter gegangen. Der Andere hatte sich bemüht, an seiner Seite zu bleiben. Es kostete ihm dies einige Anstrengung; aber er schien nicht Willens zu sein, auf eine solche Reisegesellschaft zu verzichten. Ludwig wollte ihn nicht geradezu zurückweisen. Dazu kam der bereits erwähnte Umstand, daß der Mann Etwas an sich hatte, was den Psychologen reizte, es kennen zu lernen. Darum zog Ludwig seine Schritte ein und fragte:

»Wie heißen Sie denn?«

»Ich heiße Hermann Arthur Willibold Keilberg.«

Dieser Name kam Ludwig bekannt vor. Er mußte ihn, und zwar vor nicht sehr langer Zeit, einmal gehört oder gelesen haben. Er sann darüber nach. Hermann Arthur Willibold Keilberg. Besonders auffällig war der letzte Vorname, Willibold anstatt Willibald. Wo war ihm nur dieser Name vorgekommen?

Ach, jetzt entsann er sich desselben. Vor einiger Zeit war ihm ein Gnadengesuch zur Unterschrift vorgelegt worden. Ein zu zehn Jahren Zuchthaus verurtheilter Schreiber hatte sich während seiner Gefangenschaft acht Jahre lang so gut geführt, daß der Director der Strafanstalt ihn zur Begnadigung vorgeschlagen hatte. Das Gesuch war vom Justizminister unterstützt worden, und so hatte Ludwig den Mann begnadigt und ihm die letzten zwei Jahre erlassen. Dieser Schreiber hatte – ganz richtig – Hermann Arthur Willibold Keilberg geheißen. Er war wegen Betrugs und Fälschung bestraft worden. Jetzt verstand der König, warum es ihn nicht gelüstete, nach demjenigen Orte zurückzukehren, an welchem er länger als zwei Jahre gelebt hatte. Das Zuchthaus ist eben für keinen Menschen ein sehr wünschenswerther Unterstützungswohnsitz.

»Sie wissen also nicht, wo Sie Ihre Heimath haben, Herr Keilberg. Aber wohin Sie wollen, das werden Sie wohl wissen.«

»Auch nicht. Ich gehe überall hin. Ich bin wie der Vogel, welcher dahin fliegt, wo er ein Körnchen findet oder einen Mehlwurm oder eine Raupe.«

»Und dabei fliegt er in die Falle, die man ihm gestellt hat.«

»Da ist er dumm und ungeschickt. Mich fängt kein Vogelsteller.«

»Hm! Sollten Sie noch niemals gefangen worden sein?«

Diese Frage war in einem solchen Tone ausgesprochen worden, daß Keilberg verwundert zu dem Könige aufblickte und ihm antwortete:

»Sehe ich denn aus wie ein Gimpel, welcher so leicht auf den Leim geht?«

»Hin! Geistreich ist Ihr Gesicht nicht.«

»Donnerwetter! Das ist eine Beleidigung!«

Er machte ein zorniges Gesicht und schwang den Knotenstock.

»Eine Beleidigung kann es nicht sein, weil ich keineswegs die Absicht habe, Sie zu kränken. Sie haben mich nach Ihrem Aussehen gefragt und tragen also selbst die Schuld, daß ich Ihnen eine so ehrliche Antwort gegeben habe.«

»Aber eine solche Ehrlichkeit ist zuweilen ganz am unrechten Platze!«

»Nie! Die Ehrlichkeit ist stets am richtigen Platze.«

»Das mögen Sie denken!«

»Denken Sie meinetwegen anders! Aber gerade der Grundsatz, welchen Sie damit ausgesprochen haben, läßt mich vermuthen, daß Sie leicht einmal an einer Leimruthe hängen geblieben sein können.«

»Da täuschen Sie sich in mir! Ich bin noch nie kleben geblieben. Sie sehen ja, daß ich mich in voller Freiheit befinde!«

»Hat man Sie etwa wieder frei gelassen?«

Der Mann blieb stehen, ergriff den König beim Aermel und fragte:

»Wie kommen Sie zu solchen Worten?«

»Weil ich glaube, Menschenkenner zu sein. Einem Vogel sieht man es sofort an, daß er lange Zeit im Käfig gesessen hat. Wenn er seine Freiheit auch wieder erlangt, so hat er doch das Fliegen verlernt.«

»Kann ich es etwa nicht mehr?«

»Nein. Sie taumeln ja!«

»Das kommt von den verdammten paar Glas Nordhäuser, welche ich getrunken habe. Sonst aber bin ich gewöhnlich sehr gut auf den Beinen. Ich werde es Ihnen beweisen. Kommen Sie nur! Ich laufe mit Ihnen gewiß um die Wette.«

Er machte jetzt so rasche und weite Schritte, als ihm nur möglich war, ließ aber bald wieder nach. Dabei brummte er:

»Eigentlich sollte ich das gar nicht leiden!«

»Was?«

»Das mit dem Vogelbauer.«

»Warum wollen Sie das nicht dulden?«

»Weil es nicht wahr ist. Ich bin nicht gefangen gewesen.«

»Nun, so entschuldigen Sie!«

»So Etwas ist gar nicht zu entschuldigen. So Etwas darf gar nicht vorkommen. Man darf nicht einem Menschen, den man gar nicht kennt, in's Gesicht sagen, daß er gefangen gewesen sei.«

»Wenn man es aber vermuthet!«

»Gehen Sie zum Teufel mit Ihrer Vermuthung! Denken Sie, weil Sie mir ein Viergroschenstück gegeben haben, so dürfen Sie mit mir machen, was Sie wollen?«

»Nein, das denke ich nicht. Aber als Sie mir Ihren Namen sagten, da dachte ich unwillkürlich an einen Rechtsfall, in welchen ein Schreiber verwickelt war, der ganz genau so hieß wie Sie.«

»Hermann Arthur Willibold Keilberg?«

»Ja.«

»Wann war das?«

»Vor etwas über acht Jahren.«

»So so!«

»Er wurde wegen Betrugs und Fälschung zu zehnjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt.«

»Hm!«

»Und ist jetzt vom Könige begnadigt worden.«

»Der Mann geht mich nichts an!«

»Sieht Ihnen aber ungeheuer ähnlich.«

»Donnerwetter! Kennen Sie ihn?«

»Das kann Ihnen gleich sein, da der Mann Sie ja gar nichts angeht.«

»Hören Sie, werden Sie nicht anzüglich!«

»Das werde ich nicht. Aber Sie haben auf Ihrer Wanderung jedenfalls Legitimationspapiere bei sich?«

»Natürlich.«

»Darf ich sie einmal sehen?«

»Hol Sie der Teufel! Sind Sie etwa ein verdeckter Gensdarm?«

»Nein.«

»Was denn?«

»Ich bin – – na, rathen Sie einmal!«

Keilberg musterte den König aufmerksamer, als er ihn bisher betrachtet hatte, und sagte dann:

»Ich will mich fressen lassen, wenn Sie nicht ein Jurist sind!«

»Warum denken Sie das?«

»Weil – weil Sie ganz darnach aussehen, und weil Sie sich auch jenes Rechtsfalles so genau erinnern. Nur ein Jurist bedient sich solcher Ausdrücke wie Sie. Und woher wissen Sie, daß ich begnadigt worden bin?«

»Sie?« fragte der König lächelnd.

»Ja, ich.«

»Ich habe doch nicht von Ihnen, sondern von jenem Hermann Arthur Willibold Keilberg gesprochen, der Sie gar nichts angeht!«

»Alle Teufel! Jetzt habe ich mich also doch verplappert!«

»Das denke ich auch. Wollen Sie noch weiter leugnen?«

»Nein, das wäre nun Unsinn.«

»Sie sind also jener Keilberg?«

»Ja. Aber Sie müssen nun auch zugeben, daß Sie Jurist sind. Nur ein Jurist kann Unsereinen in dieser Weise ausfragen.«

»Nun ja, ich bin Jurist.«

»Sehen Sie! Aber nun denken Sie sich wohl, ich fürchte mich vor Ihnen?«

»Das haben Sie nicht nöthig. Uebrigens bin ich bei keinem Gerichte angestellt.«

»Schön! Also Advocat, Rechtsanwalt?«

»Ja – – ja – – Anwalt bin ich jedenfalls.«

»Das freut mich! Wie heißen Sie denn?«

»Ludwig ist mein Name.«

»Also Rechtsanwalt Ludwig. Woher?«

»Aus München.«

»Sie haben wohl Ferien?«

»Ja.«

»Freut mich, freut mich, Sie getroffen zu haben, Herr Advocat! Ja ja, habe es mir doch gleich gedacht, daß Sie zur Juristerei gehören. Nur so Einer konnte sich meiner erinnern, trotzdem seitdem über acht Jahre vergangen sind. Wenn ich nur wüßte, ob Sie – –«

Er hielt inne.

»Was möchten Sie wissen?«

»Ob ich Ihnen – – na, es geht doch wohl nicht. Das kann ich mir denken.«

Er blickte im Vorwärtsgehen sinnend vor sich nieder. Es war ihm anzusehen, daß er sich Etwas überlegte. Er schien über irgend einen Punkt im Unklaren zu sein.

Ludwig störte ihn nicht. Er ahnte, daß er jetzt Etwas erfahren werde, was Keilberg lieber verschweigen möchte. Er wartete ruhig ab, was der Mann für einen Entschluß fassen werde. Endlich hob Keilberg den Kopf wieder empor, blickte Ludwig von der Seite prüfend an und fragte:

»Als Rechtsanwalt kennen Sie natürlich alle Gesetze?«

»Jawohl.«

»Giebt es auch ein Gesetz über die Verschwiegenheit?«

»Welche Verschwiegenheit meinen Sie?«

»Diejenige der Advocaten.«

Es giebt Paragraphen, welche einem jeden Beamten zur Pflicht machen, amtliche Geheimnisse zu verschweigen. Kann doch sogar der Angestellte irgend eines Privatmannes bestraft werden, wenn er die gefährlichen Geheimnisse seines Prinzipals verräth.«

»So! Das ist gut. Gesetzt den Fall, es kommt irgend Jemand zu Ihnen, der Sie Advocat sind, und fragt Sie um einen guten Rath. Dürfen Sie darüber mit Andern reden?«

»Nein.«

»Sie müssen es verschweigen?«

»Versteht sich.«

»Ah, da möchte ich jetzt die Gelegenheit ergreifen. So gut wie jetzt paßt es freilich nicht gleich wieder.«

»So wünschen Sie einen Rath von mir?«

»Schon mehr ein Gutachten.«

»So sprechen Sie.«

»Ja, Sie können mich sehr leicht dazu auffordern! Aber die Sache hat einen Haken.«

»Welchen?«

»Ich habe kein Geld. Ihr Advocaten seid die Richtigen. Ihr thut nichts umsonst, und Eure Preise sind so hoch gestellt, daß sie Unsereiner nicht erschwingen kann.«

»So schlimm ists doch nicht.«

»Jawohl. Für eine Antwort muß man Ihnen drei oder gar vier und fünf Mark bezahlen.«

»So viel nicht.«

»Ich habe es so gehört. Wenn ich Sie jetzt um einen Rath frage, so könnte ich Ihnen für denselben nur die fünfzig Pfennige geben, die ich erst von Ihnen erhalten habe.«

»Sie vergessen, daß wir uns jetzt nicht in meinem Bureau befinden.«

»Hier unter freiem Himmel ist es wohl umsonst?«

»Eigentlich auch nicht. Aber ich will berücksichtigen, daß Sie ein armer Teufel sind. Geld sollten Sie freilich auch haben.«

»Ich? Woher denn?«

»Nun, Sie haben doch im Zuchthause gearbeitet?«

»Und wie! Wenn man da sein Pensum nicht bringt, so ist gleich die Strafe dahinter.«

»Also haben Sie doch auch Etwas verdient!«

»Ja, aber wieviel! Täglich drei Pfennige habe ich bekommen. Das macht rund für dreihundert Arbeitstage drei Thaler jährlich.«

»In acht Jahren also vierundzwanzig Thaler oder zweiundsiebzig Mark.«

»Davon habe ich die Hälfte für Kleinigkeiten verwenden dürfen. Bleiben also nur sechsunddreißig Mark.«

»Die haben Sie natürlich bei Ihrer Entlassung mitbekommen?«

»Ja.«

»Nun, wo sind Sie?«

»Da fragen Sie mich?«

»Wie Sie hören.«

»Alle Teufel! Sie haben einen schönen Begriff vom Leben! Wovon lebt man denn eigentlich?«

»Vom Ertrage der Arbeit.«

»Und wenn man keine Arbeit erhält?«

»Das ist Ausrede. Arbeit giebts stets und überall.«

»Nur nicht für einen entlassenen Zuchthäusler. Zunächst will man sich, wenn man acht Jahre lang bei dem Zuchthausessen gebrummt hat, doch einmal eine Güte thun. Das kostet natürlich Geld. Nachher muß man leben, und wenn man nichts verdient, so lebt man eben so lang von der Schnure, wie sie reicht. Und ist sie zu Ende, so geht das Betteln an.«

»Auch Sie können Arbeit finden, wenn Sie nur ernstlich wollen.«

»Ich? Denken Sie denn, daß ein Advocat, ein Bürgermeister oder sonst Einer einen entlassenen Sträfling als Schreiber anstellt?«

»Mag sein, daß er das nicht thut. Aber warum wollen Sie gerade eine Stelle als Schreiber haben?«

»Weil ich Schreiber bin.«

»Wenn Sie keine solche Anstellung finden, so müssen Sie eben nach einer andern Arbeit greifen. Es kommt dann, wenn Sie sich gut führen, ganz von selbst die Zeit, in welcher man Ihnen Vertrauen schenkt. Dann können Sie ja wieder zur Feder greifen.«

»Sie haben gut Reden. Das ist Alles ganz anders als Sie denken. Wir wollen uns gar nicht darüber streiten. Die Sache ist die, daß ich keine Arbeit bekam und also meine paar Mark verlebt habe. Ich kann Sie für den Rath, den Sie mir geben sollen, nicht bezahlen.«

»So bekommen Sie ihn umsonst.«

»Wirklich?«

»Ja. Also sprechen Sie!«

»Vorher muß ich wissen, ob ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen kann.«

»Ganz gewiß.«

»Nun gut, so sagen Sie mir doch einmal, in welcher Zeit ein Verbrechen verjährt, so daß es nicht bestraft werden kann.«

»Das kommt auf das Verbrechen an und auf die Strafe, mit welcher es voraussichtlich belegt worden wäre.«

»Das verstehe ich nicht.«

Die Strafverfolgung verjährt nach Paragraph 67 des Reichsstrafgesetzbuches bei einem Verbrechen, welches mit dem Tode oder lebenslänglichem Zuchthause bedroht ist, in zwanzig Jahren.«

»Das ist mein Fall nicht.«

»Ist das Verbrechen mit einer längeren als zehnjährigen Strafe bedroht, so tritt die Verjährung in fünfzehn Jahren ein.«

»Auch das paßt nicht auf mich.«

»Alle anderen Verbrechen verjähren bereits in zehn Jahren.«

»Hm! Das paßt auf mich.«

»Haben Sie denn ein Verbrechen begangen, für welches Sie noch nicht bestraft worden sind?«

»Ja.«

»Was für eins?«

»Einen Diebstahl oder vielmehr eine Unterschlagung. Ich kann das sagen, weil es verjährt ist und nun nicht mehr bestraft werden darf.«

»Vielleicht irren Sie sich. Nämlich die Strafverfolgung verjährt in der angegebenen Zeit, nicht aber die Strafvollstreckung, wenn nämlich die Strafe rechtskräftig erkannt worden ist.«

»Das verjährt gar nicht?«

»O doch, aber später.«

»Nun, eine Strafe ist damals nicht erkannt worden.«

»Wie kommt das?«

»Weil ich gar nicht angezeigt worden bin. Was ich gethan habe, ist gar nicht an den Tag gekommen.«

»So! Wie lange ist es her?«

»Ueber zwanzig Jahre.«

»So können Sie freilich ruhig sein.«

»Schön! Das freut mich. Aber darf ich denn auch öffentlich davon reden, ohne daß man mich bestrafen kann?«

»Ja. Das werden Sie aber natürlich bleiben lassen!«

»Meinen Sie?«

»Ja. Es wird doch Niemand den Leuten erzählen, daß er eine Unterschlagung begangen hat.«

»Vielleicht doch!«

»Der Mann hätte nicht eine Spur von Ehrgefühl im Leibe.«

»Das mag richtig sein. Aber ich will auch nicht gerade öffentlich davon sprechen. Es sind nur einige Personen, zu denen ich davon reden möchte.«

»Auch das ist nicht gerade ein Beweis, daß Sie ein empfindliches Ehrgefühl besitzen.«

»Aber ich habe einen desto empfindlicheren Magen. Hunger thut weh. Ich will leben.«

»Ah, Sie wollen sich für die Mittheilung Ihres Verbrechens bezahlen lassen?« »Ja, weil ich damals für dasselbe schändlicher Weise nicht bezahlt worden bin.«

»Sie haben es im Auftrage eines Andern ausgeführt?«

»Ja. Und dieser Andere ist schuld, daß es nachher mit mir bergab gegangen ist. Ich war ein ehrlicher Kerl. Er hat mich zum Verbrecher gemacht. Er versprach mir goldene Berge und hat mich doch nicht bezahlt. Jetzt aber soll er mir bluten!«

»Nehmen Sie sich in Acht.«

»Ich fürchte mich nicht! Wenn er mich nicht bezahlt, zeige ich ihn an.«

»Sie vergessen, daß die Sache verjährt ist.«

»Das ist sie. Aber es ist damals ein ganz Unschuldiger bestraft worden. Wenn ich jetzig sage, wie es damals zugegangen ist, so wird die Unschuld dieses Mannes an den Tag kommen, und Alberg kann zwar nicht mehr bestraft werden, aber es ist alle mit ihm.«

»Alberg? Hm! Der Name kommt mir bekannt vor.«

»Ich hätte ihn verschweigen sollen; aber Sie dürfen ja nichts ausplaudern.«

»Das ist richtig. Wer ist der Mann?«

»Er ist von Adel.«

»Ah, ist es vielleicht der Baron von Alberg, welcher seinen Aufenthalt in Wien hat?«

»Ja. Er ist ein Oesterreicher.«

»Dieser, dieser ist Ihr Mitschuldiger?«

»Ja.«

»Hm! Hm! Wie ist das denn damals zugegangen?«

»Das werde ich mich hüten, zu sagen.«

Dem Könige lag natürlich gerade daran sehr viel, dies zu erfahren. Darum wendete er eine List an, indem er bemerkte:

»Nun, wenn Sie es verschweigen wollen, so kann ich nichts dagegen haben; aber dann hat auch die Auskunft, welche ich Ihnen gegeben habe, nicht den mindesten Werth.«

»So? Warum?«

»Weil eben der Baron ein Oesterreicher ist. Jenseits der Grenze gelten andere Gesetze.«

»Sapperment! So ists wohl auch mit der Verjährung anders?«

»Ja.«

»Und ich könnte womöglich doch noch bestraft werden?«

»Freilich. Eine richtige und treffende Auskunft kann ich Ihnen nur dann erst geben, wenn ich genau weiß, um was es sich handelt. Da Sie aber das verschweigen wollen, so müssen Sie eben verzichten.«

»Na, wenn es so ist, so wäre es ja die größte Dummheit, zu schweigen, zumal ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen kann. Soll ich es Ihnen erzählen?«

»Wie Sie wollen! Mir ist das sehr egal.«

»Aber für mich ist es wichtig, richtige Auskunft zu erhalten. Nämlich Alberg hatte ein Mädchen haben wollen, welche ihm ein Anderer vor der Nase wegnahm – – –«

»Wer war sie?«

»Eine gewisse Emilie geborene von Sendingen. Sie heirathete aus Liebe einen Herrn von Sandau, einen Offizier.«

»Ah, der Name ist mir bekannt, und ich erinnere mich ganz leidlich eines Falles, von welchem ich einmal erzählen hörte. Dieser Sandau wurde wegen irgend eines militärischen Verbrechens infam kassirt.«

»Ja, das stimmt.«

»Er erhielt, glaube ich, eine Freiheitsstrafe?«

»Auch das ist richtig.«

»Und sodann ist er verschwunden. Von seiner Familie hat man auch nichts mehr gehört.«

»Auch seine Frau verschwand; das weiß ich gar wohl.«

»Hängt dieser Fall mit Ihrer Unterschlagung zusammen?«

»Ja. Ich habe das begangen, wofür er bestraft wurde.«

Der König blieb erschrocken stehen.

»Mensch!« rief er aus. »Sind Sie des Teufels?«

»Pah!« lachte Keilberg. »Ich wurde verführt. Alberg versprach mir eine bedeutende Summe, hat mir aber freilich keinen rothen Heller ausgezahlt.«

»Und Sie haben es übers Herz bringen können, daß eine unschuldige Familie die entsetzlichen Folgen tragen mußte!«

»Meinen Sie, daß ich mich etwa selbst hätte anzeigen sollen?«

»Ja, das meine ich. Es war Ihre Pflicht, sich dem Strafrichter zu stellen.«

»Werde mich hüten! Das Zuchthaus ist kein angenehmer Aufenthalt!«

»Sie sind diesem Aufenthalte aber doch nicht entgangen. Hätten Sie damals Ihre Pflicht gethan, so wäre die Strafzeit doch einmal vorüber gegangen, und da das die erste und einzige verbrecherische That war, die Sie begangen hatten, so konnten Sie doch leicht ein ehrlicher Kerl werden. Es wäre Ihnen dann die verbrecherische Zukunft erspart geblieben.«

»Hm! Sie mögen vielleicht Recht haben; aber damals hatte ich verdammt wenig Lust, mich einsperren zu lassen.«

»Sagen Sie, wie sich Alles zugetragen hat.«

»Nun, ich war auch Soldat, nämlich Compagnieschreiber. Herr von Sandau war zum Generalstab abcommandirt und hatte da viel zu schreiben. Ich besaß eine gute Handschrift und war ein offener Kopf. Darum gab er mir sehr oft seine Concepte zur Reinschrift. Geheime Sachen aber bekam ich natürlich nicht in die Hand.«

»Aber Zutritt hatten Sie zu ihnen?«

»Ja. Es kam sogar vor, daß ich in seiner Wohnung schrieb. Er saß da an seinem Schreibtische, während ich an einen Seitentisch postirt wurde. Ich hatte Gelegenheit, Alles zu beobachten, und wußte ganz genau das Fach seines Schreibtisches, in welches er diejenigen Scripturen, welche geheim zu halten waren, einzuschließen pflegte.«

»Eine solche haben Sie gestohlen?«

»Ja.«

»Mein Gott! Sie haben ja gar keine Ahnung, was für Folgen eine solche That nach sich ziehen kann!«

»Wenigstens damals wußte ich es nicht so wie heute.«

»Es kann dadurch eine Schlacht verloren gehen.«

»Das glaube ich heute ganz wohl.«

»Ein ganzer Feldzug kann dadurch verunglücken, ja, die Existenz des Staates kann auf das Spiel gestellt werden!«

»Darnach fragte Alberg nicht.«

»Aber Sie hätten sich das sagen sollen.«

»Ich war jung und lebenslustig. Ich hatte eine Geliebte, welche beim Ballet angestellt war. Ihr Gehalt reichte weder vorn noch hinten zu. Sie hatte mich fest und ich gab ihr Alles, was ich erübrigen konnte. Ja, ich gab ihr noch mehr: Ich machte Schulden. Dadurch kam ich in Noth. Ich hatte einem Bekannten Etwas vorgeschwindelt, um Geld von ihm zu bekommen. Als ich es nicht zurückgeben konnte, drohte er mit der Anzeige. Ich wäre bestraft worden wegen falscher Vorspiegelung, wegen Betrugs oder so ähnlich. Ich befand mich in der größten Angst, und gerade da kam Alberg zu mir.«

»Kannte er Ihre Lage?«

»Weiß der Teufel, wie es zugegangen war, er wußte Alles. Er versprach mir, die Schuld zu bezahlen und mir noch außerdem tausend Gulden zu geben, wenn ich einige der geheimen Papiere, welche sich in Sandau's Schreibtisch befanden, abschreiben wolle.«

»Also nicht stehlen?«

»Die Originale nicht. Aber ein Diebstahl war es doch, eine Unterschlagung.«

»Noch schlimmer!«

»Damals aber kam es mir wie eine Entschuldigung vor, daß ich nur die Abschriften zu nehmen hatte.

»Und gelang Ihnen das so leicht?«

»Es ging leichter, als ich dachte. Herr von Sandau war einmal für einige Minuten aus dem Zimmer gegangen. Ich wußte genau, daß er mich nicht überraschen werde. Der Schlüssel steckte. Ich öffnete und nahm drei kleine Manuscripte heraus, die ich zu mir steckte.«

»Wie leicht konnte er bemerken, daß sie fehlten!«

»Ich wußte es, daß er nach kurzer Zeit für mehrere Stunden fortgehen werde. Es waren noch viele andere Manuscripte und Scripturen in dem Kasten. Er konnte das Verschwinden der Drei nur dann bemerken, wenn er nur grad sie augenblicklich gebraucht hätte. Das war aber nicht der Fall. Als er wieder hereinkam, saß ich an meinem Tische und war so in die Schreiberei vertieft, daß er nicht ahnen konnte, daß ich meinen Platz verlassen gehabt hatte.«

»Entsetzlich! Wie kann man so Etwas thun!«

»Pah! Es geschehen noch ganz andere Dinge. Was ich gedacht hatte, das geschah. Er zog den Schlüssel ab und entfernte sich. Seine mehrstündige Abwesenheit benutzte ich, die Abschriften der drei Manuscripte zu machen. Später kehrte er zurück und setzte sich wieder an die Arbeit. Als er sich dann abermals aus dem Zimmer entfernte, benutzte ich diese Gelegenheit, die Manuscripte wieder an ihren Platz zu legen. Am Abende erhielt Herr von Alberg die Abschriften.«

»Wußten Sie welchen Zweck er verfolgte?«

»Daß er Sandau einen Streich spielen wolle, das wußte ich, welchen aber, das war mir nicht bekannt.«

»Gab er Ihnen Geld?«

»Nein. Er sagte, er müsse Handschriftproben von Sandau haben. Wenn ich diese ihm verschafft habe, werde er mich bezahlen, eher nicht.«

»Und Sie verschafften Sie ihm?«

»Ja. Das fiel mir ja sehr leicht. Es lagen so viele alte Schreibereien Sandau's herum, die er nicht mehr brauchte. Am nächsten Abende erhielt Alberg, was er wollte. Ich aber bekam kein Geld. Er hätte es vergessen, sagte er; er hätte nicht geglaubt, daß ich ihm seinen Wunsch bereits heute erfüllen werde. Dann war er verreist. Ich habe ihn erst nach Jahren wiedergesehen.«

»Und Sandau?«

»Wurde plötzlich verhaftet.«

»Weshalb?«

»Er hatte dem Militärattache eines fremden Staates drei wichtige Arbeiten des Generalstabes zum Verkaufe angeboten.«

»Das waren diese Drei, welche Sie abgeschrieben hatten?«

»Ja.«

»Aber wie konnte man ihm beweisen, daß er es war, der das Angebot gemacht hatte?«

»Er hatte ja den Begleitbrief geschrieben, mit welchem er die Manuscripte einsandte. Dieser Brief war freilich gefälscht. Alberg hatte sich zu diesem Zwecke eine Handschriftprobe von ihm gewünscht.«

»Welch eine Niederträchtigkeit! Welch eine Bosheit und Verworfenheit!«

»Denken Sie davon, wie Sie wollen! Schlecht war es von mir, noch schlechter aber von Alberg. Und die größte Schlechtigkeit beging er, indem er mir das Geld nicht gab.«

»Geschah Ihnen ganz recht!«

»Oho! Jeder Arbeiter ist seines Lohnes werth!«

»Das wäre ein Sündenlohn gewesen.«

»Ich konnte meine Schulden nicht bezahlen und wurde angezeigt. Natürlich traf mich die erwartete Strafe. Ich wurde in Folge dessen ausgestoßen.«

»Das hatten Sie verdient!«

»Ich war Unteroffizier gewesen. Ich hätte später eine Anstellung erhalten; damit war es nun aus. Als ich meine Strafe überstanden hatte, etablirte ich mich als Privatschreiber. Was ich verdiente, das war zum Leben zu wenig und zum Verhungern zu viel. Ich suchte nach Alberg, um ihn zur Zahlung aufzufordern; aber ich suchte vergebens. Endlich aber erfuhr ich zufällig seinen Aufenthalt. Er war in Bad Eger. Ich reiste hin.«

»Aber er gab nichts?«

»Noch schlimmer. Er ließ mich hinauswerfen, als ich ihm mit der Anzeige drohte.«

»Und Sie zeigten ihn nicht an!«

»Ich hätte ja mich selbst anzeigen müssen.«

»Aber Sie wußten doch, welche Folgen Ihr Verrath für Sandau gehabt hatte?«

»Natürlich wußte ich es; aber ich wollte lieber einen Anderen an meiner Stelle als mich selbst im Zuchthaus wissen.«

»Jämmerlicher Mensch!«

»Sapperment! Hätten etwa Sie sich dem Gericht gestellt?«

»Unbedingt!«

»Das glaube ich nicht!«

»Leicht begreiflich! Wer so handelt wie Sie, der hat kein Verständniß für eine ehrliche Handlungsweise. Hätte ich vor einigen Wochen gewußt, daß Sie noch ein solches Verbrechen auf dem Gewissen haben, so wären Sie nicht begna–«

Er sprach das Wort nicht aus. Er merkte, daß er sich von seinem Zorne hatte zu weit hinreißen lassen. Keilberg fragte ganz verwundert:

»Was? Was wäre ich nicht?«

»Sie wären nicht begnadigt worden.«

»So! Haben Sie denn dabei etwas zu sagen?«

»Wenn ich auch nichts zu sagen habe, so hätte ich es doch für meine Pflicht gehalten. Diejenigen, welche über Ihr Gesuch zu entscheiden hatten, zu benachrichtigen.«

»Danke sehr! Gut, daß die Begnadigung nicht rückgängig gemacht werden kann! Sie wären im Stande –«

»Nein, haben Sie keine Sorge! Ich schreibe dem Könige nicht.«

»Aber Sie werden Alles, was ich Ihnen jetzt erzählt habe, verrathen.«

»Vielleicht.«

»Donnerwetter! Sie haben mir Verschwiegenheit versprochen.«

»Was ich verspreche, halte ich.«

»Nun, soeben sagten Sie, daß Sie mich vielleicht verrathen werden!«

»Das ist kein Widerspruch, obgleich Sie es für einen solchen halten. Könnte man denn die Ehre Sandau's nicht herstellen, ohne daß Ihre Person dabei in Gefahr kommt.«

»Das ist freilich möglich.«

»So meine ich es. Man könnte vielleicht Alberg zwingen, ein Geständniß abzulegen.«

»Da müßte er doch mich erwähnen!«

»Schadet nichts! Sie können ja nicht bestraft werden.«

»Nicht? Obgleich er ein Oesterreicher ist?«

»Trotzdem! Nun Sie mir Alles erzählt haben, kann ich Ihnen die Versicherung geben, daß die Sache verjährt ist.«

»Gott sei Dank! Da kann ich also ruhig sein.«

»Ja. Würden Sie bereit sein, gegen Alberg als Zeuge aufzutreten?«

»Wenn ich Etwas davon habe, ja.«

»Ah, Sie wollen es bezahlt haben?«

»Natürlich!«

»Wissen Sie, Keilberg, daß Sie ein ganz schändlicher Mensch sind?«

Sein Gesicht glühte vor Zorn. Der Andere aber antwortete ganz ruhig:

»Ja, das weiß ich.«

»Und Sie schämen sich nicht?«

»Nein. Was soll die Scham! Sie ist zu nichts nütze. Wollen Sie vielleicht diese Angelegenheit in die Hand nehmen?«

»Ja.«

»Sie werden nichts erreichen. Alberg wird sich hüten, ein Geständniß abzulegen. Uebrigens bin ich selbst der Mann, ihn zu peinigen. Wissen Sie, wohin ich will?«

»Nun?«

»Zu ihm.«

»Wo ist er?«

»Das ist meine Sache. Sie sind Advocat und haben als solcher Ihre Mucken. Sie sind im Stande, mich um die Ernten zu bringen, welche ich einheimsen will. Ich werde mich also hüten, Ihnen zu sagen, wo er sich befindet.«

»Ich werde es doch erfahren.«

»Von wem?«

»Von Ihnen. Ich lasse Sie nicht aus den Augen, bis ich es erfahren habe.«

»Sapperment! Sie werden mir unbequem!«

»Das kann mich nicht beirren. Die Ehre Sandau's muß wieder hergestellt werden.«

»Was nützt es ihm? Er ist ja verschollen!«

»Er mag verschwunden sein. Sein Name ist noch da, und dieser muß von dem an ihm haftenden Makel befreit werden.«

»Befreien Sie ihn! Adieu, Herr Advocat!«

Während er diese Worte sprach, that er einen schnellen Sprung in die Büsche hinein, welche an der Straße standen. Er ahnte, daß er mit dem Geständnisse, welches er abgelegt hatte, eine Gefahr gegen sich selbst heraufbeschworen habe, und wollte derselben entgehen.

Ludwig blieb einige Secunden überrascht stehen. Was sollte er thun? Den Menschen laufen lassen oder ihn festhalten. Gegen das Letztere sträubte sich natürlich Alles in ihm. Er zuckte die Achsel und setzte seinen Weg fort.

Bald sah er das Städtchen Eichenfeld vor sich. Sein Auge blieb an dem alten, baufälligen Thurm der Kirche haften. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht und unwillkürlich griff er mit der Hand nach der Brusttasche.

Bald stand er neben dieser Kirche vor der Thür des Pfarrhauses. Er trat ein und klopfte. Die Wirthschafterin öffnete und fragte nach seinem Begehr.

»Ist Hochwürden zu sprechen?«

»Wer sind Sie?« fragte sie vorsichtig.

»Ich bin ein Fremder und möchte dem Herrn Pfarrer eine Mittheilung machen, über welche er sich freuen wird!«

»So kommen Sie herein. Freudenboten heißt man gern willkommen.«

Er kam in ein kleines, niedriges Stübchen, welches ganz von Blumenduft erfüllt war. An dem Tische saß der alte Pfarrer, eine grauhaarige, ehrwürdige Gestalt. Er hatte ein Buch vor sich. Als Ludwig eintrat, erhob sich der geistliche Herr und nahm höflich die Brille von der Nase.

»Willkommen, Herr,« sagte er. »Womit kann ich Ihnen dienen?«

»Ich komme nicht, mich von Ihnen bedienen zu lassen, Hochwürden. Ich bringe Ihnen eine Botschaft, von der ich hoffe, daß sie Sie recht freudig überraschen wird.«

»Das sollte mir sehr angenehm sein. Bitte, setzen Sie sich.«

Die Wirthschafterin schob Ludwig einen Stuhl herbei. Er setzte sich und begann:

»Meine Anwesenheit betrifft nämlich Ihre Kirche, Herr Pfarrer. Ich habe sie mir angesehen, allerdings nur äußerlich. Sie scheint außerordentlich reparaturbedürftig zu sein?«

»Ja, ganz außerordentlich. Man muß gewärtig sein, sie fällt einmal während des Gottesdienstes zusammen und begräbt die ganze Gemeinde unter sich.«

»Warum lassen Sie nicht bauen?«

»Warum? Herr, diese Frage beantwortet sich sehr leicht. Zum Bauen gehört Geld.«

»Und das fehlt Ihnen?«

»Leider! Meine Gemeinde ist eine der ärmlichsten des Landes.«

»Aber Sie sind mit den Ihnen anvertrauten Seelen wohl zufrieden?«

»Ja, lieber Herr. Ich weiß nicht ein einziges räudiges Schaf unter ihnen. Es betrübt sie gar sehr, daß ihnen die Mittel fehlen, ein Haus zu bauen, welches des Herrn würdig ist. Das Kirchenvermögen beträgt nur viertausend Mark. Die Gemeindeglieder haben freiwillig gerade ebenso viel zusammengesteuert. Das giebt achttausend. Aber wie will man damit eine Kirche bauen! Es ist allzu wenig.«

»Haben Sie sich nicht an die obere Behörde gewendet?«

»Ja, ich habe um eine Unterstützung in Form einer allgemeinen Kirchencollecte gebeten. Man hat mir dieselbe gewährt; aber der Sonntag, an welchem dieselbe abgehalten werden kann, ist noch nicht bestimmt.«

»Das ist leicht erklärlich. Dergleichen Gesuche gehen so häufig ein. Aber ich hätte geglaubt, daß Sie sich auch an den König hätten wenden können.«

»Das habe ich auch gethan, wenn auch mit großem Widerstreben.«

»Warum das?«

»Lieber Herr, unser guter König wird, wie man hört, so oft mit Bittgesuchen gedrängt, daß man sich wirklich scheut, sich in die Reihe von Bittstellern zu stellen, welche nur zu häufig die bekannte Mildthätigkeit des Herrschers mißbrauchen. Aber was will man thun, wenn man sich in Noth befindet! Mein Gehalt ist so armselig, daß ich kaum auszukommen vermag. Dennoch würde ich niemals eine Bitte aussprechen, welche meine Person zum Gegenstande hat. Da es aber meine liebe Kirchengemeinde betrifft, habe ich es gewagt, eine unterthänigste Eingabe einzureichen.«

»Und was war der Erfolg?«

»Es ist mir bisher noch nichts bekannt gemacht worden.«

Ein seines Lächeln spielte um die Lippen des Königs. Er sagte:

»Dennoch scheinen Sie von dem Erfolge Ihres Gesuches überzeugt zu sein.«

»In wiefern?«

»Weil Sie sich bereits mit dergleichen befassen.«

Er zog ein geöffnetes, aber leeres Couvert aus der Tasche und gab es dem Pfarrer hin. Dieser brachte es, ohne die Brille wieder aufzusetzen, in die Nähe der Augen und las die vier Zeilen, welche anstatt der Adresse auf demselben standen:

Nicht Koryphä' bin ich,
      Nur unbekannt und klein,
Und dennoch bitt ich, laßt
      Mich mit Bewerber sein!«

»Ah!« sagte er. »Gehören Sie mit zu den Herren, welche hier zu entscheiden hatten?«

»Ja.«

»Das freut mich. Und Ihre Anwesenheit ist mir ein sehr erfreuliches Zeichen.«

»Ein Zeichen wofür?«

»Daß der junge Mann etwas vielleicht Brauchbares geliefert hat.«

»Haben Sie die Zeichnung gesehen?«

»Nein. Ich weiß nicht, was er gezeichnet hat, und weiß auch nicht, zu welchem Zwecke es dienen soll.«

Der König machte ein ungläubiges Gesicht.

»Hochwürden,« sagte er, »ich darf natürlich die Wahrheit von Ihnen erwarten!«

»Gewiß! Zweifeln Sie daran?«

»Nein. Aber doch will es mir erscheinen, als ob Sie eben jetzt ein klein wenig Diplomat sein möchten.«

»Davon habe ich keine Ahnung. Ich bin ein armer Hirte meiner Gemeinde; aber zum Diplomat fühle ich weder Beruf noch auch Geschick in mir.«

»Wirklich? Sie haben nicht gewußt, um was es sich handelt?«

»Nein, gewiß nicht.«

»Dann giebt es hier einen ganz eigenthümlichen Zufall, der mir nun fast als Fingerzeig Gottes erscheint. In welcher Beziehung stehen Sie denn zu der Person, um welche es sich hier handelt?«

»Der Betreffende ist ein Glied meiner Gemeinde. Er hat die polytechnische Schule in München besucht und ging in Folge eines Stipendiums nach Italien. Von daher bekam ich kürzlich einen Brief, in welchem er mir mittheilte, daß er in einer deutschen Bauzeitung ein Preisausschreiben gelesen habe, er wolle sich trotz seiner Jugend an dem Wetterwerb betheiligen. Er schickte mir den Brief, dessen Couvert Sie mir jetzt wieder zeigen, und bat mich, ihn in einen Umschlag zu thun und an die Adresse nach München zu senden, welche er mir dabei angab.«

»Wußten Sie, was sein Brief enthielt?«

»Ich dachte es mir – eine Zeichnung?«

»Ja. Aber Sie wußten nicht, was für eine?«

»Ich weiß es heute noch nicht.«

»Nun, so sollen Sie es erfahren. Der König hat Ihr Gesuch erhalten. Sie baten um eine kleine Beisteuer zum Kirchenbau. Der König aber ist von der Art und Weise, in welcher Sie ebenso ergeben wie herzlich Ihre Bitte vortrugen, so gerührt gewesen, daß er nach näheren Erkundigungen sich entschloß, Ihnen die Kirche ganz und vollständig aus den Mitteln seiner Privatschatulle zu erbauen.«

Der Pfarrer sprang von seinem Sitze auf, schlug die Hände zusammen und rief:

»Herr, mein Gott! Sagen Sie mir da die Wahrheit?«

»Gewiß, Hochwürden.«

»Wenn das wirklich, wirklich wäre!«

»Es ist so. Ich bin von Seiner Majestät beauftragt, Ihnen diese Mittheilung zu machen.«

»Das ist so viel, so viel, daß ich es nicht zu fassen vermag.«

Man sah es dem alten, ehrwürdigen Herrn allerdings an, daß er so ziemlich perplex war. Er blickte nach oben, schüttelte den Kopf und wiederholte:

»Aus den Mitteln – der Privatschatulle – ganz und vollständig – zu erbauen! Das wäre echt königlich, ja mehr als königlich! Das wäre eine Gnadengabe, für welche kein Dank, kein Dank erfunden werden könnte!«

»Der König bittet nur um den Dank, daß Sie in Ihrem Gebete zuweilen auch seiner gedenken. Thun Sie das, so ist die Gabe, die Sie empfangen, reichlich vergütet.«

»Ob ich das thun will, ob ich! Mein gütiger Herr im Himmel! Täglich und stündlich soll mein Gebet emporsteigen für den Herrscher, welcher meine arme Gemeinde mit so reicher Gabe segnet. Es ist uns Gnade widerfahren über alles Erwarten! Es wird hier ein Jauchzen und Jubiliren sein, daß es in allen Himmeln wiederschallt, und Gott der Herr wird die That im Buche des Lebens verzeichnen! Noch heut – ah, was sage ich, gleich, gleich werde ich es der ganzen Stadt kundgeben, was ihr für ein Heil widerfahren ist!«

Er war so außer sich vor Freude, daß er wirklich nach dem Hute griff. Der König aber fragte lächelnd:

»So wollen Sie mich also hier sitzen lassen?«

»Sie – – oh, entschuldigen Sie, verehrtester Herr! Ich bin wirklich ganz confus vor Entzücken! Beinahe wäre ich unhöflich gegen Sie gewesen, gegen Sie, den Ueberbringer dieser Freudenbotschaft.«

»Ihre Gemeinde wird es zeitig genug erfahren. Sie können es ihr verkündigen, nachdem wir unser Gespräch hier zu Ende geführt haben.«

»Natürlich, natürlich! Ich stehe Ihnen ja mit Leib und Leben zur Verfügung!«

»Bitte, bitte! Behalten Sie Ihren Leib und auch Ihr Leben. Sie können Beides im Dienste des Herrn viel besser verwenden als in dem meinigen. Aber fragen möchte ich Sie doch, wer der junge Mann ist, von welchen wir sprachen.«

»Sie wissen das nicht?«

»Nein.«

»So hat er seinen Namen nicht genannt?«

»Er hat ihn verschwiegen, aber die Bemerkung gemacht, daß er im Pfarramte von Eichenfeld zu erfragen sei.«

»Warum diese Heimlichkeit?«

»Wohl aus Bescheidenheit. Er hat nicht geglaubt, daß der erste Preis und auch die Wahl auf ihn fallen könne.«

»Ganz recht! So ist er. Und direct aus Italien hat er seine Sendung nicht machen wollen, weil er befürchtet hat, daß man da errathen möge, wer der Absender sei. Also, er hat den ersten Preis?«

»Tausend Mark.«

»Gott sei gelobt! Die kann er sehr gut gebrauchen! Sie kommen ihm ebenso gelegen wie zu statten.«

»So ist er arm?«

»Blutarm, wenigstens jetzt. Und was wollen Sie damit sagen, daß die Wahl auf ihn gefallen sei?«

»Die Kirche wird nach seiner Zeichnung gebaut und unter seiner persönlichen Oberleitung.«

»Wie – ist – das – möglich!« stotterte der alte Pfarrer.

»Seine Einsendung ist die beste von Allen.«

»Wer – hätte – das gedacht! So ein junger Mann!«

»Wie alt ist er?«

»Wenig über zwanzig.«

»Unmöglich!«

»Ja, wirklich.«

»Das ist ja fast unglaublich.«

»Auch ich bin auf's Höchste überrascht.«

»Bei solcher Jugend, solche Kenntnisse! Da muß der junge Mann ein Genie sein!«

»Begabt ist er freilich, reich begabt.«

»Und wie heißt er?«

»Sandau, Rudolf Sandau.«

»Wie? Etwa Rudolf von Sandau?« fragte Ludwig schnell.

»Nein.«

»Von Adel ist er nicht?«

»Nein, lieber Herr.«

»Wissen Sie das genau?«

»Ganz gewiß.«

»Wo ist er geboren?«

»In Amerika. Seine Mutter kam aus den Vereinigten-Staaten und bezog von dort eine kleine Pension, welche sie aber vor Kurzem verloren hat. Aus Schreck darüber rührte sie der Schlag. Ihr Sohn hatte nun keine Mittel mehr, die Schule weiter zu besuchen und sieht sich nun nach einer für ihn passenden Beschäftigung um.«

»So ists, also so! Beschäftigung soll er haben – zunächst durch den hiesigen Kirchenbau. Das Weitere wird sich dann schon finden. Ich werde für ihn sorgen. Solche Talente muß man unterstützen.«

»Herr, durch eine solche Hochherzigkeit verdienen Sie sich Gottes Lohn.«

»Es ist meine Pflicht, es zu thun, weiter nichts. Ich sehe es keineswegs für eine Gnade an, die ich ihm erweise. Ich möchte ihn gern kennen lernen. Wo wohnt er?«

»Gleich um die Ecke das dritte Häuschen, eine Treppe hoch.«

»So werde ich jetzt zu ihm gehen.«

»Doch nicht sofort! Sie werden mir vielleicht die Ehre erweisen, ein kleines Mahl mit mir einzunehmen.«

»Danke sehr! Ich darf Sie nicht länger belästigen, und außerdem ist meine Zeit so in Anspruch genommen, daß ich sehr sparsam mit ihr sein muß.«

»Ich lasse Sie aber nicht fort. Ich weiß freilich noch nicht, wie Sie heißen und was Sie sind, aber da Majestät Sie sendet, so sind Sie jedenfalls ein sehr hochgestellter Herr, dem es in meiner einfachen Häuslichkeit kaum behagen mag. Aber hat der König uns mit einer solchen Gnade überschüttet, so hoffe ich, daß auch Sie eine kleine Nachsicht üben und meine Einladung nicht von sich weisen werden.«

Er bat in so dringlichem, aufrichtigem Tone, daß der König, um ihn nicht zu betrüben, antwortete:

»Nun, wenn Sie an den König appelliren, so darf ich Ihnen Ihre Liebe nicht abschlagen. Sie sei Ihnen also gewährt.«

»Danke, danke von ganzem Herzen! Und nun entschuldigen Sie für einen Augenblick. Meine alte Wirthschafterin ist nicht sehr gut auf den Beinen. Wenn ich Sie nicht eine halbe Ewigkeiten warten lassen will, so muß ich schon selber mit zugreifen.«

Die Wirthschafterin hatte sich nämlich, als das Gespräch begann, rücksichtsvoll entfernt. Als nun jetzt der Pfarrer zu ihr in die Küche trat und ihr mittheilte, was der fremde Herr für eine Neuigkeit gebracht habe, erfaßte sie ganz dasselbe Entzücken, welches auch er empfunden hatte und noch jetzt fühlte. Bei der Bemerkung, daß diesem Herrn nun ein Imbiß aufgetragen werden solle, kam sie ganz außer sich, und sie begann zu wirthschaften, daß es den Anschein hatte, als sollten einige Dutzend Gäste bedient werden.

Das beschleunigte natürlich das Serviren keineswegs. Endlich aber war doch der Tisch gedeckt, und das Mahl begann.

Nach den armen Verhältnissen des kleinen Städtchens und des pfarramtlichen Einkommens ging es hoch her. Es gab zweierlei Wurst, zweierlei Käse und zweierlei Wein, rothen und weißen. Und als der König darauf bestand, daß die würdige Wirthschafterin sich zu ihnen setzen und an dem Mahle theilnehmen solle, da war die Freude groß. Das war ihr noch nicht passirt, neben einem Herrn zu sitzen, welcher die ungeheure Ehre hatte, den König von Angesicht zu Angesicht zu sehen und von ihm zum Boten, zum Ueberbringer der allerhöchsten Wohlthaten ausersehen zu sein.

Diese Gelegenheit, da den beiden Alten das Herz aufgegangen und in Folge dessen die Zunge beweglich geworden war, benutzte Ludwig, sich noch näher nach den Personen und Verhältnissen der Familie Sandau zu erkundigen. Er vernahm nur Empfehlendes. Besonders ließ die Wirthschafterin es sich angelegen sein, die Frau Sandau nach ihrem Charakter und ihrer stillen, aber erfolgreichen Wirksamkeit auf das Beste zu loben.

Als sodann der Imbiß eingenommen war, zog Ludwig ein zweites Couvert aus der Tasche und sagte:

»Sie werden gern sehen wollen, wie die neue Kirche sich präsentiren wird. Ich bin in der Lage, es Ihnen zeigen zu können.«

»Prächtig! Sie haben die Pläne mit?«

»Ja. Ich werde sie Ihnen jetzt vorlegen, wenn es Ihnen recht ist.

»O, ich bitte herzlichst darum! Aber – aber – entschuldigen Sie! Ein Anderes ist mir ebenso wichtig, wenn nicht noch wichtiger!«

»Was?«

»Majestät haben Ihnen jedenfalls etwas Schriftliches an mich mitgegeben? Diese gnädige Zuschrift meines allerbesten Königs würde mich mit Glück und Stolz erfüllen.«

»Eigentlich, ja, hätten Sie einen Erlaß des allerhöchsten Privatamtes zu erhalten; aber da ich zu Ihnen komme, so hat man das unterlassen. Was ich sage, das hat dieselbe Geltung, als ob der König es selbst gesagt hätte.«

»So, so! Ja, das glaube ich schon. Sie müssen ja eine Stellung bekleiden, welche Sie in die nächste Nähe des Königs bringt.«

»Ja, ich bin stets bei ihm. Und nun sehen Sie!«

Er schob die Teller zur Seite und legte ihm die Pläne vor. Er war aufgestanden und stellte sich hinter den Pfarrer, um ihm die einzelnen Zeichnungen zu erklären. Der kurzsichtige, hochwürdige Herr setzte seine Brille auf und folgte dem auf den Zeichnungen hin und her gehenden Finger des Monarchen mit großer Aufmerksamkeit.

Zuletzt legte der Letztere die Totalansicht der Kirche vor.

»So wird sie aussehen, wenn sie fertig ist,« sagte er. »Gefällt sie Ihnen?«

»Unvergleichlich, herrlich! Das Aeußere ist einfach, aber würdevoll und erhaben. Der Thurm ist ein architectonischer Finger, welcher mahnend empor zum Himmel zeigt. So soll und muß es sein. Aber Geld, Geld kostet dieser Bau, verehrter Herr!«

»Nicht allzu viel.«

»Darf ich da eine wißbegierige Frage aussprechen?«

»Warum nicht? Im Preisausschreiben war angegeben, daß die Kosten bis sechzigtausend Mark betragen dürfen. Vielleicht wird es etwas mehr, da der König für ein gutes Altargemälde und sonstigen kirchlichen Schmuck besorgt sein will.«

»Sech – zig – tausend – Mark!« rief der Pfarrer, indem er vom Stuhle aufsprang. »Das ist ja eine Summe, welche wir nun und nimmermehr – –«

Er kam nicht weiter. Da er vorhin beim Eintritte seines Gastes aus Höflichkeit die Brille abgenommen hatte, so war ihm bei seiner Kurzsichtigkeit das Gesicht des Monarchen nur undeutlich erschienen. Jetzt aber hatte er die Brille auf und stand nun so nahe vor Ludwig, daß er dessen Züge auf das Deutlichste sehen konnte. Er hatte zwar den König noch nie, desto öfters aber dessen Bild gesehen. Einem gebildeten, studirten Manne konnte da kein Zweifel überkommen, zumal an der Wand ein wohl getroffenes Bild Ludwigs hing.

