Karl May
Old Surehand II
Karl May

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Bei Mutter Thick

Jefferson-City, die Hauptstadt des Staates Missouri und zugleich der Hauptort des County Cole, liegt am rechten Ufer des Missouri auf einer anmutigen Höhe, welche einen sehr interessanten Blick auf den unten strömenden Fluß und das auf demselben herrschende rege Leben und Treiben bietet. Die Stadt hatte damals viel weniger Einwohner als jetzt, war aber trotzdem bedeutend durch ihre Lage und durch den Umstand, daß hier die regelmäßigen Sitzungen des Distriktsgerichts abgehalten wurden. Es gab mehrere große Hotels da, welche für gutes Geld passable Wohnung und genießbares Essen gewährten; ich verzichtete aber darauf, in einem derselben einzukehren, weil ich erstens das Hotelleben nicht liebe, sondern lieber dahin gehe, wo ich die Menschen in ihrer Ursprünglichkeit kennen lernen kann, und weil es zweitens einen Ort gab, an welchem man für viel weniger Geld sehr gut wohnte und vortrefflich verpflegt wurde. Das war Firestreet No. 15 bei Mutter Thick, in dem von den Seen bis zum mexikanischen Golfe und von Boston bis San Francisco wohlbekannten Boardinghouse, an welchem gewiß kein echter Westmann, falls er einmal nach Jefferson-City kam, vorüberging, ohne einen kürzeren oder längeren drink zu halten und dabei den Erzählungen zu lauschen, welche im Kreise der anwesenden Jäger, Trapper und Squatter die Runde machten. Mutter Thicks Lokal war bekannt als ein Ort, in welchem man auf diese Weise den wilden Westen kennen lernen konnte, ohne die dark-and-bloody-grounds selbst aufsuchen zu müssen.

Es war Abend, als ich den Gastraum betrat, wo ich noch nie gewesen war. Mein Pferd und meine Gewehre hatte ich auf einer aufwärts am Flusse liegenden Farm gelassen, wo Winnetou meine Rückkehr erwarten wollte. Er liebte es nicht, in der Stadt zu wohnen und sich auf den Straßen herumzutreiben, und hatte deshalb für einige Tage diesen Aufenthalt auf dem Lande genommen. Ich hatte in der City verschiedene Einkäufe zu machen, und auch mein Anzug, der außerordentlich mitgenommen war, bedurfte einiger Aufbesserung oder vielmehr er bedurfte derselben sehr, besonders was die langen Stiefel betraf, die an vielen Stellen höchst »offenherzig« geworden waren und ihren früheren Gehorsam in der Weise verloren hatten, daß sie, ich mochte die Schäfte herauf bis an den Leib ziehen, so oft ich wollte, doch immer wieder bis auf die Füße herunterrutschten.

Zugleich wollte ich meinen kurzen Aufenthalt hier in der Stadt dazu benutzen, eine Erkundigung nach Old Surehand einzuziehen. Als ich ihn bei unsrer Trennung gefragt hatte, ob, wann und wo ich ihn vielleicht wiedersehen könne, war er nicht imstande gewesen, mir eine bestimmte Antwort zu geben, hatte mir aber gesagt:

»Wenn Ihr einmal zufälligerweise nach Jefferson-City, Missouri, kommt, so geht in das Bankgeschäft von Wallace und Co., wo Ihr erfahren werdet, wo ich mich zu der betreffenden Zeit befinde.«

Nun war ich da und wollte diese Gelegenheit natürlich nicht vorübergehen lassen, ohne Wallace und Co. aufzusuchen.

Also es war abends, als ich bei Mutter Thick eintrat. Ich sah einen langen und ziemlich breiten Raum, der von mehreren Lampen hell erleuchtet war. Es standen wohl gegen zwanzig Tische da, von denen die Hälfte besetzt war, und zwar von einer sehr gemischten Gesellschaft, wie ich trotz des außerordentlich dichten Tabakqualmes sah. Es gab da einige fein gekleidete Gentlemen – die Papiermanschetten weit aus den Ärmeln hervorstrebend, den Cylinder tief im Nacken und die in glanzledernen Stiefeletten steckenden Füße auf dem Tische; Trappers und Squatters in allen Formen und Farben und in die unbeschreiblichsten Gewandungen gehüllt; farbige Leute vom tiefsten Schwarz bis zum hellen Graubraun, mit wolligem, lockigem und schlichtem Haare, mit wulstigen und schmalen Lippen, mit gestülpten Negernasen oder solchen von mehr oder weniger kaukasischem Schnitte; Flößer und Schiffsknechte, die Stiefelschäfte hoch heraufgezogen und das blitzende Messer neben dem heimtückischen Revolver im Gürtel; Halbblutindianer nebst andern Mischlingen von allen möglichen Sorten und Schattierungen.

Dazwischen fegte die wohlbeleibte, ehrbare Mutter Thick umher, und sorgte mit behender Gewandtheit dafür, daß keinem ihrer Gäste das mangelte, wonach sein Begehr ging. Sie kannte alle, nannte jeden bei seinem Namen, warf dem einen freundlichen Blick zu und drohte jenem, der zum Streite aufgelegt zu sein schien, heimlich warnend mit dem Finger. Sie kam auch zu mir, als ich mich gesetzt hatte, und fragte nach meinem Wunsche.

»Kann ich ein Glas Bier bekommen, Mutter Thick?« fragte ich.

»Yes,« nickte sie, »sehr gutes sogar. Habe es gern, wenn meine Gäste Bier trinken; ist besser und gesünder und auch anständiger als Brandy, der oft tolle Köpfe macht. Seid wahrscheinlich ein Deutscher, Sir?«

»Yes

»Dachte es mir, weil Ihr Bier verlangt. Die Deutschen trinken immer Bier, und sie sind klug, daß sie es thun. Ihr waret noch nicht bei mir?«

»Nein, möchte aber heut Eure Gastfreundlichkeit in Anspruch nehmen. Habt Ihr ein gutes Bett?«

»Meine Betten sind alle gut!«

Sie musterte mich mit prüfendem Blicke. Mein Gesicht schien ihr besser zu gefallen als mein sonstiges Äußere, denn sie fügte hinzu:

»Scheint lange keine Wäsche gewechselt zu haben; aber Eure Augen sind gut. Wollt Ihr billig boarden?«

Billig boarden heißt, das Bett mit noch andern teilen.

»Nein,« antwortete ich. »Es würde mir sogar lieb sein, wenn ich nicht im gemeinschaftlichen Saal schlafen müßte, sondern ein separates Zimmer haben könnte. Zahlungsfähig bin ich trotz meines schlimmen Anzuges.«

»Glaube das, Sir. Sollt ein Zimmer haben. Und wenn Euch hungern sollte, da ist der Speisezettel.«

Sie gab mir das Papier und ging fort, um das Bier zu holen. Die gute Dame machte ganz den Eindruck einer sehr verständigen, freundlichen und besorgten Hausmutter, deren Glück es ist, Zufriedenheit um sich zu sehen. Auch die Einrichtung des Lokals heimelte mich an; sie war mehr deutsch als amerikanisch zu nennen.

Ich hatte an einem leeren Tische Platz genommen, welcher in der Nähe einer langen Tafel stand, die von Gästen vollständig besetzt war. Es gab da einige Herren, die man mit dem ersten Blicke als wirkliche Gentlemen erkannte, wahrscheinlich Einwohner der Stadt und Stammgäste der Mutter Thick, daneben aber auch Gestalten von der Art, wie ich sie soeben beschrieben habe. Diese Leute hatten, als ich eintrat und mich unfern von ihnen niedersetzte, eine sehr animierte Unterhaltung unterbrochen, um ihre Aufmerksamkeit auf mich zu richten; das dauerte aber nur so lange, als Mutter Thick mit mir sprach; dann schienen sie einzusehen, daß ich kein würdiger Gegenstand ihres ferneren Interesses sei, und derjenige von ihnen, welcher zuletzt gesprochen hatte, nahm seine unterbrochene Rede wieder auf:

»Ja, es ist so, wie ich sage: Es hat in den Vereinigten Staaten niemals einen größeren Schurken gegeben wie den Kanada-Bill. Wer das nicht glaubt, dem will ich es gern und sogleich mit einigen Zoll kalten Eisens in den Leib beweisen. Wünscht einer von euch diesen Beweis, Mesch'schurs?«

»Nein; wir glauben es gern; wir wissen es ja,« antwortete einer von den erwähnten Gentlemen.

»Besser wie ich könnt Ihr es nicht wissen, Sir!«

»Ihr habt wohl eine Rechnung mit ihm gehabt?«

»Eine Rechnung? Pshaw! Ein ganzes, großes, vollgeschriebenes Schuldbuch, muß ich sagen. Er war so berüchtigt, daß man sogar drüben im alten Lande in den Zeitungen über ihn geschrieben hat, wie ich erfahren habe. Keinem aber hat er in der Weise mitgespielt als wie mir.«

Er schien, wie ich, zum ersten Male hier zu sein, denn als er diese Worte sagte, betrachteten ihn die Anwesenden mit besonderen Blicken. Er war ein langer, sehr hagerer Mann und trug einen Büffellederrock, der so viel Dienste geleistet hatte, daß er nur noch aus Flicken und Flecken bestand. Die Leggins waren ihm viel zu kurz; sie reichten lange nicht hinab bis zu den Mokassins, die mit vielen Kreuz- und Querstichen von Hirschsehne ausgebessert waren, und auf dem Kopfe trug er eine Mütze, die früher vielleicht einmal eine Pelzmütze gewesen war, jetzt aber alle Haare verloren hatte und ihm wie ein umgestülpter Bärenmagen auf dem Haupte saß. Im Gürtel, der mit allen möglichen Requisiten behangen war, steckten Bowiekneif, Revolver und Tomahawk; den Lasso hatte er sich in Schlingen unter dem linken Arm bis über die rechte Schulter geworfen, und neben ihm lehnte eine alte Büchse, welche vom Kolben bis zum Laufteile mit zahlreichen Einschnitten, Kerben und sonstigen für Fremde rätselhaften Charakteren versehen war.

»Ihr macht uns neugierig, Sir,« sagte der Gentleman. »Dürfen wir vielleicht erfahren, in welcher Weise er Euch mitgespielt hat?«

»Hm! Man läßt am liebsten so blutige Sachen ruhen; aber da wir hier an diesem Tische einmal beim Erzählen sind, so will ich Euch den Willen thun. Wißt Ihr, Gent's, die Staaten sind ein eigentümliches Land, wo das Größte hart neben dem Kleinsten, das Gute gleich beim Schlimmen steht, und ich sage Euch, alle drei Male, die ich mit diesem berüchtigtsten Manne des Landes zusammengekommen bin, ist auch stets der berühmteste dabei gewesen, den wir aufzuweisen haben.«

»Wer?«

»Lincoln, Abraham Lincoln, Sir!«

»Lincoln und der Kanada-Bill? Erzählt, Master, das müssen wir hören!«

»Ja, erzählt!« rief es rundum. »Und laßt uns auch Euern Namen ein wenig hören!«

»Mein Name ist kurz und leicht zu merken, Gent's, und vielleicht habt ihr ihn hier oder da schon einmal gehört. Er heißt Tim Kroner.«

»Tim Kroner? Alle Wetter, Tim Kroner, der Coloradomann! Welcome, Sir! Ihr seid der beste von allen Jägern weit und breit; trinkt, trinkt!«

So viele Leute hier waren, so viele Gläser wurden ihm entgegengehalten.

»So kennt ihr mich also?« fragte er, indem er aus allen Gläsern trank. »Ja, ich bin der Coloradomann, und ihr sollt meine Erzählung hören.«

Er schob sich in eine bequeme Stellung und begann:

»Eigentlich bin ich in Kentucky zu Hause, war aber noch ein Bube, der die Büchse kaum zu halten versteht, als wir hinunter nach Arkansas gingen, um zu sehen, ob das Land dort wirklich so gut sei, wie es beschrieben wurde. Ich sage: wir, und meine damit nämlich die Eltern mit mir und dem Nachbar Fred Hammer mit seinen beiden Töchtern Mary und Betty. Er war ein Deutscher und erst vor einigen Jahren aus Germany herübergekommen, und ich will auf der Stelle geteert und gefedert werden, wenn es in den ganzen Staaten ein schöneres und besseres Mädchen giebt, als diese deutschen Ladies waren. Wir wuchsen zusammen empor, thaten einander allen möglichen Gefallen, und als ich mich eines Tages besinne, finde ich, daß die Mary zu nichts anderem geschaffen ist, als zu meiner Frau.

Na, ihr könnt euch denken, daß ich diesen Gedanken nicht an die Wand klebte, sondern ihn so eilig wie möglich in die Welt hineinposaunte, und richtig, es stimmte ganz genau: die Mary dachte gar nicht daran, daß ich etwas anderes sein könne, als ihr Mann. Die Eltern waren natürlich einverstanden, und nun wurde gesorgt und geschafft, uns in die gehörige Ordnung zu bringen.

Das war ein Leben wie im Himmel, Mesch'schurs, und ich will es jedem von Euch herzlich gönnen, der solche glückliche Tage aufzuweisen hat; nur mögen sie bei ihm länger gedauert haben als bei mir.

Eines Tages war ich in den Wald gegangen, um mir eine gute Zahl Fenzstangen zu zeichnen. Da kam einer durch die Tannen geritten und hielt seinen Gaul bei mir an.

»Good day, Boy! Ist da herum eine Farm zu finden?« fragte er.

»Zwei für eine, wo jeder gern einen Unterschlupf findet,« antwortete ich.

»Wo liegt die nächste?«

»Kommt; ich werde Euch führen!«

»Ist nicht nötig. Ihr seid hier beschäftigt, und wenn ich die Richtung erfahre, werde ich nicht fehl gehen.«

»Ich bin fertig. Kommt!«

Der Mann war noch jung, vielleicht kaum zwei oder drei Jahre älter als ich, trug ein fast neues Jagdgewand aus Hirschleder, hatte vorzügliche Waffen und ein Pferd, welches so munter war, als sei es eben erst aus der Umzäunung genommen. Große Anstrengungen konnte er nicht hinter sich haben, sonst hätte er und sein Tier weniger frisch ausgesehen. Es wäre ganz gegen den Gastgebrauch gewesen, wenn ich ihn nach seinem Namen und andern Dingen gefragt hätte; ich schritt also still und schweigsam neben seinem Pferde hin, bis er selbst begann:

»Wie weit habt Ihr bis zum nächsten Nachbar, Boy?«

»Nach den Bergen hin fünf und über den Fluß hinüber acht Meilen.«

»Seid Ihr schon lange hier im Lande?«

»Nicht allzu sehr. Wir haben noch mit der ersten Block zu thun.«

»Und Euer Name, Boy?«

Was hatte er nur mit seinem Boy? War ich etwa ein Knabe, der seine Strümpfe noch trägt? Ich machte die Sache so kurz wie möglich:

»Kroner.«

»Kroner? Schön! Ich heiße William Jones und bin da oben in Kanada zu Hause. Wer ist der Besitzer der zweiten Farm, von der Ihr sprecht?«

»Er ist ein Deutscher, der sich Fred Hammer nennt.«

»Hat er Söhne, Boy?«

»Zwei Töchter.«

»Hübsch?«

»Weiß nicht, Boy. Seht sie Euch selber an!«

Es ärgerte ihn, daß ich ihn auch Boy genannt hatte, das konnte ich deutlich sehen. Er wurde ruhig und sprach nicht wieder, bis wir vor dem Thore des Farmhauses anlangten.

»Wen bringst du hier, Tim?« fragte der Vater, der grade im Hofe stand und die Truthühner fütterte.

»Weiß nicht, was er ist; ein Master William Jones aus Kanada, glaube ich.«

»Welcome, Sir! Steigt herunter und kommt herein!«

Er gab ihm die Hand, führte ihn in die Stube und überließ es mir, für das Pferd Sorge zu tragen. Als ich damit fertig war und nachfolgte, stand der Fremde vor Mary, die während meiner Abwesenheit auf Besuch gekommen war, und kniff sie in die Wangen, indem er zu ihr sagte:

»Damn, seid Ihr eine allerliebste hübsche Miß!«

Sie errötete über diese Beleidigung, hatte aber sofort das rechte Wort auf der Zunge:

»Habt Ihr vielleicht einen Schluck Whiskey zu viel, Sir?«

»Wohl kaum, denn in der Prairie ist dieses Labsal nicht zu finden.«

Er wollte den Arm um sie legen, bekam aber einen Stoß von ihr, daß er zurücktaumelte und den Stuhl, an welchem er sich zu halten versuchte, beinahe umgerissen hätte.

»Zounds, seid Ihr ein couragiertes Weibsbild! Mögt wohl ein ander Mal zahmer sein!«

Das ging mir an die Galle. Ich trat ihm näher und ließ ihn meine Fäuste ein ganz klein wenig sehen.

»Diese Miß ist meine Braut, und wer sie ohne meine Erlaubnis anrührt, kann sehr leicht einige Zoll Bowiekneif zu kosten bekommen. Hier zu Lande gilt das Gastrecht heilig, und wer dies vergißt, wird danach behandelt, Boy!«

»Alle Wetter, versteht Ihr eine Rede zu halten, mein junge! Also eine Braut habt Ihr schon? Well, so trete ich zurück!«

Er hing seine Büchse an die Wand und machte es sich so bequem, als ob er zur Familie gehöre. Der Mann gefiel weder mir noch dem Vater, und auch die Mutter machte sich nicht viel mit ihm zu schaffen. Das schien ihn aber nicht zu kümmern; er that, als habe ihm kein Mensch etwas zu sagen, und als am Abend Fred Hammer mit Betty auf eine Stunde kam, führte er das große Wort und erzählte von den Abenteuern, die er in der Prairie erlebt haben wollte.

Ich wette zehn Bündel Dickschwanzfelle, gegen einen einzigen Kaninchenbalg, daß der Mensch mit keinem Fuße in der Savanne gewesen war, denn dazu war sein ganzes Habit zu sauber. Wir ließen ihn das auch merken, und um sich aus der Affaire zu ziehen und etwas anderes auf das Tapet zu bringen, griff er in die Tasche und zog ein Packet Spielkarten hervor.

»Spielt ihr gern, Mesch'schurs?« fragte er dabei.

»Zuweilen,« meinte der Vater. »Der Nachbar Fred stammt aus Germany, wo man ein schönes Spiel macht, welches Skat genannt wird. Er hat es uns gelehrt, und da giebt es des Abends einen Zeitvertreib, wenn man sonst nichts Besseres vorzunehmen weiß.«

»Habt Ihr auch von dein Spiele gehört, welches man da drüben ›Kümmelblättchen‹ nennt, Master Hammer?« fragte Jones.

»Nein.«

»Hier im Lande heißt es ›three carde monte‹ und ist das schönste Spiel, welches es giebt. Ich habe es zwar nur ein einziges Mal gesehen und bin ein Lehrling dabei; aber ich werde es Euch doch einmal zeigen.«

Es ist wahr, dieses three carde monte gefiel uns allen, und es dauerte gar nicht lange, so hatten wir uns darein vertieft, und selbst die Frauen wagten einige Cents zu setzen. Es schien wirklich so, daß Jones nichts davon verstand; wir gewannen, und es dauerte nicht lange, so mußte er in die Goldstücke greifen, deren er eine ganze Menge bei sich trug. Wir wurden mutiger, und setzten mehr; das Glück begann zu wanken, so daß wir das Gewonnene verloren und zum eigenen Gelde greifen mußten. Einzelne Treffer lockten uns immer weiter, Die Frauen hatten längst wieder aufgehört, und auch ich zog mich zurück. Vater und Fred Hammer wollten ihr Geld wieder gewinnen; sie setzten immer größere Summen, und trotz meiner Mahnungen und der Bitten der Ladies gewann das Spiel für beide immer größere Gefährlichkeit.

Da bemerkte ich plötzlich eine eigentümliche Bewegung von Jones: im Nu hatte ich seinen linken Arm ergriffen und zog ihm das Treffblatt aus dem Ärmel hervor. Er hatte mit vier Blättern gespielt und war ein Falschspieler. Er sprang empor.

»Was geht Euch meine Karte an, Boy?« rief er zornig.

»Ebenso viel wie uns unser Geld, Sir!« antwortete der Vater und strich sofort den ganzen Gewinn, den Jones vor sich liegen hatte, zu sich herüber.

»Her mit den Dollars! Sie gehören mir, und wer sich daran vergreift, ist ein Dieb!«

»Stop, Sir! Wer die Karte fälscht, ist ein Betrüger, der wieder hergiebt, was er nahm. Geht zu Bett, und macht Euch morgen früh von dannen! Nur das Gastrecht verhindert mich, Euch zu zeigen, wie man ehrlich ›three carde monte‹ spielt.«

»Euer Gast? Ich bin es keinen Augenblick länger. Ich werde sofort Euer Haus verlassen, nachdem ich das geraubte Geld zurückbekommen habe!«

»Well! Ich lege Eurem Gehen nicht das mindeste in den Weg. Geht dorthin, woher Ihr gekommen seid; die Prairie ist es sicher nicht. Eure Kasse sollt Ihr zurückerhalten, von dem Unsrigen aber nicht einen Penny. Tim, führe sein Pferd vor das Thor!«

»Damn, wollt ihr so? Dann sollt ihr den Kanada-Bill kennen lernen!«

Er griff zum Messer. Da erhob sich auch Fred Hammer und legte ihm die Hand schwer auf die Schulter. Er war eine gewaltige Figur und liebte zu schweigen; aber wenn er einmal ein Wort sagte, so wußte man auch ganz genau, was seine Meinung sei.

»Thut den Kneif weg, Mann, sonst zerdrücke ich Euch hier zwischen meinen zehn Fingern wie Pfefferkuchen,« warnte er. »Nehmt Eure Kasse, packt Euch von hinnen und kommt uns nicht wieder unter die Augen. Wir sind ehrliche Leute und verstehen gar wohl, einem Menschen Eures Gelichters zu zeigen, wohin der Weg zum Paradiese geht!«

Jones merkte, wie sein Stecken zu schwimmen begann. Er mußte auf alle Fälle den kürzeren ziehen und gab nach.

»So zeigt her! Aber merkt euch dieses ›three carde monte‹; ihr werdet den Gewinn doch noch bezahlen!«

»Eure Drohung gilt uns gerade so viel wie der Spinnenfaden in der Luft. Zähl ab, Nachbar; dann mag er sich trollen!«

Er bekam, was er zu fordern hatte, und ging. Unter der Thüre wandte er sich noch einmal um und drohte:

»Also denkt daran! Das Geld hole ich mir, und – und spreche auch noch mit dieser hübschen Miß!«

Hätten wir ihm doch auf der Stelle eine Kugel gegeben! –

Einige Zeit später mußte ich hinunter nach Little Rock, um Verschiedenes für die Hochzeit einzukaufen. Ich hatte es bei der Rückkehr sehr eilig und war sogar des Nachts geritten, so daß ich am Morgen auf der Farm anlangte. Sie war verschlossen und weder Pferd noch Rind zu sehen. Ich eilte voll Besorgnis hinüber zu Fred Hammer und fand es bei ihm ebenso. Mich erfaßte eine entsetzliche Angst; ich gab dem Pferde die Sporen und jagte hinauf zu Nachbar Holborn. Er wohnte, wie ich schon dem Kanada-Bill gesagt hatte, fünf Meilen entfernt. Ich legte diese Strecke in nicht einer Stunde zurück. Als ich an der Fenz abstieg, kamen Betty und die Mutter aus dem Hause geeilt.

»Um Gottes willen, ihr weint! Was ist geschehen?« fragte ich sie.

Unter vielem jammern und Schluchzen erzählten sie mir, was geschehen war.

Betty hatte mit dem Vater Maiskolben geknickt, und Mary war allein daheim geblieben. Das Feld lag in ziemlicher Entfernung von dem Hause, dennoch aber war es ihnen gewesen, als ob sie von dort her den unterdrückten Schrei einer weiblichen Stimme gehört hätten. Sie sprangen hinzu und kamen grade zur rechten Zeit, um zu sehen, daß ein Trupp Männer davonsprengte, von denen einer das gefesselte Mädchen vor sich quer über dem Sattel liegen hatte. Sie waren am hellen Tage eingebrochen und hatten meine Braut entführt. Im Hause lag alles durcheinander; das Geld, Kleider und Waffen nebst der vorhandenen Munition waren verschwunden und die Pferde aus der Umzäunung getrieben worden, um eine sofortige Verfolgung unmöglich zu machen.

Fred Hammer lief zum Vater. Auch hier fehlten die Pferde. Man fing mit Mühe zwei derselben ein; die beiden Männer bewaffneten sich; Mutter und Betty mußten aufsteigen; die Farmen wurden verschlossen und sämtliche Rinder und sonstige Tiere hinüber zu Holborn getrieben, wo sie bis auf weiteres bleiben sollten. Auch der Nachbar nahm seine Kentuckybüchse zur Hand, stieg auf, und dann machten sich die drei Männer, nachdem sie die Weisung zurückgelassen hatten, daß ich ihnen bei meiner Rückkehr sofort folgen solle, ungesäumt hinter den Räubern her.

»Welche Richtung haben sie eingeschlagen?« fragte ich.

»Den Fluß hinauf. Sie wollen dir deutliche Zeichen zurücklassen, damit du sie nicht verfehlen kannst.«

Ich nahm ein frisches Pferd und jagte davon. Es war schon öfters von einer Bande Bushheaders erzählt worden, welche von dem Mittellaufe des Arkansas bis hinauf zum Gebiete des Missouri ihr Wesen trieben, doch waren wir immer ohne Sorge geblieben, da sie sich niemals in unserer Nähe gezeigt hatten. Sollte der Kanada-Bill sie beredet haben, ihm zur Befriedigung seiner Rache behilflich zu sein? Ich hatte in mir einen Grimm, Mesch'schurs, der seinesgleichen sucht, so daß ich mich ohne Bedenken mitten unter sie hineingestürzt hätte, und wenn es ihrer hundert gewesen wären.

Ich fand die versprochenen Zeichen. Es war von Zeit zu Zeit ein Ast abgebrochen oder ein Schnitt in die Baumrinde gemacht worden, und ich kam also ohne großen Aufenthalt immer schnell vorwärts. So ging es bis zum Abend, wo mich die Dunkelheit zwang, Halt zu machen. Ich pflockte mein Pferd an und wickelte mich in die Decke. Die Wipfel des Waldes rauschten über mir, und in mir tobte der Sturm; ich konnte weder Schlaf noch Ruhe finden. Schon beim Tagesgrauen nahm ich den Weg wieder unter die Hufe und kam noch am Vormittag an die Stelle, wo der Vater mit den andern beiden gelagert hatte. Die Asche ihres Feuers war feucht vom Morgentau, ein sicheres Zeichen, daß auch sie sich früh erhoben hatten.

So ging es bis zur Mündung des Kanadian. Der Wald ward hier dichter; die Zeichen wurden immer deutlicher und frischer. Ich drang in größter Eile vorwärts, und mein gutes Tier zeigte trotz des angestrengten Rittes noch keine Spur von Ermüdung.

Da vernahm ich plötzlich eine laute tiefe Männerstimme, welche mit mächtigem Schalle in den Forst hineinsprach. Die Worte waren englisch; es mußte also ein Weißer sein, der sich so unvorsichtig vernehmen ließ. Ich lenkte mein Tier der Stelle zu, an welcher er sich befand. Was denkt ihr wohl, was ich erblickte?

Auf einem alten Baumstumpfe in der Mitte einer kleinen Lichtung stand ein Mann, fuhr mit den Händen in der Luft herum und hielt den Sykomoren- und Hikorystämmen eine Rede, die er bei einem Campmeeting nicht besser und schö ner hätte anbringen können. Ich bin ein ziemlich eigener Kopf und gebe nicht viel auf das, was mir vorgesprochen wird, aber dieser Mann hatte eine Stimme und eine Art des Ausdruckes, die mir das Lachen benahm, in das ich beinahe ausgebrochen wäre, weil es mir ganz verteufelt wunderlich vorkam, daß einer mitten im Urwalde den Käfern und Mosquitos eine Predigt hielt.

Ich konnte schon in der Ferne sein Gesicht deutlich erkennen. Er war lang und stark, frisch, derb und zähe, wie ein echter, richtiger Yankee, hatte eine scharf hervorspringende Nase, spiegelblanke Augen ohne Lug und Trug, einen breiten, scharfen Mund, ein eckiges, kräftiges Kinn und konnte trotz der Gutmütigkeit, die ihm anzusehen war, doch vielleicht auch ein wenig verschmitzt und listig sein, wenn er es für gut hielt.

Vor dem Stumpfe, auf welchem er stand, lagen eine gewaltige Axt, eine gute Büchse und noch einiges andere, was man in jenen Gegenden vonnöten hat. Es war augenscheinlich, daß sich der Mann im Reden übte, und er schien mir ganz zu einem Self-man gemacht zu sein, der es versteht, sich durch Not, Kampf und Arbeit zu einer besseren Stelle, als sie der Westen bietet, emporzuringen.

Ich vernahm jedes seiner Worte:

»Was meint ihr? Die Sklaverei sei eine heilige und notwendige Sache, welche weder durch Gewalt noch Gründe abzuschaffen sei? Ist die Bedrückung eines Menschen, die Verachtung und Peinigung einer ganzen Menschenrasse heilig? Ist es notwendig, ein abscheuliches Eigentumsrecht auf Menschenkräfte zu legen, welche für guten Lohn weit besser und weit treuer arbeiten würden? Ihr wollt weder Gründe hören, noch irgend eine Gewalt anerkennen? Nun wohl, ich werde euch dennoch Gründe sagen, und laßt ihr sie nicht gelten, so wird sich dennoch eine unwiderstehliche Gewalt erheben, die euch die Negerpeitsche zerbricht, den Eigennutz aus dem Herzen reißt und alles zermalmen und vernichten wird, was sich ihr in den Weg zu stellen wagt. Ich sage euch, es wird eine Zeit kommen, in – –«

Er hielt mitten in seiner Rede inne; er hatte mich bemerkt. Im nächsten Augenblick war er vom Baumstumpf herunter, hatte die Büchse zum Schusse erhoben und rief:

»Stopp, Mann, keinen Schritt weiter! Wer seid Ihr?«

»Pshaw! Legt das Schießzeug nur immer beiseite. Ich habe keine Lust, Euch aufzufressen, oder ein rundes Stück Blei in den Leib zu bekommen!« antwortete ich.

Ein zweiter, schärferer Blick mußte ihn von der Friedfertigkeit meiner Person überzeugt haben. Er nahm das Gewehr nieder, nickte mit dem Kopfe und forderte mich auf:

»Well! So kommt einmal her und sagt, wer Ihr seid!«

»Ich heiße Tim Kroner, Sir, und komme seit gestern längs des Flusses herauf, um eine Bande Bushheaders zu verfolgen, welche mir die Braut geraubt haben.«

»Und mein Name ist Lincoln, Abraham Lincoln. Ich komme von den Bergen herunter und will mir hier ein Floß zimmern, um das Holz im Süden zu verkaufen. Ich bin erst seit einer Stunde hier. Eine Bande Bushheaders, die Eure Braut geraubt haben, sagt Ihr? Wie stark sind sie wohl?«

»Zehn bis zwölf Köpfe.«

»Zu Pferde?«

»Ja.«

»Bounce! Ich habe vor ganz kurzer Zeit eine Spur von grade so viel Pferden quer durchschnitten und eine ähnliche ganz hier in der Nähe wiedergefunden; doch schien es mir, als ob die letztere ein Dutzend Hufe mehr gezeigt hätte.«

»Das ist mein Vater mit zwei Nachbarn, die ihnen schon vor mir gefolgt sind.«

»Stimmt! Ihr seid also vier gegen zwölf. Wollt Ihr meine Arme haben?«

»Gern, wenn Ihr sie mir leiht!«

»Gut. Come on

Er nahm seine Sachen zu sich, hing die Büchse auf die eine und warf die Axt über die andere Schulter. Dann schritt er vorwärts, als ob es sich ganz von selbst verstehe, daß ich ihm folgen müsse.

»Wohin, Sir?« fragte ich, da er eine Richtung einschlug, die meine frühere im Winkel schnitt.

»Den Männern nach; was sonst! Ein Stück weiter oben haben sich die Bushheaders vom Flusse weg nach Norden gewandt, und wir kürzen den Weg, wenn wir schon jetzt dasselbe thun.«

Er hatte eine so eigene, sichere Art und Weise, daß es mir gar nicht einfiel, ihm zu widersprechen. Ich ließ ihn daher voranschreiten und hielt mein Pferd hart hinter ihm. Sein Schritt war lang und ausgiebig, wie man ihn selten findet, und wäre ich nicht beritten gewesen, so hätte es mich sicher nicht wenig Mühe gekostet, ihm zu folgen. So ging es fort, bis er an einer Stelle halten blieb und auf den Boden zeigte.

»Hier ist die Fährte wieder. Zwei, sechs, neun, elf, fünfzehn Pferde! Als ich die Spur vorhin überschritt, waren es nur zwölf. Die Eurigen sind also auch vorüber, und das kaum vor einer Viertelstunde, denn die niedergebogenen Halme haben sich noch nicht wieder empor gerichtet. Laßt Euer Tier ausgreifen, damit wir sie bald erreichen!«

In gewaltigen Schritten eilte er vorwärts. Wahrhaftig, ich mußte mein Tier in einen kurzen Trab setzen, um nicht zurückzubleiben.

Der Wald hatte schon längst aufgehört und war in ein niedriges, durchbrochenes Gebüsch übergegangen. Jetzt kamen wir auf eine lichte, offene Bucht, welche die Prairie tief in das Gehölz hineinschob; in der Ferne jedoch bemerkten wir wieder einen dichten Streifen starken Holzes, und zwischen ihm und uns bewegten sich drei Reiter, nach Indianersitte einer hinter dem andern. Die Sonne war verschwunden, und es wollte sich zur Dämmerung neigen, doch konnten wir sie deutlich erkennen. Lincoln hob den Arm.

»Dort sind sie. Go on

Er warf sich in weiten Sprüngen vorwärts, indem er den Schwerpunkt immer auf das eine Bein legte und, wenn dies müde wurde, ihn auf das andere überwechselte. Das ist die einzige Art, einen solchen Lauf lange auszuhalten. So wurde die Entfernung zwischen uns und ihnen schnell kleiner, und da sie uns bemerkten und nun stehen blieben, hatten wir sie bald erreicht.

»Endlich, Tim!« rief uns der Vater entgegen. »Wer ist dieser Mann?«

»Ein Mister Abraham Lincoln, den ich am Flusse traf und der uns helfen will. Aber erzählt nichts; ich weiß schon alles. Macht nur vorwärts, daß wir die Räuber einholen!«

»Sie sind nicht mehr weit und werden dort im Walde ihr Lager aufschlagen wollen. Vorwärts, ehe es dunkel wird und wir ihre Spur verlieren!«

Es ging weiter, ohne Worte, aber das Messer locker und die Büchse schußgerecht in der Hand. Als wir die ersten Bäume erreichten, bog sich Lincoln nieder, um die Fährte genau zu untersuchen. Dabei sagte er:

»Laßt uns noch einmal sehen, woran wir sind, Gentlemen! Im Dunkel des Forstes läßt sich das nicht mehr sehen. Hier diese Hufeindrücke sind die tiefsten; das Pferd hat eine schwerere Last zu tragen als die andern; es wird also dasjenige sein, welches den Reiter und das Mädchen zu schleppen hat. Und seht, es lahmt; der linke Hinterfuß stößt nur mit der vordern Schärfe auf den Boden. Sie werden ihm Ruhe gönnen müssen und bald absteigen.«

»Well, Sir, ich gebe Euch recht,« meinte der Vater. »Macht rasch weiter, Leute!«

»Stopp, Mister! Das wäre ein ganz gewaltiger Fehler. Ich rechne, daß sie höchstens eine Viertelstunde vor uns sind, und vielleicht haben sie sich schon gelagert. Wollt Ihr Euch durch die Pferde verraten und uns den schönen Spaß verderben?«

»Richtig, wir müssen die Tiere zurücklassen! Aber wo?«

»Da drüben ist ein Wildkirschengebüsch; dort sind sie sicher, wenn Ihr sie fest anhobbeltMit einem Riemen die Vorderbeine zusammenbinden, daß sie zwar grasen, aber nicht fortlaufen können

So geschah es, und dann gingen wir zu Fuß wieder vorwärts. Lincoln schritt voran; wir mußten ihn ganz unwillkürlich als unsern Führer anerkennen. Seine Vermutung hatte ihn nicht getäuscht, denn wir waren noch nicht weit vorgedrungen, so witterten wir einen brenzlichen Geruch und sahen dann auch einen hellen Rauch, der sich droben zwischen den Kronen der Bäume einen Ausweg suchte.

Jetzt galt es, auch das kleinste Geräusch zu vermeiden. Hinter jedem Baume Deckung suchend und die Zwischenräume blitzschnell überspringend, schlichen wir uns immer näher und bemerkten nun das Feuer und elf Männer, welche sich um dasselbe gelagert hatten. Zwischen ihnen saß Mary, totenbleich, an den Händen gefesselt und mit tief zur Erde gesenktem Kopf.

Diesen Anblick konnte ich nicht ertragen. Ohne nach der Ansicht der andern zu fragen, erhob ich das Gewehr.

»Halt,« warnte Lincoln, »es fehlt einer und – –«

Da krachte aber schon mein Schuß. Die Kugel war dem Manne, auf den ich gezielt hatte, mitten in die Stirn gedrungen. Im Nu standen die andern auf den Füßen und hatten die Waffen ergriffen.

»Feuer und dann drauf!« kommandierte Lincoln.

Mir galt dieser Ruf nicht mehr, denn ich hatte schon die Büchse fortgeworfen, war zu Mary hingesprungen und kniete bei ihr, um den Riemen zu durchschneiden, der ihre Hände umschlungen hielt.

»Tim, ist's möglich!« rief sie und schlug vor Entzücken die befreiten Arme um mich, daß ich mich kaum zu rühren vermochte.

»Laß los, Mary, es giebt jetzt mehr zu thun!« bat ich sie.

Ich zog das Messer und sprang auf. Gerade vor mir schlug Lincoln einem die Axt über den Kopf, daß der Mann lautlos zusammenbrach. Es war der letzte der Elf. Man hatte von beiden Seiten nur einmal geschossen und dann zur Klinge gegriffen.

»Tim, um Gottes willen!« rief in diesem Augenblick Mary und stürzte sich, nach einem Baume zeigend, an meine Brust.

Ich warf den Blick hinüber und gewahrte den Lauf eines Gewehres, welches gerade gegen uns gerichtet war. Der Schütze stand hinter dem Stamme verborgen.

»Das ist für das ›three carde monte‹!« rief eine Stimme.

Noch ehe ich eine Bewegung machen konnte, blitzte es auf; ein schneller Ruck ging mir durch die Muskel des Oberarmes, ein Schrei von Marys Lippen: ihre Arme ließen mich los, und sie glitt zu Boden. Die Kugel war mir durch den Arm und ihr in das Herz gegangen.

»Drauf!« knirschte es neben mir.

Es war der Vater. Den Büchsenkolben erhebend, stürzte er sich gegen den Stamm, ich ihm nach. Da blitzte es aus dem zweiten Laufe; eine Gestalt, die ich nicht genau erkennen konnte, eilte von dannen; der Vater lag, durch die Brust getroffen, zu meinen Füßen. Fast wahnsinnig vor Wut, stürzte ich mich dem Entfliehenden nach. Zu sehen vermochte ich ihn nicht mehr, aber die Richtung wußte ich doch. Schon nach wenigen Sprüngen kam ich an den Platz, wo sie die Pferde angehobbelt hatten. Die Tiere waren weg, und nur die Enden der rasch durchschnittenen Lassos staken an den Pflöcken in der Erde. Ich mußte erkennen, daß ich den Mann nun nicht mehr erreichen könne; er war beritten und ich nicht.

Als ich zum Kampfplatze zurückkehrte, hatte man die beiden Leichen nebeneinander gelegt, und Lincoln war beschäftigt, sie zu untersuchen.

»Kein Leben mehr, Mesch'schurs, keine Spur von Leben!« sagte er.

Ich konnte kein Wort hervorbringen, auch Fred Hammer nicht; es giebt eine Qual, die das Herz verkohlt, ohne daß nach außen ein einziger Laut zu hören ist. Lincoln erhob sich, bemerkte, daß ich wieder zurück war, und sagte zürnend zu mir:

»Das wäre nicht geschehen, wenn Ihr mit dem Schusse bis zur rechten Zeit gewartet hättet. Ich rechne, das wenige Pulver und die kleine Kugel kosten Euch die Braut und den Vater, und es wird gut sein, wenn Ihr ein anderes Mal die Vorsicht mehr zu Rate zieht!«

»Könnt Ihr es beweisen, Sir?« fragte ich.

»Beweisen? Pshaw! Nach dem Tode hört der Beweis auf! Wir mußten sie umzingeln und auf ein Zeichen unsere Büchsen alle zugleich losdrücken. Jeder von uns hatte einen Doppellauf, macht zehn Mann, ehe sie nur an Widerstand hätten denken können. Und Euren, ›three carde monte-Mann‹ hätten wir während des Umschleichens sicher auch abgefangen, so daß er nicht zum Schuß gekommen wäre!«

Das war die rechte Lehre, im rechten Augenblick gegeben, Gentlemen. Ich habe sie und diesen Augenblick niemals vergessen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.« –

Der Erzähler seufzte tief auf, machte eine Pause und strich sich dabei mit der Hand über das Gesicht, als ob er die traurige Erinnerung fortwischen wolle. Dann trank er sein Glas aus und begann von neuem:

»Wenn das Wild über die Savanne saust oder durch den stillen Busch schleicht, so hinterläßt auch der kleinste, leiseste Huf eine Spur, welcher der Jäger zu folgen vermag, das wißt ihr alle, Gentlemen. Und wenn die Tage, Monate und Jahre wie im Sturme über den Menschen dahinfliegen oder langsam und heimtückisch durch sein innerstes Leben schleichen, so gibt es Fährten im Gesicht und Fährten im Herzen, denen man nur nachzugehen braucht, um die Ereignisse aufzustöbern, welche ein Menschenkind gerade zu dem machen, was es geworden ist.

Ich wollte ein fleißiger Farmer sein und ein fleißiger Farmer bleiben, aber mein Stecken war doch nach einer andern Richtung hin geschwommen. Mary war tot, der Vater tot; die Mutter nahm sich das so sehr zu Herzen, daß sie bald zu kränkeln begann und sich dann zum Sterben hinlegte; ich konnte es nicht länger da aushalten, wo ich früher so glücklich gewesen war, verkaufte die Farm um ein Billiges an Fred Hammer, der sie an die seine zog, warf die Büchse über die Schulter und ging nach dem Westen, gerade eine Woche vorher, ehe die Betty Hammer einen Mulatten heiratete, der ein sehr hübscher Kerl war und braver, als die Farbigen gewöhnlich zu sein pflegen.

Das war damals ein reges, munteres Leben dahinten in den dark and bloody grounds, besser, viel besser als jetzt; das sage ich euch, und darum könnt ihr's glauben. Die Rothäute kamen um ein Beträchtliches weiter ins Land herein als heutzutage, und man mußte die Augen offen halten, wenn man sich nicht eines Abends zum Schlafe hinlegen und dann des Morgens ohne Skalp in den ewigen Jagdgründen erwachen wollte. Doch, das war nicht so schlimm, denn etliche drei, vier und auch mehr Indsmen kann man sich schon noch vorn Leibe halten; aber es trieb sich neben den Roten auch allerlei weißes Gesindel dort herum, so etwa was man im Osten Runners und Loafers nennt, oder wie die Tramps, die in neuerer Zeit dem ordentlichen Manne so viel zu schaffen machen, und diese Kerls waren bösartig und durchtrieben genug und mehr zu fürchten, als alle Indianer zwischen dem Missisippi und dem großen Meere zusammengenommen.

Einer besonders machte viel von sich reden, der ein so verwegener Satan war, daß sein Ruf sogar bis hinüber in die Länder des europäischen Kontinentes gedrungen ist. Ihr werdet erraten, wen ich meine, nämlich den Kanada-Bill. Wißt ihr denn aber auch, daß er von Geburt nichts anderes ist, als ein englischer Zigeuner? Er kam zuerst nach Kanada und trieb dort einen ganz leidlichen Pferdehandel, bis er gewahrte, daß mit der Karte doch ein Merkliches mehr zu verdienen sei. Er legte sich auf das ›three carde monte‹, und machte mit demselben zunächst die britischen Kolonien unsicher, bis er es zu einer solchen Meisterschaft gebracht hatte, daß er sich auch über die Grenze herüber zu den offenköpfigeren Yankees wagen konnte. Nun trieb er sein Wesen zunächst im Norden und Osten, beutelte die pfiffigsten Gentlemen bis auf den letzten Penny aus und suchte dann den Westen auf, wo er außer dem Spiele noch allerhand Allotria trieb, die ihn zehnmal an den Strick gebracht hätten, wenn er nicht so schlau gewesen wäre, stets den richtigen Beweis abzuschneiden. Hatte er's bei mir nicht grad ebenso gemacht? Ich wußte, wer der Mörder Marys und des Vaters war; ich konnte tausend Eide auf ihn schwören; aber hatte ich ihn gesehen, als er schoß? Nein, und darum war es unmöglich, eine regelrechte Jury über ihn zusammenzubringen. Aber geschenkt war ihm nichts, darauf könnt ihr euch verlassen; eine gute Büchse ist die beste Jury, und ich wartete bloß darauf, daß mich mein Weg einmal mit ihm zusammenführen werde.

Ich war schon lange nicht mehr grün im Fache, hatte eine gute Faust, ein helles, offenes Auge, einen gesunden Körper und hinter mir einige Jahre voller Mühe und Erfahrung. Zuletzt war ich am oberen Laufe des alten Kansas auf Biber gewesen, hatte einen hübschen Fang gemacht, die Felle an einige Companymänner, welche mir begegneten, verkauft und suchte mir nun eine passende Gelegenheit nach dem Missisippi, denn ich wollte ein wenig hinüber nach Texas, von dem damals so viel erzählt wurde, daß einem die Ohren ordentlich klangen.

Freilich gab es dabei mancherlei Schwierigkeiten, denn die Gegend, durch welche in den Pfad nehmen mußte, war ganz verteufelt unsicher. Die Creeks, Seminolen, Choctaws und Komantschen lagen einander in den Haaren, bekämpften sich bis auf die Messerspitzen und behandelten dabei jeden Weißen als gemeinschaftlichen Feind. Es galt also, die Augen und Ohren offen zu halten. Mein Weg führte mich mitten durch das Kampfgebiet, und ich war ganz allein, also nur auf meine eigene Vorsicht und Ausdauer angewiesen. Sogar ein Pferd mangelte mir; die Companymänner hatten es mir abgeschachert, und ich war darum gezwungen, auf meinen alten Mokassins zu reiten. So hielt ich ungefähr immer auf Smoky-Hill zu und konnte nach meiner Berechnung nicht mehr weit vom Arkansas sein. Ich traf immer mehr Wasserläufe, die sich nach ihm hinzogen, und stieß auf allerlei Getier, welches nur an den Ufern großer Flüsse zu finden ist.

So schritt ich durch den Wald und stieß ganz unerwartet auf die Spur menschlicher Fußtritte. Sie rührten von einem Weißen her, denn die Zehenteile der Fußstapfen standen auswärts und nicht, wie es bei einem Indianer der Fall gewesen wäre, einwärts. Ich folgte den Spuren mit der größten Vorsicht und blieb nach einer Weile verwundert stehen. Eine laute menschliche Stimme ertönte, und ich vernahm aus den Worten, daß eine zahlreiche Zuhörerschaft vorhanden sein müsse.

