Karl May
Der Sohn des Bärenjägers
Karl May

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Am P'a-wakon-tonka

»Der Senat und das Haus der Repräsentanten der Vereinigten Staaten beschließen, daß der Landstrich in den Territorien Montana und Wyoming, nahe dem Ursprunge des Yellowstone-River liegend, hierdurch von jeder Besiedelung, Besitznahme oder Verkauf unter den Gesetzen der Vereinigten Staaten ausgenommen und als ein öffentlicher Park oder Lustplatz zum Wohle und Vergnügen des Volkes betrachtet werden soll. Jedermann, der sich diesen Bestimmungen zuwider dort niederläßt oder von irgend einem Teile Besitz ergreift, soll als Übertreter des Gesetzes angesehen und ausgewiesen werden. Der Park soll unter die ausschließliche Kontrolle des Sekretärs des Inneren gestellt werden, dessen Aufgabe es sein wird, sobald als thunlich solche Vorschriften und Anordnungen zu erlassen, als er zur Pflege und Erhaltung desselben notwendig erachtet.«

So lautet ein vom Vereinigten Staatenkongreß am 1. März 1872 angenommenes Gesetz, durch welches den Bürgern der Vereinigten Staaten und den Bewohnern aller übrigen Länder ein Geschenk gemacht wurde, von dessen Größe man damals noch gar keine Ahnung hatte.

Über den erwähnten Landstrich, welcher heute der Nationalpark der Vereinigten Staaten genannt wird, durchzogen vor der angegebenen Zeit die allerseltsamsten Gerüchte die östlichen Staaten. Nur den wildesten Indianern bekannt und kaum in einzelnen Teilen von einem kühnen, einsamen Trapper gesehen, war diese Gegend in das tiefste Geheimnis gehüllt. Was einer dieser Fallensteller erzählte, das wurde, auf das phantastischste ausgeschmückt, weiter getragen. Brennende Prairien und Berge, kochende Quellen, Vulkane, welche flüssiges Metall auswürfen, Seen und Flüsse, mit Öl anstatt mit Wasser gefüllt, versteinerte Wälder mit versteinerten Indianern und Tieren sollten dort zu finden sein.

Erst Professor Hayden, welcher eine Expedition nach jener wunderbaren Region unternahm, brachte genaue Auskunft über dieselbe, und er wußte allerdings ganz Außerordentliches zu berichten. Ihm ist es zu danken, daß das oben angeführte Gesetz erlassen wurde.

Der Nationalpark umfaßt ein Gebiet von 9500 Quadratkilometern. Dort entspringen der Yellowstone-, Madison-, Gallatin- und der Schlangenfluß. Mächtige Gebirgsketten durchziehen das Gebiet. Eine reine und stärkende Luft umzieht die Höhen, und Hunderte von kalten und heißen, chemisch verschieden zusammengesetzten Quellen bieten durch ihre wunderbare Heilkraft den Kranken Genesung und Erneuerung der gesunkenen Lebenskraft. Geiser, mit denen diejenigen Islands kaum zu vergleichen sind, werfen ihre Wasserstrahlen mehrere hundert Fuß hoch empor; Berge, ganz aus natürlichem Glase bestehend und in allen Farben schillernd, glänzen in den Strahlen der Sonne. Schluchten, wie so schauerlich keine andere Gegend sie aufzuweisen hat, scheinen eingeschnitten zu sein, um einen Einblick in die Eingeweide der Erde zu gestatten. Der Erdboden bildet Blasen, welche sich heben und senken; oft scheint er nur zolldick zu sein, so daß der Reiter sein entsetztes Pferd nur mühsam vorwärts bringt. Riesige Löcher öffnen sich, gefüllt mit kochendem Schlamm, welcher langsam auf und nieder steigt. Es ist ganz unmöglich, nur eine Viertelstunde weit zu gehen, ohne auf irgend ein staunenswertes Naturwunder zu stoßen. Gibt es doch nur der Geiser und heißen Quellen über zweitausend. Während an einer Stelle siedendes Wasser dem Boden entströmt, perlt in nächster Nähe ein heller, kalter Quell hervor. Gute und böse Geister, Engel und Teufel scheinen unter der Oberfläche gegeneinander zu kämpfen. Staunt man jetzt das Erhabene an, so weicht man wenige Schritte weiter vor dem Schrecklichen zurück. Hat man an der einen Stelle eine Riesenfontäne bewundert, welche tausend Fuß hoch über dem Flußniveau an den Wänden des Cannons emporsteigt, so schreitet man dann über Felder von Karneolen, Moosachaten, Chalcedon, Opalen und anderen Halbedelsteinen, deren Wert ein geradezu ungeheuerer ist.

Und dort zwischen den Bergen des Felsengebirges schlummern herrliche Seen. Der größte und schönste derselben ist der Yellowstonesee, welcher mit Ausnahme des Titikakasees der höchstgelegene große See der Erde ist, denn er liegt fast achttausend Fuß hoch über dem Meeresspiegel.

Sein Wasser ist sehr schwefelhaltig, seine tiefen Einschnitte wimmeln von riesigen Forellen, deren Fleisch einen ganz eigenartigen, aber sehr guten Geschmack besitzt. Die ihn umgebenden Wälder sind reich an Hochwild, Elentieren, Bären. An den Ufern entspringen unzählige heiße Quellen, aus denen die Dämpfe der Unterwelt hervorpfeifen, laut und schrill, wie aus den Ventilen einer Lokomotive.

Ein ängstliches Gemüt kommt da sehr leicht auf den Gedanken, diesem Gebiete zu entweichen. Die im Inneren der Erde ruhelos arbeitenden Gewalten machen sich hier gar zu sehr bemerklich. Man fühlt sich nicht mehr sicher auf der Erde. Es ist, als müsse die ganze meilenweite Gegend im nächsten Augenblicke entweder versinken oder als gigantischer, feuerspeiender Krater weit über die Spitzen der Rocky Mountains emporgehoben werden – beide Fälle gleich unangenehm für denjenigen, der mit versinken oder mit emporgeschleudert werden soll.

Da, wo der Yellowstonefluß aus dem See tritt und das Ufer des letzteren sich südwestlich nach der Stelle hinzieht, an welcher der Bridge-Creek einmündet, brannten einige Feuer. Man hatte sie angebrannt, weil es dunkel geworden war, nicht aber weil sie zur Bereitung des Abendessens gebraucht worden wären. In letzterer Beziehung hatte die Natur sehr freundlich Sorge getragen.

Ellenlange Forellen, im kalten Seewasser gefangen, wurden im heißen Wasser gesotten, welches nur wenige Fuß entfernt aus dem Boden hervorkochte. Der kleine Sachse bildete sich nicht wenig darauf ein, am Nachmittag ein wildes Schaf geschossen zu haben. Es gab infolgedessen gekochtes Schöpsenfleisch voran und Forellen als Dessert. Die heiße Quelle war von so geringem Umfang, daß sie geradezu als Kochtopf diente, und das abfließende Wasser hatte dadurch einen solchen Bouillongeschmack, daß es mit den wenigen vorhandenen Lederbechern geschöpft und mit großem Appetit getrunken wurde.

Die Gesellschaft war, ganz wie Old Shatterhand es vorhergesagt hatte, über den Pelikan- und den Yellowstonefluß herüber gekommen, wollte morgen vormittag über den Bridge-Creek und dann gerade westlich nach dem Feuerlochflusse reiten. Dort arbeitete der Geiser, welcher von den Indianern K'un-tui-temba, d. i. Höllenmaul genannt wird und in dessen Nähe das Häuptlingsgrab als Ziel des weiten Rittes lag.

Dieser war weit schneller von statten gegangen, als man vorher hatte denken können. Obgleich das Ziel sich bereits in ziemlicher Nähe befand, waren noch volle drei Tage bis zum Vollmonde, und Old Shatterhand war der Überzeugung, daß die Sioux-Ogallala unmöglich bereits hier sein könnten. Er bemerkte im Laufe des Gespräches:

»Sie können kaum Bottelers Range erreicht haben, und wir sind also vor ihnen sicher. Laßt immerhin die Feuer brennen, bis nachher der Mond hinter den Bergen aufsteigt. Andere menschliche Wesen als die Sioux haben wir nicht zu erwarten. Wir haben gar nichts zu befürchten.«

»Und wie ist von Bottelers Range sodann der Weg herauf, Sir?« fragte Martin Baumann.

»Wollt Ihr ihn vielleicht reiten, junger Freund?«

Martin bemerkte den forschenden Blick nicht, welchen Old Shatterhand bei dieser Frage auf ihn warf, antwortete aber dennoch mit einer kleinen, nicht ganz zu beherrschenden Verlegenheit:

»Ich interessiere mich natürlich für denselben, weil mein Vater ihn zu reiten hat. Ich habe gehört, daß er sehr gefährlich sein soll.«

»Das will ich nicht behaupten. Man hat natürlich die Nähe der Geiser und sodann diejenigen Stellen zu vermeiden, an welchen die Erdrinde so dünn ist, daß man beim Betreten derselben durchbrechen würde. Man reitet von Bottelers Range im Thale des Flusses aufwärts, an erloschenen Vulkanen vorüber. Nach vier bis fünf Stunden gelangt man in den unteren Cannon, welcher eine halbe Meile lang und wohl tausend Fuß tief in den Granit geschnitten ist. Nach abermals fünf Stunden erreicht man einen Berg, von dessen Spitze zwei parallele Felsenmauern fast dreitausend Fuß tief herniederlaufen. Das wird die Rutschbahn des Teufels genannt. Drei Stunden später gelangt man an die Mündung des Gardinerflusses, dem man nun aufwärts zu folgen hat, weil man am Yellowstone-River nicht mehr vorwärts kann. Dann reitet man an den Washburnebergen und dem Cascade-Creek entlang, welch letzterer wieder nach dem Yellowstone führt. Er mündet zwischen den oberen und unteren Fällen desselben, und man befindet sich somit an dem Rande des großen Cannon, welcher wohl das größte Wunder des Yellowstonebassins bildet.«

»Kennt Ihr dieses Wunder, Sir?« fragte der dicke Jemmy.

Auch diesem Frager warf Old Shatterhand einen heimlich forschenden Blick zu, bevor er antwortete:

»Ja. Er ist wohl über sieben deutsche Meilen lang und mehrere tausend Fuß tief. Die Wände fallen geradezu lotrecht in die Tiefe, und nur ein völlig schwindelfreier Mensch darf es wagen, nach dem Rande hinzukriechen, um in die schauerliche Tiefe zu blicken, in welcher der vorher zweihundert Fuß breite Fluß wie ein dünner Faden erscheint. Und doch ist es dieser Faden gewesen, welcher sich im Verlaufe von Jahrtausenden so tief in die Felsen eingeschnitten hat. Die Wogen brausen unten an den massiven Steinmauern mit fürchterlicher Schnelligkeit dahin, droben aber ist von ihrem Wüten nichts zu hören. Kein Sterblicher kann da hinab, und wenn er es könnte, er vermöchte doch nicht, nur eine Viertelstunde es auszuhalten. Es würde ihm an der Luft fehlen. Das Wasser des Flusses ist warm, sieht wie Öl aus, besitzt einen ekelhaften Schwefel- und Alaungeschmack und verbreitet einen Gestank, der nicht zu ertragen ist. Geht man am Cannon aufwärts, so erreicht man die unteren Fälle des Flusses, wo dieser sich aus einer Höhe von vierhundert Fuß in die grauenvolle Tiefe stürzt. Eine Viertelstunde weiter aufwärts fällt der Strom abermals weit über hundert Fuß herab. Von diesen oberen Fällen bis hierher würde ein Reiter ungefähr neun Stunden brauchen. Das macht also von Bottelers Range aus zwei tüchtige Tagesritte, welche wir den Sioux Ogallala voraus sind. Genau kann diese Rechnung allerdings nicht sein; aber einige Stunden mehr oder weniger sind ja nicht von Belang. Es genügt uns, zu wissen, daß unsere Feinde noch nicht hier sein können.«

»Und wo werden sie sich morgen um diese Zeit befinden, Sir?« fragte Martin Baumann.

»Am oberen Ausgange des Cannons. Habt Ihr einen Grund, das so genau wissen zu wollen?«

»Einen direkten nicht; aber Ihr könnt Euch denken, daß ich den Vater in Gedanken begleite. Wer weiß, ob er noch lebt.«

»Ich bin ganz überzeugt davon.«

»Die Sioux können ihn getötet haben!«

»Mit diesem Gedanken braucht Ihr Euch nicht zu sorgen. Die Ogallala wollen ihre Gefangenen nach dem Häuptlingsgrabe bringen, und das werden sie auch thun; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Je später die Unglücklichen getötet werden, desto länger dauern die Qualen, welche sie zu erdulden haben, und darum fällt es den Sioux gar nicht ein, sie ihnen durch einen früheren Tod abzukürzen. Ich kenne diese roten Kerls sehr genau, und wenn ich Euch sage, daß Euer Vater jedenfalls noch lebt, so könnt Ihr es glauben.«

Er wickelte sich in seine Decke, legte sich nieder und that, als ob er schlafen wolle. Unter den nicht ganz geschlossenen Lidern hervor aber beobachtete er Martin Baumann, den dicken Jemmy und den Hobble-Frank, welche leise und angelegentlich flüsterten, genau.

Nach einiger Zeit erhob der Dicke sich von seinem Platze und schlenderte langsam und scheinbar unbefangen nach der Seite hin, in welcher die Pferde graseten. Sofort stand auch Old Shatterhand auf und folgte ihm heimlich. Er sah, daß Jemmy sein Pferd, welches nur angehobbelt war, anpflockte, und trat nun schnell auf ihn zu.

»Master Jemmy, was hat Euer Gaul verbrochen, daß er nicht frei fressen soll?« fragte er ihn.

Der einstige Gymnasiast wendete sich erschrocken zu ihm um.

»Ah, Ihr seid es, Sir? Ich hielt Euch doch für eingeschlafen.«

»Und ich hielt Euch bis jetzt für einen ehrlichen Kerl!«

»Alle Teufel! Meint Ihr etwa, daß ich es jetzt nicht mehr bin?«

»Fast scheint es so!«

»Warum?«

»Aus welchem Grunde erschrakt Ihr so, als ich jetzt hierher kam?«

»Aus dem einfachen Grunde, aus welchem ein jeder erschrickt, der bei Nacht ganz unerwartet angeredet wird.«

»Der müßte ein ziemlich schlechter Westmann sein. Ein braver Jäger bewegt sich unter Umständen selbst dann nicht, wenn ganz unerwartet vor seinem Ohr ein Schuß abgefeuert wird.«

»Ja, wenn dabei die Kugel ihm durch den Kopf geht, so bewegt er sich allerdings nicht mehr!«

»Pah! Ihr wißt genau, daß es hier kein feindliches Wesen gibt! Es sollte niemand merken, daß Ihr Euer Pferd angepflockt habt.«

Der Dicke verbarg seine Verlegenheit hinter einem zornigen Tone:

»Jetzt, Sir, begreife ich Euch nicht. Kann ich denn mit meinem Pferde nicht mehr machen was mir beliebt?«

»Ja, aber heimlich braucht Ihr es nicht zu thun!«

»Von Heimlichkeit ist keine Rede. Unter den Pferden der Upsarocas befinden sich einige Schläger. Mein Gaul ist bereits einmal verletzt worden. Damit das nicht wieder geschehen möge, habe ich ihn angepflockt; er soll diese störrige Gesellschaft gar nicht aufsuchen können. Ist das eine Sünde, so hoffe ich, daß ich Vergebung finde.«

Er wendete sich ab, um zum Lager zurückzukehren. Old Shatterhand aber legte ihm die Hand auf die Schulter und bat:

»Bleibt noch einen kurzen Augenblick, Master Jemmy. Es kann nicht meine Absicht sein, Euch zu beleidigen; aber ich glaube Veranlassung zu haben, Euch zu warnen. Daß ich das unter vier Augen thue, mag Euch zeigen, wie hoch ich Euch schätze.«

Jemmy schob seinen Hut nach vom, kratzte sich hinter dem Ohre, wie es sonst sein Freund Davy zu thun pflegte, wenn er sich in Verlegenheit befand, und antwortete:

»Sir, wenn ein anderer mir das sagte, so würde ich ihm ein wenig mit der Faust im Gesicht herumlaufen; von Euch aber will ich die Warnung annehmen. Also, wenn Ihr einmal geladen habt, so drückt in Kuckucks Namen los!«

»Schön! Welche Heimlichkeiten habt Ihr mit dem Sohne des Bärenjägers?«

Es dauerte eine kleine Weile, bevor Jemmy antwortete:

»Heimlichkeiten? Ich mit dem? Dann sind diese Heimlichkeiten so sehr heimlich, daß ich selbst von ihnen nicht das Geringste weiß.«

»Ihr flüstert immer miteinander!«

»Er will sich in der deutschen Sprache üben.«

»Das kann er auch laut thun. Ich habe bemerkt, daß er in letzter Zeit viel besorgter um seinen Vater ist als vorher. Er befürchtet, daß er von den Ogallala getötet worden sei, und ich gebe mir vergebliche Mühe, ihm das auszureden. Ihr habt vorhin gehört, daß er wieder davon anfing. Ich befürchte, daß er sich mit Gedanken trägt, welche zwar seiner Kindesliebe, nicht aber seiner Einsicht Ehre machen. Wißt Ihr vielleicht etwas davon?«

»Hm! Hat er Euch etwas davon gesagt, Sir?«

»Nein.«

»Nun, zu Euch hat er doch jedenfalls mehr Vertrauen, als zu mir. Wenn er gegen Euch schweigt, so wird er gegen mich nicht mitteilsamer sein.«

»Mir scheint, Ihr sucht eine direkte Antwort zu umgehen?«

»Fällt mir nicht ein!«

»Er hält sich seit gestern von mir und Winnetou zurück, und Ihr reitet stets mit ihm. Ich habe geglaubt, daraus folgern zu müssen, daß er Euch zu seinem Vertrauten gemacht hat.«

»Ich sage Euch, daß Ihr Euch da sehr irrt, obwohl Ihr sonst ein außerordentlich scharfsinniger Mann seid.«

»Also er hat Euch wirklich nichts mitgeteilt, woraus zu folgern wäre, daß er etwas beabsichtigt, was ich nicht billigen könnte?«

»Alle Teufel! Ihr stellt da ja ein wirkliches Examen mit mir an. Bedenkt, Sir, daß ich kein Schulknabe bin! Wenn mir jemand über seine Familienverhältnisse und Herzensangelegenheiten eine Mitteilung macht, so bin ich nicht berechtigt, einem anderen darüber Rede zu stehen.«

»Gut, Master Jemmy! Das, was Ihr jetzt sagtet, war zwar eine Grobheit, hat aber seine Richtigkeit. Ich will also nicht weiter in Euch dringen und genau so thun, als ob ich nichts bemerkt hätte. Geschieht aber etwas, was einen von uns in Schaden bringt, so weise ich alle Verantwortlichkeit von mir ab. Wir sind fertig.«

Er wendete sich ab und ging, nicht nach dem Lager hin, sondern nach der entgegengesetzten Seite. Er hatte sich über Jemmy geärgert und wollte seinen Unmut durch einen kurzen Gang zur Ruhe bringen.

Der Dicke schlenderte langsam nach seinem Feuer hin und brummte dabei leise vor sich hin:

»Ein verteufelt scharfes Auge hat dieser Mann! Wer konnte meinen, daß er etwas gemerkt habe. Recht hat er, vollständig recht, und ich wollte, ich hätte ihm alles sagen können; aber ich habe mein Wort gegeben, zu schweigen, und darf es nicht brechen. Besser wäre es, ich hätte mich mit dieser Sache gar nicht abgegeben. Aber der kleine Bärenjäger wußte so schön zu bitten, und da ist mir altem, dickem Waschbären das Herz mit dem Verstande davongelaufen. Na, hoffentlich nimmt die Angelegenheit ein gutes Ende!«

Als Old Shatterhand sich vorhin vom Feuer entfernt hatte, war von den Zurückbleibenden ein leises Gespräch über denselben Gegenstand geführt worden.

»O weh!« hatte der lange Davy dem Sohne des Bärenjägers zugeflüstert. »Da geht Shatterhand fort! Wohin?«

»Wer weiß es!«

»Ich bin es vielleicht, der es weiß. Mir scheint, er hat gar nicht geschlafen. Wenn einer in dieser Weise aufsteht, so ist er nicht aus dem Schlafe erwacht. Er hat uns wohl gar beobachtet.«

»Warum sollte er das? Wir haben ihm ja keine Veranlassung zum Mißtrauen gegeben.«

»Hm! Ich freilich nicht, aber Ihr. Ich habe mich sehr wohl gehütet, viel mit Euch zu reden, wenn ich wußte, daß er es bemerken könne. So auch vorhin. Jemmy aber hält sich so unausgesetzt zu Euch, daß ein jeder annehmen muß, daß Ihr irgend eine Heimlichkeit mit ihm habt. Auch Old Shatterhand ist es wohl aufgefallen. Nun ist er dem Jemmy nach und wird sehen, daß dieser unsere Pferde anpflockt, damit wir sie nachher, wenn wir uns fortschleichen wollen, nicht lange Zeit zu suchen brauchen. Wenn er das wirklich sieht, so ist unsere Absicht mehr als halb verraten.«

»Ich werde sie dennoch ausführen!«

»Ich habe Euch gewarnt und warne Euch auch noch jetzt!«

»Aber bedenkt doch, mein lieber Davy, daß es mir ganz unmöglich ist, noch volle drei Tage zu warten! Ich sterbe vor Sorge um den Vater.«

»Old Shatterhand hat Euch aber doch erklärt, daß die Gefangenen noch leben müssen!«

»Er kann sich sehr leicht irren.«

»So können wir es auch nicht ändern.«

»Aber ich habe Gewißheit und kann mich danach richten. Wünscht Ihr etwa, daß ich Euch Euer Wort zurückgebe?«

»Besser für mich wäre es vielleicht.«

»Das sagt Ihr, dem ich ein so großes Vertrauen geschenkt habe,« bemerkte Martin in vorwurfsvollem Tone. »Habt Ihr denn vergessen, daß Ihr und Jemmy die ersten waret, welche mir ihre Hilfe anboten? Nun aber kann ich mich nicht mehr auf euch verlassen.«

»Zounds! Das ist ein Vorwurf, den ich nicht auf mir sitzen lassen darf. Ich habe mich von meiner Zuneigung zu Euch hinreißen lassen, Euch das Versprechen zu geben, und Ihr sollt mir nicht nachsagen, daß ich es nicht halte. Ich reite also mit; aber ich mache eine Bedingung!«

»Laßt hören! Ich erfülle sie, wenn es mir möglich ist.«

»Wir belauschen die Sioux-Ogallala nur, um zu erfahren, ob Euer Vater noch lebt.«

»Ja, einverstanden.«

»Wir machen nicht etwa auf unsere eigene Faust einen Versuch, ihn zu befreien.«

»Auch da bin ich Eurer Meinung.«

»Schön! Ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie es in Eurem Herzen aussehen mag. Ihr steht eine reelle Angst um Euren Vater aus. Das rührt mein altes, gutes Gemüt, und ich begleite Euch. Aber sobald wir gesehen haben, daß er noch lebt, kehren wir um und reiten den anderen nach. Wenn Ihr nur nicht auf den Gedanken gekommen wäret, den Hobble-Frank mitzunehmen!«

»Er hat es verdient, daß ich diese Rücksicht auf ihn nehme.«

»Aber ich denke, daß er uns mehr schaden als nutzen werde.«

»O, Ihr irrt Euch in ihm. Er ist trotz aller seiner Eigenheiten ein mutiger und auch gewandter Kerl.«

»Das mag sein; aber er hat ein ganz entschiedenes Pech. Was er am besten anzufangen meint, das gelingt ihm am allerwenigsten. Solche Unglücksvögel sind die besten Geschöpfe, aber man muß sie meiden.«

»Ich habe es ihm nun einmal versprochen und will ihm nicht das Herzeleid anthun, mein Wort zurückzunehmen. Er hat in Freud' und Leid treu bei uns ausgehalten, und es ist eine Art Belohnung für ihn, wenn ich ihn mitnehme.«

»Und Wohkadeh? Geht er noch mit?«

»Ja. Wir haben so innige Freundschaft geschlossen, daß es ihm unmöglich ist, zurückzubleiben, während ich diesen Ritt unternehme.«

»So ist also alles in Ordnung, und es handelt sich nur darum, unbemerkt fortzukommen. Freilich wird es morgen früh eine große Sorge um uns geben, wenn wir verschwunden sind, aber ich denke, der Neger wird den Auftrag ausrichten. Da kommt Jemmy.«

Der Dicke kam herbei und setzte sich zu ihnen.

»Nicht wahr, Old Shatterhand hegt Mißtrauen?« fragte Davy.

»Ja. Er hat mich inquiriert wie einen Spitzbuben,« brummte der Dicke mißmutig.

»Du hast aber doch nichts gestanden?«

»Versteht sich ganz von selbst. Aber sauer ist es mir freilich geworden. Ich habe meine Zuflucht sogar zur Grobheit nehmen müssen. Das nahm er mir übel und ging fort.«

»Und er hat gesehen, daß du unsere Pferde anpflocktest?«

»Ich hatte es nur erst mit dem meinigen gethan. Er war mir glücklicherweise zu schnell nachgekommen. Laßt uns aber jetzt schweigen, damit wir sein Mißtrauen einschläfern. Da kommt nun auch der Mond. Wir wollen das Feuer auslöschen und uns dann unter die Bäume legen. Da gibt es Schatten, und man bemerkt unsere Entfernung nicht sogleich.«

»Gut, daß wir Mondschein haben; da finden wir wenigstens den Weg.«

»Er ist uns deutlich vorgezeichnet, immer am Flusse hinab. Einerseits ist es mir gar nicht lieb, daß wir gezwungen sind, die Gefährten zu täuschen, andererseits aber kann es ihnen auch nichts schaden. Früher hatten auch wir ein Wort zu sagen; jetzt aber sind Old Shatterhand und Winnetou die Kommandanten. Jemmy und Davy werden nur so nebenbei einmal um ihre Ansicht gefragt. Da ist es eigentlich ganz an der Zeit, ihnen zu zeigen, daß wir auch noch zu den Westmännern gehören, die einen Plan entwerfen und ihn auch ausführen können. jetzt nun zur Ruhe. Sie darf für uns nicht lange währen.«

Das Feuer wurde ausgelöscht. Auch die Flammen, an denen die Indianer gesessen hatten, brannten nicht mehr. Die Gespräche waren verstummt. Old Shatterhand legte sich, als er zurückgekehrt war, neben Winnetou in das Gras. Nun war es still ringsum. Nur das schrille Pfeifen der dem Erdinnern entströmenden Dämpfe ließ sich in regelmäßigen Zwischenräumen hören.

Es verging weit über eine Stunde, da regte es sich leise unter den Bäumen, wo Frank, Jemmy, Davy, Martin und Wohkadeh sich zusammen gelagert hatten.

»Meine Brüder mögen mir folgen,« flüsterte der junge Indianer. »Es ist Zeit. Wer eher geht, der kommt eher an.«

Sie griffen nach ihren Waffen und sonstigen Sachen und schlichen sich leise unter den Bäumen dahin, den Pferden zu. Jemmy fand das seinige leicht; die anderen mußten erst gesucht werden; aber den scharfen Augen Wohkadehs gelang es schnell, die vier Tiere von den anderen zu unterscheiden.

Ohne ein leichtes Geräusch ging das freilich nicht ab. Darum blieben die fünf Flüchtlinge, als sie die Pferde beisammen hatten, eine kleine Weile lauschend stehen, um zu beobachten, ob ihr Verschwinden bemerkt worden sei.

Als es aber dort bei den Schlafenden ruhig blieb, führten sie die Pferde, deren Hufschlag durch das Gras gedämpft wurde, langsam fort.

Freilich, ganz unbemerkt entkamen sie nicht. Obgleich an die Nähe eines Feindes nicht gedacht werden konnte, waren doch einige Wachen, die sich von Zeit zu Zeit abzulösen hatten, ausgestellt worden. Für die Nacht war dies schon wegen den wilden Tieren im Walde notwendig. An einem dieser Wachtposten kamen sie vorüber.

Es war ein Schoschone. Er hörte sie kommen, wußte natürlich, daß die vom Lager her Nahenden Freunde sein mußten, und machte daher keinen Lärm. Der Schein des Mondes, welcher sich zwischen einzelnen Zweigen hindurch herniederstahl, erlaubte ihm, die Pferde zu sehen. Daß sich Männer mit ihren Tieren entfernen wollten, das erregte seine Verwunderung.

»Was haben meine Brüder vor?« fragte er.

»Schau mich an! Erkennst du mich?« antwortete Jemmy, nahe an ihn herantretend, so daß seine Gestalt deutlich zu bemerken war.

»Ja. Du bist Jemmy-petahtscheh.«

»Sprich leise, damit keiner der Schläfer geweckt werde. Old Shatterhand sendet uns aus. Er weiß, wohin wir gehen. Ist dir das genug?«

»Meine weißen Brüder sind unsere Freunde. Ich darf sie nicht hindern, die Befehle des großen Jägers auszuführen.«

Sie gingen weiter. Als sie so entfernt vom Lager waren, daß kein Huftritt dort mehr gehört werden konnte, stiegen sie auf, suchten die lichtere Nähe des Seeufers auf und trabten längs desselben hin, um den Ausfluß des Yellowstoneriver zu erreichen und demselben in nördlicher Richtung zu folgen.

Der Schoschone hielt den Vorfall für so einfach und selbstverständlich, daß er sich gar nicht die Mühe gab, später dem ihn ablösenden Posten eine Mitteilung darüber zu machen. So blieb die Entfernung der fünf kühnen oder vielmehr leichtsinnigen Deserteure unbemerkt, bis der Tag graute.

Um diese frühe Zeit sollte aufgebrochen werden. Daher erhoben sich, als die ersten Vogelstimmen in den Zweigen ertönten, alle von ihren Lagerorten. Da bemerkte Old Shatterhand zunächst, daß Martin Baumann fehlte. Da ihm sofort die gestrige Befürchtung zurückkehrte, forschte er nach Jemmy, und bald stellte es sich heraus, daß nicht nur dieser auch fehlte, sondern ebenso Davy, Frank und Wohkadeh nicht mehr vorhanden waren. Wie man sich dann sogleich überzeugte, hatten sie zu Pferde das Lager verlassen.

Nun erst jetzt meldete sich der Schoschone, welcher gestern abend die Wache gehabt hatte, und erzählte Old Shatterhand, welche Erklärung ihm von Jemmy gemacht worden war.

