Kurt Martens
Drei Novellen von Adeliger Lust
Kurt Martens

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Die Panacee des Lebens

Nicht in seine Gemahlin, die schöne und lebenslustige Herzogin Anna, schien Johann Casimir verliebt, sondern in das Unglück seines Hauses, dessen letzter Sproß er war und bleiben wollte.

Als am Morgen nach dem karg gefeierten Beilager in der Residenz Koburg die Kammerpagen, wie herkömmlich, hinter den Türen lauschten, vernahmen sie keine zärtlich geflüsterten Worte, kein dröhnendes Lachen vom Eheherrn, noch das girrende Gekicher ihrer angebeteten Dame, das sie vom kurfürstlichen Hofe her kannten; in dem weitläufig gewölbten Frauengemach hallten nur schwerfällige Schritte wider, das Klirren von Sporen und Wehrgehänge, und endlich, dies überlange Schweigen brechend und beschließend, ein strenger Abschiedsgruß Seiner Fürstlichen Gnaden:

»So bin ich denn gewärtig, liebe Gemahlin, daß Ihr mir allezeit eine getreue Wirtin und Hausfrau sein werdet, ohn alles lockere, spielerische Wesen, wie 4 auch ich Euch in Ehren zu halten und alles etwan kommende Leid mit Euch zu tragen gedenke als Euer Herr und Gotteingesetzter Ehegemahl.«

Die junge Herzogin hörte man darauf nichts von sich verlauten, Seine Fürstliche Gnaden aber verließ alsbald das Frauengemach – um es nie wieder zu betreten –, nahm schweigend und noch düsterer denn sonst die höfische Verneigung der Pagen entgegen und stieg hinab in den Audienzsaal, gefolgt von seinen Räten.

Und nun wurden die Geschäfte des Landes in Besonnenheit weiter geführt von dem Punkte ab, wo man sie vor zwei Wochen hatte liegen lassen müssen, als ob die Hochzeitszeremonien mit der Einholung der fürstlichen Braut in Dresden, die Bankette, Ringelrennen und Schauspiele daselbst, dann die Rückreise nach Koburg nur eine unliebsame, wenn auch notwendige Unterbrechung gewesen wären; es sei denn, daß man richtiger diese Ehe selbst als ein politisches Geschäft betrachtete, als die kluge Aussöhnung mit dem kursächsischen Erbfeind.

Wenn Herzog Johann Casimir noch irgend etwas von seinem Leben erhoffte, so war es dies: Ruhe, Ordnung und Gerechtigkeit sich und seinem Lande zu erhalten, mit allen Herrschertugenden sich abzuschließen vor jener Welt der Gemeinheit, des Übermutes, der Zügellosigkeit da draußen, die sein Geschlecht ehedem 5 verführt, sein Land vergewaltigt, seine Güter zerrüttet, seine eigene Jugend vergiftet hatte.

In Furcht und Zittern, in hoffnungsloser Unterwerfung starrten die Gedanken und grausigen Ahnungen des Herzogs Johann Casimir unverwandt auf den allmächtigen Gott, dessen unerforschlicher Ratschluß ihn in dieses Tal der Tränen hinabgestoßen hatte, als letztes zuckendes Glied eines zu Tode gefolterten Körpers. Denn der von Gottes Zorn gehetzte Fürstenstamm war von jeher verflucht, auf Torheit Frevel zu häufen und Frevel auf Torheit in ewiger Kette, und sogleich für jeden Fehler zehnfach zu büßen – ein schreckhaftes Exempel für alle Narren und armen Sünder.

Johann Casimirs Ahnherrn, den das Volk den ›Großmütigen‹ nannte, hatte der Allmächtige verurteilt, ein Werkzeug in der Hand evangelischer Pfaffen zu sein, geächtet wider den Kaiser zu streiten, darauf seiner Lande und seiner Kurwürde rechtens verlustig zu gehen, in schimpflicher Gefangenschaft zu leben und an gebrochenem Herzen kläglich zu versterben. Johann Casimirs Vater aber, von neuem sich aufbäumend gegen Gottes Zorn und die Gewalt des Kaisers, hatte vermessen sich selber Recht gesprochen, mit aufrührerischen Rittern sich verbündet, der Reichsexekution getrotzt und war heimgesucht worden mit demselben Elend. Lebenslänglich hielt ihn der Kaiser in 6 Wien gefangen; so hatte Johann Casimir ihn nie gesehen, noch auch die eigene Mutter recht gekannt.

Vereinsamt, mit verödetem Gemüte wuchs er auf unter dem Zungengedresch der Theologen und dem plumpen Geprahle der Kriegsleute, die in der Ritterstube seiner Fürstenburg mit Würfelspiel und Zoten sich die faule Friedenszeit vertrieben. Ihr rohes, trunkenes Gebaren war ihm verhaßt geworden; seit er vor sieben Jahren die Regierung angetreten, hatten sie Zucht und Schweigen lernen und, nicht anders als der gemeine Pöbel, unter die kirchliche Zuchtrute der Prediger sich beugen müssen.

In höchsteigener Person wies der Herzog die Superintendenten und Oberpfarrer an, wie sie vor Adel und Volk zu predigen hätten, wobei er selbst freilich seine Verachtung ihnen nicht verhehlte:

»Ihr soll Diener am Wort sein, ich habe nichts dawider! Allem zuvor sollt ihr aber nicht vergessen, daß ihr meine Diener seid, Büttel der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat! Jedermann in meinem Lande, zumal allem hoffärtigen und geilen Gesindel soll eingeprägt werden, daß sie alle doch nichts weiter als armselige Christenmenschen sind, denen Gott vorgesetzt hat, zu leiden und immer nur zu leiden, daß sie hienieden nach nichts gelüsten soll an irdischem Tand, an sündigen Vergnügungen oder eitlen Ehren, nach keinem Heller von dem Schatz, den Motten fressen, 7 sondern sich genügen lassen an dem Schatz im Himmel! Daß ein rechtes Christenmensch nimmermehr Widerstand versuchen darf, sondern sich jederzeit geduldig schinden und drücken lassen muß. Weltliche Dinge gehen das Christenmensch nicht an; es soll vielmehr in Frieden rauben, morden, pressen und toben lassen, wer da will; denn es ist ein Märtyrer auf Erden. – Solches euch zur Richtschnur, ihr frommen Herren Diener am Wort!«

Also erklang denn im ganzen Lande und am Hofe voran dieselbe düstere, eintönige Weise, die Johann Casimir in seiner Seele tagaus, tagein mit schmerzlicher Wollust belauschte und die in Wahrheit ihm die Weise der gesamten Welt zu sein dünkte.

Von Jahr zu Jahr war es ernster und stiller geworden an seinem Hofe. Die Räte, die Gelehrten und die Geistlichkeit, aber auch ein Teil der Edelleute, greise Ritter, deren faltig verkniffene Gesichter noch die Narben vom Schmalkaldischen Feldzuge und von den Grumbachschen Händeln trugen, waren wohl zufrieden mit diesem geruhsamen Dasein. Andere jedoch, an der Spitze die à la modischen Kavaliere, die Hofjunker und Pagen sehnten sich murrend nach Saus und Braus, nach jener holdseligen Liederlichkeit, von der ihnen zuweilen aufreizende Kunde kam aus der kaiserlichen Burg in Wien oder gar aus Paris.

Herzog Johann Casimir regierte vorsichtig und 8 gerecht, mit trefflichem Erfolge. Indem er Gutes schuf, nicht um des Guten, auch nicht um des gemeinen Volkes willen, sondern nur weil er gerne zusah, wie unter seiner starken Hand gesunde Werke gediehen, vergaß er den qualvollen Sinn des Lebens über der mannigfachen Arbeit, die er für jeden Tag sich auferlegte.

Er war darauf bedacht gewesen, alte Schulden langsam abzutragen und seine leeren Kassen wieder zu füllen, half gleicherweise seinen Bauern, die er gnädigst aus der Leibeigenschaft in die Erbpacht entließ, stellte ihre Rechte in Landesordnungen zusammen, gründete Volksschulen und zog für allerlei Gewerbe wohlhabende Bürger ins Land. –

Die junge Herzogin weilte unterdes in ihren Gemächern und langweilte sich bitter. Arges Heimweh plagte sie nach dem schönen, munteren Hofhalt ihrer Eltern, nach ihren Geschwistern und Gespielinnen, nach den kleinen gemütlichen Festen und bunten Umzügen, dem ganzen vergnügten Treiben ihrer blanken Vaterstadt Dresden.

Hier aber, wenn sie sich über die Brüstung der Bogenfenster lehnte, erblickte sie immer nur ein paar ausgestorbene schmierige Gassen, eng umgrenzt von schwarzen Festungswällen. Zur Gesellschaft waren ihr drei alte Hofdamen beigegeben, die nach Schmalzbrot und Eimbecker Bier dufteten. Die spielten 9 stundenlang mit ihr das Karniffelspiel, wobei sie regelmäßig ihren Goldgulden zu gewinnen wußten; manchmal sangen sie auch mit dünnen, weinerlichen Stimmen ein Liedlein vor:

»O Röschen rot,
Der Mensch liegt in größter Not,
Der Mensch liegt in größter Pein,
Je lieber möcht ich im Himmel sein.
Da kam ich auf einen breiten Weg,
Da kam ein Engelein und wollt mich abweisen,
Ach nein, ich ließ mich nicht abweisen,
Ich bin von Gott, ich will wieder zu Gott,
Der liebe Gott wird mir ein Lichtchen geben,
Wird leuchten mir bis in das ewig selig Leben!«

Wenn sie darnach anfingen, von erlebten Kriegsnöten, Brandschatzung und geschändeten Jungfrauen gar jämmerlich zu erzählen, so öffnete Herzogin Anna zerstreut ihren kostbaren Kleinodschrein, den sie zum Brautschatz mit bekommen hatte, und zog daraus sachte, mit liebkosenden Fingern die goldenen Kettlein und Ringe, die Stirnreifen mit den Demantsteinen und anderen zierlichen Schmuck hervor, behing und putzte sich damit, einsam vor dem Spiegel auf und nieder wandelnd. Oder sie schrieb auch umständliche Briefe an die Kaufmannshäuser zu Leipzig, und bestellte sich von ihnen viele Ellen Seidenzeug und Zindel, Pelzwerk und Damast für Prunkgewänder, die sie wohl niemals tragen würde.

Zweimal des Tages speiste sie an der Seite ihres 10 Gemahls, inmitten des gesamten Hofstaates, ein trübseliges Mahl von zähem Fleisch und verkochten Gemüsen, die gewürzt wurden mit der Absingung frommer Choräle: ›Hilf, Helfer, hilf in Angst und Pein . . .!‹ oder ›Aus tiefer Not schrei ich zu dir . . .!‹

Der Hofprediger stimmte an, und jedermann war gehalten, mitzusingen. Nur der Herzog hörte stumm zu, die blutleeren Lippen in einem harten Lächeln zusammengepreßt. Sobald aber die Ritter ins Saufen gerieten, hob der Herzog die Tafel auf und nahm sie mit sich in den Audienzsaal, damit sie dort von den Vorträgen der Räte etwas lernten oder immer noch lieber dabei ein wenig schlummerten, statt in der Ritterstube unflätig zu brüllen.

