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Die Abendglocken läuten. Der Himmel steht in roter Pracht. Alt und jung ist von den Feldern heimgekehrt, das Vieh eingetrieben, Ruhe senkt sich aufs Dorf herab. Ein einsamer Motorfahrer pufft zwischen den niedrigen, weit verstreuten, strohüberdachten Häusern hindurch die Landstraße hinunter und zeigt, daß auch in dies entlegene Winkelchen schon neueste Kultur gedrungen ist, sonst schläft alles noch seinen Dornröschenschlaf wie vor hundert Jahren, sonst …

Nein: vor dem Wirtshaus zur Post stauen sich die Leute. Etwas Ungewöhnliches scheint dort vorzugehen. Wird heute abend ein Fest gefeiert? Oder ist vielleicht Wahlversammlung? Der Einheimische weiß es besser. Allabendlich drängen sich die Bewohner des Örtchens dort, und der behäbige Postwirt schmunzelt. Seit die Eisenbahn die Nachbarstädte direkt verbindet und das Dorf von dem Verkehr, der es in der früheren Postkutschenzeit berührte, ausgeschaltet ist – das geschah schon zur Zeit seines Vaters –, ist das Geschäft immer stiller geworden. Hin und wieder verirrte sich wohl einmal ein Geschäftsreisender in das entlegene Dorf, der eine Nacht in der Post übernachtete, oder der Viehhändler hielt mit seinem Wägelchen vor der Treppe, sonst waren es nur der Sonntagstanz, der Honoratiorenstammtisch und eine oder die andere Skatpartie, die den Betrieb aufrechterhielten.

Seit aber der Postwirt seinen Tanzsaal als Kino eingerichtet hat, ist der Zulauf größer als je. Abend für Abend sitzen sie Kopf an Kopf gedrängt da, um Asta Nielsen und Henny Porten zu sehen, um die Bilder an sich vorüberwirbeln zu lassen und mitzuleben, was die große Welt lebt. Was die Eisenbahn verschuldet hat, das hat der Film wieder gutgemacht. Er bringt dem kleinen entlegenen Dorfe den Pulsschlag der Weltstadt!

Das Kino – im Dorfe ist es eine Bretterscheune, in der Großstadt ein Palast aus Gold und Marmor. Statt der sechzig Menschen dort faßt es hier zweitausend. Die Bilder aber sind dieselben; hier nur einige Monate früher als dort und die Filme zuweilen etwas länger, da sie für den Provinzgebrauch gekürzt werden. Auch die Menschen sind im Grunde dieselben, ihr Herz schlägt im gleichen Takt, ihre Seelen haben sich die gleiche Naivität, die gleiche Ursprünglichkeit bewahrt. Blasierten, überfeinerten Menschen sagt das Kino im allgemeinen nicht zu, sie suchen ihre Sensationen meist schon anderswo, denn hier – nun ja, reflektieren darf man beim landläufigen Film nicht allzusehr, wenn es auch Ausnahmen gibt.

Wir leben schnell, und uns erscheint heute als selbstverständlich, was vor kaum einem Menschenalter ein Wunder gewesen. Röntgenstrahlen, Auto und Flugzeug, Radium und Radio, das alles wäre, hätte man vor nicht viel mehr als einem Vierteljahrhundert davon gesprochen, als ebenso unmöglich verlacht worden, wie heute etwa von der exakten Wissenschaft die Geheimnisse des Okkultismus (die doch irgendwie nicht zu leugnende Tatsache sind). Etwas über ein Vierteljahrhundert ist es auch her, daß wir zum ersten Male einen Film sahen. Er erregte damals eigentlich nicht das Aufsehen, das er verdient hätte, wie man es sich heute vorstellen müßte, wenn man seinen Siegeslauf miterlebt hat. Man wußte noch nicht recht, was man mit ihm anfangen sollte. Er war eine Kuriosität, eine Spielerei, eine technische Verbesserung der alten Papptrommel, durch deren senkrechte Schlitze wir beim Drehen schon als Kinder grotesk springende Pferde und laufende Menschen geschaut hatten.

Diese Papptrommel war ja die Keimzelle des Films, das Prinzip – die Bilder, die die einzelnen Phasen der Bewegung darstellten, gaben, in schneller Reihenfolge am Auge vorbeigeführt, den Eindruck der mehr oder weniger lebendigen Bewegung – war dasselbe. Und die ersten Filme waren auch nicht viel anders als die Bildstreifen in der Trommel. Dabei waren sie schrecklich ermüdend. Es flimmerte einem vor den Augen, Helle Punkte und Flecke tanzten über die Leinwand, und nach halbstündigem Schauen hatte man die schönsten Augen- und Kopfschmerzen. Was man sah, waren bestenfalls kleine Szenen, meist komischen Inhalts. Sähen wir sie heute, so würden sie uns wie die Schreibversuche eines Abcschützen im Verhältnis zu den Leistungen eines Reichstagsstenographen erscheinen.

Merkwürdige Dinge bekam man damals im Kino zu sehen und – zu hören. Neben der Leinwand stand ein Mann mit einer langen Stange wie der Schauergeschichtensänger auf dem Jahrmarkt und begleitete den Film mit seiner Erklärung:

»Graf Ottokar aber wollte nicht; er war ein zu edler Charakter, als daß er das Unglück seines Feindes ausgenutzt hätte … und so sanken sich die Liebenden gerührt in die Arme.«

Auch den »sprechenden Film« hörte man schon früh. Ein Grammophon sang den Text zu dem Couplet, das Robert Steidl oder Otto Reutter auf der Flimmerwand vortrug. Die ersten drei Takte klappte es zuweilen, dann hinkte das Grammophon nach oder eilte voraus und schwieg schon, wenn der Sänger noch mit offenem Munde dastand.

Allmählich sah man ein, wo zunächst die technische Begrenzung des Films lag, und nun entwickelte sich die neue Kunst (zunächst war es nur eine neue Technik) mit reißender Schnelligkeit. Man erkannte, daß, worauf es vor allem ankam, Bewegung war. Aus diesem richtigen Gefühl heraus entstanden jene Filme, die – noch ganz primitiv – nichts als Schnelligkeit und Fahrt zeigten: die Jagden über Straßen und Plätze, bei denen alles hintereinander herstürmte, übereinander purzelte. Der erste »Trick« erschien: der Filmstreifen wurde rückwärts abgekurbelt, und man sah die wilde Jagd von hinten. Dann kamen die prachtvollen Cowboyszenen aus Amerika, die jedes Knabenherz begeisterten. Es kamen schöne Naturaufnahmen, es kamen die Wochenübersichten von Weltereignissen, und es kamen die ersten Dramen.

Es war damals die Hochkonjunktur der Kriminal- und Detektivromane. Sherlock Holmes hatte Nachahmer in allen Ländern gefunden. Was lag näher, als diese Literatur auf den Film zu übertragen. Spannung und Sensation wurden die Devise, auch heute noch nicht ganz überwunden.

Aber weiter ging es mit Riesenschritten. Und die ersten Namen tauchten auf. Schon damals die auch heute noch Unerreichte: Asta Nielsen. Neben ihr ein anderer dänischer Künstler: Waldemar Psilander. Der Norweger Gunnar Tolnaes. Franzosen: Maurice Prince und Max Linder, die Humoristen. Von Deutschen und Amerikanern vorerst wenig. Schwedenfilme gab's noch nicht.