»So ist vorhin von dem Prokurator gesagt worden, Gentlemen und Ladies, die ihr vor dem Richterhofe versammelt seid, um zu sehen und zu hören, in welcher Weise sich ein Mann, der des Mordes beschuldigt wird, auf der Anklagebank benimmt. Jetzt nun komme endlich auch ich, der Verteidiger dieses Mannes, an die Reihe und werde euch beweisen, daß er vollständig unschuldig ist. Denn das muß ich euch sagen, ich heiße Abraham Lincoln, und der ehrenwerte Sir, dem dieser Name gehört, nimmt nur dann das Mandat eines Klienten an, wenn er die Überzeugung gewonnen hat, daß damit nicht die Verteidigung eines Schurken verbunden ist – –«

»Lincoln, Abraham Lincoln?« dachte ich. »Da brauche ich nicht zu zögern. Vorwärts, hin zu den Gent's und Ladies, mit denen er spricht!«

Ich schritt rasch vorwärts. Wahrhaftig, da glänzte mir die helle Fläche des Stromes zwischen die Bäume hindurch entgegen, und auf dem Wasser bemerkte ich die erste Stammlage eines angefangenen Floßes. Darauf stand Lincoln, nicht mit Gentlemen und Ladies, sondern allein, ganz allein, hielt ein aufgeschlagenes Buch in der Linken und focht zur Begleitung seiner Rede mit der Rechten in der Luft herum, als wolle er die Schnaken und Libellen fangen, die über den Wogen spielten.

Er bemerkte mich, als ich an das Ufer trat, ließ sich aber nicht im mindesten stören.

»Good day, Master Lincoln! Darf ich ein wenig hinüber zu Euch?«

»Wer ist das? By god, das ist Master Kroner, der sich um seine Braut geschossen hat! Bleibt noch zwei Minuten am Lande, damit ich meine Rede erst vollenden kann! Es kommt sehr viel darauf an, daß ich sie fertig bringe, denn ich habe einen Unschuldigen zu retten, der einen Mord begangen haben soll!«

»So macht fort! Ich werde mich bis dahin hier niedersetzen.«

Ich kann euch sagen, Mesch'schurs, die Rede, welche er that, war ausgezeichnet, und hätte die Sache auf Wirklichkeit beruht, so wäre der Mann ganz sicher freigesprochen worden, Der ganze Vorgang kam mir keineswegs lächerlich vor, denn ich mußte ja bemerken, daß Lincoln sich hier in der Wildnis auf das Amt eines Lawyer vorbereitete. Als er fertig war, sprang ich zu ihm hinüber. Er streckte mir die Hand entgegen.

»Welcome, Master Kroner! Wie kommt Ihr hierher zum alten Kansas?«

»Ich war einige Zeit lang droben in Colorado und den Spanish Peaks, habe eine gute Biberernte gehalten und will nun hinunter zum Missisippi, um ein wenig nach Texas zu gehen.«

»Ja, warum geht Ihr denn eigentlich nach dem Westen und bleibt nicht daheim auf Eurer Farm, wo es mir damals trotz der beiden Toten für mehrere Tage so wohl behagte?«

Ich erzählte ihm das Nötige. Er schüttelte mir darauf noch einmal die Hand.

»So ist's recht! Das Herzeleid ist ein schlimmer Gesell, und man darf sich nicht mit ihm an einen Ort fesseln und zusammenbinden lassen, sondern man schafft es hinaus in das Weite, wirft es hin und kehrt dann als freier Mann zurück. Ich bin noch immer, was ich damals war: ich fälle Holz, wo es mich nichts kostet, und schaffe es dahin, wo ich einen guten Dollar dafür erhalte. Aber dieses soll mein letztes Floß sein, welches ich zusammenhänge; dann gehe ich nach dem Osten und sehe, ob ich dort etwas Besseres zu schaffen vermag. Wäre ich hier fertig, so könntet Ihr mit mir fahren, leider aber werde ich noch gegen vierzehn Tage zubringen.«

»Das thut nichts, Sir! Wenn es Euch recht ist, bleibe ich doch bei Euch. Einem Westmanne kommt es auf eine Woche mehr oder weniger nicht an, und wenn Ihr mir erlaubt, Euch zu helfen, so werden wir in der halben Zeit fertig, was Ihr gewiß nicht für einen Schaden halten werdet.«

»Mir ist's sehr recht, wenn Ihr bleiben und ein wenig helfen wollt, denn das wird mir auch in anderer Beziehung von Nutzen sein. Die Indsmen schwärmen nämlich seit kurzem wie die Mücken hier umher, und da gelten zwei Männer mehr als einer, wie Ihr wohl wißt. Oder habt Ihr die Büchse immer noch fünf Minuten vor der rechten Zeit bei der Hand?«

»Keine Sorge, Sir! Tim Kroner ist ein besserer Kerl geworden und wird Euch keine Schande machen.«

»Well, ich hoffe es! Aber an einer Axt fehlt es, wenn Ihr mit zugreifen wollt. Man müßte da hinunter nach Smoky-Hill gehen, um sie zu holen, und könnte da auch gleich etwas Munition mitbringen, die mir auf die Neige geht.«

»Wie weit ist es hinab?«

»Zwei gute Tagreisen. Doch ließe sich die Sache auch besser und schneller machen. Man hängt noch ein Feld an das Floß, damit es mehr Widerstandskraft besitzt und sich besser regieren läßt, und fährt dann den Strom hinunter, was nicht ganz einen Tag erfordert. Die Stämme läßt man dort vor Anker und hängt sie später hinten an.«

»So werde ich gehen und holen, was wir brauchen.«

»Ihr? Könnt Ihr ein Floß regieren?«

»Wenn ich eins habe, ja, sonst aber nicht. Es wird ja klein genug werden und also nur einen Mann erfordern.«

»Aber der Rückweg ist gefährlich, falls die Indsmen sich nicht in eine andere Richtung schlagen. Es wundert mich, daß sie mir hier noch keinen Besuch abgestattet haben.«

»Es wird gehen, Sir; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Gut. So ruht Euch von der Wanderung aus; ich werde mich sofort an die Arbeit machen, denn morgen muß das Floß fertig sein!«

»Ich bin nicht müde und werde helfen.«

»Bounce! Ich sehe, daß Ihr ein brauchbarer Mann geworden seid. Come on also, ans Geschäft!«

Am andern Morgen schon schwamm ich auf dem Wasser. Der Strom war immer frei, hatte ein gutes Gefälle, und so sah ich, als der Abend hereinbrach, das Fort vor mir liegen. Ich lenkte an das Ufer, befestigte meine Stämme und schritt auf die Einfassung zu, welche die festen Blockhäuser umgab, die man hier Festung nannte.

Ein Posten stand vor dem Eingange. Er ließ mich passieren, als ich den Zweck meines Besuches angegeben hatte. Im ersten Hause zog ich nähere Erkundigung ein.

»Da müßt Ihr mit Colonel Butler, welcher hier befehligt, selber sprechen,« wurde mir geantwortet. »Er befindet sich drüben im Offiziershause.«

»Wer wird mich melden?«

»Melden? Mann, Ihr befindet Euch nicht vor dem weißen Hause in Washington, sondern beim letzten Posten vor der Indianergrenze; da treibt man nicht derlei überflüssige Allotria! Wer durch die Palissaden gelassen wird, darf seine Nase grad dahin stecken, wo schon andre Nasen gewesen sind.«

Ich schritt auf das mir bezeichnete Gebäude zu und trat durch die Thür in ein Parlour, in welchem sich kein Mensch befand. Aber aus dem Nebenraume erklangen mehrere Stimmen und das Geräusch von Gold- und Silberstücken.

Die Thüre war nur angelehnt. Ehe ich eintrat, wollte ich erst sehen, mit wem ich es zu thun bekam, und warf einen Blick durch die Spalte. Inmitten des Zimmers stand eine roh zubehauene Tafel, an welcher vielleicht zehn Offiziere verschiedener Grade saßen und bei dem Lichte von einigen Hirschtalgkerzen Karten spielten. Und grad gegenüber dem Colonel, wahrhaftig, er und kein anderer war es, da saß der Kanada-Bill vor einem mächtigen Haufen von Geld, Goldstaub und Klumpen und warf die drei Blätter hin und her, daß es eine Art hatte.

Sie spielten ›three carde monte‹.

Keiner von den Männern konnte mich sehen; ich zögerte, einzutreten, und überlegte eben noch, wie ich den Bill begrüßen solle, als ich dieselbe blitzschnelle Bewegung bemerkte, mit welcher er schon damals die vierte Karte in den Ärmel geworfen hatte. Im Nu stand ich hinter ihm und hatte seinen Arm erfaßt.

»Verzeihung, Gentlemen, dieser Mann spielt falsch!« sagte ich.

Er wollte aufspringen, kam aber nicht dazu, denn während meine Linke seinen Arm gefaßt hielt, hatte ich ihm die Rechte so fest um den Hals geschnürt, daß ihm der Atem verging und er keine Bewegung erzwingen konnte.

»Spielt falsch?« fuhr der Oberst auf. »Beweist es! Wer seid Ihr, und was wollt Ihr hier? Wie kommt Ihr in diesen Raum?«

»Ich bin ein Trapper, Sir, und komme, mir einiges aus Eurem Store zu nehmen. Ich kenne diesen Menschen sehr genau; er heißt William Jones oder, wenn Euch der andre Name vielleicht geläufiger ist, der Kanada-Bill.«

»Der Kanada-Bill? Ist's wahr? Er nannte sich hier Fred Fletcher. Laßt ihn doch einmal los!«

»Nicht eher, als bis Ihr Euch überzeugt habt, daß ich die Wahrheit rede. Er spielt nicht mit drei, sondern mit vier Blättern.«

»Wo ist das vierte?«

»Nehmt es ihm hier einmal aus dem Ärmel!«

Einer der Lieutenants griff zu und brachte die Karte zum Vorschein.

»Zounds, Ihr habt recht, Mann, und wir sind Euch allen Dank schuldig, denn der Kerl hat uns ausgesogen beinahe bis auf den leeren Tisch. Laßt ihn nun los; jetzt hat er es mit uns zu thun.«

»Und auch so ein wenig mit mir, Gentlemen. Er hat mir zwei Personen erschossen, die mir die liebsten waren in meinem ganzen Leben, und soll jetzt still halten, bis ich mit ihm abgerechnet habe.«

»Steht es so? Wenn Ihr Eure Behauptung beweisen könnt, so ist es um ihn geschehen!«

Ich ließ die Hand von ihm. Er war beinahe erwürgt und sog die Luft in hastigen, kurzen Zügen ein, ehe ihm das volle Bewußtsein seiner Lage zurückkehrte. Dann sprang er auf.

»Was wollt – –«

Er hielt mitten in seiner Frage inne; denn erst jetzt bekam er mich vor die Augen und hatte mich sofort erkannt.

»Was dieser Mann von Euch will, werdet Ihr zu hören bekommen,« meinte der Colonel. »Ihr seid William Jones, der Kanada-Bill?«

»Damn! Geht mir mit Eurem Kanada-Bill! Ich kenne ihn nicht und heiße Fred Fletcher, wie ich Euch ja längst gesagt habe.«

»Auch gut! Der Name ist uns gleichgültig, denn nicht er, sondern die That wird gerichtet. Ihr habt falsch gespielt!«

»Ist mir nicht eingefallen, Sir! Oder haltet Ihr Euch oder diese Gentlemen etwa für Leute, bei denen man dergleichen Kunststücke riskieren kann?«

»Wir sind ein ehrliches Spiel gewohnt, und in der Voraussetzung, daß Ihr kein Gauner seid, haben wir Euch nicht auf die Finger gesehen. Hätten wir gewußt, wen wir vor uns haben, so wäre Euch der Streich nicht gelungen.«

»Hier kann von keinem Streiche die Rede sein. Ich habe ehrlich gespielt.«

»Und die Karte in Eurem Ärmel?«

»Geht mich nichts an; ich habe sie nicht hineingesteckt. Oder habt Ihr dies vielleicht gesehen, Colonel?«

»So ist sie Euch von selbst hineingeflogen!«

»Oder hineingesteckt worden. Wer mir den Arm gehalten hat, wird wohl wissen, wie sie hineingekommen ist!«

Ich konnte nicht anders, ich erhob den Arm und schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er auf den Stuhl niederfiel.

»Ihr führt einen guten Hieb, Master,« meinte der Oberst lachend; »aber laßt das lieber sein; es gehört nicht notwendig zur Sache. Wir werden ihn schon zwischen die Hände nehmen, daß er genug bekommt.«

»Ich verlange, daß Ihr mich gegen solche Angriffe schützt, Sir,« meinte Jones, indem er sich langsam wieder empor zu richten versuchte. »Ich klage diesen Menschen an, mir die Karte in den Ärmel eskamotiert zu haben!«

»Ja, ganz dieselbe Karte, welche Ihr uns einige Sekunden früher vorzeigtet. Laßt Euch wenigstens nicht auslachen! Was meint ihr, Kameraden: erkennt ihr diesen Master Jones oder Fletcher für schuldig?«

»Er hat falsch gespielt; daran ist kein Zweifel!« erklang es rund im Kreise.

»So laßt uns ihm sein Urteil geben, und das auf der Stelle!«

Sie traten beiseite, um zu beraten. Der Kanada-Bill verriet sich. Er warf einen Blick auf den noch vor ihm liegenden Geldhaufen und einen zweiten nach dem offen stehenden Fenster. Mit einem raschen Griffe erfaßte er von der Münze so viel, als er in der Schnelligkeit zu erlangen vermochte, dann sprang er zum Fenster. Aber schon hatte ich die Büchse erhoben.

»Stopp, Master Jones! Noch einen Schritt und Ihr seid kalt!« rief ich ihm zu.

Er blickte sich um, sah, daß es Ernst war, und blieb stehen.

»Ich zähle bis drei; liegt dann das Geld nicht wieder an seinem Platze, so gebe ich Feuer. Eins –«

Er setzte den Fuß zögernd zum Tische retour.

»Zwei – –!«

Er legte das Geld zu dem andern.

»So, jetzt setzt Ihr Euch nieder, und wartet ruhig, was geschieht!«

Ich ließ den Lauf des Gewehres sinken. Die Offiziere waren mit ihrer Beratung fertig; sie hatten natürlich den Vorgang beobachtet und traten nun wieder herbei. Der Oberst reichte mir, abermals lachend, die Hand.

»Ihr seid ein ganzer Kerl, Master – – ja, wie nennt Ihr Euch denn eigentlich?«

»Tim Kroner ist mein Name, Sir!«

»Also, Master Kroner, Ihr seid ein ganzer Kerl. Schade, daß Ihr nicht eine Stelle oder so etwas bei meinem Regimente habt!« Und sich zu Jones wendend, fuhr er fort: »Ihr werdet für Eure Posse fünfzig gute Streiche auf die glatte Haut erhalten, Gem'man, und ich hoffe, daß sie Euch gut bekommen!«

»Fünfzig Streiche? Ich bin unschuldig und erkenne sie nicht an!«

»Well, Mylord, so erhaltet Ihr sie unschuldig, und wenn Ihr sie habt, werdet Ihr sie wohl anerkennen müssen. Wollt Ihr aber nachher beim Präsidenten der Vereinigten Staaten dagegen appellieren, so will ich Euch zu diesem Zwecke einen Kreditbrief auf weitere fünfzig oder hundert schreiben. Lieutenant Welhurst, nehmt den Mann hinaus auf den Hof, und sorgt dafür, daß er auch ganz und voll erhält, was er zu beanspruchen hat!«

»Ihr dürft Euch da ganz gehörig auf mich verlassen, Cornel!« meinte der junge Offizier, indem er auf Jones zutrat.

»Go on, Mann; die Fünfzig warten draußen!«

»Ich gehe nicht von der Stelle. Ich will mein Recht!« rief Jones.

Da fuhr der Oberst auf den Absätzen herum.

»Er ist nicht zufrieden mit seiner Ration, Lieutenant. Gebt ihm zehn mehr, also sechzig! Ich kann das wohl sagen, weil ich die Verantwortung auf mich nehme. Und geht er auch nun nicht mit, so erhält er für jede Minute weitere zehn mehr!«

»Nun?« fragte der Lieutenant mit drohendem Blick.

»Ich muß gehen; aber dieses ›three carde monte‹ werdet Ihr vielleicht nicht vergessen, denn ich werde mich an einen Richter wenden, an den jetzt keiner von euch denkt!«

Er schritt voran, und der Lieutenant folgte mit gespanntem Revolver. Jetzt wandte sich der Oberst wieder zu mir.

»Was ist's mit dem Morde, Sir? Wenn Eure Beweise gut sind, so bilden wir auf der Stelle eine Jury und geben ihm den Strick. Ihr wißt, auf welchem Territorium wir uns befinden, und daß ich das Recht habe, kurzen Prozeß zu machen!«

Ich erzählte ihm das Nötige.

»Da steht Ihr auf schwachen Füßen, wie ich höre,« meinte der Offizier. »Wir müssen entweder sein Geständnis oder wenigstens einen guten Zeugen haben, auf den man sich verlassen kann. Ich gebe Euch mein Wort: wenn ich ihn verhöre, so heißt er Fred Fletcher und kennt Euch nicht. Und gesehen habt Ihr ja gar nicht, daß der Kanada-Bill derjenige war, welcher geschossen hat; ja, Ihr könnt gar nicht einmal beweisen, daß er bei den Bushheaders gewesen ist. Ich werde mein möglichstes versuchen; das verspreche ich Euch; aber ich weiß genau, daß wir ihn laufen lassen müssen. Das andere ist dann allerdings Eure Sache. Sobald er und Ihr das Fort im Rücken habt, könnt Ihr ja ganz ungestört in Eurer Weise mit ihm sprechen!«

Nach einer Weile wurde der Kanada-Bill wieder hereingebracht. Sein Aussehen war ein entsetzliches. Mit blutunterlaufenen Augen stierte er im Kreise umher und schien die Züge eines jeden Einzelnen seinem Gedächtnisse einprägen zu wollen. Der Oberst begann das Verhör; es führte allerdings zu dem vorausgesagten Resultate.

»Gebt dem Manne alles wieder, was er bei sich trug, und schickt ihn dann unter sicherer Bedeckung stromabwärts fünf Meilen von dem Fort hinweg. Mag er Fred Fletcher oder William Jones heißen; er soll keinen Augenblick länger in unsern Grenzen bleiben!«

So lautete der Schlußbescheid des Colonel. Dann wandte er sich zu mir:

»Ihr seid unser Gast, so lang es Euch beliebt, Master Kroner, und nehmt dann aus unserm Magazine unentgeltlich alles, was Ihr braucht. Oder wollt Ihr dem Manne sofort nach?«

»Ja, wenn Ihr ihn nach einer anderen Richtung geschickt hättet. Aber mein Maat wartet zwei Tagereisen stromauf von hier auf mich; ich muß zu ihm und werde, da die Sachen nicht anders gefallen sind, aufbrechen, sobald ich eine gute Axt und einige Munition bekommen habe. Der Kanada-Bill, so rechne ich, wird meine Spur schon wieder kreuzen!«

»Well, Sir, laßt ihn laufen! Solch' Ungeziefer kommt sicher wieder vor den Schuß. Die Axt und Munition sollt Ihr haben, und weil Ihr unser Geld gerettet habt, werde ich Euch ein Kanoe mit sechs Ruderern zur Verfügung stellen, welche Euch bis morgen früh wohl über den Halbstrich Eueres Weges hinausbringen werden. Das ist für Euch ein Vorteil und für sie eine Übung, die ihnen bei dem faulen Leben hier recht gut bekommen wird. Doch, nehmt Euch vor den Indsmen in acht! Ich habe weite Außenposten stehen, welche mir melden, daß unsre guten roten Brüder das Kriegsbeil ausgegraben haben.«

Er war also schon gewarnt, und ich konnte meine Bemerkungen sparen. Kaum eine Viertelstunde später saß ich, mit allem Nötigen wohl versehen, schon in der Pirogue und ließ mich von den sechs Männern im schnellsten Tempo gegen die Wogen des alten Arkansas rudern. Der Kanada-Bill war mir so schnell entgangen, wie ich ihn gefunden hatte, doch lag mir der brave Lincoln jetzt mehr am Herzen als er, und, wie ich ja auch bereits zum Colonel gesagt hatte, ich hoffte, ihn schon noch einmal wiederzusehen.

Ich bedurfte der Ruhe und schlief die ganze Nacht im Boote bis weit in den Morgen hinein, und als ich erwachte, bemerkte ich, daß die gute Hälfte meines Weges bereits zurückgelegt sei. Trotz meiner Mahnung setzten mich aber die Ruderer nicht eher an das Ufer, als bis ich ihnen sagte, daß ich unsern Lagerplatz nun noch am heutigen Tage erreichen werde. Dann kehrten sie um, und ich trat schwer bepackt meine Wanderung an.

Am späten Abend traf ich bei Lincoln ein. Er war überrascht über meine schnelle Rückkehr und hörte meinem Berichte über das Geschehene mit außerordentlicher Teilnahme zu,

»Recht so, Tim Kroner, daß Ihr den Jones gehen ließet,« sagte er. »Ihr trefft schon noch bei einer besseren Gelegenheit auf ihn. Wundern freilich sollte es mich, wenn er die Schläge hinnähme, ohne wenigstens einen Racheversuch zu machen. Es wird mir hier zu schwül; wir wollen fest an die Arbeit gehen, damit wir baldigst von hier wegkommen!«

Wir arbeiteten nun wie die Bären; Stamm um Stamm mußte fallen, und als die Woche vergangen war, hatten wir nur noch das Schlußfeld an das Floß zu fügen.

Ich war eine ziemliche Strecke landeinwärts gegangen, um gute, haltbare Bandruten zu schneiden. Ich hatte ein hinreichendes Bündel zusammen bekommen und streckte mich zu einer kurzen Ruhe auf den Boden nieder. Es war so still rundum, daß ich jedes Blatt fallen hören konnte.

Da vernahm ich aus einiger Entfernung ein leises, ganz leises Rascheln. Es war nicht in den Zweigen, sondern auf dem Boden. War es eine Schlange, ein sonstiges Reptil oder ein Mensch? Nur mit den Finger- oder Zehenspitzen den Boden berührend, kroch ich geräuschlos auf die Stelle zu, und was meint ihr, Gentlemen, was ich sah? Einen Indianer in voller Kriegerrüstung. Es war ein Choctaw, noch jung, denn ihr wißt ja, daß manche Stämme nur die jungen Leute, um deren Mut und ihre List zu erproben, zu Kundschaftern verwenden. Jedenfalls hatte er den Auftrag, das Ufer des Flusses abzusuchen. Er hatte noch keine von unsern Spuren bemerkt und wand sich mit ziemlichem Geschicke durch die Büsche. ich hatte nicht nur einmal schon eine rote Haut geritzt und wußte, daß ich ihn nicht entkommen lassen durfte, wenn ich nicht unser Leben auf das Spiel setzen wollte. Da galt kein Zögern. Ich zog das Messer, zwei Sprünge – er wandte sich nach mir, gab dadurch die Brust frei, und in demselben Augenblick fuhr ihm die Klinge in das Herz.

Der arme Bursche konnte mich eigentlich dauern; er war ohne Kampf und auf seinem ersten Kriegspfade gefallen. Aber die Prairie ist eine grausame, unerbittliche Herrin, die keine andere Schonung kennt, als nur die eigene. Er war so gut getroffen, daß er nicht den geringsten Laut hatte ausstoßen können. Ich ließ ihn liegen, nahm mein Bündel und eilte zu Lincoln.

»Habt Ihr ein wenig Zeit, Sir?« fragte ich ihn.

»Wozu?«

»Einen Indsman in das Wasser zu schaffen; ich traf ihn zwei Gänge von hier beim Spionieren und gab ihm das Messer.«

Ohne ein Wort zu sagen, ergriff er die Büchse und folgte mir. Bei der Leiche angekommen, bog er sich zu ihr nieder.

»Tim Kroner, Ihr habt einen famosen Stoß. Hättet Ihr den Spion nicht getroffen, so wären wir verloren gewesen. Ich sehe nun, Ihr seid wirklich ein ganzer Mann geworden. Hier meine Hand; wir sagen Du!«

»Topp! Für diese Ehre lasse ich sogar den Kanada-Bill laufen. Aber was nun?«

»Was nun? Sag deine Meinung, Tim; ich möchte sehen, ob du das Richtige triffst!«

»Wir machen das Floß, so weit wir es fertig haben, ganz fertig; das erfordert keine halbe Stunde; dann sehen wir uns nach den Indsmen um, damit wir wissen, woran wir sind. Es ist möglich, daß sie das Fort überfallen wollen, und dann müssen wir den Colonel warnen.«

»Richtig! Greif zu!«

Die Waffen des Indianers wurden unter Moos und Laub versteckt und er dann selbst so unter das Wasser befestigt, daß der Leichnam nicht emporsteigen und vor der Zeit zum Verräter werden konnte. Dann ging es über das Floß her. Die Stämme des Schlußfeldes lagen bereit. Sie bekamen einstweilen Notbänder, da wir diese später mit festeren vertauschen konnten; die bereits fertigen Ruderstangen wurden befestigt; dann brachten wir alles auf Vorrat geschossene Wild nebst den vorhandenen Kien- und Feuerspänen auf das Floß und waren nun, wenn die Not eine schnelle Abfahrt erforderte, zu derselben bereit.

Jetzt kehrten wir zu der Stelle zurück, an welcher ich den Choctaw getroffen hatte, und verfolgten von hier an seine Fährte. Sie war sehr deutlich zu erkennen, was bei einem alten Krieger sicherlich nicht der Fall gewesen sein würde, und wir kamen daher, den Blick immer zur Erde senkend, schnell vorwärts.

So waren wir bereits weit über eine Stunde durch den Wald dahingeschritten, und da es allmählich zu dunkeln begann, besorgten wir schon, daß wir die Spur nicht mehr erkennen und die Indianer nicht finden würden, als wir plötzlich bemerkten, daß wir uns nicht mehr im tiefen Forste, sondern innerhalb einer schmalen Waldzunge befanden, welche sich tief in eine freie Grasfläche schob, die entweder eine größere Lichtung oder eine weite, einschneidende Savannenbucht sein mußte.

Draußen lagen die Gesuchten im Grase oder tummelten ihre mutigen Mustangs umher. Wir zählten über dreihundert Krieger, und da es nur Choctaws waren, konnten wir vermuten, daß die ihnen verbundenen Komantschen auch in der Nähe seien. Wir standen zwischen hohen Farnkräutern und konnten das ganze Lager überblicken, wo man schon die Abendfeuer angezündet hatte. Sie wurden nicht in der unvorsichtigen Weise der weißen Jäger genährt, welche Scheit auf Scheit türmen und so zwar viel Wärme, aber auch eine hohe, verräterische Flamme und dichten Rauch erzielen, sondern nach der vorsichtigen Indianersitte, daß man die Hölzer nur mit den Spitzen in die Flamme legt und sie langsam, Rauch und Flamme regelnd, nachschiebt.

Ein Aasgeier kam über den Wald gezogen und begann, Beute witternd, seine Kreise über der Lichtung zu beschreiben. Einer der Indsmen erhob sich, richtete sein Gewehr empor, drückte los und traf so gut, daß der Raubvogel in einer immer enger werdenden Schneckenlinie zur Erde fiel. Wer der Schütze war, sollten wir sofort hören, denn:

»Uff!« ertönte es da seitwärts von unserm Standpunkte. »Der Sohn des ›schwarzen Panthers‹ ist ein großer Krieger. Seine Kugel holt die Schwalbe aus den Wolken!«

Die Worte waren in jenem wunderlichen Gemisch von Englisch und Indianisch gesprochen, dessen sich die Rothäute bedienen, wenn sie mit einem Weißen sprechen. Es steckte also jemand ganz nahe bei uns im Gebüsch, und es waren das nicht eine, sondern zwei Personen, denn wir hörten gleich darauf eine andere Stimme in demselben Idiome antworten:

»Aber auch ein unvorsichtiger Mann. Der Kundschafter ist noch nicht zurück, und wir wissen nicht, ob sich vielleicht Feinde in der Nähe befinden, welche durch den Schuß auf die roten Männer aufmerksam werden könnten.«

»Ein Weißer!« flüsterte Lincoln. »Der Schuft ist ebenso unvorsichtig wie der Sohn des ›schwarzen Panthers‹. Er predigt ja so laut, daß man es drüben in San Francisco hören kann. By god, ohne das gute ›Uff‹ wären wir den beiden ganz gemütlich in die Hände gelaufen!«

»Fürchtet sich mein weißer Bruder?« fragte der Indianer mit stolzem Tone. »Er ist zu uns gekommen, um uns das Haus des Kriegshäuptlings zu öffnen, und Manitou hat uns eine gute Medizin gesandt, die unsre Tomahawks scharf und unsre Messer spitz und sicher macht. Das feste Haus der Weißen wird verbrannt, ihr Haupt skalpiert und ihr Pulver von uns genommen werden!«

»Und jeder Offizier muß vorher hundert Streiche leiden; so hat es mir mein roter Bruder versprochen!«

»Der schwarze Panther hat es gesagt, und er bricht nie sein Wort. Deine weißen Feinde sollen die Streiche erhalten, Howgh! Aber der rote Mann kämpft nur mit der Waffe; er schlägt keinen Feind mit der Rute. Du mußt die Streiche selbst geben!«

»Desto besser. Die Krieger der Komantschen kommen noch diese Nacht; dann sind wir stark genug, und wenn die Sonne noch einmal im Westen gesunken ist, wird das Fort vernichtet!«

»Zounds, der Kanada-Bill!« meinte ich leise.

Lincoln nickte und nahm mich bei der Hand.

»Zurück und fort von hier! Wir könnten die beiden niederstechen, hätten aber damit nichts gewonnen, sondern viel verloren. Wir müssen sofort abfahren und den Colonel warnen. Wir kennen jetzt die Zeit des Überfalles, und das ist die Hauptsache. Der Tod dieser beiden Halunken würde eine Änderung darin hervorbringen, die uns nicht lieb sein kann.«

Wir zogen uns leise und vorsichtig zurück und eilten, als wir außer Hörweite gekommen waren, mit raschen Schritten unserm Landeplatze zu. Wir wußten, daß nur ein Kundschafter ausgeschickt worden war; dieser war gefallen, und so hatten wir keine feindliche Begegnung zu fürchten.

Es war kaum eine Stunde vergangen, so schwammen wir bereits auf dem Wasser. Das Floß war größer als dasjenige, mit welchem ich nach dem Fort gekommen war, und seine Führung nahm, besonders da es Nacht war, unsere ganze Kraft und Aufmerksamkeit in Anspruch. Doch ging die Fahrt ganz glücklich von statten, und der Mittag war noch ziemlich fern, als wir bei Smoky-Hill anlegten.

Ein Peloton Infanterie hielt in der Nähe des Wassers Schießübung, welche der Colonel selbst überwachte. Er erkannte mich, bevor ich noch das Land betreten hatte.

»Ah, Master Kroner! Braucht Ihr wieder Axt und Pulver?«

»Heute nicht, Sir, sondern wir kommen, weil ich denke, daß Ihr uns braucht.«

»Ich euch? Wozu?«

Wir sprangen an das Ufer.

»Die Choctaws und Komantschen wollen heute nacht das Fort überfallen.«

»Alle Teufel! Ist's wahr? Ich habe gewußt, daß sie sich in der Nähe umhertreiben, doch meinte ich, sie hätten mit den Creeks und Seminolen genug zu thun, denen sie noch vor drei Tagen ein hübsches Treffen geliefert haben, wie mir meine Leute berichteten.«

»Der Kanada-Bill hat sie gegen Euch gehetzt.«

»Wißt Ihr das genau, Mann? Dann ist er wieder stromauf gegangen, als ihn seine Bedeckung verlassen hat. Hätte ich dem Menschen doch die Kugel geben lassen! Erzählt!«

»Da seht Euch erst einmal meinen Maat an! Abraham Lincoln heißt er und ist ein Kerl, der es noch zu etwas bringen kann!«

»Well, Master Lincoln, will es Euch wünschen! Aber nun macht, daß ich die Hauptsache erfahre!«

Wir erzählten ihm das gestrige Abenteuer.

»Schön, gut!« lachte er, als wir zu Ende waren, in seiner sichern, überlegenen Weise. »Ich danke euch, Mesch'schurs, für den Wink und werde ihn ganz gehörig benutzen. Wollt ihr das mitansehen, oder schwimmt ihr weiter?«

»Wir bleiben hier, wenn Ihr's erlaubt, Sir. Ein seltenes Vergnügen darf man nicht versäumen.«

»So kommt herein, und macht es euch bequem!«

»Später!« meinte Lincoln. »Wir werden unser Floß eine halbe Meile weiter unten anlegen, damit es den Roten nicht vor die Augen kommt. Sie werden auf alle Fälle erst die Umgebung des Forts absuchen, und da ist es nicht nötig, sie wissen zu lassen, daß jemand von oben herabgeschwommen ist. Sie könnten, da ihnen der Kundschafter verloren ging, Verdacht schöpfen.«

Dieses durch die Vorsicht gebotene Vorhaben wurde ausgeführt; dann kehrten wir zum Fort zurück, wo bereits alle Vorkehrungen zum Empfange der Wilden im Gange waren. Die Außenposten wurden eingezogen, um den Indianern das Anschleichen so leicht wie möglich zu machen, die vier Kanonen mit Kartätschen geladen, und jeder Mann erhielt außer der Doppelbüchse oder dem zweiläufigen Karabiner eine Pistole und ein scharfes Bowiemesser. Die Offiziere waren ohne Ausnahme jeder mit mehr als einem Revolver bewaffnet. Es galt, gleich beim ersten Angriffe mit so viel Schüssen wie möglich die Feinde zu begrüßen.

Wir saßen am Abend mit an der Offizierstafel, und es war ganz erstaunlich, was Lincoln in der Unterhaltung für außerordentliche Kenntnisse entwickelte. Trotz seiner Bescheidenheit schlug er einen der Gentlemen nach dem andern, und als die Rede dann auf den Überfall kam, meinte er:

»Die Hauptsache wäre, sie nicht bloß zu empfangen, sondern in der ersten Verwirrung mitten unter sie hineinzufahren. Ich rechne, wenn wir erfahren könnten, wo sie die Pferde lassen, so sind sie auf alle Fälle verloren. Ihr habt ein Detachement Dragoner zur Verfügung, Cornel; laßt diese Leute nach der ersten Salve aufsitzen und sich der Pferde bemächtigen, oder – bounce, da kommt mir ein Gedanke! Habt Ihr Raketen oder sonst ein Feuerwerk in der Hand, vielleicht einige Schwärmer?«

»Die könnt Ihr haben, Sir. Was wollt Ihr damit?«

»Die Pferde versprengen. Tim, gehst du mit?«

»Natürlich!« antwortete ich.

»So brauche ich weiter keinen, Cornel. Besorgt das Zeug, und laßt uns dann hinaus!«

»Das könnt Ihr doch unmöglich wagen!«

»Pshaw! Man hat noch andre Dinge zu wagen als das. Eine Lunte oder zwei müssen wir haben, um uns nicht durch Feuerschlagen zu verraten.«

Aus Rücksicht auf uns wollte man nicht auf diesen Vorschlag eingehen; Lincoln überwand alle Bedenken, und bald schlichen wir, jeder mit einer Lunte und den nötigen Feuerwerkskörpern versehen, hinaus in den Wald.

Die Aufgabe, weiche wir uns gestellt hatten, war schwer und gefährlich, aber mit einiger Vorsicht konnte ihre Lösung gelingen. Es war anzunehmen, daß sie ihre Pferde nicht im Walde anhobbeln, sondern im Freien unter der Aufsicht einiger Leute zurücklassen würden; darum wandten wir uns so bald wie möglich nach rechts, wo sich eine Reihe von Lichtungen, wie kleine Binnenseen, in den Forst hineinzog.

Als wir am Rande der ersten dahinglitten, faßte der voranschreitende Lincoln plötzlich meinen Arm und zog mich in das Gebüsch. Er hatte sehen können, was seine Gestalt mir verdeckte: ein Indianer kam im Schatten der Bäume dahergeschlichen, neben ihm ein Weißer.

»Der Kanada-Bill mit dem schwarzen Panther!« flüsterte Lincoln.

Es war so dunkel im Schatten, daß man das Gesicht von Jones nicht deutlich erkennen konnte, aber es verstand sich ganz von selbst, daß es kein anderer war. Die beiden gingen als Beobachter voran. In einiger Entfernung von ihnen bewegte sich eine unabsehbare Schlange von Indsmen, von denen immer einer hinter dem andern ging, und wir mußten eine sehr lange Zeit warten, bis der letzte vorüber war.

»Ein schöner Zug, Tim! Erst die Choctaws und dann die Komantschen, zusammen wenigstens sechshundert rote Felle. Der Cornel wird einen harten Stand bekommen und wir nicht minder. Ich hoffe, daß unser Feuerwerk ausreicht!«

Wir setzten unsern Weg fort und hatten kaum den Rand der zweiten Lichtung erreicht, so sahen wir im Halbdunkel der Sternennacht, was wir suchten. Mitten auf dem freien Platze lag eine dunkle Masse. Es waren die Pferde.

»Nur die von dem einen Stamme! Der andre wird die seinen weiter hinten gelassen haben. Komm!« sagte Lincoln.

Wieder ging es vorwärts bis zu der dunklen Ecke, welche die nächste Lichtung verbarg.

»Well, dort sind die andern, und auch die Wächter dabei, hier drei Mann und dort vier. Denkst du, daß wir an sie herankommen können?«

»Warum nicht? Das Gras ist hoch, und wenn wir ihnen den Wind abgewinnen, so daß uns die Tiere nicht verraten, so wird es gehen.«

»Der Indsman überfällt den Feind am liebsten gegen Morgen; diese aber dünken sich so sicher und stark, daß sie schon jetzt beginnen. Ich rechne, sie sind bereits in der Nähe des Forts angekommen; wir können also anfangen. Aber, Tim, nur Messer und Tomahawk darf arbeiten; nur keine laute Waffe!«

Er legte sich zu Boden und wand sich, unsichtbar und geräuschlos wie eine Schlange, durch das Gras. Ich folgte dicht hinter ihm. Wir kamen den drei an der Erde sitzenden Indianern so nahe, daß wir beinahe ihren Atem zu hören vermochten. Ein kleines Hufgefecht zwischen zwei Pferden verursachte ein Geräusch, welches es uns ermöglichte, bis auf Griffweite an den Rücken der ahnungslosen Männer zu kommen. Ich sah das Messer Lincolns blitzen, nahm auch das meine zwischen den Zähnen hervor und stieß zu. Zwei waren still.

»Ugh!« rief der dritte, emporspringend, sank aber sofort, von dem Tomahawk Lincolns getroffen, wieder zusammen.

»Tot, alle drei! Tim, der Handel fängt nicht unrecht an. Nun zu den vier da drüben! Oder sind's zu viel?«

»Für dich und mich nicht. Vorwärts!«

Dieses Mal wurde es uns nicht so leicht. Wir mußten, um den Wind gegen uns zu bekommen, einen Umweg machen, und einer von den vier Männern stand aufrecht da, so daß wir von ihm leicht bemerkt werden konnten. Unter Anwendung aller Vorteile kamen wir dennoch immer weiter an sie heran und – ja, da erscholl aus weiter Ferne ein satanisches Geheul, dem ein fürchterlicher Schwall von Schüssen folgte. Die Indianer hatten ihren Angriff auf das Fort begonnen.

»Jetzt ist alles gleich, Tim,« flüsterte Lincoln. »Nimm den Revolver; aber keiner darf entkommen. Go on

Im nächsten Augenblick war er mitten unter ihnen, ich an seiner Seite. Vier leichte Knalle, einige nachhelfende Hiebe und Stiche, und wir waren auch hier Herren des Platzes.

»Das ging! jetzt brauchen wir weder Lunte, noch Feuerwerk, Tim, um ein Meisterstück auszuführen, von dem man hier noch lange erzählen soll. Es sind Indianerpferde, merk's wohl, und gewohnt, eins hinter dem andern zu gehen. Schnell die Riemen an die Schwänze!«

Das war allerdings ein Gedanke, den nur ein Lincoln haben konnte, aber er kam nicht zur Ausführung, denn wir vernahmen jetzt die tiefen Stimmen der Kanonen und gleich darauf einen hundertstimmigen Schrei, der uns von dem Stande der Dinge sofort überzeugte.

»Es ist keine Zeit dazu; sie fliehen und werden gleich hier sein. Heraus mit den Schwärmern. Spring schnell zur andern Herde. Du brauchst die Tiere gar nicht loszupflöcken, sie reißen sich selbst los. Da drüben bei den Hickorys treffen wir uns!«

Ich eilte zu der ersten Pferdetruppe zurück, riß Feuerzeug und Lunte heraus, setzte die Zünder in Brand und warf dann alles mitten unter die Tiere hinein. Als ich zu den Hickorys kam, wartete Lincoln schon auf mich.

»Paß auf, Tim; es wird gleich losgehen!« lachte er.

Beide Herden ließen ein verdächtiges Schnauben hören; die Tiere erkannten am Geruche die Gefahr. Da prasselte, knallte und sprühte es los, erst drüben, dann hüben; im Funkenregen sahen wir die glühenden Augen, schnaubenden Nüstern und gesträubten Mähnen der erschreckten und an den Lassos zerrenden Tiere. Dann bäumte es sich empor mit aller Kraft, wogte erst ratlos hin und her, bis es im vollen enggeschlossenen Trupp ausbrach und in der Richtung grad nach dem Fort zu dahinsauste.

»Herrlich, prächtig, Tim! Sie reißen, stürmen und treten ihre eigenen Herren nieder, von denen sicher kein einziger wieder zu seinem Tiere kommt. Ich wette, sie werfen sich in den Fluß und werden dann vom Fort aus leicht gefangen!«

Wir konnten jetzt nichts Besseres thun, als uns in das Gebüsch verbergen. Augen und Ohren blieben offen, und wenn wir auch nichts zu sehen vermochten, so hörten wir desto mehr: das Wutgeheul der enttäuschten Indsmen, welche statt ihrer Pferde die Leichen der Wächter fanden, den Galoppschlag der Dragoner, welche hinter den Fliehenden hergestürmt kamen, das Krachen der Karabiner und Pistolen, welches sich nach und nach in die Ferne verlor, und dann zuweilen ein leises Rascheln, welches von einem Flüchtlinge herrührte, der sich in das Dickicht geworfen hatte.

Erst als der Morgen zu grauen begann, verließen wir unser Versteck und traten auf die Lichtung, wo die Leichen der Getroffenen lagen. Um das Fort herum sah es wie auf einem Schlachtfelde aus; Indsman lag an Indsman, getroffen von den Kugeln der Soldaten, welche hinter den Palissaden jeder seine zwei, drei Mann genommen hatten, und vor dem Thore lag ein entsetzlicher Haufe von Leichen und zerrissenen Gliedern hochaufgetürmt; das hatten die Kartätschen gethan.

Der Colonel empfing uns strahlenden Blickes.

»Kommt herein in den Hof, wenn ihr euer Werk sehen wollt! Ich glaubte euch beinahe verloren, da ihr so spät kommt. Seht hier den Leichenturm! Das ist das Werk des Kanada-Bill, denn kein anderer hat die Roten verführt, einen geschlossenen Angriff zu unternehmen, als der erste Anprall so glanzvoll abgewiesen wurde.«

»Ist er unter den Toten?«

»Hier nicht; er müßte sich weiter draußen finden.«

Im Hofe stand eine ganze Herde eingefangener Indianerpferde.

»Schaut her, Mesch'schurs, euer Eigentum, welches ich euch abkaufen werde, wenn ihr die Tiere nicht mit auf das Floß nehmen könnt. Ich glaube, die Roten lassen es sich nicht gleich wieder einfallen, Smoky-Hill anzugreifen, und das haben wir euch zu verdanken, ohne die wir wohl verloren gewesen wären. Kommt herein, damit ihr seht, wie hoch wir den Gewinn bei diesem ›three carde monte‹ rechnen können!« – –

Der Erzähler machte eine Kunstpause, leerte sein Glas, welches ihm inzwischen wieder gefüllt worden war, sah seine Zuhörer einen nach dem andern an, welchen Eindruck er auf sie gemacht habe, nickte befriedigt und fuhr dann fort:

»Wißt ihr, Gentlemen, was ein gutes, schnelles und ausdauerndes Pferd für den Prairiemann zu bedeuten hat? Nehmt dem Luftschiffer seinen Ballon und dem Seemann sein Schiff, und beide haben aufgehört, zu existieren. Ebenso ist auch ein Savannenjäger ohne Pferd rein undenkbar. Und welch' ein Unterschied ebensowohl unter den Schiffen als auch unter den Pferden! Pshaw, ich will euch darüber keine Rede halten; aber wenn ich euch sage, daß ich das beste Pferd der weiten Steppe jahrelang zwischen den Leggins gehabt habe, so werdet ihr wissen, was ich meine. Ich habe es gehalten wie mich selbst, ja weit besser noch; wir hatten einander nicht nur ein- oder etlichemal das Leben zu verdanken, und als es endlich unter der Kugel eines roten Halunken stürzte, habe ich es begraben und den Skalp seines Mörders dazu gelegt, wie es sich schickt für einen Westmann.

Und von wem ich es habe, fragt ihr? Von wem anders als von dem schwarzen Panther damals in Smoky-Hill! Es befand sich unter den eingefangenen Tieren, hatte eine dunkle Pantherdecke auf dem Rücken und die Mähne voll eingeflochtener Adlerfedern, Beweis genug, daß es das Tier des Häuptlings gewesen war. Ich bestieg es und fand, daß es die feinste indianische Dressur hatte, die mir vorgekommen ist. Darum konnte ich mich nicht wieder von ihm trennen, brachte es auf das Floß, wo ich ihm einen ganz artigen und trockenen Stand herrichtete, und nahm es dann, als wir den Missisippi erreichten und ich mich von Lincoln trennte, unter den Sattel. Da hat es sich so bewährt, daß mich alle Welt um den ›Arrow‹ beneidete, wie ich den Hengst nannte, und ich niemals auch nur die geringste Klage über ihn zu führen hatte.

Ich ging nach Texas, trieb mich dann einige Jahre in Neu-Mexiko, Colorado und Nebraska herum und ritt dann sogar nach Dacota hinauf, um mich ein wenig mit den Sioux herumzuschlagen, von denen selbst der schlaueste Trapper noch Klugheit lernen kann.

Da kam ich an den Black-Hills mit einigen Jägern zusammen, von denen ich eine ganz absonderliche Kunde erfuhr. Damals hatte das Ölfieber den höchsten Grad erreicht; die Quellen brachen nur so aus der Erde heraus, und wo es kein Öl gab, da gab es wenigstens viel öliges Geschrei. Freilich gab es ganze Gegenden, die von dem Brennfette trieften, und wer da das Glück hatte, sich das Vorkaufsrecht zu sichern, konnte in einem einzigen Jahre Millionen zusammenwerfen.

Davon sprachen wir, als wir um das Feuer lagen und ein saftiges Stück Büffellende über demselben brieten. Da meinte einer von den Männern:

»Kennt ihr die Hochebene, welche sich von Yankton am Missouri rechts von dem Flusse grad nach Norden zieht und sich dann in die Hudsons-Bai-Länder steil hinunterwirft? Man nennt sie das Coteau du Missouri?«

»Warum sollte man das Coteau nicht kennen? Freilich wagt sich niemand gern hinauf in die finstern, steilen Bluffs und Schluchten, wo der Redman, Bär und Luchs die Herrschaft führen und man nichts erjagen kann als einen elenden Skunk oder eine Wildkatze, die keinen Nutzen bringt.«

»Und dennoch bin ich droben gewesen und habe etwas gefunden, was ich dort nicht gesucht hätte, nämlich den größten Ölmann, den es in den Vereinigten Staaten giebt.«

»Einen Ölmann? Da droben? Wie soll das Öl hinauf auf das Coteau kommen?«

»Es ist oben, das ist genug; wie es hinaufgekommen ist, das geht mich nichts an. Ich bin drei Tage bei ihm gewesen, denn, müßt ihr wissen, der Mann hegt Gastfreundschaft wie selten einer, und hat mich gehalten wie den Präsidenten selbst. Das Öl läuft bei ihm nur so aus der Erde; trotzdem hat er aus Chicago einen Erdbohrer kommen lassen, um es aus größerer Tiefe emporzuholen; Fässer giebt es da zu Hunderten, und so groß, daß man sich mit dem Gaule darin herumtummeln kann, und Geld, ich habe es nicht gesehen, aber Geld muß der Mann haben ganze Säcke voll!«

»Wie heißt er denn?«

»Guy Willmers. Nicht wahr, ein ganz absonderlicher Name? Aber der Mann selbst ist schöner, ein Mulatte zwar, aber ein Kerl wie ein Bild. Und seine Frau, die er Betty nennt, stammt aus Germany drüben. Ihr Vater, ein Master Hammer, hat drunten am Arkansas gewohnt und viel Herzeleid erfahren. Die Bushheaders haben ihm eine Tochter ermordet und – –«

Ich sprang empor.

