Karl May
Von Bagdad nach Stambul
Karl May

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Im Kampfe gefallen

Es konnte nicht unsere Absicht sein, den Zagros zu übersteigen; vielmehr verfolgten wir das Thal, in dem wir uns befanden und das ziemlich genau nach Süden führte. Dann ritten wir über einige grüne Höhen und gelangten endlich, als die Sonne dem Untergange nahe war, an einen hohen, isolirten Felsen, hinter dessen Schutzseite wir unser Nachtlager aufzuschlagen beschlossen. Wir umritten ihn. Ich befand mich an der Spitze, bog um eine Felsenkante und – – hätte beinahe ein junges Kurdenweib überritten, das einen kleinen Knaben auf den Armen trug und heftig erschrocken war. Ganz in der Nähe stand am Saume eines Gebüsches ein steinernes Gebäude, das nicht die Wohnung eines gewöhnlichen Mannes zu sein schien.

»Erschrick nicht,« bat ich die Frau und reichte ihr die Hand zum Gruße vom Pferde herab. »Allah segne Dich und diesen schönen Knaben! Wem gehört dieses Haus?«

»Es gehört dem Scheik Mahmud Khansur.«

»Welchen Stammes ist der Scheik?«

»Des Stammes der Dschiaf.«

»Ist er daheim?«

»Nein. Er ist selten hier, denn dieses Haus ist nur seine Sommerwohnung. Jetzt ist er weit im Norden, wo ein Fest gefeiert wird.«

»Ich habe davon gehört. Wer wohnt in seiner Abwesenheit hier?«

»Mein Mann.«

»Wer ist Dein Mann?«

»Er heißt Gibrail Mamrahsch und ist der Hausmeister des Scheiks.«

»Wird er uns erlauben, diese Nacht in seinem Hause zu schlafen?«

»Seid Ihr Freunde der Dschiaf?«

»Wir sind Fremdlinge, die von weither kommen und Freunde aller Menschen sind.«

»So wartet! Ich will mit Mamrahsch sprechen.«

Sie entfernte sich, und wir stiegen ab. Nach einiger Zeit kam ein Mann zu uns, der im Anfange der vierziger Jahre stehen mochte. Er hatte ein offenes, ehrliches Gesicht und machte den besten Eindruck auf uns.

»Allah segne Euern Eingang!« grüßte er. »Ihr sollt willkommen sein, wenn es Euch beliebt, einzutreten.«

Er machte Jedem eine Verbeugung und gab Jedem dann die Hand. Wir merkten aus dieser Höflichkeit, daß wir uns bereits auf persischem Grund und Boden befanden.

»Hast Du auch Platz für unsere Pferde?« erkundigte ich mich.

»Platz und Futter genug. Sie können im Hofe stehen und Gerste essen.«

Die Besitzung bestand aus einer hohen Mauer, welche ein Rechteck bildete, innerhalb dessen Haus, Hof und Garten lagen. Bei unserm Eintritte sahen wir, daß das Haus in zwei Abtheilungen geschieden sei, welche sogar auch in Beziehung auf die Eingänge von einander getrennt waren: die Thür zur Männerabtheilung öffnete sich nach vorn, während man die Frauenabtheilung nur von der hinteren Seite aus betreten konnte.

Wir wurden von dem Manne natürlich in die erstere Abtheilung geführt, die zwanzig Schritte lang und zehn Schritte breit war und also Raum genug bot. Fenster gab es nicht, und an ihrer Stelle waren unter dem Dache die Zwischenräume der Balken frei gelassen. Ein Geflecht von Binsen bedeckte den ganzen Boden, und längs der Wände lagen schmale Kissen, welche zwar nicht hoch waren, aber für Leute, die Wochen lang im Sattel gesessen hatten, doch immerhin eine Annehmlichkeit bildeten.

Wir mußten auf diesen Kissen Platz nehmen, dann öffnete der Wirth eine in der Ecke stehende Truhe und frug:

»Habt Ihr Eure eigenen Pfeifen bei Euch?«

Wer vermag den Eindruck zu beschreiben, den diese Frage auf uns machte! Allo war draußen bei den Pferden geblieben; wir waren also unser Fünf in der Stube; bei der Frage dieses unvergleichlichen Mannes aber langten alle zehn Arme und alle fünfzig Finger nach den Pfeifen, und im vollsten Chore erscholl ein lautes »Ja!« durch den Raum.

»So erlaubt, daß ich Euch den Tabak reiche!«

Er brachte das lang entbehrte Kraut herbei. Allah il Allah, allüberall Allah! Es waren jene mir so wohl bekannten rothen, viereckigen Packetchen, in welchen jener feine Tabak des Feuers harrt, der in Basiran an der Nordgrenze der persischen Wüste Lut gebaut wird. Im Nu waren die Pfeifen gestopft, und kaum stiegen die duftenden Ringel zur Decke empor, so erschien auch bereits die Frau mit dem Tranke von Mokka, der in den meisten Fällen gar nichts vom Mokka weiß, den wir aber auch bereits seit Wochen entbehrt hatten, so daß gar kein Zweifel darüber sein konnte, daß er uns munden werde. Mir war so wohl und weich zu Muthe, daß ich nicht nur einen, sondern zehn und auch zwanzig Rappen angenommen hätte, wenn Mohammed Emin sie mir hätte schenken wollen, und daß ich mich ärgerte, heute so viel Zeit unnütz auf den Fang der Forellen verwendet zu haben. So aber ist der Mensch – immer und immer ein Sklave des Augenblickes!

Ich trank drei oder vier Täßchen Kaffee und trat dann mit brennender Pfeife hinaus in den Hof, um nach den Pferden zu sehen. Der Köhler erblickte die Pfeife, und aus der Stelle seines Bartwaldes, hinter welcher man es wagen konnte, den Mund zu vermuthen, erscholl ein so unaussprechliches, sehnsüchtiges Grunzen, daß ich sofort zurückeilte, um auch für ihn ein wenig Basiran zu erbitten. Als ich ihm denselben brachte, steckte er ihn – in den Mund statt in die Pfeife. Er hatte einen andern Geschmack als wir.

Die Umfassungsmauer hatte mehr als Mannshöhe; unsere Pferde standen also vollständig sicher, sobald das große, starke Thor, welches den einzigen Eingang bildete, geschlossen war. Das befriedigte mich, und ich kehrte in die Stube zurück, wo der Wirth sich bei den Gästen niedergelassen hatte, mit denen er sich auf Arabisch unterhielt.

Bald trug die Wirthin einige Papierlaternen herein, die ein angenehmes Halblicht verbreiteten, und dann brachte sie das Essen, welches in lauter kaltem Geflügel bestand, zu welchem wir flache Gerstenkuchen aßen.

»Diese Gegend scheint reich an Vögeln zu sein,« bemerkte Mohammed.

»Sehr,« antwortete Mamrahsch. »Der See ist nicht weit von hier.«

»Welcher See?« frug ich.

»Der Zeribar.«

»Ah, der Zeribar, auf dessen Grunde die untergegangene Stadt der Sünde liegt, welche aus lauter Gold gebaut war?«

»Ja, Herr. Hast Du von ihr gehört?«

»Ihre Bewohner waren so gottlos, daß sie Allah und den Propheten verhöhnten; da sandte der Allkönnende ein Erdbeben, welches die ganze Stadt verschlang.«

»Du hast die Wahrheit gehört. An gewissen Tagen sieht man, wenn man den See befährt, beim Untergange der Sonne die goldenen Paläste und Minareh tief auf dem Grunde des Wassers leuchten, und wer ein Gottbegnadeter ist, der hört wohl auch die Stimme des Muezzin herauftönen: »Hai aal el sallah – ja, rüste Dich zum Gebete!« Dann sieht man die Versunkenen zur Moschiah strömen, wo sie beten und Buße thun, bis ihre Sünde getilget ist.«

»Hast auch Du es gesehen und gehört?«

»Nein, aber der Vater meines Weibes hat es mir erzählt. Er fischte auf dem See und war Zeuge dessen, was er dann erzählte. Doch erlaubt, daß ich gehe, um das Thor zu schließen. Ihr werdet müde sein und Euch nach Ruhe sehnen.«

Er ging, und bald hörten wir das Thor in seinen Angeln knarren.

»Master, ein braver Kerl!« meinte Lindsay.

»Sicher. Er hat weder nach unsern Namen gefragt noch danach, woher wir kommen und wohin wir gehen. Das ist die ächte, orientalische Gastfreundschaft.«

»Werde ihm ein gutes Trinkgeld geben. Well!«

Nun kehrte der Wirth zurück und brachte uns Kissen und Decken zum Schlafen.

»Wohnen unter den Dschiaf in dieser Gegend auch Bebbeh?« frug ich ihn.

»Nur Wenige. Die Dschiaf und Bebbeh lieben einander nicht. Ihr aber werdet nicht viele Dschiaf finden, denn es hat sich ein Stamm der Bilba aus Persien herauf gezogen. Das sind die wildesten Räuber, welche es gibt, und man vermuthet, daß sie einen Überfall beabsichtigen. Darum sind die Dschiaf mit ihren Heerden fortgegangen.«

»Und Du bleibst hier zurück?«

»Mein Herr hat es so befohlen.«

»Aber die Räuber werden Dir Alles nehmen.«

»Sie werden nur die Mauern finden, aber nichts darinnen.«

»Dann wirst Du ihrer Rache verfallen.«

»Sie werden auch mich nicht finden. Der See ist von Schilf und Sumpf umgeben. Dort gibt es Verstecke, die kein Fremder aufzuspüren vermag. Jetzt aber erlaubt mir, mich zu entfernen, damit ich Euch nicht Eure Ruhe raube!«

»Bleibt die Thür hier offen?« frug ich.

»Ja. Warum?«

»Wir sind gewohnt abwechselnd bei unseren Pferden zu wachen; daher wünschen wir, aus- und eingehen zu können.«

»Ihr braucht nicht zu wachen; ich selbst werde Euer Wächter sein.«

»Deine Güte ist größer, als wir begehren; aber ich bitte Dich, uns nicht die Zeit Deines Schlafes zu opfern!«

»Ihr seid meine Gäste, und Allah gebietet mir, über Euch zu wachen. Er schenke Euch Ruhe und glückliche Träume!«

Ungestört genossen wir die Gastfreundschaft des freundlichen Dschiafkurden. Als wir am anderen Tage wieder aufbrachen, rieth uns unser Wirth, ja nicht weiter nach Osten zu reiten, da wir dort auf die räuberischen Bilba stoßen könnten; er hielt es für das Beste, den Djalah aufzusuchen und an dessen Ufer entlang die südliche Ebene zu gewinnen. Ich hatte eigentlich nicht recht Lust, diesem Rathe zu folgen; denn ich dachte an die Bebbeh, auf welche wir da stoßen konnten, wenn sie uns verfolgten. Aber dieser Plan erhielt das Wohlgefallen der beiden Haddedihn in dem Grade, daß ich mich endlich ihrer Meinung anschloß.

Nachdem wir Mamrahsch und seine Frau nach ihren Begriffen sehr reichlich beschenkt hatten, brachen wir auf. Eine Anzahl berittener Dschiaf gab uns auf Mamrahsch's Anordnung das Geleite. Nach einigen Stunden erreichten wir das Thal, welches zwischen den Höhen des Zagros und des Aroman liegt. Durch dieses Thal führt der berühmte Schamianweg, welcher die grade Verbindung zwischen Sulimania und Kirmanschah bildet. An einem kleinen Flüßchen hielten wir an.

»Dies ist der Garranfluß,« sagte der Anführer der Dschiaf. »Ihr habt nun den rechten Weg, denn Ihr braucht nur diesem Wasser zu folgen, welches in den Djalah fällt. Jetzt lebt wohl. Allah geleite Euch!«

Er kehrte mit den Seinigen um, und wir waren nun wieder auf uns selbst angewiesen.

Am folgenden Tage erreichten wir den Djalah, der hinunter nach Bagdad führt. Wir ließen uns an seinem Ufer nieder, um Mittagsrast zu halten. Es war ein heller, sonniger Tag, den ich niemals vergessen werde. Rechts von uns rauschten die Fluthen des Flusses; links stieg eine sanfte Höhe empor, bewachsen mit Ahornbäumen, Platanen, Kastanien und Kornelbäumen, und vor uns erhob sich allmählig ein schmaler Höhenrücken, dessen zerklüftete Felsenkrone wie die Ruine einer alten Ritterburg herniederglänzte.

Wir hatten uns von Mamrahsch einen kleinen Speisevorrath mitgenommen; dieser war jetzt zu Ende, und so ergriff ich die Büchse, um zu sehen, ob ich irgend etwas Eßbares erlegen könne. Ich folgte dem erwähnten Höhenrücken wohl eine halbe Stunde lang, ohne ein Wild zu treffen, und wandte mich aus diesem Grunde wieder dem Thale zu. Ich hatte es noch nicht erreicht, als ich rechts von mir einen Schuß fallen hörte, dem sofort ein zweiter folgte. Wer konnte hier geschossen haben? Ich beschleunigte meine Schritte, um die Gefährten zu erreichen. Als ich anlangte, fand ich nur den Engländer, Halef und Allo.

»Wo sind die Haddedihn?« frug ich.

»Fleisch suchen,« antwortete Lindsay. Auch er hatte die Schüsse gehört, meinte aber, daß die Haddedihn geschossen hätten. Wieder knallten zwei, drei Schüsse, und in kurzer Zeit darauf abermals einige.

»Um Gottes willen, schnell auf die Pferde!« rief ich. »Es gibt ein Unglück!«

Wir saßen auf und galoppirten vorwärts. Allo folgte etwas langsamer mit den Pferden der Haddedihn. Wieder krachten zwei Schüsse; dann hörten wir auch kurzen, scharfen Pistolenknall.

»Ein Kampf, wahrhaftig ein Kampf!« rief Lindsay.

Wir stürmten auf dem Wiesenrande, welcher den Fluß besäumte, dahin, bogen um eine Krümmung des Höhenzuges und sahen den Kampfplatz so nahe vor uns, daß wir sofort Theil nehmen konnten.

Am Flusse lagen einige Kameele im Grase, und in ihrer Nähe weideten mehrere Pferde. Zu zählen, wie viele Thiere es seien, hatte ich keine Zeit. Ich sah nur neben den Kameelen einen verhangenen Tachterwahn, rechts am Felsen sechs bis acht fremde Gestalten, welche sich gegen eine Überzahl von Kurden vertheidigten, und grad vor uns Amad el Ghandur, der mit dem Kolben sich gegen einen Haufen Feinde wehrte, die ihn umzingelt hatten. Hart daneben lag Mohammed Emin wie todt am Boden. Hier galt kein Fragen und kein Zagen. Ich sprengte mitten unter die Kurden hinein, nachdem ich die Büchse abgeschossen hatte.

»Da ist er, da ist er! Schont sein Pferd!« hörte ich eine Stimme rufen. Ich schaute mich um und erkannte – den Scheik Gasahl Gaboya. Er hatte sein letztes Wort gesprochen: – Halef ritt auf ihn ein und schoß ihn nieder. Nun gab es einen Kampf, dessen Einzelheiten ich nicht zu beschreiben vermag, da ich mich derselben selbst nicht einmal sofort nach Beendigung des Handgemenges zu erinnern vermochte. Der Anblick des todten Haddedihn hatte eine fürchterliche Wirkung auf uns ausgeübt. Wir wären vor Wuth gegen tausend Lanzen angestürmt, wenn man sie uns entgegengestreckt hätte. Ich weiß nur, daß ich blutete, daß mein Pferd blutete, daß Schüsse knallten und die Blitze derselben an meinem Auge vorüberzuckten; daß ich Hiebe und Stöße parirte, und daß eine Gestalt an meiner Seite immer beschäftigt war, Streiche, die ich nicht bemerken konnte, von mir abzuwehren – der treue Halef. Dann bäumte sich mein Pferd gegen einen Stich, den es in den Hals erhielt – er hatte mir gegolten – es stieg hoch empor und überschlug sich; weiter sah, hörte und fühlte ich nichts.

Als ich erwachte, sah ich in das Auge meines kleinen Hadschi; es war voll Thränen.

»Hamdullillah – Allah sei Dank, er lebt! Er öffnet die Augen!« rief Halef ganz außer sich vor Entzücken. »Sihdi, hast Du Schmerzen?«

Ich wollte antworten, konnte aber nicht. Ich war so matt, daß mir die Lider schwer wieder zufielen.

»ïa Allah, ïa jazik, ïa waï – o wehe, er stirbt!« hörte ich ihn noch jammern, dann wußte ich abermals nichts von mir.

Später war es mir wie im Traume. Ich hatte mit Drachen und Lindwürmern, gegen Riesen und Giganten zu kämpfen; aber plötzlich waren diese wilden, unheimlichen Gestalten verschwunden; ein süßer Duft wehte um mich her; leise Töne drangen wie Engelsstimmen an mein Ohr, und vier weiche, warme Hände waren um mich bemüht. War dies immer noch Traum, oder war es Wirklichkeit? Ich öffnete abermals die Augen.

Die jenseitigen Höhen der Berge erglühten im letzten Strahle der untergehenden Sonne und über das Thal breitete sich bereits ein Halbdunkel aus; noch aber war es hell genug, die Schönheit der zwei Frauenköpfe zu erkennen, welche sich von beiden Seiten her über mich beugten.

»Dirigha, bija – o wehe, fort!« rief es in persischer Sprache; die Schleier fielen über die Angesichter, und die beiden Frauen flohen davon.

Ich versuchte, mich in sitzende Stellung zu bringen, und es gelang; dabei aber bemerkte ich, daß ich unterhalb des Schlüsselbeines verwundet war. Wie ich später erfuhr, hatte mich eine Lanze getroffen. Auch der ganze übrige Körper schmerzte mich. Es war mir, als ob ich gerädert worden sei. Die Wunde war sehr sorgfältig verbunden, und der Duft, welchen ich vorhin empfunden hatte, umwehte mich auch noch jetzt.

Da kam Halef herbei und sagte:

»Allah kerihm – Gott ist gnädig; er hat Dir das Leben zurückgegeben; er sei gelobt in Ewigkeit!«

»Wie bist Du davongekommen, Halef?« frug ich matt.