Dann setzten Amerika und Deutschland ein, daneben zeigte Italien monströse Massenfilme ( Quo Vadis?).

Kurz vor dem großen Kriege sah man schon diese großen Filme. Aber welch ein Unterschied zwischen damals und heute. Man muß in die entlegenste Provinz gehen, um noch einmal einen jener alten Schmarren zu sehen, die wir damals ehrfurchtsvoll bestaunten. Heute können sie in uns höchstens noch filmhistorisches Interesse erwecken. In jeder Beziehung, photographisch, wie in Manuskript, Regie und Spiel hat der Film sich von Grund auf gewandelt. Die lebende Photographie ist zur selbständigen Kunst geworden. Denn der Film ist eine Kunst, eine Kunst für sich. Was freilich weder von seinen Herstellern noch von seinen Kritikern schon voll erkannt ist.

* * *

Ich sitze im weichen Fauteuil. Das Orchester spielt leise, einschmeichelnde Weisen. Dann schweigt es. Der stimmungsvolle, kirchenhohe Raum verdunkelt sich. Nun leuchtet die große weiße Leinwand auf. Ein Schloßhof erscheint, in der Mitte ein Springbrunnen. Und was ist das? – Ich höre das Plätschern. Menschen kommen und reden miteinander. Nicht das Schnarren des Grammophons. In voller Klarheit und Natürlichkeit erklingen die Stimmen. Der Jüngling nimmt seine Laute und spielt: die Töne perlen unter seinen Fingern hervor. Ton und Bewegung sind eines. Hühner gackern, Enten schnattern, der Hund bellt. – Der sprechende Film!

Sind wir am Ende? Nein, erst am Anfang. Große Probleme harren noch ihrer praktischen Lösung: der farbige und der plastische Film. Werden sie der neuen Kunst dienen? Sie nicht hemmen?

Über allem steht die Frage: Wohin führt der Weg? Wo liegt die Bestimmung der Filmkunst?

Haben wir heute schon eine Antwort?

* * *

Der Film ist eine Kunst für sich. Um das einzusehen, bedarf es natürlich einer neuen Einstellung, und sie fehlt heute noch den meisten. Immer noch legt man falsche Maßstäbe an, die man aus der Literatur, vom Theater geborgt hat, erst langsam ringt die Erkenntnis sich durch.

Zwei Ursprünge hatte der Film: Photographie und Theater. Und so begann man damit, daß man das Theater photographierte. Der Schauspieler spielte wie auf der Bühne, und der Regisseur wandte dieselben Methoden hier wie dort an. Er mußte erst lernen, daß der Hintergrund sich beim Film nicht wie im Theater verengt, sondern sich, je mehr der Photograph zurücktritt, desto mehr erweitert. (Dies natürlich nur eine einzige von vielen unterscheidenden Wesentlichkeiten für den Regisseur.)

Auf dem Theater benutzte der Schauspieler Mime und Geste hauptsächlich zur Unterstreichung des Wortes. Im Film wurden sie zur Hauptsache, da das Wort gänzlich fehlte. Es dauerte lange, bis man zu dieser Erkenntnis kam, bis die Schauspieler sich an die neue Spielweise gewöhnt hatten. Man suchte zur alten Pantomime zurück, aber auch das half nur wenig, denn bei ihr mußte alles veräußerlicht, vergröbert, betont, jede Bewegung gewissermaßen auf weite Entfernung angelegt sein. Im Film mußte man umgekehrt zu Werke gehen. Hier sah man den Darsteller gleichsam durch die Lupe. Man mußte verinnerlichen, die Mimik mußte das Wort ersetzen und dem Gefühl wie dem Gedanken Ausdruck verleihen, sie mußte tiefer und – was am schwersten verstanden wurde – stiller werden.

Im Theater war das Gesicht des Schauspielers nur aus mehr oder weniger weiter Entfernung zu sehen gewesen, feinere Nuancen hatte man nur vermittels des Glases sehen können; auf der Leinwand wurde uns – namentlich in der Großaufnahme – das Gesicht des Darstellers in Überlebensgröße dicht vor Augen gerückt, wir sahen jedes Fältchen, jedes Augenblinzeln. Dazu kam, daß das scharfe Licht unbarmherzig enthüllte, was die Bühnenbeleuchtung gnädig verschleierte.

Mit dem Licht der Jupiterlampen mußte man überhaupt besonders rechnen, denn es entfärbte und verfärbte alles, was in seinen Bereich kam. Auch das Schminken für den Film mußte nach ganz anderen Grundsätzen erfolgen, als für die Bühne. Kam es hier darauf an, die Farben des Lebens zu unterstreichen, Kontraste zu schaffen, so war dort die Hauptsache, dem Gesicht einen ganz gleichmäßigen Ton zu verleihen, der jede Bewegung als solche zum Ausdruck brachte. Die Schminke mußte in einer dicken Schicht aufgetragen werden, um alle Poren, alle Unebenheiten zu verdecken, die in der starken Vergrößerung auf der Leinwand störend wirken mußten. Die Großaufnahme eines ungeschminkten Gesichts würde uns einen Eindruck von den Empfindungen vermitteln, die Gulliver bei seinem Aufenthalt in Brobdingnag hatte, wenn er wie eine Fliege über die Gesichter der Hofdamen spazierte.

Die Anfänge der Kinematographie reichen bis in die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück. Damals projizierte der Feldmarschalleutnant Uchatius zuerst Bewegungsbilder an die Wand, die allerdings noch sehr unvollkommen waren. Eine ganze Reihe von Erfindern, unter ihnen auch Edison, beschäftigte sich mit der Lösung der Frage. In ihrer heutigen Form entstand die Kinematographie im Jahre 1896 durch die Brüder Lumière in Lyon, denen wir auch sonst manche bedeutsame Erfindung auf dem Gebiet der Photographie, darunter besonders lichtempfindliche Platten und die bisher beste Lösung des Farbenphotographieproblems, zu danken haben. Die Kinematographie war kein Kind des Zufalls wie manche andere Erfindung, sie war das Produkt vieljähriger zielbewußter Arbeit, als sie dann aber so weit war, daß sie vor die Augen der Öffentlichkeit treten konnte, machte sie ihren Weg mit reißender Schnelligkeit.

Diese ungeheure Hast der Entwickelung ist ja überhaupt ein besonderes Kennzeichen der Technik unserer Zeit. Luftschiff, Flugzeug, Automobil, Fernsprecher, Funkentelegraphie und -telephonie, sie alle sind die Geschwister des Films, dieser neuen Kunst, die aus einer neuen Technik entstanden ist und eine neue Industrie geschaffen hat. Von allen diesen neuen Errungenschaften ist die Kinematographie vielleicht die volkstümlichste geworden: ihr huldigt jeder Stand, jedes Alter.

Wirklich hat der Film in der kurzen Zeit seines Bestehens zur Entwickelung einer riesigen Industrie geführt. Tausend und aber tausend Schornsteine rauchen heute in allen Kulturstaaten in ihrem Dienste, Hunderttausende von Menschen finden heute durch sie ihr Brot. Wir sehen hier die seltsame Erscheinung, daß die Kunst zu einer mächtigen Industrie geführt hat, daß eine ganze Industrie für eine Kunst arbeitet.

