Marie de France
Poetische Erzählungen
Marie de France

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Guildeluec und GuilladunDiese Benennung des Gedichtes ist, wie Marie selbst bemerkt, richtiger als die früher gebräuchliche nach Elidüc.
oder
Das Lied von Eliduc.

             

Von einem Lied aus alten Tagen
Hört' ich bei den Bretonen sagen;
Die ganze Mähre treu beflissen
Verkünd' ich euch nach meinem Wissen.

Ein Ritter war im Land der Briten
Von stolzem Sinn und feinen Sitten,
Herr Elidüc, im ganzen Reich
War ihm kein Held an Kühnheit gleich.
Ein edles Weib war ihm vermählt
Von Stamm und Namen auserwählt.
Sie lebten Beide sonder Leid
In treuer Liebe lange Zeit.
Doch er war Fahrt und Kämpfen hold
Und zog in fremder Herren Sold,
Dort wandt' er sich mit Herz und Sinn
Nach einem Königsfräulein hin,
Schön Guilliadun das war ihr Name,
Im weiten Reich die schönste Dame. 196
Doch seine Hausfrau war genannt
Guildeluec in ihrem Land,
Drum heißt man diese Mähre nun:
Guildeluec ha Guilliadun.

Einst hieß nach Elidüc die Sage,
Doch anders ist's nun heut zu Tage,
Denn ihr sollt selber bald erschaun:
Des Liedes Preis gebührt den Fraun,
Und um die Wahrheit zu ergründen,
Will ich euch Alles treulich künden.

Der Held war von den Lehensmannen
Beim Königshaus der Kleinbritannen;
Treu dient er stets dem edlen Herrn,
Und dieser sah den Ritter gern.
Er ließ ihm Hof und Reich in Handen,
So oft er fuhr nach fremden Landen.
Er durfte jagen durch das Grün,
Da war kein Förster je so kühn,
Daß er den Ritter drob verklagte
Und einmal nur zu murren wagte.
Das war durch seine Tüchtigkeit;
Doch kam ihm bald viel Herzeleid.
Denn wie's auch Andern oft geschah,
Der Neid, der ihn im Glücke sah, 197
Hat ihn verläumdet und geschändet
Und ihm des Königs Huld entwendet:
So ließ der Fürst ihm bald bescheiden,
Von nun an seinen Hof zu meiden.
Der Ritter wußte keinen Grund
Und bat den König manche Stund',
Daß er Vertheid'gung ihm erlaube
Und nicht an Lug und Tücke glaube,
Treu dien' er ihm seit manchen Tagen, –
Doch keine Antwort ward den Klagen.
Er fand den König taub und stumm,
Da wußt' er, seine Zeit sei um.
Er ritt nach Haus gedankenschwer
Und rief die Freunde um sich her,
That ihnen kund, was er erduldet,
Ungnade jäh und unverschuldet.
(Der Bauer sagt's im Spruche frank,
Steht er mit seinem Knecht in Zank,
Daß Herrengunst kein Erb und Lehn.
Drum achten, die es recht verstehn,
Daß ihre Treu dem Herrn verbliebe,
Dem guten Nachbar ihre Liebe.)
Nicht länger lieg' er hier im Lande,
Er ziehe weg nach fremdem Strande,
In Logrien denk' er zu bleiben
Und seine Zeit sich zu vertreiben. 198
Doch seine Frau befahl er dann
Der Treue seiner Mannen an
Und seiner Freunde Rath und Lehre,
Daß sie in stetem Schutze wäre.
Beschlossen ward's in solcher Weise,
Er rüstet reichlich sich zur Reise;
Betrübt schaut man die Freunde stehn,
Als sie so rasch ihn scheiden sehn.
Zehn Ritter giengen ihm zur Seite,
Die Gattin gab ihm das Geleite,
Laut jammert sie im Herzensgram,
Als es darauf zum Abschied kam.
Er tröstet sie mit dem Versprechen,
Ihr niemals seine Treu zu brechen.
Sie schied mit manchem Liebeswort,
Doch er zog seine Straße fort.
Er kam an's Meer, er stieß vom Strand
Und stieg zu Toteneis an's LandToteneis – Totneß am Dart in Devonshire.
Viel Herrn gab's dort zu jener Zeit,
Die lagen unter sich im Streit.
Es saß bei Exeter im Gau
Ein stolzer König alt und grau,
Der nannte keinen Erben sein
Als nur ein einzig Töchterlein.
Ein Nachbar bat um ihre Hand
Und ward unfreundlich heimgesandt, 199
Da kehrt er wieder wohlbewehrt,
Das Reich des Alten ward verheert,
Er selbst im Hofsitz eingeschlossen,
Und keiner seiner Burggenossen
Getraute sich den Kampf zu wagen,
Im Ausfall auf den Feind zu schlagen.