»Guy Willmers –? Ein Mulatte –? Fred Hammer – nicht wahr, Fred hieß der Mann?«

»Ja, Fred Hammer, eine lange, breitschulterige Figur mit schneeweißem Kopf- und Barthaar. Aber, was ist mit Euch? Kennt Ihr vielleicht diese Leute?«

»Ob ich sie kenne? Besser als euch alle! Fred Hammer wohnte neben uns, und Mary, seine älteste Tochter, war meine Braut, wurde mir von den Bushheaders geraubt und, als wir die Bande verfolgten, mit meinem Vater von dem Kanada-Bill erschossen!«

»Das stimmt, das stimmt! So seid Ihr also der Tim Kroner, von dem mir der Ölprinz so viel Gutes erzählt hat?«

»Der bin ich! Ich ging dann in die Prairie und fand, als ich nach Jahren einmal zurückkehrte, fremde Leute auf der Stelle.«

»Fred Hammer hat gut verkauft und dann ein Geschäft in St. Louis gehabt. Guy Willmers ist für dasselbe gereist und dabei einmal auf das Coteau gekommen, wo er das Petroleum entdeckte. Natürlich sind sie sofort alle hinauf und wissen auch, warum. Ihr müßt sie besuchen, Master Kroner, und werdet damit eine ganz heillose Freude anrichten, das kann ich Euch versichern!«

»Zounds, ich will gespießt und gebraten werden wie dieses Stück Büffellende, wenn ich nicht gleich morgen früh aufbreche! Ich habe die Black-Hills satt und will einmal hinauf zu den Redmen, Luchsen und Bären. Vielleicht gelingt es mir auch, ein Loch zu finden, wo ein Michigansee voll Petroleum herausläuft.«

»Vorher aber müßt Ihr die Geschichte von den Bushheaders erzählen. Der Kanada-Bill soll kürzlich in Des Moines gewesen sein und zwölftausend Dollars im ›three carde monte‹ gewonnen haben. Ein ganz verteufeltes Spiel, wie mir scheint, viel schlimmer noch als das Monte, welches man in Mexiko und da herum treibt.«

»Mich kostete es viel mehr als einen ganzen Berg voll silberne Dollars. Und wie das zugegangen ist, nun, Well, Ihr sollt es hören!«

Ich erzählte die Geschichte, und dann wickelten wir uns in unsere Decken, stellten die erste Wache aus und machten die Augen zu. Aber ich konnte keine Ruhe finden. Der Gedanke an Fred Hammer, Betty und Guy Willmers ging mir im Kopfe herum; die alten Bilder waren in neuer Frische wieder erwacht, und als endlich doch ein kleiner Schlummer über mich kam, träumte ich vom fernen Arkansas, von den beiden kleinen Farmen, von Vater und Mutter, von Mary, die vor mir stand in der ganzen Schönheit und Güte, wie ich sie früher gesehen hatte. Auch der Kanada-Bill war dabei; er wollte mich erwürgen, und als er nach mir faßte, erwachte ich.

»Tim Kroner, Ihr habt die letzte Wache. Die Zeit ist da, wie mir scheint!«

Es war der alte Fallensteller gewesen, der meinen Arm ergriffen hatte; aber, ich sag's euch, ich hätte viel darum gegeben, wenn ich wirklich den William Jones vor mir gehabt hätte!

Ich hatte mir, um früh zum Aufbruche gerüstet zu sein, mit Vorbedacht die letzte Wache geben lassen. Als sie vorüber war und ich die Leute weckte, erkundigte ich mich bei dem Trapper nach dem Weg, den ich einzuschlagen hatte.

»Ihr reitet immer gradaus nach Osten zum Missouri, geht da, wo der Green-Fork einmündet, über das Wasser und haltet Euch dann am rechten Ufer stromauf. Das Coteau tritt in hohen Vorgebirgen, die wie riesenhafte Kanzeln aussehen und leicht zu zählen sind, an das Thal des Flusses heran. Zwischen der vierten und fünften Kanzel steigt Ihr empor und kommt erst durch einen zwei Tagereisen haltenden Urwald, den Ihr grad nach Norden durchschneidet; dann kommt eine weite Büffelgrasprairie, durch die Ihr in derselben Richtung geht, vielleicht vier Tage lang, bis ein kleiner Fluß kommt, an dessen Ufer Willmers wohnt.«

»Was für Redmen giebt es in der Gegend?«

»Sioux, meist vom Stamme der Ogellallah und das schlimmste Volk, welches ich kenne. Doch kommen sie nur zur Zeit der Frühlings- und Herbstwanderung der Büffel hinauf. Jetzt ist es Hochsommer, und Ihr seid vielleicht vor ihnen sicher. Sie werden sich zwischen den Platte und Niobrara zurückgezogen haben.«

»Ich danke Euch und werde Euch, wenn wir uns irgendwo wiederfinden sollten, von diesem Ritt erzählen.«

»Schön! Grüßt die Leute von mir, und sagt ihnen, daß ich ihnen ihr Glück und Öl von Herzen gönne!«

Ich nahm Abschied von der Gesellschaft, bestieg meinen Arrow und wandte mich dem Osten zu. Ich fand und that alles grad so, wie der Mann mir gesagt hatte. Am Green-Fork schwamm ich über den Missouri und sah die einzelnen hohen, runden Bergmassen, zwischen denen tief geklüftete, wirre Thäler zur Höhe führten. Als ich den vierten Riesen hinter mir hatte, bog ich rechts ein. Die Schlucht war so von herabgestürzten Felsblöcken, Steingeröll und umgestürzten, halb faulen und von allerlei Schlinggewächsen überwucherten Baumstämmen angefüllt, daß ich meine Mühe und Not hatte, mit dem Pferde vorwärts zu kommen, und ich dankte es meinem guten Tomahawk, mit dem ich mir den Weg hauen mußte, daß ich endlich die hohe Ebene erreichte.

Hier befand ich mich mitten im prächtigsten Urwalde, der keine Spur von Unterholz zeigte, so daß ich schnell vorwärts kam. Ich brauchte mit meinem wackern Arrow nicht zwei volle Tagereisen, um die Prairie zu erreichen, vor welcher ich erst Halt machte, um mich mit Dürrfleisch zu versehen, da ich nicht wußte, ob ich auf der Savanne ein jagbares Wild antreffen würde.

Als dies geschehen war, ging es frisch dem Norden zu. Der erste Tag verging ohne ein besonderes Ereignis, der zweite ebenso. Am dritten Morgen hatte ich mich nicht gar zu früh aus der Decke gewickelt und stand eben im Begriffe, Arrow den Sattel aufzulegen, als ich in der Ferne einen Reiter bemerkte, welcher auf meiner Fährte dahergeritten kam.

Wer konnte der Mann sein, der Gründe hatte, diese abgelegene Savanne zu durchreisen? Ich lockerte, mehr aus alter Gewohnheit als aus gebotener Vorsicht, Messer und Revolver und erwartete ihn im Sattel. So war ich auf alle Fälle gerüstet.

Je näher er kam, desto deutlicher konnte ich die Einzelheiten seiner hohen, breiten Figur unterscheiden. Er ritt einen sehr hochbeinigen Klepper, der einen außerordentlich großen Kopf, aber einen desto kleineren und höchst ärmlich behaarten Schwanzstummel hatte; doch vollführte das Tier einen Schritt, vor welchem man alle Achtung haben mußte. Auf dem Kopfe trug er einen Filzhut mit unendlich breiter Krempe; der Leib stak in einem engen Lederkoller, dessen einfacher Schnitt keine Bewegung hemmte, und die Beine steckten in einem Paar Aufschlagestiefel, die bis an den Leib herangezogen waren. Über die Schulter hing die Doppelbüchse und an dem Gürtel der Pulver-, Schrot- und Mehlbeutel; ein Revolver stak neben dem Bowiemesser, und außerdem bemerkte ich zwei sonderbare Gegenstände dort angebracht, die sich später als eiserne Handschellen erwiesen.

Das Gesicht konnte ich wegen der breiten Hutkrempe nicht erkennen. Ich ließ ihn bis innerhalb Schußweite herankommen, und erhob dann die Büchse.

»Stopp, Master! Was thut Ihr hier in dieser Gegend?«

Er hielt das Pferd an und lachte.

»Heigh-day, ist das ein Spaß! Tim Kroner, alter Waschbär, willst du mich etwa erschießen?«

»Alle Wetter, diese Stimme sollte ich kennen,« erwiderte ich, indem ich das Gewehr sinken ließ. »Aber der verfluchte Hut ist mir im Wege. Abraham Lincoln, bist du es wirklich, der hier auf solch einem Ziegenbock in den Morgen hineinreitet?«

»Freilich bin ich es, wenn du nichts dagegen hast! Darf ich jetzt nun hin zu dir?«

»Komm her, und sag', was du hier treibst!«

»Erst muß ich wissen, was dich auf deinem Arrow in diese schöne Gegend führt!,‹

»Ich will einen Bekannten von dir und mir besuchen.«

»Einen Bekannten von uns beiden? Wer ist es?«

»Rate!«

»Sag' erst, wo?«

»Da vorn in irgend einem Bluff, wo das Öl wie Wasser laufen soll.«

»Ah, Guy Willmers, den Ölprinzen!«

»Good lack, du kennst ihn?«

»Persönlich nicht, aber du hast ja mir den Namen von Fred Hammers Schwiegersohn in Smoky-Hill genannt.«

»So hast du gewußt, daß Fred Hammer nach dem Coteau du Missouri gezogen ist?«

»Nein. Ich weiß, daß Fred Hammer hier wohnt; doch daß es der unsrige ist, ahnte ich erst, als du von einem Bekannten sprachst, denn da fiel mir auch der Name Guy Willmers wieder ein.«

»Well, also zu ihnen will ich. Und du?«

»Auch zu ihnen.«

»Was –? Auch –? Was willst du dort?«

»Das ist ein Geheimnis, doch dir kann ich es sagen. Aber nimm die Zügel, und komm vorwärts! Sieh mich einmal an. Für was hältst du mich?«

»Hm, für den tüchtigsten Kerl zwischen Neuschottland und Kalifornien.«

»Das ist eine sehr überflüssige Antwort. Ich meine das Metier.«

»Laß raten, wen du willst, nur mich nicht! Ich schlage lieber einen Büffel nieder, als daß ich ein Rätsel auseinander schieße.«

»Nun, siehst du nichts an mir, was sonst wohl nicht zu einer Trapperausrüstung gehört?«

»Ja, hier die beiden Mausefallen. Ich glaube gar, du bist Policeman geworden!«

»So eigentlich nicht; aber wenn es dir recht ist, so kannst du mich für einen Lawyer halten, der bereits einen kleinen Namen hat. Du hast mich am alten Kansas mit dem Gesetzbuche und bei der Rede getroffen; das war meine Universität, und, schau, ich habe sie nicht umsonst besucht!«

»Ein Lawyer also! ja, ich hab's gewußt, daß du einen guten Weg emporsteigen wirst, und glaube, du wirst auf dem jetzigen Punkte nicht lange stehen bleiben. Doch was hat der Lawyer mit deinem Ritt zu thun?«

»Sehr viel! Der Westmann mit seinem scharfen Spürsinn steckt noch im Lawyer, und da ist es mir einige Male gelungen, ganz besonders raffinierten Verbrechern, die selbst dem geschultesten Policeman gewachsen waren, das Handwerk zu legen. Nun hat sich da unten in Illinois und Iowa ein ausgefeimter Loafer den Spaß gemacht, verschiedene Geld- und Verwaltungsgrößen gehörig an der Nase zu führen, und weil ihn kein Detective bisher zu fangen vermochte, ist mir der schöne Auftrag geworden, ihn zu suchen und ihn wo möglich lebendig der Gerechtigkeit zu überliefern. Dieses ›wo möglich‹ giebt mir natürlich die Erlaubnis, nach Befinden Gebrauch von der Waffe zu machen.«

»Wie heißt der Kerl?«

»Er trägt einige Dutzende von Namen, von denen man nicht weiß, welcher der richtige ist. Seinen letzten Geniestreich, die Fälschung bedeutender Wechsel, hat er in Des Moines ausgeführt, und von da schien seine Spur nach dem Coteau zu gehen, jeder Verbrecher hat eine schwache Stelle, die ihn kenntlich macht und früher oder später vor den Richter bringt; bei diesem ist es die Vorliebe für Ölmänner; er scheint in diesem Fache gut bewandert zu sein, und ich vermute, daß er zu Guy Willmers gegangen ist.«

»Heigh-ho, das sollte ihm nicht gut bekommen! Ich hoffe, wenn er dort zu finden ist, werde ich ein Wörtchen mit ihm sprechen. Der Kanada-Bill wird's doch nicht sein?«

»Nein. Warum?«

»Weil dieser zuletzt in Des Moines gesehen wurde, wo er zwölftausend Dollars gewonnen haben soll.«

»Ich weiß es. Er ist von dort spurlos verschwunden und wird, wie immer, an einem andern Orte wieder auftauchen, wo man ihn am wenigsten vermutet. Er ist ein ganz gefährlicher Mensch, und zwar ganz besonders deshalb, weil man ihm das Spiel nicht verbieten kann und er seine andern Streiche in einer Weise vollführt, daß man seine Handhabe findet. Es sollte mich wundern, wenn wir ihm nicht begegneten, denn so oft wir beide uns getroffen haben, ist er es gewesen, mit dem wir es zu thun hatten.«

Der Ritt wurde natürlich nun in Gemeinschaft fortgesetzt. Wir hatten noch ein Nachtlager hinter uns zu legen und mußten dann dem Flusse nahe sein. Freilich war es unmöglich, ihn aus der Ferne zu bemerken; wir schauten fleißig nach Spuren aus, bemerkten aber nichts Nennenswertes als endlich einen eigentümlichen Geruch, welcher von Viertelstunde zu Viertelstunde auffallender wurde.

»Lack-a-day! Was ist das wohl für ein Parfüm, welches meine Nase infiziert, als hätte mich ein zweielliger Skunk angespritzt?« fragte ich. »Kannst du mir's sagen, Abraham? Das ist nicht Truthahn-Bussard, auch nicht Boudinsgeruch, Kammas-Odeur noch weniger. Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich aus diesem Veilchenduft machen soll!«

»Sagen könnte ich dir's schon; aber soll ich wirklich so einen erfahrenen Woodsman, wie du bist, belehren? Mach' nur die Nase noch ein wenig weiter auf, dann kannst du gar nicht fehl riechen!«

Ich sog die Luft stärker ein, aber vergebens.

»Ich bring's nicht weg, Abraham. Das riecht wie Leiche, wie Harz und Kien, meinetwegen auch wie Firniß oder Lack.«

»Bist du noch nicht im Venango-County gewesen oder am Oil-Kanawha?«

»Nein, aber Oil-Kanawha? Ja, jetzt hab ich's; das ist Petroleumgeruch, und ich glaube, der Fluß muß sich nun bald zeigen!«

Es war allerdings vor uns nichts zu sehen als die weite, ebene Prairie, doch nach einiger Zeit bemerkten wir einen Dunststreifen, welcher sich von Ost nach West über die Savanne zog; wir kamen ihm schnell näher, und als wir ihn erreichten, hielten wir auch an dem Ufer des Flusses. Seine Ufer waren mit Anlagen, wie sie die Petroleumgewinnung mit sich bringt, bedeckt. Oben, einige hundert Pferdelängen vom Wasser entfernt, stand neben umfangreichen Fabrikräumlichkeiten ein außerordentlich stattliches Wohngebäude; weiter unten sah ich hart am Wasser einen Erdbohrer in voller Thätigkeit, und seitwärts davon zog sich eine Reihe kleiner Häuschen hin, welche jedenfalls als Arbeiterwohnungen dienten. Wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden, Reifen und fertige Fässer, teils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoffe gefüllt, zu sehen.

»Good lack, hier ist's!« sagte ich. »Nur möchte ich wissen, auf welche Weise dieser Guy Willmers das Öl unter die Leute bringt. Das Coteau bietet doch weder Weg noch Steg für die schweren Fuhrwerke, welche dazu nötig sind!«

»Siehst du nicht die großen Kähne unten im Wasser? Auf ihnen bringt er die Fässer in den Missouri, von wo aus dann der Weg offen steht.«

Lincoln schnallte die Handschellen vom Gürtel los und fuhr fort:

»Ich will die Armspangen nun unter die Decke nehmen. Es ist nicht notwendig, daß sie verraten, weshalb ich komme!«

Als wir das Haus erreichten, trat ein Arbeiter aus der Thür.

»Good day, Mann! Ist hier der Ort, wo ein Master Willmers wohnt?« fragte Lincoln.

»Yes, Master. Geht nur hinein. Die Gent's und Ladies sitzen soeben beim Essen!«

Wir pflockten die Pferde an und traten ein. Im Speisesaale saßen Fred Hammer, Guy Willmers und Betty; ich erkannte sie sofort wieder. Zwei junge Ladies, welche dabei waren, mußten die Töchter sein, zwischen denen ein Gentleman saß, den ich nicht kannte. Willmers erhob sich.

»Nur näher, Mesch'schurs! Was bringt ihr uns?« fragte er.

»Einen ganzen Kürbis, voll Grüße von einem gewissen Tim Kroner, wenn ihr den Mann vielleicht kennt!« antwortete ich.

»Von unserm Tim? Das ist ja – – heigh-ho, du bist's ja selber, alter Bär! Beinahe hätte ich dich nicht wieder erkannt. Die Prairie hat dir ja einen Bart gemacht, daß nur die Nasenspitze zu erkennen ist. Welcome tausendmal! Hier, gieb auch den andern deine Hand!«

Na, das wurde ein Empfang, mit dem ich herzlich zufrieden sein konnte! Ich wurde beinahe erdrückt und fand kaum Zeit, an meinen Gefährten zu denken:

»Und hier habe ich euch einen mitgebracht, den ihr auch noch kennen müßt! Oder habt ihr Abraham Lincoln vergessen, der uns damals hinter den Bushheaders herführte?«

»Abraham Lincoln? Wahrhaftig, er ist's! Willkommen, Sir, und nehmt es nicht übel, daß wir nicht sofort an Euch dachten! Ihr habt Euch um ein weniges verändert, seit wir uns nicht sahen.«

Wir mußten uns, so wie wir da standen, mit zur Tafel setzen, und erst jetzt wurde des fremden Mannes Erwähnung gethan.

»Hier ist unser Sir David Holmann aus Young-Kanawha, der uns seit einer Woche mit seinem Besuche beehrt,« wurde er uns vorgestellt. »Er ist Besitzer einer ganzen Reihe von Oil-Creeks und zu mir gekommen, um wegen des Exportes einige Fragen mit mir zu erörtern,« meinte Willmers. »Später kann ich euch auch Master Belfort vorstellen, der ins Thal gegangen ist, um unsere Arbeiterwohnungen kennen zu lernen. Ein feiner Gentleman, sage ich euch, voll Erfahrung und Geschicklichkeit, wie selten einer. Er versteht, mit der Karte die ganze Hölle herbeizuzaubern.«

Es entspann sich eine sehr lebhafte Unterhaltung, und es wunderte mich, daß Lincoln während derselben so außerordentlich einsilbig blieb. Warum warf er zuweilen, wenn Master Holmann es nicht bemerkte, einen so scharfen, forschenden Blick auf ihn? War er vielleicht der Mann, den er suchte?

Da ging die Thür auf, und ich konnte nicht anders, ich mußte aufspringen und den Eintretenden mit stieren Augen betrachten. Das dunkle Haar und der dichte, schwarze Vollbart machten mich irre, vielleicht auch die Kleidung, welche die eines wohlhabenden Gentleman war; aber ich hätte schwören mögen, daß – – doch ich kam nicht dazu, meinen Gedanken Worte zu geben; Guy Willmers erhob sich.

»Hier kommt Master Belfort, den ich euch hiermit vorstelle, Gentlemen! Er ist – –«

»Master Belfort?« sagte Lincoln. »Ich meine, der Mann kann ebenso gut Fred Fletcher oder William Jones heißen, wenn er nur zugiebt, der Kanada-Bill zu sein!«

»Der Kanada-Bill?« fragte Fred Hammer, indem er nach dem ersten besten Messer griff und sich erhob.

»Nehmt Eure Zunge in acht, Sir!« meinte Jones; denn er war es wirklich; ich erkannte ihn auch jetzt an der Stimme. »Einen Gentleman beleidigt man nicht ungestraft.«

»Das ist richtig,« antwortete Lincoln, »doch bin ich gewiß, keinen Gentleman beleidigt zu haben. Wie viel Klettenwurzel und Höllenstein habt ihr verbraucht, um Euer Haar schwarz zu färben? Ich gebe Euch den guten Rat, bei späterer Gelegenheit einen Bleikamm mit zu gebrauchen, dann werden auch die Haarwurzeln schwarz, die bei Euch vollständig hell geblieben sind. Master Willmers, Ihr sagtet, daß er mit der Karte zu zaubern verstehe. Hat er Euch nicht ein wenig ›three carde monte‹ gezeigt?«

»Ja, und ein schönes Geld abgenommen,« antwortete Fred Hammer. »Ich bin alt, und meine Augen sind schwach geworden, sonst müßte ich ihn sofort erkannt haben; jetzt aber ist kein Zweifel mehr, daß ich Marys Mörder vor mir habe, und, by god, er soll seine Bezahlung auf der Stelle erhalten!«

»Wollt Ihr Euern Gast erstechen, Fred Hammer?« fragte der Kanada-Bill. »Könnt Ihr mir nachweisen, daß ich es wirklich gewesen bin, der Eure Tochter erschossen hat?«

»Und meinen Vater auch!« fiel ich ein. »Nein, nachweisen nicht, aber beschwören können wir es. Und ebenso, daß Ihr in Smoky-Hill sechzig aufgezählt bekamt und dann die Indsmen brachtet.«

»Ich? Die Sechzig kann ich nicht wegleugnen,« lachte er grimmig, »und ich werde eines schönen Tages ihretwegen mit Euch abrechnen; aber beweist mir einmal das von den Rothäuten! Könnt Ihr es?«

»Wir, nämlich ich und Master Lincoln hier, standen hart bei Euch, als Ihr mit dem ›schwarzen Panther‹ den Schuß seines Sohnes beobachtetet und Euern Plan bespracht, und wir standen an der Lichtung, als Ihr die Indsmen geführt brachtet, Ihr mit dem Häuptling voran. Wir teilten natürlich dem Cornel Euer Vorhaben mit und machten dann mit Feuerwerk Eure Pferde locker. Das war ein Hauptstreich! Nicht, Master Jones?«

Er erfuhr diese Thatsachen natürlich jetzt zum ersten Male; seine Augen funkelten, und seine Hände ballten sich zusammen; aber er sah, daß er sich beherrschen müsse.

»Habt ihr mich wirklich so deutlich erkannt, daß ihr mir so etwas sagen dürft, Mesch'schurs?« zischte er.

Jetzt trat Lincoln hart an ihn heran.

»Ich will Euch sagen, Mann, daß wir mit Euch schnell verfahren könnten. Ihr wißt ja wohl, daß Master Lynch ein strenger Gesell ist. Aber seid Ihr Gast in diesem Hause, und ich will ehrlich gestehen, daß wir bei Smoky-Hill wohl Eure Stimme erkannt und dann Eure Gestalt gesehen, Euch aber nicht so deutlich weggebracht haben, daß wir Euch mit gutem Gewissen eine Kugel geben könnten. Wir sind freie Bürger der Vereinigten Staaten und richten nur nach vollständigem Beweise! Das Geld, welches Ihr diesen Gentlemen hier abgenommen habt, werden sie wohl nicht zurückverlangen; dazu steht ihnen der Kanada-Bill zu niedrig, und darum will ich Euch meinen Bescheid sagen: Ihr verlaßt sofort diesen Ort, und zwar binnen zehn Minuten; in der elften aber beginnt meine Büchse zu sprechen; darauf könnt Ihr Euch verlassen!«

»Seid Ihr vielleicht Herr und Besitzer des oil-work hier?« fragte jetzt David Holmann. »Ihr könnt Master Jones nichts beweisen, und unser Spiel ist ein ehrliches gewesen!«

»Ein Ölprinz bin ich allerdings nicht, Gem'man, aber doch etwas, vor dem man Respekt zu haben pflegt. Und wenn ich diesem Manne meinen Bescheid sage, so weiß ich ganz genau, was ich thue!«

»So laßt dieses etwas einmal sehen, Sir!«

»Hier ist es!«

Er zog ein Papier aus der Tasche, reichte es ihm und gab mir einen Wink, den ich sofort verstand. Ich ging hinaus und holte die Handschellen unter der Pferdedecke hervor. Als ich eintrat, sah ich Holmann bleich in das Papier starren.

»Nun, Master Holmann oder Waller oder Pancroft oder Agston, wie gefällt Euch dieses Dekret?« fragte Lincoln. »in Iowa und Illinois, besonders aber in Des Moines hat man großes Verlangen nach einem Menschen, der in Young-Kanawha eine ganze Reihe von Öl-Creeks besitzen will. Es ist wirklich schade, daß Euch der kleine linke Finger fehlt; seine Abwesenheit hat Euch verraten. Ich werde unsern Freund Willmers von zwei Gästen befreien, die nicht an eine so anständige Stelle gehören!«

»Stopp, Sir, so weit sind wir noch nicht!« rief Holmann.

Er warf einen forschenden Blick nach Thür und Fenster.

»Ich denke, wir sind so weit. Und wenn Ihr es nicht glauben wollt, so seht Euch einmal diese Juwelen an, die ich Euch jetzt anlegen werde!«

Er nahm mir die Handschellen ab, und ich griff zum Revolver. Auch Holmann fuhr nach seiner Tasche.

»Weg mit der Hand, oder ich schieße!« drohte ich ihm.

»Seht Ihr's, daß wir soweit sind?« lachte Lincoln. »Gebt die Hände ruhig her, denn ich sage Euch: Ihr habt meine Vollmacht gelesen, die Euch mir vollständig in die Hände giebt. Ich zähle bis drei. Habt Ihr dann die Eisen noch nicht an den Händen, so schmeckt Ihr die Kugel. Tim, drücke los bei drei!«

Er trat zu ihm hin und öffnete die Schellen.

»Eins – – zwei – –!«

Holmann sah, daß es Ernst war; er hielt die Hände hin und ließ sich fesseln. Dann wandte sich Lincoln zu William Jones.

»Fünf Minuten sind vorüber; Ihr habt nur noch die andern fünf. Ich spaße nicht. Macht Euch von dannen!«

Fred Hammer hatte noch immer sein Messer in der Hand. Er legte Jones die Faust drohend auf die Schulter und sagte:

»Vorwärts, Mann! Ich werde dafür sorgen, daß Ihr ohne Mühe und Störung weiter kommt!«

Er schob ihn zur Thür hinaus, und wenige Augenblicke später sahen wir den Kanada-Bill fortreiten. Da trat ein Arbeiter ein.

»Master Willmers, soll der Bohrer weiter arbeiten? Der Ingenieur läßt sagen, daß in einer Viertelstunde das Öl kommen werde, wenn wir fortbohren.«

»Endlich! Aber setzt die Hemmung ein. Ich muß erst bekannt machen, daß kein Licht und Feuer gebrannt werden darf, sonst kann es ein Unglück geben. Der Abend ist nahe, daher soll das Öl erst morgen seine Freiheit haben!«

Der Mann ging, den Befehl auszurichten.

Ihr müßt nämlich wissen, Gentlemen, wenn der Bohrer das Öl trifft, so steigt es in einer hohen Säule aus der Erde empor, und die leichten, gefährlichen Gase, welche natürlich zuerst kommen, dürfen nicht die kleinste Flamme finden, sonst entsteht ein fürchterlicher Brand, der sich so schnell entzündet und verbreitet, daß ihm nichts zu widerstehen vermag.

»Habt Ihr nicht einen festen Raum,« wandte sich jetzt Lincoln an Willmers, »in welchem wir unsern guten Sir Holmann aufbewahren können?«

»Ein sehr gutes und sicheres Kabinett. Kommt!«

Die drei gingen ab, und ich hatte nun sehr zu thun, Betty und den beiden kleinen Ladies den Vorgang, welcher so unerwartet über sie gekommen war, zu erklären. Als wir alle wieder beisammen saßen, ergossen sich Hammer und Willmers in Dankeserklärungen gegen Lincoln, welche dieser nach Kräften von sich wies. Er wollte schon am nächsten Morgen wieder fort, stieß aber auf allgemeinen Widerspruch.

»Ihr müßtet mit Eurem Gefangenen den weiten beschwerlichen und gefährlichen Ritt über das Coteau hinunter nach Iowa machen,« erklärte ihm Willmers. »Wartet aber noch einige Tage, so gehen hier drei Kähne den Fluß hinunter in den Missouri, und Ihr könnt in aller Bequemlichkeit Passage nehmen. Bis Yankton und Dacota seid Ihr schnell und habt dann nur die kurze Strecke bis hinüber nach Des Moines zurückzulegen. Ihr bleibt also hier. Euer Gefangener ist Euch sicher!«

Lincoln sah das Vorteilhafte des Anerbietens ein und gab nach.

Der Abend kam. Wir hatten unsere Pferde losgepflockt und ließen sie frei grasen gehen. In den Stall durften wir sie nicht bringen; sie waren die Freiheit gewöhnt und hätten sich in dem engen Raume Schaden gethan. Die Gent's und Ladies außer mir saßen plaudernd im Parlour; ich schritt am Flusse abwärts, weil ich nach den Pferden sehen wollte. Es war sehr dunkel, so daß ich die ölhaltigen Wogen kaum von dem festen Boden unterscheiden konnte.

So kam ich bis an die Stelle, wo wir bei unserer Ankunft den Erdbohrer in Thätigkeit gesehen hatten. Etwas oberhalb derselben war ein Wassergang herüber geleitet, in welchem sich ein Rad bewegte. Ein leise knirschendes Geräusch ließ mich stehen bleiben. Sollte sich der Bohrer noch in Gang befinden? Ich verstand nichts von der Sache, aber eine plötzliche Angst kam über mich. Da tauchte über dem Graben drüben ein Licht auf, nicht im Freien, sondern es blinkte durch die zerrissenen Bretterwände, zwischen denen sich das Bohrwerk befand. Hatte nicht Willmers jedes Licht verboten? Ich lauschte. Da hörte ich Schritte. Eine Gestalt huschte an mir vorüber, noch eine. Die Finsternis verhinderte mich, genau zu sehen, aber es war mir, als hätte ich Jones und Holmann unterschieden.

Sie waren in der Dunkelheit verschwunden, ehe ich ihnen zu folgen vermochte. Ich eilte, so schnell ich konnte, zurück, trat in das Parlour und fragte Lincoln:

»Ist Holmann noch fest, Abraham?«

»Warum? Vor einer halben Stunde war ich bei ihm.«

»Ich glaube, ihn und Jones beim Bohrer gesehen zu haben. Es brennt Licht dort, und das Rad geht.«

»Licht brennt, und das Rad geht?« rief Willmers. »Um Gottes willen, sollte er ausgebrochen sein? Er hat gehört, daß das Öl kommen will und – – schnell, schnell, nachgesehen, wo er ist!«

Wir eilten hinaus. Die eisernen Riegel vor der festen Thür des Gewölbes, in welchem man den Gefangenen untergebracht hatte, waren vorgeschoben. Es wurde geöffnet; er war fort.

»Der Kanada-Bill ist zurückgekehrt und hat ihn befreit!« rief Lincoln. »Wir müssen – –«

»Laßt sie, Sir!« fiel ihm Willmers in die Rede. »Morgen früh müssen wir ihre Spuren finden und werden ihrer Fährte folgen, Sie sind uns sicher. Aber der Bohrer! Fort, hinunter zu ihm!«

Die Frauen konnten vor Angst nicht sprechen. Wir Männer stürzten hinaus in das Freie. Doch kaum hatten wir einige Schritte gethan, so ertönte ein gewaltiger Donnerschlag, und es war mir, als sei die Erde auseinander gerissen worden. Der Boden erzitterte, und als ich, auf das tiefste erschrocken, aufblickte, sah ich in der Gegend des Bohrers eine glühende Feuergarbe wohl sechzig oder noch mehr Fuß in die Höhe steigen; zugleich verbreitete sich ein penetranter Gasgeruch, welcher uns fast den Atem benahm.

»Das Thal brennt!« schrie Willmers, und er hatte recht. Von dem Bohrloche abwärts loderte auf und über dem Flusse ein glühendes Feuermeer. Jones hatte Holmann befreit, und beide hatten, um sich zu rächen, den Erdbohrer wieder in Bewegung gesetzt und ein Licht dazu gestellt. Unglücklicherweise war das nur. ganz kurze Zeit vor dem Augenblicke geschehen, an welchem der Bohrer in der Tiefe auf das Petroleum treffen mußte. Es wurde im Bohrloche empor getrieben, und die Gase, die es mit sich führte, hatten sich an dem brennenden Lichte entzündet. Nun schien abwärts von uns die ganze Atmosphäre zu brennen. Glücklicherweise konnte das Feuer uns nicht erreichen, und auch die Arbeiter nicht, deren Wohnungen nicht ganz am Flusse lagen. Dennoch lief ich hinunter, um zu sehen, ob sie vielleicht der Hilfe bedürften. Da erblickte ich eine Gestalt, welche dagestanden hatte, um das Feuer zu betrachten, aber sofort davonrannte, als sie mich bemerkte. Diese Flucht kam mir verdächtig vor, und ich lief nach. Je näher ich dem Manne kam, desto deutlicher sah ich, daß er durch irgend etwas im Laufen gehindert wurde; seine Arme bewegten sich nicht. Ich verdoppelte meine Schnelligkeit, erreichte ihn und erkannte Holmann, dessen Hände noch in den Schellen steckten. Ich faßte ihn, warf ihn nieder und kniete auf ihn; er versuchte, sich zu wehren. Der Handschellen wegen konnte sein Widerstand von keiner Bedeutung sein. Ich riß ihm das Tuch vom Halse und band ihm damit die Füße zusammen. Er knirschte vor Wut mit den Zähnen und funkelte mich mit grimmigen Augen an, ließ aber kein einziges Wort vernehmen. »Guten Abend, Master!« sagte ich. »Euer Spaziergang hat nicht lange gedauert. Wollt Ihr mir wohl mitteilen, wo William Jones steckt?«

Er antwortete nicht.

»Gut! So werden wir versuchen, ihn ohne Euch zu finden.«

Ich nahm ihn beim Kragen und schleifte ihn nach dem Wohnhause zurück, wo er sofort wieder eingesperrt wurde. Dann zerstreuten wir Männer uns, um nach Jones zu suchen. Wir hatten Zeit dazu, weil wir das Feuer jetzt doch nicht bewältigen konnten; aber alle Mühe war vergebens; wir fanden ihn nicht; er war entkommen.

Das Feuer brannte, wie ich vorher berichten will, noch einige Tage fort; dann gelang es dem Ingenieur, es zunächst einzudämmen und dann ganz auszulöschen. Viel geschadet hat es nicht, wenigstens nicht soviel, wie Jones und Holmann beabsichtigt haben mochten, von denen es wahrscheinlich auf unser Leben abgesehen war. Später hörte ich einmal, daß der Kanada-Bill sich am untern Missisippi sehen lasse und mit dem Spiele ein schönes Geld verdiene. Seitdem sind Jahre vergangen; ich hoffe aber, daß er noch lebt und mir einmal in die Hände kommt. Dann ist ihm meine Kugel sicher und gewiß.

Holmann wurde, als die Kähne nach dem Missouri gingen, von Lincoln fortgeschafft. Das gab einen Abschied, der mir nicht wenig zu schaffen machte, denn der brave Abraham war mir gewaltig an das Herz gewachsen. Ich durfte nicht mit. Fred Hammer und Guy Willmers meinten, das ginge nicht, und die Ladies baten so schön, daß ich nicht anders konnte, ich mußte bleiben.

Später erfuhren wir, daß Holmann für die Lebenszeit in die Zelle gekommen ist.

Abraham Lincoln ist, wie ich es ihm ja gesagt hatte, nicht beim Lawyer stehen geblieben, sondern hat es bis zum Höchsten gebracht, was ein braver self-man werden kann; er ist Präsident der Vereinigten Staaten geworden und hat leider für das, was er Gutes that und wollte, einen Schuß bekommen; Fluch dem Schurken, der ihn abfeuerte!

Und ich? Man ließ mir keine Ruhe, ich mußte bei Willmers mein Wigwam aufschlagen. Arrow ist damit nicht zufrieden gewesen, und auch ich habe zuweilen ein so heilloses Zwicken in den Gliedern bekommen, daß ich zu Büchse und Tomahawk gegriffen habe und auf einen Monat oder zwei hinausgeritten bin in die Savanne und die Woodlands, wo ich den Ölgeruch vergessen und den Büffeln oder Indsmen zeigen konnte, daß Tim Kroner noch keine Lust habe, die schöne Prairie mit den ewigen Jagdgründen zu vertauschen. Zwischen Longs Peak und den Spanish Peaks ist mein Jagdrevier, und dort habe ich mir den Namen geholt, mit dem ihr mich vorhin genannt habt, nämlich, der »Coloradomann«, Mesch'schurs. Und es ist wahr, was ihr vorhin sagtet, daß ich nämlich der beste Jäger weit und breit bin. Möchte einen andern sehen, der es mit mir aufnimmt, mag es sein, in was es wolle. So! Und nun habe ich euch den Willen gethan und bin mit meiner Erzählung fertig.« –

Der Erzähler hatte die Behauptung, daß es niemand mit ihm aufnehmen könne, im Tone vollen Bewußtseins gesagt. Diese Selbstgefälligkeit schien einem der Anwesenden nicht ganz am Platze zu sein; denn er sagte:

»Dank für Eure schöne Geschichte, Sir, und allen Respekt vor Euch, Mr. Kroner. Man weiß, was man von dem Coloradomann zu halten hat; aber sollte es doch keinen andern geben, der sich neben Euch stellen kann?«

»Wer könnte das sein?« fragte der Selbstbewußte.

»Winnetou zum Beispiel.«

»Pshaw! Das ist ein Indianer!«

»Old Firehand?«

»Habe es oft mit ihm aufgenommen!«

»Old Surehand?«

»Kann mich auch nicht irre machen.«

»Old Shatterhand?«

»Bin oft mit ihm geritten und habe nichts von ihm lernen können. Das sind alles Leute, an denen der Name das bedeutendste ist. Gerade Old Shatterhand hat in meinem Beisein manchen Fehler gemacht, den ich für unmöglich gehalten hätte. Er hat viel Körperkraft; das ist aber auch alles!«

Bei diesen Worten stand er auf und näherte sich meinem Tische. Er war kein übler Erzähler, und ich hatte ihm mit Interesse zugehört, obgleich ich mir das Meine dabei dachte. Diese Gedanken schienen sich meinem Gesichte aufgeprägt zu haben, denn er stellte sich jetzt breitspurig vor mich hin und fragte mich:

»Ich habe vorhin, als Ihr mit Mutter Thick spracht, gehört, daß Ihr ein Dutchman seid, Sir?«

Das Wort Dutchman wird den Deutschen gegenüber als Schimpfwort gebraucht; dennoch antwortete ich ruhig und gelassen:

»Nicht ein Dutchman, sondern ein German, Sir.«

»Das ist ein und dasselbe. Ich sage Dutchman und halte das für das richtige. Ihr habt, als ich erzählte, ein so zweifelhaftes Gesicht gemacht. Warum?«

»Interessiert Euch mein Gesicht?«

»Eigentlich ganz und gar nicht. Ihr habt kein Gesicht, dem ich sonst Beachtung schenken möchte; aber in diesem Falle ist es etwas anderes. Es sah grad so aus, als ob Ihr mir keinen Glauben schenktet. Ist's so oder nicht?«

»Liegt Euch so viel daran, zu wissen, was ich glaube?«

»Alberne Frage! Euer Gesicht galt mir, und da will ich unbedingt wissen, was es zu bedeuten hatte. Oder habt Ihr Angst, es mir zu sagen?«

»Angst? Nicht daß ich wüßte!«

»Nun also, heraus damit!«

Alle Gäste waren still, auch die an den entfernteren Tischen. Sie erwarteten eine Scene und horchten gespannt zu uns her. Ich antwortete lächelnd:

»Ich habe gar keinen Grund, damit zurückzuhalten, daß ich mich über einen sehr auffälligen Anachronismus gewundert habe, der in Eurer Erzählung vorgekommen ist.«

»Anachronismus? Was ist das? Redet doch so, daß man es verstehen kann!«

»Gut, also deutlich! Seit wann ist wohl vorn Petroleum im jetzigen Sinne die Rede gewesen?«

»Wer kann das wissen!«

»Ich, nämlich seit dem Jahre 1859. Und wann wurden in den Vereinigten Staaten die ersten Ölquellen entdeckt?«

»Das mögt Ihr Euch selbst beantworten!«

»Zwei Jahre vorher, also 1857. Nun sprecht Ihr von einem Ölbohrer jenseits des Coteaus, bei dem Lincoln gewesen sei, nachdem er kurz zuvor Lawyer geworden war. Wann aber ist er Lawyer geworden?«

»Laßt mich mit Euren dummen Fragen in Ruh!«

»Sie sind nicht so dumm, wie Ihr denkt, und gehören zu der Auskunft, die ich Euch geben soll. Lincoln etablierte sich nämlich im Jahre 1836 in Springfield als Lawyer, also über zwanzig Jahre vor der Entdeckung der ersten bedeutenden Ölquelle. Wie stimmt das mit Eurer Erzählung, Sir?«

»Ob es stimmt oder nicht, das ist mir gleichgültig!«

»Nun, so habt die Güte, gegen mein Gesicht ebenso gleichgültig zu sein!«

»Wollt Ihr sagen, daß Ihr das von dem Ölbrande nicht glaubt?« fragte er in drohendem Tone.

»O, daran hege ich nicht den geringsten Zweifel, nur ist der Ort und sind die Personen andere.«

»Wie so?«

»Old Shatterhand hat einen solchen Ölbrand erlebt, und zwar im Bluff von New-VenangoSiehe »Winnetou« Bd. II, pag, 359. Der Ölprinz hieß dort nicht Willmers, sondern Forster.«

»Das geht mich nichts an und ändert nichts an meinem Erlebnisse; es finden oft Ölbrände statt.«

»Bei denen die Umstände einander so ungeheuer ähnlich sind? Hm! Übrigens kenne ich Tim Kroner, den Coloradomann, sehr genau.,‹

»Thunder-storm! Wollt Ihr etwa sagen, daß ich nicht Tim Kroner bin?«

»Es kann allerdings vorkommen, daß zwei Personen ganz gleiche Namen haben; aber der richtige und echte Coloradomann ist der, den ich kenne.«

»Da kennt ihn auch ein tüchtiger Kerl! Wenn Euch ein anderer als ich gesagt hat, er sei Tim Kroner, der Coloradomann, so hat er gelogen und war ein Schwindler. Das laßt Euch gesagt sein, sonst stopfe ich Euch den Mund mit dieser Klinge hier!«

Er zog sein Bowiemesser aus dem Gürtel. Sofort hatte ich meinen Revolver in der Hand, richtete den Lauf auf ihn und antwortete:

»Stoßt nur zu, wenn Ihr die Zeit dazu findet! Kugeln pflegen schneller als Messerklingen zu sein.«

Er stand einige Augenblicke da, ließ dann das Messer sinken und sagte in verächtlichem Tone:

»Pshaw! Tim Kroner hat es gar nicht nötig, etwas darauf zu geben, was so ein Kerl, wie Ihr seid, für Gesichter schneidet. Zieht also Fratzen, so viel Ihr wollt; ich habe nichts dagegen und bleibe wer ich bin!«

Er steckte das Messer wieder in den Gürtel und kehrte auf seinen Sitz zurück. Die Zuhörer hatten diesen friedlichen Ausgang nicht erwartet, kleideten aber ihre Enttäuschung nicht in Worte. Ich hätte ganz anders auftreten können, doch fiel es mir nicht ein, den Gästen eines Kost- und Logierhauses ein Schauspiel nach Art der Runners und Loafers zu bieten. Mochte man immer denken, ich fürchte mich vor diesem sogenannten Coloradomann!

Als er seinen Platz wieder eingenommen hatte, ließ er seinen Blick an der Tafel rundum gleiten und fragte:

»Wollt vielleicht auch ihr es bezweifeln, Mesch'schurs, daß ich der echte Tim Kroner bin?«

Sie schüttelten die Köpfe, und einer der Gentlemen, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, antwortete:

»Wir haben keinen Grund, es nicht zu glauben. Übrigens kann ich zu dem Schlusse Eurer Erzählung eine Bemerkung machen, die Ihr vielleicht gern, vielleicht auch ungern hören werdet.«

»Welche?« »Ihr könnt den Kanada-Bill nicht erschießen.«

»Warum?«

»Weil er schon tot ist.«

»All devils! Er ist tot?«

»Yes

»Wißt Ihr das genau?«

»Sehr genau.«

»Wo ist er gestorben?«

»Auf der Mission Santa Lucia bei Sakramento.«

»An was? Doch nicht an einer Krankheit? Einen solchen Tod hätte der Halunke nicht verdient.«

»Oh, so billig ist er nicht weggekommen. Er hat sein Ende einem Manne zu verdanken, dessen Name vorhin genannt worden ist.«

»Welcher Name?«

»Old Shatterhand.«

»Was? Old Shatterhand hat ihm das Handwerk gelegt?«

»Ja.«

»Wie ist das geschehen, Sir?«

»Das ist eine interessante, höchst interessante Geschichte, die ich eigentlich hätte veröffentlichen sollen. Ich bin nämlich Litterat, Mesch'schurs; ich sage das für diejenigen von euch, die das noch nicht wissen.«

»Erzählt es doch; erzählt's!« rief es im Kreise.

»Hm! Es ist eigentlich von einem Bücherschreiber nicht klug, etwas mündlich zu erzählen, was er durch die Presse veröffentlichen will; das werdet ihr einsehen, Gent's.«

Er wollte augenscheinlich noch mehr gebeten sein; dies geschah denn auch, und so erklärte er:

»Well, wir sind heut einmal so schön beim Erzählen, und so sollt ihr die Geschichte hören, genau so, wie sie sich zugetragen hat.«

Mutter Thick kam jetzt bei mir vorüber und flüsterte mir zu:

»Dank, Sir, daß Ihr vorhin den Krawall vermieden habt! Mit der jetzigen Erzählung werdet Ihr zufrieden sein. Er schreibt Bücher, und erzählt so schön, oh so schön!«

Na, da war ich denn doch neugierig, was dieser Mann für eine Geschichte aus den einfachen Thatsachen machen würde.

Er setzte sich in Positur und begann im Tone eines geübten und gewandten Erzählers:

»Es war im Hafen von Sacramento, in welchem sich ein Bild von den lebhaftesten Farbentönen entwickelte. Die Menge, welche sich geschäftig über den Quai ergoß oder lungernd umhertrieb, schien nicht aus den Bewohnern eines besonderen Distriktes oder gar einer einzelnen Stadt zu bestehen, sondern glich eher einem Karneval, der die Repräsentanten aller Nationen für kurze Zeit vereinigt hat.