Winnetou stand dabei und konnte sich trotz seines sonstigen Scharfsinnes die Absicht, in welcher die Fünf sich so heimlich entfernt hatten, nicht denken.

»Sie sind den Sioux-Ogallala entgegen,« erklärte ihm Old Shatterhand.

»So haben sie ihr Hirn verloren,« zürnte der Apache. »Sie werden nicht nur der Gefahr, welcher sie entgegenreiten, nicht entgehen, sondern auch unsere Anwesenheit verraten. Warum aber wollen sie den Sioux begegnen?«

»Um zu erfahren, ob der Bärentöter noch lebe.«

»Ist er tot, so vermögen sie doch nicht, ihm das Leben zurückzugeben, und lebt er noch, so werden sie ihm Unglück bringen. Winnetou kann diesen großen Fehler den zwei kühnen Knaben verzeihen; die beiden alten, weißen Jäger aber sollten am Pfahle aufgestellt werden, den Squaws und Kindern zum Spotte!«

Da kam Bob, der Neger, herbei. Der Skunkgeruch war noch nicht ganz von ihm gewichen, so daß keiner der Leute ihn gern in seiner Nähe duldete. Er trug immer noch nur die alte Pferdedecke, welche der lange Davy ihm geschenkt hatte. Des Nachts, wenn es kühl wurde, hatte er sich bisher in das Fell des von Martin Baumann erlegten Bären gewickelt.

»Massa Shatterhand suchen Massa Martin?« fragte er.

»Ja. Kannst du mir Auskunft erteilen?«

»O, Masser Bob sein ein sehr kluger Masser Bob. Er wissen, wo Massa Martin sein.«

»Nun wo?«

»Sein fort, zu Sioux-Ogallala, zu sehen gefangen Massa Baumann. Massa Martin haben Masser Bob alles sagen, damit Masser Bob dann Massa Shatterhand wiedersagen.«

»Also doch ganz so, wie ich dachte!« sagte Old Shatterhand. »Wann wollen sie zurückkommen?«

»Wann sie haben sehen Massa Baumann, dann kommen uns nach an Fireholefluß.«

»Hast du sonst noch einen Auftrag?«

»Nein. Masser Bob weiter nichts wissen.«

»Dein guter Massa Martin hat da eine Dummheit gemacht; ich glaube, es kann ihm dabei an den Kragen gehen.«

»Was! Massa Martin an den Kragen? Da Masser Bob sich setzen sofort auf Pferd, um ihm nachreiten und erretten!«

Er wollte eiligst fort, hin zu den Pferden.

»Halt!« befahl ihm Old Shatterhand. »Du bleibst! Du darfst zu der ersten Dummheit nicht noch eine zweite fügen, welche noch größer sein würde.«

»Aber Masser Bob doch müssen retten sein lieb gut Massa Martin!« rief der treue Schwarze. »Masser Bob schlagen tot all ganz Sioux-Ogallala!«

»Ja, so wie du zum Beispiel auch den Bären totschlugst, als du vor Angst auf die Birke klettertest.«

»Ogallala sein kein Bär. Masser Bob sich nicht fürchten vor Ogallala!«

Er streckte seine großen Fäuste drohend aus und machte eine Miene, als ob er gleich zehn Ogallala verschlingen wolle.

»Nun gut, ich will es einmal mit dir versuchen, weil du deinen jungen Herrn so hebst. Mache dich bereit, in wenigen Minuten mit uns zu reiten!«

Und zu Winnetou, bei welchem jetzt der Häuptling der Upsarocas und der Häuptling der Schoschonen mit Moh-aw, seinem Sohne, standen, fuhr er fort:

»Mein Bruder wird den Ritt fortsetzen und mich am K'untui-temba, dem Maule der Hölle, erwarten. Mit mir aber werden reiten die fünfzehn Krieger der Upsarocas mit ihrem Häuptlinge und Moh-aw mit fünfzehn Kriegern der Schoschonen. Wir müssen diesen fünf vorwitzigen Menschen augenblicklich folgen, um sie zu retten, wenn sie sich in Gefahr befinden. Wann wir dem Häuptlinge der Apachen folgen werden, das weiß ich nicht. Auch kann ich nicht vorher bestimmen, von welcher Seite ich nach dem ›Maule der Hölle‹ kommen werde. Mein Bruder mag nach beiden Seiten Männer senden, welche aufzupassen haben, denn es ist nun möglich, daß die Sioux eher am Grabe der Häuptlinge sind als ich mit meinen Kriegern.«

Nur wenige Minuten später galoppierte Old Shatterhand mit seinen Begleitern in derselben Richtung fort, in welcher die fünf Unvorsichtigen gestern abend das Lager verlassen hatten. Ob, wo, wann und unter welchen Umständen er sie einholen werde, das konnte er freilich nicht wissen.

Sie hatten natürlich einen weiten Vorsprung vor ihm. Der Ritt war zwar wegen der Nacht und ihrer Unbekanntschaft mit dem Terrain nur langsam vorwärts gegangen, aber dennoch lag beim Anbruch des Tages der Yellowstonesee bereits in bedeutender Entfernung hinter ihnen, und nun konnten sie die Pferde besser ausgreifen lassen.

Jemmy und Davy fühlten sich heute ganz in ihrem Elemente. Sie waren diejenigen, auf welche sich die drei anderen verlassen mußten, während in letzter Zeit nur wenig nach ihren Meinungen gefragt worden war. Und wenn sie die Gegend, in welcher sie sich befanden, auch gar nicht kannten, so verließen sie sich auf ihre Erfahrung und Gewandtheit und waren vollständig überzeugt, daß ihr Rekognitionsritt einen guten Ausgang finden werde.

Zu sehen gab es, als es hell geworden war, genug, ja mehr, als für den Zweck ihres Rittes eigentlich nützlich war. Die Scenerie des Flusses und seiner Ufer war eine so außerordentlich interessante, daß es keinem von ihnen gelang, die Ausrufe der Bewunderung, welche ihnen über die Lippen wollten, zurückzuhalten.

Das Thal des Flusses war zunächst ziemlich breit und bot zu beiden Seiten reiche Abwechselung. Bald stiegen die Höhen allmählich herab zu den Ufern, und bald strebten sie steilan zum Himmel empor; aber mochte die Formation sein, welche sie wollte, allüberall machten sich die Wirkungen unterirdischer Gewalten geltend.

Vor wer weiß wie vielen Menschheitsaltern ist diese Gebirgsregion ein See gewesen, welcher einen Flächenraum von vielen Tausend Quadratmeilen gehabt hat. Dann begannen unter seinen Wassern vulkanische Mächte ihre Thätigkeit. Es hob sich der Boden; er spaltete sich, und aus diesen Spalten schoß glühende Lava hervor, welche im kühlen Wasser des Sees zu Basalt erstarrte. Es öffneten sich ungeheure Krater, heißes Gestein wurde aus ihnen emporgetrieben und verband sich mit anderen Mineralien zu verschiedenartigen Konglomeraten, um den Boden zu bilden, auf welchem die zahlreichen heißen Mineralquellen ihre Niederschläge ablagern konnten. Dann hob eine gewaltige Ansammlung unterirdischer Gase mit unmeßbarer Gewalt den ganzen Boden dieses Sees empor, so daß seine Wasser abfließen mußten. Sie rissen sich tiefe Rinnen in die Erde. Loses Erdreich und weiches Gestein wurde fortgespült. Kälte und Wärme, Sturm und Regen halfen mit, alles, was nicht Widerstand zu leisten vermochte, zu zerstören, zu entfernen, und nur die harten, erstarrten Lavasäulen hielten aus.

So grub sich das Wasser zu einer Tiefe von tausend Fuß in die Erde ein; es fraß alles Weiche weg; es wusch die Felsen tiefer und tiefer aus, und so wurden die großartigen Cannons und die Wasserfälle gebildet, welche zu den Wundem des Nationalparkes gehören.

Da ragen dann die vulkanischen Ufer hoch empor, vielfach zerrissen und zerklüftet, vom Regen ausgewaschen, und bilden Formen, welche sich keine Phantasie zu erdenken vermag. Da glaubt man die Ruine einer alten Ritterburg zu sehen. Man kann die leeren Fensterhöhlen sehen, den Wartturm und die Stelle, an welcher die Zugbrücke über den Graben ging. Nicht weit davon ragen schlanke Minarets empor. Man meint, der Muezzin müsse auf den Söller treten und die Gläubigen zum Gebete rufen. Gegenüber öffnet sich ein römisches Amphitheater, in welchem Christensklaven mit wilden Tieren gerungen haben. Daneben steigt eine chinesische Pagode frei und kühn zur Höhe, und weiterhin am Flusseslaufe steht eine hundert Fuß hohe Tiergestalt, so massiv, so unzerstörbar scheinend, als sei sie dem Götzen eines vorsündflutlichen Volkes errichtet gewesen.

Und das alles ist Täuschung. Die vulkanischen Eruptionen haben die Massen geliefert, welche vom Wasser zu Gestalten gemeißelt wurden. Und wer diese Produkte elementarer Kräfte betrachtet, fühlt sich als einen mikroskopischen Wurm im Staube und hat allen Stolz vergessen, der ihn vorher beherrschte.

So ging es auch Jemmy, Davy und Martin Baumann, als sie am Morgen dem Laufe des Flusses folgten. Sie wurden nicht müde, ihrer Bewunderung Ausdruck zu geben. Was Wohkadeh fühlte und dachte, das war nicht zu erfahren; er sprach es nicht aus.

Natürlich benutzte der gute Hobble-Frank diese Gelegenheit, sein wissenschaftliches Licht leuchten zu lassen; aber heute fand er in dem dicken Jemmy keinen bereitwilligen Hörer, denn dieser hatte alle seine Aufmerksamkeit in den Augen konzentriert und forderte endlich den kleinen Sachsen gar in zornigem Tone zum Schweigen auf.

»Na, dann gut!« antwortete der einstige »Forschtbeamte«. »Was hilft's der Menschheet, daß sie diese Wunder erblickt, wenn sie sich weigert, sie sich erklären zu lassen! Da hat der große Dichter Gellert sehre recht, indem er sagt: ›Was hilft der Kuh Muschkate!‹ Ich will also meine Muschkate und meinen Sempf ooch für mich behalten. Man kann im Gymnasium gewest sein und doch vom Yellohschtohne nichts verschtehn. Ich aber wasche von heute an meine Hände in lauter Unschuld. Da weeß ich wenigstens, woran ich bin!«

Da, wo der Fluß sich in einem ziemlich weiten Bogen nach Westen wendet, traten zahlreiche heiße Quellen zu Tage, welche ihre Wasser sammelten, um ein ansehnliches Flüßchen zu bilden, welches sich zwischen hohen Felsen hindurch in den Yellowstone ergoß. Es schien, als ob man das Ufer des letzteren von hier an nicht mehr direkt verfolgen könne, und darum bogen die Fünf links ein, um dem Laufe des heißen Flüßchens zu folgen.

Hier gab es weder Baum noch Strauch. Es war alle Vegetation erstorben. Die heiße Flüssigkeit hatte ein schmutziges Aussehen und roch wie faule Eier. Es war kaum zum Aushalten. Und doch wurde es nicht eher anders und besser, als bis sie nach einem stundenlangen, beschwerlichen Ritte die Höhe erreichten. Hier gab es auch klares, frisches Wasser, und bald zeigten sich Büsche, später sogar Bäume.

Von einem wirklichen Wege war natürlich keine Rede. Die Pferde hatten sich oft auf weite Strecken hin über Felsbrocken weg zu arbeiten, welche das Aussehen hatten, als sei ein Berg vom Himmel gestürzt und hier unten in lauter Stücke zerbrochen.

Diese Trümmer hatten oft eine wunderbare Gestalt, und oft blieben die fünf Reiter halten, um ihre Meinung über dieselbe auszutauschen. Dabei verging die Zeit, und es war bereits mittag, als sie erst die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten.

Da erblickten sie von weitem ein ziemlich großes Haus. Es schien eine in italienischem Stile gebaute Villa zu sein, an welche sich ein mit einer hohen Mauer umgebener Garten lehnte. Ganz erstaunt blieben sie halten.

»Ein Wohnhaus hier am Yellowstone! Das ist doch gar nicht möglich!« sagte Jemmy.

»Warum soll das nicht möglich sein?« antwortete Frank. »Wenn off dem Sankt Bernhardt een Hostiz ist, so kann hier doch vielleicht ooch eens errichtet worden sein. Die Menschenmöglichkeet ist überall vorhanden.«

»Hospiz heißt es, aber nicht Hostiz,« bemerkte Jemmy.

»Fangen Sie nich etwa mit mir an! Haben Sie vorhin von meinen mineralischen Kenntnissen nischt profitieren wollen, so brauchen Sie mir jetzt Ihre zweifelhafte Weisheet ooch nich auszukramen! Sind Sie denn vielleicht schon mal off dem Sankt Bernhardt gewest?«

»Nein.«

»So schweigen Sie also ganz schtille! Nur wer da droben wohnt, kann drüber reden. Aber sehen Sie doch mal genauer nach dem Hause hin! Schteht da nich een Mensch grad vor dem Thore?«

»Allerdings. Wenigstens scheint es so. Aber jetzt ist er weg. Es wird wohl nur ein Schatten gewesen sein.«

»So? Da blamieren Sie sich wieder mal mit Ihren optischen Erfahrungen. Wo es eenen menschlichen Schatten gibt, da muß es unbedingt ooch eenen Menschen geben, der diesen Schatten geworfen hat. Das ist die bekannte Lehre von Pythagorassen seiner Hypotenuse off den zwee Kathedern. Und wenn der Schatten weg ist, so muß entweder die Sonne verschwunden sein oder derjenige, der den Schatten geworfen hat. Die Sonne ist aber noch da, folglich ist der Kerl fort. Wohin, das werden wir bald merken.«

Sie näherten sich dem Bauwerke schnell, und da erkannten sie freilich, daß es nicht von Menschenhänden errichtet, sondern ein Werk der Natur war. Die scheinbaren Mauern bestanden aus blendend weißem Feldspat. Mehrere Öffnungen konnten von weitem leicht für Fenster gehalten werden. Eine weite, hohe Thüröffnung war auch vorhanden. Wenn man durch dieselbe blickte, so sah man eine Art weiten Hofes, welcher durch natürliche Felsencoulissen in mehrere verschieden große Abteilungen geschieden wurde. In der Mitte dieses Hofes sprudelte ein Quell aus der Erde hervor und schickte sein klares, kaltes Wasser gerade zum Thore heraus.

»Wunderbar!« gestand Jemmy. »Dieser Ort eignet sich prächtig zu einer Mittagsrast. Wollen wir hinein?«

»Meinswegen,« antwortete Frank. »Aber wir wissen noch gar nich, ob der Kerl, der da drin wohnt, vielleicht een schlechter Mensch ist.«

»Pshaw! Wir haben uns getäuscht; von einem Menschen ist hier gar keine Rede. Zum Überflusse will ich auch vorher einmal rekognoszieren.«

Er ritt, die Büchse schußfertig haltend, langsam durch das Thor und blickte sich im Hofe um. Dann drehte er sich um und winkte.

»Kommt herein! Es ist keine Seele hier.«

»Das will ich ooch hoffen,« meinte Frank. »Mit abgeschiedenen Seelen, die ooch een geisterhaftes Dasein off der Erde fristen, habe ich keeneswegs gern was zu thun.«

Davy, Martin und Frank folgten Jemmys Aufforderung. Wohkadeh aber blieb noch vorsichtig halten.

»Warum kommt mein roter Bruder nicht?« fragte der Sohn des Bärentöters.

Der Indianer zog die Luft bedächtig durch die Nase und antwortete:

»Bemerken meine Brüder nicht, daß es hier sehr nach Pferden riecht?«

»Natürlich muß es nach ihnen riechen. Wir haben ja die unserigen mit.«

»Dieser Geruch kam bereits aus der Thür, als wir noch vor ihr hielten.«

»Es ist hier weder ein Mensch noch ein Tier zu sehen, auch keine Spur von beiden.«

»Weil der Boden aus hartem Stein besteht. Meine Brüder mögen vorsichtig sein.«

»Es gibt hier keinen Grund zu irgend einer Befürchtung,« erklärte Jemmy. »Kommt, wir wollen uns erst auch noch weiter hinten umsehen.«

Anstatt ihn das allein thun zu lassen und sich dadurch den Rückzug offen zu halten, folgten sie ihm, eng nebeneinander reitend, nach den hintersten Felsenabteilungen.

Da erscholl plötzlich ein Geheul, daß es schien, als ob die Erde bebe. Eine ganz bedeutende Anzahl von Indianern brach aus dem Hintergrunde hervor, und im Nu waren die vier unvorsichtigen Männer umzingelt.

Die Roten waren nicht zu Pferde, aber außerordentlich gut bewaffnet. Ein langer, hagerer, aber sehniger Kerl, durch den Kopfputz als Häuptling gekennzeichnet, rief den Weißen in gebrochenem Englisch zu:

»Ergebt euch, sonst nehmen wir euch die Skalpe!«

Es waren ganz gewiß wenigstens fünfzig Indianer. Die vier Überraschten sahen ein, daß jede Gegenwehr nur verderblich sein könne.

»Alle Teufel!« stieß Jemmy in deutscher Sprache hervor. »Da sind wir ihnen gerade in die Hände geritten. Es sind Sioux, jedenfalls diejenigen, welche wir belauschen wollten. Aber noch gebe ich nichts verloren. Vielleicht ist durch List etwas zu erreichen.«

Und zu dem Häuptlinge gewendet, fuhr er in englischer Sprache fort:

»Ergeben sollen wir uns? Wir haben euch ja nichts gethan. Wir sind Freunde der roten Männer.«

»Das Kriegsbeil der Sioux-Ogallala ist gegen die Bleichgesichter gerichtet,« antwortete der Lange. »Steigt ab und legt eure Waffen von euch! Wir warten nicht.«

Fünfzig Paar Augen waren finster auf die Weißen gerichtet, und fünfzig rotbraune Hände lagen an den Messern. Old Shatterhand und Winnetou hätten sich wohl nicht ergeben; aber der lange Davy war der Erste, der von seinem Maultiere stieg.

»Thut ihm den Willen,« sagte er zu seinen Gefährten. »Wir müssen Zeit gewinnen. Die Unsrigen kommen ganz gewiß, um uns zu befreien.«

. Da stiegen die anderen auch ab und übergaben ihre Waffen. Dabei nahm der Hobble-Frank Gelegenheit, dem dicken Jemmy einen Rippenstoß zu versetzen und ihm zornig zuzurufen:

»Das kommt davon, wenn man off dem Gymnasium nich mal gelernt hat, wie das Wort Hostiz geschrieben wird! Warum reiten Sie denn da herein! Wären Sie doch draußen geblieben. Nun haben uns die Kanallgen bei der Parabel!«

Da bekam er selbst von einem Indianer einen noch viel derberen Rippenstoß. Der Rote hielt ihm das Messer vor das Gesicht und gebot:

»Schweig! Sonst –-- !«

Er machte die Bewegung des Stechens. Frank hielt sich sofort die Hand vor den Mund, zum Zeichen, daß er keine Lust habe, mit dem Messer Bekanntschaft zu machen.

Wohkadeh war nicht mit hereingekommen, wie bereits erwähnt wurde. Er sah von draußen, daß seine Gefährten umzingelt wurden, und trieb sofort sein Pferd zur Seite, um nicht durch die Eingangsöffnung gesehen zu werden. Dann sprang er ab, legte sich auf den Boden und schob den Kopf nur so weit vor, daß die Augen Freiheit bekamen, in den Hof zu blicken.

Was er sah, erfüllte ihn mit Bestürzung. Er erkannte den Häuptling. Es war Hong-peh-te-keh, der schwere Mokassin, der Anführer der Sioux-Ogallala. Er erkannte auch die anderen. Es waren die sechsundfünfzig Ogallala, zu denen er gehört hatte und denen er entflohen war. Der Weiße, der ihnen hier in die Hände fiel, in der Nähe des Häuptlingsgrabes, war sicherlich verloren, wenn ihm nicht von außen her Rettung wurde.

Was sollte er thun? So fragte sich der wackere Wohkadeh. Schnell nach dem See zurückreiten, um Old Shatterhand mit den Seinen zu holen? Nein. Es kam ihm ein besserer Gedanke. Derselbe war zwar außerordentlich kühn, gab aber doch wenigstens eine kleine Hoffnung auf Erfolg. Er wollte hinein zu den Ogallala; er wollte riskieren, von ihnen in Stücke zerrissen zu werden. Er mußte sie belügen. Begriffen die Weißen seine Absicht, ohne daß er sie ihnen zu erklären brauchte, und richteten sie ihre Aussagen danach ein, so war es möglich, einen Erfolg zu erzielen.

Er bedachte sich nicht länger. Es war ein wahres Heldenstück, welches auszuführen er sich vorgenommen hatte; aber was würden Winnetou und Old Shatterhand, seine beiden Ideale, sagen, wenn sie davon hörten l

Dieser Gedanke verdoppelte seine Kühnheit. Er stieg auf sein Pferd und ritt in den Hof, die unbefangenste Miene zeigend, die es nur geben kann.

Soeben sollten die vier Gefangenen gefesselt werden. Zwei, drei Lançaden seines Pferdes, und er hielt vor ihnen.

»Uff !« rief er mit lauter Stimme. »Seit wann schlingen die Krieger der Sioux-Ogallala Fesseln um die Hände ihrer besten Freunde? Diese Bleichgesichter sind die Brüder Wohkadehs!«

Sein plötzliches Erscheinen erregte allgemeines Staunen. Doch machte sich das letztere nur durch einige halblaute, kurze Ausrufe Luft. Der »schwere Mokassin« zog die Brauen finster zusammen, musterte mit stechendem Blicke die ganze Erscheinung des jungen Kriegers und antwortete:

»Seit wann sind die weißen Hunde die Brüder der Ogallala?«

»Seit sie Wohkadeh das Leben gerettet haben.«

Der Häuptling bohrte seinen Blick förmlich in denjenigen Wohkadehs. Dann fragte er:

»Wo ist Wohkadeh bisher gewesen? Warum ist er nicht zurückgekehrt zur richtigen Zeit, als er ausgesendet wurde, nach den Kriegern der Schoschonen zu spähen?«

»Weil er gefangen wurde von den Hunden der Schoschonen. Diese vier Bleichgesichter aber haben für ihn gekämpft und ihn gerettet. Sie haben ihm einen Weg gezeigt, welcher schnell und leicht nach dem Yellowstone führt, und sind mit ihm gekommen, die Pfeife des Friedens mit dem ›schweren Mokassin‹ zu rauchen.«

Die Lippen des Häuptlings umzuckte ein höhnisches Lächeln.

»Steig vom Pferde und tritt zu deinen weißen Brüdern!« gebot er. »Du bist unser Gefangener, gerade wie sie.«

Der kühne rote Knabe machte ein sehr erstauntes Gesicht. Er antwortete:

»Wohkadeh der Gefangene seines eigenen Stammes? Wer gibt dem ›schweren Mokassin‹ das Recht, einen Krieger seiner Nation gefangen zu nehmen?«

»Er nimmt sich dieses Recht selbst. Er ist der Anführer dieses Kriegszuges und kann thun, was ihm beliebt.«

Da nahm Wohkadeh sein Pferd hoch in die Zügel, gab ihm die Fersen in die Weichen und zwang es, eine volle, schnelle Kreiswendung auf den Hinterbeinen zu machen. Da es dabei mit den Vorderhufen ausschlug, mußten diejenigen Sioux-Ogallala, welche sich zu nahe an ihn herangedrängt hatten, von ihm zurückweichen. Er bekam Platz. Jetzt legte er die Zügel auf den Hals des Pferdes, so daß er auch die linke Hand frei bekam, ergriff seine Büchse, so daß er sie schußfertig in den Händen hielt, und sagte:

»Seit welcher Zeit dürfen die Häuptlinge der Sioux-OgalIala thun, was ihnen beliebt? Wozu sind die Versammlungen der alten Väter da? Wer gibt den Häuptlingen ihre Macht? Wer will einen tapferen Krieger der Ogallala zwingen, einem Häuptling zu gehorchen, welcher die Söhne seines eigenen Stammes wie Nigger behandelt? Wohkadeh ist ein junger Mann. Es gibt tapferere, weisere und berühmtere Krieger in seinem Stamm; aber er hat den weißen Büffel getötet und trägt die Adlerfedern in seinem Schopfe. Er ist kein Sklave. Er läßt sich nicht gefangen nehmen, und wer ihn beleidigt, der wird mit ihm kämpfen müssen!«

Das waren stolze Worte, und sie gingen nicht verloren. Die Häuptlinge der Indianer besitzen keineswegs eine erbliche Macht. Ihnen ist nicht die Gewalt eines europäischen Fürsten gegeben. Sie können keine Gesetze machen und keine Verordnungen erlassen. Sie sind aus der Reihe der Krieger gewählt, weil sie sich entweder durch Tapferkeit oder Klugheit oder irgend eine andere Eigenschaft vor den übrigen ausgezeichnet haben. Niemand ist wirklich gezwungen, ihnen zu gehorchen. Selbst wenn ein Häuptling einen Kriegszug veranstalten will, ist die Heeresfolge eine ganz freiwillige. Jeder, dem es beliebt, kann daheim bleiben, wodurch er freilich das Mißfallen der anderen erregt. Auch während des Kriegszuges kann ein jeder zu jeder Zeit zurücktreten. Der Einfluß und die Macht des Häuptlings beruht nur allein auf dem Eindrucke, welchen seine Persönlichkeit macht. Er kann beliebig abgesetzt werden.

Der »schwere Mokassin«, welcher seinen Namen dem Umstande verdankte, daß er sehr große Füße hatte und also eine große Spur trat, war als ein strenger, eigenwilliger Mann bekannt. Zwar hatte er sich bedeutende Verdienste um den Stamm erworben, aber seine Hartnäckigkeit, sein Stolz hatten demselben auch sehr oft geschadet. Er war hart, grausam und blutdürstig. In Beziehung auf den Anhang, welchen er besaß, zerfiel der Stamm in zwei Abteilungen, in solche, welche seine Anhänger waren, und solche, welche entweder offen oder heimlich gegen ihn agitierten.

Dieser Zwiespalt wurde auch jetzt offenbar, als Wohkadeh gesprochen hatte. Mehrere der Sioux ließen anerkennende, zustimmende Ausrufe hören. Der Häuptling warf ihnen einen grimmigen Blick zu, gab einigen seiner treuen Anhänger ein Zeichen, auf welches sie sofort nach dem Eingang eilten, um denselben zu besetzen, damit Wohkadeh nicht entfliehen könne, und antwortete sodann:

»Jeder Sioux-Ogallala ist ein freier Mann. Er kann thun, was ihm beliebt. Da hat Wohkadeh ganz recht. Aber sobald ein Krieger zum Verräter an seinen Brüdern wird, hat er das Recht verloren, ein freier Mann zu sein.«

»Meinst du, daß ich ein Verräter bin?«

»Ich meine es!«

»Beweise es!«

»Ich werde es beweisen vor der Versammlung dieser Krieger.«

»Und ich werde vor dieselbe treten als freier Mann, mit den Waffen in der Hand, und mich verteidigen. Und wenn ich bewiesen habe, daß der ›schwere Mokassin‹ mich ohne Ursache beleidigt hat, wird er mit mir kämpfen müssen.«

»Ein Verräter tritt nicht vor die Versammlung mit den Waffen in der Hand. Wohkadeh wird die seinigen abgeben. Ist er unschuldig, so erhält er sie wieder.«

»Uff ! Wer will sie mir nehmen?«

Der junge Mann warf einen kühnen, herausfordernden Blick rund umher. Er sah, daß mehrere Gesichter Teilnahme für ihn zeigten. Die meisten aber blieben kalt.

»Niemand wird sie dir nehmen,« antwortete der Häuptling. »Du selbst wirst sie ablegen. Und wenn du das nicht thust, so wirst du eine Kugel erhalten.«

»Ich habe zwei Kugeln in meinem Gewehre.«

Er schlug bei diesen Worten mit der Hand an den Kolben seiner Büchse.

»Wohkadeh hat, als er von uns ging, kein Gewehr besessen. Wo hat er diese Flinte her? Sie wurde ihm von den Bleichgesichtern geschenkt, und diese verschenken nur dann etwas, wenn sie Nutzen davon haben. Wohkadeh hat ihnen also Dienste geleistet und nicht sie ihm. Wohkadeh ist ein Mandane. Es hat ihn keine Squaw der Sioux geboren. Wer unter diesen tapferen Kriegern will für ihn sprechen, bevor er auf meine Anklage geantwortet hat?«

Keiner regte sich. Der »schwere Mokassin« warf dem Jüngling einen triumphierenden Blick zu und gebot ihm:

»Steig also vom Pferde und gib die Waffen ab! Du sollst dich verteidigen und dann werden wir das Urteil fällen. Durch deinen Widerstand beweisest du nur, daß du nicht unschuldig bist.«

Wohkadeh sah recht wohl ein, daß er sich fügen müsse. Er hatte sich bis jetzt geweigert, um Eindruck auf diejenigen zu machen, welche dem Häuptlinge nicht wohlgesinnt waren.

»Wenn du das meinst, so will ich mich fügen,« sagte er. »Meine Sache ist gerecht. Ich kann Eurem Spruch in Ruhe entgegensehen und ergebe mich also bis dahin in Eure Hände.«

Er stieg ab und legte seine Waffen zu den Füßen des Häuptlings nieder. Dieser sagte einigen der ihm Nahestehenden ein leises Wort, und sogleich zogen sie Riemen hervor, um Wohkadeh zu binden.

»Uff!« rief er zornig. »Habe ich gesagt, daß ich Euch die Erlaubnis auch dazu gebe?«

»Diese Erlaubnis nehme ich mir,« antwortete der Häuptling. »Bindet ihn und legt ihn in eine Ecke ganz allein, damit er nicht mit diesen Bleichgesichtern sprechen oder ihnen winken kann!«

Was hätte Widerstand geholfen? Er hätte die Sache nur verschlimmert; darum ergab sich Wohkadeh in sein Schicksal. Er wurde an Händen und Füßen gefesselt, so daß er sich nicht bewegen konnte, und in eine Ecke niedergelegt. Damit ihm ja nicht etwa der Gedanke an Flucht beikomme, mußten zwei Sioux sich bei ihm niedersetzen.