Doch Elidüc vernahm die Mähr,
Zu wandern lüstet ihn nicht mehr:
Krieg, den er suchte, fand er nun
Und denkt im Land sich umzuthun.
Dem König, der in bittrer Noth,
Der hart bedrängt und schwer bedroht,
Will er sich selbst zum Helfer leihn
Und seinen Dienst nach Kräften weihn.
Er schickt ihm Boten denn zur Stund'
Und thut in einem Brief ihm kund,
Er sei gekommen über Meer,
Zu helfen ihm mit guter Wehr,
Doch wenn's ihm nicht gefallen sollte,
Daß er im Dienst ihn halten wollte,
So bitt' er um ein frei Geleit,
Zu suchen auswärts Kampf und Streit.
Der König hielt die Boten werth
Und hielt sie lieb und hochgeehrt,
Den Connetable ließ er holen 200
Und hat ihm hastig anbefohlen,
Ein Gastgeleit sich zu erküren
Und die Barone her zu führen;
Herbergen auch sollt' er erfragen,
Wo man sie pflege nach Behagen,
Und ihnen soviel Schätze spenden,
Als sie nur lüste zu verschwenden.
Das Gastgeleit war schnell zur Hand
Und ward zu Elidüc gesandt,
Der hat es ehrend aufgenommen
Und ist zur Königsstadt gekommen.
Sein Gasthaus wies man ihm sodann
Bei einem braven Bürgersmann,
Der hatte willig ungesäumt
Sein Teppichzimmer ihm geräumt.TeppichzimmerChambre encurtinée, des Hauses, an dessen Wänden die Teppiche, nicht wie unsere Tapeten, dauernd befestigt, sondern nur bei feierlichen Gelegenheiten aufgehangen wurden.
Herr Elidüc hielt große Feste
Und lud dazu als Ehrengäste
Die armen Ritter all in Schaaren,
Die eben in der Burgstadt waren.
Doch seinen Mannen insgemein
Schärft er mit strengen Worten ein,
Daß in den ersten vierzig Tagen
Sie kein Geschenk zu fordern wagen.
Bald, eh der dritte Tag vorbei,
Hub in der Stadt sich das Geschrei:
»Der Feind! Schon füllt er Mann an Mann 201
Ringsum die weite Landschaft an!
Schon rückt er nach der Burgstadt vor,
Noch heut berennt er Thurm und Thor!
Als Eldüc den Lärmen hört,
Der so die Städter aufgestört,
Bewehrt er sich und säumt nicht weiter
Und mit ihm alle seine Reiter.
Noch vierzehn Herrn mit guten Rossen
War'n in der Stadt als Kampfgenossen,
Gefangener ein gutes Theil
Und Andre kaum von Wunden heil.
Die sahn den Gast in Waffen blitzen
Und eilten, selber aufzusitzen,
Um ungemahnt ihn zu begleiten
Und mit ihm vor das Thor zu reiten.
»Herr Ritter, laßt uns mit Euch gehn
Und thun, was wir von Euch ersehn!«
Er dankt und spricht: »Von Herzen gern!
Doch sagt, weiß einer von den Herrn
Wohl einen Engpaß in der Nähe,
Wo man geschützt den Feind erspähe?«
Sie sagten: »Herr, auf unser Wort,
Beim Wald durch jenes Flachsfeld dort
Da läuft ein Hohlweg schmal und enge,
Dort drängt sich oft der Feinde Menge,
Dann fahren sie zum Rauben aus, 202
Ziehn sie auf jenem Weg nach Haus.
Oft sah man's, daß der Trupp im Schritt
Entwappnet auf den Zeltern ritt.
Wenn wir dem Glück uns überlassen
Und mit des Todes Schrecken spassen,
So könnt' es uns vielleicht gelingen,
Sie schmählich dort zum Fall zu bringen.«
Da sprach Herr Elidüc: »Fürwahr,
Mein Wort geb' ich zum Pfande dar,
Wer je sich vor dem Orte scheut,
Wo Tod ihm und Verderben dräut,
Der wird nichts Tüchtiges erjagen,
Noch großen Ruhm zu Lohne tragen.
Der König schenkt euch seine Huld,
Ihr seid ihm rechte Treue schuld.
Kommt mit mir, Herrn,« so rief er laut,
»Und thut, was ihr mich thun erschaut!
Ich schwör's euch zu in Treu und Ehren,
Sie werden uns kein Haar versehren,
So lang ich euch zur Hülfe bin;
Doch was auch sei des Streits Gewinn,
Mit Ruhm wird's unsre Schaar beladen,
Dem Feind in solchem Kampf zu schaden.«
Sie sicherten sich alsobald
Und führten Elidüc zum Wald
Und lauerten beim schmalen Passe, 203
Bis sich der Feind erblicken lasse.
Doch Elidüc zeigt ihnen an
Und unterwies jedweden Mann,
Wie auf den Feind sie reiten sollten,
Und was im Kampf sie rufen wollten.
Bald kehrt darauf der Feind zurück,
Da schreit ihn an Herr Elidüc
Und mahnt die Freunde, in den Schauern
Des Streites mannlich auszudauern,
Mit hartem Streich dem Feind zu lohnen
Und ihrer Keinen zu verschonen.
Bald ward der Gegner wirre Schaar
Zersprengt, zersplittert ganz und gar;
In Kurzem war ihr Stolz vergangen,
Ihr Connetable ward gefangen,
Mit vielen Rittern noch daneben,
Und Knappen in die Hut gegeben.
Die fünfundzwanzig führten dort
Wohl dreißig als Gefangne fort,
Sie fanden Schmuck für Roß und Leute
Und nahmen wunderreiche Beute.
Drauf kehrten sie voll Ruhm und Glück
Vereint nach ihrer Stadt zurück.

Der König auf des Thurmes Dach
Fühlt um die Schaar viel Ungemach; 204
Er fürchtet und beklagt sich bitter
Ob Elidüc, dem fremden Ritter,
Daß er mit trügerischen Thaten
Die Herrn verlassen und verrathen.
Da zog die Schaar von Beute schwer
In gut geschlossnen Reihn daher:
Mehr sah der König heimwärts fahren,
Als aus der Stadt gezogen waren;
Da ward vom Schreck er übermannt,
Er hat die Treuen nicht erkannt.
Die Thore ließ er rasch verrammeln,
Das Volk sich auf den Mauern sammeln,
Sie zu empfahn mit Lanzenwürfen;
Doch dessen wird es nicht bedürfen.
Ein Knappe kommt, den Zaum verhängt,
Der Ritterschaar vorangesprengt
Und meldet, wie der fremde Held
Den Feind gebrochen und gefällt:
Ein solcher Kämpe mag auf Erden
In keinem Land gefunden werden.

Des Königs Herz in Freuden kam,
Als er des Boten Wort vernahm;
Er stieg vom Thurm mit seinem Degen
Und gieng Herrn Elidüc entgegen.
Er hat nicht Lob, noch Dank gespart 205
Für seine kühne Heldenfahrt.
Doch die Gefang'nen unverwandt
Gab Elidüc in seine Hand,
Den Raub vertheilt er an die Leute,
Und nichts behielt er von der Beute
Als nur drei Ritter, die ihr Leben
In seine Siegerhand gegeben;
Das Andre ließ mit vollen Händen
Er Freien und Gefangnen spenden.
Nach dieser That, so sagt die Mähre,
That ihm der Fürst viel Lieb' und Ehre,
Er hielt ihn noch ein ganzes Jahr
Mit seiner tapfern Reiterschaar
Und hat, nachdem er Treu geschworen,
Zum Landesvogt ihn auserkoren.

Herr Elidüc war weis' und gut,
Von mildem Sinn und kühnem Muth;
Die Königstochter hört die Kunde
Und fand sein Lob in jedem Munde.
Da wurde heimlich unerkannt
Ein Kämmerling zu ihm gesandt,
Um ihn zu der Prinzessin Gnaden
Zu Red und Kurzweil einzuladen:
Groß Wunder hab' es sie genommen,
Daß er noch nicht zu ihr gekommen. 206
Und er antwortet ihr im Stillen,
Er handle gern nach ihrem Willen.
So sprang er denn sofort auf's Roß,
Ein Ritter war sein Weggenoß,
Er sucht des Fräuleins Kemenat;
Doch eh' er in die Thüre trat,
Schickt er den Kämmerling hinein
Und wandelt sachte hinterdrein.
Bald kam der Kämmerer zurück,
Zum Fräulein gieng Herr Elidüc.
Mit Anstand redet er zu ihr,
In Blicken hold, in Worten zier,
Gar freundlich war sein ganzes Thun;
Er dankt der schönen Guilliadun,
Daß sie so güt'gen Sinns gewesen,
Ihn zur Gesellschaft auszulesen.
Sie aber führt ihn bei der Hand
Zum Sitze an des Bettes Rand;
Gar Manches sprach der kühne Mann,
Das Fräulein saß und blickt' ihn an,
Der Züge Reiz, der Glieder Adel, –
Sie fand ihn ohne Fehl und Tadel.
Sie hieng an ihm, in ihre Sinne
Fiel jäh das Aufgebot der Minne:
Den liebe du und keinen mehr! –
Doch sie ward blaß und seufzte schwer. 207
Nicht sagen will sie, was sie kränke,
Daß er nicht Schlimmes von ihr denke.
Gar gute Weile blieb er dort,
Dann Urlaub heischend gieng er fort.
Sie hielt' ihn noch von Herzen gern, –
Doch sie entließ den edlen Herrn.
Zu seiner Herberg gieng er heim,
Im Herzen trüber Sorge Keim:
Es strebt sein aufgeregter Sinn
Nach seines Königs Tochter hin,
Die ihn so liebevoll empfangen,
Ihr Seufzen war ihm nicht entgangen.
Ihn reut, daß er so manchen Tag
In ihres Vaters Lande lag,
Bevor sie ihm zu Augen kam;
Doch ob der Reue faßt ihn Scham.
Er denkt des Weibes, der beim Scheiden
Er angelobt mit theuren Eiden,
Die Treu zu halten fest und rein
Und stets in ihrem Lehn zu sein.

