Karl May
Am Stillen Ocean
Karl May

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Zweites Kapitel

Eine Elefantenjagd

Ceylon, von den Engländern Silon genannt, hieß bei den alten Indiern Silandiv, bei den Griechen Taprobane. Die Eingeborenen nennen die Insel Singhala. Sie ist von dem hindustanischen Festlande durch einen sechzig englische Meilen breiten Kanal getrennt und steigt von der Küste bis zum Pedrotallagalla höher als achttausend Fuß empor. Daß man Ceylon das Malta des indischen Oceans genannt hat, geschah wohl seiner strategisch bedeutenden Lage wegen.

Die Insel ist bekanntlich britisches Kronland und steht unter einem eigenen Gouverneur. Alle höheren Aemter werden von Engländern bekleidet, doch beträgt die Zahl der Weißen kaum sieben Tausend. Die Eingebornen, Singhalesen, bekennen sich zur buddhistischen Religion; sie sind zum Teil mit später zugewanderten Hindus, Malayen, Javanern, mit maurischen und portugiesischen Elementen und mit Mozambik- und Madagaskar-Negern vermischt. Auch ein chinesisches Gesicht findet man hier oder da, doch verschwindet es schnell wieder, nachdem der Besitzer desselben die nicht oft lobenswerte Absicht erreicht hat, welche ihn zu den ›Leuten mit graden Nasen‹ herüberführte.

Der Chinese ist nämlich in jenen Strichen nicht sehr beliebt. Er verdient vollständig, der Jude des Ostens genannt zu werden. Den kleinsten Gewinn nicht verschmähend, opfert er einem größeren Vorteile alles, was er zu opfern hat, findet sich zu Lande leicht in jede Lage und scheut auch die Wogen der See nicht, wenn es gilt, einen verhältnismäßigen Nutzen zu ziehen. Dann ist er ebenso schlau wie kühn, ebenso energisch wie gewissenlos, und es gehört ein tüchtiger Gegner dazu, ihm durch List oder Gewalt den Weg zu verlegen.

Schon längst hatte eine Verbindung von malayischen Seeräubern von sich reden gemacht, welche auf ihren schnellsegelnden, schlank gebauten Prauen sogar bis herüber zu den Adamanen- und Nikobareninseln gekommen waren und selbst gut bemannten europäischen Schiffen Trotz geboten hatten. Ihr Anführer sollte ein chinesischer Seekapitän sein, welcher, von seiner Regierung verfolgt, landesflüchtig geworden war und, wie man erzählte, auf einer einsamen Insel des indischen Meeres eine Flibustierbande um sich gesammelt hatte, mit welcher er besonders kleinen Fahrzeugen gefährlich wurde. ›Yang-dzeu‹, d. i. Meerteufel, wurden diese Korsaren von den Anwohnern der chinesischen See genannt, und allen Gerüchten nach war dieser Name auch vollständig gerechtfertigt, da sie sich ihren Gefangenen gegenüber vollständig als Teufel betrugen.

Das alles ging mir durch den Kopf, als ich am andern Morgen erwachte und unwillkürlich an den Chinesen dachte, welcher unter so verdächtigen Umständen den Hafen verlassen hatte. Ein Mann der Dschonke hatte sich an der Verlobten Kaladis vergriffen – das Fahrzeug mußte gewaltthätige Leute an Bord haben. Wir standen in der Zeit des nun sechs Monate lang unaufhörlich wehenden Nordost-Monsuns, eine Zeit, in welcher es einem Segelschiffe höchst schwer und bei gewisser Bauart und Takelung sogar unmöglich ist, auf Nordost zuzuhalten. Konnte die Dschonke bei ihrer eigentümlichen Masten- und Segelstellung diesen Kurs einhalten? Es schien mir sehr wahrscheinlich, daß sie die Absicht gehabt habe, den Westen der Insel zwischen sich und den Monsun zu nehmen. Aber was konnte sie dort wollen, wohin sicher noch niemals ein chinesisches Schiff gekommen war?

»Tschick, tschick, tschick!« klang es hell und rasch hinter dem Spiegel hervor. Das kleine, kaum drei Zoll lange Tierchen, welches mich durch diesen Ruf aus meinem Nachdenken störte, war ein Gecko von der Spezies, wie sie in jedem Hause Ceylons zu treffen sind. Es war des Nachts über auf der Jagd gewesen, schickte sich jetzt an, sein Quartier hinter dem Spiegel wieder aufzusuchen, und hielt es für seine Pflicht, mir dies durch seinen zutraulichen Ruf anzuzeigen.

. Der Gecko ist für den Neuling eine überraschende und anfangs sogar unheimliche Erscheinung. Diese kleine, niedliche Eidechse kommt in jeder Wohnung zahlreich vor, hält sich während des Tages über in den Spalten der Wände, in den Ecken und Lücken der Möbel verborgen und kommt erst zur Zeit des Lichtanzündens hervor, um Jagd auf schlafende Insekten zu machen. Da der Gecko ein nächtliches Tier ist, so hat er gleich den Katzen schmale, vertikale Pupillenöffnungen, welche sich in der Dunkelheit erweitern. Durch die an seinen Zehen befindlichen Saugscheiben ist er imstande, behend an den Wänden auf und ab, und an der Decke hin und her zu laufen. Er wird sehr zahm und zutraulich und gewöhnt sich sogar, während der Tafel seine Visite zu machen, um die abfallenden Brocken zu verspeisen.

Ich erhob mich, um mich anzukleiden. Kaum war ich damit fertig, so ließ Raffley mich rufen. Als ich in sein Zimmer trat, fand ich ihn beim Thee, aber bereits in voller Toilette.

»Good morning, Charley,« sagte er. »Macht Euch fertig, abzureisen. Ich habe dem Mudellier bereits sagen lassen, daß es fortgeht, und auch meinem Steuermann das Zeichen gegeben, welches ihn herbeiruft.«

Er deutete dabei auf einen Shawl, welcher als Flagge aus dem Fenster hing und von der Dampfjacht aus gesehen werden konnte. Das Zeichen mußte sofort bemerkt worden sein, denn noch hatten wir unser Frühstück nicht beendet, so trat ein Mann ein, dessen Aeußeres ihn sofort als Seefahrer kennzeichnete. Er war lang und hager, hatte die ganze Haltung und den schleppenden Gang, welcher diese Leute stets auszeichnet, und besaß zwei wunderbar kluge, kleine Aeuglein, die höchst scharf und selbstbewußt über die große, scharf geschnittene Nase hinwegblickten.

»Welcome, Tom!« grüßte ihn Raffley. »Wie steht es auf der Jacht?«

»All right, Sir. An Deck ist alles korrekt und in Ordnung, wie es sich ziemt und gehört.«

»Kohlen genug?«

»Yes, Sir. Genug, um bis hinauf nach Japan zu dampfen.«

»Proviant und Munition?«

»Kein Mangel. Was den Proviant betrifft, so wird er verbraucht, die Munition aber, mit der scheint es gute Wege zu haben. Seit unserer Affaire auf der Höhe von Bahia, wo wir es einem Ebenholzfahrer heiß machten, haben wir nicht einen einzigen Schuß gethan. Unsere ›lange Harriet‹ trifft so vorzüglich und steht dennoch auf dem Deck wie die Frau des Lot, welche damals, ich weiß nicht mehr bei welcher Gelegenheit, zur Salzsäule geworden ist. Das halte der Teufel aus! Ich bin ein guter Artillerist, Sir; schafft mir bald einmal Gelegenheit, meine ›Harriet‹ brummen zu hören, sonst fahre ich vor Langeweile aus der Haut!«

Raffley lächelte.

»Nur Geduld, alter Seebär, es wird sich schon noch Gelegenheit bieten, eine scharfe Ladung an den Mann zu bringen.«

»Hier auf keinen Fall, Sir. Ich habe ganz gewaltigen Appetit, so bald als möglich wieder in See zu gehen. Gehörte diese brave Jacht, mit der es wahrhaftig kein zweites Fahrzeug aufnimmt, mir, so hätte ich schon längst wieder die Anker gezogen und die weite See gesucht.«

»Well, Tom; so lichte die Anker!«

»Ist's möglich, Sir?«

»Freilich. Ich reise heute per Wagen nach Kolombo und habe nicht die Absicht, mein Schiff hier zurückzulassen. Macht Euch daher so bald wie möglich in See, damit ich Euch im Hafen von Kolombo wiederfinde.«

»Schön, Sir Raffley. Wie weit ist es zu Lande bis dorthin?«

»Siebzig Meilen.«

»Dann liege ich bereits vor Anker, wenn Ihr dort ankommt. Das wird heute abend sein?«

»Ich denke es!«

Der Steuermann verabschiedete sich.

Nach seiner Entfernung kam ein Bote des Mudellier. Der Beamte ließ uns bitten, uns seiner Wagen zu bedienen, was natürlich angenommen wurde. Dann kam Kaladi, um uns seinen Morgengruß zu bringen.