Ein alter Krieger trat zu dem Häuptling und sagte zu ihm:

»Es gingen der Winter viel mehr über mein Haupt als über das deinige; darum darfst du mir nicht zürnen, wenn ich dich frage, ob du wirklich Gründe hast, Wohkadeh für einen Verräter zu halten.«

»Ich will dir antworten, weil du der älteste der Krieger bist, die bei mir sind. Ich habe keinen eigentlichen Grund als nur den einen, daß eines dieser gefangenen Bleichgesichter, nämlich das jüngste, dem Bärentöter, welcher da hinten bei den Pferden liegt, sehr ähnlich sieht.«

»Kann das ein Grund sein?«

»Ja. Ich werde es dir beweisen.«

Er trat zu den Gefangenen, welche, ohne ihm helfen zu können, gesehen und gehört hatten, was Wohkadeh so nutzlos für sie wagte. Leider verstand weder Jemmy noch Davy die Sprache der Sioux in der Weise, daß sie alles, was Wohkadeh vorgebracht hatte, wußten.

Der schlaue Häuptling nahm eine weniger harte Miene an und sagte:

»Wohkadeh hat, bevor er von uns ging, eine That begangen, über welche wir beraten müssen. Daher ist er einstweilen gefangen genommen worden. Zeigt es sich, daß die Bleichgesichter ihn damals noch nicht gekannt haben, so werden sie ihre Freiheit wieder erhalten. Welche Namen tragen die weißen Männer?«

»Wollen wir sie ihm sagen?« fragte Davy seinen dicken Freund.

»Ja,« antwortete Jemmy. »Vielleicht bekommen sie da ein wenig Respekt vor uns.«

Und sich an den Häuptling wendend, fuhr er fort:

»Ich heiße Jemmy-petahtscheh, und dieser lange Krieger ist Davy-honskeh. Du wirst diese Namen bereits gehört haben.«

»Uff!« erklang es im Kreise der dabeistehenden Sioux.

Der Häuptling warf ihnen einen strafenden Blick zu. Auch er war überrascht, diese so viel genannten Jäger in seiner Gewalt zu haben, ließ sich aber nicht das Geringste davon merken.

»Der ›schwere Mokassin‹ kennt eure Namen nicht,« antwortete er. »Und wer sind diese beiden Männer?«

Er hatte sich mit seiner Frage, welche Frank und Martin betraf, wieder an Jemmy gewendet. Davy flüsterte diesem zu:

»Um Gottes willen, nenne die Namen nicht!«

»Was hat das Bleichgesicht dem anderen zu sagen?« fragte der Häuptling in strengem Tone. »Es mag derjenige antworten, den ich gefragt habe!«

Jemmy mußte sich zu einer Unwahrheit entschließen. Er nannte den ersten besten Namen, der ihm einfiel und gab Frank und Martin für Vater und Sohn aus.

Der Blick des Häuptlings glitt forschend von dem einen der Genannten zu dem anderen, und ein höhnisches Lächeln ging über sein Gesicht. Doch sagte er in ziemlich freundlichem Tone:

»Die Bleichgesichter mögen mir folgen.«

Er schritt nach dem hinteren Teile des Hofes zu.

Das scheinbare Haus war jedenfalls früher ein ungeheueres Felsenstück gewesen, aus Feldspat bestehend und von weicheren Teilen durchsetzt. Diese letzteren waren vom Regen ausgewaschen worden, und während der Spat diesem und dem Wetter widerstanden hatte, war ein Gebilde entstanden, welches einem langen, von hohen Mauern umschlossenen Hofe glich, der durch Querwände in mehrere Abteilungen zerlegt wurde.

Die hinterste derselben war die größte. Sie bot so viel Raum, daß sämtliche Pferde der Ogallala darin Platz gefunden hatten. In einem Winkel lagen sechs Weiße, auch an Händen und Füßen gebunden. Sie befanden sich in einem höchst bedauerlichen Zustande. Die Kleider hingen ihnen in Fetzen von dem Leibe. Die Handgelenke waren von den Fesseln wund gescheuert. Die Gesichter starrten von Schmutz, und Haar und Bart hing in einem ganz unbeschreiblichen Zustande um den Kopf. Die Wangen waren eingefallen, und die Augen lagen tief in den Höhlen, eine Folge von Hunger und Durst und von erlittenen anderen Qualen.

Dorthin brachte der Häuptling die neuen Gefangenen. Während sie herbeigeschritten waren, hatte Martin zu Jemmy leise gesagt:

»Wohin wird er uns führen? Vielleicht zu meinem Vater?«

»Möglich. Aber um Gottes willen nicht merken lassen, daß Ihr ihn kennt, sonst ist alles verloren.«

»Hier liegen gefangene Bleichgesichter,« sagte der Häuptling. »Der ›schwere Moccassin‹ kennt ihre Sprache nicht genau. Er weiß also nicht, wer sie sind. Die weißen Männer mögen zu ihnen treten, um sie zu fragen, und es mir sodann sagen.«

Er führte die Vier nach dem Winkel. Jemmy, welcher wußte, daß Baumann ein geborner Deutscher war und daß der Sioux unmöglich ein Wort dieser Sprache verstehen konnte, trat rasch vor und sagte:

»Hoffentlich finden wir hier den Bärentöter Baumann. Lassen Sie sich um Gottes willen nicht merken, daß Sie Ihren Sohn kennen. Hier hinter mir steht er. Wir kamen zu Ihrer Rettung, gerieten aber selbst in die Hände der Roten, doch haben wir die Gewißheit, daß wir samt Ihnen bald wieder frei sein werden. Haben Sie den roten Schuften Ihren Namen genannt?«

Baumann antwortete nicht. Der Anblick seines Sohnes raubte ihm die Sprache. Erst nach einer Weile stieß er mühsam hervor:

»O mein Gott! Welche Wonne, und zugleich auch welches Herzeleid! Die Sioux kennen mich und auch die Namen meiner Gefährten.«

»Schön! Hoffentlich werden wir hier bei Ihnen interniert. Da werden Sie alles Weitere erfahren.«

Obgleich der Häuptling keine Silbe verstand, war er doch ganz Ohr. Er schien aus dem Tonfall den Inhalt der Worte erraten zu wollen. Mit scharfem Auge blickte er zwischen Baumann und dessen Sohne hin und her. Seine Beobachtung blieb erfolglos. Martin hatte sich so in der Gewalt, daß er ein ganz gleichgültiges Gesicht zeigte, obgleich der Jammer, weichen er beim Anblicke seines Vaters empfand, ihm die Thränen in die Augen treiben wollte.

Der Hobble-Frank hätte fast eine Unvorsichtigkeit begangen. Es war ihm, als ob das Herz ihm brechen müsse. Er machte eine Bewegung, als ob er sich auf Baumann werfen wolle; doch der lange Davy ergriff ihn am Arme, hielt ihn zurück und warf ihm einen zornigen Blick zu.

Leider hatte der Häuptling das bemerkt. Er fragte Jemmy:

»Nun, haben sie dir ihre Namen genannt?«

»Ja. Aber du weißt sie ja auch bereits.«

»Ich dachte, sie hätten mich belogen. Du wirst mit deinen Gefährten auch hier bleiben.«

Die bis jetzt von ihm gezeigte halbe Freundlichkeit wich aus seinem Gesichte. Er winkte die Ogallala herbei, welche mitgekommen waren. Diese leerten die Taschen der Gefangenen und legten ihnen sodann Fesseln an.

»Prächtig!« brummte Jemmy, indem er den letzten Inhalt seiner Taschen verschwinden sah. »Es ist nur zu verwundern, daß sie uns nicht auch die Kleider abnehmen. Das ist doch sonst so Rothautart.«

Die neuen Gefangenen wurden zu den alten auf die Erde gelegt. Der Häuptling entfernte sich und ließ einige Wächter zurück.

Die Beklagenswerten getrauten es sich nicht, laut zu sprechen. Sie flüsterten sich, was sie sich zu sagen hatten, einander zu. Baumann, der Sohn, war gerade neben seinem Vater zu liegen gekommen, ein Umstand, welcher von beiden natürlich zum Austausche aller hier möglichen Zärtlichkeiten ausgenutzt wurde.

Nach einiger Zeit trat ein Sioux herbei, entfernte einem der früheren Gefangenen die Fesseln von den Beinen und gebot ihm, ihm zu folgen. Der Mann konnte nicht gehen. Er wankte mühsam neben dem Roten her.

»Was wird man mit ihm wollen?« fragte Baumann, so daß Jemmy es hörte.

»Den Verräter wird er machen sollen,« antwortete dieser. »Ein wahres Glück, daß ich und auch meine Gefährten noch nichts von der Hilfe, die wir erwarten, gesagt haben.«

»Erwähnt haben Sie es aber doch.«

»Das ist nicht gefährlich. Hüten wir uns, dem Manne, sofern er zurückkehrt, irgend eine wichtige Mitteilung zu machen. Wir müssen uns erst überzeugen, daß wir ihm trauen können.«

Jemmy hatte ganz richtig vermutet. Der Mann war zu dem Häuptlinge geführt worden, der ihn mit finsterem Blicke empfing. Der Ärmste konnte sich nicht auf den Füßen erhalten. Er mußte sich auf die Erde setzen.

»Weißt du, welches Schicksal dich erwartet?« wurde er von dem Häuptlinge gefragt.

»Ja,« antwortete der Gefragte mit matter Stimme. »Ihr habt es uns doch oft genug gesagt.«

»Nun, sage es auch mir!«

»Wir sollen getötet werden.«

»Ja, der Tod ist euch sicher, der qualvollste Tod. Ihr sollt Martern ausstehen, wie noch niemals ein Bleichgesicht ausgestanden hat, dem Grabe zu Ehren, auf welchem ihr sterben werdet. Was würdest du geben, wenn diese Qualen dir erspart blieben?«

Der Weiße antwortete nicht.

»Wenn du dein Leben retten könntest?«

»Ist es denn zu retten?« fragte der Mann hastig.

»Ja.« »Was muß ich da thun? Was verlangst du von mir?«

Der Gedanke, sich retten zu können, brachte seine geschwächten Lebensgeister in Aufregung. Seine Augen bekamen Glanz, und seine matt zusammengesunkene Gestalt richtete sich auf.

»Es ist ganz wenig, was ich von dir verlange,« antwortete der Häuptling. »Du sollst mir einige Fragen beantworten.«

»Gern, gern!« stieß der Mann freudig hervor.

»Aber du mußt die Wahrheit sagen, sonst wirst du unter verzehnfachten Qualen sterben müssen. Hast du die Hütte des Bärentöters gekannt, welche er bewohnte?«

»Ja.« »Bist du drin gewesen?«

»Ja. Wir alle fünf waren mehrere Tage bei ihm, bevor wir den Ritt in die Berge unternahmen.«

»So weißt du auch, wer bei ihm wohnte?« »Natürlich.« »So sage es.« »Er hatte seinen Sohn und – –«

Der Mann stockte. Es kam ihm doch der Gedanke, daß die Auskunft, welche man von ihm forderte, vielleicht von größter Wichtigkeit für die Betreffenden sei.

»Warum sprichst du nicht weiter?« fragte der »schwere Moccassin« in strengem Tone.

»Warum fragst du mich?«

»Hund!« fuhr der Häuptling auf. »Weißt du, was du bist? Der Wurm, den ich zertrete! Sprich noch eine einzige so freche Frage aus, so gebe ich dich meinen Kriegern als Zielscheibe ihrer Messer! Ich will das, wonach ich frage, wissen. Sagst du es mir nicht, so erfahre ich es von einem anderen!«

Der Weiße war bei diesen zornigen Worten zusammengezuckt wie ein Hund, welchem sein Herr die Peitsche zeigt. Körperlich halb tot und geistig gefoltert, hatte er nicht mehr die Kraft des Widerstandes. Er wagte nur noch die Frage:

»Und du wirst mir das Leben und die Freiheit schenken, wenn ich dir alles sage?«

»Ja. Ich habe es gesagt, und ich halte mein Wort. Also, bist du bereit, mir die volle Wahrheit einzugestehen?«

»Ja,« erklärte der beklagenswerte, von dem Versprechen verblendete Mann.

»So antworte! Hat der Bärentöter einen Sohn?«

»Ja. Er heißt Martin.«

»Ist es das junge Bleichgesicht, welches jetzt mit bei euch liegt?«

»Ja, er ist es.«

»Uff! Die Augen des ›schweren Moccassin‹ sind scharf. Kennst du auch die anderen weißen Männer?«

»Nur den einen, welcher hinkt. Er wohnte mit bei dem Bärentöter und heißt Hobble-Frank.«

Der Häuptling sah eine Weile sinnend vor sich hin. Dann fragte er:

»Was du sagst, ist die Wahrheit?«

»Ja; ich kann es beschwören.«

»So ist es gut. Wir sind fertig.«

Der Ogallala, welcher den Weißen herbeigeholt hatte, erhielt einen Wink. Er ergriff ihn beim Arme, um ihn empor zu ziehen und fort zu führen. Da aber fragte der Weiße:

»Du hast mir das Leben und die Freiheit versprochen. Wann erhalte ich die letztere?«

Da grinste ihm das Gesicht des Häuptlings mit grimmigem Lachen entgegen.

»Du bist ein weißer Hund, dem man nicht Wort zu halten braucht,« antwortete er. »Du wirst ebenso sterben wie die anderen, denn du bist – –«

Er hielt inne. Es schien ihm plötzlich ein Gedanke gekommen zu sein, denn sein Gesicht nahm einen ganz anderen, viel freundlicheren Ausdruck an, und nun fuhr er fort:

»Du hast mir zu wenig gesagt.«

»Ich weiß nicht mehr.«

»Das ist eine Lüge!«

»Ich kann nicht mehr sagen, als ich weiß.«

»Haben die Bleichgesichter, welche vorhin gebracht wurden, mit dem Bärentöter gesprochen?«

»Ja.«

»Was?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wenn du weißt, daß sie gesprochen haben, mußt du auch wissen, was geredet worden ist.«

»Nein, denn sie redeten in einer Sprache, welche ich nicht verstehe, und sprachen überhaupt sehr leise.«

»Weißt du nicht, wie sie mit Wohkadeh zusammengetroffen sind?«

»Ich weiß gar nicht, wer Wohkadeh ist.«

»Und weißt du, ob sie sich allein in dieser Gegend befinden, oder ob noch andere Bleichgesichter vorhanden sind?«

»Auch davon weiß ich nichts.«

»Nun, das ist es, was ich wissen will und was du erfahren sollst. Frage sie aus. Wenn du es erfahren kannst, so will ich dich frei geben. Du sollst uns auf dem Rückwege begleiten, und wenn wir in Gegenden kommen, wo sich Bleichgesichter befinden, werden wir dich zu ihnen bringen. Jetzt kannst du gehen; heute abend, wenn wir den Lagerplatz erreicht haben und die Bleichgesichter alle schlafen, sollst du mir erzählen, was du erfahren hast.«

Der Mann wurde wieder zu seinen Mitgefangenen gebracht, an seinen Platz gelegt und an den Füßen gefesselt.

Die anderen schwiegen, und auch er verhielt sich still. Es war ihm gar nicht wohl zu Mute. Er war ein ganz braver Kerl. Wenn er über das Verhalten des Häuptlings nachdachte, erschien es ihm als gar nicht sehr wahrscheinlich, daß derselbe sein Wort halten werde. Er begann einzusehen, daß er sich hatte überlisten lassen. Er hätte gar nichts sagen sollen. je länger er nachdachte, desto mehr sah er ein, daß er dem »schweren Moccassin« nicht trauen dürfe, und daß es seine Pflicht sei, Baumann zu sagen, was er mit dem Häuptling gesprochen habe.

Der Bärentöter kam ihm zuvor. Als eine lange Weile vergangen war, fragte er:

»Nun, Master, Ihr verhaltet Euch so schweigsam! Es versteht sich ganz von selbst, daß wir gespannt sind, zu erfahren, was man von Euch gewollt hat; bei wem waret Ihr?«

»Beim Häuptling.«

»Konnte es mir denken. Was wünschte er denn von Euch?«

»Ich will es Euch aufrichtig sagen. Er wollte wissen, wer Martin und Frank seien, und ich sagte es ihm, weil er mir die Freiheit versprach.«

»O weht Das war eine Dummheit, wie Ihr sie größer gar nicht machen konntet. Also Ihr habt es ihm gesagt. Wie steht es aber nun mit der Freiheit?«

»Die soll ich erst erhalten, wenn ich noch erfahren habe, wie die anderen Masters mit einem gewissen Wohkadeh zusammengetroffen sind, und ob sich noch mehrere Weiße hier in der Gegend befinden.«

»So! Und Ihr glaubt, daß der Kerl sein Versprechen halten wird?«

»Nein. Nachdem ich über die Sache nachgedacht habe, bin ich der Überzeugung, daß er mich betrügen will.«

»Daran thut Ihr klug. Und weil Ihr so aufrichtig seid, wollen wir Euch die Dummheit verzeihen. Übrigens dürft Ihr nicht meinen, daß Ihr uns hättet aushorchen können. Wir ahnten, was Ihr bei dem Häuptlinge solltet und hätten uns gegen Euch gewiß sehr schweigsam verhalten.«

»Was aber soll ich antworten, wenn er mich wieder fragt?«

»Das will ich Euch sagen,« antwortete Jemmy. »Ihr sagt, daß wir Wohkadeh gerettet haben, als er bei den Schoschonen gefangen war, und mit ihm hierher geritten sind, um ihn sicher zu den Seinigen zu bringen. Andere Weiße als wir sind nicht da. Überhaupt haben wir außer uns selbst weder einen weißen noch einen roten Menschen gesehen. Das ist die ganze Antwort, die Ihr gebt. Und wenn er Euch doch übertölpeln will, so geht nicht auf den Leim. Von uns habt Ihr viel eher Rettung zu erwarten als von ihm.«

»Wie so?«

»Da fragt Ihr mich für jetzt zu viel. Vielleicht gewinne ich so viel Vertrauen zu Euch, daß ich Euch recht bald eine angenehme Mitteilung mache.«

Damit war die Angelegenheit einstweilen zur Ruhe gesprochen.

Die Gefangenen hatten nicht den freien Gebrauch ihrer Glieder. Ihre einzige Bewegung bestand darin, daß sie sich von der einen Seite auf die andere wälzen konnten. Das benutzte Jemmy, um neben Baumann zu liegen zu kommen. Es gelang ihm, und als er nun rechts und Martin links von dem Bärentöter lagen, konnten sie diesem alles erzählen und ihm auch ihre Hoffnung mitteilen, daß die jetzige Gefangenschaft nur eine kurze sein werde.

Indessen hatte der Häuptling die hervorragendsten seiner Krieger zu sich rufen und sodann Wohkadeh holen lassen. Als der letztere in die Hofabteilung trat, in welcher sich die Sioux befanden, saßen sie in einem Halbkreise, dessen Mitte der Häuptling einnahm. Der Gefangene mußte sich ihnen gegenüberstellen. Zu seinen beiden Seiten nahmen zwei Wächter Platz, welche ihre Messer in den Händen hatten.

Dieser letztere Umstand war für Wohkadeh höchst bedenklich. Es war aus demselben zu ersehen, daß sich seine Angelegenheit für ihn verschlimmert habe. Dennoch aber sah er dem Verhöre in aller Ruhe entgegen.

Nachdem die Augen der Anwesenden ihn mit finsteren Blicken eine Weile beobachtet hatten, begann der Häuptling:

»Wohkadeh mag nun erzählen, was er seit dem Augenblicke, an welchem er uns verließ, erlebt hat.«

Wohkadeh folgte der Aufforderung. Er brachte das Märchen vor, daß er von den Schoschonen bemerkt und gefangen genommen worden, von den gefangenen Weißen aber befreit worden sei. Er erzählte das möglichst im Tone der Wahrheit, mußte aber doch bemerken, daß man ihm keinen Glauben schenkte.

Als er geendet hatte, verlor niemand ein Wort darüber, ob man ihm glaube oder nicht. Der Häuptling fragte:

»Und wer sind diese vier Bleichgesichter?«

Wohkadeh nannte zunächst Jemmys und Davys Namen und stellte es als eine Ehre für die Sioux hin, daß so berühmte Jäger zu ihnen gekommen seien.

»Und die beiden anderen?«

Diese Frage brachte Wohkadeh freilich nicht in Verlegenheit. Er hatte sich bereits überlegt, was er sagen solle. Er nannte Franks Namen und gab Martin für den Sohn desselben aus. Der Häuptling zuckte mit keiner Miene, fragte aber:

»Hat Wohkadeh vielleicht erfahren, daß der Bärentöter einen Sohn hat, welcher Martin heißt?«

»Nein.«

»Und daß bei ihm ein Mann wohnt, welcher Hobble-Frank genannt wird?«

»Nein!«

Er behielt seine äußere Ruhe bei, obgleich er jetzt innerlich überzeugt war, daß sein Spiel nun ein verlorenes sei. Jetzt aber donnerte der Häuptling los:

»Wohkadeh ist ein Hund, ein Verräter, ein stinkender Wolf! Warum lügt er noch? Denkt er vielleicht, wir wissen nicht, daß Frank und der Sohn des Bärenjägers sich als Gefangene bei uns befinden? Wohkadeh hat diese beiden und auch die anderen herbeigeholt, um die Gefangenen zu retten. Er soll nun auch ihr Schicksal teilen. Die Versammlung wird heute am Lagerfeuer beraten, welch eines Todes er sterben soll. Jetzt aber mag er so fest gebunden werden, daß die Riemen sein Fleisch durchschneiden!«

Er wurde fortgeführt und wirklich so fest geschnürt, daß er hätte laut aufschreien mögen. Nach kurzer Zeit band man ihn aufs Pferd, denn es sollte aufgebrochen werden.

Dasselbe geschah auch mit den anderen Gefangenen, doch kam er nicht in die Nähe derselben, sondern er wurde fern von ihnen gehalten und bekam zwei Krieger als besondere Bedeckung.

Es war traurig anzusehen, wie armselig und matt Baumann und seine fünf Schicksalsgenossen in ihren Fesseln zu Pferde saßen. Wären sie nicht mit den Füßen angebunden gewesen, so wären sie vor Erschöpfung von den Tieren gestürzt.

Davy flüsterte darüber seinem Jemmy einige mitleidige Worte zu. Der Dicke antwortete:

»Nur kurze Zeit Geduld, Alter! Ich müßte mich sehr irren, wenn Old Shatterhand nicht bereits in unserer Nähe wäre. Was wir erst jetzt eingesehen haben, nämlich daß wir die schrecklichsten Dummköpfe sind, das hat er jedenfalls bereits heute früh gewußt. Jedenfalls kommt er uns mit einer Anzahl Roter nach, und da habe ich denn gesorgt, daß er auf unsere Fährte kommt.«

»Wieso?«

»Schau her! Ich habe mir da einen Fetzen vom Pelz gerissen und mit Hilfe der Zähne in kleine Stückchen zerzaust. Da drin, wo wir gelegen haben, habe ich ein solches Stückchen zurückgelassen, und während des Rittes werde ich von Zeit zu Zeit eins fallen lassen. Sie bleiben liegen, denn es geht kein Wind. Kommt Old Shatterhand nach diesem verteufelten Gebäude, so findet er ganz gewiß das Pelzstückchen, und wie ich ihn kenne, wird er sofort wissen, daß in dieser Sommerhitze nur der dicke Jemmy mit einem Pelze dort gewesen sein kann. Er wird weiter suchen, die anderen Stücke finden und also erfahren, welche Richtung wir eingeschlagen haben. Das ist für ihn mehr als genug.«

Der Zug der Sioux folgte nicht der Richtung des Flusses. Für sie wäre das ein Umweg gewesen. Sie ritten nach den Höhen zu, welche den Namen »Elefantenrücken« tragen, und wendeten sich dann in gerader Richtung nach der langgezogenen Höhenfolge, welche die Wasserscheide zwischen dem Atlantischen Oceane und dem Stillen Meere bildet.

Der dicke Jemmy hatte nicht ganz unrecht vermutet, als er meinte, daß Old Shatterhand sich vielleicht bereits in der Nähe befinde. Die Sioux waren kaum drei Viertelstunden hinter den Höhen verschwunden, so kam er mit seinen Schoschonen und Upsarocas von Norden her geritten, ganz genau auf der Linie, welche die Pferde der fünf Deserteure gegangen waren.

Er ritt mit dem Häuptlingssohne der Schoschonen und dem Medizinmanne der Upsarocas voran. Sein Auge hing fest an der Erde. Ihm entging nicht das Mindeste, was darauf deuten konnte, daß hier Menschen geritten seien. Und in Wahrheit hatte er sich seit heute früh nicht für einen einzigen kurzen Augenblick über die Spur der Fünf in Zweifel befunden.

Beim Anblicke des scheinbaren Bauwerkes stutzte er zunächst, doch antwortete er auf eine Frage des Medizinmannes sogleich:

»Ich besinne mich. Das ist kein Haus, sondern ein Felsen. Ich bin bereits drin gewesen, und es sollte mich wundem, wenn diejenigen, welche wir suchen, nicht auch hineingegangen wären, um sich den Ort zu betrachten. Es ist –- alle Teufel!«

Er sprang, indem er diesen Ruf ausstieß, vom Pferde und begann, den harten Basaltfelsen zu untersuchen. Es war genau die Stelle, wo seine Richtung auf die Richtung, welche die Sioux eingeschlagen hatten, traf.

»Hier sind viele Leute geritten, und zwar vor kaum einer Stunde,« sagte er. »Ich will nicht befürchten, daß es die Sioux gewesen sind! Und doch, wer soll sonst als sie in solcher Zahl hier gewesen sein! Das Haus kommt mir verdächtig vor. Teilen wir uns, um es zu umringen.«

Er voran, jagten sie im Galopp vorwärts. Das Felsengebäude wurde eingeschlossen, und Old Shatterhand begab sich zunächst ganz allein hinein. Er hinterließ, nur wenn er einen Schuß abgäbe, sollten die anderen nachkommen.

Es dauerte eine ziemlich lange Zeit, bevor er herauskam. Seine Miene war sehr ernst und bedenklich. Er sagte:

»Ich würde meinen roten Brüdern gerne gestatten, sich diese interessante Felsenbildung anzuschauen, welche das Aussehen hat, als ob sie von Menschenhänden errichtet worden sei; aber wir haben keine Zeit zu verlieren, denn die weißen Männer sind mit Wohkadeh von den Sioux gefangen genommen und vor einer Stunde fortgeführt worden.«

»Weiß das mein weißer Bruder genau?« fragte Feuerherz, der Medizinmann der Upsarocas.

»Ja. Ich habe alle ihre Spuren gesehen und sehr genau gelesen. Der dicke Jemmy hat mir ein Zeichen zurückgelassen, und ich hoffe, wir werden deren noch mehrere finden. Er wird uns auf die Richtung aufmerksam machen wollen, welche die Sioux eingeschlagen haben.«

Er zeigte den kleinen Pelzfetzen hin, den er gefunden hatte. Es waren nur fünf oder sechs Haare daran, ein fast sicheres Zeichen, daß das Stückchen von dem kahlen Pelze des Dicken stamme.

»Was gedenkt Shatterhand zu thun?« fragte der Rote. »Will er den Ogallala auf dem Fuße folgen?«

»Ja, und zwar sofort.«

»Werden wir, wenn wir zu Winnetou zurückkehren, sie nicht ebenso sicher am Flusse des Feuerloches treffen?«

»Ja, wir würden sie treffen; aber es steht zu befürchten, daß sie bis dahin die Gefangenen getötet haben.«

»Sie werden dieselben aufheben bis zum Tage des Vollmondes.«

»Den Bärentöter und seine fünf Gefährten, ja; aber unsere Freunde sind ihres Lebens nicht so lange sicher. Ganz besonders der brave Wohkadeh schwebt in großer Lebensgefahr. Sie werden ihn als Verräter behandeln. Ich ahne, daß sie sehr Schlimmes mit ihm vorhaben. Wir müssen ihnen also auf dem Fuße nach. Oder denken meine roten Brüder anders?«

»Nein,« antwortete der Riese. »Wir freuen uns, auf die Fährte der Ogallala so bald gestoßen zu sein. Der ›schwere Moccassin‹ ist ihr Anführer, und es gelüstet mich, ihn in meine Hand zu bekommen. Reiten wir!«

Sein Gesicht hatte einen Ausdruck, an welchem man deutlich merkte, daß der Anführer der Sioux-Ogallala eines sehr schlimmen Todes sterben werde, falls er in seine Hände geraten sollte.

Old Shatterhand setzte sich wieder an die Spitze des Zuges, und der Ritt wurde fortgesetzt, aber nun in westlicher anstatt in östlicher Richtung.

Da es schwer gewesen war, der Fährte der fünf Deserteure zu folgen, hatte Old Shatterhand mit seinen Begleitern bereits seit früh sehr langsam reiten müssen. Dasselbe war auch jetzt der Fall. Der Boden bestand ganz aus vulkanischem Gestein. Von einer wirklichen Hufspur war keine Rede. Kleine Steinchen, welche unter den Tritten der Pferde zermalmt worden waren, bildeten die einzigen und dazu sehr unsicheren Anhaltspunkte für den Scharfsinn Old Shatterhands. Da galt es, höchst genau aufzupassen, und so war er gezwungen, sehr langsam zu reiten.

Daß er trotz aller Schwierigkeit genau auf der Fährte der Ogallala blieb, wurde durch mehrere Pelzstückchen bewiesen, welche man fand. Selbst die Upsarocas und die Schoschonen, im Verfolgen einer Fährte außerordentlich geübt, warfen sich Blicke zu, in welchen die deutlichste Bewunderung des berühmten Jägers lag.

Nach einiger Zeit lenkte die Richtung mehr rechts, also südwestlich ab. Man erreichte den Fuß der Höhen, welche die Wasserscheide bilden. Wer da oben hält, der kann rechts unten die Rinnen sehen, welche ihre Wasser durch den Yellowstone und Missouri dem Mississippi, also dem mexikanischen Golf zuführen, während links im Thale die Wasser in den Snakefluß gehen, um das Stille Weltmeer aufzusuchen.

Hier war die Gegend nicht mehr kahl wie bisher. Es gab Humusboden, und die einzelnen Bäche, welche da flossen, waren nicht mit Schwefel geschwängert; sie hatten ein frisches, gesundes Wasser, welches der Vegetation Nahrung bot. Darum gab es hier Gras, Büsche und Bäume, und nun wurde auch die Fährte deutlicher, als sie bisher gewesen war.

Leider aber konnte man ihr nicht lange mehr folgen, denn der Nachmittag neigte sich seinem Ende entgegen. Darum mußten die Pferde möglichst ausgreifen, um den Umstand, daß die Spur hier gut zu lesen war, vor Einbruch der Dunkelheit noch möglichst ausnutzen zu können.