Doch Guilliadun begann zu denken,
Dem Ritter ihre Huld zu schenken.
So stand bei ihr kein Mann in Ehren,
Sein Minnedienst war ihr Begehren.
Drum ward von ihr die lange Nacht 208
Mit offnen Augen hingewacht;
Sie hob sich, als der Tag begann,
Und rief den Kämmerling heran,
Sie führt an's Fenster ihn bei Seit',
Erzählt ihm ihre Heimlichkeit.
»Weh mir!« so sprach sie, »Weh vor Allen!
Ich bin in schlimmes Leid gefallen!
Dem Herrn in meines Vaters Sold,
Dem fremden Ritter bin ich hold.
Nicht Ruhe kommt in meine Glieder,
Noch Schlaf auf meine Augenlider.
Will er in Lieb' sich zu mir wenden
Und Leib und Seele mir verpfänden,
So geb ich ganz mich ihm dahin,
Und ihm bringt's reichlichen Gewinn:
Er wird einst König hier zu Land,
Denn er ist tapfer und gewandt.
Doch kann sein Herz ich nicht erwerben,
Muß ich verschmachten und verderben.«
Drauf als der Kämmerling gehört,
Was seiner Dame Sinn verstört,
Gab seinen Rath er ohne Trug;
Darum schilt Niemand ihn mit Fug.
»Nun, Herrin, raubt's Euch so die Ruh,
So schickt ihm eine Botschaft zu
Und ein Geschenk, wenn auch gering, 209
Sei's Litze, Gürtel oder Ring.
Freut Euer Gruß den edlen Herrn,
Empfängt er Eure Gabe gern,
Dann zweifelt nicht, daß er Euch liebt.
Glaubt, daß es keinen Kaiser giebt,
Dem der Gedanke Eurer Minne
Nicht Freude bringt in Herz und Sinne.«
Das Fräulein hört des Dieners Wort,
Und Antwort gab sie ihm sofort:
»Wie weiß ich es durch meine Gabe,
Daß er im Sinn mein Minnen habe?
Es lebt kein Ritter, wie ich denke,
Der, – schickt ihm irgendwer Geschenke,
Mag er nun lieben oder hassen, –
Sich lang darum wird bitten lassen,
Sie anzunehmen unbesehn;
Nur heft'ger Groll wird drüber schmähn.
Jedennoch wird aus dem Gebahren
Wohl manchen Mannes Sinn erfahren.
Drum sei bereit! Geh zu ihm hin!« –
»Ich bin bereit, Gebieterin!« –
»Bring ihm den Ring in schnellem Schritt
Und nimm noch meinen Gürtel mit!
Bring's ihm von mir mit tausend Grüßen!«
Er eilt hinweg auf flinken Füßen.
Sie folgt ihm an der Treppe Stufen, 210
Um hastig ihn zurückzurufen,
Jedoch sie schweigt und läßt ihn gehn;
Dann bleibt sie händeringend stehn:
»Weh, wie ist all mein Herz entbrannt
Für diesen Mann aus fremdem Land!
Nicht weiß ich, von Begier entflammt,
Ob er aus edlem Blut entstammt,
Noch, wann er wieder mit den Mannen
Auf Abenteuer zieht von dannen.
Dann sitz' ich hier in Qual verloren,
Die Liebe macht mich recht zum Thoren.
Erst gestern kam er mir zu Sinne,
Heut bitt' ich ihn um seine Minne.
Er wird mich schelten, weh mir Armen!
Doch ist er gut, fühlt er Erbarmen.
Ich gab mein Glück dem Zufall hin:
Wohnt Liebe nicht in seinem Sinn,
So ist mein Leben freudenbar
Und elend, ach, auf immerdar!«