»Hast du mit Molama gesprochen?« fragte ihn der Engländer.

»Ja, Sihdi.«

»Geht sie mit?«

»Ich habe ihr erzählt von den beiden Maharadschas aus dem Abendlande, die so mächtig sind und so gütig, und sie wird mitgehen, Euch zu dienen.«

»Was sagt ihr Vater dazu?«

»Molama hat weder Vater noch Mutter, weder Bruder noch Schwester; sie hat nur mich.«

»So gehe zu ihr. In einer Stunde reisen wir ab und erwarten euch an der Wohnung des Mudellier.«

»Wird der Mudellier mich nicht ergreifen?«

»Das wollte ich ihm nicht raten. Gehe jetzt, und komme getrost wieder!«

Bald zeigte uns ein Blick hinaus in den Hafen, daß die Jacht zu heizen begann. Ein Streifen dicken, schwarzen Rauches entströmte ihrem Schornsteine; die Segel wurden gehißt, der Anker emporgewunden, und in demselben Augenblick, in welchem wir das Hotel verließen, setzte sich auch das kleine, scharf auf den Kiel gebaute Fahrzeug in Bewegung, um die hohe See zu gewinnen und in der Richtung von Bentotte und Kaltura die Hauptstadt Kolombo zu erreichen.

Auch wir hatten, allerdings zu Lande, diese Richtung einzuhalten. Es war eine Reise, wie ich sie in dieser Weise und durch eine Gegend von so paradiesischer Schönheit noch nicht gemacht hatte.

Bei dem Mudellier angekommen, fanden wir die köstlichsten Erfrischungen, welche das Land zu bieten vermochte. Dann fuhren zwei in England gekaufte Equipagen vor, jede mit sechs Pferden von der feingebauten indischen Rasse bespannt. Die erste war für Raffley und mich, die andere für den Mudellier bestimmt. Auch Kaladi und Molama bekamen einen Wagen, deren eine ganze Reihe auf unsern Aufbruch wartete. Nach echt indischer Sitte stand vor dem Hause ein ganzes Hundert von Kulis, Läufern, Dienern, Köchen und anderen Begleitern, die Läufer zu Fuß, die andern zu Pferd oder zu Wagen, so daß jeder uns Begegnende die Ueberzeugung erhalten mußte, er habe die Ehre, sehr hochgestellten Herrschaften auszuweichen.

Endlich ging es vorwärts. Wir verließen Point de Galle und hatten nun bis Kolombo eine wohlgepflegte Straße zu passieren, zu deren Seiten sich eine ununterbrochene Reihe von Dörfern hinzog; wie Schmuckkästchen blickten die Gebäude derselben aus der reichen südländischen Vegetation hervor.

Kein Ort der Welt darf sich in Beziehung der Pflanzenwelt mit Point de Galle messen; der charakteristische Baum dieser Gegend ist der Papawbaum (Carica papaya), welcher einen schlanken, hohen und sich sehr regelmäßig verjüngenden Stamm hat, an dessen Spitze sich die langen, glänzenden Blätter wie ein Fallschirm ausbreiten und eine Menge hellglänzender Früchte einschließen, die die Gestalt einer Melone besitzen.

Es war noch am frühen Morgen, und man muß in jenen Breiten gewesen sein, um die wonnige Schönheit der ersten Tagesstunden in der Tropenzone zu kennen. Wie rein und balsamisch umhaucht da die Luft die Wangen! Die vollkommen azurne Bläue des Himmels spiegelt sich in krystallenen Wassern. Die uns umkosenden Zephyre tragen uns die trunken machenden Düfte von Millionen Blumen und Blüten entgegen. Welch ungekanntes Entzücken hebt das Herz, welch ungläubiges Staunen wagt sich an die Betrachtung der fremdartigen Erscheinungen, auf welche man bei jedem Schritte stößt! Es liegt etwas so Großartiges und Mächtiges in dem Eindruck, welchen die Tropenwelt auf das empfängliche Gemüt äußert, daß man nach einem Aufenthalte von wenigen Monaten die Empfindung hat, als befinde man sich bereits eine lange Reihe von Jahren dort. Es erscheint hier alles neu und wunderbar. Inmitten dieser Ortschaften, Dörfer und Felder, in der Dichtigkeit dieser Wälder verwischen sich fast alle Erinnerungen an unsere abendländischen Formen und Erscheinungen, denn es ist ja hauptsächlich die Vegetation, welche, allerdings in Verbindung mit der Bodengestaltung, den Charakter der Landschaft ausmacht; sie ist es, die durch ihre Massenhaftigkeit, den Kontrast ihrer Formen und den Glanz ihrer Farben auf unsere Einbildungskraft die tiefste Wirkung äußert. je kräftiger und neuer ein Eindruck ist, desto mehr schwächt er frühere Vorstellungen; die Kraft derselben giebt ihnen den Anschein der Dauer. Das Licht und das Magische der Atmosphäre verherrlichen unter dem zauberhaften Himmel des Südens selbst den schmucklosesten Teil der Erdenwelt. Die Sonne spendet nicht nur Helle, sondern sie färbt zugleich jeden Gegenstand und umgiebt ihn mit einem leichten Dufte, welcher, ohne der Durchsichtigkeit der Luft zu schaden, die Töne harmonischer macht, die Wirkungen des grellen, intensiven Strahles mildert und über die ganze Natur eine Ruhe verbreitet, welche auch in unsere Seele einzieht.

Kein anderer kann die Scenerie von Ceylon besser würdigen, als der Jäger. Die Verfolgung des wilden Elefanten oder Bären bringt ihn in Situationen, deren unübertrefflich scenische Schönheit nicht leicht einem andern vor das Auge gerückt wird, außer vielleicht einem Soldaten im Kampfe gegen aufständische Eingeborene. In einem Dampfer oder auf der Lustjacht um die Insel reisen und während einer solchen Fahrt alle größeren und kleineren Häfen besuchen, würde den Freund des Malerischen in den Stand setzen, viel von der herrlichen Natur Ceylons zu sehen. Alle, welche es besuchen, müssen anerkennen, daß es das gerühmte Elysium des Orientes wirklich ist.

Die Straße von Point de Galle nach Kolombo windet sich längs der Meeresküste hin. Zwischen ihr und der See liegt ein dünnes Gehölz von Kokosnußbäumen, in deren Schatten die dicht zusammenhängenden Dörfer liegen. Man darf hier nicht an die niedrigen, breiten Kronen unserer Obstwälder denken; die Kokospalmen, welche sich mit Vorliebe dem Meere zuneigen, ragen achtzig bis hundert und mehr Fuß empor und tragen erst in dieser Höhe auf schlanken Säulen ihre herrlichen Fächerkronen. Es benimmt dies den Umrissen des landschaftlichen Bildes die Eintönigkeit, welche unvermeidlich wäre, wenn der Wuchs der Kokospalme die gleichen, regelmäßig aufsteigenden Linien zeigte, welche die Arekapalme so reizend, schlank und fein in ihrem Bau erscheinen lassen.

Unsere Reise ging sehr schnell und glücklich von statten. Schon in geraumer Entfernung von Kolombo zeigten die dichteren Reihen von besser gebauten Wohnungen, vermischt mit einzelnen europäischen Häusern, daß wir uns der Hauptstadt näherten. Die Kokoswälder wechselten in angenehmer Weise mit den Zimtgärten der Regierung ab. Dieses Gesträuche, welches im Handel so großen Nutzen abwirft, wächst bis zu einer Höhe von vier bis fünf Fuß und gleicht, was sowohl die Farbe als auch die Gestalt des Blattes betrifft, der Syringe. Die Straße belebte sich bei jedem Schritte mehr mit malerischen Gestalten; wir waren gewissermaßen bereits in der Vorstadt Kolombos, die aber wegen des Fort durch einen breiten, freien und nicht von Wohnungen bedeckten Raum von der eigentlichen Stadt getrennt ist.

Endlich passierten wir auch den berühmten, von den Singhalesen heilig gehaltenen Banianen-Baum, dessen Hauptwurzel auf der einen Seite der Straße in die Erde greift und der von der herrlich geästeten Riesenkrone aus eine seiner Luftwurzeln auf der andern Seite des breiten Fahrweges zu Boden gesandt hat, so daß sie nun einen zweiten kräftigen Stamm bildete. Diese Baniane ist eine großartige Erscheinung der tropischen Pflanzenwelt, ein wahrhaft königlicher Sproß des mütterlichen Schoßes dieser so reich gesegneten Insel.