Die Höhe der Wasserscheide wurde erreicht. Dann ging es drüben wieder hinab, zwischen Felsenbrocken und Sträuchern hindurch, ein ziemlich beschwerlicher, stellenweise sogar gefährlicher Ritt, woraus sich aber die Indianer gar nichts machten.

Dann brach der Abend herein. Man mußte auf der Fährte bleiben, und da diese jetzt nicht mehr zu erkennen war, so wurde gehalten.

Waren die Männer bisher schweigsam gewesen, so wurden sie am Lagerplatze nicht beredter. Sie hatten das Gefühl, vor entscheidenden Ereignissen zu stehen. In einer solchen Lage wird der Mensch schweigsam.

Ein Feuer wurde nicht angebrannt. Old Shatterhand hatte aus der Frischheit der Fährte ersehen, daß die Ogallala kaum zwei englische Meilen vor ihnen waren. Hatten sie sich gelagert, so konnte man ihnen, ohne es zu wissen, so nahe gekommen sein, daß sie das Feuer bemerken und also erfahren mußten, daß sie verfolgt wurden.

jeder wickelte sich schweigend in seine Decke und legte sich zur Ruhe, nachdem die Wachen ausgestellt waren. Aber kaum graute der Morgen, kaum waren die einzelnen Gegenstände voneinander zu unterscheiden, so wurde aufgebrochen.

Die Spuren der Ogallala waren heute noch zu lesen. Nach vielleicht einer Stunde erklärte Old Shatterhand, daß die Sioux gestern gar nicht gelagert hätten. Sie hatten jedenfalls nicht ruhen wollen, als sie den Feuerlochfluß erreicht hatten.

Das war kein gutes Zeichen, denn es bewies, daß sie dort etwas vorhatten, was schnell geschehen sollte. Leider aber konnten die Verfolger die Schnelligkeit ihrer Pferde nicht ausnutzen, denn der Pflanzenwuchs hörte bald wieder auf, und an Stelle des weichen Bodens trat der harte, vulkanische Fels zu Tage.

Da war es nun ganz unmöglich, eine Spur zu entdecken. Old Shatterhand meinte ganz richtigerweise, daß die Sioux-Ogallala bis hierher wohl dieselbe Richtung eingehalten hatten, der sie dann später gefolgt sein würden, und so hielt er sich immer in gerader Linie.

Er erkannte bald, daß er sich in dieser Vermutung nicht geirrt habe. Es stiegen vor ihm die Feuerlochberge empor, hinter denen sich die berühmten Geiserbassins in immerwährender, grandioser Thätigkeit befinden. Da gab es wieder Pflanzenwuchs, sogar Wald, welcher an dieser Stelle meist aus dunklen Fichten bestand.

Sie erreichten einen schmalen Wasserlauf, welcher sich durch weichen Grasboden schlängelte, und gerade da, wo sie auf denselben traten, war der Boden von vielen Pferdehufen zerstampft. Die Hufeindrücke zogen sich längs des Wassers hin, und es war deutlich zu erkennen, daß die Sioux da ihre Pferde getränkt hatten. Also war die Fährte glücklich wieder gefunden, und von jetzt an bis hinauf zur Höhe behielt sie eine solche Deutlichkeit, daß ein Irrtum gar nicht möglich war.

Ein offener Weg führte nicht hinauf. Man mußte unter Bäumen reiten. Diese standen so weit auseinander, daß sie keine Hindernisse boten. Aber gerade der Ritt im Walde ist für den Westmann am gefährlichsten. Es kann hinter dem nächsten Baum ein Feind verborgen sein, von dessen Gegenwart er keine Ahnung hat.

Wie leicht war es möglich, daß die Ogallala auf den Gedanken gekommen waren, daß sie verfolgt würden. Man konnte doch nicht wissen, welch ein Geständnis sie den Gefangenen durch Gewalt oder List abgelockt hatten. Hatten sie die Ahnung, verfolgt zu sein, so waren sie jedenfalls so klug gewesen, die geeigneten Maßregeln zu treffen, und die allerbeste derselben bestand im Legen eines Hinterhaltes.

Darum schickte Old Shatterhand einige Schoschonen voran, welche das Terrain abzusuchen hatten und sich, sobald sie etwas Verdächtiges bemerken würden, auf den Haupttrupp zurückziehen sollten.

Glücklicherweise erwies diese Vorsicht sich als unnötig. Daran war das Abkommen schuld, welches der dicke Jemmy mit dem Gefangenen, welcher von dem Häuptlinge der Ogallala den Auftrag erhalten hatte, seine Mitgefangenen zu verraten, getroffen hatte.

Da die Gefangenen, abgesehen von Wohkadeh, auch während des Rittes in schlauer Absicht nicht voneinander getrennt worden waren, so hatten sie miteinander sprechen können. Die stillschweigende Erlaubnis dazu hatte der Häuptling erteilt, damit sein vermeintlicher Verbündeter Gelegenheit erhalten könnte, alles, was er ihm berichten sollte, von ihnen zu erfahren.

Dann am Abende hatte der »schwere Moccassin« ihn so unauffällig wie möglich von den anderen trennen lassen und sich zu ihm gesellt, um ihn auszufragen. Der Mann hatte die Antworten gegeben, welche ihm von Jemmy anbefohlen worden waren, und dabei auch die Versicherung gegeben, daß außer Wohkadeh und den vier Weißen kein einziger Mensch nach dem Yellowstone gekommen sei.

Das hatte der Häuptling geglaubt und infolgedessen alle Vorsichtsmaßregeln für überflüssig gehalten.

So kam es, daß Old Shatterhand mit seinen Indianern die Höhe erreichte, ohne auf irgend ein Hindernis zu treffen.

Auch diese Höhe trug dichten, hochstämmigen Wald; darum konnte man nicht in das jenseitige Thal hinabblicken, obgleich die diesseitige Wand desselben ziemlich steil abzufallen schien.

Unter den Bäumen hinreitend, hörten sie ein ganz eigentümliches, dumpf brausendes Geräusch, welches bald von einem schrillen Pfeifen unterbrochen wurde, und darauf ertönte ein Zischen, gerade so, wie wenn bei einer Lokomotive die überflüssigen Dämpfe abgelassen werden.

»Was ist das?« fragte Moh-aw, der Sohn des Schoschonenhäuptlings, erstaunt.

»Jedenfalls ein Geiser,« antwortete Old Shatterhand.

Da den Indianern das Wort Geiser ein vollständig unbekanntes ist, so bediente er sich des Ausdruckes ›War-p' eh-pejah, Warmwasserberg‹, und der junge Schoschone verstand ihn sofort.

jetzt senkte sich das Terrain abwärts, erst langsam, dann aber schnell, so daß es nicht leicht war, sich auf den Pferden zu erhalten.

Darum stiegen die Reiter ab und gingen zu Fuß, die Tiere hinter sich her führend.

Die Spuren der Ogallala waren auch jetzt noch zu erkennen, doch sah Old Shatterhand es ihnen an, daß sie bereits von gestern stammten.

Bereits einige hundert Fuß tief war man gekommen; da hatte der Wald so plötzlich ein Ende, daß sein Rand eine scharfe Linie bildete. Doch ein Stück weiter abwärts reichte er bis ganz hinab auf die Sohle des Thales.

jetzt war der Blick über das letztere frei, und was das Auge hier sah, das war allerdings erstaunlich, in Beziehung sowohl auf die Naturscene als auch auf die lebendige Staffage derselben.

Das obere Thal des Madison, welcher hier den sehr bezeichnenden Namen Feuerlochfluß führt, ist wohl die bewunderungswerteste Region des Nationalparkes. Viele Meilen lang und stellenweise zwei und sogar drei Meilen breit, enthält es Hunderte von Geisern und heiße Quellen. Es gibt da Fontänen, welche ihre Strahlen mehrere hundert Fuß emporschleudern. Schwefelige Gerüche entströmen den zahlreichen Spalten des Erdbodens, und die Luft ist stets mit heißem Wasserdampfe geschwängert.

Schneeweißer Sinter, welcher den Überzug oder vielmehr die Stürze, den Deckel unterirdischer Kochtöpfe bildet, glänzt grell im Sonnenscheine. An anderen Stellen wieder besteht die Erdoberfläche nicht aus einem festen Boden, sondern aus dickflüssigem, übelriechendem Schlamm, dessen Temperatur eine sehr verschiedene ist. Hie und da erhebt sich der Erdboden plötzlich in Haubenform, steigt langsam, blasenartig empor und zerplatzt sodann, ein weites, unergründlich tiefes Loch zurücklassend, aus welchem die Strahlen des Dampfes so hoch emporschießen, daß es dem Auge schwindelt, welches ihnen in diese Höhe folgt. Diese Blasen und Löcher entstehen und vergehen, bald hier, bald dort. Sie sind also wandernd. Wehe dem, der auf eine solche Stelle gerät!

Soeben hatte er noch festen Boden unter sich; da beginnt dieser plötzlich heiß zu werden und sich zu erheben. Nur ein todesmutiger Sprung, die schleunigste, augenblicklichste Flucht vermag Rettung zu bringen.

Aber während man der einen Blase entflieht, steigt sofort eine zweite, dritte, vor und neben einem auf. Man steht eben auf einer ganz dünnen Kruste, welche die fürchterlichen Tiefen des Erdinnern wie die leicht zerreißbare, papierartige Masse eines Wespennestes bedeckt.

Und wehe ebenso dem, welcher den erwähnten Schlamm von weitem für eine Masse hält, welche ihn tragen kann! Er sieht zwar aus, wie ein sumpfiger Moorboden, durch welchen man noch zu gehen vermag; aber er ist nur gehalten von vulkanischen Dämpfen, welche ihn tragen, wie beim Fleischkochen der graubraune Schaum von dem Wasser gehalten und bewegt wird.

Überall gibt der Boden unter dem Fuß nach, und die Stapfen füllen sich sofort mit einer dicken, grüngelben, stinkenden, höllischen Flüssigkeit.

Überall rauscht, kocht, brodelt, pfeift, zischt, braust und stöhnt es. Riesige Flocken von Wasser und Schlamm fliegen umher. Wirft man einen schweren Stein in so eine entstehende und wieder vergehende Öffnung, so ist es, als ob die Geister der Unterwelt sich beleidigt fühlten. Die Wasser und der Schlamm kommen in eine furchtbare, wahrhaft diabolische Aufregung; sie steigen empor; sie wallen über, als ob sie den Verbrecher ins grauenhafte Verderben ziehen wollten.

Das Wasser dieser Hexenkessel ist ganz verschieden gefärbt, milchweiß, knallrot, azurblau, schwefelgelb, oft auch hell wie Glas. Obenauf sieht man große weiße, seidenartige Fäden oder einen dicken bleifarbenen Schleim, welcher jeden hineingehaltenen Gegenstand in wenigen Minuten zolldick überzieht, um eine feste, dauernde, fast unzerstörbare Masse zu bilden.

Es kommt vor, daß das Wasser eines solchen Loches im schönsten Grasgrün schimmert. Plötzlich öffnen sich an den Seiten kleine Ventile, und nun schießen aus denselben in allen Nuancen des Regenbogens gefärbte Strahlen durch das grüne Wasser.

Man möchte alle Sekunden ein »Herrlich! Unvergleichlich! Himmlisch!« rufen, wenn das alles nicht gar so angsterregend, so höllisch wäre.

Also an diesem Feuerlochflusse war Old Shatterhand mit seinen Kriegern angekommen. Die Letzteren wollten unter den Bäumen hervortreten; er aber hielt sie durch einen lauten Ausruf zurück. Er deutete nach dem jenseitigen Ufer des Flusses, und da sahen sie allerdings ein, daß es geratener sei, jetzt noch in der Verborgenheit des Waldes zu verweilen.

Das Thal war hier vielleicht nur eine halbe englische Meile breit. Oberhalb der Stelle, an welcher Old Shatterhand hielt, traten die Ufer so eng zusammen, daß der Fluß kaum Raum genug zu haben schien, seine schmutzig gefärbten, heimtückisch glitzernden Wellen hindurchzuzwingen. Unterhalb war ganz dasselbe der Fall. Von der einen Enge bis zu der anderen war die Entfernung nicht größer als kaum eine englische Meile.

Der Fluß, dessen Wasser von den sich in ihn ergießenden heißen Quellen natürlich eine alles tierische Leben tötende Wärme besitzt, rauschte ganz nahe der Thalwand hin, an welcher Old Shatterhand hielt. Diese war, wie bereits erwähnt, mit Wald bedeckt und zwar steil, aber doch gangbar. Die gegenüberliegende Wand aber stieg, wie nach dem Maurerlot emporgetrieben, senkrecht in die Höhe. Sie bestand aus schwarzem, oben türmchenähnlich zerklüftetem Gesteine und bog sich ziemlich weit zurück, so daß sie von der einen Flußenge bis zur anderen die Linie eines Kreisausschnittes bildete. Aber das Thal wurde durch dieses Zurücktreten der Felsenwand keineswegs erweitert, denn an dem dunklen Felsen stieg, gerade Old Shatterhand gegenüber, ein Gebild herab oder auch hinauf, dessen breiter Fuß beinahe bis an das jenseitige Ufer des Flusses reichte.

Dieses Gebild – denn es gibt wohl kaum ein anderes, besseres Wort zur Bezeichnung des Gegenstandes – also dieses Gebild war so wunderbar, auf den ersten Anblick so unbegreiflich, daß man hätte meinen mögen, sich in einer Zauberwelt zu befinden, in welcher Feen und Elfen und andere unirdische Wesen ein geheimnisvolles Dasein leben.

Es war ein. terrassenförmiger Aufbau, so zart gegliedert und phantastisch verziert, als bestehe er aus frischgefallenem Schnee und den feinsten Eiskrystallen.

Die unterste, umfangreichste Terrasse schien aus dem feinsten Elfenbein geschnitten zu sein. Ihr Rand war mit Zieraten bekleidet, welche von weitem wie die Kunstwerke eines phantasiereichen Bildhauers erschienen. Sie bildete ein mit Wasser gefälltes, halbkreisförmiges Bassin, aus welchem die zweite Terrasse aufstieg, glitzernd, wie mit Goldkörnern durchsetzter Alabaster. Diese zweite Terrasse hatte einen geringeren Durchmesser als die erste. Und ebenso trat die dritte hinter der zweiten zurück. Wie aus zart gezupfter, weißer Watte bestehend, hob sie sich schlank und jungfräulich aus der zweiten empor.

Der Stoff, aus welchem sie bestand, war so luftig und duftig, daß man meinen konnte, sie vermöge nicht die mindeste Last zu tragen. Und doch erhoben sich auf und über ihr noch sechs solcher Terrassen, jede aus einem Bassin bestehend, welches sein Wasser aus der nächst höheren empfing, um es der nächst unteren entweder in schlanken, dünnen Strahlen, in einem fein zerteilten Staubregen, in welchem die Sonne ihre Strahlen brach, oder in breiteren Abflüssen, welche ein schleierartiges Gewebe zu bilden schienen, mitzuteilen.

So lehnte dieses Naturwunder sich schlank, strahlend und schneeglänzend an die dunkle Felsenwand, wie das aus Schneeflocken gewobene Kleid eines aus anderen Welten stammenden Wesens. Und doch war dieses Kleid von denselben Händen gefertigt, welche den schwarzen Basalt emporgetürmt und die Schlammvulkane durch die Erdrinde getrieben hatten.

Man brauchte nur empor zur Spitze dieser wunderbaren Pyramide zu blicken, da sah man sofort, wodurch sie gebildet worden war. Dort stieg nämlich gerade jetzt ein hoher Wasserstrahl auf, der sich oben schirmartig ausbreitete und dann als Regen rundum niedersank. Dabei war jenes Brausen zu hören, welches vorhin Moh-aw nicht hatte begreifen können. Diesem Wasserstrahle folgten pfeifende, zischende, stöhnende Dämpfe, und es war als ob die Erde unter der Gewalt dieser Eruption zerbersten werde.

Die Wasser des Geisers hatten sich diese Pyramide gebaut. Die feinen, leichten Bestandteile, welche der Strahl mit nach oben nahm, setzten sich beim Niederfallen fest und arbeiteten auch jetzt noch immerfort an dem wundersamen Gebilde. Das heiße Wasser floß von einer Terrasse auf die andere herab und wurde allmählich abgekühlt, so daß die einzelnen Bassins, von oben herab gerechnet, eine immer niedrigere Temperatur zeigten. Unten endlich überströmte die krystallene Flüssigkeit das niederste Bassin und floß nach kurzem Laufe in den Feuerlochfluß.

Wie ein Teufel neben einem Engel, so lag neben der herrlichen Gestalt dieser Pyramide ein weites, fast kreisrundes, dunkles, wallartiges Gebilde von schmutzigem Aussehen. Dieser Wall bestand aus einer festen Masse, auf welcher sich Reste vulkanischer Gebilde erhoben, welche die verschiedensten Gestalten besaßen. Es war, als habe ein Riesenkind mit Basaltstücken gespielt, dieselben in die abenteuerlichsten Formen gedrückt und gebogen und sie dann auf den runden Wall befestigt.

Dieser letztere hatte einen Durchmesser von vielleicht fünfzig Fuß und bildete die natürliche Ummauerung eines Loches, dessen dunkel gähnender Rachen nichts Gutes verhieß.

Das war die Krateröffnung eines Schlammvulkanes. Sie verengerte sich einwärts, um sich dann wieder zu erweitern. Sie hatte also, wenn man von oben hineinblickte, genau die Gestalt, als wenn man in zwei Trichter blickt, welche mit den dünnen Enden vereinigt werden.

Sobald es in dem herrlichen Feengeiser zu rauschen und zu brausen begann, stieg auch nebenan in dem finsteren Krater der Schlamm empor. Und wenn droben der Strahl des Wassers und des Dampfes sich zerteilt hatte, sank auch die brodelnde Oberfläche des Schlammes in die Tiefe zurück. Es war klar, Geiser und Schlammvulkan standen in innigster Verbindung zu einander. Die Geister der Unterwelt schieden die auszuschleudernden Massen, führten das krystallene Wasser dem Geiser zu und ließen die zurückbleibenden Excremente des Erdinnern in das Schlammloch rinnen.

»Das ist P'a-wakon-tonka (das Teufelswasser),« sagte Old Shatterhand, indem er auf das Schlammloch deutete.

»Kennst du es?« fragte Feuerherz.

»Ja. Ich bin bereits hier gewesen!«

»Und vorhin wußtest du nicht, wohin wir kommen würden?«

»Weil ich den Weg, welchen wir geritten sind, noch nie zurückgelegt habe. Ich bin damals da oben herabgekommen und längs des Flusses abwärts geritten. Da habe ich das Wasser des Teufels kennen gelernt. Jetzt lagern die Sioux-Ogallala dort. Warum reiten sie nicht weiter? Sie wollen doch nach dem Grabe der Häuptlinge, welches weiter oben liegt. Sie müssen irgend eine Absicht haben!«

Nämlich nahe am Rande des Schlammkraters lagen die Ogallala. Man konnte sie ganz deutlich sehen. Sogar die einzelnen Gesichter waren voneinander zu unterscheiden.

Die Pferde liefen oberhalb dieser Stelle herum oder lagen ruhend am Boden. Zu grasen gab es nichts, denn der Boden brachte keinen einzigen Halm hervor.

Ganz in der Nähe lagen mehrere zentner- und noch mehr schwere Steine. Auf diesen saßen die Gefangenen, jeder auf einem derselben. Man hatte ihnen die Hände auf den Rücken gebunden und mit Lassos ihre Füße an die Steine befestigt. So saßen sie bereits seit gestern abend, eine Stellung, welche ihnen außerordentliche Qualen bereiten mußte.

Eben jetzt, als Old Shatterhand seine Aufmerksamkeit auf die Ogallala richtete, kam Bewegung in sie. Sie erhoben sich aus ihrer liegenden Stellung und setzten sich in einen Kreis zusammen, in dessen Mitte der Häuptling Platz nahm.

Der Medizinmann der Upsarocas, welcher neben Old Shatterhand stand, hielt die Hand an die Augen, um besser sehen zu können, hielt den Blick nur kurze Zeit auf die Ogallala gerichtet und sagte dann im Tone des Grimmes:

»Dort sitzt er, inmitten seiner Hunde, der ›schwere Moccassin‹. Er wird eine Beratung mit ihnen halten.«

»Du kennst ihn, deinen Feind, und wirst also wohl genau wissen, ob er es auch wirklich ist,« antwortete Old Shatterhand.

»Wie könnte ich ihn verkennen! Sieh' seine lange, hagere Gestalt und sein Gesicht! Er hat mir das Ohr geraubt, ich werde ihm alle beide nehmen. Sein Tomahawk ist mir in die Schulter gedrungen; mein Messer aber wird ihm in das Herz reichen!«

Natürlich waren auch die Gefangenen deutlich zu erkennen. Old Shatterhand sah Jemmy, Davy, Martin und den Hobble-Frank. Baumann und die anderen kannte er nicht. Wohkadeh war abseits an einen Stein gefesselt und zwar in einer Stellung, als ob ihm alle Glieder verrenkt werden sollten.

Zu ihm trat einer der Sioux, band ihn vom Steine los und führte ihn in den Kreis.

»Sie wollen ihn verhören,« sagte Old Shatterhand. »Vielleicht halten sie Gericht über ihn und haben die Absicht, ihm die Strafe an diesem Orte zu geben. Ah, ich möchte hören, was jetzt gesprochen wird!«

»Warum sollen die Ogallala überhaupt mit ihm sprechen dürfen?« stieß der Medizinmann hervor. »Wir wollen hinab und hinüber. Der Tomahawk soll sie alle fressen!«

»So schnell geht das nicht,« warf Old Shatterhand ein. »Mein roter Bruder mag bedenken, daß wir noch tüchtig zu klettern haben, bevor wir diese Steilung hinab und an den Fluß kommen. Sie sehen uns ja, sobald wir unter den Bäumen hervortreten. Ehe wir den Fluß erreichen und ihn durchschwimmen, haben sie ihre Maßregeln getroffen.«

»Hat mein weißer Bruder einen besseren Plan?«

»Ja! Wir müssen ganz plötzlich über sie kommen, ganz ungeahnt. Denn ich befürchte, daß sie die Gefangenen lieber töten als in unsere Hände kommen lassen werden. Hier hinab können wir nicht; da bemerken sie uns. Dort unten aber tritt der Wald bis an den Fluß. Wir können also unbemerkt bis an das Ufer. Wenn wir vorsichtig sind, werden sie uns gar nicht sehen, denn die Bassinwand des Geisers ist dann zwischen ihnen und uns.«

»Mein Bruder hat recht. So soll es geschehen. Aber ich mache eine Bedingung.«

»Welche?«

»Keiner darf den Häuptling der Ogallala töten. Ich habe eine Rache mit ihm, und er gehört mir!«

Old Shatterhand blickte sinnend vor sich nieder. Dann hob er den Kopf und sagte, indem seine Brauen sich zusammenzogen:

»Dort sind über fünfzig Feinde. Es wird sehr viel Blut fließen, und doch möchte ich das vermeiden. Aber es ist ganz unmöglich, sie in die Hand zu bekommen, ohne mit ihnen zu kämpfen.«

Der Neger Bob, welcher während des Rittes sich immer am Ende des Zuges gehalten hatte, war nach vorn gekommen, um sich die Ogallala anzusehen. Da Old Shatterhand mit dem Indianer in dessen Sprache redete, verstand der Schwarze nicht, was gesagt wurde. Er trat jetzt herbei, deutete hinab und sagte –

»Dort Massa Baumann und auch jung Massa Martin t Will Massa Shatterhand sie frei machen?«

»Ja!«

»Oh, oh! Sehr gut sein das, sehr gut! Neger Bob wird mithelfen frei machen. Neger Bob wird gleich hinunter und über Wasser hinüber. Masser Bob sich nicht fürchten vor Ogallala. Masser Bob sein stark und kühn. Er sie schlagen alle tot!«

Er wollte wirklich fort. Old Shatterhand hielt ihn zurück. Er nahm das Fernrohr aus der Satteltasche und richtete es auf die Sioux. Eben jetzt wurde Martin Baumann losgebunden und auch in den Kreis geführt und neben Wohkadeh gestellt. Old Shatterhand hatte durch das Glas die Gesichter so nahe vor sich, daß er die Lippenbewegungen der Sprecher sah. Es war, als ob die Sioux kaum zwanzig Schritte von ihm entfernt seien.

Der Häuptling sprach zu Martin Baumann, mit der Hand nach dem Schlammkrater deutend. Old Shatterhand sah ganz deutlich, daß Martin totenbleich wurde. Zu gleicher Zeit ertönte ein schriller Schrei, wie ihn die menschliche Kehle nur im Augenblicke des größten Entsetzens ausstoßen kann.

Einer der Gefangenen hatte ihn ausgestoßen, der alte Baumann. Old Shatterhand sah, daß der arme Mann aus allen Kräften an seinen Fesseln zerrte. Das, was der Häuptling gesagt hatte, mußte etwas geradezu Fürchterliches sein.

Und das war es auch, etwas so Teuflisches, daß ein Vater wohl aus Angst um seinen Sohn einen solchen Schrei ausstoßen konnte.

Die Sioux-Ogallala waren gestern erst nach Einbruch des Abends auf der Höhe des Geiserflusses angekommen. Sie hatten erwartet, daß der »schwere Moccassin« da unter den Bäumen des Waldes Lager machen werde, aber sie hatten sich verrechnet. Trotz der Dunkelheit und trotz der Beschwerlichkeit des Abstieges bestimmte er, daß noch über den Fluß gesetzt werden solle.

Er kannte die Gegend; er war bereits mehreremal hier gewesen, und in seinem Hirn brütete ein Gedanke, noch finsterer und unheimlicher als der Schlammkrater, welcher da unten im Dunkel der Nacht seine scheußlichen Massen hob und senkte.

Voransteigend und sein Pferd am Zügel führend, zeigte er den Seinen den Weg. Auch die Gefangenen mußten mit hinab, was natürlich außerordentliche Schwierigkeiten bereitete, da sie nicht von den Tieren losgebunden werden durften. Schließlich gelangten doch alle glücklich unten am Ufer an.

An dieser Stelle war das Wasser des Feuerlochflusses nicht heiß, sondern nur warm. Man konnte hindurch, ohne sich Schaden zu thun. je zwei Sioux nahmen das Pferd eines Gefangenen zwischen sich, und dann ging es hinüber. Am Schlammkrater wurde Halt gemacht.

Die Gefangenen wurden an die dort liegenden großen Steine gefesselt und Wächter bei ihnen aufgestellt; dann legten sich die anderen nieder, ohne von dem Häuptlinge Auskunft erhalten zu haben, warum er hier Lager machte, im Gestank des Kraters, und wo es weder Gras noch Wasser für die Pferde gab.

Bei Anbruch des Morgens wurden die letzteren eine Strecke abwärts geführt, wo, wie der Häuptling wußte, eine reine Quelle aus dem Felsen strömte. Nach Rückkehr der Leute, die das besorgten, zog jeder ein Stück getrocknetes Büffelfleisch hervor, um zu frühstücken. Jetzt nun erklärte der »schwere Moccassin« seinen Leuten mit leiser Stimme, was er in Beziehung auf Wohkadeh und den jungen Baumann beschlossen habe.

Alle hielten den ersteren für einen Verräter. Er hatte zwar nichts gestanden, aber in ihren Augen war er überführt. Daß Martin an demselben Schicksale teilnehmen solle, machte ihnen nicht die geringsten Bedenken. Die Gefangenen waren alle dem Tode gewidmet, und je mehr Abwechselung bei ihrer Hinrichtung angebracht wurde, desto interessanter war es ja.

Zunächst galt es, sich an den Qualen, welche die bloße Verkündigung des Urteiles den Gefangenen bereiten mußte, zu weiden. Darum wurde ein Kreis gebildet und zunächst Wohkadeh vorgeführt.

Er wußte natürlich, daß ihm der sichere Tod beschieden war, aber er glaubte keineswegs, daß das Urteil bereits jetzt an ihm vollzogen werden solle. Er war überzeugt, daß Old Shatterhand und Winnetou sehr bald erscheinen würden, und stellte sich getrosten Mutes vor seine Richter hin.

Die Verhandlung wurde mit lauter Stimme geführt, damit auch die anderen Gefangenen, soweit sie die Sprache der Sioux verstanden, alles hören sollten.

»Hat Wohkadeh sich besonnen, ob er weiter leugnen oder den Kriegern der Ogallala alles gestehen will?« fragte der Häuptling.

»Wohkadeh hat nichts Böses gethan und also auch nichts zu gestehen,« antwortete der Gefragte.

»Wohkadeh lügt. Wollte er die Wahrheit erzählen, so würde sein Urteil ein sehr mildes sein!«

»Mein Urteil wird dasselbe sein, gleichviel ob ich schuldig oder unschuldig bin. Ich muß sterben!«

»Wohkadeh ist jung. Die Jugend hat einen kurzen Gedanken. Sie weiß oft nicht genau, was das, was sie thut, zu bedeuten hat. Darum sind wir bereit, Milde walten zu lassen; aber derjenige, welcher falsch gehandelt hat, muß aufrichtig sein!«

»Ich habe nichts zu sagen!«

Da ging ein höhnisches Lächeln über das Gesicht des Häuptlings. Er fuhr fort:

»Ich kenne Wohkadeh. Er wird uns dennoch alles, alles sagen!«

»Ihr werdet vergebens darauf warten.«

»So ist Wohkadeh ein Feigling. Er fürchtet sich. Er hat den Mut, Böses zu thun, aber es fehlt ihm der Mut, es einzugestehen. Wohkadeh ist trotz seiner Jugend ein altes Weib, welches vor Angst heult, wenn es von einer Fliege gestochen wird!«

Wohl kannte der Häuptling den jungen Mann. Seine Worte erreichten ihren Zweck.