Er starrte, auf das Höchste erschrocken den König an. Seine Lippen bebten. Er wollte sprechen, brachte aber nichts hervor.

»Was ist Ihnen?« fragte der König lächelnd. »Was haben Sie?«

»Dieses – dieses – jenes – o mein Gott, ich weiß ja gar nicht, was ich sagen soll!« stotterte der Pfarrer.

»Sprechen Sie getrost!«

»Dieses – dieses Bild dort!« sagte er, indem er den Arm erhob, um nach dem Bilde zu zeigen.

»Ich kenne es. Es ist dasjenige des Königs.«

»Ja – aber – aber – das Original, das Original!«

»Nun, was ist's denn mit dem Originale?«

»Es steht – es steht hier, hier vor mir! O, Majestät, Majestät!«

Er wollte seine zitternden Kniee beugen, doch Ludwig hielt ihn sogleich an den Armen fest.

»Nicht doch! Wer wird knieen wollen!«

»Vor meinem Könige muß ich in die Kniee sinken, erfüllt von Ehrfurcht und tiefster, tiefster Dankbarkeit!«

»Nein, stehen Sie, und lassen Sie mich Ihnen die Hand drücken. Sie sind, wie ich aus dem Resultate meiner Erkundigungen weiß, ein sorgsamer und treuer Arbeiter im Weinberge des Herrn. Ich drücke Ihnen mit Freuden die Hand und halte es für meine Pflicht, dafür zu sorgen, daß Sie an den Lasten des materiellen Lebens nicht mehr so schwer wie bisher zu tragen haben. Ich werde veranlassen, daß Sie nach einer besser dotirten Stelle versetzt werden.«

»O nein, nein, nein!« fiel da der Pfarrer erschrocken ein. »Das nicht, das nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil mir diese arme Gemeinde so lieb, so theuer geworden ist, daß ich nicht von ihr scheiden möchte, außer der Herr holt mich durch den Tod von hinnen. An einem anderen Orte, und wäre er noch so reich bezahlt, würde ich eingehen.«

»Das glaube ich Ihnen gern. Und so will ich besorgt sein, daß Sie hier keine Noth zu leiden haben. Ihr Gehalt soll verdoppelt werden.«

»Majestät!«

»Still. Ich kann mir freilich denken, daß Ihre Bedürfnisse nicht in demselben Maße steigen werden. Sie haben einfach gelebt und werden diese Einfachheit wohl beibehalten; aber wenn Sie von jetzt an besser situirt sind, werden Sie mehr Gutes thun können. Was ich Ihnen gebe, das erhalten also eigentlich nicht Sie, sondern die Hilfsbedürftigen Ihrer armen Pfarrgemeinde.«

»Königliche Majestät haben mich nicht verkannt. Und wenn Ihre Gnade sich über mich ergießt, so dürfen Hoheit überzeugt sein, daß ich mich nur als den Almosenier meines allergütigsten Herrschers betrachten werde.«

»Gut, das ist es, was ich mir dachte und wovon ich auch fest überzeugt bin. Und nun will ich von Ihnen scheiden, um diesen jungen Baumeister aufzusuchen. Ich verweile jetzt in der Nähe und werde Sie wahrscheinlich recht bald wieder besuchen.«

Ein lautes Schluchzen ließ sich hören. In der Ecke hinter dem Ofen saß die Haushälterin auf einem Schemel und weinte Freudenthränen. Der König trat zu ihr hin und sagte in mildem Tone:

»Beruhigen Sie sich, meine Liebe. Sie dürfen sich, von mir nicht erschrecken lassen.«

»Ach Gott,« stöhnte sie, »ich bin ganz, ganz außer mir!«

»Sie haben keinen Grund dazu.«

»O doch, doch, Majestät.«

»Ich kenne keinen.«

»Aber ich weiß ihn. Nein, nein, das werde ich nicht verwinden können.«

»Was denn?«

»Daß unser König bei uns – bei uns gegessen hat, und die Wurst – die Wurst – die Wurst war zu wenig gesalzen!«

»Davon lassen Sie sich ja nicht anfechten!«

»Ja, das ginge – das ginge wohl noch, aber im – im – im Käse dort waren – waren Maden.«

»Davon weiß ich gar nichts!« lächelte der Monarch.

»Aber ich – ich habs gesehen. Ich hatte ihn so gut ausgeputzt, und als Sie nachher davon nahmen, da waren sie, waren sie – –«

Sie konnte vor Erregung nicht weitersprechen.

»Nun, was waren sie denn?«

»Inwendig, inwendig waren sie. Und Sie haben – haben sie mit gegessen!«

Der Pfarrer stand in höchster Verlegenheit hinter dem König. Er winkte ihr, zu schweigen, sie aber sah es gar nicht. Ludwig hatte ein Gefühl, als ob jetzt der genossene Käse lebendig werden wolle; er überwand dasselbe und sagte:

»Sie werden sich geirrt haben.«

»Nein. Ich habe es ganz deutlich gesehen. Ich wollte Sie aufmerksam machen, aber es war zu spät. Sie hatten den Käse schon in den Mund gesteckt.«

»Lassen wir das! Machen Sie sich keine Vorwürfe!«

»Ja, wenn ein Anderer die Maden erwischt hätte, ich oder vielleicht der hochwürdige Herr, so wär das leicht zu verschmerzen; aber Sie! Unser guter König – und Maden, Käsemaden!«

»Schweigen Sie doch!« rief ihr jetzt der Pfarrer zornig zu. »Sie sind ja noch viel blöder auf den Augen als ich und werden sich geirrt haben. Ich weiß ganz genau, daß sich hier in diesem Käse – –«

Er ergriff den Käseteller und hielt denselben dem Könige hin, um ihn zu überzeugen; dabei fuhr er fort:

»Daß sich hier in diesem Käse keine Maden befinden, keine einzige, denn –«

Er brach erschrocken mitten in der Rede ab, denn gerade in diesem Augenblicke schnellte sich eine höchst kräftige Made vom Teller empor und auf die Diele herab. Der Pfarrer setzte den Teller schleunigst wieder hin. Er war trotz seines Alters feuerroth geworden und befand sich in einer Verlegenheit wie noch nie in seinem Leben.

»Glaubs gern, daß der Käse gut ist,« meinte Ludwig, um ihn zu besänftigen. »Er hat mir gut gemundet, und ich sage Ihnen herzlichen Dank für Ihre Gastfreundschaft, Hochwürden. Doch hoffe ich, daß Sie sich, falls ich wiederkomme, keine solche Mühe machen. Ich würde sonst dadurch veranlaßt werden, auf den Besuch zu verzichten.«

Er nahm die Pläne zusammen, steckte sie ein und verabschiedete sich.

Der Pfarrer begleitete ihn bis an die Ecke und zeigte ihm das betreffende Haus. Er nahm dabei eine so ehrfurchtsvolle Haltung an, daß der König ihn darauf aufmerksam machen mußte, daß er incognito hier sei, und ihm streng anbefahl, auch seiner Wirthschafterin anzudeuten, daß von diesem Besuche vorläufig nicht gesprochen werden solle.

Als er dann in seine Stube zurückkehrte, saß die Alte noch immer auf ihrem Schemel.

»Alte Plaudertasche!« rief er ihr zu.

»Maden, Maden!« antwortete sie.

»Konnten Sie denn nicht schweigen!«

»Der König, der König! Das überleb ich nicht! Das ist mein Letztes, mein Allerletztes! Das ist mein Tod!«

»Immer fort mit Ihnen! Mich in dieser Weise zu blamiren!«

Er stieg zornig in der Stube auf und ab. Sie aber jammerte:

»Und wie habe ich ihn ausgeputzt! Freilich, inwendig hinein konnte ich nicht!«

»Sie brauchten doch gar nichts zu sagen! Mußte er es denn wissen!«

»Ja! Oder soll ich etwa so Etwas verschweigen?«

»Natürlich!«

»Das bring ich nicht übers Herze!«

»Aber über die Lippen muß es! Gehen Sie hinaus in Ihre Küche! Ich mag Sie gar nicht sehen. Am Liebsten möchte ich Sie gleich fortjagen. Sie sind der bittere Wermuthstropfen, welcher mir in den Freudenbecher gefallen ist.«

»Ich – ich – ein Wermuthstropfen! Es wird immer schlimmer! Ich gehe, ich gehe! Ich halte es nicht aus! Morgen um diese Zeit bin ich eine Leiche!«

Sie entfernte sich nach der Küche. Der Pfarrer hätte am Liebsten geflucht und gedonnerwettert; aber das wäre gegen sein Amt und seine Gewohnheiten gewesen. Er würgte den riesigen Aerger mit Gewalt hinab; aber es verging eine lange Zeit, ehe sein Blut wieder ruhiger durch die Adern pulsirte.

Der König war indessen in der Wohnung der Frau Sandau eingetreten. Er fand sie allein. Sie lag im Bette, aber angekleidet, denn zu gehen vermochte sie noch nicht.

Als sie einen fremden Herrn eintreten sah, wurde sie einigermaßen verlegen, doch verschwand diese Anwandlung sofort, als Ludwig sich in höflichem Tone entschuldigte:

»Verzeihen Sie gütigst. Ich suche einen Herrn, Namens Rudolf Sandau.«

»Er ist mein Sohn.«

»Er ist wohl nicht daheim?«

»Nein, er ist ausgegangen. Können Sie vielleicht mir an seiner Stelle sagen, welcher Grund Sie zu mir führt?«

»Ja, ich kann auch Ihnen die betreffende Mittheilung machen. Jedenfalls wird er es aus Ihrem Munde ebenso gern hören, wie aus dem meinigen. Besitzen Sie das vollständige Vertrauen Ihres Sohnes?«

»Gewiß. Er thut nichts ohne mich.«

»So hat er Ihnen wohl auch mitgetheilt, daß er sich an einer Preisconcurrenz betheiligt hat?«

»Ja, ich weiß es. Ich habe ihn beinahe ausgezankt. Es ist das eine Kühnheit von ihm gewesen, zu welcher er keine Berechtigung besitzt. Leider ist sie nicht ungeschehen zu machen.«

»Leider? Sagen Sie lieber glücklicher Weise. Er hat gar wohl das Recht, eine solche Kühnheit zu begehen, denn es hat sich herausgestellt, daß es gar keine Kühnheit ist.«

Sie richtete sich ein Wenig im Bette auf, blickte ihn forschend an und fragte:

»Sie meinen –«

»Die Arbeit, welche er eingesandt hat, besitzt Vorzüge, welche ihre wohlverdiente Anerkennung gefunden haben.«

Da sank sie wieder in's Kissen zurück, faltete die Hände, holte tief Athem und hauchte:

»Gott sei gelobt! Jetzt bin ich dieser Sorge ledig!«

»Sie hatten keine Veranlassung zur Besorgniß. Ihr Sohn besitzt Gaben, welche, wenn sie ausgebildet sind, ihm einen Platz in der Reihe derjenigen Männer sichern, auf welche das Volk stolz sein kann. Erlauben Sie, daß ich mich setze!«

Sie nickte. Sie konnte jetzt nicht sprechen. Die Worte, welche sie gehört hatte, bewegten ihr Mutterherz in der Weise, daß sie vergebens nach einem passenden Ausdruck gesucht hätte, ihr Entzücken zu beschreiben. Sie hing mit ihrem Blicke an dem Angesicht des Königs und wartete, was er weiter sagen würde. Er fragte:

»Haben Sie gewußt, um was es sich handelt?«

Sie nickte und flüsterte dann:

»Um einen Kirchenbau.«

»Wußten Sie auch, welche Kirche gemeint war?«

»Nein. Rudolf wußte es selbst auch nicht.«

»Nun, es handelt sich um die hiesige.«

»Hier in Eichenfeld?«

»Ja. Der König will sie bauen lassen und hat jenen Preis, welchen Ihr Sohn gewonnen hat, ausschreiben lassen.«

Sie schloß die Augen. Ihre Züge schienen erstarren zu wollen vor freudigem Schreck, doch bald wich das, und es breitete sich ein seliges Lächeln über ihr blasses Angesicht, das Lächeln einer Mutter, welche das Glück ihres Kindes doppelt empfindet.

Ludwig schwieg. Er betrachtete sich das Gesicht dieser Frau. Trotz des wonnevollen Lächelns, welches sich an diesem Augenblicke über dasselbe verbreitete, war ihm doch Noth, Sorge, Entbehrung und Ergebung eingeprägt. Sie mußte viel, viel gelitten haben.

»Gewonnen – gewonnen!« flüsterte sie. »Rudolf hat den Preis erhalten!«

»Ja. Und ich bin beauftragt, ihm denselben auszuzahlen.«

»Auszahlen! Mein Gott! Und es war so sehr viel!«

»Tausend Mark.«

»Tausend Mark! Da können wir den Wurzelsepp bezahlen.«

Sie hatte noch immer die Augen geschlossen. Sie sagte das in einer Art von Verzückung. Der König aber fragte schnell:

»Den Wurzelsepp? Kennen Sie ihn?«

Jetzt öffnete sie die Lider und blickte ihn an.

»Sehr gut,« antwortete sie. »So oft er in Eichenfeld ist, kommt er auch zu uns.«

»Und er hat Ihnen Geld geborgt?«

»Ja. Nicht eigentlich er selbst. Er hatte es von einem reichen Herrn erhalten, welcher ihm den Auftrag gegeben hat, es an arme, würdige Leute zu schenken. Rudolf aber hat es geborgt; er wollte es nicht geschenkt haben.«

»Sepp, Sepp!« lachte der König.

»Sie kennen ihn auch?«

»Ebenso gut wie Sie. Ich kenne auch den reichen Herrn, von welchem er gesprochen hat.«

»Wer ist dieser? Sepp wollte es uns nicht sagen?«

»Das glaube ich. Er selbst ist es.«

»Er! Ah, er selbst! Ist er denn reich?«

»Er verdient so viel, wie er braucht und mag sich wohl auch Einiges zurücklegen, antwortete Ludwig zurückhaltend.«

»Jetzt können wir ihn bezahlen, da mein Sohn den Preis bekommt.«

»Ja. Darf ich Ihnen das Geld aushändigen?«

Sie nickte. Er zog einen Tausendmarkschein aus der Tasche und gab ihr denselben in die Hand.

»Tausend Mark, tausend Mark!« flüsterte sie. »O Rudolf, Rudolf, wie glücklich machst Du mich! Wie wirst Du Dich freuen.«

»Er wird sich noch mehr freuen, wenn er erfährt, welche Folgen mit der Erlangung des Preises in Verbindung stehen. Sein Entwurf ist angenommen. Die Kirche wird nach demselben gebaut, und Ihr Sohn hat die Leitung des Baues zu übernehmen.«

»Himmel! Ist das möglich?«

»Es ist so Beschluß.«

»Rudolf, Rudolf! Wenn das Dein armer Vater wüßte.«

Es standen ihr die hellen Thränen in den Augen.

»Ist derselbe bereits lange todt?« erkundigte sich Ludwig.

»Ja. Er hat viel, viel erdulden müssen.«

»Darf ich fragen, was er war?«

»Er war österreichischer Offiz – – –«

Sie verschluckte die zweite Hälfte des Wortes und fügte schnell hinzu: »Er war in einem kaufmännischen Geschäft thätig.«

»In den Vereinigten Staaten?« fragte Ludwig, dessen Gesicht einen Ausdruck hoher Spannung angenommen hatte.

»Ja.«

»Aber er war kein geborener Amerikaner?«

»Nein, sondern ein Deutscher.«

»Ein Offizier in österreichischen Diensten, wie Sie soeben sagten?«

»Das wollte ich nicht sagen.«

»Hm! War er adelig?«

»Nein« – stieß sie hervor.

»Und auch Sie stammen aus einer bürgerlichen Familie?«

Sie erröthete tief. Es fiel ihr schwer, die Unwahrheit zu sagen:

»Ja.«

»So! Sind Sie nicht eine geborene Sendingen?«

Da fuhr sie mit dem Kopfe empor. Ihr Auge richtete sich mit starrem, erschrockenem Blicke auf Ludwig. Dieser fuhr unbeirrt fort:

»Wollte sagen, eine geborene von Sendingen?«

»Gott! Woher wissen Sie das?« kam es leise aus ihrem Munde.

»Ich habe davon gehört.«

»So wissen Sie – –?«

»Daß Ihr verstorbener Mann ein Herr von Sandau war.«

»Und auch das Uebrige wissen Sie?«

»Alles! Ich weiß noch mehr als Sie.«

Da wendete sie das Gesicht ab und begann zu weinen.

Er trat an ihr Bette, ergriff ihre Hand und sagte:

»Weinen Sie nicht. Sie haben keine Ursache, Ihren Namen zu verschweigen. Es ist der Name eines Ehrenmannes.«

Da wendete sie ihm blitzschnell das Gesicht zu und wiederholte:

»Eines – Ehren – – mannes! Herr, mein Gott, was höre ich da!«

»Ich weiß, daß er unschuldig bestraft worden ist.«

»Sie – Sie – wissen das?!«

»Ja. Und ich hoffe, es beweisen zu können.«

»Beweisen – beweis – – bewei – – –!«

Ihr Gesicht wurde glühend roth; ihre Brust begann, zu arbeiten; sie wogte auf und ab. Ein schweres Aechzen erklang aus ihrem Munde, und dicke Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn.

»Gott! Was ist Ihnen, liebe Frau?« rief der König. »Fassen Sie sich, fassen Sie sich doch!«

Sie stöhnte noch lauter auf; ihr ganzer Körper lag in Zuckungen. Der König fühlte ihr den Puls und sagte:

»Beherrschen Sie sich doch. Ich gehe, um Hilfe herbei zu holen.«

Er wollte fort; aber sie hatte sein Handgelenk ergriffen und umklammerte dasselbe so fest, daß er nicht loskommen konnte.

»Bleiben! Nicht gehen!« stammelte sie.

Es war, als ob sie mit einer unbekannten Macht, gegen irgend einen unsichtbaren Einfluß kämpfe. Sie wand sich hin und her. Sie preßte die Zähne auf einander. Ihre Augen traten weit heraus, und ihre Finger legten sich wie eiserne Klammern um die Hand des Königs.

Dieser beobachtete das mit äußerster Besorgniß. Es kam ihm der Gedanke, daß die frohe Botschaft von der Unschuld ihres Mannes von Einfluß auf ihre gelähmten Glieder sein könne. Vielleicht entwickelte sich eine Krise.

Und diese Vermuthung bestätigte sich sogleich. Plötzlich, mitten in den Zuckungen, fuhr sie mit dem Oberkörper empor. Sie blieb in sitzender Stellung, prüfte Arme und Beine, indem sie dieselben bewegte, und stieß dann einen markerschütternden Schrei aus.

»Was haben Sie? Was ists mit Ihnen? Sagen Sie es doch!« fragte Ludwig in heller Angst um sie.

»Ich – ich – ich bin nicht – nicht – nicht mehr gelähmt!« jubelte sie auf.

»Wirklich? Wirklich?«

»Ja, sehen Sie! Ich kann Alles bewegen, jedes Glied, jedes! O mein Herr Jesus, wer hätte das gedacht!«

»Fassen Sie sich! Auch die Freude ist gefährlich!«

»Nein, jetzt nicht, mir nicht! Ich bin vor Schreck gelähmt worden, und die Freude hat mich geheilt. Ich kann mich bewegen. Ich kann auf. Ich könnte gleich gehen! O, ich möchte es probiren, wenn nicht – – –«

Sie blickte ihn bittend an. Er verstand sie gar wohl, warnte sie aber:

»Es sollte mich herzlich freuen, wenn die Nachricht, welche ich Ihnen gebracht habe, zu einem solchen Heile für Sie geworden wäre. Aber seien Sie ja nicht zu sanguinisch! Die Täuschung würde Sie mit doppelter Bitterkeit treffen.«

»Es ist ja gar keine Täuschung! Ich konnte nur die Hände mühsam bewegen. Und jetzt, sehen Sie nur, bin ich wieder Herrin jedes einzelnen meiner Glieder.«

Sie bemühte sich, es ihm dadurch zu beweisen, daß sie alle Glieder einzeln bewegte. Daß sie eine Dame sei und er ein Herr, daß sie im Bette lag, den Oberkörper nur bekleidet, daran dachte sie gar nicht. Er sah an der sich bewegenden Bettdecke, daß sie sich allerdings im Besitze auch ihrer Beine befand, doch mahnte er:

»Schonen Sie sich! Beherrschen Sie sich! Wie leicht kann ein Rückfall eintreten!«

»O nein, den befürchte ich nicht, nun nicht! Sie sagen, mein Mann sei unschuldig. Das hat mich gesund gemacht. Sie sagen, daß Sie es vielleicht beweisen können, und das ist mir eine Medizin, welche meinem Körper die verlorene Spannkraft und Elastizität zurück giebt. Ich muß herab vom Lager, heraus aus dem Bette. Ich muß meinen Sohn überraschen. Wenn er kommt so muß ich gesund im Zimmer stehen. Gott, wie wird er entzückt sein!«

»Wann kommt er?«

»Leider erst am Abende.«

»So haben Sie ja noch vollständig Zeit, ihm diese Ueberraschung zu bereiten.«

»Es dämmert ja bereits!«

»Nur Geduld, Geduld! Ich begreife überhaupt nicht, daß er Sie verlassen kann. Sie sind gelähmt und liegen so allein.«

»Er mußte ja gehen. Und die Wirthin, welche unten im Parterre wohnt, kommt alle Viertelstunden, um nach mir zu sehen. Ach, wenn Sie die Güte haben wollten, sie zu rufen!«

»Wozu?«

»Sie soll helfen, mich ankleiden.«

»Da werde ich mich hüten, sie zu rufen. Bleiben Sie jetzt liegen! Wenn ich fort bin, können Sie thun, was Ihnen beliebt!«

»Sie könnten ja einstweilen ins Nebenzimmer treten!«

Er zog die Stirn in Falten.

»Bezähmen Sie doch Ihre Ungeduld! Ich kann mir denken, wie entzückt Sie sein müssen, so plötzlich den vollen Gebrauch der Glieder wieder erhalten zu haben. Aber ich fordere von Ihnen, daß Sie sich zur Ruhe zwingen, wenigstens so lang ich hier bei Ihnen bin.«

»Können Sie denn nicht wiederkommen?«

»Nein. Ich werde mich hüten, Personen zu besuchen, bei denen meine Weisung derart in den Wind gesprochen sind!«

Er hatte das in strengem Tone gesagt. Sie blickte ihn forschend an und sagte dann:

»Sie haben Recht. Ihnen schulde ich ja Alles. Ich bin Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet und werde Ihnen gehorchen. Aber Eins erbitte ich mir von Ihnen?«

»Ich werde es gewähren, wenn ich es vermag. Sprechen Sie!«

»Ganz leicht können Sie es gewähren. Darf ich erfahren, wem ich eine so glückbringende Botschaft zu danken habe?«

»Dem Könige. Er ist es, welcher den Preis ausschreiben ließ.«

»Jawohl, aber wer ist der Herr, den er mir in Ihnen sendet?«

»Ich? Ich bin – – nun, haben Sie mich noch nicht gesehen?«

»Ich muß Sie gesehen haben, vielleicht schon öfters, aber wo und wann, das ist mir nicht gegenwärtig.«

»Sie werden mich im Bilde gesehen haben.«

»Ihr Bild? Wo könnte das gewesen sein?«

»Mein Bild ist in vielen tausend Exemplaren verbreitet.«

»In vielen tau – – –!«

Sie schwieg. Sie richtete einen fast angstvoll forschenden Blick auf ihn und warf sich dann plötzlich aus ihrer sitzenden in die liegende Stellung zurück, die Decke bis an das Kinn emporziehend.

»Mein Himmel!« hauchte sie. »Pardon, Pardon, Majestät!«

»So erkennen Sie mich jetzt?«

»Ja. Gnade, Gnade!«

»Seien Sie unbesorgt. Ich zürne Ihnen nicht. Ihr Verhalten hat seine volle, psychologische Berechtigung. Aber behalten wir unsere Ruhe!«

Er setzte sich wieder auf den Stuhl, welchen er in die Nähe des Bettes zog, und fuhr fort:

»Also Ihr Sohn wird die hiesige Kirche bauen. Ich werde mich mit ihm ins Vernehmen setzen und ihn auch später fest im Auge behalten. So viel jetzt, was ihn betrifft. Wichtiger aber ist mir jetzt das Andere – die Ehrenrettung Ihres Mannes. Haben Sie ihn jemals für schuldig gehalten?«

»Nie, keinen Augenblick.«

»Das war brav! Aber wenn Sie gewußt haben, daß er unschuldig war, so müssen Sie doch wenigstens im Gedanken nach dem Schuldigen geforscht haben.«

»Das haben wir freilich, er sowohl wie auch ich.«

»Und fiel Ihr Verdacht auf irgend wen?«

»Gewiß. Auf zwei Personen, denen aber nichts zu beweisen war.«

»Wer waren diese Zwei?«

»Ein Compagnieschreiber. Er war der Einzige, welcher durch List zu den Papieren gelangen konnte, welche mein Mann angeblich hatte verkaufen wollen.«

»Wissen Sie den Namen dieses Mannes?«

»Ich werde ihn nie vergessen. Er hieß Keilberg.«

»Hermann Arthur Willibold Keilberg!«

»Oh! Majestät kennen sogar den vollständigen Vornamen!«

»Ja. Aber der Andre, auf welchen Ihr Verdacht siel?«

»Das war ein Baron von Alberg.«

»Sie kannten ihn?«

»Ja.«

»Näher?«

»Eigentlich nicht!«

»Sie meinen, Sie kannten ihn nur so, wie man einen Bewerber kennt, den man abgewiesen hat?«

»Wie! Auch das wissen Majestät!«

»Ich sagte Ihnen bereits, daß ich mehr weiß als Sie. Ich habe mit jenem Keilberg gesprochen.«

»Ach! Lebt er noch?«

»Ja. Ich traf ihn draußen auf der Straße, und er bettelte mich an, vor kaum einer Stunde. Er hat mir Alles gestanden, auch daß Ihr Mann unschuldig war.«

»Welch, ein Glück! Welch ein Glück! Und wo ist dieser Mensch? Er befindet sich doch in Gewahrsam?«

»Nein, er entfloh mir.«

»So muß man ihn wieder erlangen! Die Gensdarmerie muß aufgeboten werden!«

Sie hatte sich in plötzlicher Erregung wieder aufgerichtet und in befehlendem Tone gesprochen, ohne zu berücksichtigen, wen sie vor sich hatte. Dann aber fuhr sie in demüthig bittendem Tone fort:

»Verzeihung, Majestät! Die gegenwärtigen Augenblicke sind solche, daß meine Lage mich vielleicht entschuldigt. Ich befinde mich in einer Erregung, welche es mir unmöglich macht, der hohen Gnade Ihrer Anwesenheit die richtige Würdigung entgegen zu bringen. Ich fühle mich darüber so unglücklich, aber ich kann nicht – – –«

»Pst! Still!« unterbrach er sie in mildem Tone. »Ich trage den Umständen volle Rechnung. Ich bin als Privatmann hier und nicht als Monarch. Ich wünsche überhaupt, daß zunächst kein Mensch erfährt, wer heut bei Ihnen war, Ihr Sohn natürlich ausgenommen. Es kann mir nicht einfallen, von einer Patientin mit Kratzfüßen verehrt zu werden. Ich heiße hier einfach Herr Ludwig. Unterlassen Sie also alle Redensarten und Entschuldigungen und theilen Sie mir statt dessen lieber mit, in wiefern Ihr Verdacht auf jenen Baron von Alberg fallen konnte.«

»Er hatte mir einen Antrag gemacht und war von mir zurückgewiesen worden. Er hatte dann sich meinem Manne öfters in feindseliger Absicht zu nähern gesucht, war aber von demselben mit stolzer Ignoration abgewiesen worden. Als sodann mein Mann sich unschuldiger Weise im Gefängnisse befand, hungerte ich bei trockenem Brode, um einen Privatpolizisten zu bezahlen, der den Baron beobachten mußte. Auch das war resultatlos.«

»Sie erfuhren gar nichts?«

»Gar nichts als nur das, daß der Baron einige Male von dem Compagnieschreiber vergebens aufgesucht worden war.«

»Hm! Das war freilich zu wenig, um diese Beiden fassen zu können. Und doch hatte Keilberg den Baron aufgesucht, um sich den Sündenlohn auszahlen zu lassen.«

»So ist mein Verdacht also gerechtfertigt gewesen?«

»Vollständig! Diese Beiden waren die Thäter. Keilberg hat die secreten Papiere entwendet. Das Uebrige übernahm Alberg.«

»Ich dachte es, ich dachte es! Auch mein armer, unglücklicher Mann war überzeugt davon. Mein Gott, was haben wir gelitten, innerlich und äußerlich!«

»Das glaube ich Ihnen. Aber Ihre Ehre soll vollständig hergestellt werden!«

»Nun mein Mann längst todt ist! Wer macht ihn mir wieder lebend? Wer macht all das Herzeleid ungeschehen, welches mit Bergeslast auf uns gelegen hat?«

»Das ist leider nicht möglich; aber so viel gesühnt werden kann, soll gesühnt werden. Und Ihre Leiden sollen der Boden sein, aus welchem Ihrem Sohne eine schöne Zukunft erwächst. Das mag der Trost sein, welcher Sie mit der Vergangenheit aussöhnt.«

»Mein Mutterherz hat den heißen Wünsch, daß Eurer Majestät. Prophezeiung in Erfüllung gehen möge. Aber sollen diese Beiden, die Schuldigen, ihrer Strafe entgehen?«

»Es ist leider die gesetzliche Verjährung eingetreten. Den Paragraphen des geschriebenen Gesetzes brauchen sie nicht mehr zu fürchten. Aber es giebt ein anderes, höheres, unerbittliches Gesetz, welchem sie verfallen sind, und es giebt einen Mann, der sie im Nacken packen wird, obgleich sie glauben, daß keine Strafe sie treffen kann. Dieser Mann bin ich. Ich werde mich dieses Keilberg versichern. Er entkommt mir nicht. Und sodann werde ich erfahren, wo der Baron Alberg zu finden ist.«

»In Wien, Majestät.«

»Das vermuthete auch ich.«

»Er war sogar vor Kurzem ganz in der Nähe von hier.«

»Wo?«

»In Steinegg. Er hat das dortige Schloß gekauft, und noch jetzt befindet sich seine Tochter Milda dort, um – – – Gott, an sie habe ich gar nicht gedacht! Welch ein Herzeleid und Unglück für sie, wenn sie erfährt, was ihr Vater auf seinem Gewissen trägt! Majestät, um ihretwillen möchte ich ihrem Vater verzeihen!«

»Kennen Sie sie?«

»Ja. Mein Sohn ist heut bei ihr.«

»Ah! Sonderbar! Was will er dort?«

»Sie hat ihm den Ausbau des Schlosses übertragen.«

»Wie! Ihm! Kennt sie ihn denn so genau? Weiß sie, daß er der Mann ist, ein so schwieriges und verantwortungsreiches Werk durchzuführen?«

»Sie scheint davon überzeugt zu sein. Rudolf freilich ist nicht sofort auf ihre Offerte eingegangen. Er hat sich Bedenkzeit erbeten. Er behauptet noch heut, daß er eine große Kühnheit begehe, wenn er das Werk übernehme. Aber wir sind arm; wir müssen und wollen leben. Das Anerbieten der Baronesse befreit uns nicht nur von Nahrungssorgen, sondern stellt ihm auch die Mittel reichlich in Aussicht, an seiner Ausbildung fort zu arbeiten. Darum ist er heut zu ihr, um ihr mitzutheilen, daß er gesonnen sei, zu acceptiren.«

»Hm! Weiß sie, wer er eigentlich ist?«

»Keine Sylbe!«

»Von wem ist er ihr vorgestellt worden?«

»Von Niemandem. Sie sind einander ganz zufällig begegnet, mitten im Walde, während eines Gewitters; da hat sich die Bekanntschaft angeknüpft.«

Ueber Ludwigs Gesicht glitt ein undefinirbares Lächeln. Er sagte:

»Hm! Sie müssen während dieses Gewitters sehr viel über Architectur gesprochen haben, da die Dame so schnell die Ueberzeugung gewonnen hat, in ihm den Künstler gefunden zu haben, dem sie die Lösung einer solchen Aufgabe anvertrauen kann. Hegen Sie irgendwelche außergeschäftliche Theilnahme für sie?«

»Sogar eine ganz außergewöhnliche und innige. Sie ist ein Engel. Sie ist sogar hier bei mir gewesen, um mir Trost in meiner Krankheit zu bringen.«

»Wie weit liegt Steinegg von hier?«

»Man kann es in drei Viertelstunden erreichen. Der Weg führt durch den Wald hinab auf die Hohenwalder Straße, welcher man nach rechts zu folgen hat.«

»Ah, ists so! Wart, Bursche, jetzt habe ich Dich!«

Die Frau blickte ihn fragend an. Darum erklärte er ihr:

»Ich bin nämlich jetzt überzeugt, daß dieser Hermann Arthur Willibold Keilberg hinab nach Schloß Steinegg ist. Er ließ sich verlauten, daß er den Baron von Alberg aufsuchen wolle, jedenfalls um ihm eine Summe Geldes zu erpressen. Er wird nicht wissen, daß der Baron bereits wieder abgereist ist. Nun wird er sich an dessen Tochter wenden – – –«

»Das darf er nicht; das darf er nicht!« rief Frau von Sandau. »Das liebe, herzige Kind darf nicht erfahren, welch einen Vater es hat. Man muß sofort einen Boten nach Schloß Steinegg senden, welcher es verhindert, daß dieser Mensch zu ihr kann!«

»Ich glaube, Sie haben diese Baronesse lieb gewonnen?«

»Von ganzem Herzen. Aber, wen kann man zu ihr senden?«

»Niemand. Man müßte sich dem Boten anvertrauen, und das geht nicht. Darum ist es gerathen, man macht sich selbst auf den Weg.«

Er erhob sich von seinem Stuhle.

»Wie?« fragte sie, beinahe erschrocken. »Majestät wollten – – –?«

»Selbst nach Steinegg gehen? Ja.«

»Das ist ja unmöglich!«

»Warum?«

»Erstens ist es beinahe Nacht, und zweitens kann ich mir ganz unmöglich denken, daß Euer Majestät sich persönlich mit dieser Angelegenheit befassen und sich in derselben einer solchen Mühe unterziehen werden.«

Er lächelte ihr gütig entgegen und antwortete:

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich heut Privatmann bin. Als solcher bin ich Herr meiner Zeit und kann thun, was mir behagt und Vergnügen macht. Ich fühle ein sehr lebhaftes Interesse für Ihre Person und Ihre Schicksale, und so werden Sie mir wohl erlauben müssen, meinen heutigen Spaziergang bis Schloß Steinegg auszudehnen. Vielleicht ist Ihr Sohn noch dort anwesend oder er begegnet mir unterwegs. Jedenfalls aber werde ich dafür sorgen, daß Sie von dem Erfolge, den ich habe, benachrichtigt werden.«

»Ich kann Majestät nicht hinderlich sein. Sind Sie aber wirklich entschlossen, nach Steinegg zu gehen, so gestatte ich mir die unterthänigste Bitte, dort nicht merken zu lassen, daß ich eigentlich von Adel bin.«

»Gern. Ihr Sohn aber ist von diesem Umstände unterrichtet?«

»Auch erst seit kürzester Zeit. Er hat stets die Ueberzeugung gehabt, von bürgerlichen Eltern zu stammen.«

Es versteht sich ganz von selbst, daß damit die Unterredung noch nicht vollständig beendet war. Es gab noch Fragen und Antworten, Bemerkungen und Erkundigungen. Daran schlossen sich die Danksagungen der glücklichen Frau, und so kam es, daß es bereits dunkel war, als der König Eichenfeld verließ, um nach Schloß Steinegg zu gehen.

Die Folge wird zeigen, wie leicht verhängnißvoll ihm das werden konnte.

Rudolf Sandau begegnete ihm nicht. Dieser hatte durch die Nachricht, daß er die Renovirung des Schlosses übernehmen wolle, Milda von Alberg herzlich erfreut. Er war eine Weile bei ihr geblieben und hatte sich dann verabschiedet, um nach Hohenwald zu gehen und seinen Freund, den Lehrer Walther, aufzusuchen.

Milda war eine Strecke weit mit ihm gegangen und kehrte dann nach dem Schlosse zurück. Kurz vor demselben sah sie einen Kerl stehen, der die Gebäude forschend betrachtete und auch sie einer eingehenden Okularinspection unterwarf.

Es war Keilberg. Er schritt langsam hinter ihr her und kam einige Minuten später als sie unter dem Portale an. Dort stand der Hausmeister, jener Beamte, mit welchem der Wurzelsepp ein Intermezzo erlebt hatte.

»Ist das hier Schloß Steinegg?« fragte ihn Keilberg.

»Ja,« antwortete der Hausmeister, ihn mit stolzem Blicke begutachtend.

»Gehört es dem Herrn Baron von Alberg?«

»Ist der Herr zu sprechen?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Geht Ihm das was an?«

»Ja.«

»Inwiefern?«

»Weil ich mit ihm zu reden habe.«

»Was?«

Der verachtungsvolle Ton, in welchem der Hausmeister zu ihm sprach, ärgerte Keilberg. Er antwortete:

»Ist Er etwa der Herr Baron?«

»Nein.«

»So braucht Er also auch nicht zu wissen, was ich mit diesem zu sprechen habe. Melde Er mich also nur an.«

»So! Er scheint das Befehlen gewohnt zu sein!«

»Grad so, wie Er das Gehorchen.«

»Rede Er keinen Unsinn! Was Er mit dem gnädigen Herrn zu reden hat, das kann man sich denken.«

»Ach! Ist Er wirklich so gescheidt? Das sieht man Ihm gar nicht an. Nun, was habe ich denn mit ihm zu reden?«

»Er will ihn anbetteln.«

»So! Da ist Er freilich mit seinem Scharfsinne nicht weit gekommen. Ich brauche keinen Menschen anzubetteln. Ich bin vielmehr gekommen, dem Herrn Baron einen Gefallen zu thun. Ich bringe ihm eine Nachricht, auf welche er jedenfalls seit Langem gewartet hat.«

»Er sieht aber nicht darnach aus, als ob Er ein von dem gnädigen Herrn so sehnlichst erwarteter Bote sei!«

»Es giebt der Boten verschiedene. Er weiß wohl, daß Sein Herr Diplomat ist. Nicht jeder Mensch ist das, was er zu sein scheint. Verstanden! Also melde Er mich, sonst kann Er sich von Seinem Herrn eine Nase zuziehen, die zehnmal weiter reicht als Sein kurzer Verstand.«

Dieses rücksichtslose, selbstbewußte Auftreten brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Der Hausmeister wußte aus langjähriger Erfahrung, daß der Baron zuweilen auch heimlich mit Leuten verkehrte, mit denen öffentlich sich sehen zu lassen, er sich gehütet haben würde. Vielleicht war das so ein Mann. Darum sagte er in einem weniger unhöflichen Tone:

»Ich habe Ihnen bereits mitgetheilt, daß der gnädige Herr nicht zu sprechen ist.«

»Und ich habe bereits gefragt, warum er nicht zu sprechen ist.«

»Weil er sich nicht mehr hier befindet.«

»Wo denn?«

»In Wien.«

»Das ist nicht wahr!«

»Oho! Wollen Sie mich Lügen strafen?«

»Das nicht, aber nach ganz sorgfältig eingegangenen Erkundigungen habe ich die Gewißheit erhalten, daß er sich auf Schloß Steinegg befindet.«

»Man hat Ihnen die Wahrheit gesagt, doch ist er indessen wieder abgereist.«

»Sie sagen die Wahrheit?«

»Erkundigen Sie sich weiter.«

»Verdammt! Das ist höchst unangenehm und kann auch für den Herrn Baron verhängnißvoll werden.«

»Wieso?«

»Da Sie der Herr Baron nicht sind, kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten. Es handelt sich um ein Geheimniß, eine für den gnädigen Herrn hochwichtige Angelegenheit, welche keinen Aufschub verträgt.«

Er sagte das, weil er noch immer glaubte, daß der Baron doch wohl anwesend sei. Der Hausmeister aber würde durch diese Worte in Besorgniß um seine Herrschaft versetzt. Er fragte:

»Ist es denn wirklich so wichtig?«

»Mehr als Sie denken. Es liegt Gefahr im Verzuge.«

»Dann ist es vielleicht gerathen, sich an das gnädige Fräulein zu wenden.«

»Seine Tochter, also die Baronesse?«

»Ist das vielleicht die Dame, welche vor einer Minute durch das Portal ging?«

»Ja.«

»Hm! Ich weiß nicht, ob ich von solchen Dingen zu ihr sprechen kann. Lieber wäre es mir auf alle Fälle, er wäre selbst da.«

»Da dies aber nicht der Fall ist, so haben Sie die Wahl, nach Wien zu reisen, um mit ihm zu sprechen, oder der Baronesse Ihre Mittheilungen zu machen.«

Keilberg dachte einige Augenblicke nach, dann entschied er sich:

»Ich sehe ein, daß es besser ist, mich an die Dame zu wenden. Melden Sie mich also!«

»Welchen Namen soll ich nennen?«

»Privatsekretär Keilberg.«

»Kommen Sie.«

Er führte ihn eine Treppe empor, hieß ihm im Vorzimmer warten und entfernte sich. Als er wiederkam, brachte er die Nachricht, daß die Dame ihn empfangen wolle, und führte ihn in ihr Zimmer.

Als Keilberg dort eintrat, stand Milda am Tisch, die Rechte auf die Platte desselben stützend. Sie überflog seine schäbige Gestalt mit kaltem, stolzem Blicke und fragte:

»Was wollen Sie?«

Einem Manne gegenüber wäre er wohl grob geworden. Die hohe, reine Weiblichkeit der Baronesse aber imponirte ihm. Er wurde verlegen und antwortete beinahe stotternd:

»Ich – ich wollte eigentlich zum – zum gnädigen Herrn Baron.«

»Es ist Ihnen bereits angedeutet worden, daß Sie ihn in Wien finden werden.«

»So weit kann ich nicht gehen.«

»So fahren Sie.«

»Dazu fehlen mir die Mittel.«

»Ach! Sie kommen, sich dieselben bei mir auszahlen zu lassen?«

»Nein. Sie würden mir doch nichts geben, denn Sie kennen mich nicht!«

»Ich würde sie Ihnen doch vielleicht geben, wenn Sie sich legitimirt hätten.«

»In welcher Weise müßte das geschehen?«

»In der Weise, daß Sie mir beweisen, daß Sie wirklich etwas so Wichtiges mit dem Baron zu sprechen haben.«

»Das habe ich.«

»Was?«

»Ich glaube nicht, daß ich es Ihnen mittheilen darf.«

»So sind wir fertig und Sie können gehen.«

Sie drehte ihm den Rücken zu und ging nach dem Fenster.

Seine Verlegenheit wuchs. Aber er überwand sie. Geld brauchte er, Geld. Er konnte das Schloß nicht ohne Geld verlassen: darum sagte er, allerdings mit unsicherer Stimme:

»Gnädiges Fräulein, ich will Ihnen den Beweis bringen.«

Sie wendete sich ihm wieder zu.

»Wie Sie wollen. Können Sie sich aber überhaupt zunächst als denjenigen legitimiren, für den Sie sich ausgeben, Privatsekretär Keilberg?«

»Ja.«

»So thun Sie es!«

Sie streckte ihm die Hand entgegen, um die Legitimation in Empfang zu nehmen. Er zog sie nur langsam und zögernd aus der Tasche. Es war ihm dieser Dame gegenüber doch nicht ganz gleichgiltig, von ihr als ein Zuchthäusler erkannt zu werden. Er streckte ihr das Papier hin.

Sie trat für einen Augenblick zurück, zog Handschuhe an und griff erst nun nach der Legitimation. Das ärgerte ihn. War er denn ein räudiger Hund, daß sie sich scheute, etwas anzugreifen, was er in der Hand gehabt hatte! Er erhielt mit einem Male seine ganze freche Sicherheit zurück und hielt seinen Blick fest und herausfordernd auf sie gerichtet, als sie die wenigen Zeilen las. Sie legte dieselben sodann, statt sie ihm wieder zu geben, auf den Tisch, zuckte die Achseln und sagte:

»Aus dem Zuchthause! Direct zum Baron von Alberg! Was wollen Sie von ihm?«

»Bitte, mein Fräulein, es giebt auch brave Leute im Zuchthause –«

»Schön! Weiter!«

»Und Spitzbuben unter den freien Leuten! Mancher gehört hinein, der auf die Gefangenen schimpft und sie verachtet!«

»Mir gleichgiltig. Kommen Sie zur Sache!«

»Ich bin bei der Sache, die Ihnen nicht so sehr gleichgiltig sein kann. Ich meine nämlich, daß Ihr Vater in das Zuchthaus gehört.«

Sie erschrak nicht, sie erröthete und erbleichte auch nicht. Aber ihre schlanke Gestalt richtete sich höher auf, und die Züge ihres schönen Antlitzes nahmen einen starren, unberührbaren Ausdruck an.

»Weiter!« befahl sie.

»Er hatte erwartet, daß sie ihn einen frechen Menschen nennen, vom Hinauswerfen reden, überhaupt in heftigen Zorn gerochen werde. Daß nichts von alledem geschah, brachte ihn aus dem Concepte. Er blickte sie betroffen, beinahe ängstlich an; dann antwortete er:

»Sie glauben es natürlich nicht. Aber es kommt nur auf mich an. Wenn ich aus der Schule plaudere, so ist es aus mit ihm!«

»Weiter!« erklang es wieder wie vorher.

»Soll ich es Ihnen erzählen?«

Sie nickte nur.

»Da stattete er ihr denselben Bericht ab, den er bereits vorher dem Könige gegeben hatte. Sie hörte ihm ruhig bis zum Schlusse zu, unbeweglich. Wäre nicht der Blick ihres Auges gewesen, so hätte man sie für eine leblose Statue halten können. Diesem Verhalten gegenüber war ihm der Schweiß auf die Stirn getreten. Als er geendet hatte, fragte sie kalt und in ruhigem Tone:

»Warum sind Sie gekommen, dies hier zu erzählen?«

»Weil – weil – weil ich mich in Noth befinde.«

»Sie brauchen Geld?«

»Ja.«

»Wieviel?«

»So viel er mir damals versprochen hat. Für weniger verkauf ich mein Schweigen nicht. Ich will meinen Lohn haben.«

»Sie sollen ihn haben. Doch paßt es mir erst morgen Vormittags.«

»Das schadet nichts, wenn ich nur einstweilen so viel bekomme, daß ich im Gasthofe logiren kann.«

»Das ist nicht nöthig. Sie werden hier im Schlosse ein Zimmer und alles Nöthige erhalten. Ist Ihnen das recht?«

»Vollkommen, vollkommen!« rief er erfreut.

Sie klingelte und befahl dem eintretenen Diener das Nöthige. Dieser nahm Keilberg mit sich fort; auf ein abermaliges Klingeln erschien ein anderer Diener, dem sie befahl den Fremden als Gefangenen zu betrachten und ihn so zu bewachen, daß er das Schloß ohne ihre Erlaubniß nicht verlassen könne.

Dann blieb sie lange, lange Zeit einsam in ihrem Zimmer. Sie klingelte nicht nach Licht, sie befahl nicht, zum Abendmahls zu decken. Die Dienerschaft wurde besorgt um die von allen geliebte Herrin.

Es war dieser fremde Kerl gekommen. Er hatte gegen alle Voraussicht ein Zimmer angewiesen erhalten, und das gnädige Fräulein hatte den Befehl ertheilt, ihn wie einen Gefangenen zu bewachen. Das war eine Außerordentlichkeit, welche sich Niemand erklären konnte.

Der Hausmeister erzählte, was er mit diesem Fremden gesprochen hatte. Das Auftreten desselben war ein so selbstbewußtes, ja sogar drohendes gewesen. Was hatte er gewollt? Was war geschehen oder was sollte noch geschehen? Die Herrin ließ sich nicht sehen. Man bekam Angst, und es wurde beschlossen, daß die Zofe es wagen solle, ungerufen bei dem gnädigen Fräulein einzutreten.

Sie klopfte an deren Thür, aber es erfolgte von innen keine Antwort. Da trat sie ein.

Es war dunkel in dem Zimmer. Nur der Schein der draußen vor dem Schlosse brennenden Laternen warf einen leisen, Ungewissen Schimmer herein.

»Gnädiges Fräulein!« sagte sie in bittendem Tone.

Sie erhielt keine Antwort.

»Mein liebes, gnädiges Fräulein!«

Da erklang es leise aus der Gegend, in welcher das Sopha stand:

»Was willst Du?«

»Ich wollte fragen, ob Sie nichts zu befehlen haben.«

»Nein.«

»Wollen Sie nicht speisen? Die Zeit ist ja längst vorüber.«

»Ich danke!«

»Oder soll ich Licht bringen?«

»Nein. Das Dunkel thut mir wohl. Laß mich jetzt so hier bleiben.«

Das klang wie aus gewaltsam unterdrücktem Schluchzen heraus. Die Zofe entfernte sich wieder. Draußen standen die Andern und fragten, wie sie die Gnädige gefunden habe.«

»Sie weint. Sie will ungestört sein. Sie muß etwas sehr Schlimmes gehört haben. Wer weiß, was für eine Botschaft dieser Mensch gebracht hat. Jedenfalls betrifft dieselbe ihren Vater. O dieser Baron, dieser Baron!«

Die Dienerschaft ging aus einander. Die Leute verhielten sich ruhig und traten ganz leise auf, um die liebe Herrin nicht zu stören. Aber so ganz allein bleiben sollte diese Letztere doch nicht, denn nach einiger Zeit kam die Frau Bürgermeisterin Holberg, die Mutter des Lehrers Walther in Hohenwald. Es war um diese Stunde ihre gewöhnliche Besuchszeit.

Es wurde ihr gar nicht gesagt, daß das Fräulein allein zu sein wünsche. Bei der vertrauten herzlichen Art und Weise, in welcher beide mit einander verkehrten, verstand es sich ganz von selbst, daß sie angemeldet wurde, und bei dieser Gelegenheit trug die Zofe die Lampe in das Gemach des Fräuleins.

Frau Holberg wurde auch empfangen. Als Sie eintrat erhob Milda sich vom Sopha. Ihr Gesicht war bleich und zeigte die Spuren vergossener Thränen.