Gegen Sonnenuntergang langten wir in Kolombo an. Wir wurden da von einem Abgesandten des Gouverneurs empfangen, welcher den Auftrag hatte, uns nach dem Queenshouse zu geleiten. Dort wurde uns alles geboten, was nach einer Tagesfahrt in diesem Klima erwünscht ist: kühle Zimmer, ein prachtvolles Bad, Ruhe und Speise. Nach dem Essen ging ich mit Raffley vor die Citadelle hinaus an das Meeresufer, den Sammelplatz der schönen Welt von Kolombo, welche teils zu Wagen und teils zu Pferde, vielleicht auch promenierend sich der kühlen Seebrise erfreute.

Neben dem Wege auf einer weiten Esplanade machte ein Teil der Garnison, welche aus Eingeborenen von Vorderindien unter englischen Offizieren besteht, seine Exerzitien, denn die Rücksicht auf das Klima erfordert, daß solche Uebungen nur in den kühlen Morgen- und Abendstunden vorgenommen werden.

Wir ließen uns auf eine Bank nieder. In dem kurzen Zwielichte der tropischen Breite drang das brandende Rauschen des Meeres wie eine vernehmliche Sprache an mein Ohr. Wie wunderbar drängten und kreuzten sich die Gedanken! Ich ließ den Blick bald auf dem Treiben der kleinen Schaltierchen zu meinen Füßen haften, bald über die blaue See in endlose Ferne schweifen; zur Rechten die Stadt und ihre Forts, zur Linken ein großes, englisches Monstre-Hotel, dicht von Kokospalmen umgeben, deren Federkronen sich rauschend im Nachtwinde bewegten, und es war mir alles wie ein Traum; ich mußte mich besinnen, daß ich mich wirklich hier auf Ceylon befand. Vergangenes, Erlebtes, Kommendes und die Gebilde der Phantasie fließen mit dem Gegenwärtigen in ein seltsames, halbbewußtes Dasein zusammen; man erinnert sich nur undeutlich, wohin in solchen Momenten die Gedanken eilten, so wird man von der Seltsamkeit der neuen Eindrücke und der fremden Umgebung verwirrt, und dennoch zählen solche Stunden zu den reichsten und liebsten Erinnerungen, welche man mit zur Heimat bringt.

Es war mittlerweile Nacht geworden, und die Truppen hatten längst mit klingendem Spiele den Rückweg nach der Stadt angetreten, als wir uns nach dem Queens-house zurückbegaben. An der Thür desselben stand Tom, der Steuermann, welcher uns nicht zu Hause getroffen und also hier auf uns gewartet hatte.

»Eingetroffen, Sir!« sagte er nach kurzer Seemannsart.

»Well, mein Junge; doch wo ist die Jacht? Ich habe sie trotz alles Suchens nicht bemerkt.«

»Hinter dem Felsen seitwärts vom Hafen, Sir. Der Hafen ist dem Winde ausgesetzt und eine stramme Bö, welche einen Dreimaster umklappt wie einen Gartenstuhl, ist in diesen Gegenden nichts Seltenes.«

»Well done! Giebt's etwas Neues an Bord?«

»Nein. Aber außer Bord habe ich eine Bemerkung gemacht, die ich Euch melden muß, Sir.«

»Welche?«

»Habt Ihr den Chinesen bemerkt, welcher gestern den Hafen verließ?«

»Yes

»Sein Bau und seine Takelung nahmen mich wunder, auch konnte ich mir nicht recht denken, wohin der Kerl eigentlich wollte, da der Nordost-Monsun ihm ja den Kurs verlegt. Dann fiel mir auf, daß heut morgen in der ›schwarzen Stadt‹ von Point de Galle, wo nur Eingeborene wohnen, mehrere Mädchen verschwunden waren. Ich hatte neben dem Chinesen gelegen und einige Singhalesinnen bei ihm an Bord gesehen.«

»Ein Girl-Robber? Pshaw!«

»O doch, es giebt einen Girl-Robber, Sir, einen Mädchenräuber. Es wurde mir im Wirtshause viel von ihm erzählt. Er ist ein chinesischer Seeräuber und besucht die Küsten, um Mädchen zu holen, welche die Frauen seiner Leute werden müssen, die auf einer verborgenen Insel wohnen.«

»Möglich, geht mich aber nichts an.«

»Mich auch nicht; aber dieser Pirat fiel mir doch bei der heutigen Nachricht unwillkürlich ein. Ich hatte die Singhalesinnen an Bord des ›Haiang-dze‹ gesehen und wußte sehr genau, daß sie nicht wieder an das Land gebracht worden waren. Dann dachte ich an Euern Kaladi, dessen Herzenskleinod ein Mann der Dschonke angefallen hatte, und heute – –«

»Nun, heute?« fragte Raffley, neugierig werdend.

»Es war um Mittag herum; die See ging ein wenig hoch, und ich fuhr beinahe ohne Rauch; dazu hatte ich die Leinwand in Reffs gelegt, so daß es nicht leicht war, uns von weitem zu bemerken. Da sah ich den Chinesen vor mir durch das Wasser gehen. Er hatte alle Segel beigesetzt und ging durch die Wogen ventre-à-terre, wie ein gutes Pferd bei der Fuchshetze. Der Jacht aber war er nicht gewachsen; ich holte ihn ein, und er bemerkte mich erst, als ich bereits bis höchstens auf eine Viertelmeile an ihn heran war. Sofort ließ er die Maske vorlegen, aber ich hatte durch das Rohr bereits genug gesehen.«

»Was?«

»Er ließ den Raum lüften und hatte außer den Luken auch acht Löcher geöffnet, welche mir nur geschnitten zu sein schienen, um Kanonenkugeln hindurch zu lassen. Und auf dem Decke saßen, an den Händen gebunden, vier Frauenzimmer, welche beim Nahen der Jacht sofort in den Raum geschafft wurden.«

»Hast du ihn angesprochen?« »Natürlich.« »Was antwortete er?« »Dschonke Haiang-dze, bestimmt nach Tschilah.«

»Das war eine Lüge. Was will der Chinese in Tschilah? Er bewegte sich gestern so leicht aus dem Hafen, daß er sicher keine Ladung hat, und in Tschilah ist nichts zu finden, was man stauen könnte. Der Kerl wird mir verdächtig, und es macht mir Vergnügen, ihn zu beobachten.«

»Durch die Jacht?«

»Natürlich. Wir gehen von hier über Kandy nach Kornegalle bis an die Ufer des Alligatorflusses, den die Singhalesen Kimbu-Oya nennen. Den Rückweg werde ich nicht zu Lande, sondern per Kahn auf dem Flusse machen, welcher uns nach Tschilah führt. Dort soll die Jacht auf uns warten, und bis wir kommen, hast du ja Zeit, dich nach dem umzusehen, was der Chinese treibt.«

»Wann werdet Ihr in Tschilah sein, Sir?« »Weiß es nicht genau.«

»Well. Habt Ihr sonst noch einen Befehl?« »Nein, du kannst gehen!« –

Am andern Morgen setzten wir unsere Fahrt nach Kandy fort, welches die ehemalige Hauptstadt der Insel und der Sitz der einheimischen Könige ist. Die Entfernung zwischen Kolombo und Kandy beträgt achtzehn Stunden. Die Straße, welche von Point de Galle aus nordwärts geführt hatte, drehte sich hinter Kolombo nach Osten. Die Haine der Kokospalmen verschwanden bald, und junge Reisplantagen gewährten mit ihrem zarten, glänzenden Grün einen sehr angenehmen Anblick. Dann kamen Pflanzungen des Areka- und Surivabaumes mit ihrem reichen Laubwerke, zwischen welchem die schönen gelben Blüten verheißungsvoll hindurchschimmerten. Namentlich wurden wir ergötzt durch den Kontrast, welchen die gewaltigen, schwarzen Gneißmassen, aus denen hier die Berge bestehen, mit den zarten und vielfarbigen, sich an ihnen emporrankenden Schlingpflanzen gewähren. Einzelne Djackholz- und Brotfruchtbäume wechselten mit Kaffee-, Zucker- und Indigo-Pflanzungen; dann kam die Dschungel, eine undurchdringliche Verwickelung von üppigen Rankengewächsen, Schlingpflanzen und Sträuchern, mit leuchtenden Blütenkelchen durchwebt, bis die Straße immer belebter wurde.

Zahlreiche Ochsenkarren begegneten uns; zahme Elefanten trugen ihre Reiter oder arbeiteten zur Seite der Straße, welche sich rund um den Berg Kadagawana zur Höhe wand, um dem Auge stets neue Scenerieherrlichkeiten darzubieten. Dann öffnete sich auf der Spitze des Berges ein Panorama, wie man es schwerlich in den europäischen Alpengegenden findet. Mächtige Felsen, Bergspitzen, die einen Kranz von Baumblüten trugen, als ob Feen ihre Haine auf den Höhen ringsum aufgeschlagen hätten, parkähnliche Abhänge mit Sturzbächen, Wasserfällen und sanft dahinrieselnden Quellen – die wellenförmige Ebene im Vordergrunde, dies alles, gebadet in einem weichen, goldenen Lichte, bildete ein Panorama, wie es menschliches Genie niemals in Farben darzustellen vermöchte und keine Feder entsprechend schildern könnte.

