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Siebentes Kapitel

Die Schlacht am Dschebel Allah

Der Einzug des Mirs war vorüber. Nichts, aber auch gar nichts hatte ihn gestört, obwohl wir wenigstens auf sporadische Ausdrücke oder Ausbrüche der Unzufriedenheit oder des Hasses gefaßt gewesen waren. Wie sonderbar: Es war Revolution gewesen; man hatte den Herrscher ab- und einen anderen eingesetzt; und doch fanden wir im Schloß alles ganz genau so, wie wir es verlassen hatten. Die Ecke meines Teppichs war noch genauso umgebogen, und der Wassernapf meiner Hunde stand noch genau an derselben Stelle wie in dem Augenblick, an dem ich fortgegangen war. Ganz dieselbe Beobachtung machte bei sich auch der Mir. Man hatte den Eindruck, als ob während unserer Abwesenheit ganz und gar nichts Unregelmäßiges oder Außerordentliches geschehen sei.

Freilich, so wie hier im Schloß, so war es leider nicht auch außerhalb desselben. Hier hatte die Leibgarde dafür gesorgt, daß niemand gewagt hatte, Hand anzulegen. Glücklicherweise aber harte es auch draußen einen gegeben, der mit kluger, verständiger Ein- und Voraussicht bemüht gewesen war, den Verwicklungen eine derartige Richtung zu geben, daß sie nur von kurzer Dauer waren und seine schwer zu lösenden Knoten hinterlassen hatten. Dieser Mann war der Oberpriester. Ihm hatte der Mir außerordentlich viel zu verdanken. Darum ernannte er ihn jetzt trotz seiner geistlichen Würde ebenso zum Oberkommandanten der Stadt, wie der Panther dasselbe mit dem Basch Islami getan hatte.

Dieser letztere war bis gestern abend der höchste Mann der Residenz gewesen; er hatte geglaubt, dies auch in Zukunft sein zu können, denn er betrachtete den Panther nur als Marionette; nun aber war er in einen tiefen Keller des Schlosses eingesperrt und wurde heraufgeholt, um vernommen zu werden. Man hatte ihn mitten aus seiner Familie geholt und alle seine Fragen unbeantwortet gelassen. So war er also ohne alle Ahnung davon, daß die Ausführung seiner Pläne eine für ihn so unheilvolle Wendung genommen hatte. Es war der Wunsch des Mirs, daß ich bei dieser Unterredung zugegen sei und daß womöglich Halef das Wort zu führen habe. Er hatte Wohlgefallen an der Art und Weise gefunden, in welcher der kleine Hadschi Personen, die er nicht liebte, abzufertigen pflegte, und er meinte, daß grad dem Basch Islami eine solche Abfertigung sehr wohl zu gönnen sei Darauf war Halef nun ungeheuer stolz.

Der Basch Nasrani war nicht anwesend. Er hatte es in wohlberechtigtem Zartgefühl abgelehnt, als oberster Christ des Landes bei der Demütigung des obersten Mohammedaners zugegen zu sein. Aber Abd el Fadl hatte teilzunehmen und ebenso auch der von dem Panther vom Major zum Oberst beförderte Offizier, der aber einstweilen in einem Nebengemach zu warten hatte.

Der Verschwörer wurde von zwei riesigen Ussul hereingebracht, die sich aber nicht entfernten, sondern ihm zur Rechten und zur Linken stehen blieben. Er kam hocherhobenen Hauptes und mit einer Miene, der man es sofort ansah, daß er stolz aufbegehren und Rechenschaft fordern wolle. Das währte aber nur einen Augenblick, denn sobald er uns sah, stutzte er erst wie über etwas Unglaubliches und sank dann in sich selbst zusammen, als ob er plötzlich ein ganz anderer geworden sei. Sein Schreck mußte ein außerordentlich großer sein, denn er sah wie mit einem Schlag aus, als ob er in dieser halben Minute um Jahrzehnte älter geworden sei und gar kein Rückgrat, keine Körperstütze mehr habe. Seine Augen erschienen tiefer liegend und seine Wangen eingefallen. Er griff, nach einem Halt suchend, mit den Händen um sich und bog das Knie, um sich im Gefühl der ihn überkommenden Schwäche auf den Boden niederzusetzen, wurde aber von den beiden schnell zugreifenden Wächtern gezwungen, stehen zu bleiben. Ich habe ihn als fanatisch und bigott, im Grunde aber auch wohlwollend und gerecht geschildert. Diese beiden letzteren Eigenschaften waren es ja gewesen, die mich bestimmten, auf den Mir derart zu wirken, daß er ihn entkommen ließ. Übrigens mußte ihm als einem gerechtsinnigen Mann seine gegenwärtige Lage doppelt peinlich erscheinen.

Und nun muß ich zur Ehre meines kleinen Halef berichten, daß seine Vorsätze, diesen Mann möglichst rücksichtslos zu quälen, ebenso schnell in ihm zusammenbrachen, wie er ihn selbst zusammenbrechen sah. Er schüttelte den Kopf und rief aus:

»Allah beschütze mich vor dem Unglück, einmal eine solche Jammergestalt zu bilden wie dieser oberste aller Schächer und Sünder in Ardistan! Ich wollte ihn demütigen; er tut es aber selbst! Ich wollte mich an seinen Qualen weiden, wen aber kann der Anblick solcher Kraftlosigkeit ergötzen! Ich wollte ihn mit Beweisen niederschmettern; er zittert aber schon ohne Beweis an allen Gliedern! Darum bitte ich um die Erlaubnis, es mit ihm möglichst kurz machen zu dürfen. Es ist weder für euch noch für mich ein Ruhm, mit allen unsern vereinten Kräften einen Menschen niederschlagen zu wollen, der vor lauter Angst von selbst zusammenbricht. Ich denke, es genügt ein kleiner Stoß, so fällt er vollends um, und diesen Stoß will ich ihm hiermit geben.«

Er nahm den Brief des Panthers, der vor dem Mir auf dem Tisch lag, reichte ihn dem Basch Islami zu und sagte:

»Komm her und lies!«

Der Oberste der Muselmänner kam langsamen Schrittes heran, nahm das Schreiben, öffnete es und begann zu lesen. Seine Augen wurden größer und größer; das Blut wich aus seinem Gesicht; er trat einen Schritt zurück und wankte, wankte sichtlich vor unsern Augen, als ob er umfallen wolle. Aber er wankte nicht allein, sondern wir wankten auch; wir wankten mit. Der Boden bewegte sich unter unsern Füßen. Ein zitterndes Rollen ging durch das Schloß, ging auch durch unsere Körper. Wir fühlten es bis an die Spitzen unserer Finger. Ein sonderbarer, leiser, aber äußerst beängstigender Ton, der wie ein ferner, fauchender Windstoß klang, fuhr durch alle Mauern.

»Ein Erdbeben!« rief der Mir, indem er von seinem Sitze aufsprang.

»Ein Erdbeben! Allah beschütze uns!« stimmte Halef bei und griff nach meinem Arm.

Grad in diesem Augenblicke wurde von draußen der Türvorhang zurückgeschlagen, und wir sahen den Schech el Beled von El Hadd, der, in der geöffneten Tür stehen bleibend, wie ein Bild von Meisterhand in klar hervorhebendem Rahmen erschien. Sein Gesicht war verhüllt; auch sprach und grüßte er nicht; aber er gab uns allen, die wir ihn sahen, mit der Hand ein Zeichen, so zu tun, als ob er nicht vorhanden sei. Nur einer sah ihn nicht, nämlich der Basch Islami, der mit dem Rücken nach der Tür stand. Er hatte die Hände halb erhoben, wie einer, der auf das tiefste erschrocken ist, und rief grad in dem Augenblick, an dem der Schech el Beled uns winkte:

»Einer!«

Was er mit diesem Worte sagen wollte, wußten wir nicht. Er stand mit erhobenen Händen und seitwärts geneigtem Kopf, als ob er lausche. Auf was? Wir horchten unwillkürlich mit. Da war es plötzlich, als ob wir auf Wasser ständen, welches sich leise fließend von der einen Seite nach der andern bewegte. Wir faßten uns an, um uns aneinander zu halten. Dann war es, als ob wir uns auf einem nicht federnden Leiterwagen befänden, der, von galoppierenden Pferden gezogen, über schlechte, ungepflegte Wege rattert, aber nur für einen Augenblick. Hätte es länger gedauert, so wären wir verloren gewesen; es wäre alles eingestürzt.

»Zwei!« rief der Basch Islami mit dem Ausdruck des Entsetzens.

Er sank auf das Knie nieder, behielt aber seine lauschende Haltung bei. Es kam ein spitziges Zischen und Knirschen von weitem her und ging unter uns hin und vorüber, worauf wir das Gefühl hatten, als ob die Erde einen tiefen, tiefen Atemzug der Erleichterung und Befreiung tue, der aber uns alle fast zu Boden warf. Nur der Schech el Beled stand fest und unbewegt, als ob ein Zittern und Beben der Erde ihm etwas ganz Gewöhnliches sei.

»Drei Stöße!« rief der Basch Islami, indem er wieder aufsprang. »Nun ist die Gefahr vorüber, die kleine, die kleine! Aber noch nicht die große, die große, die noch niemand sieht, die nur von denen vorausgesehen wird, die es wissen! Seit drei Monden sprühen die Vulkane von Dschinnistan; seit drei Monden schmelzen die Firnen und Gletscher zu Tal, und nach diesen drei Monden geht ein dreimaliges Beben durch die Erde, um die Menschen vorzubereiten auf das, was kommen soll! Das ist die Sage, die Sage! Vom zurückgekehrten Fluß! Von dem je nach hundert Jahren sich öffnenden Paradies! Von der Frage des Erzengels, ob endlich Friede sei! Von dem Erscheinen der Engel unter den Menschen! Von der Wiederkehr des Flusses! Und von der abermaligen Ankunft Gottes in Ardistan und Ard!«

Seine Wangen hatten sich gerötet, und seine Augen funkelten. War das ein irrer oder war es ein begeisterter Blick, mit dem er uns jetzt betrachtete, einen nach dem andern?

»Ihr wißt nicht, was ich weiß«, fuhr er fort. »Ihr, die ich für vernichtet hielt, seid gerettet, seid hier versammelt, um über mich zu richten. Ich bin in eurer Hand, aber nicht etwa durch eure Macht, sondern durch eine höhere, der ich zu gehorchen habe. Ich bin bereit, mich ihr zu fügen und für das, was ich tat, zu sterben; aber ich bitte euch, mir Auskunft zu geben über das, was ich euch frage. Ihr wäret in der Stadt der Toten. Ist der Fluß noch trocken dort?«

»Nein«, antwortete der Mir. »Er hat Wasser bekommen, viel Wasser. Er fließt bereits!«

»Da ihr aus dem Kanal entkommen seid, müßt ihr die Türen kennen. Waret ihr vielleicht am Maha-Lama-See?«

»Ja.«

»Wohl gar auch in der Dschemma der Toten und der Lebenden?«

»Ja.«

Der Oberste der Moslems schwieg eine Weile. Er schaute wie verzweifelt zur Erde und bewegte seine Hände, als ob ein innerer Drang ihn zwingen wolle, sie zu ringen. Dann wendete er sich an Abd el Fadl, der jetzt den blauen Anzug seiner Lanzenreiter trug. Er war ebenso wie Merhameh gleich am Morgen unsers Fortzuges aus der Stadt der Toten in dieser Kleidung erschienen, welche die Augen des Basch Islami ganz besonders auf sich zu ziehen schien. Dieser fragte ihn:

»Du bist Abd el Fadl, der mit seiner Tochter Merhameh im Weihnachtsgottesdienst der Christen die Stimme der Güte und der Barmherzigkeit erhoben hat?«

»Ja«, antwortete der Gefragte.

»Und bist du etwa der Fürst von Halihm?«

»Der bin ich.«

»Allah, Allah! Welch ein Verhängnis! Wer hätte das geahnt! Ihr habt gesehen, daß ich erschrak, als ich hier diesen Raum betrat. Ich erschrak über euch, die ich für tot hielt. Noch mehr aber erschrak ich über den Anzug von Halihm, den ich erblickte, weil er mich sofort das ganze Schicksal ahnen ließ, dem wir, die ›mit dem Schwerte Widerstrebenden‹, wie unser Islam sagt, verfallen sind. Ich bitte dich, mir zu sagen: Sind etwa deine Lanzenreiter hier?«

»Sie sind hier. Der Mir von Ardistan ist mit ihnen eingezogen, beim Klang der Glocken, vom Jubel seines Volkes begrüßt.«

»Maschallah! Sind etwa auch die Ussul und die Tschoban schon gerettet? Das ganze Heer des Dschirbani?«

»Ja.«

»So wehe uns! Dann brauchen nur noch die Lanzenreiter von El Hadd und Dschinnistan zu erscheinen, so ...«

Er wurde unterbrochen:

»Sie sind da!« klang es von der Tür her.

Er drehte sich um. Er sah den Schech. Die Wirkung war eine außerordentliche. Einen lauten, fast überlauten Schrei ausstoßend, retirierte er nach der Wand, lehnte sich dort fest und rief:

»Das ist der Schwur von Dschinnistan, der Schwur von Dschinnistan, dem niemand widersteht! Wer bist du, der du dich verhüllst? Bist du der Schech el Beled von El Hadd? Bist du der Mir von Dschinnistan? Oder bist du beides? Wo hast du deine Scharen?«

»Meine Scharen sind überall da, wo Hilfe nötig ist«, erklang es aus dem Mund des Schech el Beled, indem er aus der Türeinfassung langsam herein in das Zimmer trat. »Heut sind sie bei dem, den du verrietest. Morgen werden sie sich an die Krallen des Panthers heften und ihn jagen, bis er zusammenbricht.«

»So ist er verloren!« rief der Basch Islami. »Und er hatte sich doch grad auf den Mir von Dschinnistan verlassen!«

»Auf diesen? Welch ein Wahnsinn! Wie konnte er das wagen?«

»Der Mir von Ardistan hatte dem Mir von Dschinnistan den Krieg erklärt, und dieser schickte sofort seine Scharen über die Grenze. Das konnte doch nur gegen den Mir von Ardistan sein, und so hofften wir, in dem Beherrscher von Dschinnistan einen Verbündeten zu finden!«

»Und war er euch nicht zu Willen, was dann?«

»Dann war es unser Plan, ihn als Feind zu betrachten und einfach niederzuschlagen.«

»Als Feind zu betrachten! Niederzuschlagen! Ihn!«

Es war ein ganz eigenartiger, lachender und doch auch klagender Ton, in dem der Schech el Beled dies sagte. Dann fuhr er fort:

»Ihr Toren! Weil ihr so schwach und kurzsichtig seid, auf Feindschaft mit Feindschaft zu antworten, glaubt ihr, der Mir von Dschinnistan müsse ebenso tun. Ich sage euch: Seine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und seine Wege sind nicht eure Wege! Seine Siege nahen sich euch auf den Flügeln der Liebe, nicht auf den Flatterhäuten des Hasses und der Gewalt. Er sandte seine Scharen über die Grenze, den Feind zu beschützen, nicht aber, ihn zu vernichten. Er will nicht durch die Niederlage, sondern durch den Sieg des Gegners siegen. Das lernt von ihm, ihr, die ihr darnach trachtet, nicht mehr Gewaltmenschen, sondern Edelmenschen zu sein! Nur die Niedrigkeit, die Roheit unterliegt, das Tier im Menschen, die Bestie, der Panther, der gegen seinen eigenen Bruder wütet und stündlich auf der Lauer liegt, seine Wohltäter zu zerfleischen!«

»Wie richtig, wie richtig!« stimmte der Basch Islami bei. »Er ist der Feind seines eigenen Bruders und seines eigenen Vaters! Er umschlich den Mir von Ardistan, der ihm nur Liebe erwies, und sprang dann auf ihn ein, ihn zu zerfleischen. Und ebenso umschlich er mich. Er versprach, mein Kind zur Herrscherin zu machen, und wir glaubten ihm. Seine Absicht aber ging auf die Prinzessin von Halihm. Uns hätte er später fallen und verschwinden lassen, wie der Mir in der Stadt der Toten verschwinden sollte! Ich sage mich von ihm los, vollständig los!«

»Glaubst du, dadurch deiner Strafe zu entgehen?« fragte der Schech el Beled.

»Nein. Daran dachte ich nicht. Ich bin empört über seinen Verrat und seine Schurkerei, und ich sage nur das, was diese Empörung mir diktiert. Eine Berechnung ist nicht dabei! Ich bin euer Gefangener, und ich kenne das Schicksal, welches meiner wartet. Einmal hat mich der Mir entkommen lassen; zum zweiten Male wird er das nicht wieder tun, denn ich habe es ihm schlecht gelohnt. Aber ich spreche trotzdem eine Bitte aus, nicht um meinet-, sondern um euretwillen. Sie mag wahnsinnig klingen, ist aber ebenso wohlbedacht wie wohlbegründet.«

»Sprich sie aus!« forderte der Mir ihn auf.

»Ich bin der Oberste der mohammedanischen Geistlichkeit, also das, was man in andern Ländern den ›Scheik ul Islam‹ nennt. Was ich befehle und was ich tue, hat Gültigkeit für alle, die unter mir stehen. Ich habe den Aufstand gegen den Herrscher anbefohlen; ich kann ihn ebenso auch wieder abbefehlen, und ich bin gewillt, dies sofort zu tun. Gebt mir Feder und Papier zu den Verordnungen für meine Oberbeamten, die sie augenblicklich weiter verbreiten werden! Und laßt mein Siegel holen, durch welches diese Dokumente Gültigkeit erlangen! Wollt ihr das?«

»Das, was du forderst, ist nur zu billigen«, antwortete der Mir. »Aber nach den hiesigen Gesetzen gilt das, was nur geschrieben steht, trotz aller Siegel nichts, wenn du es nicht öffentlich, persönlich und mündlich in der ersten Moschee des Landes verkündest und bestätigst. Und diese liegt hier in Ard.«

»Das ist es ja, was ich bitten möchte. Und das meinte ich, als ich sagte, daß diese Bitte wahnsinnig klinge. Laßt die Gebetsbretter läuten; ruft die Gläubigen nach der Moschee, und führt mich dann hinein, damit ich zu ihnen spreche und es allen Moslems sage, daß der Panther ein Betrüger und Verräter und der bisherige Mir der wahre, von Allah gewollte Herrscher sei! Aber ich weiß, daß ich diesen Wunsch vergeblich ausspreche. Ihr könnt ihn mir nicht gewähren.«

»Du bist Gefangener und müßtest, falls er dir gewährt würde, dabei Gefangener bleiben«, sagte der Schech el Beled.