Sonst sah die Herzogin nur selten Herren vom Hofe. Ein blutjunger Kavalier, Junker Ulrich von Lichtenstein, hatte ihr bisweilen aufzuwarten und ihre Wege verantwortlich zu schützen. Wie überall, so hatte auch hier der Herzog in Vorsicht das Richtige getroffen: Der junge Herr von Lichtenstein war voll Ergebenheit, aber spröde wie ein Kind, und fand, wenn Ihre Fürstliche Gnaden ihn um irgend etwas Gleichgültiges befragte, vor lauter Ehrfurcht kaum die Antwort.

»Sagt, Junker Ulrich, ist das wohl von jeher Brauch Eures Hofes gewesen, daß man die Damen 11 in Kemenaten einsperrt und derweilen abwechselnd schläft und Trübsal bläst?«

»So lange ich gedenken kann, Euer Fürstliche Gnaden, war es wohl nicht anders. Denn Euer erlauchter Gemahl hat einen mächtigen Abscheu vor allem inkommoden Geschwätz und Übermut.«

»Mir aber ist sehr inkommode diese Sterbehausruh. Ich bin als Herzogin zu euch gekommen und nicht als Klagefrau. Ich werde Seine Fürstliche Gnaden um Wandel angehen.«

Das tat sie denn auch zu wiederholten Malen, erntete aber nur Spott und herben Widerspruch:

»Wenn Euch die Stunden hier zu langsam verrinnen, vieltraute Hausfrau, so füllet sie doch mit guten Pflichten an! Waltet, wie es sich gebührt, über die Vorrats- und Weißzeugkammer, die Ihr, so wird berichtet, noch gar nicht angeschaut habt. Füllet die Hausapotheke und tragt Sorge um heilsame Rezepte! Ist doch selbst Eure erlauchte Mutter als Ärztin weitum bekannt und geehrt. Ich nahm Euch zur Ehe, weil ich vermeinte, Ihr hättet Eurer Mutter Tugenden geerbt. Auch für meine Güter eine emsige Milchwirtschafterin, Käskünstlerin und Viehmästerin zu werden, dürfte Euch wohlanstehen. Nur fürchte ich, ist Euer leichter Sinn mehr auf andere Lust gerichtet.«

Die Herzogin errötete vor Scham und unterdrücktem Zorn. Sie mochte den Herzog fernerhin nicht 12 mehr anschauen, sondern saß bei Tafel mit beständig niedergeschlagenen Augen neben ihm, stand nur in wortkargem Hochmut Rede und Antwort, schloß sich dafür, wo immer Gelegenheit war, um so enger an jene Gruppe des Hofstaates an, die nach französischem Muster üppig gekleidet, geschmeidige Formen zur Schau trug und mit geistreichen Sinnsprüchen und Wortspielen zu plänkeln versuchte.

So gelang es der Herzogin, im Laufe der Monate eine kleine, aber sehr bewegliche Partei zu sammeln, deren Sendboten sie zuweilen in ihren Gemächern empfing, um mit ihnen über den tristen Ton des Hofes zu klagen, die reisigen Ritter zu bewitzeln und gegen den Herzog eine allgemeine Unzufriedenheit zu schüren.

Seiner Fürstlichen Gnaden entging dieses heimliche Murren und Konspirieren keineswegs. Die Ohren der Zuträger waren hinter allen Wänden. Doch ließ er dem Mißvergnügen seinen Lauf, bis es reif geworden wäre zur Ernte. Nur hin und wieder brachte er bei Tisch das Gespräch ganz harmlos auf die unterdrückten Wünsche jenes – wie er es vor seinen Rittern nannte – à la modischen Fähnleins.

»Was dünkt Euch, Herr Graf von Treffenfeld,« so sprach er einen der Hauptwühler an, »was dünkt Euch von dem Leben hier an meiner Fürstenburg? 13 Ist es nicht ein beschaulich Leben und recht geschaffen für ernste Einkehr in sich selbst?«

Der junge Graf, der kürzlich erst von seinen Reisen zurückgekehrt, am Hofe sich niedergelassen hatte, war ein hübscher Stutzer mit parfümiertem Knebelbart, gekleidet in ein scharlachrotes Seidenwams, üppig gepuffte gelbrote Pluderhosen und ein spanisches Mäntelchen von grünem Samt.

Er hielt des Herzogs Frage für eine gute Gelegenheit, sich unter seinesgleichen ein Ansehen zu geben und antwortete kühnlich:

»Mit Eurer Fürstlichen Gnaden Verlaub will es mir scheinen, als ob wir insgesamt hier überhaupt kein Leben führen, vielmehr wie Leichname, gottsälig im Herrn verstorben, schon einen Vorgeschmack unserer Grüfte haben.«

Am unteren Ende der Tafel wagte sich beifälliges Gemurmel hervor; einige Damen kicherten und warfen dem Grafen ermutigende Blicke zu.

»Wohl gesprochen!« lachte der Herzog. »So ist es und so gebührt es sich. Würdet Ihr es anders haben wollen?«

»Nicht als Diener Eurer Fürstlichen Gnaden, wohl aber als Ritter schöner Damen, die ihr liebreizendes Lächeln allhier umsonst verschwenden, Geschenke der Grazien bieten und keinen Dank davon haben.«

14 »Die Damen,« erwiderte der Herzog, »hat Gott nicht zu verliebtem Lächeln und Scharmutzieren in die Welt gesetzt, sondern daß sie dem Haushalt vorstehen, Kinder gebären nach ihres Mannes Gebot und solche fein sorgsam auferziehen.«

»Doch warum ist insonderheit eine Dame vom Hofe Eurer Fürstlichen Gnaden so ganz verbannt, nämlich die Dame Fröhlichkeit? Hat nicht, mit Eurer Fürstlichen Gnaden Verlaub, unser Herr Jesus Christ selber im Evangelio gelehrt: ›Freuet euch mit den Fröhlichen!‹«

»Diese Fröhlichkeit in Gott, mein Herr Graf, ist mit nichten von mir verbannt, hat aber mit dem lüsternen Lächeln Eurer Damen nichts zu schaffen, sondern ist eine sittsam stille und zufriedene Fröhlichkeit, ist, um in Eurem feinen Ton zu sprechen, eine ehrbare Jungfrau und edle Minerva – die Freude hingegen, die Ihr und Eure Damen in Wahrheit vermißt, ist böse Lust und gleicht einer Buhlerin, einer Venus, einer fahrenden Putana!

»Herr Kanzler Ringeis,« so wandte sich der Herzog an den obersten seiner Räte, »was sagt das Gesetz über solch ein Weibsstück, das unsere Männer verführt und bezaubert?«

»Eurer Fürstlichen Gnaden zu dienen,« antwortete in trockenem Geschäftston der Kanzler, »das Gesetz gebietet, daß sie gestäupt und zum Tore 15 hinausgetrieben werde. So sie aber mit Vorsatz und wissentlich durch teufelische Ränke sich bemüht und untersteht, ihr Fürnehmen herauszubringen, so soll sie für eine Unholdin geachtet und mit Feuer zu Tode verbrannt werden.«

»Also ziehen wir vor,« so schloß der Herzog vorläufig die Unterhaltung, »diese Frau Freude, das vagierende Weibsbild, das nie an einem Orte verweilt und überall nur Ekel oder krankes Sehnen nach sich läßt, lieber gar nicht erst hereinzuführen, sondern weiterhin einem gottsäligen Ende entgegen zu sterben, das uns erlösen wird von allem irdischen Ungemach, heute oder morgen!«

 


 

II.

Es ist klar, daß der schroffe Hohn des Herzogs die Unzufriedenheit unter der lebenslustigen Jugend nur steigerte. Sie gärte im heißen Blute der Kavaliere und in den sehnsüchtigen Herzen der schönen Damen. Wenn solch jungen Herren der Kamm schwillt und die Kräfte strotzen, so sind sie aller Torheiten fähig, selbst am Hofe eines gefürchteten Regenten. Bedenkliche Liebesabenteuer kamen dem Herzog zu Gehör; man flüsterte von verbotenen Stelldicheins, heimlichen 16 Gelagen; es mußten Strafen verhängt werden wegen roher Übergriffe und gekreuzter Degen.

Ja, sogar diplomatische Verwicklungen drohten mit dem kursächsischen Hofe; denn die junge Herzogin hatte sich daselbst heftig beschwert, daß es ihr in ihrer neuen Heimat nicht wohl ergehe, sie werde vernachlässigt und in ihrer Frauenehre gekränkt, Kindersegen bleibe ihr versagt, nicht durch eigene Schuld, sie werde krank, matt und traurig in dieser Koburgischen Luft, und über ein Kleines, so müsse sie dahinsiechen an der Melancholie.

Als Johann Casimir von diesem Beschwerdebriefe dadurch vernahm, daß der Kurfürst vermittels eines vornehmen, diskreten Spezialgesandten um Abhilfe ersuchte, geriet er zunächst in wilden Zorn, schloß sich erbittert ein und ging mit sich allein zu Rate. Dann aber ward unvermittelt dem Hofstaat frohe Kunde.

Zwar sprach Seine Fürstliche Gnaden kein Wort mehr in dieser Sache, ließ auch kein Edikt ergehen; jedoch ein Gerücht verbreitete sich, daß jener vagierenden Putana, genannt die Freude, nun doch noch Einlaß am Hofe gewährt werden solle.

Und so verhielt es sich in der Tat. Der herzogliche Zeitungszufertiger in Paris, ein Edler von Mandelsloh, war zum Berichte aufgefordert und demgemäß angewiesen worden, einen berühmten Adepten von Paris nach Koburg zu geleiten, einen Magister 17 Magnus der Alchimie, der, wie es hieß, die Panacee des Lebens besaß, jenes große Elixier, das alle unedlen Metalle in edle zu verwandeln, alle menschlichen Leiden zu heilen, ja selbst die Kraft des Erlösers zu ersetzen imstande sei.

Dieser wunderbare Mann also – mit Namen Don Geronimo Scotta de Camara – ward berufen, mit seinem Stein der Weisen die Freude am Hofe von Koburg einzuführen. Die graue alltägliche Ordnung der Dinge sollte durch ihn vertrieben werden; er machte sich anheischig dazu, versprach es in aller Form; denn das war ja sein Beruf. Augenscheinlich nur zu diesem Zwecke war er von Gott in die Welt gesetzt.

An reichen Mitteln für das neue Leben konnte es nicht fehlen. Don Geronimo brauchte ja mit Hilfe seiner Tinktur nur Gold zu machen, so viel als nötig war, die Kassen des Herzogs bis zum Überlaufen anzufüllen. Alle Unzufriedenheit würde mit einem Male gehoben sein. Verschwinden würden Kummer, Mißmut und Langeweile, die Kavaliere würden Ableitung finden für ihre strotzenden Kräfte, die schönen Damen befriedigt werden, die Herzogin Anna, wieder gesund und munter, nicht mehr dahinsiechen in Melancholie, ihr hoher Gemahl aber vielleicht gar in einen lustigen Lebemann sich verwandeln.

An einem milden Spätsommerabend zog Don 18 Geronimo de Camara in der Stadt Koburg unter großem Gepränge ein. Mehrere Wegstunden zuvor war er vom Pferde gestiegen und hatte in einer Staatskutsche Platz genommen, die ihm auf sein Verlangen entgegengeschickt werden mußte. Pferde und Wagenschlag waren mit Astern und flandrischen Tulpen geziert; auf dem seidenen Polster aber saß stolz, massig und pompös in Person der wunderbare Herr, der die Panacee des Lebens besaß und demzufolge unfehlbar selbst der glücklichste Mann auf Erden sein mußte.