Die Gegend von Kandy gleicht einem großen Garten; Laubwerk, Frucht und Blumen bieten eine Abwechslung, wie man sie sonst kaum findet. Die Aufmerksamkeit des Fremden wird meistens durch den Taliputbaum gefesselt; die Myrte und der Lorbeer sind zahlreich und schön; prachtvolle, goldig glühende Sonnenblumen und üppige Balsaminen bilden eine Farbenzusammenstellung, welche der geschickteste Maler nicht auf die Leinwand zu tragen vermöchte. Und mitten in den Pflanzenwundern bewegt sich eine ebenso malerische wie interessante Tierwelt. Affen schwingen sich kreischend von einem Aste zum andern; Papageien und noch andere Vögel von zarterem Bau und prachtvolleren Farben erscheinen auch in zahlreichen Schwärmen oder sitzen in dem dichten Laubwerke, als seien sie selbst glänzende Blüten, die dort wachsen. Nirgends in der Welt giebt es Schmetterlinge von schönerer Zeichnung und Farbe als auf Ceylon. Man sieht hier den Baumfrosch in die offenen Blütenkelche schleichen und dort die gestreifte oder gefleckte Eidechse metallisch an dem Baumstamme glänzen. Zuzeiten läßt eine ungeheure Schlange ihre marmorierte, schillernde Haut sehen, indem sie sich aus dem schattigen Sumpfe hervorwindet, um sich in die wärmenden Strahlen der Sonne zu begeben. Hier kommt ein Elefant marschiert und spielt mit dem langen muskulösen Rüssel, und dort schnellt ein Leopard durch das Dunkel der Bäume; er hat eine Beute geäugt, die ihm sicher nicht entgehen wird.

Wir kamen des Abends in Kandy an. Eine zahlreiche Gesellschaft erwartete uns bereits: der Gouverneur, der Gouvernements-Agent, die Spitzen der Verwaltung und das zahlreiche Offizierkorps vom kommandierenden Obersten bis herab zu dem jüngsten Lieutenant. Es wurde gespeist und getrunken, gescherzt und gelacht, gespielt, getanzt und musiziert, so daß die Stunden des Abends wie Minuten entschwanden.

Am andern Morgen setzte sich die ganze Gesellschaft in der Richtung nach Kornegalle, welches die Singhalesen Kurunai-Galle nennen, in Bewegung. Die Stadt war eine der alten Hauptstädte der Insel und von 1319 bis 1347 der Sitz und die Residenz ihrer Könige. Die Wohnung des obersten Distriktsbeamten nimmt jetzt die Stelle des vormaligen Palastes ein, und der Boden ist mit Bruchstücken von Säulen und Trümmern aller Art, den Ueberresten des königlichen Baues, übersät. Die neue Stadt besteht aus den Bungalos der europäischen Beamten, deren jedes von einem Garten umgeben ist, aus zwei oder drei Straßen, welche von den Nachkommen der Holländer und von Arabern bewohnt werden, und endlich aus einem Eingeborenen-Bazar mit den üblichen Reihen von Reis und Kurristoffen und anderen Waren, wie sie hierzulande gebraucht und verwertet werden.

Der Reiz des Ortes beruht auf der ungewöhnlichen Schönheit seiner Lage. Kornegalle liegt unter dem Schatten eines ungeheuren Gneißfelsens, welcher fast von allem Grün entblößt und von der Zeit so abgerundet und ausgewaschen ist, daß er fast ganz genau die Figur eines liegenden Elephanten darstellt. Daher nennt man diesen Stein Aëtagalla d. i. den Felsen des Hauers. Hauer oder (englisch) Tusker ist ein mit Fangzähnen versehener männlicher Elefant. Aber A8tagalla ist nur das letzte Glied in einer ganzen Kette ähnlich gestalteter Felsenhügel, welche hier plötzlich enden und wegen der phantastischen Formen, die durch den Einfluß der Atmosphäre ihren gigantischen Umrissen gegeben worden sind, die Namen des ›Schildkröten-‹, des ›Schlangen-‹, des ›Tiger-‹, des ›Fisch-‹ und des ›Adlerfelsen‹ erhalten haben. Der Eindruck dieser staunenerregenden Felsenmassen äußert sich so mächtig auf die Singhalesen, daß z. B. in alten Urkunden Ländereien verliehen werden, ›so lange Sonne und Mond scheinen und so lange Aëtagalla und Andagalla dauern werden‹, was soviel heißt, wie auf ewige Zeiten.

Kornegalle ist ein Versammlungsort der Buddhisten, von den entferntesten Teilen der Insel kommen sie dahin, um einen alten, auf dem Gipfel des Felsens stehenden Tempel zu besuchen, zu welchem man vom Thale aus mittels steiler Pfade und in Stein gehauener Stufen gelangt. Hier ist Hauptgegenstand der Verehrung der in dem Granit ausgehöhlte Abdruck eines Fußes, ähnlich dem heiligen Fußstapfen auf dem Adamspik, dessen steiler Gipfel den Pilgern auf Aëtagalla in einer Entfernung von etwa vierzig Meilen deutlich sichtbar ist.

Zu gewissen Zeiten ist die Hitze in Kornegalle höchst intensiv infolge der Glut, welche diese Granitfelsen fortwährend wiederstrahlen. Die Wärme wird deshalb gegen Abend hin fast unerträglich, und die schwüle Nacht ist zu kurz, als daß bis Sonnenaufgang eine Kühlung eintreten könnte.

Aus ähnlichen Gründen kommt es vor, daß Flüsse versiechen und Teiche austrocknen: dann steigen die Leiden der wilden Tiere in einem solchen Grade, daß zahlreiche Krokodile und Bären in der Stadt erscheinen, um aus den dortigen Brunnen zu trinken. Der Boden des Distriktes ist außerordentlich fruchtbar; Reis, Baumwolle und trockene Früchte werden in Menge gebaut. Jede Hütte ist von einem Garten umgeben, welcher mit Kokos- und Arekapalmen, mit Dschackbäumen und Kaffeesträuchern bestanden ist. Die Hügel sind, soweit der Pflug geht, mit üppiger Vegetation bedeckt, und nach allen Seiten hin dehnen sich, soweit das Auge reicht, von Strömen durchschnittene Wälder aus, in deren Schatten Elefanten und anderes Wild in Ueberfluß sich aufhalten.

Es ist hinlänglich bekannt, daß der Elefant zu allerlei Arbeiten verwendet wird, bei denen physische Kraft mit Ueberlegung gepaart sein muß. Tritt einmal Mangel an gezähmten Tieren ein, so wird eine Jagd veranstaltet, zu welcher nicht nur die Beteiligten sich einstellen, sondern auch die Bevölkerung aus einer meilenweiten Entfernung herbeiströmt, um an dem aufregenden Vergnügen teilzunehmen, welches mit einer solchen Jagd verbunden ist. Eben jetzt war der Bedarf an Elefanten ein dringender geworden, und der Vorsteher des Civil-Ingenieur-Departements hatte sich von dem Gouverneur die Erlaubnis zu einer Elefantenhetze erbeten. Derselbe hatte natürlich seine Genehmigung erteilt und zugleich diese Gelegenheit ergriffen, Sir John Raffley seine Aufmerksamkeit durch eine Einladung zu beweisen.

Es war alles zu unserm Empfange bereit, und am Tage nach unserer Ankunft in Kornegalle begaben wir uns nach dem etwa zwanzig Meilen von der Stadt entfernten Orte, wo der Corral aufgerichtet worden war. Der Boden, über welchen wir dem Schauplatze des bevorstehenden Fanges zuritten, zeigte Spuren der tiefsten Trockenheit; die Felder lagen wegen Mangels an Wasser größtenteils unbebaut, und die fast ausgetrockneten Teiche waren mit den Blättern der rosenfarbenen Lotosblume bedeckt.

Unsere Gesellschaft sah so orientalisch aus wie die Gegend, durch welche wir vorrückten. Der Gouverneur bildete mit seinem Stabe und Haushalte einen langen Zug, dem die eingeborene Dienerschaft, die Pferdeknechte und Schnellläufer als Eskorte dienten. Die Damen wurden in Palankins und die jugendlichen Mitglieder der Gesellschaft mittels Stangen auf Stühlen getragen, über welche man ein grünes, kühlendes Sommerzelt aus frischen Blättern der Taliputpalme gebreitet hatte.