Indeß sie klagt in trübem Muth,
Hat ihr Vertrauter nicht geruht;
Er war zum Ritter hingeeilt
Und sagt ihm heimlich unverweilt
Den Gruß, den ihm die Frau gesandt,
Legt ihm das Ringlein in die Hand 211
Und giebt den Gürtel ihm zu eigen;
Da dankt Herr Elidüc mit Neigen,
Er steckt das Ringlein an den Finger
Und sagt kein Wort dem Ueberbringer,
Er gürtet sich die Borte um,
Der Kämm'rer stand betrachtend stumm;
Viel Gold bot ihm der Ritter an,
Ablehnend schied der treue Mann.
Zu seinem Fräulein trat er ein,
Die seiner harrt im Kämmerlein,
Er grüßt sie von Herrn Elidüc
Und bringt ihr seinen Dank zurück.
»Sag an! Du darfst mir's nicht verhehlen:
Will er zu seinem Lieb mich wählen?«
Der Kämm'rer sprach: »Dran zweifl' ich nicht!
Zwar ruhig blieb sein Angesicht;
Doch er ist klug, daß er mit Fleiß
Sein Innerstes zu bergen weiß.
Ich, wie es Euer Wille war,
Bracht' ihm Geschenk' und Grüße dar.
Er nahm den Gurt mit beiden Händen
Und schnürte fest ihn um die Lenden,
Das Ringlein steckt er an sofort;
Doch weiter sprachen wir kein Wort.« –
»Empfieng er's nicht als Liebesgabe?
Weh mir, so bringt es mich zu Grabe!« 212
»Ich weiß nicht, edle Frau! Doch traun,
Ihr mögt auf meine Worte baun:
Wär Euch sein Sinn nicht ganz zum Frommen,
So hätt' er nichts von Euch genommen.«
»Dein Wort ist sonder viel Gewicht!
Das weiß ich wohl: er haßt mich nicht.
Ich that ihm niemals was zu Leid,
Als daß ich ihm mein Herz geweiht,
Und wollt' er dieß mir nicht vergeben,
Verdient' er wahrlich nicht zu leben.
Nicht thu ich mehr durch fremden Mund
Dem theuren Mann mein Sehnen kund,
Nein selbst will ich ihm Alles sagen
Und ihm das Weh der Liebe klagen.
Nur macht die Sorge mich verwirrt,
Ob er im Lande bleiben wird.«
»Frau,« sprach der Kämm'rer, »sorget nicht!
Er steht in Eures Vaters Pflicht,
Dem bot er auf ein ganzes Jahr
Sich eidlich zum Gehülfen dar,
Und Muße findet Ihr in Fülle,
Daß Euer Herz sich ihm enthülle!«
Sie hört mit freudiger Geberde,
Daß er im Lande bleiben werde,
Sie jubelt drob in ihrem Herzen 213
Und ahnet nicht die heißen Schmerzen,
Die er bekämpft, seit er sie sah;
Denn keine Freude kommt ihm nah,
Als wenn an ihr sein Sinnen hängt,
Und das ist, was sein Herz bedrängt.
Denn seiner Frau that er den Schwur,
Als er aus seiner Heimat fuhr,
Nach keiner Andern zu verlangen;
Nun aber ist sein Herz gefangen.
Treu will er sein in allen Dingen;
Doch wie er mag dagegen ringen,
Nicht will in ihm die Liebe ruhn
Zur Königstochter Guilliadun.
Er will sie sehn, er will ihr nahn,
Er will sie küssen und umfahn,
Jedoch es deucht ihm schlimme Sitte,
Daß er um ihre Liebe bitte.
Recht dünkt ihm, daß er seinem Weibe
Und seinem Dienstherrn treu verbleibe.
Als so die Sorgen ihn beschwerten,
Rief er nach seinen Kampfgefährten,
Er schwang mit ihnen sich zu Roß
Und sprengte nach des Königs Schloß.
Es trieb ihn sein erregter Sinn
Nach der Geliebten Anblick hin. 214
Der König saß nach Tisch beim Schach
In seiner Tochter Wohngemach
Mit einem Herrn von hohem Stand,
Der heim kam aus dem heil'gen Land;
Das Fräulein auch blieb bei ihm stehn
Um lernbegierig zuzusehn.
Gar freundlich blickt der König da,
Als er den Ritter kommen sah.
Er lud ihn rasch zum Sitzen ein
Und sprach zu seinem Töchterlein:
»Kommt, Fräulein, diesem edlen Degen
Mit Zucht und Höflichkeit entgegen
Und haltet ihn an Ehren reich,
Es leben wenig, die ihm gleich!«
Das Fräulein hörte sonder Qual,
Was der Herr Vater ihr befahl;
Es lacht ihr Herz ob dem Begehr,
Sie ruft den Ritter zu sich her.
Sie sitzen abseits stumm beisammen,
Die Herzen glühn, die Augen flammen,
Sie fürchtet sich, ihn anzusprechen,
Er wagt das Schweigen nicht zu brechen.
Doch endlich dankt er für die Gabe
Und spricht: »Nie ward mir liebre Habe,
Als ich von Eurer Huld gewann!« –
Da hub das Kind zu sprechen an: 215
»Nach Euch ist all mein Sinn gewandt,
Drum hab ich Euch den Ring gesandt;
Mein Leib ist ganz in Eurer Macht,
Drum ward mein Gürtel Euch gebracht.
Ich lieb' auf Erden Euch allein,
Drum sollt' Ihr mein Gebieter sein,
Und werd ich nimmer Euch gehören,
So will ich's wahrlich hier beschwören,
Daß mein kein andrer Mann genießt!
Nun sagt, was Euer Herz beschließt!« –
»Dank, Dame!« sprach er, »sicherlich,
Ob Eurer Minne freu' ich mich!
Und traun, nach meiner Sehnsucht Pein
Darf ich mit Fug in Freuden sein!
Mit kurzem Wort: Ich bin Euch hold.
Ich bleib' in Eures Vaters Sold,
So schwur ich ihm mit hohen Eiden,
Dies Jahr mich nicht von ihm zu scheiden,
Bis wir den Gegner übermannt;
Dann kehr' ich in mein Vaterland,
Denn länger denk' ich nicht zu weilen,
Wenn Ihr mir Urlaub wollt ertheilen.«
Das Fräulein aber sprach zurück:
»Ich dank Euch, lieber Elidüc!
Ihr seid zu edel, mich zu kränken,
Zu klug, um nicht vorauszudenken, 216
Was dann mit mir geschehen soll:
Ich geb' mich Euch vertrauensvoll.«
Sie wechselten ihr Wort zum Pfand,
Drauf hat er heimwärts sich gewandt.
Nach Hause kam Herr Elidüc
In der erfüllten Wünsche Glück.
Er sah die Holde manche Stund;
Herzinnig war ihr Liebesbund.

So nahm er sich des Krieges an,
Bis er zuletzt den Sieg gewann,
Den Feind gefangen nahm im Streite
Und so das ganze Land befreite.
Man pries den Helden allerwärts,
Sein weises Haupt, sein mildes Herz:
In Glück und Freuden lebt' er da.
Doch in der Zeit, als dieß geschah,
Da schickt sein Lehnsherr über Meer
Drei Boten, ihn zu suchen, her;
Der war in Schaden und in Leid,
Bedrängt und mit sich selbst entzweit:
Der Feind war ihm in's Land gekommen
Und hatt' ihm Schloß für Schloß genommen.
Oft warf er sich voll Reue vor,
Daß er den treusten Mann verlor.
Ein böser Rath hat ihn geraubt, 217
Dem er zu seinem Gram geglaubt;
Die Schurken, die den Rath gespendet,
Den Herrn verleumdet und geschändet,
Hat er gejagt aus Hof und Land,
Hat er auf immerdar verbannt.
Nun schickt er ihm sein Aufgebot,
Und er beschwört ihn in der Noth
Beim Bunde, den sie eingegangen,
Als seinen Lehnseid er empfangen
Nicht länger auswärts mehr zu weilen
Und ihm zum Schutz herbeizueilen. –
Der Ritter hört die neue Mähr
Und grämt sich für das Fräulein sehr,
Denn er war treulich ihr ergeben,
Und sie liebt ihn mehr als ihr Leben.
Doch stets erhielten sie sich rein
Von lüstern süßen Spielerein,
In Plaudern und in holden Mienen
Und mit Geschenken sich zu dienen, –
Darin nur that ihr Herz sich kund,
Voll echter Liebe war ihr Bund.
Das war ihr Sehnen und ihr Sinnen,
Ihn ganz und einzig zu gewinnen;
Von Hoffnung war der Wunsch beseelt, –
Sie wußte nicht, daß er vermählt.
»Weh!« rief der Ritter, »wehe mir! 218
Zu lange blieb im Land ich hier.
Weh, daß ich diese Gegend sah,
Denn eine Jungfrau lieb ich da,
Schön Guilliadun, das Königskind,
Das mir so treu und hold gesinnt.
Und soll ich von der Liebsten scheiden,
Muß eins von uns den Tod erleiden,
Wenn wir nicht beide gar vergehn;
Und dennoch muß es jetzt geschehn!
Mein Lehnsherr, der sein Land verloren,
Hat mich bei meinem Eid beschworen,
Und drüben harrt die Gattin mein.
Nun gilt es, auf der Hut zu sein!
Ich kann nicht bleiben hier am Ort,
Ich muß durchaus bei Zeiten fort;
Und wollt' ich mir mein Lieb vermählen,
Würd' ich am Glauben mich verfehlen.
Wohin ich blicke, seh ich Leiden:
Ach Gott, wie schwer wird mir mein Scheiden!
Doch wie man mich auch schmähen kann,
Ich sag' ihr all mein Denken an.
(Nach ihrem Rathe wähl ich nun,
Ich will ihr ganz nach Willen thun).
Ihr Vater herrscht im Frieden still,
Kein Feind lebt, der ihm schaden will.
Mein Herr und König ist bedroht, 219
Und darum zwingt mich seine Noth,
Urlaub zu heischen vor dem Tag,
An dem zu Ende der Vertrag.
Nicht darf's der Liebsten ich verschweigen.
Ich geh, ihr Alles anzuzeigen;
Sie wird mir ihren Wunsch enthüllen
Und ich nach Kräften ihn erfüllen.«