Don Geronimo war seinem Aussehen nach kein schöner, wohl aber ein überaus interessanter Mann, zumal für den Geschmack der Damen. Die Farbe seines glatt rasierten Cäsarengesichtes war fahl, ins Gelbliche spielend; unter der niedrigen, von schwarzem Lockenhaar bedeckten Stirn blitzten übermütig und begehrlich die geschlitzten Äuglein hervor. Haltung und Gebaren zeigten im übrigen einen herrisch abweisenden, siegesgewohnten, selbstgewissen Kavalier.

Als die Kutsche im Schloßhof hielt, sofort umschwärmt von Junkern und Pagen, erhob sich der wuchtige Körper leichtfüßig, sprang auf das Pflaster und blickte mit Hochmut zugleich und munterem Spott im Kreise umher.

Es empfingen ihn unter artigen Komplimenten der Graf von Treffenfeld und Junker von Lichtenstein 19 im Namen der Herzogin. Johann Casimir hatte einen älteren Ritter abgesandt, der Don Geronimo unverzüglich seine Gemächer in einem Flügel des Schlosses anwies, ein Staatszimmer, eine Kammer und das hochwichtige Laboratorium.

Don Geronimo, obwohl aus Welschland stammend, bedankte sich in fließendem Deutsch kurz für die würdige Aufnahme. Betreffs seines Gepäckes gab er rasche, gewandte Aufträge und folgte dann sehr beweglich gestikulierend, den Kopf bald rechts und bald links gewandt, mit federnden Schritten seinem Führer. Ein Haufe von Lakaien und Zofen war unterwürfig um ihn bemüht. Alle nannten ihn instinktiv ›Herr Graf‹, wofür er den Lakaien Goldstücke zuwarf und den Zofen liebäugelnde Blicke.

Bald darauf empfing ihn der Herzog im Audienzsaal. Auch die Herzogin war zugegen nebst vielen Herren und Damen vom Hofstaat. Die meisten erklärten sich zunächst ein wenig enttäuscht von der so brünstig herbeigesehnten neuen Erscheinung. Bei aller imponierenden Männlichkeit sah dieser Don Geronimo doch etwas gar zu frech und rüde aus, um sofort bedingungslos zu entzücken.

Der Herzog musterte den Ankömmling einige Sekunden lang scharf und nachdenklich; dann hieß er ihn sich setzen. Auf einem Stuhle gegenüber dem Thronsessel nahm Don Geronimo nachlässig Platz.

20 Der Herzog begann:

»Ich habe Euch, Don Geronimo de Camara, in mein Haus gebeten, weil Euch das Gerücht vorauslief, Ihr seiet einer jener fabelhaften Männer, die sich wahrhaft glücklich nennen, alle Künste des Lebens verstehen und als Fürsten der Freude über der gemeinen Wirklichkeit der Dinge thronen. Ist es an dem? Wollet mir das ausdrücklich versichern!«

»Es ist an dem, Herr Herzog!« bestätigte stolz Don Geronimo.

»Es gibt also auf Erden kein Ungemach, das Euch treffen könnte?« erkundigte sich der Herzog weiter, scheinbar in lebhafter Neugier.

»Treffen kann mich wohl allerlei,« erwiderte der Adept; »indessen es wird mich nur wenig bewegen; denn ich habe in mir selbst einen sicher ruhenden Pol, der anziehet alles, was schön und ergötzlich ist und abstößt alles, was mir zuwider.«

»Ist dies Eure Panacee?«

»Vermittels der Panacee habe ich diesen Zustand in mir geschaffen.«

»Und vermögt Ihr auch, ihn auf andere Menschen zu übertragen?«

»Auf jedes höher und edler geformte Gemüt, sofern es sich meinen Lehren unterwirft.«

»Nun, was mich betrifft, Don Geronimo,« sprach der Herzog mit kühl ablehnender Gebärde, »für meine 21 Person verzichte ich auf Eure Kraft. Nur für meine Kassen sollt Ihr Gold machen, wie Ihr versprachet. Ich selber weiß, wie ich zu leben, was ich zu tun habe. Hingegen meine Gemahlin hier und ein Teil des Hofstaates werden Eure Dienste gern in Anspruch nehmen. Sie kränkeln in der Luft von Koburg, möchten das Einerlei des Daseins mit Ergötzlichkeiten aufbessern und den Geschmack Eurer Panacee probieren. Ich hoffe zu Gott, daß sie sich nicht den Magen daran verderben. Alsdann dürfte sich nämlich kein Arzt finden und kein Gegengift. Die Dinge würden ihren Lauf nehmen in der von Gott und Obrigkeit eingesetzten Ordnung. Wollt Ihr es darauf wagen, Don Geronimo?«

»Ich will und kann es! Nur müßt Ihr mir, Herr Herzog, eine Spanne Zeit vergönnen zur Neubereitung meines Elixiers, das mir zu allen Dingen nötig.«

»Angemessene Zeit sollt Ihr haben und inzwischen gut gehalten werden. Eures Amtes als Vergnügungsmeister aber waltet von Stund an! Ihr seht, die Herrschaften ringsum lechzen bereits darnach. Zeigt ihnen, daß Ihr Euch auf Lustbarkeit versteht!«

»Daran soll es nicht fehlen, Herr Herzog. Auf Lustbarkeit verstehe ich mich fürtrefflich. Darin habe ich Übung von Kindesbeinen an, habe von allen Wissenschaften Lustbarkeit am emsigsten studiert und 22 mich zu hoher Vollkommenheit darin ausgebildet. Denn wozu wäre uns sonst die arme Erde nütz, wenn nicht zu süßer Schlemmerei und Liebesspielen! Das ist fürwahr des Weltlaufs Ziel für alle höheren Geschöpfe! Arbeit, Gehorsam und Geduld aber sind die Tugenden Last tragender Tiere und Bauern, davon sich Euer erlauchter Hof gar bald gänzlich entwöhnen soll.«

»Nun gut, so lasset uns sehen! Ihr seid ja ein großer Herr von Teufels Gnaden! Das soll mich nichts scheren, ob sich auch meine Pfaffen die Mäuler zerreißen. Nur merket das eine: Ich bleibe Fürst des Landes und Fürst in meiner Burg. Ich halte Euch als Gast, sofern Ihr Eure Versprechungen haltet. Was im übrigen an meinem Hofe daraus folgt, geht Euch nichts an. Sorget nur dafür, daß wir zwei nicht an einander zu Schelmen werden! – Oder hilft Eure Panacee auch wider den Tod?«

»Der Tod, Herr Herzog, ist das einzig Abscheuliche am Leben. Ich überwinde ihn dadurch, daß ich mich an den Gedanken seiner Notwendigkeit zu gewöhnen suche. Aber alles Leben außer und vor dem Tode ist für das höhere Geschöpf eitel Wonne und ein königlicher Rausch. Ihr möget es glauben oder nicht.«

»Ich glaube es Euch meinethalben, Don Geronimo. Ich glaube Euch vorläufig alles, was Ihr 23 wollt. Der Ausgang Eurer Sache wird ihren Wert erweisen. Geht nur und machet Gold! Denn das allein ist Euch vonnöten. Ohne Haufen Goldes steht Eure Sache schlimm!«

Der Herzog verließ den Thronsessel und begab sich, steinernst wie immer, in sein Kabinett. Sobald er draußen, löste sich der Bann.

Voll Huld und Wärme begrüßte die Herzogin den vielversprechenden Adepten, der unter galanten Verneigungen ihr die Fingerspitzen küßte. Damit erst geriet er in sein rechtes Element, blitzte die schöne junge Frau mit seinen begehrlichen Äuglein an, sprudelte scharmante Komplimente hervor, küßte die bebende kleine Hand zu wiederholten Malen und bewegte sich vor ihr mit einem südlichen Temperament, zappelnd, gleichsam mit den Flügeln schlagend wie ein Auerhahn auf der Balz. Das stand dem Glücklichsten der Männer, dem Meister aller Lustbarkeit, gar wohl an und sicherte ihm nunmehr die Bewunderung des gesamten Hofstaates.

Den Rest des Abends blieb er bei einem Fasse Malvasier mit den Hofherren zusammen. Das Faß stammte aus dem herzoglichen Keller. Don Geronimo aber schien der Wirt zu sein. Er trank den Junkern zu, er schickte fünfzig Humpen für das Gesinde hinaus, er allein unterhielt die ganze Gesellschaft mit Schnurren und Fanfaronnaden. Seine 24 Histörchen waren saftigen Inhalts, so ungeschminkt in der Ausdrucksweise, daß selbst die Ritter von altem Schrot und Korn ihm nicht gram sein konnten, sondern brüllend vor Gelächter sich auf ihren Bänken wälzten und mit Don Geronimo bis in den grauen Morgen zechten.

 


 

III.

In Gegenwart der drei betagten Hofdamen und des jungen Ulrich von Lichtenstein konsultierte Herzogin Anna den wundertätigen Arzt des Leibes und der Seele.

»Ihr habt, Don Geronimo, schon manch erstaunliche Kur verrichtet? Geschah dies nun bloß kraft einer geheimnisvollen Gewalt oder seid Ihr nebenher auch gelernter Meister der Physika und Arzenei?«

»Das bin ich in der Tat, gnädigste Herzogin. In verschiedenen Landen habe ich meinen studiis obgelegen, zumal in den gelehrten Schriften des großen Paracelsi mit Eifer mich vergraben. Von der hohen Schule zu Bologna ward mir die facultas artem exercendi und der Meisterbrief verliehen.«

»So sagt mir jetzt, was Ihr davon haltet, daß ich so gar bleich und hinfällig geworden bin und 25 allerhand Pein und Ängste auszustehen habe, dazu ich keinen Rat bei mir selber weiß.«

»Erklärt mir nur Eure Beschwer in allen Stücken!«

»Sie ist von mancherlei und dunkler Art. Den Schlaf vermag ich nächtens schwer zu finden, träume von grauslichen Gesichtern, muß weinen und lachen in einander, habe den Kopf heiß und die Füße kalt und werde von Herzweh geplagt zu allen Stunden.«

Don Geronimo setzte eine bedenkliche Miene auf, ging behutsam um die anmutig seufzende Patientin herum, von allen Seiten sie betrachtend. Dann ersuchte er sehr höflich die alten Hofdamen um Mitteilung ihrer Eindrücke vom Befinden der Fürstlichen Gnaden.

Nun, auch die Hofdamen konnten nicht leugnen, daß ihre erlauchte Herrin letzter Zeit beängstigend unruhig geworden und abgemagert sei. Sie wollten vermuten, das Evangelium habe vielleicht Friede schaffen können in dem verstörten Gemüte, doch wende sich Ihre Fürstliche Gnaden hartnäckig von diesem seraphischen Troste ab; freilich werde wohl auch Don Geronimo de Carama als papistischer Zauberer dawider sein.

Don Geronimo war allerdings dawider, indem er erklärte:

»Der Trost in Gott ist heilsam für die höheren 26 Jahre, in denen ihr, vieledle Frauen, steht. Ihre Fürstliche Gnaden jedoch darf damit nicht bedränget werden, sondern höchstens auf Umwegen, gelinde darauf hingeleitet, nämlich mit den guten, von Gott auch gesegneten Mitteln, die mir zur Hand sind.«

»Sind es Arzneimittel, wovon Ihr sprecht?« sagte mißtrauisch die Herzogin.