Kein Indianer läßt sich einen Feigling nennen, ohne sofort zu zeigen, daß er mutig sei. Von früher Jugend an an Entbehrungen, Anstrengungen und allerhand Schmerzen gewöhnt, achtet er den Tod nicht. Er ist ja überzeugt, nach dem Tode sofort in die ewigen Jagdgründe zu gelangen. Er ist also, falls er ein Feigling genannt wird, bereit, das Gegenteil zu beweisen und dabei selbst sein Leben auf das Spiel zu setzen. So auch Wohkadeh. Kaum hatte der Häuptling die Beleidigung ausgesprochen, so antwortete er rasch:

»Ich habe den weißen Büffel getötet. Alle Sioux-Ogallala wissen das!«

»Aber keiner von ihnen war dabei. Keiner hat gesehen, daß du ihn wirklich tötetest. Du hast das Fell gebracht, das wissen wir; weiter nichts!«

»Gibt der Büffel sein Fell freiwillig her?«

»Nein! Aber wenn er gestorben ist, so liegt er auf der Prairie. Wohkadeh kommt dazu, nimmt ihm die Haut, trägt sie heim und sagt dann, daß er ihn getötet habe. Der Büffel aber war von selbst verendet.«

»Das ist eine Lüge!« rief Wohkadeh, in höchstem Grade erzürnt über diese neue Beleidigung. »Kein verendeter Büffel liegt in der Prairie. Die Geier und Koyoten fressen ihn auf.«

»Und der Koyot bist du!«

»Uff !« rief Wohkadeh, an seinen Riemen zerrend. »Wäre ich nicht gefesselt, so wollte ich dir zeigen, ob ich ein feiger Prairiewolf bin oder nicht!«

»Du hast es bereits gezeigt. Du bist ein Feigling, denn du fürchtest dich, die Wahrheit zu sagen!«

»Ich habe nicht aus Angst geleugnet!«

»Warum denn?«

»Aus Rücksicht für die anderen, welche sich in Eurer Hand befinden.«

»Uff ! Also jetzt gestehst du ein, daß du schuldig bist?«

»Ja!«

»So erzähle, was du gethan hast!«

»Was soll ich erzählen? Das ist mit wenigen Worten gesagt. Ich bin nach dem Wigwam des Bärentöters gegangen, um zu erzählen, daß er von Euch gefangen genommen worden ist. Dann sind wir aufgebrochen, ihn zu befreien.«

»Wer?«

»Wir fünf. Der Sohn des Bärentöters, Jemmy, Davy, Frank und Wohkadeh.«

»Weiter niemand?«

»Nein!«

»So hat wohl Wohkadeh die Bleichgesichter sehr lieb gewonnen?«

»Ja! Einer unter ihnen ist mehr wert, als hundert Sioux-Ogallala.«

Der Häuptling ließ seinen Blick im Kreise herumgleiten und freute sich heimlich über den Eindruck, welchen die letzten Worte des roten Jünglings bei den Ogallala hervorgebracht hatten. Dann fragte er:

»Weißt du, was du gewagt hast, uns das zu sagen?«

»Ja! Ihr werdet mich töten!«

»Aber unter tausend Martern!«

»Ich fürchte sie nicht.«

»Sie mögen sofort beginnen. Bringt den Sohn des Bärentöters herbei!«

jetzt wurde, wie auch Old Shatterhand gesehen hatte, Martin herbeigeführt und neben Wohkadeh gestellt.

»Hast du gehört und verstanden, was Wohkadeh gesagt hat?« fragte ihn der Häuptling.

»Ja,« antwortete Martin ruhig.

»Er hat euch geholt, damit ihr die Gefangenen befreien solltet. Fünf Mäuse ziehen aus, um fünfzig Bären zu fressen! Die Dummheit hat euer Hirn verzehrt; sie mag euch nun auch ganz verzehren. Ihr werdet sterben!«

»Das wissen wir!« lächelte Martin Baumann. »Kein Mensch kann ewig leben bleiben!«

Der Häuptling verstand ihn nicht sogleich. Dann aber begriff er den Sinn dieser Worte, denn er antwortete:

»Ich meine, daß ihr sterben werdet von unserer Hand!«

»Ich glaube, daß das Eure Absicht ist!«

»Was du jetzt nur glaubst, sollst du sehr bald als Wahrheit erkennen. Hofft ihr etwa noch auf eine Gelegenheit, uns zu entkommen? Die soll euch genommen werden. Ihr werdet heute schon sterben, jetzt, sogleich!«

Er blickte die beiden scharf an, um zu sehen, welche Wirkung seine Worte hervorbringen würden. Wohkadeh verhielt sich so, als ob er sie gar nicht gehört habe; Martin aber veränderte die Farbe seines Gesichtes, obgleich er sich die größte Mühe gab, seinen Schreck zu verbergen.

»Der ›schwere Moccassin‹ sieht, daß ihr große Freunde seid,« fuhr der Häuptling fort. »Er will euch die Freude machen, miteinander zu sterben.«

Er hatte geglaubt, die Bestürzung der beiden zu vermehren. Aber Wohkadeh sagte unter einem heiteren Lächeln:

»Du bist besser, als ich dachte! Ich fürchte den Tod nicht. Kann ich mit meinem weißen Freunde sterben, so wird er mir sogar süß sein.«

»Süß?« hohnlachte der Häuptling. »Ja, süß soll er sein. Ihr sollt seine Süßigkeiten auskosten, langsam, ganz und gar. Und weil eure Liebe eine so seltene ist, so sollt ihr auch auf eine ganze seltene Weise in die ewigen Jagdgründe gehen!«

Er stand auf, trat aus dem Kreise und ging zu der Umwallung des Schlammkraters.

»Das ist euer Grab!« sagte er. »In wenigen Augenblicken soll es euch empfangen!«

Er deutete in die Tiefe, aus welcher der stinkende Brodem emporstieg.

Das hatte niemand erwartet. Das war mehr als unmenschlich. Martin wurde totenbleich. Sein Vater stieß jenen Angstschrei aus, welchen Old Shatterhand und seine Begleiter drüben, jenseits des Flusses, gehört hatten. Er zerrte mit aller Gewalt an seinen Fesseln.

Baumann hatte vom ersten Augenblicke seiner Gefangenschaft an bis jetzt mit keinem Worte und mit keiner Miene gezeigt, wie unglücklich er sich fühle. Er war zu stolz, sich das merken zu lassen. jetzt aber, als er hörte, was seinem Sohne drohte, war es mit all seiner Selbstbeherrschung vorüber.

»Das nicht, das nicht!« rief er. »Werft mich in den Krater, mich, mich, nur ihn nicht, ihn nicht!«

»Schweig!« herrschte der Häuptling ihm zu. »Du würdest heulen vor Entsetzen, wenn du den Tod deines Sohnes sterben solltest!«

»Nein, nein, keinen Laut sollt Ihr hören, keinen einzigen f«

»Du wirst bereits heulen, wenn ich dir diesen Tod beschreibe. Meinst du, daß wir deinen Knaben und den Verräter Wohkadeh einfach in diesen Schlund werfen werden? Da irrst du dich sehr. Der Schlamm steigt und sinkt so regelmäßig, wie die Flut des Meeres, welche dem Laufe des Mondes folgt, wie man mir gesagt hat. Man weiß den Augenblick genau, an welchem der Schlamm kommt, und auch den, an welchem er wieder geht. Man weiß auch sehr genau, wie hoch er steigt. Wir werden den Verräter und deinen Knaben an Lassos binden und sie in das Loch werfen. Aber sie werden nicht hinabfallen, denn die Lassos halten sie. Sie werden so tief hinabhängen, daß ihnen der Schlamm nur bis an die Füße steigt. Beim nächsten Male lassen wir sie weiter hinab, daß ihnen der Schlamm bis an die Kniee reicht. So werden sie tiefer und tiefer sinken, und ihre Körper werden langsam von unten nach oben in dem heißen Schlamme braten. Hast du nun noch Lust, für deinen Sohn dieses Todes zu sterben?«

»Ja, ja!« antwortete Baumann. »Nehmt mich an seiner Stelle; nehmt mich!«

»Nein! Du sollst mit den anderen am Grabe der Häuptlinge am Marterpfahle enden. Und jetzt sollst du zusehen müssen, wie dein Sohn im Pfuhle versinkt!«

»Martin, Martin, mein Sohn!« schrie der Vater in verzweiflungsvollem Tone.

»Vater, mein Vater!« antwortete dieser weinend.

»Schweig!« raunte Wohkadeh ihm zu. »Wir wollen sterben, ohne ihnen die Freude zu machen, den Schmerz auf unserem Angesicht zu sehen.«

Baumann riß an seinen Fesseln, hatte aber nur den Erfolg, daß sie ihm fast bis auf die Knochen in das Fleisch schnitten.

»Hörst du, wie er heult und jammert!« rief ihm der Häuptling zu. »Schweig, und freue dich vielmehr, denn du sollst alles deutlicher sehen können als wir. Man löse die Gefangenen von den Steinen und binde sie auf ihre Pferde, damit sie hoch sitzen und alles besser betrachten können. Die beiden Knaben aber bindet steif und tragt sie nach dem Loche!«

Dieser Befehl wurde sofort ausgeführt. Mehrere Sioux ergriffen Wohkadeh und Martin, um ihnen noch mehr Riemen anzulegen, und auch der übrige Teil der Weisung wurde schnell befolgt.

Baumann preßte die Zähne fest zusammen, um sich keinen Jammerlaut entschlüpfen zu lassen. Er saß jetzt mit den anderen hoch zu Roß.

»Schrecklich!« knirschte Davy, indem er sich an Jemmy wandte. »Die Hilfe kommt gewiß, für die beiden braven Burschen aber jedenfalls zu spät. Wir beide sind schuld an ihrem Tode. Wir hätten nicht einwilligen sollen.«

»Hast recht, und – – horch!«

Der heisere Schrei eines Geiers war erschollen. Die Ogallala beachteten es nicht.

»Das ist Old Shatterhands Zeichen,« flüsterte Jemmy. »Er hat oft davon gesprochen und uns den Schrei auch vorgemacht.«

»Herrgott! Wenn er es wirklich wäre!«

»Der Himmel gebe, daß ich mich nicht täusche! Vermute ich richtig, so wäre Old Shatterhand unserer Fährte gefolgt und käme von da drüben herab. Schau hinüber nach dem Walde! Siehst du nichts?«

»Ja, ja!« antwortete Davy. »Ein einzelner Baum wird bewegt. Ich sehe die Spitze schütteln. Das geschieht nicht von selbst; dort sind also Menschen!«

»Jetzt sehe ich es auch! Aber weg davon mit dem Blicke, daß die Ogallala nicht aufmerksam werden!«

Und mit lauter Stimme rief er in deutscher Sprache nach dem Krater hin:

»Master Martin, seid getrost! Die Hilfe ist schon da. Soeben haben die Freunde uns ein Zeichen gegeben!«

Er vermied es kluger Weise, einen Namen zu nennen, weil derselbe von den Ogallala verstanden worden wäre.

»Was hat dieser Hund zu bellen!« zürnte der Häuptling. »Hat er auch Lust, in dem Schlamm zu sterben?«

Glücklicherweise begnügte er sich mit dieser Zurechtweisung.

»Ist's wahr, ist's wahr?« flüsterte Baumann in deutscher Sprache dem Dicken zu.

»Ja! Da drüben im Walde stecken sie.«

»Da kommen sie dennoch zu spät. Ehe sie den Fluß erreichen und herüberkommen, ist's vorbei. Sie werden ja auf alle Fälle von den Feinden bemerkt!«

»Pah! Shatterhand wird es schon so einrichten, daß er seinen Zweck erreicht.«

Die Gefangenen hielten auf ihren Pferden so eng nebeneinander, daß sie sich selbst im Flüstertone verstehen konnten. Die Hände waren ihnen auf den Rücken gebunden und die Füße durch einen Riemen vereinigt worden, welcher unter dem Bauche der Pferde hinwegging.

»Du, Davy,« flüsterte Jemmy, »unsere Tiere werden nicht am Zügel gehalten; darum sind wir eigentlich schon halb frei. Getraust du dir, dein altes Maultier trotz der Fesseln zum Gehorchen zu bringen?«

»Hab' keine Sorge! Ich nehme es zwischen die Beine, daß es eine Lust sein wird!«

»Mein alter Klepper wird auch gehorchen. Halt! Hilf Himmel! Da geht es los! Die Hilfe kommt zu spät – zu spät!«

Nämlich in diesem Augenblicke begann die Erde unter den Hufen der Pferde erst leise und dann stärker zu beben, und ein rollendes Brausen kam wie aus unterirdischer Ferne herbei. Der Geiser wollte seine Thätigkeit beginnen.

Zwar hatten sich die Pferde seit gestern abend ganz leidlich an dieses Beben des Erdbodens gewöhnt; da sie aber jetzt ihre Reiter trugen, zeigten sie sich unruhiger, als wenn sie ledig gewesen wären.

Der Häuptling hatte sich vorhin über die Umfassung des Schlammkraters gebeugt und seinen Lasso hinabgelassen, um auszumessen, wie tief die beiden dem Tode Geweihten zu hängen kommen müßten. Dann waren zwei Lassos je an einen festen Vorsprung des hohen Kraterrandes befestigt worden und die anderen Enden hatte man Martin und Wohkadeh so unter den Armen hindurch befestigt, daß gerade und genau die beabsichtigte Tiefe erreicht wurde.

Als jetzt das Brausen begann, traten alle zurück. Nur zwei blieben am Krater stehen, um, sobald der Schlamm sich hob, die beiden Verurteilten hinabgleiten zu lassen.

Es waren Augenblicke der fürchterlichsten Spannung; für die beiden Baumanns aber wurden sie zu schrecklichen Ewigkeiten.

Und Old Shatterhand? Warum kam er nicht?

Sein Blick hatte in größter Spannung jede Bewegung der Ogallala beobachtet. Als er sah, daß Wohkadeh und Martin nach dem Kraterrande geschleppt wurden, war ihm alles klar.

»Man will sie langsam im Schlamme sterben lassen,« sagte er zu den Indianern. »Wir müssen augenblicklich helfen. Schnell, eilt unter den Bäumen dort hinab, wo der Wald bis an den Fluß geht; setzt hinüber und jagt jenseits im Galopp hinauf! Heult dabei, so laut ihr könnt, und stürzt mit aller Macht auf die Ogallala ein!«

»Willst du nicht mit?« fragte der riesige Medizinmann.

»Nein; ich darf nicht. Ich muß hier bleiben, um dafür zu sorgen, daß vor eurem Erscheinen keinem unserer Brüder ein Leid geschieht. Fort, fort! Es ist kein Augenblick zu verlieren!«

»Uff! Vorwärts!«

Im nächsten Augenblicke waren die Schoschonen und Upsarocas verschwunden. Der schwarze Bob blieb bei Old Shatterhand zurück. Dieser gebot ihm:

»Komm, faß diese Fichte mit an! Wir wollen sie schütteln!«

Die Hand an den Mund legend, stieß er den Schrei aus, welchen Jemmy und Davy gehört hatten. Er bemerkte, daß sie heraufblickten, und wußte nun, daß sie sein Zeichen verstanden hatten.

»Warum Baum schütteln?« fragte Bob.

»Um ihnen ein Zeichen zu geben. Man will Wohkadeh und deinen jungen Herrn in den Krater werfen, um sie zu töten. Dort liegen sie gefesselt am Rande desselben.«

»Was! Oh, oh! Massa Martin töten? Wann? Wohl gleich?«

»In einer Minute wohl schon!«

Da ließ der Schwarze das Gewehr fallen, welches er in den Händen hielt.

»Massa ermorden! Das nicht sollen; das nicht dürfen! Masser Bob das nicht erlauben. Masser Bob sie totschlagen alle, alle! Bob gleich hinüber!«

Er rannte fort.

»Bob, Bob!« rief Old Shatterhand ihm nach. »Zurück, zurück! Du verdirbst sonst alles!«

Aber der Schwarze hörte nicht auf ihn. Es hatte eine wahre Wut sich seiner bemächtigt. Sein junger Herr sollte ermordet werden! Das konnte er nicht zugeben! Lieber wollte er selber sterben. Vor einem Bären hatte er sich nicht als Held gezeigt; aber wenn es seinen »Massa« galt, dann konnte er ein rasender Roland sein.

Er dachte nicht daran, daß ihm das Gewehr entfallen war; er dachte nur daran, so schnell wie möglich hinüberzukommen. Als guter Schwimmer wußte er, daß man, um an einer gewissen Stelle drüben zu landen, oberhalb derselben hüben in das Wasser gehen muß. Er sprang also nicht den lichten Uferhang hinab, gerade auf das Wasser zu, sondern er eilte in weiten Sprüngen unter den Bäumen flußaufwärts hin und schnellte erst dann, als er seiner Meinung nach weit genug nach oben gekommen war, unter den Bäumen hervor.

Ein schwarzer, glatter Felsen führte da scharf zum Wasser hinab. In seiner Eile setzte Bob sich nieder und rutschte, als ob er Schlitten fahren wolle, diesen Felsen hinab und in das ölige, mit schmutzig flockigem Schaum bedeckte Wasser hinein.

Dabei fühlte er etwas Hartes, was an seinen Körper stieß. Es war ein starker Ast, der sich hier im Ufergrunde festgestochen hatte.

»Oh, oh!« jubelte er. »Masser Bob kein Gewehr. Ast sein Gewehr, sein Keule!«

Er riß ihn aus dem Schlamme und begann nun gewaltig auszustreichen.

Der brave Bursche wurde von den Ogallala gar nicht bemerkt. Während der Rutschpartie war sein schwarzer Körper von dem dunklen Gestein nicht zu unterscheiden gewesen, und nun im Wasser stachen sein Kopf und seine Schultern so wenig von der schmutzigen Fläche ab, daß selbst andere Augen als diejenigen der Ogallala nicht auf ihn aufmerksam geworden wären. Die letzteren hielten übrigens jetzt ihre Blicke nach dem Schlammkrater gerichtet; auf etwas anderes achteten sie nicht.

jetzt, eben als das unterirdische Rollen und Brausen begann, sah Old Shatterhand seine roten Verbündeten dort nach der abwärts liegenden Enge zu in das Wasser reiten. Die Katastrophe war da.

Er lehnte seinen Henrystutzen an den Stamm des Baumes, hinter welchem er stand, und nahm den zweiläufigen, schweren Bärentöter empor. Auf diese beiden Gewehre konnte er sich verlassen.

Hundert andere hätten jetzt vor Aufregung gezittert; dieser Mann aber blieb so ruhig, als ob er beabsichtige, im Freundeskreise nach einer Scheibe zu schießen.

Drüben traten die Sioux vom Krater zurück. Nur zwei von ihnen blieben stehen.

Da hob der Häuptling den Arm. Ob er vielleicht ein lautes Kommandowort sprach, konnte Old Shatterhand nicht hören, da das Brausen stärker geworden war; aber was diese Armbewegung zu bedeuten hatte, das wußte Shatterhand genau – den Martertod Martins und Wohkadehs.

Er nahm den Kolben an die Wange. Zweimal blitzte der Bärentöter schnell hintereinander auf; dann warf der Schütze ihn weg und griff zum Stutzen, um bereit zu sein, wenn er auch ihn brauchen sollte. Er selbst hatte wohl das Krachen seiner beiden Schüsse gehört, den Sioux-Ogallala aber war dasselbe entgangen, denn es dröhnte unter ihnen wie rapid aufeinanderfolgende Donnerschläge.

»Hinein mit ihnen!« hatte der Häuptling der Ogallala mit lauter Stimme befohlen und dabei den Arm erhoben.

Die zwei seiner Leute, welche diesen Befehl auszuführen hatten, thaten schnell die paar Schritte, welche sie von den an der Erde liegenden Gefangenen entfernt standen. Martins Vater stieß einen Angstschrei aus, welcher herzzerreißend gewirkt hätte, wenn er gehört worden wäre. Im nächsten Augenblicke mußte ja sein Sohn im Schlunde des Kraters verschwinden.

Aber, was war das! Die zwei Vollstrecker der schrecklichen Exekution bückten sich nicht nur, um die Gefangenen zu ergreifen, sondern sie fielen sogar neben sie nieder und blieben bei ihnen liegen.

Der Häuptling brüllte etwas, was nicht zu verstehen war, denn droben stiegen Wasser und Dampf schrill pfeifend aus der Öffnung des Geisers empor, und hier unten ertönte es wie dumpfe Kanonenschläge aus dem Krater des Schlammvulkanes.

Der »schwere Moccassin« sprang hinzu, bückte sich über die beiden Leute und schlug mit der Faust auf sie ein – sie bewegten sich nicht. Er faßte den einen an der Schulter und riß ihn halb empor. Ein Paar unbewegliche, seelenlose Augen starrten ihm entgegen, und er sah zwei Löcher im Kopfe des Mannes, eins hüben und das andere drüben. Er ließ den Mann erschrocken fallen und ergriff den anderen, um auch an diesem ganz dieselbe Bemerkung zu machen.

Er fuhr empor, als hätte er einen Geist erblickt, und wendete sich nach den Seinen zurück. Sein Gesicht war verzerrt. Er hatte das Gefühl, als ob ihm unter dem mit Adlerfedern geschmückten Schopfe die Haut vom Schädel gezogen werde.

Die Sioux konnten sein Verhalten und dasjenige ihrer beiden Krieger nicht begreifen. Sie traten herbei. Mehrere von ihnen bückten sich zu den letzteren nieder und waren dann ganz ebenso ein Bild des Entsetzens wie ihr Anführer.

Und nun kam noch ein anderes hinzu, was ihnen nicht minder schrecklich erschien. Das Pfeifen und Zischen des Geisers war jetzt fast erstorben, so daß das Ohr nun wieder andere Töne zu vernehmen vermochte. Und da ließ sich denn vom Flusse her ein Gebrüll vernehmen, welches aus der Kehle eines Löwen oder Tigers zu kommen schien.

Aller Augen wendeten sich dorthin. Sie sahen eine schwarze, riesengroße Gestalt herbeigesprungen kommen, welche einen langen, starken Astknorren in den Fäusten schwang. Diese Gestalt triefte von dem schmutzigen, gelbgrünen Schaume des Flusses und war von einer ganzen Masse verworrener Binsen und halb verfaulten Schilfes behangen.

Der brave Bob, welcher sich durch eine ganze Halbinsel dieser am Ufer hangenden Pflanzenrudera hatte arbeiten müssen, hatte sich nicht die Zeit genommen, diesen Schmuck von sich abzustreifen. Er bot also einen Anblick, der ihn kaum als ein irdisches Wesen erscheinen ließ. Dazu sein Gebrüll, seine rollenden Augen, das starke, leuchtende Gebiß, welches er zeigte – es war wirklich kein Wunder, daß die Ogallala für den Augenblick ganz starr standen.

Und da warf er sich auch schon auf sie, brüllend und mit der Keule um sich schlagend wie ein Herkules. Sie wichen vor ihm zurück. Er drang durch ihren Haufen und stürzte auf den Häuptling zu.

»Massa Martin! Wo sein lieb gut Massa Martin?« schrie er keuchend. »Hier Masser Bob, hier, hier! Er vernichten ganz Sioux! Er zerschmettern all ganz viel Ogallala!«

»Hurra! Das ist Bob!« rief Jemmy. »Der Sieg ist da! Hurra, hurra!«

Und zugleich ließ sich von abwärts her ein vielstimmiges Geheul vernehmen, ein indianisches Kriegsgeheul. Dasselbe wird bekanntlich in der Weise hervorgebracht, daß die Wilden ein markerschütterndes langgedehntes, in der Fistelstimme liegendes Jiiiiiiiiiiih schreien und sich dabei, mit der einen Hand trillernd, auf die Lippen schlagen.

Dieser wohlbekannte, Gefahr verkündende Kriegsruf weckte die Sioux aus ihrem starren Schrecken. Einige sprangen vor und bückten nach abwärts des Flusses, woher das Geheul erscholl. Sie sahen die Upsarocas und Schoschonen, welche im Galopp herangesprengt kamen. Im höchsten Grade bestürzt, nahmen sie sich gar nicht die Zeit, diese Feinde zu zählen und folglich zu bemerken, daß sie sich vor so einer kleinen Anzahl derselben gar nicht zu fürchten brauchten. Der unerklärliche Tod ihrer beiden Kameraden, das Erscheinen des wie ein wahrer Satan aussehenden und dreinschlagenden Bob und nun das Nahen feindlicher Indianer, das alles brachte bei ihnen einen geradezu panischen Schrecken hervor.

»Fort, fort! Rettet euch!« brüllten sie und stürzten zu ihren Pferden.

jetzt nahm Jemmy seinen alten Gaul fest zwischen die Schenkel.

»Macht euch frei! Schnell, schnell, den Rettern entgegen!« schrie er laut.

Und schon schoß seine langbeinige Kreatur von dannen, das Maultier mit dem langen Davy hinterher. Franks Pferd folgte augenblicklich, ganz ohne daß der Reiter es durch irgend eine Bewegung dazu aufgefordert hätte; die Pferde waren durch das Zittern der Erde, durch Bobs Gestalt und das Kriegsgeheul so aufgeregt worden, daß kein Sioux sie hätte zu halten vermocht.

Wirklich keiner? 0 doch, es gab einen, nämlich den Häuptling Hong-peh-te-keh. Er hatte von Bob einen so kräftigen Keulenhieb erhalten, daß er zusammengebrochen war. Zu seinem Glücke hatte das der Schwarze nicht zu einem zweiten Hiebe, der wohl tödlich geworden wäre, benutzt, sondern er war, seinen jungen Herrn am Boden liegen sehend, zu demselben niedergekniet, um sich, alles andere vergessend, seiner anzunehmen.

»Mein gut, gut Massa Martin!« rief der treue, aber wenig umsichtige Schwarze. »Hier sein tapfer Masser Bob! Er schnell schneiden die Riemen von Massa Martin.«

Der Häuptling hatte sich aufgerichtet und zog schon das Messer, um den Neger niederzustechen; da hörte er das Geheul der Feinde und sah, daß die Seinigen sich auch bereits zur Flucht wendeten, während seine bisherigen Gefangenen davonjagten, um zunächst aus der Nähe der Ogallala zu kommen.

Er erkannte, daß er unter diesen Umständen gezwungen sei, auch zu fliehen; aber allen und jeden Vorteil aufzugeben, dazu war er der Mann doch nicht. Sich nach seinem Pferde stürzen und im Sattel sitzen, das war für ihn die Sache eines Augenblickes. Ein Glück, daß seine Leute alle die Gewehre an den Sattelknöpfen befestigt hatten! Er drängte sein Pferd an Baumann heran, dessen Tier in diesem Augenblicke scheute und mit allen Vieren in die Luft ging. Ein rascher Griff in die Zügel desselben, ein schriller, durchdringender Schrei, durch welchen er sein eigenes Roß anspornte, und er jagte davon, flußaufwärts, Baumanns Pferd und dessen Reiter mit sich fortreißend – – – – – – – – – – – – – – – –

Die Sioux-Ogallala waren vollständig überzeugt, daß der Oberlauf des Flusses für sie frei sein werde. Ihrer Ansicht nach hatten sie keineswegs zu befürchten, daß sie dort Feinde treffen würden. Wenn sie das Grab der Häuptlinge erreichten, so waren sie geborgen, denn das Terrain, in welchem dasselbe lag, bot ihnen vortreffliche Deckung selbst gegen einen noch viel stärkeren Feind als sie gegen sich zu haben glaubten. Sie sollten aber bald einsehen, daß sie sich da in einem großen Irrtum befanden, welcher für sie verhängnisvoll werden mußte.

Wie bereits erwähnt, hatte Winnetou gestern früh, bevor Old Shatterhand von dem Gelbsteinsee aufgebrochen war, von diesem die Weisung erhalten, mit den bei ihm zurückbleibenden Kriegern nach dem »Maule der Hölle« zu reiten und ihn dort zu erwarten. Der Häuptling der Apachen war diesem Gebote getreulich nachgekommen.

Tokvi-tey, der Anführer der Schoschonen, welcher sich bei ihm befand, hatte gleich nach Old Shatterhands Entfernung aufbrechen wollen, aber der Apache war dagegen gewesen.

»Meine Brüder mögen hier noch halten bleiben,« sagte er. »Unsere Pferde mögen noch grasen, denn auf dem Pfade, welchen wir einschlagen, wird es kein Futter für sie geben.«

»Kennst du diesen Weg genau?« fragte der Schoschone.

»Winnetou kennt alle Prairien und Wasser, alle Berge und Thäler vom Meere des Südens bis hinauf zum Saskatschewan.«

»Aber je eher wir aufbrechen, desto eher sind wir am Ziele!«

»Da hat mein Bruder ganz richtig gesprochen; aber zuweilen ist es nicht gut, wenn man vor der Zeit am Ziele anlangt. Wir werden am Maule der Hölle anlangen noch bevor die Sonne hinter den Wasser speienden Bergen in ihr Wigwam niedersteigt. Winnetou weiß, was er thut. Die tapferen Krieger der Schoschonen können sich auf ihn verlassen. Sie mögen jetzt ihr Fleisch gemächlich verzehren. Wenn die Zeit gekommen ist, wird er das Zeichen zum Aufbruche geben.«

Er warf seine Silberbüchse über und entfernte sich, zwischen den Bäumen des Urwaldes verschwindend. Er liebte es nicht, Entschlüsse, welche er einmal gefaßt hatte, ohne triftige Gründe aufzugeben. Tokvi-tey mußte sich fügen.

Die Indianer bereiteten ihr Frühstück und unterhielten sich dabei über den nichts weniger als klugen Streich, welchen der Sohn des Bärenjägers mit seinen vier Begleitern begangen hatte.

Ihr Frühmahl war längst vorüber, als der Apache wiederkehrte. Er suchte sein Pferd auf und stieg in den Sattel. Ein Wink seiner Hand genügte, den Schoschonen wissen zu lassen, daß der Ritt jetzt begonnen werden solle. Sie folgten ihm, einer hinter dem andern reitend und sich dabei Mühe gebend, eine so wenig wie möglich sichtbare Fährte zu hinterlassen.

War Winnetou selbst nach indianischen Begriffen ein sehr schweigsamer Mann, so schien er heute noch weniger als gewöhnlich geneigt zu sein, sich für einen redseligen Mann halten zu lassen. Er hielt sein Pferd so im Gang, daß er den Schoschonen stets eine gewisse Strecke voraus war, und sie respektierten den berühmten Krieger so hoch, daß keiner es wagte, sich ihm zu nähern. Selbst Tokvi-tey, obgleich selbst Häuptling, hielt sich in achtungsvoller Entfernung hinter ihm.

So schlängelte sich der Reiterzug still und lautlos zunächst durch den Wald, dessen dichtes Blätterdach von keinem direkten Sonnenstrahle durchdrungen wurde. Es herrschte hier jenes Halbdunkel, welches in hohen, Gott geweihten Domen die Seele zur Andacht stimmt.

Die gewaltigen Stämme ragten wie riesige Säulen empor. Kein niederes Buschwerk stand hindernd im Wege. Die Vogelstimmen, welche den Anbruch des Tages begrüßt hatten, waren verstummt, und nur zuweilen ging durch die Einsamkeit ein knackendes oder prasselndes Geräusch, durch welches aber die Stille des Waldes nur hervorgehoben wurde.