»Sehr glücklich, Sihdi. Ich habe einen Schuß im Oberschenkel; die Kugel hat ein Loch gemacht und ist durchgegangen.«

»Der Engländer?«

»Er hat einen Streifschuß am Kopfe, und es sind ihm zwei Finger der linken Hand abgeschnitten worden.«

»Der arme Lindsay! Weiter!«

»Allo hat tüchtige Schläge erhalten, aber kein Blut verloren.«

»Amad el Ghandur?«

»Er ist unverletzt, aber er redet nicht.«

»Und sein Vater?«

»Ist todt. Allah gebe ihm das Paradies!«

Er schwieg und ich ebenso. Die Bestätigung des Todes meines alten Freundes erschütterte mich. Nach einer langen Pause erst frug ich Halef:

»Wie steht es mit meinem Rappenhengste?«

»Seine Wunden sind schmerzhaft, aber nicht gefährlich. Du weißt noch nicht, wie Alles gekommen ist. Soll ich es Dir erzählen?«

»Jetzt nicht. Ich will versuchen, zu den Andern zu gehen. Warum lag ich entfernt von ihnen?«

»Weil die Frauen des Persers Dich verbinden wollten. Er muß ein sehr vornehmer und reicher Herr sein. Wir haben bereits ein Feuer angemacht, Du wirst ihn bei demselben finden.«

Das Aufstehen verursachte mir zwar einige Schmerzen, aber mit Halef's Hilfe gelang es, und auch das Gehen brachte ich fertig. Unweit des Ortes, wo ich gelegen hatte, brannte ein Feuer, zu welchem mich Halef führte. Die lange Gestalt des Engländers kam mir entgegen.

»Behold, da seid Ihr ja, Master! Habt einen famosen Sturz gethan, habt aber ganz verteufelt feste Rippen, wie es scheint. Wir hielten Eure Betäubung für Tod.«

»Wie steht es mit Euch? Ihr habt den Kopf und die Hand verbunden?«

»Habe eine Schramme grad an der Stelle, wo die Phrenologen den Verstand vermuthen. Es sind etliche Haare und ein Stück Knochen weg; hat aber nichts zu sagen. Yes! Freilich sind auch zwei Finger fort; war grad nicht nothwendig!«

Mit dem Engländer hatte sich eine zweite Gestalt vom Feuer erhoben. Es war ein Mann von stolzer Haltung und schönem ebenmäßigen Wuchs. Er trug lange und sehr weite, aus rother Seide gefertigte Sirdschame, ein weißseidenes Pirahan und ein bis unter das Knie reichendes, enges Alkalik. Darüber hatte er noch ein dunkelblauseidenes Kaba an und ein fein wollenes Balapusch von derselben Farbe. An einem feinen Kaschmir, welcher um die Hüften geschlungen war, hing ein kostbarer Säbel, neben welchem die vergoldeten Griffe zweier Pistolen, eines Dolches und eines Kinschals funkelten. Seine Füße stacken in Saffian-Reitstiefeletten, und auf dem Kopfe trug er die bekannte persische Lammfellmütze, um welche ein kostbarer, weiß und blau gestreifter Shawl gewunden war.

Er trat auf mich zu, verbeugte sich und sprach:

»Mi newahet kjerdem tura – ich mache Dir mein Compliment!«

»Mi scheker kjerdem tura – ich danke Dir!« antwortete ich unter einer ebenso höflichen Verbeugung.

»Emir, neberd azmaï – Emir, Du bist schlachtenkundig!«

»Mir, pahawani – Herr, Du bist ein Held!«

»Puradarem tu – ich bin Dein Bruder!«

»Wafaldarem tu – ich bin Dein Freund!«

Wir reichten einander die Hände; dann hatte er die Höflichkeit, zu sagen:

»Deinen Namen habe ich bereits gehört. Nenne mich Hassan Ardschir-Mirza und betrachte mich als Deinen Diener!«

Er hatte den Titel »Mirza«, den in Persien ein Prinz zu führen pflegt; er war also jedenfalls eine bedeutende Persönlichkeit.

»Nimm Du auch mich unter Deinen Befehl!« antwortete ich ihm.

»Diese acht Männer sind mir untergeben; Du wirst sie kennen lernen.«

Er deutete dabei auf acht Gestalten, welche respektvoll in der Nähe standen, und fuhr dann fort:

»Du bist der Herr des Lagers. Setze Dich.«

»Ich gehorche Deinem Wunsche; erlaube mir aber vorher, meinen Freund zu trösten!«

Nicht weit vom Feuer lag die Leiche des Mohammed Emin. Bei ihr saß, uns den Rücken zukehrend, bewegungslos sein Sohn Amad. Ich trat zu ihm. Der alte Haddedihn war durch die Stirn geschossen, und sein langer, weißer Bart war roth gefärbt von dem Blute einer weit klaffenden Halswunde. Ich kniete bei ihm nieder, sprachlos vor Herzensweh. Dann nach längerer Zeit, als es mir gelungen war, meiner Bewegung Herr zu werden, legte ich Amad die Hand an den Arm.

»Amad el Ghandur, ich klage mit Dir!«

Er antwortete nicht und regte sich nicht. Ich gab mir alle Mühe, ihn zu einer Äußerung zu bringen, aber vergebens. Es war als habe ihn der Schmerz in eine Statue verwandelt. Ich kehrte also zum Feuer zurück, um an der Seite des Persers Platz zu nehmen. Dabei wäre ich fast über den Kohlenbrenner gestolpert, welcher auf dem Bauche lag und leise klagte.

Ich untersuchte ihn: – er hatte nicht eine einzige Verletzung, aber es waren ihm einige Hiebe oder Stöße zu Theil geworden, die ihm noch Schmerzen verursachen mochten. Es gelang mir leicht, ihn zu trösten.

Auch Hassan Ardschir-Mirza war unverwundet, aber seine Leute fand ich übel zugerichtet; doch ließ keiner von ihnen im Geringsten merken, daß er Schmerzen leide.

»Emir,« sagte er, als ich neben ihm Platz genommen hatte, »Du kamst zur rechten Zeit; Du bist unser Aller Retter!«

»Es freut mich, Dir gedient zu haben!«

»Ich werde Dir berichten, wie es geschehen ist.«

»Erlaube mir vorher, mich nach dem Nöthigsten zu erkundigen! Die Kurden sind geflohen?«

»Ja; ich habe ihnen zwei meiner Diener nachgesendet, welche sie beobachten sollen. Es waren über Vierzig. Sie haben sehr viele Leute verloren, während wir nur einen Einzigen beklagen, Deinen Freund. Wohin geht Euer Weg, Emir?«

»Nach den Weidegründen der Haddedihn jenseits des Tigris. Wir waren zu einem Umweg gezwungen.«

»Der meinige führt nach Süden. Ich hörte, daß Du in Bagdad gewesen bist?«

»Nur kurze Zeit.«

»Kennst Du den Weg dorthin?«

»Nein, doch er ist leicht zu finden.«

»Auch der von Bagdad nach Kerbela?«

»Auch dieser. Willst Du nach Kerbela?«

»Ja. Ich will das Grab Hosseïn's besuchen.«

Diese Nachricht erweckte meine Theilnahme im höchsten Grade. Er war ein Schiit; ich wünschte im Stillen, die interessante Reise mit ihm machen zu können.

»Wie kommt es, daß Du Deinen Weg durch diese Berge nimmst?« frug ich.

»Um den räuberischen Arabern zu entgehen, welche an dem gewöhnlichen Pilgerpfade auf Beute lauern.«

»So bist Du dafür den Kurden in die Hände gefallen. Kommst Du von Kirmanschah?«

»Von noch weiter her. Wir lagerten hier bereits seit gestern. Einer meiner Diener war in den Wald gegangen und sah von fern die Kurden kommen. Auch sie bemerkten ihn; sie eilten ihm nach und kamen so zu unserm Lager, das sie überfielen. Während des Kampfes, in welchem wir unterliegen zu müssen glaubten, erschien der tapfere Greis, welcher dort an der Erde liegt. Er schoß sofort zwei Kurden nieder und stürzte sich in den Kampf. Dann kam sein Sohn, der gleich ihm tapfer ist; aber dennoch hätten wir unterliegen müssen, wenn nicht Ihr noch erschienen wäret. Emir, Dir gehört mein Leben und Alles, was ich habe! Laß Deinen Weg so weit wie möglich mit dem meinigen gehen!«

»Ich wollte, daß es geschehen könnte. Aber wir haben einen Todten und sind verwundet. Er muß begraben werden, und wir müssen bleiben, weil sich das Wundfieber einstellen wird.«

»Auch ich werde bleiben, denn meine Diener sind verwundet.«

Da, mitten im Gespräche, fiel mir endlich ein, daß Dojan nicht zu sehen war. Ich frug den Engländer nach dem Hunde, aber er konnte keine Auskunft geben. Halef hatte Dojan mitkämpfen sehen, doch wußte auch er nichts Näheres.

Die Diener des Persers brachten jetzt reichliche Speisevorräthe herbei, mit denen am Feuer ein Mahl bereitet wurde. Nach dem Essen stand ich auf, um die Umgebung des Lagers zu recognosciren und nach Dojan zu suchen. Halef begleitete mich. Zunächst begaben wir uns zu den Pferden. Der arme Hengst lag an der Erde. Er hatte den bereits erwähnten Lanzenstich und einen ziemlich tiefen Streifschuß erhalten, war jedoch von Halef nach Kräften verbunden worden. In der Nähe lagerten die Kameele. Es waren ihrer fünf; sie wiederkäuten, und es war bereits zu dunkel, als daß ich sie hätte taxiren können. Neben ihnen lagen ihre Lasten, und in einiger Entfernung stand der Tachterwahn, die Wohnung der beiden Frauen, die entflohen waren, als ich die Augen geöffnet hatte.

»Du sahst mich stürzen, Halef. Wie ist es dann gegangen?«

»Ich dachte, Du seiest todt, Sihdi, und das gab mir die Kräfte des Grimmes. Auch der Engländer wollte Dich rächen, und so konnten sie nicht widerstehen. Der Perser ist ein sehr tapferer Mann, und seine Diener gleichen ihm.«

»Habt Ihr keine Beute gemacht?«

»Waffen und einige Pferde, die Du in der Dunkelheit gar nicht bemerkt hast. Die Todten ließ der Perser in das Wasser werfen.«

»Waren vielleicht auch Verwundete dabei?«

»Ich weiß es nicht. Nach dem Kampfe untersuchte ich Dich und fühlte, daß Dein Herz noch schlug. Ich wollte Dich verbinden, aber der Perser erlaubte es nicht. Er ließ Dich an den Ort tragen, an welchem Du erwachtest, und da verbanden Dich die beiden Frauen.«

»Was erfuhrst Du über diese Frauen?«

»Die Eine ist das Weib und die Andere die Schwester des Persers. Sie haben eine alte Dienerin, die dort beim Tachterwahn kauert und immer Datteln kaut.«

»Und der Perser selbst? Was ist er?«

»Ich weiß es nicht; der Diener sagt es nicht; es muß ihm verboten sein, den Stand seines Herrn zu verrathen, und ich denke – – –«

»Halt!« unterbrach ich ihn. »Horche einmal!«

Wir hatten uns so weit vom Lager entfernt, daß das Geräusch desselben nicht mehr zu hören war; darum herrschte die tiefste Stille ringsumher. Während der letzten Worte Halef's nun war es mir, als ob ich einen mir sehr wohl bekannten Laut gehört hätte. Wir blieben lauschend stehen. Ja, wirklich, jetzt war der zornige Anschlag deutlich zu hören, mit welchem der Windhund zu melden pflegte, daß er einen Feind gefaßt habe. Aber die Richtung, aus welcher dieser Ton kam, blieb ungewiß.

»Dojan!« rief ich laut. Auf diesen Ruf erhielt ich eine sehr deutliche Antwort; sie kam aus den Büschen, welche den Abhang bedeckten. Wir klimmten langsam empor. Zur sicheren Orientirung rief ich zuweilen den Hund, welcher dann stets antwortete. Zuletzt vernahmen wir das kurze, pfeifende Winseln, mit dem er seine Freude zu erkennen zu geben pflegte; das führte uns vollends zu ihm. Ein Kurde lag am Boden, und über ihm stand der wackere Hund, zum tödlichen Bisse bereit. Ich beugte mich nieder, um den Mann zu betrachten. Ich konnte seine Züge nicht erkennen, aber die Wärme seines Körpers bewies mir, daß er lebte, obgleich er es nicht wagte, sich zu rühren.

»Dojan, zurück!«

Der Hund gehorchte, und ich gebot dem Kurden, sich zu erheben. Er that es unter einem schweren, tiefen Athemzuge, der mir bewies, daß er eine nicht gewöhnliche Angst auszustehen gehabt hatte. Ich stellte nun ein Verhör mit ihm an, und er nannte sich einen Kurden vom Stamme der Soran. Da ich wußte, daß die Soran Todfeinde der Bebbeh sind, so argwöhnte ich, er sei ein Bebbeh und gebe sich für einen Soran aus, um sich zu retten.

Darum frug ich: »Wie kommst Du hierher und in diese Lage, wenn Du ein Soran bist?«

»Du scheinst ein Fremdling in diesem Lande zu sein,« erwiederte er, »da Du so fragen kannst. Die Soran waren groß und mächtig. Sie wohnten im Süden der Bulba, welche aus den vier Stämmen der Rummok, Manzar, Piran und Namash bestehen, und hatten ihren Hauptort in Harir, der besten Residenz von Kurdistan. Aber Allah nahm die Hand von ihnen, so daß ihre Macht von ihnen ging, um sich ihren Feinden zuzuwenden. Ihr letztes Banner hatten sie in der Gegend von Keuy Sandschiak aufgeschlagen; da kamen die Bebbeh und rissen es zu Boden. Ihre Heerden wurden geraubt, ihre Frauen und Mädchen fortgeführt und ihre Männer, Jünglinge und Knaben getödtet. Nur wenige retteten sich, um sich in alle Welt zu zerstreuen oder in der Einsamkeit zu verbergen. Zu diesen Letzteren gehöre ich. Ich wohne da oben zwischen den Felsen; mein Weib ist todt, meine Brüder und Kinder sind ermordet; ich habe nicht einmal ein Pferd, ich habe nur mein Messer und meine Flinte. Heute hörte ich Schüsse fallen und stieg hernieder, um dem Kampfe zuzuschauen. Ich sah meine Feinde, die Bebbeh, und griff zu meiner Flinte. Hinter den Bäumen versteckt, habe ich mehr als Einen niedergeschossen; Du kannst meine Kugeln noch in ihren Leibern finden. Ich tödtete sie aus Haß und weil ich mir ein Pferd erkämpfen wollte. Da bemerkte dieser Hund die Blitze meines Gewehres und hielt mich für einen Feind. Er griff mich an. Das Messer war mir entfallen, und das Gewehr war noch nicht wieder geladen. Ich versuchte, ihn mit dem Laufe der Flinte von mir abzuhalten, und wich zurück; er aber warf mich endlich doch zu Boden. Ich sah, daß er mich zerreißen würde, wenn ich es wagte, eine Bewegung zu machen, und so blieb ich bis jetzt ruhig liegen. Es waren fürchterliche Stunden!«

Dieser Mann sprach die Wahrheit; das hörte ich; aber ich mußte dennoch vorsichtig sein.

»Willst Du uns Deine Wohnung zeigen?« frug ich.

»Ja. Es ist eine Hütte aus Moos und Zweigen, mit einem Lager aus Gras und Blättern; weiter seht Ihr nichts.«

»Wo ist Dein Gewehr?«

»Es muß hier in der Nähe liegen.«

»Suche es!«

Er entfernte sich suchend, während wir Beide stehen blieben.

»Sihdi,« flüsterte Halef, »er wird entfliehen.«

»Ja, wenn er ein Bebbeh ist. Ist er jedoch wirklich ein Soran, so wird er wiederkommen, und dann dürfen wir ihm vertrauen.«

Wir brauchten nicht lange zu warten, so rief es von unten:

»Kommt herab, Herr! Ich habe Beides gefunden, das Messer und auch die Flinte.«

Wir stiegen zu ihm hinab. Er schien also doch ein ehrlicher Mann zu sein.

»Du wirst uns zum Lager begleiten,« sagte ich.

»Gern, Herr!« antwortete er. »Aber mit dem Perser werde ich nicht reden können, denn ich spreche nur Kurdisch und die Sprache der Hagari

»Redest Du das Arabische vollständig?«

»Ja, ich bin bis an das Meer hinuntergekommen und bis weit zum Phrat hinüber und kenne diese Gegenden und ihre Wege.«

Ich freute mich dessen, denn es war sehr vortheilhaft für uns, diesen Mann gefunden zu haben. Sein Erscheinen erregte am Lagerfeuer Aufsehen; den meisten Eindruck aber machte es auf Amad el Ghandur, der sich bei dem Anblick des Kurden sofort aus seiner geistigen Erstarrung emporraffte.

Der junge Haddedihn-Scheik hielt den Soran-Kurden für einen Bebbeh und fuhr mit der Hand nach dem Dolch. Ich legte meine Hand auf seinen Arm und sagte ihm, der Fremde sei ein Feind der Bebbeh und stehe unter meinem Schutz.

»Ein Feind der Bebbeh! Kennst Du sie und ihre Wege?« frug er nun hastig den Soran-Kurden.

»Ich kenne sie,« antwortete der Mann.

»So werde ich weiter mit Dir reden.«

Nach diesen Worten drehte sich Amad el Ghandur um und nahm wieder bei der Leiche Platz. Ich aber erklärte dem Perser das Zusammentreffen mit dem Soran-Kurden, und er war damit einverstanden, daß dieser Mann in unserm Lager bleiben dürfe.

Einige Zeit später kehrten die Nuker zurück und meldeten, daß die Bebbeh eine ziemliche Strecke gegen Süden geritten seien und sich dann auf einem Umweg rechts nach den Hügeln von Merivan zurückgewendet hätten. Wir durften nun wohl nichts mehr von ihnen befürchten, und die Perser begaben sich zur Ruhe, nachdem die nöthigen Vorsichtsmaßregeln von ihnen und von uns gemeinschaftlich getroffen worden waren.

Ich suchte Amad el Ghandur auf und bat ihn, auch sich Ruhe zu gönnen.

»Ruhe?« antwortete er. »Emir, Ruhe hat nur Einer: dieser Todte hier. Leider wird er nicht ruhen in den Grabstätten der Haddedihn, in die Erde gebettet von den Kindern seines Stammes, die ihn beweinen; er wird liegen in dieser fremden Erde, über welcher der Fluch Amad el Ghandur's schwebt. Er war ausgezogen, mich zur Heimat zu bringen. Glaubst Du, daß ich diese Heimat wiedersehen werde, ohne seinen Tod zu rächen? Ich habe Beide gesehen: den, der ihn stach, und auch den, der ihm die Kugel in die hohe Stirne trieb. Sie sind beide entkommen, aber ich kenne sie und werde sie zum Scheïtan senden!«

»Ich begreife Deinen Zorn und verstehe Deinen Schmerz; aber ich bitte Dich, die Klarheit Deines Auges zu bewahren. Du willst den Bebbeh nachreiten, um den Tod Deines Vaters zu rächen. Hast Du überlegt, was das heißt?«

»Die Thar, die Blutrache, gebietet es, und ich habe zu gehorchen. Du bist ein Christ, Du begreifst uns nicht, Emir.«

Er schwieg eine Weile, dann frug er:

»Wirst Du mich begleiten, Emir, zur Verfolgung der Bebbeh?«

Ich verneinte, und er senkte das Haupt mit den Worten: »Ich wußte, daß Allah eine Erde erschaffen hat, auf welcher es keine wahre Freundschaft und Dankbarkeit gibt.«

»Du hast wohl nur eine falsche Ansicht von Freundschaft und Dankbarkeit,« erwiederte ich. »Denke zurück, so wirst Du mir zugestehen, daß ich ein wahrer Freund Deines Vaters gewesen bin, und dafür solltest Du mir dankbar sein. Ich bin bereit, Dich mit Gefahr meines eigenen Lebens nach den Weideplätzen der Schammar zu begleiten; aber eben als Dein Freund muß ich Dich abhalten, Dich in eine Gefahr zu begeben, in welcher Du nothwendiger Weise umkommen wirst.«

»Ich sage noch einmal: Du bist ein Christ und Du redest und handelst, wie ein solcher. Selbst Allah will, daß ich den Vater räche, denn er hat mir heut Abend durch Dich die Gelegenheit dazu gesendet. Jetzt bitte ich Dich, mich allein zu lassen!«

»Ich erfülle Dir diesen Wunsch, fordere aber von Dir, daß Du nichts unternimmst, ohne es vorher mit mir besprochen zu haben.«

Er wandte sich ab und antwortete nicht. Ich ahnte, daß er einen Entschluß gefaßt habe, an dessen Ausführung er von mir gehindert zu werden fürchtete, und ich beschloß, ihn sorgfältig zu beobachten.