Hier stand eine Gruppe magerer Yankees in dem unvermeidlichen schwarzen Fracke, den hohen Cylinderhut weit nach hinten auf den Kopf gedrückt, die Hände in den Taschen und goldene Uhrketten, Tuchnadeln, Hemdknöpfchen und Berloques eingehakt. Dazwischen drängte sich ein kleiner Schwarm Chinesen herum in ihren blauen Kattunjacken und weiten, weißen Hosen, die langen Zöpfe wohl gepflegt und geflochten. Südseeinsulaner waren da, die scheu, verlegen und verwundert auf dem fremden Boden einhergingen und, wenn ihnen etwas nach ihren Begriffen gar zu Absonderliches in die Augen sprang, die Köpfe leise flüsternd zusammensteckten. Mexikaner stolzierten umher mit ihren an der Seite bis oben hin aufgeschlitzten und mit silbernen Knöpfen besetzten Sammethosen, und den kurzen, ebenso garnierten Jacken, den breitrandigen Wachstuchhut auf dem Kopfe. Californier mit ihren langen, in den prachtvollsten Farben gewebten Ponchos, die ihnen fast bis an die Knöchel herabreichten; schwarze Ladys und Gentlemen, nach tausend Wohlgerüchen duftend und in dein überzeugendsten Putze steckend, ernste Indsmen, die mit gravitätischem Schritte durch die Menge stiegen; gemütliche Deutsche, Engländer mit Cotelettenbärten und riesigen Zwickern auf der Nase, bewegliche, kleine Franzosen, zankend, erzählend, rufend und auf das lebhafteste gestikulierend, rothaarige Irländer, nach Aquardiente, duftend; Chilenen in ihren kurzen Ponchos; Trappers, Squatters, Backwoodsmen in ihren ledernen Jagdhemden, die lange Büchse noch auf der Schulter, wie sie gerade über das Felsengebirge gekommen waren; Mestizen und Mulatten in allen Farbenstufen und Schattierungen, und dazwischen die aus den Minen oft mit schweren Beuteln von Gold zurückgekehrten Goldwäscher in den phantastischsten Kostümen, die man sich nur zu denken vermag, in ihren Kleidern auf das entsetzlichste abgerissen, mit geflickten Hosen, Röcken, Westen und Jacken, mit zerrissenen Stiefeln, aus denen die nackten, strumpflosen Zehen hervorblickten, und Hüten, die monatelang am Tage der Sonne und dem Regen getrotzt und dann des Nachts als Kopfkissen gedient hatten. Und in den kleinen Gruppen standen dabei die Eingeborenen des Landes, die eigentlichen, rechtmäßigen Herren des Bodens und doch vielleicht die einzigen vollständig Besitzlosen in der ganzen Masse, die ihr Leben jetzt durch Tagelohn kärglich fristen mußten.

Und dieser bunten Völkermischung schlossen sich allerlei respektgebietende glänzende Gestalten an: amerikanische und englische Seeleute mit breiten Schultern, riesigen Fäusten und herausforderndem Blicke, und eine Anzahl spanischer Marineoffiziere, die in ihren blitzenden, goldgestickten Uniformen von San Francisco herbeigekommen waren, um sich das geschäftige Treiben in der Nähe der Golddistrikte einmal anzusehen.

Fast hätte man sagen können:

»Wer zählt die Völker, nennt die Namen!«

Und was hatte all die Ingredienzien der vielgestaltigen anthropologischen Mixtur herbeigetrieben? Nichts anderes als – das Gold.

Die Ansiedelung von Oberkalifornien, welche im Jahre 1768 von Mexiko aus geschah, hatte das Land unter die weltlich-geistliche Herrschaft der Missionäre gebracht. Die Jesuiten waren treffliche Ökonomen und errichteten an vielen geeigneten Orten Klöster und Missionen zur Ausübung ihrer Propaganda.

Als die Herrschaft der Priester durch die mexikanische Centralregierung im Jahre 1823 gestürzt wurde, weigerten sich die Missionäre zum großen Teile, diese Regierung anzuerkennen, und verließen das Land. Die wenigen, welche blieben, hatten ihren Einfluß verloren, fristeten ein kümmerliches Leben und verschwanden auch nach und nach.

Nicht weit von Sacramento lag ein mehrere Stockwerke hohes, mächtiges Gebäude, welches einen großen Hof umschloß, dessen nach der Stadt zu gelegene Seite von der altertümlichen, aus ungebrannten Backsteinen aufgeführten Kirche begrenzt wurde.

Das Gebäude war die Mission »Santa Lucia«, deren ganze, kasernenartige Räumlichkeiten in der letzten Zeit nur von drei Personen bewohnt waren: einem alten, ehrwürdigen Geistlichen, seiner noch älteren Wirtschafterin und einem Deutschen, welcher eigentlich Karl Werner hieß, von denen, die mit ihm verkehrten, aber nach seinem Vornamen nicht anders als Sennor Carlos genannt wurde, und das Faktotum des Pfarrers war.

Da wurden die Goldfelder Kaliforniens entdeckt, und die Nachricht von den in den Bergen liegenden fabelhaften Schätzen rief eine Einwanderung hervor, welche zunächst aus dem benachbarten Mexiko und den Vereinigten Staaten ihre Scharen herübersandte, bald aber mit den Kindern aller Weltteile das Land überschwemmte. Den zunächst herbeieilenden Abkömmlingen der alten spanischen Conquistadoren folgten Sandwich-Insulaner, dann Australier und Europäer, und selbst Chinesen und Kulis schwärmten herüber, um ihren Teil von dem Golde zu holen und reiche Leute zu werden.

San Francisco war der Hauptsammelpunkt der Fremden, von wo aus sie -weiter nach Norden oder in das Innere des Landes gingen. Sacramento war einer der hervorragendsten Nebenpunkte.

Natürlich führte nicht jeder ein Zelt oder eine sonstige Wohnung mit sich. Die Zahl der Menschen wuchs von Tag zu Tag, und da die einsetzenden Regen ein Lagern im Freien nicht gestatteten, so wurde alles, was zur Herberge dienen konnte, in Anspruch genommen.

Auch die alte Mission »Santa Lucia« erlitt ein solches Schicksal, welches mit ihrer ursprünglichen Bestimmung wenig Ähnlichkeit hatte.

Ein Franzose aus dem Elsaß errichtete unten in einem der Flügel eine Brauerei, mauerte einen riesigen Kessel ein und fing an, ein Getränk zu kochen, welches er die Verwegenheit hatte, Bier zu nennen. In der vorderen Flanke, gerade neben der Kirche, setzte sich ein Amerikaner fest und errichtete eine Restauration, wobei er es für außerordentlich zweckmäßig fand, einen Teil des Kirchenschiffes in einen Tanzsalon umzuwandeln, in dem allwöchentlich einige »Reels, Hornpipers« oder Fandangos abgehalten werden konnten. Dadurch wurde ein unternehmender Irishman aufmerksam gemacht, an die andere Seite der Kirche eine Branntweinkneipe setzen zu lassen.

Von dem untern Teile des andern Seitenflügels nahm ein Engländer Besitz, der sich mit einem schlauen New-Hamshiremann vereinigte, Chinesen herbeizuschaffen, ein Geschäft, bei dem sich die beiden Gentlemen, wie sich bald zeigte, sehr gut standen. So ging es fort, und nicht lange dauerte es, so war die alte Mission außer dem obersten Bodenraume des einen Flügels vollständig in Anspruch genommen.

Der alte Pfarrer konnte nichts dagegen thun. Anfangs hatte er, nicht imstande, Gewalt anzuwenden, eine Anzahl Prozesse angestrengt, um die Lästigen aus dem frommen Hause abzuhalten, aber nur zu bald sollte er die traurigen Folgen kennen lernen, denn er fiel dadurch einer ganzen Schar von Geirn in die Hände, die alle Zahlung von ihm wollten, ohne daß sie aber das geringste für ihn ausgerichtet hätten.

Dadurch wurde ihm die heilige »Santa Lucia« verleidet, und eines schönen Morgens war er mitsamt seiner Wirtschafterin spurlos verschwunden. Es hatte auch niemand Lust, nach ihm zu forschen, und so blieb von den ursprünglichen Bewohnern nur Sennor Carlos zurück, der mit seiner Frau und Anitta, seiner Tochter, ein paar kleine Stuben des Erdgeschosses neben der Brauerei bewohnte.

Aber auch der Bodenraum sollte einen Besitzer finden. Angeblich von Buenos-Ayres war ein Mann nach Sacramento gekommen, der aus Cincinnati stammte und sich Doktor White titulierte; ob er in Wirklichkeit Arzt sei, danach wurde er von niemand gefragt. Er wollte in Sacramento ein Hospital gründen, fand aber keinen geeigneten Platz dazu und kam nun zur Mission geritten, wo er die Dachräume, da er keinen Menschen fand, dem er sie abmieten konnte, einfach mit Beschlag belegte. Er war ein praktischer Mann, der recht gut wußte, daß in diesem Lande das Recht des gegenwärtig Besitzenden nur schwer anzutasten war.

Schon am nächsten Tage traf eine Anzahl von Maultieren mit wollenen Decken und Matratzen ein, hinter welchen eine Schar von Mexikanern die nötigen eisernen Bettstellen herbeitrug. Noch vor Abend standen zwanzig Betten dort oben unter dem alten, defekten Ziegeldache auf dem offenen Boden, durch den der oft stürmische Wind nach allen Richtungen hin seinen Durchzug hatte und auf dem es zur Regenzeit eine ganz heillose, perennierende Überschwemmung gab. Das war nun das Hospital, welches seiner unglücklichen Patienten harrte.

Diese stellten sich auch nur zu bald ein.

So gesund das Klima in Kalifornien an und für sich auch ist, in den Minen giebt es doch stets der Kranken mehr als genug. Die wilde, unregelmäßige Lebensart trägt ebensoviel wie die schwere, für Tausende ungewohnte Arbeit und die vielen Regengüsse dazu bei, viele, besonders hitzige Fieber zum Ausbruch zu bringen, die für den davon Betroffenen aus Mangel an Pflege und ärztlicher Behandlung nur zu oft einen schlimmen und tödlichen Ausgang nehmen.

Da waren diejenigen noch glücklich zu preisen, welche die Krankheit nicht allein und in der Wildnis traf, sondern welche Freunde fanden, um sie aus den Bergen und Schluchten wieder in den Bereich der Civilisation und ordentlichen Pflege zu bringen. Die meisten freilich fanden bei den Minen nichts als sechs Fuß Erde über sich und einen armen Ring von Steinen um das enge Grab. Viele starben unterwegs oder lebten gerade lange genug, um mit dem letzten brechenden Blicke eine menschliche Niederlassung zu erfassen, und nur wenigen gelang es, wieder hergestellt zu werden, um mit gekräftigtem Körper ihre Arbeit aufs neue beginnen zu können.

Eines aber büßte jeder Kranke sicher ein: das mitgebrachte Gold.

In damaliger Zeit wurde die Arznei geradezu mit Gold aufgewogen, und ein tüchtiger Arzt hatte seine einträglichste Mine in den Krankheiten seiner Patienten. Und wie viele Quacksalber gab es, die dies zu benutzen verstanden und bei denen vielleicht gar mancher Kranke nur deshalb starb, weil er Gold besaß, welches er im Falle der Genesung wieder mitgenommen hätte!« – –

Der Erzähler machte jetzt eine Kunstpause und zeigte dabei eine so verheißungsvolle Miene, daß ich im stillen annahm, er werde nun als ›Schriftsteller‹ sein Erzählertalent leuchten lassen. Ich hatte mich auch nicht geirrt, denn er gab dem Folgenden die Form einer Novelle, welche ganz gut hatte gedruckt werden können. Er fuhr nämlich fort:

»Die Anhöhe zur Mission herauf schritt ein kräftig gebauter Jüngling, dessen lichtem Haare, regelmäßigen Gesichtszügen und von der Gesundheit roten Wangen man die germanische Abstammung sofort ansah, trotzdem er die bequeme mexikanische Kleidung trug.

An den Mezquitebüschen, welche die Mission umzogen, blieb er stehen und wandte sich nach Westen.

Der Abend nahte, und die Sonne tauchte ihre funkelnden Gluten in die strahlende Flut; vor ihm lag die Stadt, von brillantenem Lichte übergossen, und die Fenster des alten Gemäuers warfen blitzende Reflexe in die Ferne hinaus.

Er ließ sich auf den weichen Rasen nieder und versank so tief in den Anblick, daß er die leichten Schritte nicht vernahm, die sich von seitwärts her ihm näherten.

Ein kleines Händchen legte sich auf seine Schulter, und ein Köpfchen bog sich zu ihm herab. Er hörte die Worte:

»Willkommen auf der Mission, Sennor! Warum seid Ihr so lange Zeit nicht hier bei uns gewesen?«

»Ich war in San Francisco, Sennorita, wo ich allerlei Geschäfte hatte,« antwortete er.

»Und wo Ihr den Sennor Carlos mitsamt seiner armen, kleinen Anitta vollständig vergessen habt!«

»Vergessen? Per dios, nein, und tausendmal nein! Anitta, wie könnte ich jemals Euer vergessen?«

Sie ließ sich ohne Ziererei an seiner Seite nieder.

»Habt Ihr wirklich an mich gedacht, Sennor Edouardo?«

»Bitte, Anitta, sprecht meinen Namen deutsch aus; ich höre ihn dann so gerne aus Eurem Munde! Und fragt nicht erst, ob ich an Euch denke! Wer hat sich meiner angenommen, als ich, durch böse Menschen um Hab und Gut gebracht, hier ankam, als Euer Vater? Und wer hat dann, als mich die Entbehrung und die erlittenen Strapazen auf das Krankenlager warfen, mich gepflegt wie einen Sohn oder einen Bruder? Ihr und Eure Mutter! Und wen habe ich hier im fremden Lande, zu dem ich gehen und mir Rats erholen kann, als Euch? Anitta, ich werde Euch nie vergessen!«

»Ist das wahr, Eduard?«

»Ja,« antwortete er einfach, indem er ihre Hand ergriff und ihr voll und offen in die Augen blickte,

»Auch dann nicht, wenn Ihr wieder in die Heimat kommt?«

»Auch dann nicht! Ich habe Euch ja gesagt, Anitta, daß ich nicht ohne Euch in die Heimat zurückkehren werde; habt Ihr das vergessen?«

»Nein,« antwortete sie.

»Oder leuchtet jetzt die Sonne Eurer Teilnahme für einen andern?«

»Für einen andern? Wer ist das? Oder darf ich auch das nicht wissen?«

»Es ist der Arzt da droben, der Doktor White.«

»Der –?« frug sie gedehnt. »Wer möchte wohl die Sonne dieses dürren Master Chinarindo sein! Wenigstens meinetwegen könnte er im Dunkeln bleiben, so lange es ihm gefällt!«

»Anitta, ist das wahr?« rief der junge Mann.

»Warum möchtet Ihr meinen Worten keinen Glauben schenken?«

»Weil ich weiß, daß er Euch nachgeht auf Schritt und Tritt und bei Euren Eltern gern gesehen ist.«

»Daß er mir nachgeht, kann ich nicht leugnen, aber daß ich ihm ausweiche, so viel nur möglich, ist ebenso sicher. Auch das ist wahr, daß ihm Vater nicht gram ist; er hat ihm viel von einem großen Vermögen vorgeschwatzt und will mit uns hinüber in die Heimat, nach Deutschland gehen, wenn er genug erworben hat.«

»Nach Deutschland? Will denn Euer Vater hinüber in die Heimat?«

»Ja. Seit die Mission zur Kaserne für jedermann geworden ist, gefällt es ihm nicht mehr. Aber wir sind arm und Vater ist zu alt, um noch so viel zu erwerben, daß wir fortkönnten, und da – –«

»Und da – –?«

»Und da denkt er, daß ein wohlhabender Schwiergersohn ihm diesen Wunsch erfüllen könne.«

Eduard schwieg eine Weile. Dann fragte er:

»Und Euer Vater würde Eure Hand dem Doktor geben?«

»Ja. Doch ich mag ihn nicht leiden, und die Mutter auch nicht.«

»Aber mich könntet ihr wohl leiden?«

Sie nickte. Er ergriff jetzt auch ihre andre Hand und sagte:

»Mir ist immer so gewesen, als ob wir zusammengehörten für das ganze Leben. Du bist so fromm, so gut, und ich möchte immer, immer bei dir sein. Darf ich das deiner Mutter sagen, die den Arzt da oben nicht leiden kann?«

»Ja.«

»Und auch deinem Vater?«

»Ja.«

»Jetzt gleich?«

»Jetzt gleich!«

»So komm!«

Er erhob sich, und sie folgte ihm. Sie gingen miteinander durch das Portal und schritten über den Hof weg der Thür zu, welche zur Wohnung Werners führte. Im Flur vernahmen sie eine harte, spitze Stimme, welche in der Wohnstube in eindringlichem Tone sprach,

»Der Doktor ist drin!« meinte Anitta.

»Komm; wir treten in die Küche und warten, bis er sich entfernt hat!«

Sie thaten es und vernahmen nun jedes Wort des zwischen White und den Eltern geführten Gespräches.

»Damn it, Master Carlos, meint Ihr etwa, daß ich den Beutel nicht offen zu halten verstehe?« fragte der erstere. »Die Medizin ist mehr wert als das beste Placement drüben bei den Miners, und sobald ich genug habe, gehen wir fort von hier nach New York oder Philadelphia und von da noch weiter, wohin Ihr wollt. Ist's Euch recht?«

»Hm, recht wär' mir's schon, wenn ich nur auch wüßte, daß Ihr Wort haltet!«

»Teufel! Haltet Ihr mich für einen Lügner?«

»Nein. Ihr habt mir noch keine Veranlassung dazu gegeben. Aber das alte Kalifornien ist in neuerer Zeit ganz dazu angethan, einen mißtrauisch oder wenigstens vorsichtig zu machen.«

»So will ich Euch Sicherheit geben! Ich kann ohne Frau mein Geschäft nicht länger mehr fortsetzen, und Eure Tochter hat ein verteufelt einnehmendes Gesicht, so daß ich glaube, ich bin ihr gut über alle Maßen. Gebt sie mir zum Weibe, und ich versichere Euch, ich mache sie zu meinem Buchhalter und gebe ihr sogar die Kasse über. Ist Euch das nicht genug?«

»Hm, ja. Aber habt Ihr denn schon mit dem Mädchen gesprochen?«

»Nein, scheint mir auch nicht nötig zu sein. Der Doktor White ist schon der Mann, ein Mädchen zu bekommen, wenn er sie überhaupt haben will, und gegen Euern Willen wird sie auf keinen Fall schwimmen können.«

»Das ist wohl wahr, aber ich denke, daß sie bei so einer wichtigen Sache ihren Willen ebenso gut haben muß wie ich den meinigen, und so gern ich ja sage, wenn sie dagegen ist, so unterbleibt's. Also sprecht vorher mit ihr, Doktor, und kommt dann wieder!«

»Soll gleich geschehen; habe nicht viel Zeit zu solchen Sachen übrig, habe einundzwanzig Patienten oben liegen, die mir viel zu schaffen machen. Wo ist sie?«

»Weiß nicht; vielleicht draußen vor dem Thore.«

»Schön! Muß sie finden; werde nach ihr suchen!«

Er wandte sich nach der Thür, blieb aber überrascht stehen, denn vor ihm standen Anitta und Eduard, die in diesem Augenblicke aus der Küche getreten waren.

»Hier ist sie, die Ihr sucht, Master Doktor,« meinte der junge Mann, »und die Angelegenheit, die Ihr mit ihr besprechen wollt, wird nicht viel Zeit wegnehmen.«

»Wieso, wie meint Ihr das, Sennor Edouardo?« fragte White, welcher seinen Nebenbuhler wohl kannte, da er ihn fast täglich bei den Eltern Anittas getroffen hatte.

»Ich meine, daß Ihr zu spät kommt, da ich soeben mit Anitta einig geworden bin. Sie hat keine Lust, Frau Doktorin zu werden, und will es lieber einmal mit mir versuchen!«

»Ist das wahr, Anitta?« fragte Werner, vor Überraschung sich erhebend und die ausgeglimmte Cigarette aus der Hand werfend.

»Ja, Vater. Oder ist es dir nicht recht so?«

»Recht? O, recht würde es mir schon sein, denn ich habe den jungen selber lieb; aber was thut ihr mit der bloßen Liebe in einem Lande, wo Weg und Steg mit blanken Dollars bepflastert sind? Sennor Edouardo ist noch jung; er kann es noch zu etwas bringen, wenn er sich nicht vorzeitig an ein Mädchen hängt. Der Doktor aber weiß schon längst, was er hat; das ist der Unterschied, Anitta; er will mit nach Deutschland gehen und –«

»Eduard geht auch mit,« unterbrach ihn das Mädchen; »er will – –«

»Kann er denn? Es gehört mehr dazu als der gute Wille.«

»Sennor Carlos,« meinte Eduard jetzt, »es ist jetzt nicht der Augenblick, uns in der richtigen Weise auszusprechen. Aber sagt mir einmal aufrichtig- Würdet Ihr mir Anitta geben, wenn ich weniger arm wäre als jetzt?«

»Ja.«

»Und wie viel müßte ich haben?«

»Hm, das ist schwer zu sagen! je mehr, desto besser; wenigstens aber müßte es zulangen, um die Heimat erreichen und dort ein Gütchen oder so etwas kaufen zu können.«

»Und werdet Ihr mir Zeit geben, so viel zu erwerben?«

»Zeit? Wie lange meint Ihr denn?«

»Sechs Monate!«

»Hm, das ist nicht übermäßig lang. Was sagt Ihr dazu, Doktor?«

»Damn it, das klingt grad wie ein trockenes, regelrechtes Geschäft; erlaubt, daß ich mit beitrete!«

»Das sollt Ihr!«

»So will ich Euch einen Vorschlag machen, Master Carlos!«

»Welchen?«

»Ihr wollt doch wohl hinauf nach den Minen, Master Edouardo?« fragte er höhnisch, sich zu dem jungen Manne wendend.

»So ist es.«

»Well, Sir; wir geben Euch sechs Monate Zeit. Kommt Ihr bis dahin mit dreitausend Dollars zurück, so ist Miß Anitta Euer, und ich sage kein Wort dagegen. Kommt Ihr aber nicht, oder mit weniger, so ist die Miß mein. Seid Ihr einverstanden, Master Carlos?«

»Vollständig, vorausgesetzt, daß Eure Verhältnisse so sind, wie Ihr sie mir beschrieben habt!«

»Sie sind so! Also wir sind einig. God bye; ich muß zu meinen Fieberkranken.« – –

Es vergingen Monate und wieder stieg ein junger Mann die Anhöhe nach der Mission herauf und wandte sich am Mezquitegebüsch nach der hinter ihm liegenden Landschaft um. Es war nicht Eduard, obgleich die ausbedungenen sechs Monate bis auf einige Tage vergangen waren, sondern ein anderer.

Nachdem er sein Auge an dem sich ihm bietenden Panorama gesättigt hatte, ging er durch das Portal über den Hof und traf unter dem Eingange des Seitenflügels mit Anitta zusammen. Er fragte sie.-

»Könnt Ihr mir vielleicht sagen, Sennorita, ob hier der Doktor White zu finden ist?«

»Er wohnt hier. Steigt hinauf bis unter das Dach; dann seid Ihr in seinem Hospital, wo Ihr ihn sicher treffen werdet!«

Er folgte der Weisung und stieg höher und immer höher empor, bis er auf den Bodenraum gelangte, wo er zwei Reihen Betten erblickte, zwischen denen sich die Gestalt des Doktors bewegte. Der Raum war ein an und für sich nicht sehr heller, und da es draußen bereits zu dunkeln begann, so ließen sich die Gegenstände nicht genau unterscheiden.

White bemerkte den Fremden und trat herbei.

»Was wollt Ihr, Sennor?« fragte er.

Der Gefragte horchte bei dem Klange dieser Stimme auf und fragte gespannt:

»Ihr seid Master White, der Doktor, Sir?«

»Ja.«

»Ich bin Pharmaceut, habe mein Glück in Kalifornien aus der Erde graben wollen, aber nichts gefunden, und bin dann zum Vermittlungsbureau gegangen, um mir ein Placement zu suchen. Dort wurde mir gesagt, daß Ihr einen Krankenwärter braucht, und so bin ich zu Euch heraufgestiegen, um zu sehen, ob die Stelle noch offen ist.«

»Sie ist noch unbesetzt. In welchem Orte und welcher Offizin habt Ihr gearbeitet?«

»Hm,« antwortete der Fremde bedächtig, indem er rasch über die ersten Namen hinwegging, auf den letzten aber eine hörbar absichtliche Betonung legte. »In New-York, Pittsburg, Cincinnati und zuletzt in Norfolk, Nordkarolina, bei Master Cleveland.«

»In Norfolk bei Master Clev – –«

Er trat rasch näher, um das Gesicht des Fremden besser sehen zu können, und fuhr dann erschrocken zurück:

»Bei allen Teufeln, der verdammte Deutsch – – wollte sagen, Master Gromann, der mit mir zu gleicher Zeit dort – – aber kommt doch einmal mit herunter in meine Wohnung, Sir! Es freut mich wirklich unendlich, daß ich das Vergnügen habe, so unerwartet einen Kollegen zu finden, der mit mir an einem und demselben Platze war!«

Er konnte das sehr zweideutige Lächeln in den Zügen des anderen nicht sehen und stieg eine Treppe tiefer, wo er ein kleines Zimmer betrat und Licht machte. Der kleine Raum bildete augenscheinlich Wohn- und Schlafzimmer mit alles in allem.

»So, setzt Euch nieder, oder, um das Vergangene festzuhalten, setz' dich nieder! Wie ist es in Norfolk gegangen, nachdem ich fort war? Ich hatte einen kleinen Zwist mit dem Prinzipal, weshalb ich im Ärger ohne Kündigung und Abschied fortging. Ich hoffe, es geht dem alten Master Cleveland gut!«

»Gut? Es hat überhaupt bei ihm aufgehört, zu gehen. Als du fort warst, hatte sich unbegreiflicherweise auch die Kasse samt sämtlichen Wertpapieren, die in besonderer Verwahrung lagen, entfernt. Der Mann war dadurch ruiniert und hat sich nicht darüber wegsetzen können. Er ist tot!«

»Ist's möglich! Was du sagst! Hm, der Alte hat niemals so recht fest gestanden und niemand in seine Verhältnisse blicken lassen. Ich glaube daher sehr, daß die Entfernung der Kasse nur ein kleines Arrangement von ihm selbst gewesen ist. Daß ich hier als Arzt etabliert bin, darf dich nicht wundern. Es fragt hier kein Mensch nach dem Diplom, und die Sache ernährt ihren Mann. Also du kommst nach der Stelle?«

»Ja; aber sag mir, Walker, wie du zu den Mitteln kamst, ein solches Etablissement zu gründen, und warum du nicht deinen richtigen Namen beibehältst!«

»Hm, die Mittel habe ich mir droben in den Minen geholt, und der Name wurde umgeändert, weil White gelehrter klingt als Walker. Aber um wieder auf die Stelle zu kommen, so sollst du sie haben, vorausgesetzt, daß du mir keine Veranlassung zur Klage giebst. Arbeitest du dich gut ein, so ist es sogar möglich, daß ich dich mir assistiere und vielleicht gar dir die Compagnie antrage.«

»Hast du Wohnung für mich?«

»Es wird sich wohl Rat schaffen lassen. Also, schlägst du ein?«

»Natürlich; topp!«

»Topp!«

»Sollst dich nicht über mich zu beklagen haben. Bin auch genugsam herumgeworfen worden, so daß mir nicht viel daran liegt, an die Vergangenheit zu denken.«

Gromann wurde angestellt und nach und nach in die verschiedenen Geheimnisse der Hospitalverwaltung eingeweiht. Der Doktor war gezwungen gewesen, ihn zu engagieren, beruhigte sich aber bei der Beobachtung, daß sein Assistent selbst solche Vorkommnisse ganz an ihrem Platze fand, die der Öffentlichkeit vorsichtig entzogen werden mußten.

White hatte jetzt mehr Muße, und benutzte dieselbe zu häufigen Besuchen bei Sennor Carlos, in dessen Vertrauen er sich mit schlauer Berechnung einzuarbeiten wußte. Der Vater berücksichtigte auch nicht im mindesten, daß der Arzt viel, viel älter war als seine Tochter, und ein Wesen und Auftreten besaß, welches jedermann abstoßen mußte.

Endlich waren die sechs Monate vergangen, ohne daß Eduard sich sehen ließ. Daß weder eine briefliche Nachricht noch sonst ein Lebenszeichen von ihm gekommen war, hatte Anitta wenig beunruhigt; sie wußte, daß die Postverbindung mit den Minen eine äußerst unvollkommene war und fast in Privathänden ruhte, so daß man auf den richtigen Empfang eines Briefes nie rechnen konnte. Es kam sogar häufig vor, daß Leute, welche die Besorgung von Briefen und Geldsendungen übernommen hatten, entweder unterwegs überfallen, beraubt und totgeschlagen wurden oder auch selber mit den ihnen anvertrauten Geldern ein Schiff suchten und durchgingen.

Heut aber war der letzte Abend, und Eduard kam noch immer nicht. Das Mädchen wurde von einer fürchterlichen Unruhe hin und her getrieben. Auch dem Doktor ging es so. Bis jetzt noch hatte er alle Chancen für sich, aber sein Nebenbuhler konnte jeden Augenblick noch kommen, und das – das mußte verhütet werden. Er übergab die Patienten dem Assistenten und verließ die Mission.

Die Kranken konnten mit der Anstellung Gromanns sehr zufrieden sein, der den Hilflosen als ein rettender Engel erschienen war. Dem Doktor gegenüber sich vollständig gehorsam und willenlos zeigend, handelte er hinter dem Rücken desselben ganz nach eigenem Ermessen und hatte die Überzeugung, daß ihm mancher Patient, der von White dem Tode geweiht war, das Leben und Eigentum zu verdanken haben werde.« – – –

Wieder machte der Erzähler eine Pause und sah seine Zuhörer rundum an. Wahrscheinlich erwartete er, ein Lob zu hören, doch blieb dies aus, weil seine Erzählung bisher nicht genug interessant und spannend gewesen war. Da that er einige lange Züge aus seiner Cigarre und sagte:

»Die Geschichte scheint euch nicht zu gefallen; aber ich sage euch, daß die Hauptsache nun erst kommt.«

»Und diese Hauptsache ist wohl Old Shatterhand?« fragte einer.

»Yes! Ihr habt es erraten, Sir. Dieser berühmte weiße Jäger wird sofort auftreten. Ich habe euch gesagt, daß Doktor White die Patienten seinem Assistenten übergeben habe und fortgegangen sei. Die Unruhe ließ ihn nicht bleiben, denn obgleich es bereits der Abend des letzten Tages und die sechsmonatliche Frist bis auf wenige Stunden verstrichen war, konnte sein Nebenbuhler doch noch kommen. Es trieb ihn also von der Mission fort, nach der Stadt und nach dem Bahnhofe, wo er den bald fälligen letzten Abendzug erwarten wollte, der aus den Minen kam.

Es dauerte auch gar nicht lange, so kam er, und wer stieg aus? Mister Eduard, der sich also doch noch zur rechten Zeit einstellte. Als er schon vor dem Wagen stand, drehte er sich noch einmal um und grüßte hinein, als ob er sich von jemandem verabschiedete; dann schritt er fort. White ging kurz entschlossen sofort auf ihn zu und sagte zu ihm:

»Wahrhaftig, da kommt Ihr doch noch angefahren! Schon glaubten wir, Ihr würdet die Frist nicht innehalten. Die Hauptsache ist nun, ob Ihr auch glücklich gewesen seid und Gold gefunden habt.«

»Ich war glücklich, über alles Erwarten glücklich,« lautete die frohe Antwort.

»Habt Ihr dreitausend Dollars?«

»Mehr, noch viel mehr!«

»Das ist kaum zu glauben! Andere arbeiten jahrelang in den Diggins und setzen die Gesundheit und das Leben daran, ohne etwas zu finden; Ihr aber geht nur auf einige Monate hin und kommt gesund und reich zurück! Doch, das ist nun nicht zu ändern, und ich muß zurücktreten. Geht Ihr gleich von hier nach der Mission?«

»Ja.«

»Ich auch. Wir gehen also miteinander. Kommt!«

Sie entfernten sich, ohne daß White auf den Mann achtete, mit welchem Eduard noch zuletzt gesprochen hatte und der inzwischen auch ausgestiegen war. Eduard hatte Sehnsucht, zu Anitta zu kommen und sie von der Sorge zu befreien, die sie wohl gewiß um ihn hatte; darum ging er sehr schnell. So durcheilten sie rasch die Stadt, und als sie dieselbe hinter sich hatten, war es dunkel um sie her. White konnte also, ohne daß sein Begleiter es bemerkte, einen Revolver aus der Tasche ziehen und die Sicherung daran zurückschieben.

»Also glücklich seid Ihr gewesen?« sagte er. »Wer hätte das gedacht! Nun habe ich freilich das Nachsehen, denn Ihr habt mich aus dem Felde geschlagen. Habt Ihr allein in den Minen gearbeitet, oder hattet Ihr Kollegen?«

»Allein.«

»Was? Ihr versteht doch nichts von der Sache! Da ist es freilich ein großes Glück, ein ganz außerordentlicher Zufall, daß Ihr gleich auf eine Stelle geraten seid, wo Ihr einen solchen Fund machtet.«

»Es war kein Glück und kein Zufall, denn die Stelle wurde mir gezeigt.«

»Gezeigt? Unmöglich! Es wird niemals einem Digger einfallen, einem andern eine Fundstelle zu verraten.«

»Der es that, war kein Digger, kein Goldgräber.«

»Was denn?«

»Er war ein Roter, ein Indianer.«

»Wirklich? Dann ist es erst recht verwunderlich. Ja, es giebt Indianer, welche wissen, wo Gold liegt; aber es fällt ihnen nicht ein, dies einem Weißen zu sagen.«

»Dieser Indianer brauchte kein Gold; er war ein großer und berühmter Häuptling der Apatschen.«

»Wie hieß er?«

»Winnetou.«

»Alle Teufel! Winnetou! Wie seid Ihr denn mit diesem zusammengekommen?«

»Durch einen weißen Jäger, einen Freund von ihm, mit dem er sich in den Diggins befand.«

»Wie hieß dieser?«

»Old Shatterhand.«

»Ah – –!«

Dieser arglose Eduard bemerkte gar nicht, welchen Eindruck diese beiden Namen auf White machten, er fuhr ganz unbefangen fort:

»Ich traf diesen Old Shatterhand zufällig. Er fragte mich nach meinen Verhältnissen, denn er mochte sehen, daß ich kein Digger bin und nicht in die Minen paßte. Ich erzählte ihm alles aufrichtig und natürlich; auch, daß ich gekommen sei, um mir in sechs Monaten dreitausend Dollars zu erarbeiten. Erst lachte er darüber; dann wurde er ernst und sagte mir, daß er mir einen Mann bringen wolle, der mir wahrscheinlich einen guten Rat geben könne. Am nächsten Tage kam er mit Winnetou, der mich ansah, als ob er mir durch und durch blicken wolle. Dann nickte er Old Shatterhand still zu, und ich mußte mit ihnen gehen. Wir wanderten und stiegen fast den ganzen Tag umher, wobei Winnetou überall die Beschaffenheit des Bodens, der Erddecke untersuchte. Endlich, es war schon fast Abend, blieb er an einer Stelle stehen und sagte:

»Hier muß mein junger Bruder graben, aber allein, mit keinem andern; da wird er Nuggets und goldenen Sand finden.«

Ich löste mir den betreffenden Klaim und grub. Winnetou hatte recht gehabt; ich fand Nuggets. Ich mußte mich zwar sehr vor den andern Diggers in acht nehmen und meinen Fund verheimlichen, denn das ist meist räuberisches Gesindel, und es wäre mir vielleicht auch noch übel ergangen, wenn nicht in den letzten Tagen Old Shatterhand wiedergekommen wäre, um sich nach meinen Erfolgen zu erkundigen.«

»War Winnetou wieder bei ihm?«

»Nein; er hatte sich für einige Zeit von ihm getrennt, um erst nach Sacramento und dann nach San Francisco zu gehen. Er blieb bei mir, bis ich die Minen verließ, und sorgte dafür, daß mir kein Digger nahe kam. Dann fuhr er mit mir hierher.«

»Heut?«

»Ja.«

»So ist er mit Euch hier angekommen?«

»Natürlich! Wir saßen miteinander in einem Wagen.«

»Als Ihr ausgestiegen waret, spracht Ihr noch einmal in den Wagen hinein, wohl mit ihm?«

»Ja. Er stieg nicht gleich mit mir aus, weil er noch mit einem andern Passagier zu reden hatte. Ich sagte ihm guten Abend und bat ihn, Wort zu halten.«

»Welches Wort?«

»Er hat mir versprochen, mich morgen auf der Mission zu besuchen.«

»Teufel! Ist's wahr?«

»Ja.« antwortete Eduard, der nicht sah, in welcher Aufregung sich der Doktor jetzt befand. Dieser hatte große Angst vor Old Shatterhand; er versuchte, sich zu beherrschen, und erkundigte sich:

»Könnt Ihr denn auch beweisen, daß Ihr die dreitausend Dollars habt? Das müßt Ihr natürlich gleich heut abend beweisen können!«

»Das kann ich. Ich habe den ganzen Goldstaub in gute Papiere umgetauscht, die ich bei mir habe.«

Da blieb White stehen, zog den Hahn des Revolvers leise auf und sagte:

»Wißt Ihr, das Glück, daß Ihr Old Shatterhand und Winnetou getroffen habt, ist groß; noch größer, noch viel, viel größer aber ist die Dummheit, daß Ihr mir das alles erzählet!«

»Dummheit? Warum?«

»Weil Ihr nun das Mädchen nicht bekommt und auch das Geld nicht behaltet.«

»Wieso?«

»Wieso, fragt Ihr? Ihr werdet es sogleich erfahren.«

Im nächsten Augenblick krachte sein Schuß, und Eduard stürzte zu Boden, wo er lag, ohne sich zu rühren. White hob ihn auf, trug ihn ein Stück vom Wege seitwärts fort und legte ihn dort nieder. Dort wollte er ihn einstweilen liegen lassen, um ihn später in der Nacht irgendwo einzuscharren; vor allen Dingen mußte er ihm die Taschen leeren. Eben als er damit beginnen wollte, hörte er Schritte, welche sich rasch näherten; er huschte fort, um sich ja nicht sehen zu lassen. Der Tote lag ja gut, und er konnte ihm das Geld ebenso später wie jetzt nehmen. Er ging gar nicht erst in seine Wohnung, sondern gleich zu Werner, um dort Punkt zwölf Uhr seine Ansprüche geltend zu machen.«

Der Erzähler hielt jetzt wieder inne, um seine Zuhörer zu fragen:

»Nun, ist die Geschichte jetzt interessanter als vorher.«

»Viel, viel interessanter!« wurde ihm geantwortet. »Aber wo bleibt denn Old Shatterhand?«

»Er ist ja schon da!«

»Ja, auf dem Bahnhofe!«

»Nein, sondern viel näher!«

»Wo?«

»Auf dem Wege nach der Mission. Er ist es ja, dessen Schritte White kommen hörte.«

»Ah so!«

»Ja. Nämlich als Old Shatterhand aus dem Bahnwagen stieg, suchte sein Blick nach seinem jungen Reisegefährten. Er sah ihn bei White stehen und stutzte. Wer war nur dieser Mann? Er mußte ihn kennen; er hatte ihn gesehen. Er sann und sann, und da fiel es ihm endlich ein: dieser Mann, mit dem Eduard gesprochen hatte, war der Kanada-Bill! Beide waren schon fort. Old Shatterhand eilte ihnen nach, sah sie aber in der nächsten Straße nicht. Wo der Kanada-Bill auftritt, giebt es stets eine Teufelei. Hatte er eine solche mit Eduard vor? So fragte sich Old Shatterhand. Er mußte ihn warnen. Er wußte, daß er nach der Mission gehen wollte, erkundigte sich bei einem Vorübergehenden nach ihr und ging nach.

Als er die Stadt verlassen hatte, war der Weg dunkel; er mußte langsam gehen, um ihn nicht zu verlieren. Da hörte er vor sich einen Schuß und eilte auf die Stelle zu, wo er gefallen war. Da blieb er stehen und lauschte. Es war ihm, als ob sich jemand leise entferne. Er suchte, ob jemand getroffen sei und vielleicht an der Erde liege. Er fand niemand. Da aber hörte er von der Seite her einen klagenden Ton. Er ging der Richtung dieses Tones nach und fand Eduard, der sich halb aufgerichtet hatte und die Hände auf die Gegend des Herzens drückte.

»Ihr seid es?« fragte er erschrocken, da er ihn trotz der Dunkelheit erkannte.

»Ja, Sennor Shatterhand,« antwortete Eduard leise.

»Seid Ihr getroffen?«

»Ja.«

»Wo?«

»Ins Herz, grad ins Herz.«

Das Sprechen fiel ihm schwer; der Atem fehlte ihm.

»Ins Herz? Das ist nicht möglich!« sagte Old Shatterhand.

»Wenn man Euch ins Herz getroffen hätte, wäret Ihr tot. Bleibt still! Ich werde Euch untersuchen.«

Er öffnete ihm den Rock, die Weste, das Hemde – keine Spur von Blut, von einer Wunde! Er suchte weiter, kam an die Brusttasche, befühlte diese und erklärte dann erfreut:

»Gott sei Dank! Ihr habt in dieser Tasche den großen Beutel mit Nuggets, welche die Kugel aufgefangen haben. Hier fühle ich das kleine Loch im Tache. Der Schuß hat Euch umgeworfen und den Atem genommen; aber die Kugel ist in den Nuggets stecken geblieben. Wohnt nicht der Arzt, Euer Rivale, da in der Mission?«

»Ja.«

»Zu dem werde ich Euch führen oder tragen. Er wird Euch – –«

»Um Gottes willen, nein!«

»Warum nicht?«

»Der ist es ja, der auf mich geschossen hat!«

»Ah! War er am Bahnhofe?«

»Ja.«

»War es der Mann, mit dem Ihr von dort gegangen seid? Und wie heißt er? Oder vielmehr, wie heißt er jetzt?«

»White, Doktor White.«

»Ein Doktor, ein Arzt! Welch verschiedene Karrieren dieser Schurke doch schon eingeschlagen hat; es soll aber seine letzte sein. Dieses Mal werde ich ihm das Handwerk legen, und zwar für immer!«

»Kennt Ihr ihn denn?«

»Nur zu gut! Aber das ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, wie Ihr Euch befindet.«

»Es ist mir leichter; ich habe wieder Atem.«

»Und schmerzt die Brust?«

»Nicht sehr.«

»So wollen wir versuchen, ob Ihr aufstehen und gehen könnt. Stützt Euch auf mich!«

Der Versuch gelang; es ging langsam, aber doch. Unterwegs erzählte Eduard das Gespräch, welches er mit White gehabt hatte. In der Nähe der Mission angekommen, mußte er sich seitwärts an einer versteckten Stelle niedersetzen. Old Shatterhand ließ sich die Wohnung und das Hospital beschreiben und ging dann in das Haus, um White aufzusuchen. Die Wohnung war verschlossen; da stieg er die schlecht erleuchteten Treppen bis zum Bodenraum hinauf, dessen Thür er öffnete, ohne anzuklopfen. Da standen die Betten der Patienten, und an einem kleinen Tischchen saß der Assistent. Dieser stand auf, nicht wenig erstaunt über den späten Besuch. Und als er gar denselben genauer betrachtete und die zwei Gewehre sah, die Old Shatterhand auf der Schulter hängen hatte, und das Messer, die Revolver, welche in seinem Gürtel steckten, da wollte er beinahe erschrecken.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?« fragte er.

»Ich suche Doktor White.«

»Der ist nicht hier.«

»Wo sonst?«

»Er wird unten bei Sennor Werner sein.«

»Und wer seid Ihr?«

»Ich heiße Gromann und bin der Assistent.«

»So kommt einmal her, Mr. Gromann; ich muß Euer Gesicht sehen!«

Er zog ihn zum Lichte, betrachtete ihn und sagte, indem seine ernsten, ja strengen Züge einen milden Ausdruck annahmen:

»Ihr scheint kein Halunke zu sein.«

»Bin auch keiner, sondern stets ein ehrlicher Mensch gewesen. Wie aber kommt Ihr zu Eurem befremdlichen Verhalten und diesen sonderbaren Worten, Sir?«

»Das will ich Euch sagen. Ist Euch vielleicht der Name Old Shatterhand bekannt?«

»Ja.«

»Dieser Mann bin ich.«

»Was – –? Wie – –? Ihr seid Old Shatterhand?«

»Ja. Und habt Ihr vielleicht einmal den Namen Kanada-Bill gehört?«

»Auch.«

»Wißt Ihr, was dieser Kerl für ein Mensch ist?«

»Der größte Halunke weit und breit.«

»Wißt Ihr das genau?«

»Ja. Es kann es niemand besser wissen, als ich, denn – denn – – hm!«

»Was hm?«

»Es ist eigentlich ein Geheimnis; aber da Ihr Old Shatterhand seid, kann ich es Euch sagen. Ich bin nämlich jetzt Detektive.«

»Geheimpolizist? Als Assistent dieses Doktor White?«

»Grad als dieser!«

»Ach! Ich beginne zu erraten! Da will ich Euch eine Bemerkung machen, die Euch wahrscheinlich außerordentlich interessieren wird. Euer sogenannter Doktor White ist nämlich der Kanada-Bill.«

»Zounds! Ist's wahr?«

»Wenn ich es sage, könnt Ihr es ruhig glauben.«

»Kennt Ihr den Kanada-Bill?«

»Sehr genau. Er ist lange verschwunden gewesen, mir aber heut über den Weg gelaufen. Soeben erst hat er einen Mordversuch begangen.«

»Was Ihr sagt! Wo? An wem?«

Old Shatterhand erzählte ihm die Sache, und da hielt denn auch Gromann nicht länger hinter dem Berge und sagte:

»Da muß ich aufrichtig mit Euch sein. Ich war früher Pharmaceut und als solcher bei Mr. Cleveland in Norfolk, Nordkarolina, in Kondition. Da trat bei ihm ein gewisser Walker ein, welcher engagiert wurde, weil er gute Zeugnisse besaß, die aber, wie wir uns später überzeugten, gefälscht waren. Bald stellte es sich heraus, daß er von der Pharmacie fast weniger als ein Anfänger verstand; es gab sehr ernste Scenen zwischen ihm und dem Prinzipal, und dann verschwand er plötzlich und mit ihm der Inhalt der Kasse mit dem ganzen Vermögen Clevelands. Ich liebte meinen Prinzipal; er war mein Wohlthäter gewesen. Der Verlust richtete ihn vollständig zu Grunde; die Polizei fand keine Spur von dem Verbrecher, und so nahm ich mir vor, ihm privatim nachzuspüren. Indem ich nach ihm suchte, kam ich auf die Fährte anderer Personen, die ebenso wie er gesucht und nun durch mich der Gerechtigkeit überliefert wurden. Das verschaffte mir einen guten Ruf bei der Polizei, und ich wurde als Detektive engagiert. Nun standen mir weit mehr materielle und geistige Mittel zu Gebote, mit deren Hilfe es mir gelang, einen Anhalt zu gewinnen. Auf diesem fußte ich weiter, bis ich endlich eine sichere Spur entdeckte, die mich hierher führte.«

»Zu White?«

»Ja.«

»Er ist jener Walker?«

»Ja.«

»Er muß Euch aber doch erkannt haben!«

»Natürlich; aber ich machte ihm die Sache so plausibel, daß er mich engagierte, natürlich nur, um mich zum Schweigen zu bringen. Nun bin ich als Assistent bei ihm, aber meines Lebens keinen Augenblick sicher, denn ich muß zu jeder Stunde gewärtig sein, daß er mich auf irgend eine Weise aus dem Wege räumt, um einen Zeugen seiner Vergangenheit zu beseitigen. Welche Vorsicht und Aufmerksamkeit das meinerseits erfordert, könnt Ihr Euch kaum denken!«

»Warum macht Ihr ihn nicht unschädlich?«

»Auf welche Weise könnte ich das thun?«

»Indem Ihr ihn arretiert.«

»Das kann ich nicht.«

»Warum?«

»Weil ich keinen Beweis gegen ihn habe. Ich weiß, daß er das Vermögen Clevelands gestohlen hat, aber überführen kann ich ihn nicht. Ich habe ihn Tag und Nacht beobachtet, habe alle seine Geheimnisse zu ergründen versucht, habe in jedem Winkel, in jeder Ecke, die mir zugänglich war, nachgeforscht; es ist alles vergeblich gewesen.«

»Die Euch zugänglich war – – das ist die Sache! Er wird sich hüten, Euch seine Geheimnisse zugänglich zu machen. Bei diesem Halunken kommt Ihr mit aller Eurer List nicht weiter als bisher; bei ihm kann man den gordischen Knoten nicht aufknüpfen, sondern man muß ihn zerhauen, und das werden wir heute thun. Hoffentlich kann ich dabei auf Eure Hilfe rechnen?«

»Oh, wenn Old Shatterhand was in die Hand nimmt, dann braucht er so eine geringe Hilfe, wie die meinige ist, nicht dabei!«

»Hat er Schränke, Kästen, in die Ihr noch nicht gekommen seid?«

»Ja.«

»Wo?«

»In seiner Privatwohnung unten.«

»Die wird er uns einmal öffnen müssen!«

»Das thut er nicht!«

»Wenn er's nicht thut, thue ich's!«

»Das würde gesetzwidrig und also strafbar sein. Verzeiht, Sir, daß ich Euch darauf aufmerksam mache!«

»Pshaw! Was frage ich nach Euern Paragraphen, mit denen es Euch doch nicht gelungen ist, ihn zu fangen und zu überführen! Er ist der Kanada-Bill, der noch niemals nach einem Gesetze gefragt hat; also fällt es mir auch nicht ein, das Gesetz um die freundliche Erlaubnis zu bitten, wenn ich ihm das Handwerk legen will. Könnt Ihr jetzt vielleicht hier abkommen?«

»Ja. Wir haben augenblicklich keinen schweren Patienten.«

»So kommt mit mir herunter!«

Sie stiegen miteinander die Treppen hinab und gingen zu der Stelle, wo Eduard wartete. Dieser bekam von Old Shatterhand die Anweisung, wie er sich zu verhalten hatte, und dann begaben sie sich nach dem Erdgeschosse, wo Werner wohnte. Es war grad so um Mitternacht.