Dann plötzlich öffnete sich eine kurze, grasige Prairie. Der Wald brach in einer scharfen Linie ab und bereits nach kurzer Zeit wurde der Boden steinicht, so daß nur hier oder da ein armer Halm aus einer Ritze blickte.

Winnetou ließ sein Pferd langsamer gehen, wartete, bis Tokvi-tey ihn eingeholt hatte, deutete nach Westen, wo blaugraue Wolken sich zu erheben schienen, und sagte:

»Das sind die Berge des Feuerlochflusses, hinter ihnen öffnet sich das Maul der Hölle.«

Dem Schoschonen war es sehr lieb, daß der Apache das Schweigen gebrochen hatte. Auch er wußte natürlich, daß Schweigsamkeit eine der größten Zierden des Kriegers ist; aber selbst den mürrischesten Indsman kann einmal die Lust zu einem kleinen Speech anwandeln, und in dieser Lage befand sich Tokvi-tey.

Er hatte bereits früher viel über Old Shatterhand gehört; nun war er mit demselben auf eine so wundersame Weise bekannt geworden und hatte sich durch den Augenschein überzeugen können, daß das Gerücht die Eigenschaften und Thaten des berühmten Mannes keineswegs in übertreibender Weise geschildert habe. Er, der viel ältere Mann, widmete dem Deutschen eine Verehrung, wie er sie noch für keinen Menschen empfunden hatte. Zu dieser Verehrung gesellte sich eine Scheu, wie man sie nur für höhere Wesen hat, und doch, trotz der Schranke, welche diese Scheu zwischen ihm und Old Shatterhand errichtete, fühlte er sich mächtig zu dem gewaltigen Jäger hingezogen – er liebte ihn. Die milde, ruhige Freundlichkeit, die immer gleiche, rücksichtsvolle Güte des Mannes, welcher seine Feinde mit der Faust niederzuschlagen pflegte, hatte demselben wie alle Herzen so auch dasjenige des Häuptlings der Schoschonen gewonnen.

Schon längst hatte Tokvi-tey von Winnetou etwas Näheres über Old Shatterhand erfahren wollen. Der Apache war ja derjenige, welcher die beste Auskunft über ihn zu erteilen vermochte, aber grad die Unzertrennlichkeit dieser beiden Freunde machte es schwierig, einmal unter vier Augen mit dem einen über den andern zu sprechen.

Heute nun war Old Shatterhand abwesend, und diese Gelegenheit wollte Tokvi-tey benutzen, den Mund des Apachen zu öffnen. Darum freute er sich darüber, daß der letztere ihn jetzt an seine Seite kommen ließ. Er folgte mit seinem Blicke dem ausgestreckten Arme Winnetous und sagte:

»Tokvi-tey hat jene Gegend noch nie betreten, aber sein Ohr hat oft vernommen, was die alten, grauhaarigen Krieger der Schoschonen von ihr erzählen. Hat mein Bruder auch davon gehört?«

»Nein.«

»Tief unter diesen Bergen und Schluchten liegt ein Häuptling begraben, dessen Seele nicht in die ewigen Jagdgründe gelangen kann, obgleich er der tapferste Krieger war und viele Zelte mit den Skalps der von ihm erlegten Feinde geschmückt hatte. Sein Name ist K'un-p'a. Mein Bruder wird ihn gehört haben?«

»Nein. Ein berühmter Häuptling dieses Namens ist dem Apachen nicht bekannt. K'un-p'a heißt in der Sprache der Schoschonen das Feuerwasser, welches die Yankees Brandy oder Whisky nennen.«

»Ja, Feuerwasser bedeutet auch der Name jenes Häuptlings, denn er hat seine Seele und seinen ganzen Stamm an die Bleichgesichter verkauft, welche ihm Feuerwasser dafür gegeben haben. Er hatte das Beil des Krieges gegen sie ausgegraben, um sie von der Erde zu vertilgen. Seine Krieger waren zahlreicher als die ihrigen; sie aber hatten Feuerwaffen und – Feuerwasser. Ihr Häuptling bat um eine Unterredung mit ihm. Die beiden trafen sich an einer Stelle, welche sich zwischen den Kriegslagern befand. Während sie verhandelten, gab der Häuptling der Bleichgesichter dem roten Krieger Feuerwasser zu trinken. Es war noch nie ein Tropfen davon über seine Lippen gekommen. Er trank und trank, bis der böse Geist des Feuerwassers über ihn kam. Da verriet er, um mehr davon zu bekommen, seine Krieger. Sie wurden alle getötet, so daß nicht ein einziger entkam.«

»Und ihr Häuptling?« fragte Winnetou.

»Er blieb allein übrig. Er war der Verräter, darum töteten ihn die weißen Männer nicht. Sie versprachen ihm noch mehr Feuerwasser, wenn er sie nach den Weidegründen seines Stammes führen wolle. Er that es. Die Wigwams seines Stammes standen da, wo jetzt die wasserspeienden Berge stehen. Das Thal des Feuerlochflusses war damals der glücklichste Weidegrund des Landes. Das Gras neigte seine Spitzen über dem Reiter zusammen, und auf den Büffelpfaden wandelten die Bisons in unzählbaren Scharen. Dorthin führte K'un-p'a die Bleichgesichter. Sie fielen über die roten Männer her und töteten sie nebst allen ihren Frauen und Kindern. Der Häuptling saß dabei und trank Feuerwasser, bis es ihm aus dem Munde brannte. Da brüllte er vor Schmerz laut auf und wandte sich in schrecklichen Qualen hin und her. Sein Geheul klang über die Prairien und Wälder hinweg bis hinauf zu den Spitzen des Gebirges jenseits des Gelbsteinsees. Dort wohnte der große Geist der roten Männer. Er kam herbei und sah, was geschehen war. Er ergrimmte in schrecklichem Zorne. Er schlug mit seinem Tomahawk eine Spalte in die Erde, viele Tagereisen tief, und stürzte K'un-p'a hinab. Dort unten liegt nun der Verräter seit vielen hundert Sonnen. Wenn er sich in seinen nie endenden Schmerzen von einer Seite auf die andere wirft und dabei seine brüllende Stimme erhebt, so zittert die ganze Gegend des Gelbsteinsees bis hinüber zum Schlangenflusse, und aus Spalten und Löchern dringt sein Jammergeheul. zur Erde empor. Das Feuerwasser strömt kochend aus seinem Munde; es füllt alle Klüfte und Ritzen der Tiefe; es dampft und braust zur Höhe; es wirbelt und sprudelt aus allen Schlünden; es qualmt und stinkt aus allen Höhlen, und wenn dann ein einsamer Krieger vorüber reitet, die Erde unter den Hufen seines Pferdes zittern und bersten sieht, die kochende Flut erblickt, welche auf zu den Wolken steigt, und das Gebrüll vernimmt, welches aus tausend Mäulern der Tiefe erschallt, so gibt er seinem Tiere die Fersen und entflieht, denn er weiß, unter ihm wütet K'un-p'a, der vom großen Geiste Verfluchte.«

Wenn der Schoschone erwartet hatte, daß Winnetou zu dieser Schilderung irgend eine Bemerkung machen werde, so hatte er sich geirrt. Der Apache blickte still vor sich hin. Um seinen Mund spielte ein kaum bemerkbares Lächeln. Darum fragte Tokvi-tey:

»Was sagt mein Bruder zu dieser Erzählung?«

»Daß noch niemals eine so bedeutende Schar der bleichen Krieger an den Fluß des Feuerloches gekommen ist.«

»Kann mein Bruder das behaupten?«

»Ja.«

»Aber das ist vor vielen hundert Sonnen geschehen; damals hat mein roter Bruder noch gar nicht gelebt.«

»Und Tokvi-tey, der Häuptling der Schoschonen, war auch noch nicht vorhanden. Wie also kann er wissen, was damals geschehen ist?«

»Er hat es gehört. Die Alten haben es ihm erzählt, und diese wissen es von den Urvätern ihrer Urväter.«

»Aber als diese Urväter lebten, gab es noch keine Bleichgesichter bei den roten Männern. Ich habe das von einem gehört, der es ganz genau weiß, von meinem weißen Bruder Old Shatterhand. Als ich mit ihm zum erstenmal am Flusse des Feuerloches war, hat er mir erklärt, wie die Löcher entstanden sind, aus denen die kalten und heißen Wasserstrahlen steigen. Er hat mir gesagt, wie die Berge und Thäler, die Cannons und Abgründe entstanden sind.«

»Weiß er es denn?«

»Sehr genau.«

»Aber er ist nicht dabei gewesen!«

»Dessen bedarf es nicht. Wenn ein Krieger die Spur eines Fußes sieht, so weiß er, daß hier ein Mann gegangen ist, und doch ist er nicht dabei gewesen. Solche Spuren hat der große Geist zurückgelassen und Old Shatterhand versteht es, diese Spuren zu lesen.«

»Ugh!« rief der Schoschone verwundert.

»Höre ihn selbst sprechen! Dann wirst du dich noch viel mehr wundern. Ich habe in stillen Nächten an seiner Seite gesessen und seinen Worten gelauscht; es sind Worte des großen, guten, allmächtigen Geistes gewesen, Worte der Liebe und Milde, der Versöhnung und Erbarmung. Seit ich sie gehört habe, thue ich so wie Old Shatterhand – ich töte keinen Menschen, denn alle sind Kinder des großen Geistes, welcher seine Söhne und Töchter glücklich machen will.«

»So sind die weißen Männer auch seine Kinder?«

»Ja.«

»Uff! Warum verfolgen sie ihre roten Brüder? Warum rauben sie ihnen ihr Land? Warum jagen sie sie von Ort zu Ort? Warum sind sie voller List, Heimtücke und Betrug gegen sie?«

»Um dem Häuptlinge der Schoschonen diese Frage zu beantworten, müßte ich viele Stunden sprechen. Dazu gibt es keine Zeit. Ich will ihn nur fragen: Sind alle roten Männer gut?«

»Nein. Es gibt gute und böse unter ihnen.«

»Nun, so ist es auch mit den Bleichgesichtern; auch unter ihnen gibt es gute und böse. Old Shatterhand gehört zu demjenigen Stamme der Bleichgesichter, welcher noch niemals das Kriegsbeil gegen die roten Krieger geschwungen hat.«

»Wie heißt dieser Stamm?«

»Es ist der Stamm der Deu-scheh, welcher weit im Osten jenseits des großen Wassers wohnt.«

»Er ist dessen Häuptling?«

»Nein. Die Krieger der Deu-scheh haben mehrere Häuptlinge, welche Kön-ig genannt werden; der oberste Häuptling aber wird Kai-sa genannt. Er ist ein alter, kluger, tapferer Krieger, der in allen Kämpfen gesiegt und doch niemals einen Skalp genommen hat. Sein Haar ist weiß wie der Schnee der Berge; seine Jahre sind fast nicht zu zählen, aber seine Gestalt ist noch hoch und stolz, und sein Roß zittert vor Freude, wenn er in den Sattel steigt. Sein Arm ist stark und sein Befehl ohne Widerspruch; aber in seinem Herzen wohnt die Liebe, und in seiner Hand glänzt der Stab des Friedens. In seinem Wigwam verkehren die Häuptlinge aller Völker, und sein Rat wird geachtet vom Aufgang bis zum Niedergange der Sonne.«

»Und wie heißt dieser große Häuptling?«

»Wi-he-lem. Du wirst dieses Wort nicht verstehen, denn es gehört der Sprache der Deu-scheh und bedeutet so viel wie mächtiger Beschützer.«

»Warum aber ist Old Shatterhand nicht bei seinem Stamme geblieben?«

»Weil er gewünscht hat, die roten Männer kennen zu lernen. Dann wird er wieder nach dem Wigwam der Seinen zurückkehren.«

»Wird mein roter Bruder mir sagen, wo er ihn zum erstenmale gesehen hat?«

»Das war am Rio Gila, weit von hier gegen Mittag, wo die Pferde der Apachen weiden. Die Hunde der Komanchen waren aus ihren Löchern gekrochen, um die tapferen Krieger der Apachen anzubellen. Da hielten die Häuptlinge einen großen Rat, und am andern Morgen zogen zehnmal zehn mal sechs Apachen aus, um sich die Skalpe der Komanchen zu holen. Winnetou war noch jung. Er wurde ausersehen, die Fährte der Komanchen zu suchen, denn sein Auge war scharf und sein Ohr hörte den Lauf des Käfers im Grase. Er erhielt zehn Krieger, welche mit ihm ritten, und es gelang ihm, die Spur des Feindes zu finden. Auf dem Rückwege sah er einen Rauch aufsteigen und schlich hinzu, um zu sehen, welche Männer an dem Feuer zu finden seien. Es waren fünf Bleichgesichter. Die Apachen standen mit den Weißen in Feindschaft; darum beschloß Winnetou, sie zu überfallen und sich mit ihren Skalpen zu schmücken. Der Überfall gelang den roten Männern, aber zu ihrem eigenen Schaden. Die Bleichgesichter wurden überrumpelt, aber sie waren tapfer, sie wehrten sich. Einer von ihnen war hinter einen Baum gesprungen und schoß einen Roten nach dem andern nieder. So starben vier Bleichgesichter, aber auch die zehn Apachen, welche mit Winnetou waren. Endlich waren nur noch das tapfere Bleichgesicht und Winnetou übrig. Der Weiße warf sein Gewehr weg und stürzte sich auf den Roten. Er riß ihn zu Boden und entwand ihm die Waffen. Winnetou war verloren; er lag unter dem Weißen und konnte sich nicht bewegen, denn dieser letztere war stark wie ein grauer Bär. Der Apache riß sein Jagdhemd auf und bot dem Feinde die nackte Brust.

Dieser aber warf das Messer weg, stand auf und reichte Winnetou die Hand. Sein Blut war geflossen, denn Winnetou hatte ihn in den Hals gestochen, und dennoch schonte er das Leben des Apachen. Dieses Bleichgesicht war Old Shatterhand. Seit jener Zeit sind beide Männer Brüder gewesen, und sie werden Brüder bleiben, bis der Tod sie voneinander trennt.«

»Und seid ihr seit jener Zeit stets beisammen gewesen?«

»Nein. Old Shatterhand ist in sein Land gereist; aber so oft er wieder in die Prairie kam, hat er sofort seinen roten Bruder aufgesucht. Beide haben einander das Leben viele, viele Male gerettet, beide haben gegenseitig voneinander und miteinander gelernt, und jeder von ihnen würde sofort und gern sein Leben lassen, wenn der andere es von ihm forderte. Mehr denn zehnmal zehnmal haben beide viele, viele Feinde gegen sich gehabt; sie sind oft von einem ganzen Stamme verfolgt worden; sie sind eingeschlossen worden von überlegenen Scharen, aber wenn sie beisammen sind, fürchten sie keinen Feind und fürchten nicht eine große Zahl der Feinde. Noch keiner hat sie überwinden können. Und seit Winnetou seinen Bruder Old Shatterhand gefunden hat, ist ihm die Erkenntnis gekommen, daß der große Geist die Liebe ist, daß unser guter Manitou traurig sein Haupt verhüllt, wenn seine Söhne sich untereinander zerfleischen. Der Schöpfer der Erde hat seinen Sohn Je-su gesandt, um seinen roten und weißen Kindern wissen zu lassen, daß Friede sein soll in allen Ländern. Das Kriegsbeil soll vergraben sein und das Calumet der Versöhnung geraucht werden von Ort zu Ort, von Stamm zu Stamm. Der Häuptling der Schoschonen wird das nicht begreifen; er mag, wenn er es erfahren will, selbst mit Old Shatterhand sprechen. Winnetou hat keinen Mund zu dieser Rede; aber er reitet von Nord nach Süd, von Ost nach West, von Stamm zu Stamm, um durch sein Beispiel zu lehren und zu zeigen, daß die roten und weißen Kinder des großen Geistes in Liebe und Frieden bei einander wohnen können, wenn sie nur wollen. Wenn die roten Männer erst gelernt haben, untereinander einträchtig zu sein, dann wird ihnen die Achtung der Bleichgesichter zu teil, und sie werden stark genug sein, den Brudermord aus ihren Weidegründen zu verbannen. Tokvi-tey, der Häuptling der Schoschonen, mag über meine Worte nachdenken. Ich lasse ihn allein.«

Er spornte sein Pferd an, um den Vorsprung, welchen er bisher eingehalten hatte, wieder zu erlangen, und gab denselben auch während des ganzen weiteren Rittes nicht wieder auf.

Seine Voraussagung, daß die Pferde unterwegs keine Weide finden würden, erfüllte sich. Das Terrain blieb von jetzt an felsig und unfruchtbar. Es bildete, im ganzen genommen, eine Ebene; aber zahlreiche Senkungen und scharfe Einschnitte veranlaßten die Reiter zu zeitraubenden Umwegen. Die Sonne brannte heiß hernieder, und die Pferde mußten geschont werden, da es im Bereiche der Möglichkeit lag, daß man morgen gezwungen sein werde, alle ihre Kräfte in Anspruch zu nehmen. Darum wurde nur im Schritt geritten, und man kam den bereits erwähnten westwärts liegenden Höhen nur langsam näher.

So verging der Vor- und auch der größte Teil des Nachmittags, und die Sonne hatte bereits das letzte Viertel ihres Tagebogens erreicht, als man den östlichen Fuß der Feuerlochberge erreichte.

Der Felsen ging nach und nach in Grasland über, und als der Boden mehr zu steigen begann, gab es hier und da einen kleinen Wasserlauf, an dessen Ufern sich Büsche in einem kühlenden Luftzuge wiegten.

Winnetou hielt auf ein Thal zu, welches rechtwinkelig durch die Berge schnitt. Die Seiten desselben waren, je weiter man kam, desto dichter mit Bäumen bestanden, und nach kurzer Zeit wurde ein kleines Frischwasserbecken erreicht, an dessen Ufer Winnetou vom Pferde sprang. Er nahm dem Tiere Sattel und Zäumung ab und trieb es dann in die Flut, damit es sich nach dem anstrengenden Ritte erquicken möge. Die andern Reiter folgten seinem Beispiele.

Es wurde dabei kein Wort gesprochen. Niemand fragte ihn, ob er hier zu lagern denke. Er hatte sich nicht gesetzt, sondern er stand, auf seine Büchse gelehnt, am Wasser. Das war für die anderen genug, zu wissen, daß er bald wieder aufbrechen werde.

Nach kurzer Zeit kam sein Pferd freiwillig aus dem Wasser und auf ihn zu. Er sattelte es, stieg auf und ritt davon. Er hielt es gar nicht für notwendig, sich nur einmal umzuschauen, ob die Krieger ihm auch folgten; es verstand sich das ja ganz von selbst.

Das Thal wurde desto enger, je steiler es zur Höhe stieg. Es war durch einen Wasserlauf gebildet worden, dessen Ursprung oben auf der Höhe lag. Dort oben angekommen, befanden die Reiter sich im wilden Walde, welchen noch kein menschlicher Fuß betreten zu haben schien.

Der Apache aber kannte seinen Weg genau. Er ritt in größter Sicherheit, als ob er einen gebahnten Pfad vor sich sehe, unter den hohen Bäumen weiter, erst scharf bergan, dann eben fort und endlich jenseits des Kammes zwischen zerstreut umher liegenden, riesigen Felsenbrocken zu Thale nieder.

Da ertönte so plötzlich, daß die Pferde scheuten, vor ihnen ein fürchterlicher Krach, als ob eine gewaltige Dynamitexplosion stattgefunden habe; es folgten eine Reihe Schüsse, wie von starken Festungsgeschützen; dann rollte es wie ein fortlaufendes Pelotonfeuer, welches sich in ein Knattern, Prasseln, Sausen und Zischen auflöste, als ob davor den überraschten Reitern ein Riesenfeuerwerk abgebrannt werde.

»Uff!« rief Tokvi-tey. »Was ist das?«

»Das ist K'un-tui-temba, das Maul der Hölle,« antwortete Winnetou. »Mein Bruder hat die Stimme des Maules vernommen. Er wird es sogleich auch speien sehen.«

Nur wenige Schritte ritt er weiter; dann blieb er halten und wendete sich rückwärts zu den roten Kriegern:

»Meine Brüder mögen herbeikommen. Da unten hat sich das Höllenmaul geöffnet.«

Er zeigte hinunter in den Abgrund, welcher sich vor ihnen öffnete, und die Indianer eilten zu ihm.

Sie hielten, wie sie nun sahen, vor einer senkrecht mehrere hundert Fuß abfallenden Felsenwand, und unten lag das Thal des Feuerlochflusses. Gerade vor ihnen, am jenseitigen Ufer, stieg aus dem Erdboden eine wohl zwanzig Fuß im Durchmesser haltende Wassersäule ungefähr fünfzig Fuß senkrecht empor, und in dieser Höhe bildete sie einen beinahe kugelförmigen Knauf, aus welchem zahlreiche armstarke und noch stärkere Wasserstrahlen einzeln weit über hundert Fuß gen Himmel schossen. Das Wasser war heiß, denn eine Hülle von halb durchsichtigem Brodem umgab die gigantische Fontäne, welche oben regenschirmartig auseinander ging.

Gerade hinter diesem Wanderwerke der Natur trat die Uferwand zurück und bildete einen tief ausgeschnittenen Felsenkessel, auf dessen hinterem Rande scheinbar die untergehende Sonne lag. Ihre Strahlen fielen auf die Wassersäule, welche dadurch als eine geradezu unbeschreibliche Kalospinthechromokrene in den herrlichsten Farben leuchtete und brillierte. Wäre der Standpunkt der Beschauer ein anderer gewesen, so hätten sie tausend in den Fluten und um dieselben umher zuckende Regenbogen sehen können.

»Uff, uff!« ertönte es aus fast einem jeden Munde, und der Häuptling der Schoschonen wendete sich fragend an Winnetou:

»Warum nennt mein Bruder diesen Ort K'un-tui-tempa, das Maul der Hölle? Sollte derselbe nicht lieber T'ab-tuitempa genannt werden, der Mund des Himmels?«

»Nein, das wäre sehr falsch.«

»Warum? Tokvi-tey hat noch niemals etwas so Herrliches gesehen.«

»Mein Bruder darf sich nicht täuschen lassen. Alles Böse scheint zuerst schön zu sein; ein kluger Mann aber urteilt erst, nachdem er das Ende abgewartet hat.«

Die Augen der entzückten Indianer hingen noch staunend an dem prächtigen Bilde, da that es plötzlich einen ähnlichen Donnerschlag wie vorhin, und augenblicklich änderte sich die Scene. Die Wassersäule fiel in sich selbst zusammen; einige Augenblicke wurde das Erdloch frei, aus welchem sie sich erhoben hatte; man hörte einen dumpfen, rollenden Ton, und dann stieß das Loch in einzelnen Rucken braungelbe Dampfringe aus. Diese Rucke folgten sich schneller und schneller, bis sie sich zu einem schrillen Zischen vereinigten; die einzelnen Ringe verbanden sich zu einer häßlichen Rauchsäule, und dann wurde eine dunkle, schlammartige Masse ausgeschleudert, welche beinahe gerade so hoch stieg wie vorher die Fontäne und einen entsetzlichen Gestank verbreitete. Einzelne feste Körper flogen weit über die flüssigen Massen hinaus, und wenn das geschah, so ertönte ein dumpf brüllendes Knurren, wie man es in Menagerien von hungrigen Raubtieren hört, kurz ehe sie gefüttert werden. Diese Ausbrüche erfolgten stoßweise, einer nach dem anderen, und in den Zwischenpausen erklang aus dem Loche ein Wimmern und Stöhnen, als ob da unten in der Tiefe die Seelen der Verdammten ihren Aufenthalt hätten.

»Kats-angwa, schrecklich!« rief Tokvi-tey, indem er sich die Nase zuhielt. »An diesem Geruche könnte der tapferste Krieger sterben.«

»Nun,« fragte Winnetou lächelnd, »will mein Bruder auch jetzt noch dieses Loch den Mund des Himmels nennen?«

»Nein, Möchten alle Feinde der Schoschonen dort unten begraben sein! Wollen wir nicht lieber weiter reiten?«

»Ja, aber wir werden gerade da unten am Maule der Hölle unser Lager aufschlagen.«

»Uff! Ist das nötig?«

»Ja. Old Shatterhand hat es uns geboten, und so müssen wir es thun. Die Hölle hat für heute zum letztenmale gespieen; sie wird die Nasen der Schoschonen nicht wieder belästigen.«

»So wollen wir dir folgen; sonst aber wären wir ihr lieber fern geblieben.«

jetzt führte der Apache seine Begleiter ein Stück längs der Felsenkante hin bis dahin, wo das Ufer aus weicherem Gestein und erdigem Boden bestanden hatte. Hier waren die verborgenen Kräfte bis herauf zur Höhe thätig gewesen. Ein vor Jahrhunderten hier vorhandener Krater hatte die ganze Uferwand verschlungen; das weiche Erdreich war nachgerutscht und bildete eine Halde, welche ziemlich dicht mit halbverfaulten Baumstämmen und einzelnen Felsbrocken besäet war.

Dieser Bergrutsch war steil und sah keineswegs so ungefährlich aus. Es gab da zahlreiche schwefelgelb geränderte Löcher, aus denen Wasserdämpfe emporstiegen, ein sicheres Zeichen, daß das Terrain ein unterhöhltes sei.

»Hier will mein Bruder hinab?« fragte Tokvi-tey den Apachen.

»Ja. Es gibt keinen anderen Weg als diesen.«

»Werden wir nicht einbrechen?«

»Wenn wir unvorsichtig wären, könnte das sehr leicht geschehen. Winnetou hat, als er mit Old Shatterhand hier war, diesen Ort genau untersucht. Es gibt Stellen, an denen die Rinde der Erde nicht dicker ist, als die Breite deiner Hand. Aber Winnetou wird voranreiten. Sein Pferd ist klug und wird nicht dahin treten, wo es eine Gefahr gibt. Meine Brüder können mir getrost folgen.«

»Aber hat nicht Old Shatterhand geboten, daß wir an diesem Ufer Kundschafter aussenden sollen, die ihm Nachricht von uns zu geben haben? Wollen wir das nicht thun, bevor wir über den Fluß setzen?«

»Wir werden es gar nicht thun. Die Ogallala werden eher hier ankommen als Old Shatterhand. Schauen wir nach ihnen aus, so haben wir genug gethan.«

Er trieb sein Pferd über den Rand des Bergsturzes und ließ es da, ohne daß er abstieg, langsam zur Tiefe klettern. Die Indianer folgten ihm zaudernd; aber als sie sahen, wie vorsichtig sein Pferd, bevor es einen Schritt that, vorher mit dem Hufe den Boden untersuchte, vertrauten sie sich seiner Führung an.

»Meine Brüder mögen weit auseinander reiten,« gebot er, »damit die Erde immer nur die Last eines einzigen Reiters zu tragen habe. Wenn das Pferd einzubrechen droht, muß der Mann es augenblicklich mit dem Zügel emporreißen und nach rückwärts werfen.«

Glücklicherweise kam kein einziger in diese Gefahr. Zwar wurden mehrere sehr hohl klingende Stellen passiert, aber der Zug gelangte glücklich unten am Flusse an.

Das Wasser hatte hier eine mehr als gewöhnliche Wärme; die Oberfläche war blaugrün schillernd und ölig, während eine Strecke weiter aufwärts die Wellen rein und durchsichtig an das Ufer schlugen. Dort wurden die Pferde in den Fluß getrieben, welchen sie mühelos überschwammen. Dann lenkte Winnetou wieder abwärts gerade auf das »Maul der Hölle« zu.

Die Eruption dieses letzteren war vorüber. Als die Reiter dort ankamen und sich vorsichtig dem Rande des Loches näherten, konnten sie in eine gegen hundert Fuß betragende, dunkle Tiefe blicken, in welcher es vollständig still und ruhig war. Nichts als die umhergeschleuderten Schlammassen verriet, daß vor wenigen Minuten die Hölle hier thätig gewesen sei.

Jetzt zeigte Winnetou nach dem bereits erwähnten, hinter dem »Maule der Hölle« liegenden Felsenkessel und sagte:

»Dort liegt das Grab der Häuptlinge, an welchem Old Shatterhand die drei berühmtesten Krieger der Sioux Ogallalla besiegte. Meine Brüder mögen mir dorthin folgen!«

Die Sohle dieses Kessels bildete beinahe eine Kreisfläche von dem ungefähren Durchmesser einer halben englischen Meile. Die Wände besaßen eine solche Steilheit, daß an ihnen unmöglich emporzukommen war. Viele Löcher, mit heißem Schlamm oder dampfendem Wasser gefüllt, machten das Passieren höchst unsicher, und kein Hälmchen Gras, kein noch so kleines, dürftiges Pflänzchen war zu sehen.

Gerade auf dem Mittelpunkt dieses Thales war ein künstlicher Hügel errichtet. Er bestand, wie man leicht sehen konnte, aus Steinen, losgebrochenen Schwefelstücken und Schlamm, welch letzterer jetzt eine harte, spröde Masse bildete. Seine Höhe betrug vielleicht fünfzehn Fuß, seine Breite zehn und seine Länge zwanzig Fuß. In der Spitze steckten mehrere Bogen und Lanzen. Sie waren mit allerlei Kriegs- und Todeszeichen geschmückt gewesen, die aber nun in Fetzen hingen.

»Hier,« sagte Winnetou, »sind begraben der ›tapfere Büffel‹ und ›böses Feuer‹, welcher der stärkste Krieger der OgalIalla war. Dennoch hat Old Shatterhand beide mit einem Schlage seiner Faust getötet. Sie sitzen auf ihren Pferden, die Gewehre auf dem Knie, den Schild in der Linken und den Tomahawk in der Rechten. Der Name des dritten Kriegers wurde nicht genannt, weil er seine Medizin nicht mehr besaß. Und da oben hielt Shatterhand auf seinem Pferde, bevor er zum Todeskampfe herunterkam, und schoß einen Ogallalla nach dem anderen wund. Er wollte sie nicht töten, und sie konnten ihn mit ihren Kugeln nicht erreichen, denn der große Geist der Bleichgesichter schützte ihn.«

Bei diesen Worten zeigte er rechts nach der Felsenwand, aus welcher in der Höhe von vielleicht vierzig Fuß ein Vorsprung ragte, auf welchem mehrere mannshohe Felsenstücke lagen. Von ihm zog sich eine Reihe ähnlicher aber viel kleinerer Vorsprünge abwärts bis auf den Boden herab, mit deren Benutzung man mühsam hinaufsteigen konnte. Aber wie Old Shatterhand zu Pferde hatte hinaufkommen können, das konnte nur einem so kühnen Reiter, wie er war, erklärlich sein.