Als ich am andern Morgen erwachte, saß er noch immer an derselben Stelle; aber der Soran-Kurde befand sich bei ihm, und sie sprachen sehr angelegentlich mit einander. Auch die Anderen waren bereits munter. Der Perser saß neben dem Tachterwahn und sprach mit den tief verschleierten Frauen.

»Emir, ich will den Vater begraben. Werdet Ihr mir helfen?« fragte mich Amad el Ghandur.

»Ja. Wo soll er begraben werden?«

»Dieser Mann sagt, droben zwischen den Felsen sei ein Ort, welchen die Sonne begrüßt früh, wann sie kommt, und Abends, wann sie geht. Ich will mir diesen Ort ansehen.«

»Ich werde Dich begleiten,« erwiederte ich.

Kaum bemerkte der Perser, daß ich mich erhoben hatte, so kam er herbei, um mir den Morgengruß zu bringen, und als er von unserm Vorhaben hörte, bot er sich zur Begleitung an. Wir fanden hoch droben auf dem Scheitel der Höhe einen mächtigen Felsblock und beschlossen, auf der Platte desselben das Grab zu errichten. In der Nähe lag die dürftige Hütte des Sorankurden, und etwas weiter fort befand sich ein ringsum abgeschlossener freier Platz, welcher sich ganz ausgezeichnet zu einem Lager eignete, zumal er einen Quell besaß. Wir beriethen uns und wurden einig, hier zu bleiben und unsere Thiere und Habseligkeiten herbeizuschaffen.

Dieses Letztere verursachte einige Schwierigkeiten, aber es gelang. Während die Unverletzten und weniger Verwundeten die schwerere Arbeit an dem Grabmale übernahmen, errichteten die Andern für die Frauen eine bedeckte Hütte, welche von dem Aufenthalte der Männer durch eine undurchsichtige Wand aus Zweigen abgesondert wurde. Da die Pferde die Ausdünstung der Kameele nicht ertragen können, so wurden sie von denselben getrennt.

Am Mittag war im Lager bereits Alles in schönster Ordnung. Der Perser besaß einen guten Vorrath von Mehl, Kaffee, Tabak und anderen nothwendigen Dingen. Fleisch konnten wir uns unschwer mit der Büchse verschaffen, und so brauchten wir nicht zu fürchten, Noth zu leiden.

Das Grabmal wurde erst später fertig. Es bildete einen über acht Fuß hohen Steinkegel, in welchem eine Höhlung gelassen war, um die Leiche aufzunehmen, welche zur Zeit des Mogreb beerdigt werden sollte. Amad el Ghandur selbst bereitete sie zum Begräbnisse vor, obgleich er sich dadurch, nach den Regeln seines Glaubens, verunreinigte.

Die Sonne stand nahe am Horizonte, als sich der kleine Trauerzug in Bewegung setzte. Voran schritten Allo und der Soran-Kurde, welche auf einer aus Ästen gefertigten Bahre den Todten trugen; wir Andern folgten paarweise, und Amad el Ghandur erwartete uns am Grabe. Die Öffnung desselben wies nach Westsüdwest, genau die Kibbla von Mekka, und als man den Todten hineinsetzte, war sein Angesicht nach jenen Gegenden gerichtet, in denen der Prophet der Moslemim die Besuche und Offenbarungen der Engel empfing.

Amad el Ghandur trat bleichen Angesichtes zu mir und frug:

»Emir, Du bist zwar ein Christ, aber Du warst in der heiligen Stadt und kennst das heilige Buch. Willst Du Deinem todten Freunde die letzte Ehre erweisen und über ihn die Sure des Todes sprechen?«

»Gern, und auch die Sure des Verschließens.«

»So laß uns beginnen!«

Jetzt hatte die Sonne ihren westlichen Horizont erreicht, und Alle sanken nieder, um in der Stille das Mogreb zu beten. Dann erhoben wir uns wieder, einen Halbkreis um die Öffnung des Grabmales bildend.

Es war ein weihevoller Augenblick. Der Todte saß aufrecht in seiner letzten Wohnung. Die Abendröthe warf purpurne Strahlen über sein marmorbleiches Angesicht, und der hier oben kräftigere Hauch des Windes ließ seinen langen weißen Bart erzittern.

Da wandte sich Amad el Ghandur nach der Richtung von Mekka, erhob seine in einander verschlungenen Hände und sprach:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Lob und Preis sei Gott, dem Weltenherrn, der da herrschet am Tage des Gerichtes. Dir wollen wir dienen, und zu Dir wollen wir flehen, auf daß Du uns führest den rechten Weg, den Weg derer, die Deiner Gnade sich erfreuen, und nicht den Weg derer, über welche Du zürnest, und nicht den Weg der Irrenden!«

Jetzt erhob ich ebenso wie er die Hände und sprach aus der fünfundsiebzigsten Sure, die ›die Auferstehung‹ betitelt ist, die Worte:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Ich schwöre bei dem Tage der Auferstehung, und ich schwöre bei der Seele, welche sich selbst anklagt: will der Mensch wohl glauben, daß wir seine Gebeine einst nicht zusammenbringen werden? Wahrlich, wir vermögen es, selbst die kleinsten Gebeine seiner Finger zusammenzufügen; doch der Mensch will selbst das, was vor ihm liegt, gern leugnen. Er fragt: Wann kommt denn der Tag der Auferstehung? Wenn das Auge sich verdunkelt und der Mond sich verfinstert und Sonne und Mond sich verbinden, dann wird der Mensch an diesem Tage fragen: Wo findet man einen Zufluchtsort? Aber vergebens, denn es gibt keinen Ort der Rettung. Ihr liebt das dahineilende Leben und achtet nicht auf das zukünftige. Einige Angesichte werden an diesem Tage leuchten und ihren Herrn anblicken, andere aber werden traurig aussehen, denn schwere Trübsal kommt über sie. Sicherlich! Einem solchen Menschen steigt in der Todesstunde die Seele bis an die Kehle, und die Umstehenden sagen: Wer bringt zu seiner Rettung einen Zaubertrank? Dann ist die Zeit der Abreise gekommen; er legt Bein an Bein und wird an diesem Tage hingetragen zu seinem Richter, da er nicht glaubte und nicht betete. Darum wehe Dir, wehe! Und abermals wehe Dir, wehe! Glaubt denn der Mensch, daß ihm volle Freiheit gelassen sei? Ist er nicht ein ausgeworfenes Samenkorn? Darauf bildete ihn Gott und machte einen Menschen aus ihm. Sollte Der, der dies gethan, nicht auch zu einem neuen Leben auferwecken können?«

Nun wandte ich mich wieder dem Todten zu und sprach:

»Allah il Allah! Es ist nur ein Gott und wir Alle sind seine Kinder. Er leitet uns mit seiner Hand und hält uns Alle an seiner Rechten. Er machte uns zu Brüdern und sandte uns auf die Erde, ihm zu dienen und uns in Eintracht seiner Gnade und Barmherzigkeit zu erfreuen. Er läßt den Körper sich entwickeln und die Seele wachsen, bis sie sich nach dem Himmel sehnt. Dann sendet er den Engel des Todes, sie abzulösen und emporzutragen zum Brunnen, aus dem sie ewiges Leben trinkt. Sie ist dann frei von Schmerz und Leid und achtet nicht die Klagen derer, welche um die todte Hülle trauern. Hier liegt Hadschi Mohammed Emin Ben Abdul Mutaher es Seim Ibn Abu Merwem Baschar esch Schohanah, der tapfere Scheik der Haddedihn vom Stamme esch Schammar. Er war ein Liebling Allah's; auf seiner Zunge wuchs niemals die Lüge, und aus seiner Hand floß Wohlthat weithin über die Hütten, in denen Armuth wohnte. Er war der weiseste im Rathe; er war ein Held im Kampfe; er war ein Freund dem Freunde; er wurde gefürchtet von seinen Feinden, aber geachtet von Allen, die ihn kannten. Darum wollte Allah nicht, daß er abscheide im Dunkel des Zeltes, sondern er sandte Abu Dschajah, ihn abzurufen mitten im Kampfe von der Seite der Krieger, die hier um ihn stehen. Nun geht der Staub zur Erde. Sein Angesicht wendet sich nach Mekka, der Goldenen, seine Seele aber steht vor dem Allerbarmer und schaut die Herrlichkeit, in welche kein sterbliches Auge zu dringen vermag. Sein ist das Leben, unser aber der Trost, daß auch wir einst an seiner Seite stehen werden, wenn Isa Ben Marryam einst kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten!«

Jetzt traten Allo und der Soran-Kurde herzu, um das Grab zu verschließen. Schon wollte ich wieder das Wort ergreifen, als der Perser mir winkte. Er trat vor und sprach einige Sätze der zweiundachtzigsten Sure:

»Im Namen des allbarmherzigen Gottes! Wenn die Himmel sich spalten und die Sterne sich zerstreuen, die Meere sich vermischen und die Gräber sich umkehren, dann wird eine jede Seele wissen, was sie gethan und was sie unterlassen hat. So ist es, und doch leugnen sie den Tag des Gerichtes. Aber es sind Wächter über Euch gesetzt, die da Alles niederschreiben und Alles sehen, was Ihr thut. Die Gerechten werden erlangen die Wonne des Paradieses, die Missethäter aber die Qualen der Hölle. An diesem Tage vermag keine Seele etwas für die andere, denn an diesem Tage gehört die Herrschaft nur Gott allein!«

Jetzt war die Öffnung zugesetzt, und es bedurfte noch des Schlußgebetes. Ich hatte auch das übernommen, aber Halef trat vor. In dem Auge des wackern kleinen Hadschi glänzten Thränen, und seine Stimme zitterte, als er sagte:

»Ich will beten!« – Er kniete nieder, faltete die Hände und sprach: »Ihr habt gehört, daß wir Alle Brüder sind, und daß Allah uns Alle versammeln wird am Tage des Gerichtes. Da drüben ist die Sonne gesunken, und morgen wird sie von Neuem emporgestiegen sein; so werden auch wir da oben auferwachen, wenn wir hier gestorben sind. O Allah, laß uns da zu denen gehören, die Deiner Gnade würdig sind, und scheide uns nicht von denen, die wir hier lieb gehabt haben. Du bist der Allmächtige und kannst auch dieses Gebet erfüllen!« –

Das war ein seltenes Begräbniß. Ein Christ, zwei Sunniten und ein Schiite hatten über dem Grabe des Todten gesprochen, ohne daß Muhammed einen Blitz herniederfallen ließ. Was mich betrifft, so glaubte ich, keine Sünde zu thun, wenn ich von dem todten Freunde Abschied nahm in der Sprache, die er im Leben gesprochen hatte; die Betheiligung des Persers aber war ein Beweis, daß er an Bildung des Geistes und Herzens den moslemitischen Troß weit überragte. Halef hätte ich zum Dank für seine einfachen, kurzen Sätze gleich umarmen können. Ich wußte es längst: er war, ohne es selbst zu ahnen, nur noch äußerlich ein Moslem, innerlich aber bereits ein Christ.

Wir schickten uns an, den Felsblock zu verlassen. Da zog Amad el Ghandur seinen Dolch und schlug mit demselben von einem Steine des Grabmales ein Stück herab, welches er einsteckte. Ich wußte, was das zu bedeuten hatte, und war nun überzeugt, daß ihn kein menschliches Wesen zu überreden vermochte, seine Rache aufzugeben. Er aß und trank im Verlaufe des Abends nichts, nahm mit keinem Worte an unserer Unterhaltung Theil und zeigte auch mir gegenüber keine Lust, sich in ein noch so kurzes Gespräch einzulassen. Nur auf eine einzige Bemerkung antwortete er.

»Du weißt,« sagte ich nämlich zu ihm, »daß Mohammed Emin den Rappen zurückgenommen hat. Jetzt gehört er Dir.«

»So habe ich das Recht, ihn wieder zu verschenken?«

»Ohne Zweifel.«

»Ich schenke ihn Dir.«

»Ich nehme ihn nicht an.«

»So werde ich Dich zwingen, ihn zu behalten!«

»Wie willst Du dies anfangen?«

»Du wirst es sehen. Leïlkum saaïde – gute Nacht!«

Er wandte sich ab und ließ mich stehen. Ich merkte, daß es jetzt an der Zeit sei, in Beziehung auf ihn meine Aufmerksamkeit zu verdoppeln. Es sollte aber anders kommen. Es war heute überhaupt ein trüber, ja trauriger Abend. Der Perser hatte sich hinter die Zweigwand zurückgezogen; seine Leute hockten bei einander, und ich saß mit Halef und dem Engländer schweigsam an der Quelle, wo wir bemüht waren, unsere brennenden Wunden zu kühlen. Der Tod Mohammed's hatte einen Jeden von uns mehr angegriffen, als er es den Andern eingestehen wollte. Durch die Hitze, mit welcher mein Blut in den Adern fluthete, zuckte zuweilen ein kalter, schüttelnder Schauer – es war das Nahen des Wundfiebers. Auch Halef fieberte bereits.

Ich hatte eine schlechte Nacht, aber meine kräftige Natur ließ es doch zu keinem ordentlichen Anfalle kommen. Es war, als fühlte ich jeden einzelnen Tropfen meines Blutes durch die Adern rinnen; halb wach, halb träumend oder phantasirend, schob ich mich hin und her; ich sprach mit allen möglichen Personen, die mir die Einbildungskraft vorführte, und wußte doch, daß es Täuschung sei, und erst am Morgen fiel ich in einen festern Schlaf, aus dem ich erst – – gegen Abend erwachte. Der bereits erwähnte Duft umfluthete mich, aber anstatt der beiden schönen Augenpaare sah ich die mächtige Aleppobeule auf der Nase des Engländers mir entgegenleuchten.

»Wieder munter?« frug er.

»Ich glaube. Was! Dort steht die Sonne? Es ist ja fast Abend!«

»Seid froh, Master! Die Ladies haben Euch in die Kur genommen. Sie schickten Tropfen für die Wunde. Halef hat sie aufgeträufelt. Dann kam die Eine selbst und goß Euch irgend etwas zwischen die Zähne. Ist wohl kein Porter gewesen, denke ich!«

»Welche war es?«

»Die Eine. Die Andere blieb dort. Es kann aber auch die Andere gewesen sein, und die Eine blieb dort. Weiß nicht!«

»Ich meine, die mit den blauen oder die mit den schwarzen Augen?«

»Habe keine Augen gesehen. Das wickelt sich ja ein wie Postpacket. Es wird aber wohl die Blaue gewesen sein.«

»Warum vermuthet Ihr dies?«

»Weil Ihr mit einem blauen Auge davongekommen seid. Ihr scheint Euch ja ganz wohl zu befinden!«

»Allerdings. Ich fühle mich wirklich ganz frisch und munter.«

»Geht mir auch so. Habe die Tropfen auch an meine Wunden gethan und fühle keinen Schmerz mehr. Ausgezeichnete Mixtur! Wollt Ihr essen?«

»Habt Ihr etwas? Ich hungere wie ein Wolf.«

»Hier! Die Blaue hat es geschickt. Oder vielleicht war es die Schwarze.«

Neben mir war eine silberne Taba, welche kaltes Fleisch, gesäuertes Brod und allerlei Mazih enthielt. Daneben stand ein Tschidan, der aber anstatt mit Thee mit einer kräftigen Fleischbrühe gefüllt war, die noch Wärme besaß.

»Die Ladies scheinen gewußt zu haben, daß ich erwache, bevor die Bouillon erkaltet.«

»Dieser Topf wartet bereits seit Mittag auf Euch. Sobald er kalt geworden ist, lassen sie ihn durch die Alte holen und machen ihn wieder warm. Ihr scheint bei ihnen einen Stein im Brette zu haben.«

Erst jetzt sah ich mich genauer um. In der Nähe lag Halef und schlief. Außerdem war kein Mensch zu sehen.

»Wo ist der Perser?« fragte ich.

»Bei den Weibern. Er war heut Morgen fort und hat eine Bergziege geschossen. Ihr trinkt also Ziegenbrühe.«

»Aus solchen Händen schmeckt sie delikat!«

»Denke nur immer, die Alte wird sie gesotten haben! Yes!«

»Wo ist Amad el Ghandur?«

»Er ist heute sehr früh spazieren geritten.«

Ich sprang auf und rief:

»So ist er fort, der Unbesonnene!«

»Mit dem Kohlenbrenner und dem Soran-Kurden. Yes!«

Ah, jetzt wußte ich, was er gemeint hatte, als er sagte, daß Allah selbst ihm ein Mittel gesendet habe, sich zu rächen. Der Soran-Kurde, selbst ein Todfeind der Bebbeh, konnte seinen Dolmetscher machen. Aber trotzdem war der unglückliche Haddedihn zu beklagen. Es war Zehn gegen Eins zu wetten, daß er seinen Stamm nie wieder erreichen werde. Ihm nachzureiten, davon konnte gar keine Rede sein. Erstens war sein Vorsprung zu groß; zweitens war ich ja Patient, und drittens konnte es nicht unsere Absicht sein, der Blutrache eines Andern wegen geradezu nun selbst zu Mördern zu werden.

»Er reitet doch den Hengst?« frug ich.

»Den Rappen? Der ist da,« antwortete Lindsay.

Auch das noch! Auf diese Weise also zwang mich Amad el Ghandur, das Pferd von ihm als Geschenk anzunehmen! Ich wußte für den Augenblick wirklich nicht, ob ich mich darüber freuen oder ärgern sollte. Überhaupt war das Verschwinden des Haddedihn ein Ereigniß, welches mich nicht gleichgültig lassen konnte; es mußte innerlich verarbeitet werden, um mich darüber beruhigen zu können.