Frau Holberg bemerkte dies und erschrak. Das ihr entgegengestreckte Händchen ergreifend, fragte sie besorgt:

»Liebes Kind, Du hast geweint, wie ich sehe! Darf ich erfahren, was Dein Herz in dieser Weise betrübt?«

Milda schlang die Arme um sie und brach in neue Thränen aus. Sie konnte vor Schluchzen keine Antwort geben.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen! – Es muß etwas sehr Trauriges sein.«

»Unendlich traurig! So traurig, daß es kaum zu ertragen ist.«

»Laß michs erfahren! Oeffne mir Dein Herz! Mittheilung erleichtert ja immer die beschwerte Seele. Wer trägt die Schuld, mein Kind?«

»Er immer nur er!«

»Wer? Etwa Dein Vater?«

»Ja. Wer sollte es sonst sein! Er allein ist es, von welchem mir alles Herzeleid kommt, er ganz allein.«

»Er, nur immer er! Welch ein Mann! Was er früher gethan hat, das mag immerhin vergessen sein; aber daß er heut noch derselbe ist wie früher, das kann ihm nicht vergeben werden. Komm, meine Milda, setze Dich und erzähle mir.«

Sie zog sie ans das Sopha nieder und setzte sich neben sie. Die Anwesenheit der mütterlichen Freundin verfehlte ihre Wirkung auf das tiefbetrübte Mädchen nicht. Milda fand die Kraft ihren schweren Kummer niederzukämpfen. Sie sagte:

»Von heut und gestern ist das freilich nicht, was mich so traurig gemacht hat. Es ist das vielmehr aus derselben Zeit, in welcher er Dich kennen gelernt hat. Vielleicht stammte es sogar noch von früher her. Die Veranlassung ist auch eine Damenbekanntschaft, eine Liebe, welche von der Betreffenden zurückgewiesen wurde. Dies hat ihn zu einem Verbrechen getrieben, für welches mir jede Bezeichnung entgeht. Ich finde kein passendes Wort, meinen Abscheu auszudrücken.«

»Ein Verbrechen? Ist es ein schlimmes?«

»Es kann kein verabscheuungswürdigeres geben. Es ist schlimmer als ein Mord.«

»Kind, Du erschreckst mich sehr.«

»O, wie bin ich erst erschrocken, als ich es vorhin erfuhr! Er hat eine brave Familie unglücklich gemacht, indem er ihr ihre Ehre raubte. Der Mörder schlägt sein Opfer todt; dasselbe kann dann nichts mehr fühlen. Hier aber ist eine Familie moralisch todt gemacht worden; sie hat äußerlich fortgelebt und also allen Jammer empfinden müssen. Ihr ist gewesen wie bei der Vivisection einem Hunde, welchen man lebendig auf das Bret spannt und ihm das Maul verschließt, damit er nicht heulen und seine entsetzlichen Schmerzen laut werden lassen kann.«

»Wie ist das zugegangen?«

»Mit einem teuflischen Raffinement. Höre mich an. Du bist mir eine liebe, traute Mutter geworden. Dir kann ich alles mittheilen.«

Sie erzählte, was sie von Keilberg erfahren hatte. Auch Frau Holberg war entsetzt über das, was sie hörte; aber sie nahm es auch mit dem kritisirenden Verstande auf. Sie fragte:

»Glaubst Du, daß er das gethan hat?«

»Gewiß.«

»Du hältst ihn also einer solchen That fähig?«

»Leider ja. Es ist traurig, wenn ein Kind ein solches Urtheil über seinen Vater fällen muß; aber ich kann mir nicht helfen; ich muß es thun. Er hat gegen mich gezeigt, daß er aller Ehre und alles Gefühls bar sei. Ich traue ihm nun auch diese That zu.«

»Aber dieser Vagabund kann Dich betrogen haben.«

»Das nehme ich nicht an.«

»Um Dich zu einer Geldzahlung zu bestimmen.«

»Geld will er allerdings haben; das ist ja seine offen ausgesprochene Absicht; aber belogen hat er mich nicht. Er hat nicht mit mir, sondern mit dem Vater reden wollen, von welchem er glaubte, daß er sich hier auf Schloß Steinegg befinde. Ihm hat er ganz dasselbe sagen wollen. Es ist keine Erfindung, was ich habe anhören müssen. Freilich hat er sich in mir getäuscht. Er erhält nichts, keinen Pfennig.«

»So wird er die Sache ausplaudern.«

»Mag er! Ich fürchte ihn nicht.«

»Aber die Rücksicht auf Deinen Vater –«

»Auf ihn? Er geht mich nichts an. Er ist mein Vater nicht mehr. Nicht auf ihn, sondern auf jenen bedauernswerthen von Sandau und dessen Familie habe ich Rücksicht zu nehmen. Ihre Ehre muß wieder hergestellt werden.«

»Das kann aber nur dadurch geschehen, daß Dein Vater an den Pranger gestellt wird!«

»Ich kann ihm nicht helfen. Es giebt für mich gar keinen Zweifel, wie ich zu handeln habe. Wäre mein Verhältniß zu meinem Vater ein kindlich innigeres, so würde ich nicht schweigen. Ich würde mich tief unglücklich fühlen, ihn aber doch veranlassen, die böse That nach Kräften zu sühnen. Nun er aber meine Liebe getödtet und die Achtung und Ehrerbietung, welche das Kind den Eltern zollt, mir aus dem Herzen gerissen hat, werde ich nicht ihn bitten, sondern ihn gradezu zwingen, seine Pflicht zu thun.«

»Er wird sich nicht zwingen lassen.«

»O doch! Meinst Du, daß ich ihn etwa aufsuche, um mit ihm zu reden?«

»Willst Du das nicht?«

»Nein. Von mir würde er sich doch nicht zu der gebotenen Handlung bestimmen lassen. Nein, ich zwinge ihn durch die Polizei.«

»Milda!« rief Frau Holberg erschrocken.

»Ja,« wiederholte das Mädchen, »durch die Polizei!«

»So willst Du die Anzeige machen?«

»Ja. Ich lasse diesen Keilberg arretiren.«

»Ach! Darum hast Du ihn hier behalten?«

»Ja.«

»Warum hast Du da nicht bereits nach der Polizei gesandt?«

»Weil ich erwarte, daß Max heute noch kommt. Er ist mein Bruder, und ich will ihn um Rath fragen. Ich möchte in dieser Angelegenheit nichts ohne ihn thun.«

»Vielleicht wird er Dir abreden.«

»Das glaube ich nicht.«

»Es ist ja möglich, daß der Polizei die Macht über diesen Keilberg entgangen ist. Ich verstehe mich auf die Gesetze nicht; aber es ist seit jener That eine solche Zeit vergangen, daß ich annehmen möchte die Sache sei verjährt.«

»Mag sein, daß er nicht bestraft werden kann, aber seine Person ist unbedingt nöthig zum Beweise gegen meinen Vater. Und da er ein Zuchthäusler und wahrscheinlicher Landstreicher ist, so wird es auf alle Fälle gerathen sein, ihn festzunehmen und auch festzuhalten.

Sie sagte das mit solcher Energie, daß Frau Holberg sie mit fast erstauntem Blicke ansah und dann in mildem Tone sagte:

»Du scheinst wirklich fest entschlossen, keinerlei Rücksicht gegen Deinen Vater walten zu lassen.«

»Ja, das bin ich. Eine jede That verpflichtet zur Tragung der Folgen, welche aus ihr entspringen. Wer den Muth besitzt zu sündigen, muß auch den Muth haben, die Strafe auf sich zu nehmen. Ich bin keineswegs gewillt, der Mitschuldige dessen zu werden, welcher sich zwar mein Vater nennt, aber niemals väterliche Gefühle für mich besessen hat. Wie oft habe ich bedauert, meine Mutter verloren zu haben. Heut aber preise ich Gott, daß er sie zu sich genommen hat. Ihr ist dadurch großes Herzeleid erspart worden. Nun bin ich es allein, die die schwere Last zu tragen hat, im Vater einen gewissenlosen Verbrecher erkennen zu müssen. O, Mutter, Mutter, meine liebe, gute Mutter!«

Sie faltete die Hände über die Brust und brach in Thränen aus. Mehr um sie von ihrem Herzeleid abzubringen als aus wirklicher Neugierde, sagte Frau Holberg:

»Ich möchte sie wohl gekannt haben.«

»Sie ist eine schöne Frau gewesen. Ihr Aeußeres hat aber unter dem fortwährenden stillen Kummer, den sie zu tragen hatte, nothwendiger und begreiflicher Weise sehr gelitten. Ihr Miniaturbild hast Du ja wohl gesehen?«

»Du hast es mir gezeigt.«

»Aber das größere noch nicht. Komm in mein Bureau, Du sollst es sehen.«

Sie nahm die Lampe und schritt voran, nach einem größeren Zimmer, welches in demselben Corridor lag. Dort traten sie ein und zogen die Thüre hinter sich zu.

Milda hatte zwar den Befehl gegeben, Keilberg ein Zimmer anzuweisen, doch war es ihr nicht als nöthig erschienen, ein gewisses Zimmer zu bezeichnen. Er sollte bewacht werden. Aus diesem Grunde hatte ihn der Hausmeister in ein einfenstriges, kleines Zimmer geführt, welches auch in dem Corridor lag. Hier war die Dienerschaft stets vorhanden, und darum konnte er leichter und unauffälliger beobachtet werden.

Zufälliger Weise nun stieß dieser sein gegenwärtiger Aufenthalt an das Bureau, in welches die Beiden traten.

Er hatte ein Abendmahl erhalten. Eben saß er beim Essen, als er drüben die Thür gehen hörte. Er vernahm die Schritte der Zwei ganz deutlich, obgleich ein großer weicher Teppich dieselben dämpfte, und Damen gewöhnlich leiser auftreten als Männer. Der Grund davon war, daß es eine Verbindungsthür zwischen den beiden Räumen gab.

Sein Blick richtete sich unwillkürlich auf diese Thür und er sah, daß der Schlüssel an seiner Seite steckte. Er trat rasch und leise hinzu, zog unhörbar den Schlüssel ab und blickte durch das Schlüsselloch.

Er sah die Schloßherrin, welche die Lampe auf einen Tisch setzte. Neben derselben stand eine ältere Dame. Sie sprachen miteinander. Er hörte deutlich jedes Wort.

»Ich habe das Bild noch nicht aufgehängt,« sagte Milda. »Ich war im Zweifel darüber, welchen Platz ich demselben geben müsse. Nun liegt es noch da im Depositenschranke. Den Schlüssel habe ich einstecken.«

Sie zog denselben aus der Tasche und trat zu dem erwähnten Schranke.

Er war ganz aus starkem Eisenblech gearbeitet, nach Art der feuerfesten Geldschränke, aber noch einmal so breit als einer derselben. Er stand grade gegenüber der Thür, an welcher Keilberg lauschte. So klein das Schlüsselloch war, der Mensch konnte deutlich sehen, was drüben vorging.

Milda öffnete den Schrank. Es dauerte eine längere Weile, bevor sie den Schlüssel ansteckte. Sie griff mit der linken Hand am Schlosse herum. Jedenfalls war dort ein sogenannter Vexir- oder Sicherheitsapparat angebracht, welcher es einem Fremden, selbst wenn dieser den richtigen Schlüssel besaß, unmöglich machte, den Schrank zu öffnen.

Als die beiden Thüren des Letzteren offen waren, nahm Milda das sorgsam eingeschlagene Porträt ihrer Mutter heraus, entkleidete es der Umhüllung und stellte es so, daß der Schein des Lichtes voll auf dasselbe fiel.

»Das ist sie, das?« sagte Frau Holberg. »Ja, hier ist sie deutlicher und sprechender als auf dem kleinen Elfenbeingemälde. Du siehst ihr außerordentlich ähnlich.«

»Wirklich?«

»Ja, nur daß Deine Züge etwas mehr eigenen Willen und Energie verrathen.«

»Möglich. Leider hatte sie niemals einen eigenen Willen gehabt. Sie war ein weiches, liebebedürftiges, anschlußsuchendes Gemüth. Sie konnte für und in Jemand ganz und gar aufgehen. Das ist ihr Unglück gewesen. Hätte sie mehr Selbstständigkeit besessen, so wäre sie dem Vater wohl öfters entgegengetreten, und der Kummer hätte sie nicht so schnell aufreiben können.«

Sie kniete vor dem Stuhle nieder, auf welchen Sie das Porträt gestellt hatte, drückte dasselbe mit beiden Armen an ihre Brust, grad so als ob sie die Mutter lebend vor sich habe und dieselbe umarmen wollte, und sagte dann in tiefster Betrübniß:

»Meine Mutter! Was würdest Du jammern und klagen, wenn Du heut noch lebtest und das Fürchterliche erfahren hättest. Nun aber weilst Du droben bei Gott unter den Seligen, und kein irdisches Leid kann Dich noch anfechten. Blicke auf mich herab, und bitte den Allgütigen, daß er mir Kraft verleihen möge, diesen Seelenjammer zu ertragen und zu überwinden!«

Da legte Frau Holberg die Hand zärtlich auf ihre Schulter und sprach:

»Ja, sie ist bei den Seligen; aber hier unten hast Du eine Andere, welche Dich mit innigster Mutterliebe empfängt und Dir gern helfen wird, den Gram zu besiegen.«

»Ja, ich habe ja Dich!«

Sie erhob sich und schlang ihre Arme um die Frau, welche durch denselben Mann so unglücklich geworden war. Beide weinten vereint Thränen des Schmerzes und – der Liebe.

Als Milda dann das Bild wieder in den Schrank zurücklegte, fiel ihr Blick auf einige andere in demselben befindliche Gegenstände.

»Das ist mein Kassenschrank,« sagte sie. »Grade jetzt befinden sich ganz bedeutende Summen darin, welcher ich zum Ausbau und zur Einrichtung des Schlosses bedarf. Aber außerdem verbirgt er noch Kostbarkeiten, welche von weit höherem Werths sind. Hier in diesem Kasten liegen zum Beispiel die Brautjuwelen meiner Mutter. Es ist ihr letzter Wille gewesen, daß ich den Schmuck bei meiner Vermählung zum ersten Male trage.«

»Wann wird das sein?« fragte Frau Holberg lächelnd.

»Wohl nimmer.«

»Willst Du ledig bleiben oder in das Kloster gehen?«

»Das Letztere wäre gar nicht so unmöglich, wie Du vielleicht denken magst. Wenn ein Vater in dieser Weise sündigt, so hat seine Tochter gar wohl Veranlassung, eine Braut des Himmels zu wenden, um bei Gott für ihn um Gnade und Nachsicht zu bitten.«

»Kind, das ist doch nicht Dein Ernst?« fragte die Bürgermeisterin fast erschrocken.

»Erschrick nicht! Ich habe noch nicht daran gedacht. Nur Deine Frage brachte mich zu dieser Antwort. Aber ob ich jemals die Braut eines Mannes werde, das möchte ich bezweifeln.«

»Warum?«

»Weil ich mir die Eigenschaften nicht zutraue, welche nothwendig sind, einen Mann glücklich zu machen.«

»Du? Du solltest diese Eigenschaften nicht besitzen!«

»Wohl kaum.«

»Ich bin im Gegentheile überzeugt, daß sie im höchsten Grade Dein Eigen sind.«

»Mein liebes, neues Mütterchen, da möchtest Du Dich wohl täuschen!«

»Wohl kaum!«

»O doch! Eben weil Du mein neues Mütterchen bist, mein neues, kennst Du mich noch viel zu wenig. Lerne mich nur erst richtig kennen, so wirst Du mir Recht geben.«

»Und ob ich Dich kenne. Weißt Du, wer die größte Lehrmeisterin in Beziehung der Menschenkenntniß ist?«

»Wohl Du?«

»O nein. Die Liebe ists. Und weil ich Dich so herzlich liebe, kenne ich Dich genau. Ich denke und fühle mit Dir. Deine Gedanken und Regungen sind mir so offenbar, als ob sie die meinigen wären. Nein, Du täuschest Dich in Dir selbst. Wenn Eine die Eigenschaften besitzt, welche dazu gehören, einen Mann glücklich zu machen, so bist Du das!«

»Ja, ich höre, daß Du mich lieb hast, denn Du beurtheilst mich mit der Nachsicht einer Mutter. Ich aber kenne mich besser. Ich habe meine Jugend in Einsamkeit verbracht, weil, weil –«

Sie hielt erröthend inne.

»Weil –? Nun, warum?«

»Das möchte ich lieber nicht sagen.«

»Sage es nicht; ich weiß es doch.«

»Du kannst es nicht wissen. Ich habe ja davon zu Dir gar nicht gesprochen.«

»Und dennoch weiß ich es.«

»Willst Du allwissend sein?«

»Nein, aber ich kenne Deinen Vater und in Folge dessen ist es mir leicht, es zu errathen. Du bist schön und –«

»Schweig!« bat Milda verschämt, indem sie ihr die Hand auf den Mund legte.

»Warum soll ich darüber schweigen? Du bildest Dir nichts auf die Schönheit ein, die doch nur eine unverdiente Gnadengabe Gottes ist. Ja, Du bist schön, schöner als tausend Andere. Du bist reich und in sehr schlauer Berechnung hat Dein Vater sehr viel auf die Bildung Deines Geistes verwendet. Das Gemüth hat er dabei ganz außer Acht gelassen. Hättest Du nicht dasjenige Deiner Mutter geerbt, so würdest Du jetzt ein ganz herzloses, prahlerisches Dämchen sein. Ich wollte eben sagen, daß Dein Vater einer Berechnung gefolgt ist, bei welcher er eben einen sehr wichtigen Factor außer Acht gelassen hat, nämlich Dein gutes, reines Herz. Er hat Dich in tiefster Einsamkeit gehalten, um dann, wenn er Dich ins große Leben einführt, mit Dir desto größere Furore zu machen. Ists nicht so?«

»Jawohl, und vielleicht gar noch schlimmer. Er hatte Pläne entworfen, zu deren Erfüllung ich ihm die Hand bieten sollte. Aber das hat den Bruch zwischen ihm und mir herbeigeführt. Ich hasse den eitlen Glanz, die Hohlheit und Leerheit des Lebens in der sogenannten großen Welt. Mein Leben soll besseren, würdigeren Zwecken gewidmet sein. Niemals könnte ich einen Mann glücklich machen, welcher seine Aufgabe darin sucht, in jenen Kreisen zu brilliren. Und soll ich mir einen Mann in tieferen Sphären suchen? Vielleicht würde ich ihn finden. Aber darf ein Mädchen überhaupt suchen? Sie muß gesucht werden und ein Mann, der seiner äußeren Stellung nach tief unter mir steht, wird es nicht wagen, seine Hand nach mir auszustrecken. Darum und eben denke ich, daß ich ledig bleiben werde und daß dieser Brautschmuck – o lassen wir das. Ich will ihn Dir lieber einmal zeigen.«

Keilberg zitterte förmlich auf seinem Lauscherposten. In diesem Schranke befanden sich große Summen, ein noch höherer Werth an Juwelen. Ah, wer da einen schnellen, kühnen Griff thun könnte!

Er sah durch das Schlüsselloch, daß Milda ein ziemlich großes Ebenholzkästchen aus dem Schranke nahm und dasselbe öffnete. Es enthielt mehrere Etuis, in denen die einzelnen Gegenstände des Schmuckes auf dunkelsammetner Unterlage ruhten. Das schöne Mädchen zeigte der mütterlichen Freundin Alles, das Brautdiadem, das prächtige Collier, die Armbänder, Ringe, Brochen und Diamantgehänge. Das funkelte und glitzerte im Lampenschein, daß dem Lauscher die Augen übergingen.

Dann legte sie Alles in das Kästchen zurück und stellte dasselbe in den Schrank.

»Und hier habe ich das größte Kleinod, welches Mutter mir hinterlassen hat, nämlich das Tagebuch, welches sie in den letzten Jahren vor ihrer Vermählung geführt hat. Es ist darin zu lesen, auf welche Weise sie ihren Mann, meinen Vater, kennen gelernt hat. Möchtest Du das nicht gern wissen?«

»Es müßte freilich sehr interessant sein, es zu erfahren.«

»So nehmen wir es jetzt mit auf mein Zimmer. Ich lese es Dir vor. Du hast doch Zeit dazu?«

»O, sehr gern, mein liebes Kind. Ich kann versichern, daß –«

Sie wurde unterbrochen. Die Zofe trat ein und meldete, daß ein Bote vom Herrn Lehrer Max Walther gekommen sei, der Etwas abzugeben habe.

»Das muß sehr nothwendig sein,« sagte Milda. »Er kommt nicht selbst und sendet einen Boten. Ich komme gleich.«

Sie ging mit der Zofe hinaus. Es verging eine kurze Weile, dann öffnete sie von Außen die Thür und rief in erregtem Tone hinein:

»Komm schnell herüber in mein Zimmer. Es ist wirklich etwas höchst, höchst Wichtiges.«

»Willst Du nicht erst hier abschließen?« bemerkte die vorsichtige Frau.

»Komm nur, komm. Es ist sehr wichtig. Ich schließe nachher ab. Unter meinen Leuten giebt es keinen Dieb.«

Frau Holberg folgte ihr. Der Bote war wieder fort, aber das Couvert, welches er gebracht hatte, lag auf dem Tische. Milda hielt den Inhalt desselben in ihrer Hand. Ihr Gesicht war noch bleicher als vorher und in ihren Augen lag ein geisterhafter Glanz. Man hätte sich vor ihr fürchten können.

Frau Holberg sah das und erschrak.

»Kind, was hast Du? Was ist mit Dir? Was machst Du für ein Gesicht?«

Milda befand sich allerdings in einem ganz ungewöhnlichen Seelenzustande. Ihre Stimme, als sie jetzt antwortete, klang förmlich rauh, als ob die Silben nur mit aller Anstrengung über die Lippen gebrächt werden könnten.

»Ich – ich – ich habe auch – – auch alle Veranlassung dazu,« sagte sie.

»So theile Dich mir mit! Schnell, schnell! Dann wirst Du die Last los!«

»Eine Last? O, es ist mehr, weit mehr als eine Last. Mutter, jetzt kannst Du beweisen, daß Du wirklich meine Mutter sein willst!«

»Daran ist ja gar kein Zweifel. Sprich nur! So rede doch!«

»Hast Du vielleicht in Deiner Wohnung ein kleines Zimmerchen übrig, ein ganz kleines Zimmerchen?«

»Wozu?«

»Für ein armes, blutarmes Mädchen, welches zu Dir ziehen und bei Dir wohnen möchte!«

»Das könnte ich wohl beschaffen. Aber wer ist dieses Mädchen? Vielleicht wohl ein Schützling von Dir?«

»Nein. Ich – ich – ich bin es selbst.«

»Du?! Kind, was fällt Dir ein! Was redest Du für Zeug.«

»Es ist so; es ist in Wirklichkeit so. Du nanntest mich vorhin ein reiches Mädchen. O Gott, wenn Du wüßtest, wie reich, wie unendlich reich ich bin.«

Sie sprach das in qualvollster Selbstironie aus. Frau Holberg schüttelte den Kopf und sagte:

»Ich verstehe kein Wort. Bitte, erkläre Dich deutlicher!«

»Kann ich es deutlicher sagen. Ich bin arm, ärmer als die Aermste auf Gottes Erde!«

»Du, die Besitzerin dieser reichen Herrschaft, dieses Schlosses, der Geldsummen und Juwelen, welche wir uns soeben erst betrachtet haben.«

»Das gehört Alles nicht mir.«

»Wem denn? Deinem Vater?«

»Nein. Er hat es gestohlen.«

»Gott! Redest Du vielleicht irre?«

»Nein, es ist so.«

»Beweise es, beweise es.«

»Hier ist der Beweis.«

Sie deutete auf die Papiere, welche sie in der Hand hielt.

»Es kann nicht wahr sein. Du mußt und mußt Dich irren.«

»Nein, es ist wahr. Mutter selbst schreibt es mir.«

»Es ist eine Täuschung, anders nicht.«

»Nein, es ist gar kein Zweifel möglich?«

»Aber wem soll das Alles gehören?«

»Jener Familie – mein Gott, was haben wir an dieser Familie Alles gut zu machen! Jener Familie Sandau gehört Alles.«

»Wieder und wieder diese Sandaus!«

»Ja. Du weißt doch, daß ich ein erst kürzlich aufgefundenes Schreiben meiner Mutter nicht vollständig lesen konnte, weil die Schrift verblaßt war?«

»Ja. Du hast es Max mitgegeben.«

»Er hat die Schrift chemisch aufgefrischt und schickt es mir jetzt zu. Dabei schreibt er mir jetzt Folgendes:«

Sie nahm einen kleinen Briefbogen, welcher mit im Couverte gesteckt hatte, und las:

»Mein liebes Schwesterchen!
Soeben zeigt sich die Wirkung des Verfahrens, welchem ich die Schrift Deiner seligen Mutter unterworfen habe. Es ist mir gelungen, die Züge so aufzufrischen, daß sie so gut zu lesen sind, als ob sie erst gestern geschrieben worden wären. Freilich bin ich über den Inhalt ebenso erschrocken, wie auch Du erschrecken wirst. Aber ich habe einen Trost. Ich kenne Dein starkes, tapferes Herz und bin überzeugt, daß Du aus dem inneren Kampfe siegreich hervorgehen wirst.
Ich wollte Dir heute die Zeilen selbst bringen, um bei Dir sein zu können mit meinem brüderlichen Rathe. Leider aber haben wir grad heute Abend eine sehr nothwendige Besprechung in Beziehung des Processes gegen den Silberbauer und so kann ich nicht kommen. Da mir aber der Inhalt des Schreibens so sehr wichtig erscheint, darf ich Dir denselben keinen Augenblick vorenthalten und so sende ich Dir das Vermächtniß Deiner guten Mutter durch einen Boten.
Es ist anzunehmen, daß meine Mutter sich bei Dir befindet, wenn Du meine Zeilen erhältst. Das tröstet mich, denn ihr Beistand wird Dich aufrichten und Dir die Beruhigung geben, welche ich Dir durch meine Gegenwart doch wohl nicht in dieser Weise bringen könnte. Morgen komme ich ganz gewiß. Bis dahin wirst Du zu einem Entschlusse gekommen sein, den zu vernehmen sehr wißbegierig ist
Dein Bruder Max Walther.«

Sie hatte gelesen und legte den Brief auf den Tisch. Ihr Auge war dunkel und mit einem unbeschreiblichen Blicke auf Frau Holberg gerichtet. Diese sagte:

»Das, das schreibt Max! Kind, das klingt freilich Unglück verheißend!«

»Und doch ist das, was er meint, noch viel schlimmer, als man ahnen möchte.«

»Was ists? Sage es; laß es mich wissen. Komm her aufs Sopha! Setzen wir uns nieder. Bitte, bitte, Milda!«

Das Mädchen ließ sich von ihr auf das Sopha ziehen und faltete dann das Schreiben ihrer Mutter auseinander.

»Den Inhalt, so weit er zu lesen war, kennst Du bereits. Nun aber kommt das Weitere, welches erst jetzt zu enträthseln ist.«

»Lies es vor! Schnell! Ich kann es kaum erwarten!«

»So höre!«

Ihre Lippen waren vollständig blutleer, und ihr Gesicht besaß nicht die mindeste Spur von Farbe. Sie las langsam und mit tonloser Stimme:

»Ich bin Theilhaberin an einem großen Verbrechen geworden und kann nicht von hinnen gehen, bevor ich es von meiner Seele gewälzt habe.
Leider ist meine Liebe zu Dir so groß, daß ich nicht den Muth finde, es sofort zu sühnen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Du, wenn ich von Dir geschieden bin, in Armuth und Hunger und Elend versinken sollst. Darum sollst Du es erst später erfahren. Wenn dann diese Zeilen in Deine Hände gerathen, dann bist Du wohl erwachsen und auch stark genug, das Unvermeidliche zu tragen. Wenn dadurch Anderen ein verlängertes Unrecht geschieht, so wird Gott, der Allgütige, mir verzeihen. Ich kann nicht anders. Ich will wenigstens dafür sorgen, daß Deine Jugend ungetrübt von den ordinären Sorgen des Lebens sei und Dir die Mittel zur Verfügung stehen, Dir diejenige Bildung und die Kenntnisse anzueignen, mit deren Hilfe Du Dir einen Weg zu bahnen vermagst, wenn Du erfährst, daß Du eigentlich ein armes Mädchen bist.
Wie Du weißt, wurde ich mit meiner Cousine Emilie von Sendingen bei einer alten steinreichen Tante erzogen. Sie hatte uns Beide gleich lieb und beabsichtigte in Folge dessen, uns an ihrer einstigen Hinterlassenschaft zu gleichen Theilen theilnehmen zu lassen.
Da wurde uns der Baron von Alberg vorgestellt. Die Tante konnte ihn nicht leiden. Sie hegte kein Vertrauen zu seinem Character. Er machte Emilien den Hof. Sie aber wies ihn ab und vermählte sich später mit dem Herrn von Sandau, welcher zunächst ganz glücklich mit ihr lebte, dann aber das Vertrauen seiner Vorgesetzten in wirklich schmachvoller Weise täuschte und demnach auf das Strengste bestraft wurde.
Auf mich dagegen hatte das glatte, gewandte Wesen Albergs einen solchen Eindruck gemacht, daß ich beschloß, selbst gegen den Willen der Tante seine Frau zu werden. Sie rieth mir ab; ich aber hatte keine Ohren für ihre Vorstellungen und blieb fest in den Banden des Mannes, welcher es verstanden hatte, mich so für sich zu gewinnen, daß ich bereit war, ihm Alles zu opfern.
Noch am letzten Tage sagte mir die Tante, daß sie dafür sorgen müsse, daß ihr Vermögen nicht in die Hände dieses Mannes gerathe. Sie enterbte mich und setzte ihr Testament in meiner Gegenwart auf. Die Zeugen, welche sie geladen hatte, unterschrieben es, und sie verwahrte es in der eisernen Schatulle, in welcher sie ihre Kostbarkeiten aufzuheben pflegte.
Natürlich erzählte ich dies Alberg. Er lachte darüber und tröstete mich mit der Versicherung, daß er mich um meiner selbst willen liebe und nicht um des Vermögens willen heirathe. Emilie von Sendingen wurde zur Universalerbin erklärt; ich war enterbt und wurde Albergs Frau.
Wie sehr ich mich in ihm getäuscht hatte, das sollte ich sehr bald bemerken. Er hatte von großen Gütern gesprochen, welche sein Eigenthum seien, von einer glänzenden Carriere, welche er machen werde – es war Alles erlogen. Er besaß nichts und war nichts als nur – ein routinirter, professioneller Spieler. Er lebte davon, Anderen im Hazard das Geld abzunehmen.
Was ich da gelitten und ausgestanden habe, das kann ich Dir unmöglich beschreiben. Glücklicher Weise oder vielmehr leider sollte sich wenigstens unsere pecuniäre Lage bald in eine bessere, ja sogar glänzende verwandeln. Die Tante starb. Ihr Testament wurde gefunden und eröffnet. Sie hatte – mich zur Universalerbin eingesetzt. Denke Dir mein freudiges Erstaunen!
Herr von Sandau, welcher damals noch Officier war, focht das Testament an. Er wußte ganz genau, daß die Tante seine Frau und nicht mich hatte zur Erbin einsetzen wollen. Er brachte Zeugen vor, zu denen sie noch kurz vor ihrem Tode gesagt hatte, daß ich enterbt worden sei – es half ihm nichts. Emilie erhielt keinen Pfennig. Ich wollte ihr freiwillig eine Summe auszahlen lassen, aber das gab mein Mann nicht zu.
Das Testament war unanfechtbar gewesen. Es hatte alle Eigenschaften, welche zur Rechtskraft erforderlich sind, und die sämmtlichen Verwandten der drei Zeugen, von denen es unterschrieben worden war, erklärten und beschworen, daß die Unterschriften echt seien.
Die drei Zeugen waren nämlich merkwürdiger Weise gestorben. Der Eine starb am Typhus, also eines natürlichen Todes; die beiden Andern aber waren, der Erste im Duell und der Zweite in der Schweiz gestorben, wo er auf einer Fußtour verunglückte.
Erst nach längerer Zeit fand ich einmal den Schreibtisch meines Mannes offen. Ich blickte in das Fach und fand – das echte Testament der Tante, in welchem ich enterbt worden war. Denke Dir das Entsetzen, welches sich meiner bemächtigte!
Es gab eine fürchterliche, unbeschreibliche Scene zwischen mir und ihm. Er hat es mir nicht gestanden, aber ich ersah es aus seinem Verhalten und seinem höhnischen Wesen, daß er den einen Zeugen im unehrlichen Zweikampfe erschossen und dem Andern in der Schweiz aufgelauert hatte, um ihn vom Felsen zu stürzen. Wie und auf welche Weise es ihm dann gelungen ist, das echte Testament in seine Hände zu bringen und ein gefälschtes an dessen Stelle zu thun, das ist mir unbegreiflich. Er hat es mir natürlich nicht mitgetheilt.
Was sollte ich thun? Ihn anzeigen und in Armuth und Elend versinken? Ich trug damals Dich unter dem Herzen. Und zu eben derselben Zeit wurde Herr von Sandau infam cassirt. Sollte er, der Verbrecher, das Vermögen erhalten?
Ich habe gekämpft und gerungen, aber nicht gesiegt, denn ich habe geschwiegen, während ich reden sollte. Später sandte ich Sandau, als er entlassen war und ich erfuhr, daß er seine Schande gern in Amerika vergraben wolle aber keine Mittel zur Ueberfahrt habe, tausend Thaler, mit deren Hilfe es ihm möglich war, seinen Vorsatz auszuführen. Ich hörte, daß Emilie ihm einen Knaben geboren habe.
Wie ich nun gelebt und mich mit meinem Gewissen abgefunden habe, das will und kann ich nicht beschreiben. Nun stehe ich vor dem nahen Tode. Was soll ich thun? Soll ich als Mitwisserin jener Verbrechen sterben oder Dich dem Elende preisgeben? Das Letztere kann ich nicht. Du sollst reich sein, bis Du alt genug bist, Dir Deinen eigenen Weg zu bahnen. Dann aber sollst Du das Vermögen den Sandaus zurückgeben. Jetzt gehört es mir. Ich vererbe es an Dich. Zwar wäre Dein Vater der natürliche Verwalter desselben. Er hat die Nutznießung davon zu beanspruchen. Aber ich weiß, wenn er das Geld in die Hände bekommt, so wird er bald ein Bettler sein und Du mit ihm.
Darum treffe ich in meinem Testamente die Bestimmung, daß dieses Vermögen von einem Notar verwaltet und Dir übergeben werde, so bald Du das zwanzigste Jahr erreicht hast. Das hat Dein Vater unterschreiben müssen, denn ich drohte ihm, das echte Testament, welches ich damals an mich genommen und ihm nie wiedergegeben habe, dem Strafrichter auszuhändigen.
»Ich habe es so versteckt, daß er es nicht finden kann. Du aber sollst es haben. Nimm mein in blauen Sammet gebundenes Gebetbuch und schneide den hinteren Deckel ab. Er besteht aus zwei dünnen Pappen, zwischen denen das Testament eingepreßt ist. Du wirst denjenigen Gebrauch davon machen, welcher mir die ewige Ruhe und Dir die Ruhe Deiner jungen Seele sichert.
»Und nun lebe wohl, mein süßes, süßes Herzenskind! Indem ich unter bitteren Thränen dieses schreibe, liegst Du mit blühenden Wangen im Bettchen und schläfst den Schlaf der Engel. Deine Mutter aber fühlt den Tod mit kalten Knochenhänden nach ihrem Herzen greifen. Meine Sünden sind Unterlassungssünden. Ich habe sie um Deinetwillen auf meine Seele genommen. Gott wird mir ein barmherziger Richter sein. Er hat mir die Mutterliebe in mein Herz gepflanzt und wird mir vergeben, was ich aus Liebe that.
»Du aber, auch Du, mein Kind, gehe nicht zu streng ins Gericht mit Deiner Mutter. Vergieb nur, damit ich auch droben Vergebung finde. Denke, daß ich immer bei Dir weile und daß mein Geist Dir immer und immer die Bitte zuflüstert: ›Behalte mich trotzdem lieb, und bete für mich. Ich konnte nicht anders, denn ich hatte Dich ja so unendlich lieb!‹
»Noch einen Kuß auf Deinen kleinen, süßen Mund, dann lege ich mich nieder, um wohl nimmer wieder aufzustehen. Meine Hände zittern vor Schwäche, und meine Augen fließen über vor Thränen. Die leidende Brust schmerzt mir vom Schreiben, und es geht eine eisige Kälte durch meinen Leib. Ist das die Kälte des Todes?
»O mein Gott, wie schwer wird es einer Mutter, von einem geliebten Kinde zu gehen – auf Nimmerwiederkehr! Die Lampe will verlöschen, und der Wind heult draußen um die Ecken. Es klingt wie die Posaunen des ewigen Gerichtes.
»Herr, mein Heiland, meine Seele schreit auf zu Dir um Erbarmen. Ich glaube an Dich, und ich halte Dich fest. Ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn. Der Du zu dem armen Schächer sagtest ›Wahrlich, wahrlich, heut noch wirst Du mit mir im Paradiese sein‹ und von der Sünderin ›Ihr wird viel vergeben, denn sie hat viel geliebt‹, Du wirst mir Deine Barmherzigkeit nicht entziehen. Du bist auch für mich gestorben; auch um meiner Sünden willen hast Du gelitten. Ich schrei auf zu Dir. Breite Deine Flügel über mir, und halte mich bei der Hand, wenn der Richterspruch des Ewigen über mich ergehen soll. Du bist der treue Hirte. Weide auch mein Lämmlein, welches ich zurücklassen muß. Gieb Deinen Engeln Befehl, daß sie über ihm wachen und es vor Sünde und Fehl bewahren. Laß sein Leben ein helles und freundliches sein, wie das meinige ein dunkles und trauriges war.
»Milda, Milda, Deine Mutter stirbt. Schlaf wohl, Du Liebling meines armen Lebens. Mein Auge wird dunkel; mein Herz bricht. Ich kann nicht mehr. Leb wohl, leb wohl, leb wohl!« – – –

Nur unter heftigem Schluchzen und strömenden Thränen war es der Tochter möglich gewesen, die Zeilen der sterbenden Mutter zu Ende zu lesen. Jetzt warf sie den Brief auf den Tisch, barg das Gesicht in die Hände und brach in ein krampfhaftes Jammern aus.

Frau Holberg weinte ebenso. Sie nahm Milda in ihre Arme, zog das kleine, schöne Köpfchen an ihre Brust, strich ihr mit der Hand liebkosend über das reiche, seidenweiche Haar und sagte:

»Fassung, Fassung, mein liebes Kind! Deine gute Mutter ist bei den Seligen des Himmels. Sie hat nicht gesündigt. Selbst das irdische Gesetz würde sie freisprechen, denn die Frau braucht den Mann nicht anzuklagen.«

»Um meinetwillen – um meinetwillen hat sie es gethan!« stöhnte Milda.

»Eben darum ist es keine Sünde! Oder willst Du sie verdammen?«

Da blickte sie unter Thränen erschrocken auf und antwortete:

»Ich, sie verdammen, die nur um meinetwillen diese Schuld auf sich genommen hat? Nein! Wenn es möglich wäre, daß meine Liebe sich steigern könnte, so würde ich sie doppelt lieb haben dafür. O, könnte meine Liebe bis gen Himmel reichen. Ich wollte mit warmen Kindesarmen hinauflangen und sie umfassen, um ihr Dank zu bringen aus dem tiefsten Grunde meiner Seele!«

»So ists recht, Milda. Du kannst die Liebe einer Mutter nicht begreifen. Nur wer selbst Mutter gewesen ist, der weiß, welche Opfer sie zu bringen vermag.«

»Und welch ein größeres Opfer giebt es, als eine solche Schuld für das Kind auf sich zu nehmen, ja mit hinüber in den Tod zu nehmen. Ich möchte in Thränen zerfließen vor Herzeleid, daß sie es gethan hat. Hätte sie mich doch arm werden lassen, so stände sie jetzt rein vor Gottes Thron, und der Vater im Himmel hätte sich meiner wohl erbarmt und mich durch das Leben mit seiner Gotteshand geleitet.«

»Denke nicht daran, liebes Kind. Es ist nun nicht zu ändern.«

»Ja, das ist der gewöhnliche triviale Trost, nach welchem der schwache Mensch greift wie der Ertrinkende nach dem Strohhalm. Wer hätte das denken können, wer, wer, daß der Vater sogar ein Mörder sei!«

»Noch ists ja nicht erwiesen.«

»Es ist erwiesen.«

»Nein.«

»Und doch. Der untrüglichste Richter hat ihn verurtheilt, derjenige Richter, der sich niemals irren kann.«

»Welchen meinst Du?«

»Meine Mutter und – mich.«

»Ach, Du glaubst es?«

»Ja. Wenn die Frau den Mann und das Kind den Vater eines solchen Verbrechers für fähig halten, wenn Beide es ihm zutrauen, so hat er es auch begangen. Das liebende Herz ist ja gern bereit, das Beste zu denken. Wenn es dann aber gezwungen ist, Schlimmes zu denken, so ist dieses Schlimme auch wirklich geschehen. Wäre er noch da, so würde ich ihn zwingen, es mir zu gestehen.«

»Er würde es nicht thun.«

»Er müßte! Und, ich werde zu ihm gehen. Er muß mir Alles, Alles sagen.«

»Milda! Zu ihm? Das thu nicht.«

»Ich muß ja.«

»Wer zwingt Dich dazu?«

»Die Mutter. Ich muß mir das Buch holen. Es ist nicht hier. Es befindet sich noch in Wien in unserer Wohnung, und ich habe keine Ruhe, als bis ich das Testament in meinen Händen habe.«

»Hole es, ja hole es meinetwegen; aber sprich zu Deinem Vater nicht davon.«

»Warum soll ich nicht sprechen?«

»Es wird eine entsetzliche Scene geben.«

»Die soll es geben, und ich selbst werde es sein, der sie herauf beschwört. Ich habe die heilige Verpflichtung, ihm ein Geständniß abzuzwingen. Legt er es ab, bereut er, was er gethan hat, nun so wird sich die Angelegenheit wohl in milderer Art und Weise erledigen lassen. Leugnet er aber, so soll ihn die volle Strafe treffen, und ich selbst, seine Tochter, werde es sein, welche diese Gerechtigkeit vom Richter begehrt.«

»Schrecklich! Ist das nicht gegen alles menschliche Gefühl?«

»Eigentlich wohl; aber ist nicht auch jedes Verbrechen, sind nicht grad diejenigen Verbrechen, deren sich mein Vater schuldig gemacht hat, gegen das menschliche Gefühl?«

»Du sprichst von einem milderen Wege. Ich glaube nicht, daß ein solcher eingeschlagen werden kann.«

»Welchen Grund hast Du zu dieser Meinung?«

»Du willst doch diesen Keilberg arretiren lassen. Damit geht die Angelegenheit in die Hände der Staatsanwaltschaft über, und wenn es einmal so weit ist, dann hat das Gesetz zu entscheiden und es kann keine Wahl zwischen einer milderen oder strengeren Form getroffen werden. Das magst Du gar wohl bedenken, ehe Du zur Arretur schreitest.«

»Ich habe mich nur einstweilen der Person dieses Mannes versichert. Was ich gegen ihn vornehmen werde, das wird sich entscheiden, wenn ich mit Max darüber spreche.«

»Aber der kommt vielleicht morgen spät.«

»Nein, er kommt zeitig in der Frühe. Ich habe es ihm durch den Boten, welcher mir jetzt seinen Brief brachte, sagen lassen, daß ich ganz bei Zeiten nothwendig mit ihm zu sprechen habe. Vielleicht kommt auch Herr Sandau. Er hat mir versprochen, die ihm angebotene Arbeit zu übernehmen und wollte morgen früh zu einer darauf bezüglichen Besprechung wieder da sein.«

»Sandau. Ein eigentümlicher Zufall.«

»Ja, wäre er von Adel, so gehörte er vielleicht zur Verwandtschaft jener Familie, der ich so viel schuldig bin. Das beklemmt mich ja am Allermeisten, daß Alles, was mein Vater begangen hat, grad nur gegen sie gerichtet ist.« »Du willst nach ihr forschen?«

»Ja, gewiß.«

»Das wird langwierig sein. Wie willst Du diese Leute in Amerika finden?«

»Durch die Consuls, durch die Blätter, in denen ich annoncire, durch – o, ich werde alle Mittel ergreifen und alle Minen springen lassen!«

»Um Dein Vermögen hinzugeben.«

»Mein Vermögen? Es ist nicht das meinige. Ich habe von Rechtswegen den ganzen Betrag der Erbschaft auszuzahlen mit allen Zinsen von dem Tage an, an welchem sie von meiner Mutter angetreten worden ist.«

»Ein Advocat würde vielleicht ganz anders urtheilen.«

»Ich brauche keinen Anwalt. Mein Herz ist mein Advocat, dessen Rath ich unbedingt befolgen werde. Ich kann das Vermögen zurückzahlen, nicht aber die Zinsen. Die hat mein Vater zum größten Theile verlebt, und der kleinere Theil ist für mich verbraucht worden. Ich werde also ein ewiger Schuldner der Sandau's bleiben.«

»Und Sandau der Deinige!«

»Wieso?«

»Meinst Du, daß alle Menschen so hochherzig handeln würden wie Du?«

»Ich darf nicht nach Anderen fragen.«

»Wenn Du Sandau findest und ihm sein Eigenthum zurückgiebst, kann er es gar nicht annehmen, wenigstens nicht ganz. Er muß Dir einen Theil desselben lassen.«

»Ich behalte keinen Pfennig.«

»Aber, Milda! Was willst Du dann beginnen?«

»Irgend Etwas. Ich werde Lehrerin, Erzieherin, Gesellschafterin, Vorleserin oder sonst Etwas.«

»Du stellst Dir das zu leicht vor.«

»Gewiß nicht. Es wird mir schwer werden, aus dem gewohnten Ueberflusse herauszutreten; aber es muß vollbracht werden?«

»Und wenn Du keine solche Stellung findest?«

»So weiß ich einen Ort, an welchem ich zu jeder Zeit einen Unterschlupf finde.«

»Wo?«

»Bei einer gewissen Frau Bürgermeisterin Holberg hier in Steinegg. Oder meinst Du vielleicht, daß ich mich darin täusche?«

»Wie kannst Du nur so fragen. Ja, bei mir hast Du Deine Heimath und sollst da keine Noth leiden. Ich bin nicht reich aber für Dich und Max, meinen Sohn, reicht es allemal zu.«

»Ich danke Dir, meine liebe Mutter. Jetzt kommt mir diese Angelegenheit nicht mehr gar so trostlos vor wie vorhin. Wenn man nur erst einen herzhaften Entschluß gefaßt hat, dann werden die Augen hell und der Verstand klar. Das Herz beruhigt sich und es ist dann viel leichter, ein Held zu sein, als man vorher gedacht und geahnt hat.«

Da trat die Zofe ein und meldete:

»Es ist ein Herr draußen, welcher das gnädige Fräulein zu sprechen wünscht.«

»Wer ist es.«

»Ich – ich weiß es nicht,« antwortete sie in sichtlicher Verlegenheit.

»Wie? Du weißt es nicht? Hast Du nicht gefragt?«

»Nein.«

»Warum nicht? Das ist das erste Mal, daß dies geschieht. Ich muß natürlich wissen, wer zu mir will. Ich bin nicht für einen Jeden anwesend.«

»Er – er – – ich – – ich – – –«

»Na, so sprich doch!«

»Er – er sah so vornehm aus und gukte mich mit solchen Augen an, daß ich gar nicht gewagt habe, ihn zu fragen.«

»So!« lächelte Milda. »Du bist doch sonst nicht so furchtsam. Er muß ein sehr, sehr vornehmes Aussehen haben, daß Du Dich durch dasselbe so in Verlegenheit bringen lässest. Nun hast Du jetzt das Vergnügen, Deinen Muth zu zeigen.«

»Oh – oh – ich soll ihn fragen?«

»Ja. Nach seiner Karte oder seinen Namen.«

»Was wird er für Augen machen.«

»Frage doch lieber nach meinen Augen. Es ist jetzt nicht die Zeit, in welcher ein Fremder mich sprechen kann. Wenn er zu mir will, so muß er etwas sehr Nothwendiges beabsichtigen. Also geh!«

Die Zofe zog sich verlegen zurück und kehrte dann bald wieder.

»Er läßt sagen, daß es allerdings so nothwendig sei, daß gnädiges Fräulein die Störung wohl verzeihen würden.«

»Und sein Name?«

»Herr Ludwig.«

»Kenne ich nicht. Woher?«

»Vorübergehend in Hohenwald.«

Da fuhr Frau Holberg vom Sopha auf.

»Mein Gott, der Kö – – –!«

Sie unterbrach sich, indem sie noch zur rechten Zeit daran dachte, daß sie das Inkognito des Herrschers vor dem Mädchen nicht verrathen dürfe. Darum fügte sie, zu Milda gewendet, in ziemlicher Erregung hinzu:

»Weißt Du, jener Herr Ludwig, von welchem ich Dir erzählt habe. Er wohnt in der Mühle.«

Jetzt nun wußte Milda, welch hohen Herrn sie bei sich empfangen solle.

»Gott, in dieser Toilette!« war ihr erster Gedanke. »Ich muß fort – – –«

Sie wollte nach der Thür; aber Frau Holberg ergriff sie am Arme.

»Halt! Er blickt nicht auf die Toilette. Dürfen wir ihn übrigens warten lassen, nachdem er bereits zweimal angemeldet wurde?«

»Keinen Augenblick!«

»Also der Herr wird ersucht, sich zu uns zu bemühen.«

Das Mädchen ging und ließ den König herein.

Dieser hatte wenige Augenblicke vorher eine sehr wichtige Beobachtung gemacht.

Nämlich nachdem die beiden Damen das Bureau verlassen hatten, trat Keilberg von der Thür, seinen Lauscherposten zurück.

»Donnerwetter!« flüsterte er. »Geld und Juwelen! Das wäre ein Fang, wenn man nur diese Thür – – –«

Er ergriff die Klinke und drückte. Die Thür ging nicht auf. Nun drehte er den Schlüssel um – sie öffnete sich.

Es war ihm zu Muthe, als ob er betrunken sei. Einige Augenblicke lang drehte sich das Zimmer im Kreise um ihn. Aber er beherrschte sich. Da stand der offene Schrank vor ihm. Ein Griff – –! Sollte er ihn thun?

Er antwortete weder mit Ja noch mit Nein. Er handelte. Er eilte zu seiner Thür und schob den Riegel vor; dann that er dasselbe mit der Eingangsthür des Bureaus. Jetzt konnte er nicht ertappt werden. Kam ja der Diener, um das Speisegeschirr abzuholen, so gab es hundert Erklärungen für den Umstand, daß er die Thür für einen Augenblick geschlossen hatte.

Und das gnädige Fräulein kam gewiß nicht sogleich zurück. Sie hatte ganz so gethan, als ob es sich um etwas sehr Nothwendiges handele, was in kurzer Zeit nicht abgemacht sein konnte.

Nun trat er zum Schranke und öffnete das Ebenholzkästchen, entnahm ihm die sechs darin befindlichen Juwelenetuis und machte es wieder zu. Ein Schubfach ausziehend, um zu sehen, was sich darin befinde, sah er eine Menge Geldrollen, welche jedenfalls Gold enthielten, denn mehrere davon waren aufgebrochen, und die darin gewesenen Goldstücke lagen zerstreut umher.

Rasch steckte er sich fünf, sechs, sieben, acht dieser Rollen in die Tasche, schob das Fach wieder zu, eilte zur Thür, um den Riegel zurückzuschieben, huschte in sein Zimmer, schloß die Verbindungsthür zu, riegelte auch die Eingangsthür auf und schob die Etuis alle unter das Bett zur einstweiligen Aufbewahrung.

Nun stand er in dem Zimmer, hielt sich den Kopf, in welchem er die Pulse fühlte, mit beiden Händen und flüsterte:

»Millionär, Millionär bin ich.«

Er rannte einige Male auf und ab, blieb wieder stehen und sagte:

»Dummheit! So schlimm ist es nicht. Es sind nicht einmal hunderttausend. Aber wenn es nur fünfzigtausend, nur zwanzigtausend sind, so ist mir schon geholfen. Und zwanzigtausend sind es gewiß, sind es wenigstens. Diamanten und Smaragden und Rubinen. Aber was fang ich mit ihnen an? Wie bringe ich sie nur in Sicherheit?«

Er ging sinnend hin und her und setzte sich dann an den Tisch.

»Essen muß ich, vor allen Dingen essen, sonst merkt der Diener, daß ich andere Dinge getrieben habe.«

Er verschlang die Speisen förmlich. Kaum war er fertig, so trat der Diener ein.

»Nun, haben Sie gegessen?« fragte er in nicht eben freundlichem Tone.