Die Schoschonen stießen Rufe des Erstaunens aus. Hätte ein anderer als Winnetou es gesagt, und wäre es nicht gerade von Old Shatterhand erzählt worden, so hätten sie den Sprecher als einen Lügner verachtet.

Ihr Häuptling schritt langsam um das Grab, maß die Dimensionen desselben und fragte sodann Winnetou:

»Wann denkt mein Bruder, daß die Sioux Ogallalla am Feuerlochflusse ankommen werden?«

»Vielleicht heut abend schon.«

»So sollen sie das Grabmal ihrer Häuptlinge zerstört finden. Der Staub derselben soll in alle Winde zerstreut und ihre Knochen sollen in das ›Maul der Hölle‹ geworfen werden, damit ihre Seelen unten in der Tiefe jammern müssen mit K'un-p'a, dem vom großen Geiste Verfluchten! Nehmt eure Tomahawks und reißt den Hügel ein! Tokvi-tey, der Häuptling der Schoschonen, wird der erste dabei sein.«

Er stieg vom Pferde und ergriff seinen Tomahawk, um das Werk der Zerstörung zu beginnen.

»Halt!« gebot da Winnetou. »Hast du die drei Toten, welche du schänden willst, erlegt?«

»Nein,« antwortete der Gefragte verwundert.

»So laß die Hand von ihrem Grabe! Sie gehören Old Shatterhand. Er hat ihnen ihre Skalpe gelassen und sie sogar mit begraben helfen. Ein tapferer Krieger kämpft nicht mit den Knochen der Toten. Die roten Männer finden ein Wohlgefallen daran, die Gräber ihrer Feinde zu schänden; der große Geist aber will, daß die Toten ruhen sollen, und Winnetou wird ihre Gräber beschützen!«

»Du willst mir verbieten, die Hunde der Ogallalla in das ›Maul der Hölle‹ zu werfen?«

»Ich verbiete dir nichts, denn du bist mein Freund und Bruder. Willst du aber Hand an dieses Grab legen, so mußt du vorher mit mir kämpfen. Tötest du mich, dann magst du thun, was dir beliebt; dann aber wird auch Old Shatterhand kommen und Rechenschaft von dir fordern. So weit aber kommt es nicht, denn Winnetou, der Häuptling der Apachen, kennt keinen, der ihn besiegen könnte. Meine Brüder haben das Grab der Häuptlinge gesehen, und werden mir nun zurück zum Lagerplatze folgen!«

Er -wendete sein Pferd und ritt davon, wieder nach dem »Maule der Hölle« zurück. Auch dieses Mal sah er sich nicht um, ob sie ihm folgen würden oder nicht.

So hatte noch kein »Freund« mit Tokvi-tey gesprochen. Der Schoschone war erzürnt; aber er wagte es doch nicht, dem Apachen zu widerstehen. Er brummte ein mürrisches »Ugh!« vor sich hin und folgte ihm. Die Seinen ritten schweigend hinter ihm her. Das entschiedene Auftreten Winnetous hatte einen tiefen Eindruck auf sie gemacht.

Der Abend begann hereinzubrechen, als der Apache nicht weit vom »Maule der Hölle« hielt und vom Pferde stieg. Dort lief trotz der Nähe dieses Ortes ein kalter Quell aus dem Felsen, quer über das Thal und dann in den Fluß. Die Stelle hatte gar nichts, was sie besonders zur Lagerstätte geeignet hätte; aber Winnetou mußte wissen, warum er gerade hier und nirgends anders die Nacht zubringen wollte. Er pflockte sein Pferd an, rollte seine Santillodecke als Kopfkissen zusammen und streckte sich nahe am Felsen zur Ruhe aus. Die Schoschonen folgten seinem Beispiele.

Sie saßen leise plaudernd bei einander. Ihr Häuptling hatte sich, seinen Groll gegen Winnetou vergessend, neben diesem niedergelegt. Es wurde vollständig finster; mehrere Stunden vergingen, und es schien, daß der Apache schlafe. Da aber stand er plötzlich auf, ergriff sein Gewehr und sagte zu Tokvi-tey:

»Meine Brüder mögen ruhig liegen bleiben. Winnetou wird auf Kundschaft gehen.«

Er verschwand im Dunkel der Nacht. Die Zurückbleibenden wollten nicht schlafen, bevor sie das Ergebnis seines waghalsigen Ganges vernommen hatten; aber sie mußten lange warten, denn Mitternacht war nahe, als er zurückkehrte. Er meldete allen vernehmlich und in seiner einfachen Weise:

»Hong-peh-te-keh, der schwere Mokassin, lagert mit seinen Leuten am ›Teufelswasser‹. Er hat den Bärentöter mit dessen fünf Gefährten bei sich und auch unsere Brüder gefangen, welche uns heut in der Nacht verlassen haben. Old Shatterhand wird in der Nähe sein. Meine Brüder mögen schlafen. Winnetou wird mit Tokvi-tey sich, wenn der Morgen anbricht, noch einmal nach dem ›Wasser des Teufels‹ schleichen. Howgh!«

Er legte sich nieder. Seine Nachricht war eine aufregende, doch ließ keiner sich das merken. Die Schoschonen nahmen an, daß der nächste Morgen die blutige Entscheidung bringen werde. Wer von ihnen würde am Abend noch leben? Sie fragten sich das nicht. Sie waren tapfere Krieger und – schliefen ruhig ein. Natürlich aber waren Wachen ausgestellt worden.

Noch graute der Morgen kaum, so weckte Winnetou den Häuptling der Schoschonen und schritt mit ihm am Flusse hinab. Sie waren gewohnheitsmäßig so vorsichtig, jede mögliche Deckung zu benutzen, doch wußte Winnetou, daß dies nicht eigentlich nötig sei. Die Sioux verließen jedenfalls ihren Lagerort nicht eher, als bis der Tag vollständig angebrochen war.

Vom »Maule der Hölle« bis zum »Wasser des Teufels« war es vielleicht eine englische Meile. Als die beiden so nahe an den letzteren Ort gelangt waren, daß nun die größte Vorsicht geboten war, hatte der Morgen sich bereits so gelichtet, daß man alles genau und deutlich erblicken konnte.

Der Fluß machte unweit des Lagers der Feinde eine Krümmung. Dort hinter der Felsenecke stehend, konnten die beiden Häuptlinge die Sioux beobachten. Diese letzteren holten eben ihre Pferde herbei, welche, wie früher erwähnt, unterhalb des Lagers getränkt worden waren, und nahmen dann ihr Mahl ein.

Winnetou richtete seinen Blick nach der Höhe des rechten Flußufers, von woher Old Shatterhand kommen mußte, wenn er sich nicht vielleicht schon diesseits befand.

»Uff !« sagte er leise. »Old Shatterhand ist da.«

»Wo?« fragte Tokvi-tey.

»Da droben auf dem Berge.«

»Da kann man ihn ja doch nicht sehen. Dort steht ja dichter Wald.«

»Ja, aber sieht mein Bruder denn nicht die Krähen, welche über den Bäumen schweben? Sie sind aufgestört worden. Und von wem? Nur allein von Old Shatterhand. Er wird im Walde abwärts reiten und unterhalb der Sioux, wo sie ihn nicht sehen können, über den Fluß gehen. Dann greift er sie an und treibt sie am Wasser aufwärts. Zu derselben Zeit müssen wir am »Maule der Hölle« stehen, damit sie nicht weiter können und in das Thal des Häuptlingsgrabes getrieben werden. Mein Bruder mag schnell kommen, denn wir haben nicht viel Zeit übrig.«

Die beiden kehrten eilig zurück. Winnetou hatte im allgemeinen ganz richtig vermutet, wenn er auch das Einzelne nicht wissen konnte.

Als sie bei den Ihrigen angekommen waren, erhielten diese von dem Apachen die nötigen Weisungen und machten sich kampfbereit. Der Feind sollte zwischen zwei Feuer genommen werden.

jetzt ertönte von unten herauf ein fürchterliches Krachen.

»Das ›Teufelswasser‹ erhebt seine Stimme,« erklärte Winnetou. »Nun wird auch bald der ›Mund der Hölle‹ speien. Reitet ein Stück zurück, daß es euch nicht trifft!«

Er wußte von früher, daß die beiden Krater in Verbindung miteinander standen, und wich eine genügende Strecke zurück. Er hörte bald, daß die Eruption des ›Teufelswassers‹ aufgehört hatte, und infolgedessen vernahm er das Kriegsgeschrei der dreißig Schoschonen und Upsarocas, welche sich in diesem Augenblicke auf die Sioux warfen.

Was er vorausgesagt hatte, trat jetzt ein, das »Höllenmaul« begann zu speien, gerade wie gestern gegen Abend, als er angekommen war. Unter Donnern und Zischen stieg die Wassersäule empor, und ihre oben auseinander gehenden Strahlen flossen in weitem Umkreise nieder. Dadurch entstand für Winnetou und die Seinen eine prächtige Deckung, denn die herbeistürmenden Sioux konnten nun die hinter der Riesenfontäne haltenden Schoschonen nicht sehen. Winnetou trieb sein Pferd möglichst weit zur Seite, um stromabwärts blicken zu können. Er sah die Feinde kommen, flüchtig, einer ohne Ordnung hinter oder neben dem andern, von einem geradezu panischen Entsetzen gejagt.

»Sie kommen!« rief er. »Wenn ich das Zeichen gebe, brechen wir hinter dem speienden Maule hervor und lassen sie nicht zwischen demselben und dem Flusse aufwärts. Sie müssen links hinein in das Thal des Grabes. Aber schießt nicht. Der Schreck allein treibt sie hinein!«

jetzt waren die vordersten Sioux ganz in der Nähe. Sie wollten wirklich flußaufwärts weiter. Da aber brach Winnetou hinter der Fontäne hervor. Sein, »Jiiiiiüi!« gellte schrill durch die Morgenluft, und die Schoschonen stimmten ein. Die Sioux sahen sich den Weg verlegt und warfen ihre Pferde eine Viertelwendung herum. Sie suchten ihre Rettung in dem Felsenkessel.

Hinter diesen ersten, vordersten Feinden zeigte sich eine dicht zusammengedrängte Gruppe von mehreren Reitern, über welche der Apache nicht sofort klug werden konnte. Es war ein aus Sioux und Weißen bestehender, in fliegendem Galopp daherfegender Knäuel. Den Kein desselben bildete der Häuptling der Ogallalla, Baumann, der Bärentöter und Hobble-Frank, der gelehrte Sachse.

Die auf die Pferde gefesselten Gefangenen hatten sich, wie bereits erwähnt, ihren Befreiern entgegengewendet. Da ertönte ein mehrstimmiger Schrei. Martin Baumann, Wohkadeh und der Neger Bob, welcher die beiden ersteren losgeschnitten hatte, hatten ihn ausgestoßen, als sie sahen, daß der Häuptling der Sioux Baumann mit sich fortriß. Frank hörte den Schrei und sah sich um. Sein Blick fiel auf den Sioux, und er erkannte, in welcher Gefahr sich sein lieber Herr befand. Er warf, trotz seiner Fesseln, nur mit Hilfe des Schenkeldruckes augenblicklich sein Pferd herum und hielt es vor dem Neger an.

»Schneide mich los, Bob! Schnell, schnell!« rief er.

Bob gehorchte diesem Befehle. Frank warf sich vom Pferde, riß einem der beiden von Old Shatterhand erschossenen Sioux den Tomahawk aus dem Gürtel, schwang sich blitzschnell wieder in den Sattel und jagte davon, dem feindlichen Häuptlinge nach.

Bob hatte kein Pferd. Martin und Wohkadeh hätten keine Hilfe bringen können, da ihre Glieder zu sehr von den Fesseln verletzt waren. Sie konnten nur schreien. Dadurch machten sie Jemmy aufmerksam. Er blickte hinter sich und rief entsetzt seinem langen Freunde zu:

»Davy, zurück! Der Sioux entführt uns Baumann!«

Da stand Bob auch schon vor ihnen und zerschnitt ihre Fesseln. Jemmy entriß ihm das Messer und galoppierte dem Sachsen nach, Davy ohne Waffen hinter ihm her.

Jetzt brausten die Schoschonen und Upsaroca heran und vorüber, den Freunden und Feinden nach, und zu gleicher Zeit gelangte Old Shatterhand, Bobs zurückgelassenes Pferd neben sich am Zügel führend, an das diesseitige Ufer. Niemand hatte in der Verwirrung auf ihn geachtet, ihm aber war nichts entgangen.

»Hier dein Pferd und Gewehr, braver Bob,« rief er, ihm Zügel und Büchse zuwerfend. »Befreie die noch Gefesselten; dann kommt ihr uns gemächlich nach.«

Sein vorhin abgeschossenes Gewehr während des Reitens ladend, stürmte er weiter. Er hatte bisher dazu keine Zeit gehabt, denn sofort nach den beiden Schüssen, als er überzeugt war, daß seine Kugeln getroffen hatten, war es sein Bestreben gewesen, schleunigst an das linke Ufer des Flusses zu kommen.

Nun bot die zwischen dem »Maule der Hölle« und dem »Wasser des Teufels« liegende Strecke dieses Ufers ein mehr als kriegerisches Bild. Sioux Ogallalla, Upsarocas, Schoschonen und Weiße schrieen aus Leibeskräften. Von den Fliehenden nahm keiner auf den andern Bedacht; jeder wollte nur sich selbst retten. Die Freunde jagten an den Feinden vorüber, ohne diese zu belästigen, denn der einzige Gedanke der ersteren war, Baumann zu befreien.

Old Shatterhand stand hoch in den Bügeln, den Stutzen übergeworfen und die Doppelbüchse in der Hand. Er war der hinterste; aber sein Pferd berührte mit dem Leibe fast die Erde, und so erreichte er die Upsarocas und fünfzehn Schoschonen.

»Langsamer!« rief er ihnen zu, indem er an ihnen vorüberflog. »Habt nur acht, die Sioux zu treiben. Da oben hält Winnetou und läßt sie nicht vorüber. Es darf keiner entkommen. Aber tötet sie nicht!«

So ging es weiter, an Freunden und Feinden vorüber. Die Hufe seines Pferdes »verschlangen« den Weg. Es galt, den bereits erwähnten Knäuel zu erreichen, bevor da ein Unglück geschah.

Das Pferd des kleinen Sachsen war kein edler Renner; aber Frank brüllte so entsetzlich und bearbeitete es mit dem Stiele seines Tomahawk in der Weise, daß es dahinraste, als ob es Flügel habe. Lange konnte es das freilich nicht aushalten; das war vorauszusehen.

Es gelang ihm, den Häuptling der Sioux-0gallalla einzuholen. Er trieb sein Pferd an die Seite desselben, holte mit dem Tomahawk zum Schlage aus und rief:

»Schonka, ta ha na, deh peh – Hund, komm her! Mit dir ist's aus!«

»Tschi-ga schi tscha lehg-tscha!« antwortete der Häuptling hohnlachend – »armseliger Zwerg! Schlag einmal zu!«

Er wendete sich zu Frank herüber und parierte dessen Hieb mit der bloßen Faust in der Weise, daß er mit derselben von unten herauf gegen die Faust des Sachsen schlug, Wodurch die Waffe aus Franks Hand geprellt wurde. Dann riß er das Messer aus dem Gürtel, um den einstigen »Forschtbeamten« vom Pferde zu stechen.

»Frank, nehmen Sie sich in acht!« rief Jemmy, welcher hinter ihnen sein Pferd antrieb, um heranzukommen.

»Haben Sie nur keene Angst!« schrie der Kleine zurück. »Mich murkst so leicht kee Roter ab.«

Er hielt sein Pferd um einen Schritt zurück, so daß er nicht getroffen wurde, und schnellte sich dann mit einem kühnen Schwunge aus dem Sattel und hinüber auf das Pferd des Ogallalla, den er sofort umschlang, um ihm die Arme an den Leib zu drücken.

Der Häuptling brüllte laut auf vor Wut. Er suchte seine Arme zu befreien, aber es gelang ihm nicht, denn Frank hielt aus Leibeskräften fest.

»So ist's recht!« rief Jemmy. »Laß nicht los! Ich komme schon.«

»Da schputen Sie sich een bißchen! So eenen Kerl zu zerquetschen, das is keene Kleenigkeet!«

Das war natürlich alles blitzschnell geschehen, viel schneller, als man es zu erzählen vermag. Der Ogallalla hielt in der Rechten sein Messer und in der Linken den Zügel von Baumanns Pferd. Er bäumte sich im Sattel empor; er wand sich nach rechts und links – vergeblich! Er vermochte nicht, sich aus Franks Umschlingung zu befreien.

Baumann war gefesselt; er konnte nichts zu seiner Befreiung thun; aber er ermunterte Frank, fest zu halten. Dieser antwortete, obgleich er vor Anstrengung keuchte:

»Schon gut! Ich umschlängle ihn wie eene Boabab conschtrictor und laß nich eher locker, als bis die Lunge platzt.«

Der Ogallalla hatte jetzt sein Pferd nicht mehr in der Gewalt; es lief langsamer. Dadurch gelang es Jemmy, es einzuholen. Auch Davy gelangte nahe heran. Der Dicke trieb sein Pferd neben dasjenige Baumanns und durchschnitt mit Bobs Messer die Fesseln des letzteren.

»Hallo, gewonnen!« rief er ihm zu. »Reißen Sie dem Roten die Zügel aus der Hand!«

Baumann versuchte es, hatte aber nicht die Kraft dazu. Jemmy wollte ihm das Messer geben, konnte aber nicht, denn einige vor ihnen herfliehende Sioux hatten bemerkt, in welcher Lage sich ihr Häuptling befand. Zwei von ihnen fielen den Dicken wütend an, und der dritte machte Miene, sich auf Frank zu werfen, welcher seine Arme nicht zur Verteidigung frei hatte. Da gab Davy seinem Pferde einen Fausthieb zwischen die Ohren, daß es in einigen Lançaden vorwärts schoß und er sich nun neben diesem Indianer befand. Er packte denselben am Kragen des Jagdwamses, riß ihn aus dem Sattel und schleuderte ihn auf die Erde.

»Hurra! Halleluja!« rief der Hobble-Frank. »Das war Rettung im letzten Teele des Oogenblickes! Aberscht nun nehmen Sie rasch ooch da den Häuptling bei der Parabel, denn ich kann es nich alleene mehr dermachen!«

»Gleich!« antwortete der Lange.

Er streckte beide Arme nach dem Roten aus, um auch ihn aus dem Sattel zu ziehen; da aber that es vor ihnen einen so fürchterlichen Knall, daß die Pferde erschrocken zurück- und aneinanderprallten. Davy hatte Mühe, sich im Sattel zu erhalten. Jemmy, welcher alle Kräfte aufbieten mußte, die beiden Roten von sich abzuwehren, wurde vom Pferde geschleudert, und Baumann, dem Bärentöter, erging es ebenso.

Die wirre Reitergruppe war jetzt vor dem ›Maule der Hölle‹ angelangt; die Wasserfontaine hatte sich gesenkt und die Schlammsäule war unter der Detonation, vor welcher die Pferde scheuten, emporgestiegen. Teile der heißen, schmutzigen Masse wurden weit umhergeschleudert.

Das Pferd des Häuptlings war vor Schreck in die Häksen gesunken, raffte sich aber wieder auf und jagte, sich nach links wendend, auf den Fluß zu, gerade als Old Shatterhand die sich am Boden wälzende Gruppe erreichte.

Dieser letztere hatte zwar die Absicht, dem braven Frank zu helfen, mußte aber davon abstehen, da er sah, daß die beiden Wilden sich von ihren Pferden herab- und auf Jemmy geworfen hatten, um ihn zu töten. Der lange Davy hatte zu viel mit seinem scheu gewordenen Pferde zu thun, als daß er seinem dicken Freunde hätte beistehen können, und so sah Old Shatterhand sich gezwungen, denselben aus der Todesgefahr zu befreien. Er hielt sein Tier an, sprang ab und betäubte die beiden Ogallalla mit zwei Schlägen seines Gewehrkolbens.

Winnetou hielt mit seinen Schoschonen noch immer die zwischen dem »Maule der Hölle« und dem Flusse liegende Strecke besetzt. Er hatte die Aufgabe, die Sioux Ogallalla hier nicht vorüber zu lassen, sondern sie in den Thalkessel des Häuptlingsgrabes zu treiben. Das war ihm gelungen. Die flüchtigen Roten hatten, als sie seine Schar erblickten, sich nach dem Thale gewendet. Der Verlauf des Erzählten war ein so ungemein schneller gewesen, daß der Apache gar nicht Zeit gefunden hatte, selbsthandelnd mit einzugreifen. Und jetzt nun wurde er durch die umhergeschleuderten Schlammmassen absolut verhindert, vorzudringen. Es gab nur einen einzigen, dessen er sich anzunehmen vermochte, den Hobble-Frank. Er sah, daß derselbe, noch immer fest hinter dem Häuptlinge sitzend und diesen mit beiden Armen umklammernd, von dem erschreckten Pferde dem Flusse entgegengetragen wurde, und zwar so rasenden Laufes, daß es für einen rettenden Helfer wohl kaum möglich war, vor der Katastrophe am Ufer anzukommen. Dennoch trieb der Apache sein Tier in dieser Richtung vorwärts, und mehrere Schoschonen folgten ihm.

Der Häuptling der Sioux erkannte, daß die Gefahr, in welche er durch die Umschlingung des kleinen Sachsen gebracht worden war, jetzt ihren höchsten Grad erreicht hatte. Wut und Angst verdoppelten seine Kräfte. Er zog seine Arme unter denen Franks hoch empor, ein gewaltiger Ellenbogenstoß nach beiden Seiten, und der Sachse mußte ihn freigeben.

»Stirb!« brüllte der Rote und holte mit dem Messer aus, um, von vom nach hinten stoßend, dem wackern Kleinen die Klinge in den Leib zu bohren.

Dieser aber bog sich schnell so weit zur Seite, daß der Stoß fehlging. Frank hatte keine Waffe mehr. Er dachte an den Fausthieb Old Shatterhands. Mit der linken Hand den Feind an der Kehle packend, holte er mit der geballten Rechten aus und traf mit ihr die Schläfe des Ogallalla mit solcher Gewalt, daß er selbst das Gefühl hatte, als ob seine eigene Faust zerschmettert sei. Der Getroffene sank mit dem Körper nach vorn.

Aber da war auch schon der Fluß erreicht. Das Pferd schoß in einem hohen, weiten Bogen vom Ufer ab in die Flut hinein, und beide Reiter wurden über den Kopf des Tieres hinausgeschleudert.

Das Pferd fühlte sich frei. Es that einige Ruderschläge, wendete sich dann langsam um und kehrte an das Ufer zurück.

jetzt kam Winnetou dort an. Er sprang ab und legte seine Büchse an, um schußfertig zu sein, falls zwischen den beiden Abgeschleuderten ein Kampf im Wasser beginnen sollte. In diesem Falle wollte er den Ogallalla durch eine Kugel unschädlich machen.

Zunächst war von beiden nichts zu sehen. Nur Franks Amazonenhut trieb in der Nähe des Ufers. Ein Schoschone holte ihn mit Hilfe der Lanze heraus. Dann kam ein Stück weiter unten, aber ziemlich entfernt vom Ufer, der mit Federn geschmückte Schopf des Indianers zum Vorscheine. Dann tauchte in einiger Entfernung davon Frank auf. Er sah sich um, erblickte den Kopf des Wilden und schwamm in schnellen Stößen auf denselben zu. Der Rote war nicht leblos, sondern wohl nur halb betäubt. Er wollte fliehen; aber der kleine Sachse stieß wie ein raubgieriger Hecht schnell auf ihn zu, schnellte sich ihm auf den Rücken, ergriff ihn mit der Linken bei den Haaren und begann, ihm mit der rechten Faust die Seite der Stirn zu hämmern. Der Ogallalla verschwand und Frank mit ihm. Ein Strudel bildete sich über ihnen; Blasen stiegen auf, ein Arm des Sioux ließ sich sehen, um sofort wieder zu verschwinden; dann wurden die beiden Beine des »Forschtbeamten« und die Schöße seines Frackes für einen Augenblick sichtbar – es fand ein jedenfalls entsetzliches Ringen unter dem Wasser statt. Es war für Winnetou unmöglich, in dasselbe einzugreifen. Old Shatterhand, Jemmy, Davy und Baumann erschienen am Ufer. Der erstere warf schnell Waffen und Oberkleider ab, um in das Wasser zu springen. Da aber tauchte der Hobble-Frank empor, sah sich hustend und pustend nach allen Seiten um und rief:

»Ist er noch unten?«

Er meinte natürlich den Ogallalla; er fuhr, ohne eine Antwort vom Ufer her abzuwarten, wieder in die Tiefe nieder. Als er nach wenigen Augenblicken wieder an der Oberfläche erschien, hielt er mit der Linken den besiegten Feind bei den Haaren gefaßt und kam langsam nach dem Ufer geschwommen.

Er wurde mit lautem Jubel empfangen, schrie aber noch lauter als die andern:

»Seien Sie nur schtille! Mir ist der Hut schpurlos in die Wicken gegangen. Gibt's vielleicht unter den geehrten Anwesenden eenen, der ihn hat schwimmen sehen?«

»Nein,« wurde ihm geantwortet.

»Das ist schtark! Soll ich etwa wegen dem Ogallalla hier meinen Schtraußfederschapoh einbüßen? Das ist doch die Geschichte gar nich wert! Och, dort sehe ich ihn merschtenteels! Der Schoschone hat ihn off dem Koppe. Dem werde ich gleich als Gerichtsvollzieher off die Treppe schteigen!«

Er eilte zu dem Indianer, um sich den Schmuck seines Hauptes geben zu lassen. Nachher erst war er bereit, von den Kameraden die Ausdrücke ihrer Anerkennung entgegen zu nehmen.

Er hatte den feindlichen Anführer besiegt und glaubte, sich als Hauptheld des heutigen Tages fühlen zu dürfen.

»Anschtrengung hat's gekostet,« sagte er. »Aber das ist unsereenem ganz egal. Fendi, findi, fundi, so hat Cäsar zu Suleiman Pascha gesagt, und bei mir geschieht so was mit ganz derselbigen Leichtigkeet.«

»Veni vidi, vici heißt es,« fiel Jemmy ein. »Zu Deutsch: ich kam, ich sah, ich siegte.«

»Schweigen Sie ergebenst, Herr Jakob Pfefferkorn! Schteigen Sie mal dem Roten hinten off; schpringen Sie mit ihm vom Pferd ins Wasser, und schprengen Sie ihm mal da unten den Faden des Daseins entzwee, nachhero habe ich nichts dagegen, wenn Sie ihre apothekerlateinischen Sprachmücken schpielen lassen. Eher aber nich! Was geht mich denn Ihr kam und sah und siegte an! Bei mir hat's ja geheeßen ›ich schprang, ich schwamm, ich tauchte ihn unter‹, und das ist eben, in das echte Latein des Puma Nompilius übersetzt, mein ganz richtiges Fendi, findi, fundi

Jemmy lachte laut. Er hatte Lust, eine Entgegnung hören zu lassen; aber Old Shatterhand kam ihm im ernsten Tone zuvor:

»Bitte, keine solchen Streitigkeiten! Unser braver Frank hat heut bewiesen, daß er ein tüchtiger, ja ein verwegener Westmann ist. Er hat den Häuptling besiegt. Was das bedeutet, werden Sie erst später einsehen. Ihm allein werden wir es zu verdanken haben, wenn es uns nun gelingt, Blutvergießen zu vermeiden, hier, lieber Frank, haben Sie meine Hand. Sie sind ein prächtiger Kerl!«

Der Sachse ergriff die Hand des berühmten Jägers und antwortete, indem eine Freudenthräne in sein Auge trat:

»Dies Wort aus Ihrem Munde freut mich königlich. Alexander Hauboldt sagt so schön in seinem Kosmos: »Dem Helden flicht die Nachwelt Malvenkränze, und die Aurikeln blühn oft nur im Lenze.« Wenn die schpätere Generation mal hier eenen cararischen Marmorsteen errichtet, da wird bei den Namen der anderen Schtreiter ooch der meinige mit eingemeißelt sein, und mein Geist steigt dann in schtillen Nächten nieder und freut sich, daß er nich ganz umsonst gelebt hat und in das Wasser des Feuerlochflusses geschprungen ist. Friede meiner Asche!«

Es wäre kein Wunder gewesen, wenn diejenigen der Anwesenden, welche deutsch verstanden, ihm mit einem heiteren Lachen geantwortet hätten; aber dies geschah nicht. Er war einmal ein eigenartiges Kerlchen und wirklich seelensgut. Die Rührung, welche er fühlte, teilte sich den andern mit; sie blieben ernst, und Winnetou gab ihm auch die Hand und sagte:

»Ni'nte ken ni scho – du bist ein tüchtiger Mann!«

Dann gab der Apache Old Shatterhand durch eine seiner sprechenden Handbewegungen das Zeichen, daß er ihm hier das weitere überlasse, stieg auf sein Pferd und ritt mit seinen Schoschonen am jetzt wieder ruhigen »Maul der Hölle« vorüber nach dem Eingange des Thalkessels, in dessen Hintergrunde sich die entkommenen Sioux gesammelt hatten.

Er traf da, den Eingang bewachend, den Medizinmann der Upsarocas und Moh-aw, den Sohn des Häuptlinges der Schoschonen mit ihren Kriegern. Als der riesige Medizinmann hörte, daß sein Todfeind, der »schwere Mocassin«, besiegt am Flusse liege, jagte er schleunigst nach der betreffenden Stelle hin. Er kam gerade recht, zu sehen, daß derselbe unter Old Shatterhands Bemühung wieder zur Besinnung gelangte und sorgfältig gefesselt wurde. Er sprang vom Pferde, riß sein Messer aus dem Gürtel und rief:

»Das ist der Hund der Sioux Ogallalla, welcher mir das Ohr genommen hat. Er soll mir dafür bei lebendigem Leibe seinen Skalp geben!«

Er wollte auf ihn niederknieen, um ihm die Kopfhaut zu nehmen, wurde aber von Old Shatterhand daran verhindert. Dieser sagte:

»Der Gefangene ist das Eigentum unseres weißen Bruders Hobble-Frank. Kein anderer darf sich an ihm vergreifen.«

Es entstand ein Wortwechsel, welchen Old Shatterhand in seiner bekannten Energie siegreich beendete. Der Upsaroca zog sich, wenn auch murrend, zurück.

jetzt nun folgte eine Szene, welche jeder Beschreibung spottet. Baumann, der Bärentöter, zu dessen Befreiung der Zug unternommen worden war, hatte den Hobble-Frank an sein Herz gezogen. Beide weinten heiße Freudenthränen.