Auch hierin ist der Film ganz neuzeitlich, steht ganz im Zeichen einer Fortentwickelung: stets schienen Kunst und Industrie sich feindlich gegenüberzustehen oder nur widerwillig, oft recht erzwungene, Verbindungen einzugehen. Als es schien, daß die Zeit der Kunst überhaupt in gewissem Sinne vorbei wäre, als die Menschheit nicht mehr imstande schien, eine neue »Kunstform«, einen neuen Stil zu finden (der Expressionismus ist ja kein Stil in diesem Sinne, eher eine Stilauflösung), als alles mehr und mehr der reinen Zweckform untertan wurde, die sich aus der Herstellungstechnik ergab oder ihr Heil im reinen Kubus suchte, da kam der Film mit seiner neuen Kunst, dieser Kunst, die so recht der Ausdruck unserer Zeit ist, mehr vielleicht, als wir Mitlebenden uns selber träumen lassen.

Was braucht der Film alles! Große Fabriken stellen die Aufnahme- und Wiedergabeapparate her, die mit der feinsten Optik ausgestattet sein müssen, andere fabrizieren die Lampen, die durch ihre mächtige Helligkeit mit dem Sonnenlicht wetteifern können, wieder andere den »Rohfilm«, der der Träger des Kunstwerkes werden soll. Zahllose Schauspieler stehen heute mehr oder weniger ausschließlich im Dienste des Films, jede der großen Gesellschaften beschäftigt einen Stab technischer Mitarbeiter, ein Heer von Angestellten. Ganze Filmstädte sind entstanden, die größte in Los Angeles in Kalifornien, das seiner klaren, durchsichtigen Luft wegen unvergleichliche Aufnahmen ermöglicht. Architekten, Maler, Ingenieure arbeiten für den Film; die großen Gesellschaften besitzen ein eigenes Krankenpflegerkorps mit Ärzten, eigene Feuerwehr. Sie haben ihre eigenen Druckereien, sie besitzen ihr literarisches Bureau, in dem eine ganze Reihe von Dramaturgen die täglich zu Dutzenden einlaufenden Manuskripte prüft, Bücher auf die Möglichkeit der Verfilmung hin liest und selber die angenommenen Manuskripte bearbeitet, aus den eingesandten Ideen schafft.

Millionen unschuldiger Kälber müssen alljährlich ihr Leben für den Film lassen. Der Film ist ein Moloch, in dessen ungeheurem, unersättlichem Bauch sie vergraben werden. Der liebenswürdige Leser lächelt ungläubig: Was haben Kälber mit dem Film zu tun? Aber dem ist doch so.

Freilich, geschlachtet würden sie auch ohne das werden, denn der Film verbraucht sie nicht mit Haut und Haaren; für das gute Kalbfleisch haben in der Hauptsache nur die Herren Direktoren Verwendung, und die bringen es kaum auf solche Anzahl. Aus dem Abfall, den Köpfen und ähnlichem (schließlich gerade aus »Haut und Haaren«) wird die Gelatine gewonnen, die der bindende Bestandteil der lichtempfindlichen Schicht des Films (wie auch der photographischen Platte), der Emulsion, ist.

Tatsächlich geht hier der Bedarf hoch in die Millionen; verbraucht doch beispielsweise eine einzige deutsche Fabrik, die »Agfa« (Aktien-Gesellschaft für Anilinfabrikation), allein die Abfälle von einer viertel Million Kälber monatlich, und nicht immer wird es ihr leicht, die erforderlichen Mengen zu beschaffen.

Die »Agfa« ist eine ganze Stadt für sich, die bei Wolfen in der Provinz Sachsen ein Gelände von 400 000 Quadratmetern umfaßt. Sie hat eigene Arbeiterwohnhäuser, eigene Eisenbahnzüge zur Beförderung ihres Personals. 200 Tonnen in den benachbarten Gruben geförderte Braunkohle werden täglich in ihren Kesselhäusern verfeuert. Interessant ist, daß das Werk aus zwei spiegelbildgleichen Fabriken besteht; da das Filmmaterial sehr feuergefährlich ist, wollte man sich dagegen sichern, daß im Falle einer Feuersbrunst der ganze Betrieb stillgelegt würde.

Ferner gehören zur Emulsion Bromsilber und Kaliumnitrat, die der Gelatine, nachdem sie in destilliertem Wasser gelöst ist, zugesetzt werden. Da die Lichtempfindlichkeit einer so hergestellten Lösung an sich noch zu gering wäre, wird sie durch Kochen oder Digerieren mit Ammoniak gesteigert, wobei das anfangs ganz feinkörnige Bromsilber sich vergröbert und lichtempfindlicher wird. Ist die gewünschte Empfindlichkeit erreicht, so wird die Emulsion stark abgekühlt und dadurch zum Erstarren gebracht. Sie bildet nun eine gallertartige Masse, die in kleine würfelförmige Stücke geschnitten und einem Auswässerungsverfahren unterworfen wird, um sie von dem vorhandenen Kaliumnitrat zu befreien. Dann wird die zum Auftragen fertige Masse in völlig dunklen Lagerräumen aufbewahrt.

Den eigentlichen Film, die Unterlage (englisch Film, Haut), bildet ein Streifen aus Zelluloid, an den in erster Linie folgende Anforderungen gestellt werden: Er soll mit größter Haltbarkeit Festigkeit und Elastizität verbinden, vollkommen durchsichtig, klar und farblos, homogen, frei von Schmutzflecken und Blasen sein und darf weder von der Emulsion noch von Wasser oder Entwickelungssubstanzen angegriffen werden. Eine Unannehmlichkeit bildet die schon berührte Feuergefährlichkeit des Filmstreifens, man hat jedoch in neuerer Zeit auch hier Wege, wenn nicht zu ihrer Beseitigung, so doch zu ihrer Herabsetzung gefunden.

Diese Filmstreifen haben eine Normalbreite von etwa 3½ Zentimetern, wovon etwa 1 Zentimeter auf den Rand entfällt, der beiderseits mit einer Lochung versehen wird, in die beim Kurbeln die Zähne des Getriebes greifen. Die Länge richtet sich ganz nach dem betreffenden Film. So gibt es Reklamefilme und ähnliches, die eine Länge von nur 50 Metern und noch darunter aufweisen, während die großen Monumentalfilme zuweilen 6000 Meter lang sein können. Derartige Riesenfilme werden natürlich nicht in einem Stück aufgenommen. Dies ist schon nach der ganzen Art der Aufnahmen unmöglich. Ein Film besteht aus einer großen Zahl kleinerer und größerer Stücke, die dann durch Zusammenkleben mit einem geeigneten Klebstoff miteinander verbunden werden. Das Zerschneiden und Zusammenstücken des Films erfolgt nach verschiedenen Momenten. Im übrigen ist der technische Gang der Herstellung im Prinzip genau der gleiche wie in der Photographie. Die Originalaufnahme ergibt ein Negativ, das erst wieder zu einem Positiv kopiert werden muß. Diese Kopie ist es, die dann im Vorführungsapparat das Bild auf die Leinwand wirft, und zwar genau nach Art der uns von Kindheit an bekannten Laterna magica, nur daß der Filmstreifen mit einer bestimmten, der Aufnahme entsprechenden Geschwindigkeit an der Linse vorbeigerollt wird, was eben die Illusion der Bewegung hervorruft. Das Prinzip ist, daß die Bewegung selbst in Phasen zerlegt wird, die einander so schnell folgen, daß das Auge sie nur als ein Ganzes sieht. Im Durchschnitt werden dreißig Aufnahmen in der Sekunde gemacht und vorgeführt.