»Ich bin bereit dazu. Schafft mich in meinen Kerker zurück, und laßt mich dort die Verordnungen schreiben. Und führt mich dann mit gefesselten Händen in die Moschee und auf die Kanzel. Ich werde sagen, was ich zu sagen habe, und dann in das Gefängnis zurückkehren, ohne mich zu weigern!«

»Was sagst du dazu?« fragte der Schech den Mir. »Wie wirst du hierüber entscheiden?«

Dieser stand am Fenster und schaute hinaus nach Westen. Er antwortete nicht gleich, sondern erst nach einer Weile, indem er mit der Hand in diese Richtung deutete:

»Dort führt der Weg nach der Stadt der Toten. Ich denke jetzt an sie und an alles, was ich dort versprach. Ich halte Wort; ja, ich halte Wort!«

Er drehte sich zu dem Basch Islami herum und sprach weiter:

»Du sollst nicht gefangen sein, sondern frei, vollständig frei, bis heut abend. Du sollst nicht im Kerker schreiben, sondern daheim in deinem Haus, bei deinem Kind, welches so arg betrogen worden ist. Und du sollst an der Spitze deiner Geistlichkeit als freier Mann nach der Moschee ziehen und zu den Gläubigen sprechen können. Die Würde deines Amtes verlangt das so. Kein Mensch, keine Polizei, kein Wächter soll dich dabei beaufsichtigen. Aber genau drei Stunden vor Mitternacht kommst du wieder hierher zurück, um dich bei mir zu melden und in dein Gefängnis zurückzukehren. Du kannst gehen!«

Da trat der Schech el Beled mit einigen raschen Schritten auf ihn zu, ergriff seine Hand und sagte:

»Das – das hatte ich erwartet. Ich danke dir! Und noch viele, viele andere werden es dir danken!«

Der Basch Islami stand still und bewegungslos, als sei er starr, so überrascht war er. Dann – ging er nicht, nein, sondern er schoß oder flog förmlich hin zu ihm, kniete vor ihm nieder, küßte seine beiden Hände und rief begeistert aus:

»Hamdulillah, hamdulillah! Preis sei Allah, der mir jetzt plötzlich die Augen geöffnet und mich erkennen läßt, wie blind ich bisher war! Ich sehe heut zum ersten Male, wer, was und wie du bist. Ich klage nicht mehr dich an, sondern mich und uns, uns alle. Wir waren Sklaven, Sklaven unserer Irrtümer und angelernten Vorurteile; du aber bist ein Herrscher, den nur Untertanen, die freie Männer, keine Knechte sind, befriedigen und beglücken können. Darum hast du uns verachtet. Ich nehme deine Güte und deine Gnade an und gehe jetzt, um in deinem Sinne und für dein Wohl zu handeln und dann in die Gefangenschaft zurückzukehren. Ich würde die Aufgabe, welche ich mir für heut stelle, besser lösen können, wenn ich wüßte, was in der Stadt der Toten, solange ihr euch dort befandet, geschehen ist. Das darf ich aber wohl nicht erfahren?«

»Wir haben nichts zu verschweigen«, antwortete der Mir. »Der Dschirbani, welcher spätestens morgen hier eintreffen wird, hat bei seinem Wegzug von dort den Maha-Lama-See wieder verschlossen und in der Zitadelle eine Besatzung zurückgelassen. Der treue Zisternenwärter wurde einstweilen zum Flußmeister ernannt; er hat regelmäßig über den Stand des Wassers zu berichten. Was du über dort wissen willst, kann dir ein jeder sagen, der mit uns anwesend war. Am besten aber könnte dich unser Hadschi Halef Omar unterrichten, der Scheich der Haddedihn, der Zeuge von allem gewesen ist, was geschah. Ich hoffe, er nimmt es an, wenn du ihn einlädst, dein Gast zu sein und mit dir zu gehen, um dich zu unterweisen. Und noch einen zweiten gibt es, der imstande ist, deine Fragen zu beantworten. Du kennst ihn schon. Hier hast du ihn; nimm ihn mit!«

Er ging zur Tür des Nebenzimmers, schob den Vorhang zurück und winkte dem Oberst, einzutreten. Der Basch Islami kannte diesen allerdings, und zwar sehr gut. Aber er wurde keineswegs verlegen, sondern es war ihm im Gegenteil sehr lieb, gerade diesen früheren Vertrauten des Panthers als Gewährsmann zugewiesen zu erhalten. Der Mir bewies durch die Auswahl dieses Offiziers und Hadschi Halefs seine Begabung zum Diplomaten. Niemand konnte so geeignet wie diese beiden sein, im Sinne des Mirs auf den Basch Islami einzuwirken, und besonders Halef freute sich darüber, daß die Wahl auf ihn gefallen war.

»Ja, ich gehe mit«, sagte er; »sehr gern gehe ich mit. Ich werde ihm Bericht erstatten. Vorher aber muß ich nach meinem Pferd sehen. Heut abend komme ich wieder mit.«

Die drei entfernten sich.

Als wir uns unterwegs von dem Schech el Beled und seinen Reitern trennten, hatten wir mit ihm ausgemacht, daß wir genau so wie er heut, drei Stunden nach Mittag, in die Stadt einziehen würden, um am Schloß, also in der Mitte derselben, mit ihm zusammenzutreffen. Wir hatten ja nicht gewußt, daß man auf uns wartete und uns veranlassen werde, das, was wir erst am Nachmittag tun wollten, schon am frühen Morgen zu tun. So wunderte sich der Mir, daß der Schech schon jetzt erschien. Er hatte jetzt schnell nur das Allernötigste zu erledigen und ihm dann mit uns entgegenreiten wollen, um ihn hereinzuholen. Abd el Fadl aber und ich wunderten uns nicht. Abd el Fadl wußte zwar mehr, viel mehr als ich, der ich nur ahnte, aber so viel mehr bemerkte ich doch, daß der alles wissende und alles könnende Schech el Beled auch hier der Vorausbestimmende gewesen war und den Plan des Basch Nasrani wenn nicht entworfen, so doch aber ganz gewiß gekannt und gefördert hatte. Er teilte uns mit, daß er den ersten Teil seiner Aufgabe ausgeführt und den Panther von der Stadt vollständig abgeschnitten habe. Es sei eine zusammenhängende Postenkette vom Bett des ausgetrockneten Stromes im Westen bis an das östliche Hochland gezogen worden, so daß eine jede vom Feinde kommende oder etwa an ihn gerichtete Botschaft in unsere Hände geraten müsse. Er hatte schon während der Nacht und auch noch am Morgen eine ganze Menge von Personen festgenommen, welche auf die Nachricht von der plötzlichen Gegenrevolution und daß der gerettete Mir heut früh zurückkehren werde, die Stadt eiligst verlassen hatten, um sich zu dem Panther in Sicherheit zu bringen. Das waren natürlich alles Leute von bösem Gewissen, die man peinlich zu befragen hatte, um ihre noch zurückgebliebenen Komplizen zu erfahren. Denn da die Hauptstadt der Mittelpunkt unserer Operationsbasis war, galt es vor allen Dingen, sie von allen zweifelhaften Charakteren zu säubern, und es wurde beschlossen, diese Leute alle nach der Stadt der Toten zu transportieren und dort in der Zitadelle zu isolieren und bewachen zu lassen.

Es stellte sich hierbei heraus, daß unser jetziger Aufenthalt in Ard unmöglich von so kurzer Dauer sein konnte, wie wir uns vorgenommen hatten. Es wäre der unverantwortlichste Leichtsinn gewesen, nur einen Tag zu bleiben und uns bei unserm Weiterritt auf völlig ungeordnete Zustände stützen zu wollen. Darum wurde beschlossen, daß der Vormarsch nach Norden zwar schon morgen beginnen solle, aber einstweilen nur von Seiten der Reiter von El Hadd und Halihm. Die Ussul und Tschoban sollten erst übermorgen folgen, weil ihnen ein Rasttag in der Stadt zu gönnen war. Der Mir aber entschloß sich, noch einige Tage länger zu bleiben und dafür zu sorgen, daß die Verwaltung von Stadt und Land für die Zeit seiner Abwesenheit in treue und zuverlässige Hände kam.

Damit, daß das Heer der Ussul und Tschoban einen Tag in der Stadt liegen bleiben sollte, verfolgten wir nebenbei auch den Zweck, der Bevölkerung zu imponieren und unsern alten, lieben Basch Nasrani als Stadtkommandanten in Respekt zu setzen. Aus ganz demselben Grund hielten die Scharen von El Hadd am Nachmittag nachträglich ihren Einzug in die Stadt, obgleich es sowohl strategisch als auch taktisch nicht mehr nötig war. Die prächtigen, hellen und doch so ernst blickenden Gestalten der Lanzenreiter verfehlten nicht, den von uns beabsichtigten Eindruck auf die Bewohnerschaft zu machen, und als sie am andern Morgen fort waren und sich dafür die Ussul und Tschoban einstellten, die mehr durch ihre materielle Wucht und Schwere wirkten, konnten wir überzeugt sein, daß der Mir, für den das alles geschah, jetzt nun genug in Achtung stand.

Was den Basch Islami betrifft, so schien er völlig umgewandelt zu sein. Ich hatte mich nicht in ihm geirrt: Er war im Grunde genommen ein gerecht denkender Mann, und nun er eingesehen hatte, was für eine tiefe Wandlung mit dem Herrscher vorgegangen war, trat er jetzt in derselben Weise für ihn ein, wie er sich vorher ihm feindlich erwiesen hatte. Wir lasen seine Verordnungen. Sie waren sehr ernstlich gemeint und flogen in die Hände der gesamten mohammedanischen Geistlichkeit des Landes. Und ich selbst ging in die Moschee, um seine Rede zu hören. Ich stellte mich so, daß er mich nicht sehen konnte. Er kam an der Spitze des ganzen Imamates der Stadt – des muselmanischen Klerus. Die Moschee war so voller Menschen, daß man kaum einen Zoll breit des steinernen Fußbodens zu sehen bekam. Halef hatte wieder einmal gewirkt, und zwar in ganz vorzüglicher Weise. Unser begeisterter Basch Nasrani hätte nicht besser für den Mir sprechen können, als der Basch Islami jetzt für ihn sprach, und als die Feierlichkeit zu Ende war, strömten alle diese Moslems aus der Moschee in die Straßen und Gassen der Stadt hinaus, um das Lob des zurückgekehrten Herrschers zu verkünden.

Am Abend stellte sich der hohe, geistliche Würdenträger des Islam zur angegebenen Stunde mit seinen beiden Begleitern wieder bei dem Mir ein und erklärte sich bereit, in sein Gefängnis zurückzukehren. Der Mir nickte ihm lächelnd zu und sagte:

»Von jetzt an bist du nur noch mein persönlicher Gefangener; für andere aber bist du frei. Du wirst mich in das Feld und in die Schlacht begleiten, damit ich deines Rates nicht entbehre, so oft ich seiner bedarf. So wirst du an mich gebunden sein, bis du mir beweisen kannst, daß ich dieses deines Rates weder wert noch würdig bin. Dann gebe ich dich frei. Geh heim in Allahs Namen, und sprich morgen früh wieder vor bei mir. Du sollst mir helfen, die vom Panther Verführten zum Gesetz und zur Ordnung zurückzubringen.«

Ich unterlasse es, die Wirkung zu beschreiben, welche dieser unerwartete Bescheid auf den, dem er galt, machte. Der Basch Islami war für immer zurückgewonnen.

Als der Dschirbani mit seinen Ussul und Tschoban angekommen war und militärfestlichen Einzug gehalten hatte, wohnte er als Gast des Mirs im Schloß, er, der ausgezogen war, ihn zu besiegen. Er kannte Ard noch nicht. Darum wurde ein Ritt durch die Stadt unternommen, der sich beinahe zu einem Triumphzug gestaltet hätte, wenn wir der Begeisterung, wo sie groß werden wollte, nicht fleißig ausgewichen wären. Am Abend gab es eine fürstliche Tafel, zu der alle hervorragenden Ussul, Tschoban und Ardistaner, die diesen Vorzug verdient hatten, geladen waren.

Dann besuchte mich der Dschirbani, ehe er schlafen ging, noch auf ein halbes Stündchen in meiner Stube. Wir rekapitulierten die Ereignisse, wobei ganz selbstverständlich der Stadt der Toten noch besonders zu gedenken war.

»In der letzten Nacht am Maha-Lama-See hatte ich einen eigentümlichen Traum«, sagte er. »Oder war es kein Traum, sondern eine Vision? Ich weiß es nicht. Ich sah nämlich meine Mutter.«

»Wo?« fragte ich.

»Im Mondesstrahl.«

»Im Mondesstrahl? Also draußen, auf dem freien Platz? Ich denke, du hast geschlafen und geträumt!«

»Nicht draußen, sondern in meinem Zimmer. Du kennst die schmalen, spaltenförmigen Fenster in den Mauern. Ihre Öffnungen fallen nach innen abwärts. Der Mond stand am Himmel, nicht voll, sondern nur ein Viertel seiner Gestalt. Aber dieses Viertel leuchtete hell. Es sandte zwei seiner klarsten Strahlen durch die beiden Fensterscharten. Sie fielen mir gerade in das Gesicht. Sie hatten mich aus dem Schlaf geweckt. Schon wollte ich mich umdrehen, um ihnen auszuweichen, da spürte ich einen feinen, köstlichen Duft, der mich wie ein Gruß aus glücklicher Zeit berührte. Ich kannte ihn. Es ist der Blütenduft der wohlriechenden Ssafßahf – Weide –, der Lieblingswohlgeruch meiner verstorbenen Mutter. Indem ich an sie dachte, stand sie vor mir, ganz plötzlich, mit einem Male, mitten zwischen den beiden Strahlen, also nicht hell, sondern so seltsam und so geheimnisvoll beschienen, wie die Seelen der Entschlafenen, wenn sie dem Grab entsteigen, um das, was sie im irdischen Dunkel glaubten, im himmlischen Licht in Erfüllung gehen zu sehen.

›Mein Sohn, mein Sohn, mein lieber, lieber Sohn!‹ flüsterte es zwischen den Mondesstrahlen. Dann war sie weg, verschwunden. Aber einige Augenblicke später fühlte ich zwei Lippen. Sie beugte sich zu mir herab. Sie küßte mich, erst auf die Stirn, dann auf den Mund.

›Mutter, meine Mutter!‹ rief ich aus, indem ich mich aufrichtete, um nach ihr zu greifen und sie festzuhalten. Aber ich griff in die Luft, in das Nichts. Ein Schrei, ein unterdrückter, kaum hörbarer Schrei erklang. Es huschte etwas quer durch die beiden Mondesstrahlen. Mir war, als vernehme ich leise, ganz leise Schritte, die sich schnell entfernten. Dann war der Traum vorüber und – ich schlief weiter.«

»War das auch Traum, als du riefst?« fragte ich.

»Nein – das war Wirklichkeit«, antwortete er.

»Wie war sie gekleidet?«

»Weiß, nur weiß.«

»Stand dein Zimmer offen?«

»Ja. Ich hatte den Stein nicht zugeschoben, um den Weckruf früh nicht zu überhören. Noch nie habe ich einen solchen Traum gehabt, der so deutlich war, daß mich früh, als ich erwachte, dünkte, als ob der süße Duft der Weidenblüte mein Lager noch immer umschwebe. Ich frage mich sogar, ob es nicht vielleicht kein Traum, sondern ein wirkliches Gesicht gewesen ist.«

Ob Wirklichkeit oder Traum, das hätte ich ihm wohl sagen können, doch hütete ich mich, dies zu tun. Nachdem sie ihn verlassen hatte, war sie von ihrem Weg bei mir vorübergeführt und von mir gesehen worden. Die Sehnsucht, ihren Sohn nur ein einziges Mal berühren zu dürfen, war größer gewesen als die Vorsicht, zu der sie auf alle Fälle verpflichtet worden war. Wo befand sie sich jetzt? War sie dort geblieben? Diese Frage wollte sich mir aufdrängen; ich wies sie aber von mir ab, da ich keine Berechtigung und auch keinen triftigen Grund besaß, mich mit ihr zu beschäftigen oder etwa gar sie lösen zu wollen. Mein Schweigen fiel mir nicht schwer, denn er brach von diesem Thema ab und ging auf andere Gegenstände über. Einer der Hauptpunkte, die er erwähnte, waren die Relais, ich mochte sogar sagen Postrelais, welche er vom Land der Ussul bis nach Ard gelegt hatte. Sie standen in der Entfernung von je zwei Reitstunden auseinander und ermöglichten mit der Heimat eine Verbindung, welche den Verhältnissen angemessen als eine sehr schnelle und sichere bezeichnet werden konnte. Es verstand sich ganz von selbst, daß diese Verbindung von Ard auch nordwärts, je nachdem wir weiter vorrückten, herzustellen war.

Am nächsten Tag zog der Dschirbani mit seinen Truppen ab, um in die Mitte der Aufstellung einzurücken. Der Mir blieb noch drei Tage, und wir mit ihm, nämlich Halef und ich; er wünschte nicht, sich von uns zu trennen. Uns war das recht. Da in seinen Händen alle Fäden zusammenliefen, wurden wir bei ihm am allerbesten auf dem laufenden gehalten.