Nachdem das bebaute Land zu Ende war, führte der Pfad über offene Blößen und trat schließlich in den Wald, in den Schatten uralter Bäume ein, welche bis zur Krone mit Kletterpflanzen umwunden und mit natürlichen Guirlanden und Convolvulus und Orchideen geschmückt waren: Das hier herrschende Schweigen wurde nur von dem leisen Summen der Insekten und hier oder da von dem gellenden Rufe eines flaumenköpfigen Papageis oder dem Flöten des goldenen Pfingstvogels unterbrochen. Wir überschritten die breiten, sandigen Betten zweier ausgetrockneter Flüsse; über sie ragten mächtige Bäume, unter denen der ansehnlichste der Kombuk (Pentaptera paniculata) war, aus dessen kalkiger Rinde die Eingeborenen eine Art Leim für ihren Betel bereiten, und von den Zweigen hingen über die wasserlosen Rinnen hin die riesigen Hülsen der kolossalen Pusnoaël-Bohne (Entada pursaetha), deren Schote bei einer Breite von sechs Zoll drei Ellen in der Länge mißt.

Nachdem wir die steilen Ufer des zweiten Stromes erstiegen hatten, befanden wir uns in Front der Gebäude, welche in unmittelbarer Nähe des Corrals für unsere Gesellschaft zeitweilig errichtet worden waren. Diese kühlen und angenehmen Wohnungen bestanden aus Zweigen mit einem Dache aus Palmblättern und duftendem Citronenlaub; außer einem Speisesaale und Reihen von Schlafzimmern, welche zeltartige Einrichtung hatten, enthielten sie Küchen, Vorratsräume und Ställe – alles dies von den Eingeborenen im Laufe weniger Tage hergestellt.

Was die Wahl des Jagdgrundes betrifft, so nimmt man stets eine Position an irgend einer der Straßen, welche die Tiere bei ihren jährlichen Wanderungen nach Wasser und Futter einzuhalten pflegen. Unumgänglich ist ferner die Nähe eines Stromes, nicht nur für den Bedarf der Elefanten während der Zeit, welche über dem Zusammentreiben nach der Umzäunung vergeht, sondern auch um ihnen die Möglichkeit zu gewähren, sich nach der Gefangennahme während des Verlaufes der Zähmung baden und abkühlen zu können.

Bei dem Baue des Corrals hütet man sich sorgfältig vor Zerstörung der Bäume und des Gebüsches innerhalb des eingeschlossenen Raumes, zumal auf der Seite, von welcher die Elefanten herbeikommen, damit die Umzäunung so viel wie möglich durch das dichte Laub maskiert wird. Die Bäume, welche man zum Bau verwendet, haben bis zwölf Zoll im Durchmesser; sie werden ungefähr drei Fuß tief in die Erde eingesenkt und haben dann über der Erde noch eine Länge von zwölf bis fünfzehn Fuß; die Räume zwischen den Pfählen sind so weit, daß ein Mensch hindurchgleiten kann. Diese senkrechten Pfähle werden durch Querbalken zusammengehalten, welche mit Rohr und biegsamen Schlingpflanzen oder, wie man sie nennt, ›Dschungel-Seilen‹ angebunden werden, und das Ganze wird mittels gabelförmiger Stützen befestigt, welche die Bindepfähle umfassen und den Zaun bei einem etwaigen Andringen der wilden Elefanten gegen das Zusammenbrechen nach außen hin schützen. An dem einen Ende des Corrals wird ein Eingang offen gelassen, welcher durch Vorschieben von Querbalken augenblicklich geschlossen werden kann, und von jeder Ecke derjenigen Seite, wo die Elefanten herkommen sollen, setzt sich eine Linie desselben starken Zaunes fort, ebenfalls durch Bäume versteckt, so daß, wenn die Herde, statt durch den Eingang einzutreten, nach rechts oder links ausbrechen will, sie sich plötzlich aufgehalten und gezwungen sieht, die Pforte doch zu passieren. Auf einer Gruppe starker und nahe an der Umzäunung stehender Bäume hatte man für die Gesellschaft eine Tribüne angebracht, von welcher aus man den ganzen Vorgang vom Eintritte der Herde an bis zur Abführung der gezähmten Elefanten beobachten konnte. So massiv der beschriebene Bau auch ist, so fehlt ihm dennoch die Festigkeit, dem mit voller Kraft unternommenen Angriff eines in Wut gebrachten Elefanten zu widerstehen, und wirklich hat man Beispiele von Unglücksfällen, welche sich bei dem Durchbrechen einer ganzen Herde ereignet haben. Indessen verläßt man sich nicht so sehr auf den Widerstand der Umzäunung als auf die Furchtsamkeit der Gefangenen, die allerdings ihre eigene Stärke nicht kennen, sowie auf die Kühnheit der Jäger und auf die List, mit welcher sie die Unterjochung der gewaltigen Tiere ausführen.

Der Verlauf einer solchen Jagd ist nun gewöhnlich folgender:

Sobald der Corral fertig ist, beginnen die Treiber die Elefanten zusammen zu treiben. Zu diesem Zwecke müssen sie oft einen Kreis von vielen Meilen Peripherielänge bilden, um eine genügende Anzahl der Tiere zu umringen. Die dabei zu beobachtenden Vorsichtsmaßregeln erfordern viel Geduld; man muß alles vermeiden, die Elefanten unruhig und mißtrauisch zu machen, weil sie sonst entwischen würden. Da das Naturell dieser Tiere im ganzen friedfertig ist und sie nur darauf bedacht sind, ungestört und in Sicherheit zu weiden, so ziehen sie sich instinktmäßig vor dem leisesten Andrängen zurück, und man benützt diese Schüchternheit, indem man nur grad so viel Geräusch verursacht, als nötig ist, sie in der gewünschten Richtung vorwärts zu treiben.

Durch dieses Verfahren werden mehrere Herden auf einem Areale konzentriert, welches noch vollständig von den Wächtern umringt werden kann, und Tag für Tag ist man nun beflissen, sie nach der Umzäunung des Corrals zu drängen. Wenn ihr Verdacht rege wird und sie Unruhe zeigen sollten, so greift man zu stärkeren Maßregeln, um ihre Flucht zu verhindern. Man errichtet in einer Entfernung von zehn zu zehn Schritten auf der ganzen Treiberlinie Feuer, welche Tag und Nacht brennen; die Zahl der Treiber wird vermehrt, so daß deren oft vier bis fünf Tausend anwesend sind, und durch die Dschungel werden sorgfältig Fußwege gehauen, um die so notwendige Kommunikation zu ermöglichen. Dabei unterhalten die Anführer eine beständige Patrouille, um sich zu überzeugen, daß jeder sich auf seinem Posten befindet und wachsam ist, da eine Nachlässigkeit auf einer einzigen Stelle das Entkommen der Herde zur Folge haben und dadurch in einem Augenblick die Arbeit von Wochen zunichte machen kann. Durch solche Aufmerksamkeit wird jeder Versuch der Elefanten, durchzubrechen, in der Regel vereitelt, und es kann auf jedem bedrohten Punkte sofort eine genügende Macht versammelt werden, um sie zurückzuwerfen. Endlich werden die Elefanten so nahe zur Einzäunung hingedrängt, daß der Kordon der Treiber sich zu beiden Seiten des Corrals an die Arme desselben anschließt und nun das Ganze einen Kreis von etwa zwei englischen Meilen bildet, innerhalb dessen die Herde eingeschlossen gehalten wird bis zum Signal für das Schlußtreiben.

Ueber diesen Vorbereitungen vergehen oft Monate, und im entscheidenden Augenblick sind dann Tausende anwesend, das seltene Schauspiel zu genießen.

Als wir auf dem Schauplatz desselben anlangten, wurde zunächst jedem sein Schlafraum angewiesen; sodann versammelte sich die Gesellschaft im Speisezimmer, und nach beendigter Tafel begab man sich zur Tribüne. Als dies geschehen war, gab der Gouverneur das Zeichen, den Schlußakt zu beginnen.

Von den Tempeln und Häuptlingen war eine Anzahl zahmer Elefanten gesandt worden, um bei dem Einfangen der wilden zu helfen. Diese unentbehrlichen Tiere standen dicht unter uns und fächelten sich behaglich mit Blättern. Es waren vier verschiedene Herden, deren Gesamtzahl bis auf siebzig Stück angegeben wurde, eingeschlossen und in diesem Augenblick nicht weit von uns im Dschungel verborgen. Es durfte sich kein Laut hören lassen; jeder durfte sich mit dem Nachbar nur flüsternd unterhalten, und auch von der ungeheuren Menge der Wächter wurde ein solches Schweigen beobachtet, daß man gelegentlich das Knistern der Zweige vernahm, wenn einer der Elefanten ein Blatt abknickte.

Als der durchdringende Pfiff des Gouverneurs ertönte, änderte sich die Scene wie mit einem Schlage; ein tausendstimmiges Geschrei erscholl, Schüsse krachten, Trommeln wirbelten und die gellenden Schläge der Tam-Tams ließen sich vernehmen. Man begann mit diesem Spektakel auf der entlegensten Seite des Terrains, so daß die Elefanten im eiligen Laufe nach dem Eingange des Corrals zu getrieben wurden. Die Wächter längs der Seitenlinie verhielten sich ruhig, bis die Tiere an ihnen vorüber waren; dann fielen sie in ihrem Rücken auch in das Rufen ein und trieben sie mit verdoppeltem Geschrei und Lärmen vorwärts. Der Tumult wuchs, je näher die erschreckte Rotte kam, und wuchs bald auf dieser, bald auf jener Seite, je nachdem die Herde in panischer Verwirrung von einem Punkte zum andern eilte, um die Linie zu durchbrechen, was indessen nicht gelang.