Sie gingen über den Hof und von dem Flur aus in die Küche, wo Eduard damals mit Anitta gelauscht hatte. Auch heut war diese leer. Werner saß mit Frau, Tochter und White in der Stube. Eben sagte der letztere:

»Jetzt, Sennor Carlos, ist es grad zwölf; die sechs Monate sind vorüber, und Eduard ist noch nicht da. Ich erinnere Euch an Euer Wort und hoffe, daß Ihr es halten werdet.«

»Ich halte es,« antwortete Werner, »und gebe Euch meine Einwilligung, wenn Ihr mir beweist, daß Ihr wirklich so wohlhabend seid, wie Ihr gesagt habt.«

»Ich habe mich natürlich vorbereitet, diesen Beweis anzutreten. Hier seht Euch diese Papiere an! Die Summen, welche da verzeichnet stehen, habe ich auf der Bank deponiert. Genügen sie Euch?«

Man hörte Papiere rascheln, und dann rief Werner aus:

»Sennor Doktor, das ist ja viel, viel mehr, als ich erwarten konnte! Ihr seid ein reicher Mann!«

»Oh, ich könnte Euch beweisen, daß ich noch mehr habe; dies mag aber genügen. Und damit Ihr seht, was für einen aufmerksamen Gatten Eure Anitta an mir haben wird, will ich Euch diesen Schmuck zeigen, den ich ihr schon bei der Verlobung schenken werde. Es sind lauter Edelsteine.«

Man hörte Etuis öffnen, und dann erklangen Werners Ausrufe des Erstaunens und der Bewunderung. Da trat Gromann an die Küchenthür, welche ein wenig aufstand, und sah in das Zimmer. Kaum hatte er einen Blick hineingeworfen, so fuhr er zurück und flüsterte Old Shatterhand zu:

»Hört, Sir, ich habe jetzt, was ich brauche. Dieser Schmuck ist Mr. Cleveland gestohlen worden. Er gehörte seiner verstorbenen Frau und wurde nach ihrem Tode im Geldschrank aufbewahrt. Dann verschwand er mit Walker und mit dem Gelde.«

Jetzt fragte White drin:

»Nun, Sennor Carlos, habe ich Euch überzeugt?«

»Ja, Sennor. Komm her, Anitta, und gieb dem Doktor deine Hand!«

Jetzt horchten die Lauscher gespannt, was Anitta sagen würde.

»Ich gebe sie ihm nicht!« sagte sie in sehr entschlossenem Tone.

»Du weißt, daß er mein Versprechen hat!«

»Das deinige, ja; aber von mir hat er kein Versprechen erhalten.«

»Versprechen ist Versprechen!« rief White. »Ich denke doch, daß jede Tochter ihrem Vater Gehorsam schuldet! Eduard ist nicht gekommen; wahrscheinlich ist er in den Minen verdorben und gestorben, und – –«

Er kam nicht weiter in seiner Rede, denn Old Shatterhand schob jetzt Eduard durch die Thür in das Zimmer, und dieser sagte:

»Ich bin gekommen, wie Ihr seht. An Euch, Sennor White, liegt es freilich nicht, daß ich noch lebe und nicht gestorben bin!«

Anitta flog mit einem Freudenrufe auf ihn zu. White aber starrte ihn erschrocken wie einen Toten an, der plötzlich aus dem Grabe steigt. Da öffnete sich die Küchenthür wieder, und Gromann kam herein. Er trat an den Tisch, griff nach den Etuis und sagte:

»Dieser Schmuck ist Mr. Cleveland gestohlen worden; ich konfisziere ihn.«

»Konfiszieren?« fuhr White auf. »Ich möchte den sehen, der den Mut hat, sich an meinem wohlerworbenen Eigentume zu vergreifen!«

»Das thue ich, weil es nicht wohlerworben ist. Ich bin Detektive und erkläre Euch, daß Ihr mein Gefangener seid, Mr. Walker, der sich hier White nennt!«

Und abermals wurde die Thür geöffnet. Old Shatterhand kam herein und sagte:

»Auch Walker ist sein richtiger Name nicht. Er hat schon hundert Namen getragen und seinen ursprünglichen wohl darüber vergessen; sein berühmtester oder berüchtigtster aber ist Kanada-Bill.«

Jetzt wurde der Schreck des angeblichen Doktors gradezu zum Entsetzen; sein Gesicht erbleichte bis zur Farbe des Papieres, und seine Gestalt wankte, so daß er sich mit den Händen auf den Tisch stützen mußte.

»Old – – Shat – – ter – – hand!« kam es dabei bebend über seine blutleeren Lippen.

»Ja, Old Shatterhand! jetzt weißt du wohl, daß fürder kein Entrinnen ist! Deine Thaten schreien zum Himmel auf, und es wäre besser, du hättest die Kugel, welche diesen jungen Mann hier töten sollte, dir ins eigene Herz gejagt; da wärest du dem Strange entgange, dem ich dich ausliefern werde. Deine Laufbahn ist zu Ende!«

Die Wirkung dieser Worte riß die Gestalt des Kanada-Bill aus ihrer zusammengesunkenen Haltung empor. Seine Wangen färbten sich wieder, und seine Augen blitzten. Er griff mit der Hand in die Tasche und schrie Old Shatterhand an:

»Meinst du wirklich, daß ich so nahe am Strange stehe? Noch ist es nicht so weit!«

»Es ist so weit, und selbst dein Revolver kann dich nicht retten. Heraus mit der Hand aus der Tasche!«

»Ja, heraus! Aber nicht bloß mit der Hand. Ehe ich den Strang erhalte, bekommst du dieses Blei!«

Er hob die Hand, in welcher der Revolver blitzte, und richtete ihn auf Old Shatterhand. Der Schuß krachte; Old Shatterhand machte eine blitzschnelle Bewegung zur Seite; die Kugel ging vorüber, und fast in demselben Augenblicke traf seine Faust den Kanada-Bill mit solcher Wucht auf den Kopf, daß er förmlich zu Boden krachte und mehrere Stühle mit sich niederriß.

Werner saß vor Schreck lautlos; seine Frau aber schrie laut auf.

»Still!« gebot Old Shatterhand. »Er ist gefällt und wird keinem Menschen mehr schaden. Gebt einige Schnüre her, um ihn zu binden, und schickt dann nach der Polizei! Die wird sich freuen, einen solchen Fang ausgeliefert zu bekommen.«

Er hob den Revolver auf, der dem Kanada-Bill entfallen war, und dann wurde der Bewußtlose gefesselt. Nun ging es ans Fragen, Antworten und Erklären, und als sich die Polizei einstellte, wurde die Wohnung des Verbrechers untersucht. Mit Hilfe der Schlüssel, welche er einstecken hatte, konnte man alles öffnen, und da fanden sich denn so viel Zeugen seiner Thaten, daß er der Todesstrafe nicht entgehen konnte. Vor allen Dingen gab es viel Goldstaub und Nuggets, die er seinen kranken Diggers im ›Hospitale‹ abgenommen hatte, bevor sie von ihm aus dem Leben ›gedoktort‹ worden waren. Auch die ganze Summe, welche er Mr. Cleveland abgenommen hatte, war vorhanden und durch seine Notizen legitimiert. Gromann freute sich königlich darüber, seinem armen, einstigen Prinzipale dieses Geld wiederbringen zu können.

Der Arrestant kam während der ganzen Durchsuchung seiner Wohnung nicht wieder zu sich und wurde in diesem bewußtlosen Zustande fortgeschafft. Als er dann später in der Haft erwachte, begann er zu schreien und zu wüten. Der Fausthieb Old Shatterhands hatte sein Gehirn in der Weise erschüttert, daß er nicht wieder richtig zur Besinnung, zum Bewußtsein kam. Er kämpfte Tag und Nacht mit den Gestalten derer, an denen er sich vergangen hatte, und wurde dabei so gefährlich, daß ihn nur die Zwangsjacke bändigen konnte. Die Tobsucht ließ nicht von ihm, bis sie ihn mit schäumendem Ringen tot niederwarf. Ein Ende durch den Strang wäre weniger schrecklich gewesen; aber er hatte diesen Tod verdient und war selber an ihm schuld, denn hätte er nicht auf Old Shatterhand geschossen, so wäre er nicht von diesem zu Boden geschlagen worden. So, ich bin mit meiner Geschichte fertig, und nun wißt ihr, Mesch'schurs, wo und wie der Kanada-Bill geendet hat.« –

Die letzte Hälfte der Erzählung hatte aller Augen an seine Lippen gefesselt, und auch ich selbst war ihr mit Spannung gefolgt. Er hatte sie zwar in seiner Weise ausgeschmückt, aber dennoch mit ihr die Wahrheit berichtet.

Nun saßen die Zuhörer unter ihrem Eindrucke längere Zeit still da, bis einer sagte:

»Es ist eigentlich kaum glaublich, daß ein Mensch einen andern durch einen einfachen Fausthieb in dieser Weise niederschlagen kann!«

»Und dennoch ist es so,« behauptete der Erzähler.

»Aber diesem Menschen muß die Hand doch wochenlang dann schmerzen!«

»Ich habe gehört, daß ein Vorteil dabei sei, den nur Old Shatterhand kennt und keinem Menschen sagt. Es soll dabei sehr auf die Lage der Finger, welche die Faust bilden, und auch auf die Stelle des Kopfes ankommen, auf welche der Hieb zu richten ist!«

»Ob Winnetou, sein Freund, das auch so fertig bringt?« Das weiß ich nicht.«

»Aber ich weiß es,« ließ sich eine andre Stimme vernehmen.

»Ihr? Kennt Ihr Winnetou persönlich?«

»Habe ihn gesehen.«

»Wo?«

»Drüben am Arkansas, in der Nähe von Fort Gibson, wo ich, wenn er auch nicht grad jemand mit der Faust niederschlug, doch Gelegenheit hatte, seine Gewandtheit und Körperkraft zu bewundern.«

»Ist es interessant?«

»Sehr!«

»So erzählt, Sir! Nicht wahr, Mesch'schurs, er soll es erzählen?«

»Ja, ja, erzählen, erzählen!« rief's im Kreise.

Ich war nun neugierig, was nun kommen würde, und ob es mir eine bekannte oder unbekannte Episode aus dem Leben Winnetous sei. Der Mann, welcher aufgefordert wurde, seine Geschichte vorzutragen, hatte lebhafte, scharfblickende Augen, ein intelligentes Gesicht und war wohl gewöhnt, über Dinge nachzudenken, welche andre Leute gleichgültig lassen. Schon die Einleitung, welche er vorausschickte, nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

»Ihr müßt wissen, Gent's,« begann er, »daß ich über den wilden Westen und die Indianer meine eigenen Ansichten habe, ganz andere, als sie hier landläufig sind. Ich bin, als ich noch mit der sogenannten ›Existenz‹ zu kämpfen hatte, als Pedlar sehr viel unter den Roten gewesen und habe mich stets wohl bei ihnen befunden. Dann wurde ich dies und das; es ging mir von Jahr zu Jahr besser, und wenn ich jetzt als ein gemachter Mann hier bei euch sitze, so haben sich zwar meine Verhältnisse geändert, nicht aber meine Ansichten über die Indsmen, die weit, weit besser sind als ihr Ruf, und Winnetou ist der beste und herrlichste von ihnen. Ich möchte manchem Weißen wünschen, so zu sein wie er!

Die meisten von euch werden wissen, daß ich eine Reihe von Jahren Indianeragent gewesen bin, aber nicht einer von der Sorte, welche, um sich selbst zu bereichern, die Roten um ihr Recht prellen und um ihr Hab und Gut betrügen. Diese Art von Agenten trägt die meiste Schuld daran, daß die Indianer nie aus dem Zorne gegen die Weißen herauskommen. Diese Leute bereichern sich gewissenlos an der Armut und Nacktheit des bedauernswerten Angehörigen der roten Nation und schreien Ach und Wehe über sie, wenn sie dann endlich einmal die Geduld verlieren und mit den Waffen in der Hand Gerechtigkeit verlangen.«

»Das ist ja eine wirkliche Predigt, die Ihr uns da haltet, Sir!« lächelte ein Nachbar von ihm.

»Wollte gerne, es wäre eine und es ständen alle Weißen der Vereinigten Staaten hier, um sie sich zu Herzen zu nehmen. Was ich euch erzählen will, habe ich selbst teilweise miterlebt; ich war dabei. Ihr werdet daraus erstens ersehen, was Winnetou für ein Mann ist, und zweitens, daß es weiße Schurken giebt, an deren Schlechtigkeit kein Roter kommt. Die Feindschaft der Indianer gegen uns ist wohl begründet; wenn aber Weiße sich an Weißen vergreifen, um sie zu verderben, so ist das eine Halunkenhaftigkeit, für welche man keine Worte findet und die den Indsmen einen Begriff von uns beibringt, der tief und schwer zu beklagen ist. Man darf sich dann nicht wundern, wenn sie uns verachten und sich für besser als die Bleichgesichter halten. Meine Geschichte wird von solchen Weißen handeln, und wenn Ihr dann noch stolz darauf seid, Weiße zu sein und die Roten für schlechter als die Bleichgesichter haltet, so ist das nicht meine Sache, sondern die eurige, Mesch'schurs. Also, ich will beginnen:

»Jene weiten Prairien Nordamerikas, welche sich westlich vom ›Vater der Ströme‹, dem Missisippi, bis an den Fuß des Felsengebirges und von dem jenseitigen Abhange derselben wieder an die Küste des stillen Weltmeeres erstrecken, haben nicht nur in physikalischer Beziehung mancherlei Ähnlichkeiten mit den unendlichen Fernen, welche die Wogen des Oceanes erfüllen. Es bieten sich zu einem Vergleiche zwischen den Weiten der Savanne und den oceanischen Strecken Punkte dar, welche nicht in äußeren Verhältnissen liegen und von denen einer der bedeutendsten in dem Eindrucke zu suchen ist, welchen die See sowohl als auch die Prairie auf denjenigen macht, der sich einmal von der heimischen Scholle losgerissen hat, um entweder auf längere Zeit die Fluten des Meeres zu pflügen oder auf dem Rücken eines guten Pferdes die abenteuervollen Hinterländer der Vereinigten Staaten zu durchstreifen.

Ein alter »Swalker«, welchem Zeit seines Lebens die Segel eines stattlichen Dreimasters um den Südwester schlugen, mag von dem Binnenlande nichts mehr wissen, und wird er seeuntüchtig, so baut er sich eine enge, kleine Kabine so nahe wie möglich an das Wasser und blickt mit liebevollem, sehnsüchtigem Auge hinaus auf die ewig wechselnden und nimmer ruhenden Wellen, bis die Hand des Todes ihm die müden Lider schließt.

So ist es auch mit dem, der es wagte, den Gefahren des »wilden Westens« kühn die Stirne zu bieten. Ist er auch einmal zurückgekehrt in Gegenden, über welche die Civilisation ihren Segen und – ihren Fluch ausgeschüttet hat, so zieht es ihn doch immer wieder zwischen die gefährlichen Post-oak-flats hinein und in die unbegrenzte Wildnis hinaus, wo es der Anstrengung aller körperlichen und geistigen Kräfte bedarf, um im Kampfe mit den tausenderlei und stets neuen Gefahren der Savanne nicht zu unterliegen. Für ihn giebt es nur selten im Alter ein Ruheplätzchen, wie es der »abgetakelte« Seemann doch an der sichern Küste findet; ihm läßt es weder Ruhe noch Rast, er muß sich auf den Rücken seines Mustangs hängen und immer wieder in die Ferne ziehen, in welcher er einst spurlos verschwinden wird. Vielleicht findet ein Jäger nach Jahren seine gebleichten Gebeine auf ausgedorrter Ebene oder zwischen den himmelanstrebenden Felsen des Gebirges liegen; aber er reitet vorüber ohne ein Kreuz oder Ave und fragt nicht nach dem Namen dessen, der hier vielleicht ein grauenvolles Ende nahm. Der Westen hat einen rauhen Sinn und duldet weder Zartgefühl noch Schonung; er ist den physikalischen Stürmen widerstandslos preisgegeben, kennt keine andre Herrschaft als diejenige des unerbittlichen Naturgesetzes und bietet darum auch nur Männern Raum, die ihren einzigen Halt in der eigenen knorrigen Naturwüchsigkeit suchen.

Ein trotz aller Verträge immer von neuem aus seinen angewiesenen Wohnsitzen verdrängter, von der Natur reich begabter und dennoch dem unerläßlichen Untergang geweihter Menschenschlag liegt hier im Verzweiflungskampfe mit einer Nation, welcher alle physischen und geistigen, alle künstlichen und natürlichen Mittel zur Verfügung stehen, den todesmutigen Gegner trotz der heldenmütigsten Gegenwehr gewaltsam zu erdrücken. Es ist ein Jahrhunderte langes Ringen zwischen einem sterbenden Giganten und einem von Minute zu Minute sich mächtiger entwickelnden Sohne der Gesittung, der dem Feinde die gewaltige Faust immer enger um die Kehle drückt, ein Ringen, wie es die Geschichte sonst wohl auf keinem ihrer Blätter wieder aufzuweisen hat, begleitet von Heldenthaten, welche dem, was von unsern klassischen Heroen berichtet wird, getrost und vollgültig an die Seite gestellt werden kann, und wer es wagt, die lang- und breitgestreckten Schlachtgefilde zu betreten, dem darf keine einzige der Waffen mangeln, mit denen die äußerlich unscheinbaren und doch bewundernswerten Kämpfer sich auf Tod und Leben bekriegen.

Wer in Fort Gibson am Arkansas die Büchse über die Schulter legt und einige Tagereisen weit stromaufwärts geht, gelangt an ein kleines Settlement, bestehend aus einigen einfachen Blockhütten, einem gemeinsamen Weideplatze und einem etwas abseits liegenden Hause, welches sich schon von weitem durch sein primitives Schild als Store und Boardinghaus zu erkennen giebt. Der Wirt dieses Hauses ist nicht gewohnt, große Ansprüche zu befriedigen, und erhebt also auch selbst keine in Beziehung auf diejenigen, welche bei ihm eintreten und verkehren. Niemand weiß, was er früher war und woher er kam; darum fragt er auch keinen nach Namen, Vorhaben oder Reiseziel. Man versorgt sich bei ihm mit dem Nötigen, thut einen »Drink« nach Belieben, schlägt, sticht oder schießt sich ein wenig und geht dann seines Weges. Wer viel fragt, braucht viel Zeit, und dem Amerikaner ist die Zeit kostbarer als eine Antwort, die er am besten sich selbst geben kann.

In dem Boarraume saßen einige Männer, deren Äußeres keineswegs salonfähig zu nennen war. So unterschiedlich die Kleidungsstücke waren, welche sie trugen, sämtliche Anzüge ließen auf den ersten Blick den echten, richtigen Trapper oder Squatter erkennen, der kaum jemals davon gehört hat, was ein guter Schneider zu bedeuten hat, sondern sich seinen Bedarf ohne Wahl da und grad so nimmt, wo und wie er ihn findet.

Wo mehrere Westmänner beisammen sitzen, da ist ein guter Schluck in der Nähe und ebenso sicher eine gute Erzählung im Gange. Daß die Anwesenden grad jetzt still vor sich niederblickten, hatte jedenfalls seinen Grund darin, daß eine jener »dunklen und blutigen Geschichten«, wie man sie in den Grenzländern zu hören bekommt, soeben erst zu Ende gegangen war und nun jeder in seiner Erinnerung nach einer zweiten forschte. Da wurde plötzlich derjenige von ihnen, welcher in der nächsten Nähe des kleinen Blockfensters saß, laut:

»Auf, ihr Leute, und hinausgeschaut da hinüber nach dem Wasser!« meinte er. »Täuschen mich meine alten Augen nicht, so sind dies zwei Green-beacks, zwei Grünschnabel, wie sie im Buche stehen. Seht nur, wie sie zu Pferde sitzen, so nett und so fein, grad wie vom heil'gen Christ beschert! Was thun solche Leute hier in unsern guten Wäldern?«

Alle außer einem Einzigen erhoben sich, um die Ankömmlinge zu mustern; der Sprecher aber legte sich mit breitgespreizten Ellbogen wieder auf den Tisch zurück. Er hatte seine Schuldigkeit gethan und brauchte sich um weiter nichts zu kümmern. Er war eine eigentümliche Figur. Die Natur schien im Sinne gehabt zu haben, mit ihm ein Seilerstück zu fabrizieren, so unendlich hatte sie ihn in die Länge gezogen; alles an ihm, das Gesicht, der Hals, die Brust, der Unterleib, Arme und Beine waren lang, unendlich lang und dabei scheinbar so schwach und dürftig, daß man befürchten mußte, den ganzen Mann beim ersten besten Windstoße zerrissen und in Fäden davonwirbeln zu sehen. Seine Stirn war frei; auf dem Hinterkopfe aber balancierte ein namenloses Ding, welches vor vielen, vielen Jahren vielleicht einmal ein Cylinderhut gewesen war, jetzt aber gradezu aller Beschreibung spottete. Das hagere Gesicht zeigte einen Bart, ja, aber dieser Bart bestand aus kaum hundert Haaren, welche einsam und zerstreut die beiden Wangen, Kinn und Oberlippe bewucherten und von da lang und dünn bis fast auf den Gürtel herabhingen. Der Jagdrock, welchen er trug, schien noch aus seiner frühesten Jugendzeit zu stammen, denn er bedeckte kaum die obere Hälfte des Leibes, und die Ärmel reichten nur wenige Zoll über die Ellbogen herab. Die zwei unglückseligen Schalen, in denen die Beine staken, konnten früher einmal Schäfte von einem Paar riesiger Schifferstiefel gewesen sein, hatten aber jetzt das Aussehen alter, durchgeglühter Ofenrohre und stießen in der Knöchelgegend auf zwei sogenannte horse-feets, wie man sie besonders in Südamerika aus den noch lebenswarmen Häuten der Pferdefüße bereitet.

»Hast recht, Pitt Holbers,« entschied einer der Hinausblickenden; »es sind Green-beacks, die uns nicht viel angehen werden. Laßt sie machen, was sie wollen!«

Die Neugierigen kehrten an ihre Plätze zurück. Draußen ließ sich Pferdegetrappel vernehmen; eine kurze barsche Stimme ertönte, die grad so klang, als sei sie das Befehlen gewohnt, und dann öffnete sich die Thür, um die beiden einzulassen, von denen die Rede gewesen war.

Während von dem zuletzt Eintretenden nicht viel zu sagen war, wäre die Persönlichkeit dessen, der den Vortritt genommen hatte, in anderer Umgebung sicher nicht ohne Eindruck geblieben.

Ohne grad und in die Augen fallend stark gebaut zu sein, erhielt er durch eine eigentümliche Weise der Haltung und Bewegung ein ungemein kraftvolles und gebieterisches Aussehen. Sein regelmäßig, ja schön gezeichnetes Gesicht war von der Sonne tief gebräunt und wurde von einem dichten, dunklen Barte umrahmt, der breit und voll bis auf die Brust herniederging. Die Kleidung, welche er trug, war vollständig neu, und seine Waffen ebenso wie diejenigen seines Begleiters konnten erst vor kurzem den Laden des Händlers verlassen haben, so blank und sauber zeigte sich ihr Aussehen.

Der echte Trapper oder Squatter hegt einen unüberwindlichen Widerwillen gegen alle auf die äußere Erscheinung gerichtete Sorgfalt, und ganz besonders ist ihm das Putzen der Waffen verleidet, deren Rost ihm ein sicheres Zeichen ist, daß sie nicht zum Staate getragen wurden, sondern in Kampf und Todesnot ihre guten Dienste geleistet haben. Da, wo der Wert eines Menschen nach etwas ganz anderem, als nach seinem Kleide bestimmt wird, enthält ein stutzerhaftes Äußeres gradezu eine Art von Herausforderung, und es bedarf nur einer geringen Veranlassung, um scharfe Reden zu Gehör zu bringen.

»Good day, Mesch'schurs!« grüßte der Ankömmling, indem er seine Doppelbüchse von der Schulter nahm, um sie in die Ecke zu lehnen, was einem erfahrenen Westmanne auf keinen Fall eingefallen wäre. Und sich an den Wirt wendend, welcher ihn mit halb neugierigem, halb spöttischem Blicke musterte, fragte er: »Ist hier der ehrsame Master Winklay zu finden?«

»Hm, der bin ich vielleicht selber!« meinte nachlässig der Gefragte.

»Vielleicht?« klang es in etwas beleidigtem und daher spitzem Tone. »Was soll das heißen?«

»Das heißt, daß ich allerdings der Master Winklay bin, zuweilen aber auch nicht, je nachdem es mir beliebt.«

»So! Und wie beliebt es Euch denn jetzt?«

»Das kommt wohl nur darauf an, was Ihr von dem Master wollt, Sir!«

»Zunächst einen passablen Schluck für mich und diesen Mann und dann eine Auskunft, um die ich Euch zu fragen habe.«

»Der Schluck ist da; hier nehmt ihn hin! Und die Auskunft könnt Ihr ja auch haben, so gut ich sie zu geben verstehe. Ich weiß, was ich einem Gentleman schuldig bin.«

»Laßt den Gentleman weg, Winklay; er wird an diesem Ort nicht sehr viel gelten!« befahl der Fremde, indem er das Glas mit unbefriedigter Gebärde vom Munde nahm. »Meine Frage betrifft Sam Fire-gun.«

»Sam Fire-gun?« fragte überrascht der Wirt. »Samuel Feuerbüchse? Was wollt Ihr mit dem?«

»Das ist wohl meine Sache, wenn's Euch beliebt! Ich höre, daß er hier bei Euch zuweilen zu finden ist?«

»Hm, ja und nein, Sir. Was Euch beliebt, kann ja auch mir belieben. Gebt Ihr mir auf meine Frage keine Antwort, so könnt Ihr auch von mir nicht viel erwarten. Hier sitzen Leute, die Euch vielleicht auch einen Bescheid geben. Es sind zwei dabei, die den ganz genau kennen, nach dem Ihr Euch erkundigt.«

Der Mann drehte sich um und war nicht mehr zu sprechen. Der auf so recht amerikanische Weise Zurechtgewiesene wandte sich ruhig zu den übrigen:

»Ist das wahr, was Winklay sagte?«

Er bekam keine Antwort. Etwas klüger wandte er sich an Pitt Holbers:

»Wollt Ihr wohl die Güte haben, mir eine Antwort zu geben, Master Schweigsamkeit?«

»Hört, Sir, mein Name lautet Holbers, Pitt Holbers, wenn Ihr's merken könnt, und wenn Ihr dreihundert Männer zugleich fragt, so weiß keiner, ob grad er es ist, der antworten soll. Was wollt Ihr von Sam Fire-gun?«

»Nichts, was ihm unangenehm sein könnte. Ich bin aus dem Osten herübergekommen, um mich ein weniges im Walde umzusehen, und brauche einen Mann, bei dem man etwas unter die Hand bekommt. Dazu ist Sam Fire-gun der Richtige, und ich will Euch daher fragen, wohin man sich zu wenden hat, um mit ihm zusammenzutreffen.«

»Möglich, daß er der Richtige wäre; aber ob er's auch sein will, das ist eine andre Frage. Ihr seht mir nicht grad aus, als ob Ihr zu ihm paßt!«

»Meint Ihr? Kann sein, aber auch nicht. Also sagt, ob Ihr eine Auskunft geben könnt und wollt?«

Der Aufgeforderte drehte sich langsam nach dem Winkel herum, in welchem derjenige saß, der vorhin bei der Ankunft der Fremden ruhig sitzen geblieben war.

»Was meinst du, Dik Hammerdull?«

Der Mann hatte bisher den Kopf geneigt gehalten und dem Inhalte seines Glases eine so anhaltende Aufmerksamkeit erwiesen, daß sein Auge noch gar nicht auf die zwei Fremden gefallen war. Jetzt drehte er sich herum und schob die Kopfbedeckung nach hinten, als wolle er seinem Verstande die nötige Freiheit zu einer vernünftigen Antwort geben.

»Was ich meine, das bleibt sich gleich. Er soll den Colonel finden!« sagte er.

Er drehte sich wieder ab, um von neuem in sein Glas zu blicken. Der Schwarzbärtige aber schien mit diesem kurzen, mangelhaften Bescheide nicht zufrieden zu sein, sondern trat näher zu ihm heran.

»Wer ist der Colonel, Master Hammerdull?« fragte er.

Der Gefragte sah langsam und erstaunt empor.

»Wer der Colonel ist, das bleibt sich gleich. Colonel heißt Oberst; Sam Fire-gun ist unser Oberst, folglich nennt man ihn den Colonel.«

Der Frager konnte sich über den logischen Trapper eines Lächelns nicht erwehren. Er legte ihm die Hand wie herablassend auf die Schulter und forschte weiter:

»Nur nicht hitzig, Master! Wenn man gefragt wird, so steht man Rede und Antwort, so ist es überall, und ich sehe nicht ein, warum es hier am Arkansas anders sein soll. Wo ist der Colonel zu finden?«

»Wo er zu finden ist, das bleibt sich gleich. Ihr werdet zu ihm kommen, und damit pasta!«

»Hoho, Mann, das ist mir nicht genug. Ich muß doch wissen, wo und wie dies geschehen soll!«

Dik Hammerdull machte ein noch viel erstaunteres Gesicht als vorhin. Er war der schweigsamste Mann zwischen den Seen und dem Busen von Mexiko und sollte hier zu einer langen Rede gezwungen werden? Das konnte er sich unmöglich gefallen lassen. Er nahm das Glas empor, that einen nicht enden wollenden Zug aus demselben und erhob sich dann. Erst jetzt war es möglich, ihn von Kopf bis Fuß in Augenschein zu nehmen.

Er schien von dem Modelleur der menschlichen Schöpfung als Gegenstück zu Pitt Holbers gearbeitet worden zu sein. Er war ein kleiner und außerordentlich dicker Kerl, wie sie Amerika nicht sehr häufig aufzuweisen hat, von dem man nicht recht wußte, ob man sich vor ihm fürchten, oder über ihn lachen solle. Sein kurzer, runder Körper stak in einem aus Büffelleder gefertigten Sacke, dessen ursprünglicher Stoff jedoch nicht mehr gegenwärtig war, denn eine jede Blessur des alten Kleidungsstückes war durch Aufheftung des ersten besten Stückes ungegerbten Felles oder irgend einer andern fraglichen Materie derartig geheilt worden, daß mit der Zeit Flick an Flick und Fleck an Fleck gekommen war und die Reparaturstücke wie die Ziegel eines Daches über- und aufeinander lagen. Dazu war der Sack jedenfalls für eine weit längere Person verfertigt worden und hing ihm fast bis auf die Knöchel hernieder. Die Beine staken in zwei Futteralen, die man weder Stiefel oder Schuhe, noch Strümpfe und Gamaschen nennen konnte, und auf dem Kopfe trug er einen formlosen Gegenstand, der vor Zeiten einmal eine Pelzmütze gewesen sein konnte, jetzt aber vollständig haarlos war. Das wetterharte Gesicht, aus welchem zwei kleine Äuglein hervorblinzelten, zeigte nicht die geringste Spur eines Bartwuchses und war von zahlreichen Schmarren und Narben durchzogen, die ihm ein außerordentlich kriegerisches Aussehen gaben. Bei näherer Betrachtung konnte man bemerken, daß ihm mehrere Finger fehlten. Seine Waffenausrüstung war ganz die gewöhnliche; sie zeigte nichts Außerordentliches; aber die Büchse, welche er vor sich auf dem Tische liegen hatte, verdiente vollkommen, näher betrachtet zu werden. Sie hatte ganz die Gestalt eines alten Knüttels, der aus dem Dickicht gebrochen war, um bei der ersten besten Schlägerei eine Rolle zu spielen. Das Holzzeug hatte seine ursprüngliche Gestalt und Form verloren, war zerschnitten, zerkerbt und zerspalten, als hätten die Ratten ihr Spiel damit gehabt, und zwischen ihm und dem verlaufenen Rohre hatte sich eine solche Menge von Schmutz und Ungehörigkeit angesetzt, daß Holz, Schmutz und Eisen ein vollständiges Ganze bildeten und gar nicht voneinander zu unterscheiden waren. Selbst der beste europäische Schütze hätte es nicht gewagt, aus dem alten Prügel einen Schuß zu thun, aus Angst, das Ding müsse sofort zerspringen, und doch stößt man noch heut in der Prairie auf derlei unscheinbares Schießzeug, aus welchem ein andrer nie eine gute Kugel bringt, obgleich der Besitzer sicher keinen Schuß thut, der sein Ziel verfehlt.« –

Als der Erzähler diese Beschreibung von Dik Hammerdull brachte, mußte ich an meinen alten Gefährten Sam HawkensSiehe »Winnetou« Bd. I, pag. 33 denken, dessen Äußeres beinahe ganz dasselbe war, nur daß er einen Vollbart hatte. Später hörte ich, daß Hammerdull ein guter Bekannter von ihm war und sich aus reiner Freundschaft ebenso wie er kleidete.

Die Erzählung ging weiter:

»Er stand jetzt aufrecht vor dem Fremden, sah mit unbeschreiblichem Augenzwinkern zu ihm empor und sagte:

»Wo und wie dies geschehen soll, das bleibt sich gleich. Glaubt Ihr denn, Sir, daß Dik Hammerdull auf dem Kollege zu so und so zehn Jahre lang herumgelaufen ist, um Reden zu studieren? Was ich sage, das sage ich; mehr nicht, und wem es zu wenig ist, der mag sich seine Predigt von einem andern halten lassen. Wir sind hier auf Savannenland, wo man den Atem zu notwendigeren Dingen als zum Schwatzen braucht. Merkt's Euch!«

»Dik Hammerdull, Ihr seid auf dem Kollege gewesen, denn Ihr könnt reden trotz des besten Mormonentreibers. Aber mir zu sagen, was ich wissen will, das habt Ihr doch vergessen. Ich frage noch einmal: Auf welche Weise und wann und wo soll ich auf S am Fire-gun treffen?«

»Beim Teufel, Mann, nun hab ich's satt! Ihr habt gehört, daß Ihr ihn finden werdet, und das ist vollauf genug. Setzt Euch zu Eurem Glase, und wartet die Sache ab. Ich lasse mir meinen Katechismus von keinem Greenhorn abexaminieren!«

»Greenhorn? Habt Ihr etwa Lust, mit meinem Messer Bekanntschaft zu machen?«

»Pshaw, Sir! Was geht mich Euer Kneif an? Nehmt ihn zum Käferstecher oder rasiert meinetwegen Laubfrösche damit; Dik Hammerdull aber ist nicht der Mann, sich vor Eurer Spicknadel zu fürchten. Euer Auftreten ist nicht das eines Westmannes; ich sage es also noch einmal, ob es Euch gefällt oder nicht, das bleibt sich gleich: Ihr seid ein Greenhorn; sorgt dafür, daß es anders wird!«

»Well, so soll es auf der Stelle anders werden!«

Er trat in die Ecke zurück, in welcher seine Büchse lehnte, ergriff sie, zog den Hahn zurück und gebot:

»Master Hammerdull, wo ist Euer Colonel zu finden? Ich gebe Euch nur eine Minute Zeit; ist meine Frage dann noch nicht beantwortet, so antwortet ihr überhaupt nicht mehr. Wir sind auf Savannenland, wo jeder sich das Gesetz selbst zu machen hat!«

Der Angeredete blickte mit der gleichgültigsten Miene in sein Glas; es war ihm nicht im mindesten anzumerken, daß er die Aufforderung wirklich vernommen habe. Die andern freuten sich des willkommenen Streites, der ihnen Unterhaltung bot, und blickten erwartungsvoll von einem der Gegner zu dem andern. Nur Pitt Holbers schien im voraus von der Art und Weise des Ausganges überzeugt zu sein, schob die hageren Finger gemütlich zwischen Leib und Gürtel und streckte die unendlichen Beine so weit wie möglich von sich, als seien sie ihm bei der Beobachtung seines schweigsamen Freundes im Wege. Der Fremde fuhr fort:

»Nun, Master, die Minute ist vorüber! Bekomme ich Antwort oder nicht? Ich zähle: Eins – – zwei – – dr – – –«

Er vermochte nicht, die gefährliche ›Drei‹ auszusprechen. Bis zur ›Zwei‹ hatte Hammerdull regungslos und gleichgültig dagesessen, dann aber mit Gedankenschnelle, die ihm ein Unbekannter wohl nicht zugetraut hätte, die alte Büchse ergriffen; in demselben Momente war sie gerichtet; es blitzte auf, der Schuß krachte mit hundertfacher Stärke in dem engen Raume, und das zerschmetterte Gewehr des Fremden flog aus der Hand desselben auf die Diele nieder. Aber schon im nächsten Augenblicke lag er selbst am Boden, und Dik kniete mit gezücktem Messer auf seiner Brust.

»Nun, Greenhorn, sag ›Drei‹, damit ich Antwort gebe!« gebot er ihm höhnisch.

»Zum Teufel, Master, laßt mich auf; es war ja gar nicht so ernst gemeint. Ich hätte nicht geschossen!«

»Das kann man hernach gut sagen. Nicht geschossen? Also ein Theaterstreich mit dem alten Trapper, den sie Dik Hammerdull nennen? Lächerlich, rein lächerlich! Aber ob du geschossen hättest oder nicht, das bleibt sich gleich, mein junge. Du hast die Büchse auf einen Westmann gerichtet und damit nach Savannenrecht die Klinge erworben. Jetzt zähle ich: Eins – – zwei – –«

Der Überwältigte machte eine kraftvolle, aber vergebliche Anstrengung, loszukommen. Dann bat er:

»Stecht nicht, Master; der Colonel ist mein Oheim!«

Der Trapper nahm das Messer zurück, doch ohne den Gegner frei zu geben.

»Der Colonel – –? Euer Ohm – –? Das sagt, wem Ihr wollt; ich aber will mich bedenken, ehe ich es glaube!«

»Es ist so. Er würde es Euch wenig Dank wissen, wenn er hörte, was Ihr mir gethan!«

»So! Hm! Na, ob Ihr wirklich sein Neffe seid oder nicht, das bleibt sich gleich; ich hätte Euch doch bloß ein wenig gekitzelt, um Euch eine gute Lehre zu geben. Einem Greenhorn geht mein Messer nicht ans Leben, dazu ist's zu gut. Steht auf!«

Er erhob sich und trat zu seinem Tisch zurück, auf welchen er vorhin die Büchse geworfen hatte. Sie aufnehmend, begann er, den abgeschossenen Lauf von neuem zu laden. Sein Gesicht glänzte vor Liebe und Sorgfalt, mit der er dieses Geschäft vornahm, und seine kleinen, leuchtenden Augen waren mit einem Blicke auf das alte Schießzeug gerichtet, welcher deutlich bekundete, daß die Waffe ihm an das Herz gewachsen sei.

»Ja, ein Gewehr wie dieses giebt's nicht gleich wieder!« meinte der Wirt, der dem Vorgange in aller Seelenruhe zugeschaut hatte und sich wenig um den Rauch kümmerte, welcher das Gemach erfüllte.

»Will es meinen, alter Brandythiner,« meinte Hammerdull wohlgefällig. »Es ist gut und stets bei der Hand, wenn ich es brauche.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür geräuschlos, und ohne daß die an den Fenstern Sitzenden das Kommen irgend jemandes bemerkt hatten, trat leisen, unhörbaren Schrittes ein Mann ein, den man trotz der Trapperkleidung auf den ersten Blick als Indianer erkennen mußte.

Sein Gewand war sauber und sichtlich gut gehalten, eine, außerordentliche Seltenheit von einem Angehörigen seiner Rasse. Sowohl der Jagdrock als die Leggins waren von weichgegerbtem Büffelkalbleder, in dessen Bereitung die Indianerfrauen Meisterinnen sind, höchst sorgfältig gearbeitet und an den Nähten zierlich ausgefranst; die Mokassins waren aus Elenhaut und nicht in fester Fußform, sondern in Bindestücken gefertigt, was dieser Art von Fußbekleidung neben erhöhter Dauerhaftigkeit auch eine größere Bequemlichkeit verleiht. Die Kopfbedeckung fehlte; an ihrer Stelle war das reiche, dunkle Haar in einen Knoten geschlungen, welcher turbanartig auf dem stolz erhobenen Haupte thronte. Der Sohn der Wildnis hatte verschmäht, seine kühne Stirn zu bedecken.

Nachdem sein dunkles, scharfes Auge mit adlerartigem Blicke über die Gesellschaft geflogen war, schritt er zu dem Tische, an welchem Dick Platz genommen hatte. Er kam grad zu dem Unrechtesten, denn dieser fuhr ihn zornig an:

»Was willst du hier bei mir, Rothaut? Dieser Platz ist mein. Geh', such dir einen andern!«

»Der rote Mann ist müd; sein weißer Bruder wird ihn ruhen lassen!« antwortete der Indianer mit sanfter Stimme.

»Müd' oder nicht, das bleibt sich gleich. Ich kann dein rotes Fell nicht leiden!«

»Ich bin nicht schuld daran; der große Geist hat mir's gegeben.«

»Von wem du es hast, das bleibt sich gleich; geh' fort; ich mag dich nicht!«

Der Indianer nahm die Büchse von der Schulter, stemmte den Kolben auf den Boden, legte die gekreuzten Arme über die Mündung des Laufes und fragte, jetzt ernster werdend:

»Ist mein weißer Bruder der Herr von diesem Hause?«

»Das geht dich nichts an.«

»Du hast recht gesagt; es geht mich nichts an und dich nichts, darum darf der rote Mann grad so sitzen, wie der weiße.«

Er ließ sich nieder. Es lag in der nachdrücklichen Art und Weise, wie er dies sagte, etwas, was dem mürrischen Trapper imponieren mochte. Er ließ ihn jetzt gewähren.

Der Wirt trat herbei und fragte den Roten:

»Was willst du hier in meinem Hause?«

»Gieb mir Brot zu essen und Wasser zu trinken!« antwortete dieser.

»Hast du Geld?«

»Wenn du in mein Wigwam kämst und um Speise bätest, würde ich sie dir ohne Geld geben. Ich habe Gold und Silber.«

Das Auge des Wirtes blitzte auf. Ein Indianer, der Gold und Silber hat, ist eine willkommene Erscheinung an jedem Orte, wo das verderbliche Feuerwasser zu haben ist. Er ging und kehrte bald mit einem mächtigen Kruge Branntweines zurück, welches er neben dem bestellten Brote vor den Gast setzte.

»Der weiße Mann irrt; solch' Wasser habe ich nicht begehrt!«

Erstaunt blickte ihn der Wirt an. Er hatte noch niemals einen Indianer gesehen, der dem Geruch des Spiritus hätte zu widerstehen vermocht.

»Was denn für welches?«

»Der rote Mann trinkt nur das Wasser, welches aus der Erde kommt.«

»So kannst du hingehen, wo du hergekommen bist. Ich bin hier, um Geld zu verdienen, nicht aber, um deinen Wasserträger zu machen! Bezahl das Brot, und troll dich fort!«

»Dein roter Bruder wird bezahlen und gehen, doch nicht eher, als bis du ihm verkauft hast, was er noch braucht.«

»Was willst du noch?«

»Du hast ein Store, wo man kaufen kann?«

»Ja.«

»So gieb mir Tabak, Pulver, Kugeln und Feuerholz.«

»Tabak sollst du haben; Pulver und Kugeln aber verkaufe ich an keinen Indsman.«

»Warum nicht?«

»Weil sie euch nicht gehören.«

»Deinen weißen Brüdern aber gehören sie?«

»Das will ich meinen!«

»Wir alle sind Brüder; wir alle müssen sterben, wenn wir kein Fleisch schießen können; wir alle müssen Pulver und Kugeln haben. Gieb mir, um was ich dich gebeten habe!«

»Du bekommst sie nicht!«

»Ist dies dein fester Wille?«

»Mein fester!«

Sofort hatte ihn der Indianer mit der Linken bei der Kehle und zuckte mit der Rechten das blitzende Bowiemesser.

»So sollst du auch deinen weißen Brüdern nicht mehr Pulver und Kugeln geben. Der große Geist läßt dir nur einen einzigen Augenblick noch Zeit. Giebst du mir, was ich will, oder nicht?«

Die Jäger waren aufgesprungen und machten Miene, sich auf den mutigen Wilden zu stürzen, unter dessen eisernem Griffe sich der Wirt stöhnend wand. Er aber hielt sich rückenfrei und rief, den Kopf stolz emporwerfend, mit dröhnender Stimme:

»Wer wagt es, Winnetou, den Häuptling der Apatschen, anzutasten?!«

Das Wort hatte eine überraschende Wirkung.

Kaum war es ausgesprochen, so traten die Angriffsbereiten mit allen Zeichen der Achtung und Ehrerbietung von ihm zurück. Winnetou war ein Name, der selbst dem kühnsten Jäger und Fallensteller Respekt einflößen mußte.