Während dieser drei Tage ging zweimal wichtige Nachricht von dem Heer ein. Das eine Mal meldete der Dschirbani und das andere Mal der Schech el Beled, daß ein Bote aufgegriffen worden sei, den der Panther an den Basch Islami nach Ard geschickt habe. Natürlich wurden uns diese beiden Boten zugeführt und von dem Mir noch einmal ganz besonders vernommen. Der erste hatte zu berichten, daß der Panther glücklich bei seinem Heer eingetroffen sei und die Operationen sofort beginnen werde. Er befinde sich noch in der gut bebauten Provinz Schimalistan, wo ihm die Unterhaltung seiner Truppen keine Sorge bereite. Später aber, wenn er über diese hinaus und in das hochliegende, ganz entwässerte und also kaum Gras produzierende Bergland eingedrungen sei, müsse er sich auf die Pünktlichkeit der Lieferungen verlassen, die er mit dem Basch Islami vereinbart habe. Der zweite Bote sollte dem letzteren sagen, es sei durch Kundschafter festgestellt, daß der Mir von Dschinnistan mit seinen schwarzgepanzerten Scharen schon bis über den Dschebel Allah herabgekommen sei und sich nicht mit ihm, dem Panther, verbinden wolle, sondern dem alten Mir von Ardistan zu Hilfe eile. Aber das schade nichts, sei vielmehr vorteilhaft für das neue Regiment, welches sich durch einen schnellen und energischen Sieg über Dschinnistan das Vertrauen und die Dankbarkeit von ganz Ardistan wie im Nu erringen werde. Der Mir von Dschinnistan scheine lächerlicherweise nur Kavallerie zu haben, und zwar die leichteste, die man sich denken könne. Ardistan suche ganz im Gegenteil hiervon seine Überlegenheit in den schweren Truppen, besonders in der Artillerie, die man nur aufzustellen brauche, um sich die windigen Reiter von Dschinnistan vom Leib zu halten und sie einfach niederzuknallen. Man werde den Feind sofort bis an den Fuß des Dschebel zurücktreiben und ihn dort vollständig vernichten.

Auf diese Nachricht hin erkundigte ich mich bei dem Mir nach diesem wichtigen Berg, von dem ich bei Marah Durimeh gelesen hatte, ohne aber nähere Details zu erfahren. Er antwortete:

»Der Dschebel Allah ist der südlichste der Vulkane von Dschinnistan, gehört aber nur geologisch, nicht auch politisch zu ihnen, denn er liegt nicht in Dschinnistan, sondern an der Grenze zwischen El Hadd und Ardistan. Er hat seit Menschengedenken keinen Ausbruch mehr gehabt; in diesem Jahr aber erglüht auch er, doch nur in friedlichem Licht. Er leuchtet in drei Flammen, die ein ruhiges, intensives Licht, aber keine Spur von Rauch oder Asche geben. Er war in früherer Zeit, als der Hauptstrom unsers Landes noch Wasser hatte, bis zu seiner Mitte bewaldet und weiter oben mit grünen Matten und Weiden geschmückt. Jetzt aber ist er kahl, wie das ganze Land umher. Er bildet eine einzige, mächtige, kompakte Felsenmasse, die aber da, wo früher der Wald aufhörte, sich in drei hochaufragende Kuppen teilt, von denen jede auf ihrer Zinne einen Krater trägt, der im jetzigen Jahr leuchtet. Man nennt diese drei Kuppen den Vater, die Mutter und den Sohn. Der Sohn ist der mittlere; er steht zwischen den beiden andern. Ein breiter Weg führt hinauf. Da oben, wo der Berg sich teilt, teilt sich auch dieser Weg. Er bildet einen rechten und einen linken Pfad. Der erstere führt zwischen dem Vater und dem Sohn und der andere zwischen der Mutter und dem Sohn hindurch. Hinter dem Sohn vereinigen sie sich wieder, indem sie eine große, weite Plane oder Hochebene bilden, von welcher aus man in das erste, niedrige Tal von El Hadd hinuntersteigt. Auf dieser Plane können viele, viele tausend Menschen Platz finden. Man sagt, daß im grauen Altertum da oben Gottesdienste abgehalten worden seien, zu denen die drei Kuppen leuchteten. Auch der Weg von da in das Tal hinab ist breit, aber trotzdem gefährlich. Zu beiden Seiten gähnen Schluchten und Abgründe, aus denen für einen jeden, der da hinunterstürzt, keine Rettung möglich ist. Man sagt, der Dschebel Allah habe niemals Asche und Schlacken, sondern stets nur reines, friedliches Licht gegeben. Aber in großen Abständen und zu gewissen Zeiten, wenn der Schmutz der andern Vulkane sich auch auf ihn niedergesenkt und da angesammelt hat, da werde er zornig, da schüttele er sich, da erbebe er in seinen Grundfesten und stoße kochendes Wasser aus, um sich von der Verunreinigung zu befreien. Was sagst du zu diesem Märchen, Effendi?«

»Daß es kein Märchen ist. Jedenfalls hat es einen tieferen, viel tieferen Sinn, als du denkst.«

»Man behauptet sogar«, fuhr er fort, »daß es nur guten Menschen möglich sei, von Ardistan aus über den Dschebel Allah nach El Hadd und Dschinnistan hinüberzukommen. Wenn ein Böser es wage, sich den Übergang mit List oder mit Gewalt zu erzwingen, so sei er unbedingt verloren. Entweder verschwinde er in den Abgründen des Grenzgebietes, oder er ertrinke in den Fluten der Wasserfälle von El Hadd.«

»Von denen habe ich gehört. Sie kommen von Dschinnistan herunter?«

»Ja. Sie sind die größten, die es auf Erden gibt. Sie stürzen sich vom hohen Dschinnistan herab und bilden einen gewaltigen See, dessen Tiefe noch niemand ermessen hat. An diesem See liegt das Schloß des Schech el Beled von El Hadd; aber noch kein Mensch, der nicht nach El-Hadd gehörte, hat es je betreten dürfen. Wenn das alles so ist, wie man erzählt, mag der Panther sich vor dem Dschebel Allah hüten!«

Das war es, was ich einstweilen über diesen Punkt erfuhr. Als wir dann unterwegs waren, um die vorausgerittenen Ussul und Tschoban einzuholen, kam uns ein dritter Bote entgegen, den der Fürst von Halihm sandte, um uns mitzuteilen, daß der Panther in Eilmärschen nach Norden rücke und in der Einbildung zu leben scheine, daß er die Scharen von Dschinnistan vor sich herjage, während es doch grad ihre Absicht war, ihn in dieser Richtung hinter sich herzulocken.

Und als wir das Lager des Dschirbani, also unser Zentrum, erreichten, hatte man soeben wieder einen Abgesandten des Panthers festgehalten, der dem Basch Islami nach Ard melden sollte, daß man über den Dschebel Allah gehen und in El Hadd eindringen werde, um den Schech el Beled zu züchtigen, von dem man gehört habe, daß er mit dem Mir von Dschinnistan verbündet sei, um den neuen Mir von Ardistan wieder abzusetzen. Dazu brauche man aber bedeutende Nachlieferungen von Proviant, die der Basch Islami schleunigst besorgen solle.

Am Abend dieses Tages, also unserer Ankunft bei unserm Zentrum, stellten sich die Kommandanten der Flügel bei uns ein, um den Mir beim Heer zu begrüßen und mit ihm zu beraten, obwohl es eigentlich gar nichts zu beraten gab. Denn der Panther marschierte geradezu sinnlos seinem Verderben entgegen, und wir brauchten ihm nur zu folgen, um unsern Zweck auf das allereinfachste zu erreichen. Er eilte wie geblendet geraden Weges voraus und machte nicht den geringsten Versuch, nach rechts oder links auszuweichen. Darum wurde er von unsern beiden Flügeln schnell überholt, so daß Abd el Fadl und der Schech el Beled mit den schwarzgepanzerten Reitern des Mirs von Dschinnistan Fühlung bekamen, als der Panther noch gar nicht ahnte, was in seinem Rücken vorgegangen war und daß er von uns verfolgt wurde.

Bei dieser Unterredung mit den beiden genannten Verbündeten erfuhren wir, daß nicht allein der oben beschriebene »breite« Weg auf den Dschebel Allah hinauf- und jenseits wieder hinunterführe. Es gab noch zwei andere Wege, die aber nur dem Eingeweihten bekannt waren; sie wurden geheimgehalten. Während der breite Weg, nachdem er sich oben geteilt hatte, zwischen dem Vater und dem Sohn und der Mutter und dem Sohn hindurchführte, also den Sohn von beiden Seiten umschloß, gingen die beiden heimlichen Wege an der Außenseite des Vaters und der Mutter nach El Hadd hinüber, so daß sie also alle drei Kuppen zwischen sich liegen hatten. Sie lagen höher als der eigentliche Weg, der von ihnen aus also überschaut und beobachtet werden konnte. Auf diesen beiden verborgenen Saumpfaden, die selbst in ihren niedrig liegenden Anfängen von jemand, der sie nicht kannte, nicht entdeckt werden konnten, sollten unsere Heeresflügel dem Panther folgen, während das Zentrum auf dem breiten Wege zu bleiben und nachzudrängen hatte. Für leichte Reiter waren diese Seitenpfade grad noch gangbar, nicht aber für schweres Last- und Fahrzeug oder wohl gar für Kanonen. Und was nun die »schwarzgewappneten« Scharen des Mirs von Dschinnistan betraf, von denen der Panther berichten ließ, so sahen auch sie nur von weitem wie gewappnet oder gepanzert aus, denn das, was sie trugen, war keine Rüstung, sondern ein genau ebenso geflochtener Lederanzug wie bei den Lanzenreitern von Halihm und El Hadd, nur daß er nicht naturfarben oder blau war, sondern schwarz. Für den Zweck, den sie verfolgten, nämlich die Niederlage des Feindes vorzubereiten oder, unfachmännisch ausgedrückt, ihn zu verführen, war diese dunkle Farbe die geeignetste.

Der Feldzug hatte also begonnen. Er gestaltete sich viel leichter und schneller, als wir es für möglich gehalten hatten. Es fiel, wie bereits gesagt, dem Panther nicht ein, links nach dem alten Strom oder rechts nach dem belebten Hochland auszubrechen, sondern er stürmte immer geradeaus und wir hinter ihm her. Das ging alles so selbstverständlich und zu unsern Gunsten, daß ich mich fast gar nicht mehr mit den direkt kriegerischen Angelegenheiten beschäftigte, sondern meine Aufmerksamkeit auf andere, meiner Persönlichkeit näherliegende Dinge richtete.

Die Niederwerfung des Aufrührers wurde mir nebensächlich. Dieser Mensch hatte nicht die geringste Begabung, die Rolle durchzuführen, für die er in seiner Selbstüberhebung geglaubt hatte, geeignet zu sein. Meine Aufmerksamkeit wurde dreifach in Anspruch genommen. Nämlich erstens von der gewaltigen Natur, durch welche der Marsch uns führte. Zweitens von den eigenartigen Menschen, bei denen ich mich befand. Und drittens von dem tiefen Zusammenhang der Dinge, den ich in allem erkannte, was in dieser Natur und mit diesen Menschen geschah. Ich lernte in dieser Zeit mehr als je erkennen, wie leicht es einem jeden, der guten Willen und offene Augen hat, gemacht wird, das höhere Leben im niederen Leben vorgebildet zu sehen. Daß der Gewaltmensch sich zum Edelmenschen emporzubilden habe, ist eines meiner Ideale. Dazu gehört vor allen Dingen, daß das Niedrige in uns, das Tierische, überwunden wird. Tausende klagen, das sei so schwer. Sie haben recht und doch auch wieder nicht recht. Man suche die ›Schwarzgewappneten‹ des Mirs von Dschinnistan, welche die Bestie in uns, den Panther, nach dem Dschebel Allah zu locken verstehen. Man bitte um die Panzerreiter von El Hadd und Halihm, die den Empörer in uns aufstören und vorwärtstreiben, ihn jagen und nicht zur Ruhe kommen lassen, bis er, militärisch ausgedrückt, von seiner Operationsbasis völlig abgeschnitten ist und dann nur noch das eine vor sich hat, an sich selbst zugrunde zu gehen. Wer den rechten Weg gefunden hat, solchen Hilfstruppen zu begegnen, also den Weg zu Gott, dem wird es fortan leicht, mit dem Panther zum Abschluß zu kommen.

Nach einigen Tagesmärschen hatten wir das eigentliche Ardistan hinter uns und ritten durch Schimalistan. Der Weg, den der Panther genommen hatte, wurde durch Verwüstung bezeichnet. Die Bewohner waren geflohen, nach rechts und links, wie ein Schneepflug die Massen nach beiden Seiten treibt, wo sie hinter ihm liegenbleiben. Dort wurden sie von unsern Flügeln aufgefunden, beruhigt und veranlaßt, wieder heimzukehren. Vor uns der Krieg, hinter uns sofort wieder Friede.

Schimalistan steigt ununterbrochen in nördlicher Richtung an. Einst war es außerordentlich fruchtbar; aber als der Strom, der seine westliche Grenze bildet, das Wasser verlor, verödete es im Lauf der Jahrhunderte, und nur in seinem östlichen Teil gab es einige bedeutendere Wasserläufe, welche Schimalistan und Ardistan mit ihrem Netz befruchten, dann aber in Dschunubistan immer kleiner werden und in der Wüste der Tschoban versiechen. Durch diesen östlichen Teil des Landes hatte der Panther seinen Weg genommen und Schrecken um sich her verbreitet. Unser Kommen erweckte hierauf das Gegenteil, nämlich Freude. Dies zu bewirken, fiel uns gar nicht schwer. Wir brauchten nur das eine zu verkünden, daß der Strom wieder Wasser habe, so lohnte uns dankender Jubel.

Die äußerste Spitze unseres linken Flügels blieb während unseres Vorwärtsrückens mit dem Strom fortwährend in Berührung. Von daher erfuhren wir, daß das neue Wasser sich nicht etwa verliere, sondern sich im Gegenteil von Tag zu Tag verbreitere und steige. Infolgedessen wurden nun unsere bis hinab nach Ussula gehenden Relais von der bisherigen Linie weg an den Fluß verlegt, was ihre Erhaltung außerordentlich erleichterte und einen, ich will sagen, »flußamtlichen« Nachrichtendienst ermöglichte, der uns von großem Vorteil war.

Wir näherten uns jetzt zusehends den Bergen, die wir früher aus weiter Ferne hatten leuchten sehen. Sie stiegen vor uns auf wie ein Heer von Riesen, von denen der eine immer größer, breiter und massiger als der andere ist. Schon konnten wir erkennen, daß sie alle bewaldet waren, und zwar um so mehr, je weiter sie von unserer Grenze entfernt lagen. Das bestätigte die oft gehörte Behauptung, daß es unmöglich sei, in Dschinnistan eine unfruchtbare Stelle zu finden. Je näher sie aber der Grenze lagen, desto vegetationsärmer wurden sie, bis derjenige, der sich unserm Auge als der nächste zeigte, nämlich der Dschebel Allah, kein einziges Gräschen und keinen einzigen Halm mehr trug. Wenigstens auf der uns zugekehrten Seite, wie ich, wie man bald sehen wird, verpflichtet bin, besonders hinzuzufügen.

Bis jetzt hatten wir uns sorgfältig gehütet, den Panther wissen zu lassen, daß er verfolgt werde. Dies war uns dadurch erleichtert worden, daß er keine Arrieregarde – Nachhut – hatte. Für seine Sicherheit nach rückwärts zu sorgen, hatte er nicht für nötig gehalten. Jetzt aber wurde es anders. Es bildete sich eine Nachhut, aber nicht zum Schutz des Heeres, sondern aus andern Gründen. Das waren die Maroden und die Unzufriedenen. Der Mangel begann, sich fühlbar zu machen. Der Proviant ging aus. Und Wasser gab es nur in einzelnen, weit umher zerstreuten Pfützen, welche in einstigen, ausgetrockneten und vollständig versandeten Wasserläufen lagen, in denen sich jetzt die Feuchtigkeit nach einer jahrhundertelangen Dürre plötzlich wieder zu zeigen begann. Der Panther sah sich durch die Not gezwungen, nach solchen Stellen suchen zu lassen. Infolgedessen konnten wir es nicht umgehen, auf solche Suchende, auf zurückgebliebene Marode und auf Unzufriedene, die dem Heer entlaufen wollten, zu stoßen. Wir hüteten uns aber wohl, diese Leute zu ergreifen und sie bei uns auf- oder gar uns ihrer anzunehmen. Dies zu tun, hätte doch gar nichts anderes geheißen, als ihn von ihnen zu befreien, um uns mit ihnen zu belasten. Nein, wir jagten sie einfach wieder zu ihm zurück, um seine Sorge und Bedrängnis zu vermehren. Dadurch erfuhr er freilich, daß er Truppen hinter sich habe, die ihn verfolgten, aber es war für uns die Zeit gekommen, in der er das überhaupt erfahren mußte. Das war eine Folge, die wir zwar vorausgesehen hatten, ohne sie uns aber in der Weise zu denken, in der sie sich einstellte. Nämlich, als es wiederholt geschehen war, daß wir Ausreißer und Liegengebliebene zu ihm zurücktrieben, sahen wir drei Reiter erscheinen, von denen der mittlere ein weißes Tuch an seiner Lanze trug. Er hatte sich bei unsern äußersten Vorposten eingestellt und den Wunsch geäußert, zum obersten Kommandanten unseres Heeres geführt zu werden. Man hatte ihn entwaffnet und uns dann durch die beiden andern Reiter, welche Tschoban waren, zugeschickt. Der Mir wollte nicht erkannt sein, denn es lag nicht in unserm Interesse, daß der Panther die Wahrheit sogleich erfuhr. Darum wurde bestimmt, daß ich allein den Parlamentär empfangen und mit ihm sprechen solle. So geschah es. Ich sonderte mich ab und ließ ihn mir vorführen. Er war ein ziemlich alter, starkknochiger, vollbärtiger Mensch, dessen Gesicht kein allzu großes Vertrauen erweckte. Er musterte mich scharf, indem er sich mir näherte, grüßte kurz und fragte:

»Wer bist du? Ich sah dich noch nie!«

»Auch ich habe dich noch nie gesehen, frage dich aber trotzdem nicht, wer du bist«, antwortete ich. »Steig ab!«

Wir waren nämlich nicht unterwegs, sondern hatten Lager; darum war ich nicht zu Pferde.