»Ja.«

»Wie hat es geschmeckt?«

»Ausgezeichnet.«

»Das glaube ich. Solche Leute, wie Sie sind, pflegen nicht aus solchen Küchen zu speisen. Also kann ich abräumen?«

»Ja.«

»Auf ein Trinkgeld habe ich aber wohl nicht zu rechnen?«

»Kann man nicht wissen!«

»Pah! Wird nicht hoch werden! Was machen Sie nun?«

»Ich gehe zu Bette. Ich bin müd und will schlafen.«

»Das ist freilich das Allerbeste, was Sie thun können.«

»Darf man hier die Thür verriegeln?«

»Warum nicht? Gestohlen wird Ihnen freilich nichts, falls Sie offen lassen. Hier giebt es keine Diebe, und Sie werden auch nicht viel haben, was des Mitnehmens werth sein könnte.«

»Kann man abermals nicht wissen. Ich bin aber einmal gewohnt, nur bei verschlossenen Thüren zu schlafen.«

»Glaube es!« lachte der Lakai. »Aber wie waren sie denn verschlossen?« Von innen oder von außen?«

»Donnerwetter! Wollen Sie mich etwa beleidigen?«

»Gar nicht. Na, verschließen Sie!, Uns kann es nur recht und lieb sein. Brauchen Sie noch Etwas?«

»Nein.«

»Dann geruhsame Nacht, gnädiger Herr.«

»Hole Sie der Teufel!«

Der Lakai ging und Keilberg verriegelte die Thür laut hinter ihm.

»So!« sagte er zu sich selbst, tief Athem holend. »Den bin ich los, und nun bin ich mein eigener Herr. Was thue ich mit dem Raube? Fort muß er. Vielleicht wird die Geschichte heut Abend noch entdeckt. Da darf man bei mir nichts finden. Ich muß mich der Sachen entledigen. Aber wie? Wenn das Zimmer im Parterre lag.«

Er öffnete das Fenster und blickte hinaus. Die vor der Front brennenden Laternen beleuchteten Alles. Er sah, daß an seinem Fenster der nach alter Weise aus starkem Eisen bestehende Blitzableiter herniederlief.

»Herrlich!« dachte er. »An dem klettere ich hinab, verstecke unten das Zeug und klettere wieder herauf. Dann mögen sie kommen und suchen.«

Er nahm die Etuis unter dem Bette hervor und steckte sie sich in die Taschen.

»Aber,« brummte er nachdenklich, »wäre es nicht besser, ich machte mich gleich mit den Sachen auf und davon? Da wäre ich in Sicherheit. – – In Sicherheit? O nein! Das Frauenzimmer hat ja meine Legitimationspapiere. Man kennt mich und würde sofort hinter mir her sein. Nein! Ich muß für unschuldig gelten. Außerdem hat sie versprochen, mir morgen das Geld zu geben. Das müßte ich im Stiche lassen. Welch eine Dummheit wäre das!«

Er trat wieder an das offene Fenster und blickte hinaus. Kein Mensch war zu sehen. Er schwang sich hinaus, ergriff den Blitzableiter und rutschte an demselben hinab. Dann huschte er hinüber in den Schatten.

Er war vollständig überzeugt, von Niemandem gesehen worden zu sein. Und doch befand sich ein Lauscher in der Nähe – der König.

Dieser war eben erst in der Nähe des Schlosses angekommen. Ehe er eintrat, um zu der Baronesse zu gehen, blieb er stehen, um sich die Fronte zu betrachten. Es gab mehrere erleuchtete Fenster, eins beinahe an der Ecke. Dieses wurde soeben geöffnet und es schaute Jemand heraus.

»Keilberg!« flüsterte der König, welcher den Mann sofort erkannte. »Also ist er wirklich schon da. Und sogar einquartirt. Er lauscht nach beiden Seiten. Er muß Etwas vorhaben.«

Keilberg verschwand wieder, kehrte aber bald an das Fenster zurück und kletterte herab. Der König stand im tiefen Dunkel, da, wo unter der Schloßstraße eine Schleuße durchlief, um dem Regenwasser Abfluß zu gewähren.

Grad auf diese Stelle kam Keilberg zu. Er blieb da stehen, blickte sich um und lauschte eine Weile. Der König drückte sich nahe an die mit Gras bewachsene Straßenböschung. Keilberg stand zwischen ihm und dem Schlosse. Er konnte ihn, obgleich es hier dunkel war, gegen den fernen Laternenschein ganz deutlich erkennen.

Jetzt bückte sich der Zuchthäusler nieder und kroch in die ziemlich weite Schleuße. Dort verblieb er einige Minuten, kam dann wieder hervor, lauschte abermals eine Weile und huschte von dannen. Dann sah der König ihn ganz deutlich am Blitzableiter wieder emporklettern und im Fenster, welches er sodann verschloß, verschwinden.

»Was hat er gethan?« fragte sich Ludwig. »Natürlich Etwas gestohlen, was er hier versteckte, um bei einer etwaigen Visitation für unschuldig zu gelten. Wollen einmal sehen.«

Er ging zur Schleuße und bückte sich nieder. Mit den Händen tastend, fühlte er eine ziemlich tiefe Schicht sehr groben, schweren Sandes, welchen das Wasser hier zusammengeschwemmt hatte. Er untersuchte denselben und traf bald an eine Stelle, wo er fühlte, daß hier gewühlt worden sei. Er wühlte nach und fand die Etuis und auch die Geldrollen. Er öffnete das größte der Etuis, nahm den Inhalt heraus und hielt den Gegenstand so, daß das Licht der Laternen sich daran brach.

»Ah!« sagte er erstaunt zu sich selbst, »ein Diadem in Brillanten! Dieser Mensch hat den Schmuck der Baronesse gestohlen. Warte, Bursche, jetzt bist Du mir sicher, und an eine Begnadigung soll nicht wieder zu denken sein!«

Er legte die gestohlenen Gegenstände an ihren Ort zurück und deckte Sand darüber, so wie er es gefunden hatte. Dann schritt er nach dem Schlosse zu. Am Portale war Niemand zu sehen. Oben an der Treppe standen einige Diener, welche den späten Gast verwundert betrachteten. Er wurde nach dem Corridore an die Zofe gewiesen. Auch sie blickte ihn befremdet an, senkte aber vor dem stillen, mächtigen Blick seiner Augen ihre Wimpern.

»Melden Sie mich der Baronesse von Alberg!« sagte er in befehlendem Tone.

Sie blickte kurz auf und trat dann in ein nahes Zimmer. Erst nach einer Weile kam sie zurück.

»Entschuldigung! Darf ich fragen, ob Ihre Angelegenheit eine wichtige ist?«

»So wichtig, daß die Baronesse die Störung gewiß entschuldigen wird.«

»Und darf ich um Ihre Karte oder Ihren Namen bitten?«

»Ich heiße Ludwig und wohne vorübergehend in Hohenwald.«

Jetzt ging sie, das zu melden und öffnete ihm dann die Thür. Als er bereits unter derselben stand, drehte er sich noch einmal zu ihr um und fragte:

»Giebt es nur einen oder mehrere Polizisten hier in Steinegg?«

»Mehrere.«

»Schicken Sie sofort einen der Diener nach der Stadt, um zwei oder drei dieser Herren zu holen!«

Daun zog er die Thür hinter sich zu, machte den Damen eine höfliche Verneigung und sagte:

»Verzeihung! Ich befinde mich in der Lage, zu so ungewöhnlicher Stunde bei Ihnen vorzusprechen, Fräulein von Alberg. Ich bin jedoch überzeugt, daß ich gerechtfertigt vor Ihnen stehen werde, sobald ich Ihnen den Grund meiner Anwesenheit vorgetragen habe.«

Und sich zu Frau Holberg wendend, fuhr er freundlich fort:

»Sie da, Frau Bürgermeisterin? Das freut mich. Ich habe da die Hoffnung, auf Ihre gütige Fürsprache rechnen zu dürfen.«

Die beiden Damen hatten seine Verbeugung mit tiefen, respektvollen Verneigungen erwidert. Die Angeredete antwortete ihm:

»Es bedarf wohl keiner Fürsprache, wenn Euer Majestät – – –«

»Pst!« unterbrach er sie. »Nicht dieses Wort! Weiß Fräulein von Alberg, wer ich eigentlich bin?«

»Gewiß. Wir sind so innig befreundet, daß ich ihr von Herrn Ludwig erzählt habe.«

»Schön! Aber ich bin eben nur dieser Herr Ludwig und will so genannt und auch nur als solcher behandelt werden. Also keine übermäßigen Höflichkeiten.«

»Die einzige Höflichkeit, welche ich mir noch gestatten darf, besteht in der Bitte, mich empfehlen zu können.«

Sie machte abermals eine Verbeugung, aber nicht so tief wie die vorige und wendete sich nach der Thür.

»Bitte, bleiben Sie!« sagte er. »Sie gehen, um uns nicht zu stören; aber Sie brauchen nicht zu fürchten, indiscret zu sein. Was ich zu sagen habe, können Sie hören. Also setzen Sie sich nur nieder.«

Milda bot ihm einen Stuhl, und er nahm auch Platz. Er betrachtete das schöne, heut Abend so bleiche Mädchen mit einem wohlwollenden, befriedigten Blicke, vor welchem sie die Augen senkte, und sagte dann:

»Ich will aufrichtig sagen, daß ich mich, als ich zu Ihnen aufbrach, mich gefreut habe, Sie kennen zu lernen. Es ist in meiner Gegenwart von Ihnen gesprochen worden, und was ich da hörte, gab mir den Stoff zu einem Bilde von Ihnen, welches ich jetzt mehr als vollständig bestätigt finde.«

»Maj – – – Herr Ludwig!« stammelte sie.

»Bitte, keine Verlegenheit! Sie haben Freunde, welche auch die meinigen sind. Wir stehen uns also näher, als es den Anschein hat. Wäre dies nicht der Fall, so würde ich mich nicht jetzt hier bei Ihnen befinden. Ich komme nämlich des Besuches wegen, den Sie heut erhalten haben.«

»Besuch?« fragte sie. »Frau Bürgermeister hier ist mein Besuch.«

»Haben Sie nicht noch einen andern?« fragte er lächelnd.

»Nein.«

»Einen Herrn, einen etwas ältlichen Herrn?«

»Gewiß nicht.«

»Von sehr zweifelhaftem Character?«

Jetzt nun kam sie auf den richtigen Gedanken:

»Ah, diesen Menschen! Bitte, wenn das ein Besuch wäre, so müßte ich – – –«

»Weiß es, weiß es. Der Mann hat Ihnen seinen Namen, genannt?«

»Er heißt Keilberg. Seine Papiere liegen noch hier auf dem Tische.«

»Ah! Sie haben sie ihm abgenommen?«

»Ja. Und ich gab den Befehl, ihn zu bewachen.«

»Das war sehr vorsichtig. Doch bezweifle ich, ob man diesem Ihren Befehle nachgekommen ist.«

»Gewiß.«

»Nein. Ich werde es Ihnen beweisen. Zunächst aber sehe ich Ihnen die Verwunderung darüber an, daß ich diesen Mann kenne. Ich traf ihn unterwegs auf der Straße, und er hing sich so an mich, daß ich nicht frei von ihm kommen konnte. Er war betrunken und begann, von Dingen zu plaudern, welche er im nüchternen Zustande wohl verschwiegen hätte. Ich hatte die Ehre, von ihm für einen Rechtsanwalt gehalten zu werden, in Folge dessen er mich in einem Falle, welcher Sie sehr nahe berührt, um Auskunft ersuchte.«

Milda wurde noch bleicher als vorher.

»Mein Gott!« rief sie. »Er hat Ihnen erzählt – – –«

»Alles.«

Sofort stürzten ihr die Thränen aus den Augen. Sie wußte vor Schreck und Verlegenheit weder aus noch ein.

»Beruhigen Sie sich, liebes Fräulein! Was ich gehört habe, ändert an dem Bilde, welches ich mir von Ihnen machte, nicht das Geringste. Mein Wohlwollen für Sie trieb mich sogar, den Weg von Oberdorf bis hierher zurückzulegen, um vielleicht noch verhüten zu können, daß der Mann Ihnen mit seiner Botschaft Schmerz bereite. Es ist mir das leider nicht gelungen. Ich komme zu spät, aber vielleicht liegt es in meiner Macht, das Leid zu mildern, welches Ihnen widerfahren ist.«

Sie schüttelte unter fließenden Thränen den Kopf und antwortete:

»Dieses. Leid ist nicht zu mildern!«

»O doch, wenigstens hoffe ich dies. Freilich weiß ich jetzt noch nicht, wie ich das zu beginnen hätte. Dieser Keilberg hat Ihnen also die beabsichtigten Mittheilungen wirklich gemacht?«

»Ja.«

»Halten Sie seine Darstellung für wahr?«

»Ja, vollständig.«

»So trauen Sie also Ihrem Vater jene – jene Fehler zu?«

»Fehler? Verbrechen sind es, Verbrechen!«

»Doch Fräulein, er ist Ihr Vater.«

»Darf eine strafbare That mir minder strafbar erscheinen, nur weil sie von einem meiner Verwandten begangen worden ist?«

»Gewiß nicht.«

»Ich verabscheue das Verbrechen in jedem Falle – – ich habe keinen Vater mehr.«

Sie saß mit gefalteten Händen vor ihm, ein Bild tiefstem Herzeleides. Sein Auge ruhte mit innigster Theilnahme auf ihr.

»Eine Waise sind Sie oder vielmehr, wollen Sie sein? Noch während Ihr Vater lebt? Natürlich in Folge dessen, was Sie heut von ihm hörten?«

»Nein. Wir sind schon vorher für immer von einander geschieden. Ich bin jetzt eine arme Waise. Mein größtes Glück ist, daß ich hier in Frau Holberg eine liebe Mutter gefunden habe, welche sich meiner annehmen wird, wenn Alle, Alle mich verlassen.«

»Sprechen Sie nicht so muthlos! Sie werden nicht verlassen sein. Ihr Vater hat strafwürdige Thaten begangen, Sie aber sind an denselben unschuldig. Diese Angelegenheit wird sich vielleicht arrangiren lassen, ohne daß das öffentliche Aufsehen erregt wird. Dann ist ja Alles gut. Sie haben in Folge Ihrer Stellung und Ihres Vermögens Ansprüche an das Leben zu machen, und kein Mensch wird Ihnen hinderlich sein, diese Ansprüche zu erheben.«

»Ich verzichte auf sie.«

»Wie? Wollen Sie nicht Ihre Füße auf diejenige Stufe stellen, auf welche Sie gehören?«

»Nein. Herr Ludwig haben von meinem Reichthume gesprochen. Ich aber bin arm, fast eine Bettlerin.«

»Unmöglich!«

»Arm an Gut und noch ärmer an Glück und Herzensfrieden.«

»Das bitte ich, mir zu erklären!«

Noch lag der letzte Brief ihrer Mutter auf dem Tische. Sie warf einen fragenden Blick auf die Bürgermeisterin.

»Soll ich?«

»Ja, Kind, Herr Ludwig wird es Dir erlauben, ihm diesen Brief vorzulegen.«

»Es ist,« erklärte Milda, »der letzte Brief, das Vermächtniß meiner armen, unglücklichen Mutter. Sie ist viel, viel unglücklicher gewesen, als ich habe ahnen können. Wenn Sie diese Zeilen gelesen haben, werden Sie wissen, daß ich arm, arm, o wie so arm bin!«

Er nahm das Schreiben aus ihrer Hand und begann zu lesen. Sein Angesicht nahm nach und nach einen gespannteren Ausdruck an. Als er dann fertig war und die Zeilen von sich legte, glänzten seine Augen feucht.

Doch sagte er noch nichts, sondern er stand von seinem Stuhle auf, trat zum Fenster und blickte eine Weile still hinaus. Dann kam er langsam zurück, setzte sich wieder nieder und sagte in sehr ernstem Tone:

»Das ist allerdings etwas gradezu Fürchterliches, Entsetzliches für Sie. Das muß Sie ja wie ein Keulenschlag getroffen haben!«

»Ich kann nicht beschreiben, wie unglücklich ich bin!«

»Das glaube ich Ihnen gern. Aber haben Sie denn keinen Zweifel? Können Sie sich nicht denken, daß hier seitens Ihrer Mutter ein Irrthum vorliege?«

»Das denke ich nicht.«

»So sprechen Sie Ihrem Vater ein Urtheil, wie der Richter es nicht strenger und unpartheiischer fällen könnte. Ich bewundere Sie. Ich möchte Sie hassen ob Ihrer Gesinnung Ihrem Vater gegenüber, und doch fühle ich, daß Sie so und nicht anders denken und empfinden können. Was aber gedenken Sie zu thun?«

»Meine Pflicht.«

»Und die ist?«

»Herrn von Sandau zu ermitteln und ihm Alles zurückzugeben.«

»Doch nicht, ohne vorher seine Ansprüche ganz genau untersuchen zu lassen!«

»Ich verzichte auf diese Untersuchung.«

»Sie könnte aber doch zu Tage fördern, daß Sie wenigstens Rechte auf einen Theil Ihres jetzigen Vermögens haben.«

»Die habe ich nicht.«

»Oder bieten Sie Sandau einen Vergleich an! Er wird froh sein, die Hälfte der Erbschaft ausgezahlt zu erhalten.«

»Dazu kann ich mich auf keinen Fall entschließen. Ich bin nicht im Stande, ihm die Zinsen des Capitales, welches ich unrechtmäßiger Weise benutzt habe, zu erstatten. Wie aber vermöchte ich es, ihm die vielen Jahre zurückzugeben, welche er unschuldig in Schande und Noth verbringen mußte! Seine Ehre muß hergestellt werden. Das ist das Erste. Das muß ihm noch viel wichtiger sein, als die Erlangung des Vermögens.«

»Wie aber wollen Sie das vollbringen? Seine Ehre kann nicht anders restituirt werden als dadurch, daß Ihr Vater die seinige verliert.«

»Das ist allerdings der einzige Weg.«

»Und Sie wollen ihn beschreiten?«

»Ja, unbedingt.«

»Fräulein von Alberg, Sie sind eine Heldin! Sie schneiden sich das eigene Fleisch ab, unter gräßlichen Schmerzen, um es Andern zur Nahrung zu geben!«

»Weil sie gehungert haben, da ich ihnen die gehörige Nahrung entzog. Ich schwelgte im Wohlleben, während sie darbten. Ich werde zunächst zu meinem Vater nach Wien reisen, um mir das Testament zu holen und mit ihm zu sprechen. Wehe ihm, wenn er leugnet! Er wird keine Gnade finden!«

»Und dann?«

»Suche ich Herrn von Sandau oder, wenn er nicht mehr existiren sollte, seine Familie, und gebe ihm Alles zurück.«

»Das ist ebenso hochherzig wie gerecht. Aber wissen Sie, was es heißt, nach so langen Jahren drüben in Amerika einen Mann zu suchen, der Ursache hat, verschollen zu sein, weil ein solcher Schandfleck auf seinem Namen ruht?«

»Ich kann es mir denken: aber ich werde nichts unversucht lassen, zu meinem Ziele zu gelangen. Von heut an betrachte ich mich als die Verwalterin von Sandau's Vermögen, und ich hoffe, daß ich eine treue Haushälterin sein werde.«

»Recht so, liebes Fräulein! Was aber das Aufsuchen Sandau's betrifft, so besitzen Sie die dazu nöthigen Erfahrungen wohl schwerlich – –«

»Ich wende mich an einen Rechtsgelehrten.«

»Da werden Sie viele und bedeutende Ausgaben haben, welche Sie sich ersparen können. Darf ich mich Ihnen als Beistand anbieten?«

»Herr – – Ludwig!«

»Bitte, bitte! Ich bin nur ein einfacher Privatmann, ein unbekannter Herr Ludwig, aber dennoch hoffe ich, wenn Herr von Sandau noch vorhanden ist, so werde ich ihn vielleicht noch eher finden, als jeder Andere. Glauben Sie das?«

»O gewiß! Aber ich darf es nicht wagen – –«

»Pst! Schweigen wir! Mir macht es keine Mühe, das versichere ich Ihnen. Und ich hoffe, Ihnen recht bald die gewünschte Nachricht geben zu können. Wie aber steht es mit diesem Keilberg? Wie lange wollen Sie ihn bei sich behalten?«

»Bis morgen. Ich wollte mit meinem Bruder, mit Max Walther sprechen.«

»Meinen Sie, daß er Ihnen einen guten Rath ertheilen könne?«

»Ich denke es.«

»Hm! Vielleicht kann ich Ihnen einen eben solchen geben.«

»Ich bin überzeugt davon, wage es aber nicht, mir ihn zu erbitten.«

»Ich spreche ihn aus, auch ohne gebeten worden zu sein. Zunächst muß ich Ihnen sagen, daß die Strafverfolgung, verjährt ist. Sie können Keilberg nicht festnehmen lassen. Ja, wollten Sie ihn mit Gewalt hier festhalten, so würden Sie strafbar sein.«

»Aber was ist da zu thun? Er ist vollständig unentbehrlich, wenn es sich darum handelt, die Unschuld des Herrn von Sandau zu beweisen.«

»Nun, so muß man ihn festhalten, sonst läuft er davon. Man muß ihn arretiren.«

»Aber – Verzeihung! Soeben hörte ich, daß dies nicht möglich sei.«

»Ja, wegen seines früheren Verbrechens ist das nicht möglich; aber vielleicht hat er in neuerer Zeit Etwas begangen, was ihn mit dem Strafgericht in Conflict bringt.«

»Das müßte man wissen.«

»Ja. Er würde dann wegen dieses neuen Verbrechens bestraft, und man wäre sicher, ihn stets für Sandau zur Verfügung zu haben. Wollen einmal sehen, was sich thun läßt.«

Er griff zur Glocke und schellte. Die Zofe trat ein.

»Sind die Polizisten da?«

»Ja.«

»Sie mögen sich jetzt nicht sehen lassen. Holen Sie den fremden Menschen herbei. Sagen Sie ihm nichts, daß ich hier bin, sondern sagen Sie ihm daß das gnädige Fräulein ihn zu sprechen verlangt. Wenn er hier eingetreten ist, so mögen die Polizisten sich draußen vor die Thür postiren und hereinkommen, sobald ich klingele.«

Das Mädchen ging. Sie schickte den Diener zu Keilberg. Er lag schon im Bette, folgte aber der Aufforderung mit größtem Vergnügen, denn er dachte, daß er jetzt, also noch heut Abend, das Geld bekommen werde. Da konnte er sich gleich aus dem Staube machen und seinen Raub mitnehmen.

Da er sich aber erst anzuziehen hatte, verging wohl eine Viertelstunde, während welcher Ludwig Milda Gelegenheit gab, ihm ihr Herz vollständig auszuschütten. Sie erzählte ihm von ihrem Vater; sie legte ihm alle ihre Verhältnisse vor, und so war die Viertelstunde noch nicht vergangen, als der König in alle ihre Verhältnisse eingeweiht war und die Gewißheit erlangt hatte, welch ein kostbarer Schatz in dem Herzen und dem Gemüthe dieses Mädchens verborgen liege.

Endlich meldete die Zofe den Herrn Keilberg. Er kam herein und machte große Augen.

»Donnerwetter!« sagte er. »Das ist doch der Herr Rechtsanwalt!«

»Ja, und Sie sind der Herr Hermann Arthur Willibold Keilberg. Sie gingen von mir fort, ohne gehörig Abschied zu nehmen.«

»O doch! Ich habe Ihnen ein Lebewohl zugerufen.«

»Das genügt mir nicht. Ich hatte noch Einiges mit Ihnen zu sprechen, und darum bin ich nach hier gekommen.«

»Donnerwetter! Woher haben Sie denn gewußt, daß ich hierher gehen wollte?«

»Sie selbst haben es mir gesagt.«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»O doch! Ihre Mittheilung war freilich keine directe: aber Sie wissen ja; wir Advocaten reimen uns Alles zusammen.«

»Woraus nichts Gescheidtes wird, ja.«

»Vielleicht doch. Sie haben hier Geld verlangt?«

»Viel nicht!«

»Wissen Sie, daß man das Erpressung nennt?«

»Wollen Sie mich etwa anzeigen?«

»Nein. Die Angelegenheit, in welcher Sie mit Fräulein von Alberg verhandelt haben, interessirt mich nicht. Ich komme aus einer anderen Veranlassung. Sie sagten heut zu mir, daß Sie keine Lust hätten, in das Zuchthaus zurückzuspazieren. Nun aber sehe ich, daß Sie sich sehr bald wieder drin befinden werden.«

»Ich»?« lachte Keilberg. »Das bilden Sie sich nur ja nicht ein. Ich möchte den Kerl sehen, der mich wieder hineinbringen wollte!«

»So sehen Sie mich an!«

»Sie? Hm! Wollen Sie mir eine Anweisung auf das Zuchthaus geben?«

Er blickte die drei anwesenden Personen frech an und lachte höhnisch auf.

»Ja, das will ich,« antwortete Ludwig ruhig.

»Da müßten Sie aber sehr bei Zeiten aufstehen!«

»Das habe ich gethan.«

»Und Dinge sehen, die es gar nicht giebt.«

»Vielleicht sind sie doch vorhanden. Ich habe nämlich große Lust, Sie arretiren zu lassen.«

»Pah! Wegen dem was ich Ihnen erzählt habe, kann ich nicht arretit werden.«

»Davon ist auch gar keine Rede.«

»Nun, weshalb denn?«

»Wegen Ihres allerneuesten Verbrechens.«

»So?«

»Was sollte denn das sein?«

»Ein schwerer Diebstahl, vielleicht gar ein Einbruch.«

»Das ist lächerlich. Davon müßte ich Etwas wissen.«

»Sie brauchen gar nicht weit zurück zu denken. Besinnen Sie sich!«

»Ich weiß nichts. Soll ich denn etwa nach meiner Entlassung bereits wieder gestohlen haben?«

»Ja.«

»Das ist eine ganz verrückte Behauptung.«

Er antwortete in dieser frechen Weise, weil er sich vollständig sicher wußte, denn daß sein heutiges Verbrechen entdeckt worden sei, erschien ihm ganz unmöglich. Es war ja gar kein Mensch wieder in das Bureau gekommen. Er hätte das gewahr werden müssen. Und welch ein Lärm, wenn man bemerkt hätte, daß die Juwelen fehlten! Dieser Scandal hätte ihm doch nicht entgehen können.

»Antworten Sie höflicher!« warnte der König. »Sie haben es nicht mit Ihresgleichen zu thun!«

»So? Da soll ich es mir wohl gefallen lassen, daß ich unschuldig zum Spitzbuben gemacht werde! Das paßt mir schlecht! Solche Späße muß ich mir verbitten!«

»Es ist kein Spaß, sondern Ernst. Das will ich Ihnen gleich beweisen.«

Er klingelte, und sofort traten die drei Polizisten ein. Keilberg erschrak, faßte sich aber schnell wieder. Man konnte ihm doch nichts Unmögliches beweisen. Er hatte bis heut nicht gestohlen, und die heutige That war ja noch nicht entdeckt.

»Was sollen denn diese hier?« fragte er, auf die Polizisten deutend.

»Sie sollen dafür sorgen, daß Sie uns nicht davon laufen, so wie Sie mir heut entsprungen sind!«

»Na, von denen werde ich mich auch nicht halten lassen. Ich habe nichts gethan.«

»So, Sie haben heut Abend nicht gestohlen?«

»Heut Abend? Wo denn?«

»Hier im Schlosse.«

»Fällt Niemandem ein!«

»So! Fräulein von Alberg, haben Sie noch nicht bemerkt, daß Sie bestohlen worden sind?«

»Ich? Bestohlen? Ich habe keine Ahnung davon,« antwortete sie.

»Wo heben Sie Ihre Schmucksachen auf?«

»Im Bureau.«

»Und Ihre Gelder?«

»Eben da.«

»Bitte, wollen Sie einmal nachsehen, ob Ihnen dergleichen Gegenstände fehlen!«

Milda war ganz bestürzt vor Erstaunen. Die Bürgermeisterin aber sagte:

»Siehst Du! Ich bat Dich, den Schrank zu verschließen!«

»Das kann doch unmöglich – – in dieser kurzen Zeit!«

»O bitte!« sagte Ludwig. »Nehmen wir Licht, um nachzusehen. Der Gefangene mag mitkommen.«

»Gefangen? Ich?« lachte Keilberg. »Das ist spaßhaft. Na, ich kann ruhig mitgehen, denn ich weiß von nichts.«

Als man im Bureau ankam, stellte es sich heraus, daß das Ebenholzkästchen leer war. Milda erschrak auf das Heftigste.

»Und Ihr Geld?« fragte Ludwig.

»Das Geld befindet sich hier in diesem Schubfache.«

»Wollen Sie öffnen?«

Sie that es. Es lag ein Zettel darin, welcher angab, wieviel vorhanden sei. Es stellte sich heraus, daß acht Rollen Gold fehlten.

»Nun, Keilberg, was sagen Sie dazu?« fragte der König.

»Ich? Nichts. Das geht mich gar nichts an.«

»So? Wo haben Sie denn logirt?«

»Ich weiß nicht genau, wo meine Thüre ist. Sie können ja nachsuchen. Da, hier stehe ich. Suchen Sie mich doch aus. Und suchen Sie in meinem Zimmer!«

»Da ist allerdings nichts zu finden.«

»Na, also! Sie scheinen überhaupt allwissend zu sein, weil Sie wissen, daß da nichts zu finden ist.«

»Ja. So weiß ich zum Beispiel, daß neben Ihrem Fenster der Blitzableiter heruntergeht.«

»Donnerwetter!«

Jetzt war er erschrocken. Die Sache begann unheimlich zu werden.

»Können Sie klettern?«

»Nein.«

»Oder kriechen?«

»Kriechen? Hm! Eigenthümliche Frage!«

»Zum Beispiel in eine Schleuße hinein?«

»Alle Teufel! Was meinen Sie?«

Es war ihm alle Farbe aus dem Gesicht gewichen.

»Was ich meine? Ich meine, daß es am Gerathensten für Sie ist, wenn Sie alles eingestehen.«

»Was soll ich eingestehen? Ich habe nichts begangen.«

»Lügen Sie nicht!«

»Ich lüge nicht!« behauptete er.

Da trat Ludwig hart an ihn heran und donnerte ihn an:

»Und doch lügt Er, Er frecher Bube! Hat er die fehlenden Sachen gestohlen oder nicht?«

»Nein.«

»Hat er sie zum Fenster hinabgeschafft?«

»Nein.«

»Hat Er sie nicht in der Schleuße versteckt?«

»Nein. Ich weiß nichts.«

»Ich habe es aber selbst gesehen. Ich habe Ihn aus dem Fenster und auch wieder hineinsteigen sehen!«

»Wenn Sie wirklich so Etwas gesehen haben, da bin ich es nicht gewesen. Da haben Sie mich total verkannt!«

»Ich habe nur vier Ellen entfernt von Ihm gestanden, als Er in die Schleuße kroch. Und dann habe ich nachgeschaut, was Er da unter dem Sande vergraben hat.«

»Das ist aber doch jedenfalls ein ganz Anderer gewesen!«

»Will Er mich zum Lügner machen! Das laß er nur bleiben! Werden gleich sehen, daß es kein Anderer gewesen sein kann.«

Diese Worte wurden Keilberg so entgegengedonnert, daß er ganz erschrocken zusammenfuhr und den Kopf einzog.

Ludwig blickte sich forschend um. Die Verbindungsthür, die einzige, welche es außer dem Eingange gab, entging ihm nicht.

»Dieser Mensch kam aus dem dritten Fenster gestiegen, von der Ecke her gezählt. Wo liegt das betreffende Zimmer?« fragte er.

»Hier nebenan,« antwortete Milda. »Aber man wird ihn doch nicht da einquartirt haben! Das ist gar kein Fremdenzimmer!«

Der Hausmeister, welcher sich natürlich auch mit eingefunden hatte, erklärte, aus welchem Grunde er diesem Menschen grad dieses Zimmer angewiesen habe. Ludwig untersuchte die Thür. Sie war jenseits verschlossen. Er begab sich dort hinüber und öffnete die Thür. Es war sonnenklar, daß Keilberg der Dieb gewesen war. Er hatte aus seinem Zimmer ganz leicht in das Bureau gekonnt, und es gab weiter kein solches Nebenzimmer. Der König hatte ihn gesehen, beobachtet und ganz genau erkannt. Er konnte gar nicht leugnen und leugnete doch. Darum wurde er nun streng gefesselt und nach der Schleuße geführt, aus welcher beim Scheine mehrerer Laternen die gestohlenen Gegenstände hervorgeholt wurden.

Selbst jetzt, obgleich er vollständig überführt war, gestand er die That nicht ein. Er wurde nach dem Gefängnisse abgeführt, und Ludwig gab die Weisung, ihn ja auf das Beste zu beaufsichtigen, da er des Fluchtversuches außerordentlich verdächtig sei.

Milda war herzlich froh, die geraubten Geschmeidesachen sofort wieder zu erhalten. Eigentlich hätten sie zu den Acten genommen werden müssen. Bei der Schloßherrin aber wurde eine Ausnahme gemacht.

Ludwig ging gar nicht wieder mit in das Schloß zurück. Er sagte, daß man bald von ihm hören werde. Milda wollte ihm ihre Kutsche zur Verfügung stellen; er aber wies dieses Anerbieten zurück. Der Abend war nicht mehr ganz dunkel, da der Mond ins Viertel getreten war. Er wollte lieber gehen. Da konnte er den Gedanken über die heutigen Erlebnisse ganz anders Audienz geben, als wenn er im Wagen gesessen hätte.

Die Bürgermeisterin beschrieb ihm ganz genau den Weg und fügte noch hinzu:

»Hinter der dritten Krümmung der Straße geht ein Richtweg ab, auf welchem man eine Viertelstunde eher an das Ziel kommt. Er ist zwar breit genug, daß man ihn auch des Abends gehen kann, aber wer nicht ganz vertraut mit ihm ist, der thut besser, auf der Straße zu bleiben. Er geht zunächst bergan, dann jenseits wieder hinab nach Hohenwald.«

Als nun Abschied genommen und die herzlichsten Danksagungen abgestattet worden waren, machte sich Ludwig auf den Weg. Langsam und gedankenvoll folgte er der Straße, so gedankenvoll, daß er die Krümmungen gar nicht zählte.

Er war längst bei der dritten, ja schon an der vierten vorüber, da ging ein Weg rechts ab. Er war ziemlich breit und führte zwischen hochstämmigen Bäumen dahin, welche weit auseinander standen. Ohne sich lange zu besinnen, folgte er diesem Pfade, welchen er für den erwähnten Richtsteig hielt.

Leider aber führte derselbe hinauf in die Berge und zwar nach dem Felsenklamm, welcher für heut zum Rendez-vous der Pascher dienen sollte.

Eine Viertelstunde und noch eine verging. Der Weg führte bergan und immer weiter bergan und schien sich gar nicht wieder thalabwärts neigen zu wollen. Der König achtete auch jetzt noch nicht darauf. Seine Gedanken waren ganz anderswo als auf dem Wege. Als er aber nun drei volle Viertelstunden bergan gestiegen war, kam ihm die Sache doch etwas abenteuerlich vor.

Der Weg war schmäler geworden und führte nun auch durch dichteren Wald, so daß er kaum mehr zu erkennen war. Ludwig sah ein, daß er sich wahrscheinlich verirrt habe. Aber sollte er die weite Strecke wieder zurückkehren? Nein. Der Weg mußte doch an irgend ein Ziel führen.

So folgte er ihm weiter und immer weiter. Bald hörte der Wald auf, und es gab nun ein Terrain von wild zerklüfteten Felsen. Der Viertelmond gab so viel Licht, daß der Weg von dem Gestein zu unterscheiden war.

Jetzt lief von rechts her ein anderer Pfad mit ihm zusammen, und beide mündeten in eine Felsenöffnung, welche kaum so breit war, daß zwei nebeneinander gehen konnten. Die Steinwände stiegen senkrecht und hoch empor, rechts und links, so daß das Licht des Mondes nicht vermochte herein zu dringen.

Es gab keine Wahl; Ludwig betrat die Spalte und folgte derselben. Das war der berüchtigte Felsenklamm.

Sich mit den Händen rechts und links weitertastend, schritt Ludwig langsam weiter. Der Klamm war wohl eine Viertelstunde lang. Er mochte die Hälfte desselben zurückgelegt haben, so schrak er heftig zusammen, denn nur wenige Schritte vor ihm hatte eine Stimme ein lautes, kurzes, rauhes Werda gerufen. Selbst der furchtloseste Mensch erschrickt, wenn er in finsterer Nacht in tiefster Einsamkeit aus nächster Nähe unerwartet angerufen wird.

»Gut Freund,« antwortete Ludwig.

»Was da, gut Freund! Die Parole wollen wir hören!«

Parole! Jetzt wußte der König, daß er Pascher vor sich habe. Sollte er zurück? Das war nicht nach seinem Geschmack. Vor solchen Leuten fliehen? Nein!

»Ich kenne Eure Parole nicht,« antwortete er.

»Donnerwetter! Ein Fremder! Den sehen wir uns an.«

Er war stehen geblieben. Jetzt blitzte vor ihm das Licht einer Blendlaterne auf, welches ihn vollständig beleuchtete und dann rasch wieder verschwand.

»Wahrhaftig ein Fremder!« bestätigte dieselbe Stimme. »Was willst Du hier oben?«

»Ich habe mich verlaufen.«

»Mach keine Lügen! Wo willst Du hin?«

»Nach Hohenwald.«

»Wo kommst Du her?«

»Aus Steinegg.«

»Wer bist Du?«

Dieses Ausfragen belästigte ihn. Sollte er sich von diesen Leuten ausfragen lassen, von Leuten, welche die von ihm gegebenen Gesetze übertraten? Zudem waren es der Sprache nach nicht einmal Bayern sondern Böhmen. Nein. Er war kein Handwerksbursche, welcher vom Gensdarm verhört wird.

»Wer seid denn Ihr?« entgegnete der Gefragte.

»Oho! Der Kerl fragt uns!« lachte eine zweite Stimme. »Gieb ihm eins auf die Platte.

Und die erste sagte:

»Hast Du es gehört. Fremder? Bei uns da geht es anders als Du denkst. Also sag, wer Du bist und zwar schnell!«

»Und bei mir geht es auch anders, als Ihr denkt!« antwortete er. »Wer seid Ihr?«

»Hölle und Teufel! Mach uns den Kopf nicht warm! Bist Du allein?«

»Ja.«

»Lüge nicht!«

»Ich lüge nicht. Laßt mich vorbei!«

»Daß Du es drüben melden kannst, was Du gesehen hast! Nein, so dumm sind wir nicht.«

»Gut! So gehe ich wieder zurück.«

»Oho! Das dulden wir auch nicht. Wenn wir Dich zurücklassen, so meldest Du uns unten. Du bleibst hier bei uns!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Wird Dir schon einfallen! Gieb Dein Hände her! Wir binden Dich! Da bleibst Du dann liegen, bis morgen am Tag Jemand kommt, der Dich frei macht. Also her damit!«

Er wurde beim Arm gepackt.

»Laßt mich! rief er. »Mich binden lassen, fällt mir gar nicht ein!«

»Nicht, so wird Ernst gemacht. Greif zu!«

Vier Arme schlangen sich um ihn, die ihn niederringen wollten. Er im Vollgefühle seiner riesigen Körperkraft leistete wackern Widerstand. Sie brachten ihn nicht nieder.

»Mach kein langes Gesumms mit ihm!« keuchte der Eine. »Nimms Messer! Wenn er kalt ist, so ist er kalt!«

Im nächsten Augenblicke sah Ludwig trotz der Dunkelheit ein blitzschnelles mattes Blinken vor seinen Augen. Der Pascher hatte wirklich zum Messer gegriffen. Ludwig griff schnell zu, und es gelang ihm, den Arm zu erfassen.

»Er hält mich!« sagte der Eine. »Stich Du ihn!«

»Schön! Gleich!«

Da plötzlich rief eine dritte Stimme laut:

»Stechen! Ihr Hunde, was fallt Euch ein! Das sollt Ihr verfluchten Mördern doch nimmer fertig bringen. Hier hasts!«

Ludwig hörte einen kräftigten Schlag und der Kerl welcher ihn jetzt, hatte stechen wollen, stürzte zu Boden.

»Fremder, wie viele sinds halt?« fragte die dritte Stimme. »Doch nur zwei?«

»Ja.«

»Na, da wollen wir denen Andern auch noch ins Bett legen!«

Ein zweiter Hieb war zu hören, dann stürzte der Andere zu Boden.

»So!« sagte die Stimme. »Auch dieser ist fertig. Bist wohl verwundet?«

»Gott sei Dank, nein.«

»So ists gut. Es war grad die richtige Zeit, daß ich mich dazwischen machen that, sonst hättst ein Messern zwischen die Rippen bekommen.«

»Wie kommst Du hierher?«

»Grad so wie Du, auf denen Beinen.«

»Höre, Deine Stimme kommt mir bekannt vor.«

»Mir die Deinige Sprachen auch.«

»Wer bist Du denn?«

»Ich? Ich bin der Ludwig Held aus dem Oberndorf.«

»Habe es mir gedacht. Ich erkannte Dich an der Stimme.«

»Und wer bist denn Du?«

»Errathest Du es nicht?«

»Gar gut nicht. Hört hab ich Deine Stimm bereits schon; ich weiß auch, wer dieselbige hat; aberst der kannst nicht sein.«

»Warum nicht?«

»Dera liegt jetzund da unten in Hohenwald im Bett und schläft.«

»In welchem Haus?«

»In dera Mühlen. Ich mein halt den Herrn Ludwigen. Grad so eine Stimm hast Du.«

»So! Na, Deine Ohren sind scharf. Du hast ganz richtig gerathen.«

»Was? Himmelsakra! Du bist – Du wärst – – dera Herr Ludwigen?«

»Ja.«

»Aberst was thust heroben?«

»Ich habe mich verlaufen.«

»Das hast bereits denen Zweien sagt.«

»Hasts gehört?«

»Ja. Ich steck halt schon seit zwei Stunden hier, um auf diese Zwei zu warten. Sie sind kommen und da hab ich sie belauscht. Nachhero kamst auch Du. Hast von Glück zu sagen, daßt nicht stochen worden bist.«

»Wie kommst aber Du dazu, hier oben auf diese Pascher zu lauern?«

»Weil ich sie hab fangen wollt.«

»Was? Du allein?«

»Nein. Es wollen noch Grenzer kommen; aberst die sind noch nicht da. Paschern sind viel eher aufstiegen, als sie halt selbst wollt haben.«

»Da liegen sie nun am Boden. Sie werden wohl besinnungslos sein.«

»Ja, aberst ganz todt sind sie halt nicht. Ich hab ihnen einen kleinen Klapps auf denen Kopf geben. Wart, da am Stein habens ihra Latern stehen. Wollens halt mal anleuchten.«

Nebenan stand die Blendlaterne. Er hob sie auf und öffnete sie. Er ließ ihr Licht zunächst auf den König fallen.

»Sakra!« rief er. »Bists wirklich, Herr Ludwig! Na, das ist mir eine große Freuden, daß ich dazwischen kommen bin.«

»Und ich weiß es Dir großen Dank. Du hast mir heut zum zweiten Male das Leben gerettet.«

»Das brauchst nicht zu danken!«

»O doch. Sie hatten die Messer gezogen.«

»Ja, aberst von einem Stiche stirbt man nicht so gleich. Der muß tief gehen, wann er ins Leben dringen will.«

»Ich denke! Drei Zoll ist genug. Leuchte sie einmal an! Vielleicht, kennst Du sie. Es scheinen Böhmen zu sein.«

»Ja, das sind sie. Und kennen thu ich sie auch.«

»So! Wer ists?«

»Die Osecs von jenseits dera Grenz, Vater und Sohn. Der Kerl hat mir mein Dirndl nehmen wollt; nun hab ich mir ihn selbst auch nommen.«

»Ach! Ich verstehe.«

»Verstehsts halt? Ja, bei solchen Sachen ist immer ein Dirndl und auch die Lieb dabei.«

Er leuchtete die beiden am Boden liegenden Männer an. Sie hatten sich die Gesichter mit Ruß geschwärzt, doch erkannte er sie sehr leicht.

»Sie sinds,« sagte er. »Sie werden sich freuen, wanns aufmachen. Damits aberst nicht davonlaufen, werd ich ihnen die Händen und Beinen zusammenknüpfen.«

»Hast Du Stricke mit?«

»Stricken nicht aberst gute Riemen, die reißen sie mir nimmer entzwei.«

»Du scheinst Dich doch recht sorgsam vorbereitet zu haben.«

»Natürlich! Ich habs einmal aus sie absehen habt. Ich hab sie fangen wollt, und da hab ich mir die Riemen mitnommen.«

Er kauerte sich nieder und fesselte die Beiden. Sie wachten darüber auf.

»Alle Teufel! Gefangen!« rief der alte Osec.

»Ja, fangen bist, fangen wie die Flieg im Spinnennetz.«

»Was hast Du mit uns vor? Du bist doch kein Grenzer.«

»Merkst das auch bereits?«

»Ja. Du hast ja keine Uniform.«

»Ein Bauernknecht trägt keine Uniform.«

»Ein Knecht bist Du? Wohl ein armer?«

»Reich bin ich nicht. Das ist wahr.«

»Kerl, und dann nimmst Du uns gefangen und bindest uns sogar?«

»Ein Armer darf das wohl nicht?«

»Wirsts doch nicht mit den Grenzern halten! Sind welche da?«

»Nein.«

»So laßt uns doch frei!«

»Das fallt mir gar nicht eini!«

»Wir bezahlen Dich gut.«

»So! Wie viel gebt Ihr denn?«

»Fünfzig Gulden.«

»Dank schön! Da bleibt liebern liegen.«

»Fünfzig, nicht für uns Zwei sondern pro Mann. Macht also hundert.«

»Mach nicht mit!«

»So geben wir hundertfünfzig.«

»Nein.«

»Mensch, bedenke, welch ein Geld für Dich, für einen Bauernknecht.«

Ludwig, der Knecht, nahm nämlich eine solche Stellung ein, daß sein Gesicht im Dunkeln blieb. Auch suchte er seine Stimme zu verstellen. Aus diesen beiden Ursachen erkannten sie ihn nicht.

»Für einen Knecht sehr viel,« sagte er, »das ist wahr.«

»Und wir sind doch keine Verbrecher, sondern nur arme Pascher.«

»Mach keine Lügen!«

»Es ist wahr!«

»Paschern wärt Ihr nur? Nein, Mördern seid Ihr!«

»Nein.«

»Habt Ihr nicht meinen Kameraden derstechen wollt?«

»Das war nur Scherz.«

»Ja, sagt das nur jetzt. Dort liegen die Messern noch. Die Klingen sind zehn Zoll lang. Das geht durch und durch. Und das soll ein Gespaß gewest sein!«

»Nimm Verstand an! Wie viel willst Du haben?«

»Nix will ich.«

»Unsinn! Wir geben Dir zweihundert Gulden!«

»Nicht für zweitausend!«

»Die könnten mir gar nicht geben, denn wir sind arme Schlucker.«

»Ja, das weiß ich schon! Arme Schluckern seid Ihr, und des Kerybauers Gisela habts heirathen wollt. Da müßt Ihr freilich sehr arme Leutln sein!«

»Donnerwetter! Was fällt Dir ein! Du verkennst uns.«

»Ja. Dera Osec bist halt nicht. Ich hab Euch verkannt.«

»Bist Du toll! Ich der Osec!«

»Nein, der bist nicht. Der Osec hat keine schwarze Haut wie Du, sondern nur ein schwarzes Herz. Kennst ihn wohl auch?«

»Nein.«

»Jammerschad, daßt ihn nicht kennst! Der ist ein Feiner! Der trägt seine Packeterln zuvor zum Felsberger Pfarrern in die Scheun, um sie dort zu verstecken, damit er heut bei Zeiten in dem Felsenklamm sein kann.«

Die beiden Osecs erschraken. Sie erkannten, daß sie verrathen seien. Sie hatten es jedenfalls nicht mit einem unbefangenen, gewöhnlichen Knecht zu thun.

»Wer bist denn Du?« fragte der Alte.

»Wißt Ihr das nicht?«

»Nein. Wir kennen Dich nicht.«

»Nun, so braucht Ihr mich doch nicht erst noch kennen zu lernen. Es kann mir und Euch nix nützen. Ins Spinnhaus kommt Ihr doch.«

»Du bist des Teufels!«

»Oder Ihr!«

»Laß uns los! Wir zahlen Dir fünfhundert Gulden.«

»Nein. Euch trau ich nicht. Ihr könntet mir auch solche Sachen machen, wie dem Kery. Wartet noch ein Wengerl, sodann kommen die Grenzer. Die führen Euch heim.«

»Donnerwetter, treibt den Spaß nicht zu weit! Was hast Du denn, wenn Du uns den Grenzern übergiebst?«

»Das Prisengeld.«

»Das zahlen wir Dir auch.«

»Für Euer Geld dank ich schön. Ihr müßt ins Zuchthaus. Dahin, wo ich den Usko und den Zerno auch schon schickt hab.«

»Du?«

»Ja.«

»Mensch, wir zahlen Dir noch mehr!«

»Bietet was Ihr wollt! Ich geb Euch nimmer frei.«

»Wir geben Dir die beiden Packete!«

»Danke sehr! Wann ich sie nehmen wollt, so thät ich Euch gar nicht erst fragen. Sie liegen hier, und ich könnt mit ihnen gehen. Ihr kennt mich ja nicht.«

»So sage, was Du haben willst!«

»Nix. Ihr kommt nicht frei.«

»Hartkopf! Ach, wenn Du uns nicht gebunden hättest!«

»So! Was würde da sein?«

»Da machten wir Dir den Kopf weicher.«

»Ihr? Ja, grad so weich, wie der Eure war, als wir Euch in Slowitz ins Wasser tunkt haben.«

»Was? Warst Du dabei?«

»Ja.«

»Kerl, so sag doch nur, wer Du bist!«

»Ich bin dem Kerybauern sein Schwiegersohn.«

»Das ist nicht wahr. Der hat keinen.«

»Oho! Hier steh ich da! Ich bins.«

Er trat nun so, daß der Lampenschein auf ihn fiel.

»Der Ludwig!« schrie der Osec auf.

»Ja, dera Ludwigen,« lachte der Knecht: »Wie ists Euch denn nun? Nicht wahr, jetzund wißt Ihr ganz genau, daß Ihr nicht wieder frei kommt?«

Sie schwiegen.

»Todt habt Ihr mich machen wollt. Meinem Bauer habt Ihr das Gut abnehmen wollt! Doch Ihr habt nicht an den Ludwigen dacht. Der hat Alles gut macht.«

»Ja, das wissen wir!« knirschte Osec. »Du bists, dem wir Alles, was letzthin geschehen ist, zu danken haben.«

»Natürlich! Und daran seid Ihr selberst schuld. Ihr ganz allein. Verhaltet Euch so, daß die Leutln Eure Freunden sind anstatt Eure Feinden.«

»Du hast uns die Wechseln gestohlen aus der Brusttasche!«

»Meinst? Kannsts beweisen?«

»Eben nicht, sonst sollte es Dir schlecht ergehen. Du hast uns beschlichen und belauscht, um uns zu verderben. Das sehen wir jetzt.«

»So! Ich muß doch ein gescheidter Kerlen sein!«

»Nein, das bist Du nicht. Gieb uns frei!«

»Da könnt Ihr warten.«

»Höre, Du sollst die Packete haben und alles Geld, welches wir bei uns tragen.«

»Dank schöni!«

»Ferner entsagen wir allen Ansprüchen auf den Keryhof und auf die Gisela.«

»Habt Ihr solche Ansprüchen?«

»Ja.«

»Beweist sie uns!«

»Das werden wir später.«

»Schön! Das kann mich gefreun. Wann Ihr aus denen Zuchthausen herauskommt, so ist die Gisela längst meine Frau. Nachhero möcht ich die Ansprüchen sehen, die Ihr machen wollt.«

»Mensch, bedenke doch, daß Dir auch einmal ein Unglück geschehen kann.«

»Ich bin kein Pascher.«

»Wir meinen, ein anderes.«

»So werde ichs ertragen und nicht so betteln wie Ihr. Schämt Euch!«

Sie schwiegen jetzt. Sie zerrten an ihren Riemen, jedoch vergeblich. Es war unmöglich, sie zu zerreißen. Ihre Wuth war eine grenzenlose. Sie, die beiden Osecs, beim Paschen ertappt, gefesselt am Boden liegend, nachher mehrere Jahre in das Zuchthaus! Das war ja entsetzlich! Und zwar besiegt und überlistet von diesem Bauernknecht, den auf die Seite zu schieben ihnen ein so sehr Leichtes gedünkt hatte! Gab es denn gar keine Hilfe, keine Rettung?