Der Indianer war der berühmteste Häuptling der Apatschen, deren bekannte Feigheit und Hinterlist ihnen früher unter ihren Feinden den Schimpfnamen ›Pimo‹ zugezogen hatte; doch seit er zum Anführer seines Stammes gewählt worden war, hatten sich die Feiglinge nach und nach in die geschicktesten Jäger und verwegensten Krieger verwandelt; ihr Name wurde gefürchtet weit über den Kamm des Gebirges herüber, ihre mutigen Unternehmungen waren stets vom besten Erfolge begleitet, obgleich sie nur in geringer Männerzahl und mitten durch feindliches Gebiet hindurch ihre Streifzüge bis in den fernen Osten hinein ausdehnten, und es gab eine Zeit, in welcher an jedem Lagerfeuer und im kleinsten Boarraume ebensowohl wie im Salon des feinsten Hotels Winnetou mit seinen Apatschen den stehenden Gegenstand der Unterhaltung bildete. Jedermann wußte, daß er schon öfters ganz allein und ohne alle Begleitung außer derjenigen seiner Waffen über den Missisippi herübergekommen war, um die ›Dörfer und Hütten der Bleichgesichten zu sehen und mit dem ›großen Vater der Weißen‹, dem Präsidenten in Washington zu sprechen. Er war der einzige Häuptling der noch ununterjochten Stämme, welcher den Weißen nicht übel wollte, und es ging die Rede, daß er sogar ein sehr enges Freundschaftsbündnis mit Fire-gun, dem Trapper und Pfadfinder, geschlossen habe.

Niemand wußte zu sagen, woher dieser weit und breit bekannte und von allen Indianern gefürchtete Jäger stamme. Er hielt nur einige wenige Auserwählte um sich versammelt, tauchte bald hier und bald da mit ihnen auf, und wo einmal von so einem echten, rechten Trapperstücke erzählt wurde, da war sein Name gewiß mit dabei, und es gingen Berichte über ihn im Schwange, an deren Wahrheit man fast hätte zweifeln können, da er nach ihnen immer neue Abenteuer ausführte, bei denen ein andrer ganz sicher zu Grunde gegangen wäre, und die ihn mit einem Nimbus umhüllten, dessen Zauber sich besonders in dem allgemeinen Verlangen der Jäger, ihn kennen zu lernen, kund gab.

Aber das war nicht so leicht. Niemand kannte den Ort, der ihm und den Seinen als Sammelplatz und Ausgangspunkt ihrer Streifereien diente, und ebensowenig vermochte man den Zweck zu bestimmen, der ihn im wilden Westen hielt. War er einmal in irgend einer Ansiedelung erschienen, so hatte er ganz gewiß nicht mehr Felle mitgebracht, als zum Eintausche von Proviant und Munition unumgänglich notwendig war, und war dann stets sofort wieder spurlos verschwunden. Er gehörte also jedenfalls nicht zu den Jägern, welche sich durch die Jagd die Mittel zu einem späteren, gemütlichen Leben zu erwerben trachten; er mußte vielmehr ganz andre Absichten verfolgen, über welche aber nichts verlautete, weil er nie Umgang pflog und jedem Versuche der Annäherung behutsam aus dem Wege ging.

»Laß los!« rief der Wirt. »Wenn du Winnetou bist, so sollst du alles haben, was du verlangst!«

»Hugh!« tönte es im befriedigten Gutturaltone. »Der große Geist läßt dich dies Wort sagen, du Mann mit den roten Haaren, sonst hätte ich dich zu deinen Vätern versammelt und jeden dazu, der es verhindern wollte!«

Er gab ihn frei und trat, während Winklay hinausging, um im Vorratsraume nach dem Verlangten zu suchen, zu Hammerdull heran und fragte diesen:

»Warum sitzt der weiße Mann hier und feiert, während den roten Feinden nach seinem Wigwam verlangt?«

Dik sah vom Glase auf und antwortete verdrossen:

»Ob ich hier sitze oder wo anders, das bleibt sich gleich. Kennt mich der große Häuptling der Apatschen?«

»Winnetou hat dich noch nicht gesehen, aber er erblickt das Zeichen seines tapferen Freundes und weiß nun, daß du einer seiner Männer bist. Soll Fire-gun, der große Jäger, allein kämpfen um die Skalps der Ogellallahs, die nach ihm suchen?«

»Ogellallah?« Dik Hammerdull schnellte in die Höhe, als habe er eine Klapperschlange unter dem Tische erblickt, und auch Pitt Holbers stand mit einem einzigen Schritte seiner langen Beine vor dem Indianer. »Was weiß der rote Mann von den Ogellallahs?«

»Eile zu deinem Häuptling, du wirst es von ihm erfahren!«

Er wandte sich um zu dem Wirte, welcher wieder eingetreten war, knüpfte die Pulver-, Kugel- und Proviantbeutel vom Gürtel los, ließ sich dieselben füllen und fuhr dann mit der Hand unter das weißgraue Jagdhemde.

»Winnetou wird geben dem Manne mit den roten Haaren auch rotes Metall!«

Winklay nahm die Bezahlung in Empfang und betrachtete das schwere Stück mit unverkennbarem Entzücken.

»Gold, echtes, blankes, massives Gold, vierzig Dollars unter Brüdern wert! Indsman, wo hast du es her?«

»Pshaw

Er sprach das Wort mit geringschätzigem Achselzucken aus und war im nächsten Augenblicke aus der Stube verschwunden.

Der Wirt sah die andern mit offenem Munde an.

»Hört, Gentlemen, der rote Halunke scheint mehr Gold zu besitzen, als wir alle miteinander. Habe mein Pulver noch nie so gut bezahlt erhalten, wie von ihm. Wäre doch der Mühe wert, ihm einmal nachzugehen, denn daß er von dieser Sorte noch mehr bei sich führt und sein Pferd hier irgendwo stecken hat, das ist so sicher wie die Klinge am Griffe!«

»Wollt's Euch nicht raten, Mann,« antwortete Dik Hammerdull, indem er sich zum Gehen rüstete. »Winnetou, der Apatsche, ist nicht derjenige, welcher sich auch nur einen Schrot nehmen läßt. Ob er Gold hat oder nicht, das bleibt sich gleich, aber bekommen thut es keiner!«

Auch Pitt Holbers warf seine Rifle über die Schulter und meinte:

»Müssen fort, Dik, fort, so rasch wie möglich. Der Indsman ist allwissend, und mit den Hunden von Ogellallahs, hol sie der Teufel, muß es also seine Richtigkeit haben. Aber was wird nun mit den Männern dort, he?«

Er zeigte bei diesen letzten Worten auf die Fremden.

»Hab' gesagt, daß sie mitgehen, und wird auch so bleiben!« antwortete der Dicke und wandte sich zu dem Schwarzbärtigen.

»Wenn Ihr Sam Fire-gun sehen wollt, so ist's jetzt Zeit aufzubrechen, aber sagt vorher erst, wie Ihr heißt! Ob Ihr einen Namen habt oder nicht, das bleibt sich zwar ganz gleich, aber man muß doch wissen, wie man Euch zu nennen hat.«

Der Gefragte erhob sich, um sich mit seinem Begleiter den beiden Trappern anzuschließen.

»Ich heiße Sander, Heinrich Sander, und bin ein Deutscher von Geburt.«

»Ein Deutscher? Hm, ob Ihr ein Chinese seid oder ein Großtürke, das bleibt sich gleich; da Ihr aber ein Deutscher seid aus Germany da drüben, so ist es mir um so lieber und auch besser für Euch, denn die Deutschen sind brave Männer; kenne sie, und bin manchem von ihnen begegnet, der die Büchse so zu halten verstand, daß er den Büffel ins Auge traf. Vorwärts also, Mann. Wir müssen lange Beine reiten!«

Die vier Männer traten ins Freie. Dort steckte Hammerdull die Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus, auf welchen zwei aufgezäumte Pferde hinter der Fenz hervorgetrabt kamen.

»So, da sind die Tiere. Nun hinauf und fort, Master Sander und – ja, und wie soll man denn Euch nennen?« fragte er den andern.

»Peter Wolf heiße ich,« antwortete dieser.

»Peter Wolf? Verteufelt miserabler Name! Es ist zwar ganz gleich, ob Ihr John oder Tim oder meinetwegen Bill heißt, aber Peter Wolf, das bricht einem ja die Zunge entzwei und schiebt die Zähne auseinander. Na also, steigt auf und macht, daß wir in den Wald und dann in die Prairie hineinkommen!«

»Wo ist denn der Indianer hin?« fragte Sander.

»Der Apatsche? Wo der hin ist, das ist ganz egal, das bleibt sich sogar gleich. Er weiß am besten, wohin er zu gehen hat, und ich wette meine Stute gegen einen Ziegenbock, daß wir ihn grad da wiedertreffen, wo er es für gut hält und wir ihn am nötigsten brauchen.«

Die Wette hätte ihre lustige Seite gehabt, denn es wäre gar mancher wohl schwerlich bereit gewesen, einen guten, wohlgehaltenen Ziegenbock gegen die alte, steifbeinige Stute zu setzen, die jedenfalls eine ansehnliche Reihe von Jahren auf dem messerscharfen Rücken trug und eher einem Bastarde zwischen Ziege und Esel, als einem brauchbaren Pferde ähnlich sah. Ihr Kopf war unverhältnismäßig groß, schwer und dick; von einem Schwanze war absolut keine Rede mehr, denn wo früher vielleicht ein kräftiger Haarschweif herabgehangen hatte, da ragte jetzt ein kurzer, spitziger und knochiger Stummel in die Höhe, an welchem man selbst bei Anwendung eines Mikroskopes nicht eine einzige Haarspur entdeckt hätte. Ebenso fehlte die Mähne vollständig. An ihrer Stelle war ein wirrer, schmutziger Flaumfederstreifen zu erkennen, welcher zu beiden Seiten des Halses in die langzottige Wolle überging, mit welcher der knochendürre Leib bedeckt war. An den mühsam zusammengehaltenen Lippen konnte man erkennen, daß das liebe Tier wohl keinen einzigen Zahn mehr besitze, und die kleinen, tückisch schielenden Augen ließen vermuten, daß es einen nicht sehr liebenswürdigen Charakter besitze.

Doch hätte nur der im Westen Unbekannte über die alte Rosinante lächeln können. Diese Art von Tieren hat gewöhnlich ein halbes Menschenalter hindurch dem Reiter in Not und Gefahr gedient, in Wind und Wetter, in Sturm und Schnee, Hitze und Regen treu und mutig zu ihm gehalten, ist ihm daher an das Herz gewachsen und besitzt selbst noch im hohen Alter schätzenswerte Eigenschaften, welche ihn nicht leicht zu einem Wechsel schreiten lassen. So wußte jedenfalls auch Dik Hammerdull, warum er seine Stute beibehielt und nicht einen jungen, kräftigen Mustang an ihrer Stelle unter den Sattel nahm.

Auch Pitt Holbers war nicht sehr prachtvoll beritten. Er saß auf einem kleinen, kurzen und dicken Hengst, der so niedrig war, daß die langen, unendlichen Beine des Reiters fast an der Erde schleiften. Doch waren trotz der nicht geringen Last die Bewegungen des Tieres so leicht und zierlich, daß man ihm schon etwas zutrauen durfte.

Was die Pferde der beiden andern betraf, so stammten sie offenbar aus einer ruhigen Farm des Ostens und hatten also die Aufgabe, ihre Brauchbarkeit im Laufe der Zeit erst noch zu beweisen.

Der scharfe Ritt ging bis gegen Abend hin durch den hohen Wald. Sodann erreichte man die offene Prairie, welche" von gelbblühendem Helianthus bedeckt, sich wie ein prachtvoller Teppich nach allen Seiten hin erstreckte und in einer weiten, unendlichen Ebene sich gegen den graugefärbten Horizont verlief.

Die Pferde hatten sich heut ausgeruht, und so konnte man noch ein gutes Stück in die Savanne hineinreiten, ehe ein Nachtlager errichtet wurde. Erst als die Sterne schon am Himmel standen und der letzte Strahl der Sonne längst verschieden war, hielt Hammerdull sein Pferd an.

»Stop,« meinte er; »hier hat der Tag ein Ende, und wir können uns ein wenig in unsre Decken wickeln! Meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?«

Coon ist die gebräuchliche Abkürzung von Racoon, der Waschbär, und wird zwischen den Jägern unter allerlei Bedeutung gern als Anrede gebraucht.

»Wenn du denkst, Dick,« antwortete brummend der Gefragte, indem er unternehmend in die Ferne schaute. »Aber wäre es nicht besser, wir legten noch eine Meile hinter uns oder drei und fünf? Beim Colonel sind jedenfalls vier tüchtige Arme und zwei gute Büchsen notwendiger, als hier auf der Wiese, wo die Käfer summen und die Nachtfalter einem um die Nase streichen, als gäbe es in der ganzen Welt keine Rothaut auszulöschen.«

»Das mit den Käfern und Rothäuten, das bleibt sich gleich. Wir haben hier zwei Männer, welche die Savanne noch nicht gekostet haben, und müssen ihnen Ruhe gönnen. Sieh nur, wie hier der Braune von Peter Wolf – verdammt schwerer Name – also, wie der Braune schnauft, als hätte er den Niagarafall in der Kehle! Und der Fuchs, auf dem der Sander hängt, dem tropft ja das Wasser aus dem Barte. Herab also; mit Tagesgrauen geht's weiter!«

Die beiden Deutschen waren des langen Reitens ungewohnt und also wirklich müd geworden. Sie leisteten dem Aufrufe also augenblicklich Folge. Die Pferde wurden an den langen Lassos angepflockt, und nachdem man ein frugales Abendbrot zu sich genommen und die Wachen bestimmt hatte, legte man sich auf den weichen Rasen.

Am Morgen ging es weiter. Die beiden Trapper waren schweigsame Männer, die nicht gern ein Wort mehr sprachen, als unumgänglich notwendig war; man befand sich ja jetzt nicht mehr im sichern Store, wo man diese oder jene Geschichte unbesorgt vom Stapel lassen konnte, sondern in der Savanne, wo man keinen Augenblick ohne Vorsicht und sorgfältige Umschau vergehen lassen durfte, und die Nachricht, welche Winnetou gebracht hatte, war geeignet genug, selbst redseligere Zungen im Zaume zu halten. So kam es, daß Sander die Erkundigungen, welche er während des ganzen Tages auf den Lippen gehabt hatte, zurückhielt, und als er sie am Abende auf dem Lagerplatze aussprechen wollte, fand er so verschlossene Ohren, daß er sich unbefriedigt in seine Decke wickelte und den Schlaf suchte.

So ging es mehrere Tage fast wortlos aber in immer gleicher Eile in die Prairie hinein, bis am fünften Tage gegen Abend Hammerdull, welcher an der Spitze ritt, plötzlich sein Pferd anhielt und im nächsten Augenblick im Grase kauerte, um den Boden mit sichtlicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Dann rief er aus:

»Have care, Pitt Holbers, wenn hier nicht einer vor noch ganz kurzer Zeit geritten ist, so lasse ich mich von dir auffressen. Steig ab, und komm herbei!«

Holbers trat mit dem linken Beine auf die Erde, zog dann das rechte über den Rücken seines dicken Hengstes herüber und bückte sich, um die Spur zu prüfen.

»Wenn du denkst, Dik,« brummte er zustimmend, »so meine ich, daß es ein Indianer gewesen ist.«

»Ob es eine Rothaut gewesen ist oder nicht, das bleibt sich gleich, aber das Pferd eines Weißen giebt eine andre Spur als diese da. Steig wieder auf, und laß mich machen.«

Er verfolgte zu Fuße die Hufeindrücke, während seine erfahrene und verständige Stute langsam und freiwillig hinter ihm hertrollte. Nach einigen Hundert Schritten blieb er halten und wandte sich zurück:

»Steig wieder ab, altes Coon, und sage mir, wen wir da vor uns haben!«

Er deutete mit dem Zeigefinger auf die Erde. Holbers bog sich herab, unterwarf die Stelle einer sehr genauen Prüfung und sagte dann:

»Wenn du denkst, Dick, daß es der Apatsche ist, so sollst du recht haben. Dieselben ausgezackten Fransen, wie hier eine an dem Kaktus hängt, trug er damals im Store an den Mokassins. Ich habe dergleichen noch bei keiner Rothaut bemerkt, da sie gewöhnlich nur grad ausgeschnitten werden. Er ist hier abgestiegen, um sich irgend etwas anzusehen, und dabei haben ihm die Stacheln die Franse abgerissen. Ich denke – – behold, Dik, schau hier rechts! Was für Füße sind das wohl gewesen?«

»Bei deinem Barte, Pitt, das ist ein scoundrel, so ein Schuft von Indsman, der von dort seitwärts kam und hier abgebogen ist, was meinst du?«

»Hm! Der Apatsche hat ein heidenmäßig scharfes Auge; ihm ist wahrhaftig gleich die erste Spur des Mannes ins Gesicht gefallen, und wer weiß, wie lange wir schon auf der seinigen herumgeschnobert sind, ohne sie zu bemerken.«

»Ob wir sie bemerkt haben oder nicht, das bleibt sich gleich. Wir haben sie ja gefunden, und das ist genug. Aber eine Rothaut läuft nicht so einzeln hier mitten in der Savanne herum. Er wird in der Nähe seine Mähre stehen haben, und nicht weit davon hält sicher eine ganze Anzahl Pfeilmänner und führt irgend eine Teufelei im Schilde. Laßt uns einmal Umschau halten, ob nicht dieses oder jenes zu bemerken ist, an das wir uns halten können!«

Er suchte den Horizont sorgfältig ab und schüttelte dann unbefriedigt mit dem Kopfe.

»Hört, Sander, Ihr habt da ein Futteral an der Seite hängen. Warum macht Ihr es nicht auf? Steckt etwa ein Vogel drin, der Euch nicht fortfliegen soll?«

Sander öffnete das Etui, zog ein Fernrohr hervor und reichte es dem Trapper vom Pferde herab. Dieser stellte es, brachte es vor das Auge und begann seine Untersuchung von neuem.

Nach kurzer Zeit zog er die Augenbrauen zusammen und meinte mit listigem Blinzeln:

»Hier hast du einmal das Glas, Pitt Holbers. Sieh da hinauf, und sage mir, was das für eine lange, grade Linie ist, welche sich von Osten her längs des nördlichen Horizontes bis hinüber nach Westen zieht?«

Holbers folgte der Weisung. Dann nahm er das Rohr vom Auge und rieb sich bedachtsam seine lange, scharfe und spitzige Nase.

»Wenn du denkst, Dick, daß es der Railway ist, die Eisenbahn, die sie da hinüber nach Kalifornien gelegt haben, so bist du nicht so dumm, als wie man denken sollte.«

»Dumm –? Dik Hammerdull und dumm! Kerl, ich kitzle dich mit meiner Klinge zwischen die Rippen, daß dir der lange Atem wie ein morsches Schiffstau aus dem großen Maule läuft! Dick Hammerdull und dumm! Hat man jemals so etwas gehört? Übrigens, ob er dumm ist oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wer ihn für billiger kaufen will, als er ist, der mag wohl zusehen, daß er sich nicht verrechnet. Was aber hat denn eigentlich der Railway mit der Rothaut zu thun, die von da hinübergeschlichen ist, Pitt Holbers, du Ausbund von allen möglichen Arten der Weisheit, he?«

»Hm, wann kommt wohl der nächste Zug, Dik?«

»Weiß nicht genau, denke aber, daß er noch heut hier vorübergeht.«

»Dann haben es die Roten sicher auf ihn abgesehen.«

»Sollst recht haben, altes Coon. Aber von welcher Seite wird er kommen – von hüben oder drüben?«

»Da mußt du nach Omaha und San Francisco gehen, wo man dir Auskunft geben wird; auf meinem Rocke aber klebt kein Tarif!«

»Will's dem alten Fetzen auch nicht zumuten. Doch, ob er vom Osten kommt oder vom Westen, das bleibt sich gleich; wenn er nur kommt, dann haben sie ihn. Ob wir aber ruhig zugeben, daß sie ihn anhalten und den Passagieren Skalp und Leben nehmen, das ist eine andre Sache. Was sagst du dazu?«

»Halte es ganz für unsre Pflicht, ihnen einen Strich übers Gesicht zu machen.«

»Ganz meine Meinung. Also abgestiegen und vorwärts! Ein Mann hoch zu Roß wird von den Spürnasen eher bemerkt als einer, der fein demütig den Weg unter die eigenen Füße nimmt. Wollen doch sehen, in welchem Loche sie stecken. Aber schußfertig halten, ihr Männer, denn wenn sie uns bemerken, dann ist die Büchse das erste, was wir brauchen!«

Sie schlichen sich langsam und mit außerordentlicher Vorsicht vorwärts. Die Spuren, denen sie folgten und welchen sich auch diejenigen des Apatschen beigesellt hatten, führten erst an den Bahndamm und dann diesem immer entlang, bis man von fern einige Wellenförmige Erhöhungen des Bodens bemerkte.

Jetzt hielt Dik Hammerdull wieder an.

»Wo die Schufte stecken, das bleibt sich natürlich gleich, aber ich lasse mich so lange braten, bis ich so hart und dürr geworden bin wie Master Holbers, wenn sie sich nicht dort hinter das Zwerggebirge zurückgezogen haben. Wir können nicht weiter, denn – –«

Das Wort blieb ihm im Munde stecken, aber in demselben Augenblicke hatte er auch seine alte Büchse an der Wange, senkte sie jedoch auch sofort wieder herab. Über der jenseitigen Böschung des Bahndammes hatte sich eine Gestalt erhoben, schnellte sich mit katzenhafter Geschmeidigkeit über den Schienenweg herüber und stand im nächsten Momente vor den vier Männern. Es war der Apatsche.

»Winnetou hat die guten Bleichgesichter kommen sehen,« sagte er. »Sie haben die Spur der Ogellallahs entdeckt und werden das Feuerroß retten vor dem Untergange?«

»Heigh-day,« meinte Hammerdull; »ein Glück, daß es kein andrer war, denn er hätte meine Kugel geschmeckt und wir hätten uns durch den Schuß verraten! Aber wo hat der Häuptling der Apatschen sein Pferd? Oder befindet er sich ohne Tier im wilden Lande?«

»Das Pferd des Apatschen ist wie der Hund, welcher sich gehorsam niederstreckt und wartet, bis sein Herr zurückkehrt. Er hat gesehen die Ogellallahs vor vielen Sonnen und ist gegangen an den Fluß, den seine weißen Brüder: Arkansas nennen, weil er glaubte, zu sehen seinen Freund Sam Firegun, den großen Jäger, welcher nicht im Wigwam war. Dann ist er wieder gefolgt den bösen roten Männern und wird nun warnen das Feuerroß, damit es nicht stürzt auf dem Pfade, den sie ihm zerstören wollen.«

»Lack-a-day!« dehnte Pitt Holbers. »Ei seht doch, wie klug die Halunken es anfangen! Wenn man nur wüßte, von welcher Seite der nächste Zug kommt!«

»Das Feuerroß wird kommen von Osten, denn das Roß von Westen ging vorüber, als die Sonne dem Häuptling der Apatschen über dem Scheitel stand.«

»So wissen wir, nach welcher Richtung wir uns zu wenden haben. Aber wann wird der Zug diese Gegend passiren? Pitt Holbers, wie steht es?«

»Hm, wenn du denkst, Dik, daß ich trotzdem einen Tarif habe, so sage mir vor allen Dingen, wo er eigentlich stecken soll!«

»In deinem Kopfe sicher nicht, altes Coon, denn da sieht es aus wie in dem Llano estaccado, wie sie da unten die Gegend nennen, in der es nichts giebt, als Staub und Stein und höchstens einmal Stein und Staub. Doch schaut, ihr Leute, dort geht die Sonne unter; in einer Viertelstunde ist es finster, und wir können die roten Spitzbuben beobachten, was sie –«

»Winnetou ist gewesen hinter ihrem Rücken,« unterbrach ihn der Apatsche, »und hat gesehen, daß sie den Pfad von der Erde rissen und ihn über den Weg des Feuerrosses legten, damit es stürzen solle.«

»Sind ihrer viele?«

»Nimm ihrer zehnmal zehn und du hast noch nicht die Hälfte der Krieger, die an der Erde liegen, um auf das Kommen der Bleichgesichter zu harren. Und der Pferde sind noch viel mehr, denn alles Gut, welches sich auf dem Feuerwagen befindet, soll auf die Tiere geladen und fortgeführt werden.«

»Sie sollen sich verrechnet haben! Was gedenkt der Häuptling der Apatschen zu thun?«

»Er wird bleiben an diesem Orte, um die roten Männer zu bewachen. Meine weißen Brüder sollen dem Feuerrosse entgegenreiten und seinen Lauf in der Ferne hemmen, damit die Kröten von Ogellallahs nicht sehen, daß es sein Feuerauge schließt und stehen bleibt.«

Der Rat war gut und wurde sofort befolgt. Es war den Männern unbekannt, zu welcher Zeit der Zug kommen mußte; das konnte in jedem Augenblicke geschehen, und da zur Warnung, wenn die Ogellallahs nichts bemerken sollten, ein bedeutender Vorsprung nötig war, so gab es Gefahr im Verzuge. Winnetou blieb also zurück, und die vier andern saßen wieder auf, und bewegten sich längs des Schienengeleises in scharfem Trabe nach Osten zu.

Sie waren wohl fast eine Viertelstunde geritten; da hielt Hammerdull seine Stute an und blickte seitwärts.

»Good lack,« meinte er; »liegt dort nicht etwas im Grase, grad wie ein Hirsch, oder – – ah, Pitt Holbers, sage doch einmal, was für ein Viehzeug es wohl sein wird!«

»Hm, wenn du denkst, Dik, daß es das Pferd des Apatschen ist, welches hier wie angespießt liegen bleibt, bis es von seinem Herrn abgeholt wird, so will ich dir beistimmen!«

»Erraten, altes Coon! Aber kommt, wir wollen den Mustang nicht aufscheuchen, denn wir haben Besseres zu thun. Ob wir den Zug treffen oder nicht, das bleibt sich gleich, aber warnen müssen wir ihn, und je weiter hinaus dies geschieht, desto besser ist es. Die roten Schufte dürfen nicht an den Lichtern sehen, daß er hält und also ihr Vorhaben verraten ist!«

Wieder ging es vorwärts. Die Tageshelle verschwand schnell, da es in jenen Gegenden eine nur sehr kurze Dämmerzeit giebt, und noch war nicht viel über eine halbe Stunde vergangen, so hatte sich die Dunkelheit des Abends über die weite Prairie gesenkt, und die Sterne begannen, ihre matten Strahlen herabzusenden. Ein wenig Mondesschein wäre den Reitern für jetzt willkommen gewesen; da er aber später die Annäherung an die Indianer erschwert hätte, so war es ihnen ganz recht, daß der nächtliche Beleuchter der Erde sich eben in einer dunklen Phase befand und keine Spur seines magischen Schimmers bemerken ließ.

Bei dem durchdringenden Lichte, welches die amerikanischen Maschinen bei sich führen, war das Nahen des Zuges bei der Ebenheit des Terrains auf eine Entfernung von mehreren Meilen bemerklich; es mußte also eine Strecke zurückgelegt werden, welche diese Tragweite des Lichtes überstieg; darum ließ Dik Hammerdull seine Stute weit ausgreifen, und die andern folgten wortlos seiner Führung.

Endlich hielt er an und sprang vom Pferde, und die drei Begleiter thaten dasselbe.

»So!« meinte er; »ich denke, daß der Vorsprung nun groß genug ist. Fesselt die Tiere, und sucht ein wenig trocknen Grases zu finden, damit wir ein Zeichen geben können!«

Dem Gebote wurde Folge geleistet, und bald war ein Haufen dürrer Halme beisammen, welche sich mit Hilfe von einigem aufgestreuten Pulver leicht in Brand stecken ließen.

Auf ihre Decken gelagert, lauschten nun die Männer in die stille Nacht hinein und verwandten fast kein Auge von der Richtung, aus welcher der Zug zu erwarten war. Die beiden Deutschen konnten sich zwar alles wohl denken, was geschehen sollte, waren aber in dem Leben des wilden Westens zu unerfahren, als daß sie an eine Unterbrechung der herrschenden Schweigsamkeit hätten denken wollen und ließen daher die zwei Jäger ruhig gewähren. Außer dem Geräusch, welches die grasenden Pferde verursachten, war rings kein Laut zu hören, als höchstens das leise Knispern eines auf Raub ausgehenden Deckflüglers, und die Minuten dehnten sich zu einer immer peinlicher werdenden Länge.

Da, nach einer kleinen Ewigkeit, blitzte in weiter, weiter Ferne ein Licht auf, erst klein und kaum wahrnehmbar, nach und nach aber immer größer werdend und an Intensität gewinnend.

»Pitt Holbers, was sagst du zu dem Johanniswurm da vorn, he?« fragte Hammerdull.

»Hm, dasselbe, was du schon gesagt hast, Dik Hammerdull!«

»Wohl die klügste Ansicht, die du in deinem ganzen Leben gehabt hast, altes Coon! Ob es die Lokomotive ist oder nicht, das bleibt sich gleich, aber so viel ist sicher, daß der Augenblick des Handelns bald gekommen ist. Heinrich Sander, wenn der Zug naht, so schreiet Ihr, so laut ihr könnt, und auch Ihr, Peter Wolf – verdammt miserabler Name; er reißt einem ja den Mund entzwei! – Ihr macht Lärmen und Hallo nach Herzenslust. Das übrige werden wir schon selbst besorgen!«

Er nahm das Gras zur Hand, welches er zu einer langen, starken Lunte zusammengedreht hatte, und schüttete das Pulver auf. Dann zog er seinen Revolver aus dem Gürtel.

Jetzt machte sich das Nahen der Wagen durch ein immer vernehmlicher werdendes Rollen bemerklich, welches nach und nach zu einem Geräusche anwuchs, das dem Grollen eines entfernten Donners glich.

»Streck' deine ewigen Arme aus, Pitt Holbers, thue die Meilenlippen auseinander und brülle, so laut es geht, altes Coon. Der Zug ist da!« rief Hammerdull, indem er zugleich besorgt nach den Pferden blickte, welche bei dem ungewohnten Phänomen schnaubend und stampfend an den Riemen zerrten, mit denen sie an die Erde befestigt waren.

»Peter Wolf – der Teufel hole diesen holprigen Namen! -paßt auf, daß uns die Tiere nicht fortgehen. Schreien könnt Ihr dabei ja auch!«

Der Augenblick war gekommen. Einen blendenden Lichtkeil vor sich herwerfend, brauste der Zug heran. Hammerdull hielt den Revolver an die Lunte und drückte los. Im Nu flammte das Pulver auf und brachte das dürre, ausgetrocknete Gras in glimmenden Brand. Die Lunte kräftig schwingend, versetzte er sie in helle Flamme und rannte, von ihrem flackernden Lichte hell beleuchtet, dem Zuge entgegen.

Der Maschinist mußte das Zeichen durch die Glastafel des Wetterschutzes sofort bemerkt haben, denn schon nach den ersten Schwingungen des hochlodernden Brandes ertönte ein sich rasch und scharf wiederholender Pfiff, fast in demselben Augenblicke wurden die Bremsen angezogen, die Räder knirschten und schrieen in der Hemmung, und mit donnerndem Dröhnen flog die lange Wagenreihe an den vier Männern vorüber, die dem seine Geschwindigkeit nun zusehends verringernden Zuge nachsprangen.

Endlich hielt er. Ohne zunächst die sich von ihren erhöhten Plätzen herabbeugenden Beamten zu beachten, eilte Hammerdull trotz seiner Dicke an den Wagen vorbei bis vor die Lokomotive, warf seine Decke, welche er vorhin von der Erde aufgerafft hatte, vorsorglich über die Laternen und Reflektors und rief zu gleicher Zeit mit möglichst lauter Stimme:

»Lichter aus – macht den Zug dunkel!«

Sofort verschwanden alle Laternen. Die Angestellten an der Pacificbahn sind geistesgegenwärtige und schnell gefaßte Leute. Sie konnten sich denken, daß der Ruf seinen guten Grund habe, und folgten ihm augenblicklich.

»'sdeath!« rief es nun von der Maschine herab; »warum verdeckt Ihr unsre Flamme, Mann? Ich hoffe nicht, daß da vorn irgend etwas los ist! Wer seid Ihr, und was hat Euer Signal zu bedeuten?«

»Wir müssen im Finstern sein, Sir,« antwortete der umsichtige Trapper, »es sind Indsmen vor uns, und ich glaube sehr, daß sie die Schienen aufgerissen haben!«

»Alle Teufel! Wenn dem so ist, so seid Ihr der bravste Kerl, der jemals durch dieses verfluchte Land stolperte!«

Zur Erde herabspringend, drückte er ihm die Hand und gebot, die Wagen zu öffnen.

Nach kaum einer Minute waren die Jäger von einer Menge Neugieriger umringt und mußten sich fast wundern über die bedeutende Anzahl von Leuten, welche den Coupés entstiegen, um sich über die Ursache des Aufenthaltes zu unterrichten.

»Was ist los? Was giebt es? Warum halten wir?« rief es von allen Seiten.

In kurzen Worten erklärte Hammerdull die Verhältnisse und brachte dadurch eine nicht geringe Aufregung unter den Anwesenden hervor.

»Gut, sehr gut!« rief der Ingenieur. »Zwar bringt das eine Störung im Betriebe hervor, aber das hat nichts zu sagen gegen die prächtige Gelegenheit, den roten Halunken einmal eins auf das Fell zu brennen. Das ist in kurzer Zeit das dritte Mal, daß sie es wagen, grad auf dieser Strecke Züge zu überfallen und auszurauben, und allemal sind es die verdammten Ogellallahs gewesen, dieser verteufeltste Stamm der Sioux, denen die Wildheit und Feindseligkeit nur durch eine gute Kugel ausgetrieben werden kann. Heut' aber sollen sie sich geirrt haben und ihren Lohn gleich in ganzer Summe erhalten! jedenfalls haben sie geglaubt, daß dieser Zug wie gewöhnlich viele Güter und nur fünf bis sechs Leute mit sich führe. Glücklicherweise aber haben wir einige Hundert Arbeiter geladen, die für den Brücken- und Viaduktenbau droben in den Mountains bestimmt sind, und da diese braven Leute fast alle Waffen bei sich tragen, so wird uns die Sache gar nicht schwer werden und nur einigen Spaß bereiten!«

Er stieg zunächst wieder auf die Maschine, um die überflüssigen Dämpfe abzulassen, welche mit gellendem Zischen den Ventilen entströmten und die Umgebung des Wagens in eine weiße Wolke hüllten. Dann sprang er herab, um Revue über die ihm zu Gebot stehenden Kräfte zu halten, und fragte:

»Zunächst sagt mir einmal, wie Ihr Euch nennt, Mann? Ich muß doch wissen, wem ich die glückliche Warnung zu verdanken habe.«

»Mein Name ist Hammerdull, Sir, Dick Hammerdull, so lange ich lebe!«

»Schön! Und der andre hier?«

»Wie der heißt, das bleibt sich gleich, aber da er zufällig auch einen Namen hat, so schadet es keinem Menschen etwas, wenn Ihr ihn erfahrt. Er nennt sich Pitt Holbers, Sir, und ist ein Kerl, auf den man sich verlassen kann.«

»Und die beiden andern – dieser da und der dort bei den Pferden?«

»Das sind zwei Männer aus Germany da drüben herüber, Sir, und heißen Heinrich Sander – Harry würde viel besser klingen – und – verdammt miserabler Name! – Peter Wolf. Sprecht die beiden Worte ja nicht aus, Sir, denn Ihr werdet das Genick dabei brechen!«

»Well!« lachte der Beamte. »Es ist nicht jede Zunge so commodious wie die Eurige, Master Hammerdull!«

»Hammerdull? Dick Hammerdull?« rief da eine tiefe, kräftige Stimme, und ein Mann drängte sich durch die Umstehenden herbei. »Welcome, altes Coon! Dachte dich erst in ›Hide-spot‹ zu treffen und muß hier an dich rennen! Welche Angelegenheit hat dich herausgetrieben?«

»Was mich herausgetrieben hat, Colonel, das bleibt sich gleich, aber ich habe mir ein wenig Pulver, Blei und Tabak geholt. Der lange Pitt ist mitgegangen, wißt's schon, Colonel, zu Master Winklay, dem Irishman, und haben da zwei aus Germany mitgebracht, die Sam Fire-gun, nämlich Euch, gern sehen wollen.«

»Sam Fire-gun!« rief der Maschinist, auf den Fremden zutretend. »Seid Ihr das wirklich, Sir?«

»Man nennt mich so!« klang kurz und einfach die Antwort. Der Sprecher war ein Mann von wahrhaft riesigen Körperformen, wie man trotz der Dunkelheit zu erkennen vermochte. Er trug die gewöhnliche Trapperkleidung. Die Umstehenden hatten sich beim Nennen seines Namens wie ehrerbietig um ein weniges zurückgezogen.

»Good lack, Sir, dann haben wir ja ganz den richtigen Mann bei uns, dem wir das Kommando übergeben können. Wollt Ihr die Sache übernehmen?«

»Wenn es die Gentlemen alle zufrieden sind, warum nicht!«

Ein allgemeiner Ruf der Zustimmung ließ sich ringsum vernehmen. Diesem berühmten Jäger, dem Hunderte einmal zu begegnen wünschten, ohne ihren Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen, und der hier so unerwartet inmitten der Leute stand, konnte und mußte man den Oberbefehl mit vollständigem Vertrauen übergeben.

»Natürlich sind sie es zufrieden. Trefft also Eure Maßregeln so schnell wie möglich! Wir haben keine Zeit zu verlieren und dürfen die roten Mesch'schurs nicht lange auf uns warten lassen,« sagte der Ingenieur.

»Well, Sir, nur laßt mich erst einige Worte mit diesem Manne hier sprechen! Dick Hammerdull, wer aus dem ›Hidespot‹ ist noch bei euch beiden?«

»Keiner, Colonel! Die andern sind daheim oder hinauf in die Berge.«

»Muß aber doch noch einer bei Euch sein, Dick, denn so wie ich dich kenne, so bist du nicht von den Roten fortgelaufen, ohne ihnen einen Watchman, einen Wächter, hinzustellen.«

»Wie ich fortgelaufen bin, das bleibt sich gleich, aber wenn Ihr den Dick Hammerdull für so dumm gehalten hättet, nicht an den Watchman zu denken, so hättet Ihr Euch verdammt geirrt in ihm, Colonel! Es steht einer da, wie es keinen bessern giebt.«

»Wer ist's?«

»Wie es keinen bessern giebt, Sir, habe ich gesagt, und das ist genug, denn es giebt nur einen einzigen, von dem sich in dieser Weise reden läßt. Sein Gaul liegt einen kleinen Ritt weit hinter ihm und wartet, bis er abgeholt wird.«

»Sein Gaul – wartet? Dick Hammerdull, das könnte allerdings nur ein einziger sein, und dieser heißt Winnetou.«

»Erraten, Colonel, erraten! Der Apatsche traf uns da unten bei dem Irishman und warnte uns. Er hat die Spur der Ogellallahs verfolgt und ist vorhin wieder zu uns gestoßen.«

»Winnetou, der Häuptling der Apatschen?« fragte der Maschinist, während ein Gemurmel der Befriedigung durch die Menge der andern lief.

»Heigh-day, ist das heut ein Zusammentreffen! Der Mann ist ja ganz allein ein Stämmchen Jäger wert, und wenn er auf unsrer Seite steht, so werden wir die roten Schufte heimschicken, daß sie an uns denken sollen. Wo steht er?«

»Ob er steht oder nicht, Sir, das bleibt sich gleich, aber er liegt ganz nahe bei den Indsmen auf der linken Seite des Schienenweges. Es muß dort noch alles in Ordnung sein, sonst wäre er hier, um zu warnen.«

»Gut,« meinte Sam Fire-gun, »so will ich Euch nun meine Meinung sagen: Wir bilden zwei Abteilungen, welche zu beiden Seiten der Bahn sich an die Indianer schleichen. Die eine führe ich, die andre, hm, Sir, geht Ihr mit?«

»Versteht sich!« meinte der Ingenieur. »Zwar darf ich eigentlich meinen Posten nicht verlassen, aber ich mag doch nicht umsonst ein Paar gesunde Fäuste besitzen, und der Heizer hier ist Manns genug, einstweilen meine Stelle zu vertreten. Ich würde es auf dem alten Feuerkasten nicht aushalten können, sobald ich eure Büchsen knallen hörte, und gehe also mit!« Und sich zu seinem Personale wendend, fuhr er fort: »Ihr bleibt bei den Wagen, und gebt wohl acht; man weiß zuweilen nicht, was passieren kann. – Tom!«

»Sir!« antwortete der Feuermann.

»Du verstehst ja, mit der Maschine umzugehen. Damit wir nicht erst wieder zurückzugehen brauchen, kommst du, sobald du ein Feuerzeichen erblickst, mit dem Zuge nach. Aber langsam fährst du, so langsam und vorsichtig wie möglich, denn es wird jedenfalls am Geleise auszubessern geben! – Was aber den andern Anführer betrifft, Master Fire-gun, so hoffe ich nicht, daß Ihr grad mich in Vorschlag bringen wollt. Ich will gern mitthun, ja, aber ein Westmann bin ich nicht. Sucht Euch also einen andern, dem Ihr die Stelle geben könnt!«

»Gut, Sir,« nickte Sam Fire-gun; »ich wollte Euch nicht gern vernachlässigen; aber ich weiß hier einen, der seine Sache ebenso gut machen wird, wie ich die meine, und Ihr könnt ihm deshalb Eure Männer ruhig anvertrauen. Dick Hammerdull, was meinst du?«

»Was ich meine, das bleibt sich gleich, Colonel; aber ich denke, Ihr werdet nichts Unrechtes bestimmen!«

»Denk's auch! Willst du die andre Hälfte führen?«

»Hm, wenn mir die Männer nachlaufen wollen, so will ich gern vorankriechen! Mein Gewehr hat neues Pulver und Blei und wird ein sehr vernünftig Wort dort mit den Indsmen reden. Aber die Pferde, Colonel, die müssen zurückbleiben; der Mann aus Germany, der Sander, kann sie halten.«

»Fällt mir nicht ein,« entgegnete dieser kurz; »ich gehe mit!«

»Was Euch einfällt oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wenn Ihr nicht wollt, so kann es ja der andre thun, der Peter Wolf – hol' der Teufel den bockbeinigen Namen –!«

Auch dieser weigerte sich, und so bekam einer der wenigen waffenlosen Arbeiter den Auftrag, die Pferde einstweilen in seine Obhut zu nehmen.

Die streitbaren Kräfte wurden geteilt. Sam Fire-gun und Dick Hammerdull stellten sich an die Spitze der beiden Abteilungen; der Zug blieb zurück; die Männer bewegten sich vorwärts, und nach wenigen Augenblicken lag tiefe Stille über der Gegend, und nicht das leiseste Geräusch verriet, daß der auf der weiten Ebene ruhende, scheinbare Frieden die Vorbereitung einer blutigen Katastrophe in sich berge.

Zunächst wurde eine ansehnliche Strecke in aufrechter Stellung zurückgelegt; dann aber, als die Nähe des mutmaßlichen Kampfplatzes erreicht war, legten sie sich nieder und krochen, einer hinter dem andern, auf Händen und Füßen zu beiden Seiten der Böschung entlang.

»Uff!« klang es da leise an das Ohr Sam Fire-guns. »Die Reiter des Feuerrosses mögen hier liegen und warten, bis Winnetou, der Häuptling der Apatschen, fortgeht und wiederkommt!«

»Winnetou?« fragte Sam Fire-gun, sich halb emporrichtend. »Hat mein roter Bruder die Gestalt seines weißen Freundes vergessen, daß er ihn nicht erkennt?«

Winnetou betrachtete ihn, erkannte ihn trotz der Dunkelheit und rief erfreut aus, allerdings mit leiser Stimme:

»Sam Fire-gun! Der große Geist sei gelobt, der dem Apatschen heut dein Angesicht zeigt; er mag deine Hand segnen, daß sie vernichtend falle auf die Häupter deiner Feinde! Ist mein Bruder auf dem Feuerroß geritten?«

»Ja; er hat das Gold, welches er der Freundschaft des Apatschen verdankt, nach Sonnenaufgang geschafft und kehrt nun zurück, um mehr zu finden. Warum wollte mein wachsamer Bruder fortgehen und wiederkommen?«

»Die Seele der Nacht ist schwarz und der Geist des Abends dunkel und finster; Winnetou konnte nicht erkennen seinen Bruder, der am Boden lag. Aber den Mann hat er gesehen, der dort auf dem Hügel steht, um nach dem Feuerroß zu schauen. Der Apatsche wird gehen, um das Auge des Ogellallah zu schließen; dann kehrt er zurück!«

Er war im nächsten Momente im Dunkel der Nacht verschwunden.

Diese zwei berühmten Männer der Prairie, von der Natur so verschieden ausgestattet und doch mit gleicher Freundschaft einander ergeben, hatten sich nach langer Trennung hier wiedergefunden. Aber ihre unberührbaren Naturen kannten nicht die lauten Freudenbezeigungen, wie sie sonst zu beobachten sind, und der Augenblick des Wiedersehens nahm sie ja anderweit so vollständig in Anspruch, daß an eine zeitraubende und geräuschvolle Begrüßung gar nicht zu denken war.

Trotz des nächtlichen Dunkels war auf der seitwärts liegenden, wellenförmigen Bodenerhebung eine Gestalt zu erkennen, welche sich für das scharfe Auge eines Westmannes deutlich genug von dem sternenbedeckten Horizonte abzeichnete. Die Ogellallahs hatten also eine Wache ausgestellt, um nach dem Lichte des nahenden Zuges zu schauen. Einem Weißen wäre es wohl schwer oder gar unmöglich geworden, unbemerkt an sie heranzukommen; Sam Fire-gun aber kannte die Meisterschaft des Apatschen im Beschleichen und wußte, daß der Ogellallah in kurzer Zeit verschwinden werde.

Hart am Bahndamme liegend, behielt er ihn scharf im Auge und wirklich – nur wenige Minuten waren vergangen, so fuhr neben dem Wachehaltenden eine Gestalt blitzesschnell in die Höhe, beide lagen im Nu an der Erde! – das Messer des Apatschen hatte seine Schuldigkeit gethan.

Dieser kehrte erst nach längerer Zeit zurück; er hatte die Indianer umschlichen und ihre Stellung in Augenschein genommen. Jetzt stattete er S am Fire-gun seinen Bericht ab.

Die Ogellallahs hatten einige Schienen herausgerissen und diese samt den Sch wellen quer über das Bahngeleise gelegt. Der Zug hätte mitsamt seinen Passagieren ein fürchterliches Schicksal gehabt, wenn er ungewarnt an diese Stelle gekommen wäre. Sie lagen seitwärts von dieser Stelle in lautloser Stille am Boden, während noch eine Strecke weiter zurück ihre Pferde angepflockt waren. Die Gegenwart dieser Tiere machte das Beschleichen der Indianer von dieser Seite fast zu einer Unmöglichkeit, da das Pferd der Prairie an Wachsamkeit den Hund fast übertrifft und die Annäherung jedes lebenden Wesens seinem Herrn durch Schnauben verkündigt.

»Wer führt sie an?« fragte Fire-gun.

»Matto-Sih, die ›Bärentatze‹. Winnetou ist gewesen an seinem Rücken, daß er ihn konnte niederschlagen mit dem Tomahawk.«

»Matto-Sih? Das ist der Tapferste der Sioux; er fürchtet sich vor keinem Krieger und wird uns wohl zu schaffen machen! Er ist stark wie der Bär und listig wie der Fuchs; er hat nicht alle seine Männer bei sich, sondern die übrigen in der Prairie zurückgelassen. Ein kluger Krieger wird nicht anders handeln.«

»Uffh!« gab Winnetou in tiefem Gutturaltone seine Zustimmung zu erkennen.