»Nicht eigentlich; sondern ich denke auch hier an das eine, das alle Leiden hinwegnimmt und den ganzen Körper mit frischer Kraft und Lustgefühl anfüllt wie einen Becher bis zum Rande.«

»Und in welcher Gestalt wollt Ihr es mir geben?«

»In der flüssigen Form des verdünnten aurum potabile, als Trinkgold! – Indes, um die Wirkung des kostbaren Saftes für Euren Fall, Frau Herzogin, recht zu bemessen, bedarf es einer Untersuchung korporaliter. Wollet sie mir gestatten, vorläufig obenhin, wie es eben angeht.«

Nun hatte die Herzogin, ein wenig verwirrt von der Prozedur, ihre Hände herzureichen und sie zwischen die der beiden Herren zu legen, die rechte zwischen die geschlossenen Handflächen des Junker Ulrich, der nur ganz zage zuzufassen wagte und nicht wußte, wo er dabei die andächtigen Augen lassen sollte, die Linke, die ›Herzhand‹ zwischen die plumpen braunen Pranken des Don Geronimo.

So mußte sie, den Pulsschlag ihres Blutes mit 27 dem der Männer vereinigend, wohl eine Viertelstunde lang stille halten, um für Don Geronimos Diagnose den erforderlichen Magnetismus auszuströmen, wonach er das Deklinatorium zu berechnen versprach.

Das feine Gesichtchen Ihrer Fürstlichen Gnaden wurde dabei dunkelrot. Man sah, es überlief sie heiß und kalt. Die kleinen schwarzen Augen des Wundermannes durchbohrten ihren bebenden Körper bald hier bald dort, wie hundert feine, kitzelnde Nadelstiche.

Damit war die erste Konsultation beendet und eine ersprießliche Behandlung in die Wege geleitet.

Die Herzogin zog sich ermattet zurück, einsamer Ruhe zu pflegen. Don Geronimo, befriedigt von dem Resultat, ging mit Junker Lichtenstein hinab zu den Kavalieren.

Bald hatte er sich aus diesen einen ständigen Cortège gebildet, der mit ihm pokulierte, Karten und Würfel spielte, den Zofen nachschlich und – woran Don Geronimo am meisten gelegen schien – dem Strom seiner großen Worte lauschte, der unablässig, unaufhaltsam sich ergoß, stets eine stürmisch bewegte Atmosphäre von abenteuerlichen Berichten, Possen und Witzworten, selbstherrlichen Maximen und Lebensdeutungen um seine schillernde Persönlichkeit verbreitend. Es waren nicht gerade die schärfsten Köpfe, die Don Geronimo sich zur Begleitung wählte. Der Graf 28 von Treffenfeld zum Beispiel, obwohl auch von der lebenslustigen Partei, erschien ihm als weitgereister, kühler und erfahrener Mann wohl zu kritisch. Don Geronimo zog die naiveren Junker vor, die, in blinder Bewunderung hingegeben, seinen Weisheiten nicht widersprachen, vielmehr eifrig seinen Ruhm in alle Winde trugen und laut vor aller Welt beschworen, Don Geronimo Scotta de Camara sei wirklich ein außerordentlicher, ein grundgescheiter, vornehmer und reicher Mann.

Der Meister aller Lustbarkeit zögerte nun nicht länger, auch rauschende Feste in großem Stile herzurichten.

Einige Jagden gingen voran. Der Herzog hatte die Wildfuhr, die ihm persönlich ein Greuel war, bisher nur durch seine Jäger ausüben lassen. Jetzt drängte sich der ganze Adel hinzu. Mit der Birscharmbrust, mit Jagdrossen und Meute zogen sie jubelnd aus, an der Spitze Don Geronimo und die Herzogin auf weißem Zelter.

Und jedes Mal war das vollendete Weidwerk gekrönt von einem üppigen Mahl in der großen Banketthalle.

Da konnte man sich endlich einmal nach langer Fastenzeit die Bäuche füllen mit köstlich zubereiteten Braten und Pasteten und alle Fässer aus des Herzogs Keller kosten, mit Strömen herben Neckarweins 29 beginnend, bis hinauf zu den erlesenen Krügen schweren süßen Ungarblutes.

Der Herzog schloß sich zwar allenthalben aus, sprach aber auch nie ein Wörtlein dawider, sondern ließ, ohne zu knausern, seine Kassen öffnen und war nur darauf bedacht, daß die vergeudeten Summen in seinem Lande blieben, in den Geschäften tüchtiger Kaufleute, Schneider, Weinhändler und Gewürzkrämer, die er eigens zu diesem Zwecke in Koburg ansiedelte.

In den letzten warmen Tagen des Oktober fand nun gar ein musikalisches Freudenspiel statt, dessen Plan und Ausführung Don Geronimo mit großer Pracht entwarf. Der herbstliche Garten der Fürstenburg ward mit zahllosen kleinen Kerzen und bunten Lämpchen magisch erleuchtet. Aus den Büschen da und dort ertönten wie im Zwiegespräch lockende Weisen aus Flöte und Schalmei. Dazwischen wandelten, lustig vermummt in arkadischer Hirtentracht, gruppenweise oder zu verliebten Paaren die Herren und Damen des Hofstaates.

Gegen Mitternacht ward dann auf weitem Wiesenplan das von Don Geronimo vorbereitete Ritterschauspiel aufgeführt, eine höchst witzig allegorische Invention, gespickt mit prunkvoll dargestellten Mottos und Devisen.

Wie um den Herzog zu verspotten, hatten zwei 30 ritterliche Parteien den Satz zu umstreiten, daß Frau Venus keine Buhlerin, sondern eine erlauchte Fürstin sei. Die Hofjunker als Mantenadores stritten mit fünfhundert Schwertstreichen für die Ehre der Frau Venus, Ritter von der alten Schule hielten als Aventureros ihnen Widerpart. Ob diese nun geübter waren, mit dem Schwerte umzugehen oder ob es in der Tat um die Würde der Frau Venus so bedenklich stand, kurz, die Junker wurden von den Rittern kläglich abgeführt.

Derweilen und hinterher zog der und jener mit seiner Dulzinea in die dunkleren Laubgänge sich zurück. Zwischen die Musik der Schalmeien und das Schwertergeklirr klangen vereinzelte süße Seufzer und verliebtes Lachen. An den entfernteren Zäunen ward Verstecken gespielt und Unfug getrieben.

Dort wandelte auch, am Arm die junge Herzogin führend, Don Geronimo Scotta de Camara.

Voll brennender Neugier verlangte sie Genaueres über seine geheimen Künste zu erfahren und drängte ihn, daß er ihr endlich Beweise davon gäbe.

Sogleich war Don Geronimo mit einigen kleineren Proben ihr zu Willen. Ein Ringlein, das sie am Finger trug, zauberte er allsogleich in den Busenausschnitt ihrer Damastrobe hinein, so daß sie sich vor Bewunderung und Entzücken nicht zu fassen wußte. Alsdann erschien auf sein Geheiß hinter einem 31 Haselbusch das Gespenst des Kaisers Karl V., dessen Züge der Herzogin aus vielen Kupfern wohl bekannt waren. Sie erschauerte in Ehrfurcht vor ihres Wundermannes beschwörender Kraft und klammerte sich ängstlich an ihn, zerfließend in herzinnigem Vertrauen.

»Wann werde ich es denn genießen dürfen, Euer trinkbares Gold?«

»Zuvor muß ich in meinem Laboratorium es sorglich zubereiten.«

»Wie aber kann nur sein, daß dieser eine Saft alles heile und verändere, Krankheit und jedes Mißbehagen, Übel des Leibes und der Seele, Gefühle der Menschen und die toten Metalle?«

»Dadurch allein, daß seine Kraft eine allzerstörende ist. Was auch die große Tinktur berührt, das wird von Grund aus vernichtet und entsteht ein ander Ding daraus. Alles, was trocken, hart und spröde, wird davon flüssig, weich und schmiegsam, bis daß es mit der Zeit sich wieder festigt, nun aber zu einer Kostbarkeit. Jedwede bisherige Ordnung wird gestört durch diese Panacee, zumal die unfreundliche, strenge Ordnung, die Ordnung der geringeren Geschöpfe, gleichwie ein winzig Bröcklein Sauerteig das ganze fade Brot in Gärung bringt. Von meinem Elixier ein Tropfen nur wandelt Merkur und Zinn in Gold, Herzweh in Lust, Siechtum in Kraft und alle Sündenlast in himmlische Erlösung.«

32 »Ach, wie wundersam! wie über die Maßen prächtig, solcher Kräfte Herr zu sein! O, lieber Herr Geronimo, bereitet Euren Saft doch bald, recht bald, gleich morgen schon! Mich aber laßt zuerst von allen seiner teilhaftig werden!«

»Von Herzen gern! Euch zu dienen, liebe gnädigste Herzogin, will ich damit eilen. Inzwischen jedoch kann ich immerhin Euern hohen Leib geschickt machen zur Aufnahme des Elixiers! – Seht Ihr die kleine Schlinge hier von Eisendraht? – Nun, reicht mir Eure Hand! Es wird ein Mittel meiner Kur und soll Euch vorbereiten.«

Auf die innere Handfläche der Herzogin, die ganz Spannung, Hingabe und Erregung war, legte Don Geronimo ein in Papier ausgeschnittenes Kreuz, beschrieben mit unleserlichen Zeichen. Unter das Kreuz schob er die Eisenschlinge, sprach einige Formeln, von denen die Herzogin nichts als das Wort ›Die Heilige Dreifaltigkeit‹ verstand und – siehe da! – nun bewegte sich mit einem Male der kleine Eisendraht, schnellte empor und schlang sich eng um ihre gespreizten Fingerchen.

»O, was ist dies? Was hat das zu bedeuten, Don Geronimo?« rief ihn erschreckt die Fürstin an.

»Nichts anderes, teure Herzogin, als daß nunmehr um Eure Glieder die Fessel sich geschlungen, die Euch auf ewig an mich bindet. Was auch fürderhin 33 an Euch und mit Euch geschehen möge, Ihr könnt zu Eurem Heile nicht mehr widerstreben. Die Panacee wird ihre Wirkung tun, selbst wenn Ihr sie fürchten solltet. Gestört ist jener alten dumpfen Ordnung Widerstand in Euch und aller neuen Lust der Weg bereitet.«

Stumm und gläubig lauschte die Herzogin dieser Beschwörung. Was hätte es auch geholfen, sich aufzulehnen wider solch mächtigen Zauberer! Mochte er denn das Werk vollenden! –

Drüben auf dem Wiesenplan tanzten zum Klang der Fiedeln und Flöten die jauchzenden Paare. Die Herzogin drängte es, mitten unter ihnen zu sein. Auch diesen Gedanken vermochte Don Geronimo zu lesen, zart löste er die Schlinge von ihrem Finger und führte sie, fröhlich plaudernd, zu den Gästen zurück.

Kaum hatten sie sich einem der Reigen angeschlossen, sprangen und drehten sich übermütig im Tanze, als ein seltsamer Aufzug aller Blicke fesselte.

Vom Burgverließe her nahte sich unter dumpfem Trommelwirbel ein Trupp von Pikenieren, in deren Mitte, gefesselt und gestützt vom scharlachroten Henker, ein armer Sünder wankte, wimmernd wie ein Kind, das Gesicht verzerrt, vor Todesangst schon eine halbe Leiche – in weiterem Gefolge Richter und Räte und Choräle singende Pastoren. Diese greuliche Herde nahm ihren Weg quer über die Wiese, mitten durch 34 den festlich erleuchteten Garten und die tanzende Hofgesellschaft, die entsetzt auseinander stob.