Sie flüsterten leise mit einander, bis sich nahende Schritte vernehmen ließen. Sie waren in dem Felsenklamm, der das Echo in vielfach verstärktem Maße weiter trug, schon aus ziemlicher Entfernung zu vernehmen.

»Jetzt kommen die Grenzer,« sagte Ludwig. »Nun nimmt die Sach ein End.«

Da wurde den Osecs himmelangst.

»Ludwig!« bat der Alte.

»Was hast?«

»Laß uns frei.«

»Wann Ihr das Zuchthaus absessen habt, eher aber nicht.«

»Bist Du denn kein Mensch, sondern ein Teufel.«

»Die seid Ihr.«

»Ich bezahle Dich fürstlich!«

»Du kannst gar nix zahlen!«

»Ich bin reich.«

»Gar nix hast. Warts nur mal erst ab, was Dir übrig bleibt, wannst Alles ans Gericht zahlen mußt.«

»Mensch, hast Du denn gar kein Herz?«

»Eben weil ich ein Herz hab, muß ich Euch aus dem Weg schaffen, daßt Ihr denen guten Leutln nix mehr schaden könnt. Nun mögt Ihr auf die Brautschau und auf den Verspruch gehen.«

»Hole Dich der Teufel!«

»Euch hat er schon. Da mag er keinen Andern, denn an Euch hat er genug. Da sind sie.«

Die Osecs stießen noch einige grimmige Flüche aus, dann waren sie still, denn die Grenzer kamen, den Officier an der Spitze.

Ludwig ergriff die Laterne und trat ihnen entgegen.

»Da bist Du schon!« sagte der Officier. »Wir kommen zur richtigen Zeit. Aber mach die Laterne zu, sonst sehen die Kerls, wenn sie grad jetzt kommen sollten, das Licht schon von Weitem.«

»Sie habens schon sehen.«

»Wieso!«

»Es ist nicht meine Latern, sondern die ihrige.«

»Was? Teufel, Du hast sie uns doch nicht etwa verjagt?«

»Nein, sondern gefangt hab ich sie.«

»Ists wahr?«

»Schaut sie Euch an!«

»Wo sind sie?«

»Da liegens halt fröhlich beisammen und habens uns Alle so lieb.«

Er leuchtete die Gefangenen an. Der Officier bückte sich zu denselben nieder und fragte:

»Das sind wirklich die Osecs?«

»Ja. Da haben wir zwei feine Spitzbuben derwischt. Ich habs ihnen noch gestern sagt, daß ich sie in's Zuchthaus schicken werd, sie aberst habens nicht glaubt, sondern mich auslacht. Nun liegens da!«

»Und wie ists mit den Packeten?«

»Die habens da hinten ablegt.«

Der Officier untersuchte die Packete und sagte befriedigt zu Ludwig:

»Kannst Dir gratuliren. Das ist die feinste Waare. Du wirst eine tüchtige Prämie bekommen.«

»Darnach hab ich weniger trachtet. Ich wollt diese Nattern unschädlich machen. Aber wanns was Gutes abwirft, dann wirds eben auch mitnommen.«

Jetzt bemerkte der Officier die Messer.

»Ah!« sagte er, »da scheint es ja lebensgefährlich hergegangen zu sein!«

Der König hatte bisher an dem Felsen angelehnt gestanden und war nicht beachtet worden, jetzt aber trat er hervor und sagte:

»Ja, wenn dieser brave Ludwig nicht gewesen wäre, so wäre ich jetzt todt.«

Der Officier nahm dem Knecht die Laterne aus der Hand und leuchtete dem Redner in das Gesicht.

»Wer sind Sie? Ah – – – Pardon! Mit Messern auf Seine Maje – –«

»Still!« gebot der König. »Incognito! Ludwig Held hatte mir das Leben gerettet. Ich hatte mich verirrt und gelangte hierher, stieß auf diese beiden Schmuggler und sollte von ihnen getödtet werden. Es ist mein Wunsch, daß die ganze Strenge des Gesetzes gegen sie angewendet werde.«

»Das wird gewiß geschehen. Darf ich einige meiner Leute abcommandiren, um – um Ihnen den Weg nach der Mühle zu zeigen.

»Danke. Ludwig wird mich führen.«

»Ja,« sagte dieser, »das werd ich halt gar gern thun. Ich weiß einen schönen Pfad, da können wir vom Berg herab gleich bei dera Mühlen in den Schornstein hineinsteigen. Aberst solls denn gleich fortgehen?«

»Ja.«

»Wollen wir nicht die anderen Paschern fangen, die nun, bald kommen werden, um die Packete der Osecs zu holen und ihnen neue dafür zu bringen?«

»Das lassen wir hier den Beamten über. Du als Privatmann hast genug gethan. Komm! Wie lange gehen wir bis zur Mühle?«

»Eine halbe Stunden.«

»So habe ich einen großen Umweg gemacht.«

»Wir gehen jetzund wieder um ihn herum. Dann kommen wir richtig an.«

»Gute Nacht, meine Herren!«

Die Grenzer dankten in tiefster Ehrerbietung; dann entfernte sich der König mit Ludwig, welcher voranschritt. Als sie eine Strecke weit gekommen waren, sagte der Erstere:

»Ludwig, wie soll ich Dir danken! Das ist das zweite Mal, daß Du mich gerettet hast.«

»Machens kein solch Gered um die Sachen! Was hab ich than? Gar nix! Eine Kopfnuß hab ich ihnen geben. Das ist gar nicht des Redens werth.«

»Weil Du ein braver Mensch bist. Aber es wird die Zeit kommen, in welcher ich Dir danken kann.«

»Wanns mir einen Gefallen erweisen wollen, so redens nicht von Dank, Herr Ludwig, sonst muß ich mich da grad vor mir selber schämen. Was ich hab thun könnt, das macht mich glücklich. Das ist der schönste Lohn, den ich empfangen kann. Wann ich mal meinen Kindern verzählen kann, wie leutselig und lieb mein guter König mit mir sprochen hat, so werdens mich glücklich preisen, und noch die Urenkel werden stolz sein auf denen Urgroßvatern. Und in denen Büchern wird man lesen von dem Herrn Ludwigen, der sein Bayernland und das Bayernvolk so von ganzem Herzen lieb habt hat.«

Es trat eine Pause ein, dann fragte der König:

»Wann kommst Du heut nach Hause?«

»Noch in dera Nacht. Zuvor aber muß ich mit hinein ins Hohenwald, um den Herrn Lehrern zu wecken. Ich hab eine Botschaften an ihn.«

»Von dem Fräulein auf dem Steinegger Schloß. Er soll sehr früh zu ihr kommen, weil sie ihm etwas sehr Notwendiges zu verzählen hat.«

»Ah, so bist Du der Bote, welcher heute Abend von ihm den Brief gebracht hat?«

»Ja. Nachhero, wann ich bei ihm gewest bin, dann geh ich heim zu meiner Muttern, die gar nicht wissen wird, warum ich mich nicht sehen lassen hab.«

»So grüße sie von mir.«

»Darf ich das?«

»Ja.«

»Von dem Herrn Ludwigen?«

»Nein, sondern von dem Könige.«

»Sakra! So hat das Incognitogeheimnissen jetzt ein End?«

»Noch nicht. Deine Mutter aber soll wissen, daß sie mit ihrem Könige gesprochen hat.«

»Mit – ah, mit wem?« fragte Ludwig ganz erstaunt.

»Mit ihrem Könige, mit mir.«

»So habens halt mit ihr sprochen?«

»Ja.«

»O Jerum! Heut etwan?«

»Heut am Nachmittage. Und Hanna, Deiner Schwester, kannst Du sagen, daß ich die Fee gewesen bin. Als sie mit ihrem Stephan droben auf dem Felsen war, habe ich über ihnen gesessen und Alles gehört, was sie gesprochen haben. Da habe ich die Worte, welche sie hörten, von oben herab zu ihnen hinuntergerufen.«

»Das kann ich halt nicht verstehen.«

»Ich brauche es Dir nicht zu erklären. Wenn Du nach Hause kommst, wirst Du Alles hören.«

Und so war es auch. Sie erreichten nach kaum einer halben Stunde Hohenwald. Der König ging nach der Mühle und Ludwig zu dem Lehrer, welchen er aufweckte, um ihm Mildas Botschaft auszurichten. Sodann aber eilte er mit schnellen Schritten heim, um zu erfahren, was, es mit dem Besuche des Königs für eine Bewandtniß gehabt habe.

Zu seinem Erstaunen bemerkte er von Weitem, daß in der Hütte noch Licht brannte. Als er eintrat, waren Mutter und Schwester noch auf, und bei ihnen saßen der Stephan und sein Vater, der alte Höhlgutbauer. Das war ein großes Wunder.

»Da kommt er doch noch!« sagte Hanna, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte. »Komm herbei, Ludwig, wir haben auf Dich wartet, und deshalb ist dera Stephan mit seinem Vatern nicht heimgangen.«

Ihr Gesicht glänzte vor Glück und Freude. Er reichte Allen die Hand und antwortete:

»Ja, Ihr Leutln, was hats denn bei Euch geben? Ihr macht ja Gesichtern grad wie dera heilige Christ. Und riechen thuts auch so gut, als ob Ihr was Absonderliches backen oder braten hättet.«

»Das haben wir auch.«

»Was denn?«

»O, wir haben heut fein lebt, fein und nobel, grad wie die großen Herrschaften. Wir haben gessen Kartoffeln mit Heringen, aberst die Heringen haben wir braten in Mehl einwickelt, worein das Fett so schön zogen ist und braun sinds worden. Wir haben fünf Stück habt, für jede Person einen ganzen, für Dich auch einen. Kannst ihn bekommen.«

Er schlug in heller Verwunderung die Hände zusammen und fragte:

»Was hat denn da ein einzelner kostet?«

»Acht Pfennigen.«

»O Jerum Je! Das sind für fünf Stück grad vierzig Pfennigen! Seid Ihr denn toll worden allesammt mit nander, daß Ihr einen solchen Luxurium treibt! Nachhero könnt Ihr wiederum ein ganzes Vierteljahr Fasten treiben.«

»O, damit ists aus!«

»Wieso?«

»Wann wir jetzund Fasten haben, so speisen wir Fisch, Karpfen in einer polnischen Brühen und Hecht mit dera feinsten Buttern, die sich halt auftreiben läßt.«

»So ist wohl ein Sack voller Geld vom Himmel fallen und Euch grad auf die Nasen?«

»Grad so ists gewest, fast grad so. Weißt, wir haben über sechstausend Mark!«

»Bist sechstausend Mal überschnappt!«

»Oho! Und alle Jahre bekommen wir sechshundert Mark; das ist dera Muttern ihre Pensionen.«

»Pension? Von wem?«

»Vom König.«

»Vom König? Aha, aha!«

Er nickte nachdenklich vor sich nieder, setzte sich zu ihnen, blickte Eins nach dem Andern an, ganz erbaut von ihren freudestrahlenden Gesichtern, und fragte:

»So ist er wohl hier gwest?«

»Wer denn?« gegenfragte Hanna.

»Nun, der König.«

»Nein, der nicht, aber Einer, der immer bei ihm ist und mit ihm über Alles reden kann. Du, das war ein Feiner! Viel feiner noch als wohl Dein Herr Ludwig. Und doch war er auch so mild und gut mit uns. Er hat Brod gessen und Milch trunken und nachhero die ganze Pensionen auf den Tisch zählt.«

»So, so!«

»Ja, und vorher hat uns die Fee weissagt, daß wir nander heut noch bekommen werden.«

»Ah, die Fee! Hm! Kannsts mir doch mal verzählen. Nicht?«

»Ja, gern.«

Und nun berichtete das glückselige Mädchen von Anfang bis zu Ende die Ereignisse des heutigen Nachmittags. Als sie geendet hatte und in Ludwigs still und überlegen lächelndes Gesicht schaute, fragte sie:

»Willsts wohl nicht glauben?«

»O ganz gern.«

»Aber was machst für ein Gesichten?«

»Ich wundere mich über Dich.«

»Warum?«

»Wie hieß denn dera Herr?«

»Das weiß ich nicht.«

»Da hasts! Sonsten bist gleich stets bei dera Hand, um Alles zu derfahren, und heut hast nicht fragt.«

»Ich hab wohl daran denkt, es aber nicht wagt. Er sah so ganz besonders vornehm aus, fast wie ein Ministern.«

»So! Du weißt also, wie so ein Ministern ausschaut?«

»Nein, aberst ich kanns mir denken.«

»Und feiner ist er gewesen als mein Herr Ludwigen?«

»Ganz gewiß.«

»So? Wanns aberst nun grad dera Herr Ludwigen gewest wär?«

»Der? Warum meinst das?«

»Weil ers mir sagt hat.«

»Was! Der ists gewest? Ist das wahr?«

»Ja. Er hat mir vorhin noch sagt, daß ich Euch grüßen soll. Es hat ihm bei Euch so gut gefallen.«

Da zeigten sie Alle das größte Erstaunen und Hanna rief:

»Dera Ludwigen! Also ist der beim König?«

»Ich hab Euch doch sagt, daß er ein gar vornehmer Herr ist. Und das mit dera Fee habt Ihr auch richtig vernommen?«

»Ja, ganz richtig.«

»Und eine Fee ist ein Weibsbild?«

»Ja.«

»Was hatte denn die Eurige für eine Stimme? Etwan einen Discanten?«

»Nein, sondern einen Baßtenoren.«

»So! Also ists kein Weibsbild gewest.«

»Nein.«

»Keine Fee, sondern auch dera Herr Ludwigen!«

»Was sagst! Der soll es gewest sein?«

»Ha. Er hat mir anbefohlen, daß ich es Euch sagen soll. Als Ihr auf dem Berg gewest seid, hat er Alles hört, was Ihr sprochen habt. Darauf hat er Euch die Worten hinabrufen.«

Da schlug das Mädchen in heller Verwunderung die Hände zusammen.

»Der, der ists gewest? Warum hat er das nachhero nicht sagt?«

»Weil Ihrs Euch denken könnt, daß es ein Mensch, ein Mann gewest ist. Eine Fee hats nie geben und giebts auch heut nicht. Es hat so gar schön paßt, daß Ihr Euch das wünscht habt und er hats derfüllen können mit dera Pensionen, die er bereits in denen Taschen stecken hatte.

»O weh!« sagte Stephan, indem er sich hinter den Ohren kratzte, »so hat er also Alles gehört!«

»Ja.«

»Und auch Alles sehen?«

»Auch!«

»Sappermenten! Die Busserln auch?«

»Davon hab ich nix von ihm hört.«

»Grad die Letzten beim Abschied haben gar gewaltig schnalzt. Da ist Kraft und Saft drinnen gewest. Wann er das hört hat, so hat er ganz gewiß einen gar gewaltigen Respecten bekommen vor unserer Kunst und Fertigkeiten.«

»Stephan!« mahnte Hanna.

»Brauchst Dich nicht zu schämen. Ich machs mit meiner Gisela ganz ebenso. Das leise, heimliche Busserln ist ganz schön, aberst es muß auch mal so klingen, als ob eine Seiten auf dera Baßgeigen springt oder gar so, wie wenn eine Fensterscheiben zerspringt. Das giebt nachhero was ganz Apartes!«

»Hör aufi, sonst hau ich Dir eine Schelle eini!« zürnte das Mädchen.

»Sei still! Euch Dirndln kennt man schon! Ihr thut immer, als könnts nicht bis Drei zählen, und wanns zum Treffen kommt, so zählt Ihr gleich bis zur Millionen. Aberst könnt ich denn nun auch mal die Hauptsach sehen, nämlich das viele Geldl?«

»Die Muttern hats.«

»Wo?«

»Dort in dera Truhen.«

»So nehmts herausi.«

»Ja, da müssen wir erst die Kneipzangen suchen, um die Nageln herauszuziehen.«

»Habt Ihr denn die Truhe zunagelt?«

»Freilich.«

»Ah, und auch mit Stricken zubunden, wie ich sehen thu und dann gar noch mit Siegellacken verklebt. Herrgottle, giebts denn gar so große Spitzbuben hier?«

»Man kanns nicht wissen. Es ist allemal besser, wann man vorsichtig ist. Willsts also sehen?«

»Nein, nun nicht. Wanns Euch solche Mühen macht, so will ich lieber verzichten.«

»Alles freilich haben wir nicht einischlossen, sondern ein Zwanzigmarkstuckerl haben wir aufbehalten. Morgen gehts nach dera Stadt, wo wir uns neue Busentücherl kaufen und eine neue Schürzen, denn wir müssen zum Herrn Ludewigen gehen.«

»So! Was wollt Ihr bei ihm?«

»Uns natürlich bedanken.«

»Das ist recht; das wird ihn gefreun. Macht mir aberst nur keinen Fehlern.«

»Was sollten wir für einen welchen machen können?«

»Ihr dürft ihn nicht falsch nennen.«

»Das ist ja gar nicht möglich. Wir wissen ja, wie er heißt. Wir nennen ihn den Herrn Ludwigen.«

»Grad das ist falsch.«

»Warum?«

»Ludwig ist nur sein Vorname.«

»So! Wie wird er denn genannt?«

»Majestät.«

»Machst wohl Dummheiten!«

»Nein.«

Die Vier saßen da und blickten ihn starr an. Da stand er auf, nahm das Königsbild von der Wand, hielt es ihnen vor die Augen und rief:

»Seid Ihr denn blind gewest! Dieses Conterfeium taugt zwar nicht viel, aberst zu sehen ists doch, was für ein Gesichten er hat. Und da hat er bei Euch sessen, und Ihr habts wirklich nicht sehen, daß es dera König gewest ist! Sollt man das für möglich halten!«

Jetzt nun gingen den beiden Frauen und auch den Andern die Augen auf. Ja, es konnte gar kein Anderer als der König gewesen sein. Das war klar. Ein jeder Andere hätte ein Schreiben mit der allerhöchsten Unterschrift mitbringen müssen.

Aber nun das Halloh, die Aufregung, das Fragen und Antworten, welches es jetzt gab; es wollte kein Ende nehmen.

Ludwig hatte nur zu erzählen und zu berichten. Und als er das heutige Pascherabenteuer erzählte, erreichte die Verwunderung den höchsten Grad.

Abermals dem Könige das Leben gerettet! Die vier einfachen Leute blickten den Knecht mit staunender Ehrerbietung an. Er schien ihnen ein ganz anderes Wesen als bisher zu sein.

So kam es, daß der Tag bereits durch die kleinen Fenster lugte, als die beiden Höhlenbauers Abschied nahmen. Aber ehe sie gingen, nahm Ludwig Allen das heilige Versprechen ab, ja noch nicht zu verrathen, wer dieser Herr »Ludwigen« eigentlich sei.

Eine ähnliche Scene, nur ruhiger, spielte sich in dem Städtchen Eichenfeld ab, als Rudolf Sandau am späten Abende von Hohenwald nach Hause kam.

Er traute seinen Augen nicht, als er die Mutter außerhalb des Bettes sitzen sah. Sie war feiertäglich angezogen und hatte eine leichte Handarbeit vorgenommen.

»Mutter!« rief er ganz erstaunt, indem er unter der offenen Thür stehen blieb.

»Rudolf, lieber Rudolf!«

Sie kam ihm entgegen, zwar nicht so schnell wie in gesunden Tagen, aber doch mit sicheren Schritten, und zog ihn an ihr Herz.

»Du – kannst – gehen!« stotterte er, außer sich vor glücklicher Ueberraschung.

»Wie Du siehst.«

»Das ist ein Wunder, ein wirkliches Wunder.«

»Ja. Aber es war auch ein ganz ungewöhnlicher Arzt da. Er hat mir geholfen.«

»Welcher Arzt?«

»Das erräthst Du nicht.«

»So sage es.«

»Der – König.«

»Ists – auch – wahr?«

»Ja. Er war erst beim Herrn Pfarrer und sodann sehr lange Zeit bei mir. Er gab mir eine Arznei, durch welche ich sofort den Gebrauch der Glieder wieder erhielt.«

»Sprichst Du im Ernst oder im Scherz? Er, eine Arznei!«

»Ja, ich kann sie Dir noch zeigen.«

Sie öffnete den Tischkasten und gab ihm ein zusammengefaltetes Papier in die Hand. Er schlug es auseinander und rief, nein, schrie fast überlaut:

»Ein Tausendmarkschein! Herrgott, wem gehört der?«

»Dir!« antwortete sie, indem sie ihn aus freudetrunkenem Gesichte mit mütterlich stolzem Blicke betrachtete.

»Mir?« fragte er. »Wieso mir? Wer hat ihn gebracht? Der König?«

»Ja.«

»Ah! Ein Almosen.«

Sein Gesicht nahm den Ausdruck der Enttäuschung an.

»Nein, nein, kein Almosen,« sagte sie. »Du hast dieses Geld verdient.«

»Aber ohne daß ich es weiß.«

»Es ist der erste Preis, welchen Du mit Deiner Kirchenbauzeichnung errungen hast.«

Er starrte sie an, wurde abwechselnd bleich und roth und sagte mit bebender Stimme, leise, als ob er sich fürchte, seine eigenen Worte zu hören:

»Ich – hab – den – ersten – Preis?«

»Ja, Du, Du, Du!« antwortete sie in beinahe jauchzendem Tone.

»O Gott!«

Er sagte diese zwei Silben; dann sank er auf den Stuhl und faltete die Hände.

»Rudolf, Rudolf! Was ist Dir?«

Sie trat besorgt zu ihm hin. Er aber hob den Kopf empor, blickte sie mit verklärtem Gesicht an und sagte:

»Mutter, bei meiner Jugend, den ersten Preis. Wir haben gewonnen. Nun werden wir nicht Noth leiden.«

»Nein, nein, denn es kommt noch eine Nachricht, die fast ebenso freudig ist wie die erstere: Du bekommst die Kirche zu bauen.«

»Ich – ich – ich?« stammelte er.

»Ja. Du sollst die Oberleitung übernehmen. Und weißt Du, welche Kirche es ist?«

»Nein. Es war nur angegeben, daß ungefähr sechzigtausend Mark zur Verfügung ständen, sodann noch einige nebensächliche Bemerkungen gemacht. An welchem Orte sie erbaut werden soll, weiß ich aber nicht.«

»So rathe einmal.«

»Wer könnte das.«

»Nun, wo giebt es denn eine Gemeinde, welche wünscht, eine neue Kirche erbauen zu können, weil die alte einzustürzen droht?«

»Freilich hier bei uns. Leider aber fehlt das Geld dazu.«

»Der König giebt ja die sechzigtausend Mark aus seiner Privatschatulle.«

Da sprang er wieder von seinem Stuhle auf.

»Was?« fragte er. »Wärs hier bei uns?«

»Ja. Die hiesige Kirche bekommst Du zu bauen, ganz nach Deinem Entwurfe. Denke Dir das Glück, die Ehre, das Aufsehen in der ganzen Gegend, ja im ganzen Lande, wenn ein junger Mensch von Deinem Alter so ausgezeichnet wird.«

»Mutter, Mutter! Welch eine Seligkeit! Ich bin ganz außer mir. Ich muß gleich morgen zum Könige, um ihm fußfällig zu danken.«

»Er sagte, daß er sich ins Einvernehmen mit Dir setzen werde.«

»Mein Glück ist gemacht! Welch ein Tag! Er ist der schönste und seligste meines Lebens.«

Nun saßen die Beiden in stiller Wonne noch lange beisammen und schwelgten in dem Gedanken an eine heitere, sorgenfreie Zukunft. Erst spät suchten sie die Ruhe; aber bei Rudolf wollte der Schlaf nicht kommen. Er stand auf, zog sich an und ging fort, hinaus in den Wald.

In solchen Tagen des Glückes ist der Geist des Menschen doppelt productiv. In Rudolfs Kopfe jagten sich Gedanken, Pläne und Entwürfe, und doch arbeitete nicht der Kopf allein, sondern das Herz auch mit, aber still und heimlich, ohne daß er es merkte: Er lenkte seine Schritte weiter und weiter, bald langsamer und bald schneller, bis er zu seinem Erstaunen an der nach Schloß Steinegg führenden Straße stand.

Er blickte nach seiner Uhr. Zwar hatte er der schönen Schloßherrin versprochen, sie des Vormittags aufzusuchen, aber jetzt war es erst so früh am Tage, daß er unmöglich schon nach Steinegg gehen konnte.

Indem er überlegte, wohin er sich am besten wenden werde, hörte er eilige Schritte. Er blickte nach links, in der Richtung nach Hohenwald, und sah seinen Freund Max Walther um eine Ecke des Gehölzes biegen. Auch dieser erblickte ihn und rief erfreut:

»Rudolf, Du hier? So früh? Willkommen! Hast mir doch gestern Abend gar nichts von der Absicht mitgetheilt, so zeitig eine Morgenpromenade zu machen.«

»Ich wußte selbst nichts davon. Ich konnte nicht schlafen; da stand ich auf und lief im Walde herum, in mich selbst verloren, bis ich mich zu meinem Erstaunen hier wiederfand.«

»Hier auf dem Wege nach Steinegg! Ja, der Magnet, der Magnet!«

Rudolf erröthete.

»Schweig! Du thust mir wehe! Ich überlegte eben, nach welcher Richtung ich weiter spazieren solle; da kamst Du.«

»So habe ich Dich also gestört, und Du weißt noch immer nicht, wohin?«

»So ists.«

»Nun, so wach aus Deinen Träumen und folge mir nach Steinegg.«

»Unmöglich.«

»Wohl wegen der zu frühen Stunde? Pah! Milda nimmt es Dir nicht übel.«

»Sie schläft auf alle Fälle noch.«

»Nein. Sie hat noch am Spätabend zu mir geschickt, daß ich zu einer Besprechung ganz zeitig zu ihr kommen soll. Sie ist jedenfalls wach.«

»Ists etwas so Nothwendiges?«

»Ja, komm. Es ist sogar möglich, daß sie gar nicht geschlafen hat.«

»Grad so wie ich!«

»Ja, was ist es denn gewesen, was Dir die Ruhe geraubt hat, edler Freund und lieber Jüngling?«

»Eine große Freudenbotschaft. Das Entzücken hat mich wieder aus dem Bett getrieben.«

»So ist Dein Entzücken sehr unruhiger Natur. Der Mensch hat um seiner selbst willen die Verpflichtung, des süßen Schlafes täglich nach allen Kräften zu pflegen, denn der Schlaf ist derjenige Zustand des Menschen, in welchem er in keine Versuchung fallen und auch keine Dummheiten begehen kann.«

»Richtig!« lachte Rudolf. »Heut bin ich sehr wach und fühle die Befähigung in mir, vor Glück einige Dummheiten auf mein Conto zu nehmen.« »So spricht kein Weiser dieser Erdenwelt. Theile mir lieber mit, welche Freudenbotschaft es ist, die Dich so sehr aus der Einbanddecke herausgerissen hat.«

Rudolf erzählte ihm sein Glück. Max drückte ihm die Hand und sagte:

»Machen wir nicht unnöthige Worte. Du weißt, welch aufrichtigen Antheil ich nehme. Laß Dir gratuliren. Dein Weg ist gemacht. Er geht aufwärts, wenn Du Dich dessen würdig machst. Wollte Gott, der Grund, wegen dessen ich danke, daß Milda nicht geschlafen hat, wäre ein ebenso erfreulicher.«

»Ist er etwa das Gegentheil?«

»Leider. Milda hat gestern von mir eine Nachricht erhalten, welche so betrübend ist, daß es eine traurigere für sie gar nicht geben kann.«

»Um Gotteswillen! Ist etwas Schlimmes geschehen?«

»Ja, allerdings nicht jetzt, sondern bereits vor vielen Jahren. Es ist aber erst jetzt an den Tag gekommen. Die ganze Existenz meiner Schwester steht auf dem Spiele.«

»Ist das die Möglichkeit!« rief Rudolf. »Die ganze Existenz? Ich glaube. Du scherzest.«

»Es wäre mehr als trivial, wollte ich so Etwas im Scherze sagen. Nein, ich spreche leider im bittersten Ernste.«

»Aber ich kann mir darüber gar keine Vorstellung machen. Die Existenz des Fräuleins von Alberg kann doch unter keinem Umstände auf dem Spiele stehen. Sie ist von altem Adel, sehr reich und – – –«

»Reich?« fiel Max ihm in die Rede. »Leider ist das nicht der Fall, ganz und gar nicht.«

»Wieso? Sie muß ja Millionen besitzen, und so viel ich gehört habe, hat sie sogar die alleinige Bestimmung über ihr Vermögen. Nicht einmal von ihrem Vater ist sie abhängig.«

»Das ist wahr; aber das, was Du ihr Vermögen nennst und was sie allerdings bisher als dasselbe betrachtet hat, gehört ihr nicht.«

»Wem denn?«

»Einer Namensmuhme von Dir, nur daß dieselbe von Adel ist, während Du bürgerlich bist.«

»Also einer von Sandau?«

»Ja, Frau von Sandau, geborene von Sendingen.«

Rudolf war für einen Augenblick lang kreideweiß geworden, doch beherrschte er sich. Er fragte in möglichst gleichgiltigem Tone:

»Wie ist denn das gekommen?«

»Eigentlich sollte ich das als Familiengeheimniß betrachten, denn – –«

»So entschuldige. Wenn es ein solches ist, so will ich keineswegs in dasselbe eindringen.«

»O bitte. Wir sind Freunde, und bei der Theilnahme, welche wir Beide meiner Schwester zollen, glaube ich, keinen Fehler zu begehen, wenn ich über diese Angelegenheit mit Dir spreche. Ich bin sogar überzeugt, daß Milda auch Dir Alles mittheilen würde.«

»Meinst Du?« fragte Rudolf erröthend.

»Gewiß. Ich weiß genau, was und wie sie von Dir denkt. Erröthest Du? Ah! Und vorhin wurdest Du bleich vor Schreck. Schau, Du mußt doch eine ganz ungewöhnliche Sympathie für sie empfinden! Oder nicht?«

»Dir gegenüber leugne ich es nicht.«

»Aber ihr gegenüber verheimlichst Du es.«

»Sprechen wir nicht darüber.«

»Ja, so oft wir auf dieses Thema kommen, soll ich schweigen, und Du mußt doch zugeben, daß es für uns Beide ein hochinteressantes ist.«

»Für mich nicht.«

»Ah! Was denn für eins?«

»Ein sehr peinliches.«

»So! Du verkennst Milda.«

»Nein, ich kenne sie.«

»Du irrst Dich. Wenn sie einmal liebt, so wird sie nicht nach Rang und Vermögen oder gar nach Reichthum fragen.«

»Mag sein; aber als Ehrenmann darf ich mich keiner Dame, welcher ich nicht vollständig ebenbürtig bin, in der Weise nähern, daß sie gewisse Gefühle oder gar Wünsche voraussetzen kann. Ja, wäre sie das, wofür sie sich im Scherz damals ausgab – – –«

»Eine alte Tante!« lachte Max.

»Ja,« stimmte Rudolf heiter ein. »So sollte mich weder ihr urgraues Alter noch die ganze Menge von Cousins und Cousinen, deren Tante sie wäre, abhalten, ihr zu zeigen, wie lieb ich sie habe.«

»Das darfst Du ihr ebenso deutlich auch jetzt zeigen.«

»Nein.«

»Sie ist arm. Du stehest ihr in dieser und auch jeder andern Beziehung gleich.«

»Denk an ihre Abstammung.«

»Pah! Auf diese bildet sie sich wahrlich nichts ein. Ihr Vater ist ein Schurke.«

»Max!«

»Ja, ich wiederhole es. Grad das neue Herzeleid, welches so plötzlich über sie gekommen ist, hat auch er verschuldet.«

»Wieso?«

»Ich werde es Dir erzählen. Komm!«

Sie hatten bis jetzt die Stelle nicht verlassen, an welcher sie zusammengetroffen waren. Jetzt ergriff Max den Freund beim Arme und zog ihn mit sich fort, in der Richtung nach Steinegg zu. Er begann zu erzählen, und Rudolf hörte seinen Bericht mit geradezu unbeschreiblichen Gefühlen an. Sein Athem stockte und seine Pulse flogen. Was er jetzt hörte, war ja ganz geeignet, seinem Leben eine ganz andere Richtung zu geben.

Und die Hauptsache war, daß die Ehre seines Vaters wieder hergestellt werden konnte. Er hatte oft unter grimmigen Gefühlen gewünscht, den wirklich Schuldigen zu entdecken. Er hatte es sich innerlich ausgemalt, wie unnachsichtlich er die Strafe über ihn hereinbrechen lassen werde. Zermalmen, vernichten hatte er ihn wollen.

Und nun? Jetzt kannte er ihn. Jetzt konnte er ihn packen. Er konnte ihm und seiner Tochter sogar den Reichthum, das ganze Vermögen abnehmen. Und doch – – empfand er weder Freude noch Genugthuung bei diesem Gedanken. Die Liebe – die Liebe!

Rudolf ging, als Max geendet hatte, neben dem Letzteren her. Er sagte kein Wort. Den Blick zu Boden gerichtet, rang er mit sich selbst. Er kämpfte einen harten Kampf. Es wurde ihm schwer, seine Aufregung zu verbergen. Aber das war das Wenigste. Schwieriger war es, zu entscheiden, was er zu thun habe. Er war es dem Andenken seines Vaters, er war es seiner Mutter schuldig, hier Gerechtigkeit walten zu lassen. Doch, konnte, durfte er die heimlich Geliebte verderben? Er schüttelte den Kopf und warf ihn nach hinten, als ob er einen Feind abzuschütteln habe. Er konnte nicht entscheiden, ohne vorher mit der Mutter gesprochen zu haben.

»Was hast Du?« fragte Max, welcher ihn heimlich beobachtete.

»Was soll ich haben?«

»Du schweigst, während ich denke, daß Du vor Erbitterung überfließen sollst?«

»Ich? Die ganze Sache geht mich doch gar nichts an!«

»Eigentlich, ja; aber bei Deiner Verehrung für Milda kannst Du doch nicht gleichgiltig bleiben.«

»Meinst Du, daß ich es bin?«

»Ja. Du sagst kein Wort.«

»Weil ich überlege. Ich halte die Sache noch gar nicht für so unumstößlich wahr wie Du.«

»Es ist kein Zweifel.«

»Hast Du bereits mit Milda darüber gesprochen?«

»Nein.«

»Nun, so warte, bis Du ihre Meinung hörst.«

»O, die kenne ich bereits.«

»Du kannst Dich irren.«

»In Milda niemals. Ich weiß sogar bereits, was sie thun wird.«

»Ah! Was denn?«

»Sie wird das Vermögen hergeben.«

»Das darfst Du nicht dulden.«

»Hältst Du mich für einen Schwindler!«

»Pah! Du weißt ganz genau, daß das nicht der Fall ist.«

»Nun, wenn ich sie aufmunterte, ihre Pflicht nicht zu thun, so würde ich mich zum Mitschuldigen ihres Vaters machen. Das kann mir nicht einfallen.«

»Ich habe aber doch die Meinung, daß die Sache ganz anders stehen kann, als Du denkst.«

»Nein. Ich habe bereits in meiner gestrigen Zuschrift an sie eine Aeußerung gethan, aus welcher sie ersehen kann, was ich von ihr erwarte. Sie mag arm aber ehrlich sein.«

»Max!«

»Ja, das verlange ich von ihr. Uebrigens sollst Du Dich gleich überzeugen, daß sie grad so gesinnt ist wie ich. Du gehst natürlich mit zu ihr.«

Sie waren ganz nahe bei dem Schlosse angekommen. Man konnte Beide von den Fenstern des Letzteren aus sehen.

»Das thue ich nicht,« sagte Rudolf.

»Warum nicht?«

»Es ist zu zeitig, wie ich bereits gesagt habe.«

»Pah! Wenn sie mich empfängt, kannst Du auch mitkommen.«

»Du bist der Bruder.«

»Und Du mein Freund.«

»Dich hat sie zu sich bestellt, mich aber nicht.«

»Komm nur mit. Ich verantworte es.«

»Du kannst es nicht verantworten. In einer solchen Lage, wie diejenige ist, in welcher sich Fräulein von Alberg befindet, ist man nicht in der Stimmung, früh sechs Uhr gleichgiltige Leute zu empfangen.«

»Gleichgiltig! Donnerwetter! Ich muß wirklich fluchen.«

»Ich störe sie. Später werde ich vorsprechen.«

Er wendete sich ab. Max hielt ihn am Arme zurück. Dabei fiel sein Blick auf die Fenster des Zimmers, welches die Wohnung Milda's war. Sie standen offen. An dem einen war Milda zu sehen. Sie winkte.

»Rudolf auch mit?« rief Max.

Sie nickte.

»Na, da hast Du es. Also komm!«

»Ich möchte es doch lieber nicht wagen. Sie hat nur aus Höflichkeit beigestimmt.«

»Unsinn! Oder willst Du mich zwingen, Gewalt anzuwenden und mich mit Dir zu balgen.«

»Mensch!« lachte Rudolf gezwungen. »Du hast das beste Talent, ein Werber oder Seelenverkäufer zu werden. Zum Matrosenpressen bist Du wie geschaffen.«

»Nun, so laß Dich pressen.«

Er zog ihn mit sich fort.

Als sie bei Milda ankamen, stand dieselbe bleich und übernächtig in der Mitte ihres Zimmers. Sie hatte ein graues Reisekleid an, und an der Wand stand ein bereits halb gefüllter Bahnkoffer.

Sie gab Beiden mild lächelnd die Hände.

»Ich danke Dir, lieber Max, daß Du mir die Nachricht bereits gestern sendest,« sagte sie. »Eine jede Minute wäre ja eine Versündigung gewesen.«

Er hielt ihre Hand in der seinigen fest.

»Hast Du einen Entschluß gefaßt?« fragte er.

Sie zeigte auf ihr Reisekleid und den Koffer und antwortete:

»Du siehst es ja.«

»Du willst verreisen?«

»Vorher mich mit Dir verständigen.«

»Wohin?«

»Nach Wien natürlich.«

»Zu Deinem Vater?«

»Ja. Ich muß das Testament holen.«

»Brav! Das habe ich gewußt. Du bist meine gute, tapfere Schwester.«

»O, es ist keine besondere Tapferkeit. Daß ich meine Pflicht thue, hat mich gar keine Ueberwindung gekostet. Tapferkeit brauchte ich nur, um die fürchterliche Nachricht überhaupt zu ertragen und das Entsetzen zu überwinden, welches sich meiner bemächtigen wollte. Weiß Herr Sandau, was mir geschehen ist?«

»Ich habe es ihm gesagt. Ich setzte da freilich voraus, daß Du mir dazu Deine Erlaubniß nachträglich geben würdest.«

»Du hast sie ganz gern. Aber Herr Sandau hat den Brief meiner Mutter nicht gesehen. Er soll ihn lesen. Hier ist er.«

Sie nahm ihn vom Tische weg und gab ihn Sandau. Dieser trat damit an das Fenster. Er mußte sich so stellen, daß sie nicht sehen konnten, daß das Papier in seinen Händen zitterte.

Endlich, endlich hatte er den Beweis, daß sein armer Vater unschuldig verurtheilt worden war. Es war ihm, als ob er laut aufjauchzen solle, und doch hätte er auch ebenso laut aufweinen mögen.

Die Wörter tanzten vor seinen Augen. Er kam nur langsam vorwärts, so daß Max Walther bemerkte:

»Nun, kannst Du nicht buchstabiren? Oder bist Du Rechtsanwalt geworden, und es gehen Dir nun alle Paragraphen des Erbrechtes und Strafgesetzbuches im Kopf herum?«

Da wendete Rudolf sich den Beiden wieder zu. Er gab Milda den Brief zurück und fragte:

»Gnädiges Fräulein, wissen Sie genau, daß Ihre verstorbene Frau Mutter die Verfasserin dieses Briefes ist?«

»Es kann kein Zweifel daran sein.«

»Will man Sie nicht etwa mystificiren?«

»O, davon kann keine Rede sein.«

»Und dennoch möchte ich bitten, nur mit der äußersten Vorsicht zu handeln.«

»Natürlich werde ich nicht leichtsinnig vorgehen. Ich spreche mit dem Vater. Diese Unterredung wird mir Gewißheit verschaffen. Uebrigens habe ich außer diesem Briefe noch einen lebenden Zeugen.«

»Ah! Einen Menschen?«

»Ja. Dieser Mann weiß zwar von der Unterschiebung des gefälschten Testamentes nichts, aber er kann beeiden, daß mein Vater jenen Herrn von Sandau unschuldig in Strafe gebracht hat.«

»Was? Wie? Dazu lebt ein Zeuge, ein wirklicher Zeuge?«

»Ja.«

»Wie heißt er? Wo ist er? Was ist er?«

Das wurde mit solcher Hast gefragt, daß Milda ihn befremdet anblickte. Er sah ein, daß er sich nicht genug beherrscht habe und bat:

»Verzeihung, gnädiges Fräulein! Ich will keineswegs indiscret sein; aber bei der Hochachtung, welche ich so aufrichtiger Weise für Sie empfinde, muß mich diese Angelegenheit ganz außerordentlich interessiren. Ich möchte Alles hören und wissen, nur um beweisen zu können, daß Sie nicht so unglücklich sein dürfen, wie Sie selbst sich machen wollen.«

Sie reichte ihm die Hand.

»Ich danke Ihnen. Ja, ich weiß, daß Sie nicht aus müßiger Neugierde fragen, und darum will ich Ihnen ja gern Rede und Antwort stehen. Ich kenne nämlich den Mann, welcher jene Documente entwendet hat, welche Herr von Sandau der fremden Regierung zum Verkaufe angeboten haben soll.«

»Mein Gott! Unmöglich!«

»Ja. Er war damals Kompagnieschreiber und bei Herrn von Sandau mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt. Dort hat er die Sachen gestohlen und an meinen Vater verkauft.«

»Ist das erwiesen?«

»Ja, denn er hat es mir erzählt.«

»Er wird doch nicht etwa lügen!«

»O nein! Es kann ihm doch nicht einfallen, ein Verbrechen einzugestehen, welches er nicht begangen hat.«

»Wird er es beeiden?«

»Er muß.«

»Haben Sie sich seiner Person versichert?«

»Ja, der König hat ihn gestern Abend hier in diesem Zimmer arretiren lassen.«

»Der König? Ah! In Wahrheit?«

»Der König war bei Dir?« fragte auch Max überrascht.

»Ja. Ich muß es erzählen.«

Sie berichtete das gestrige Vorkommniß. Rudolf las ihr die Worte förmlich von den Lippen ab. Als sie geendet hatte, fügte sie mit entsagungsvollem Lächeln hinzu:

»Sie sehen also, Herr Sandau, daß eine Täuschung gar nicht vorliegen kann.«

»Wenn es so ist, so – so – – –«

Er wußte vor Erregung gar nicht, was er sagen sollte.

»So bin ich ein recht bedauernswerthes Kind. Nicht wahr?« vollendete sie seinen angefangenen Satz.

»Ja, insofern Sie erfahren, daß Sie die Tochter eines solchen Vaters sind. Was aber das Uebrige betrifft, so bitte ich Sie, ja nicht überschnell zu handeln.«

»Ich werde meine Pflicht thun.«

»Und nach Sandau forschen?«

»Ja.«

»Wenn Sie ihn nun nicht finden? Was dann?«

»Dann thue ich trotzdem meine Pflicht. Ich beweise, daß der Verschollene ein Ehrenmann war.«

»Aber das Erbtheil behalten Sie natürlich!«

»Nein.«

»Aber bitte! Wem anders als Ihnen kann es gehören, wenn Sandau verschollen ist?«

»Seinen Verwandten.«

»Er hat keine.«

»Woher wissen Sie das?«

»Ich denke es mir.«

»Sie sagten das in einem Tone, als ob Sie vollständig überzeugt davon seien.«

»O nein. Hätte er Verwandte, so hätten sich diese jedenfalls damals seiner angenommen, denke ich mir.«

»Das mag sein. Ihm hat ja überhaupt die Erbschaft nicht gehören sollen, sondern seiner Frau, jener Emilie von Sendingen. Und ich denke mir, daß sich Verwandte derselben finden lassen werden, denen ich das unrechte Gut ausantworten kann.«

»Das heißt, die Gewissenhaftigkeit zu weit treiben!«

Sie blickte ihm ernst, beinahe vorwurfsvoll in's Gesicht.

»Herr Sandau! Ich habe Sie für einen ehrlichen Menschen gehalten!«

»Ich denke auch, daß ich es bin,« antwortete er erröthend.

»Aber mir muthen Sie zu, wie eine Diebin zu handeln!«

Er befand sich in großer Verlegenheit.

»Gnädiges Fräulein, bitte deuten Sie meine Worte nicht in dieser Weise!«

»Gut! Ich denke, Ihre Theilnahme für mich reißt Sie ein Wenig zu weit fort. Ich will gern arm sein, wenn ich nur meine Ehre und mein gutes Gewissen rein erhalte. Freilich, Sie werden auch mit darunter leiden.«

»Ich?« fragte er erstaunt.

»Gewiß. Haben Sie noch nicht daran gedacht?«

»So wenig, daß ich mir nicht erklären kann, was Sie meinen.«

»Nun, es kann jetzt aus unserm Baue nichts werden. Das Schloß ist nicht mehr mein Eigenthum. Ich bin jetzt nur die Verwalterin eines fremden Vermögens und muß mich da der allergrößten Sparsamkeit befleißigen.«

»Ah, ists das?«

»Ja. Sie erschrecken?«

»Gewiß nicht.«

»Aber es stirbt Ihnen damit doch eine liebe Hoffnung. Sie sind arm – wenn auch nicht ganz so arm wie ich. Ich hatte es gut gemeint. Aber verlieren Sie den Muth nicht. Gott wird Ihnen ja helfen, wie ich hoffe und überzeugt bin, daß er auch mir helfen werde.«

Das war so herzlich und mit solcher Ergebung gesprochen, daß ihm fast die Thränen in die Augen traten.

»Ja, er wird Ihnen helfen, so wie er bereits mir geholfen hat,« sagte er im Tone innigster Ueberzeugung.

»Hat er bereits? Wieso?« fragte sie erfreut.

»Ich habe mich an einer Preisaufgabe betheiligt. Der König hat gestern meiner Mutter allerhöchst eigenhändig den ersten Preis von tausend Mark ausgezahlt, und ich habe den Auftrag bekommen, die neue Kirche von Eichenfeld zu bauen.«

»Wirklich, wirklich?« rief sie aus.

»Ja. Mutter schwimmt in Wonne.«

»Die Gute! Das glaube ich.«

»Und dieses Glück hat eine ganz unerwartete Wirkung auf ihre gelähmten Glieder hervorgebracht. Denken Sie sich, gnädiges Fräulein, als ich gestern von Ihnen nach Hause kam, befand sie sich außerhalb des Bettes!«

»Wie unvorsichtig!«

»O nein! Sie kam mir entgegen! Sie konnte gehen. Ihre Lähmung war geheilt.«

Sein Gesicht strahlte vor Wonne, als er das erzählte. Sie schlug die kleinen, schönen weißen Händchen zusammen, blickte ihm in aufrichtigem Entzücken in das erregte Angesicht und rief:

»Welch ein Wunder! Welch ein Wunder! So hat also die Freude das geheilt, was der Schreck hervorgebracht hat! Das freut mich außerordentlich. Wie gern würde ich sofort zu ihr gehen, um ihr zu sagen, wie entzückt ich bin, leider aber habe ich keine Zeit dazu. Aber sobald ich von Wien zurückkehre, werde ich ihr sofort meinen Besuch machen. Bitte, sagen Sie ihr das!«

»Wirst Du lange dort bleiben?« fragte Walther.

»Hoffentlich nur einen Tag.«

»Und allein willst Du reisen?«

»Nein. Deine Mutter fährt mit. Wir haben das noch gestern Abend, bevor wir uns trennten, besprochen. Natürlich setzten wir da Deine Einwilligung voraus.«

»Nach dieser darfst Du gar nicht fragen. Ich habe Dir nichts zu befehlen.«

»Aber als mein Bruder darfst Du verlangen, daß ich in Allem Deinen Rath höre.«

»Nun, der wird bei jeder Gelegenheit gleich lauten, nämlich daß Du thun sollst, was Dein Herz Dir gebietet, denn dieses ist Dein bester und sicherster Rathgeber.«

»So bist Du also einverstanden?«

»Gewiß.«

»Dann reise ich beruhigt ab. Natürlich aber bitte ich Dich um Verzeihung, daß Du meinetwegen den heutigen Weg hast unternehmen müssen.«

»O bitte. Hast Du irgend noch einen Wunsch an mich?«

»Für jetzt noch nicht.«

»So ersuche ich Dich, mich zu entlassen. Ich werde dann wohl noch zu der Zeit eintreffen, wenn der Schulunterricht zu beginnen hat.«

»Ja. Daran habe ich nicht gedacht. Du sollst Deine Pflicht nicht versäumen.«

»Nun,« lächelte er. »Ich habe ja am Längsten geschulmeistert.«

»Ists bestimmt?«

»Ja. Ich gehe mit dem Sohne des Finkenheiner nach dem Orient, wie Du weißt. Meine gegenwärtige Stelle ist bereits wieder ausgeschrieben. Sobald der neue Lehrer ankommt, schüttle ich den Staub von den Füßen.«

»Wird sich einer melden?«

»Hm! Ich möchte es hoffen. Also grüß mir die Mutter! Baldiges Wiedersehen!«

Rudolf Sandau wollte natürlich mit ihm fort. Er bot Milda bereits die Hand; da aber fügte Max hinzu:

»Leb wohl, Rudolf! Ich habe keine Zeit. Die Kinder dürfen nicht sagen, daß ihr Lehrer weniger pünktlich sei als sie.«

Damit war er zur Thür hinaus.

»Na,« meinte Sandau verwundert, »gar so eilig ists doch nicht! Jetzt wird er beinahe rücksichtslos.«

»O nein,« antwortete Milda. »Ich glaube vielmehr, daß er es gut meint. Er will mir wohl Gelegenheit geben, mich noch einmal bei Ihnen zu entschuldigen. Nicht wahr, Sie verzeihen mir?«

Sie streckte ihm das Händchen entgegen und blickte ihm mit milder Bitte in die Augen. Er ergriff ihre Hand. Er antwortete nicht sogleich. Sein Auge wurde dunkler. Es war ihm anzusehen, daß er mit einer tiefen, tiefen Bewegung kämpfte.

»Gnädiges Fräulein,« sagte er endlich. »Sie handeln, wie Ihr Gewissen es Ihnen gebietet. Das ist wahr. Aber grad darum denke ich, daß es nicht ganz so schlimm werden soll, wie Sie jetzt denken. Sie haben vorhin gesagt, Gott werde helfen, und ich bin überzeugt, daß er helfen wird.«

»Ja, er hilft stets, freilich oft auf eine ganz andere Weise, als wir es wünschen.«

»Haben Sie bereits einen Plan für die Zukunft entworfen.«

»Nein. Ich überstürze mich nicht. Ich habe das ja nicht nöthig. Die Forschungen nach Sandau können ja Monate, vielleicht Jahre in Anspruch nehmen. Brot- und obdachlos werde ich also nicht so schnell werden.«

»Gott sei Dank! Es ist mir wirklich beinahe angst geworden.«

»Sie, Guter! Freilich ist es möglich, daß der Gesuchte auch recht rasch gefunden wird, denn es giebt Einen, welcher suchen will. Und grad dieser hat die Macht, welche zum schnellen Finden gehört.«

»Wer ist das?«

»Der König.«

»O weh!«

Er dachte daran, daß der König ja ganz genau wußte, wo die Gesuchten sich befanden.

»Bedauern Sie das?« fragte sie.