»Also ist auch Allo mit fort?« frug ich. »Wie steht es denn mit seinem Lohne?«

»Hat ihn zurückgelassen. Ärgert mich! Mag von einem Kohlenbrenner nichts geschenkt haben.«

»Tröstet Euch, Sir! Er hat ein Pferd und eine Flinte. Damit ist er reichlich bezahlt. Und überdies – wer weiß, was ihm der Haddedihn versprochen hat. Wie lange schläft Halef?«

»So lange wie Ihr.«

»Das ist allerdings eine außerordentliche Medizin! Doch vor allen Dingen will ich essen.«

Ich hatte kaum damit begonnen, so wurde ich gestört: Hassan Ardschir-Mirza kam. Ich wollte mich erheben, er aber drückte mich freundschaftlich wieder nieder.

»Bleib sitzen, Emir, und iß! Das ist das Nothwendigste, was geschehen muß. Wie fühlst Du Dich?«

»Ich danke Dir; sehr wohl.«

»Ich wußte es. Dein Fieber wird nicht wiederkehren. Nun aber will ich Dir eine Botschaft ausrichten. Amad el Ghandur kam zu mir. Er erzählte mir Vieles von Euch und von ihm, so daß ich Euch so gut kennen gelernt habe, wie er Euch selber kennt. Er ist den Bebbeh nach und läßt Dich bitten, daß Du ihm verzeihen mögest, und er wünscht, daß Ihr ihm nicht nachfolgt. Er hofft, daß Ihr zu den Haddedihn zurückkehren und ihn dort finden werdet. Das ist die Botschaft, welche ich Euch bringen soll.«

»Ich danke Dir, Hassan Ardschir-Mirza! Sein Gehen hat meine Seele tief betrübt; aber ich muß ihn seinem Schicksale überlassen.«

»Wohin werdet Ihr Euch nun wenden?«

»Das müssen wir erst besprechen. Dieser mein Freund und Diener Hadschi Halef Omar muß allerdings zu den Haddedihn, denn bei ihnen befindet sich sein Weib. Und dieser Emir aus Inglistan hat zwei seiner Diener bei ihnen. Es ist aber dennoch möglich, daß wir zuvor nach Bagdad reiten. Dort hat der Inglis ein Schiff, mit welchem wir auf dem Tigris bis zu den Weidegründen der Haddedihn gelangen können.«

»So besprecht Euch, Emir! Geht Ihr nach Bagdad, so bitte ich Euch, mich nicht zu verlassen. Ihr seid tapfere Krieger; ich habe Euch bereits unser Leben zu verdanken und ich möchte Dir gern zeigen, daß ich Dich lieb gewonnen habe. Wir bleiben hier an diesem Orte, bis wir ohne Gefahr für Euere Gesundheit aufbrechen können. Jetzt iß und trink! Ich werde Euch noch mehr senden, denn Ihr seid meine Gäste. Gott mit Euch!«

Er ging, und es dauerte kaum zwei Minuten, so kam die alte Dienerin und brachte eine zweite Taba voller Speisen.

»Nehmt! Der Herr sendet es Euch!« sagte sie.

»Habt Ihr Feuer in der Hütte?« frug ich sie.

»Ja. Wir haben ein kleines Feuer und einen Djagadar, auf welchem wir die Speisen schnell bereiten können.«

»Maderka, wir machen Euch sehr viele Sorgen!«

»O nein, Emir. Das Haus freut sich, Gäste zu haben. Der Herr hat dem Hause von Euch erzählt, und Ihr sollt sein, als ob Ihr der Herr selber wäret. Aber sage nicht Maderka! Ich bin Duschireh und werde stets nur Alwah oder auch zuweilen Halwa genannt.«

Damit trippelte sie von dannen. Alle Wetter! War es mir auf dieser Reise denn wirklich beschieden, nur anthropobotanische Studien zu machen? Erst kürzlich in Schohrd eine ›Petersilie‹, und jetzt wieder eine Alwah, die zuweilen auch Halwa genannt wurde! Diese beiden Wörter bestehen aus ganz denselben Buchstaben, und doch wie verschieden ist ihre Bedeutung! Alwah heißt nämlich im Persischen so viel als Aloë, und Halwa ist unser liebes Tausendschönchen.

Diese gealterte Jungfrau hatte nun freilich mehr Ähnlichkeit mit der stacheligen Aloë als mit dem hübschen Tausendschönchen. Sie trug weite, am Knöchel zusammengebundene Beinkleider, deren niederhängende Falten zwei graue Filzpantoffeln fast bedeckten, darüber eine rothtuchene Weste und dann ein kaftanartiges, dunkelblaues Obergewand, auf dem Kopfe einen gelben Turban und daran zwei salope Schleierflügel, welche hinten einen haarlosen Nacken und vorn das eigenthümlich gezeichnete Gesicht einer Schleiereule sehen ließen. Doch schien diese ›tausendschöne Aloë‹ ein recht freundliches Gemüth zu besitzen, und ich beschloß, mich zu ihr auf einen möglichst freundschaftlichen Fuß zu stellen.

Sie hatte die Taba zur rechten Zeit gebracht, denn just als sie sich zum Gehen wandte, begann Halef zu gähnen und schlug dann die Augen auf. Er blickte erstaunt im Kreise umher, richtete sich zum Sitzen empor und frug dann ganz verwirrt:

»Maschallah! Dort steht die Sonne! Habe ich mich umgewandt oder hat sie sich umgedreht?«

Es ging ihm wie mir: er konnte es sich nicht denken, so lange geschlafen zu haben, und sein Erstaunen wuchs, als er erfuhr, daß Amad el Ghandur sich nicht mehr bei uns befinde.

»Fort? Wirklich fort?« frug er. »Ohne Abschied? Bei Allah, das ist nicht recht von ihm! Aber was thun nun wir? Jetzt hast Du keine Verpflichtungen mehr, welche Dich nöthigen, zu den Weideplätzen der Haddedihn zurückzukehren.«

»Ich denke im Gegentheile, daß ich sie noch habe. Glaubst Du, ich werde Dich verlassen, ohne überzeugt zu sein, daß Du sicher zu Scheik Malek und zu Hanneh, Deinem Weibe, gelangst?«

»Sihdi, diese Beiden befinden sich sehr wohl und werden warten müssen, bis ich komme. Ich liebe Hanneh, aber ich werde nicht eher von Deiner Seite weichen, als bis Du zurückkehrst in das Land Deiner Väter.«

»Ich kann ein solches Opfer nicht von Dir fordern, Halef.«

»Nicht von mir, sondern von Dir ist es ein Opfer, mich bei Dir zu behalten, Sihdi. Beschließe, was Du willst; ich folge Dir, wenn Du nicht die Grausamkeit hast, mich von Dir zu weisen!«

Jetzt brachten die Perser aus dem Flusse reichliche Beute von Fischen herbei, aus welchen das Nachtmahl bereitet wurde. Ich schloß mich von demselben aus, da ich bereits gegessen hatte, und erstieg den Felsblock, um am Grabe des Haddedihn dem Untergange der Sonne zuzusehen.

Dieses einsame, hoch gelegene Grabmal erinnerte mich an das Felsenmonument, welches wir dem Pir Kamek im Thale Idiz errichtet hatten. Wer hätte damals beim Begräbnisse des dschesidischen Heiligen ahnen können, daß Mohammed Emin auf so ferner, kurdischer Höhe seine letzte Ruhestätte finden würde! Es war mir so trüb und traurig zu Muthe, und ich fühlte eine solche Leere in mir, als sei mit dem Freunde ein Theil meines eigenen Wesens von mir gewichen. Und doch sollte man am Grabe eines guten Menschen nie trauern; der Tod ist ja der Bote Gottes, welcher uns nur naht, um uns empor zu führen zu jenen lichten Höhen, von denen der Erlöser seinen Jüngern sagte: ›In dem Hause meines Vaters sind viele Wohnungen, und ich gehe hin, Euch die Stätte zu bereiten.‹ Das Leben ist ein Kampf; man lebt, um zu kämpfen, und man stirbt, um zu siegen. Darum die Mahnung des Apostels: ›Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, und ergreife das Leben, dazu auch Du berufen bist!‹

Die Sonne küßte den Horizont, und ihre scheidenden Strahlen färbten denselben mit flammenden Lichtern, die sich, dem Osten entgegen, in immer milderen Tinten verloren. Die bewaldeten Höhen unter mir glichen einem grünen Meere, über dessen erstarrte Wogen die Dämmerung ihre langsam vorrückenden Schatten breitet. Nur über die nahe liegenden Kämme merkte man den Abendwind streichen, vor dessen Hauche sich die Wipfel leise neigten. Die Schatten wurden dunkler; die Ferne verschwand; das Abendroth war verglüht, und nun legte auch die Nähe das Alles verhüllende Gewand des Abends an. Wer doch mit der Sonne ziehen könnte! Wer ihr doch folgen könnte weit, weit fort zum Westen, wo ihre Strahlen noch voll und warm die Heimat beleuchteten! Hier auf der einsamen Höhe streckte das Heimweh seine Hand nach mir aus, das Heimweh, welchem in der Fremde kein Mensch entrinnen kann, in dessen Brust ein fühlendes Herz schlägt. ›Ubi bene ibi patria‹ ist ein Spruch, dessen kalte Gleichgültigkeit im Leben nicht allzu oft ihre Bestätigung findet. Die Eindrücke der Jugend sind niemals gänzlich zu verwischen, und die Erinnerung kann wohl schlafen, aber nicht sterben. Sie erwacht, wenn wir es am allerwenigsten denken, und bringt jene Sehnsucht über uns, an deren Weh das Gemüth so schwer erkranken kann. Ich dachte an die tief innigen Strophen des deutsch-amerikanischen Dichters Konrad Kretz, deren letzte also lautet:

»Land meiner Väter, länger nicht das meine,
So heilig ist kein Boden, wie der deine.
Nie wird dein Bild aus meiner Seele schwinden;
Und knüpfte mich an dich kein lebend Band,
Es würden mich die Todten an dich binden,
Die deine Erde deckt, mein Vaterland!«

Auf einem Umwege kehrte ich in's Lager zurück, wo Alle schon schliefen. Trotz der späten Stunde lag ich noch lange schlaflos auf meiner Decke. Es wurden schon einige Vogelstimmen hörbar, als ich endlich einschlief. Ich erwachte gegen Mittag und erfuhr von Halef, daß der Engländer mit dem Perser auf die Auerhühnerjagd gegangen sei. Sie hatten Dojan mitgenommen. Die Wunde des wackeren Hadschi Halef war schmerzhafter als die meinige, doch hatte ihm die alte Dienerin Alwah bereits am Morgen neue Arzneitropfen gebracht, welche nicht ohne Wirkung geblieben waren.

»Wie lange bleiben wir hier liegen, Sihdi?« frug er.

»Doch wohl so lange, bis wir ohne Gefahr für unsere Wunden aufzubrechen vermögen. Was hast Du gefrühstückt?«

»Verschiedenes, das ich gar nicht kenne. Diese Perserinen verstehen vortrefflich zu backen und zu braten. Allah erhalte sie uns, so lange wir sie brauchen! Der Mirza sagte, wenn Du erwachtest, so solle ich nur an die Scheidewand treten und in die Hände klatschen.«

»Thue es, Halef!«

Er folgte dem Gebote, und gleich darauf erschien das ›Tausendschönchen‹ mit einem Znabilik und einem Kawehdan. In dem Ersteren befand sich frisches, ungesäuertes Brod nebst kalten Bratenschnitten, und in dem Letzteren dampfte der wohlriechende Trank, dessen Cichorie-Imitation in Sachsen den poetischen Namen ›Bliemchenkaffee‹ führt.

»Wie ist Dir, Emir?« frug die Alte. »Du hast auch heut wieder sehr lange geruht; Allah sei Dank!«

»Ich bin sehr munter und hungrig, meine liebe Alwah.«

»Hier hast Du Labung; iß und trink, damit Deine Tage nie alle werden.«

»Ich danke Dir; grüße das ›Haus‹ von mir!«

»Es ist eigentlich nicht Sitte, aber ich werde es dennoch thun, denn Du bist der Freund und Bruder des Herrn.«

Sie trippelte von dannen, und ich machte mich an das Frühstück. Auf dem Boden des Körbchens fand ich als Nachtisch vortreffliche getrocknete Weinbeeren und mit Helwa überzogene Gridgan, welche die Theilnahme meines guten Halef erregten. Ich sah es ihm an, daß er eine Bemerkung machen wollte, aber schon kehrte Halwa mit einem zweiten Topfe zurück.

»Emir,« sagte sie, »hier sendet Dir unser ›Haus‹ noch eine Speise, die sehr gut zur Kühlung des Fiebers ist. Erlaube, daß ich das Geschirr nachher wieder hole!«

Als sie sich entfernt hatte, untersuchte ich den Inhalt des Gefäßes und fand zu meinem Erstaunen gekochte Amrudha in ihrer eigenen, süßen Sauce. Jetzt konnte sich Halef nicht mehr halten.

»Allah 'l Allah!« rief er. »Gott sei gelobt, der köstliche Dinge wachsen läßt und dazu liebliche Frauen, welche Alles zu bereiten verstehen! Sihdi, diese Perserinen sind Dir hold, sonst würden sie Dir nicht so herrliche Speisen senden. Heirathe sie, damit sie für Dich kochen müssen jetzt und in alle Ewigkeit!«

»Hadschi Halef Omar, hebe Dich von dannen, sonst vergesse ich vor Entzücken über Deinen Vorschlag, diese Leckerbissen mit Dir zu theilen.«

Er streckte alle zehn Finger abwehrend von sich, während ihm doch das Wasser im Munde zusammenlief.

»Allah behüte mich vor der Sünde, Dir den Genuß zu rauben, welchen Dir diese Speisen bereiten werden, Sihdi! Ich bin ein armer Ben el Arab, und Du bist ein großer Emir aus Nemsistan. Ich kann warten, bis mir einst im Paradiese die Houris solche Brühe kochen!«

»Das dauert zu lange, Halef. Wir theilen!«

»Sihdi, Du versuchst mich beinahe über meine Kräfte. Ich habe noch nichts aus Farsistan gegessen.«

»So setze Dich! Ich nehme den Koffer, das Brod und das Fleisch, und Du issest die Birnen und die Früchte des Helwa-kurusch

»Ja grad diese sind für Dich, Effendi!«

»Ich denke, Du bist mein Diener, Halef?«

»Der treueste Diener, den es geben kann.«

»So gehorche, wenn ich nicht zornig werden soll!«

»Wenn Du so streng gebietest, so darf ich nicht ungehorsam sein!«

Sein Gehorsam war ein so eifriger, daß die Extrasendung sehr bald unter seinem Schnurrbarte verschwunden war. Ich wußte es, mein kleiner Halef war einigermaßen ein Leckermaul, dem ich mit diesen Kleinigkeiten einen Hochgenuß bereitete.

Nach einiger Zeit kamen die beiden Jäger zurück und brachten reichliche Beute mit. Der Perser begrüßte mich mit aufrichtiger Freundlichkeit und begab sich dann zu den Frauen, indem er das Auerwild mit sich nahm. Der Engländer nahm neben mir Platz.

»Wie? Jetzt erst aufgestanden? Sehe es am Kaffee,« begann er.

»Ich habe allerdings wieder sehr lange geschlafen.«

»Well! Leben hier wie im Schlaraffenlande. Wie lange wird es dauern, Master?«

»Jedenfalls so lange, bis wir hier fortgehen.«

»Witty, ingenious, geistreich im höchsten Grade! Und wohin werden wir dann gehen, Master?«

»Geht Ihr mit nach Bagdad?«

»Ist mir auch recht. Möchte einmal heraus aus diesen Bergen. Und dann von Bagdad aus?«

»Das wird sich finden. Es ist überhaupt noch nicht ganz gewiß, ob mein Ziel grad Bagdad ist. Ich habe bis jetzt nur die Richtung von Bagdad gemeint.«

»Ganz gleich. Nur fort von hier!«

Jetzt erschien die holde ›Aloe‹, um den Dienern des Mirza die Auerhühner zum Rupfen zu übergeben. Hinter ihr kam ihr Herr, der mir winkte und dann mit langsamen Schritten das Lager verließ. Ich folgte ihm. An einer Stelle, die von zwei Bäumen beschattet war, setzte er sich in das Moos nieder und forderte mich durch eine Handbewegung auf, an seiner Seite Platz zu nehmen. Ich that es, und dann begann er die Unterhaltung mit der Frage:

»Emir, ich habe Vertrauen zu Dir; darum höre. Ich bin ein Verfolgter. Frage mich nicht, wer mein Vater war. Dieser starb plötzlich eines gewaltsamen Todes, und seine Freunde flüsterten heimlich, er sei getödtet worden, weil er einem Anderen im Wege gestanden habe. Ich, sein Sohn, aber habe ihn gerächt und mußte fliehen mit den Meinigen. Vorher jedoch lud ich Alles, was ich an Werthsachen retten konnte, auf eine Anzahl von Kameelen und sandte sie unter der Obhut eines treuen Untergebenen voraus über die Grenze des persischen Reiches. Dann folgten wir auf einem anderen Wege nach. Ich wußte, daß man uns verfolgen würde, und darum leitete ich die Dzadgir irre, indem wir den Weg durch das wilde Kurdistan nahmen. Und nun, Emir, sage mir, ob Du mich begleiten willst, so weit als unser Weg derselbe ist; doch überlege wohl, daß ich ein Flüchtling bin.« Er schwieg, und ich antwortete sofort:

»Hassan Ardschir-MirzaMirza heißt eigentlich 'Sohn eines Herrn'. Vor dem Namen bedeutet es einen gebildeten Herrn und ist ein Ehrentitel. Hinter dem Namen bedeutet aber Mirza einen Prinzen. Diesen Titel führen besonders die persischen Beglerbegs (Statthalter einer Provinz), ich werde mit Dir ziehen, solange als ich Dir und den Deinigen nützlich sein kann.«

Er reichte mir die Hand und sagte:

»Ich danke Dir, Emir! Und Deine Gefährten?«

»Sie gehen dahin, wohin ich gehe. Darf ich fragen, welches Dein Ziel ist?«

»Hadramaut.«

Hadramaut! Dieses Wort elektrisirte mich. Das unerforschte, gefährliche Hadramaut! Da war plötzlich alle Abspannung und aller Mißmuth verschwunden, und ich erkundigte mich im lebhaftesten Tone: »Wirst Du dort erwartet?«

»Ja; ich habe einen Freund daselbst, den ich durch einen Boten von meiner Ankunft unterrichten ließ.«

»Darf ich Dich nach Hadramaut begleiten?« frug ich nun.