Zugleich ertönte hinter ihnen, von einem gelichteten Hügel her ein dröhnendes Gelächter, so fremdartig und wild, wie es der harmlose kleine Hof noch nie vernommen hatte. Es war der Herzog, der sich dort oben fürstlich belustigte. Zum ersten Mal in seinem Leben kam ihn so starkes Lachen an. Er wandte sich auf seinem Pferde rückwärts gegen die begleitenden Ritter und, auf die beiden grundverschiedenen Gruppen des Wiesenplanes deutend, rief er laut:

»Ei, seht doch, ihr Herren, wie die Elben des Lichtes und die der Finsternis den Raum sich streitig machen! Es ekelt den einen vor den andern, und allen zusammen graut vor dem armen Sünderlein, gewißlich nur deshalb, weil es ihnen so jämmerlich voran geht in den Tod. – Irr ich mich oder steht dort schlotternd unser Goldmensch und Freudenmeister, Don Geronimo? – Ruft ihn mir doch! – Heran, mein Graf! Tretet her zu meinem Bügel! Und ihr übrigen alle, ihr lustigen Leutchen, antwortet mir auf eine bedenkliche Frage! Wird euch nun inmitten eurer Lust der Gedanke an das letzte Stündlein leichter, wenn solch ein Anblick euch daran erinnert? Vermag nun die Gewöhnung des Gedankens wirklich eure Todesfurcht zu lindern? – Ist nicht am Ende jener arme Sünder besser dran als ihr? – Ihr habt das 35 Stündlein eures Sterbens vielleicht noch viele Jahre vor euch. Er ist jetzt mitten drin und hat es noch vor Sonnenaufgang überwunden! – Geht nur! Tanzt weiter und betäubt euch an der vergänglichen Lust! – Wie lange noch? – Für Euch, Don Geronimo, schätze ich einen Monat oder zwei.«

Noch einmal lachte der Herzog höhnisch auf. Dann sprengte er davon. Der schwarze Zug marschierte weiter, den Weg zum Galgen.

Die vergnügte Gesellschaft blieb einige Minuten stumm, in unbehaglicher, verstörter Stimmung. Bald aber hatte sie sich gesammelt und den Mut zur Fröhlichkeit zurück gefunden. Noch glühten die Lämpchen, noch lockten die Fiedeln, noch spürte sie in ihren Adern heißes Blut und stürmisches Verlangen nach mancherlei süßen Dingen.

Da folgte sie unbedenklich dem Zuspruch Don Geronimos und vergaß das Bild des Todes unter den Takten einer schwülen Sarabande.

 


 

IV.

In seinem Laboratorium blieb während all der Zeit Don Geronimo nicht untätig. Oft konnten Neugierige vom Hofe aus noch in später Nacht die 36 Flammen des mächtigen Herdes hinter seinen Fenstern lodern sehen oder an der Tür lauschend vernehmen, wie es drinnen brodelte, knallte und zischte.

Junker Ulrich von Lichtenstein war einer der Erwählten, die den Vorarbeiten der Transmutation beiwohnen durften. Zwar hatte der Meister ihm das Versprechen tiefster Geheimhaltung abgenommen, Junker Ulrich konnte sich aber doch nicht enthalten, hie und da von seinen Eindrücken aus der wundersamen Werkstatt zu erzählen.

So hatte ihm Don Geronimo einmal ein Blatt Papier auf die flache Hand gelegt und dies mit einer dicken Lage Sand bedeckt. Darauf waren von der großen Tinktur – einem Häuflein rötlichen Pulvers, so viel wie eine Erbse – zwei kaum sichtbare Körnchen entnommen und auf den Sand gelegt worden, auf diesen wieder ein glühend gemachter Kupfergulden, der dann abermals mit Sand bedeckt wurde. Als Junker Ulrich, so berichtete dieser weiter, die Hand geschlossen hatte, begann es daraus zu rauchen und wie Schwefel und Salpeter brenzlig zu stinken. Nun ward der Gulden aus dem Sande wieder hervor gezogen und – siehe da! – er war zu lauterem Golde geworden. Don Geronimo schmolz das Gold im Tiegel und gab dem Junker Ulrich die Hälfte davon zum Angedenken. Durch das ganze Schloß wanderte der Klumpen Goldes von Hand zu Hand; selbst die 37 Ungläubigsten wagten jetzt an Don Geronimos hoher Kunst, wenigstens öffentlich, nicht mehr zu zweifeln.

Bald ging nun auch die Hauptprobe in Gegenwart des Herzogs vor sich.

Johann Casimir hatte erklärt, nicht länger warten zu wollen. Er fand, daß seine Finanzen von Don Geronimo bereits zur Genüge in Anspruch genommen worden seien und jetzt wohl endlich die Zeit gekommen wäre, wo das Geld, funkelnagelneu geschaffen, in die Kassen zurückfließen müsse.

Don Geronimo erklärte sich bereit. Stolz, heiter und siegesgewiß, wie immer, führte er den Herzog nebst Gemahlin, den Kanzler, den Münzmeister und viele Herren vom Hofe in das Laboratorium.

Der Herzog traf alle denkbaren Vorsichtsmaßregeln, ließ für das Experiment die Requisiten, Tiegel und Werkzeuge von auswärts herbeischaffen, prüfte sie mit eigener Hand; Gold und Münzarbeiter mußten zugegen sein und ein wachsames Auge haben.

Drei Experimente nahm Don Geronimo vor. Zuerst, um Quecksilber in Gold zu verwandeln, füllte man eine Quantität des ersteren in einen glühenden Tiegel. Sobald es kochte, goß Don Geronimo aus einem Fläschchen mehrere Tropfen einer zähen, roten Flüssigkeit darauf, der Inhalt ward umgerührt, der Tiegel nach einer halben Stunde abgehoben, damit er erkalte; das darin zurückgebliebene Metall, über ein 38 Pfund schwer, erwies sich, von den Sachverständigen geprüft, als feines Gold. Im zweiten Experiment verwandelte Don Geronimo eine zweite Quantität Quecksilber mittels seiner kleinen oder weißen Tinktur in probehaltiges Silber. Im dritten Experiment tingierte er einen kupfernen Stab, den er glühend gemacht hatte, zur Hälfte abermals in Gold.

Endlich übergab er dem Herzog noch fünfzehn Gran weiße und vier Gran rote Tinktur, die er, die weiße neunzig Pfund Silber, die rote zwanzig Pfund Gold gleich schätzte, und versprach ihm, binnen vierzig Tagen acht Lot rote und sieben Lot weiße Tinktur zu bereiten, womit man, seiner Versicherung nach, Gold und Silber im Werte von sechs Millionen Talern herstellen könnte.

Alle Anwesenden waren erstarrt in Bewunderung, blickten einander an, ob sie auch wachen Sinnes wären, griffen sich an den Kopf und brachen endlich in hellen Jubel aus.

Ja, sie lebten, sie träumten nicht! Vor ihnen lag das blanke Gold! Mitten unter ihnen stand leibhaftig der Zauberer, der es sich und ihnen täglich neu gewinnen konnte, aus nichts fast, aus billigen Mineralien! Ein Schöpfer unerhörter Reichtümer, mit denen sich das üppigste, königlichste Leben führen ließ, immerdar in Saus und Braus!

Seine Freunde und Kumpane umdrängten ihn, 39 drückten ihm die Hände, küßten ihn ab. Die Herzogin, in tiefster Erregung, abwechselnd bleich und purpurrot, schwenkte ihr Tüchlein gegen ihn, als Glückwunsch und verheißungsvollen Gruß.

Der Münzmeister, die Räte, die welterfahrenen Haudegen schüttelten die Köpfe, zuckten die Achseln, und selbst Don Geronimos grimmigster Gegner, der alte Ritter vom Stein, Obrist der Arkebusiere, patschte sich ratlos auf die Schenkel:

»Schlag das Wetter drein! Er ist und bleibt ein Windbeutel und hält's mit dem Gottseibeiuns. Aber jetzt heißt es, gut Freund sein mit dem Hundsfott! Bevor er zur Hölle fährt, soll er uns noch Dukaten scheffelweise liefern!«

Der Herzog sagte nur:

»Man muß Euch loben, Don Geronimo! Ihr seid ein geschickter Hanswurst. Macht nur weiter! So nehme denn die Sache ihren Lauf! Ich bleibe binnen vierzig Tagen in Erwartung Eurer sechs Millionen.«

Noch am gleichen Nachmittage befahl die Herzogin durch einen Boten den Wundermann zu sich, weil sie dem Appetit, von seinem Safte zu kosten, nicht länger widerstehen konnte. Der Bote traf den Gesuchten bereits auf der Treppe. Eine geheimnisvolle Sympathie der Gemüter hatte auch Don Geronimo angetrieben, eben jetzt die Hauptkur vorzunehmen. 40 Vor sich her trug er das Fläschchen mit dem aurum potabile, behutsam und weihevoll, wie ein Priester die heilige Monstranz.

Er fand die Herzogin ein wenig erschlafft, die heißen Augen halb geschlossen, in ihrem geräumigen Bette liegen. Es schien sie zu frösteln; in mehrere seidene Decken hatte sie sich sorglich eingehüllt.

Sogleich sollte der köstliche Trank ihr eingeflößt werden. Don Geronimo hielt den Augenblick für günstig. Nur mußten zuvor die beiden ältesten und würdigsten Hofdamen sich in die Kapelle begeben, um dort mindestens eine Stunde lang für das Wohlergehen ihrer Herrin, insbesondere für das Gelingen dieser Kur, andächtig zu beten. Ihre Verehrung für den großen Adepten, ihr Glaube an seine überirdischen Kräfte war ohne Grenzen; sie eilten hinab, seinem Verlangen nachzukommen.

Die jüngste der drei Hofdamen, eine Edle von Brück, deren Scheitel unter der perlenbestickten Haube leicht zu ergrauen begann, die aber auf manche Vorrechte der Jugend noch immer nicht verzichten mochte, war bereit, sich mit Junker Ulrich von Lichtenstein ins Nebengemach zurückzuziehen. Wie alle älteren Hofdamen, hatte sie eine besondere Vorliebe für diesen artigen und wackeren jungen Herrn. Immer schon war sie, nach Don Geronimos Rat, bemüht gewesen, den Junker Ulrich auf eine sanfte Art zu bilden und 41 zu belehren. Jetzt fand sie im Nebengemach eine passende Gelegenheit, ihn vertraut zu machen mit den ebenso noblen wie ergötzlichen Gebräuchen einer Parisischen Galanterie.

Als die beiden älteren Hofdamen nach erledigtem Gebet die Gemächer der Herzogin wieder betraten, fanden sie die dort Zurückgebliebene von eitel Fröhlichkeit und Zuversicht erfüllt. Deutlich offenbarte sich, daß ihre Andacht in der Kapelle gute Wirkung getan hatte und wohl ein Cherub vom Himmel unsichtbar in das Gemach der leidenden Herrin herabgestiegen war, sie samt ihrem Ingesinde sichtbarlich zu trösten und zu stärken.

Ehrfurchtsvoll erkundigten sie sich, wie Ihrer Fürstlichen Gnaden das Gold des Don Geronimo gemundet habe.

»Ei, vortrefflich!« erwiderte die Herzogin. »Auf Zucker hat es mir Don Geronimo gereicht. Wundersüß glitt es mir über die Zunge und hat zu selbiger Minute einen neuen Menschen in mir erweckt. Recht oft noch müsset ihr so für mich beten, liebe Frauen; denn jederzeit, wann mir schwach zumute wird, will unser wundertätiger Freund mir von seinem Tränklein zu kosten geben.«

Auch die Edle von Brück und Junker Lichtenstein eiferten für häufige Wiederholung, rieten jedoch, dem Herzog von dem Erfolge der Kur vorderhand nichts 42 zu vermelden, damit er späterhin um so freudiger überrascht werde.