»Mein roter Bruder warte, bis ich zurückkehre!«

Er schlich sich über den Bahnkörper hinüber zu Dick Hammerdull und sagte zu diesem:

»Noch dreihundert Körperlängen vorwärts, Dick, dann bist du den Indsmen gegenüber. Ich teile meine Leute drüben, schicke die Hälfte mit Winnetou hinaus in die Prairie, um – –«

»Ob Ihr sie schickt oder nicht, das bleibt sich gleich,« fiel ihm der Dicke flüsternd in die Rede; »aber was sollen sie da draußen, Colonel?«

»Die Ogellallahs werden von Matto-Sih angeführt –«

»Von der ›Bärentatze‹? Zounds! Dann haben wir die Tapfersten des Stammes gegen uns, und ich traue es ihm zu, daß er da draußen auf der alten Wiese eine Reserve halten hat.«

»So meine ich auch. Also diese Reserve lasse ich durch Winnetou abschneiden und gehe mit den übrigen direkt auf die Pferde los. Gelingt es uns, diese in unsre Gewalt zu bekommen, oder zu zerstreuen, so sind die Roten verloren.«

»Well, Well, Colonel, und Dick Hammerdull und seine Büchse werden das Ihrige beitragen, daß wir den Zug mit Skalps beladen können!«

»Du wartest also mit den Deinen, bis drüben der erste Schuß losgeht; die Indsmen werden uns hinter sich wissen, und sich zu dir herübermachen, wo du sie empfängst. Aber ruhig warten, Dick, bis sie so weit heran sind, daß ihr sie Mann für Mann sehen könnt. Erst dann schießt ihr los; dann geht keine Kugel fehl!«

»Keine Sorge, Colonel! Dick Hammerdull weiß ganz genau, was er zu thun hat. Nehmt Euch nur vor den Pferden in acht, denn so ein Indsmustang schnobert den Weißen zehn Meilen weit!«

Fire-gun schlich davon, und der dicke Trapper kroch längs der Reihe der hinter ihm Liegenden hin, um ihnen die erhaltene Instruktion mitzuteilen.

Als er wiederkehrte, nahm er neben Pitt Holbers Platz, der sich während der letzten Stunden schweigsam verhalten hatte. Diesem flüsterte er zu:

»Pitt Holbers, altes Coon, nun geht der Tanz bald los!«

»Hm, wenn du denkst, Dick! Hast du nicht Freude darüber, he?«

Hammerdull wollte eben eine Antwort geben, da – zuckte seitwärts drüben ein flüchtiges Leuchten auf, welchem ein lauter Knall folgte – noch ehe der Plan Sam Fire-guns ausgeführt war, hatte sich das Gewehr eines der ihm folgenden Arbeiter entladen.

Sofort standen die Ogellallahs auf den Füßen und eilten nach ihren Pferden. Aber der geistesgegenwärtige Sam Firegun hatte kaum hinter sich den verräterischen Schuß gehört, so eilte er, den Folgen dieser Nachlässigkeit zuvorzukommen.

»Vorwärts, Männer, zu den Pferden!« rief er.

In weiten Sätzen stürmte er auf die Tiere los und erreichte sie mit den Seinen noch vor den Indianern. Mit Gedankenschnelle waren sie von den Pflöcken befreit und jagten wiehernd und schnaubend in die weite, dunkle Savanne hinaus.

Die den jetzt eintreffenden Indianern entgegenkrachenden Schüsse machten diese stutzig. Ihre Pferde waren fort; sie konnten in der Finsternis die geringe Zahl ihrer Gegner nicht erkennen und hielten einige Augenblicke vollständig ratlos still, sich den Waffen der Weißen preisgebend. Dann aber ertönte der laute Ruf ihres Anführers; sie wandten sich und stürmten zurück, um jenseits des Dammes Deckung zu suchen und die zu ergreifenden Maßregeln zu beraten.

Kaum aber hatten sie den Bahndamm erreicht, so stieg nur wenige Fuß vor ihnen eine dunkle Linie wie aus der Erde empor; der Blitz aus über fünfzig Büchsen erhellte für einen Moment die Nacht, und das Geheul der Getroffenen zeigte, daß Dick Hammerdulls Abteilung gut gezielt hatte.

»Alle Kugeln heraus und dann drauf!« rief der wackere Dicke, schoß den zweiten Lauf seiner Büchse ab, warf sie, die ihm nun nichts mehr helfen konnte, fort, riß den Tomahawk, diese furchtbare Waffe des Westens, unter dem langen Jagdhemde hervor und stürzte sich, gefolgt von Pitt Holbers und den Mutigsten unter den Arbeitern, auf die vor Entsetzen stockenden Wilden.

Diese hatten vor Überraschung über den ganz unerwarteten Überfall die Besinnung verloren; vor und hinter sich den Feind, gab es für sie nur Rettung in der Flucht. Wieder erschallte ein lauter Ruf Matto-Sihs, und im nächsten Momente war kein Wilder mehr zu sehen. Sie hatten sich mitten unter den Angreifern auf die Erde geworfen und suchten, zwischen ihnen hindurchkriechend, das Weite zu erreichen.

»Zur Erde, ihr Männer, und die Messer zur Hand!« rief Fire-gun mit donnernder Stimme und eilte dann nach dem verlassenen Lagerplatze der Indianer.

Er dachte sich, daß diese sicher eine hinreichende Menge von allerlei Brennstoff gesammelt hatten, um im Falle, daß ihr Vorhaben gelungen sei, die nötige Beleuchtung zu erhalten. Er hatte sich nicht geirrt. Einige große Haufen Dürrzeuges waren aufgeschichtet. Mit Hilfe des Pulvers machte er Feuer; die Nacht wurde erleuchtet, und im Scheine der Flammen sah er eine Menge zurückgelassener Spieße und Decken liegen. Diese boten ein willkommenes Brennmaterial. Er überließ die Sorge für die Unterhaltung des Brandes einigen herbeieilenden Arbeitern und kehrte an die Stelle zurück, an welcher sich der nächtliche Angriff in einen fürchterlichen Einzelkampf aufgelöst hatte.

Dieser hätte einem nicht beteiligten Zuschauer Gelegenheit gegeben, Thaten zu beobachten, für welche der civilisierte Boden kaum einen Platz haben dürfte.

Die Schar der Bahnarbeiter bestand begreiflicherweise zwar meist aus Leuten, welche ihre Kräfte in den Stürmen des Lebens geübt hatten; aber der Kampfart der Indianer, welche jetzt beim Scheine der Feuer ihre Lage überblicken konnten und dabei bemerkten, daß sie an Zahl den Gegnern vollständig gewachsen seien, konnte wohl keiner von ihnen nachhaltigen Widerstand leisten, und wo nicht mehrere von ihnen gegen einen vereinzelten Indsman standen, behielt dieser gewiß die Oberhand, und die Stätte bedeckte sich immer mehr mit den unter dem wuchtigen Hiebe des Tomahawk Gefallenen.

Nur drei von den Weißen waren mit dieser Waffe versehen: Sam Fire-gun, Dick Hammerdull und Pitt Holbers, und es zeigte sich da allerdings, daß bei gleichen Waffen der zähere und intelligentere Weiße meist im Vorteile steht.

Mitten unter einem Haufen Wilder hielt Fire-gun; in seinem von dem flackernden Lichte beschienenen Angesichte sprach sich ein Gefühl von jener Kampfeswonne aus, welche das verfeinerte Urteil leugnet, nichtsdestoweniger aber doch eine oft bewiesene Wahrheit bleibt. Er ließ sich von den andern die Indianer in das Schlachtbeil treiben, welches, von seiner riesenstarken Faust geführt, bei jedem Schlage zerschmetternd auf den Kopf eines Feindes sank.

Seitwärts von ihm stand ein fast drollig zu nennendes Heldenpaar, trotz der Verschiedenheit ihrer Gestalt mit dem Rücken gegen einander gekehrt, ein Verfahren, welches die beiden originellen aber erfahrenen Jäger vor einem Angriffe von hinten beschützte: Dick Hammerdull und Pitt Holbers. Der kleine Dick, der auf jeden Fremden in seinem Anzuge den Eindruck der Unbehilflichkeit machen mußte, zeigte sich hier von einer wahrhaft katzenartigen Behendigkeit. In der Linken das scharfe, zweischneidige Bowiemesser und in der Rechten das schwere Schlachtbeil schwingend, hielt er jedem Gegner tapfer Stand. Sein langer Rock, Flick auf Flick und Fleck auf Fleck, ließ die auf ihn gerichteten Messerstiche vollständig unschädlich abprallen. Pitt, der Lange, stand hinter ihm und fuhr mit seinen Armen in der Luft herum wie ein Polyp, welcher die gefährlichen Fänge ausstreckt, um seine Beute an sich zu ziehen. Sein Körper, welcher nur aus Knochen und Sehnen zusammengesetzt schien, entwickelte eine außerordentliche Kraft und Ausdauer; das Beil fiel bei ihm aus doppelter Höhe; er griff weiter von sich als jeder andre, aber seine großen Füße rührten sich keinen Zoll breit von der Stelle, und wer ihm so nahe kam, daß er gefaßt werden konnte, der war rettungslos verloren.

Und noch zwei ragten unter den weißen Kämpfern hervor: die beiden Deutschen. Sie hatten die Tomahawks gefallener Indianer aufgerafft und handhabten sie mit einer Leichtigkeit und Sicherheit, als hätten sie sich auf diese Art des Fechtens besonders eingeübt. Niemand aber sah, daß sie nur zum Scheine kämpften. Sie verletzten keinen Indianer und wurden auch von diesen verschont. Die Waffen klirrten nur so aneinander, und wenn ein Indianer so that, als ob er niedergeschlagen worden sei, so kroch er bald fort, um sich einen andern Gegner zu suchen.

Auch unter den Arbeitern gab es genug Mutige, welche den Indianern, die überhaupt nicht gern Mann gegen Mann zu kämpfen pflegen, viel zu schaffen machten, und der Sieg neigte sich bereits stark auf die Seite der Weißen, und die Wilden wurden immer enger und enger zusammengetrieben; da aber donnerte es aus dem Dunkel der Prairie heran und mitten unter sie hinein; Sam Fire-gun hatte recht gehabt, Matto Sih, der kluge Anführer der Wilden, hatte eine beträchtliche Anzahl der Seinen in der Savanne zurückgelassen, die jetzt mit frischen Kräften herbeigesprengt kamen und dem Gefechte augenblicklich eine andre Wendung gaben. Auch die bereits entflohenen Indianer eilten, den Umschwung bemerkend, mit erneutem Mute herbei, und so verwandelte sich der Angriff der Jäger und Arbeiter in eine Verteidigung, welche von Minute zu Minute weniger Erfolg erwarten ließ.

»Hinter den Damm zurück!« gebot Sam Fire-gun, schlug sich mit wuchtigen Hieben durch und folgte seiner Weisung mit eigenem Beispiele.

Pitt Holbers brauchte nur wenige Schritte, um sich neben ihm einzufinden. Dick Hammerdull zog, um sich Luft zu machen, nun jetzt erst den Revolver, gab sämtliche Schüsse ab und eilte dann dem Damme zu. Schon hatte er ihn fast über sprungen, so stolperte er, stürzte kopfüber zur Erde und kugelte jenseits des Dammes hinab und grad vor die Füße Fire-guns hin. Dort raffte er sich empor und betrachtete den Gegenstand, welchen er in der Hand hielt. Er war über ihn gestürzt, hatte ihn unwillkürlich ergriffen und festgehalten. Es schien ein alter Prügel zu sein.

»Meine Flinte, wahrhaftig, es ist meine Flinte, die ich vorhin hier weggeworfen habe! Was sagst du dazu, Pitt Holbers, altes Coon?« rief er erfreut aus.

»Wenn du denkst, Dick, daß es gut ist, deine – –«

Er konnte nicht weiter sprechen, denn die Ogellallahs waren ihnen gefolgt, und der Kampf begann nun hier von neuem. Die Feuer leuchteten über den Damm herüber und erhellten eine Scene, welche mit dem Untergange der Weißen zu endigen schien, und schon wollte der Anführer derselben den Seinen raten, in die Dunkelheit hineinzufliehen, da krachten Schüsse im Rücken der Wilden, und eine Anzahl Männer sprang mit hoch geschwungenen Waffen mitten unter sie hinein.

Es war Winnetou mit seiner Abteilung.

Da die Finsternis ihm hinderlich gewesen war, etwaige Spuren zu entdecken, so hatte sein Suchen nach dem vermuteten Hinterhalte zu keinem Resultate geführt, und da er die Flammen bemerkt und daher geschlossen hatte, daß seine Anwesenheit auf dem Kampfplatze nötig sein werde, so war er herbeigeeilt und brachte nun grad noch im letzten Augenblicke die entscheidende Hilfe.

Im dichtesten Knäuel der Kämpfenden stand Matto-Sih, der Ogellallah. Seine breit gebaute, untersetzte Gestalt stak in dem gewöhnlichen, weißgegerbten Jagdhemde, welches jetzt von oben bis unten vom vergossenen Blute bespritzt war, über dem Rücken hing ihm ein Fell des Prairiewolfes, dessen Schädelteile seinen Kopf bedeckten. Den konvex gearbeiteten Büffelhautschild in der Linken, führte er mit der Rechten den Tomahawk, und wen sein großes, dunkles, stechendes Auge anglühte, den traf der vernichtende Hieb, daß er tot zur Erde stürzte.

Schon hatte er geglaubt, den Sieg zu erringen und mit seiner eignen Stimme die Losung zum Triumphgeheul gegeben, als Winnetou am Platze erschien. Matto-Sih wandte sich um und erblickte ihn.

»Winnetou, der Hund von Pimo!« rief er. Aus seinem Auge leuchtete ein Strahl glühenden, tödlichen Hasses, aber sein schon erhobener Fuß zögerte, und der Arm, der das Schlachtbeil zum Wurfe erhoben hatte, sank nieder, ohne es zu schleudern. Es war, als habe der Anblick dieses Feindes seinen Mut gelähmt und ihm die so nötige Umsicht und Geistesgegenwart geraubt.

Auch Winnetou bemerkte ihn und antwortete:

»Matto-Sih, die Kröte der Ogellallahs!«

Wie in eine Wasserflut, so tauchte seine schlanke, geschmeidige und dabei außerordentlich kraftvolle Gestalt in die Menge der Kämpfenden unter und reckte sich nach kaum einer Sekunde grad vor dem Ogellallah in die Höhe. Beide holten zugleich zum Tod bringenden Hiebe aus; die Beile krachten aneinander, und dasjenige Matto-Sihs sank ihm zerschmettert aus der Hand. Er wandte sich blitzschnell um und brach sich mit den gewaltigen Beinen Bahn zur Flucht.

»Matto-Sih!« rief Winnetou, sich nicht von seiner Stelle bewegend. »Ist der Hund von Ogellallah eine feige Hündin geworden, daß er läuft vor Winnetou, dem Häuptling der Apatschen? Der Mund der Erde soll sein Blut trinken, und die Kralle des Geiers soll zerreißen sein Herz und seinen Leib; aber sein Skalp wird zieren den Gürtel des Apatschen!«

Dieser Aufforderung mußte er standhalten. Er kehrte um und drang auf den Feind ein.

»Winnetou, der Sklave der Bleichgesichter! Hier ist Matto-Sih, der Häuptling der Ogellallah! Er tötet den Bär und wirft den Büffel nieder; er folgt dem Elen und zertritt der Schlange den Kopf; ihm hat noch niemand widerstanden, und er wird jetzt fordern das Leben von Winnetou, dem Feigling von Pimo!«

Einem der Seinen das Beil entreißend, stürzte er sich auf den Apatschen, welcher ihn stehenden Fußes erwartete. Die Augen der beiden starken Männer bohrten sich mit fürchterlichem Blicke ineinander; das Beil des Ogellallah schwirrte um das Haupt desselben und fuhr dann mit fürchterlicher Wut hernieder. Winnetou parierte den Hieb mit einer Leichtigkeit, als sei er von dem Arme eines Knaben geführt; nun auch seine Waffe schwingend, wollte er den Schlag erwidern, wurde aber von hinten gepackt und daran verhindert. Zwei Ogellallahs hatten sich auf ihn geworfen. Blitzschnell drehte er sich um; die Feinde sanken, von ihm getroffen, nieder, aber schon schwebte das Beil Matto-Sihs wieder über seinem Haupte.

Sam Fire-gun, der alle überragte, hatte den Freund in Gefahr gesehen. Die Indianer wie Grashalme auseinanderschlagend, sprang er mitten durch sie hindurch, faßte mit den beiden riesenstarken Fäusten ihren Anführer bei Hüfte und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor und schmetterte ihn zur Erde nieder, daß es krachte. Sofort kniete Winnetou über dem Besinnungslosen, senkte ihm das Messer in die Brust, faßte mit der Linken das reiche, dunkle Haar zusammen – drei Schnitte, kunstgerecht geführt – ein kräftiger Ruck – und der Skalp war gelöst. Er schwang ihn hoch um den Kopf und ließ jenen fürchterlichen Siegesruf hören, welcher Mark und Bein erschütternd auf den Gegner zu wirken pflegt.

Als die Ogellallah die Kopfhaut ihres Anführers erblickten, stießen sie ein erschütterndes Geheul aus und wandten sich zur Flucht.

Dik Hammerdull stand wieder bei Pitt Holbers; sie waren die beiden Unzertrennlichen und suchten jetzt die Fliehenden zurückzuhalten.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, wie sie laufen, he?« rief Hammerdull.

»Hm, wenn du denkst, Dick, so sehe ich es!«

»Ob ich es denke oder nicht, das bleibt sich gleich, aber ich möchte – – Zounds, Pitt, guck dir einmal den Kerl an, der dort zwischen den beiden Männern aus Germany hindurch will! Holla, der Mensch wird ausgelöscht!«

Mehr sich kugelnd als laufend, eilte er hinzu, wo mehrere der Indianer sich anstrengten, an den beiden Deutschen, welche sie aufhalten wollten, vorbei zu kommen. Holbers folgte ihm; sie warfen sich auf die Roten und schlugen sie nieder.

In kurzem war der Sieg vollständig errungen, und was vom Feinde nicht tot oder verwundet am Boden lag, das hatte fliehend das Weite gesucht.

Am östlichen Horizonte wurde nun auch das scharfe Licht der nahenden Maschine sichtbar. Der Heizer hatte den Schein der Feuer bemerkt, sie für das verabredete Zeichen gehalten und nun den Zug in langsame Bewegung gesetzt.

Der Ingenieur, welcher zu der Abteilung Winnetous gehört hatte, trat zu dem Apatschen und fragte ihn:

»Ihr seid Master Winnetou?«

Der Indianer neigte, den Skalp Matto-Sih's an sich hängend, zustimmend das Haupt.

»Wir haben Euch die heutige Rettung zu verdanken. Ich werde einen Bericht schreiben, der bis hinauf zum Präsidenten geht; dann wird der Lohn nicht ausbleiben!«

»Der Häuptling der Apatschen bedarf des Lohnes nicht; er liebt die weißen Brüder und giebt ihnen seinen Arm im Kampfe, aber er ist stark und reich, reicher als der große Vater der Bleichgesichter. Er bedarf weder Gold noch Silber, weder Hab noch Gut; er will nicht nehmen, sondern er giebt. Howgh!«

Der Zug hielt kurz vor den aufgerissenen Schienen an.

»Donnerwetter, Sir,« rief der herabspringende Feuermann dem herbeitretenden Vorgesetzten entgegen, »muß es hier Arbeit gegeben haben. Das ist ja, bei Gott, die reine Schlächterei!«

»Sollst recht haben, Mann, – ist heiß hergegangen heute abend, und ich habe mir auch ein kleines Loch geholt, wie du hier sehen kannst! Aber nun vor allen Dingen das Werkzeug herunter und die Schienen in Ordnung, damit wir baldigst weiter können! Versorge das; ich will jetzt mit nach den Gefallenen sehen!«

Er wollte eben zurücktreten, da schnellte hart neben ihm aus dem tiefen Grase der Dammböschung eine dunkle Gestalt empor und eilte an ihm vorüber. Es war einer der Ogellallahs, der keine Gelegenheit zur Flucht gefunden und sich hier versteckt hatte, um einen geeigneten Augenblick abzuwarten.

Der Arbeiter, welchem die Pferde anvertraut waren, war natürlich dem Zuge gefolgt und stand jetzt mit ihnen in der Nähe der haltenden Wagen. Der Indianer, dem der Anblick der Tiere Hoffnung auf das Entkommen gegeben hatte, eilte auf ihn zu, riß ihm den Zügel eines der Pferde aus der Hand, schwang sich in den Sattel und wollte davonjagen.

Hammerdull hatte die flüchtige Gestalt des Roten sofort bemerkt. Er rief seinem von ihm unzertrennlichen Kameraden zu:

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Roten springen? Alle Teufel, er geht nach den Pferden!«

»Wenn du denkst, Dik, daß er eins bekommen wird, so habe ich nichts dagegen, denn der Mann, der sie hält, sieht mir grün genug dazu aus!«

»Ob er grün sieht oder nicht, das bleibt sich gleich, denn – – Pitt Holbers, schau – er reißt ihm die Zügel aus den Fingern, er springt auf, er – – good lack, es ist meine Stute, auf die er sich gesetzt hat! Na, Bursche, das ist der gescheiteste Einfall, den du in deinem ganzen Leben gehabt hast, denn nun wirst du das Glück haben, mit meiner Flinte reden zu können!«

Wirklich hatte sich der Indianer auf die alte Stute geworfen und schlug ihr die Fersen in die Seiten, um so schnell wie möglich das Weite zu gewinnen. Er hatte sich jedoch verrechnet, denn Dick Hammerdull schob den gekrümmten Zeigefinger in den Mund und ließ einen schrillen, weit hin tönenden Pfiff erschallen. Sofort fuhr das gehorsame Tier herum und galoppierte trotz aller Anstrengung des Wilden grad auf seinen Herrn zu. Der Indianer sah keine andre Rettung, als sich noch zur Zeit herabzuwerfen; da aber nahm der dicke Trapper die Büchse an die Backe; der Schuß krachte, und der Indsman fiel, durch den Kopf getroffen, zu Boden.

»Hast du es gesehen, Pitt Holbers, was die Stute für ein wackeres Viehzeug ist? Ich möchte nur wissen, ob er auch ohne sie glücklich in seine ewigen Jagdgründe kommen wird! Was meinst du, he?«

»Ich habe nichts dagegen, Dick, wenn du denkst, daß er den richtigen Weg gefunden hat. Willst du dir nicht seine Haut nehmen?«

»Ob ich sie nehmen will oder nicht, das bleibt sich gleich, aber herunter muß sie, das ist sicher!«

Um zu dem Gefallenen zu gelangen, mußte er an den zwei Deutschen vorüber, welche, von der Anstrengung des Kampfes ausruhend, neben einander standen.

»So wahr ich Jean Letrier heiße, Kapitän, das war ein Rencontre, wie man es nur im wilden Westen erlebt!« hörte er französisch sagen. Aber er war zu sehr mit seiner Absicht beschäftigt, als daß er für den Augenblick auf diese Worte einen Wert gelegt hätte.

Als er dem Toten den Skalp abgezogen hatte und wieder in die Nähe des haltenden Zuges zurückkehrte, sah er Sam Fire-gun in der Nähe dieser beiden Männer.

»Dick Hammerdull,« fragte dieser, »ist's nicht so, daß du die zwei deutschen Gentlemen bei Master Winklay getroffen hast?«

»Well, so ist es, Colonel.«

»Sie haben sich gut gehalten und machen dir Ehre. Aber wie kommt es, daß du sie mitgenommen hast? Du kennst ja meinen Willen in Beziehung auf neue Bekanntschaften! Ich will keine neuen Gesichter bei uns sehen.«

»All right, Sir, aber der eine, der sich Heinrich Sander nennt, meinte, daß Ihr sein Oheim wäret.«

»Sein Oheim? Bist du toll?«

»Hm, ob ich toll bin oder nicht, das bleibt sich gleich; aber wir kamen in einen kleinen Handel und ich hatte da schon die Messerspitze an seiner Kehle, als er sagte, Ihr würdet es mir schlecht danken, wenn ihm die Klinge um ein weniges zu tief in die Wolle gehe. Machts mit ihm selber ab, Colonel!«

Der berühmte Tracker, trat an die Deutschen heran und fragte sie:

»Ihr seid von drüben herüber aus Germany, wie man mir sagt?«

»Ja,« antwortete Sander.

»Was sucht ihr in der Prairie?«

»Euch, Sir.«

»Mich? Weshalb?«

»Oheim, willst du noch fragen?«

Sam Fire-gun trat um einen Schritt zurück.

»Oheim? Ich kenne keinen Verwandten mit Namen Sander!« erklärte Sam Fire-gun erstaunt.

»Das ist richtig! Doch nannte ich mich so, weil ich nicht wußte, ob dir der Name Wallerstein lieb sein würde. Es handelt sich um Geld, um viel Geld, wie du schreibst. Da muß man vorsichtig sein, und darum habe ich mir einen andern Namen beigelegt.«

»Wall- –. Ist es denn möglich, daß du es bist, Heinrich?!«

»Nicht möglich, sondern wirklich, Onkel. Hier ist dein Brief, in welchem du schreibst, daß ich kommen soll. Die andern Papiere kannst du ja morgen lesen!«

Er langte unter den Jagdrock und zog ein sorgfältig verwahrtes Papier hervor, welches er ihm überreichte. Der alte Jäger warf bei dem noch immer hellen Feuerscheine einen Blick auf die Zeilen, zog ihn dann an seine Brust und rief aus:

»Es ist wahr! Gott segne meine Augen, daß es ihnen noch vergönnt ist, einen der Meinigen zu sehen. Wie geht es deinem Vater? Warum schrieb er mir nicht? Ich hatte ihm doch die Adresse für Omaha angegeben?«

»Ja, aber du beschriebst in diesem Briefe zugleich auch den ganzen Weg am Arkansas hinauf nach Fort Gibson, nach dem Hause des Irländers Winklay und weiter westlich aufwärts bis zu der Stelle, wo du mit der Schar deiner Westmänner für längere Zeit kampierst. Da wir dachten, du könntest diesen Ort verlassen, hielten wir es für das Beste, daß ich mich selbst auf den Weg machte und dir den Brief des Vaters überbrachte. Morgen früh, wenn es hell ist, werde ich ihn dir geben. Du hast mich, seit du in Amerika bist, nicht gesehen und wirst mich also nicht mehr kennen; desto besser aber kenne ich deine Güte, mit welcher du die Eltern stets unterstützt und mich nun schließlich gar eingeladen hast, herüber zu kommen.«

»Well! Es freut mich, daß du dieser Einladung so schnell gefolgt bist. Ich schrieb euch auch den Grund. Ich habe in den Big-horn-Bergen Gold gefunden, viel Gold, welches ich euch geben wollte, denn ihr seid arm, und ich brauche es nicht. Mit dem Schicken ist es eine sehr unsichere Sache, und so wünschte ich, daß du persönlich kommen möchtest. Was ich dir geben will, ist ein Reichtum für euch, und ich hoffe, daß es euch glücklich macht. Aber du kommst nicht allein. Wer ist denn dein Begleiter?«

»Auch ein Deutscher. Er heißt Peter Wolf und wollte auch gern nach dem Westen. Da schloß ich mich ihm an.«

»Schön! Wir sprechen weiter über unsre Angelegenheit, lieber Heinrich. Jetzt giebt es keine Zeit dazu. Du siehst, daß ich anderweit gebraucht werde.«

Es erscholl nämlich jetzt die Stimme des Zugführers, welcher zum Aufbruche drängte, denn durch den unerwarteten Aufenthalt hier war viel Zeit verloren gegangen, die wieder eingeholt werden mußte.

Die toten und verwundeten Weißen wurden in die Wagen gebracht und die umherliegenden Waffen zusammengelesen. Die Passagiere sagten ihren Rettern herzlichen Dank, und da der Defekt im Geleise nun ausgebessert worden war, konnte der Zug die Weiterfahrt antreten. Die Zurückbleibenden sahen ihm nach, bis seine Lichter in der Ferne verschwunden waren.

Nun war die Frage, ob sie während der Nacht hier Lager machen sollten oder nicht. Es war anzunehmen, daß die flüchtigen Ogellallahs sich bald wieder sammeln und nach dem Orte des Kampfes zurückschleichen würden. Das konnte gefährlich werden, und darum wurde beschlossen, von hier aufzubrechen und an einem entfernten Orte zu übernachten, wo von seiten der Indianer kein Überfall zu erwarten war. Sam Fire-gun, der Colonel, bestieg eins der erbeuteten Indianerpferde, und dann wurde aufgebrochen.

Während der Colonel mit seinem ›Neffen‹ sprach, hatte Hammerdull in der Nähe gestanden und fast alles gehört. Nun, als die Reiter den Ort des Überfalles schon weit im Rücken hatten, ersah er einen Augenblick, an welchem dieser Neffe nicht neben dem Onkel ritt, lenkte seine Stute neben Sam Fire-guns Pferd und sagte mit vorsichtig unterdrückter Stimme:

»Wenn Ihr es mir nicht übel nehmt, möchte ich Euch etwas sagen, Sir.«

»Übel nehmen? Sprich nicht so dummes Zeug! Was ist's?«

»Was Ihr jedenfalls für eine Dummheit halten werdet, Sir. Es betrifft die beiden Männer, welche behaupten, von drüben aus dem alten Germany zu sein.«

»Das sind sie doch auch!«

»Ob sie es sind oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich denke, daß sie es nicht sind.«

»Unsinn! Mein Neffe ist ein Deutscher; das muß ich doch wissen!«

»Ja, wenn er wirklich Euer Neffe ist, Sir!«

»Zweifelst du daran?«

»Hm! Kennt Ihr Euern Neffen?«

»Ich konnte ihn nicht erkennen, weil er noch ein Knabe war, als ich ihn zum letztenmal sah.«

»Ich glaube, Ihr habt ihn überhaupt noch nicht gesehen. Euer deutscher Name ist Wallerstein. Warum hat er diesen Namen nicht beibehalten und sich anders genannt?«

»Aus Vorsicht, nämlich weil er – – –«

»Ich weiß, ich weiß!« fiel ihm der Dicke in die Rede. »Ich habe ja gehört, welchen Grund er dafür angab; aber mir scheint dieser Grund ein wenig fadenscheinig zu sein. Sagt mir einmal, ist er Kapitän?«

»Nein.«

»Aber der andre hat ihn doch so genannt!«

»Wirklich? Was du sagst!«

»Ja, er hat ihn Kapitän genannt; ich habe es ganz deutlich gehört, sogar mit allen beiden Ohren. Sie sprachen nämlich französisch.«

»Französisch?« fragte der Colonel verwundert. »Das wäre freilich sehr auffällig!«

»Ob es auffällig ist oder nicht, das ist gleichgültig; das ist sogar egal; aber mir ist es zunächst nicht aufgefallen. Doch als ich dann hörte, daß es sich um Euer Gold handelt, da kamen mir Bedenken. Warum nennt sich der andre uns gegenüber Peter Wolf – ein schrecklicher Name, bei dem man die Zunge brechen kann! – und zu Heinrich Sander sagte er, daß er Jean Letrier heiße?«

»Bezeichnete er sich mit diesem Namen?«

»Ja. Ich ging grad an ihnen vorüber und hörte es; ich verstand es auch, obgleich er französisch sprach. Ich achtete in diesem Augenblicke nicht darauf, weil ich grad Eile hatte, mir den Skalp eines Roten zu holen; aber später fiel es mir wieder ein und machte mich mißtrauisch. Spricht dieser Sander die deutsche Sprache gut und rein?«

»Allerdings mit einem fremden Accent; aber wahrscheinlich kommt mir das nur so vor; ich habe kein Urteil mehr darüber, weil es so lange Jahre her ist, daß ich Deutschland verlassen habe.«

»Ob Ihr es verlassen habt oder nicht, das bleibt sich ganz gleich; aber ich sage Euch, daß mir die Sache nicht gefällt. Wir nennen Euch als unsern Anführer Colonel, obgleich Ihr diesen militärischen Grad nicht besitzet. Warum wird dieser Sander Kapitän genannt? Ist er der Anführer von irgend welchen Leuten? Wer und was sind diese Leute? Ehrliche Menschen wohl kaum! Seht Euch vor, Colonel, und nehmt mir meine gut gemeinte Warnung ja nicht übel!«

»Fällt mir nicht ein, sie übel zu nehmen, obgleich ich weiß, daß du dich irrst. Dennoch werde ich die Augen und Ohren offen halten; das verspreche ich dir.«

»Well! Will wünschen, daß ich mich irre; aber da Ihr Euern Neffen nicht persönlich kennt und es sich um eine so große Summe handelt, so ist die Vorsicht wenigstens nicht überflüssig.«

»Er hat sich mir gegenüber als Neffen legitimiert.«

»Durch Euern Brief, den er vorzeigte?«

»Ja. Und morgen will er mir noch andre Briefe geben.«

»Das beweist noch nichts!«

»O doch!«

»Nein, denn diese Briefe können auf unrechtlichem Wege in seine Hand gekommen sein.«

»Muß man wegen einer Namensänderung gleich das Allerschlimmste denken?«

»Ob man es denkt oder nicht, das bleibt sich gleich; ich traue diesen beiden Menschen nicht, und wenn Ihr ihnen glaubt, so werde ich um so schärfer auf sie achten.«

Sie brachen diese Unterredung ab, weil Sander sich jetzt wieder zu Sam Fire-gun gesellte. Hammerdull entfernte sich von ihnen und ritt nun mit dem langen Pitt Holbers, an dessen Seite er sich stets am wohlsten fühlte.

Ungefähr zwei Stunden, nachdem sie die Eisenbahn verlassen hatten, kamen sie an eine Stelle, welche sich sehr gut zum Lagerplatze eignete. Es gab da Gras für die Pferde, Wasser für die Menschen und Tiere und ziemlich dichtes Gebüsch, welches sehr vortrefflich als Deckung diente. Da wurde abgestiegen. Man konnte sich hier sicher fühlen, denn es war zwar nicht ganz finster, aber auch nicht hell genug, daß es einem oder mehreren Ogellallahs möglich gewesen wäre, den Weißen hierher zu folgen.

Sander hatte seit heute nachmittag nicht unbelauscht mit Wolf sprechen können. Jetzt, da es zum Schlafen ging, legte er sich mit diesem etwas entfernt von den andern, was niemand auffiel, wie er glaubte. Als sie annahmen, daß ihre Gefährten eingeschlafen seien, flüsterte Sander seinem Kumpane zu:

»Dieser Kampf mit unsern roten Freunden war das Ungelegenste, was uns kommen konnte. Diese Weißen sind geradezu blind gewesen, daß sie unsre Spiegelfechterei nicht bemerkt haben! Gut, daß die Feuer brannten und die Roten uns erkennen konnten. Besser, viel besser wäre es gewesen, sie hätten mit diesem Überfalle bis später gewartet und wären bei unsern Leuten geblieben. Sie konnten doch denken, daß wir nun bald kommen würden.«

»Sie wußten nicht, daß ich dich so schnell getroffen habe,« warf Wolf ein. »Sonderbar, daß wir beide einander so glückliche Botschaft bringen konnten!«

»Ja. Ihr habt endlich, noch dazu in meiner Abwesenheit, das lang gesuchte Lager von Sam Fire-guns Gesellschaft entdeckt, und es ist für uns von größtem Vorteile, daß die OgelIallahs uns bei dem Überfalle helfen wollen. Aber grad darum mußten sie ihren heutigen Streich aufschieben. Es wird bei Fire-gun so reiche Beute geben, daß wir uns vom Geschäft zurückziehen können.«

»Ja. Welche Menge von Gold sie zwischen den Big-Horn-Bergen gesammelt haben, das hast du ja als sein lieber ›Neffe‹ von ihm selbst gehört. Und wenn wir dazu die großen Vorräte von Pelzen und Fellen rechnen, die sie angesammelt haben, so kommt eine Beute heraus, wie sie so reich von unsrer Gesellschaft noch nie gemacht worden ist. Dazu das große Glück, daß du mit dem echten Neffen des Colonel zusammengetroffen bist! Hast freilich einen großen Fehler begangen.«

»Welchen?«

»Daß du ihn nicht kalt gemacht hast.«

»Das war freilich eine Schwäche von mir; aber er war so aufrichtig und vertrauensselig; er beantwortete mir alle, alle meine Fragen und gab mir so bereitwillig Auskunft über seine intimsten Familienverhältnisse, deren Kenntnis mir nötig war, wenn ich seine Stelle einnehmen wollte, daß ich schwach wurde und mit seinem Gelde und seinen Papieren davonging, ohne ihm das Leben zu nehmen.«

»Ich an deiner Stelle hätte ihn unschädlich gemacht.«

»Das ist er auch so schon.«

»Er ist dir sicher gefolgt!«

»Nein. Er ist ein Neuling im Lande, hier vollständig unbekannt und – was die Hauptsache ist – hat kein Geld, keinen einzigen Cent mehr. Er ist also hilfloser und verlassener als ein Waisenknabe und kann mir weder folgen noch uns in irgend einer Weise schaden. Die Hauptsache war, daß ich im gleichen Alter mit ihm stehe und daß Sam Fire-gun mich noch nie gesehen hat. Er glaubt es wirklich, daß ich sein Neffe bin.«

»Das ist wahr, mir aber nicht lieb.«

»Warum?«

»Weil wir nun, obwohl wir sein Lager endlich, endlich entdeckt haben, wahrscheinlich von unserm ursprünglichen Plane abweichen müssen.«

»Das Lager zu überfallen? Das ist nun freilich eigentlich nicht mehr nötig, denn als Neffe des Alten bekomme ich alles, was er hat.«

»Und wir andern nichts! Nein, das gebe ich nicht zu. Wir haben uns Monate lang geplagt, das Versteck zu entdecken, und nun es uns gelungen ist, sollen wir verzichten? Nein, nein!«

»Rege dich nicht auf. Wir kommen schon morgen früh ganz nahe an dem Lager unsrer Gesellschaft vorbei, und bis dahin können wir uns ja besprechen.«

»Meinst du, daß Sam Fire-gun diesen Weg einschlagen wird?«

»Ja. Er reitet jedenfalls direkt nach seinem Camp, und da muß er dort vorbei. Horch! Es muß jemand hinter uns im Gebüsch sein!«

Sie lauschten und vernahmen nach einiger Zeit ein leises Rascheln, welches sich von ihnen entfernte.

»Alle Teufel! Wir sind belauscht worden!« flüsterte Sander seinem Kumpane zu.

»Es scheint so,« antwortete dieser ebenso leise. »Aber von wem?«

»Entweder von Fire-gun selbst oder von einem andern. Ich werde gleich erfahren, wer es gewesen ist.«

»Auf welche Weise?«

»Ich schleiche mich zu Fire-gun. Liegt er nicht an seinem Platze, so war er es.«

»Und wenn es ein andrer war?«

»So geht er zu Fire-gun, um ihm zu sagen, was er gehört hat. In beiden Fällen erfahre ich, was ich wissen will. Alle Wetter! Wenn diese Kerls mißtrauisch geworden wären! Bleib still liegen, und warte, bis ich wiederkomme!«

Er dehnte sich lang aus und wand sich durch das Gras behend und unhörbar hinüber nach der Stelle, wo der Colonel sich niedergelegt hatte. Er lag noch dort; aber da kam von der andern Seite leisen Schrittes Dick Hammerdull, bog sich zu ihm nieder, weckte ihn auf und sagte:

»Wacht auf, Colonel; aber seid still, ganz still!«

So leise er gesprochen hatte, Sander lag so nahe und hatte ein so scharfes Gehör, daß ihm kein Wort entgangen war.

»Was ist's? Was giebt's?« fragte Fire-gun.

»Leise, leise, daß die da drüben es nicht hören! Ich habe Euch gesagt, daß ich aufpassen will, Sir. Es fiel mir auf, daß Heinrich Sander und Peter Wolf – verteufelt klapperiger Name für die Zunge eines nicht deutschen Gentleman! -also es fiel mir auf, daß diese beiden sich so entfernt von uns niederlegten. Ich faßte Verdacht und schlich mich hin. Es gelang mir, ganz nahe an sie zu kommen, so daß mein Kopf fast zwischen ihren Köpfen lag, und da hörte ich sie flüstern.«

»Hast du verstanden, was sie sagten?«

»Ob ich sie verstanden habe oder nicht, das ist ganz und gar egal; aber ich hörte, daß dieser Sander der Kapitän einer Bande von Buschkleppern ist.«

»Ah! Wirklich?«

»Ich hatte also recht. Er ist nicht Euer Neffe, und der andre heißt Jean Letrier. Ihre Leute haben unser Lager entdeckt und wollen es überfallen. Sie haben sich sogar mit den Roten verbündet. Sander hat Euren wirklichen Neffen getroffen und ihm alles abgenommen, was er – – –«

Mehr hörte Sander nicht, denn mehr wollte und brauchte er nicht zu hören; er wußte genug und kroch schleunigst zu seinem Gefährten zurück.

»Wir sind verraten!« raunte er ihm zu. »Nimm dein Gewehr, und folge mir schnell zu unsern Pferden! Aber ganz leise, leise!«

Sie huschten fort, zwischen den Büschen hinaus nach dem kleinen, freien Platze, wo die Pferde angepflockt waren. Sie machten die ihrigen los und zogen sie langsam, sehr langsam fort, damit die Huftritte nicht gehört würden. Als sie sich so weit entfernt hatten, daß sie sich nun sicher fühlten, stiegen sie auf und ritten davon.

»Aber so sag doch endlich, was du erfahren hast!« wurde Sander von Wolf aufgefordert.

»Später, später! jetzt müssen wir jagen, förmlich jagen, um unsre Leute zu erreichen. In zwei Stunden sind wir dort, um sie zu holen, denn wir müssen diese Kerls noch heut nacht festnehmen. Dieser verdammte Hammerdull hat uns durchschaut; er kennt sogar deinen Namen Jean Letrier!«

»Aber woher doch?«

»Das weiß der Teufel! Vorwärts jetzt, vorwärts!«

Inzwischen hatte Hammerdull dem Colonel alles, was von ihm erlauscht worden war, mitgeteilt. Sie berieten leise miteinander, und Sam Fire-gun kam, trotzdem Hammerdull ihn zum sofortigen Handeln drängte, zu dem Entschlusse:

»Jetzt nicht. Sie sind uns sicher. Du kannst dich leicht verhört haben.«

»Ich verlasse mich auf meine Ohren!«

»Vielleicht haben sie gar nicht von uns und sich, sondern von andern Personen gesprochen.«

»Sie sprachen von Euch, Sir, ganz gewiß von Euch!«

»So müssen wir dennoch bis früh warten. Wenn wir sie jetzt, in dieser Dunkelheit, ins Verhör nehmen, entkommen sie uns. Wir müssen unbedingt warten, bis es hell geworden ist. Da sehen wir ihre Gesichter, ihre Mienen, alle ihre Bewegungen. Sie ahnen doch nicht, daß du sie belauscht hast?«

»Nein.«

»Nun, da ist auch keine Gefahr im Verzuge, und wir können ruhig schlafen. Leg dich auch aufs Ohr!«

Hammerdull wollte noch eine Bemerkung machen, wurde aber fortgewiesen; er legte sich, verdrossen brummend, nieder und schlief trotz seines Ärgers sehr bald ein.

Auch die andern schliefen; selbst der stets vorsichtige Winnetou war davon nicht ausgeschlossen. Er hegte die Überzeugung, daß kein Ogellallah ihnen gefolgt sei, rechnete aber doch mit der Möglichkeit, daß er sich da irren könne. In diesem Falle war nach dem Gebrauche der Roten auch nicht jetzt, sondern erst gegen Morgen ein Angriff zu erwarten. Darum und weil er der Ruhe unbedingt bedürftig war, schlief er jetzt, wachte aber nach einigen Stunden wieder auf, ging zu seinem Pferde, führte es eine kleine Strecke in der Richtung, aus welcher sie gekommen waren, zurück, ließ es dort frei weiden und setzte sich dabei nieder. Dies that er, weil die Ogellallahs nur aus dieser Richtung zu erwarten waren; Sander und Wolf hatten sich, ohne daß er es wußte, in der entgegengesetzten entfernt. Sein Pferd hatte er nicht am Platze gelassen, sondern mitgenommen, weil es ein besserer Wächter als ein Mensch war.

Die Morgenluft erhob sich; sie wehte von daher, wohin Winnetou seine Aufmerksamkeit zu richten hatte. Da schnaubte sein Pferd. Es war jenes leise, nur aus einem einzigen Atemstoße bestehende Schnauben, womit es auf die Nähe eines verdächtigen Wesens aufmerksam zu machen pflegte. Zu seiner Verwunderung sah er, daß es dabei den Kopf nicht gegen, sondern in der Richtung des Windes, also nach dem Lager hin hielt. Er hatte trotz seines beispiellos scharfen Gehöres von dorther nicht das geringste Geräusch vernommen. Er lauschte.

Da ertönte dort plötzlich ein wüstes Geschrei von vielen Stimmen, nicht das Geheul von Roten, sondern das Gebrüll von Weißen, in englischer Sprache. Er rannte hin, doch nicht ganz. Bei dem Gebüsch angekommen, legte er sich nieder und kroch zwischen zwei Sträucher hinein. Er sah die Gestalten von fast zwanzig Weißen, welche die Schläfer überfallen hatten und nun im Begriff standen, sie zu binden.

»Winnetou haben wir noch nicht!« rief einer. »Der darf uns nicht entschlüpfen! Wo ist er? Sucht ihn, sucht!«

Das war die Stimme Sanders; Winnetou erkannte sie und wußte sofort, woran er war.

»Uff!« sagte er zu sich selbst. »Ich kann jetzt keinen Beistand leisten, sonst bin ich mit ihnen verloren. Ich muß mich erhalten, um diesen Bleichgesichtern folgen zu können. Howgh!

Er kehrte eiligst zu seinem Pferde zurück, stieg auf und ritt im Galopp davon, das Beste, was er unter den gegenwärtigen Umständen thun konnte. – – –

Der einstige Indianeragent unterbrach hier seine Erzählung, welcher alle Zuhörer mit großer Spannung gefolgt waren. Ich selbst war Zeuge von einigen Eisenbahnüberfällen durch Indianer gewesen, und obgleich sie dem jetzt erzählten alle ähnlich waren, hatte ich der Geschichte nicht weniger Aufmerksamkeit gewidmet, als die andern Gäste der Mutter Thick. Sam Fire-gun, Dick Hammerdull und Pitt Holbers waren mir sehr wohlbekannte Persönlichkeiten, und ich wußte, daß sie dieses Ereignis ähnlich so, wie es erzählt wurde, erlebt hatten.

Die Anwesenden ließen Ausrufe der Befriedigung, der Anerkennung hören und baten den Erzähler, ihre Neugierde nicht auf die Folter zu spannen, sondern schnell fortzufahren.

»Nicht wahr, so etwas hört sich leicht an?« fragte er. »Aber dem, der es mitmacht, fällt es nicht so leicht!«

»Waret Ihr denn dabei?« fragte einer der mit an seinem Tische Sitzenden.

»Bisher nicht. Was ich bis jetzt erzählt habe, das habe ich so gebracht, wie es mir später erzählt worden ist. Das aber, was nun kommt, habe ich selbst mit erlebt. Und dabei kommt genau ebenso ein Detektive vor wie in der Geschichte, die wir vorhin gehört haben. Das ging nämlich folgendermaßen zu:

Ich ging damals mit einigen tüchtigen Leuten, die mich schon oft begleitet hatten, den Arkansas hinauf, weil ich als Indianeragent zu den Cheyennes mußte. Dabei kam ich auch nach Fort Gibson und in den Laden des Irländers Winklay, der mich sehr gut kannte. Wir waren die einzigen Gäste im Hause und saßen eben beim Essen, als wir draußen Pferdegetrappel und eine laut räsonnierende Stimme hörten. Wir gingen an die Fenster und sahen hinaus. Es gab da drei Reiter, welche soeben angekommen waren.

Der eine von ihnen war von schmächtiger Gestalt und fein gekleidet. Sein Gewehr, sein Revolver und sein Bowiemesser paßten wohl besser in den Westen als er selbst, der jedenfalls ein Gentleman war. Der zweite war ein hübscher, kräftiger, blonder Boy, dem ich sofort den Deutschen vom Gesicht ablas. Der dritte war derjenige, welcher so laut räsonnierte. Er saß auf einem widerspenstigen Dakota-Traber, der ihm viel zu schaffen zu machen schien.