Er zaudert drauf nicht länger mehr
Und sagt dem König sein Begehr,
Verkündet ihm, was er vernommen,
Und liest den Brief, den er bekommen.
Nachdenklich war der Fürst sodann
Und bot ihm reiche Gabe an;
Sein ganzer Schatz sei für ihn feil
Und seines Erblands dritter Theil,
Er bot die herrlichsten Geschenke,
Daß er nicht mehr an's Scheiden denke.
»Traun,« sprach der Held, »für dieses Mal,
Da mir's mein Lehnsherr anbefahl,
Da er in Noth um Leut' und Land
Und gar so weit nach mir gesandt,
Will ich ihm doch zu Hülfe eilen;
Doch braucht Ihr mich, werd' ich nicht weilen:
Ich kehr' in Euren Dienst fürwahr
Mit einer großen Ritterschaar!« 220
Der König dankt dem edlen Herrn
Und giebt ihm nun den Urlaub gern;
Er schwört, es steh' ihm Alles frei,
Was Köstliches im Hause sei,
So Gold wie Silber, Roß wie Hund,
Und Seidenstoffe fein und bunt.
Er nimmt davon bescheidentlich,
Dann vor dem König neigt er sich
Und spricht, er möcht' es gerne wagen,
Dem Fräulein Lebewohl zu sagen.
Der König sprach: »Das freut mich sehr!
Und einen Pagen rief er her,
Daß er ihn zu dem Fräulein führe;
Der öffnet Elidüc die Thüre.
Bei seinem Anblick lacht die Süße
Und sagt ihm tausend holde Grüße;
Er spricht vom Brief, den er empfangen,
Und daß nach Urlaub sein Verlangen.
Doch eh' er Alles ihr gesagt
Und sie um ihren Rath gefragt,
Hat Ohnmacht ihren Sinn umfangen,
Und jäh verblichen ihre Wangen.
Der Ritter hob sie von der Erde
Mit herber, jammernder Geberde,
Küßt oftmals ihren stillen Mund
Und weint aus vollem Herzensgrund; 221
Er hielt mit Armen sie umschlungen,
Bis neues Leben sie durchdrungen.
»Mein süßes Lieb, um Gottes Huld!
Hört meine Worte mit Geduld!
Du bist mein Sein, mein Tod bist du,
In dir kommt all mein Leid zur Ruh!
Wir sind vereint für's ganze Leben,
Drum sollst du deinen Rath mir geben.
Heim muß ich in mein Lehensland,
Dein Vater hat mich schon entsandt.
Doch wie sich auch mein Loos mag wandeln,
Nach deinem Willen werd' ich handeln,«
Das Fräulein sprach: »Bleibst du nicht hier,
So nimm mich mit, ich geh mit dir,
Und thust du's nicht, so will ich sterben,
Denn all mein Glück fällt in's Verderben.«
Sanft sprach Herr Elidüc darein:
»Ich bleib' in fester Treue dein!
Drum, süßes Lieb, verzage nicht!
Ich steh in deines Vaters Pflicht,
Und führ' ich dich mit mir davon,
Brech' ich mein Wort in Schand' und Hohn.
Doch bis zu unsrer Trennung Ende
Leg ich den Schwur in deine Hände:
Willst du mir Urlaub zuerkennen
Und einen festen Tag mir nennen, 222
An dem du mich zurückverlangst,
So heg' vor keinem Hemmniß Angst, –
Sofern ich heil bin, komm ich wieder,
Und dir verpfänd' ich Seel' und Glieder!«
Sie folgte, weil er drauf bestand,
Und hat ihm einen Tag genannt,
An dem er wieder sollt' erscheinen.
Ihr Abschied war ein bittres Weinen;
Goldringlein wechselten die Beiden
Und küßten zärtlich sich beim Scheiden.

Er gieng zum nächsten Hafenort
Und fuhr mit günst'gen Winden fort.
Dem Lehnsherrn war sein Leid benommen,
Als Elidüc ins Land gekommen,
So seinen Freunden und Verwandten
Und Allen, die den Helden kannten.
Am frohsten war sein gutes Weib
Von weisem Sinn und schönem Leib.
Doch geht er immer in Gedanken,
Davon ihm Kopf und Busen kranken,
Bei keinem Anblick kommt ein Licht
Der Freude auf sein Angesicht,
Denn alles Glück wird ihm zergehn,
Bis er sein Lieb mag wiedersehn.
Stets wandelt er in Einsamkeit, 223
Das schuf dem Herz der Gattin Leid.
Nicht wußte sie, was in ihn kam,
Und klagt bei sich in stillem Gram.
Sie fragt ihn oft, was ihn verstört,
Ob er Verleumdung wo gehört,
Daß sie nicht treu an ihm gehangen,
Seit er in's fremde Land gegangen;
Sie rufe, wenn es ihm gefalle,
Zu Zeugen seine Diener alle.
»Frau,« sprach er, »Niemand dürfte wagen,
Euch übler Sitten anzuklagen.
Doch in dem Lande, wo ich war,
Gab ich mein Wort dem König dar,
Der Alles setzt auf meine Kraft, –
Sobald ich Frieden hier geschafft,
Nicht eine Woche still zu liegen
Und schnell zu seinem Schutz zu fliegen.
Mein harrt gar mancherlei Beschwerde,
Bis ich zur Rückfahrt ledig werde,
Und eh ich nicht zurückgekehrt,
Dünkt mich kein Ding der Freude werth:
So ängstet's mich, mein Wort zu brechen.« –
Da mied die Frau, davon zu sprechen.

