Karl May
Ein Abenteuer auf Ceylon
Karl May

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1.

Neben mir lehnte Sir John Emery Walpole. Er bemerkte von Alledem, was ich sah, nicht das Geringste. Die herrlichen Tinten, in denen der Himmel glühte, das strahlendurchblitzte Krystall der See, das erquickende Balsam der sich abkühlenden Lüfte, die bunte, interessante Bewegung auf dem vor uns ausgebreiteten kostbaren Fleckchen Erde, sie gingen ihm verloren, sie waren ihm gleichgültig, sie durften es nicht wagen, seine Sinne auch nur einen Augenblick lang in Anspruch zu nehmen.

Und warum? Wunderbare Frage! Was war denn eigentlich dieses Ceylon? Ein Eiland mit einigen Menschen, einigen Thieren und einigen Pflanzen darauf und rund herum von Wasser umgeben. Was ist das weiter? Etwas Wunderbares oder gar Sehenswerthes gewiß nicht! Was ist Point de Galle gegen London, was ist der Gouverneur zu Colombo gegen die Königin Viktoria, was ist Ceylon gegen Altengland, was ist die ganze Welt gegen Walpole-Castle, wo Sir John Emery geboren worden ist?!

Der gute, ehrenwerthe Sir John war ein Engländer im Superlativ. Besitzer eines unermeßlichen Vermögens, hatte er noch nie daran gedacht, sich zu verehelichen, sondern war einer jener schweigsamen, zugeknöpften Englischmens, welche alle Winkel der Erde durchstöbern, selbst die entferntesten Länder unsicher machen, die größten Gefahren und Abenteuer mit unendlichem Gleichmuthe bestehen und müde und übersättigt endlich die Heimath wieder aufsuchen, um als Mitglied irgend eines berühmten Reiseclubbs einsilbige Bemerkungen über die gehabten Erlebnisse machen zu dürfen. Er hatte den Spleen in einem solchen Grade, daß seine lange, schmächtige, dabei aber außerordentlich kraftvolle Persönlichkeit nur in höchst seltenen Augenblicken einen kleinen Anflug von Genießbarkeit zeigte, besaß dabei aber ein sehr gutes Herz, welches stets gern bereit war, die kleinen und großen Seltsamkeiten, in denen er sich zu gefallen pflegte, wieder auszugleichen. Nachdem er aller Herren Länder bereist hatte, war er zuletzt nach Indien gekommen, dessen General-Gouverneur ein naher Verwandter von ihm war, hatte es in den verschiedensten Richtungen durchstreift, war auch schon einige Male auf Ceylon gewesen und im Auftrage des Gouverneurs jetzt wieder hergekommen, um sich wichtiger Botschaften an den Statthalter zu entledigen. Ich hatte mich ihm angeschlossen, weil seine Erfahrungen und Connexionen mir von großem Nutzen sein konnten und war ihm so lieb und befreundet geworden, daß er trotz seiner scheinbaren Unnahbarkeit eine wahrhaft brüderliche Zuneigung für mich an den Tag legte.

Jetzt also lehnte er, völlig unberührt von den uns umgebenden Naturreizen, neben mir und beschielte den goldenen Klemmer, welcher ihm vorn auf der äußersten Nasenspitze saß, mit einer Ausdauer, als wolle er an dem Sehinstrumente irgend eine wichtige weltgeschichtliche Entdeckung machen. Da fiel mir ein Zug von eingeborenen Soldaten auf, welcher sich einem weit in die See hinaustretenden Felsen näherte. An seiner Spitze schritt, von zwei Bewaffneten sorgfältig bewacht, ein an den Händen gefesselter Mann, seiner Kleidung nach ein Singhalese. Jedenfalls lag hier eine Execution vor und da ich das lebhafte Interesse, welches mein Gefährte für so etwas hegte, kannte, so machte ich den Versuch, ihn aus seiner welterschütternden Betrachtung aufzustören.

»Wollt Ihr nicht einmal dort hinüber schauen, Sir Wolpole? Ich glaube, es wird Einer in's Wasser geworfen?«

»Well. Laßt ihn ruhig ersaufen, Charley!«

Er hatte das Auge nicht von dem Klemmer gewandt und studirte mit unverändertem Eifer an demselben weiter.

»Was muß der arme Teufel nur verbrochen haben? Es sind ihm beide Arme zusammengeschnürt.«

»Gefesselt ist er?« frug Sir John, dessen Theilnahme durch die letztere Bemerkung erregt wurde. »Pfui, das ist feig und elend! Das würde man in Altengland nicht thun!«

»Ihr habt sehr Recht; der Britte ist in jeder Beziehung nobel! Wenn er Einen hängt, so läßt er ihn wenigstens mit freien Gliedern sterben. Die Barbarei aber kennt solche menschliche Rücksichten nicht. Seht nur, welche Menge von Wächtern den armen Kerl begleitet!«

Er warf jetzt wirklich einen Blick über das Brillengestell hinüber nach dem Orte, den ihm meine ausgestreckte Hand bezeichnete. Ich erwartete eine seiner gleichgültigen Bemerkungen, hatte mich aber diesmal getäuscht, denn seine Rechte fuhr empor, um den Klemmer näher an das Auge zu bringen und als das Gesicht durch die Manipulation noch nicht die gewünschte Schärfe erhielt, öffnete er das über seiner Brust hängende Etui, zog das darin befindliche Fernrohr hervor und richtete es auf den Delinquenten. Es mußte ihm irgend Etwas an demselben aufgefallen sein.