»So weit, Emir? Ein solches Opfer könnte ich vom besten Freunde nicht fordern.«

»Es ist kein Opfer, das ich bringe; ich begleite Dich gerne, wenn es Dir genehm ist.«

»So sei willkommen, Herr! Du sollst bei uns bleiben, so lange es Dir gefällt. Jetzt aber muß ich Dir noch mittheilen, daß ich vor der Reise nach Hadramaut erst Kerbela besuche.«

»Kerbela? Ah, wir sind ja am Ende des Monates Dsu 'l hedsche, und der Moharrem bricht an. Am zehnten dieses Monates ist das große Pilgerfest in Kerbela.«

»Ja; die Hadsch el manijat ist längst schon unterwegs, und auch ich ziehe nach Kerbela, um an der Leidensstätte Hosseïn's meinen Vater zu begraben. Du siehst, daß es Dir fast unmöglich sein wird, uns zu begleiten!«

»Warum unmöglich? Weil ich ein Christ bin, der nicht nach Kerbela gehen darf? Ich war bereits in Mekka, trotzdem nur der Moslem dort Zutritt hat.«

»Man würde Dich zerreißen, wenn Du in Kerbela erkannt würdest!«

»Man hat mich in Mekka auch erkannt und dennoch nicht zerrissen!«

»Emir, Du bist ein kühner Mann! Ich weiß, daß mein Vater in Allah's Händen ruht, ob seine Leiche nun in Teheran oder in Kerbela begraben liegt. Ich würde nie nach Kerbela, Nedschef oder Mekka pilgern, denn Muhammed, Ali, Hassan und Hosseïn waren Menschen, wie wir es sind; aber ich habe den letzten Willen meines Vaters, der in Kerbela ruhen wollte, getreu zu erfüllen und werde mich aus diesem Grunde der Todtenkaravane anschließen. Willst Du an meiner Seite bleiben, so bin ich es nicht, der Dich verrathen würde; auch mein Haus wird schweigen; aber meine Diener theilen nicht meine Meinung über die Lehre des Propheten; sie würden die ersten sein, welche Dich tödteten.«

»Laß dies nur meine Sorge sein. Wo wirst Du Deine Kameele treffen?«

»Kennst Du Ghadhim bei Bagdad?«

»Die Perserstadt? Ja; sie liegt am rechten Ufer des Tigris, Madhim gegenüber, und ist mit Bagdad durch eine Pferdebahn verbunden.«

»Dort erwarten mich meine Kameeltreiber, welche auch die Leiche meines Vaters bei sich haben.«

»So begleite ich Dich zunächst bis dorthin, und das Übrige wird sich finden. Aber, bist Du in Ghadhim sicher?«

»Ich hoffe es. Zwar werde ich verfolgt, aber der Pascha von Bagdad würde mich nicht ausliefern.«

»Traue keinem Türken, traue auch keinem Perser! Du bist so vorsichtig gewesen, durch Kurdistan zu gehen; warum willst Du diese weise Vorsicht jetzt aufgeben? Du kannst Kerbela erreichen, auch ohne daß Du Dich der Leichenkaravane anschließest.«

»Ich kenne keinen Weg.«

»Ich werde Dich führen.«

»Kennst Du die Pfade?«

»Nein, aber ich werde sie finden. Allah hat mir die Gabe verliehen, ohne Führer Orte zu finden, die ich noch nie betreten habe.«

»Es geht dennoch nicht, Emir. Ich muß nach Ghadhim zu meinen Leuten.«

»So gehe heimlich hin und vermeide dann Bagdad und die Todtenkaravane!«

»Herr, ich bin kein Feigling. Sollen meine Leute glauben, daß ich mich fürchte?«

»Gut, auch Du bist kühn! Das freut mich, denn wir passen zusammen und reisen zusammen.«

»Ich stimme bei, Emir, doch mache ich eine Bedingung. Ich bin reich, sehr reich; ich fordere, daß Du Alles, was Du brauchst, nur allein von mir nimmst!«

»Dann bin ich Dein Diener, welcher Lohn empfängt.«

»Nein; Du bist mein Gast, mein Bruder, dessen Liebe mir erlaubt, für ihn zu sorgen. Ich schwöre bei Allah, daß ich nicht mit Dir reite, wenn Du diese Bedingung nicht annimmst!«

»Du zwingst mich durch diesen Schwur, Deinen Wunsch zu erfüllen. Du bist voll Güte und Vertrauen zu mir, obgleich Du mich nicht kennst!«

»Du meinst, ich kenne Dich nicht? Hast Du uns nicht aus der Hand der Bebbeh errettet? Hat nicht Amad el Ghandur von Dir erzählt? Wir werden bei einander bleiben, und ich werde für das wenige, das ich Dir bieten kann, von Dir Schätze erhalten, nach denen ich bisher vergebens gerungen habe, weil ich Keinen fand, der sie besaß – Schätze des Geistes. Emir, ich bin kein gewöhnlicher Perser, aber ich kann mich nicht mit Dir vergleichen. Ich weiß, daß in Deinem Lande ein Knabe kenntnißreicher ist, als bei uns ein Mann; daß Ihr in Gütern schwelgt, deren Namen wir nicht einmal kennen. Ich weiß, daß unser Land eine Einöde ist gegen das Eurige, und daß der ärmste eurer Leute mehr Rechte besitzt, als der Wessir von Farsistan. Ich weiß noch vieles Andere, und ich erkenne auch den Grund: Ihr habt Mütter; Ihr habt Frauen; wir aber haben keins von Beiden. Gib uns gute Mütter, so werden unsere Kinder sich auch bald mit den Euren messen können. Das Herz der Mutter ist der Boden, in dem der Geist des Kindes Wurzel schlägt. O Mohammed, ich hasse dich, denn du hast unseren Frauen die Seele genommen und sie zu Sklavinen der Sinnenlust gemacht; du hast dadurch unsere Kraft gebrochen, unser Herz versteinert, unsere Länder verödet und alle Jene, welche Dir folgen, um das wahre Glück betrogen!«

Er hatte sich erhoben und rief seine Anklage gegen den Propheten mit lauter Stimme aus. Ein Glück, daß keiner seiner Leute ihn zu hören vermochte! Erst nach einer beträchtlichen Pause wandte er sich wieder zu mir:

»Kennst Du den Weg von hier nach Bagdad?«

»Ich bin ihn noch nie geritten, aber ich werde mich dessen ungeachtet nicht verirren. Wir können zwei Richtungen einschlagen: die eine führt nach den Hamrin-Bergen im Südwest, und die andere bringt uns längs des Djalah bis hinab nach Ghadhim.«

»Wie weit, denkst Du, daß es von hier bis Ghadhim ist?«

»Auf dem ersteren Wege können wir in fünf, auf dem andern aber bereits in vier Tagen dort anlangen.«

»Führen diese Wege durch bewohnte Gegenden?«

»Ja, und eben deßhalb scheinen sie mir die besten zu sein.«

»So gibt es also noch andere Wege?«

»Allerdings; aber wir müßten durch Strecken reiten, in denen nur die räuberischen Beduinen umherschweifen.«

»Von welchem Stamme sind sie?«

»Es sind meist Dscherboa, über deren Grenzen zuweilen wohl auch einmal ein Trupp der Beni Lam herüberirrt.«

»Fürchtest Du sie?«

»Fürchten? Nein! Aber der Vorsichtige wählt unter zwei Wegen stets den ungefährlichen. Ich habe einen Paß des Großherrn bei mir, und dieser wird am Djalah und im Westen dieses Flusses respektirt, bei den Dscherboa aber nicht.«

»Und dennoch möchte ich mich für den einsamen Weg entscheiden, da ich ein Flüchtling bin. So nahe der persischen Grenze, möchte ich mich von den Verfolgern doch nicht erreichen lassen.«

»Vielleicht ist Deine Ansicht die richtige; aber bedenke, daß der Weg durch die Steppe, deren Vegetation jetzt unter der Sonnenglut erstorben ist, für die Frauen sehr beschwerlich sein wird.«

»Sie fürchten weder Hunger noch Durst, weder Hitze noch Frost; sie fürchten nur das Eine, daß ich ergriffen werde. Ich habe Wasserschläuche bei mir und Speisevorräthe auf wenigstens acht Tage für uns Alle.«

»Und kannst Du Dich wirklich auf Deine Leute verlassen?«

»Vollständig, Emir.«

»Gut, so wollen wir durch das Gebiet der Dscherboa reiten; Allah wird uns schützen. Übrigens werden wir, sobald wir die Ebene erreichen, sehr schnell vorwärts kommen, während Deine Kameele das jetzige bergige Terrain nur mühevoll überwinden. So sind wir also einig und brauchen nur zu warten, bis unsere Wunden den Aufbruch erlauben.«

»Nun erfülle mir eine Bitte,« sagte er zaghaft. »Ich habe mich bei meinem Aufbruche mit allem Nöthigen sehr reichlich versehen. Auf weiten Reisen verschwinden die Kleider vom Körper, und da ich wußte, daß ich bis Hadramaut keinen guten Bazar finden würde, so habe ich auch einen Vorrath an Gewändern mitgenommen. Eure Kleider sind nicht mehr Eurer würdig, und ich bitte Dich, von mir zu nehmen, was Ihr braucht!«

Dieser Vorschlag war mir ebenso willkommen als bedenklich. Hassan Ardschir-Mirza hatte Recht: wir Drei hätten uns in keinem civilisirten Orte sehen lassen können, ohne für ächte Vagabunden gehalten zu werden; aber ich wußte auch, daß der Engländer sich nichts schenken lassen würde, und sodann war es ja auch für mich ein Ehrenpunkt, die Freundschaft des Persers nicht gleich am ersten Tage in Anspruch zu nehmen. Übrigens war es mir auch sehr gleichgültig, in meinem nichts weniger als hoffähigen Gewande von einem Araber gesehen zu werden. Ein ächter Beduine taxirt den Mann nach seinem Pferde und nicht nach seinem Mantel, und in dieser Beziehung hatte ich die Überzeugung, den Neid eines Jeden zu erregen. Höchstens konnte es einem Wüstensohne beikommen, mich für einen Pferdedieb zu halten, und dies war nach seiner Anschauung ja mehr eine Ehre als eine Schande für mich. Ich antwortete also dem Mirza:

»Ich danke Dir! Ich weiß, wie gut Du es mit uns meinst, aber ich bitte Dich, uns erst in Ghadhim wieder über dieses Anerbieten sprechen zu lassen. Für die Dscherboa sind unsere Kleider noch gut genug, und für die wenigen Tage bis in die Nähe von Bagdad werden wir sie schon noch tragen können. Ich denke, daß wir – –«

Ich hielt inne, denn es war mir, als hätte ich in dem Maulbeergesträuch, welches hinter den beiden Eichen stand, ein Geräusch gehört.

»Laß Dich nicht stören, Emir; es war ein Thier, vielleicht ein Vogel, eine Tschelpiseh oder Maïr-mar,« sagte der Mirza.

»Ich habe jede Art von Waldgeräusch studirt,« antwortete ich; »dies war kein Thier, sondern ein Mensch.«

Mit einigen langen Sprüngen umkreiste ich das Gesträuch und faßte einen Mann, der eben im Begriffe stand, zu entschlüpfen. Es war einer der persischen Diener.

»Was thust Du hier?« frug ich ihn.

Er antwortete nicht.

»Rede, sonst löse ich Dir die Zunge!«

Jetzt öffnete er die Lippen, ließ aber nur ein unartikulirtes Stammeln vernehmen. Da trat der Mirza hinzu und sagte, als er den Mann erblickte:

»Saduk ist's? Er kann Dir nicht antworten, er ist stumm.«

»Aber was sucht er hier in dem Maulbeergesträuche?«

»Er wird es mir sagen; ich verstehe ihn.« Und zu dem Diener gewendet, frug er denselben:

»Saduk, was hast Du hier zu schaffen?«

Der Gefragte öffnete die Hand, in welcher er einige Kräuter und Wacholderbeeren hatte, und versuchte, sich durch Geberden verständlich zu machen.

»Woher kamst Du?«

Saduk zeigte nach rückwärts, dem Lager entgegengesetzt.

»Wußtest Du, daß wir uns hier befanden?«

Der Diener schüttelte mit dem Kopfe.

»Hast Du gehört, was wir gesprochen haben?«

Dasselbe Zeichen erfolgte.

»So gehe, aber störe mich nie wieder!«

Saduk entfernte sich, und sein Herr erklärte mir: »Saduk ist von Alwah beauftragt worden, Wacholderbeeren, wilden Lauch und andere Kräuter zu suchen, welche bei der Zubereitung der Auerhühner gebraucht werden. Er ist nur ganz zufällig in unsere Nähe gekommen.«

»Und hat uns belauscht,« warf ich ein.

»Du hast ja gesehen, daß er dies verneinte.«

»Ich glaube ihm nicht.«

»O, er ist treu!«

»Sein Angesicht gefällt mir nicht. Ein Mensch mit winkeliger, gebrochener Kinnlade ist falsch; dies mag ein Vorurtheil sein, aber ich habe es bisher immer bestätigt gefunden. Ist er stumm geboren?«

»Nein.«

»Wodurch hat er denn die Sprache verloren?«

Der Mirza zögerte mit der Antwort, sagte aber dann doch:

»Er hat keine Zunge mehr.«

»Ah! Und erst konnte er sprechen? So ist sie ihm herausgeschnitten worden?«

»Leider!« antwortete der Mirza zurückhaltend.

Ich dachte mit Schaudern an die glücklicherweise jetzt seltene Grausamkeit, ein durch die Zunge geschehenes Vergehen durch Herausschneiden oder gar Herausreißen dieses Gliedes zu bestrafen. Diese Unmenschlichkeit kam besonders im Orient und in den Sklavenstaaten Amerika's vor.

»Hassan Ardschir-Mirza,« begann ich wieder, »ich sehe, daß Du über diese Sache nicht gern sprechen möchtest; aber dieser Saduk gefällt mir nicht; ich könnte ihm niemals mein Vertrauen schenken, und seine Gegenwart während unseres Gespräches kommt mir verdächtig vor. Ich bin kein neugieriger Mann, aber ich habe die Gewohnheit, in gefährlichen Lagen auch dem gleichgültigsten Gegenstande meine Aufmerksamkeit zu schenken. Ich bitte Dich, mir zu erzählen, wie er um seine Zunge gekommen ist.«

»Ich habe ihn erprobt, Emir; er ist treu und ehrlich. Dennoch aber sollst Du erfahren, was meinen Vater bewogen hat, ihn auf diese Weise zu bestrafen.«

»Deinen Vater? Ah, das ist wichtig!«

»Du irrst, Emir! Dieser Saduk war in seiner Jugend Kmankasch meines Vaters und hatte als solcher das Amt, der Überbringer seiner Befehle, Botschaften und sonstigen Sendungen zu sein. Als solcher verkehrte er viel in dem Hause des Muschtahedwörtlich 'Beweisführer' = Oberpriester, der in Persien noch über dem Scheik ul Islam steht und sah die Tochter desselben. Sie gefiel ihm, und er war ein schöner Mann. Er sprang über die Mauer des Gartens, als sie bei den Blumen stand, und wagte es, zu ihr von seiner Neigung zu sprechen. Der Muschtahed befand sich unbemerkt in der Nähe und ließ ihn festnehmen. Aus Rücksicht für meinen Vater wurde er nicht dem Urfgerichte übergeben, welches ihn zum Tode verurtheilt hätte; aber er hatte mit der Zunge gesündigt, und der Muschtahed drang darauf, daß mein Vater ihm die Zunge nehmen solle. Mein Vater hatte den Muschtahed sehr zu berücksichtigen, und so ließ er einen Maitschunigar kommen, welcher zugleich ein berühmter Arzt war, und dem Bogenschützen die Zunge herausschneiden.«

»Das war fast schlimmer als der Tod. Saduk ist seit jener Zeit stets bei Deinem Vater gewesen?«

»Ja. Und seine Schmerzen hat er mit geduldiger Ergebung getragen, denn er ist sanft und freundlich von Charakter. Aber es lag ein Fluch auf der That.«

»Wie so?«

»Der Muschtahed starb an Gift; der Arzt lag eines Morgens ermordet vor der Thür seiner Apotheke, und das Mädchen ertrank bei einer Wasserfahrt, als der Kahn eines verhüllten Mannes den ihrigen umstieß.«

»Das ist sehr eigenthümlich. Sind die drei Mörder nicht entdeckt worden?«

»Niemals. Ich weiß, was Du jetzt denken wirst, Emir; aber Deine Vermuthung ist eine ungerechte, denn Saduk war sehr oft krank, und er lag grad an den Tagen, an denen die Drei den Tod fanden, als Patient in seiner Kammer.«

»Auch Dein Vater starb eines nicht natürlichen Todes?«

»Er wurde auf einem Ritte überfallen. Saduk und ein Kajem Makam begleiteten ihn. Saduk allein hatte sich gerettet – er blutete aus einer Wunde; mein Vater aber und der Kajem Makam waren todt.«

»Hm! Hat Saduk die Mörder nicht erkannt?«

»Es war dunkel; den Einen der Angreifenden erkannte er an der Stimme – den größten Widersacher meines Vaters.«

»An dem Du Dich gerächt hast?«

»Die Richter sprachen ihn frei, aber er – – ist todt!«

Die Miene des Mirza sagte mir sehr deutlich, welch eines Todes jener Widersacher gestorben sei. Er warf die Hand verächtlich empor und meinte: »Das ist vorbei; laß uns nach dem Lager zurückkehren!«

Er ging. Ich blieb noch eine Weile, denn was ich jetzt erfahren hatte, gab mir sehr zu denken. Dieser Saduk war entweder ein ganz und gar selbstloser Mensch, wie es nur wenige gibt, oder ein ganz und gar raffinirter Bösewicht. Er durfte nicht aus den Augen gelassen werden. Als ich später in das Lager kam, war man eben beschäftigt, das Mittagsmahl zu bereiten. Ich sagte dem Engländer, daß ich mit dem Perser nach Bagdad und dann nach Kerbela zu reiten Lust hätte, und er erklärte sich sofort bereit, die gefährliche Reise mitzumachen.

Meine Wunde belästigte mich heute nicht im Geringsten; ich fühlte mich ganz wohl, und darum griff ich am Nachmittag zum Stutzen, um mich in Begleitung meines Hundes ein wenig in der Gegend umzusehen. Sir David Lindsay wollte mich begleiten, ich aber zog es vor, allein zu sein. Aus alter langjähriger Gewohnheit wollte ich mich zunächst von der Sicherheit des Lagers überzeugen. Die Hauptsache ist dabei, die eigenen Spuren zu verbergen und dann nachzuforschen, ob sich Spuren feindseliger Wesen bemerkbar machen. Ich umschritt also das Lager in mehreren Kreisen, bis ich unten am Flusse anlangte. Da sah ich denn, daß das Gras an dem Ufer desselben in höchst auffälliger Weise niedergetreten war. Eben wollte ich mich der Stelle nähern, als ich hinter mir die Zweige rauschen hörte.

Schnell trat ich hinter einen dichten Busch und duckte mich zur Erde. Ich hörte Schritte unweit meines Versteckes – der stumme Perser trat aus dem Buschrande hervor, sah sich um und ging, als er keinen Beobachter bemerkte, nach dem Flusse zu derselben Stelle, die mir soeben aufgefallen war. Dort stampfte er im Grase herum und kehrte dann ohne Verzug zurück. Ehe er den Rand des Gesträuches wieder erreichte, warf er einen scharfen, mir auffallenden Blick auf zwei Stellen des Gesträuches und wollte dann vorüberhuschen.