* * *

Soll ein Bühnenstück aufgeführt werden, so liegt das fertige Manuskript des Dichters vor (in Frankreich entstehen allerdings die üblichen Gesellschaftsstücke häufig auf den Proben in Zusammenarbeit zwischen Autor, Regisseur und Schauspielern), an das der Regisseur sich zu halten hat. Es wird wochenlang geprobt, von der ersten Lese- bis zur Generalprobe, die schon eine fertige Aufführung sein soll. Erst dann gelangt die vollendete Schöpfung vor die Augen des Publikums. Jetzt greift alles ineinander, Wort folgt auf Wort – und zuweilen kommt auch ein Versager vor. Eine Bühnenaufführung ist, wie ein Originalgemälde, ein Unikum; es gibt nicht zwei einander ganz gleiche. Der Film gleicht der Radierung, die hundertmal von derselben Platte gedruckt werden kann. Er gleicht ihr auch darin, daß beides Schwarz-Weiß-Kunst ist. Ob du den Film im eleganten Lichtspieltheater der Großstadt oder im bescheidenen Dorfkino siehst, er ist immer genau derselbe; ein guter Film kann nie wie ein gutes Bühnenstück durch eine Schmierenaufführung verkitscht und verdorben werden. Freilich: um so größer ist die Gefahr, daß der Film es schon von vornherein in der Aufnahme wird, und dann hilft das beste Manuskript nicht, der Film ist rettungslos verloren.

Überhaupt das Manuskript! Beim Bühnenstück ist es das Wesentlichste, und man hat unter Umständen mehr Genuß davon, wenn man es im stillen Stübchen liest, als wenn man es im Theater aufgeführt sieht. Das ist beim Filmmanuskript nicht möglich, schon deshalb nicht, weil es kein fertiges Filmmanuskript gibt; denn fertig ist es erst, wenn der Film selbst fertig gedreht ist. Das Filmmanuskript schafft der Autor meistens nur zum geringeren Teil – er liefert das Skelett, das der Regisseur erst mit Fleisch und Blut bekleidet.

Kommt auf zehn Deutsche einer, der lyrische Gedichte schreibt, so sind wenigstens neun, die heute Filmmanuskripte verfassen. Hat man einmal gesehen, welcher Wust von Manuskripten dem Dramaturgen einer großen Filmfirma täglich auf seinen Schreibtisch fliegt, so erfaßt einen tiefes Mitleid mit diesem Unglücklichen, und man verzeiht ihm wohl die gelegentlichen kleineren oder größeren geistigen Diebstähle, die er verübt. Nirgends wird ja so viel gestohlen wie beim Film. Ideen sind vogelfrei, und das wissen diese Herren gut und verstehen es auszunutzen. Zuweilen freilich mögen die sehr häufigen Diebstähle von Filmideen auch unbewußt erfolgen. Ein bekannter deutscher Schriftsteller hatte einer der größten Filmgesellschaften ein Manuskript eingereicht, das er nach mehreren Monaten zurückerhielt: die Idee sei zwar sehr hübsch, aber es läge zur Zeit so viel Material vor, daß … Wieder einige Monate später sieht er seinen Film, mit verändertem Titel und dem Vermerk: nach einer Idee von X. Y. (nicht seinem Namen), bearbeitet von A. B. und E. F. (auch wieder ihm ganz fremde Namen). Verfertiger war eine Filmgesellschaft, die, wie sich herausstellte, der Firma, der er seinerzeit das Manuskript übergeben hatte, nahe stand. Der Autor wandte sich an seine Berufsgenossenschaft, die ihm abriet, etwas in der Sache zu tun, da die Gesetze keine genügende Handhabe böten und derartiges täglich vorkäme.

Es handelte sich hier um einen großen Konzern, von dem ich nicht glaube, daß er derartigen geistigen Diebstahl autorisiert oder auch nur bewußt in seinem Namen duldet. Ich nehme an, daß der Gang der Dinge in diesem Falle folgendermaßen war: Das Manuskript war in den vier oder fünf Monaten, während derer es sich in den Händen der Filmfirma befand, von vielleicht zehn bis zwanzig verschiedenen Dramaturgen und anderen Angestellten des Hauses gelesen worden. Einem von ihnen war in dem Übermaß von Manuskripten, die er in dieser Zeit zwischen die Finger bekam, die Idee im Kopfe haften geblieben; er vergaß ganz, daß sie nicht von ihm war, und sie erstand neu aus seinem Unterbewußtsein heraus als seine eigene Filmidee, die er dann der befreundeten Filmgesellschaft zur Bearbeitung übergab.

Was sagt die Psychoanalyse zum geistigen Diebstahl?

(Wen es interessiert, der lese: Freud, Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung, Seite 8.)

Das Schreiben von Filmmanuskripten ist in den allermeisten Fällen für den Laien eine ganz aussichtslose Zeitvergeudung. Falsch ist es namentlich, wenn er sich die Mühe macht, schon ein fertiges Drehbuch (nach dem also direkt die Aufnahmen gemacht werden könnten) schreiben zu wollen. Es ist doch sicher unbrauchbar und macht dem Dramaturgen nur doppelte Mühe. Wer es nicht lassen kann, der schreibe seine Idee so kurz wie möglich, vielleicht nur in Stichwörtern auf und schicke sie ein. Weniger Mühe hat er, wenn er sich ein Lotterielos kauft, das ihm auch größere Chancen bietet.

Immerhin sei gesagt, daß jeder Filmregisseur heute mit der Lupe nach guten Filmideen sucht, aber sie müssen auch irgendwie eine Eigenart besitzen, etwas ganz Neues bieten. Die Verfilmung berühmter Bücher der Weltliteratur ist ja nur ein Notbehelf; man weiß sich hier seines Publikums sicher, das gern einmal die Werke, die seine Phantasie ihm so oder so vorstellt, vergegenständlicht und festgelegt sieht, und daneben ist es für den Hersteller das bequemste, eine Reihe anerkannter Bücher durchzulesen und das zur Verfilmung geeignetste herauszufischen. Gerade dieses Festlegen aber ist eine große Gefahr nicht nur des Films, sondern auch des Bühnenstückes und des illustrierten Buches. Die Phantasie – namentlich des naiven Zuschauers – wird oft vergewaltigt. Jetzt weiß er: so und nicht anders hat Kriemhild ausgesehen, und Etzel wird für ihn stets mit seinem Darsteller Klein-Rogge identifiziert bleiben, dies um so mehr, je eindrucksvoller die Darstellung war. Ebenso ist es bei historischen Filmen, sofern nicht, wie beim »Fridericus Rex«, außerordentliche Sorgfalt auf die Auswahl entsprechender Typen unter den Darstellern verwendet ist (auch hier muß ich mir sagen, daß ich doch glaube, die Barbarina hat anders ausgesehen als die Orska). Was aber soll der Zuschauer dazu sagen, wenn Kronprinz Rudolf im Zirkus bartlos auftritt, auf den Plakaten einen Schnurrbart trägt und gleichzeitig im Film mit einem Vollbart vorgeführt wird, der doch in dieser Form historisch nicht echt ist!