»Warum soll ich nicht im Sattel bleiben?« erkundigte er sich.

»Weil es mir nicht gefällt, so von oben herab mit mir sprechen zu lassen. Hat man dir freies Geleit versprochen?«

»Ja. Was tust du, wenn ich nicht absteige?«

»Ich würde dich einfach herunterschießen, wenn man dir nicht Freiheit und Sicherheit deines Lebens zugesichert hätte. So aber erschieße ich nur dein Pferd. Also, kommst du freiwillig herunter oder nicht?«

Da stieg er langsam und einen halblauten Fluch ausstoßend herab und sagte:

»Ich muß wissen, was für Leute das sind, die es wagen, hier hinter uns ...«

»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Hier hat kein anderer zu fragen als ich! Am allerwenigsten du! Wer ist es, der dich sendet?«

»Der neue Mir von Ardistan.«

»Das ist nicht wahr!«

»Oho! Willst du sagen, daß ich lüge?«

»Ja. Der neue Mir von Ardistan ist bei uns, nicht aber bei euch. Meinst du vielleicht den sogenannten Panther, den zweitgeborenen Prinzen der Tschoban?«

»Ja.«

»Den Empörer! So wisse, daß er verloren ist, und ihr alle seid es mit ihm! Er gefiel wohl euch, doch aber den Christen nicht; darum gaben diese dem Land einen andern Mir, der von ganz Ard und Ardistan mit Jubel bestätigt wurde. Dieser wirkliche Mir von Ardistan ist dem Panther nachgeeilt, ihn niederzuschlagen.«

Der Mann sah mir mit ungewissen, flackernden Augen in das Gesicht und fragte:

»Ist das wahr?«

»Oho! Willst du etwa sagen, daß ich lüge?« antwortete ich mit seinen eigenen Worten.

»So führe mich zu ihm!« begehrte er. »Ich habe verlangt, mit eurem obersten Kommandanten zu sprechen!«

»Du hast nichts zu verlangen. Er hat mir aufgetragen, mit dir zu reden. Wenn dir das nicht paßt, so mache dich sofort wieder auf das Pferd, damit ich dich nach dort zurückbringen lasse, woher du gekommen bist!«

Er hütete sich wohl, dies zu tun. Er hatte sich die Sache ganz anders gedacht, als sie sich nun gestaltete. Und er sagte sich, daß es jetzt seine Aufgabe sei, so viel wie möglich zu erfahren, um es dem Panther berichten zu können. Diesen Zweck konnte er aber gewiß nicht erreichen, wenn er den jetzigen Ton beibehielt. Darum bat er nun in höflicher Weise:

»Verzeih, Herr! Hättest du mir gesagt, wer du bist, so würde ich dir wohl keine Veranlassung gegeben haben, mich in dieser Art abzufertigen!«

»So sei bescheiden, und mach es kurz! Was läßt uns der Panther sagen?«

»Daß er mit dem Kommandanten dieses Heeres sprechen will.«

»Wann?«

»Sofort!«

»Wo?«

»In seinem Zelt.«

»Unser Kommandant soll also zu ihm kommen? In euer Lager?«

»Ja.«

»Zu einem solchen Lügner und Verräter? Und ihm nachlaufen? Nein, nein! Es sei dem Panther eine Unterredung gewährt, aber nur aus Gnade und Barmherzigkeit, aus keinem andern Grund. Eigentlich hätte er hierher zu uns, in unser Lager zu kommen, aber er gehört zu denjenigen Menschen, die in einem solchen Geruch stehen, daß man mit ihnen nicht im Zelt, sondern nur in freier Luft verkehren kann. Darum soll diese Unterredung genau auf halbem Weg zwischen unserm und eurem Lager stattfinden. Unser Mir kommt unbewaffnet und bringt fünfzig unbewaffnete Begleiter zu Pferde mit, und dem Panther sei gestattet, ganz ebenso zu tun. Ist bei ihm oder bei einem seiner Leute eine einzige Waffe zu sehen, wird er eine schlimme Abrechnung erleben. Das sage ihm ja; ich warne dich und ihn! Jetzt ist die Hälfte zwischen Morgen und Mittag. Genau drei Stunden nach Mittag wird unser Mir an Ort und Stelle sein. Ist der Panther noch nicht da, so kehrt der Mir augenblicklich wieder um, und das Schicksal, welches euch bestimmt ist, wird keinen Augenblick mehr aufzuhalten sein. Jetzt steig wieder auf, und folge mir! Ich werde dir die Stelle bezeichnen, an welcher der Panther sich einzufinden hat.«

»Ich soll also fort?« erkundigte er sich.

»Ja«, antwortete ich.

»Ich habe aber noch so viel zu fragen!«

»Das laß nur bleiben! Hier gibt es keine Knaben, die man ausfragen kann, wie man will. Steig also auf, und komm!«

Ich ging zur nächstruhenden Tschobanabteilung und ließ mir eines der dortigen Pferde geben. Auf meinen Rappen mußte ich verzichten, denn wenn der Parlamentär dem Panther dieses Pferd beschrieben hätte, so wäre dieser sofort imstande gewesen, zu sagen, mit wem der erstere gesprochen hatte. Ich ritt mit ihm und seinen beiden Begleitern nicht nach der Richtung, in welcher die von mir zu wählende Stelle war, sondern ich machte einen Umweg, und zwar in der Weise, daß er ein möglichst imponierendes Bild von unserer Stärke und Aufstellung bekam. Er sah die Ussul und die Tschoban, und er sah die weit nach Ost und West hinauslaufenden Ketten der Reiter von El Hadd und Halihm. Das genügte für einstweilen. Als wir dann den Punkt erreichten, der mir für die geplante Zusammenkunft geeignet erschien, mußte er, um ihn wiederzufinden, seine Friedenslanze in die Erde stecken. Als er dies getan hatte, ritten die beiden Tschoban mit ihm von dannen. Sie hüteten sich ganz selbstverständlich, ihm meinen Namen zu sagen. Ich kehrte zu dem Mir zurück, bei dem sich der Dschirbani mit Halef befand. Als ich ihnen mitgeteilt hatte, wer der Mann gewesen war und was für einen Auftrag er jetzt mit sich nahm, sagte der Mir:

»Ich bin gern mit allem einverstanden, was du getan und bestimmt hast. Der Panther wird kommen; mich aber ekelt es an, diesem Menschen mein Angesicht zu zeigen.«

»Das sollst du auch nicht«, erwiderte ich.

»Wer sonst?«

»Halef.«

»Ich?« rief der kleine Hadschi aus, indem er eine Bewegung machte, als ob er elektrisiert worden sei. »Wie meinst du das, Effendi?«

»Du reitest den köstlichen Schimmelhengst des Mirs, empfängst den Panther oder begrüßest ihn in deiner Weise und sagst ihm, daß du zum Herrscher von Ardistan erwählt worden seist und diese Würde angenommen habest. Du forderst ihn auf, sich dir augenblicklich zu ergeben.«

Da sprang Halef von seinem Sitz auf, machte eine Bewegung, als ob er mit beiden Beinen in die Luft wolle, beherrschte sich aber und rief aus:

»Allah sei Dank! Schon wollte ich vor Freude einen glänzenden Sprung meiner jubelnden Füße machen, aber ich besann mich noch zur rechten Zeit, daß sich das für den Mir von Ardistan, zu dem du mich erhoben hast, nicht schickt. Ich danke dir, Effendi, ich danke dir von ganzem Herzen! Nun bekomme ich doch endlich wieder einmal etwas zu tun, was mir geziemt und meiner Seele gefällt. Ich werde die mir anvertraute Rolle in einer Weise spielen, daß euer Lob über mich kein Ende nimmt. Hat jemand von euch in Beziehung auf das, was ich dem Panther sagen soll, einen Wunsch, so bitte ich, ihn mir mitzuteilen; ich erfülle ihn sehr gern!«

»Was du zu sagen hast, läßt sich nicht im voraus bestimmen«, erklärte ich ihm. »Man müßte vorauswissen, was der Panther vorbringt. Du kennst unsere Lage, und du kennst unsere Absichten. Der Panther ist kein Pfiffikus, sondern ein leicht erregbarer, unvorsichtiger Mensch; auf deine Klugheit aber können wir uns, denke ich, verlassen.«

Er nahm dieses Lob mit einer anerkennenden Handbewegung hin; der Mir aber fragte:

»Wozu dieser Scherz? Haben wir nicht alle Veranlassung dazu, ernst zu sein?«

»Es gibt Scherze, die gerade nur vom Ernst befohlen werden«, antwortete ich. »Ich halte den Panther schon längst nicht mehr für einen Menschen, den man ernst zu nehmen hat. Nur dadurch, daß man diesen eigenwilligen, überspannten Hanswurst so hoch überschätzt und als etwas ganz anderes genommen hat, als was er ist, konnte er von dem Basch Islami für den Mann gehalten werden, für den er gehalten wurde. Es würde keine Ehre für uns, sondern ein unverzeihlicher Fehler von uns sein, mit ihm in wirkliche, ernstgemeinte Verhandlungen zu treten. Er ist einfach nur als Chodscha von Chorassan – als Harlekin, als Hansnarr – zu behandeln. Er muß, wenn wir mit ihm fertig sind, das Gefühl haben, daß er gar nicht weiß, woran er ist. Und er darf gerade nur das für richtig halten, was nicht für ihn, sondern für uns von Nutzen ist.«

»Du hast recht, vollständig recht«, gestand er ein. »Unser Halef mag diese Rolle spielen. So bekommt mich der Panther also nicht zu sehen. Aber dabeisein und ihn hören möchte ich doch!«

»Ich auch«, sagte der Dschirbani.

»Und ich auch«, stimmte ich bei. »Wir gesellen uns also zu den fünfzig Begleitern des Hadschi.«

»Da sieht und erkennt uns der Panther«, entgegnete der Dschirbani.

»Er wird uns sehen, aber nicht erkennen«, erklärte ich. »Bei der Bagage der Lanzenreiter gibt es, wie ich gesehen habe, Reserveanzüge jeder Größe. Wir sind vier Personen. Zwei kleiden sich als Lanzenreiter von El Hadd und zwei als Lanzenreiter von Halihm. Wir legen genau so blaue Schleier um wie der Schech el Beled; da kann man unsere Gesichter nicht erkennen.«

»Wieso vier Personen?« fragte der Mir. »Wir sind außer unserm Hadschi Halef Omar ja nur drei!«

»Ich nehme den Basch Islami hinzu.«

»Warum?«

»Weil ich es für gut halte, daß er seinen einstigen Liebling und Verbündeten als den kennenlernt, der er in Wirklichkeit ist. Ich halte es keineswegs für unmöglich, daß in dem Basch Islami noch ein Rest des alten Vertrauens vorhanden ist, der aber hierdurch schnell beseitigt würde.«

»Auch in diesem Punkt hast du recht. Wir werden also derart verfahren, wie du vorgeschlagen hast. Setzen wir uns sofort zu Pferde, um die Anzüge zu besorgen!«

Der Mir ritt mit dem Basch Islami nach der Bagage von Halihm, ich mit dem Dschirbani nach der Bagage von El Hadd. Dort dauerte es ziemlich lange, bis wir einen Anzug für die Gestalt meines Begleiters fanden; es glückte uns aber dennoch, einen zu entdecken. Einer für mich war leicht gefunden. Als wir dann nach unserm Lager zurückgekehrt waren, stellte sich der Parlamentär des Panthers zum zweiten Male ein, um einige Veränderungen meiner Abmachungen mit ihm zu erwirken. Ich wies seine Zumutungen zurück Er kam dann noch einmal wieder, um einige Queruleien durchzusetzen, hatte aber genau denselben Mißerfolg. Als er erkannte, daß bei mir nichts zu erreichen sei, bequemte er sich schließlich zu der definitiven Mitteilung, daß der Panther kommen werde, und zwar genau in der von mir vorgeschriebenen Weise.

Als nach europäischer Zeitrechnung zwei Uhr vorüber war, kleideten wir uns um. Der Mir und der Basch Islami in blaue, der Dschirbani und ich in naturfarbene Lanzenreiteranzüge. Die Gesichter wurden blau verschleiert. Auch die Pferde nahmen wir von den Lanzenreitern, um nicht an den unseren erkannt zu werden. Halef bekam den Prachtschimmel des Mirs. Er staffierte sich auf das Köstlichste heraus, natürlich mit geliehenen Kleidungsstücken, und wand sich einen Turban, der, wie bei den Häuptlingen mancher Kurdenstämme, einen Durchmesser von beinahe zwei Ellen hatte. Einen Schleier hatte er auch. Der war weiß und an seiner unteren Kante mit abwechselnd blauen und roten Fransen verziert. Höchstwahrscheinlich stammte er aus dem Harem eines muselmanischen Ardistaners.

Kurz vor drei Uhr brachen wir auf. Voran ritt Halef. Ihm folgten wir vier. Hinter uns kamen sechsundvierzig Ussul und Tschoban.

Als wir die Stelle erreichten, in der die Lanze steckte, war der Panther mit seiner Begleitung schon da. Er saß allein. Seine Leute bildeten hinter ihm einen Halbkreis. Halef wäre nicht Halef gewesen, wenn er seine Ankunft so kurz und einfach wie möglich gestaltet hätte. Er hatte uns unterrichtet, wie er es wünschte, und wir taten nach seinem Willen. Wir kamen im Galopp angebraust, stellten uns, als ob wir die Gegner niederreiten wollten, rissen unsere Pferde aber noch im letzten Augenblick herum und wiederholten diese Attacke noch zweimal, um dann in der Weise Platz zu nehmen, daß Halef dem Panther fünf Schritte weit gegenübersaß. Rechts von ihm ließ sich der Mir mit dem Basch Islami, links ich mit dem Dschirbani nieder. Hinter uns bildeten unsere Begleiter einen Halbkreis, der denselben Durchmesser, wie der uns gegenüberliegende, hatte.

Eine Zeitlang blieb alles still. Die beiden Hauptpersonen hatten sich nicht einmal begrüßt. In dieser Beziehung war mein Halef einzig. Es fiel ihm gar nicht ein, das erste Wort zu sprechen. Er hätte bis morgen früh geschwiegen und wohl auch noch länger, nur um seinem Gegenüber die Reprimande erteilen zu können, nicht so voreilig und sprachselig zu sein. Aber so lange dauerte es gar nicht. Der Panther war viel zu ungeduldig, als daß er auch nur fünf Minuten hätte warten können. Es war noch nicht die Hälfte dieser Zeit vergangen, so rief er hastig aus:

»Wie lange soll das Schweigen dauern? Beginnen wir doch! Ich bin der Mir von Ardistan.«

Halef blieb still.

»Hast du es gehört?« fragte der Panther. »Ich bin der Mir von Ardistan.«

Halef blieb immer noch stumm.

»Bist du taub?« fuhr sein Gegenüber fort. »Ich habe dir gesagt, daß ich der Mir von Ardistan bin!«

Da endlich schüttelte Halef langsam, sehr langsam seinen Riesenturban, hob ebenso langsam seine Arme empor und sprach:

»Oh Allah, Allah, wie lange soll es Leute geben, die nicht schweigen können, sondern es so eilig haben, durch ihre Schwatzhaftigkeit in alle Welt hinauszuposaunen, daß sie verrückt geworden sind. Ich komme mit meinen 163 000 Fußgängern, 290 000 Reitern und 385 000 Kanonen und Haubitzen soeben und direkt aus Ard, der Hauptstadt von Ardistan, um einen armseligen Lügner, Betrüger und Rebellen in die Luft zu blasen. Man hat mich dort zum Mir von Ardistan gewählt. Man hat mich auf den Thron gesetzt und mich mit Krone, Zepter und Säbel zum einzigen und alleinigen Herrscher des Reiches erhoben, und hier setzt sich nun so ein Frosch gerade vor mich hin und quakt mir in die Ohren, daß ich nicht der Mir von Ardistan sei, sondern er!«

Als Halef zu sprechen begann, hatte der Panther aufgehorcht, denn der Hadschi gab sich keine Mühe, seine Stimme zu verstellen. Jetzt aber fuhr der erstere mit der Hand nach dem Gürtel, in dem er aber jetzt keine Waffen mehr hatte, und fragte:

»Wen meinst du mit dem Frosch?«

»Dich!« antwortete Halef sehr ruhig und sehr aufrichtig.

Da sprang der Panther von seinem Sitz empor, streckte ihm die geballten Fäuste entgegen und schrie:

»Hund! Sei froh, daß wir ohne Waffen sind. Denn wäre das nicht der Fall, so würde ich dich niederschießen wie einen räudigen Schakal oder eine stinkende Hyäne. Du bist mir überhaupt ein widerwärtiger Kerl. Du hast die Gestalt und Stimme eines Bekannten von mir, welcher von allen Dummen und Dümmsten der Erde der Allerdümmste ist. Hüte dich! Sonst ergeht es dir genau so, wie es ihm ergangen ist!«

»Und wie erging es ihm?« fragte Halef.