Bei seinem Lehnsherrn war der Held
Und half ihm viel in Rath und Feld, 224
Er zog durch's Land die Kreuz und Quer
Als königlicher Vogt umher;
Doch näher kam der Zeitpunkt jetzt,
Den ihm das Fräulein festgesetzt;
Da unterhandelt er um Frieden
Und hat den langen Streit geschieden.
Dann rüstet er sich wegzuziehn,
Nur Wenige begleiten ihn:
Zwei Neffen, die ihm hold und werth,
Ein Kämm'rer, der sich treu bewährt
(Er war im Liebesrath gewesen
Und oft zum Boten auserlesen),
Und ihre Knappen noch allein,
Sonst sollte Niemand bei ihm sein.
Sie wurden gegen Pfand und Eid
In sein Geheimniß eingeweiht.

Er geht zu Schiff, er pflegt nicht Rast,
Hinüber fahren sie mit Hast;
Er kommt in's Land mit seiner Schaar,
Wo er so lang erwartet war.
Er wählt sich ein entlegnes Haus
Dem Hafen fern zur Herberg aus.
Er thut das kluger Listen voll,
Daß Niemand ihn erkennen soll.
Dann ward der Kämm'rer unverwandt 225
Zum Königsfräulein abgesandt,
Zu melden, daß er sich erprobt,
Und daß er kam, wie er gelobt,
Sie möge nach des Tags Erbleichen
Sich heimlich aus dem Thore schleichen
Und ganz dem Boten sich vertraun,
Er werde kommen, sie zu schaun.
Der Kämm'rer in verstellter Tracht
Hat sich zu Fuß nun aufgemacht;
Er gieng geraden Weges hin
Zur Stadt der jungen Königin
Und hat sich rüstig umgethan,
Bis er der Kammer durfte nahn;
Dort kniet er zu des Fräuleins Füßen,
Von ihrem Freunde sie zu grüßen;
Sie hört es, und in Weh und Lust
Erschrak das Herz in ihrer Brust;
Sie weint vor Wonnen licht und weich
Und küßt den Boten freudenreich.
Er bat sie drauf, mit ihm zu kommen,
Sobald des Tages Licht verglommen.
So blieb es bis zur Dämmerzeit,
Sie machte sich zum Weg bereit,
Und Abends durch die dunkeln Gassen
Hat sie mit ihm die Stadt verlassen;
Der Kämm'rer führt sie ganz allein, 226
Und Niemand war sonst mit den Zwein.
Ihr Busen war von Angst erfüllt.
Sie gieng in Seide ganz verhüllt,
Bedeckt mit dichten Stickerein,
Und trug ein faltig Mäntelein.
Auf einen Bogenschuß vom Thor
Ragt schattiges Gehölz empor,
Ein schöner Park mit Wildgehege,
Dort harrt ihr Freund abseits vom Wege.
Bald war sie mit dem Führer hie,
Er sprang zu ihr und küßte sie,
Der beiden Herz war freudenhell,
Er schwang sie auf ein Rößlein schnell,
Sprang selbst zu Pferd, nahm ihre Zügel
Und ritt davon, als hätt' er Flügel.
Er kam nach Toteneis zum Port,
Zu Schiffe stiegen sie sofort,
Dort war er und sein Troß allein
Und Guilliadun das Mägdelein.
Still war das Wetter, gut der Wind,
Die Fahrt gieng sicher und geschwind,
Doch als sie dachten bald zu landen,
Begann die glatte Fluth zu branden,
Ein Sturm kam gegen sie daher
Und warf sie weit zurück in's Meer,
Die Segel wurden ganz zerrissen, 227
Der Mast gebrochen und zerschlissen.
Sie flehn zu Gott ohn Unterlaß,
Zu Clemens und Sankt Nicolas,
Zu Frau Marie, der Gnadenreichen,
Den Sohn mit Bitten zu erweichen,
Daß er den Armen Beistand schenke
Und sie zum sichern Hafen lenke.
Ihr Schifflein treibt dem Land entlang,
Bald vor-, bald rückwärts schwankt sein Gang,
Schon naht ihr Tod im Sturmesgrimme,
Ein Schiffsjung ruft mit lauter Stimme:
»Was thun wir, Herr? Wer wird uns schützen?
Was kann Gebet und Arbeit nützen,
So lang Ihr die noch hegt und pflegt,
Die einzig diesen Sturm erregt.
Ihr habt ein Ehweib lange schon
Und führt die Andre nun davon,
Ihr wagtet gegen Recht und Glauben
Zum Hohne Gottes sie zu rauben –
Drum laßt sie werfen in die See,
Und rasch wird enden unser Weh!«
Als Elidüc die Worte hört,
Wird ihm das Herz von Zorn empört.
»Schweig, Hundesohn!« so wüthet er,
»Still, du Verräther! Sprich nicht mehr!
Und hielt ich nicht mein Lieb im Arme, 228
Es würde schleunigst dir zum Harme!«
Er hat bis jetzt ihr Haupt gekost
Und sprach ihr für das Uebel Trost.
Das auf dem Meer sie angekommen.
Doch als die Kunde sie vernommen,
Daß dieser Mann, der sie entführt,
Ein andres Weib sich schon erkürt,
Da ward sie bleich, ihr schwand der Sinn,
Und vorwärts stürzt sie leblos hin.
Sie liegt auf ihrem Angesicht
Und wacht nicht auf und athmet nicht;
Doch Elidüc in Herzensnoth,
Er blickt sie an und glaubt sie todt:
Voll Schmerz und wilder Zorneskraft
Hat er ein Ruder aufgerafft
Und giebt dem Jungen einen Schlag,
Davon er stumm am Boden lag.
Beim Fuße warf er ihn hinaus,
Der Leib trieb hin im Wellenbraus.
Dann aber faßt der grimme Mann
Mit kräft'ger Hand das Steuer an,
Und lenkt und hält das Schiff mit Macht,
Bis er's zum Hafen eingebracht.
Sie warfen Anker unverwandt,
Und ihre Brücke fiel auf's Land.
Noch lag das Fräulein still und bleich, 229
Von Anblick einer Todten gleich.
Doch Elidüc klagt schmerzbeklommen,
Der eigne Tod wär' ihm willkommen.
Er ruft die Freunde Mann für Mann
Um ihren Rath und Beistand an,
Wohin sein Lieb er bringen solle,
Da er sie nicht verlassen wolle;
Recht sei's, daß in geweihter Erde
Ihr holder Leib bestattet werde,
Mit Hochamt und mit Ehr und Prangen,
Wie Königskinder es verlangen.
Doch rathlos standen in'sgemein
Die Freunde und die Diener sein.
Und Elidüc begann zu denken,
Wohin er soll die Schritte lenken:
Unfern dem Meer lag seine Veste,
Dorthin zu gehn, schien ihm das Beste.
Die Burg umschloß ein Tannengrund
Wohl dreißig Meilen in der Rund',
Und dort an abgelegner Stelle
Lag eine kleine Waldkapelle,
Drin wohnt' ein Klausner vierzig Jahr,
Bei dem er oft zu Gaste war.
»Ihm bringen wir die Todte nun,
In seinem Kirchlein mag sie ruhn,
Von meinen Gütern werd' ich geben, 230
Ein Kloster soll sich dort erheben,
Das füll' ich mir von nah und fern
Mit Nonnen oder Klosterherrn,
Die sollen beten Nacht und Tag,
Daß Gott ihr gnädig werden mag.«
Dann rief der Ritter nach den Rossen,
Aufsitzen hieß er die Genossen.
Doch Elidüc befahl zuvor,
Daß Jeder nochmals Treue schwor.
Dann ritt er fort von Leid beschwert,
Die Leiche vor sich auf dem Pferd.
Auf gradem Weg erreichte bald
Der Reiterzug den tiefen Wald,
Sie hielten vor des Kirchleins Stufen
Und pochten lang mit lautem Rufen, –
Doch keine Antwort klingt hervor
Und keine Hand erschließt das Thor.
Durch's Fenster steigt ein Mann vom Troß,
Von innen öffnet er das Schloß.
Acht Tage waren's, daß im Frieden
Der alte heil'ge Mann verschieden,
Davon das frischgehäufte Grab
Dem trüben Helden Kunde gab.
Die Andern wählten nun im Haus
Den Ort zur Gruft des Fräuleins aus,
Um gleich den Spaten anzulegen; 231
Doch er sprach: »Laßt es unterwegen,
Bis ich in meinen Rath besandt
Die weisen Männer hie zu Land,
Ob's Münster oder Kloster wäre,
Was diesen Ort am besten ehre.
Drum legt mein Lieb vor den Altar
Im Gottes Hut und seiner Schaar!«
Ein Lager breiten sie sogleich
Aus Prachtgewanden bunt und weich,
Drauf legt die Maid Herr Elidüc
Und läßt als Todte sie zurück.
Doch wie es an ein Scheiden kam,
Da brach ihm schier das Herz vor Gram,
Er küßt ihr Aug' und Angesicht
Und rief: »Der Himmel woll' es nicht,
Daß ich je wieder Waffen trage,
Noch in der Welt zu leben wage.
Weh, Lieb, daß je du mich erschaut,
Weh, daß du arglos mir vertraut!
Nun wärst zur Fürstin du erlesen,
Wär nicht dein Herz so treu gewesen,
Dein Herz, das ganz mein eigen war!
Nun muß ich jammern immerdar.
Wenn wir zu Grabe dich getragen,
Werd' ich als Mönch der Welt entsagen, 232
Und täglich sollen diese Hallen
Von meinem Schmerze widerschallen.«