Gesucht sind mystische Ideen, gesucht ist alles, was dem Film neue Möglichkeiten, gesucht alles, was Sensation bietet. Wesentlich für die Entscheidung sind die Ansichten der Beteiligten über die Absatzmöglichkeit und über die Herstellungskosten. Künstlerische Gesichtspunkte kommen heute, wo der Film in seiner Organisation ein durchaus industrielles Unternehmen ist, leider erst in zweiter Linie. Ausnahmen bestätigen auch hier nur die Regel.

Hat die Filmfirma aus tausend angebotenen Ideen die eine ihr brauchbar erscheinende herausgefunden, so muß der Dramaturg, zuweilen auch schon der Regisseur, sie ausarbeiten. Er muß das Drehbuch schreiben, den Stoff richtig ein- und verteilen und von Anfang an, als Wichtigstes, die bildmäßige Ausgestaltung im Auge haben.

Während beim Bühnenstück die Szene selbst, der Schauplatz, das Bühnenbild immer mehr zurückgedrängt wird, um dem lebendigen Worte zu weichen und es nur zu unterstreichen, es zu durchleuchten, und dort ein Bildwechsel im Akte nach Möglichkeit vermieden, ja oft das ganze Stück nur vor markierenden Vorhängen gespielt wird, ist beim Film, wo das Bild alles ist, der immerwährende Wechsel des Schauplatzes unerläßlich (einige seltene, gelungene Ausnahmen, wie der Film »Hintertreppe«, stoßen diesen Leitsatz der Filmkunst nicht um). Ein Bild löst das andere ab, Fern- und Nahaufnahmen wechseln mit Großaufnahmen.

Natürlich kann der Film nicht in dieser Weise aufgenommen werden, er kann nicht chronologisch in derselben Reihenfolge entstehen, wie er vorgeführt wird. Das würde eine unbezahlbare Zeitverschwendung bedeuten, ganz abgesehen davon, daß es auch räumlich eine Unmöglichkeit wäre, da mancher Film in einem Augenblick in Konstantinopel, im nächsten in Paris, im dritten in Berlin und im vierten wieder in Konstantinopel spielt.

Nehmen wir zum Beispiel einen Ausschnitt aus einem Drehbuch, das so aussieht:

78a. Halle im Hause des Grafen Ginelli.

Lona tritt ein, einen Strauß Rosen in der Hand. Sie geht langsam zum Fenster, blickt sehnsüchtig hinaus.

78b. Die Tür öffnet sich; Rudolf erscheint. Lona sieht sich um und erblickt ihn. Sie schrickt zusammen, läßt die Rosen fallen.

78c. Rudolf. Großaufnahme. Seine Augen öffnen sich, weiten sich starr, als sähe er etwas Furchtbares.

79. Nächtlicher Wald.

Graf Ginelli sprengt auf schaumbedecktem Rosse durch das Dunkel.

80. Turm der Dorfkirche. Die Zeiger der Uhr stehen auf fünf Minuten vor zwölf.

81a. Halle im Hause des Grafen Ginelli.

Rudolf steht vor Lola …

Diese ganzen Geschehnisse beanspruchen vielleicht drei Minuten. In dieser Zeit wechselt die Szene viermal, ergeben sich für die Kamera sechs verschiedene Einstellungen. Auf der Bühne müßte der Szenenwechsel so, wie er im Manuskript steht, hintereinander ausgeführt werden. Anders in der Filmaufnahme. Es wiederholen sich natürlich viele der Szenerien. Bevor der Regisseur an die Aufnahme geht, muß er nun zunächst alle Bilder mit gleicher Dekoration notieren, eine Liste anfertigen: Halle im Hause des Grafen Ginelli Nr. 8, 10, 12, 20, 22, 24, 28, 31, 33, 35, 37, 54, 78, 81 … Opernplatz in Paris Nr. 9, 13, 23, 25 usw.

Nehmen wir an, daß der Film im ganzen vierzig Schauplätze enthält. Nun werden zunächst die herausgesucht, die im Atelier gespielt werden können. Man kommt heute immer mehr dazu, wenn es sich nicht um Aufnahmen handelt, bei denen die natürliche Landschaft eine wesentliche Rolle spielt, soviel wie möglich im Atelier zu drehen. Man kann hier die Lichtwirkungen genau regulieren, ist nicht vom Wetter und anderen äußeren Einflüssen abhängig, ist vollkommen sein eigener Herr. Unter Atelier versteht man allerdings nicht nur das Glashaus, sondern auch das Freilichtatelier, das im offenen Gelände aufgebaut, aber eben aufgebaut wird. Es gibt Atelieraufnahmen, von denen der Zuschauer später schwören möchte, daß sie in der freien Natur aufgenommen sind. So war der Wald, durch den Siegfried in den »Nibelungen« reitet, dieser mächtige Eichenwald mit seinen Riesenstämmen, im Freilichtatelier aufgebaut, ebenso die Drachenschlucht mit dem Untier, in dessen Bauch eine ganze Reihe von Arbeitern steckte, die die Bewegungen des Drachens auf Kommando des Regisseurs von innen leiteten. (Es täte mir leid, wenn ich bei manchem Leser den Glauben zerstören sollte, daß es der »Decla« gelungen wäre, einen lebendigen Drachen für den Film aufzutreiben, wenn er auch tatsächlich diese Illusion hervorruft.)

Kommen landschaftliche und Städteaufnahmen in Frage, so letztlich der Regisseur auf die Eisenbahn oder ins Auto und klappert das ganze Land nach geeigneten Stellen ab. Zuweilen wird eine Landschaft als besonders für Filmaufnahmen geeignet entdeckt und bildet nun dauernd das Reiseziel von Filmtruppen, wie die dänische Insel Bornholm mit ihren mächtigen Granitfelsen. Manchmal findet man mitten im deutschen Vaterlande eine Landschaft, die nachher auf der Leinwand den täuschenden Eindruck erotischer Gegenden vermittelt. Als der Hagenbeckfilm vor einiger Zeit ein Drama brachte, das in China und Tibet spielte, sah man die tibetanischen Räuber mit ihren Gabelflinten auf den kleinen struppigen Pferden durch die Lausitz jagen und mußte unbedingt glauben, die Wüste Gobi vor sich zu haben. Ein Rudel blutdürstiger Wölfe wurde mit Elan von einer Schar braver Schäferhunde gemimt. Freilich kommt in hohem Maße die Kunst von Regisseur und Operateur (Photograph) in Frage, um die Illusion echt zu machen. Vieles hängt hier vom Erfassen der richtigen Perspektive, vom Benutzen der passenden Beleuchtung usw. ab.

Zuweilen müssen große Reisen unternommen werden, und mancher Filmregisseur macht heute Reisefilme zu seiner Spezialität und fährt mit Operateur und Darstellern durch die ganze Welt. Da gibt es Filme, in denen man nach Paris, an die Riviera, die norditalienischen Seen, nach dem Balkan, dem Kaukasus, den Azoren usw. geführt wird, was sie für den Beschauer natürlich nicht nur interessant, sondern auch belehrend machen kann. Selbstverständlich kann auf diese Reisen nicht die ganze, oft sehr umfangreiche Schar von Darstellern nebst der Komparserie mitgenommen werden, sondern nur einige wenige, die die Hauptrollen spielen, und deren Zahl nach Möglichkeit (vielleicht auf fünf oder sechs) beschränkt wird. Hier muß der Regisseur seine Geschicklichkeit zeigen.