»Ich ließ ihn einsperren. Er ist verhungert und verdurstet. Er ist verschmachtet unter tausend Qualen. Willst du etwa dasselbe Schicksal erleiden, welches er erlitten hat?«

»Ja, das will ich allerdings! Ich kann überhaupt kein anderes Schicksal erleiden als das seinige. Und ich bin mit diesem seinen und meinem Schicksal ganz ebenso zufrieden wie er. Denn erstens sieht er gar nicht so verhungert und verdurstet aus, wie du denkst, und zweitens ist er Mir von Ardistan geworden und wird dir zeigen, wer und was du bist. Da, schau her!«

Er hob den Schleier empor und warf ihn nach hinten über den Turban, so daß sein Gesicht frei wurde. Der Panther stand im Begriff, sich wieder niederzusetzen, schnellte aber sofort nochmals empor und rief aus:

»Der Haddedihn, der verdammte, neunmal verdammte Hadd...«

Er brach mitten im Wort ab. Der Schreck, der ihn ergriffen hatte, ließ ihn nicht weitesprechen. Er ließ sich langsam, langsam wie einer, der in sich zusammenbricht, auf die Erde nieder, senkte den Kopf, legte die Hände vor das Gesicht und blieb still. Halef hatte kein Verständnis für so tief innerliche, gewaltige Erregungen; er wandte sich zu uns und sagte:

»Hatte ich nicht recht, als ich ihn einen Frosch nannte? Bald springt er auf, bald springt er nieder; bald bläst er sich auf, bald fällt er wieder zusammen. Und das ist so frech, sich auch einen Mir von Ardistan zu nennen!«

Ich gab ihm einen stillen Wink mit der Hand; da sprach er nicht weiter. Der Panther tat, als habe er die Worte des Hadschi gar nicht gehört. Vielleicht waren sie auch wirklich an seinem innern Ohr vorübergegangen, ohne vernommen zu werden. Aber nach einiger Zeit ließ er die Hände sinken, richtete den Kopf empor, sah uns einen nach dem andern an und blieb dann mit seinem Blick an Hadschi Halef hängen. Sein Gesicht war bleich geworden; das sah man trotz der von der Sonne verbrannten Haut. Aber der Schreck war vorüber, war vollständig überwunden. Die Züge veränderten sich zusehends. Sie nahmen nach und nach einen lauernden Ausdruck an, etwas gewiß und wirklich Pantherartiges. Und als er sodann sprach, verriet seine Stimme nicht die geringste Spur von Erregung, sondern eine derartige, unheimliche Selbstbeherrschung, daß es mir vorkam, er ziehe sich nur deshalb so tief in sich selbst zurück, um sich dann desto kräftiger und verderblicher auf uns zu stürzen.

»Der Haddedihn lebt!« sagte er. »Der Narr, der Faselhans! Und wenn er lebt, leben auch die andern! Sie sind entkommen! Der Mir hat Glück gehabt, unmenschliches Glück! Er ist wieder nach Ard zurückgekehrt! Er hat sich mit dem Dschirbani vereinigt! Das sehe ich an diesen Reitern hier, die nicht zur alten Ussulgarde in Ard, sondern zu den Truppen des Dschirbani gehören. Dieser letztere ist also auch aus der Stadt der Toten entkommen! Wahrscheinlich mit Hilfe jenes niederträchtigen Menschen aus Dschermanistan, den ich zwischen meinen Fäusten zerreiben werde, so – so – so!«

Er rieb die Fäuste aneinander, um uns das, was er sagte, zu verdeutlichen. Hierauf fuhr er fort:

»Dann ist er hinter mir her, der Mir, der alte Mir! Der Mir von Dschinnistan hat sich seiner erbarmt und ihm Hilfe geschickt! Pfui! Und der Schech el Beled von El Hadd ist zu ihm gestoßen! Ebenso der Fürst von Halihm ...«

»Dessen Tochter du zum Weibe begehrtest«, fiel Halef schnell ein.

»Woher weißt du das?« fuhr ihn der Panther an.

»Ich las deinen Brief«, antwortete der Hadschi.

»Welchen Brief?«

»Den du durch deinen Oberst an Abd el Fadl sandtest.«

»Lügner! Der Fürst von Halihm würde dir solche Briefe nie zu lesen geben!«

»Willst du etwa leugnen?« rief es da auf Halefs anderer Seite, wo der Basch Islami saß, der seine Erbitterung nicht zu zügeln verstand.

»Wer bist du? Was hast du hier hereinzureden?« fragte der Panther.

»Wer ich bin? Schau her! Wir alle haben deinen Brief gelesen, wir alle! Auch ich, ich, ich!«

Er entfernte den Schleier von seinem Gesicht, doch hatte das keineswegs den von ihm erwarteten Erfolg. Der Panther stutzte zwar einen Augenblick, aber eben nur einen Augenblick, und rief dann unter höhnischem Lachen aus:

»Dummköpfe, die ihr seid! Armselige, elende Dummköpfe, alle, alle, mögt ihr sein, wer ihr wollt! Theater habt ihr mit mir spielen wollen, Theater! Der verrückte Haddedihn hatte den Mir vorzustellen, den Herrscher! Damit ist offenbar, welche lächerliche Vorstellung ihr von dem Mann habt, dem die Aufgabe geworden ist, Ardistan in Zucht und Ordnung zu halten! Hahahahaha!«

Er lachte aus vollem Halse, und weil er sich dabei nach seinen Begleitern umdrehte, lachten diese mit. Dann fuhr er fort:

»Ja, Theater, Betrug und Schwindel! Wir glaubten wirklich, Lanzenreiter von El Hadd und Halihm vor uns zu sehen. Ja, wir waren sogar überzeugt, daß eure Verhüllung den ›Schwur von Dschinnistan‹ bedeute. Nun aber dieser alte Mann, der sich einbildete, der Vater der zukünftigen Herrscherin zu sein, eure Maskerade verraten hat, weiß ich, woran ich bin. Ich gehe auf diese Maskerade ein, aber ich mache es kurz mit euch, viel kürzer, als ihr denkt.«

Er erhob sich wieder von seinem Sitz, verschränkte die Arme über die Brust, um sich eine imponierende Feldherrnstellung zu geben und richtete dann die Frage an Halef:

»Also du bist der Mir von Ardistan?«

»Ja«, antwortete dieser.

»Schön! Da ich dasselbe auch von mir behaupte, so muß einer von uns fallen, entweder du oder ich. Das siehst du doch wohl ein?«

»Also Kampf?« fragte Halef schnell.

»Ja.«

»Zwischen dir und mir?«

»Ja.«

»Ich bin bereit! Sofort, sofort! Lassen wir uns Waffen kommen! Oder nehmen wir nur die Fäuste? Auch das ist mir recht, sehr recht!«

Es fiel dem kleinen Hadschi nicht ein, sich zu fürchten. Er wußte, daß er dem Panther in jeder Beziehung gewachsen war. Es versetzte ihn ganz im Gegenteil in Entzücken, diesen Menschen in einem regelrechten, offiziellen Zweikampf niederringen zu können. Dieser aber fiel ebenso rasch ein:

»Nicht so, nicht so! Fällt mir gar nicht ein, mich mit einem Menschen, wie du bist, in solcher Weise herumzubalgen. Bist du wirklich der Mir, so steht da dein Heer und dort das meinige. Ich meine den Kampf zwischen den beiden Heeren, nicht aber zwischen mir und dir. Mit Zwergen kämpft man nicht! Ich lade dich zur Schlacht, zur Schlacht für morgen früh. Sie beginnt, sobald es tagt. Bist du einverstanden?«

Es war ein außerordentlich geringschätziger Blick, den er bei dieser Frage auf den Hadschi warf. Dieser antwortete nicht sofort. Er fühlte sich durch den Hinweis auf die Kleinheit seiner Gestalt in so hohem Grade beleidigt, daß er nicht gleich Worte fand, die ihm kräftig genug erschienen. Außerdem wurde seine Aufmerksamkeit ganz ebenso wie die unserige dadurch abgelenkt, daß der Himmel sich plötzlich verfinsterte, obgleich wir keine Wolke sahen, die unter der Sonne vorüberging. In demselben Augenblick erhob sich ein scharfer Wind, der keine bestimmte, feste Richtung zu haben schien und den Sand und Staub nach allen Seiten trieb.

»Zu den Pferden!« rief ich aus. »Schnell zu den Pferden! Nehmt die Zügel kurz an den Mäulern, und haltet sie fest, sehr fest! Weit auseinander mit ihnen, damit sie einander nicht schlagen! Mir scheint, die Erde will beben!«

Unsere Leute sprangen sofort auf und taten, wie ich gesagt hatte; die Begleiter des Panthers aber blieben an ihren Plätzen. Er lachte höhnisch auf und rief:

»Erdbeben! Ja, wenn man Memmen und Feiglingen eine Schlacht, eine wirkliche Schlacht anbietet, so machen sie nicht mit, indem sie vorgeben, die Erde wolle beben! Schande über euch, dreifache Schande, Schande!«

Jetzt, nach dieser noch größeren Beleidigung, wollte Halef dreinfahren; da aber rief ihm der wirkliche Mir zu:

»Ich bitte dich, schweig! Das Wort Schlacht ist gefallen, dadurch wird alles anders, als wir dachten und als wir wollten. Von nun an spreche ich selbst!«

Er entfernte den Schleier von seinem Gesicht, trat vor den Panther hin und fragte:

»War das dein Ernst? Bist du bereit zur Schlacht?«

Der Gefragte wich einige Schritte zurück. Mochte er geahnt haben oder nicht, wer wir waren, in diesem Augenblick erschrak er doch. Auch wir andern nahmen die Verhüllungen weg, so daß er sah, wer wir waren.

»Alle sind entkommen, alle!« knirschte er.

Er wich noch einige weitere Schritte zurück, betrachtete uns hassesfunkelnden Auges, zog sich zusammen wie eine Katze, die zum Sprung ausholt, und richtete dann die Worte an den Mir:

»Wirst du mir die Wahrheit sagen, wenn ich dich frage?«

»Leute deiner Art belügt man nicht«, antwortete der Herrscher stolz.

In diesem Augenblicke begann es zu donnern. Ob unter oder über der Erde, das wußte man nicht.

»Sind wirklich die Lanzenreiter von El Hadd bei euch?« erkundigte sich der Panther.

Ja«, nickte der Mir.

»Wie viele?«

»Zähle sie in der Schlacht!«

»Und die Lanzenreiter von Halihm?«

»Ja.«

»Habt ihr Wasser für so viele?«

»Für noch viel mehr!«

»Allah verdamme euch! Mich aber wollt ihr durch den Hunger und vor allen Dingen durch den Durst besiegen?«

»Ja.«

»Ich bin von aller Zufuhr abgeschnitten! Ich habe kein Wasser! Ich muß elend verschmachten, ganz so, wie ich euch verschmachten lassen wollte in der Stadt der Toten! So denkt ihr jetzt. Aber ihr irrt. Ihr kennt mich nicht. Ich hole mir Wasser, und ich hole mir Brot. Und wißt ihr, wo? Bei euch! Habe ich zu dem Haddedihn vorhin ironisch von einer Schlacht gesprochen, so mache ich jetzt Ernst. Ich lade dich zur Schlacht, zur Verzweiflungsschlacht zwischen mir und dir. Nimmst du sie an?«

»Ja«, antwortete der Mir.

»Morgen?«

»Ja.«

»Wo?«

»Wo ich dich treffe.«

Da donnerte es abermals. Das klang, als sei es nicht nur oben am Himmel, sondern auch unter der Erde. Die Pferde unserer Gegner begannen zu schnauben und unruhig zu werden. Da zeigte der Panther nach Norden, wo die drei Kuppen des Dschebel Allah hoch emporragten, und fuhr fort:

»Diese Schlacht, die zwischen dir und mir entscheidet, sei dort, am Fuß des Dschebel Allah. Morgen früh, beim Beginn des Tages, Ist es dir recht?«

»Ja.«

Da ging, so schnell wie ein Blitz, ein dünnes, scharfes Geräusch unter uns hinweg, wie wenn eine Eisfläche, auf der man steht, einen jähen, sich weit fortpflanzenden Riß bekommt, und zugleich war es, als ob wir in einer Schaukel ständen, welche anfangen wolle, sich zu bewegen. Die Pferde wurden ängstlicher.

»So ist es denn als abgemacht betrachtet!« setzte der Panther seine Rede fort. »Morgen früh, sobald es hell genug geworden ist, den Freund vom Feind zu unterscheiden.« Und mit einem Hohn sondergleichen fügte er hinzu: »Ich hoffe, daß du kommst! Denn das war wohl nicht sehr heldenhaft von euch, mich durch Hunger und Durst besiegen zu wollen. Nicht euer Wasser soll entscheiden, sondern das Schwert!«

»Nein, weder das Wasser noch das Schwert, weder du noch ich sollen entscheiden, sondern ein Höherer!« rief der Mir.

»Ein Höherer? Wer?«

»Gott!«

»Gott!« lachte der Panther. Es war so geringschätzig dieses Lachen. »Nur Menschen fünften oder gar sechsten Wertes verlassen sich auf den, den sie als Gott, als Allah oder mit sonstwie ähnlichen Namen bezeichnen. Ich aber, der neue Mir von Ardistan, kann mich ganz unmöglich dem Rang nach so tief hinunterstellen. Ich brauche diese Hilfe nicht, nach der nur Schwache und Unfähige lechzen. Ich siege durch mich selbst, durch meine eigene Kraft, nicht aber durch ...«

Er hielt inne. Er konnte den angefangenen Satz nicht vollenden. Es tat in diesem Augenblick einen Krach, als müsse Himmel und Erde zugrunde gehen, und die letztere begann zu wanken. Der Panther stürzte zu Boden. Er wollte sich zwar schnell aufraffen, aber es folgten noch weitere Erdstöße, die ihn immer wieder niederwarfen. Die Pferde seiner Truppe wieherten vor Schreck laut auf und jagten davon. Seine Leute brüllten und rannten hinter ihnen her. Da schrie auch er:

»Fort, fort! Hier ist der Scheitan – der Teufel – los! Er hole euch alle miteinander! Fort, nur fort!«

Er sprang den Voranfliehenden in großen Sätzen nach, und zwar ohne daß er wieder niederstürzte, weil die Stöße nun vorüber waren und sich nicht wiederholten. Seine Pferde verschwanden schnell am Horizont. Was die unserigen betrifft, so verhielten sie sich nicht alle gleich. Die Schimmel der Lanzenreiter hatten sich nicht gerührt. Sie waren von ihrer Heimat her diese Unzuverlässigkeit des sogenannten »festen« Erdbodens gewohnt. Die dicken Gäule der Ussul waren zwar auch erschrocken, aber ihr angestammtes, in diesem Falle höchst vortreffliches Phlegma half ihnen schnell und leicht über diesen Schreck hinweg. Sie blieben einfach stehen und sahen sich nur verwundert nach der Ursache dieses Lärmes um, ohne sich aber von ihm aus der Fassung bringen zu lassen. Der Schimmel des Mirs war ein wahrhaft edles Tier. Zwar erregten die Erdstöße sein Entsetzen, doch bewirkten die guten Worte Halefs und des Mirs, die beide zu ihm hingeeilt waren, daß er nicht ausbrach, sondern sich beruhigte. Anders aber die Pferde der Tschoban, die mit aller Gewalt festgehalten werden mußten und nach allen Seiten mit den Hufen um sich schlugen. Darum war es gut, daß man sie infolge meines Rates sogleich und so weit auseinandergezogen hatte, daß sie einander nicht verletzen konnten. Ebenso wie hier an dieser Stelle hatten sich auch die Pferde unsers Lagers und unserer ganzen Linie verhalten. Die Schimmel der El Hadd und Halihm waren ruhig geblieben, die Urgäule der Ussul auch. Syrr und Assil Ben Rih waren angepflockt gewesen. Sie hatten zwar ihre Mähnen gesträubt und einige Sprünge gemacht, sich aber nicht losgerissen. Mit den Pferden der Tschoban aber hatte man viel Mühe und Arbeit gehabt, die durch ihre Angst entstandene Unordnung zu beseitigen. Am allerschlimmsten aber war es, wie wir später erfuhren, im Heer des Panthers zugegangen. Es hatte da eine geradezu unbeschreibliche Verwirrung mit vielfältigen Verletzungen von Pferden und Menschen gegeben. Ich kann jetzt hierüber weggehen, weil ich später Gelegenheit haben werde, ganz ähnliches zu berichten.

So schnell wie die Verfinsterung des Himmels gekommen war, so schnell war sie auch wieder gegangen. Kaum hatten wir den stracks auf seinen eigenen Beinen davongaloppierenden Panther verschwinden sehen, so war der Himmel wieder rein und frei, und die Sonne strahlte in der alten Weise auf uns hernieder. Die Erdstöße hatten nicht nur auf den Panther und seine Leute, sondern auch auf uns und unsere Stimmung gewirkt, natürlich aber in anderer Weise als bei ihm. Wir alle hatten das Gefühl, daß ein Höherer, Unsichtbarer uns zur Seite stehe, der uns durch das Beben der Erde hatte zeigen wollen, daß nur allein Verlaß auf ihn und seine Hilfe, nicht aber auf menschliche Pläne sei. Wie schnell war mein Vorhaben, den Panther zu ironisieren, zusammengefallen! Und wie prompt hatte der Mir auf seine Absicht, sich nicht zu erkennen zu geben, verzichten müssen! Nun standen wir, die wir hatten schauspielern wollen, da und schauten einander an. Was hatten wir erreicht?

»Effendi, ich spiele niemals wieder den Mir!« sagte Halef. »Ich habe meine Sache so ungeheuer schlecht gemacht, daß sogar die Erde vor Ärger unter mir zitterte! Ich bleibe Scheich der Haddedihn vom Stamm der Schammar. Wer sich für mehr ausgibt, als er ist und kann, dem schwindet der Boden unter den Füßen weg, und so etwas will ich nicht wieder erleben! Der Panther hat uns die Schlacht angetragen, ganz so, wie in früherer Zeit die großen Helden taten. Wir werden also später von einer ›Schlacht am Dschebel Allah‹ erzählen können. Aber glaubst du, daß er Wort hält?«

»Nein«, antwortete ich.