Seltsam war nur, daß bei dieser kräftig fortschreitenden Heilung, davon die Herzogin täglich frischer und rotbackiger, ja an den Gliedern fast rundlich wurde, der hochselige Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige, des Herzogs unglücklicher Ahnherr, mit segnender Hand beteiligt schien.

Wie nämlich erschreckte Wachen sich zuflüsterten, war des hochseligen Kurfürsten Gestalt in Purpurmantel, mit Szepter und Kurhut, ganz so, wie das Bildnis der Ahnengalerie ihn darstellte, zu nächtlicher Stunde mehrfach die matt erleuchteten Gänge entlang gewandelt und regelmäßig in den Gemächern Ihrer Fürstlichen Gnaden verschwunden. Einmal hatte ein Page den Kurfürsten bei Anbruch des Morgens auch eben daher zurück kommen sehen, und zwar sehr eilig, mit verschobenem Kurhut und wehendem Mantel, gleichsam abermals auf der Flucht vor des Kaisers zorniger Majestät.

Das Gemunkel über diesen Spuk drang durch zu allen Bewohnern der Fürstenburg, die teils erschauerten, teils gottlos darob lachten; es drang bis hinauf zu den Ohren des Herzogs.

Johann Casimir entbot den Obristen und die Hauptleute zu sich und ließ sich Bericht erstatten.

»Befehlen Eure Fürstliche Gnaden,« sprach der 43 Obrist Ritter von Stein, »so schieße ich selbst auf das Phantom. Wofern es ein wirkliches Gespenst ist, muß es ja kugelsicher sein. Dann soll die Kugel gern zurück prallen in meine eigene Brust. So es aber ein Mensch ist, ein elender Hundsfott, der sich unterfängt . . .«

»Schweigt mir, Herr Obrist!« unterbrach ihn der Herzog mit gerunzelten Brauen und einer Stimme, in der glühender Ingrimm zu Eis erstarrte. »Ich befehle, daß Ihr nichts dergleichen unternehmt, daß vielmehr die Wachen angewiesen werden, jene Erscheinung anstandslos passieren zu lassen, wohin sie sich auch wende. Was vorgeht in meiner Burg, es geschieht nicht ohne meinen Willen! Selbst Rätsel, Unfug oder Verbrechen finden statt, weil ich sie eine Zeit gewähren lasse und nach meinen Zielen lenke.«

Seitdem gewöhnten sich Hofstaat und Ritterschaft an den Gedanken, daß die hergebrachte Ordnung in der Fürstenburg durch Zauberei wie durch ein neues schrankenloses Wesen aus den Fugen geriet und der Herzog selbst seine fürstliche Gewalt und Ehre suspendiert habe auf unbestimmte Zeit. Das gab ein Beispiel für manch anderen Ehemann und für die Väter lebenslustiger Töchter. Die Zügel der Hauszucht hingen schlaffer; ehrwürdige Grundsätze gerieten ins Wanken.

In Don Geronimos geheimnisvollem 44 Laboratorium gingen neugierige Damen aus und ein. Biedere Wirtinnen und Hausfrauen, nicht minder Edelfräuleins von zartestem Alter, neckische Zofen und dralle Mägde begehrten, eine jede für sich zu gelegener Zeit, von des Herrn Grafen de Camara süßem Saft ein wenig zu naschen. Es war ihm schlechterdings nicht möglich, fernerhin zu tingieren, da er augenscheinlich ganze Flaschen voll des kostbaren aurum potabile an die naschhaften Frauenzimmerchen verschwenden mußte.

 


 

V.

Je näher der Termin heranrückte, an dem Don Geronimo die sechs Millionen produzieren sollte, desto höher stieg das Gold- und Freudenfieber der höfischen Gesellschaft.

Jedermann bewarb sich krampfhaft um die Gunst des Adepten. Die vornehmsten Würdenträger buhlten um seine Freundschaft, suchten ihn mit Ehrenstellen und Auszeichnungen zu bestechen; die Damen schenkten freigebig alles dahin, was er von ihnen verlangte. Jeder wollte, noch bevor der große Goldstrom hervorbräche, sich sein Teil daran sichern; denn konnte man wissen, ob der Strom nicht doch einmal versiegen, dem 45 Meister die mystische Kraft ausgehen werde! Das waren jetzt die reichsten, die fruchtbarsten Wochen! Die galt es auszunutzen, abzuschöpfen von ihnen den luftigen, süßen Schaum.

Wer da glaubte, im Vordertreffen zu stehen und ein Anrecht auf die fettesten Dukatensäcke zu haben, der dachte nicht länger ans Haushalten, sondern verschleuderte, in Erwartung größerer Fülle, sein Hab und Gut für das Evangelium der Freude.

Ein gewaltiges Fressen und Saufen währte ununterbrochen bei Tage und bei Nacht. Niemand begnügte sich mehr mit den sauren heimischen Weinen. Immer seltenere, kostbarere Fässer mußten die Küfer in den Bankettsaal rollen. Nur noch mit Kanariensekt trank man sich unter den Tisch und brachte Lebehochs auf die Reize der Stallmägde in Tokaier aus.

Allzeit berauscht zu sein, ward Ehrensache für die Kavaliere. Sie priesen die Erhabenheit des Rausches als tiefsten Sinn der Welt und rühmten sich seiner als der edelsten Seeleneigenschaft.

Pfui über den, der nicht das Lob der Dirnen sang! Er mußte ein Narr sein oder ein Barbar! Er war verfemt und lächerlich gleich jenen wenigen Hausfrauen, die bei ihren Kindern saßen, statt auf dem Schoße der galanten Junker.

In den Ehen herrschte weitherzige Nachsicht, wenn nicht gar ein einstimmiger Austausch der Werte. Und 46 manche taten mit, nur weil es der feine welsche Ton, die Weisheit des großen Meisters aller Lust gebot. Andere wurden von dem allgemeinen Taumel angesteckt, wiewohl sie sich dagegen sträubten. In den greisen Rittern keimten Johannistriebe; der Kanzler und die trockenen Räte zeigten sich am Audienzsaal wunderlich zerstreut.

Zwischen all diesem trunkenen, zuchtlos erschlafften Gesindel, über all dem Kot, der eitel seine schillernden Blasen trieb, wandelte wie versteinert der Herzog umher, sah und hörte nichts, zeigte keine Empfindung. Wenn es zuweilen schien, als müsse der Ekel ihn packen, so reckte er sich nur, kaum merkbar, zu noch steiferer Hoheit auf und richtete eine herablassende Anrede an irgend einen Trunkenbold oder eine ertappte Ehebrecherin, wodurch er sie für die Umstehenden gleichsam in hellere Beleuchtung rückte und mit dem Fuße auf sie deutete, wie auf einen krepierenden Hund.

Selbstverständlich wüteten die Pastoren in heiligem Zorn. Auf den Kanzeln der Stadt wider Sodom und Gomorrha zu eifern, hatte der Herzog ihnen freilich untersagt, denn schon steckten Bürger und Bauern ihre klobigen Nasen begierig witternd nach dem höfischen Unrat aus. In der Schloßkapelle aber durfte der Oberhofprediger nach Herzenslust sich heiser predigen. Die Sünden beim rechten Namen nennend, sie ausmalend mit üppiger Phantasie, überschrie sich der 47 ehrwürdige Herr und schüttelte in ekstatischer Raserei seine Fäuste über die Rotte Korah, die sich auf ihren rotsamtenen Kirchenstühlen an dem Bilde seiner Ohnmacht weidlich ergötzte.

Das Wohlbefinden Ihrer Fürstlichen Gnaden der Herzogin ließ seit einiger Zeit wieder merkwürdig nach. Es waren Anfälle beunruhigender Natur, von denen sie heimgesucht wurde, Ausbrüche maßlosen Zornes, flüchtige Ohnmachten, Weinkrämpfe, bei denen sie wie ein ungebärdiges Kind die Fäustchen ballte und mit den Füßen strampelte. Augenscheinlich lag es daran, daß ihr Don Geronimo nicht mehr genügend aurum potabile zu kosten gab. Sie merkte gar wohl, daß er die gefüllte Flasche schmählicherweise ihren Untertanen vorbehielt, den Hoffräuleins und den Zofen, während sie selbst mit einigen übrig gebliebenen Tröpflein sich bescheiden mußte.

Doch des Meisters erfinderischer Genius verfiel auf einen anderen heilsamen Zauber.

Als Ihre Fürstlichen Gnaden ihn eines Abends wieder mit heftigen Vorwürfen überschüttete, redete er ihr sänftlich zu, tröstend und erklärend, wie gute Ärzte zu tun pflegen:

»Ihr menget allzu sehr Euer tiefes Gemüt in diese Sache, o teure Herzogin! Der Gottesdienst der Freude will leicht verrichtet sein, wie ein leichtmütig Spiel, nicht als eine wichtige Affäre oder Staatsaktion des 48 Herzens. Habe ich Euch nicht das neue Leben von Anbeginn mit einem luftigen Rosengarten verglichen, darinnen wir als bunte Falter über die Blüten tanzen, bald an diesem, bald an jenem Kelche saugend. wie es uns gerade treibt und lockt? Ihr sagtet damals Ja und Amen, wurdet der ambrosischsten Blumen eine und verlanget jetzt auf einmal einen Schmetterling für Euch allein! Ist das klug? Ist das gerecht? Mit nichten, süße Herzogin! – Indes, damit Ihr erkennet, daß ich auch fürderhin Euer Wohlbefinden besorge, will ich die Kur fortsetzen mit einem neuen Mittel. Abwechselung der Arzeneien ist oft von Nutzen und wird insbesondere Eurem Zustande sicherlich wohltun. – So gebet acht! Ich verbinde Euch magnetisch mit den geheimen Kräften des Herrn Ulrich von Lichtenstein. Seine vis mystica ist jung und unverbraucht. Er kann ein gut Teil Gesundheit an Euch abgeben und wird sich, wie ich ihn kenne, mit Freuden für das Wohl seiner Fürstin opfern.«

Die Herzogin war im ersten Augenblicke von diesem Vorschlag überrascht, sogar ein wenig empört. Doch wußte ihr Don Geronimo die Annehmlichkeiten der veränderten Kur so überzeugend darzustellen, daß sie schließlich mit Feuereifer darauf einging.

Junker Ulrich wurde herbeigerufen. Da er inzwischen mit der Edlen von Brück die Künste der Parisischen Galanterie so emsig geübt hatte, daß er seine 49 Lehrerin selbst darin übertraf, so durfte man betreffs seiner heiklen Aufgabe des Beste von ihm hoffen.

Der Meister begann seinen Zauber ohne viel Umstände und Erläuterungen. Er legte einfach die Hände der beiden in einander, machte kabbalistische Zeichen darüber und murmelte einen seiner Rätselsprüche, in dem, wie gewöhnlich, von der heiligen Dreifaltigkeit die Rede war.

Die Herzogin hielt dabei, geduldig in ihr Schicksal ergeben, das Haupt gesenkt. Junker Ulrich zeigte sich über die Prozedur ziemlich entsetzt. Seine Ehrfurcht vor Ihrer Fürstlichen Gnaden hielt aber noch immer Stand. Bevor er den Adepten um Sinn und Ziel des Zaubers befragen konnte, hatte dieser geräuschlos das Frauengemach verlassen, anscheinend zu früh, denn noch wollte der Zauber nicht wirken.