Von hoher, breiter und außergewöhnlich muskulöser Figur, trug er einen Hut auf dem glattgeschorenen Kopfe, dessen ungeheure Krempe hinten weit über den Nacken herunterschlappte, während ihr vorderer Teil über dem Gesichte einfach weggeschnitten war. Den Leib bedeckte ein kurzer, weiter Sackrock, dessen Ärmel kaum bis über die Ellbogen reichten und erst die Ärmelteile eines sauber gewaschenen Hemdes, dann die braun gebrannten Vorderarme und endlich zwei Hände sehen ließen, die einem vorsündflutlichen Riesentiere anzugehören schienen. Die Beine staken in einem Paar ebenso weiter Hosen von leichtem Zeuge, unter denen zwei Stiefel sichtbar wurden, deren Leder aus dem Rücken eines Elephanten herausgeschnitten sein mußte.

Der Mann sah in dem alten Hute, dem moosgrünen Rocke und den gelben Hosen einer Maskenballfigur ähnlich.

Er wollte aus dem Sattel steigen, aber sein Pferd schien damit nicht einverstanden zu sein; es ging mit allen vieren in die Luft.

»Have care – Achtung – attention – hopp, du falscher Racker!« schrie er es zornig an, indem er ihm mit der gewaltigen Faust einen Hieb zwischen die Ohren versetzte. »Da hast du eins, wenn du meinst, daß der Peter Polter ein Seiltänzer sei oder ein ähnliches halsbrecherisches Individuum! Wirft mir die Bestie den Schwanz in die Höhe wie die Sternflagge eines Dreimasters und schlägt mit dem Gehör um sich, als wolle sie Seekrebse damit fangen! Hätte ich dich nur zwischen Vor- und Mittelmast eines guten Oceaners, so wollte ich dir zeigen, was ein Steuermann zu bedeuten hat! Grace à dieu -heigh-day, da ist ja die Kabine, in der Master Winklay, der Irishman, vor Anker liegt. Herunter von der Raae, Peter Polter; und du, Teufelsgaul, dich werde ich hier mit dem Riemen an die Fenzlatte sorren, damit dich die Strömung nicht hinaus in die See treibt! Steigt ab, Master Treskow und Herr Wallerstone, wir sind im rechten Hafen!,‹

Sie stiegen ab und banden draußen ihre Pferde an. Er trat mit weit auseinander gespreizten Beinen auf, als habe er vom Reiten die Seekrankheit bekommen, und schob sich dann vorsichtig durch den Flur und die offenstehende Thür in den Boarraum des Irländers.

»Good day, alter Marsgast!« grüßte er diesen. »Schaff etwas Nasses zur Stelle, sonst segle ich dich über den Haufen, so liegt mir der Durst in der Kehle!«

Die beiden andern zeigten weniger Redseligkeit; sie nahmen schweigend Platz und überließen ihrem Gefährten die Einleitung zu dem beabsichtigten Gespräch.

»Helà, my good Haggler, kennst du den Peter Polter noch?« fragte dieser.

Der Wirt zog sein Gesicht in schmunzelnde Falten und antwortete,

»Kenn' dich schon noch. Wer so trinken kann wie du, den vergißt man nicht so leicht!«

»Well done – bon! Hätte dir aber einen solchen Merks kaum zugetraut! Weißt noch, als ich mit Dik Hammerdull, Pitt Holbers und noch einigen hier Abschied trank und doch zwei Tage länger warten mußte, weil die andern gar nicht wieder aufwachen wollten?«

»Yes, Yes, das war ein ›Drink‹, wie ich noch keinen erlebt hatte und wohl auch keinen wieder mitmachen werde. Wo bist du denn herumgestiegen?«

»Bin nach dem Osten und zur See, habe hierhin geguckt und dorthin und will nun wieder auf eine Woche oder zwei zum alten Fire-gun. Ist doch noch zu haben, der alte Trapper, he?«

»Meine es! Den löscht so leicht kein Indsman aus, und die bei ihm sind, wissen sich und ihn zu halten. Dick Hammerdull ist hier gewesen vor nicht gar langer Zeit; der lange Pitt war auch bei ihm. Sind dann fortgegangen und auf die Roten gestoßen, wie ich mir denke. Man sagt, die Ogellallahs hätten einen Zug überfallen und von Sam Fire-gun und Winnetou eine gute Portion Blei und Eisen erhalten.«

»Winnetou? Ist der Apatsche auch wieder zu haben?«

Der Irländer nickte.

»Freilich; war sogar hier bei mir und hat mich bei der Gurgel gehabt, daß mir beinahe der Atem ausgegangen ist.«

»Alas, alter friend, bist ihm wohl quer durch den Kurs gerudert?«

»War so etwas! Kannte ihn nicht und wollte ihm keine Munition verkaufen, kam aber da verdammt an den Unrechten. Willst du Bill Potter sehen?«

»Bill Potter? Ist er hier an Bord?«

»Meine es! Ist nur ein wenig in den Wald gegangen und hat sein Pferd hinter dem Hause stehen.«

»Lack-a-day, das paßt sich gut! Wie segelt er, von oder zu dem Colonel?«

»Zu – zu ihm; ist einige Zeit da unten in Missouri gewesen, wo er Verwandte hat, und will nun wieder hinauf nach den Bergen.«

»Wann macht er sich an die Ankerwinde?«

»Wie? Rede doch so, wie einem ehrlichen Manne der Schnabel gewachsen ist. Wer soll denn dieses schauderhafte Zeug verstehen?«

»Bist ein dull-man, ein Dummkopf, wie er im Buche steht, und wirst auch einer bleiben! Wann er fortgeht von hier, meine ich!«

»Kann es nicht sagen, wird aber nicht in alle Ewigkeit hier liegen bleiben.«

»Hat er abgesattelt?«

»Nein.«

»So wird er sich vielleicht noch heut in die Ruder legen und wir machen mit!«

Der Wirt schien wirklich sehr freundschaftliche Gesinnungen für den originellen Kauz zu hegen, denn der sonst so schweigsame und zurückhaltende Mann hatte sich wohl seit Jahren zu keinem so langen Gespräche herbeigelassen, wie das gegenwärtige war.

Jetzt machte sich der Feine zu einer Frage bereit. Er griff in die Tasche und zog eine Photographie hervor.

»Wollt Ihr mir nicht sagen, ob vor kurzem bei Euch zwei Männer vorgesprochen haben, zwei Deutsche, Master Winklay, die sich Heinrich Sander und Peter Wolf nannten?«

»Heinrich Sander – Peter Wolf? Hm, ich will mein ganzes Schießpulver verschlucken und eine Portion Schwamm und Feuerzeug dazu, wenn das nicht die beiden Greenhorns waren, die zu Sam Fire-gun wollten!«

»Wie sahen sie aus?«

»Grün, sehr grün, Mann; mehr kann ich nicht sagen. Der eine – Heinrich Sander glaube ich, war es – machte uns den Spaß und ging mit seiner Mückenflinte dem dicken Hammerdull zu Leibe, wurde aber ganz gehörig heimgeschickt. Ich glaube, Dick hätte ihm einige Zoll Eisen zu kosten gegeben, wenn er nicht gesagt hätte, daß der Colonel sein Oheim sei.«

»Gefunden!« meinte der Fremde freudig. »Wo sind die beiden dann hin?«

»Fort mit dem Langen und Dicken, hinaus in die Savanne. Mehr weiß ich nicht.«

»Seht Euch doch einmal dieses Bild hier an, Master! Kennt Ihr den Mann?«

»Wenn das ein andrer ist, als der Heinrich Sander, so sollt Ihr mich auf der Stelle teeren und federn!«

Dann aber trat er, wie unter einem plötzlich in ihm auftauchenden Gedanken, um einen Schritt zurück und fragte in zurückhaltendem Tone:

»Sucht Ihr den Mann, Sir?«

»Warum?«

»Hm! Ein Westmann trägt niemals so ein Konterfei mit sich herum, und Ihr seht – seht so nett und sauber aus, daß -daß – –«

»Nun, daß – –«

»Daß ich Euch einen guten Rat geben möchte!« verbesserte er den beabsichtigten Satz.

»Welchen?«

»Was hier bei mir vorgeht, das kümmert mich nichts; so lange man mir meine guten Hausrechte läßt. Ich frage niemanden und antworte auch keinem. Euch aber habe ich Rede gestanden, weil Ihr mit Peter Polter gekommen seid, sonst hättet Ihr nichts von mir erfahren. Aber zeigt niemand das Bild wieder vor, und erkundigt Euch nicht eher nach irgend wem, als bis Ihr ein wenig mehr nach der Savanne ausseht, denn sonst – sonst – –«

»Weiter! Sonst –?«

»Sonst hält man Euch gar für einen Policemann, für einen Detektive, und das ist oft sehr schlimm. Der Westmann braucht keine Polizei; er richtet selber, was es zu richten giebt, und wer sich da hineinmengt, den weist er mit dem Bowiekneif zurück!«

Der Feine wollte eben antworten, da aber öffnete sich die Thür, und ein Mann trat ein, bei dessen Anblick Peter Polter sich mit lautem Zurufe erhob.

»Bill Potter, alter Swalker, bist du's wirklich? Komm her und trink; ich weiß noch ganz genau, daß deine kleine Kehle ein ganz verteufelt großes Loch ist!«

Der Angeredete war ein winziges, dürftiges Männlein, an dessen Körper sich kaum ein halbes Pfund Fleisch vermuten ließ. Er sah den Sprecher verwundert an, wobei sich sein kleines Gesichtchen in hundert lachende Falten und Fältchen legte.

»Bill Potter –? Swalker –? – trinken –? großes Loch –? Hihihihi, wo hab' ich nur den Kerl gesehen, der mir so bekannt vorkommt!«

»Wo du mich gesehen hast? Hier, natürlich hier. Streng nur dein Gehirnchen ein bißchen an!«

»Hier? Hm! Kann mich doch nicht gleich besinnen. Bin so oft hier gewesen und mit so verschiedenen Männern, daß ich den einzelnen nicht so schnell aus dem Haufen finden kann. Wie klingt dein Name, he?«

»Donnerwetter, hat der kleine junge hier bei Master Winklay an meiner Seite gesessen und dabei getrunken, daß er zwei Tage lang mit keinem Finger wackeln konnte, und fragt mich jetzt, wie mein Name klingt! Und noch dazu bin ich mit ihm in den Bergen gewesen, wo wir bei Sam Fire – –«

»Stopp, Alter! Hihihihi, jetzt kenne ich dich!« fiel ihm der Kleine hier in die Rede. »Heißest Peter Folter oder Molter, oder Wolter, oder – –«

»Polter, Peter Polter, zuerst Hochbootsmannsmaat auf ihrer englischen Majestät Kriegsschiffe Nelson und dann Steuermann auf dem Vereinigten-Staaten-Klipper ›Swallow‹, wenn du dir es merken willst! Sodann wurde ich ein wenig Westmann und bin – –«

»Weiß – weiß – weiß! Bist ja mit bei uns gewesen und hast mir zu guter Letzt beinahe noch den Tod an den Hals getrunken. Hihihihi, hast eine Gurgel, wie ich noch keine gesehen habe, und kannst trinken wie – wie – wie der alte Vater Missisippi selber. Wo warst du denn nachher, und wo willst du hin?«

»War ein weniges in der Welt herum, und will jetzt wieder zu euch, wenn es dir recht ist.«

»Zu uns? Weshalb?«

»Diese Gentlemen hier haben mit eurem Kapitän oder Colonel zu reden. Wird er auch daheim zu finden sein?«

»Denke es. Wann wollt ihr fort von hier?«

»So bald als möglich. Reitest doch mit, he?«

»Möchte schon, wenn ihr mich nicht zu lange warten laßt!«

»Je eher, desto lieber ist es uns. Iß und trink, alter Schießprügel, und dann mag es vorwärts gehen!«

Ihr könnt euch denken, Mesch'schurs, daß mich diese sonderbaren Männer und Gestalten lebhaft interessierten. Ich hätte gern näheres über sie erfahren, doch ist es im Westen nicht immer geraten, neugierige Fragen auszusprechen. Von Peter Polter hatte ich einmal gehört. Er war, ganz nur zum Zeitvertreib, den Arkansas heraufgekommen und hatte hier bei Winklay die Bekanntschaft einiger Trapper gemacht, denen es ein Spaß gewesen war, den eigentümlichen Kerl mit in die Prairie zu nehmen. Er hatte sich da gar nicht übel benommen und trotz manchen Ulkes, der von ihm losgelassen war, sogar die Teilnahme Old Fire-guns gewonnen. Man hatte ihm trotz seiner Schrullen gut sein müssen und ihn dann, als er wieder nach dem Osten ging, nur ungern fortgelassen.

Jetzt saßen die vier Männer essend und trinkend in meiner Nähe, und ich hörte, daß der Feine den Wirt leise fragte, wer ich sei. Als er Auskunft erhalten hatte, drehte sich Peter Polter, der mit dem Rücken nach mir saß, zu mir um und sagte:

»Ich höre, daß Ihr Indianeragent seid, Sir. Kommt Ihr von den Roten, oder wollt Ihr hin?«

»Ich will hin, Mr. Polter,« antwortete ich.

»Allein?«

»Nein. Diese Boys hier begleiten mich.«

»Den Arkansas aufwärts?«

»Auch nicht. Wir wollen zunächst in die Berge zu Sam Fire-gun reiten.«

»Halloo! Da haben wir ja gleichen Weg! Wollt Ihr mit uns?«

»Ganz gern.«

»So habt die Güte, Euch hier an unsrem Tische vor Anker zu legen! Als Indianeragent seid Ihr ein Gentleman, der den Westen kennt und dem wir Vertrauen schenken können. Wenn Ihr mit uns reitet, müßt Ihr wissen, weshalb wir hier sind und was wir bei Sam Fire-gun wollen. Also kommt herüber und staut Euch fest bei uns!«

Ich setze mich zu ihnen und erfuhr nun folgendes: Derjenige von den dreien, nämlich der Blonde, den ich sogleich für einen Deutschen gehalten hatte, war unten in Van Buren mit einem gleichalterigen Manne zusammengetroffen, der ebenso wie er nach dem Westen wollte; er hatte Wohlgefallen an ihm gefunden und ihm in unvorsichtigem Vertrauen alle seine Verhältnisse und Absichten mitgeteilt. Beide hatten zwei Tage lang zusammen gewohnt und in demselben Zimmer miteinander geschlafen; als Heinrich Wallerstein, denn dieser war es, am dritten Morgen erwachte, war sein neuer Bekannter fort, aber nicht allein, denn er hatte während der Nacht alle Taschen Wallersteins ausgeleert und nicht nur seine Legitimationen und Briefe, sondern auch sein ganzes Geld, seine Uhr und was sonst noch Wert hatte, mitgenommen. Wallerstein war von allen Mitteln entblößt, konnte also nicht weiter, konnte nicht einmal den Wirt bezahlen und wendete sich in seiner Aufregung an die Polizei, deren Bescheid in einem mitleidigen Achselzucken bestand. Als er enttäuscht in sein Gasthaus zurückkehrte, machte ihn der Wirt auf einen Fremden aufmerksam, der eben angekommen war und ihn vielleicht irgendwie unterstützen werde, weil er auch ein Deutscher sei. Dieser Mann war Peter Polter, der Steuermann, der jetzt wieder nach dem Arkansas kam, um sich abermals das Vergnügen zu machen, den Westmann zu spielen. Kaum hörte der brave Seebär von der Not, in welcher sich Wallerstein befand, so war er zu aller möglichen Hilfe bereit, und als er gar das Nähere erfuhr und daß Sam Fire-gun der Oheim Wallersteins sei, da war er ganz entzückt über seinen neuen Bekannten und versprach, den Neffen so schnell wie möglich zu Old Fire-gun zu bringen; denn daß der Dieb auch zu diesem sei, um sich für seinen Neffen auszugeben, daran war nicht zu zweifeln. Eben bestimmten die beiden, daß sie sogleich aufbrechen wollten, als ein Herr eintrat und sich bei dem Wirte nach dem bestohlenen Mr. Wallerstein erkundigte. An diesen gewiesen, brachte er eine Photographie zum Vorschein, zeigte sie ihm und fragte ihn, ob er den Mann kenne; es war das Bild des Diebes. Dieser war ein von der Polizei schon längst und mit Eifer gesuchter Gauner, Fälscher und Betrüger, dessen Spur vor einem halben Jahre nach dem Arkansas geführt hatte, dann aber nicht weiter zu verfolgen gewesen war. Vorgestern sollte er hier in Van Buren wieder gesehen worden sein, und wenn Wallerstein vorhin von der Polizei kurz abgewiesen worden war, so hatte diese doch gleich nach seinem Fortgange das Wiederauftauchen des Verfolgten mit dem neuen Diebstahle in Verbindung gebracht und einen ihrer Beamten mit der Photographie hergeschickt. Dieser Beamte war ein geborener Deutscher, Namens Treskow, der feine Gentleman, den ich vorhin erwähnt habe. Die Unterredung zwischen ihm, Wallerstein und Peter Polter hatte zur Folge, daß der Polizist sich für kurze Zeit entfernte und dann mit der Nachricht zurückkehrte, daß er mit ihnen nach Fort Gibson fahren und dann zu Sam Fire-gun reiten werde, um dem Originale seiner Photographie einen amtlichen Besuch abzustatten. So kamen diese drei nach dem Store und Boardinghouse des Irländers Winklay.

Wie hochinteressant mir diese Angelegenheit war, das läßt sich denken. Ich freute mich, der Begleiter dieser Leute sein zu können, und da sie es sehr eilig hatten, so wurde baldigst aufgebrochen.

Der Weg, den wir einzuschlagen hatten, war ganz genau derselbe, den Dick Hammerdull mit seinen Begleitern vorher geritten war, doch konnten wir ihre Spuren allerdings nicht mehr erkennen.

Peter Polter, der Steuermann, war diesen Weg auch schon geritten, vermochte aber nicht, sich genau auf ihn zu besinnen. Bill Potter erwies sich als ein desto besserer und ausgezeichneter Führer. Das kleine, so zart und schwächlich scheinende Männchen entwickelte einen Scharfsinn, eine Ortskenntnis, eine Ausdauer und Beweglichkeit, welche ihm unser aller Vertrauen gewann.

Wir beeilten uns natürlich so viel wie möglich; aber Wallerstein und Treskow waren keine guten Reiter, und dem Steuermanne machte sein Dakota-Traber soviel zu schaffen, daß er aus dem Ärger gar nicht herauskam. So hatte der Ritt schon einige Tage gedauert, als wir den Schienenstrang der Bahn erreichten, an welchem der Überfall der Ogellallahs stattgefunden hatte. Es war am frühen Morgen, als Bill Potter plötzlich sein Pferd anhielt und aufmerksam in die Ferne schaute.

»Schaut, Mesch'schurs,« rief er, indem er mit dem Arme vorwärts deutete. »Schaut dort in die Luft und dann nieder auf die Erde! Dort oben fliegen die Totengräber, und unten sitzen die Coyotes in der Nähe des Geleises. Dort hat irgend wer den letzten Stich oder die letzte Kugel erhalten. Wollen hoffen, daß es kein Weißer, sondern eine Rothaut gewesen ist, hihihihi. Kommt, laßt uns einmal nachsehen!«

Wir setzten unsre Pferde in Trapp und gelangten auf den Kampfplatz. Die Leichen der Erschlagenen lagen, von Geiern und Wölfen ihres Fleisches beraubt, noch da, wie sie gefallen waren. Die Bahnzüge waren vorübergesaust, ohne daß deren Insassen die Stätte beachtet hatten. Potter untersuchte jede Kleinigkeit genau.

»Lack-a-day,« meinte er endlich; »hier hat ein fürchterlicher Kampf stattgefunden. Seht ihr diese Schienen hier? Sie sind repariert worden. Die roten Halunken haben den Zug überfallen wollen, sind aber von den Weißen daran verhindert worden. Es waren die Ogellallahs; ich sehe es an der Tätowierung. Und diese zerspaltenen Schädel – einen solchen Hieb vermag nur der Colonel, Sam Fire-gun, zu führen. Dick Hammerdull ist dabei gewesen und Pitt Holbers auch. Hier haben sie gestanden, wie gewöhnlich Rücken an Rücken; ich sehe es an den Fußspuren, die tief in die Erde gegraben sind. Dort haben die Feuer gebrannt; da drüben hatten die Indianer ihre Pferde angepflockt – seht ihr die Löcher im Boden? Hihihihi, diese Fußtapfen sollte ich wohl kennen! Ich lasse mir vom ersten besten Grizzly die Hirnschale einbeißen, wenn das nicht der Colonel war mit Dick Hammerdull und Pitt Holbers und – und – wahrhaftig, das ist kein andrer gewesen als Winnetou, der Häuptling der Apatschen!«

Wir mußten über den Scharfsinn und die Sicherheit erstaunen, mit welcher der kleine Jäger aus den verworrenen und schon vielfach verwischten Spuren seine Schlüsse zog. Nachdem er alle vorhandenen Spuren genau betrachtet hatte, kam er zu dem Bescheid:

»Die Weißen haben die Richtung nach dem Hide-spot eingeschlagen, doch will ich wetten, daß die Indsmen sich gesammelt haben und sie nun verfolgen. Das beste ist, Mesch'schurs, wir bleiben auf der Spur!«

Wir stimmten bei und trabten dann munter hinter dem Kleinen her.

»Behold,« rief er nach Verlauf von kaum einer halben Stunde, »habe ich nicht recht gehabt? Hier sind zwei Trupps Pfeilmänner von rechts und links gekommen. Sie haben den Kampfplatz umritten, um die Richtung zu finden, in welcher die Weißen fortgegangen sind, und sich hier vereinigt, um ihnen zu folgen. Der Sand behält die Spuren lang, so daß ich vermute, sie haben einen Vorsprung von mehreren Tagen. Doch sind unsre Pferde gut, und sie haben jedenfalls Verwundete bei sich, die einen schnellen Ritt nicht vertragen können. Wir holen sie noch ein, ehe sie das Lager Fire-guns erreichen.«

Wieder ging es vorwärts, nicht bloß Stunden, sondern Tage lang und immer auf der aufgefundenen Spur, die bald deutlich erkennbar war, bald sich wieder auf dem harten Gestein oder im weichen Grase verlor, stets aber von Bill Potter wiedergefunden wurde.

So gelangten wir in jene Gegend, wo der Arkansas-River einen weiten Bogen nach den Smoky Hills beschreibt und zahlreiche Bäche ihm von den Bergen herab entgegenströmen.

Die offene Prairie ging durch weit ausgebreitetes Gebüsch nach und nach in den hochstämmigen Urwald über, und der Führer unsrer Gesellschaft wurde von Minute zu Minute vorsichtiger, da die Spur, welcher wir folgten, sich immer jünger zeigte und wir hinter jedem Baume auf einen der Wilden stoßen konnten.

Da plötzlich hielt Bill Potter an und unterwarf den weichen, moosigen Boden einer sehr sorgfältigen und genauen Prüfung.

»Wahrhaftig, hier kommen die Spuren weißer Männer aus dem Walde. Sie sind mit den Wilden zusammengetroffen, ohne daß ein Kampf stattgefunden hat. Seht her, hier in diesem Kreise haben die beiden gegenseitigen Anführer gestanden und miteinander verhandelt; dann ist das Calummet, die Friedenspfeife, herumgegangen; ihr seht es hier an dem kleinen Rest von Punks, der halb verkohlt am Boden liegt. Es ist jedenfalls eine Schar Bushhawkers gewesen, die sich mit den Roten vereinigt hat, um unser Lager ausfindig zu machen, es zu überfallen und sich in die Beute zu teilen.«

»Mille tonnere – Millionen-Schock-Backborddonnerwetter,« fuhr Peter Polter auf; »da werde ich einmal mit diesen meinen guten Fäusten dreinfahren, daß die Weißen rot und die Roten vor Schreck weiß werden! Wenn mich die Luft nicht trügt, so haben wir gar nicht mehr weit zu segeln, um in dem Lager vor Anker zu gehen. Aber was thun wir hier mit unsern vierbeinigen Fahrzeugen? Ich habe das meinige satt bis an den Hals herauf; es schüttelt und schlingert mich hin und her, daß mir der Verstand im Kopfe wehe thut und meine zweihundertachtunddreißig Knochen alle einzeln hinunter in die Stiefeln rutschen!«

Potter lachte über dieses klägliche Lamento des wackeren Seemannes und antwortete:

»Will's gern glauben, Master; du sitz'st ja auch zu Pferde, als solltest du zu Eierkuchen verbacken werden! Die Tiere können wir allerdings nicht weiter mitnehmen; sie sind uns hinderlich. Aber ich weiß einen Ort, wo wir sie verstecken können, ohne daß ein Indsman sie zu finden vermag. Kommt, Mesch'schurs!«

Er wandte sich seitwärts in den Wald. Nach vieler Mühe, welche uns das Durchdringen des dichten Unterholzes bereitete, gelangten wir auf eine kleine, freie und tief versteckte Blöße, auf welcher wir die Pferde anhobbelten. Dann kehrten wir zu der Stelle zurück, wo wir die Spur verlassen hatten.

Wir folgten derselben weiter, und zwar mit außerordentlicher Vorsicht und Behutsamkeit, das Bowiemesser gelockert und die Büchse im Anschlage zum Schusse bereit. Da plötzlich hielt Potter still und lauschte.

»Horcht, ihr Männer! Klang das nicht wie das Schnauben eines Pferdes?«

Auch die andern hielten die leisen Schritte an und horchten in die tiefste Stille des Urwaldes hinein. Ein leises Wiehern erklang von der Seite her.

»Entweder haben sie sich dort gelagert, oder die Tiere zurückgelassen, um schneller vorwärts zu kommen. Das verteufelte Viehzeug wird uns wittern und verraten. Wir müssen ihnen den Wind abgewinnen!«

Er legte sich zur Erde und bewegte sich kriechend in einem weiten Bogen. Die andern folgten seinem Beispiel. Nach einiger Zeit gab er uns ein Zeichen, alles Geräusch zu vermeiden, und deutete zwischen die Büsche hindurch nach einem freien Platze, der vor uns lag. Dort weideten gegen dreißig Pferde, bewacht von zwei Indianern.

»Seht ihr die roten Halunken, Mesch'schurs? Ich hätte große Lust, sie mein Messer fühlen zu lassen und die Pferde in alle Winde zu jagen, hihihihi. Aber es geht nicht. Wir dürfen uns nicht verraten. Vorwärts; wir müssen so bald als möglich an sie kommen, aber nicht auf der Fährte, sondern von der Seite!«

Der kleine Mann wand sich mit der Geschicklichkeit und Geräuschlosigkeit einer Schlange durch das Dickicht. Der Weg war ein furchtbar beschwerlicher. Stunden vergingen; der Abend begann unter den hochgewölbten Baumkronen eher zu dunkeln, als draußen in der offenen Prairie, und es wurde immer schwerer, die eingeschlagene Richtung einzuhalten. Da hob Potter den Kopf und sog mit weitgeöffneten Nüstern die Luft ein.

»Das riecht nach Brand und Rauch. Sie haben Lager gemacht. Vorwärts, aber leise, leise, denn wir sind jetzt ganz nahe bei ihnen!«

Das Unterholz war jetzt gewichen, und die gigantischen Stämme ragten frei, wie die Säulen eines gewaltigen, grünbedachten Tempels, zu der dichten Kronendecke empor. Wir Männer krochen von einem Baum zum andern auf dem Bauche und suchten dann stets hinter den dicken Baumstämmen so lange Deckung, bis wir uns überzeugt hatten, daß man uns nicht bemerkt habe und unsere nächste Umgebung noch frei von Gefahren sei.

So gelangten wir an den Rand eines Gutter, wie der Hinterwälder die rißartigen Vertiefungen nennt, weiche, lang, schmal und tief geschnitten, sich oft im dichtesten Urwalde zeigen. Potter schob vorsichtig den Kopf vor und blickte hinab. Grad unter uns, in einer Tiefe von ungefähr vierzig Fuß brannte ein Feuer, um welches wohl um die fünfzig rote und weiße Männer saßen, während seitwärts von ihnen und von ihren scharfen Blicken bewacht, drei Gestalten lagen, die an Händen und Füßen gebunden waren. Es hatten sich also mit der weißen Gesellschaft des ›Kapitäns‹ nicht alle Ogellallahs vereinigt, die dem Kampfe entronnen waren.

»At length, da haben wir sie!« meinte der kleine Trapper. »Und sie ahnen nicht, daß sie von oben so prächtig beguckt werden, hihihihi! Aber wer sind denn die drei Leute dort? Schiebt euch ein wenig weiter vorwärts, Mesch'schurs, bis dort zu den Farnkrautbüscheln; da können wir die Gesichter sehen!«

Ein dichtes Farngesträuch trat bis an den Rand des Gutter heran und gestattete uns, so vollständig uns hier zu verbergen, daß wir unmöglich gesehen werden konnten.

»Zounds,« flüsterte Potter, als er jetzt den Blick wieder hinabwarf, »es ist der Colonel mit Pitt Holbers und Dick Hammerdull, die sie überfallen und gefangen genommen haben!«

»Der Colonel?« fragte der Steuermann, indem er den Kopf zwischen die breiten Blätter hindurchsteckte; »heavens -vraiment – wahrhaftig! Soll ich hinunterspringen und ihn mit meinen beiden Fäusten aus der Patsche herausfischen, Bill?«

»Warte noch ein wenig, Alter; wollen erst sehen, was da eigentlich vorgehen soll! Siehst du nicht, daß die Schufte sich nur so eng zusammengethan haben, um über das Schicksal der Gefangenen zu beraten? Dort der schwarzbärtige Jäger führt den Vorsitz; die Ogellallahs leiden das; ihr Häuptling muß also dort an der Bahn mit gefallen sein. Schaut, jetzt sind sie fertig, und der Anführer erhebt sich!«

Es war so, wie er sagte. Einer von den weißen Jägern, der allem Anscheine nach den Anführer machte, war aufgestanden und zu den Gefangenen getreten. Er löste die Fesseln, welche ihre Füße umschlungen hielten, und gab ihnen einen Wink, sich zu erheben. Als ich den Blick schärfer auf ihn warf, erkannte ich in ihm das Original von der Photographie, welche Treskow besaß. Er gebot den Gefangenen in befehlendem Tone:

»Steht auf, und vernehmt, was über euch beschlossen ist!«

Die drei Männer folgten dieser Aufforderung.

»Ihr seid Sam Fire-gun, der Anführer der Jäger, die hier im Walde ihr verborgenes Lager haben?«

Der Angeredete nickte zustimmend.

»Ihr habt Matto Sih, den Häuptling dieser braven redmen, erschlagen?«

Ein gleiches Nicken war die Antwort.

»Man sagt, daß Ihr viel Gold von den Bergen herab in Euer Versteck geschafft habt. Ist das wahr?«

»Sehr viel!«

»Und daß Ihr mehrere Tausend Biberfelle in Eurem Verstecke liegen habt?«

»Well, Master, Ihr seid gut unterrichtet.«

»So hört, was ich Euch zu sagen habe: Diese roten Männer verlangen Euren Tod. Ich habe ihnen denselben zwar zugestanden, aber sie verstehen unsre Sprache nicht, und ich will Euch daher einen Vorschlag machen.«

»Redet!«

»Ihr führt uns in Euer Versteck, gebt uns das Gold und die Häute und seid dann frei!«

»Ist das alles, was Ihr von uns wollt?«

»Alles. Entscheidet schnell!«

»Ihr scheint verteufelt wenig von Sam Fire-gun gehört zu haben, Master, daß Ihr mir einen so albernen Vorschlag machen könnt. Ihr habt Euch mit den roten Schuften, die Ihr also an Schurkerei noch übertrefft, nur verbunden, um meines Goldes willen – ein Weißer mit Roten gegen Weiße; verdammt soll Eure Seele sein für diese Schlechtigkeit in alle Ewigkeit! Oder haltet Ihr mich wirklich für so dumm, zu glauben, daß Ihr uns frei lassen werdet, wenn Ihr habt, was Ihr begehrt?«

»Ich halte mein Wort, verbitte mir aber alle weitere Beleidigung!«

»Das macht einem Greenhorn weis, aber nicht mir! Ihr wißt nur zu gut, daß ich meine Freiheit nur benutzen würde, um Euch vor die Büchse zu bekommen und den Raub wieder abzunehmen. Schießt uns nieder, wenn Ihr das Herz dazu habt!«

Vielleicht wußte Sam Fire-gun, weshalb er so mutig reden durfte. Sein Auge hatte, während er sprach, sich zum Rande der Schlucht erhoben, denselben mit einem blitzschnellen und scharfen Blicke gemustert und sich dann ebenso rasch wieder gesenkt. Ein kaum bemerkbares befriedigtes Lächeln glitt um seine Lippen.

Dieser Blick war dem aufmerksamen Polizistenauge Treskows nicht entgangen; er sah hinüber nach der Stelle, wo das Auge des Colonels zuletzt gehangen hatte, und fuhr unwillkürlich zusammen.

»Schaut da hinüber,« flüsterte er Bill Potter zu, welcher neben ihm lag; »ich sehe den Kopf eines Wilden!«

Der Angeredete folgte der Weisung und flüsterte dann:

»Good lack, das ist bei Gott Winnetou, der Apatsche!

Dachte ich es doch, daß er mit bei dem Colonel gewesen ist! Er wurde nicht mit gefangen und ist ihnen gefolgt, um sie zu befreien. Ich muß ihm unser Zeichen geben!«

Er nahm ein Blatt an die Lippen und ließ das Zirpen der amerikanischen Grille vernehmen. Dieser Laut konnte den Feinden unmöglich auffallen, da diese Art von Heimchen sich sehr oft hören läßt. Winnetou aber warf einen erstaunten Blick herüber und war dann verschwunden. Auch die drei Jäger hatten aufgehorcht, verrieten sich aber nicht durch die geringste Bewegung ihrer Mienen.

»Schießen?« fragte der Kapitän, die Achsel zuckend. »Was bildet Ihr Euch ein! Ich muß Euch den Indsmen übergeben, und die werden Euch an den Marterpfahl binden. Euer Gold und die Felle bekommen wir trotzdem. Es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir nicht eine Spur von Euren Leuten entdeckten. Also nehmt Verstand an, Master, und sagt ja!«

»Fällt mir nicht ein! Ich mag nichts, auch das Leben nicht, von einem Manne geschenkt haben, der seine Brüder hinterrücks überfällt und an die Feinde verkauft, von einem Manne, der sich für meinen Neffen ausgiebt und uns dann überfällt. Ihr seid ein Halunke, Master, merkt Euch das!«

»Wahrt Eure Zunge, sonst hole ich sie mit meinem Messer heraus, noch ehe ich Euch den Roten übergebe!«

»Beweist, daß Ihr besser seid, als ich denke! Gebt uns die Waffen zurück und laßt uns kämpfen, drei gegen fünfzig, wenn Ihr kein Weib, sondern ein richtiger Westmann seid!«

»Ist nicht notwendig, Master, wir blasen Euch auch ohne Kampf die Seele aus der Haut. Und was den ›Halunken‹ betrifft, so zupft Euch am eigenen Ohre. Darüber wollen wir nicht streiten! Also, kurz und bündig: Nehmt Ihr meinen Vorschlag an oder nicht?«

»Nein!«

»Und ihr andern beide?«

»Hm,« antwortete Dick Hammerdull mit verächtlichem Blinzeln seiner kleinen Äuglein, »ob wir ihn annehmen oder nicht, das bleibt sich gleich; für Euch kommt auf keine Weise etwas Gutes heraus, das könnt Ihr glauben! Hätte ich nur meine Hände frei und meine Büchse in der Faust, so sollte Euch der Teufel holen! Oder meinst du nicht, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, Dick, daß er ihn holen soll,« antwortete der Lange, »so habe ich nicht das mindeste dagegen!«

»Well done,« antwortete der Jäger mit zornigem Leuchten seiner Augen; »so mögen euch die Roten spießen und braten, ganz wie es euch beliebt! Aber um euch eine Freude zu machen, will ich euch sagen, daß ihr uns euer verstecktes Lager gar nicht zu zeigen braucht. Wir haben es entdeckt.«

Er ließ sich bei den Indianern nieder, um ihnen das Ergebnis der Verhandlung mitzuteilen.

Während dieser letzteren hatte im Schutze des Farngestrüpps bei uns ein leises aber außerordentlich bewegtes Gespräch stattgefunden.

»Also der, welcher jetzt spricht, ist Euer Colonel?« fragte Wallerstein Bill Potter.

»Ja, Sir, Euer Onkel, wenn das wahr ist, was Ihr mir erzählt habt.«

»Er ist's, Ihr könnt es glauben. Er ist dem Vater so ähnlich, daß kein Zweifel übrig bleibt. Und nun ich ihn endlich treffe, ist er verloren! Giebt es keine Hilfe, Bill?«

»Hört, Sir, wenn Ihr denkt, daß ich meinen Colonel stecken lasse, so habt Ihr Euch in mir verrechnet. Kann ich auf Euch zählen, Mesch'schurs?«

Wir nickten nur; Peter Polter aber meinte:

»Ich will hier liegen bleiben und verhungern wie ein altes Wrack, wenn ich den Kerl da unten, der mit dem Colonel spricht, nicht zwischen meine zehn Finger nehme und zu Hafergrütze quetsche. Aber nehmt doch einmal die Photographie aus Eurem Beutel, Master Lieutenant! Das Feuer brennt hell genug zu einem Blick darauf. Ich lasse mich auf der Stelle kielholen, wenn er nicht genau so ein Gesicht macht wie Euer Bild!«

»Ich brauche die Photographie nicht, Peter; er ist's; ich habe ihn erkannt,« antwortete Treskow. »Sehen Sie sich den Kerl einmal an, Herr Wallerstein, ob er es nicht ist!«

»Er ist es! Es ist kein Zweifel möglich; aber so nahe am Ziele, wird er uns doch entgehen!«

»Das wartet ab, Sir!« antwortete Potter. »Der Colonel hat mein Zeichen gehört und weiß, daß Hilfe in der Nähe ist. Hat er nur erst die Hände frei, so sollt Ihr sehen, was die Schurken zu schmecken bekommen!«

Da raschelte es leise hinter uns. Die geschmeidige Gestalt des Apatschen schob sich zwischen uns herbei.

»Winnetou hat vernommen die Grille und erkannt das Gesicht von Bill, dem Manne seines weißen Bruders. Er wird schleichen zum Gutter und lösen die Bande seiner Freunde. Dann mögen meine Brüder hier hinunterspringen und sich stürzen auf die Jäger und Ogellallahs, um zu folgen Sam Fire-gun nach seinem Wigwam!«

So schnell er gekommen, so behend war er auch wieder fort. Mit scharfem Auge bewachten wir das feindliche Lager und hielten uns zum eigentlichen Angriffe bereit.

Jetzt erhob sich der feindliche Anführer wieder und mit ihm die sämtlichen Weißen und Wilden. Aber ehe er noch ein Wort gesprochen hatte, schnellte sich eine dunkle Gestalt durch das ringsum wuchernde Gestrüpp und Gedorn bis zu den Gefangenen. Das war Winnetou.

Drei Schnitte – und ihre Hände waren von den Fesseln befreit – acht Schüsse krachten von uns oben herab – noch acht – Sam Fire-gun hatte keine Zeit, das weitere zu beachten; er entriß dem ihm zunächst stehenden Indianer den Tomahawk und stürzte sich in den Schwarm der tödlich überraschten Feinde.

»Come on, drauf, drauf!« klang seine Stimme, während Winnetou an seiner Seite unter den Ogellallahs mähte.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du den Kerl dort, der meine Büchse hat?« rief Dick Hammerdull triumphierend. »Komm, ich muß sie haben!«

Die beiden Unzertrennlichen drangen vor, bis der Dicke seinen geliebten Schießprügel zurückerobert hatte. Peter Polter, der Steuermann, war wie eine Lawine mitten unter die erschrockenen Gegner hineingekracht. Er wollte sein Wort halten. Mit seinen Bärenfäusten faßte er ihren Anführer bei Schenkel und Genick, hob ihn hoch in die Luft empor, schmetterte ihn zur Erde, daß es dröhnte, und stieß ihm dann das Messer in die Brust.

»Bounce, abgethan! Weiter, ihr Männer, schlagt, haut, stecht, schießt, prügelt sie, werft sie über Bord, daß sie ersaufen, quetscht sie tot, hurra – hurra!«

Während der wackere Seemann in dieser Weise seinem Herzen Luft machte, thaten auch Wallerstein und Treskow ihre Schuldigkeit. Es war der erste Kampf, an dem sie teilnahmen, und zwar zugleich ein furchtbarer, der ihnen das Leben im wilden Westen von der dunkelsten Seite zeigte. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich und meine Boys auch thaten, was wir konnten, denn wir waren ebenso schnell wie die andern hinunter in das Gutter gesprungen und gebrauchten unsre Waffen nach Kräften.

Die Feinde waren an Zahl fast fünffach überlegen, aber durch die Überraschung zu Schaden gekommen, denn ehe sie sich auf den Widerstand besannen, lag bereits die Hälfte von ihnen am Boden. Wie in jener Nacht des Überfalles an der Eisenbahn wütete der Tomahawk Sam Fire-guns unter den Gegnern; Winnetou fand nicht weniger Opfer, und Hammerdull stand Rücken an Rücken mit Pitt Holbers im dichtesten Gewühl. Der Steuermann fuhr in der Schlucht herum wie eine losgelassene Furie; der kleine Bill Potter hatte sich am Eingange derselben zwischen die Büsche gesteckt, aus welchen er, jede Flucht zurückweisend, seine Schüsse sandte, und Treskow und Wallerstein zeigten sich nicht weniger mutig.

Nach wenigen Minuten des Kampfes waren die Angreifer Sieger; sämtliche weiße Gegner lagen tot an der Erde, und nur einigen gewandten Indianern war es gelungen, zu entkommen.

Sam Fire-gun war nicht der Mann, lange Fragen über seine wunderbare Rettung auszusprechen, wo es jetzt galt, den Sieg zu benutzen.

»Vorwärts, Leute, zu den Pferden,« rief er, »damit sie uns nicht verloren gehen! Die Indsmen haben Wächter bei den Tieren, die wir überrumpeln müssen. Aber nicht alle sind nötig; einige von euch können hier bleiben!«

Er eilte mit denen, die ihm folgten, fort. Wir andern setzten uns nieder. Unsre Lage war keineswegs sicher, denn die entflohenen Roten konnten zurückkehren und sich aus sicherer Entfernung mit Schüssen rächen. Aber es geschah nichts dem Ähnliches. Wir horchten gespannt in die Nacht hinaus; es ließ sich nichts Verdächtiges vernehmen, und das erste Geräusch, welches die nach dem Kampfe eingetretene Stille störte, war ein freundliches: Die Büsche raschelten; Äste krachten und Zweige knickten; die Gefährten kehrten mit ihren und den erbeuteten Pferden zurück, nachdem sie die bei den letzteren zurückgebliebene Wache überwunden hatten. Bill Potter hatte auch sein eignes Tier und die unsrigen nicht vergessen und sie mit herbeigebracht.

»Pitt Holbers, altes Coon, siehst du, daß ich meine alte Stute wieder habe?« fragte der glückliche Hammerdull.

»Hm, wenn du denkst, daß ich sie sehe, so habe ich nichts dagegen; aber by god, es hätte nicht viel gefehlt, so wäre es mit dir und ihr ausgewesen!«

»Ob aus oder nicht, das bleibt sich gleich; aber ich möchte doch nur wissen, wer die Männer sind, die mit dem kleinen Polter uns – – ' sdeath, ist das nicht der verteufelte Steuermann aus Germany da drüben, der so große Fäuste hat und so fürchterlich trinken kann?«

»Freilich bin ich's, alte Schmertonne du! Kennst mich also doch noch, he? Bin mit Master Treskow und Master Wallerstein wieder herübergekommen, weil – –«

»Master Wallerstein?« fragte da rasch Sam Fire-gun. »Peter Polter –? Wahrhaftig, du bist's wieder! Was willst du wieder in der Savanne, und was ist es mit deinem Master Wallerstein?«

»Das ist dieser Sir hier, Colonel, der mit dem Herrn Treskow gekommen ist, um seinen Onkel aufzusuchen!«

»Dieser Sir –?«

Er trat einen Schritt zurück, warf einen langen, forschenden Blick auf seinen Neffen, streckte ihm dann beide Arme entgegen und rief aus:

»Das ist kein Falscher, nein; ich kenne diese Züge. Heinrich, mein Neffe, willkommen, tausendmal willkommen!«

Die beiden so nahen und einander doch so entfernt gewesenen Verwandten lagen einander lange, lange in den Armen, und die andern standen schweigend in der Nähe, bis der Colonel, der für sich keine Furcht kannte, durch die Gegenwart des teuren Befreundeten auf die Gefahr hingewiesen wurde, in der sie noch immer standen. Er ließ ihn frei und gebot:

»Hier ist nicht der Ort zu Fragen und Erklärungen. Auf, nach dem Lager, das ganz in der Nähe liegt. Dort können wir das Willkommen samt unsrer Rettung feiern und die Wunden verbinden, die wir davongetragen haben!«

»Ja, auf nach dem Lager!« rief auch der Steuermann. »Dort wird sich wohl ein guter Tropfen finden lassen, nicht nur für unsre Wunden, sondern auch für meinen Magen, dem er wahrscheinlich noch viel nötiger ist!« – –

Wir nahmen die Pferde bei den Zügeln, jeder so viele, daß wir sie alle fortbrachten. Wir mußten sie führen, denn reiten konnten wir bei der jetzt herrschenden Dunkelheit im Walde nicht. Diejenigen, welche hier bekannt waren, gingen voran; wir andern folgten hinterdrein, immer zwischen den weit auseinanderstehenden Riesenstämmen und unter dem dichten Wipfeldach dahin. Dann wurden wir zwischen vielgewundenen Felsenkrümmungen, die ein Labyrinth bildeten, hindurchgeführt, in dem sich selbst am Tage nur jemand, der es genau kannte, zurechtfinden konnte, und endlich gelangten wir in einen runden Felsenkessel, welcher den geheimen Lagerplatz der Trapper- und Goldsuchergesellschaft des Colonel bildete.

Dieser Ort war außerordentlich gut für einen solchen Zweck geeignet, sehr, sehr schwer zu finden und dabei ebenso leicht gegen einen Angriff zu verteidigen. Es brannten da mehrere Feuer, um welche eine ganze Anzahl von Westmännern saß, die zur Gesellschaft gehörten und uns hoch erfreut willkommen hießen. Sie hatten keine Ahnung davon, was ihr Colonel und die mit ihm kommenden Kameraden und andern Männer in den letzten Tagen erlebt hatten. Wir wurden, so weit es hier möglich war, im höchsten Grade gastfreundlich bewirtet, und dabei hörten sie, was geschehen war und was für eine Gefahr ihrem Lager gedroht hatte. Sie nahmen sich vor, gleich mit Tagesanbruch nach dem Gutter zu gehen, die Gefallenen noch einmal genauer zu untersuchen und dann die ganze Umgegend von den etwa da noch umherstreifenden Roten zu befreien. Die ganze Gesellschaft des ›Kapitäns‹ hatte ein grausiges Ende gefunden und mit ihr er selbst durch das Messer des Steuermannes. Es blieb Treskow nichts andres übrig, als nach Van Buren mit dem Bescheide zurückzukehren, daß er den so lange Gesuchten zwar gefunden habe, aber ihn nicht mitbringen könne, weil er ›ausgelöscht‹ worden sei.

Es versteht sich ganz von selbst, daß Wallerstein seinem toten Doppelgänger gleich nach dem Kampfe alles abgenommen hatte, was ihm von demselben gestohlen worden war. Was weiter geschah, gehört nicht hierher. Meine Geschichte ist zu Ende.« –


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