»Nicht? Hast du Gründe hierzu?«

»Sehr triftige.«

»Ob du dich da nicht irrst? Er ist doch gezwungen, mit uns zu kämpfen. Er muß doch verdursten, wenn er kein Wasser bekommt. Und das kann er sich nur bei uns holen. Er selbst hat es gesagt.«

»Grad weil er es gesagt hat, glaube ich es nicht. Es gibt Wasser, und zwar gar nicht weit von hier.«

»Wo?«

»Gleich jenseits des Dschebel Allah. Alle diese Berge, die uns als kahl erscheinen, auch der Dschebel Allah, sind nur nach Süden kahl, also nach der Seite, von welcher die Einflüsse von Ardistan zerstörend wirken konnten. Das habe ich in den Büchern Marah Durimehs gelesen und auch aus ihrem eigenen Mund gehört. In den Schluchten jenseits des Dschebel Allah gibt es fließendes Wasser; nur kann es nicht hier herüber in dieses vertrocknete und verschmachtete Land. Es sollte mich wundern, wenn der Panther das nicht ebensogut und noch besser wüßte als ich, der Fremde.«

»Er weiß es«, fiel der Basch Islami ein. »Ich selbst habe mit ihm darüber gesprochen und ihn darauf aufmerksam gemacht.«

»So will er hinüber! Zunächst nur, um zu Wasser zu kommen, um sich das Leben zu retten. Sodann aber auch aus andern, sehr triftigen Gründen. Er glaubt, die Scharen des Mirs von Dschinnistan fliehen vor ihm. Er muß ihnen nach, um sie zu strafen. Er weiß, daß die Lanzenreiter von El Hadd und Halihm bei uns sind; er glaubt also, daß ihr Land von Verteidigern entblößt sei; er meint, es mit einem schnellen Streich in seine Gewalt bringen und besitzen zu können ...«

»Richtig, sehr richtig!« stimmte der Dschirbani mir bei. »Bekommt er El Hadd, so sitzt er im warmen Nest; wir aber halten hier am kahlen Dschebel Allah und können nicht hinüber. Denn den einzigen Weg, der nach seiner Meinung hinüberführt, wird er mit Geschützen besetzen. Darum erkundigte er sich besonders und angelegentlich, ob die Lanzenreiter bei uns seien. Auch ich bin der Ansicht, daß er von der Schlacht nur gesprochen hat, um sie zu vermeiden. Kehren wir nach dem Lager zurück, und lassen wir den Schech el Beled und Abd el Fadl kommen, um mit ihnen zu beraten!«

Dieser Vorschlag wurde ausgeführt. Die beiden Genannten trafen gegen Abend ein. Als wir ihnen Bericht erstattet hatten, zeigte es sich, daß sie derselben Ansicht waren, wie der Dschirbani und ich. Wir besprachen uns auf das ausführlichste mit ihnen, und als sie dann wieder fortritten, wußte ein jeder von uns, wie er sich auf alle Fälle, sie mochten kommen, wie sie wollten, zu verhalten hatte.

Die Erdstöße hatten in mir ein ganz eigenartiges Gefühl hinterlassen. Man denke sich einen hohlen, leichten Gummiball, der auf leise bewegtem Wasser schaukelt, auf diesem Ball sitzt eine Fliege, die das Schaukeln spürt, weil sie es mitzumachen hat. Den Ball als Erde gedacht, war ich die Fliege. Ich hatte die Empfindung, als ob in jedem Augenblick etwas unter mir umkippen und zerplatzen könne. Und, eigentümlich, meinem kleinen Hadschi erging es genau ebenso wie mir. Er kam, es mir zu beschreiben.

»Paß auf, Effendi«, sagte er, »hier am Dschebel Allah geschieht etwas; wir erleben etwas! Und wenn der Panther sich alle mögliche Mühe gibt, uns zu überlisten und uns zu entkommen, so gibt es doch Einen, den er nicht überlistet und dem er nicht entkommt. Dieser Eine ist der Emir es Salßali – Herr des Erdbebens, gemeint ist Gott –, der nicht mit sich spotten läßt. Mag der Panther es mit der Schlacht am Dschebel Allah ernst oder hinterlistig gemeint haben, er hat es gewagt, sie anzurufen, und wird sie haben, wenn auch anders, ganz anders, als er denkt!«

Es war, als ob in diesen Worten des Hadschi etwas Prophetisches gelegen habe. Von diesem Augenblick an spitzten sich die Ereignisse derart zu, als ob die Vorsehung, die hoch über allem menschlichen Ermessen steht, beschlossen habe: Der Panther hat die Schlacht herbeigerufen; er soll sie haben!

Man vergegenwärtige sich die Aufstellung der beiden Heere, die an der Grenze von El Hadd einander gegenüberlagen. Diese Grenze wurde durch einen hohen, schroffen Gebirgszug gebildet, der genau von Ost nach West verlief und, außer am Dschebel Allah, vollständig unübersteigbar war. Es gab absolut keinen andern Paß und keinen andern Weg hinüber als den von mir bereits beschriebenen breiten, der sich oben spaltete, und die beiden geheimen Saumpfade, die an den beiden äußeren Seiten der Dschebelgruppe hinauf- und drüben wieder hinunterstiegen und den breiten Weg zu seinen beiden Seiten weit in das Bergland hinein begleiteten, ohne von ihm aus bemerkt zu werden. Unten, am Fuß des Dschebel Allah, hatten bis heute früh die Schwarzgepanzerten des Mirs von Dschinnistan gelegen, waren aber bergaufwärts zurückgewichen, als sie das Heer des Panthers herankommen sahen. Nun jetzt, da die Sonne ihren Tagesbogen fast beendet hatte, lag dieses Heer an derselben Stelle, und zwar nicht in weit auseinanderliegenden Intervallen, sondern eng zusammengedrängt, so daß schon hieraus zu schließen war, daß der Panther beabsichtige, den Übergang über die Grenze zu unternehmen. Durch diese seine Richtungsschärfe nach dem breiten Paß zu gab er die Seiten des mehrere Reitstunden breiten Dschebel Allah vollständig frei, so daß es unsern beiden Flügeln leicht wurde, ihn gänzlich zu umfassen. Wir rückten nach diesen beiden Seiten zwar langsam, aber stetig und unbemerkt vor, unterließen aber im Zentrum einstweilen noch jede Bewegung, weil wir uns da beobachtet wußten. Die Mitte unserer Aufstellung war über eine gute Reitstunde von dem Feind entfernt; unsere Vorposten lagen ihm aber selbstverständlich viel näher. Die Spitzen unserer beiden Flügel hatten den Fuß des Gebirges und die Saumpfade erreicht, auf die sie angewiesen waren. Der Panther war also im Süden von unserm Halbkreis und im Norden von dem Gebirgszug derart umschlossen, daß ihm zum einstweiligen Entkommen nur die eine Lücke blieb, welche von dem Paß des Dschebel Allah gebildet wurde. Dort hatten die Lanzenreiter von El Hadd und Halihm Fühlung mit den Schwarzgepanzerten des Mirs von Dschinnistan bekommen, und diese Fühlung wurde auch, während die letzteren sich vor dem Panther zurückzogen, derart aufrecht erhalten, daß wir von allem, was da oben geschah, durch Meldungen unterrichtet werden konnten. Auf diese Weise kam es, daß alle Bemühungen des Feindes, uns das, was er tat, zu verbergen, vereitelt wurden.

Nämlich, kurz nachdem es dunkel geworden war, wurde uns ein Bote des Panthers zugeführt, der uns einen Zettel brachte, auf dem die Worte standen: »Aufforderung zur Schlacht am Dschebel Allah.« Und kaum war dieser Mann von den ihn begleitenden Posten fortgeführt worden, so traf von Seiten unserer Lanzenreiter die Meldung ein, daß der Feind alle Vorsorge treffe, im Schutze der Dunkelheit den Übergang über den Paß zu bewerkstelligen; die Schwarzgepanzerten würden ihn nicht hindern, hinauf auf die Platte zu kommen. Ob es aber geraten sei, ihn jenseits dann hinunterzulassen, das habe sich erst noch herauszustellen. Nach zwei Stunden stellte sich abermals ein Bote ein, der wieder einen Zettel mit genau denselben Worten brachte. Der Panther wußte wahrscheinlich gar nicht, wie kindisch er da handelte. Seine Gründe zu dieser Spielerei lagen klar zutage. Wir sollten erstens gar nicht auf den Gedanken kommen, daß er beabsichtigte, uns zu entgehen. Er wollte zweitens durch diese seine Boten erfahren, ob er uns noch an derselben Stelle getroffen habe oder ob wir vielleicht auch in Bewegung seien. Und er freute sich schon im voraus darauf, uns, falls wir uns von ihm täuschen ließen, dann gründlich auslachen zu können.

Es kamen von zwei Stunden zu zwei Stunden noch zwei Boten mit ganz demselben Zettel. Aber ganz ebenso kamen auch weitere Meldungen von Seiten der El Hadd und Halihm. Wir erfuhren, daß der Übergang begonnen hatte. Der Panther hatte ein ansehnliches Detachement Reiterei vorausgeschickt, um sich über die Beschaffenheit des Weges aufzuklären, und dann nach eingetroffenen guten Resultaten sogleich die Artillerie folgen zu lassen. Es kam ihm darauf an, zunächst sie in Sicherheit zu bringen und den Paß derart mit Geschützen zu besetzen, daß es nur einiger Schüsse bedurfte, um ein Nachdrängen von unserer Seite leicht zurückweisen zu können. Ihr folgten dann die andern Truppenteile, und zwar in solcher Eile, daß, als er uns seinen letzten Boten schickte, die Räumung seines Lagers als vollendet betrachtet werden konnte. Dieser Bote hatte nach seiner Rückkehr dem vorangegangenen Heer als letzter einzeln nachzureiten.

Das war nach europäischer Zeitrechnung zwischen zwei und drei Uhr in der Nacht. Wir lagen noch da, wo wir am Tage gelegen hatten. Es fiel uns gar nicht ein, in der Dunkelheit etwas zu unternehmen, was wir bei Tageslicht viel sicherer und besser ausführen konnten. Es gab aber auch noch einen zweiten Grund, uns vorsichtig und abwartend zu verhalten. Dieser Grund lag nicht in der kriegerischen Situation, in der wir uns befanden, sondern in der uns umgebenden Natur.

Wir hatten jetzt abnehmenden Mond, der sich dem Neumond näherte. Dieses letzte Viertel stand beim Beginn des Abends klar und deutlich am Himmel, und auch die Sterne waren so leicht erkennbar, daß man sie bis auf eine bestimmte Größe zählen konnte. Dies änderte sich nach und nach. Die Sterne verschwanden, oder vielmehr sie waren noch da, aber man konnte sie nicht mehr unterscheiden; sie flossen ineinander über. Auch der Mond wurde immer unklarer und verlor die Schärfe seiner Umrisse. Diese Undeutlichkeit nahm derart zu, daß man ihn um Mitternacht nicht mehr sah, obgleich man sagen konnte, wo er stand.

Die Pferde der Tschoban begannen unruhig zu werden. Auch die Menschen wurden von einem ganz eigenartigen Gefühl der Unsicherheit ergriffen. Die Luft atmete sich ganz anders ein als vorher. Nicht etwa, daß uns das Atmen schwer geworden wäre, o nein, aber man schien mit der Luft zugleich eine seelische Beklemmung einzuatmen, die nicht wieder weichen wollte und sich von Stunde zu Stunde vergrößerte. Wir befanden uns, wie schon einmal gesagt, nun im Gebiet der Vulkane, deren Ausbrüche wir früher aus der Ferne beobachtet hatten. Während unseres ganzen Rittes vom Lande der Ussul bis hierher war allabendlich ihr Leuchten und Glühen zu sehen gewesen, bald mehr, bald weniger deutlich und infolgedessen eindrucksvoll. Alle Anhänger der Fluß- und Friedenssage, mit denen wir gesprochen hatten, waren der Ansicht gewesen, daß das gegenwärtige Jahr das bekannte hundertste sei, in dem das Paradies sich öffne, um seine Erzengelfrage über die ganze Erde und über die ganze Menschheit erklingen zu lassen. Oft, sehr oft schien es uns während dieser Zeit, daß die Erde bebe, aber leise und, ich möchte sagen, versuchsweise oder zagend, daß man es gar nicht weiter beobachtet hatte. In letzter Zeit war an Stelle dieser leisen, einzelnen Versuche der schon beschriebene Zustand jenes Schwimmens, Schwingens und Schwebens getreten, bei dem man das Vorgefühl hatte, als ob irgend etwas unter den Füßen entweder kentern oder zerplatzen werde. Und am heutigen Abend wurden wir von dieser Vorahnung derart gefangengenommen, daß ich das seelische Resultat als Beengung, wenn nicht gar als Beängstigung bezeichnen möchte.

Auch heut sahen wir die Glut der Berge steigen, besonders der ferneren, im höchsten Dschinnistan. Die näheren schienen zu ruhen. Ganz ungewöhnlich verhielt sich der, welcher uns am nächsten lag, also der Dschebel Allah. Seine mittlere Kuppe, also der Sohn, ragte still und stumm und schwarz zum Himmel auf, als ob er tot sei, starr und erstorben, von den Gluten des Erdinnern nicht mehr zu erreichen und zu beleben. Die beiden andern Kegel aber, der Vater und die Mutter, atmeten, doch nicht voll und kräftig, sondern wie in einem Krankheitsanfall, wie im Ersticken. Das begann mit leisem Rollen. Wenn man sich lang ausstreckte und das Ohr auf die Erde legte, konnte man es deutlicher hören. Ich hatte es erst für das Rollen der Kanonenräder gehalten, dann aber bald bemerkt, daß es mit der Bewegung der Geschütze nicht im Zusammenhang stand. Auf dieses Rollen folgte von Seiten eines der beiden Kegel eine Ausatmung, welche durch die Lüfte strich wie der Angsthauch, der sich pfeifend durch die Stimmritze eines Sterbenden preßt. Das war von einem Dämmerschein begleitet, der mit diesem Pfiff dem betreffenden Krater entstieg. Das Rollen vorher wurde von Stunde zu Stunde lauter und vernehmlicher, sogar auch fühlbarer. Es war, als ob sich im Innern der Erde Kräfte gesammelt hätten, die sich befreien wollten und doch nicht konnten. Dieser Ansicht waren alle, bei denen ich mich befand. Mir speziell aber wollte es scheinen, als ob diese Kräfte nicht auf die Befreiung durch den Vater oder die Mutter, also durch den rechten oder linken Kegel, sondern durch den Sohn, also den mittleren Kegel, gerichtet seien. Beweisen konnte ich das freilich nicht; ich fühlte es.

Ungefähr um drei Uhr nach europäischer Zeit kam ein Reiter. Als wir ihn hörten, glaubten wir, daß es wieder ein Bote sei. Es war aber keiner, sondern der Schech el Beled selbst. Es mußte also etwas sehr Wichtiges sein, um das es sich handelte. Als er vom Pferd gestiegen war, fragte er zunächst, ob sich irgend etwas bei uns ereignet habe. Wir zeigten ihm die Zettel, die uns der Panther geschickt hatte. Er las sie.

»Unvorsichtiger! Lästerer!« sagte er dann. »Hat er denn noch immer nicht eingesehen, daß der Mensch beim Wort gehalten wird? Der gewöhnliche Sterbliche, der den zwölften Teil eines Dutzends oder den sechzigsten Teil eines Schockes gilt, mag sich gestatten dürfen, das, was er sagt und spricht, für unwichtig zu halten; wer es aber wagt, sich auf weithin sichtbare und weithin wirksame Punkte zu stellen, der muß sich vor allen Dingen sagen, daß ein jedes Wort, welches er spricht, in der Verantwortung vor Gott tausend Zentner wiegt und so lange vor den Füßen des Richters liegen bleibt, bis es durch seine innere Wahrheit, also durch die Tat, eingelöst worden ist. Auch der Panther wird das Gewicht seiner Worte fühlen. Was er in Worten verspricht, hat er in Taten zu bezahlen. Hat er uns die Schlacht am Dschebel Allah versprochen, so wird er sie uns liefern, unbedingt! Uns oder dem, für den wir alle kämpfen und gegen den er sich empört! Das ist ja auch der Grund, weshalb ich zu euch komme, jetzt, in dieser entsetzlichen, großen, wahrheitsvollen Nacht. Ich will bei euch sein. Meine Reiter sind solche Nächte und solche Wahrheiten gewöhnt. Euch aber schaudert, wenn der Ewige an die Stelle des Sterblichen tritt und die Gesetze des Himmels gelten, weil die Gesetze der Erde nicht ausreichen, Gerechtigkeit zu schaffen.«

»Was willst du sagen?« fragte der Mir. »Du deutest Ungewöhnliches an!«

»Ich will sagen, daß der Dschebel Allah das Werk vollenden wird, welches der Panther begonnen hat.«

»Welches Werk? Und wann?«

»Jetzt! Heut nacht! Sobald der Morgen beginnt. Der Panther hat es gesagt.«

»Noch verstehe ich dich nicht!«

»Es steht ein Ausbruch des Dschebel Allah bevor. Schaut hinauf zu ihm, und hört, wie es unter euren Füßen arbeitet. Euch ist das fremd; ich aber kenne es. Ich kenne jeden dieser wundersamen Berge, nicht nur nach seinem Namen, sondern auch nach seinem Charakter, seinem Naturell und seinem Temperament. Ich kenne vor allen Dingen den Dschebel Allah. Der Vater atmet, und die Mutter atmet, wenn auch schwer, aber sie atmen doch. Von ihnen ist nichts zu fürchten. Doch seht den Sohn! Ich war oben bei ihm, heut, am Beginn des Morgens. Ich saß zu seinen Füßen und lauschte. Ich hörte, wie es grollt in ihm. Und ich fühlte den Zorn, der durch sein Inneres bebt. Seine Zeit ist gekommen, die große Zeit, in welcher kochende Fluten aus seiner Brust und seinen Hüften brechen, damit er sich reinige und säubere von dem Schmutz der Asche und des Staubes, der auf ihm liegt. Grün will er werden, wieder grün, wie er einstens war, als der Herrgott noch durch Ardistan pilgern konnte. Das Kleid des Lebens, des Glückes, des Segens will er anlegen, nicht nur für uns, die wir in den Bergen wohnen, sondern auch für euch und alle, die ihn für tot, für kahl, für verödet, für erloschen halten. Horcht, und seht!«

Er hob den Arm und deutete zu den Höhen hinauf, von denen er sprach. In der Erde klirrte und rollte es, als ob eherne Sichelwagen, unter uns hinratternd, ihre metallenen Waffen aneinander wetzten; ein scharfer Wind pfiff plötzlich um uns her, und im nächsten Augenblick stieg aus dem Krater sowohl des Vaters als auch der Mutter eine glühende Garbe auf, und dabei erklangen Töne, wie wenn Milliarden von Feilen über Stahl und Eisen strichen. Der Schech el Beled stand vor uns, im wehenden Mantel und flatternden Schleier, den Arm nach dem Berg gehoben, im Licht der flammenden Krater uns wie ein Wesen erscheinend, von dem man nicht weiß, ob es noch irdisch oder schon überirdisch ist. Sein Gesicht war verhüllt; wir konnten es nicht sehen; aber aus seiner Stimme klang der tiefe, heilige Ernst, der in ihm wohnte und auch uns ergriff.