»Ja und nein. Ich habe zweierlei Standpunkte und weiß wirklich nicht genau, auf welchen ich mich stellen soll.«

»Natürlich auf den der Ehrlichkeit.«

»Das versteht sich von selbst. Hat Ihnen der König nicht gerathen, sich an einen Rechtsgelehrten zu wenden? Vielleicht könnten Sie das Vermögen oder doch einen Theil desselben retten.«

»Danke! Hier giebt es nichts zu retten. Was mir nicht gehört, das mag ich unter keinem Umstande behalten.«

»Sie haben jedenfalls Recht. Wenn es möglich wäre, daß meine Ehrerbietung für Sie sich steigern könnte, so würde ich Sie mit größerer Hochachtung verlassen als ich mitgebracht habe. Möge Ihr Weg sich wie immer gestalten, mich werden Sie nicht brauchen; aber ich bitte Sie dennoch, zuweilen daran zu denken, wie sehr ich Ihnen ergeben bin.«

»Das werde ich thun, mein guter Herr Sandau. Und daß ich Ihrer nicht bedürfen werde, das steht noch gar nicht so fest, wie Sie meinen. Wer so arm ist, wie ich sein werde, der kann der Freunde gar nicht genug besitzen. Ich spreche da nicht etwa von der pecuniären Armuth, sondern von einer ganz anderen, von der inneren. Und aufrichtig will ich Ihnen gestehen, daß ich grad über Ihre Ergebenheit mich recht herzlich freue.«

»Wenn ich das glauben dürfte!«

»Sie dürfen es.«

»So danke ich Ihnen aus vollem Herzen!«

»Und ich hege auch keineswegs die Absicht, auf Sie und Ihre gute Mutter zu verzichten. Ich werde die Letztere sehr oft besuchen.«

»Um hoch willkommen zu sein!«

»Hoffentlich! Jetzt haben Sie zu mir fast wie zu einem höheren Wesen aufgeschaut. Dann aber, wenn ich ebenso arm bin wie Sie, dann können wir in herzlicherer Weise mit einander verkehren. Darauf freue ich mich, und das ist eine der sicheren Tröstungen, welche ich von der Zukunft erwarten darf.«

Das Herz schwoll ihm. Wie gern hätte er gesagt, was er für sie fühlte.

Aber durfte er? Schon holte er tief Athem, um das Wort auszusprechen. Sie mochte ahnen, was in ihm vorging. Sie entzog ihm die Hand und fügte hinzu:

»Und nun lassen Sie uns scheiden. Ich darf Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen und sehe auch bereits meine liebe Frau Holberg kommen. Auf Wiedersehen!«

Man konnte durch das Fenster sehen, daß die Genannte von der Straße her nach dem Schlosse einbog. Er verbeugte sich, stammelte noch einige Worte und ging.

Draußen begegnete er Frau Holberg. Er grüßte höflich und eilte weiter.

Sie hatte gesagt, daß der König ihr helfen werde. Wie leicht konnte der Monarch glauben, große Freude anzurichten, indem er sagte, wo der Aufenthalt der Familie von Sandau sei. Darum ging Rudolf nicht nach Eichenfeld zurück, sondern er schritt, anstatt links abzubiegen, graden Weges auf Hohenwald zu.

Er hoffte, den König zu treffen und wollte ihn bitten, sein Geheimniß nicht zu verrathen. Als er ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, nur mit sich selbst beschäftigt, und gar nicht auf die Umgebung achtend, rief eine Stimme aus den Büschen heraus:

»Guten Morgen, Herr Sandau! Grüß halt Gott!«

Er blieb stehen und schaute sich um; aber er sah Niemand.

»Ja, wanns mich sehen wollen, so müssens halt ein Wengerl näher treten.«

Er trat zwischen die Büsche hinein. Da saß der Wurzelsepp, den Stock und Rucksack neben sich und den alten Hut, welcher jetzt voller Erdbeeren war, zwischen den Beinen.

»Ah, Sepp, Du bists! Grüß Dich Gott!«

»Schönen Dank! Wollens mit thun?«

»Danke!«

»Na, na! Danken thut man erst, wann man gessen hat. Schauns her, was für Beeren das sind! Die richtigen feinen und guten. Die haben den echten Duft. Die sind ganz anderst als die anderen, welche in deren Gärten zogen und derbaut werden. Da, legens Ihr Schnupftücherl unter, damits sich nicht die Hosen schmutzig sitzen, und setzens sich herbei. Dera Hut ist voll, und so reichts für uns Beide aus.«

»Ich danke wirklich. Ich habe keine Zeit!«

»So! Sinds etwan Schnelläufer worden?«

»Nein. Aber können Sie mir sagen, wo sich der König befindet?«

»Welcher? Der grüne oder eichelne?«

»Unsinn! Unserer!«

»Ach so! Dera wird wohl im Bayern sein.«

»Alter, mach mir keine Dummheiten! Ich habe nothwendig mit ihm zu sprechen.«

»So? Was denn?«

»Das ist ein Geheimniß.«

»So? Na, dann dürfens ihm das Geheimniß doch auch nicht verrathen.«

»Ihm, ja dem kann ich's sagen.«

»So! Aberst mir wohl nicht?«

»Nein.«

Da zog der Alte ein Gesicht, wie der Fuchs es ziehen würde, wenn der Hase zu ihm sagte, daß er ein guter Braten sei. Er steckte eine ganze Hand voll Erdbeeren in das gewaltige, mit prachtvollen Zähnen eingefaßte Loch, welches sich unter seinem Schnurrbarte öffnete, zerkaute sie, schluckte sie hinab und meinte dann lachend:

»Ja, dera Sepp braucht nix zu wissen. Der plaudert Alles aus!«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Sagt nicht, aberst so than habens! Wissens was? Was dera König wissen darf, das kann ich auch derfahren.«

»Hm!«

»Hier giebt es gar nix zu Hm! So einen alten, guten Freunden, wie ich Ihnen bin und auch Ihrer Frau Muttern, dem darf man schon mal ein Vertrauen schenken.«

»Gern! Mein Vertrauen besitzest Du. Das weißt Du ja.«

»Aberst sagen thuns mir nix. Da dank ich halt für das Vertrauen.«

»Sepp, das Geheimniß gehört ja nicht mir allein.«

»So! Wem denn noch?«

»Einigen anderen Personen.«

Der Sepp lachte laut auf.

»Das ist schön! Das kann mir gefallen! Ein Geheimnissen gehört auch noch einigen anderen Personen! Als obs nachhero noch ein Geheimnissen sei! Wann einmal dera Hahn seinen Hühnern sagt hat, daßt er keine Eiern legen kann, nachhero habens die Gäns und Enten auch sehr bald derfahren. Thuns halt nur nicht so groß und fett mit ihren Geheimnissen. Was dahintern steckt, das weiß dera Wurzelsepp schon auch!«

»Du? Da irrst Du Dich wohl.«

»Ich? Glaubs nicht.«

»Nun, um was handelt es sich denn?«

»Doch wohl um den Herrn Hermann Arthuren Keilbergen, dens gestern Abend dort in Schloß Steineggen einiwickelt haben!«

»Was? Du weißt davon?«

»Himmelsakra! Ich möcht wissen, was dera Sepp nicht wissen thät!«

»Wer hat es Dir denn gesagt?«

»Der da.«

Er streckte seinen kleinen Finger empor und fuhr fort:

»Der ist nämlich viel gescheidter als Ihr alle mitnander. Nun will die Milda Ihr ganzes Geldl hergeben und – – –«

»Auch das weißt Du?« fiel der junge Mann in die Rede.

»Schwatz nicht so dumm, Buberl! Ich weiß Alles und noch mehr als Du! Aber verzeihens, mein verehrter Herr Sandauen, daß ich mal grob worden bin! Wann man kein Vertrauen zu mir hat, nachhero bin ich wie ein Löwe, welcher reitzt worden ist; ich freß die ganze Menagerie auf. Also die Milda will das ganze Geldl hergeben. Dera Sandau aberst will nix haben. Darum rennt er nun zum König, damit dieser nicht verrathen soll, wo jetzunder eigentlich die richtige Erbin stecken thut.«

»Mensch, kannst Du Gedanken errathen?«

»Zuweilen. Wann Einer so ein dummes Gesicht machen thut, wie soeben das Deinige ist, so kann man sehr leicht derrathen, was er im Schilde führt. Na, nix für ungut! Sagens mal, ob ich Recht hab!«

»Ja.«

»Schauns! Habs mir denkt.«

»Aber wie kommst Du auf diesen Gedanken?«

»Grad so, wie Sie. Er ist mir in denen Kopf kommen grad wie Ihnen auch. Oder habens vielleichten die Ihrigen Gedanken ganz wo anderst als im Kopf?«

»Nein. Aber, Sepp, eine schlechte Laune hast Du heut!«

»Ists ein Wunder, wann man seine Erdbeeren allein essen muß und nachhero auch nix von dem derfahren soll, was man bereits schon weiß.«

»Wer hat es Dir denn gesagt?«

»Das ist nun mein Geheimnissen, was ich auch nicht verrathen thu.«

»O, ich weiß es! Vom König hast Du es.«

»Von dem? Der wird mit dem Wurzelsepp sprechen!«

»Schweig! Wir wissen, wie Du mit ihm stehest. Hat er Dir vielleicht in dieser Angelegenheit einen Auftrag gegeben?«

Der Sepp hatte, während er sprach, immer gegessen. Jetzt legte er den Kopf weit nach hinten, sperrte den Mund auf und schüttete sich den letzten Rest der Beeren aus dem Hute hinein. Dann antwortete er kauend:

»So? Nun wollens was von mir wissen, nachdems mir nix haben sagen wollt. Das ist sehr gut. So ein Diplomaten aber wie Sie, der bin ich auch noch. Von mir könnens nix derfahren.«

Er stand auf, stülpte sich den Hut auf den grauen Kopf, warf den Rucksack über und griff nach dem Alpenstock.

»Aber, Sepp, so nimm mir die Kleinigkeit doch nicht so übel!«

»Hörens, das sind keine Kleinigkeiten!«

»Ich dachte, Du wüßtest noch nichts.«

»Ach so, das meinens! Na, übel nommen hab ichs nicht. Ich bin nur heut in dera Früh mal falsch aufistanden, nämlich aus dem Heu anstatt aus dein Bett, und da muß ich meine Wuth an Jemand auslassen. Gehens immer nach Hohenwald. Dera Herr Ludwig ist daheim in dera Mühlen; da werdens ihn finden.«

»Schön! Und nun will ich Dir eine freudige Nachricht mittheilen. Meine Mutter kann wieder stehen und gehen.«

»Was? Wie ist das kommen?«

»Vor Freude über eine glückliche Botschaft, welche uns gestern geworden ist.«

»So! Was für eine Botschaft ist das wohl gewest?«

»Das errathest Du nicht!«

»So! Na, daß Sie tausend Markerln als ersten Preis bekommen haben, das kann dera Wurzelsepp schon noch derrathen!«

»Alle Teufel! Er weiß es wirklich.«

»Und daß Sie die neuen Kirchen bauen müssen, davon hat mir auch träumt.«

»Der König hat Dirs gesagt?«

»Der sagt mir nix! Der hat auch immer solche Geheimnissen wie Sie; aber ich derrathe sie alle mitsammen. Ich hab einmal so eine Nasen, die man in jeden Senf stecken muß. Ist denn dera Herr Lehrern auch schon fort aus Steineggen?«

»Hast auch das gewußt, daß er dort war?«

»Er hats mir gestern selber sagt, daßt er hingehen will. Nun will ich auch hin.«

»Wirst das Fräulein nicht mehr antreffen.«

»So? Warum?«

»Sie ist nach Wien.«

»Sappermenten! Wohl zu ihrem Vätern?«

»Ja.«

»Na, das wird eine große Freude sein, wanns sich mal wiedersehen. Muß aber trotzdem nach Steineggen; denn wo dera Sepp nicht ist, da gehts drunter und drüber. Und grad weil die Herrin fehlt, muß ich hin, um zu schauen, obs auch Ordnung halten. Grüß Gott, Herr von Sandauen.«

Er ging.

»Sepp!«

»Was willst noch?«

»Sag nichts, daß ich von Adel bin!«

»Gut! Nachhero darfst aberst auch nix sagen, daß ich nicht von Adel bin. Was dem Einen recht ist, das ist dem Andern billig. Also behüt Gott, Herr Sandauen!«

Er schritt tiefer in den Wald hinein. Er glaubte, Milda vielleicht noch anzutreffen. Die Straße hatte mehrere Krümmungen, welche er dadurch abschnitt, daß er in grader Richtung auf das Schloß zuhielt.

Er erreichte es von der hintern Seite. Als er den Park durchschritten hatte und den Zaun erreichte, welcher den Letzteren von dem Blumengarten trennte, schritt er längs des Stacketes hin. Seine Schritte waren nicht zu hören, da das kurze, dichte Gras den Schall derselben dämpfte.

Da hörte er ein lautes Lachen.

»Prosit!« sagte eine Stimme.

Er erkannte sie als diejenige des Hausmeisters, den er gar nicht leiden konnte. Er blieb stehen. Gläser klangen.

»Prosit!« antwortete eine Frauenstimme.

»Warum sollen wir uns nicht auch mal eine Güte thun. Ich hatte mir den Kellerschlüssel weggesteckt, und da die Gnädige fort ist, so können wir fein frühstücken.«

Der Sepp schlich sich näher. Eine Laube stieß mit ihrer Hinterwand an den Zaun. Sie war sehr dicht mit sogenanntem Pfeifenholz bewachsen. Die sehr großen Blätter desselben machten ein Durchblicken unmöglich, ließen aber dafür Alles hören.

Der Alte setzte sich hart an dem Zaune ins Gras nieder. Er hatte, wie früher erwähnt, mit dem Hausmeister einige nicht sehr freundschaftliche Scenen gehabt. Vielleicht war es möglich jetzt irgend Etwas zu erlauschen, was dazu dienen konnte, diesem Manne einen Streich zu spielen. Daß da drin in der Laube ein gestohlener Wein getrunken wurde, das war ja nun bereits verrathen.

Sepp hörte das appetitliche Schlürfen. Er ballte die Faust und drohte damit nach innen.

»Ah!« machte es der Hausmeister. »Der ist echt.«

»Wohl aus Frankreich?« fragte die weibliche Stimme.

»Natürlich. Aus der Champagne. Ich möchte wetten, von dieser Sorte kostet die Flasche zehn Gulden, wenn nicht mehr.«

»Und da haben Sie vier Flaschen beseitigt! Das macht vierzig Gulden!«

»Pah! Unsereiner will sich auch einmal eine Güte thun. Für das Andere, was zum Frühstück gehört, haben Sie gesorgt. Uns soll es schmecken.«

»Das war nicht schwer. Die Gnädige hat gestern Abend nichts gegessen. Es kam Alles wieder nach der Küche retour.«

»Und heut wohl auch nicht?«

»Keinen Bissen.«

»Hm! So essen wir es.«

»Möchte nur wissen, was es gegeben hat!«

»Das kümmert uns jetzt nicht. Geben Sie mir von dem Schinken herüber.«

»Da! Bitte! Aber wissen möchte ich es doch gern, was passirt ist.«

Es erfolgte keine Antwort. Der Hausmeister schien zu kauen. Sepp fuhr mit seinem Stock vorsichtig zwischen die Blätter und bildete sich eine kleine, von innen unbemerkbare Lücke, durch welche er blickte. Die Laube war nicht groß. Es stand ein Tisch mit zwei Stühlen darin. Auf einem der Letzteren saß der Hausmeister, mit vollen Backen kauend, und auf dem andern die dicke Köchin, welche der Sepp auch bereits schon einmal gesehen hatte.

Sie mochte ungefähr dreißig Jahre alt sein, während ihr gegenwärtiger Tischgenosse jedenfalls über fünfzig zählte.

Auf dem Tische stand neben allerlei geraubten Eßwaaren eine geöffnete Flasche Champagner; drei andere Flaschen standen als Reserve unten auf der Erde.

»Haben Sie denn nicht erfahren können, was es war?« fragte die Köchin.

»Hm!« antwortete er, weiter kauend.

»Sie waren doch mit oben!«

»Allerdings.«

»Was haben Sie da gesehen?«

»Hm!«

»Schweigen Sie mit Ihrem Gebrumm! Wenn Sie nichts wissen, so lassen Sie mich nicht so unnöthig fragen!«

»Ich, nichts wissen! Pah!«

»So? Da reden Sie also!«

»Ein treuer Diener muß verschwiegen sein.«

»Aber Champagner darf er mausen?«

»Das ist etwas Anderes.«

»Na, ganz wie Sie wollen! Da packe ich wieder ein und gehe fort.«

Sie stand auf.

»Halt! Milka, bleiben Sie doch!«

»Fällt mir nicht ein!«

»Unsinn! Sie wissen ja, wie gern ich Sie habe!«

»Das ist nicht wahr.«

»Donnerwetter! Ich dachte, Sie könnten mir das glauben.«

»Ich habe gar keinen Grund dazu.«

»So! Weiß schon! Sie haben es auf den Jäger abgesehen. Ich bin Ihnen zu alt.«

»Der Jüngste sind Sie freilich nicht. Und Unsereins ist doch – – na!«

»Was denn?«

»Schauen Sie mich doch an! Was soll ich, wenn ich heirathe, mit einem alten Manne machen? Ihn etwa todtpflegen, wenn er die Auszehrung bekommt!«

Sie pflanzte sich mit ihrer fetten, breiten, mehr als üppigen Gestalt nahe vor ihn hin. Seine Augen verschlangen die Einzelnheiten ihrer kolossalen weiblichen, überreifen Schönheit.

»Sehe ich aus wie Auszehrung?« fragte er.

»Jetzt noch nicht.«

»Aber Sie meinen, daß ich sie noch bekommen könnte?«

»Vielleicht.«

»Alle Teufel! Jeder Andre kann sie ebenso gut bekommen. Setzen Sie sich nieder, Milka. Heut paßt es wie noch nie. Heut wollen wir uns verständigen.«

Sie setzte sich, brummte aber widerwillig vor sich hin:

»Das müßten Sie anders anfangen.«

»Wie denn?«

»Sie reden mir immer von Ihrer großen Liebe und vom Heirathen vor. Aber ist das Liebe, wenn Sie mir nicht einmal eine Frage beantworten!«

»Fremden theile ich mich nicht mit.«

»Bin ich denn eine Fremde?«

»Gewiß. Wenn Sie meine Braut sein wollten, so brauchte ich kein Geheimniß vor Ihnen zu haben.«

»Sie würden auch nichts sagen.«

»Alles, Alles!«

»Ist das denn so viel?«

»Mehr als Sie denken. O, ich kenne Geheimnisse – Geheimnisse!«

»Thun Sie doch nicht so wichtig!«

Und trotz dieser Worte waren ihre Augen mit einem wirklich gierigen Ausdrucke auf ihn gerichtet. Sie gehörte zu denjenigen zarten Wesen, deren größtes Vergnügen im Klatschen besteht und welche davon fett zu werden scheinen.

»Ich kann wohl wichtig thun. O, wenn ich wollte!«

»Was wäre da? Was?«

»Vielerlei, was ich jetzt nicht sagen kann. Sie halten es ja mit dem Jäger.«

»Das ist nur aus Spaß und zum Zeitvertreib.«

»So! Warum machen Sie da nicht mit mir auch solchen Spaß?«

»Weil Sie zu alt und zu ernst dazu sind.«

»So! Zu alt bin ich noch nicht. Ich befinde mich in den besten Mannesjahren, und jede Frau wird mit mir zufrieden sein. Ihr Jäger bekommt nicht halb so viel Gehalt wie ich, und wenn ich will, so muß mich der Baron so ausstatten, daß ich im Leben gar nichts mehr zu machen brauche.«

»Schneiden Sie nicht auf!«

»Es ist Wahrheit.«

»Der Baron, der Geizhals! Ihnen so viel geben!«

»Ganz gewiß.«

»Warum denn?«

»Weil ich ihn zwingen kann.«

»Aber womit?«

»Ich werde mich hüten, es Ihnen zu sagen!«

»Es erfährts ja Niemand von mir!«

»Trotzdem! Das sind Sachen, die man höchstens seiner Frau mittheilen darf.«

»So! Das müssen sehr wichtige Sachen sein.«

»Gewiß. Wollen Sie denn wirklich den Jäger heirathen?«

»Das kann mir gar nicht einfallen.«

»Es hat aber ganz das Aussehen.«

»Unsinn. Er ist fünfundzwanzig und ich einunddreißig. Das wäre eine schöne Ehe. Und bei seiner Gage müßte man ja verhungern.«

»Oder wollen Sie gar nicht heirathen?«

»Ich will es nicht verreden. Ich habe den Dienst satt. Ich will auch einmal meine eigene Wirthschaft haben!«

»Nun, warum greifen Sie da nicht zu! Die können Sie bei mir sofort haben.«

»Wenns wahr ist!«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich lüge!«

Da rückte sie ihren Stuhl näher zu dem seinigen heran, goß ihm sein Glas voll, stieß mit ihm an und sagte:

»Wenn man Ihnen trauen könnte!«

»Warum sollten Sie nicht?«

»Ich habe mir immer gedacht, daß Sie mir nur was weiß machen wollen. Ein Hausmeister hat etwas zu bedeuten. So einen Posten bekommt nicht Jeder. Sie sind mir natürlich viel lieber als der Jäger; aber ehrlich müssen Sie es meinen.«

»Sagen Sie jetzt die Wahrheit?«

»Ja.«

Da ergriff er sie bei den fetten Armen, zog sie näher an sich und sagte:

»Milka, ich habe Dich ungeheuer lieb. Ich sage Dir, daß ich ganz vernarrt in Dich bin. Willst Du mir auch gut sein?«

»Ja, aber heirathen!«

»Natürlich!«

»Und bald!«

»Versteht sich! Also sags, willst Du mich lieb haben?«

»Wenns so steht, ja.«

»So gieb mir einen Kuß!«

Es klatschte wie mit einer Schlittenpeitsche. Dann klangen die Gläser wieder zusammen. Schlürfende Laute ließen sich hören, und sodann sagte die Dicke:

»Also sind wir nun Bräutigam und Braut?«

»Ja.«

»Und was hast Du vorhin gesagt?«

»Nun, was denn?«

»Wenn ich Deine Braut wäre, könntest Du mir Alles sagen.«

»Das ist richtig. Aber so schnell geht das nicht.«

»Wie! Warum nicht?«

»Ich habe ja noch gar keinen Beweis, daß Du es auch wirklich ehrlich meinst.«

»Ich versichere es!«

»Wer kann das glauben! Du kannst auch nur so thun, und nachher gukst Du mich gar nicht mehr an.«

»Sei nicht so dumm! Jetzt werde ich mich von Dir küssen lassen, wenn ich Dich nicht wirklich heirathen will.«

»Der Jäger hat Dich doch auch geküßt!«

»Nicht ein einziges Mal!«

»Oho!«

»Er wollte. Der Kerl hatte immer Appetit.«

»Das glaube ich wohl, denn Du bist ein gar appetitlicher Bissen.«

Er zog sie liebevoll an sich. Sie ließ es geschehen. Er schlang beide Arme um sie; aber es gelang ihm freilich nicht ihre Taille zu umfassen. Der alte Kerl hatte wohl noch niemals eine solche ›fette‹ Umarmung gekostet. Er wurde ganz liebesblind, und als sie dann seinen Kopf hüben und drüben anfaßte und ihm einige schallende Küsse gab, da sagte er:

»Ach Gott, wenn das Wahrheit wäre!«

»Es ist ja welche!«

»Milka! So meinst Du es wirklich ehrlich?«

»Donnerwetter, ja! So glaubs doch nur!«

»Und Du trittst nicht zurück?«

»Nein, außer Du hast mich belogen.«

»Womit soll ich Dich belogen haben?«

»Mit den Geheimnissen und mit dem Gelde, was der Baron Dir geben muß.«

»Das ist Wahrheit.«

»So halte ich auch mein Wort. Weißt Du, wenn ich heirathe und soll mich nachher auch noch so schinden wie jetzt, dann lasse ich es lieber bleiben. Ich will auch die Madame spielen. Ich habe das Geschick dazu und auch die Gestalt. Einen Mann nehmen, bei dem die Armethei zu Hause ist, das fällt mir gar nicht ein.«

»Das hast Du bei mir nicht zu fürchten.«

»Kannst Du mirs beweisen?«

»Ja. Sofort, wenn Du Lust hast.«

»Gut! Also beweise es!«

»Na, gar so hitzig brauchst Du nicht zu sein. Den Beweis kann ich Dir nur in meinem Zimmer liefern. Jetzt aber wollen wir hier erst essen und trinken.«

»Gut! Aber nachher gleich.«

»Ja. Ich halte Wort. Ich werde Dir Etwas zeigen, worüber Du Mund und Augen aufsperren mußt.«

»Was ists denn?«

»Ein Revers.«

»Was ist das für ein Ding?«

»Eine Bescheinigung.«

»Ach so! Von wem?«

»Von unserm Herrn, dem Baron.«

»Und das soll der Beweis sein, den Du mir geben willst?«

»Ja. Jetzt wirst Du das nicht begreifen. Nachher aber wirst es einsehen.«

»Gut. So wollen wir rasch essen.«

Sie begann, zu hantieren, daß die Geschirre klirrten.

»Nimm Dir nur Zeit,« bat er. »Wir haben heut nichts zu thun. Wir können in aller Ruhe essen und es uns hier schön und gemüthlich machen.«

»Wenn Niemand kommt.«

»Wollts Keinem rathen, mich zu stören. Ich bin der Hausmeister. Wer mit mir reden will, hat von Weitem stehen zu bleiben. Wir wollen die Zweite aufmachen.«

Der Pfropfen knallte, und der Champagner perlte in den Gläsern. Die Beiden aßen und tranken, herzten und küßten sich dabei und hatten keine Ahnung, daß hinter ihnen Einer saß, der Alles hörte.

»Aber wenigstens das kannst Du mir jetzt sagen, was gestern Abend geschehen ist,« mahnte sie ihn.

»Das weißt Du doch schon.«

»Nicht ganz.«

»Warst Du nicht dabei?«

»Leider nicht. Weißt Du, ich muß früh um neun Uhr, Mittags und gegen Abend mein Schläfchen haben. Nach dem Abendessen auch. Meine Constitution verlangt das. Darum saß ich gestern Abend in der Küchenecke und schlummerte ein Bischen, als die Geschichte geschah. Nachher habe ich gehört, daß ein Einbrecher arretirt worden ist, welcher den Schmuck der Gnädigen gestohlen hat.«

»Das stimmt.«

»Aber ich habe so meine Gedanken darüber. Ein Einbrecher kann er nicht blos sein. Es muß auch noch einen andern Haken haben.«

»Warum?«

»Weil die Gnädige ihm ein Zimmer hat anweisen lassen.«

»Das ist freilich höchst auffällig.«

»Sie hat auch Befehl ertheilt, daß er bewacht werden soll. Es muß also schon vorher irgend eine Bewandtniß mit ihm gehabt haben.«

»Natürlich.«

»Weißt Du es?«

»Ja.«

»Das heißt, Du hast gelauscht?«

»Gelauscht habe ich nicht, aber doch genug gesehen und gehört, um wissen zu können, woran ich bin.«

»Nun, also weiter.«

»Trink nur!«

»Nachher! Erst muß ich wissen, was es gestern gegeben hat. Es ist ein wahres Elend, bei einer Herrschaft zu dienen, deren Geheimnisse man nicht kennt.«

»Das sage ich auch. Aber man braucht nur die Augen und Ohren aufmachen, dann erfährt man genug.«

»Das geht wohl bei Dir aber nicht bei mir. Ich stecke den ganzen Tag in der Küche. Was soll ich da sehen oder hören? Grad darum habe ich mich zuweilen mit dem Jäger unterhalten. Er brachte mir die Neuigkeiten.«

»Und was bekam er dafür?«

»Manchmal etwas zu essen, was übrig geblieben war.«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

»Wirklich keinen Kuß?«

»Nicht einen.«

»Oder eine Umarmung?«

»Auch nicht.«

»Aber gesteh es doch endlich ein!«

»Sakkerment, red nicht so dumm. Ich werde ihn nicht umärmeln, und mich kann er nicht umarmen. Wo soll da die Umarmung herkommen, wenn ich zu dicke bin!«

»Hm! Na, von heut an werde ich selbst Dir die Neuigkeiten bringen.«

»Schön!«

»Aber nicht umsonst!«

»Wird sich finden.«

»Werde mir schon nehmen, was ich haben will!«

»Umsonst kriegst Du nichts. Also rede! Wer war der Kerl gestern?«

»Eigentlich ein alter Bekannter von mir.«

»Was! So ein Spitzbube?«

»Na, brauchst nicht zu erschrecken. Gesehen habe ich ihn, aber mit ihm abgegeben habe ich mich nicht; denn er verkehrte nur mit dem Baron.«

»Was? Der gnädige Herr hat sich mit so einem Menschen abgegeben?«

»Ja. Damals freilich sah der Kerl ganz anders aus. Er war Unteroffizier und Compagnieschreiber, ein schmucker Kerl, aber leichtsinnig.«

»Wie Ihr Männer alle!«

»Das glaubst Du ja selber nicht!«

»Eine Jede glaubt das. Aber was wollte denn der Baron mit ihm?«

»Sag lieber von ihm! Ich war auch neugierig. Ich war damals erst seit ganz kurzer Zeit im Dienste des Barons; aber er hatte doch schon bemerkt, daß ich ein anstelliges Kerlchen war. Ich bemerkte, daß der Unteroffizier dem Herrn einige Schreiben brachte, die hatte er seinem Herrn, welcher von Sandau hieß, gestohlen.«

»Wohl im Auftrage unsers Barons?«

»Ja. Damals hatte ich mich auf einen eigenthümlichen Sport gelegt. Ich trieb nämlich das Autographensammeln.«

»Was ist das?«

»Autograph heißt Handschrift. Jeder meiner Bekannten mußte mir einige Zeilen und seinen Namen ins Stammbuch schreiben. Dann machte es mir Spaß, in müßigen Stunden das nachzumalen. Ich freute mich königlich, wenn ich die Handschrift so genau nachgemacht hatte, daß sie nicht vom Originale zu unterscheiden war.«

»Das ist eine Kunst. Das brächte ich nicht fertig. Kannst Du das auch heut noch?«

»Freilich.«

»So bist Du eigentlich ein gefährlicher Mensch.«

»Warum?«

»Na warum! Einer, der fremder Leuts Handschriften nachmacht, kann doch Andern sehr leicht gefährlich werden.«

»Mag sein. Hast Du mich etwa nun weniger lieb?«

»Unsinn! Wenn es nur Etwas einbringt.«

»Das hat es auch.«

»Und man ist so vorsichtig dabei, daß man nicht erwischt wird.«

»Da brauchst Du gar keine Sorge zu haben, Milka.«

»Schöne Gesellschaft!« dachte Sepp hinter der Laube.

Er ahnte, was der Hausmeister nun erzählen werde. Er hatte sich auch nicht geirrt, denn der Genannte fuhr fort:

»Der Baron brachte mir einige Handschriftproben, und ich mußte versuchen, sie nachzumachen. Es gelang ganz vortrefflich. Nun setzte er mir einen Brief auf, den ich in dieser Handschrift abschreiben mußte. Jetzt wußte ich es, daß es die Handschrift jenes Herrn von Sandau war, bei welchem der Compagnieschreiber in Arbeit stand.«

»Weshalb mußtest Du es machen?«

»Mein Herr wollte dem Sandau einen Streich spielen.«

»Ist es gelungen?«

»Ja, denn Sandau wurde abgesetzt und kam ins Gefängniß.«

»Schade! War er ein guter Kerl?«

»Im Gegentheile ein sehr schlechter.«

»So ists ihm zu gönnen.«

»Nun denke Dir, in dem Kerl, welcher gestern hier war, habe ich jenen Compagnieschreiber wieder erkannt. Zwar nicht gleich, endlich aber besann ich mich doch. Er war gekommen, dem Herrn oder der Gnädigen Geld abzuschwindeln.«

»Da ist ihm ganz recht geschehen, daß sie ihn eingesteckt haben.«

»Er hätte vielleicht welches bekommen, wenn er nicht auf den Gedanken gekommen wäre, die Gnädige zu bestehlen.«

»Kann er Dir Schaden bereiten?«

»Nein. Die Sache ist längst verjährt.«

»Weißt Du das genau?«

»Ja. Der Baron hat es auch gesagt.«

»So ist es gut. Aber was hat das damalige Nachschreiben der Handschrift denn mit dem Beweis zu thun, den Du mir liefern willst?«

»Sehr viel. Du wirst es bald begreifen. Ich habe noch zu keinem Menschen davon gesprochen; Dir aber sage ich es, weil Du meine Frau werden willst. Da kannst Du Alles wissen. Auch muß ich es Dir erzählen, um Dir zu beweisen, daß ich den Baron im Sacke hab und daß er mir Geld geben muß, wenn ich schweigen soll.«

»So ist das! Du machst mich neugierig. Aber warum wollte er diesem Sandau Etwas auswischen.«

»Das hatte einen sehr gewichtigen Grund. Dieser Sandau hatte eine Frau, welche mit unserer Gnädigen, nämlich nicht der Jetzigen, sondern ihrer Mutter, bei einer alten Tante erzogen worden war. Die Gnädige hatte unsern Baron nicht heirathen sollen und war deshalb enterbt worden; Sandaus Frau aber sollte Alles erben. Darum mußte Sandau ins Gefängniß gebracht werden.«

»Wie schlau!«

»Ja, der Baron hat stets gewußt, was er thut. Aber die Tante hatte das Testament bereits gemacht. Es war von drei Zeugen unterschrieben worden. Diese Zeugen mußten fort. Der Eine starb am Typhus. Nun waren noch zwei zu beseitigen.«

»Zu ermorden? Das meinst Du doch nicht?«

»Bewahre!« lachte der Hausmeister auf. »Sie hießen Herr von Schöne und Herr von Selbmann. Beide waren Edelleute. Der Herr von Schöne mußte sich selbst umbringen.«

»Mußte?«

»Ja.«

»Wer konnte ihn denn zwingen?«

»Mein Herr, der Baron.«

»Ach geh! Kein Mensch kann den Andern zwingen, sich zu tödten.«

»O, doch!«

»Wodurch?«

»Durch ein amerikanisches Duell.«

»Was ist das?«

»Bei einem gewöhnlichen Duell kämpfen die Beiden mit einander, beim amerikanischen aber wird nicht gekämpft, sondern das Loos gezogen. Wer das Todesloos zieht, muß sich nach einer ganz bestimmten Zeit tödten.«

»Das ist doch schrecklich. Wenn er sich aber nicht umbringt?«

»So gilt er für ehrlos. Er wird überall ausgestoßen, und kein Mensch mag Etwas von ihm wissen. Dadurch wird er in eine solche Verzweiflung versetzt, daß er sich schließlich doch noch das Leben nimmt.«

»Diese vornehmen Herren sind doch ganz und gar dumm! Mich möchten sie immer anschaun, wie sie wollten, ich brächte mich doch nicht um; ich lachte sie nur aus.«

»Ja, Du bist grad so gescheidt wie ich. Mich brächte auch kein Mensch zum Selbstmord.«

»Dieser Herr von Schöne hat also das Todesloos gezogen?«

»Ja.«

»Aber Dein Herr konnte es doch auch ziehen!«

»Nein. Dafür hatte ich gesorgt.«

»Du?«

»Ja. Die Sache war schon längst abgekartet. Es wurden zwei Loose gemacht, ein schwarzes und ein weißes; aber ein drittes, welches auch schwarz war, hatte ich in der Hand. Ich mußte den Hut meines Herrn halten, in welchen das schwarze und das weiße Loos geworfen werden sollten. Während ich schüttelte, verwechselte ich das weiße mit meinem schwarzen, so daß sich nun zwei schwarze darin befanden. Herr von Schöne zog zuerst, und folglich war das seinige schwarz. Während alle Anwesenden nach ihm sahen, als er das Loos öffnete, nahm ich das zweite schwarze heraus und legte das weiße hinein; dieses zog mein Herr.«

»So war es! Jetzt begreife ich es. Und jener Herr von Schöne hat sich entleibt?«

»Ja. Er hat sein Testament gemacht und darin mit gesagt, daß er in Folge eines amerikanischen Duelles sterbe. Ist da mein Herr der Mörder gewesen?«

»Nein.«

»So ähnlich war es auch mit dem andern Zeugen, dem Herrn von Selbmann. Der war ein leidenschaftlicher Bergfex.«

»Was ist das?«

»Einer, der alle Jahre in die Alpen läuft und dort die Berge ersteigt.«

»Ist das gefährlich?«

»Ja. Man kann sehr leicht den Hals brechen. Mein Herr reiste ihm nach, ich natürlich mit. Nach einigen Wochen trafen wir ihn endlich in einem Hotel. Er erwähnte, daß er morgen einen Gletscher besteigen werde. Das war nicht gefährlich. Am frühen Morgen stiegen wir voran. An einer Stelle, wo man auf Stufen niedersteigen mußte, welche in das Eis gehauen waren, mußte ich vier dieser Stufen mit dem kleinen Handbeile, welches wir mitgenommen hatten, so unterhöhlen, daß Derjenige, welcher sie betrat, in die Tiefe stürzen mußte, well sie unter ihm zusammenbrachen.«

»Und er stürzte?«

»Ja.«

»Und war todt?«

»Augenblicklich. Wer ist da der Mörder?«

»Niemand. Er hätte die Stufen untersuchen sollen.«

»Natürlich. Der Kerl war ein Esel.«

»Aber es konnte auch eine andere Person kommen und an seiner Stelle verunglücken!«

»Nein. Wir hatten uns vorgesehen. Wir versteckten uns in der Nähe und paßten auf, wer kommen werde. Wäre es ein Anderer gewesen, so hätten wir ihn gewarnt. Da er es aber war, so ließen wir ihn ruhig weiter laufen.«

»So waren also die Zeugen nun fort?«

»Ja. Jetzt galt es nur, das Testament, in welchem die Frau Baronin enterbt war, umzutauschen.«

»Wie konnte das geschehen?«

»Sehr einfach. Ich holte es.«

»Du bist eingebrochen?«

»Gott bewahre! So Etwas fällt mir gar nicht ein. Einbrechen! Wie gemein! Ich vermiethete mich zu der alten Tante. Ich hatte sehr gute Zeugnisse mit, die aber natürlich auf einen ganz andern Namen lauteten. Sie hatte mich noch nie gesehen, und so konnte sie also auch nicht wissen, bei wem ich eigentlich diente.«

»Höre, Du bist wirklich ein höchst schlauer Patron.«

»Denkst Du?«

»Ja. Ich habe immer einen gewissen Respect vor Dir gehabt; aber daß Du gar so ein Durchtriebener bist, das habe ich doch nicht denken können.«

»Ja. Man sieht es den Leuten oft gar nicht an.«

»Du kannst so solid und ehrwürdig thun.«

»Das ist ja die Hauptsache. Gerade darum hatte ich mir das Vertrauen der alten Tante so schnell und so vollständig erworben, daß sie mich ganz allein in ihr Cabinet gehen ließ, in welches selbst ihre Leibzofe nur dann treten durfte, wenn die gnädige Frau dort war.«

»Dort befand sich wohl das Testament?«

»Ja, und zwar in einer eisernen Schatulle. Den Schlüssel hatte die Gnädige stets einstecken. Eines schönen Tages aber hatte sie ihn doch stecken lassen, und augenblicklich befand sich das Testament in meinen Händen. Des Nachts wurde es abgeschrieben, natürlich aber verändert, und dann auch gleich wieder in die Schatulle zurückgesteckt.«

»Wie war das möglich?«

»Ich hatte für Morphium gesorgt, welches die Alte in den Abendtrunk erhielt. Sie schlief wie eine Ratte. So wurde das Testament umgetauscht, ohne daß sie es ahnen konnte. Dann zog ich natürlich ab.«

»Ging das?«

»Ja. Ich wurde krank. Da mußte sie mich entlassen.«

»Wieder schlau!«

»Als Beweis, daß ich meine Aufgabe erfüllt hatte, brachte ich dem Baron das echte Testament mit.«

»Natürlich erhieltst Du ein gutes Geschenk?«

»Nicht sofort. Aber ich wartete. Er war ja arm und konnte nichts geben, doch hatte ich ihn nun in den Händen, und als die Alte starb und seine Frau das viele Geld erbte, da hat er viel zahlen müssen.«

»Wieviel?«

»Tausende.«

»Wirklich?«

»Ja, freilich nicht auf einmal; aber ich that, als ob ich immer Geld brauche. Er mußte es schaffen.«

»Wurde er nicht ungeduldig?«

»Zuweilen. Endlich ging ihm die Geduld ganz aus. Er wollte mich fortjagen. Da aber kam er an den Richtigen. Ich zwang ihn, schriftlich zu bekennen, was ich für ihn und er mit mir gethan hatte. Er mußte sich unterschreiben. Das ist der Revers, welchen ich noch heute von ihm in den Händen habe. Ich kann ihn damit ruiniren.«

»Und er muß Dir Geld bezahlen, so oft Du willst?«

»Natürlich.«

»Du bist weiß Gott ein Hauptkerl! Komm her! Ich muß Dir noch einen Kuß geben.«

Sie küßte ihn wiederholt.

»Soll Euch gut bekommen!« brummte der alte Sepp leise vor sich hin.

»Aber,« fragte sie dann, »hat der Baron nie Versuche gemacht, Dich los zu werden?«

»Sogar mehrmals. Sie nutzten ihm freilich nichts.«

»Das fürchtete ich auch. Darum sagte ich, ein Verwandter von mir besäße den Revers und würde ihn, sobald ich im Dienste des Barons stürbe, der Polizei übergeben.«

»Aber Du hast das Papier natürlich in Deiner Verwahrung?«

»Freilich.«

»Ist es gut aufgehoben?«

»Das versteht sich ganz von selbst. Es steckt im Dreimaster.«

»Dreimaster? Das ist doch ein Schiff.«

»Ja. Aber auch die alten Filzhüte, welche früher getragen wurden, werden so genannt. Es giebt noch heute Herrschaften, deren Dienerschaft in solchen Hüten geht. Damals war ich Leibjäger des Barons und trug auch einen mit einem grünen Federstutz. Den habe ich mir aufgehoben. Er liegt auf dem Boden meines Kleiderschrankes, und unter dem Futter steckt das Papier.«

»Darf ich es sehen?«

»Ja. Ich zeige es Dir nachher. Du sollst sehen, was der Baron bei unserer Hochzeit zu zahlen hat.«

»Fordere nur genug!«

»Natürlich.«

»Und das Papier ist doch so verwahrt, daß Niemand es Dir nehmen kann?«

»Das versteht sich!«

»Den Schrank verschließest Du?«

»Nein.«

»Was! Welch eine Unvorsichtigkeit!«

»Pah! Das ist grad im Gegentheile eine Schlauheit.«

»Wieso?«

»Hielt ich den Schrank stets verschlossen, so würde sehr bald der Verdacht entstehen, daß ich Heimlichkeiten darinnen versteckt habe. Steht er aber immer offen, so kommt Niemand auf diese Idee.«

»Mag sein. So ist er also auch jetzt offen?«

»Ja.«

»Aber wenn nun Jemand hineingeht in Dein Zimmer und sich für den alten Hut interessirt!«

»Pah! Fällt Keinem ein. Da brauchst Du keine Sorge zu haben. Der Hut steckt seit langen Jahren darin, und es hat sich noch kein Mensch um ihn bekümmert. Komm, trink lieber, als daß Du Dir solche unnöthige Sorgen machst.«

Die Gläser klangen wieder. Die dritte Flasche wurde geöffnet. Die Beiden sprachen noch mancherlei, was aber den Wurzelsepp nicht interessirte. Sie tauschten Liebkosungen aus, welche der Art waren, daß er vorzog, sich zu entfernen. Er erhob sich deshalb leise und schlich sich davon.

»Himmelsakra!« sagte er zu sich leise. »Das war gut, daß ich auf denen Gedanken kommen bin, grad durch den Wald zu laufen. Was ich da hört hab, das soll wohl Nutzen bringen. Aberst merken darfs Niemand, daß ich von da hinten kommen bin. Ich werd einen Umwegen machen, damit ich wiederum auf die Straße gelangen thu.«

Er führte diesen Vorsatz aus und kam dann von der Vorderseite an das Schloß. Es war kein Mensch zu sehen, weder unter dem Portale, noch auf der Treppe. Die Herrschaft war verreist; da gab es lockere Disciplin. Eben wollte der Sepp die Treppe emporsteigen, da fiel sein Auge auf eine Thür des Flures, auf welcher das Wort »Hausmeister« zu lesen war.

»Potz Blitz!« sagte er sich. »Da drinnen wohnt dera Kerl. Ob ich mal gleich nach dem Dreimaster schau? Hm! Besser ist besser! Die dicke Köchin könnt halt gar den Einfall haben, ihm zu rathen, das Ding wo anderst zu verstecken.«

Er klopfte an, aus Vorsicht. Niemand antwortete. Er trat also ein.

Jetzt befand er sich in der Hausmeisterloge, welche recht wohnlich eingerichtet war. Einen Kleiderschrank gab es da nicht. Darum trat er durch eine zweite Thür. Hier gab es ein Schlafzimmer mit einem Bette. Ein großer, doppelthüriger Schrank stand da. Er öffnete ihn.

Das Möbel hing voller Kleider. Unten auf dem Boden lag – der gesuchte Dreimaster. Sepp nahm ihn auf und betrachtete sich ihn genau. Er hatte ein dickes, schwarzwollenes Futter, welches durch eine Schnur zusammengezogen war. Er zog diese Schnur auf, und da steckte wirklich ein Papier.

Er faltete es auseinander und überflog den Inhalt. Es war der gesuchte sogenannte Revers, unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen von dem Baron Friedrich von Alberg.

»Weg damit!« meinte Sepp, indem er es in seine Tasche steckte.

Er legte den Hut zurück und machte den Schrank wieder zu. Schon wollte er in das vordere Zimmer treten, da hörte er die Außenthür gehen. Stimmen ließen sich hören. Er lauschte einen Augenblick.

»Himmelsakra! Da kommt dera Hausmeistern mit seiner dicken Köchinnen! Wohin steck ich mich doch nur?«

Er blickte sich um.

»Da unters Betten. Schnell hinein!!«

Er schob erst den Alpenstock, dann den Rucksack und endlich auch sich selbst unter das Bett. Das ging freilich sehr mühsam, da dasselbe sehr niedrig war.

Der Hausmeister war unverheirathet. Kein Wunder, daß es bei ihm nicht diejenige Ordnung und Reinlichkeit gab, wie in einer Wohnung, welche von der sorgsamen Hand einer Frau geordnet wird.

In den Winkeln gab es Staub, und unter dem Bette war wohl seit Wochen nicht ausgekehrt worden, der Staub lag hier bedeutend dick.

»Na, eine schöne Geschichten!« knurrte der Alte. »Wann mir dera Dreck in die Nasen kommt und ich muß niesen, so kanns mich gefreun. Oder wann gar recht schöne Flöhen hier umherspringen und gerathen mir auf meine Haut, so daßt ich kratzen muß, nachhero ists aus mit meinem Anonym. Schön behaglich ists bei dem Kerlen nicht! Ah, jetzt kommens! Sepp, sei still!«

Die Thür wurde geöffnet. Die Beiden traten ein.

»Das ist mein Schlafzimmer,« erklärte er.

»O weh!« antwortete sie.

»Was?«

»Junggesellenwirthschaft!«

»Thut nichts. Das wirst Du ändern.«

»Hier etwa?«

»Gewiß! Hier wohnt sichs ja ganz schön.«

»Nein. Hier können wir nicht wohnen. Wenn wir verheirathet sind, so haben wir keinen Platz.«

»Meinst Du? Hm!«

»Da giebts kein Hm! Der Baron muß ein anderes Logis schaffen. Für Dich allein genügt es. Aber dann – denke nur daran, daß wir auch Kinder haben werden!«

»Hoffentlich!« lachte er. »Komm, Schatz! Dafür muß ich Dir einen Schmatz geben.«

Sepp hörte an dem Geräusch, daß sie nicht nur einen, sondern mehrere erhielt. Dann sagte sie:

»Nur nicht so ungestüm! Auch in der Liebe muß man Maaß und Ziel halten. Wollen uns setzen.«

»Aber wohin?«

»Leider giebt es nur einen Stuhl. Also hier auf das Bett.«

Der Dicken war der Weg vom Garten nach dem Schlosse zurück so schwer geworden, daß sie sich bereits wieder ermüdet fühlte. Sie ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf das Bett nieder. Dieses Letztere war ein altes, ziemlich morsches Möbel und einer solchen Last nicht gewachsen. Es stöhnte in allen Fugen.

»Du!« rief der Hausmeister besorgt. »Nimm Dich in Acht. Es bricht zusammen.«

»Also auch neue Bettstellen,« meinte sie. »Nun, das geht uns nichts an. Der Baron mag sie bezahlen. Ueberhaupt wirst Du klug thun, die ganze Ausstattung von ihm zu verlangen.«

»Eigentlich ist die Ausstattung Deine Sache,« wagte er zu bemerken.

»Warum die meinige?« fragte sie.

»Weil es überall so gebräuchlich ist, daß die Braut eine Ausstattung mitbringt.«

»Ach, geh mir mit Gebräuchen, von denen ich keine Freundin bin! Sie taugen nichts. Warum soll denn grad das Mädchen den Hausrath besitzen, und der Bursche nicht?«

»Weil dieser für alles Andere zu sorgen hat.«

»So mag er überhaupt für Alles sorgen. Wer sich eine Frau nehmen will, muß sie auch versorgen können!«

»Und wer sich einen Mann nehmen will, muß auch Etwas besitzen.«

»Willst Du Dich mit mir zanken, nachdem wir uns kaum erst die Liebeserklärung gemacht haben?«

»Nein. Aber Du sagtest doch, daß Du Dir mehrere hundert Gulden gespart hast!«

»Das ist sehr richtig; aber die gebe ich nicht her; die hebe ich auf.«

»Warum?«

»Du bist fünfundzwanzig Jahre älter als ich. Wie lange werde ich Dich denn haben, so bin ich Wittwe.«

»Oho! Na, na!«

»Ja. Und dann kann ich meine paar Nothpfennige gebrauchen.«

»Du thust ja, als ob Du recht bald Wittwe werden wolltest!«

»O nein; aber wenn ichs werde, so kann ich mir den Kopf auch nicht wegreißen. Ich kann überhaupt die Aufregung nicht vertragen. Ich würde mich in mein Schicksal fügen und Dich ehrlich begraben lassen.«

»Natürlich ehrlich!« lachte er in halbem Zorne auf. »Ich hoffe, daß mich der Scharfrichter nicht hinausschleppt.«

»Davon ist keine Rede. Ich werde schon dafür sorgen, daß Du in anständiger Weise zur Ruhe kommst.«

»Schön! Dafür muß ich Dir schon bei Lebzeiten dankbar sein.«

»Natürlich! Nun thu mir aber den Gefallen, mir den Revers zu zeigen.«

»Sogleich!«

Er trat zum Schranke und öffnete ihn.

Sie war so müde, daß sie sich in die Kissen legte und laut und herzlich gähnte.

Unter ihr ließ sich auch Etwas hören. Der Sepp war schon vorher auf's Tiefste erschrocken, als sie sich in das Bett gesetzt hatte. Er dachte, dasselbe würde in Stücke zerknacken. Er lag mit dem Gesichte in dem hohen, feinen Staube. Er athmete denselben ein. Kein Wunder, daß ihm das Bedürfniß zum Niesen ankam. Er gab sich alle Mühe, dasselbe zu unterdrücken, aber es ging nicht länger. Als die Dicke so laut gähnte, benutzte er die gute Gelegenheit.

»Ahhhh – – haaaaa!« machte sie es.

»Ab – – – ziehhh!« begleitete er sie unter dem Bette.

Sie richtete sich ein wenig auf und blickte ihren Bräutigam an. Dieser hingegen sah zu ihr herüber.

»Hast Du gegähnt oder geniest?« fragte er.