In einem derartigen Film sieht man einen bekannten Berliner Schauspieler, der hier eine nicht unbedeutende, aber keine Hauptrolle hat, immer wieder im Laufe einer längeren Seereise. Man sieht das Schiff, man sieht die wechselnden Szenerien der Reise, und man sieht hin und wieder auf Deck Herrn X. In Wirklichkeit hatte er die Reise gar nicht mitgemacht, sondern nur bei Atelieraufnahmen in Berlin gespielt. Aber so geschickt war das gestellt und dann in den Film hineinkomponiert, daß man durchaus den Eindruck hatte, er wäre überall mit dabei gewesen.

Hat der Regisseur genau die szenische Einteilung festgelegt, so kann er mit der praktischen Arbeit beginnen: Er muß aufbauen. Heute gibt es eine ganze Reihe von Architekten und Malern, die sich den Film zu ihrem Spezialgebiet ausersehen haben. Auch hier galt es, viel Neues hinzuzulernen, denn die Filmarchitektur mußte teilweise von ganz anderen Gesichtspunkten aus angefaßt werden, als die übliche Außen- und Innenarchitektur. Man mußte zuweilen künstliche Perspektiven schaffen, um den beschränkten Atelierraum ins Unendliche zu erweitern, man mußte Licht- und Schattenwirkung der Jupiterlampen berücksichtigen, und man mußte genau die Wirkung der Farben in der Photographie kennen.

An sich mochte es widersinnig erscheinen, daß man mit Farben operierte bei einer Kunst, die – wenigstens bei dem heutigen Stand der Dinge – ganz von der Farbe abstrahierte, die nur Schattierungen von Grau in Grau, von Weiß bis Schwarz kannte. Und man hat auch wohl schon Versuche mit Dekorationen gemacht, die nur in Schwarz-Weiß-Manier oder allenfalls in grauen und braunen (Sepia-) Tönen ausgeführt waren. Man erkannte jedoch, daß die Farbe in mehrfacher Beziehung von großer Wichtigkeit war. Die Schwarz-Weiß-Dekoration wirkte nüchtern und kalt und ernüchterte auch die Darsteller. Sie brauchten Stimmung, brauchten die Farbe, wie manche von ihnen Musikbegleitung zum Filmen brauchen, um sich wirklich geben zu können. Dann aber erhielt man durch die Farbigkeit Schattierungen, die, wenn man sie richtig auszunutzen verstand, die Plastik des Bildes erhöhten und es lebendig machten. Die durch verschiedene Farbtöne möglichen Abstufungen waren zudem im fertigen Film weit reicher und konkreter, als sie sich durch Dekorationen in nur grauen Tönen erzielen ließen.

Jeder Amateurphotograph weiß ja etwas von den Veränderungen der Farbe in der Photographie. Der blaue Himmel wird weiß, ein rotes Kleid schwarz. Der Filmdarsteller trägt oft bläuliche Wäsche, blaue Kleider, wenn sie im Bilde weiß erscheinen sollen, denn reines Weiß kann, wenn das pralle Licht es trifft, unerträglich blenden. Eine Schauspielerin eignet sich nicht für den Film, wenn sie hellblaue Augen hat, die auf der Leinwand wässerig und farblos erscheinen, wie dies bei der unmöglichen Königin von Saba in dem ebenso unmöglichen Foxfilm gleichen Namens der Fall war. Diese Wirkung der Farben muß der Filmarchitekt bis ins letzte kennen, wenn er eine brauchbare Szenerie schaffen will.

Dann aber muß er alle Stile beherrschen, muß die Proportionen genau abwägen können, und zwar immer mit der Wirkung des fertigen Bildes vor Augen. In welch innige Beziehung die Architektur zum Inhalt des Films treten kann, davon wird später noch die Rede sein. Hier nur so viel, daß der Filmarchitekt heute schon in einzelne Leistungen schöpferisch gewirkt und viel dazu beigetragen hat, das Niveau des Films zu heben und der Filmkunst eine Grundlage zu geben. Selbst der Durchschnittsfilmarchitekt muß aber heute viel Verständnis und Geschmack und ein gut Teil praktische Erfahrung besitzen.

* * *

Ist der erste Raum gebaut, so können die Aufnahmen beginnen. Allerdings hat vorher eine Frage von größter Wichtigkeit geregelt werden müssen: die Besetzung der Rollen.

Es gibt Filme, die von vornherein auf einen bestimmten Darsteller zugeschnitten sind, ja, in den meisten Fällen wird der Regisseur bei der Wahl des Stückes darauf bedacht sein, wer für die Hauptrollen in Frage kommt. Es werden Manuskripte mit Rollen für Henny Porten, für Jannings, Lya Mara, Abel gesucht; es werden Filme für Asta Nielsen, Paul Wegener, Jackie Coogan geschrieben. Charlie Chaplin schafft sich seine unvergleichlichen Filme selbst oder vielmehr: er lebt sie. Handelt es sich jedoch um einen Film, der lediglich um seiner selbst willen, also ohne Rücksicht auf einen bestimmten Darsteller, gedreht wird, so heißt es, sich die geeigneten Kräfte zusammenzusuchen.

Als der dänische Regisseur Carl Th. Dreyer Herman Bangs bekannten Roman »Michael« verfilmte, war es notwendig, die von Anfang an fest umschriebenen Typen ausfindig zu machen, und Dreyer durchreiste zu diesem Zweck halb Europa. Am schwierigsten war naturgemäß die Wahl des Darstellers für den jugendlichen Michael, und gerade von dieser Wahl hing das Gelingen des Films zu einem großen Teil ab; sie fiel schließlich auf den kaum zwanzigjährigen Sohn des berühmten Opernsängers Slezak. Den Meister, den berühmten Maler Claude Zoret, bei dem Bang die Gestalt Rodins vorgeschwebt hat, gab der Däne Benjamin Christensen (der Schöpfer des Hexenfilms, den die deutsche Zensur durch rücksichtslose Striche leider arg in seiner Wirkung beeinträchtigt hat), die weibliche Hauptrolle die Wiener Schauspielerin Nora Gregor. Ferner wirkten der Russe Alexander Murski (der russische Bassermann) und verschiedene Berliner Künstler mit. Tatsächlich also ein internationaler Film.

Heute ist es deutschen Filmgesellschaften wieder möglich, ausländische, ja, sogar amerikanische Kräfte zu engagieren, da sie kaum höhere Gagen als die deutschen verlangen. Zudem werden die Filme dadurch im allgemeinen im Auslande leichter verkäuflich, was immer noch eine wesentliche Rolle spielt.

In der Inflationszeit rechneten die Filmgesellschaften im allgemeinen so, daß der Verkauf in Deutschland gerade die Herstellungskosten decken mußte. Das Ausland war das Geschäft, vor allem Amerika, das jedoch als Abnehmer nur für ganz wenige Filme in Frage kam. Jeder Film in Deutschland wurde mit der Hoffnung auf das amerikanische Geschäft gedreht, und immer wieder gab es Enttäuschungen. Das lag nicht allein an der Unkenntnis und falschen Beurteilung des amerikanischen Geschmacks, es lag vor allem daran, daß die amerikanischen Filme, die man bei uns oft voll Verachtung als Kitsch bezeichnet hat, tatsächlich besser waren, daß sie den besonderen Anforderungen der Filmkunst mehr gerecht wurden. Aber das ist eine andere Geschichte, wie Kipling sagt.