Er riß sich los von ihrem Bette,
Verschloß dann die geweihte Stätte,
Und seiner Ehefrau nach Haus
Schickt einen Boten er voraus,
Zu künden, daß er kommen werde,
Doch matt von Mühsal und Beschwerde.
Sie freut sich ob des Gatten Nahn
Und rüstet sich, ihn zu empfahn,
Sie eilt ihm liebevoll entgegen,
Doch bringt sein Kommen wenig Segen.
Nie ward sein Antlitz aufgeklärt,
Er hielt kein Wort des Redens werth,
Und Niemand wagt ihm eine Frage.
So blieb er dort zwei trübe Tage,
Die Messe hört er frühe schon,
Dann macht er einsam sich davon,
Gieng durch den Wald zur heil'gen Stätte
Zu seines Liebchens Ruhebette.
Sie lag noch immer leblos hier,
Kein Athem regte sich in ihr,
Doch Eines dünkt ihm wunderbar,
Daß sie noch weiß und rosig war,
Die Farbe war ihr nicht entwichen, 233
Nur daß ein wenig sie verblichen,
Er weint um sie und betet lange,
Daß Gott in Gnaden sie empfange,
Und ist's gethan, so steht er auf
Und wendet heimwärts seinen Lauf.

Doch eines Tages folgt von fern
Ein Späher dem betrübten Herrn,
Der war gewonnen von der Frau.
Sie sprach: »Beobacht' ihn genau!
Kannst du mir sichre Kunde schaffen,
So schenk' ich Rosse dir und Waffen.«
Der Diener thut nach dem Geheiß
Und folgt ihm unbemerkt und leis:
Er sieht ihn in das Kirchlein treten
Und hört sein Klagen und sein Beten.
Doch eh der Ritter kam heraus,
War der Vertraute schon zu Haus
Und sagt der Frau, was er vernahm,
Davon ihr Herz in Zweifel kam,
Vom Jammerruf und Schmerzensschrei.
In der verlassnen Siedelei.
Die Dame sprach: »So laß uns gehn
Und selber nach dem Kirchlein sehn.
Denn heute denkt mein Herr bei Zeiten
Zum König an den Hof zu reiten. 234
Ich weiß, er hat den heil'gen Alten,
Der dort begraben, hochgehalten,
Doch glaub' ich nicht, daß solche Klage
Und solchen Schmerz er um ihn trage.«
Sie ließ damit die Sache ruhn,
Am Nachmittag begab sich's nun,
Daß Elidüc zum König ritt;
Sie gieng und nahm den Diener mit,
So kommt sie zu der öden Klause
Und sieht im kleinen Gotteshause
Das Fräulein auf des Altars Stiegen
Gleich einer jungen Rose liegen.
Sie naht und hebt die Decke bald
Und schaut den Leib so wohlgestalt,
Die Arme lang, die Hände blank,
Die Finger lang und glatt und schlank: –
Die edle Frau, sie sieht es klar,
Warum ihr Herr so traurig war.
Sie ruft herein den treuen Mann
Und zeigt ihm dieses Wunder an.
»Siehst Du,« so sprach sie, »dieses Weib?
Wie ein Juwel erglänzt ihr Leib.
Das ist die Liebste meines Herrn.
Drum ist ihm alle Freude fern, –
Und traun, bei Gott, mich wundert's nicht,
Da solche Schönheit ihm gebricht. 235
In Lieb' und Mitleid muß ich klagen,
Das Glück ist fort aus meinen Tagen!«
Sie setzt sich nieder auf's Gestein
Und jammert um das Mägdelein.