 


 

VI.

Am Vorabend der großen Goldproduktion veranstaltete Don Geronimo eine Schlittenfahrt. Seine Aufforderung an die dazu gewählten Gäste erging als ein Befehl. Wer davon ausgeschlossen blieb, fühlte sich zurückgesetzt, gedemütigt, wie von dem Mißtrauen seines Souveräns.

50 Denn der Einfluß des Herrn Grafen de Camara war allgemach zur unverhüllten Tyrannei geworden. Man fürchtete, haßte, umwedelte ihn und wagte keine seiner Ordres zu mißachten. War er allein doch die tatsächliche Gewalt am Hofe, Glanz, Reichtum und Lebenslust in einer Person.

Er zog von den Kavalieren nach Laune bald den, bald jenen zu vertrautem Umgang heran, um ihn tags darauf mit Schimpf und Hohn wieder von sich zu stoßen. In diesem beständigen Wechsel der Freunde wie der Freundinnen suchte er am offenkundigsten zu beweisen, ein wie freier, selbstherrlicher Grandseigneur er sei, daß die Vornehmsten sich von ihm erkaufen ließen und seine Beleidigungen nicht zu erwidern wagten.

Die Schlittenfahrt hatte zum Ziele ein kleines Jagdschloß, das etwa eine halbe Stunde vor der Stadt an der Heerstraße lag. Daselbst waren die besten Vorbereitungen für eine gemütliche Orgie in vertrauter Gesellschaft getroffen worden.

Die Kavaliere mit den Damen fuhren voraus, an der Spitze in gedecktem Schlitten die Herzogin zur Seite des Junker Ulrich von Lichtenstein. Don Geronimo, den eine dringende Arbeit noch im Laboratorium festhielt, versprach, sobald als möglich nachzukommen. Doch solle mit dem Bankett nicht auf ihn gewartet werden.

51 Das kleine Fest nahm seinen Verlauf zur allgemeinen Befriedigung. Man schmauste und trank sich voll; man schäkerte und ergötzte sich an galanten Spielen. Die Gemächer des Schlößchens waren mit Betten versehen worden. So konnten die Damen sich zur Ruhe begeben, während diejenigen unter den Herren, die den Trunk bevorzugten, die Nacht hindurch weiter zechten.

Don Geronimo war merkwürdigerweise überhaupt nicht erschienen. Vielleicht hatte er für den bevorstehenden gewichtigen Nachmittag noch allzuviel herzurichten und wollte sich nicht unnütz übernehmen. Nun, die Feste gelangen jetzt auch ohne ihn, wofern nur seine segnende Hand über den geselligen Freuden schwebte.

Am nächsten Morgen fuhren alle unter tollem Hallo zurück zur Fürstenburg, und da man, der Freuden noch lange nicht satt, gerade so schön beisammen war, so beschloß man, auch für heute sich noch nicht zu trennen, sondern weiter des Weines und der Liebe zu pflegen, im Bankettsaal und in den unterschiedlichen trauten Gemächern.

Mit Don Geronimo de Camara jedoch hatte sich folgendes begeben:

Nachdem er abends zuvor das Laboratorium wohl verschlossen, stieg er allein in seinen Schlitten, hinter sich auf der Pritsche den treuesten seiner 52 Kammerdiener, und kutschierte mit den galoppierenden Rossen die Heerstraße entlang, auf das Jagdschloß zu. Ehe er es aber erreichte, bog er auf einen Holzpfad seitwärts in den Wald und gewann erst jenseits des Schlößchens die Straße wieder, immer wilder dahinjagend – bis an die fränkische Grenze.

Wenn er freilich gemeint hatte, er dürfe ohne die Genehmigung Seiner Fürstlichen Gnaden des Herzogs die Landesgrenzen überschreiten, so mußte er jetzt erkennen, daß dies ein Irrtum gewesen war. Denn rechtzeitig warfen sich ihm, kommandiert von einem Hauptmann, zwölf Arkebusiere in den Weg und geleiteten ihn höflich die Heerstraße zurück, vorbei an dem strahlend erleuchteten Schlößchen darinnen er seine Gäste hörte, wieder heim in die Fürstenburg, in seine wohl bewachten Gemächer.

Don Geronimo knirschte mit den Zähnen, gab übrigens auch mehr denn drei verschiedene Erklärungen, warum er – natürlich nur für diese eine Nacht – sich hinüber ins Fränkische habe begeben müssen. Der Hauptmann glaubte ihm auch gerne aufs Wort und bedauerte nur, daß der Herr Graf sich nicht zuvor eines herzoglichen Passierscheines versichert habe.

Nur wenige der Schloßbewohner erfuhren von der veränderten Sachlage, am wenigsten die bacchantischen Festgenossen, die unbekümmert weiter jubelten, in seligem Rausche nach den Pforten stierend, durch die 53 nun jeden Augenblick der große Meister mit einem Sack voll Dukaten eintreten konnte.

Sie erfuhren auch nicht, daß um die Mittagsstunde eine Wache von sechs Arkebusieren im Vorzimmer der Herzogin aufmarschiert war, und daß an Stelle des Don Geronimo jetzt der Obrist vom Stein das Regiment im Schlosse führte.

Obrist vom Stein begehrte Einlaß bei Ihrer Fürstlichen Gnaden, um anzufragen, ob sie vielleicht eine Bestellung habe an ihren erlauchten Gemahl. Er fand jedoch alle Zugänge und Türen verriegelt und postierte darauf je zwei Mann vor jede Tür und in den Hof unter die Fenster.

Er stellte fest, daß sich bei Ihrer Fürstlichen Gnaden nur der Kavalier von Lichtenstein befinde, die Hofdamen jedoch in den Nebengemächern. Eine Weile vernahm er nur unterdrücktes Wehklagen aus dem Munde Ihrer Fürstlichen Gnaden, während Junker von Lichtenstein sich mäuschenstill verhielt.

Dann aber öffnete sich auf gütliches Zureden des Obristen die Tür; der Junker trat mit schlotternden Knieen daraus hervor und überreichte ein versiegeltes Schreiben mit dem Ersuchen, es dem Herzog unverzüglich zuzustellen. Ihre Fürstliche Gnaden selbst blieb unsichtbar; die Türe schloß sich wieder.

Der Herzog befand sich, als er den Brief aus den Händen des Obristen entgegennahm, wie immer, als 54 ob nichts vorgefallen wäre, im Audienzsaal bei seinen Räten. Er erbrach das Siegel und ohne eine Miene zu verziehen las er mit fester, nur ein wenig spöttischer Stimme dem Obristen und den Räten folgendes vor:

»Euer Fürstlichen Gnaden untertänigster und unwürdigster Diener Ulrich von Lichtenstein wirft sich auf Gnade und Ungnade zu Euren Füßen, freiwillig sich bezichtigend und Vergebung erflehend, noch bevor das Urteil gesprochen.

Nicht durch eigenes freventliches Unterfangen hat gräßliche Schuld mich übermannt, sondern durch bösen Zauber, dessen ich mich nimmermehr versehen konnte!

Ich werfe die Schuld des Zaubers auf den Adepten Don Geronimo Scotta, welcher mich einstmalen bei der Hand genommen und zu Eurer erlauchten Gemahlin geführt und allda in Ihrer Fürstlichen Gnaden kleinem Stüblein unsere Hände zusammengegeben, darob ich mich entsetzt und nicht gewußt, wie ich mich darein finden solle; nachdem er seine Spiele mit teuflischen Sprüchen seinem Gebrauch nach getrieben, bin ich alsobald wieder aus dem Stüblein und meiner Wege gegangen.

Nach diesem hat Ihro Fürstliche Gnaden je länger je mehr mich zu sich gezogen, auch im Spielen durch allerlei Reden, Händedrücken und andere dergleichen Gebärden allerlei Anzeigungen von sich 55 gegeben, wozu Ihro Fürstliche Gnaden geneigt sein gewesen, welches alles ich in Wind geschlagen und nicht dergleichen getan, als wenn ich es merkte, und also gemeinet, ich wollte mich überwinden und nicht verführen lassen, wie ich denn noch wenige Wochen zuvor, wie Gott im Himmel weiß, keinerlei Gefallen darob gehabt, auch über solche Versuchungen bei etlichen im Vertrauen mich beschwert habe.

Erst gegen abend bei dem Schlittenfahren, dazu jener Zauberer mich mit Ihro Fürstlichen Gnaden allein unter eine Decke gespannet, habe ich mich mit Gebärden anders wie zuvor gezeiget, bis es endlich so weit gekommen, daß wir beim Spielen ums Küssen mit einander gespielet haben, dabei ich auch eine gute Zeit mich aufgehalten habe, da doch Ihro Fürstliche Gnaden mich mit Trotzbieten vexierten, als hätte ich kein Herz im Leibe und dergleichen.

In Euer Fürstlichen Gnaden Jagdschloß hat nun Eure erlauchte Gemahlin, da sie im Bette gelegen, zu allem Unrat Ursache gegeben, mich selbst wie scherzhaft aus meinem Bette gejaget und endlich ganz und gar unter meine Gewalt sich ergeben. Im Schlitten wiederum und eben noch in ihrem Stüblein, nachdem sie die Kammermägde und Hofdamen wohl abgeschafft, hat sie ein Werk bewiesen, was sie zuvor mit mir geredet, darüber ich Ihro Fürstliche Gnaden zu Gemüt geführet, was uns beiden daraus entstehen möchte, sie 56 aber zur Antwort gegeben, sie wollte es also machen, daß es nicht erfahren werden sollte; habe sie wiederum lange vergeblich warten lassen, aber doch endlich, leider, Gott im Himmel erbarme es! auf ihr vielfältiges Anhalten aus Anstiftung des bösen Geistes Ihrer Fürstlichen Gnaden gewillfahrt.

So Ihr denn, gnädigster Herr Herzog, aus dem allen erkennet, daß gegen Sünde und Schuld ich mich mannhaft gewehret, so wollet mir gnädigst verzeihen, nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach Eurem erlauchten, großmütigen Herzen.

Ew. Fürstlichen Gnaden

unwürdiger Knecht

Ulrich von Lichtenstein.«

Ruhig faltete Johann Casimir das Schreiben zusammen und übergab es dem Kanzler.

»Nehmet und verwahret es wohl! Andere Dokumente werden meinem Ermessen nach folgen. Sie gehören vor das Konsistorium, das Recht zu sprechen hat in dieser Sache. – Fahret nun fort, ihr Herren, in euren Relationen über die Ordnung der Maße und Gewichte! –« 57

 


 

VII.

Noch einmal versammelte der Herzog im Laboratorium seine Ritter, Räte und Münzbeamten um sich, dem Don Geronimo Gelegenheit zu geben zu dem entscheidenden Experiment.

Der Adept sah wohl ein, daß infolge seines nächtlichen Ausfluges die öffentliche Meinung über ihn umgeschlagen sei. Zwar bewahrte er notdürftig den Firnis seiner pompösen Würde. Doch war der südlich braune Teint über Nacht zu einem fahlen Käsgelb gebleicht; fahrig und zitternd tasteten seine schweren Pranken an den Chemikalien herum.

»Seid Ihr der sechs Millionen noch immer sicher?« fragte ihn der Herzog.