»Gegähnt natürlich! Ich niese nie. Das regt den Körper zu sehr auf. Aber Du hast geniest.«

»Ich? Ist mir nicht eingefallen!«

»Ich habs doch gehört!«

»Ich auch, aber von Dir.«

»Unsinn! Ich werde doch wissen, was Gähnen oder niesen ist.«

»Na, ich ebenso.«

»Streite nicht! Nimm lieber den Hut heraus!«

Er wendete sich wieder nach dem Schranke. Der Luftzug beim Niesen des Sepp hatte den Staub aufgeblasen, welcher dem Alten in Mund, Nase und Augen flog. Er mußte abermals niesen und voraussichtlich viel heftiger als vorher. Er drückte die Zähne und Lippen zusammen; er preßte den Bauch fest auf die Diele; er zog die fürchterlichsten Grimassen – es half nichts; er mußte losbrechen.

»Wenn sie nur um Gotteswillen noch einmal gähnte!« dachte er in seiner Angst.

Und das Schicksal war ihm günstig. Der kleine Wortwechsel hatte sie angestrengt.

»Uuuuuü – aaahhh!« gähnte sie überlaut, indem sie sich wieder hintenüber legte.

»Az – – zieh – zieh – zizizizizieh!« ging es wie aus einer Mitrailleuse unter dem Bette.

Sie fuhr wieder empor, und der Hausmeister drehte sich rasch wieder nach ihr um.

»Siehst Du!« sagte er triumphirend.

»Ja, siehst Du!« antwortete sie ihm, ihm hochbefriedigt zunickend.

»Daß Du niesest!«

»Nein, daß Du niesest!«

»Ist mir nicht eingefallen!«

»Geh! Leugne es doch nicht!«

»Kind, ich begreife Dich nicht. Ich habe es deutlich gehört.«

»Ich auch!«

»Du hast eine ganz eigenthümliche Art und Weise. Erst denkt man. Du gähnst, und nachher wird der allerschönste Nieserich daraus.«

»Schatz, laß Dich doch nicht auslachen! Der Nieserich bist Du doch selbst.«

»Milka, ich begreife Dich nicht!«

»Nein, ich begreife Dich nicht! Es ist doch keine Schande, zu niesen!«

»Nein, allerdings.«

»Nun, warum leugnest Du es da! Oder hast Du vielleicht eine böse Krankheit in der Nase? Einen Polypen etwa?«

»Höre, jetzt wirds zu bunt! Dieser Spaß –«

»Sei still!« unterbrach sie ihn. »Von dieser Nase reden wir noch ein Wörtchen. Aber in aller Ruhe. Einen Polypen mag ich mir nicht anheirathen. Wenn der ansteckend ist, so könnte ich mich nachher vor Polypen gar nicht retten, weil bei mir Alles gleich ins Fette, Dicke und Großartige geht.«

Das war ihm zu viel. Er stampfte mit dem Fuße und rief:

»Ich einen Nasenpolypen! Da muß doch gleich ein Himmelkreuzdonner – –«

»Still, still!« schrie sie auf. »Schrei nicht so. Wir Frauen haben ein so zartes Gehirn. Mein Kopf brummt von Deinem Gebrüll wie eine Pauke. Wenn wir wirklich gute Freunde bleiben wollen, so hältst Du nun das Maul und holst den Revers!«

Er besann sich noch, doch hielt er es schließlich für das Beste, jetzt nachzugeben. War sie erst einmal seine Frau, so wollte er ihr schon sein Uebergewicht fühlbar machen. Er nahm also den Hut aus dem Schranke und kam damit an das Bette.

»Hier ist er. Da drinnen steckt unser junges Eheglück.«

»Zeig her!«

Sie streckte die Hand aus; er aber wich zurück. Sie lag so verführerisch vor ihm in den Kissen, daß sein Herz vor Zärtlichkeit überwallte..

»Jetzt noch nicht!« sagte er.

»Warum denn nicht?«

»Du mußt es Dir verdienen.«

»Womit?«

»Mit einem richtigen, süßen, herzhaften, langen Kuß.«

Sie gähnte.

»Geh doch nur! Dieses ewige Küssen. Was hast Du davon?«

»Das fragst Du mich?«

»Natürlich! Das Küssen ist die reine Kinderei. Man schiebt die beiden Mäuler zusammen, so daß man sich die Nasen fast wund reibt. Schmecken thuts nach gar nichts. Warum thut man es also. Eine eingemachte welsche Nuß oder Marunka ist mir zehnmal lieber als so ein Schmatz, der weder Sinn, noch Zweck hat.«

»Alle Teufel! Das ist wirklich Deine Ansicht?«

»Ja. Man verliert seinen schönen Athem dabei. Man muß den Kopf schief halten, damit die Nasen sich nicht im Wege sind. Es ist so schrecklich unbequem, daß ich den Menschen, der das erfunden hat, gar nicht begreifen kann. Meinen Geschmack hat er dabei nicht getroffen.«

»Aber den meinen. Wenn ich keinen Kuß bekomme, so bekommst Du den Revers nicht zu sehen.«

»Welch ein Mann!« seufzte sie tief auf. Wie kann man an einer solchen Anstrengung ein Vergnügen haben. Na, komm her!«

»Aber einen ordentlichen.«

»Einen unordentlichen oder liederlichen nicht. Ich wüßte überhaupt nicht, wie ein solcher – – Herjesses! Du drückst mir ja das ganze Leben aus dem Leibe! Sei doch manierlicher. Geh, geh! Du hast nun einen, und so will ich auch den Revers sehen.«

»Wenn ich dann noch einen bekomme!«

»Noch einen! In diesem Fach scheinst Du der reine Vielfraß zu sein.«

»Also? Ja oder nein?«

»Na, wenn Du einmal darauf bestehst, so muß ich mich drein ergeben. Aber es ist dann für heut der allerletzte. Merke es Dir. Es bleibt dabei!«

»Einverstanden! Also schau her! Jetzt sollst Du ihn sehen.«

Er hielt ihr den Hut hin und machte dabei das, was er sagte:

»Hier ist der Tressenhut – ich wende ihn um – da ist das Futter, mit einer Schnur zusammengezogen – ich ziehe sie auf – ich schlage das Futter zurück – und dahinter – – –«

Er hielt inne und schaute in den leeren Hut. Sein Gesicht wurde lang, länger und immer länger.

»Nun – was ist dahinter?« fragte sie, immer noch bequem im Bette sitzend.

»Nichts.«

Er machte dabei ein so dummes, ein so wahres Schafsgesicht, daß sie in ein Lachen ausbrach.

»Und da lachst Du noch!« rief er.

»Bei dem Gesicht, welches Du da machst, kann Niemand weinen.«

»Weg – weg ist das Papier!«

»Unsinn! Wo soll es hin sein! Schau nur richtig nach!«

»Da giebts ja gar nichts weiter nachzuschaun. Da ist der Hut, und leer, ganz leer!«

»Zeig mal her!«

Sie nahm ihm den Dreimaster aus der Hand und untersuchte ihn sorgfältig.

»Nichts ist drin,« seufzte sie.

»Nichts, nichts, nichts ist drin! Fort ist er, fort!«

»Wohin aber?«

»Das weiß der Teufel!«

»Es muß ein Irrthum sein. Hast Du etwa zwei solche Hüte?«

»Nein.«

»Also eine Verwechslung ist ausgeschlossen. Weißt Du genau, daß das Papier drin gewesen ist?«

»Natürlich.«

»Vielleicht hast Du es einmal heraus genommen und dann in Gedanken wo andershin versteckt. Denke nach!«

»Da giebts gar nichts nachzudenken. Ich versteckte es an keinem andern Ort.«

»Es kann aber doch nicht davon gelaufen sein!«

»Freilich nicht. Es ist – ist mir jedenfalls gestohlen worden!«

»Unsinn!«

»Ja, ja, gestohlen!« rief er aus.

»Siehst Du, daß ich Recht hatte! Es war nicht gut genug versteckt. Du hättest einen ganz andern Ort dazu wählen sollen.«

Er starrte noch immer ganz fassungslos in den leeren Hut.

»Wer – wer mag es haben?«

»Hm! Du mußt versuchen, den Dieb zu entdecken.«

»Natürlich! Das Ding kann ja nicht nur dem Baron, sondern auch mir gefährlich werden! Wenn es in falsche Hände geräth, so – –«

»Falsche Hände? Fällt keinem Menschen ein! Ich weiß, wer es hat. Es befindet sich in den richtigen Händen.«

»Wer solls haben?«

»Der Baron natürlich.«

»Wieso?«

»Denke einmal nach! Wann hast Du zum letzten Male darnach gesehen?«

»Gestern vor einer Woche.«

»Da war es noch vorhanden?«

»Ja.«

»Und seitdem ist der Baron hier gewesen.«

»Hm! Das giebt zu denken.«

»Ja. Er allein weiß, daß Du es hast?«

»Weiter Niemand.«

»So kann auch weiter Niemand darnach suchen. Er muß es gewesen sein.«

»Ah, da fällt mir Etwas ein!«

»Was?«

»Er hatte zwei Briefe geschrieben, welche mit dem nächsten Zuge fort sollten. Ich mußte sie darum nach dem Bahnhofsbriefkasten tragen.«

»Das erfordert wohl an die dreiviertel Stunden Zeit. Hattest Du hier zugeschlossen?«

»Nein.«

»Welch eine colossale Unvorsichtigkeit. Es ist ganz gewiß, daß er Dich bestohlen hat.«

»Donnerwetter! Das soll ihm schlecht bekommen!«

»Was willst Du machen! Aus unserer Ehe kann nun nichts werden.«

Sie stand von ihrem Sitze auf. Er erschrak über ihre Worte noch mehr als vorher über den Anblick des leeren Hutes.

»Nichts werden?« fragte er. »Warum?«

»Darum!«

»So sags doch!«

»Weil Du kein Geld bekommst.«

»Ah! So nimmst Du mich dieses Geldes wegen? Du liebst mich nicht?«

»Unsinn! Sei nicht dumm! Ich liebe Dich unsäglich, und ich weiß nicht, ob ich ohne Dich leben können werde; aber ich muß gar zu sehr auf meine Gesundheit halten. Deine stürmischen Umarmungen, Liebkosungen und Küsse bringen mich außer Athem. Ist das schon jetzt, wie soll es erst dann in der Ehe werden – –!«

»Donnerwetter! Stürmische Liebkosungen! Ich habe Dich zweimal geküßt. Was ist das weiter! Ein Anderer hätte fünfzig Küsse in ganz derselben Zeit verlangt!«

»Hilf Himmel! Mir wird ganz schwach schon, wenn ichs höre.«

»Und stürmisch! Ich habe gar nicht einmal gemerkt, daß so ein großer Orkan dabei geweht hätte. Ich bin sogar ganz zart und sanft verfahren.«

»Na, dann möchte ich wissen, wie es ist, wenn Du einmal nicht so sanft bist. Ich kann das nicht vertragen. Die Umarmungen sind mir einmal nicht angeboren; das muß doch schon meine Taille beweisen. Wenn ich einen Mann nehme, der mich immer so drückt und quetscht, so muß er wenigstens Geld genug haben, daß ich bequem leben und mich von solchen Zärtlichkeiten erholen kann.«

»Aber – Milka, nimm doch nur Verstand an! Zwei Küsse ist doch rein gar nichts! Wie können die so anstrengen! Uebrigens ists ja noch gar nicht gesagt, daß ich vom Baron kein Geld bekommen werde.«

»Der Revers ist doch fort.«

»Das schadet im Grunde genommen gar nichts, wenn er nur nicht in schlechte Hände gerathen ist.«

»Wieso?«

»Eigentlich war es ja Unsinn, daß ich den Baron zwang, mir seine Unterschrift zu geben. Ich verstand es damals noch nicht so wie heute. Wenn ich ihm Schaden machen will, so bedarf es dieses Reverses gar nicht. Ich zeige ihn eben an und beschwöre meine Aussagen.«

»Aber das Geld!«

»Wird er mir ganz gewiß geben, wenn ich ihm mit der Anzeige drohe.«

»Wirklich?«

»Ja. Auch den Revers giebt er wieder heraus. Das weiß ich ganz gewiß.«

»Du könntest Dich aber auch irren.«

»Nein. Siehst Du denn nicht ein, daß er uns lieber eine Ausstattung geben als sich von uns anzeigen lassen wird?«

»Hm! Ja. Recht kannst Du freilich haben!«

»Vollständig Recht.«

»Gut! So können wir uns also doch noch heirathen. Ich setze mich also wieder nieder.«

Sie setzte sich wieder so gewichtig auf das Bett, daß dieses noch ärger stöhnte als vorher.

»Du, nimm Dich in Acht!« warnte er abermals. »Wenn Du ruhig sitzest, so hält es Dich schon aus. Rankerst Du aber, so kann es einbrechen. Weißt Du, was ich machen werde?«

»Nun, was?«

»Ich fahre nach Wien.«

»Zum Baron?«

»Natürlich! Ich muß wissen, woran ich bin. Er muß mir Alles gestehen und den Revers herausgeben.«

»Das ist ein kluger Einfall. Ja, fahre nach Wien, und laß Dir gleich das Geld auszahlen. Nicht?«

»Ja. Wenn ich einmal dort bin, mache ich auch gleich reine Arbeit.«

»Wieviel wirst Du verlangen?«

»Das weiß ich noch nicht. Wieviel denkst Du, liebe Milka?«

»Zwanzigtausend Gulden.«

»Bist Du gescheidt! Das ist ja viel zu viel!«

»Na, es ist besser, man verlangt mehr als weniger. Herunter gehen kann man allemal. Verlange so viel, wie Du denkst. Aber es muß genug sein für uns. Ich will auch einmal als Dame leben. Ich bin eigentlich dazu geboren. Schon meine zarte Constitution weißt mich auf ein feines Leben hin, und sodann auch mein Name – Milka! Die Baronesse heißt Milda, und ich heiße Milka – –«

»Eigentlich Emilka, das ist Emilie.«

»Unsinn! Red nicht so dumm! Milka heiße ich, damit pasta. Das beweist, daß ich eigentlich ganz gleiche Ansprüche an das Leben stellen kann wie die Baronesse. Darum müssen wir uns auch in Beziehung auf unsere Verlobung nach den Regeln der besseren Gesellschaft richten. Du mußt Dir, da Du einmal nach Wien gehst, dort Verlobungskarten anfertigen lassen.«

»Wozu?«

»Dumme Frage! Zum Versenden.«

»An wen?«

»Mein Gott! Muß man denn Alles in dieser Weise deutlich machen. An die Verwandten und Bekannten.«

»Hm! Hast Du Verwandte?«

»Nein. Ich bin ein armes Waisenkind.«

»Ich auch. Hast Du Bekannte?«

»Die Dienerschaft hier.«

»Und denen willst Du die Karten schicken!«

»Natürlich! Auch muß es in die Zeitung kommen, grad so, wie es auf den Karten steht. Das fordre ich von Dir. Lieber heirathe ich sonst nicht!«

»Na, wenn Du in dieser Weise darauf bestehst, so soll es gemacht werden.«

»Gut! Wie lassen wir auf die Karten drucken?«

»Bestimme Du es.«

»Gut. Unsereins hat dafür mehr Zartgefühl. Ich denke, wir lassen drucken

Milka Radovec

und

– wie war gleich Dein Vorname?«

»Gottfried.«

»Pfui Teufel! Einen Gottfried mag ich nicht. Der greift meine Nerven zu sehr an. Das muß poetischer klingen. Sagen wir anstatt Gottfried lieber Fridi. Das ist derselbe Name, nur in verschönerter Form. Fridi klingt so zart, so duftig. Eigentlich müßte man sich unter Fridi einen ganz andern Kerl vorstellen als Dich; aber die Stunde des Schicksals hat uns vereint, und so will ich weder über den Gottfried, noch über Dich murren, und auf unsern Karten und im Blatte soll es heißen:

Milka Radovec

und

Fridi Hollaniz

sind als ewig Verlobte selig vereint.

Bist Du damit einverstanden?«

»Ists nicht zu – zu – zu – ich meine, ob die Leute nicht darüber lachen werden?«

»Unsinn! Red nicht so dumm! Besseren Ausdruck kann unser Glück gar nicht finden. Und damit Du siehst, daß diese Karten die Wahrheit sagen, so will ich ganz gegen meine Constitution und gegen meine zarten Nerven Dir zeigen, daß ich mich auch als Verlobte benehmen kann. Komm an mein Herz, süßer Fridi!«

Sie öffnete die Arme und that einen Schritt auf ihn zu. Er war einen Augenblick lang so erstaunt über dieses zärtliche Entgegenkommen, daß er zögerte, sich in ihre Arme zu werfen. Dann aber that er einen desto hastigeren Sprung auf sie zu.

Sie aber nahm ihm dieses, wenn auch noch so kurzes Zögern übel. Sie ließ die Arme sinken und trat zurück, zur Seite. Er verfehlte also sein Ziel, machte aber eine energische Schwankung und warf sich mit solcher Innigkeit auf sie, daß sie die Balance verlor.

»Um des Himmelswillen, bist Du toll!«

Sie wollte sich an ihm festhalten und er sich an ihr. Ihre corpulente Gestalt fand, wenn sie einmal aus dem Gleichgewichte gerathen war, dasselbe nicht sofort wieder. Der süße Fridi wollte sie fassen und fest halten, gab ihr aber im Gegentheil einen solchen Stoß, daß sie zum Fallen kam.

Im Falle klammerte sie sich an ihn. Er suchte, um sich nicht niederreißen zu lassen, mit der Hand nach einem Stützpunkte und ergriff. – das Rohr eines kleinen Windofens, welcher neben dem Bette stand. Dasselbe war sehr lang und war erst hoch oben unter der Decke durch die Mauer geführt Natürlich war es zu schwach, ihn und die dreifach schwere Milka zu halten – ein Krach, ein Klirren, zwei Schreie und Milka, Fridi und das ganz voll Ruß steckende Ofenrohr stürzten in das Bett. Eine schwarze Wolke erfüllte die Stube.

Diesem Attentate gegen seine Leistungsfähigkeit vermochte das Bett nicht zu widerstehen. Es krachte auseinander.

Der alte Sepp hatte, um besser athmen zu können, sich ganz bis hinüber an die Wand geschoben, von welcher das Bett etwa eine Viertelelle abstand. Daher kam es, daß er von dem gewaltsamen Zusammenbruche seines Betthimmels nicht so sehr betroffen wurde, als man hätte denken sollen. Während die beiden Andern sich schreiend und schimpfend zwischen den Trümmern der Lagerstatt herumwälzten und sich vergeblich bemühten, auf die Füße zu kommen, schleuderte er Alles, was auf ihm lag, von sich und auf sie, sprang auf und warf einen Blick auf die Scene.

Einer augenblicklichen Eingebung folgend und ohne einen Laut von sich zu geben, ergriff er den Windofen, hob ihn auf, und legte ihn auf den obersten Punkt des eingebrochenen Bettes. Der Ofen rollte tiefer über die Beiden hinweg und entledigte sich dabei seines ganzen Inhaltes an Ruß und Asche.

Das ging natürlich nicht ohne Stöße und Quetschungen ab. Der Hausmeister fluchte wie ein Landsknecht, und Milka schrie, zeterte und kreischte, als ob sie gepfählt worden sei. Beide konnten, da das Zimmer ganz mit Ruß- und Aschenwolken erfüllt war, den alten Sepp nicht sehen. Ihr Geschrei wurde gehört. Schritte nahten. Die Thür wurde aufgerissen. Die ganze Dienerschaft kam herbei. Die Leute blieben vor der offenen Thür stehen.

»Um Himmelswillen, was ist hier los?« fragte die Zofe, und die Andern riefen ähnliche Fragen durcheinander.

»Was soll los sein!« antwortete Sepp mit lauter Stimme. » Milka Radovec und Fridi Hollaniz sind hier als ewig Verlobte selig vereint!«

Diese Worte bewirkten, was alle Anstrengung bisher nicht zu Stande gebracht hatten: Der süße Fridi kam auf die Beine. Er turnte sich aus dem Wirrwarr heraus und rief:

»Wer war das? Wer hat da gesprochen?«

Durch die offene Thür hatte sich ein Theil der Rußwolke verzogen. Man konnte nun doch die einzelnen Gestalten erkennen.

»Ich bins, der da sprochen hat,« antwortete der Sepp.

»Wer? Der muß gelauscht haben. Den Kerl muß ich mir betrachten.«

Er wollte näher kommen, stürzte über ein Bettbrett, verwickelte sich dabei in die Gewichtsschnuren der alten Wanduhr, welche in der Schlafstube hing, riß diese so herab, daß sie seiner Milka an den Kopf flog, raffte sich aber doch glücklich auf.

Milka heulte förmlich wie eine Wölfin oder vielmehr wie ein verbissenes Klappenhorn. Fridi brüllte vor Wuth, die Andern lachten, schrieen und jubelten aus vollen Kehlen, als sie nun erst sahen, um welche Personen es sich hier handele.

Der Hausmeister ergriff den Sepp beim Kragen und schrie:

»Du bists, Du! Der Wurzelsepp! Was hast Du hier zu suchen!«

»Ganz dasselbige, was die Dicke da allhier zu suchen hat. Warum zerrst denn die Uhr herab? Kannsts wohl sonst nicht derkennen, wieviel es schlagen hat?«

»Ich kann es schon erkennen, und auch Du wirst gleich sehen, wieviel es schlügt. Da, Eins – Zwei – Dr – – –!«

Er holte aus und schlug auf den Alten ein, hatte sich aber in ihm verrechnet. Beim zweiten Hiebe schon hatte Sepp ihn am Halse gefaßt und gab ihm Maulschellen.

»Drei – vier – sechs – acht – zwölf! So viel hats schlagend Und wanns noch mehr schlagen soll, so kannsts auch haben, Du Hallodrio! Da, setz Dich wiederum eini in den Sallaten, dent Dir einbrockt hast! Wünsch feine Mahlzeiten.«

Er gab ihm einen Stoß, daß er wieder auf die Matratze zu sitzen kam.

»So!« rief er weiter. »Das habt Ihr von Eurem vielen Schmatzen! Da wird man vor Liebe dumm und vor Zärtlichkeit blind und geht endlich gar noch mit dem Windofen zu Bett. Nein, so was hab ich auch noch nicht derlebt! Und das will ein Hausmeistern sein!«

»Hund!« schrie der Genannte, sich wieder erhebend. »Ich frage, wann Du hereingekommen bist!«

»Viel eher noch als Du!«

»Ach! Welche Frechheit! Weshalb – – –?«

Er hielt inne. Er bemerkte jetzt den Hut, den Stock und den Rucksack des Alten, welche noch unter den Trümmern lagen.

»Er – hat – –« fuhr er fort – »hier unter dem Bette gesteckt!«

Da kreischte die Köchin vor Scham laut auf, that trotz ihrer Korpulenz einige Sprünge nach der Thür zu, warf die ihr im Wege Stehenden rechts und links zur Seite und entfloh.

Es ist nicht zu beschreiben, welch einen Anblick sie bot. Nicht besser sah der Hausmeister aus, und auch der Sepp sah einem Essenkehrer ähnlicher als einem Zuckerbäcker. Beide standen sich drohend gegenüber. Der Hausmeister schenkte jetzt dem Zustande seines Schlafzimmers und den andern Anwesenden keine Aufmerksamkeit. Er hatte es zunächst mit dem Sepp zu thun.

»Also unter meinem Bette hast Du gesteckt!« rief er keuchend. »Gestehst Du das ein?«

»Warum nicht?«

»Was hast Du darunter zu suchen?«

»Ich ging darunter, um Euch aufzulesen, wann Ihr zusammenstürzen thätet. Ich habs halt gar gut mit Euch meint.«

»Und vergriffen hast Du Dich an mir, an dem Bewohner dieses Zimmers. Das muß bestraft werden. Du hast bereits eingestanden, daß Du Dich vor mir hier einschlichen hast. Weshalb, he?«

»Ich hab halt mit Dir sprechen wollt.«

»Unterm Bette?«

»Auch da, wanns Dir dort passen thut!«

»Hört Ihrs, Ihr Leute! Dieser Kerl hat sich in meine Wohnung eingeschlichen während meiner Abwesenheit und sich da unter das Bette gesteckt. In welcher Absicht hat er das gethan? Stehlen hat er wollen, der Lump! Er hat das ganze Unheil angerichtet. Er muß sofort ausgesucht werden, damit wir erfahren, was er gestohlen hat. Laßt ihn nicht entkommen!«

Um dieser letzteren Aufforderung den gehörigen Nachdruck zu geben, stellte er sich selbst an die Thür, damit der alte Sepp sich ja nicht entfernen könne. Dieser aber lachte laut auf und sagte:

»Was soll ich sein? Ein Spitzbub soll ich sein? Stohlen soll ich haben? Was wirds hier bei Dir zu stehlen geben? Höchstens ein Paar zerrissene Strümpfen, ein altwaschenes blaues Schnupftucherl für zehn Kreuzern und ein Paar Körbe voll Aschen und Ofenruß. Wer sich dadran bereichern wollt, der müßt grad so ein dummer Kerlen sein wie Du selberst bist!«

»Hört Ihr es, wie er mich noch dazu beleidigt!« rief der Hausmeister. »Nazi, jetzt läufst Du so schnell wie möglich hinunter in die Stadt und holst die Polizei herbei! Er muß arretirt werden.«

Diese letzten Worte galten dem Pferdejungen, welcher sich mit unter den herbeigeeilten Neugierigen befand. Er gehorchte dem Befehle des Hausmeisters, welcher ja sein Vorgesetzter war, und eilte schnell davon.

»Jetzt springt er nach dera Polizeien!« lachte Sepp. »Na, das wird eine gar schöne Geschichten werden, wanns mich nachhero verarretiren. Da werd ich ein paar Jahren brummen dürfen bei Wasser und Brod, weil ich hier einibrochen bin und beim Diebstahl derwischt worden.«

»Lach nur!« antwortete der Hausmeister. »Später wird Dir die Lustigkeit schon vergehen. Ich bin vollkommen überzeugt, daß Du hier gestohlen hast und daß Du sogar mit dem gestrigen Spitzbuben verbündet bist.«

»So! Mit dem Herrn Hermann Arthur Willibold Keilberg? Das ist sehr gut! Das kann mich gefreun, daßt so ein gar kluger und gescheidter Criminalisten bist. Wann es so fort geht, werd ich bald gar noch ein berühmter Räuberhauptmann sein.«

»Das ist Alles möglich. Als Stromer und Landstreicher bist Du ja bereits bekannt.«

Da aber machte der Sepp ein sehr ernsthaftes Gesicht, trat einen Schritt auf ihn zu und sagte.

»Hör mal, Hausmeistern, mich zu verschimpfiren, ohne daßt auch dazu die Beweisen hast, das duld ich nicht. Wannst noch so ein Wörtle sagst, da lang ich Dir eine Ohrfeigen ins Gesicht, daßt denken sollst, Du hast drei Schock Igel verschluckt! Wann Einer selberst ein Spitzbub ist, so soll er sich wohl hüten, einen ehrlichen Kerlen zu beleidigen.«

»So! Wer ist denn ein Spitzbube? Etwa ich?«

»Ja, Du!«

»Ah! Kannst Du das beweisen?«

»Sehr leicht und sehr gut. Ich brauch dazu nur den Mund aufzumachen.«

»Nun, so thue es doch!«

»Jetzund fallt mir das gar nicht ein. Alles hat seine Zeit. Wart nur, bis die Polizeien kommt. Der werd ich den Verweis geben, aberst nicht Dir. Dann wird es sich auch finden, wer von uns Beiden Derjenige ist, welcher verarretirt werden muß.«

»Du wirst es sein. Du und kein Anderer. Ueberhaupt habe ich mit Dir nicht Brüderschaft gemacht. Ich verbitte mir also das Du! Verstanden!«

»So, das verbittest Dir also! Aber mich willst doch Du nennen? Schau, das gefallt mir gar sehr von Dir. Dera Mensch muß stolz sein auf Das, was er ist. Aber kannst mir vielleichten sagen, auf wast stolz sein willst?«

»Ich bin Hausmeister.«

»Hausmeister! Das ist freilich was gar sehr Großes. Ich werd Dich wohl beinahe Excellenzen nennen sollen. Hier in Deiner Kammer siehts auch ganz genau so aus wie bei einer Excellenzen. Da möcht man schon gar gleich die Pestillenz bekommen. Wanns nur die Leutln, welche da stehen, wüßten, wie das Alles zugangen ist. Es ist gar fein gewest. Ich werds ihnen verzählen.«

»Nichts hast Du zu erzählen! Das Maul hast Du zu halten! Du bist jetzt mein Gefangener und hast zu schweigen.«

»Ach so! Dein Gefangener bin ich! Nun möcht ich nur wissen, inwiefern. Wann ich nicht freiwillig hier bleiben will, so gehe ich fort, und ich will Denjenigen sehen, der mich festhalten wollt.«

»Ich, ich halte Dich!«

Er nahm eine drohende Stellung an. Der alte Sepp aber trat furchtlos auf ihn zu und sagte:

»Wirst Du mir gleich Platz machen, Du Leimpinsel Du, oder soll ich Dir da den Ofen um den Kopf schlagen, daßt denkst, es giebt ein Erdbeben in den Wolken! Kannsts sogleich bekommen.«

Er ergriff den kleinen, eisernen Windofen, welcher noch immer auf dem zusammengebrochenen Bette lag, hob ihn mit beiden Händen empor und that so, als ob er ihn dem Hausmeister an den Kopf werfen wolle. Der Genannte aber duckte sich sofort ängstlich nieder und huschte zur Seite, um nicht getroffen zu werden.

»Da sieht man den Muth!« höhnte der Sepp. »Kaum sagt man ein Wort, so verkriecht er sich. Und Dem sein Gefangener soll ich sein! Ich werd gleich mal außi spazieren. Paßt auf, Leutln, ob er mich festhalten mag!«

Er warf den Ofen in die Ecke, daß es krachte, und ging zur Thür hinaus.

»Haltet ihn doch auf!« schrie der Hausmeister.

Aber je lauter er schrie, desto weniger getraute er sich doch selbst an den alten, kampfeslustigen Mann. Und auch die Andern waren zur Seite getreten, um dem Sepp Platz zu machen.

Dieser blieb draußen stehen, lachte lustig auf und sagte:

»So, da habt Ihrs, was dera Kerl für ein gar großer Held ist. Aberst Ihr braucht halt gar keine Sorg zu haben. Ich thu Euch und ihm nicht ausreißen. Jetzund werd ich meinen Hut, meinen Stock und gar auch noch den Schnappsack hier im Stich lassen, um zu fliehen, wo mir doch kein Mensch was anhaben kann. Das fallt mir schon gar nicht ein. Aber reine machen muß ich mir den Sack und mich auch. Ich werd ihn ausschütteln und hernacherst in die Küchen gehen, um mir den Ruß und die Asch aus dem Gesicht zu waschen.«

Er holte sich die drei genannten Gegenstände und ging vor das Portal, um den Sack, den Hut und seine alte Lodenjacke auszuschütteln. Sodann begab er sich nach der Küche, indessen die Andern sich das Begebniß von dem Hansmeister erzählen ließen.

Er that dies natürlich nach seiner Weise, so daß er nicht blamirt war. Mit der Wahrheit wurde es dabei natürlich ganz und gar nicht genau genommen.

Der Sepp hatte die Küche leer gefunden. Er goß sich Wasser in ein Waschbecken, suchte sich ein Stück Seife und begann sodann, sich das Gesicht gehörig abzurumpeln.

Er war noch bei dieser Beschäftigung, als die dicke Köchin zurückkam. Sic hatte sich in ihrer Kammer von den Spuren des Schiffbruches gereinigt. Als sie den Sepp erblickte, fuhr sie zornig auf ihn zu und schrie ihn an:

»Was machst Du denn da! Gehörst Du etwa hierher in die Küche!«

»Und gehörst Du etwa in die Schlafstuben des Hausmeisters?« antwortete er ihr. »Ein Jeder geht mal dorthin, wo er nicht hin gehört. Darum kannst mich hier lassen. Ich will mir nur den Ruß ein Wengerl herabwaschen.«

»Das kannst Du auch wo anders thun. In der Küche ist mein Platz, aber nicht der Deinige. Hinaus mit Dir!«

In ihrem Zorne wagte sie es, ihn am Arme anzufassen. Da aber kam sie an den Richtigen. Er ergriff das Waschbecken, und schleuderte ihr das ganze in demselben befindliche Wasser ins Gesicht.

Sie schrie und kreischte laut auf.

»Herrjesies!« rief er in sehr gut gespielter Bestürzung. »Was ist denn das? Hier hats wahrhaftig einen ganz richtigen Wolkenbruch geben. Reiß aus, Dicke, sonst kommt gleich noch einer!«

Er ergriff eine volle Wasserkanne und schwenkte sie gegen die Köchin. Diese aber wartete den zweiten Guß nicht ab, sondern fuhr wie aus einer Pistole geschossen zur Thür hinaus.

Draußen rannte sie an den Kammerdiener. Man hatte ihren Schrei gehört, und Alle kamen herbei geeilt, um nach der Ursache desselben zu sehen. Da sie mit aller Gewalt an den Kammerdiener stieß, so wurde dieser gegen die Zofe geschleudert. Diese rannte rückwärts an den Hausmeister, welchen sie umriß. Beide fuhren dabei an den Lakai. Dieser machte einen gewaltigen Satz zur Seite und sprang an den Stallburschen, welcher soeben mit zwei Polizisten kam und sehr schnell die Freitreppe heraufgesprungen war. So rannte Eines das Andere über den Haufen. Alle schrieen und zeterten, fluchten und kreischten so laut wie möglich. Und der Sepp stand unter der Küchenthür, mit der Wasserkanne in der Hand, triefenden Haares und das Gesicht noch vom Waschen her voller Seifenschaum und lachte, wie er in seinem ganzen Leben noch nicht gelacht hatte.

Die Polizisten wußten nicht, woran sie waren. Sie eilten die Stufen herauf, und Einer fragte:

»Um Gotteswillen, was ist denn hier los? Was geht hier vor?«

»Kegelschieben giebts hier,« antwortete Sepp. »Da liegen sie halt, alle Neun. Dera Herr Hausmeister Excellenzen als König mitten unter ihnen.«

»Wer hat das angerichtet?«

»Die dicke Muschel da, welche am meisten schreit. Sie hat Alle über den Haufen rannt. O Jerum Je, ist das ein Gaudium und eine Passion! Ich könnt vor Vergnügen und Pläsir gleich Seiltänzer werden. Steht doch aufi, Ihr Hallodrians! Was sollen denn die Herren Schandarmen von Euch denken. In einer solchen Stellung darf man sich doch nicht von dera Polizeien sehen lassen!«

Jetzt wickelte sich der Knäuel auseinander. Der Hausmeister und die Köchin konnten sich vor Zorn nicht beherrschen. Die Andern nahmen die Sache von der lustigen Seite und lachten mit.

»Gut, daß Sie kommen!« rief der Erstere. »Dem Kerl muß das Handwerk gründlich gelegt werden!«

»Welchem Kerl?« fragte der Polizist.

»Dem da,« antwortete er, auf den Sepp zeigend. Wegen ihm habe ich Sie holen lassen.«

»Das sagte Ihr Stallbursche. Aber das ist ja der Wurzelsepp. Was soll der denn gethan haben?«

»Gestohlen hat er!«

»Was? Gestohlen? Der? Das glaube ich auf keinen Fall.«

»Und doch! Eingebrochen ist er bei mir.«

»So! Ist das wahr, Sepp?«

»Nein, ist es eine Lügen,« antwortete der Alte. »Einbrochen soll ich sein? Nein, sondern er selbst ist einbrochen mit dera Dicken hier, im Bett, daß Alles kracht hat und zerbrochen ist. Er ists gewest, nicht ich.«

»Hallunke! Willst Du Dich etwa noch über uns lustig machen!« schrie der Hausmeister.

»Jetzund ist die Polizeien da. Da hat er Muth bekommen. Aberst ich werd ihm dennoch den Ofen ins Gesicht werfen, wann er mich nochmal einen Hallunken nennt. Das brauch ich mir nicht von ihm gefallen zu lassen.«

»Bitte, Sepp,« meinte der Polizist in begütigendem Tone. »Mit Oefens wollen wir doch nicht hier herumwerfen. Also, Herr Hausmeister, sagen Sie zunächst, was hier geschehen ist.«

»Das sollen Sie gleich erfahren. Kommen Sie nur mit nach meiner Loge. Da werden Sie Ihr blaues Wunder sehen.«

»Na, blau ists nicht, sondern schwarz vom Ruß und grau von dera Aschen,« fiel der Sepp ein. »Ja, gehens nur mit. Die Erklärung wird dann folgen. Was dera Eine nicht weiß, das weiß dera Andere.«

Sie gingen nach der Hausmeisterloge hinüber. Die Köchin wollte aus naheliegenden Gründen sich unsichtbar machen; aber der Sepp ergriff sie beim Kleide und sagte:

»Halt, Muschel! Du gehst auch mit. Grad Deine Aussag ist von großer Wichtigkeit dabei.«

Er zog sie mit sich fort, und als sie sich losreißen wollte, faßte er sie von hinten und schob sie kräftig vor sich her.

Die Polizisten wunderten sich nicht wenig, als sie die Zerstörung bemerkten, welche im Schlafzimmer vor sich gegangen war. Der Eine von ihnen, welcher das Wort führte, sagte kopfschüttelnd:

»Das sieht ja grad so aus, als ob hier ein Erdbeben stattgefunden hätte. Wie ist denn das geschehen?«

»Ja, gebebt hat es,« meinte der Sepp. »Dera Herr excellenzige Hausmeistern wird es Ihnen verzählen.«

»Schön! Also sprechen Sie!«

Diese Aufforderung erging an den Hausmeister, und dieser kam ihr folgendermaßen nach:

»Ich war draußen im Garten, um nach den Blumen zu sehen. Das gnädige Fräulein ist verreist, und ich wollte dafür sorgen, daß sie einen Strauß erhält, wenn sie heute Abend zurückkehrt. Sie liebt das sehr. Als ich wieder herein kam, traf ich die Köchin, und da ich in Beziehung auf ein Küchenarrangement mit ihr zu sprechen hatte, so forderte ich sie auf, mit in meine Loge zu kommen. Ich hatte ein Papier da aus dieser Stube zu holen. Sie trat mit herein. Da bemerkten wir, daß ein Kerl sich unter das Bett versteckt hatte. Ich befahl ihm, heraus zu kommen, und da er nicht gehorchte, zog ich ihn mit Gewalt hervor. Dabei entstand, da er sich aus Leibeskräften wehrte, ein sehr ernsthaftes Ringen. Der Kerl warf mir sogar den Ofen um. Ich bewältigte ihn schließlich, indem es mir gelang, ihn auf das Bett zu werfen. Dabei riß er aber mich und auch die Köchin, welche vor Schreck ganz starr war, so daß sie das Fliehen vergaß, mit sich nieder. Das Bett war alt. Es konnte der Last nicht widerstehen und brach zusammen. Dabei entstand natürlich ein Lärm, welcher fast alle Bewohner des Schlosses herbei rief.«

»So! Und wer war denn dieser Kerl?«

»Hier, der sogenannte Wurzelsepp.«

»Was! Wirklich?«

»Ja. Er kann es gar nicht leugnen. Sämmtliche Leute haben ihn hier mit erwischt.«

»Sepp ist das wahr?«

»Ja,« nickte der Alte sehr ernsthaft. »Derwischt bin ich worden.«

»Du hast wirklich unter dem Bette gesteckt?«

»Ja. Schöner freilich wärs gewest, wann das Bett unter mir gelegen hätte.«

»So hast Du Dich hier eingeschlichen?«

»Ja, ganz heimlich.«

»Sepp, Sepp! Wer hätte Dir so Etwas zugetraut! Du bist doch allüberall als ein höchst grundehrlicher Kerl bekannt.«

»Ja, fast hätt ichs mir selber auch nicht zugetraut. Da habens schon Recht.«

»Weshalb hast Du Dich denn eigentlich hier hereingeschlichen?«

»Natürlich nur, um zu stehlen!« fiel der Hausmeister ein.

»Das kann ich nicht glauben,« meinte der Polizeibeamte.

»Ich bitte sie, ihn auszusuchen!«

»Das ist nicht nöthig!« sagte der Alte. »Ich gestehe die Wahrheit ganz freiwillig.«

»Nun, also, wenn das ist, Sepp, so sage uns, was Du hier beabsichtigt hast!«

»Dera Excellenzen Herr Hausmeistern hat ganz Recht. Mausen hab ich wollt.«

»Donnerwetter, Sepp, ich werde ganz an Dir irre!«

»Ich auch selberst.«

»Was hast Du denn stehlen wollen?«

»Das sag ich freilich nicht.«

»So muß ich Dich aussuchen.«

»Das laß ich mir nicht gefallen.«

»Willst Du Dich etwa wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt bestrafen lassen?«

»Nein, bestrafen lasse ich mich nicht. Da wehre ich mich meiner Haut.«

»Mann, Du wirst mir wirklich ganz und gar unbegreiflich. Du hast versucht, zu stehlen! Wer hätte das gedacht!«

»Versucht? O nein. Ich habs nicht blos versucht, sondern ich habs auch wirklich than.«

»Was! Es ist nicht nur beim Versuch geblieben? Du hast die That auch wirklich ausgeführt?«

»Ja.«

»Und Dich dabei ergreifen lassen!«

»Es ging halt nicht anderst. Eben als ich fertig war, da kam dera Excellenzen hier mit dera dicken Muschel, und ich hatt grad noch Zeit, unters Bett zu kriechen.«

»Und was hast Du denn gestohlen?«

»Ich habs bereits sagt, daß ich das jetzunder noch nicht sagen werd.«

»So muß ich Dich arretiren.«

»Das duld ich nicht.«

»Im Gefängnisse wird man Dich aussuchen und das Object des Diebstahls, das Corpus delicti bei Dir finden.«

»Ich hab kein Object und auch keinen Korbus infecti. Ich zeig nix her und laß mich auch nicht verarretiren.«

»So wenden wir Gewalt an. Wir fesseln Dich, und Deine Strafe wird wegen Deines Widerstandes eine härtere.«

»Ich laß mich aberst nicht fesseln und leiste auch keinen Widerstand.«

»Der Polizist sah dem Alten ganz erstaunt in das Gesicht. Er sagte: –

»Sepp, Du weißt doch jedenfalls gar nicht, was Du sprichst?«

»O, ich weiß es ganz genau.«

»Du willst keinen Widerstand leisten und Dich auch nicht fesseln lassen. Das ist doch der offenbare Widerspruch.«

»Nein, es ist kein Widerspruch. Kommens doch mal mitnander her zum Fenstera. Da will ich Ihnen mal was zeigen, was die Andern nicht zu sehen brauchen!«

Er trat zum Fenster, und die Polizisten folgten ihm. Er stellte sich so, daß nur sie sehen konnten, was er that. Er zog einen runden, blinkenden Gegenstand aus der Westentasche und zeigte ihnen denselben.

Beide machten ganz erstaunte Gesichter. Der Eine flüsterte ihm zu:

»Sepp, ists möglich? Eine Legitimationsmedaille. Bist Du Geheimpolizist?«

»Auch!«

»Oder bist Du durch Zufall zu dieser Marke gekommen? Hast Du sie vielleicht irgendwo gefunden?«

»Fallt mir nicht eini! Da hätt ich sie doch abgeben mußt.«

»Aber weißt Du, wir sind nicht gehalten, es Dir zu glauben.«

»Das weiß ich freilich gar wohl. Es ist mir auch bereits passirt, daß man es mir nicht hat glauben wollt. Aberst da hab ich noch was ganz Anderes als Legitimation!«

Er zog seine alte Brieftasche hervor und gab ein zusammengebrochenes Document hin, welches die kurzen Worte enthielt:

»Inhaber dieses, der Handelsmann Josef Brendel, genannt der Wurzelsepp, befindet sich rechtmäßiger Weise im Besitze der von ihm gelegentlich vorgezeigten Detective-Medaille, und find alle Behörden des In- und Auslandes hiermit, gebeten, ihm in seinen amtlichen Bemühungen den gewünschten Vorschub zu leisten.«

Unter diesen Zeilen folgte das Datum und die Unterschrift nebst Stempel einer so hohen Behörde, daß die beiden Polizisten Augen machten, wie sie solche wohl nur äußerst selten gezeigt hatten.

»Nun?« lachte der Sepp. »Glaubt Ihr es mir jetzunder?«

»Ja, nun sind wir freilich in völligster Gewißheit.«

»Schauts, daß ich keine Angst zu haben braucht hab! Wollt Ihr mich auch jetzt noch verarretiren?«

»Nein. Davon kann keine Rede mehr sein.«

»Oder mich fesseln?«

»Vollends gar nicht.«

»Nun, so werdet Ihr mich wenigstens doch durchsuchen wollen?«

»Das ist uns auch verboten.«

»Nun, weil Ihr jetzunder einen so großen Verstand zeigen thut, so will auch ich Euch eine Gefälligkeiten derweisen. Ihr seid halt kommen, um Einen zu verarretiren. Mich bekommt Ihr nicht; aberst damit Ihr Euch den Weg nicht umsonst macht habt, so sollt Ihr einen Andern ins Gefängniß schaffen. Nehmt Euch also Den da mit!«

Er zeigte auf den Hausmeister. Der letzte Theil der Unterhaltung war wieder laut geführt worden, so daß die Andern Alles gehört hatten.

Der Hausmeister stieß einen Ruf des Zornes aus und sagte:

»Was? Ich soll arretirt werden? Ich, der ich jedenfalls der Bestohlene bin!«

»Ja, Du!« antwortete der Sepp. »Du bist dera Bestohlene aberst auch dera Spitzbub.«

»Beweise das, Kerl!«

»Höre, wannst mich noch einmal einen Kerlen nennst, so streichle ich Dir die Backen, daßt denken sollst. Du bist zwischen ein paar Windmühlenflügel gerathen. Du hast gemaust, so lange Du lebst. Und erst heut wieder hast stohlen.«

»Was denn, he?«

»Das wird sich finden. Aberst Du bist nicht nur ein Dieb, sondern ein Fälscher und ein Mörder.«

»Himmeldonnerwetter! Wer kann so eine Schlechtigkeit behaupten?«

»Ich, dera Wurzelsepp.«

»Beweise es.«

»Nun, hast etwa nicht die Handschrift des Herrn von Sandau nachgemacht?«

Der Hausmeister erschrak so, daß er für den Augenblick keine Antwort fand. Der Sepp fuhr fort:

»Hast nicht auch das Testament gefälscht und das richtige dera alten Tante stohlen, he?«

Jetzt stieß der Angeschuldigte in erkünsteltem Zorne hervor:

»Alle Teufel! Ich glaube, Du bist verrückt geworden!«

Aber der Sepp blieb unbeirrt. Er fragte weiter:

»Hast nicht auch die Loose gefälscht, so daß dera Herr von Schöne sich hat wegen des amerikanischen Duelles tödten müssen?«

»Ich weiß kein Wort davon!«

»So! Und hast nicht auch mit dem Beile die Stufen halb weggehauen, so daß dera Herr von Selbmann vom Fels herabstürzt ist in den Abgrund?«

»Ich verstehe Dich ja gar nicht.«

»So! Da kennst wohl auch dieses Papier nicht, welches Du einen Revers nannt hast?«

Er zog das betreffende Schreiben des Barones hervor und zeigte es ihm, aber nur von Weitem. Der Hausmeister that einen schnellen Sprung vorwärts, um es ihm zu entreißen; aber der schlaue Alte war vorsichtig. Er wich zurück und gab ihm mit der freien Hand einen Stoß, daß er an die Wand taumelte.

»Nun, was sagst jetzt dazu?« fragte er.

»Daß Du ein Dieb bist. Du hast mir dieses Papier gestohlen!«

»Ja, ich habs stohlen, und zwar aus dem Bonapartenhut. Willsts wieder haben?«

»Ja. Ich muß es wieder bekommen, und zwar augenblicklich. Es ist mein Eigenthum!«

»Jetzunder ists das meinige Eigenthum, mein lieber Excellenz! Da mag dera Richter mal hineini blicken, um zu sehen, wast für ein sauberer Patron bist.«

»Wer soll es sehen? Der Richter? Niemand darf es sehen. Es ist mein Privateigenthum. Also her damit!«

Er trat wieder auf Sepp zu und streckte die Hand aus, um es ihm zu entreißen. Der Alte aber steckte es schnell in die Tasche und sagte :

»Weißt, so ein Eigenthum kann zuweilen dem Besitzer gefährlich werden. Du wolltest den Baron damit in Schaden bringen. Nun aber richtet sich das Messer, welches Du bereits scharf schliffen hattest, gegen Dich selberst.«

»Wer sagt, daß ich ihn habe in Schaden bringen wollen?«

»Ich sag es, und was ich sag, das weiß ich auch.«

»Das ist eine Lüge!«

»Hör mal, wannst von Lügen redest, so fang nur bei Dir selberst an! Du bists, der die Unwahrheit sagt hat. Deine ganze Verzählung vorhin war falsch. Du hast denen Herren Polizisten vorhin eine ganze Reihe von Lügen hersagt.«

»Oho! Ich habe die Wahrheit gesprochen.«

»So! Bist also wirklich im Garten gewest, um Blumen zu holen?«

»Ja.«

»Wo hast sie denn? Zeigs doch mal her!«

Der Gefragte schwieg: darum fuhr der alte Sepp fort:

»Und woher willst denn wissen, daß das gnädige Fräulein heut Abend wieder zurückkommt?«

»Sie selbst hat es gesagt.«

»Ach so! Sie kann aberst doch gar nicht wieder da sein heut Abend, da sie erst ganz spät am Nachmittage hinkommt. Das weiß sie ganz genau. Du hast also Lügen macht. Und auch daß ist nicht wahr, daßt die dicke Köchin troffen haben willst, als Du aus dem Garten zurückkommen bist.«

»O ja! Das ist wahr!«

»So! Hast sie nicht bereits draußen im Garten troffen?«

»Nein.«

»Hast nicht mit ihr in dera Lauben sessen und sie schmatzt und umärmelt?«

»Nein.«

»Auch nicht mit nander gessen habt Ihr draußen im Garten?«

»Ist uns nicht eingefallen.«

Der Hausmeister konnte trotz dieser Versicherung seine Verlegenheit nicht verbergen.

»Und auch nicht Schampagner habt Ihr da trunken?«

»Nein.«

»Vier volle Flaschen?«

»Wo sollen wir den Champagner her haben?«

»Gemaust hast ihn aus dem Keller!«

»Ich kann ja gar nicht in den Keller!«

»Hasts aber doch dera Köchin sagt, daßt ihn stohlen hast und daßt den Schlüssel wegsteckt hast!«

»Das ist eine Lüge!«

»So! Werden gleich mal sehen.«

Und sich an die Köchin wendend, sagte er in strengstem Tone:

»Höre, als Ihr in dera Lauben sessen habt und von Eurer Hochzeit sprochen, hab ich hinter derselbigen im Grase sessen und Alles sehen und hört, was Ihr macht habt. Wannst Lügen machst, so laß ich Dich sofort verarretiren. Wannsts aber einstehest, so kannst noch gut wegkommen. Also sag, habt Ihr Schampagner trunken?«

»Nein.«

»Gut! So wirst mit einisteckt, und da könnt Ihr Eure Hochzeit im Gefängniß halten. Du bist selberst schuld daran. Und nun sag mal, Herr Hausmeister Excellenzen, was Ihr da draußen mit nander sprochen habt? Ists nicht von dem Revers gewest, den ich einistecken Hab?«

»Nein.«

»Und von dem, was früher geschehen ist? Daßt gar so schöne Schriften nachmalen kannst?«

»Auch nicht.«

»Nun, wannst jetzt nichts sagst, so wollen wir Dich später schon zum Geständniß bringen. Vorhin hast mich visitiren lassen wollt. Jetzt nun laß ich Dich aussuchen. Die Herren Polizisten mögen mal in Deine Taschen greifen, ob darinnen dera Kellerschlüssel steckt.«

Der Hausmeister wollte sich das nicht gefallen lassen; aber er wurde gezwungen. Er hatte den Schlüssel einstecken. Dann wurde in der Laube nachgesucht. Die vier leeren Weinflaschen standen noch draußen unter der Bank. Er konnte nicht mehr leugnen.

»So, jetzt werdet Ihr verarretirt,« sagte der Sepp.