Da aber hatte ich ihn mit der Linken bereits bei der Brust und gab ihm mit der Rechten eine Ohrfeige, die ihm jede Widerstandsfähigkeit benahm.

»Chaïntkar – Verräther! Was thust Du hier?« fuhr ich ihn an. Er konnte allerdings nicht sprechen, und die unverständlichen Töne, welche er hervorstieß, waren jedenfalls mehr eine Folge seines Schreckens, als der Absicht, mir sein Thun zu erklären.

»Siehst Du dieses Gewehr?« sagte ich. »Wenn Du nicht sofort thust, was ich Dir befehle, so schieße ich Dich nieder! Nimm Deine Kelah, schöpfe mit ihr Wasser und gieße es auf das niedergetretene Gras, damit es sich rasch wieder aufrichtet. Du wirst mit der Hand nachhelfen!«

Er machte einige widerstrebende oder vielleicht auch entschuldigende Handbewegungen; aber als ich den Stutzen von der Schulter nahm, gehorchte er, ein Auge auf seine Arbeit und das andere auf die Mündung des Gewehres richtend.

»Nun komm,« sagte ich, als er fertig war; »wir wollen einmal nachsehen, was Du hier so auffällig zu beäugeln hattest!«

Ich forschte nach den beiden Punkten, auf welche sein Blick gefallen war, und bemerkte an zwei, vielleicht zwanzig Fuß aus einander stehenden Büschen je ein kleines Grasbüschel hangen.

»Ah, ein Zeichen! Das wird interessant! Mache dieses Gras herunter und wirf es in den Fluß!«

Er gehorchte.

»So, nun gehen wir zum Lager. Vorwärts! Wenn Du zu entfliehen suchst, so trifft Dich meine Kugel, oder es zerreißt Dich mein Hund!«

Meine Ahnung hatte mich also nicht getäuscht: dieser Mensch war ein Verräther, obgleich die Thatsache erst noch genauer erwiesen werden mußte. Als wir bei den Andern ankamen, ließ ich den Perser durch einen Diener holen.

»Was ist's?« frug er. »Warum hältst Du Saduk beim Gewande?«

»Weil er mein Gefangener ist. Er will Dich verderben. Du wirst verfolgt, und er verräth Deinen Verfolgern unsern Aufenthalt durch Zeichen, die er ihnen gibt. Ich traf ihn, als er das Gras am Ufer des Flusses niedertrat, und an den Büschen hingen Grasbündel als Zeichen, an welcher Stelle man in das Gesträuch dringen müsse, um zu unserm Lager zu gelangen.«

»Das ist unmöglich!«

»Ich sage es! Verhöre ihn, wenn Du ihn verstehen kannst!«

Er legte dem Arrestanten eine Menge Fragen vor, konnte aber aus den darauf folgenden Zeichen und Gebärden weiter nichts entnehmen, als daß Saduk gar nicht begreife, was ich von ihm wolle.

»Siehst Du, Emir, daß er unschuldig ist!« meinte der Mirza.

»Nun gut, so werde ich an Deiner Stelle handeln,« sagte ich. »Ich hoffe, daß es mir gelingt, Dich zu überzeugen, daß dieser Mann ein Verräther ist. Hole nun Dein Gewehr und folge mir dann. Sage aber vorher Deinen Leuten, daß meine Begleiter einen Jeden niederschießen werden, welcher Miene macht, Saduk zu befreien. Sie sind nicht gewohnt, mit sich scherzen zu lassen. Unten am Rande des Busches mag Einer bis zu unserer Rückkehr Wache halten, um es den Andern zu melden, falls er das Nahen einer Gefahr bemerkt.«

»Reiten oder gehen wir?« frug er.

»Wie weit liegt der Ort von hier, wo Ihr Euer letztes Nachtlager hieltet?«

»Wir sind mehr als sechs Stunden geritten.«

»So können wir ihn heute nicht erreichen. Wir werden gehen.«

Er holte sein Gewehr. Ich gab Halef und dem Engländer die nöthigen Instructionen. Sie banden den Gefangenen und nahmen ihn zwischen sich. Er befand sich in so sicheren Händen, daß ich mich ohne Sorge entfernen konnte.

Wir gingen zunächst thalabwärts, dem Flusse zu. Auf der Hälfte dieses kurzen Weges blieb ich überrascht stehen, denn an einer kleinen Blutbuche hing ein ganz eben solches Grasbüschel wie die beiden, welche Saduk in den Fluß hatte werfen müssen.

»Halt, Mirza! Was ist das?« sagte ich.

»Gras,« erwiederte er.

»Wächst dies auf den Bäumen?«

»Allah hu! Wer hat es hierher gehängt?«

»Saduk. Komm zwanzig Fuß nach rechts hinüber, wo ich ein zweites Zeichen vermuthe!«

Er folgte mir, und meine Vermuthung bestätigte sich.

»Ist das aber nicht schon vor uns hier gewesen?« frug der Perser.

»O Hassan Ardschir-Mirza, wie gut ist es, daß nur ich allein Deine Worte höre! Siehst Du nicht, daß dieses Gras noch grün und frisch ist? Komm vollends herab zum Flusse, wo ich in ganz entsprechender Distanz die ersten Zeichen fand. Dieser Mensch hat ja förmlich einen zwanzig Fuß breiten Weg abgesteckt, welcher vom Flusse zum Lager führt. Dort wären wir überfallen und getödtet worden, ganz wie Dein Vater, der Apotheker, der Muschtahed und seine Tochter sterben mußten.«

»Herr, wenn Du Recht hättest!«

»Ich habe Recht. Bist Du ein guter Fußgeher und getraust Du Dir, den Weg wiederzufinden, auf welchem Ihr von Eurem letzten Lagerplatze bis hierher gekommen seid?«

Er bejahte Beides, und nun schritten wir am Flusse aufwärts und erreichten recht bald die Stelle, an welcher ich mit den Haddedihn und den andern Gefährten gelagert hatte, ehe wir den Persern zu Hülfe eilten. Wir waren damals aus Nord gekommen; hier aber bog das Flußthal bald nach Osten um, und wir folgten dieser Richtung. Wir hatten die Krümmung bereits hinter uns, als ich rechter Hand eine starke Weide bemerkte, von deren Stamm zwei Rindenstreifen abgeschlitzt waren.

»In welcher Ordnung seid Ihr gewöhnlich geritten?« frug ich.

»Die Frauensänfte in der Mitte, und die Leute, in zwei Hälften getheilt, vor und hinter derselben.«

»Bei welcher Abtheilung war Saduk?«

»Stets bei der hinteren. Er blieb oft zurück, denn er liebt die Blumen und Kräuter, welche er gern betrachtet.«

»Er blieb zurück, um unbemerkt für Deine Verfolger Zeichen zu hinterlassen. Er ist ein großer Schlaukopf!«

»Wo sind Zeichen?«

»Hier an dieser Weide; komm weiter!«

Nach einer Viertelstunde zeigte der Fluß eine fast dreifache Breite gegen früher, und sein in Folge dessen seichteres Wasser bildete eine Furt, welche sehr leicht zu passiren war. Hier blieb der Mirza stehen und deutete auf eine junge Birke, welche kurz unterhalb ihrer Krone abgeknickt war.

»Vielleicht hältst Du auch das für ein Zeichen?« sagte er lächelnd.

Ich untersuchte das Bäumchen.

»Allerdings ist es ein Zeichen. Sieh das Stämmchen an, meinetwegen auch die Stämme der anderen Bäume, welche in der Nähe stehen; betrachte ferner die Richtung der Höhen hier, und Du wirst finden, daß allein der Westen die Windseite dieses Platzes sein kann. Kein Nord-, Süd- oder Ostwind kann hier so stark sein, daß er die Krone dieses schwanken Bäumchens bricht. Und doch ist sie gebrochen, und zwar so, daß sie nach West zeigt. Fällt Dir das nicht auf?«

»Allerdings, Emir!«

»Und nun sieh die Bruchfläche an! Sie ist noch hell, sie kann nur aus der Zeit stammen, in welcher Ihr hier vorüberkamt. Auch hatte es in den letzten Tagen keinen Sturm gegeben, der mächtig genug gewesen wäre, diese Knickung hervorzubringen. Die Krone zeigt nach West, die Richtung, welche Ihr eingeschlagen habt. Komm weiter!«

»Sollen wir schwimmen?«

»Schwimmen? Warum?«

»Wir sind hier über die Furt herübergekommen.«

»Vielleicht ist das Schwimmen gar nicht nöthig, denn der Fluß ist seicht. Laß uns hinüber waten, und Du wirst sehen, daß wir genau an der Stelle, an welcher Ihr in das Wasser rittet, wieder Zeichen finden werden.«

Wir banden unsere Kleider in ein Bündel, das wir auf dem Kopfe trugen. Das Wasser ging uns bald nur über die Knie, bald etwas höher; nur einmal erreichte es meine Achseln. Drüben angekommen, mußte sich der Mirza sogleich von der Richtigkeit meiner Vermuthung überzeugen, denn es waren mehrere wilde Traubenranken so zusammengebogen und verbunden, daß sie eine Thoröffnung versinnbildlichten.

»Hatte hier Saduk Zeit, das zu thun?« frug ich.

»Ja. Ich besinne mich, daß die Kameele nicht in das Wasser wollten; wir hatten viele Mühe mit ihnen. Saduk ließ sein Pferd zurück, um eines der Kameele hinüberzubringen, und kehrte dann allein und zuletzt zurück, um sein Pferd nachzuholen.«

»Wie schlau! Glaubst Du mir noch immer nicht?«

»Emir, ich beginne allerdings, Dir beizustimmen. Aber was wird er in der Ebene, wo es nur Gras gab, für Zeichen gemacht haben?«

»Auch das werden wir erfahren. Aus welcher Richtung seid Ihr an diese Stelle gekommen?«

»Vom Aufgang der Sonne. Da drüben ist – – o, Emir, was ist das?«

Er deutete nach Ost – ich folgte der Richtung seines Armes und gewahrte eine dunkle Linie, welche sich uns in grader Richtung zu nähern schien.

»Sind das Reiter?« frug der Perser.

»Allerdings. Schnell, wieder über das Wasser hinüber, denn auf dieser Seite gibt es kein Versteck für uns; drüben aber haben wir Felsen und ein dichtes Gebüsch!«

Der Rückmarsch ward rasch ausgeführt, und nun suchten wir uns ein sicheres Versteck, wo wir die Nahenden leicht beobachten konnten. Erst hier fanden wir Zeit, die Kleider wieder anzulegen.

»Wer mögen diese Leute sein?« frug der Mirza.

»Hm! Jedenfalls ist hier kein Handelsweg; aber die Furt könnte doch auch Anderen bekannt sein. Wir müssen eben warten.«

Die Reiter kamen im Schritte näher und erreichten das jenseitige Ufer. Sie waren jetzt so nahe, daß wir die Gesichter zu unterscheiden vermochten.

»Derigh!« flüsterte der Perser. »Es sind persische Truppen!«

»Auf türkischem Boden?« frug ich zweifelnd.

»Du siehst ja, daß sie die Kleidung der Beduinen tragen!«

»Sind es IhlatsIhlats werden aus den Wanderstämmen, Milizen aber aus den Bewohnern der Städte rekrutirt oder Milizen?«

»Ihlats. Ich kenne den Anführer; er war mein Untergebener.«

»Was ist er?«

»Es ist der Susbaschi Maktub Agha, der verwegene Sohn von Ejub Khan.«

Wir sahen sehr genau, daß der Anführer die Weinranke scharf betrachtete; dann sprach er zu seinen Leuten, deutete auf die Ranke und führte sein Pferd in das Wasser. Die Anderen folgten.

»Herr,« flüsterte der Perser in tiefer Erregung, »Du hattest in Allem Recht. Diese Leute sind abgeschickt, um mich zu ergreifen. Dort ist auch der Pendschahbaschi Omram, welcher der Bruderssohn von Saduk ist. Allah, wenn sie uns hier träfen! Dein Hund wird uns doch nicht verrathen?«

»Nein; er schweigt.«

Die Verfolger zählten dreißig Mann. Ihr Anführer war sichtbar ein wilder, verwegener Gesell. Er hielt an der Birke und lachte.

»Dusad diwwan – tausend Teufel!« rief er. »Komme her, Pendschahbaschi, und sieh, wie gut wir uns auf den Bruder Deines Vaters verlassen können. Hier ist ein neues Zeichen. Jetzt geht es am Flusse hinunter. Vorwärts!«

Sie ritten an uns vorüber, ohne uns zu bemerken.

»Nun, Mirza, bist Du überzeugt?«

»Vollständig!« antwortete er. »Aber hier ist keine Zeit zum Reden; wir müssen handeln!«

»Handeln? Was? Wir können nichts thun, als ihnen vorsichtig nachfolgen.«

Wir verließen unser Versteck und folgten den Ihlats in der Weise, daß wir für sie unsichtbar blieben. Es war sehr vortheilhaft für uns, daß sie langsam ritten. Nach einer Viertelstunde kamen sie an den Lagerplatz, von welchem aus Mohammed Emin in den Tod geritten war. Sie blieben halten, um die Spuren des Lagers zu betrachten.

Wir aber bogen nun rechts in die Gebüsche ein, wo wir so schnell als möglich vorwärts drangen. Die zu durchlaufende Strecke betrug zehn Minuten, aber schon nach fünf Minuten erreichten wir unser Lager: ich schwitzend, und der Mirza heftig keuchend. Ein einziger Blick überzeugte mich, daß Alles in Ordnung sei.

»Haltet Euch still, es nahen Feinde!« befahl der Perser; dann sprangen wir zwischen die Büsche hindurch den Berg hinab, wo wir den ausgestellten Posten trafen. Wir brauchten hier kaum eine Minute zu warten, so erschienen die Verfolger. Uns gegenüber blieben sie halten.

»Das wäre ein schöner Platz zum Lagern,« meinte der Susbaschi. »Was denkst Du, Omram?«

»Der Tag neigt sich zu Ende, Herr,« antwortete der Pendschahbaschi.

»Gut, bleiben wir hier! Wasser und Gras ist da!«

Das hatte ich nun allerdings nicht erwartet. Das war ja im höchsten Grade gefährlich für uns. Wir hatten zwar sonst alle Spuren vertilgt, aber an dem Platze, wo wir während der ersten Nacht gelagert hatten, war vom Feuer das Gras verzehrt und die Erde geschwärzt worden, und das hatten wir nicht ganz zu verbergen vermocht. Übrigens bemerkte ich, daß dort, wo Saduk das Gras niedergestampft hatte, sich dasselbe zwar bereits so ziemlich, aber doch nicht ganz erhoben hatte.

»Allah 'l Allah! Was thun wir?« frug Ardschir-Mirza.

»Zu Dreien sind wir zu viel; wir können leicht entdeckt werden. Einer ist genug, und das will ich sein. Nehmt den Hund mit, geht zum Lager, und macht Euch kampfbereit. Wenn Ihr diesen Revolver knallen hört, so könnt Ihr bleiben; hört Ihr aber die Stimme dieses Stutzen, so bin ich in Gefahr, und Ihr müßt mir zu Hülfe eilen. Dann mag Hadschi Halef Omar mir meine schwere Büchse mitbringen.«

»Emir, ich kann Dich in dieser Gefahr nicht verlassen!«

»Ich bin hier sicherer, als es die Deinigen dort oben sind. Gehe! Du hinderst mich!«

Er stieg mit seinem Diener und dem Hunde die Steilung empor, und ich blieb allein zurück. Das war mir lieb und viel bequemer, als wenn ich von einem Unerfahrenen belästigt worden wäre. Ich kam ja nur dann in Gefahr, wenn es dem Susbaschi einfiel, das Gebüsch durchsuchen zu lassen; aber dieser persische Rittmeister war kein Indianerhäuptling: das sah ich an der ganzen nachlässigen Art, wie er die Lagerung vor sich gehen ließ.

Die Pferde wurden abgesattelt und freigelassen. Sie rannten sofort zum Wasser und zerstreuten sich nach Belieben. Jedenfalls kannte ein jedes Pferd den Ruf seines Besitzers. Die Reiter warfen ihre Lanzen von sich, legten ihre Sachen ordnungslos auf den Boden und streckten sich dann da und dort im Grase aus. Nur der Pendschahbaschi ging das Terrain ab und kam auch an die Feuerstelle. Er bückte sich, um dieselbe zu untersuchen, und rief dann:

»Purtu we diwbad – Blitz und Sturm, was finde ich da!«

»Was?« frug sein Vorgesetzter, indem er emporsprang.

»Hier war ein Feuer. Hier haben sie übernachtet.«

»Hallujah! Wo?«

»Jadscha – hier!«

Der Susbaschi eilte hin, untersuchte den Ort und bestätigte die Richtigkeit der Wahrnehmung. Dann frug er: »Ist ein Zeichen gemacht?«

»Ich sehe keines,« antwortete der Lieutenant. »Es wird Saduk nicht möglich gewesen sein. Morgen werden wir es finden. Hier können auch wir ein Feuer machen. Nehmt Mehl und macht Brod!« –

Als ich diese Soldaten so sorglos wirthschaften sah, erkannte ich, daß uns vor ihnen nicht im Mindesten bange zu sein brauchte. Sie machten sich ein riesiges Feuer an, mengten Mehl und Flußwasser zu einem dicken Brei, der in den Händen gequetscht, gedrückt und gerollt und dann auf den Lanzenspitzen über das Feuer gehalten wurde. Das war das Brod, welches sie in noch halb rohem und in halb verbranntem Zustande zerrissen und heißhungrig verschlangen. Wie hätte diesen Vaterlandsvertheidigern eine Portion deutscher Erbswurst gemundet!

Dies war ihre ganze Abendmahlzeit.

Als die Dämmerung hereinbrach, leierten sie ihr Gebet ab und rückten dann dem Feuer näher, um sich ihre Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹ zum tausend und ersten Male zu erzählen. Ich sah ein, daß ich hier so ziemlich überflüssig sei, und schlich geräuschlos zum Lager hinauf. Dort brannte kein Feuer, ein Jeder saß vollständig kampfbereit an seinem Platze. Saduk lag noch zwischen Halef und dem Engländer. Man hatte seine Fesseln verdoppelt und ihm auch einen Knebel gegeben.

»Wie steht es, Emir?« frug der Mirza.

»Gut,« antwortete ich.