Die Wahl der richtigen Typen für die Darsteller der Rollen ist von allergrößter Wichtigkeit. Die Schweden haben dies zuerst in seiner vollen Bedeutung erkannt, bei ihnen spielt überhaupt nicht der Schauspieler eine Rolle, sondern ein Mensch sich selbst. Das ist das Hauptgeheimnis der starken Wirkungskraft der Schwedenfilme, das ist ein Teil der großen Kunst von Maurice Stiller und Victor Sjöström, daß sie die richtigen Menschen zu finden verstanden, daß sie ferner derart zu inspirieren wußten, daß der Darsteller sich bei ihnen völlig mit seiner Rolle identifizierte. Es brauchen gar nicht immer hervorragende Schauspieler zu sein, wenn sie nur echt sind und sich selber geben. Das bringt uns die schwedischen und neuerdings auch manchen deutschen Film menschlich so nahe, und das ist letzten Endes vielleicht auch das Geheimnis von Jackie Coogan und Charlie Chaplin, die immer sich selber spielen.

Hieraus geht schon hervor, daß ein guter Filmregisseur auch ein guter Menschenkenner sein muß, aber mehr als das: er muß selbst eine so starke Persönlichkeit sein, daß er den Darstellern seinen Willen aufzwingen, sie aufpeitschen, ihnen ihre völlige Identität mit der Rolle suggerieren kann. Allerdings gibt es Darsteller – und zwar gerade die bedeutendsten –, die selbst zu persönlich sind, als daß sie ihre Eigenart der eines anderen unterordnen könnten. Aber erstens sind diese Künstler so selten, daß sie fast an den Fingern herzuzählen sind, zweitens muß sich bei ihnen die Kunst des Regisseurs darin zeigen, daß er gerade auf ihre Eigenart einzugehen (sie unbemerkt doch wieder zu beeinflussen) weiß, und endlich werden diese Darsteller immer nur Rollen spielen, die ihnen liegen (tun sie es einmal nicht, so müssen sie unbedingt versagen). Das hervorragendste Beispiel dieser Art ist Asta Nielsen, deren überragende Persönlichkeit allerdings einen sehr weiten Rollenkreis umfaßt.

Was ein Regisseur unter Umständen aus reinen Dilettanten herauszuholen vermag, zeigt »Der Berg des Schicksals«, dieser unerhörte Film, der einem direkt ans Herz packt. Hier hat sein Schöpfer Dr. Arnold Fanck sich nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur selbst untertan gemacht. Und die Darsteller wirken so natürlich, weil sie es sind. Der Film ist aus ihrem Leben geschöpft, ihnen abgelauscht. Besonders bemerkenswert ist, daß die in diesem Film mitwirkenden Berufsschauspieler neben den dilettierenden Sportsleuten abfallen.

Dieses Ablauschen ist auch das Wesentliche, wenn es sich um Tier- und Kinderaufnahmen handelt; daneben – wie auch bei Massenszenen – wieder die Suggestivkraft des Regisseurs. Hier ist ihm das ganz primitive, unbearbeitete Material in die Hand gegeben, und er muß sehen, den Darsteller (also auch das Tier) auf irgendeine Weise seinen Zwecken dienstbar zu machen, ihn zu interessieren, in seine Rolle hineinzuversetzen. Das ist – so merkwürdig es klingt – auch beim Tier möglich. Freilich wird man nicht verlangen können, daß die Krokodile, die im »Indischen Grabmal« einen Menschen verschlingen, ihre Rolle mit Verständnis spielen. Aber ihr Instinkt wird irgendwie wachgerufen – vermutlich durch Vorhalten eines Köders, auf den sie sich dann aufgeregt stürzen. Anders ist es schon mit höher organisierten Tieren. Der Hund weiß manchmal ganz genau, was man von ihm will, ihm macht das Mitspielen Freude, und er ist stolz auf eine gelungene Leistung.

Der Weg von hier zum Kinde ist gar nicht so weit. In deutschen Filmen wird demnächst ein vierjähriges Kind gezeigt werden, auf dessen Leistungen man gespannt sein darf. Der Regisseur, der es »entdeckt« hat, hält es durchaus nicht für ein Genie, ein Wunderkind, er ist vielmehr der Meinung, daß er aus jedem Durchschnittskinde dasselbe herausholen könnte.

Bei den Proben unterscheidet sich dieses Kind in keiner Weise von seinen Altersgenossen. Zuweilen bockt und mault es, aber immer wieder weiß der Regisseur es zu bezwingen und seinem Willen untertan zu machen, und dann spielt es mit vollkommener Natürlichkeit. Es lebt in seiner Rolle. Jetzt fürchtet es sich, dann wieder strahlt es vor Glück, fühlt in seinem kleinen Herzen Freud' und Leid, wie die Rolle es von ihm verlangt.

Jackie Coogan muß wohl mit einem anderen Maß gemessen werden. Er ist – wie Asta Nielsen und Charlie Chaplin – ein Phänomen in seiner Art. Dieses Kind wächst mit jedem Film über sich selbst hinaus, es leitet das Ganze, beherrscht stets die Situation und seine Mitspieler, und das alles mit der Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit, die eben den Namen Jackie Coogan in fünf Weltteilen berühmt gemacht hat.

Ein Gegenbeispiel sah man in einem der ersten französischen Filme, die uns nach der Kriegszeit wieder geboten wurden. Hier trat ebenfalls ein Kind, wohl in Jackies Alter, auf, aber mit einer Affektiertheit und Gezwungenheit, die Übelkeit erregte. Der Regisseur hatte nicht verstanden, das Kind mit seiner Rolle zu identifizieren; er hatte ihm nur die äußeren Gesten beigebracht, aber das Herz des Kleinen war nicht dabei. Unwillkürlich mußte man an die unglücklichen Theaterkinder denken, die auf der Bühne so deprimierend wirken können.

So reizend ein Kind im Film sein kann, so abschreckend ist es ja meist auf der Bühne. Zunächst kommt hier die Sprache hinzu. Man hat dem Kinde beigebracht, »deutlich« zu sprechen, und nun spricht es geschraubt und unnatürlich. Dazu weiß es die Augen des Publikums auf sich gerichtet und spielt für das Parkett. Daß dies beim Film nicht der Fall ist, bedeutet für das Kind einen Vorteil, für den erwachsenen Darsteller oft einen Nachteil. Das Kind braucht eine Atmosphäre, in der es völlig frei atmen kann, und die kann der geschickte Filmregisseur – aber auch nur der – geben.

Ebenso wie die Darsteller, muß der Regisseur seine anderen Leute in der Hand haben. Ein guter Film kann nur entstehen, wenn der Regisseur vollkommene Autorität besitzt, wenn ihm der letzte Arbeiter ebenso gehorcht wie die kleinste Komparse und der größte Schauspieler. Er ist ein Feldherr, der seinen Schlachtplan entworfen hat und jetzt erwartet, daß jeder seine Pflicht tut. Oft hat er – namentlich bei den zuweilen endlosen Wiederholungen – Unwillen und Müdigkeit bei seinen Mitarbeitern zu bekämpfen, und er muß diese Widerstände besiegen, wenn er etwas Gutes schaffen will. Alle Mittel muß er anzuwenden wissen, von Schmeichelei und Liebenswürdigkeit bis zu Grobheiten und Drohungen. Vor allem aber muß er gute Nerven haben. »Nur die Ruhe kann es machen!« muß der Wahlspruch jedes Filmregisseurs sein. Verliert er die Herrschaft über seine Nerven, über sich selber, so verliert er sie auch über sein Personal, und dann ist alles aus.