»Habt ihr es gesehen und gehört?« fragte er. »Fühlt ihr den Wind, den kalten, den es mit unwiderstehlicher Gewalt hinauf zur Wärme reißt? So zeigt uns Gott in seiner gewaltig predigenden Natur die Vorbilder dessen, was im Leben und in den Seelen der Völker und der Einzelmenschen zu geschehen hat, wenn die Ratschlüsse des Himmels in Erfüllung gehen sollen! Ich kenne den Sohn und seine Weise. Schon beginnt die Kraft unter seinem Fuß zu wirken. Bald kommt ein Augenblick, an dem alle Kuppen, die jetzt glühen, wie mit einem einzigen Hauch ausgeblasen werden. Das ist seine Zeit! Dann beginnt er allein! Er, der Segensreiche, der die Wasser von Dschinnistan unter seinem Thron sammelt, um sie tief unter der Erde zu den Engeln der Stadt der Toten und des Engpasses von Chatar zu leiten.«

»Von hier aus kam das Wasser, welches uns rettete?« fragte ich.

»Ja, von hier aus, vom Dschebel Allah aus«, antwortete er.

»Und du bist überzeugt, daß wir einen Ausbruch dieses Berges zu erwarten haben?«

»Ja.«

»Heut? Jetzt?«

»Vielleicht schon in wenigen Minuten.«

Da rief Halef erschrocken aus:

»So ist der Panther mit seinem ganzen Heer verloren! Allah sei ihm und ihnen gnädig und uns auch! Wir müssen hin, sie zu retten!«

»Ja, wir müssen retten, müssen wenigstens warnen!« stimmte ich bei. »Unsere beiden Pferde sind die schnellsten. Wir werden sofort miteinander ...«

»Halt! Keine Torheit!« unterbrach mich der Schech el Beled, und der Dschirbani hielt den Hadschi fest, der schon forteilen wollte, ohne erst noch auf mich zu warten. »Es ist bereits zu spät. Ihr würdet nur in euer eigenes Verderben jagen. Fühlt ihr es? Kein Mensch kann jetzt mehr nach jenem Berg reiten!«

Die Erde zitterte unter uns. Dennoch rief Halef:

»Ich reite aber trotzdem! Sihdi, hilf mir! Ich will los. Ich will fort!«

Er rang mit dem Dschirbani, der ihn mit seiner Riesenkraft festhielt.

»Laß ihn los!« bat ich diesen. »Wir müssen fort; wir müssen hinauf, um zu warnen! Es ist Menschenpflicht!«

»Menschenpflicht?« fragte er. »Sahib, ich achte dich, und ich liebe dich, hier aber muß ich dir widersprechen, hier bist du schwach und kurzsichtig. Wenn Gott das Gericht in seine eigenen Hände nimmt, ist es da wirklich Menschenpflicht, ihm zu widerstehen und den Schuldigen zu retten?«

»Sie sind nicht alle schuldig, denen jetzt das Verderben droht«, warf ich ein.

»Alle sind schuldig, alle!« behauptete er. »Denke an die Stadt der Toten! Hier hast du deinen Halef! Wollt ihr euch gegen den Willen des Geschickes sträuben und für einen Panther dem sicheren Tode entgegengehen, so tut es; ich aber bleibe hier!«

Er gab Halef frei und trat an die Seite des Schech el Beled. Dieser drückte ihm die Hand, zog ihn näher zu sich heran und rief:

»So war es recht! So höre ich dich gern, gerade dich! Nie soll die Menschenliebe zur Herzensschwäche werden. Je edler der Mensch denkt, desto unerbittlicher sei er gegen alles Schädliche und Gemeine. Paßt auf, paßt auf! Es naht! Schon beginnen die höchsten Kuppen zu verlöschen!«

Er ließ die Hand des Dschirbani, die er ergriffen hatte, nicht wieder los. Sie standen nebeneinander, vollständig gleich gekleidet, denn wir hatten die Gewänder der Lanzenreiter im Drang der Umstände noch nicht wieder abgelegt. Der Schech el Beled war etwas weniger hoch und etwas weniger breit als die Gestalt des Dschirbani, und doch wollte es scheinen, als ob diese beiden nicht nur in Beziehung auf ihre Meinungen, sondern auch körperlich zusammengehörten. Ich hatte keine Zeit, diesen Gedanken weiter auszuspinnen, und ich hatte auch gar keine Zeit, mit Halef meine Absicht, die Feinde zu warnen, auszuführen, denn es zeigte sich jetzt, daß der Schech el Beled ganz richtig gesagt hatte, daß es zu spät, viel zu spät dazu sei. Die Stimme des Herzens mußte schweigen, weil andere Stimmen zu sprechen begannen, und zwar Stimmen, gegen welche unsere schwachen Menschen- und Herzensstimmen unmöglich aufkommen können.

Die Säulen, Kuppen und Zinnen des Nordens hatten bisher ununterbrochen geglüht; jetzt verlöschten sie, eine nach der andern. Es wurde dunkel da oben. Der Wind, welcher sich vorhin erhoben hatte, war wieder eingeschlafen. Tiefe, unheimliche Stille herrschte ringsumher.

»Sind die Tschoban ihrer Pferde sicher?« fragte der Schech el Beled.

»Ja«, antwortete der Mir. »Ich habe strenge Weisungen erteilt, die man befolgen wird. Horcht! Was war das?«

Es war in der Ferne ein Schuß gefallen.

»Eine Kanone!« rief der Dschirbani, halb fragend, halb erstaunt.

Wieder hörten wir einen Schuß, noch einen und noch einen. Da wendete sich der Schech el Beled, der aufmerksam in die Nacht hinausgehorcht hatte, mit den Worten zu uns:

»Ja, es sind Kanonen! Die Triumphschüsse des Panthers! Ich wollte es nicht glauben; nun aber höre ich, daß es doch wahr gewesen ist. Ich bekam nämlich eine Meldung, die ein Schwarzgewappneter des Mirs von Dschinnistan meinen Vorposten überbrachte. Nämlich als der reitende Vortrab des Panthers den Berg erstieg, um der nachfolgenden Artillerie den Weg zu bereiten, wichen die Schwarzen nur langsam zurück, um so viel wie möglich zu sehen und zu hören. Diese Absicht gelang ihnen gut. Sie erlauschten viele laute Zurufe, auch Reden und kurze Gespräche. So hörte man auch, daß der Panther den Befehl erteilt hat, sobald der Rückzug gelungen ist, dreimal zehn Kanonenschüsse abzugeben.«

»Zu welchem Zweck?« fragte der Mir.

»Wahrscheinlich uns zu verhöhnen«, antwortete Halef.

»Oder um uns glauben zu machen, daß er noch unten sei und die Schlacht beginne. Also, um uns zu verwirren«, meinte der Dschirbani.

»Das ist das richtige«, stimmte der Schech el Beled bei. »Dieser Augenblick fällt in die Zeit des Morgengrauens, für welche der Anfang des Kampfes vorausgesagt und vereinbart worden ist. Und die, welche belauscht wurden, haben es deutlich gesagt und sich auch darüber lustig gemacht, daß wir uns durch diese Schüsse täuschen lassen und denken werden, die Schlacht habe begonnen. Wir sollen Dummheiten machen und uns dann schämen und ärgern. Tor, dieser Mensch! Dreimal zehnmal Tor! Es gibt weder hier unten noch dort oben einen, der sich von ihm irremachen läßt; das wird er bald erfahren! Seien wir jetzt still, bis die dreißig Schüsse gefallen sind! Ich glaube nicht, daß dann wir zu antworten brauchen!«

Während wir nun warteten, wurde es da oben gegen Dschinnistan vollständig finster. Über uns hatte der Himmel eine bleierne Farbe gehabt. Das sah so schwer, so lastend aus, als ob er zusammenbrechen wolle. Nun aber wurde er dunkel und immer dunkler. Bald wurde dieses Dunkel so dicht, daß man es nur noch als Schwärze bezeichnen konnte. Ich hielt mir die Hand in einem Abstand von vielleicht zwanzig Zentimeter vor die Augen und konnte sie nicht sehen. Das war unnatürlich. Mein und Halefs Pferd wieherten leise. Sie baten uns dadurch, sie doch zu uns zu lassen. Wir erfüllten ihren Wunsch und holten sie. Da legten sie sich bei uns nieder und blieben in der nächstfolgenden, schrecklichen Stunde im Vertrauen auf ihre Herren so ruhig liegen, daß es nur eines freundlichen Wortes oder Streichelns bedurfte, sie zu beschwichtigen, wenn die Angst sie erfassen wollte.

Kaum hatten wir diese unsere köstlichen, unersetzlichen Tiere bei uns in Sicherheit, so brach die Katastrophe los. Mit andern Worten: Die vermessene, mehrmalige Aufforderung zur Schlacht am Dschebel Allah trat in das Stadium ihrer Konsequenzen. Ein dröhnendes Rollen kam aus der Ferne, nicht schnell, sondern langsam, wie das Nahen eines sicheren, wohlüberlegten Schicksals. Es ging unter uns hindurch. Es war, als ob eine meilenlange Riesenschildkröte unter unsern Füßen hindurchkröche. Sie hob uns, als sie uns erreichte, empor, schob ihren unerbittlich harten Leib immer weiter und ließ uns hinter sich dann wieder fallen. Ich fühlte das sehr deutlich, denn ich hatte mich, als diese vernichtende Erdwelle kam, schnell neben meinen Syrr niedergelegt, um ihm das Gefühl zu geben, daß er nichts zu befürchten habe. Halef tat dasselbe mit seinem Assil Ben Rih. Der Mir und der Basch Islami fielen nieder. Der Schech el Beled aber stand aufrecht, die Hand des Dschirbani noch immer haltend, und rief:

»Hört ihr die Schüsse noch? Nein! Sie haben plötzlich aufgehört, obgleich es noch nicht volle dreißig waren. Wenn der spricht, dessen Stimme wir nun hören werden, hat jeder andere zu schweigen. Dieser eine, erste Stoß hat genügt, die Artillerie des Panthers zu vernichten, vielleicht sein ganzes Heer. Hört ihr es krachen und stürzen?«

Wir vernahmen trotz der weiten Entfernung, in der wir uns befanden, das Getöse sich loslösender, niederschmetternder und zerberstender Felsenstücke. Hierauf war es, als ob Tausende von Tier- und Menschenstimmen sich zu einem einzigen, großen, entsetzlichen Todesschrei vereinigten, der geradeauf zum Himmel stieg und uns also nur mit seinen äußersten Schwingungen berührte.

»Schrecklich, schrecklich!« rief der Mir. »Sie sind tot, alle tot! Sie sind ...«

Was er weiter sagen wollte, wurde von einem Schuß, einem Krach verschlungen, der so stark war, daß es schien, als ob er mir mein Innenohr vollständig zerrissen, zerstört und vernichtet habe. Ich konnte für einige Minuten nicht mehr hören. Ich sah, daß der Schech el Beled nach dem Berg deutete und etwas sagte, verstand es aber nicht. Dieser Schuß war aus dem Krater des Sohnes gekommen; er hatte das Innere desselben geöffnet. Aber die Trümmer, die es da gab, flogen nicht nach außen, sondern sie stürzten und rollten nach innen. Man fühlte das. Hierauf war es, als ob jene Riesenschildkröte sich umgewendet habe und zurückkehre. Sie näherte sich uns wieder und kroch abermals unter uns hindurch, nur in entgegengesetzter Richtung, nämlich nach dem Berg zu. Was sie vorhin nicht zermahlen und zermalmt hatte, das mußte nun jetzt verloren sein; das war gewiß. Es folgte ein Schlag, als ob eine Gigantenfaust gegen das Innere der Erdrinde schmettere, so daß alles, was sich auf ihr befand, haltlos in sich zusammensinken müsse, und im nächsten Augenblick stieg etwas – nicht etwa Furchtbares und Entsetzliches, o nein, sondern etwas so unbeschreiblich Schönes aus dem Krater des Sohnes empor, daß keine Sprache der Menschen die Worte besitzt, welche nötig wären, es zu schildern.

Das kam so schnell und so plötzlich, daß es vor unseren Augen stand, ohne daß wir es hatten erscheinen und sich entwickeln sehen. Es glich einem hellen, tadellos geschliffenen Kelchglas, mit perlendem Champagner gefüllt, der oben überläuft. Dieses Glas hatte unten einen Durchmesser von vielleicht nur zwanzig, oben aber einen solchen von gewiß hundert Metern und zeigte eine Höhe, die gar nicht abzuschätzen war. Der Champagner, der in diesem kristallenen Gefäß nach oben schäumte, war unten hell goldig, sodann hell silbern, hierauf sehr hell grün und ganz oben unendlich fein blaugefärbt. Diese verschiedenen Farben hatten einen metallischen Glanz. Sie waren nicht scharf voneinander geschieden, sondern sie gingen allmählich ineinander über und schienen einander so verwandt, daß das Gold zuweilen bis ganz nach oben und das Blau zuweilen bis ganz nach unten zuckte. Der überfließende Schaum hatte die Farbe der Pfirsichblüte, durcheilt von goldsilbernen Blitzen. und Funken. Man bedenke sich die auf uns liegende Nacht, deren absolute Dunkelheit ich als Schwärze bezeichnet habe, und mitten in dieser Finsternis die, fast möchte ich sagen, überirdische Erscheinung dieser Kelchfontäne, die alle Eigenschaften und Effekte des Wunderbaren in sich vereinigte! Der Schaum, der sie krönte, lief nicht über. Er floß nicht an ihr herab. Man sah, daß er sich verflüchtigte. Die Blitze und Funken trugen ihn nach allen Seiten in die Nacht hinaus, sogar auch her zu uns. Wir fühlten ihn. Er war warm. Er senkte sich wie ein unendlich feiner und unendlich leiser Regen auf uns nieder. Er hüllte uns in einen Schleier, der sich nach und nach verdichtete, bis er uns den Anblick seines Ursprunges mehr und mehr verhüllte und schließlich ganz entzog. Die Erscheinung, die irdisch herrlichste, die ich je gesehen habe, verschwand, ohne vor unsern Augen zerstört worden zu sein und aufgehört zu haben.

»Wasser, Wasser spendet er, der Sohn, das kostbare, lang ersehnte Wasser!« rief der Schech el Beled. »Und was er uns gibt, das nimmt er uns nicht wieder. Wir dürfen es behalten!«

Ich hörte diese Worte; ich war also, Gott sei Dank, nicht taub geworden! Der Schech fuhr fort:

»Für uns wird es zum Segen sein; dem Feind aber brachte es Verderben. Hier ist es warm; bei ihm aber war es heiß, brennend heiß. Wer möchte an seiner Stelle sein und mit ihm ...«

Er wurde von einem Donnerschlag unterbrochen, von einem wirklichen Donnerschlag, der nicht etwa ein unterirdisches Rollen war. Blitze zuckten. Neue Donnerschläge folgten. Der feuchte Schleier, der uns verhüllte, verdichtete seine Bestandteile zu fallenden Tropfen. Es begann zu regnen; aber es hörte nicht auf zu donnern und zu blitzen. Es gab ein Gewitter. Man denke, ein Gewitter, hier, wo es seit vielen Jahrhunderten nie geregnet hatte! Das war etwas hier so Seltenes, daß es die Pferde mehr erschreckte, als sie vorher von dem Erdbeben beängstigt worden waren. Wir hörten, daß sie hinter uns im Lager lauter wurden und daß man sich dort Mühe gab, sie zu beruhigen. Bei mehreren aber gelang dies nicht. Sie gingen durch. Sie flüchteten sich nach unserer Richtung. Sie rannten auf uns zu und an uns vorüber. Eines von ihnen schoß sogar zwischen uns hindurch. Es wieherte und schnaubte nicht etwa, sondern es brüllte, heulte und zeterte wenigstens ebenso laut, wie der Donner rollte, und riß, indem es quer durch unsere Linie stürmte, den Mir und den Basch Islami über den Haufen.

»Maschallah!« wunderte sich Halef. »Hast du dieses Pferd gesehen, Effendi?«

»Ja, aber nicht deutlich«, antwortete ich.

»Es war ein riesiges Tier!«

»Ein Ussulgaul, ja.«

»Der Dickste, den ich bisher gesehen habe! Und diese Stimme! Dieses Brüllen, Heulen und elefantenmäßige Trompeten! Das kennen wir doch wohl! Oder nicht?«

»Hm!«

»Ich möchte behaupten, daß dieser Gaul kein anderer gewesen ist, als unser Smihk, der köstliche Dicke! Was sagst du dazu?«

»Seine Stimme war es allerdings. Aber wie sollte Smihk hierher nach dem Dschebel Allah kommen, er, der doch jetzt daheim ist im Vaterland aller Ur- und andern dicken Gäule?«

»Wer kann wissen, was dort geschehen ist, oder was sich – O Allah, hilf!«

Er unterbrach sich mit diesem Ausruf des Schreckes, weil jetzt eine ganze Reihe von Blitzen und Donnerschlägen so schnell aufeinander folgte, als ob es nur ein einziger sei. Und nun geschah, was auch daheim im deutschen Vaterland nach so starken Entladungen häufig geschieht: Kaum waren diese Licht- und Schallerscheinungen vorüber, so hörte der Regen wie mit einem Schlag auf. Er hatte nicht länger als zwei Minuten gedauert. Nun war aber auch der feuchte Schleier verschwunden, und der Dschebel Allah lag mit seiner ganzen Umgebung wieder frei vor unsern Augen, aber nicht, wie vor der Verfinsterung des Himmels, im Schein des Mondes und der Sterne, sondern im Glanz des Morgenrots, welches die Häupter von Vater, Mutter und Sohn überstrahlte und langsam an ihnen niederstieg, um dann auch uns zu umfassen.