Da endlich knisterten die Zweige und krachte das Buschwerk in unserer unmittelbaren Nähe. Der vorderste der Elefanten brach aus dem Gehölz hervor und stürzte wild heran, gefolgt von der ganzen Herde. Er bemerkte den Eingang, doch schien er Verdacht zu schöpfen. Er drehte sich wieder um und stürzte an der Spitze der Truppe in den Wald zurück. Der Lärm erhob sich von neuem und wieder brachen die aufgescheuchten Elefanten hervor, doch hüteten sie sich wohl, in den Corral zu dringen; sie suchten ihr Versteck immer von neuem auf.

Dies veranlaßte den eingeborenen Beamten, welcher die Treiberlinie befehligte, heranzukommen, um sich bei dem Gouverneur zu entschuldigen. Der Leitelefant war jedenfalls schon einmal in einer ähnlichen Lage gewesen und hatte sich durch das Ausbrechen gerettet. Da die Herde sich auf das höchste gereizt zeigte und der Fang bei Tag viel schwerer zu bewerkstelligen ist als bei Nacht, wo Feuer und Fackeln doppelte Wirkung thun, so war es der Wunsch der Jäger, ihre letzte Anstrengung bis auf den Abend zu verschieben, wo die Dunkelheit ihnen wesentlich zu Hilfe kommen mußte. Der Gouverneur billigte diesen Wunsch und gab den Befehl, für die nötigen Fackeln Sorge zu tragen.

»Charley,« sagte Raffley, als die Sache diesen Lauf nahm.

»Sir John?«

»Wir haben bis zum Abend eine Menge Zeit.«

»Das ist sehr richtig. Wie bringen wir sie hin?«

»Ich meine, wir nehmen unsere Gewehre und gehen ein wenig in den Wald.«

»Ganz meine Ansicht!«

»Kaladi!«

»Sihdi!«

»Du gehst mit. Du bist ein guter Schütze und kannst meine Büchse nehmen. Wo ist Molama?«

»In der Küche.«

»Sie soll heraufkommen und unsere Zimmer bewachen. Ich lasse meine Chair-and-umbrella-pipe zurück, auf welche sie ganz besonders Obacht geben soll.«

Kaladi richtete diese Botschaft aus, dann verabschiedeten wir uns von dem Gouverneur und schritten dem Urwalde zu, gefolgt von dem treuen Singhalesen, welcher die Rifle mit einer Miene trug, in welcher sich höchst deutlich das Verlangen aussprach, einen Meisterschuß thun zu können.

Das meiste Wild war natürlich am Wasser zu finden; daher folgten wir abwärts dem Laufe des beinahe ausgetrockneten Flußbettes, bis dieses in den Kimbu-Oya mündete. Dieser hielt Wasser genug, und infolgedessen herrschte an seinen Ufern ein reicheres Tierleben als an den von uns bisher berührten Stellen.

Wir hätten von Minute zu Minute schießen können, doch zogen wir vor, zu warten, bis uns ein Wild begegne, welches eine gute Kugel wirklich verdiente. So waren wir wohl bereits zwei Stunden in das immer tiefer werdende Dunkel des Waldes vorgedrungen, als wir plötzlich seitwärts den hellen Trompetenton einer Elefantenstimme vernahmen.

»Charley, ein Tusker, vielleicht gar ein Einsiedler!« meinte Raffley.

Einsiedler werden diejenigen Exemplare genannt, welche wegen Bösartigkeit ihres Charakters von den andern Tieren gemieden werden und darum zu einem einsamen Leben verurteilt sind.

»Nehmen wir ihn?«

»Natürlich! Go on!«

Wir drangen leise zwischen den Bäumen der Gegend zu, aus welcher die Stimme auch noch jetzt ohne Aufhören erschallte. Das Tier mußte sich in einer ganz außerordentlichen Aufregung befinden, daß es solche anhaltende Töne vernehmen ließ. Endlich langten wir in seiner Nähe an und erblickten nun auch die Ursache dieser Aufregung. Auf einem waagerecht aus dem Stamme einer Baniane hervorstrebenden Aste saß ein Leopard, niedergeduckt und eng an den Ast geschmiegt, und unter ihm stand ein alter, männlicher Elefant, welcher unter fortwährenden Trompetentönen bemüht war, das Raubtier mit seinem Rüssel zu erreichen.

»Charley, nehmt Ihr die Katze und ich nehme den Elefanten!« meinte Raffley leise. Ihn bewegten jedenfalls die prächtigen Hauer, welche der Tusker zeigte, zu diesem Entschlusse.

Ich legte an; der Schuß krachte. Der Leopard zuckte zusammen, schlug die Tatzen fester um den Ast, so daß man deutlich hörte, wie sich die Krallen in die Rinde gruben; dann ließ er wieder los, zuckte einigemal konvulsivisch zusammen und stürzte zur Erde.

Zu gleicher Zeit hatte auch der Schuß des Engländers gekracht. Der Elefant wandte sich überrascht gegen uns; die Kugel war ihm unterhalb des Ohres in den Kopf gedrungen.

»So schießt man keinen Elefanten, Sir John,« meinte ich. »Zurück, sonst sind wir verloren!«

Raffley hatte nur eine einläufige Büchse; der zweite Lauf der meinen war mit Schrot geladen, und auf Kaladi konnte ich mich nicht verlassen. Ich sprang also, als ich den Tusker mit hoch erhobenem Rüssel auf uns zukommen sah, in das Gebüsch zurück. Sir John that das Gleiche; dennoch aber wäre wenigstens einer von uns beiden verloren gewesen, wenn der treue Singhalese weniger Mut besessen hätte. Er war ruhig stehen geblieben und drückte, als der Elefant beinahe zum Erfassen nahe war, ab. Die Kugel traf allerdings ganz genau die Gegend des Herzens, drang aber natürlich nicht tief genug ein.

jetzt kannte die Wut des zweimal verwundeten Tieres keine Grenzen. Es stürzte sich auf Kaladi, um ihn zu zertreten und dann mittels der Hauer in die Luft zu schleudern; doch der gewandte Singhalese warf seine Rifle weg, zog das Messer, entschlüpfte dem nach ihm fassenden Rüssel, schnellte sich an den Hinterbeinen des Tieres vorüber und zog dabei seine scharfe Klinge so tief durch das eine derselben, daß er die Flechse durchschnitt.

»Ha-ia!« klang sein triumphierender Ruf.

ich hatte hinter einem Baume Schutz gesucht und wieder geladen. Als ich den Ruf vernahm, trat ich vor und sah das Tier sich unter schmerzlichem Stöhnen auf drei Beinen bewegen, um den Singhalesen doch zu erfassen. Ich legte an und zielte auf die Stelle, an welcher der Rüssel aus dem Kopfe tritt. Eine leise Berührung des Drückers – das gewaltige Tier blieb, wie vom Schlage gerührt, halten, stand einige Sekunden vollständig bewegungslos, begann dann zu zittern, zu wanken und stürzte mit einem weithin vernehmbaren Aechzen zusammen.

»O strange, war das ein Schuß!« rief Raffley. »Man merkt es, daß Ihr dergleichen Wild schon geschossen habt. Well, ich wollte mir das Elfenbein verdienen; nun aber gehört es Euch, und die Katze dazu!«

»Was thue ich mit den Zähnen? Nehmt sie in Gottes Namen!«

»Fällt mir nicht ein! Die Beute, welche ich von der Jagd heimbringe, muß von meiner eigenen Kugel getroffen sein. Zieht der Katze die Haut ab; den Elefanten bedecken wir mit Zweigen und senden morgen unsere Leute her. Vorwärts; ich muß unbedingt auch noch einen Schuß haben!«

Es geschah, wie er vorgeschlagen hatte, dann nahmen wir, obgleich es nicht mehr zeitig am Tage war, unsern Pirschgang wieder auf.

Wir mochten so ziemlich eine Viertelstunde dem Wasser entlang gegangen sein, als ich, da ich voranschritt, die Spuren mehrerer Füße bemerkte, welche vom Ufer her in den Wald gingen.

»Stopp! Hier sind Leute gegangen.«

»Hier?« fragte Raffley.