»Wer könnte sich solches rühmen, sei es auch der erfahrenste Tausendkünstler! Wie viel unglückliche Zufälle mögen nicht über der Flamme das Werk ab initiis zerstören!«

»Ach, mein Freund, geht es schon dahinaus? Ihr verspracht es mir aber – des sind die Herren hier Zeuge – ich halte mich an Euer Wort.«

Don Geronimo begann nun wohl oder übel seine Operationen, begleitet von dem gespannten, schon nicht mehr gläubigen Lächeln der unbeteiligten Zuschauer. Andere freilich, die ihr gutes Geld im Vertrauen auf seinen Kredit verschleudert, gleichsam Wechsel auf ihn 58 gezogen und seine große Zukunft verwettet hatten, traten besorgt von einem Fuß auf den anderen und befühlten am Gurt ihren leeren Beutel.

Wiederum goß Don Geronimo in das erhitzte Quecksilber mehrere Tropfen seiner Panacee. Dies mal kochte er nicht im Tiegel, sondern in einer gläsernen Phiole. Mitten in der Operation öffnete er diese und tingierte ein Pfund Quecksilber zu seinem Golde. Das Residuum der Phiole erklärte er, dem Herzog »in forma liquida« übergeben zu wollen. Dieses Anerbieten genügte jedoch Johann Casimir keineswegs; kurzweg befahl er dem Meister, auch dieses Residuum in trockener Gestalt herzustellen. Auch ordnete er an, daß jene fünfzehn Gran weiße und vier Gran rote Tinktur, die Don Geronimo ihm nach dem ersten Experiment übergeben hatte, aus der Münzstätte, ihrem Aufbewahrungsort, zu gleichzeitiger Verwendung herbeigebracht würden.

Dem Grafen de Camara wurde es furchtbar schwül. Auf seiner niedrigen Stirne perlte dicker Schweiß, doch glaubten alle zu bemerken, dies sei der nahen Gluten ungeachtet nur kalter Schweiß der Angst.

Mit einem neuen Ausweg hoffte er sich zu retten: er ließ die Phiole abermals einsetzen und erhitzte sie dermaßen, daß sie nach wenigen Minuten zersprang.

Schon lachten dem armen Hexenmeister seine 59 bisherigen Schmeichler und Schmarotzer frech ins Gesicht. Der Herzog zuckte schweigend die Achseln. Don Geronimo schob die Ungeschicklichkeit auf seinen nächtlichen Arrest und die Erregung, in die man ihn ungerechterweise dadurch versetzt.

Jetzt aber trafen, sein Unheil zu vollenden, die beiden versiegelten Büchsen aus der Münzstätte ein. Der Herzog wies die Siegel als unverletzt vor, erbrach sie selbst und öffnete die Büchsen.

Sie waren leer. Don Geronimo hatte dem Herzog eine Attrappe ohne Inhalt zum Geschenk gemacht.

»Auch darin habe ich mich nicht geirrt,« sagte Johann Casimir kühl. »Somit seid Ihr, Meister Geronimo, gar von der Art der wahrhaft dummen Teufel! Euer Gold- und Freudenspiel war nicht nur frech gewagt, nein, auch von Grund aus bäurisch tölpelhaft. Mit etwas bezähmter Gier hätte ein schlauer Kopf die Tage Eurer erhabenen Liederlichkeit um ein Erkleckliches hinausgezogen. Euch sind sie nun verstrichen. Was bleibt dem Freudenmeister von dieser erbärmlichen Spanne Zeit?«

»Ich habe sie nach Vermögen ausgebeutet und viel Genuß davon gehabt!« erwiderte trotzig Don Geronimo.

»Wohl Euch, wenn sie das Ungemach wert war, das jetzt daraus entsteht! – Arkebusiere, nehmt ihn fest!«

60 So ward Don Geronimo de Camara im Augenblick zu einer gefallenen Größe, und in jäher Wut entlud sich über ihn die enttäuschte Hoffnung seiner Kumpane.

Mit einer Woge von Anklagen wider den Abenteurer, den Wüstling, den Gauner umdrängten sie Johann Casimir:

»Euer Fürstliche Gnaden! Uns hat er im Spiele zugrunde gerichtet! Mit falschen Karten hat er uns betrogen!«

»Mir hat er den Sohn verdorben! . . .«

»Und mir zwei Töchter!«

»Eure Krone, Fürstliche Gnaden, hat er öffentlich beschimpft . . .!«

»Eure Erlauchte Gemahlin, Fürstliche Gnaden . . .! Hört mich insgeheim . . .! Ich kann Euch genauestens berichten über seine niederträchtigste Schuld!«

Der Herzog lehnte sich mit verschränkten Armen gegen den Tisch, darauf noch die dürftigen Metallreste umher lagen und wartete gelangweilt, bis der Haufe sich ausgetobt. Wenn er für seinen Hofstaat je nur ein Fünkchen Achtung gehegt, jetzt verlosch es mit der letzten Flamme auf dem Herde des Freudenmeisters.

»Die vornehmsten Trabanten der Frau Venus und des dionysischen Herrn Bacchus fehlen mir noch,« sagte er endlich, wie beschwichtigend. »Man hole sie 61 aus dem Bankettsaal und aus ihren Lotterbetten, ob sie wollen oder nicht. Ich will sie sehen und mich an ihrem Bilde erbauen. Vorwärts! Herein mit dem Geschmeiß!«

Da wankten zunächst die seit vierundzwanzig Stunden trunkenen Kavaliere ins Laboratorium, lallend, gröhlend, halb schon verstört und plötzlich furchtbar ernüchtert von dem beklemmenden Anblicke des Herzogs, der sich so seltsam belustigte, und des Adepten, der zwischen Arkebusieren gefesselt in der Ecke stand.

»Ah, seid mir gegrüßt, ihr Meister des Rausches, Silene und Satyrn, Begleiter des königlichen Bacchus! Wie edelmännisch nehmt ihr euch doch aus im Trott eures weinseligen Herrn! Bemühet euch nicht, ich bitte, bemühet euch nicht, gerade zu stehen und eure rülpsenden Stimmen zu glätten. Seid, wie ihr seid! Laßt eurer innersten Natur den freien Lauf! Herrlich offenbart sie sich in ihrer Freiheit! – Horcht! Horcht! Vernehmet ihr das Geschlürf von Pantöffelchen vor der Tür, ein schamhaftes Widerstreben und flehendes Gegirre? Das sind eure Töchter und Ehefrauen, jetzund edle Mänaden, Priesterinnen eures Gottes und der keuschen Frau Venus! Ich ließ sie durch meine Soldaten aus ihren Kammern heraus komplimentieren, euch zur Augenweide, ihr großen Herren der Lust!«

62 Und sie spazierten herein, die Gemahlinnen und Edelfräuleins, in zierlich leichtem Nachtputz, wehklagend und schimpfend, die Händchen vor das Gesicht geschlagen; in ihrem Gefolge die verliebten Junker, die sich vergebens den Fäusten ihrer Wächter zu entziehen suchten.

»Ich gebe es euch anheim, ihr Herren, ob ihr eure Damen in Gnaden wieder aufnehmen wollt oder sie vor das Konsistorium und die Gerichte stellen, wie ich mit der Meinigen zu tun gedenke. Vorderhand aber erscheint es mir heilsam und belehrend, für jede in flagranti Ertappte, sie im Hofe mit Ruten ausstäupen zu lassen. Ausgenommen die schuldigen Zofen und Mägde, die nur getan haben, was ihres Amtes ist. Diese Küchen und Stallmenscher sind gehalten, zu dienen, je mehr, je besser, in jederlei Gestalt. Die verliebten Herren Junker seien gleichfalls im voraus begnadigt. Sie waren in diesem Handel noch immer nicht die Dümmsten und werden jetzt ohnehin wieder lange Zeit darben müssen.«

Durch diese Verfügung des Herzogs, deren besondere Gnade keiner verkannte, flog der erhabene Lebensrausch auf Schloß Koburg auf Nimmerwiedersehen davon, und die ersten trübseligen Anzeichen eines allgemeinen Hofkatzenjammers stellten sich pünktlich ein.

Ein Kavalier nach dem anderen drückte sich zur 63 Tür hinaus. Ihrem Magen und ihrer Seele war sehr übel geworden. Und als vom Hofe her das Geschrei ihrer gezüchtigten Damen erscholl, fühlten sie weder Stimmung noch Beruf in sich, wider diese Schmach zu murren, die noch viel schlimmer hätte ausfallen können. Wer unter solchen Umständen mit einigen blauen Striemen davonkam, konnte von Glück sagen; in dem verheißenen großen Glück hatte man sich ja doch schmählich getäuscht.

Als letzter verließ Don Geronimo das Laboratorium, abgeführt in sicheren Gewahrsam. Wohl zum ersten Male in seinem abwechselungsreichen Dasein fand er keine Worte. Angesichts der nüchternen Tatsachen versagte seine Lebensweisheit. Keine Maxime mehr, nicht das bescheidenste Paradoxon wollte ihm mehr einfallen. Die gemeine Ordnung der Dinge hatte ihn übertölpelt.

* * *

Der Prozeß gegen den Adepten, der jetzt nur noch bürgerlich Hieronymus Scotus hieß, verlief in vorgeschriebener Form. Nach einer peinlichen Hals- und Gerichtsordnung wurde Hieronymus der Zauberei, des Betruges und des Ehebruches schuldig befunden und zum Tode durch den Strang verurteilt.

Der Galgen, an dem man ihn henkte, war zum Schmucke mit Zindelblech beschlagen, der Delinquent 64 selbst trug eine bunte, mit kabbalistischen Zeichen bemalte Narrenkappe, so daß es ihm trotz stolzierenden Ganges und verächtlicher Mienen nicht gelang, die verlorene Würde im Tode wieder zu finden.

Die Sache seiner Gemahlin übergab Johann Casimir an das Konsistorium, beantragte und erzielte Ehescheidung. In criminalibus ward das Urteil vom Schöffenstuhl zu Jena eingeholt. Es lautete gegen die Herzogin und den Junker von Lichtenstein auf Tod durch das Schwert.

Den Junker begnadigte der Herzog und gab ihm nur auf, unverzüglich zu verschwinden, was Junker Ulrich sich nicht zweimal sagen ließ. Die Strafe der nunmehr wieder Anna von Sachsen genannten Prinzessin verwandelte er in lebenslängliche Haft.

Im Zollhause zu Eisenach vegetierte die allzu lebensfreudige Dame noch viele Jahre hindurch bei dürftiger Kost, übermäßiger Langeweile und schrecklich viel Gebeten. Zu besonderer Verschärfung der Strafe schickte ihr der Herzog alltäglich einen Pastor in die Kammer, einen von der abscheulichsten Sorte, schmierig, blitzdumm und grob, mit einer durch beständiges Predigen bis zur Unmenschlichkeit entwickelten Mundpartie. Er mußte die arme Herzogin jedes Mal so lange anpredigen, bis sie vor Ekel in Weinkrämpfe verfiel.

Dem übrigen Hofstaat war die vom 65 Freudenmeister hervorgerufene Strenge recht gut angeschlagen. Vereinzelt traten wohl noch Räusche auf; doch die Gesamtheit verspürte keinerlei Sehnsucht mehr nach den Gaben des Dionysos und der Aphrodite. Sie löschten künftig mit Maß ihren Durst und waren ihren Ehefrauen zugetan in der Furcht des Herrn.

Ordnung und Sitte, so unbeliebt sie auch blieben, kehrten als notwendige Übel zurück. Nach dem Vorbilde des Herzogs übte sich jedermann in Resignation.

 


 


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