»Dir, du treuer Mensch, habe ich gewiß zum größten Teile meine Rettung zu verdanken,« sagte der Bärentöter. »Wie aber ist es dir möglich gewesen, eine so große Schar meiner Befreier zusammenzubringen?«

Frank wies alles Verdienst von sich ab, machte ihn darauf aufmerksam, daß man jetzt keine Zeit zu langen Erzählungen und Erklärungen habe, und schloß daran, indem er flußabwärts deutete, den Fingerzeig:

»Dort kommen andere, welche viel mehr Dank verdienen als ich. Ich habe weiter nichts als meine Pflicht gethan.«

Baumann sah seine fünf Gefährten, welche mit ihm von den Sioux gefangen genommen worden waren, kommen. Vor ihnen ritten Martin, sein Sohn, Wohkadeh und Bob. Er eilte ihnen entgegen. Als der Neger seinen Herrn erblickte, sprang er vom Pferde, lief auf ihn zu, sank vor ihm auf die Knie; ergriff seine Hände und rief weinend:

»O Massa, mein lieb, gut Massa Baumann! Endlich, endlich haben Masser Bob wieder sein von Herzen geliebten Massa! Nun Masser Bob gleich gern sterben vor Wonne. Nun Masser Bob singen und springen vor Freude und platzen und zerspringen vor Entzücken! 0, Masser Bob sein froh, sein glücklich, sein selig!«

Baumann hob ihn auf und wollte ihn in die Arme ziehen. Bob aber wehrte sich dagegen und erklärte:

»Nein, Massa, nicht umarmen Masser Bob, denn Bob haben getötet schlimm Stinktier und sein noch immer nicht ganz gut von Geruch.«

»Ach was, Stinktier! Du bist zu meiner Rettung ausgezogen, und ich muß Dich umarmen!«

Nun erst ließ der entzückte Neger sich diesen Dank seines Herrn gefallen. Dann aber sanken Vater und Sohn sich in die Arme.

Die Anwesenden wendeten sich diskret ab. Die Wonne, welche diese beiden in diesem Augenblicke empfanden, war ihnen heilig.

»Mein Kind, mein Sohn!« rief Baumann immer wieder. »Wir besitzen uns von neuem, und nichts soll uns wieder trennen. Was habe ich ausgestanden! Und was hast auch du seit gestern erduldet! Schau, wie deine Arme von den Fesseln zerschnitten sind t«

»Die deinigen noch mehr, noch viel mehr! Doch das wird wieder heilen, und du soffst bald wieder gesund und kräftig sein. jetzt mußt du vor allem denen Dank sagen, welche ihr Leben wagten, dich zu retten. Mit Wohkadeh, meinem Freunde, hast du bereits seit gestern sprechen können, mit Jemmy und Davy ebenso. Hier aber ist Old Shatterhand, der Meister unter ihnen allen. Er und Winnetou sind es, denen das Gelingen unseres Unternehmens zu verdanken ist. Unser ganzes Leben würde nicht reichen, das quitt zu machen, was wir ihnen schuldig sind.«

»Ich weiß es, mein Sohn, und es betrübt mich, daß ich jetzt nichts anderes vermag, als nur einfach Dank zu sagen.«

Er streckte Old Shatterhand beide Hände entgegen, wobei ihm noch immer die Thränen über die gebräunten, eingefallenen Wangen perlten. Old Shatterhand drückte ihm leise die von den Fesseln verwundeten Hände, zeigte dann zum Himmel empor und sagte im herzlichsten Tone:

»Danken Sie nicht den Menschen, lieber Freund, sondern danken Sie unserem Herrgott da oben, welcher Ihnen die Kraft gegeben hat, den unbeschreiblichen Jammer zu überstehen. Er ist es ja, der uns geleitet und beschützt hat, so daß wir gerade noch zur rechten Zeit hier eingetroffen sind. Uns haben Sie nicht Dank zu sagen. Wir sind nur seine Werkzeuge gewesen; zu ihm aber wollen wir alle unser Gebet emporsenden, wie es in unserem schönen, deutschen Kirchenliede heißt:

Ich rief den Herrn in meiner Not:

›Ach Gott, vernimm mein Schreien!‹ Da half mein Helfer mir vom Tod Und ließ mir Trost gedeihen. Drum dank', ach Gott, drum dankich dir! Ach, danket, danket Gott mit mir; Gebt unserm Gott die Ehre!«

Er hatte seinen Hut abgenommen und die Worte langsam, laut und innig wie ein Gebet gesprochen. Auch die andern hatten ihre Häupter entblößt, und als er geendet hatte, erklang aus jedem Munde ein frommes, kräftiges »Amen!«

Der am Boden liegende, gefesselte Häuptling der Sioux hatte diesen Vorgang mit staunendem Blick beobachtet. Er wußte nicht, wie er sich denselben deuten sollte. Zu seinem Vorteile jedenfalls nicht – so dachte er – denn nach seiner Ansicht war er nun unwiderruflich einem qualvollen Martertode verfallen.

Er wurde vom Boden aufgehoben, um dahin getragen zu werden, wohin sich nun alle begaben, nach dem Eingange zum Thale des Häuptlingsgrabes, wo Winnetou mit den Schoschonen und Upsarocas ihrer wartete. Dort wurde er niedergelegt.

Old Shatterhand ritt mit dem Apachen eine kleine Strecke in den Thalkessel hinein, um die Feinde und die Anordnungen, welche diese getroffen hatten, zu überblicken. Man sah, daß sie einige wenige Worte miteinander wechselten. Beide verstanden sich ja so gut, daß es langer Auseinandersetzungen zwischen ihnen gar nicht bedurfte. Dann kehrten sie zurück.

Tokvi-tey trat auf sie zu und fragte: »Was gedenken meine Brüder nun zu thun?«

»Wir wissen,« antwortete Old Shatterhand, »daß unsere roten Brüder ebensogut eine Stimme haben wie wir. Darum werden wir die Pfeife der Beratung rauchen. Vorher aber will ich mit Hong-peh-te-keh, dem Häuptling der Sioux OgalIalla sprechen.«

Er stieg wieder vom Pferde, ebenso Winnetou. Es wurde ein Kreis um den Gefangenen gebildet. Old Shatterhand trat zu dem letzteren und sagte:

»Der ›schwere Moccassin‹ ist in die Hände seiner Feinde geraten, und auch die Seinigen sind verloren, denn sie sind von den Felsen und von uns eingeschlossen. Sie vermögen nicht zu fliehen und werden von unseren Kugeln sterben, wenn der Häuptling der Ogallalla nicht etwas thut, um sie zu retten.«

Er hielt inne, um zu sehen, ob der »schwere Moccassin« ein Wort sagen werde, da dieser aber sich geschlossenen Auges und still verhielt, so fuhr er fort:

»Mein roter Bruder mag mir sagen, ob er meine Worte verstanden hat!«

Der Rote öffnete die Augen, warf ihm einen haßerfüllten Blick zu und spuckte aus. Das war seine Antwort.

»Glaubt der Häuptling der Ogallalla ein räudiges Tier vor sich zu haben, daß er auszuspucken wagt?«

»Wakon kana – alte Frau!« knirschte der Gefragte.

Das war eine große Beleidigung für Old Shatterhand und sämtliche Anwesende. Vielleicht hatte der Ogallalla die Absicht, den Zorn seiner Feinde so zu reizen, daß er von ihnen in vorschnellem Grimme getötet wurde und so dem langsamen Martertode entging. Aber Old Shatterhand antwortete ruhig lächelnd:

»Der ›schwere Moccassin‹ ist blind geworden. Er kann einen starken Krieger nicht von einem altersschwachen Weibe unterscheiden. Darum habe ich Mitleid mit ihm.«

»Kot-o pun-krai schonka – tausend Hunde!« zischte der Gefangene.

Es gibt fast keine größere Beleidigung für einen tapfern roten Krieger, als wenn ihm jemand versichert, daß er Mitleid mit ihm habe. Darum war der Indianer so ergrimmt über Old Shatterhands letzte Worte, daß er ihm als gleichwertige Beleidigung eine tausendfache Hündischkeit in das Angesicht schleuderte.

Einige der umstehenden Roten ließen ein zorniges Murren hören. Old Shatterhand warf ihnen einen strengen Blick zu und bückte sich dann nieder, um zu aller Erstaunen und ganz besonders zur höchsten Verwunderung des Gefangenen dessen Fesseln zu lösen.

»Der Häuptling der Ogallalla soll erkennen,« sagte er, »daß weder ein altes Weib noch ein Hund, sondern ein Mann zu ihm redet. Er mag sich vom Boden erheben!«

Der Indianer stand auf. So sehr er gewöhnt war, seine Züge zu beherrschen, er konnte doch die Verlegenheit nicht verbergen, in welcher er sich befand. Anstatt auf seine beleidigenden Worte mit Fußtritten und Faustschlägen zu antworten, machte man ihn von den Fesseln frei! Das konnte er nicht begreifen. Er war sehr geneigt, Old Shatterhand für wahnsinnig zu halten.

»Öffnet den Kreis!« befahl dieser den umstehenden Kriegern.

Diese traten näher zusammen, so daß der Sioux in das Innere des Thalkessels blicken konnte. Er sah die Seinen hinter dem Häuptlingsgrabe halten. An ihren Bewegungen war zu erkennen, daß sie sich lebhaft berieten. Sein Auge leuchtete auf. Er war nicht mehr gefesselt und besaß einen hohen Ruhm als unübertrefflicher Läufer. Konnte er nicht davonspringen? Im günstigen Falle erreichte er seine Sioux; im ungünstigsten wurde er erschossen, und das war doch immer besser als der Martertod.

Old Shatterhand hatte dieses Aufleuchten des Blickes gar wohl bemerkt. Er sagte:

»Der ›schwere Moccassin‹ gedenkt, uns zu entfliehen. Er mag das unterlassen. Sein Name sagt uns, daß er eine große Fährte mache, unsere Füße aber sind leicht wie die Schwingen der Schwalbe, und unsere Kugeln verfehlen niemals ihr Ziel. Er mag mich anschauen und mir sagen, ob er mich kennt!«

»Hong-peh-te-keh blickt keinen lahmen Wolf an!« knurrte der Wilde.

»Ist Old Shatterhand ein lahmes Tier? Steht dort nicht Winnetou, der Häuptling der Apachen, dessen Name berühmter ist als irgend einer der Sioux Ogallalla und aller anderen Siouxvölker?«

»Uff !« entfuhr es dem Gefangenen.

Diese beiden Männer vor sich zu haben, hatte er nicht erwartet. Während sein Blick von dem einen zum anderen flog, zeigte sich ein nicht zu unterdrückender Ausdruck der Ehrfurcht in seinem Gesichte. Old Shatterhand fuhr fort, die, welche er nannte, mit der ausgestreckten Hand bezeichnend:

»Und noch mehrere ebenso tapfere Krieger stehen da. Der Häuptling der Ogallalla erblickt da Tokvi-tey, den Anführer der Schoschonen, und Moh-aw, seinen starken Sohn. Neben ihnen steht Kanteh-pehta, der unüberwindliche Medizinmann der Upsaroca. Da drüben erblickst du Davy-honskeh und Jemmy-petahtscheh. Soll ich dir den berühmten Namen jedes einzelnen nennen? Nein. Ich habe keine Lust dazu. Du wirst – – –«

Er hielt in seiner Rede inne, denn in diesem Augenblicke that es ganz in der Nähe einen so plötzlichen Knall, daß die Pferde sich aufbäumten und auch die sonst so furchtlosen Krieger erschraken. Ein lang gezogener, brüllender Ton, wie der meilenweit vernehmbare Schall eines Nebelhornes, erklang durch das Thal, und die Erde begann sich unter den Füßen der erschrockenen Männer zu bewegen. Aus den auf der Thalsohle zerstreuten Schlammlöchern stiegen Dämpfe auf, hier graublau, dort schwefelgelb, blutrot oder rußig dunkel. Diesen Dämpfen folgten festere Massen. Die Stellen, an denen dieselben emporgeschleudert wurden, waren gar nicht zu zählen. Die Luft war förmlich verdunkelt von höllischem Brodem und den umher- und durcheinander fliegenden Schlammgeschossen, welche einen fast erstickenden Geruch verbreiteten.

Es war unmöglich, zwanzig oder dreißig Schritte weit zu sehen. Ein jeder hatte mit sich selbst zu thun, von den heißen, ausgeworfenen Massen nicht getroffen zu werden. Es trat eine unbeschreibliche Verwirrung ein. Die Pferde rissen sich los und galoppierten davon; die Menschen schrieen und fuhren wirr durcheinander. Im Hintergrunde des Thalkessels erscholl das Angstgeheul der Sioux-Ogallalla. Auch ihre Pferde hatten sich frei gemacht und stürmten, von ihrem Instinkte geführt, dem Ausgange des Thales zu. Dabei stürzten viele von ihnen in die Löcher, deren Schlamm sich augenblicklich über ihnen schloß. An den am Ausgange des Thales haltenden Weißen und Roten vorüberjagend oder gar sich zwischen ihnen hindurch Bahn brechend, verdoppelten sie den Wirrwarr, der geradezu unbeschreiblich war.

Old Shatterhand hatte anfänglich seine Kaltblütigkeit bewahrt. Gleich bei dem ersten Knall hatte er den Häuptling der Sioux mit kräftiger Faust ergriffen, um ihn festzuhalten und an der Flucht zu hindern. Aber er hatte dann die Hand wieder von ihm lassen müssen, um vor einem der gefährlichen Fluggeschosse zur Seite zu springen. Dabei war er mit dein dicken Jemmy zusammengerannt. Dieser stürzte, wollte sich an Old Shatterhand festhalten und riß diesen mit nieder.

Und gerade jetzt kamen die Pferde der Sioux herbeigestürmt; da war es geraten, zunächst nur an sich selbst zu denken.

Der schwere Moccassin, der Häuptling der Sioux, hatte sich vor Schreck gar nicht gegen den Griff Old Shatterhands zu wehren versucht; dann aber, als er sich wieder frei fühlte, dachte er an seine Flucht. Einen schrillen, triumphierenden Schrei ausstoßend, schoß er davon, thaleinwärts zu. Aber er kam nicht weit. Er mußte an Bob vorüber. Dieser holte blitzschnell mit dem umgekehrten Gewehre aus und traf ihn mit dem Kolben an den Kopf, wurde aber durch die Gewalt des Hiebes selbst zu Boden gerissen. Er wollte sich schnell aufraffen, wurde aber von einem der scheuen Pferde getreten, so daß er wieder niedersank.

»Häuptling reißen aus! Ihm nach, ihm nach!« brüllte er laut.

Der »schwere Moccassin« taumelte, von Bobs Hieb halb betäubt, einige Augenblicke hin und her, dann eilte er davon, aber nicht ohne verfolgt zu werden.

Martin, der Sohn des Bärenjägers, hatte den Ruf des Negers gehört. Er sah den Häuptling fliehen und sprang demselben nach. Sollte der Peiniger seines Vaters entkommen? Nein! Die Glieder des wackeren Jünglings waren von den Fesseln verletzt; er hatte auch keinerlei Waffe bei sich; dennoch aber flog er, alle seine Kräfte einsetzend, hart hinter dem Flüchtigen her.

Dieser nahm sich gar nicht Zeit, zurückzublicken. Er glaubte sich unverfolgt und verwendete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Weg, welchen er einzuschlagen hatte. Er wollte nach dem Kraale zu. Aber gerade in dieser Richtung lagen die meisten Schlammlöcher; er bog daher rechts ein, der Thalwand zu, um sich derselben entlang leichter und gefahrloser in Sicherheit zu bringen.

Aber er hatte sich geirrt. Auch dort gab es so viele offene dampfende und qualmende Stellen, daß er wiederholt gezwungen war, auszuweichen. Oft hatte er bereits den Fuß zum Sprunge erhoben, da bemerkte er, daß der scheinbar feste Boden eine zähflüssige, unergründlich tiefe Masse sei, deren Umarmung er nur dadurch entgehen konnte, daß er sich augenblicklich zur Seite warf. Bodenrisse öffneten sich so schnell vor ihm, daß er, da es zu spät war, anzuhalten, sich nur in weiten Sätzen, wie man sie nur in der Todesangst zu machen wagt, über sie hinweg retten konnte.

Der Häuptling war im Laufen und Springen noch von keinem überwunden worden, jetzt aber verspürte er die Folgen des Kolbenhiebes. Sein Kopf wurde schwer; vor den Augen brannte es glühend rot; die Lunge versagte ihm den Dienst, und die Beine begannen zu ermatten. Er wollte einen Augenblick ausruhen und bückte sich jetzt zum erstenmal um. Wie durch einen blutigen Nebel erkannte er, daß ein Verfolger sich ganz nahe hinter ihm befand; aber er sah nicht die Gesichtszüge desselben, sah nicht einmal, daß der Betreffende nur fast noch eine Knabe war.

Entsetzt floh der »schwere Moccassin« weiter. Er hatte keine Waffe bei sich und hielt den Verfolger für bewaffnet. Wohin sollte er vor demselben fliehen? Vor sich, hinter sich und zur linken Hand neben sich wußte er geöffnete Schlünde, die ihn zu verschlingen drohten. Zur Rechten hatte er die senkrecht aufsteigende Felsenwand. Seine Kräfte waren fast zu Ende. Er sah sich verloren.

Da erblickte er eine stufenartige Hervorragung des Felsens, schräg über derselben eine zweite, dritte, vierte und noch mehrere. Das waren die Felsen, auf denen Old Shatterhand sich damals zu Pferde emporgerettet hatte. Hier und nur hier allein konnte auch er jetzt Rettung finden. Er strengte seine letzten Kräfte an und schnellte sich von Stufe zu Stufe höher.

Ebenso plötzlich, wie die Schlammlöcher vorhin ihre Thätigkeit begonnen hatten, hörten sie jetzt auf. Die Luft wurde klar; man konnte wieder so deutlich sehen wie vorher.

Da erklang ein lauter Angstschrei durch das Thal. Der Neger Bob war es, der ihn ausstieß.

»Massa Martin! Mein gut Massa Martin! Häuptling ihn töten wollen, Masser Bob aber ihn retten.«

Er deutete nach der bereits beschriebenen Felsenkanzel und stürzte dann eiligen Laufes auf dieselbe zu. Man sah die beiden Genannten auf Tod und Leben miteinander ringen. Der Sioux hatte Martin mit gewaltigen Armen gepackt und versuchte, ihn in die Tiefe zu schleudern. Aber er war ja ermattet und beinahe betäubt; es gelang dem gewandten, mutigen Knaben, sich ihm immer wieder zu entwinden. Bei einer solchen Gelegenheit wich Martin so weit wie möglich zurück, holte aus und rannte mit aller Macht auf den Häuptling ein. Dieser verlor das Gleichgewicht, griff konvulsivisch mit beiden Händen in die Luft, verlor den Boden unter den Füßen und stürzte, ein Angstgebrüll ausstoßend, von dem Felsen herab und in das unten gähnende Schlammloch hinein, dessen grauenvoller Rachen ihn sofort verschlang.

Das hatten alle gesehen, die sich in dem Thalkessel befanden. Im vorderen Teile desselben erscholl lautes Jubelgeschrei, im Hintergrunde dagegen das Geheul der Sioux-Ogallalla, welche hatten zusehen müssen, daß ein Knabe ihren berühmten Häuptling überwand. Das war eine nie auszulöschende Schande für sie.

All dieses Geschrei und Geheul aber wurde von Bobs Stimme durchdrungen. Der Neger schnellte von Stein zu Stein empor, unartikulierte Töne des Jubels und Entzückens ausstoßend, und riß dann, oben angekommen, den Sieger in seine Arme.

»Braver Junge!« meinte Jemmy. »Mir hat das Herz gebebt um ihn. Ihnen nicht auch, Frank?«

»Na, mir erscht recht!« antwortete der Sachse, sich eine Freudenthräne aus dem Auge wischend. »Ich hätte aus purer Herzensangst gleich Sirup schwitzen können. Nun aber ist alles gut. Das verwegene Kerlchen hat gesiegt, und mit den Ogallalla werden wir jetzt keenen Summs mehr machen. Wir zwingen sie, ihre Nacken unter das kulinarische Joch zu beugen.«

»Kulinarisch? Was fällt Ihnen ein? Das ist – – –«

»Schweigen Sie ergebenst!« unterbrach der Kleine ihn in strengem Tone. »In eenem solchen Oogenblicke schtreite ich mich nicht mit Ihnen, sonst könnte es Ihnen sehr leicht ergehen wie dem Tischler mit dem Winkelmaß, den der Wolf mit samt dem ganzen Großherzogtum Polen fraß. Ich sehe es kommen, daß die Sioux sich ergeben müssen. Dann wird hier een allgemeiner Völkerfrieden geschlossen, an dem ooch wir beede teilnehmen müssen. Geben Sie mir Ihre Hand! Seid verschlungen, Millionen! Et in terra Knax!«

Er schüttelte dem über diese neue sprachliche Konfusion lachenden Dicken die Hand und eilte dann davon, um Martin Baumann, welcher mit Bob von dem Felsen herabgestiegen kam, zu beglückwünschen.

Auch die anderen thaten dies mit Ausdrücken freudigster Anerkennung. Dann wendete Old Shatterhand sich laut an die Versammelten:

»Mesch'schurs, versucht jetzt nicht, die Pferde zurückzuholen; sie sind uns sicher genug. Auch den Sioux sind die ihrigen davongegangen. Diese Leute müssen einsehen, daß sie, selbst wenn wir sie nicht hier eingeschlossen hätten, ohne ihre Tiere verloren wären. Sie können sich nur retten, indem sie sich uns ergeben. Dazu kommt der Eindruck der hier thätigen unterirdischen Gewalten, der Tod ihres Anführers und – was ich in aller Bescheidenheit sage – die Anwesenheit von Winnetou und Old Shatterhand nebst so vielen anderen berühmten Jägern und Kriegern. Bleibt hier zurück! Ich werde mich mit Winnetou zu ihnen begeben. In einer halben Stunde wird es entschieden sein, ob Menschenblut vergossen werden soll oder nicht.«

Er schritt mit dem Häuptling der Apachen dem Grabmale zu, hinter welchem sich die Sioux befanden. Das war ein außerordentlich kühner Gang, den nur zwei Männer wagen konnten, welche wußten, daß schon ihr bloßer Name den Feind in Schreck versetzen werde.

Jemmy und Davy sprachen leise miteinander. Sie beschlossen, das Beste zu thun, was sie jetzt überhaupt vornehmen konnten, nämlich die Friedensbestrebungen Old Shatterhands zu unterstützen.

Die verbündeten Indianer waren natürlich wenig geneigt, den Feind zu schonen. Der »Bärenjäger« Baumann hatte mit seinen fünf Gefährten so Schreckliches erduldet, daß diese sechs Männer wohl auch nach Rache verlangten. Old Shatterhand aber war es zuzumuten, daß er sich jeder Grausamkeit nötigenfalls mit den Waffen widersetzen werde. Das konnte zu betrübenden Scenen führen, und dem mußte vorgebeugt werden.

Darum versammelten die beiden Freunde die Anwesenden alle um sich, und Jemmy hielt eine Rede, in welcher er seine Ansicht erklärte, daß Milde und Versöhnung das Vorteilhafteste für beide Lager sei. Es war freilich vorauszusehen, daß im Falle eines Kampfes die Sioux vernichtet würden; aber wie viele Menschenleben mußten dabei geopfert werden! Und dann war es sicher, daß sämtliche Stämme der Sioux die Kriegsbeile ausgraben würden, um sich an den Urhebern dieses ebenso unmenschlichen wie nutzlosen Blutbades zu rächen. Er schloß seine Rede mit den Worten:

»Die Schoschonen und Upsaroca sind tapfere Krieger, und kein anderer Stamm kommt ihnen gleich. Aber die Sioux sind gegen sie wie Sand in der Wüste. Wenn es zum Vergeltungskriege kommt, so werden viele Väter, Mütter, Frauen und Kinder der Schlangen- und Krähenindianer ihre Söhne, Männer und Väter beweinen. Bedenkt, daß ihr selbst euch in unseren Händen befunden habt! Old Shatterhand und Winnetou haben Tokvi-tey und seinen Sohn Moh-aw mitten aus ihrem Lager geholt und auch Oiht-e-keh-fa-wakon und den ›hundertfachen Donner‹ am Baume besiegt. Wir hätten alle ihre Krieger vernichten können, haben es aber nicht gethan, denn der große Geist liebt seine Kinder und will, daß sie als Brüder einträchtig bei einander wohnen sollen. Meine roten Brüder mögen einmal versuchen, wie wohl es thut, verziehen zu haben. Ich habe gesprochen!«

Diese Rede machte einen tiefen Eindruck. Baumann war bereit, von aller Rache abzusehen; seine geretteten Gefährten stimmten ihm bei. Die Indianer gaben auch, wenn auch nur im stillen, dem Sprecher recht. Sie lebten sicher nicht mehr, wenn Old Shatterhand sie hätte vernichten wollen. Nur einer war mißvergnügt über Jemmys Worte, der Anführer der Upsaroca.

»Der schwere Moccassin hat mich verwundet,« sagte er. »Sollen die Sioux das nicht büßen?«

»Der Moccassin ist tot. Der Schlamm hat ihn und seinen Skalp verschlungen. Du bist gerächt.«

»Aber die Ogallalla haben uns unsere Medizinen gestohlen!«

»Sie werden sie euch zurückgeben müssen. Du bist ein starker Mann und würdest viele von ihnen töten; aber der gewaltige Bär ist stolz; er verschmäht es, die kleine, feige Ratte zu zermalmen.«

Diese Vergleichung brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Der riesige Medizinmann fühlte sich geschmeichelt. Er war ja Sieger, mochte er seine Feinde töten oder ihnen verzeihen. Er schwieg.

Bald kehrten Old Shatterhand und Winnetou zurück, zum freudigen Erstaunen aller an der Spitze der Ogallalla, welche ihnen in einer langen Einzelreihe folgten, ihre Waffen auf einen Haufen zusammenlegten und dann still zurücktraten. Damit erklärten sie ohne alle Worte, daß sie es für unmöglich hielten, sich selbst durch den tapfersten Widerstand zu retten.

Die Beredsamkeit Old Shatterhands und Winnetous hatte diesen Sieg errungen. Die Sioux standen mit gebeugten Häuptern und betrübten Mienen da. Der Schlag war plötzlich und so gewaltig über sie gekommen, daß sie sich von ihm betäubt fühlten.

jetzt nun trat Jemmy hervor und erzählte Old Shatterhand von seiner Rede und ihrer Wirkung. Der Deutsche drückte ihm dankbar die Hand. Er war hoch erfreut darüber und rief den Ogallalla zu:

»Die Krieger der Sioux haben uns ihre Waffen übergeben, weil ich ihnen versprach, daß ihr Leben geschont werden solle. Die Bleichgesichter, Schoschonen und Upsaroca wollen ihnen noch mehr schenken als nur das Leben. Der ›schwere Moccassin‹ ist tot und mit ihm die beiden Krieger, welche sich an Wohkadeh und dem Sohne des Bärenjägers vergriffen. Das mag genug sein. Die Krieger der Ogallalla mögen ihre Waffen zurücknehmen; ihre Pferde werden wir ihnen suchen helfen. Es soll Friede sein zwischen ihnen und uns. Wir wollen dort am Grabe der Häuptlinge mit ihnen der Toten gedenken, welche vor Sonnen von meiner Hand gefallen sind. Das Beil des Krieges mag zwischen ihnen und uns vergraben werden. Dann verlassen wir den Fluß des Feuerloches, um zurückzureiten nach ihren Jagdgründen, wo sie erzählen können von guten Menschen, welche es verschmähen, ihre Feinde zu töten, und von dem großen Manitou der Weißen, dessen Gebot es ist, daß seine Kinder sogar ihre Feinde lieben sollen!«

Die Sioux waren ganz starr vor Erstaunen über die glückliche Wendung ihres Schicksales. Sie getrauten sich kaum, daran zu glauben; als sie aber ihre Waffen zurückerhielten, stürmten sie voller Dankbarkeit auf den berühmten Jäger ein.

Auch der Medizinmann gab sich bald zufrieden, als er erfuhr, daß alle geraubten Medizinen noch vorhanden seien. Sie wurden den Upsaroca, zurückgegeben.

Die Pferde hatten sich nicht weit entfernt. Es war leicht, sie einzufangen. Dann wurden die beiden von Old Shatterhand erschossenen Sioux herbeigeholt und in der Nähe der Häuptlinge begraben.

Der Tag wurde mit ernsten Leichenfeierlichkeiten verbracht und dann verließen die Leute alle das ungesunde Thal, um den gesünderen Wald aufzusuchen, in welchem man sich von den gehabten Anstrengungen erholen wollte.

Als dann am Abend die Lagerfeuer brannten und Freunde und Feinde versöhnt bei einander saßen, um sich befriedigt über die erlebten Abenteuer zu unterhalten, sagte Frank zu Jemmy:

»Das Beste von unserem Drama ist der Schluß. Vergeben und vergessen. Ich bin mein Lebtage keen großer Freund von Mord und Totschlag gewesen, denn ›was du nich willst, daß man dir thu, das trau auch keenem Andern zu und laß den armen Warrn in Ruh, denn er fühlt's grade so wie du !‹ Wir haben gesiegt; wir haben den Göttern gezeigt, daß wir Helden sind, und nun bleibt nur noch eens zu thun. Wollen Sie?«

»Ja, was denn?«

»Was sich liebt, das neckt sich. Wir haben uns schtets nur deshalb gekampelt, weil wir uns eegentlich von Herzen gut sind. Wollen uns also unsere Liebe geschtehen und Brüderschaft miteinander machen. Da, schlag ein, alter Schwede! Topp?«

»Ja, topp, topp und zum drittenmale topp!«

»Schön! jetzt bin ich befriedigt und weeß, daß der Heemritt ohne Schtörung unserer sympathetischen Disharmonie schtattfinden wird. Endlich, endlich ist er in Erfüllung gegangen, der schöne Versch aus der Freude, schöner Götterfunken:

Deine Zauber binden wieder,
Was der Unverschtand geteelt;
Frank und Jemmy sind nun Brüder;
Unsre Feindschaft ist geheelt!«


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