»Ja. Bleibt stehen, damit Ihr mir die Fährte nicht zerstört!«

»Zählt einmal, wie viele es ihrer sind!«

»Zwei – drei – fünf – sechs – –«

»Zounds! Sechs schon? Was thun sechs Leute hier an diesem Ort? Das kommt mir verdächtig vor!«

»Sieben« fuhr ich fort; »neun – zehn – zwölf – dreizehn sind es gewesen.«

»Dreizehn, also eine ganze Compagnie! Was meint Ihr dazu, Charley?«

Der Klemmer war ihm vor Erstaunen nach der Nasenspitze gerutscht; der Mund stand ihm erwartungsvoll offen, und die Augen blickten mich durch die Gläser an, als ob von mir die Enthüllung eines höchst wichtigen Staatsgeheimnisses zu erwarten sei.

»Sagt zuvor Eure Meinung, Sir John!«

»Pshaw! Ich mag Euch zur See ein wenig überlegen sein, Charley, aber zu Land seid Ihr doch der Meister. Wer sich in so vielen Winkeln der Erde herumgetrieben hat, wie Ihr, der weiß sehr genau, wie wichtig eine solche Spur ist, und hat auch gelernt, sie zu lesen und zu beurteilen.«

Ich bog mich nieder, um die Eindrücke genau zu untersuchen.

»Es sind lauter Männer. Ein Chinese und zwölf Singhalesen oder vielleicht gar Malayen.«

»Bless me! Woraus seht Ihr das?«

»Zwölf sind barfuß, und der Umstand, daß die große Zehe weit absteht, läßt mich auf Malayen schließen. Der dreizehnte trägt, wie ich aus dem Eindrucke sehe, lederne Haprong, eine Fußbekleidung, für welche sich eben nur ein Chinese entschließen kann.«

»Wo kommen sie her, und was wollen sie hier?«

»Was sie wollen, könnten wir erfahren, wenn wir ihnen folgten. Woher sie kommen, werden wir wohl sehen.«

Ich stieg, den Spuren entgegen, das etwas steile und tiefe Ufer hinab. Die Fährte kam längs des Wassers herauf; wir verfolgten sie, ich unten am Flusse und die beiden andern oben auf der Höhe des Ufers. So mochten wir wohl zehn Minuten fortgeschritten sein, als ich auf ein Boot stieß, welches aus dem Wasser gezogen und mit Zweigen sorgfältig verdeckt worden war.

»Halt! Hier sind sie gelandet. Jedenfalls kamen sie stromauf. Sie haben das Boot versteckt und – wahrhaftig, hier ist noch ein zweites!«

»Versteckt? Zwei Boote? Und keine Wache dabei? Das ist verdächtig,« meinte der Engländer. »Wer auf ehrlichen Wegen geht, braucht seine Fahrzeuge nicht zu verbergen, sondern läßt eine Wache dabei. Ich komme hinunter, Charley!«

›Ja, kommt! Auch mir verursacht die Sache Bedenken, allerdings weniger weil die Boote versteckt sind, sondern weil die dreizehn Männer nicht direkt das Ufer erstiegen haben, sondern erst eine so bedeutende Strecke am Wasser hinaufgegangen sind. Das geschah jedenfalls in der Absicht, ihre Spuren zu verbergen. Wer weiß, welch einem schlechten Werke diese Boote dienen sollen.«

»Untersuchen wir sie!«

Die Boote waren, außer den in ihnen befindlichen Rudern, leer, und nicht das geringste Zeichen war zu entdecken, das uns Gelegenheit und Veranlassung zu irgend einem Schlusse gegeben hätte.

»Was thun wir, Charley?«

»Hm! Die Fahrzeuge gehören nicht uns!«

»Aber wenn sie einem bösen Zwecke dienen?«

»Haben wir darüber Gewißheit?«

»Allerdings nicht, aber ich habe ganz gewaltige Lust, diese Dinger leck zu machen, denn ich sage mir, daß diese dreizehn Halunken irgend eine Niederträchtigkeit vorhaben.«

»Was würdet Ihr sagen, wenn die Boote uns gehörten und wir fänden sie bei unserer Rückkunft zerstört?«

»Ich würde mich allerdings ärgern und jagte dem Kerl, der es gethan hätte, sobald ich ihn erwischte, ganz einfach eine Kugel in den Kopf.«

»Seht Ihr's? Also!«

»Well, so lassen wir die Kähne, wie sie sind! Aber das Ding hat uns Zeit gekostet, und es dunkelt bereits. Machen wir uns auf den Rückweg, damit der Gouverneur nicht auf uns zu warten braucht!«

Wir kehrten um. Der Abend brach herein, und es war nicht ganz leicht, uns zurecht zu finden; dennoch langten wir nach einigen Stunden wohlbehalten bei dem Corral an, wo man an uns bereits mit Besorgnis gedacht hatte.

Natürlich zogen wir uns zunächst in unsere Räume zurück, um unsere äußere Erscheinung ein wenig zu restaurieren. Ich hatte kaum damit begonnen, so hörte ich den Ruf des Engländers, dessen Zimmer neben dem meinigen lag:

»Kaladi!«

Der Gerufene trat ein.

»Sihdi?«

»Wo ist Molama?«

»Ich weiß es nicht; ich habe sie noch nicht gesehen, seit wir zurückkehrten.«

»Und wo ist meine Chair-and-umbrella-pipe

»Was?«,

»Meine Chair-and-umbrella-pipe. Sie ist weg; ich sehe sie nicht und habe sie ihr doch noch extra auf die Seele gebunden!«

»Ich werde suchen nach Molama und die Pipe bringen, Sihdi!«

Nach einigen Minuten trat ich bei Raffley ein.

»Gehen wir?«

»Nein. Meine Umbrella-pipe ist fort. Ich muß wissen, wo sie sich befindet!«

»Aber der Gouverneur ließ uns sagen, daß wir schleunigst eintreffen sollten, da er die Treiber nicht länger zu halten vermöge!«

»Ist mir egal! Ich will meine Umbrella-pipe haben. Was sind alle Treiber und Elefanten gegen meinen Patent-Regenschirm! Kaladi, Kaladi, beim Henker, wo steckt doch nur dieser Mensch?«

Der Ruf mußte doch gehört worden sein, denn der Singhalese trat ein, erhitzt und den rinnenden Schweiß im Gesichte.

»Sihdi, du riefst schon wieder?«

»Wo hast du sie?«

»Molama?«

»Molama? Was geht mich Molama an? Wer ist Molama, und was habe ich mit dieser leichtfertigen Molama zu schaffen? Ich meine natürlich meine Chair-and-umbrella-pipe

»Die hat Molama.«

»So? Wo denn?«

»Das weiß ich nicht, Sihdi.«

»Du weißt es nicht? Kerl, wenn meine Umbrella-pipe weg ist, so sollst du sehen, was mit dir passiert! Wo ist das Mädchen hin mit ihr?«

»Ich weiß es nicht, aber ich werde es noch erfahren. Ich fragte und hörte, daß eine Schar von Jungfrauen gekommen ist, um Molama ein wenig mit in den Wald zu nehmen. Sie ist mitgegangen und hat den Schirm mitgenommen, weil ihr derselbe von Euch anvertraut worden war.«

Das Gespräch wurde von einem zweiten Boten des Gouverneurs unterbrochen, welcher uns bitten ließ, schleunigst nach der Tribüne zu kommen. Raffley sagte zu und wandte sich dann wieder zu Kaladi:

»Nicht aus Respekt gegen meinen Befehl hat sie ihn mitgenommen, sondern aus Eitelkeit; sie hat sich mit ihm zeigen wollen. Geh, schaffe mir meine Umbrella-pipe, sonst passiert etwas, was dir und dieser Molama höchst unangenehm ist!«

Der Singhalese entfernte sich schleunigst. Er mochte schon genug Sorge um das Schicksal seiner Erkornen haben, welche sich so leichtsinnigerweise mit ihren Genossinnen in den gefährlichen Urwald gewagt hatte; die Drohung des Engländers mußte seine Angst verdoppeln.

Wir suchten die Gesellschaft auf und erreichten die Tribüne gerade noch zur rechten Zeit, um den Verlauf des Fanges von Anfang an zu verfolgen.

Die Scene war außerordentlich interessant. Die niedrigen Feuer, von welchen man beim Sonnenlichte nur den Qualm gesehen hatte, traten jetzt mit rötlicher Glut aus der Dunkelheit hervor und verbreiteten ihren Schein über die um sie versammelten Gruppen, während der Rauch durch das reiche Laub der Bäume emporwirbelte. Die Menge der Zuschauer beobachtete das tiefste Stillschweigen, und außer etwa dem Summen eines Insektes war nicht der leiseste Laut zu vernehmen.