»Sind sie fort?«

»Nein.«

»Wie kann es dann gut stehen?«

»Weil diese Ihlats sammt ihrem fürchterlichen Maktub Agha die größten Nadanan sind, welche ich gesehen habe. Wenn wir uns während der Nacht ruhig verhalten, so werden sie in der Frühe abziehen, ohne uns im Geringsten zu belästigen. Halef, kannst Du mit Deinem Beine hinunter?«

»Ja, Sihdi.«

»So übergebe ich sie Dir, denn auf Dich kann ich mich am besten verlassen. Du bleibst unten, bis ich Dich ablöse.«

»Wo wirst Du mich suchen?«

»Sie haben ein Feuer, und grad oberhalb desselben steht eine alte, verkrüppelte Pinie. An ihrem Stamme werde ich Dich treffen.«

»Ich gehe schon, Sihdi. Die Flinte lasse ich hier; sie ist mir im Wege. Mein Messer ist scharf und spitz, und wenn einer dieser Dummköpfe es wagen wollte, heraufzusteigen, so soll er unten in der Dschehennah an Hadschi Halef Omar denken! Allahi, wallahi, tallahi, ich habe es gesagt!«

Er huschte leise fort. Sein Nachbar, der Engländer, faßte mich am Arme.

»Master, wo bleibt denn Euer Verstand? Ich sitze hier und verstehe kein Wort. Ich weiß, daß da unten ein Haufe Perser sitzt, aber weiter nichts. So rückt doch heraus mit der Sprache!«

Ich erklärte ihm in Kürze den ganzen Vorgang, und dennoch dauerte dem Mirza diese Auseinandersetzung zu lange. Er unterbrach mich mit der Frage:

»Emir, darf ich die Ihlats nicht einmal sehen?«

»Kannst Du Dich geräuschlos über Wurzeln und Laub, durch Äste und Zweige bewegen?« lautete meine Gegenfrage.

»Ich glaube es und werde vorsichtig sein.«

»Hast Du gelernt, Husten und Nießen unbedingt zu unterdrücken?«

»Das ist unmöglich!«

»Es ist nicht unmöglich; es ist nicht einmal schwer, wenn man sich darin gehörig geübt hat. Aber wir wollen es wagen; vielleicht können wir sie belauschen und etwas Wichtiges hören. Wenn Dir ein Reiz in die Kehle oder Nase kommt, so lege den Mund fest auf die Erde und bedecke den Kopf. Wer einen Andern beschleichen will, darf nie durch die Nase Athem holen; dann ist das Nießen ausgeschlossen. Wer in der Nähe eines Feindes husten muß, der huste mit eingehülltem Kopfe in die Erde hinein und ahme dabei, wenn es Nacht ist, den Ruf des Uhu nach. Ein echter, erfahrener Schekarji aber wird nie husten oder nießen. Komm!«

Ich schlich voran, und er folgte mir. Ich suchte ihm Alles aus dem Wege zu räumen, was ihm hinderlich sein konnte, und so kamen wir seitwärts von Halef's Standpunkte glücklich unten am Saume des Gebüsches an, wo wir uns leicht im tiefen Schatten der Sträucher verbergen konnten. Nur zwölf Schritte von uns entfernt, loderte das Feuer. Die beiden Offiziere saßen ganz in der Nähe desselben, und die Anderen bildeten einen Dreiviertelkreis um die Flamme. Hier und da fiel der flackernde Schein derselben auf die Gestalt eines der Pferde, welche zerstreut in der Umgegend weideten oder bereits am Boden lagen.

Hassan Ardschir-Mirza sagte nicht das leiseste Wort; aber ich hörte es seinen Athemzügen an, daß er sich in Aufregung befand. Er war gewiß muthig und in der Führung der Waffen erfahren, aber seine jetzige Lage war eine solche, in der er sich noch nie befunden hatte. Auch mir hatte ja das Herz geklopft, als ich zum erstenmal einen Trupp Sioux belauschte, welcher ausgezogen war, um mich zu fangen. Jetzt freilich hatte mich die Erfahrung kühler gemacht.

Die Ihlats schienen überzeugt zu sein, sich ganz allein in dieser Gegend zu befinden; denn ihre Unterhaltung war eine so laute, daß man sie sicher jenseits des Flusses noch hören konnte. Eben, als wir unser Versteck erreicht hatten, frug der Pendschahbaschi:

»Wirst Du ihn lebendig ergreifen?«

»Wenn er sich lebendig fangen läßt, ja.«

»Und ihn lebendig zurückbringen?«

»Ich bin kein Thor. Sagt einmal, Ihr Männer, wollt Ihr ihn todt oder lebendig haben?«

»Todt!« rief es im Kreise.

»Natürlich! Wir haben den Befehl, ihn zu verfolgen, und, wenn wir ihn nicht lebendig fangen, doch seinen Kopf zu bringen. Führen wir ihn lebendig zurück, so müssen wir auch Alles, was er bei sich hat, übergeben. Bringen wir aber seinen Kopf, so werden wir nach allem Andern nicht gefragt.«

»Er soll all sein Geld und seine Kostbarkeiten aufgeladen haben,« bemerkte der Lieutenant.

»Ja, dieser Sohn eines verfluchten Serdar war sehr reich; er hat acht oder zehn Kameele mit seinen Schätzen bepackt; wir werden eine kostbare Beute machen und viel zu theilen haben.«

»Doch sage, Susbaschi, was wirst Du thun, wenn sich der Mirza unter den Schutz eines Scheiks oder eines türkischen Beamten begibt?«

»Ich werde nach diesem Schutz gar nicht fragen; aber dann dürfen wir nicht verrathen, daß wir Perser sind; versteht Ihr wohl? Übrigens wird er gar nicht Zeit haben, sich unter einen solchen Schutz zu stellen, denn schon morgen oder übermorgen werden wir ihn ergreifen. Wir brechen mit der Morgenröthe auf und werden, wie bisher, Zeichen finden, welche uns ganz sicher und untrüglich leiten. Dieser Dummkopf Hassan Ardschir-Mirza glaubt, weil Saduk nicht reden kann, so könne er auch nicht schreiben. Die Zeichen, die er uns gemacht hat, sind gleichfalls eine deutliche Schrift. Jetzt legt Euch um, Ihr Hunde, denn wir haben nicht viel Zeit mehr zur Ruhe.«

Sie folgten augenblicklich diesem Befehle, und Mancher mochte bald träumen von dem Glanz der Schätze, von denen er erwartete, daß sie sich bald in seiner Hand befinden würden. Unser Lauschen hatte mir außer dem taktischen Nutzen auch noch einen andern gebracht: ich wußte nun, daß der Vater des Mirza ein Serdar gewesen war, und hielt es also für gewiß, daß Hassan Ardschir den Rang eines Generals begleitet hatte. Es mußten bedeutende Personen sein, vor deren Rache er sich zur Flucht gewendet hatte.

Als die Ihlats sich in ihre Decken gehüllt hatten, machten wir uns leise davon.

»Emir,« begann der Mirza, als wir aus der Hörweite waren, »ich habe diesen Susbaschi und diesen Pendschahbaschi mit vielen Wohlthaten überhäuft. Diese Beiden müssen sterben!«

»Sie sind Deiner Beachtung gar nicht werth; sie sind Hunde, welche man hinter Dir hergehetzt hat; zürne nicht ihnen, sondern zürne ihren Herren!«

»Sie wollen mich ermorden, um meine Schätze zu erhalten.«

»Sie wollen es, aber sie werden es nicht thun. Wir wollen in unserm Lager darüber sprechen. Schleiche Dich nun allein zurück; ich werde bald nachkommen.«

Er entfernte sich nur widerwillig. Als ich von seinen leisen Bewegungen nichts mehr vernahm, schlich ich mich hinüber zu Halef und gab ihm flüsternd die nöthigen Verhaltungsmaßregeln. Dann machte ich einen Bogen um den Ruheplatz der Ihlats, so daß ich zur rechten Seite desselben den Saum der Sträucher und den Fluß erreichte, und schritt hierauf in südlicher Richtung weiter. Nach ungefähr zwei Minuten brach ich eine kleine Erle um, so daß ihr Gipfel nach Süden zeigte, und nach weiteren fünf und zehn Minuten that ich zweimal ganz dasselbe. Bei dem letzten Zeichen machte der Fluß eine scharfe Biegung, welche mir für meine Absichten sehr zu Statten kam. Alsdann kehrte ich in unser Lager zurück.

Ich hatte zu meiner kleinen Excursion doch eine halbe Stunde gebraucht und fand den Mirza bereits in Sorge um mich. Auch der Engländer frug:

»Wo lauft Ihr herum, Sir? Sitze da wie ein Waisenknabe, um den sich Niemand kümmert; habe diese Sache satt! Well!«

»Beruhigt Euch! Ihr werdet bald Beschäftigung erhalten.«

»Schön! Gut! Schlagen wir die Kerls todt?«

»Nein; aber wir werden sie ein wenig an der Nase herum führen.«

»Freut mich! Sollten dabei nur solche Nasen haben wie ich. Yes! Wer wird dabei sein?«

»Nur Ihr und ich, Sir.«

»Desto besser. Wer allein arbeitet, hat auch die Ehre allein. Wann geht die Geschichte los?«

»Kurz vor Anbruch des Tages.«

»Erst? Dann lege ich mich noch ein wenig auf das Ohr.«

Er wickelte sich ein und war bald in Schlaf gesunken.

Hassan Ardschir-Mirza war begierig, sich mit mir berathen zu können, und dort an der Scheidewand sah ich drei weibliche Gestalten stehen, welche die Sorge getrieben hatte, unsere Unterhaltung lieber direkt anzuhören, als sich später über dieselbe berichten zu lassen.

»Wo warst Du jetzt, Emir?« frug er.

»Ich wollte Dir Zeit lassen, nachzudenken und Dich zu beruhigen. Ein kluger Mann fragt nicht seinen Zorn, sondern seinen Verstand um Rath. Dein Zorn wird sich gelegt haben; nun sage, was Du zu thun gedenkst.«

»Ich werde diese Menschen mit meinen Leuten überfallen und tödten!«

»Diese dreißig starken und gesunden Männer mit Deinen Verwundeten?«

»Du und Deine Begleiter, Ihr werdet uns beistehen.«

»Nein, das werden wir nicht thun. Ich bin kein Barbar, sondern ein Christ. Mein Glaube gestattet mir, mein Leben zu vertheidigen, wenn es angegriffen wird; sonst aber gebietet es mir, das Leben meines Bruders zu achten. Das heilige Buch der Christen befiehlt: ›Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und aus allen Deinen Kräften, und Deinen Nächsten, wie Dich selbst!‹ Also muß mir das Leben meines Nächsten ebenso heilig sein, wie das meinige.«

»Aber diese Männer sind ja nicht unsere Brüder, sondern unsere Feinde!«

»Sie sind dennoch unsere Brüder. Der Kuran der Christen sagt: ›Liebet Eure Feinde; segnet, die Euch fluchen; thuet wohl denen, die Euch beleidigen und verfolgen; dann seid Ihr Kinder Eures Vaters im Himmel!‹ Ich muß diesem Befehle Gehorsam leisten, denn ich bin ein Christ.«

»Aber dieser Befehl ist nicht klug, ist nicht vortheilhaft. Wenn Du ihn befolgst, so mußt Du ja in jeder Gefahr umkommen und in einem jeden Kampfe den Kürzeren ziehen!«

»Im Gegentheile! In diesem Befehle liegt der Inbegriff der göttlichen Weisheit verborgen. Ich habe mich in mehr und größeren Gefahren befunden und bin viel öfters in der Lage gewesen, mich zu vertheidigen, als tausend Andere; aber ich lebe noch, ich habe stets gesiegt, denn Gott beschützt denjenigen, der ihm gehorsam ist.«

»So willst Du mir nicht helfen, Emir, trotzdem Du mein Freund bist?«

»Ich bin Dein Freund und werde es Dir auch beweisen; aber ich frage Dich: willst Du, Hassan Ardschir-Mirza, ein feiger Meuchelmörder sein?«

»Niemals, Emir!«

»Und dennoch willst Du die Ihlats im Schlafe überfallen! Oder gedenkst Du, sie vorher zu wecken, damit der Kampf ein ehrlicher sei? Dann wärest Du ja verloren.«

»Herr, ich fürchte sie nicht!«

»Ich weiß es. Ich sage Dir, daß ich allein gegen diese dreißig Männer kämpfen würde, wenn es sich um eine gerechte Sache handelte; meine Waffen sind mehr werth, als alle die ihrigen. Aber wer sagt mir, daß nicht schon ihr erster Schuß, ihr erster Hieb oder Stich mir das Leben nehmen wird? Eine wilde, ungezügelte Tapferkeit gleicht der Wuth des Büffels, welcher blind in den Tod rennt. Ich setze den Fall: Ihr tödtet zehn oder fünfzehn dieser Ihlats, so bleiben immer noch fünfzehn übrig, welche gegen Euch stehen. Ihr habt Euch ihnen selbst verrathen, und sie werden sich an Eure Fersen heften, bis Ihr aufgerieben seid.«

»Deine Rede klingt weise, Herr; aber wenn ich meine Verfolger schone, so gebe ich mich ja in ihre Hände! Sie werden mich heut oder morgen ergreifen, und was dann geschieht, das hast Du ja selbst gehört.«

»Wer sagt, daß Du Dich in ihre Hände geben sollst?«

»Was sonst? Oder kannst Du sie vielleicht bewegen, mich ruhig ziehen zu lassen?«

»Ja, das werde ich allerdings thun.«

»W'Allah! Das ist – das ist – – Emir, ich weiß nicht, wie ich das nennen soll!«

»Nenne es deli, verrückt. Das ist der richtige Ausdruck. Nicht?«

»Ich darf nicht ›ja‹ sagen, denn ich achte Dich. Glaubst Du wirklich, daß Du diese Menschen, welche sich nach meiner Habe und nach meinem Leben sehnen, überreden kannst, mich entkommen zu lassen?«

»Ich bin davon überzeugt; doch höre. Ich war soeben unten am Flusse und habe einige Bäumchen umgebrochen. Wenn die Ihlats dies bemerken, werden sie meinen, Saduk habe es getan. Bei Anbruch der Morgenröthe werden sie ihren Weg fortsetzen. Ich reite vor ihnen her, um ihnen Zeichen zu machen, durch welche sie irre geführt werden. Aber sollten sie vor ihrem Abzug unser Lager dennoch entdecken, so vertheidigt Ihr es. Ich werde Euere Schüsse hören und sofort herbeikommen.«

»Was wird es nützen, sie von unserer Spur zu bringen, wenn sie dieselbe später wiederfinden!«

»Laß mich nur machen! Ich werde sie so führen, daß sie gewiß nicht wieder auf unsere Fährte kommen. Hast Du Pergament bei Dir?«

»Ja. Auch bei Saduk haben wir Pergament gefunden; es fehlten viele Blätter bei ihm.«

»Er wird sie benutzt haben, den Ihlats heimlich Nachricht zu geben. Hast Du ihn darnach gefragt?«

»Ja, doch er gesteht nichts.«

»Wir brauchen sein Geständniß nicht. Gib mir sein Pergament und lege Dich schlafen. Ich werde wachen und Euch wecken, wenn es Zeit ist!«

Die Frauen verschwanden, und die Männer legten sich zur Ruhe. Saduk hatte jedes Wort dieser Unterredung hören können; er mußte wie auf Nadeln liegen. Ich untersuchte seine Fesseln und auch den Knebel; die ersteren waren stark genug, und der letztere erlaubte trotz seiner Festigkeit das Athmen.

Ich hüllte mich nun in meine Decke, ohne zu schlafen.

Bei Tagesgrauen weckte ich den Engländer. Auch die Perser wachten auf, und ihr Anführer kam herbei.

»Du willst aufbrechen, Herr?« frug er. »Wann kommst Du zurück?«

»Sobald ich überzeugt bin, daß es mir gelungen ist, die Feinde zu täuschen.«

»Das könnte ja auch erst morgen sein!«

»Allerdings.«

»So nimm Mehl, Fleisch und Datteln mit. Was aber sollen wir thun, bis Du wiederkommst?«

»Verhaltet Euch ruhig, und verlaßt diesen Platz so wenig wie möglich. Sollte doch etwas Ungewöhnliches oder Bedenkliches eintreten, so ziehe meinen Hadschi Halef Omar zu Rathe, den ich Dir zurücklassen werde. Er ist ein treuer, kluger und erfahrener Mann, auf den man hören darf.«

Ich huschte noch einmal zu Halef hinab, um ihn von meinem Vorhaben zu unterrichten. Als ich zurückkehrte, stand Lindsay bereit, und ich sah, daß man unsere Satteltaschen mit reichlichen Vorräthen versehen hatte. Nach kurzem Abschiede brachen wir auf.

Es war sehr schwierig und kostete uns eine geraume Zeit, die Pferde in der Finsterniß zwischen den Büschen und Bäumen hindurch zum Flusse hinab zu leiten. Wir mußten dabei einen Umweg machen, um von den Ihlats ja nicht bemerkt zu werden. Endlich erreichten wir das Thal, setzten uns zu Pferde und trabten davon. Man konnte nicht weit sehen, denn der Nebel lagerte über dem Wasser; da lichtete sich im Osten bereits der Himmel, und ein leichter Morgenwind zeigte das Nahen des Tages an. Nach kaum fünf Minuten erreichten wir den Ort, wo sich der Fluß krümmte, und wo ich das letzte Zeichen angebracht hatte. Hier stieg ich vom Pferde.

»Stop?« frug der Engländer. »Warum?«

»Hier müssen wir abwarten, ob die Perser ihren Marsch unverzüglich weiter fortsetzen, oder erst das Terrain untersuchen und mit unseren Freunden in Kampf gerathen.«

»Ah! Klug! Well! So sind wir auf alle Fälle da! Yes! Haben wir Tabak mit?«

»Werde nachsehen.«

Hassan Ardschir-Mirza – oder war es vielleicht seine schöne Schwester? – war sehr aufmerksam gewesen, denn bei den Speisen fand sich auch ein kleiner Vorrath persischen Tabaks.

»Schön! Gut! Anbrennen! Prächtiger Junge, dieser Mirza!« meinte Master Lindsay.

»Seht, dort heben sich die Nebel, und in zwei Minuten werden wir bis hinauf zu den Ihlats sehen können. Wir müssen uns hinter die Krümmung zurückziehen, sonst bemerken sie uns, und dann könnte unser ganzes Spiel verrathen sein.«

Wir verbargen uns hinter die scharfe Biegung des Flusses und warteten. Endlich sah ich durch mein Fernrohr, daß alle dreißig Ihlats im Schritte herabgeritten kamen. Nun stiegen wir zu Pferde und ritten mit der Schnelligkeit des Windes davon. Erst eine englische Meile weiter hielten wir an, und dort schlitzte ich die Rinde einer Weide los.