»Oho!« rief der Weindieb. »Hast Du etwa darüber zu bestimmen?«

»Jawohl!«

»Ich habe Champagner getrunken, ja; aber er gehörte mir!«

»Das wirst im Gericht nachweisen müssen. Vielleicht bekommst dort auch die zwanzigtausend Gulden, welche Deine dicke Braut zur Hochzeit haben wollt. Sie will die Madame spielen, weil sie den schönen Namen und auch die Gestalt dazu hat. Ja! Aberst das Geschick fehlt ihr dazu. Sie weiß ja nicht mal, was es zu bedeuten hat, wann ein Nieserich unter ihrem Bette losgelassen wird. Schafft die Beiden fort!«

Diese Aufforderung war an die Polizisten gerichtet, welche dann auch wenig Federlesens machten und die Brautleute bedeuteten, ihnen sofort zu folgen.

Beide erkannten nun, daß ihr eigener Spieß gegen sie selbst gerichtet worden war. Die Köchin begann zu heulen und machte dem Hausmeister die bittersten Vorwürfe.

»Das hab ich davon, daß ich Dir getraut habe!« sagte sie. »Jetzt soll ich Deinetwegen arretirt werden. Du wärst ein Mann für mich! Ich sage mich von Dir los!«

Er starrte finster vor sich hin und richtete sich dann an die Polizisten:

»Ich verlange, ehe ich mitgehe, das Papier heraus, welches der Sepp mir gestohlen hat.«

»Stohlen ists nicht worden, sondern nur confiscirt,« antwortete ihm der Sepp. »Du wirst später schon wieder zu sehen bekommen.«

»Es kann mir nichts schaden. Die Sache ist längst verjährt!«

»Das mag untersucht werden.«

»Aber ich brauche mich wegen einer verjährten Angelegenheit nicht arretiren zu lassen!«

»Der Champagner ist noch nicht verjährt. Wegen dem werdet Ihr einisteckt, und das Uebrige wird sich finden. Also schafft diese Beiden fort. Ich werde selberst auf das Gericht kommen und sagen, was ich zu sagen habe. Einstweilen werden sie wegen des gestohlenen Weines gefangen gehalten.«

Die Beiden mochten sich sträuben, wie sie wollten, sie wurden abgeführt. Sie fanden kein Mitleid bei der übrigen Dienerschaft. Besonders der Hausmeister hatte sich keiner Beliebtheit zu erfreuen gehabt.

Der alte Sepp war durch dieses Vorkommniß plötzlich sehr in der Achtung der Leute gestiegen. Er benutzte dies, indem er sie in strengem Tone bedeutete:

»Jetzund nun ist keine Herrschaft da, und Ihr seid allein. Morgen wird wohl die gnädige Baronessen zurückkehren. Sorgt dafür, daß bis dahin Alles in guter Ordnung bleibt, sonst drehe ich Euch Allen die Hälse um, Ihr Himmelsakkermenter!«

Er stülpte den Hut auf, warf den Rucksack über, ergriff den Stock und ging. Sie lachten ihm ein freundliches Lebewohl zu, denn sie wußten recht gut, daß seine Drohung nicht so gemeint sei, wie sie geklungen hatte.

Sepp wußte recht gut, was er zu thun hatte. Er ging direct vom Schlosse weg zu dem Advocaten des Städtchens, welcher zugleich Notar war. Dort wurde er bedeutet, daß jetzt noch keine Sprechstunde sei.

»Geht mich nix an!« sagte er. »Ich komm nicht in die Sprechstunde, sondern zum Herrn Advocaten.«

»Der ist noch in seiner Privatwohnung.«

»So! Wo ist denn die?«

»Drüben im andern Zimmer.«

»Na, das ist doch nicht in Amerika! Da kann man ja nübergehen.«

Er wollte fort; aber der Expedient, welcher ihn nicht kannte und in Folge seiner Kleidung für einen halben Lumpen hielt, faßte ihn am Arme und sagte:

»Halt, mein Guter! So schnell geht das nicht. Wer mit dem Herrn Notar sprechen will, der muß angemeldet werden.«

»Das weiß ich auch, und darum will ich mich gleich selberst anmelden.«

»Ists denn gar so nothwendig?«

»Sehr.«

»Sie sehen mir aber gar nicht so aus, als ob es sich um etwas so Wichtiges handle!«

»Ja, und Du schaust auch nicht darnach aus, als ob man mit Dir was Wichtiges bereden könnt. Jetzt gehst also gleich hinüber zum Herrn Notar und sagst demselbigen, daß dera Wurzelsepp da sei, um mit ihm zu sprechen. Sag aber auch, daß ich keine Zeit Hab. Und nun lauf schnell, sonst mach ich Dir Dampf in die Beine, daßt pfeifst und puffst wie eine Locomotiven!«

Das war in einem solchen Tone gesprochen, daß der Expedient sich wirklich beeilte. Er ging zu seinem Prinzipale, welcher eben beim Kaffee saß und meldete:

»Herr Notar, es ist ein Kerl drüben, welcher sich nicht fortweisen läßt. Er sieht wie ein Vagabund aus und sagt, er habe ganz nothwendig mit Ihnen zu sprechen.«

»Wie nennt er sich?«

»Wurzelsepp.«

»Du, der ist kein Vagabund. Für den bin ich zu jeder Zeit, sogar des Nachts zu sprechen. Schicke ihn herüber; ich bin hier allein.«

Jetzt betrachtete der Mann sich den Alten mit ganz andern Augen. Er sagte ihm, daß der Herr ihn erwarte. Als der Sepp dort eintrat, zeigte der Advocat auf einen Stuhl und sagte: »Setze Dich, Sepp! Was bringst Du?«

»Fast hab ich zum Setzen keine Zeit. Ich muß schnell verreisen. Ziehens sich also schleunigst an, Herr Advocaten, denn Sie müssen halt mit.«

»Wohin?«

»Nach Wien.«

»Bist Du des Teufels!«

»Nein, sondern aber Eile hab ich. In drei Viertelstunden geht dera Zug ab.«

»Ich habe aber keine Zeit. Ich bin ungeheuer beschäftigt!«

»Ich auch. Darum passen wir zusammen. Lassen Sie hier Alles liegen. Sie sollen mit nach Wien um als Notar ein Geständniß eines Mörders aufzunehmen, damit es vor Gericht seine Giltigkeit habe.«

»Redest Du im Ernste?«

»Freilich.«

»Kannst Du Dich denn nicht an einen dortigen Notar wenden.«

»Ja, aberst das möcht ich nicht gern, weil es sich um die gnädige Baronesse handelt. Ihr Vater ist nämlich der Mörder.«

Da sprang der Advocat vom Stuhle auf und blickte ihm ungläubig ins Gesicht.

»Ja ja!« nickte Sepp. »Sie ist vorhin fort, um ihm die Strafpredigt zu halten, und ich muß aber auch dabei sein. Darum muß ich gleich mit dem nächsten Zuge fort. Die Baronessen hats sich nicht überlegt, daß sie mit ihrem Zuge erst nach Prag muß, und nachhero geht er über Brünn nach Wien. Der nächste Zug aber geht über Pilsen direct nach Wien, und so werden wir noch eher dort sein als sie.«

»Aber, Sepp, ich begreife das nicht. Willst Du mir denn nicht erst die nöthigen Mittheilungen machen?«

»Dazu hab ich halt jetzt keine Zeit, oder vielmehr Sie haben keine. Ziehens sich nur rasch an, damit wir den Zug nicht versäumen. Ich lauf indessen nach dem Bahnhofen und lös die Billeten.«

»Gut! Aber zweiter Classe!«

»Weil ich keinen Frack anhab? Nein, ich nehm erster Classe. Wann ich mit so einem Herrn fahr, wie Sie sind, so laß ich schon gern ein Geldl springen.«

»Weißt Du, wann wir zurückkehren werden? Ich muß mich darnach einrichten.«

»Schon morgen, wie ich hoffe. Nehmens aber Ihren Notariatsstempel mit und was Alles zu einem Protocollen gehört, damit nix versäumt wird. Unterwegs werd ich Ihnen so viel derzählen, daß Sie wissen, um was es sich handelt.«

Er ging fort, um die Billets zu besorgen. Der Rechtsanwalt traf zur rechten Zeit ein, und nun dampften sie ab nach Wien. Der Sepp hatte durch ein gutes Trinkgeld an den Schaffner dafür gesorgt, daß sie das Coupee allein behielten und also ungestört mit einander verhandeln konnten.

Der Notar erstaunte nicht wenig über das, was er hörte. Als der Sepp mit seinem Berichte zu Ende war, fragte er:

»So! Nun wissens halt Alles, was Sie wissen müssen. Was sagens dazu?«

»Zunächst muß ich sagen, daß ich Dir sehr dankbar bin, daß Du Dich in dieser Angelegenheit an mich gewendet hast. Sie wird mir voraussichtlich von großem Nutzen sein.«

»Das hab ich wußt. Warum sollt ich zu einem Andern gehen? Ich weiß nicht mal, ob ich in Wien Zeit hab, einen Notar zu suchen und zu unterrichten. Und mit Ihnen hab ich bereits zu viel zu thun habt und kenne Sie so genau, daß es am Besten war, mich an Sie zu wenden. Nun sagens aberst auch, was Sie rathen!«

»Hm! Ehe ich einen Rath ertheilen kann, muß ich erst wissen, was die Baronesse eigentlich beabsichtigt.«

»Ja, das weiß ich auch nicht genau. Ich hab mit ihr nicht sprechen konnt, bevor sie abreist ist.«

»Wenigstens müßte man wissen, wie sie über ihren Vater denkt.«

»Sie wird Gerechtigkeit von ihm verlangen.«

»Aber ihn doch schonen.«

»So weit es geht, ohne Andern zu schaden, ja. Meinens, daß dera Baron noch bestraft werden kann?«

»Nein, denn die Verjährung ist eingetreten.«

»Aberst in Haft kann er nommen werden?«

»Ja. Er kann so lange inhaftirt werden, bis die nöthigen Schritte gethan sind, die Unschuld jenes Herrn von Sandau zu beweisen. Dann freilich wird man ihn wieder entlassen müssen.«

»Und worin wird dieser Beweis bestehen?«

»Er wird criminaliter vorgenommen und verhört. Es wird ihm ein Geständniß abgezwungen.«

»Aber wann er nicht gesteht?«

»O, es sind ja zwei Zeugen da, der Hausmeister und jener Keilberg.«

»Vielleicht leugnet er dennoch.«

»So wird das Urtheil aus Indicien gefolgert. Wie die Sachen stehen, muß er unbedingt überführt werden.«

»Hm! Und sodann muß man ihn wieder frei lassen. Ich habe mir denkt, daß es viel besser sei, man nimmt ihn gar nicht gefangen und bringt ihn dazu, freiwillig ein Geständniß abzulegen.«

»Wie wolltest Du das anfangen?«

»Das wird dera Wurzelsepp schon fertig bringen. Da habens nur keine Angst. Sie haben nur dafür zu sorgen, daß Sie gleich da sind, um das Geständniß zu Protocoll zu nehmen und die Wahrheit desselben als Notar zu bescheinigen.«

»Es sollte mich aber wundern, wenn er sich zu einem Geständnisse bewegen ließe.«

»So! Warum?«

»Selbst wenn er nicht gerichtlich eingezogen wird, muß doch unbedingt Sandau's Unschuld klar gestellt und rehabilitirt werden. Das hat öffentlich zu geschehen. Dadurch aber wird der Baron moralisch und gesellschaftlich todt gemacht.«

»Das hat er verdient und außerdem noch viel mehr. Seine Tochter wird wohl sein Leben schonen wollen, sonst aberst wird sie in vollem Umfange ihre Pflicht thun, ohne darnach zu fragen, ob und daß er ihr Vater ist. Wann wir mit ihr zusammentreffen, werden wir ja hören, was sie beschlossen hat.«

Der alte Wurzelhändler hätte sich doch geirrt, als er gemeint hatte, daß die Baronesse über Prag und Brünn fahren werde. Es war gleich nach ihrer Ankunft in Prag ein Zug der Franz-Josefs-Bahn abgegangen, welchen sie benutzt hatte. Dieser Zug aber traf mit dem Pilsener in Gmund zusammen.

Sepp schaute ganz zufälliger Weise zum Fenster hinaus und sah sie mit der Frau Bürgermeisterin aussteigen. Sofort war er zum Coupee hinaus und eilte auf die Beiden zu.

»Suchens sich halt ein Coupee?« fragte er. »Ich hab bereits eins für Sie.«

»Sepp, Du!« sagte sie staunend. »Was thust Du hier in Gmund?«

»Ich wart auf Sie.«

»Weshalb?«

»Weil ich mit Ihnen zu Ihrem Vatern muß.«

»Du! Wieso?«

»Das werd ich Ihnen sagen. Kommens nur herein in den Wagen, sonst versäumens den Zug. Er geht gleich ab. Sie werden auch noch Einen finden, der mitfahren thut.«

Die beiden Frauen waren über die Anwesenheit des Advocaten ebenso erstaunt wie vorher über diejenige des Sepp. Als der Zug sich wieder in Bewegung gesetzt hatte, erzählte der Alte, was sich nach Milda's Abreise ereignet hatte, und nun erklärte die Letztere, daß sie ihren Vater nicht schonen könne und nicht schonen wolle. Das Einzige, was sie ihm gewähren könne, sei seine persönliche Freiheit.

Es wurde beschlossen, ohne lange Einleitungen zu handeln und sich vom Bahnhofe weg sogleich zu ihm zu begeben.

Gegen Abend kamen sie in Wien an. Sie nahmen einen Fiaker und fuhren nach der Wohnung des Barons. Die Leute, denen sie begegneten, machten erstaunte Gesichter, als sie den alten Sepp mit zwei seinen Damen und dem sehr anständig gekleideten Advocaten zusammensitzen sahen. Er bemerkte das mit großem Vergnügen. Den alten Hut im Nacken, den Rucksack auf dem Schooße und den Bergstock wie eine Kosakenlanze grad empor haltend, blickte er lustig die Begegnenden an und schnitt ihnen ironische Gesichter.

Als sie den Palast erreichten, zeigte sich der Portier nicht wenig erstaunt, als er das gnädige Fräulein erkannte.

»Ist mein Vater daheim?« fragte sie.

»Nein.«

»Wo ist er?«

»Ausgeritten.«

»So kehrt er bald zurück?«

»Ja. Vielleicht in einer halben Stunde.«

»Sie schweigen in jedem Falle über unsere Ankunft. Wir wollen ihn überraschen.«

Denselben Befehl ertheilte sie auch den übrigen dienstbaren Geistern. Dann ließ sie sich ihr Zimmer aufschließen, um dort die Rückkehr ihres Vaters zu erwarten. Sie benutzte die Zwischenzeit, das ihr von ihrer Mutter bezeichnete Gesang- und Gebetbuch zu holen und zu untersuchen. Das Testament wurde gefunden. Sie zeigte es dem Notar, ebenso auch den Brief, welchen ihre Mutter an sie noch vor ihrem Tode geschrieben hatte.

Zu derselben Zeit hörte man unten Pferdegetrappel.

»Bitte, gehen Sie schnell in das Nebenzimmer,« bat sie. »Mein Vater soll mich zunächst ganz allein treffen. Lehnen Sie aber die Thür nur an, damit Sie hören, was ich mit ihm verhandle.«

Die Drei entfernten sich. Milda stellte sich wartend an den Eingang. Als sie die sporenklirrenden Schritte des Barons, welcher vorübergehen wollte, hörte, machte sie die Thür auf.

Er prallte bei ihrem Anblicke förmlich zurück.

»Milda. Du hier!« rief er aus.

»Ja, ich hier!«

»Alle Teufel! Warum, wozu?«

»Bitte, einzutreten!«

Er kam herein. Sie machte hinter ihm die Thür zu und schob sogar den Riegel vor. Er bemerkte das.

»Was soll das? Warum riegelst Du uns ein?« fragte er.

»Weil ich nicht überrascht sein will. Wir haben höchst Wichtiges zu besprechen.«

»Ach so! Ich errathe.«

Ein triumphirendes Lächeln flog über sein Gesicht.

»Schwerlich!« antwortete Milda.

»O doch! Du hast doch eingesehen, daß es besser ist, Hand in Hand mit mir zu handeln, und bist gekommen, mir das zu sagen und mich um Verzeihung zu bitten. Freilich hast Du mich in der Weise beleidigt und Dich gegen den mir schuldigen Gehorsam vergangen, daß es mir jedenfalls große Mühe machen wird. Dir zu verzeihen.«

»Vielleicht finde ich diese Verzeihung nicht einmal.«

»Das ist sehr leicht möglich.«

Er setzte sich auf einen Stuhl, legte die Beine über einander, klopfte sich die Stiefel mit der Reitgerte und fuhr in leichtem Tone fort:

»Du hast nicht nur mich, sondern auch Andere beleidigt. Das verschlimmert das Uebel.«

»Wen soll ich beleidigt haben?«

»Asta natürlich, die doch Deine beste Freundin war, und den Sänger, die Du Beide ja geradezu aus Steinegg fortgejagt hast. Wenn ich Dir verzeihen soll, so verlange ich vor allen Dingen, daß Du diese Beiden um Entschuldigung bittest.«

»Das werde ich freilich nicht thun.«

Er blickte schnell auf zu ihr.

»Dann kann auch keine Rede davon sein, daß ich Dir verzeihe.«

»Wer sagt denn, daß ich gekommen bin, um Verzeihung zu suchen!«

Sie hatte sich nicht gesetzt. Sie lehnte am Tische, auf dessen Platte sie sich mit der Hand stützte. Erst jetzt blickte er ihr genauer und forschend in das Gesicht. Ja, das war freilich nicht die Miene einer Büßerin, die ihm da kalt, streng entgegenblickte. Es begann ihm einigermaßen unheimlich zu werden.

»Warum sollst Du denn sonst gekommen sein?« fragte er.

»Um einige Arrangements mit Ihnen zu treffen.«

Er stieß ein kurzes, ärgerliches Lachen aus.

»Ihnen, Ihnen! Mache Dich doch nicht lächerlich! Es ist doch die reine Hanswurstiade, den Vater Sie zu nennen.«

»Das ist richtig; aber ich erkenne Sie, wie ich Ihnen bereits sagte, nicht als meinen Vater an. Sie sind mein Erzeuger, aber nicht mein Vater. Sie sind mir fremder, als der fremdeste Mensch. Darum habe ich weder das Recht noch die Lust, Ihnen das trauliche Du zu ertheilen, welches nur zwischen Verwandten und Freunden am Platze ist.«

Er schielte sie von der Seite an, machte eine ungeduldige Achselbewegung und sagte:

»Ganz wie Du willst! Es kann mir nicht einfallen, mit Dir über Dummheiten zu rechten, welche sonst nur Kinder oder Idioten zu begehen pflegen. Also machen wir die Sache kurz. Weshalb bist Du nach Wien gekommen?«

»Zunächst in einer rein geschäftlichen Angelegenheit.«

»Ah, schön! Ich hoffe. Du hast eingesehen, daß ein Vater mehr Rechte auf das Vermögen seiner Tochter besitzt, als Du mir bisher eingeräumt hast.«

»Davon ist keine Rede. Ich wollte Sie vielmehr bitten, mir behilflich zu sein, mich mit einem sehr bedeutenden Gläubiger zu ordnen, den wir zu befriedigen haben.«

»Gläubiger? Wir?«

»Ja.«

»Giebt es keinen.«

»O doch!«

»Nein. Du sagst doch »wir«. Da giebt es keinen. Ich habe Gläubiger, das will ich ja gestehen; aber »wir« haben keinen einzigen.«

»Wir haben einen, einen einzigen. Und dessen Forderung ist so bedeutend, daß es uns unmöglich sein wird, ihn zu befriedigen.«

»Was fällt Dir ein!«

»Von einem Einfalle ist keine Rede.«

»Einen solchen Gläubiger müßte ich doch unbedingt auch kennen.«

»Natürlich kennen Sie ihn.«

»Wer soll es denn sein?«

»Die Familie von Sandau.«

Er machte eine Bewegung, von seinem Stuhle aufzuspringen, beherrschte sich aber und meinte lachend:

»Das ist doch jedenfalls das Ergebniß eines albernen Traumes, den Du heute Nacht gehabt hast.«

»Nein, sondern es ist das Ergebniß unumstößlicher Beweise, welche vorliegen.«

»So! Kannst Du diese Beweise vielleicht führen?«

»Ja.«

»Schön! Thue es. Ich bin wirklich begierig, wie Du das anfangen wirst.«

»Zunächst habe ich hier das echte Testament der Tante Sendingen. Sie werden es wohl kennen.«

Sie hielt ihm das Schriftstück entgegen. Er wollte darnach greifen; sie aber zog es zurück und versteckte es schnell in ihrem Busen.

»Zeig her!« rief er.

»Sie bekommen es nicht in die Hand.«

»Oho! Wollen sehen. Woher hast Du den Wisch, der jedenfalls eine Fälschung ist.«

»Mutter hat ihn mir aufgehoben.«

»Wo?«

»Unter dem Einbande dieses Buches hier.«

»Woher hast Du das gewußt?«

»Sie schreibt es mir.«

»Ah! Wie geht das zu?«

Jetzt war er von seinem Sitze aufgestanden.

»Sie sind nicht werth, die letzten Worte meiner guten, sterbenden Mutter zu hören; aber dennoch will ich sie Ihnen vorlesen, damit Sie erkennen sollen, welch ein erbärmlicher Mensch Sie sind, und daß es mir für alle Zeiten eine Unmöglichkeit sein muß, an Sie wie an einen Vater zu denken.«

»Milda!« fuhr er zornig auf.

»Was?« fragte sie, ihn fest anblickend.

»Solche Beleidigungen verbitte ich mir.«

»Für Sie ist keine Beleidigung möglich. Sie sind ehrlos.«

»Mädchen! Vergiß nicht, daß ich Dein Vater bin!«

»Sie sind es nie gewesen.«

»Ich habe das Recht, Dich zu züchtigen!«

»Ich bin für mündig erklärt und habe auch meine Vorbereitungen so getroffen, daß ich ganz gut im Stande bin, mich gegen einen etwaigen brutalen Angriff zu vertheidigen.«

Sie that, als ob sie mit der Hand nach der Tasche fahren wollte. Sie hatte keine Waffe mit. Ihr Schutz stand draußen im Nebenzimmer. Sie machte aber diese Handbewegung, um ihn irre zu führen.

»Hast Du etwa einen Dolch bei Dir?« fragte er in höhnischem Tone. »Oder einen Revolver? Vielleicht gar eine Dynamitpatrone! Das wäre freilich das beste Mittel, sich dem strafenden Arme des Vaters zu entziehen.«

»Wie ich mich vertheidigen werde, das ist jetzt gleichgiltig; es genügt, daß ich mich zu schützen vermag. Einem solchen Manne gegenüber ist es gerathen, alle möglichen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen.«

»Das klingt ja grad, als ob ich ein wirklicher Rinalto Rinaltini sei!« lachte er auf.

»Viel weniger sind Sie nicht, wie ich Ihnen beweisen werde.«

»Himmeldonnerwetter! Mädchen, laß die Beleidigungen sein!«

»Und Sie die Drohungen. Hören Sie lieber zu!«

Sie zog den Brief ihrer Mutter vor und las ihn laut. Er hörte ruhig zu. Als sie zu Ende war, setzte er sich nieder, zog die Spitzen seines Bartes aus und sagte:

»Das soll Deine Mutter geschrieben haben?«

»Ja.«

»Und darauf hin hast Du das Testament hier in diesem Buche gesucht?«

»Ja.«

»Hm! Ich könnte das Alles in Abrede stellen; aber ich bin mir keiner Schuld bewußt und will also zugeben, daß dieses Testament von jener alten Tante verfaßt worden ist. Glücklicher Weise aber hat sie sich anders besonnen und dann ihre Marotte aufgegeben. Sie hat ein anderes Testament machen lassen und in demselben Deine Mutter als Universalerbin eingesetzt.«

»Wie kommt es da, daß sie das alte Testament nicht vernichtet hat?«

»Sie hat das ja gethan.«

»Wieso? Hier habe ich es ja!«

»Sie hat noch mehr gethan, als es nur zu vernichten – sie hat es mir gegeben. Es verstand sich ganz von selbst, daß es da am Besten aufgehoben war.«

»Eine sehr gute Ausrede!«

»Keine Ausrede, sondern die Wahrheit.«

»Eine Lüge, eine ganz freche Lüge ist es! Ich kann das beweisen. Denn dieses Testament, von welchem Sie behaupten, es von der Tante empfangen zu haben, ist ihr gestohlen worden.«

»Ah! Das ist romantisch!« lachte er.

»Mehr als das. Es ist höchst tragisch. Es war in ihrer Schatulle verschlossen.«

»Wer soll es gestohlen haben?«

»Ein Mensch, der zu diesem ganz bestimmten Zwecke in ihre Dienste trat.«

»So! Sonderbar!«

»Der aber eigentlich in Ihren Diensten stand, Herr Baron.«

»Milda, was fällt Dir ein!«

»Ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich nicht nach Wien gekommen bin, um mit Ihnen über Einfälle zu sprechen. Es handelt sich um Thatsachen.«

»Wenn das mit jenem Diener wirklich eine Thatsache sein soll, so müßte ich ihn doch kennen. Ich habe aber niemals einen Menschen bei mir gehabt, welcher später in den Dienst der Tante getreten wäre.«

»O doch! Einer war es.«

»Wie hieß er denn?«

»Es ist der gegenwärtige Hausmeister.«

»Sapperment! Das ist eine Lüge.«

»Leugnen Sie immerhin! Die Wahrheit wird Ihnen bewiesen werden. Dieser Mensch hat das richtige Testament gestohlen und das falsche an dieselbe Stelle gelegt.«

»Ach so! Woher soll er denn das falsche gehabt haben?«

»Er verfertigte es selbst.«

»So! Dazu gehört sehr viel.«

»O, er war Autographensammler und hatte eine große Fertigkeit in der Nachahmung fremder Handschriften. Er hat ja auch jenen Brief geschrieben, in welchem Sandau den Verkauf geheimer Aktenstücke angeboten haben soll.«

Jetzt wurde der Baron leichenblaß.

»Mädchen!« stieß er mit gepreßter Stimme hervor. »Höre ich denn recht?«

»Ja, ganz recht.«

»Woher willst Du das wissen?«

»Von ihm selbst.«

»Hat er es denn gesagt?«

»Ja. Er hat es sogar der Köchin erzählt. Er will sie heirathen und hat mit ihr ausgemacht, Sie zu zwingen, ihnen eine Ausstattung zu geben.«

»Den Teufel sollen sie haben!«

»So werden sie Alles verrathen.«

»Kein Mensch wird auf ihre Hirngespinnste Etwas geben.«

»So! Auch auf die Bescheinigung nicht, welche der Hausmeister von Ihnen in den Händen hat?.«

»Donnerwet – – –!«

Er taumelte förmlich zurück.

»Sehen Sie, wie die Schuld Ihnen auf dem Gesicht geschrieben steht!« rief sie aus.

»Schuld, Schuld!« knirrschte er. »Von einer Schuld ist keine Rede. Es ist Alles Lug und Trug. Die Bescheinigung ist nachgemacht, ist gefälscht. Du hast ja selbst gesagt, daß dieser Kerl, der Hausmeister, die Handschriften Anderer nachzumachen verstehe.«

»Diesesmal aber ist es keine Fälschung, denn die Aussage eines gewissen Hermann Arthur Willibald Keilberg stimmen ganz genau damit überein.«

»Keilberg! Wer – wer – wer – – –?«

Er griff sich mit der Hand an den Kopf. Der Schreck schien ihm das Gedächtniß zu rauben.

»Wer er ist? Wollen Sie fragen? Besinnen Sie sich nur!«

»Ich kann mich nicht besinnen. Ich habe niemals einen Menschen dieses Namens gekannt.«

»Denken Sie an jenen Unteroffizier, welcher in Sandau's Bureau beschäftigt war!«

»Kenne ich nicht.«

»Er stahl Sandau die Actenstücke, welche Sie dann zum Verderben des Ersteren benutzten.«

»Alle Teufel! Mir wird ganz schlimm zu Muthe! Ich weiß ja von alledem kein Wort!«

»Auch nicht davon, wie Herr von Schöne gezwungen wurde, sich zu erschießen?«

»Nein.«

»Und wie kam es, daß Herr von Selbmann in der Schweiz verunglückte?«

»Wie soll ich davon wissen?«

»Sie standen doch in der Nähe.«

»Ich? Sapperment! Wer behauptet das!«

»Ich weiß es, ich weiß Alles!«

»Nichts, gar nichts weißt Du. Der Hausmeister hat sich eine Lüge ausgesonnen und Dir aus irgend einem Grunde aufgebunden! Glaubst Du es, so ist es Deine Schuld.«

»Ich glaube es allerdings.«

»Meinetwegen! Was geht es mich an!«

»Ungeheuer viel, denn es wird Ihnen natürlich an den Kragen gehen.«

»Mir? Das ist lächerlich!«

Er lachte laut und höhnisch auf.

»Wollte Gott, es wäre lächerlich!« antwortete sie in furchtbarem Ernste. »Ich möchte mein Leben hergeben, wenn es mir damit möglich würde, zu beweisen, daß alle diese Anschuldigungen Lügen seien. Eben das, daß es die Wahrheit, die reine, unumstößliche Wahrheit ist, das macht mich so namenlos unglücklich. Mein Vater ein Dieb, ein Fälscher, ein Mörder, ein – – o Gott, es giebt kein Wort, auszusagen, was für ein fürchterlicher, entsetzlicher Jammer das ist.«

Sie rang die Hände. Anstatt von ihrem Schmerze gerührt zu werden, verstockte ihn derselbe noch mehr. Die Worte, welche sie aussprach, erregten seinen Grimm. Er zog die Stirn in düstere Falten und sagte:

»Mädchen, halte ein! Keine Tochter würde das von ihrem Vater glauben! Eine jede würde ihn vertheidigen. Nur Du, Du allein bist so herz- und gewissenlos, mich zu verdammen, ohne Dich vorher überzeugt zu haben.«

»Ich habe mich überzeugt.«

»Sol Wirklich?«

Es war ein höhnischer, stechender Blick, den er auf sie warf.

»Ja, es giebt keinen Zweifel mehr. Sie sind ein Verbrecher, wie ich noch keinen gesehen habe. Nicht einmal gelesen habe ich von einem Sünder, der mit Ihnen zu vergleichen wäre.«

Er holte tief Athem, und fast zischend erklang seine Frage:

»So bin ich also ein ganz und gar entsetzlicher Mensch?«

»Ja. Ihre Reulosigkeit ist das Allerschlimmste an Ihnen. Sie macht Sie zu einem geradezu diabolischen Menschen.

Da leuchtete sein Blick in wildem Hasse auf. Er sagte:

»Diabolisch, also teuflisch bin ich? Nun gut, Du sollst sehen, daß ich auch ein Geständniß ablegen kann. Deine Mutter war eine Thränendrüse, eine Heulmeierin, mit der ich die miserabelste Ehe führte. Sie entzog mir die Disposition über Dein Vermögen. Ich habe bis heut in voller Abhängigkeit von Dir leben müssen, und Du hast mich diese Abhängigkeit bitter empfinden lassen.«

»Wäre ich nicht sparsam gewesen, so wäre ich heut bankerott,« fiel sie ein.

»Darüber streite ich nicht. Ich bin wie Dein Sclave gewesen. Du bist das Ebenbild Deiner Mutter, und ich hasse Dich ebenso, wie ich diese gehaßt habe. Du hast alle Absichten, welche ich mit Dir hegte, vereitelt. Du nennst mich nicht mehr Deinen Vater. Nun wohl; ich habe gar nichts dagegen. Ich sage Dir aufrichtig, daß ich Dich nie geliebt habe. Und weil Du eine gar so fromme Tugendheilige bist, kann ich Dich am Besten dadurch strafen, daß ich Dir aufrichtig gestehe, was ich gethan habe. Du kannst dann in das Kloster gehen und für mein Seelenheil beten und Dich kasteien.«

Sie richtete sich hoch auf. Sie fühlte, daß ein Zittern durch ihre ganze Gestalt ging. Sie wollte ihm diese Schwäche nicht merken lassen. Er sah aber doch, daß ihr Gesicht noch bleicher wurde, als vorher. Er lachte schadenfroh auf und fuhr fort:

»Nicht wahr, das hast Du nicht gedacht, daß ich ein Geständniß ablegen werde?«

»Nein, Das hielt ich allerdings für unmöglich,« antwortete sie ihm, jetzt wieder beruhigt.

»So sehr hast Du Dich also in mir geirrt!«

»So sehr doch nicht, denn Sie gestehen nicht aus Reue, sondern um mich noch tiefer zu betrüben, als es bisher geschehen ist.«

»Natürlich, natürlich! Je mehr Du Dich ärgerst und kränkst, desto größer ist das Gaudium, welches ich darüber empfinde.«

»So lassen Sie erst sehen, ob Ihr sogenanntes Geständniß auch wirklich ein solches ist!«

»Versuche es doch!«

»Gut! Sie geben also zu, Herrn von Sandau unschuldig in das Elend gebracht zu haben?«

»Ja, ich rühme mich dessen sogar. Es war ein Geniestreich von mir.«

»Natürlich mit Hilfe des Hausmeisters und Keilbergs ausgeführt?«

»Ja.«

»Das Testament hatte der Hausmeister auch gestohlen und ein gefälschtes untergeschoben?«

»Ja.«

»Und die beiden Zeugen des Testamentes?«

»Es waren drei. Einer starb glücklicher Weise am Typhus. Bei den beiden anderen mußte nachgeholfen werden. So! Da sind meine Geständnisse. Bist Du nun zufrieden?«

»Ich glaube Ihnen nicht.«

»Hast auch ein Recht dazu, denn ich habe Dich sehr oft täuschen müssen. Jetzt aber spreche ich die Wahrheit. Ich kann mit Gott und gutem Gewissen beschwören, daß ich Alles begangen habe, wessen Du mich vorhin beschuldigt hast. Nun weißt Du Alles. Dein Vater ist Das, was Du ihn vorhin nanntest, ein Dieb, ein Fälscher, ein Mörder. Nun gehe in dem Bewußtsein, die Tochter eines solchen Mannes zu sein, hin und spiele die seine Baronesse!«

»Was ich thun werde, darum handelt es sich zunächst noch nicht. Aber was werden Sie thun?«

»Ich? Was soll ich thun?«

»Das frage ich Sie eben.«

»Ich thue Das, was ich bisher gethan habe. Ich lebe von der Summe, welche Du jährlich für mich ausgesetzt hast. Langt das nicht zu, so mache ich Schulden, und Du wirst eines Tages das Vergnügen haben, sie zu bezahlen.«

»Wenn Sie Schulden gemacht haben, so thun mir die Leute leid, welche Ihnen ihr Vertrauen schenkten. Ich bezahle keinen Kreuzer, keinen Pfennig.«

»Oho! Es giebt noch Mittel, Dich zu zwingen.«

»Ich weiß kein einziges.«

»Wenn ich mit dem Selbstmorde drohe, wirst Du sicherlich zahlen.«

»Nein. Selbst wenn ich Geld hätte, würde diese kindische Drohung mir keinen Gulden abpressen. Ich bin aber arm. Was ich jetzt besessen habe, gehört der Familie von Sandau.«

»Unsinn!«

»Ich werde nach den Angehörigen derselben forschen und ihnen Alles retourzahlen.«

»Das wirst Du freilich bleiben lassen!«

»Nein; ich werde es thun.«

»Das wäre ja die größte Verrücktheit, welche es nur geben kann!«

»Es ist meine Pflicht, weiter nichts.«

Er sah ihr starr und erschrocken in das Gesicht. Er erkannte, daß sie wirklich im Ernst gesprochen habe.

»Mädchen, was fällt Dir ein?« rief er aus.

»Ich habe keine Wahl. Ich muß thun, was mein Gewissen mir gebietet.«

»Aber, bedenke, dann kannst Du mir doch mein Jahrgeld nicht zahlen.«

Er sagte das in geradezu ängstlichem Tone. Sie zuckte die Achsel und antwortete ruhig:

»Das fällt allerdings aus. Ich zahle Ihnen von jetzt an nichts mehr.«

»Donnerwetter! So bin ich ja ein Bettler!«

»Und ich eine Bettlerin. Aber ich werde arbeiten. Das können Sie auch.«

»Danke, danke sehr! Aber es ist das nur so eine Marotte, die Du Dir in den Kopf gesetzt hast. Kein Mensch ist so verrückt, ein Vermögen von mehreren Millionen freiwillig herzugeben.«

»Ich bin so verrückt.«

»Aber bedenke doch, daß ich dann Alles ganz umsonst gethan hätte! Wozu hätte ich so gehandelt, wenn Du jetzt dieses Geld, auf die Straße werfen willst!«

»Das ist ja eben die größte Bestrafung des Verbrechens, daß man einsehen muß, die Schuld ganz ohne Erfolg auf sich genommen zu haben.«

»Aber wer zwingt Dich denn dazu? Kein Mensch, kein einziger!«

»Es stände schlimm um mich, wenn ich meine Pflicht nur dann thun wollte, wenn ich dazu gezwungen werde.«

»Kein Mensch weiß Etwas davon!«

»Keiner? Wirklich keiner?«

»Keiner als nur der Hausmeister. Und der wird schweigen.«

»Er hat nicht geschwiegen.«

»Nun, so hat er zur Köchin davon geredet, weil er sie heirathen will, und diese hat es dann Dir wieder geplaudert. Das ist vollständig ungefährlich. Sie werden Beide still sein in Zukunft.«

»Da irren Sie sich. Die Schrift, welche Sie dem Hausmeister gegeben haben, befindet sich bereits, in fremden Händen.«

»Donnerwetter! Wer hätte sie?«

»Grad Der, welcher Ihnen am allergefährlichsten werden kann, weil er Ihr unparteiischester Gegner ist.«

»Nun, wer ist das?«

»Der Wurzelsepp.«

»Der Wur –«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken. Er griff sich an die Stirn. Er ging einige Male hin und her, blieb dann vor Milda stehen und fragte:

»Hat er es wirklich?«

»Ja.«

»Wie ist es in seine Hand gekommen?«

»Er hat den Hausmeister belauscht, als dieser sein Geheimniß der Köchin mittheilte. Dann ist er in das Versteck gegangen und hat sich die Bescheinigung geholt.«

»Dieser Hund! Dieser Lauscher und Horcher! Ah, hätte ich ihn da!«

Er rieb seine Fäuste an einander, als ob er Etwas zwischen ihnen zermalmen wolle.

»Von Dem habe ich freilich keine Nachsicht zu erwarten!« knirschte er.

»Gewiß nicht. Ich weiß bereits, daß er in dieser Angelegenheit zu einem Rechtsanwalt gegangen ist.«

»Hole Beide der Teufel!«

»Auch hat er heute den Hausmeister und die Köchin arretiren lassen.«

»Donner und Teufel! Unmöglich!«

Er schrie das förmlich heraus.

»Es ist wahr.«

»So will er mir an den Kragen?«

»Gewiß. Auch Keilberg ist arretirt.«

Das war ein neuer Schlag für den Baron. Er wich langsam von ihr zurück, starrte sie an und sagte:

»Auch Der! Auch Der! Wo steckt er?«

»Im Gefängnisse zu Steinegg.«

»Und die beiden Anderen auch?«

»Ja. Die belastenden Beweise sind alle vorhanden. Ich glaube, man ist bereits unterwegs, sich Ihrer Person zu versichern.«

»Oho! Mich soll Niemand bekommen! Soll es über mich hereinbrechen, so wehre ich mich meiner Haut. Ehe ich ohne Gegenwehr mir meine Existenz zerstören lasse, nehme ich lieber noch ein weiteres Verbrechen auf mich!«

Er trat zu ihr und schlug bei den letzten Worten mit beiden Fäusten drohend auf den Tisch. Sie blieb ruhig stehen, ohne die mindeste Spur von Furcht zu zeigen. Sie blickte ihm voll und groß in die tückisch blitzenden Augen und fragte:

»Was für ein Verbrechen würde das sein?«

»Mir ganz gleich, welches. Die Leute, welche gegen mich vorgehen wollen, werden unschädlich gemacht.«

»So! Wer ist das?«

»Vor allen Dingen der Wurzelsepp und – Du.«

»Das dürfte Dir nicht gelingen.«

»Oho!«

»Der Sepp ist Ihnen zu schlau, so klug Sie sonst im Bösen sein mögen.«

»Der? Pah! Ein Wurzelhändler!«

»Der Sie aber bereits einige Male derb überlistet hat.«

»Weil ich nicht darauf vorbereitet war. Jetzt aber wird es ihm nicht wieder gelingen. Ich weiß, daß er im Besitze meiner Bescheinigung ist. Er wird sie nicht lange mehr in seinen schmutzigen Händen haben.«

»O, ich glaube nicht, daß er sie hergiebt.«

»Er muß, denn es wird heißen: das Papier oder das Leben!«

»So wollen Sie ihn ermorden?«

»Wenn er mich zwingt, ja! Um mich selbst zu retten, ist mir nichts zu viel und nichts zu gefährlich.«

»Versuchen Sie es!«

»Das werde ich thun. Uebrigens fürchte ich den alten Narren nicht im Mindesten. Und Dich, Dich fürchte ich ebenso wenig. Du befindest Dich jetzt in meiner Gewalt.«

»Schwerlich!« lächelte sie.

Er trat nun nahe vor sie hin und sagte lachend zu ihr:

»Du meinst, daß Du eine Waffe hast! Ehe Du dieselbe aus der Tasche ziehst, habe ich Dich mit einem Fausthiebe niedergeschlagen.«

Er ballte dabei beide Fäuste.

Sie erschrak. Es war doch gefährlicher, als sie gedacht hatte, mit ihm allein zu sein. Aber sie beruhigte sich sofort wieder, denn sie sah, daß die bisher nur angelehnt gewesene Thür zum Nebenzimmer leise ganz aufgemacht wurde. Der Sepp trat herein. Er hatte seinen Alpenstock in der Hand. Der Baron konnte ihn nicht sehen, weil er seinen Rücken dieser Thür zukehrte.

Milda lächelte ihren Vater stolz und überlegen an und sagte:

»Es dürfte Ihnen doch nicht viel Nutzen bringen, wenn Sie mich niederschlügen!«

»Und Dir noch weniger Nutzen, wenn Du mir ungehorsam sein wolltest. Zunächst giebst Du den Brief Deiner Mutter und das Testament heraus!«

»Nie!«

»Ich verlange Beides!«

»Und ich behalte Beides!«

»Ich befehle es!«

»Ich rufe die Dienerschaft um Hilfe!«

»Pah! Du hast Dir diese Hilfe selbst geraubt, indem Du die Thür verriegelt hast. Also gieb die beiden Schriftstücke heraus!«

»Ich gebe sie nicht her, und sollte ich mit Ihnen stundenlang ringen müssen!«

»Dummkopf! Ein Mädchen mit einem Manne ringen! Hat man bereits so Etwas gehört! Es fällt mir gar nicht ein. Dir lange Vorstellungen zu machen. Du hast Dir selbst die Folgen zuzuschreiben. Ich sage kein Wort weiter. Also heraus damit! Eins – zwei – und –«

»Drei!« erklang es hinter ihm.

Der Sepp stieß ihm den Bergstock so kräftig in die Seite, daß er um mehrere Schritte fortflog und dann zu Boden stürzte. Er raffte sich augenblicklich wieder auf, drehte sich um und – blieb da ganz unbeweglich stehen. Das Erscheinen des Alten ließ ihn vor Ueberraschung verstummen.

»Na,« lachte der Alte. »Was stehst denn nun da und sperrst das Maul aufi, als obst einen ganzen Luftbatallion verschlingen wolltest! Du hast doch das gnädige Fräulein schlagen wollt! So hau doch zu!«

»Der Sepp, der Sepp!« stieß er hervor.

»Ja, dera Sepp! Der wird Dir grad gelegen kommen. Du hast ihn doch dermorden wollt. So schlag ihn doch todt!«

»Hund!«

»Na, wann ich dera Hund bin, so bist Du halt die Katz, denn grad so wie diese Beiden haben wir uns vertragen, seit wir uns kennen lernt haben. Jetzund können wir schauen, wer von Beiden die Oberhand gewinnt.«

»Verrätherin!« rief der Baron seiner Tochter zu. »Armselige Hinterlist.«

»O,« antwortete sie, »Ihnen gegenüber kann man nicht vorsichtig genug sein; das ist eben jetzt wieder erwiesen worden.«

»Vielleicht hast Du noch andere Zeugen da draußen.«

Er trat schnell in das Nebenzimmer, fuhr aber ebenso schnell wieder zurück.

»Bertha!« schrie er auf.

»Und auch ich, Herr Baron!« sagte der Notar, indem er hervortrat. »Nach dem, was hier gesprochen worden und überhaupt geschehen ist, bleibt Ihnen nichts Anderes übrig, als sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben.«

»Fällt mir nicht ein!«

»Meinen Sie, daß für Ihre Festung noch eine ehrenvolle Capitulation möglich sei? Da irren Sie sich.«

»Den Teufel werde ich, aber nicht mich ergeben!«

»Was wollen Sie sonst thun?«

»Das sollen Sie gleich sehen!«

Er wollte nach der Thür springen, stürzte aber zu Boden, da der Wurzelsepp ihm in gewöhnter Geistesgegenwart den Bergstock zwischen die Beine schob.

»Schon wieder liegt er da!« lachte der Alte. »Möcht nur wissen, was er immer da auf dera Stubendielen zu suchen hat! Werde mich aberst an die Thür stellen. Er soll uns nicht so leicht davon laufen.«

Er postirte sich an die Thür, noch bevor der Baron wieder aufgestanden war. Dieser Letztere wußte nicht, was er thun sollte. Er befand sich zu gleicher Zeit in einer großen Wuth und in noch einer größeren Verlegenheit. Es war eine Art von Scham, welche ihn überkam, und wie die Sage vom Vogel Strauß erzählt, daß er sich in Gefahr für sicher halte, wenn er die Gefahr nicht sehe und deshalb seinen Kopf in den Sand stecke, so trat der Baron jetzt an das Fenster und schaute hinaus. Er konnte nichts sagen und mochte auch keine der anwesenden Personen anblicken.

»Herr von Alberg,« sagte der Notar, »wir sind Zeugen Ihrer Geständnisse gewesen, die Sie nun nicht wieder zurücknehmen können. In meiner Eigenschaft als vereidigter Notar brauche ich nur zu sagen, was ich gehört habe, so gilt das als vollwichtiger Beweis gegen Sie. Was haben Sie dazu zu bemerken?«

Der Angeredete antwortete nicht. Der Notar wollte abermals zu ihm sprechen, aber Milda fiel ihm in die Rede:

»Bitte, Herr Rechtsanwalt, verschwenden Sie keine unnützen Worte. Ich bin in einer ganz bestimmten Absicht hergekommen und nichts soll mich hindern, dieselbe in Ausführung zu bringen. Dabei ist es ganz vortrefflich, daß der brave Sepp auf den Gedanken gekommen ist, Sie mitzubringen. Ich bedarf Ihrer Hilfe.«

»Sie steht Ihnen gern und voll zur Verfügung, gnädiges Fräulein Was, soll ich thun?«

»Ein Protocoll verfassen, welches der Baron unterschreiben wird.«

»Welchen Inhaltes?«

»Sagen Sie mir vorher, ob Sie in dem jetzigen Falle in Ihrer Eigenschaft als Notar auch polizeiliche Verpflichtungen haben?«

»Die habe ich nicht.«

»Sie sind nicht verpflichtet, zur sofortigen Arretur zu schreiten?«

»Berechtigt aber nicht verpflichtet.«

»So bin ich über diesen Punkt beruhigt. Der Baron war mein Vater. Seine Thaten schreien zum Himmel, aber ich, die ich seine Tochter gewesen bin, habe zwar diese Thaten möglichst zu sühnen, nicht aber zu richten. Ich möchte nicht, daß er dem Strafrichter in die Hände fällt. Die Verjährung ist zwar eingetreten, aber man würde sich doch unbedingt seiner Person versichern müssen, um vergangene Irrthümer richtig zu stellen. Alle Zeitungen werden voll des Namens Alberg sein. Der Baron wird verachtet und vogelfrei sein wie kein Anderer. Ich will nicht haben, daß dieses Unglück ihn persönlich überfällt. Ich will ihm Zeit und Raum geben, dem Allen zu entfliehen. Aber ich stelle meine Bedingung, von welcher ich mir kein Jota abhandeln lasse.«

Der Jurist verbeugte sich, zum Zeichen, daß er einverstanden sei, und sie fuhr fort:

»Sie haben die Güte, in einem Protocolle ein ausführliches Geständniß des Barons niederzulegen, so daß die Mitschuld der Mitschuldigen und die Unschuld der Unschuldigen völlig erwiesen ist. Dieses Geständnis muß vor allen Dingen beweisen, daß Herr von Sandau unschuldig war und daß dessen Frau, nicht aber meine Mutter, im wirklichen Testamente als Universalerbin vorgesehen worden war. Der Baron unterzeichnet dieses Protocoll und fügt dazu die eigenhändige Bemerkung, daß jedes Wort die reine Wahrheit enthält. Wir Anderen unterschreiben als Zeugen. Will der Baron das thun, so zahle ich ihm fünftausend Gulden, mit deren Hilfe er in Amerika verschwinden kann. Thut er es aber nicht, so überliefere ich ihn augenblicklich der Polizei. Er hat dann keine Hoffnung, fernerhin auch nur einen Pfennig von nur zu erhalten. Ich habe kein Wort hinzuzufügen. Das Uebrige überlasse ich Ihnen, bemerke aber, daß der Baron sich binnen fünf Minuten entschieden haben muß.«

Es trat eine längere Stille ein. Keins sprach ein Wort. Jedes hatte mit den eigenen Gedanken und Gefühlen zu thun.

Da stand die Tochter, die soeben ihren Vater zur ewigen Verbannung verurtheilt hatte. Dort die Bürgermeisterin, die Augen traurig auf den Mann gerichtet, der sie um ihr Jugendglück betrogen hatte.

Der Sepp lehnte an der Thür. Er hätte am Liebsten weinen mögen, denn mit seinem scharfen Blicke erkannte er, daß es Milda's ganzer Kräfte bedurfte, um kalt und ruhig zu erscheinen und nicht in bitterem Schmerz zusammenzubrechen.

Der Advocat unterbrach zuerst das Schweigen:

»Herr Baron, es sind bereits zwei Minuten vergangen. Bitte, mir zu sagen, was Sie wählen – jahrelange Untersuchungshaft oder Freiheit – immerwährende Armuth oder fünftausend Gulden?«

Der Gefragte brachte mit vor Aufregung heiserer Stimme hervor: »Ich muß wenigstens einen Tag Bedenkzeit haben!«

»Kann ich nicht gewähren. Sie haben meine Instruirung mit angehört. Fünf Minuten, mehr nicht.«

»Nun dann zum Teufel! Hungern mag ich nicht und betteln auch nicht. Ich nehme also die Fünftausend.«

»Sie werden Alles unterschreiben?«

»Ja. Aber wann bekomme ich das Geld? Doch sofort?«

Seine Tochter, welche sich von ihm abgewendet hatte antwortete:

»Ich weiß, daß der Baron stets im Besitze eines Auslandspasses ist. Er kann also sofort abreisen. Ich gebe ihm eine Anweisung auf fünftausend Gulden mit, auf keinen Anderen übertragbar und zahlbar bei Wilson u. Light in New-York.«

Da stieß der Baron ein höhnisches Lachen aus und sagte:

»Welch eine Vorsicht! Ich soll ja nicht dableiben können! Nun, ich werde mich beeilen, in den Besitz des Geldes zu kommen und also noch heute abreisen. Setzt nur das Protocoll auf, damit die Faxe zu Ende kommt! Bin ich dann drüben Millionär geworden, so werde ich mit Vergnügen an meine liebe Tochter denken, welche ihres albernen Gewissens halber ihr Vermögen verschenkt und ihren Vater in die Verbannung schickt. Macht schnell! Ich habe es eilig, von solchen Menschen fortzukommen!«


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