Da auf einmal wurde die Stille unterbrochen durch fernen Trommelschlag und eine Flintensalve, welche demselben folgte. Dies war das Signal für die Erneuerung des Angriffes. Die Jäger traten mit Schreien und Rufen in den Kreis ein; trockene Blätter und Reisig wurden auf die Wachtfeuer geworfen, bis sie hoch emporflackerten und auf drei Seiten eine flammende Linie bildeten, während der Eingang zum Corral vollständig im Dunkel gehalten wurde. Dahin wandten sich die erschreckten Elefanten, verfolgt von dem gellenden Rufen und dem Getöse der Jäger. Das Gebüsch niederstampfend, Zweige und Aeste zerknickend, nahten sie sich. Der Leiter der Herde tauchte Angesichts des Corrals auf, stutzte einen Augenblick, stierte wild umher und stürzte sich dann durch das offene Thor, die ganze Herde ihm nach.

Plötzlich flammte wie auf einen Zauberschlag der ganze Umfang des Corrals, welcher bis dahin in tiefster Finsternis gehalten worden war, mit Tausenden von Lichtern auf, indem jeder Jäger in dem Momente, in welchem der letzte Elefant eingetreten war, mit einer am nächsten Wachtfeuer angezündeten Fackel nach der Umzäunung eilte. Die gefangenen Tiere rannten zunächst nach dem äußersten Ende des Verhaues; durch den Zaun aufgehalten, kehrten sie wieder um, fanden jedoch den Eingang jetzt verschlossen. Ihr Schrecken war mächtig. In reißender Schnelligkeit durchrannten sie den Corral, fanden ihn aber jetzt von allen Seiten von Feuer umgeben; sie versuchten, den Zaun zu forcieren, wurden jedoch durch die Spieße und Fackeln der Wachen wieder zurückgetrieben, und wenn sie diese nicht achteten, so krachten ihnen Musketensalven entgegen, denen sie nicht standzuhalten vermochten.

Sie traten jetzt in eine Gruppe zusammen, wie um Rat zu halten, dann brachen sie plötzlich alle nach einer Richtung auf. Es sah aus, als müsse alles unter ihrem Tritte zerbersten und zermalmen; aber die Feuer loderten höher, geschlossene Salven krachten und blitzten ihnen entgegen – sie kehrten enttäuscht und langsam nach ihrem vorigen Ruheplatze in der Mitte des Corrals zurück.

Der Eindruck, welchen diese Scene hervorbrachte, beschränkte sich nicht auf die menschlichen Zuschauer, er erstreckte sich auch auf die zahmen Elefanten, welche außen aufgestellt waren. Bei der ersten Annäherung der fliehenden Herde gaben sie die regste Teilnahme kund. Namentlich zwei, welche in der Nähe der Front standen, zeigten sich gewaltig aufgeregt, stießen die Köpfe gegeneinander, scharrten den Boden und fuhren auf, als der Lärm näher kam. Schließlich, als die Herde in den Corral stürzte, riß der eine sich wirklich von den Zügeln los, rannte der Herde zu und entwurzelte dabei einen ansehnlichen Baum, welcher im Wege stand.

So fuhren die gefangenen Tiere über eine Stunde lang fort, den Corral zu durchkreuzen und die Palissaden immer von neuem mit ungebeugter Energie anzugreifen, nach jedem verfehlten Versuche vor Wut trompetend und schreiend. Wieder und wieder suchten sie das Thor' zu forcieren, als wüßten sie genau, daß es ihnen ebenso einen Ausweg gewähren müsse, wie es ihnen vorher als Eingang gedient hatte; immer aber wurde ihr Angriff zurückgeschlagen. Nach und nach wurden ihre Befreiungsversuche seltener. Nur einzelne noch liefen hierhin und dorthin, kehrten aber immer wieder zurück, und zuletzt versammelte sich die ganze Herde zu einer Gruppe und stand, einen mitleidigen Kreis um die jungen bildend, bewegungslos im dunklen Schatten der Bäume im Centrum des Corrals.

Jetzt traf man auch die Vorbereitung für die Bewachung während der Nacht. Die an der Umzäunung stehenden Mannschaften wurden verstärkt, und man häufte Holz auf die Feuer, um eine hohe Flamme bis zum Sonnenaufgang zu erzielen. Da bis zum Morgen ein weiteres nicht vorgenommen werden konnte, so kehrten wir nach unsern Zimmern zurück.

Die erste Frage des Engländers beim Eintritt in das Gebäude war nach Kaladi. Niemand hatte den Singhalesen gesehen, und die Laune Raffleys war infolgedessen eine geradezu unbeschreibliche.

»Charley!«

»Sir!«

»Wollen wir wetten?«

»Worüber?«

»Daß die dreizehn Halunken bei der Geschichte mit meiner Chair-and-umbrella-pipe beteiligt sind.«

»Das könnte ich nicht begreifen. Wie sollte das möglich sein?«

»Wollen wir wetten?«

»Ihr wißt ja, daß ich nie wette!«

»Allerdings. Ihr seid ein ganz wackerer Kumpan und überhaupt ein recht brauchbarer Kerl, aber als Gentleman könnte ich Euch keinem echten Englishman vorstellen. Ihr werdet es noch bitter bereuen, daß Ihr jede Wette verschmäht. Inwiefern die zwei versteckten Boote mit meiner Umbrella-pipe in Verbindung stehen, kann ich allerdings nicht sagen, aber eine Ahnung sagt mir, daß es so ist, und was ich ahne, das pflegt stets einzutreffen.«

»Ihr rechnet hier mit höchst zweifelhaften Größen, Sir, und ich denke, daß ich – ah, da kommt Kaladi!«

Wirklich trat der Genannte ein. Die Haare hingen ihm wirr um den Kopf, die Kleider waren ihm zerfetzt, und der Schweiß rann ihm aus allen Poren.

»Sihdi!« rief er, indem er mit dem Ausdrucke der größten Angst auf Raffley zutrat und sich vor demselben auf das Knie niederließ.

»Was ist's?«

»Ihr seid ein Maharadscha, dem niemand widerstehen kann; Ihr allein könnt mir helfen!«

»Welche Hilfe verlangst du?«

»Molama ist geraubt, Molama, das Licht meiner Augen, der Trost meiner Seele und der Stern meines Lebens.«

»Molama geraubt? Tod und Verderben über die Schurken! Und meine Umbrella-pipe, wo ist die?«

»Auch fort.«

»Wohin?«

»Ich weiß es nicht!«

»Was? Du weißt es nicht? Wer sagt denn, daß sie geraubt ist?«

»Die Jungfrauen, welche entflohen sind.«

»Die Jungfrauen – ah, es ist doch wahr: wo irgend eine Teufelei los ist, da sind stets die Frauenzimmer im Spiele!« Der Klemmer war ihm entfallen, er sah aus als hätte er sein ganzes Vermögen und sein halbes Leben samt Raffley-Castle verloren. »Wem sind sie denn entflohen?«

»Den Räubern.«

»Nun ja, das versteht sich ja von selbst; aber wer waren diese Räuber?«

»Ein Chinese und zwölf Malayen.«

»Alle Wetter! Charley!«

»Sir John!«

»Seht Ihr's, daß ich meine Wette gewonnen hätte?«

»Allerdings, wie es scheint.«

»Es scheint nicht so, sondern es ist wirklich so, und nun geht mir eine ganz eigentümliche Ahnung auf. Erzähle ausführlich, Kaladi!«

»Ich lief,« berichtete dieser, »um den Corral und fragte nach Molama, bis ich hörte, daß sie mit vielen Mädchen in den Wald gegangen sei, um Blumen zu suchen. Weiter konnte ich nichts erfahren, bis ich vorhin an eine Stelle kam, wo viele Männer und Frauen klagend beieinander standen. Sie hielten zwei Jungfrauen umringt, welche erzählten, daß sie im Walde überfallen worden seien. Ihnen war es gelungen, zu entfliehen, die andern sind von den Räubern fortgeschleppt worden. Molama war bei ihnen und hatte auch den Schirm bei sich. Sihdi, bringt sie mir wieder, und ich will Euch danken, so lang als ich lebe!«

»Charley,« meinte der Engländer, ohne auf die letzte Bitte des Singhalesen zu antworten.

»Sir John.«

»Ihr habt gehört, was mir der Steuermann erzählte?«

»Allerdings,«

»Wißt Ihr, wer die Räuber sind?«

»Die Piraten, welche für sich Weiber suchen und auf einer einsamen Insel hausen.«

»So denke ich. Kann ich ihnen meine Umbrella-pipe lassen?«

»Ganz, wie ihr wollt!«

»Fällt mir nicht ein! Es war von Anfang bestimmt, daß wir den Kiumbu-Oya hinabfahren wollten, und darum ist ein tragbares Boot zur Stelle. Kaladi, du sollst deine Molama wiedersehen!«

»Sihdi, Ihr seid – –«

»Schon gut! Charley, verabschiedet Euch vom Gouverneur; in einer Stunde geht es fort! Mögen sie mit ihren Elefanten machen, was sie wollen, mir ist es gleich; aber meine Chair-and-umbrella-pipe muß ich wieder haben, und wenn ich den Halunken nachsegeln sollte – dreimal rund um die Erde herum!« – –


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