»Hm, müssen sehr dumm sein, diese Leute,« brummte Lindsay, »wenn sie nicht sehen, daß dieses Zeichen erst jetzt gemacht worden ist.«

»Ja, dieser Susbaschi ist eben kein Sir David Lindsay-Bey! Seht, von hier aus scheint der Fluß einen sehr weiten Bogen zu bilden; jedenfalls kommt er an den Hinterbergen dort im Süden wieder zurück. Das gibt einen Bogen, dessen Sehne wenigstens acht englische Meilen lang ist. Wollen wir diese Perser ein wenig in das Wasser führen?«

»Bin dabei, Master. Werden sie uns folgen?«

»Sicher, nehmt die Taschen mit den Vorräthen hoch!«

»Aber hier ist es tief!«

»Desto besser. Fürchtet Ihr, zu ertrinken?«

»Pshaw, Ihr kennt mich ja! Aber werden diese Männer glauben, daß der Mirza mit seinen Kameelen über den Fluß gegangen ist?«

»Das soll ja eben die Probe sein. Wenn er das glaubt, so wird er auch allen unseren andern Finten folgen.«

Ich verband die Ranken eines Pfeifenstrauches zu einem recht auffälligen Thorbogen, trieb meinen Rappen zu einigen Lançaden, um den Boden mit Spuren zu versehen, und ließ ihn dann in das Wasser gehen. Der Engländer folgte. Da wir stromaufwärts hielten, erreichten wir trotz der heftigen Strömung die grad gegenüber liegende Stelle des anderen Ufers, wo ich einige Strauchspitzen umbrach, um die Richtung scharf nach Süden anzudeuten. Es gab hier grasigen Boden, was mir lieb war, da die Nässe, die von uns tropfte, dadurch weniger bemerkbar blieb.

Jetzt ging es im Galopp weiter. Die Perser mußten nach einer halben Stunde dieselbe Stelle erreichen, und dann erkannten sie, wenn sie nicht ganz und gar unerfahren oder leichtsinnig waren, ganz sicher, daß die Spuren unserer Pferde im Grase nicht älter als vom heutigen Morgen sein konnten. Dennoch ritten wir zwei Stunden lang in gleicher Richtung fort über kurze Ebenen, über niedrige Hügel und durch seichte Thäler, die von kleinen Wasserläufen durchflossen waren. Dann erreichten wir, wie ich vorher vermuthet hatte, den Djalah wieder und setzten auf das andere Ufer über. Natürlich hatten wir an passenden Stellen unsere Zeichen angebracht. Jetzt zog ich ein Stück Pergament hervor.

»Ihr wollt schreiben, Master?« sagte Lindsay.

»Ja. Die Zeichen müssen nun bald aufhören, und so will ich versuchen, ob ein Pergament die gleiche Wirkung hervorbringt.«

»Zeigt her, was Ihr schreibt!«

»Hier, seht es Euch an!«

Ich gab ihm das Pergament, auf welchem etliche persische Worte standen. Er sah sie an und dann mich; dabei zogen seine Lippen ein höchst verlegenes Trapezoïd, und seine Nase legte sich verschämt zur Seite.

»Heigh ho! Wer soll dieses Geschreibsel lesen! Wie heißt es?«

»Es ist persisch und wird von hinten, also von links nach rechts gelesen. Es lautet: ›Halijah hemwer ziru bala – jetzt beständig abwärts!‹ Wir wollen sehen, ob sie dieser Weisung Folge leisten.«

Ich bog zwei Äste eines Strauches zusammen und befestigte das Pergament in der Weise daran, daß es sofort gesehen werden mußte. Hierauf ritten wir dem Laufe des Flusses nach, bis wir eine passende Stelle fanden, um unsern letzten Übergangspunkt zu beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Hier stiegen wir vom Pferde, um ein Frühmahl zu halten und die Thiere trinken und grasen zu lassen. Natürlich waren wir sehr gespannt darauf, zu sehen, ob unsere List Erfolg haben würde.

Wir mußten weit über eine Stunde warten, bis wir endlich da oben am Flusse eine Bewegung wahrnahmen. Das Fernrohr zeigte mir, daß Alles gelungen sei, und so ritten wir höchst befriedigt weiter. Erst kurz nach Mittag machte ich ein Zeichen, und dann gegen Abend wieder eines an der Ecke eines Seitenthales, welches sich vom Flusse ab nach West erstreckte. Dies war die erste Gelegenheit, den zweiten Theil unseres Unternehmens auszuführen, nämlich die Perser nach rechts abzulenken; bis jetzt hatte das Terrain sich noch nicht dazu geeignet.

Am Eingange dieses Thales hielten wir unsere wohl verdiente Nachtruhe.

Am andern Morgen befestigte ich ein zweites Pergamentstück, welches angab, daß der Weg nun lange Zeit nach Sonnenuntergang führen werde. Im Laufe des Vormittags ließ ich ein Drittes zurück, des Inhaltes, daß Hassan Ardschir-Mirza mißtrauisch geworden sei, weil er mich (das heißt Saduk) bei einem Zeichen ertappt habe. Dann zu Mittag brachte ich das vierte und letzte Pergamentstück an. Es enthielt die Nachricht, daß der Mirza über die Hügel des Bozian entweder nach Dschumeila oder Kifri gehen wolle, und daß sein Mißtrauen so gewachsen sei, daß er mich in die Vorhut versetzt habe, um mich stets vor Augen zu haben; das Zeichengeben sei mir also jetzt beinahe unmöglich geworden.

Hiermit war unsere Aufgabe gelöst. Ich hielt es gar nicht für nöthig, uns zu überzeugen, ob der Susbaschi uns auch wirklich bis hieher folgen werde; denn nach Allem, was bisher geschehen war, stand sicher zu erwarten, daß er unsere List für Wahrheit nehmen werde.

Wir kehrten, mit unserer bisherigen Richtung einen Winkel bildend, um und kamen durch Gegenden, welche wohl selten ein Fuß betrat. Es mußten viele Windungen und Umwege gemacht werden, aber dennoch erreichten wir den Djalahfluß noch lange vor Abend. Wir ritten noch eine Strecke aufwärts, bis der Abend uns zwang, Halt zu machen. Am Morgen brachen wir früh auf und langten bereits am Mittag bei unserm Lager an.

Noch ehe wir es erreichten, kam mir Halef von der Höhe herab entgegengesprungen.

»Allah sei Lob und Dank, Sihdi, daß Du glücklich zurückkehrest! Wir haben große Sorge ausgestanden, denn Du bist zwei und einen halben Tag weggeblieben, anstatt nur einen. Ist Euch vielleicht ein Unglück begegnet, Effendi?«

»Nein; es ist im Gegentheile Alles sehr glatt abgelaufen. Wir sind nicht früher gekommen, weil wir nicht eher Gewißheit fanden, die Perser wirklich irregeführt zu haben. Wie steht es im Lager?«

»Gut, obgleich Etwas vorgekommen ist, was nicht sein sollte.«

»Was?«

»Saduk ist entflohen.«

»Saduk! Wie konnte er entkommen?«

»Er muß unter den Andern einen Freund haben, der ihm die Fesseln zerschnitten hat.«

»Wann ist er fort?«

»Gestern früh, am hellen Morgen.«

»Wie ist dies möglich gewesen?«

»Du warst mit dem Inglis fort, und ich saß Wache hier unten. Die Perser aber verließen das Lager, Einer nach dem Andern, um zu sehen, was die Ihlats thun würden. Diese zogen ruhig ab, aber als die Perser wieder in das Lager zurückkehrten, war der Gefangene verschwunden.«

»Das ist schlimm, sehr schlimm! Wäre es einen Tag später geschehen, so könnte man ruhig sein. Komm, führe das Pferd.«

Droben auf der Höhe kamen mir Alle mit Freuden entgegen. Ich sah so recht, in welcher Sorge man um uns gewesen war; dann aber nahm mich der Mirza bei Seite und berichtete mir Saduk's Flucht.

»Es gibt Zweierlei in Betracht zu ziehen,« sagte ich. »Erstens: wenn Saduk die Ihlats erreicht, so wird er sie schleunigst hierher zurückbringen. Zweitens: er kann sich auch in der Nähe des Lagers aufhalten, um sich zu rächen. Wir sind hier in keinem Falle mehr sicher und müssen diesen Platz sofort verlassen.«

»Wohin gehen wir?« frug Hassan Ardschir-Mirza.

»Vor allen Dingen auf das andere Ufer des Flusses. Nach unten zu gibt es keine Furt, folglich kehren wir um bis zu der Stelle, an welcher Du herübergekommen bist. Dies erhöht zugleich unsere Sicherheit, denn man wird nicht glauben, daß Du aufwärts gegangen bist. Sollte Saduk zurückgeblieben sein, um sich des Nachts zu rächen, so wird er sich am Tage doch nicht in unsere Nähe wagen. Ich könnte zwar versuchen, mit dem Hunde seine Spur zu finden, aber das ist unsicher und zeitraubend. Gib Befehl, aufzubrechen, und zeige mir die durchschnittenen Fesseln Saduk's. Von jetzt an aber laß Deine Diener niemals wissen, was Du zu thun beabsichtigst.«

Er ging in die Hütte der Frauen und kam mit den Fesseln zu mir zurück. Sie bestanden aus einem Tuche, welches als Knebel gedient hatte, aus zwei Stricken und einem Riemen; alle vier Gegenstände waren zerschnitten. Das Tuch machte mir die meiste Mühe, da die Falten, in denen es gelegen hatte, nicht leicht wieder so genau herzustellen waren. Endlich gelang es mir, und ich untersuchte nun die Schnittflächen höchst genau.

»Laß Deine Leute herantreten!« sagte ich zu dem Mirza.

Sie kamen auf seinen Ruf herbei, ohne zu wissen, um was es sich handelte; jetzt aber sahen sie die Fesseln vor mir liegen.

»Gebt mir einmal Eure Messer und Dolche!« befahl ich.

Während ein Jeder mir das Verlangte entgegenstreckte, beobachtete ich die Gesichtszüge eines jeden Einzelnen, ohne etwas Auffälliges zu entdecken. Ich untersuchte nun die Schneiden der Instrumente sorgfältig und bemerkte dabei so obenhin: »Diese Sachen sind nämlich mit einem dreikantigen Dolche durchschnitten worden; ich werde den Thäter bald entdecken.«

Es waren überhaupt nur zwei dreikantige Dolche vorhanden, und ich bemerkte, daß der Besitzer des einen jäh erblaßte. Zugleich sah ich, daß er die eine Ferse leicht erhob, wie Einer, der sich zum Sprunge richtet. Daher sagte ich leichthin:

»Der Thäter will entfliehen: er mag dies nicht wagen, denn das würde seine Sache verschlimmern, anstatt sie zu verbessern. Es kann ihn nur ein offenes Geständniß retten.«

Der Mirza sah mich mit erstaunten Augen an, und auch die drei Frauenköpfe, welche über der Scheidewand erschienen waren, flüsterten sich leise Bemerkungen der Verwunderung durch die Schleier zu.

Jetzt war ich mit meiner Prüfung zu Ende und hatte Gewißheit erlangt. Ich deutete mit dem Finger auf den Betreffenden und sagte:

»Dieser ist es; haltet und bindet ihn!«

Kaum hatte ich diese Worte gesprochen, so schnellte er mit einem weiten Satze fort und eilte nach den Büschen. Die Andern wollten ihn verfolgen.

»Bleibt!« gebot ich.

»Emir, er wird entkommen!« rief der Mirza.

»Er entkommt nicht,« antwortete ich. »Siehst Du nicht meinen Hund bei mir? Dojan, tut onu – ergreife ihn!«

Der Hund sauste davon und zwischen die Büsche hinein – ein lauter Schrei erscholl und zugleich der meldende Laut des Thieres.

»Halef, hole den Kerl!« sagte ich.

Der kleine Hadschi gehorchte mit sehr befriedigter Miene.

»Aber Emir,« fragte Hassan, »wie kannst Du an den Messern sehen, wer der Thäter war?«

»Sehr leicht! Eine flache Klinge wird einen ganz anderen Schnitt machen, als eine dreikantige, welche sich mehr zum Stoße eignet. Die Schnittflächen wurden weit aus einander gedrängt, darum war der Schnitt nicht mit einem dünnen Instrumente geschehen. Und nun blicke her: diese Schnittflächen sind da, wo sie beginnen, nicht glatt, sondern zerrissen und gestülpt; die Klinge, mit welcher die That geschah, hatte also eine sehr bemerkbare Scharte gehabt. Und nun sieh Dir diesen Dolch an: er ist der einzige von allen, der eine solche Scharte hat.«

»Herr, Deine Weisheit ist zu bewundern!«

»Dieses Lob verdiene ich nicht. Die Erfahrung hat mich gelehrt, in allen Lagen auch das Kleinste zu beobachten; es ist also nicht Weisheit, sondern einfache Gewohnheit von mir.«

»Aber wie wußtest Du, daß er entfliehen wollte?«

»Weil ich sah, daß er erst erbleichte und dann das Sprunggelenk erhob. Wer soll ihn verhören, Du oder ich?«

»Thue Du es, Emir! Bei Dir wird er nicht leugnen.«

»So mögen sich Deine Leute entfernen, damit ihm das Geständniß leichter wird. Hier, gib ihnen die Messer zurück! Aber ich mache die eine Bedingung, daß Du mir erlaubst, das Urtheil zu fällen, und mir versprichst, der Ausführung desselben nicht hinderlich zu sein.«

Er willfahrte gerne.

Jetzt brachte Halef den Inculpaten herbei, welcher ganz verstört aussah. Auf meinen Wink führte ihn der kleine Hadschi vor die Stelle, an der ich mich mit Hassan Ardschir-Mirza niedergelassen hatte. Ich sah ihm einige Augenblicke lang scharf in das Gesicht und sagte dann:

»Es steht bei Dir, welches Schicksal Du heut finden wirst. Gestehst Du Deinen Fehler aufrichtig, so hast Du Gnade zu erwarten; leugnest Du aber, so mache Dich bereit, in die Dschehennah zu gehen!«

»Herr, ich werde Alles sagen,« antwortete er; »aber thue den Hund weg!«

»Er bleibt vor Dir stehen, bis wir fertig sind. Er ist bereit, Dich auf einen Wink von mir zu zerreißen. Jetzt sage aufrichtig: warst Du es, der Saduk befreit hat?«

»Ja, ich bin es gewesen.«

»Warum hast Du es gethan?«

»Weil ich es ihm geschworen hatte.«

»Wann?«

»Ehe wir zu dieser Reise aufbrachen.«

»Wie kannst Du ihm etwas schwören, da er doch stumm ist und gar nicht mit Dir zu sprechen vermag?«

»Herr, ich kann lesen!« antwortete er stolz.

»So erzähle!«

»Ich saß mit Saduk ganz allein im Hofe; da schrieb er mir auf ein kleines Pergament die Frage, ob ich ihn lieb habe. Ich antwortete mit ›ja‹, denn er dauerte mich, weil man ihm die Zunge genommen hatte. Er schrieb weiter, daß auch er mich lieb habe, und daß wir Freunde des Blutes sein sollten. Ich stimmte bei, und dann schwuren wir bei Allah und dem Kuran, daß wir einander nie verlassen und uns beistehen wollten in jeder Noth und Gefahr.«

»Redest Du die Wahrheit?«

»Ich kann es Dir beweisen, Emir, denn ich habe das Pergament noch, auf dem es geschrieben steht.«

»Wo ist es?«

»Ich habe es hier in meinem Gürtel.«

»Zeige es her!«

Er gab mir das Blatt in die Hand; es war sehr beschmutzt, aber man konnte die Schrift noch gut erkennen. Ich gab dem Mirza das Pergament; er las es und nickte beistimmend.

»Du bist sehr unvorsichtig gewesen,« sagte ich zu dem Manne. »Du hast Dich diesem Menschen angeschworen, ohne zu prüfen, ob es auch vielleicht zu Deinem Schaden sein könne.«

»Emir, es hat ihn jeder Andere für einen ehrlichen Mann gehalten!«

»Erzähle weiter!«

»Ich habe nie geglaubt, daß er ein Bösewicht sei, und darum hatte ich Mitleid mit ihm, als er in Fesseln lag. Ich erinnerte mich meines Schwures, ihm in jeder Noth beizustehen, und ich dachte, daß Allah mich strafen würde, wenn ich diesen Schwur nicht hielte. Daher wartete ich den Augenblick ab, als Alle fort waren, und machte Saduk frei.«

»Sprach er mit Dir?«

»Er kann ja nicht reden.«

»Ich meine durch Zeichen und Geberden.«

»Nein. Er erhob sich, streckte sich, gab mir die Hand und sprang in das Gebüsch.«

»In welcher Richtung?«

»Da hinein.«

Er deutete nach der Richtung, welche dem Flusse abgewendet war.

»Du hast die Treue gegen Deinen Herrn gebrochen und bist ein Verräther an uns geworden, um einen leichtsinnig gegebenen Schwur zu halten. Rathe einmal, welche Strafe Du erleiden wirst?«

»Emir, Du wirst mich tödten lassen.«

»Ja, Du hast den Tod verdient, denn Du hast einen Mörder befreit und dadurch uns Alle in Todesgefahr gebracht. Doch Du bist Deines Fehlers geständig, und so erlaube ich Dir, Deinen Herrn um eine mildere Strafe zu bitten. Ich glaube nicht, daß Du zu jenen Leuten gehörst, die Böses thun, weil sie das Gute hassen.«

Dem armen Kerl traten dicke Thränen in die Augen, und er warf sich vor Hassan Ardschir auf die Kniee nieder. Er war voller Angst, daß zwar seine Lippen zuckten, er selbst aber kein Wort hervorbringen konnte. Das strenge Angesicht seines Herrn wurde milder und milder.

»Sprich nicht,« sagte er; »ich weiß, daß Du mich bitten willst, und kann Dir doch nicht helfen. Ich bin stets mit Dir zufrieden gewesen, aber Dein Schicksal ist nicht mehr in meine Hand gegeben, denn nur allein der Emir hat über Dich zu bestimmen. Wende Dich an ihn!«

»Herr, Du hast es gehört!« stammelte der Bittende, zu mir gewendet.

»Du glaubst also, daß ein guter Moslem seinen Schwur halten müsse?« frug ich ihn.

»Ja, Emir.«

»Könntest Du Deinen Eid brechen?«

»Nein, selbst wenn es mich das Leben kostete!«

»Wenn also Saduk jetzt wieder heimlich zu Dir käme, würdest Du ihm Beistand leisten?«

»Nein. Ich habe ihn befreit; ich habe ihm meinen Schwur gehalten; nun aber ist es gut.«

Das war allerdings eine eigenthümliche Ansicht über die Gültigkeitsdauer eines Eides, doch mir kam sie gelegen.

»Möchtest Du Deinen Fehler durch Treue und Liebe zu Deinem Herrn wieder vergessen machen?«

»Ja. O Herr, wenn dies möglich wäre!«

»Hier, gib mir Deine Hand und schwöre es!«

»Ich schwöre es bei Allah und dem Kuran, bei den Khalifen und allen Heiligen, die es gegeben hat.«

»So ist es gut; Du bist frei und wirst Hassan Ardschir-Mirza weiter dienen. Aber gedenke Deines Schwures!«

Der Mann war vor Freude und Glück ganz außer sich, und auch dem Mirza sah ich es an, daß er mit mir einverstanden sei. Doch gab es zwischen ihm und mir hierüber jetzt keine Auseinandersetzung, da wir durch den Aufbruch vollständig beschäftigt waren.


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