»Wollen wir wetten, Charley?« frug er nach einiger Zeit, während welcher seine Mienen eine immer größer werdende Spannung angenommen hatten. Der Engländer liebt das Wetten und Sir John war sogar leidenschaftlich für dasselbe eingenommen. Schon unzählige Male hatte er versucht, mich zu einer Wette zu bringen, leider aber immer vergebens.

»Worüber?«

»Daß sich dieser Mann nicht ertränken läßt.«

»Ah!«

»Nicht wahr, das klingt unmöglich? Ich setze hundert Souvereign's!«

»Ihr wißt, Sir, daß ich nicht wette.«

»Ja, das ist wahr! Ihr seid ein prächtiger Kerl, Charley, aber bis zum vollkommenen Gentleman habt Ihr's doch noch nicht gebracht, sonst würdet Ihr Euch nicht weigern, einmal einen guten Einsatz anzunehmen. Ich werde Euch aber doch beweisen, daß ich die Wette gewinnen würde!«

Der Zug war jetzt auf dem Felsenvorsprunge angekommen. Der Engländer steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen scharfen, durchdringenden Pfiff erschallen, welcher weithin zu vernehmen war. Auch der Verurtheilte hörte ihn. Mit einer raschen Bewegung hob er den tiefgesenkten Kopf und blickte nach dem Leuchtthurm hinauf. Walpole riß den weißen Ueberwurf von der Schulter, schwenkte ihn durch die Luft und stieß einen zweiten Pfiff hervor.

Die Wirkung war eine augenblickliche und überraschende. Der zum Tode des Ertrinkens Verurtheilte schnellte sich durch die ihn umstehenden Soldaten bis an den Rand der Klippe und stürzte sich in die Fluthen des Meeres hinab.

»Seht Ihr's, Charley, daß ich gewinnen würde? Es ist Walawi, mein früherer Diener, der beste Taucher und Schwimmer auf dieser langweiligen Insel, was aber der brave Mudellier, der ihn verurtheilt hat, nicht zu wissen scheint. Er muß übrigens etwas verteufelt Schlimmes begangen haben, denn diese Districtverwalter lassen jeden Eingeborenen durchschlüpfen, wenn es nur irgend möglich zu machen ist. Sie sind ja selbst ausschließlich Singhalesen. Seht, jetzt taucht er empor; die gebundenen Arme geniren ihn nicht; er schwimmt auf dem Rücken; er kommt grad auf den Leuchtthurm zu!«

Der sonst so wortkarge Mann war mit einem Male außerordentlich lebendig geworden. Er verfolgte jede Bewegung des Schwimmenden mit ungewöhnlicher Spannung, focht mit den Händen hin und her, als könne er ihm dadurch behülflich sein und machte mir dabei die nothwendigen Erklärungen.

»Wie er stößt, wie schnell er vorwärts kommt! Er wird verfolgt. Aber ehe die Soldaten den Umweg von der Klippe bis zum Leuchtthurm gemacht haben, ist er längst hier. Ich kenne ihn. Wir sind mit einander über den Kalina-Ganga, über den Kalu-Ganga und sogar über den reißenden Mehavella-Ganga geschwommen. Er war früher Perlfischer auf den Bänken von Negombo und ist nur mir zu Liebe mit in das Innere der Insel gegangen. Ich erkannte ihn gleich und werde ihn retten. Da, da hat er das Ufer erreicht! Es ist ein Glück, daß kein Haifisch in der Nähe war, sonst hätte er wegen der gefesselten Arme einen schweren Stand gehabt. Kommt, Charley, wir gehen ihm entgegen! Er hat mich erkannt und kommt herbei.«

Es war so. Walawi war ans Land gestiegen und kam zu der Plattform, auf welcher sich die schlanke Säule des eisernen Thurmes erhob, eiligen Laufes heraufgesprungen. Wir stiegen schnell die Treppe hinab und stießen unten an der Thür mit ihm zusammen.