Doch als sie vor dem Bette saß
In Klag' und Weinen, da geschah's,
Daß hinter'm Altar aus dem Gang
Hervor ein flinkes Wiesel sprang;
Es hüpfte auf des Fräuleins Rock,
Der Diener schlug es mit dem Stock
Und warf es auf des Vorhofs Schwelle;
Nicht lang darauf kam sein Geselle,
Der fand es liegen still und stumm,
Gieng lang um seinen Kopf herum,
Berührt und zupft es mit der Pfote,
Doch unbeweglich lag das Todte;
Da, wie es deutlich war zu sehn,
Kam sein Gesell in Angst und Wehn.
Aus der Kapelle lief er bald
Nach Kräutern in den grünen Wald
Und brachte in den Zähnen schnell
Ein rothes Blümchen purpurhell,
Legt's in des todten Wiesels Mund –
Und dieß ward lebend und gesund.Das Wiesel ist nach altem Volksglauben ein zauberkundiges Thier; das belebende Kraut kehrt in zahlreichen Sagen der verschiedensten Völker wieder und findet sich schon im Alterthum, in der griechischen Sage von Glaukos und Polyidos, Apollodor III, 3.
Die Dame sah's und rief im Nu: 236
»Geh, jag's ihm ab! Schlag zu! Schlag zu!«
Der Diener traf es, daß am Thor
Das flüchtige Thier sein Kraut verlor.
Die Dame hob es eiligst auf,
Sie gieng zurück in schnellem Lauf
Und schob der Maid mit seiner Hand
Das Blümchen durch der Lippen Rand.
Ein kleines Weilchen nur verrann,
Da hebt die Maid zu seufzen an,
Blickt auf und spricht mit sanftem Ton:
»Mein Gott! Wie lange schlaf' ich schon!«
Die Dame, die das Wunder schaut,
Dankt Gott mit hellem Freudenlaut,
Und sie begann die Maid zu fragen,
Die hub ihr alsbald an zu sagen:
»In Logre liegt mein Heimatort,
Mein Vater herrscht als König dort.
Es war mein einzig Liebesglück
Der edle Dienstmann Elidüc:
Ich floh, ihm völlig zu gehören,
Er that nicht recht, mich zu bethören,
Denn eine Gattin hat er schon
Und sprach mir nie ein Wort davon.
Doch als die Mähr' ich drauf vernahm,
Da fiel ich hin vor Schreck und Gram,
Und nun in diesem fremden Land 237
Hat er sich schnöd von mir gewandt
Und läßt mich liegen hier im Staube.
Schmach der, die noch an Männer glaube!«
»Nein, Kind, Herrn Elidüc gefällt
Kein lebend Wesen auf der Welt,
In Trübsinn geht er Nacht und Tag,
Was Jeder Euch bezeugen mag.
Die Wahrheit ist: er glaubt Euch todt,
Drum ist sein Herz in Wundernoth,
Und täglich hat er hier geklagt,
Wo Ihr in tiefer Ohnmacht lagt. –
Ihr mögt's an meinem Schmerz bemessen:
Ich bin sein Weib, das er vergessen. –
Ich sah ihn gehn mit trübem Sinne
Und wollte sehn, was er beginne,
Drum kam ich her: mein Trost im Leid
Ist, daß Ihr nun am Leben seid.
Kommt, holdes Kind, ich nehm Euch mit
Und sag' ihn seines Eides quitt,
Nur Euch gehört er, nehmt ihn hin!
Ich will hinweg ins Kloster ziehn.«
Sie spricht ihr Trost, führt sie hinaus
Und bringt sie liebevoll nach Haus.
Sie hieß den Diener sich bereiten,
Zum Ritter an den Hof zu reiten.
Der ritt von dannen unverwandt, 238
Bis er den edlen Herren fand,
Er hat ihm Alles wohl erklärt,
Da stieg Herr Elidüc zu Pferd,
Nicht länger harrt er auf den Troß,
Zur Nachtzeit kam er auf sein Schloß.
Er fand sein holdes Lieb gesund
Und dankt der Frau mit sanftem Mund.
Nun dünkt er sich zum Glück erlesen,
So heiter war er nie gewesen.
Oft küßt sein Lieb Herr Elidüc,
Und sie gab's zärtlich ihm zurück.
Doch als die edle Dame da
Das frohe Thun der Beiden sah,
Ist sie zum Ritter hingetreten,
Um seinen Urlaub zu erbeten,
Sie sprach: »Ich scheide sonder Pein,
Dem Dienste Gottes mich zu weihn.
Gieb mir ein Stück von deinen Triften,
Daß ich drauf mag ein Kloster stiften.
Du aber sollst dein Lieb umfahn;
Denn es wär' nimmer wohlgethan,
Zwei Frau'n in deinem Haus zu hegen,
Der Bund wär' ohne Gottes Segen.«
Der Ritter hat, wie sie begehrt,
Den Urlaub dankbar ihr gewährt
Und gab ihr gern mit voller Hand 239
Ein großes Stück von seinem Land
Rings um des Eremiten Klause
Im Wald, nicht fern von seinem Hause.
Dort ließ er schnell die Waldung lichten
Und ihr ein Gotteshaus errichten.
Er schenkt ihr weiter reiche Gabe,
Daß sie ein lieblich Leben habe.
Und als der Bau vollbracht im Wald,
Nahm sie den Schleier alsobald
Und mit ihr eine Nonnenschaar,
Die unter ihrer Obhut war.
Doch Elidüc von Glück beseelt
Hat sich das Königskind vermählt
Und feierte bei Tag und Nacht
Das Hochzeitfest mit reicher Pracht.
So lebten Beide manches Jahr
In rechter Liebe immerdar,
Beschenkten Arme nah und fern;
Dann weihten sie sich Gott dem Herrn.
Der Ritter ließ auf andern Aun
Unfern dem Schloß ein Münster baun,
Das ward mit weiser Kunst vollbracht
Und mit Geschenken reich bedacht.
Er spendet Gold und klar Gestein,
Und viele Mönche lud er ein
Von gutem Orden allerwegen, 240
Des Gottesdienstes dort zu pflegen.
Als Alles völlig eingeräumt,
Hat er nicht länger mehr gesäumt,
Und er gesellte sich zu ihnen,
Dem Herrn sein Leben lang zu dienen.
Die Liebste, die sein Herz erquickt,
Hat er zur ersten Frau geschickt,
Die nahm sie auf an Freuden reich
Und hielt sie einer Schwester gleich;
Sie gab ihr fromme Liebeslehren
Und unterwies sie Gott zu ehren.
Die Frauen beteten fortan
Vereint für den geliebten Mann,
Er bat für sie mit gleichem Sinn
Und sandte häufig Boten hin,
Zu fragen, wie die Frauen leben
Und in ihr Schicksal sich ergeben.
So strebte Jegliches für sich
Nach Himmelsliebe brünstiglich
Und gab an seinem sel'gen Ende
Den Geist in Gottes Gnadenhände.

Bretonen waren's, die vor Zeiten
Dies Lied dem Angedenken weihten,
Daß man noch heut am spätern Tag
Sich jener Drei erinnern mag. 241


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