Ein jeder von uns hatte einen Ausruf der Erleichterung und Bewunderung auf den Lippen. Es tat sich vor unsern Augen ein schöner, ja ein einzig schöner Morgen auf. Beide, das Gebirge und die Ebene, die zum Schlachtfeld bestimmt gewesen waren, lagen wie völlig unverändert vor uns da. Alle Bergeskuppen glänzten im friedlichen Licht des auferstandenen Tages. Keine Spur einer vulkanischen Glut, keine Spur von steigendem Rauch oder fliegender Asche! Auch am oder mit dem Dschebel Allah schien nicht das geringste vor sich gegangen zu sein. Es war, als hätten wir nur geträumt. Aber während sich unter den letzten gewaltigen Donnerschlägen dieses beruhigende Bild vor uns entrollte, hatten dieselben Blitze und Schläge auf die Pferde unsers Lagers doch verwirrender gewirkt, als es uns im Dunkel erschienen war. Viele hatten sich losgerissen. Sie rannten überall herum, schnaubend, wiehernd, mit den Hufen um sich schlagend, bald stehenbleibend, um zu stutzen, bald ziellos weiterjagend. Man begann, sie einzufangen. Am schlimmsten trieb es der fleischige Riesengaul, der den Mir und den Basch Islami umgerissen hatte. Das letzte, gewaltige Krachen hatte seinen Lauf unterbrochen. Er war vor Entsetzen umgekehrt und kam nun wieder auf uns zu, womöglich noch lauter heulend und schreiend als vorher.

»Sihdi, da kehrt er zurück!« rief Halef. »Laß dich nicht auch umrennen! Der Kerl ist vor Angst außer sich. Grad wie ...«

»Grad wie Smihk!« unterbrach ich ihn. »Er ist es; er ist es wirklich!«

»Meinst du?«

»Ja, er ist's! Ich erkenne ihn!«

»Allah, w'Allah! Wie kommt er hierher?«

»Das ist Nebensache! Hauptsache ist, wie halten wir ihn auf?«

»Wie immer. Er kennt deine Stimme. Und er sieht dich doch auch. Er wird doch nicht etwa vor Angst blind geworden sein!«

Da breitete ich die Arme aus und stellte mich dem heranbrausenden Koloß gerade in den Weg.

»Smihk, Smihk, Smihk!« rief ich. Und »Smihk, Smihk, Smihk!« brüllte auch Halef.

»Du nicht, du nicht!« befahl ich diesem. »Er darf nur meine Stimme hören! Smihk, Smihk! Smihk, Smihk!«

Das Pferd kam auf mich zu. Es sah mich, und es sah mich aber auch nicht. Es erkannte mich nicht. Ich war anders gekleidet. Ich trug den Lederanzug der El Hadd. Ich mußte zur Seite springen, um nicht umgerissen zu werden. Aber als der Dicke mich dabei grad vor den Augen hatte, brüllte ich wenigstens ebenso laut wie er selbst: »Smihk, Smihk!« Und das wirkte endlich doch. Er konnte zwar nicht so schnell anhalten, wie er wollte, aber er schlug einen Bogen und kam dann, in immer langsameren Schritt fallend, wieder auf mich zu. Da blieb er in einer Entfernung von zehn oder zwölf Schritt von mir stehen, um mich genau zu betrachten.

»Smihk, mein lieber Smihk!« sagte ich, indem ich mit ausgestreckten Händen auf ihn zuging.

Da durchzuckte es ihn. Er erkannte mich. Er hob den Kopf so hoch wie möglich in die Höhe, öffnete das Maul und schrie aus vollem Hals, aber derart, daß die ganze Umgebung rebellisch wurde. Dann tat er zwei, drei Sätze auf mich zu, beschnoberte mich, strich mir mit der weit herausgestreckten Zunge quer über das Gesicht und tat dann das Allerpossierlichste, was so ein ungestaltetes, kolossales Ungetüm tun konnte, nämlich er sprang und hüpfte vor Freude um mich herum wie ein kleines Schoßhündchen, welches sich über die Heimkehr seiner Herrin freut, und drehte, ringelte und spiralisierte dabei das Schwänzchen ununterbrochen in einer Weise, als ob es darauf abgesehen sei, einen Knoten daraus zu machen. Wir alle, die wir dabeistanden, brachen in ein lautes Lachen aus. Darüber freute Smihk sich derart, daß er seine Sprünge verdoppelte, so daß aus unserm Lachen ein schallendes Gelächter wurde. Auch der Mir lachte mit.

»Das ist ja das Nashornpferd, welches uns umgerissen hat!« sagte er. »Ihr scheint es zu kennen. Wem gehört es?«

»Es ist das Reitpferd unseres Freundes Amihn, des Scheichs der Ussul«, antwortete ich.

»Von wem wird es denn jetzt hier bei der Truppe geritten?«

»Gewiß von niemand. Der Gaul ist sein Liebling, den er keinem andern überläßt. Wo Smihk, der Dicke, ist, da ist unbedingt auch sein Herr.«

»Amihn hier? Davon weiß ich ja nichts!«

»Ich auch nicht; wir alle nicht. Wir werden aber bald erfahren, was es mit dem unerwarteten Erscheinen dieses Pferdes für eine Bewandtnis hat. Schau! Dort kommen zwei Reiter! Ich glaube, das ist der Fürst von Halihm mit seiner Tochter.«

Ja, sie waren es, Abd el Fadl mit Merhameh. Sie kamen von Osten her im Galopp durch den frischen Morgen geritten, so daß sie sich uns sehr schnell näherten, beide in ihre blaugeflochtenen Ledergewänder und lichte, hinter ihnen herwehende Mäntel gekleidet. Auf ihren blütenweißen, leicht über dem Erdboden dahinfliegenden Pferden wollten sie uns wie Boten aus einer andern Welt erscheinen, als unsere gegenwärtige ist. Beider Wangen waren gerötet, und beider Augen leuchteten, als sie uns erreichten und abstiegen.

»Das war die Schlacht am Dschebel Allah, mit der wir getäuscht werden sollten«, sagte Abd el Fadl. »Die Vorspiegelung ist zur Wahrheit geworden. Es trat einer an unsere Stelle, der nicht zu täuschen ist. Nun ist sie vorüber. Die Kanonen wurden in die Schluchten und Abgründe gestürzt, und wer nicht Zeit zu fliehen fand, der liegt zermalmt unter Felsen oder zerschmettert in der Tiefe. Aus dem Dschebel Allah aber sind warme, heilende Quellen hervorgebrochen, und zu den Füßen des Sohnes rauscht ein neugeborener Strom den Berg hinab, um die verödete Steppe zu bewässern und zu segnen. So straft die höhere Gerechtigkeit! Und so verwandelt zu gleicher Zeit die Güte des Himmels die Strafe in Wohltat und liebende Hilfe!«

»Nur die Güte des Himmels tut das?« fragte Merhameh. »Gibt es nicht auch eine Güte der Menschen? Ich heiße Merhameh, die Barmherzigkeit, und ich will nicht nur so heißen, sondern es auch sein. Ich wende mich an dich, den Mir von Ardistan, und ebenso an dich, den Mir von Dschinn...« Sie hielt mitten in diesem Wort inne, um es schnell zu verändern. »... an dich, den Schech el Beled von El Hadd. Das Schlachtfeld dieser Nacht wird von der Grenzlinie eurer Gebiete gerade durchschnitten. Ich habe mich also an euch beide zu wenden, indem ich bitte: Der Strenge ist Genüge getan; nun soll die Güte walten, die Menschlichkeit, die Barmherzigkeit. Schenkt mir und meinem Vater die Leidenden, die Verwundeten! Die Scharen von Halihm sind gewohnt, nicht nur zu schlagen, sondern auch zu heilen, nicht nur niederzuwerfen, sondern auch wieder aufzurichten. Erlaubt uns, sie hinauf nach der Stelle der Verwüstung zu führen, um, nachdem die Vergeltung gesprochen hat, auch zu tun, was das Herz uns gebietet!«

»Was mein Gebiet betrifft, so erlaube ich es, und zwar sehr gern«, antwortete unser Mir von Ardistan.

»Ich ebenso auf dem meinigen«, stimmte der Schech el Beled bei. »Da kommt Irahd, der Anführer eurer Hukara. Was hat er zu melden?«

Irahd, der speziell die Ussul befehligte, brachte einen zweiten Ussul, der soeben von der Hauptstadt her bei dem Heer eingetroffen und so schnell geritten war, daß sein Gaul in der Kühle des Morgens dampfte. Dieser Mann wendete sich an den Dschirbani, rief aber, als er Smihk, den Dicken, sah, lachend aus:

»Da ist er ja, der Schreihals, der Spektakelmacher, der Ausreißer! Er muß in schnurgerader Linie und in einem einzigen, ununterbrochenen Galopp hierhergerannt sein, denn ich bin nach seinem Verschwinden sogleich auch von Amihn und Taldscha fort.«

»Von Amihn und Taldscha?« fragte der Dschirbani. »So sind sie also unterwegs, sind in der Nähe?«

»Ja. Sie treffen in einer halben Stunde mit dem ganzen Zuge hier ein. Ich wurde vorausgeschickt, euch dies zu sagen.«

»Mit dem ganzen Zug? Was ist das für ein Zug?«

»Die Schar der Pfleger und der Pflegerinnen, welche der Basch Nasrani, der Oberpriester der Christen, euch sendet.«

»Wie sonderbar! Und doch wie willkommen, willkommen! Aber wir wußten nichts davon. Wir ordneten es nicht an. Wie kam er auf diesen Gedanken?«

»Er läßt dir sagen, infolge eines Gespräches mit Merhameh, der Prinzessin von Halihm, sei diese Idee in ihm erwacht, und er habe sie ausgeführt, ohne euch mit der Sorge und den Vorarbeiten zu belästigen. Er bittet durch mich, ihm das zu verzeihen.«

»Das tun wir gern, sehr gern! Aber Amihn und Taldscha sind dabei. Wie kamen sie nach Ard? Und warum?«

»Sie erfuhren durch die Postenlinie, daß ihre beiden Söhne von dem Panther nach der Stadt der Toten gelockt worden seien, um mit dem Mir von Ardistan, dem Dschirbani, Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef und dem ganzen Heer dort elend zu verschmachten und zu sterben. Sie wurden durch die Angst von daheim fortgetrieben. Sie eilten, so schnell es ging, nach Ard. Dort erfuhren sie zu ihrer Freude, daß die dem Tode Geweihten nicht nur gerettet, sondern auch schon ausgezogen seien, die Aufrührer und Mörder zu verfolgen und zu bestrafen. Sie schlossen sich sofort dem von dem Oberpriester gebildeten Zuge der Barmherzigen an, der soeben im Begriff stand, dem Heer auf schnellen Maultieren nachzufolgen. Sie bekamen von Etappe zu Etappe stets guten Bericht. Gegen Abend hofften sie, euch einzuholen. Aber als sie euch so nahe waren, daß die Entfernung kaum noch eine Stunde betrug, sahen wir die entsetzliche Katastrophe nahen, die sich hier vollzogen hat, und mußten Lager machen. Nicht das Erdbeben erschreckte unsere Pferde, sondern das Geschrei der Maultiere regte sie auf. Besonders Smihk wurde wütend. Er begann schließlich mitzuschreien, und als ihm das keine Ruhe brachte, rannte er einfach fort, wohin, das sehe ich jetzt.«

»Man wird ihn suchen?«

»O nein. Wir kennen ihn. Der findet sich ganz von selbst zurecht und fühlt sich hier bei seinem ganz besonderen Liebling recht wohl.«

Man lachte. Denn der Dicke rieb seinen Kopf bald an meiner rechten, bald an meiner linken Schulter und schnüffelte und leckte an mir herum, als ob ich die größte Delikatesse sei, die es für ihn geben könne. Der Bote wollte in seinem Bericht fortfahren, da aber nahte sich von Nordwesten her ein zweiter Reiter, der direkt von dem dort beginnenden Saumpfad kam und zu den Scharen von El Hadd gehörte. Zu gleicher Zeit deutete Halef nach Süden, wo auf einem langgestreckten, niedrigen Hügel der Anfang einer sich vorwärtsbewegenden Linie erschien, um sich über ihn herabzuziehen.

»Dort kommt, wie es scheint, eine lange, sehr lange Karawane«, sagte er. »Wer mag das sein?«

»Das sind sie«, antwortete der Ussul. »Sie sind mir schneller gefolgt, als ich dachte.«

»Wie mich das freut!« rief Merhameh, die kleinen, lieben Hände froh zusammenschlagend. »Da naht ja die Güte der Menschen, von der ich soeben sprach. Das ist ja Gesetz im Reich der Liebe: Kaum hat man das Gute gewünscht, so ist es schon unterwegs! Komm, Vater, wir reiten ihnen entgegen; ich möchte die erste sein, die sie begrüßt!«

Er nickte zustimmend; sie ritten miteinander fort. Inzwischen war der El Hadd herangekommen. Er wendete sich an seinen Scheich und meldete:

»Der Panther scheint entkommen zu sein; mit wieviel Leuten, kann man noch nicht sagen. Wahrscheinlich geschah das in den Augenblicken, in denen auch wir von der Zerstörung zurückweichen mußten, um nicht mit getroffen zu werden. Die Reiter von Dschinnistan ziehen sich nun wieder zur Platte hinauf. Wir andern schließen uns ihnen von beiden Seiten an. Man untersucht den Weg genau, damit euch nichts geschehe, wenn ihr kommt. Denn was euch dort erwartet, ist nur für starke Herzen und für unerschütterliche Nerven. Ein Schuß wird euch melden, daß ihr kommen könnt.«

»Was für ein Schuß?« fragte der Schech.

»Mit der einzigen Kanone, die man bisher gefunden hat. Die andern sind alle verschwunden. Nur sie allein blieb übrig und wurde nicht mit zerschmettert.«

»So komme zunächst nur ich. Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef begleiten mich. Die andern bleiben hier, bis der Zug der Barmherzigen angekommen ist, und folgen uns dann, um am Fuß des Dschebel Allah zu lagern. Sollte der Panther wirklich entkommen sein, so ist ihm das nur als eine Gnadenfrist gegeben. Läßt er diese vorübergehen, so gibt es dann kein Erbarmen.«

»Bisher war dieses Erbarmen wohl möglich gewesen?« fragte der Basch Islami.

»Ja. Nämlich wenn er die Schlacht, die er uns verkündete, wirklich geschlagen hätte, doch nicht die Schlacht gegen uns, sondern die Schlacht gegen sich selbst und die dunklen Scharen seines Innern! Als er kam, um mit uns zu verhandeln, sah er alle, die er verderben wollte, sich gegenüberstehen. In diesem Augenblicke mußte er tief, tief in sich gehen, mußte die Abgründe seines Wesens erkennen und sich selbst bei Brust und Gurgel fassen, um sich niederzuringen. Dann hätte er als Sieger über sich selbst auf unsere Verzeihung rechnen können. Aber es fiel ihm nicht ein, die Hand an sich selbst zu legen. Er war zu verblendet und zu feig dazu. So kehrte er denn, als er uns verließ, in sein eigenes Verderben zurück.«

Wir standen mit dem Gesicht nach dem Dschebel Allah gewendet. Da sahen wir, daß sich am Fuß des Sohnes ein kleines Wölkchen zeigte, um wieder zu verfließen. Eine Detonation folgte.

»Der Schuß, von dem ich sprach«, bedeutete uns der El Hadd. »Nach diesem Schuß wird auch diese letzte Kanone in die Tiefe hinabgestürzt. Es soll keine übrigbleiben, keine einzige. Es soll kein derartiges Mordwerkzeug drüben in El Hadd und Dschinnistan zu sehen sein!«

Als das Rauchwölkchen sich verflogen hatte, wurden da drüben, wo der Kegel des Sohnes aus dem Fundament des Dschebel stieg, drei weiße Linien sichtbar, die sich zusammenzogen. Zu gleicher Zeit zuckte es im Osten leuchtend auf. Die Sonne erschien. Sie erschien nicht nach und nach, sondern sie stand gleich mit einem Male über dem Horizont. Nun lagen nicht nur die Kuppen und Spitzen im Morgenrot, sondern das Rot verwandelte sich in flüssiges, ganz plötzlich wie vom Himmel niedersinkendes Gold, und das ganze Gebirge und die ganze, um uns sichtbare Welt stand in hellem, glücklichem Tagessonnenlicht. Als dieses Licht auf den Dschebel Allah fiel, wurden die weißen Linien so deutlich, daß wir ihre Einzelheiten erkennen konnten. Es waren die drei Abteilungen der Truppen, die uns zu Hilfe gekommen waren. In der Mitte die Schwarzgepanzerten von Dschinnistan, links, von uns aus gerechnet, die Lanzenreiter von El Hadd, und rechts die blauen Schwadronen von Halihm. Die Spitzen ihrer Lanzen funkelten. Ihre Helme warfen blitzende Strahlen zurück. Rechts und links von den Linien ihrer weißen Pferde und ihrer weißen Mäntel sahen wir heißes Wasser aus dem Felsen dringen und sich in dampfenden Kaskaden in die Tiefe stürzen. Und unten, am Fuß des Bergstockes, fiel, mehrere Stockwerke hoch, ein lebendig gewordenes Flüßchen nieder, welches sich in zahlreichen, ungewissen Windungen erging, um den Weg zu suchen und zu finden, der ihm durch seine eigene Schwere vorgeschrieben war. Bei diesem Anblick zog es mich hinüber nach dem Berg. Dieselbe Faust, die während der Nacht dort strafte, sie hatte sich jetzt, am liebenden Morgen, geöffnet, um zu helfen, zu retten, zu erlösen. Ich übergab Smihk, der nicht von mir weichen wollte, dem Ussul und schwang mich auf meinen Syrr. Halef, der Ungeduldige, war schon aufgestiegen. Der Schech el Beled tat dasselbe. Mit der Hand erst nach der Sonne und dann nach dem Dschebel Allah deutend, rief er uns beiden zu:

»Vorwärts! Das ist der neue Tag! Und das ist die neue Zeit! Die Berge geben wieder Wasser; die Wüste wird wieder Land, und der Friede naht aus weitgeöffneten Toren! Wir reiten ihm entgegen!«

Er trieb sein Pferd vorwärts. Wir folgten ihm, erst im Schritt, dann im Trab und hierauf im fliegenden Galopp.


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