»Wischnu segne Euch, Sihdi,« grüßte er athemlos. »Ich war dem Tode nahe; sie wollten mir die Beine noch fesseln und die Augen verbinden. Ihr aber seid ein Radscha, ein Herr, ein Maharadscha, ein großer Herr und werdet Walawi, Euren treuen Diener retten!«

»Ja, das werde ich thun!« antwortete Wolpole, indem er sein Messer hervorzog und die Baststricke, mit denen der Singhalese gebunden war, durchschnitt. »Was hast Du verbrochen?«

»O Nichts, Nichts, Herr, fast gar Nichts. Mein Kris war sehr scharf und spitz und ist Einem in's Herz gefahren, weil er mir mein Weib, die Blume und das Glück meines Lebens, rauben wollte.«

»Alle Teufel, Mensch, das ist schon Etwas mehr als Nichts! Hast Du ihn getödtet?«

»Ja.«

»Was war er?«

»Er hieß Hong-Tsche und war ein Chinese.«

»Blos ein Chinese? Das ist gut! Wollte er Deine Frau für sich?«

»Nein, sondern für seinen Kapitän, der sie am Strande gesehen hat. Er lag mit seiner Dschonke im Hafen; ich sehe sie nicht mehr; sie muß abgesegelt sein!«

»Ich weiß genug! Du kennst das Hôtel Madras?«

»Wie sollte ich nicht? Ihr habt ja zweimal daselbst gewohnt!«

»Ich wohne wieder da. Verbirg Dich jetzt; dort kommen schon Deine Verfolger. In einer Stunde aber suchst Du mich auf!«

»O Sihdi, Herr, wie soll ich Euch danken? Ich habe mein Leben wieder und darf mein Weib umarmen. Wischnu, der Gütige, möge Euch lohnen!«

Er faßte die Hände des Engländers und drückte sie an seine Stirn. Dann sprang er mit der Geschmeidigkeit einer Katze davon.

Es war die höchste Zeit für ihn, denn die Soldaten befanden sich schon in der Nähe und eine Menge Volkes, welches auf die Flucht aufmerksam geworden war, kam herbeigelaufen. Ich war einigermaßen besorgt über den Verlauf, den die Sache nehmen werde. Wolpole aber trat den Verfolgern, deren Anführer uns jetzt erreicht hatte, mit seinem gewöhnlichen Gleichmuthe entgegen.

»Was wollt Ihr hier?«

Der Mann stutzte bei dem barschen, befehlshaberischen Tone dieser Frage.

»Wir suchen den Mann, der uns entlaufen ist. Der große Mudellier hat ihn zum Tode verurtheilt, Ihr aber seid ihm zur Flucht behülflich gewesen. Ich muß Euch verhaften!«

Der gute Sir John emery lachte, daß ihm die Thränen in die Wimpern traten. »Verhaften? Mich, einen Gentleman aus Altengland verhaften? Hier auf Ceylon? Mensch, Du bist verrückt! Der Mann, den Ihr sucht, war mein Diener; er gehört mir, und Niemand darf ihm ohne meinen Willen ein Haar krümmen!«

»Warum blieb der Mann jetzt nicht bei Euch, wenn er Euer Diener ist?« frug der Anführer der Soldaten den Engländer.

»Ich schickte ihn fort, weil es mir so gefiel. Du aber eilst sofort zum Mudellier und sagst ihm, daß ich zu ihm kommen werde, um mit ihm zu sprechen!«

»Ihr werdet mit ihm reden, denn ich muß Euch verhaften und zu ihm führen. Den aber, welchen Ihr Euren Diener nennt, werde ich verfolgen lassen und sicher wieder fangen!«

»Versuch's, ob Du es fertig bringst!« antwortete Walpole belustigt, indem er zwei riesige Drehpistolen hervorzog.

Ich folgte natürlich seinem Beispiele. Der Ceylonese kam in eine schauderhafte Verlegenheit. Die Pflicht stritt in ihm mit der Furcht, welche ihm unsre Waffen einflößten. Die Letztere schien zu siegen.

»Könnt Ihr mir beweisen, daß Ihr wirklich aus Anglistan seid,« frug er besorgt, »und werdet Ihr auch in Wahrheit zum Mudellier gehen?«

Walpole liebkoste lächelnd seinen Cotelettenbart. Der Zwicker war ihm wieder auf die Nasenspitze vorgerutscht und der Blick, welcher über denselben hinwegblitzte, leuchtete vor Vergnügen.

»Ich bin ein Maharadscha aus Anglistan und dieser Sihdi hier ist ein noch viel größerer Maharadscha aus Germanistan. Ich werde es Dir beweisen.«

Er griff in die Tasche und zog die Speisekarte hervor, welche er im Hôtel Madras zu sich gesteckt hatte.

»Hier, lies!«

Der gute Mann ergriff das Blatt, führte es respectvoll an die Stirn, betrachtete es dann mit wichtiger Kennermiene und bewegte dabei die Lippen, als ob er lese. Dann schlug er es sorgfältig wieder zusammen, drückte es an die Brust und gab es zurück.

»Ihr habt die Wahrheit gesagt, denn hier steht es geschrieben. Ihr werdet zu dem Mudellier gehen, und ich darf Euch also freilassen!«

Er wandte sich grüßend ab und schritt mit seinen Kriegshelden der Stadt zu.


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