Der Regisseur ist der eigentliche Schöpfer des Films, der eigentliche Dichter. Das Beste entsteht oft erst während der Aufnahmen, die »Regieeinfälle« können aus einem schlechten Manuskript einen guten Film machen.

Solchen Regieeinfällen wird zuweilen viel geopfert. Von Joe May erzählt man folgende hübsche Geschichte:

In einem seiner Filme kommt eine Gerichtsszene vor, in der einer der Geschworenen sich unter dem Tisch einen Apfel schält. Dieses kleine Intermezzo wirft ein eigenartiges neues Licht auf die ganze Szene. Der Einfall dazu kam May erst bei der Aufnahme. Ein Apfel war nicht vorhanden, wie denn damals in Berlin überhaupt keine Äpfel aufzutreiben waren. May schickte sämtliche Autos, die dem Regisseur stets für vorkommende Fälle zur Verfügung stehen, auf die Suche. Die Aufnahmen wurden unterbrochen. Stundenlang fuhr ein halbes Dutzend Autos in Berlin herum, bis ein Chauffeur endlich in einem entlegenen. Geschäft hoch im Norden noch zwei ganze Äpfel fand, die er triumphierend anbrachte. Alle anderen Autos kehrten nach ergebnisloser Fahrt zurück. Jetzt wurde gedreht. Der Geschworene schälte seinen Apfel, aber Joe May war nicht zufrieden; der zweite Apfel wurde geopfert: dasselbe Ergebnis. Guter Rat war teuer. May wollte die Autos von neuem ausschicken, jetzt aber legte sich der Geschäftsführer ins Mittel. Die beiden Apfel waren wohl die teuersten gewesen, die je in Berlin zu finden gewesen waren, und mehr konnte und wollte die Gesellschaft nicht für diesen einen Regieeinfall opfern.

Eine derartige Machtvollkommenheit besitzt der amerikanische Regisseur übrigens nicht, er wird fest an der Dollarstrippe gehalten. Bei uns kann es vorkommen, daß ein Film, der auf 100 000 Mark kalkuliert ist, nachher 2 Millionen kostet. Das ist im praktischen Amerika nicht möglich. Dort wird das vorher in allen Einzelheiten ausgearbeitete Drehbuch einem der großen speziellen Filmkalkulationsbureaus übergeben und dort von geübten Kalkulatoren, die ihr ganzes Leben nichts anderes zu tun haben, so genau wie möglich berechnet; der Endsumme wird ein gewisser Aufschlag für unvorhergesehene Ausgaben hinzugerechnet. Nehmen wir an, daß die Kosten nunmehr auf 30 000 Dollar veranschlagt sind. Jetzt wird das Drehbuch einem geeignet erscheinenden Regisseur mit vorgedruckten Kalkulationsformularen übergeben. Er muß selbständig eine neue Berechnung vornehmen, ohne das Ergebnis der bereits vorliegenden zu kennen. Kommt er zu einem von dem der Gesellschaft sehr verschiedenen Resultat, ist es also zum Beispiel um ein Drittel niedriger, so wird er entweder aufgefordert, eine neue, genauere Kalkulation vorzunehmen, oder man hat das Vertrauen zu ihm verloren und wendet sich an einen anderen Regisseur. Stimmt die Kalkulation einigermaßen mit der des Bureaus überein, so wird ihm die Ausführung des Films übertragen. Er haftet dann persönlich dafür, daß die festgesetzte Summe nicht überschritten wird. Hat er während der Aufnahmen Regieeinfälle, die ihm wesentlich erscheinen, aber Geld kosten, so muß er erst die Genehmigung der Gesellschaft dazu einholen. Auf diese Weise ist die Gesellschaft natürlich im allgemeinen vor unangenehmen Überraschungen gesichert.

Daß die amerikanischen Filmgesellschaften in ihrer Organisation völlig der übrigen amerikanischen Industrie angepaßt sind, ist selbstverständlich. Hier wie dort ist das Taylorsystem Trumpf. Aber auch die großen deutschen Konzerne, wie Ufa, Westi-Film und Decla, haben die Vorteile der straffen amerikanischen Organisation eingesehen und holen sich von ihr alles Gute, was sich mit deutschen Verhältnissen vereinigen läßt. So hängen in den Bureaus des Westi-Film Tafeln, die die Verzweigung von der Hauptleitung bis zum geringsten Nebenbetriebe graphisch darstellen. Immer mehr kommt es dazu, daß die Fäden der ganzen Filmindustrie in einigen wenigen riesigen Zentralen zusammenlaufen; der kleine, nicht sehr kapitalkräftige Privatfilm kann schon längst nicht mehr mitkommen – seine Zeit ist vorbei. Bei manchen dieser großen Gesellschaften geht es schon so weit, daß sie ihre eigenen Lichtspielhäuser besitzen, bei anderen erstreckt sich die Organisation nur bis zum Verleih.

Das Beschränken der kleineren Privatgesellschaften hat das Gute zur Folge gehabt, daß der Absolutismus und die Protektionswirtschaft, die sich zuweilen in ihnen breit machten, nicht mehr zu Worte gelangen. Es kam vor, daß alles von Meinungen und Wünschen des Stars abhing; ganz schlimm wurde es, wenn dieser Star noch dazu mit dem Direktor verheiratet war. Da wurde der unglaublichste Kitsch gedreht, und neben der Hauptdarstellerin konnte keine andere aufkommen. Eine unserer bekanntesten Filmdarstellerinnen weigerte sich einmal mitten in den Aufnahmen, weiterzuspielen, weil sie erfuhr, daß eine zweite Rolle, die ihr im Manuskript mehr oder weniger unterschlagen worden war, von ebenso großer oder größerer Bedeutung war als ihre eigene. Etwas wird man mit diesen Starallüren, die man ja auch von der Bühne her schon sattsam kennt, immer rechnen müssen, der Regisseur, der einen mächtigen Konzern hinter sich weiß, wird sich aber nicht so leicht dadurch imponieren lassen, wie der, den der Gatte oder Geliebte der Schauspielerin engagiert hat, und der ihr natürlich ganz machtlos gegenübersteht.

* * *

Die Aufnahmen haben begonnen –

Grünlich-violett schimmern die Gesichter in dem scharfen Licht der langen Röhren, in denen unten das Quecksilber brodelt und seine leuchtenden Dämpfe aufsteigen läßt. Man vermag nicht hineinzusehen, so blendet diese künstliche Sonne, und viele Filmdarsteller müssen sich andauernd mit schmerzhaften Augenentzündungen plagen. Die großen Lampenständer sind auf Anordnung des Regisseurs und des Operateurs so aufgestellt, daß sie Licht und Schatten für den jetzt gebrauchten Atelierwinkel richtig werfen und verteilen.

Es ist eine kleine Szene: Ein Diener kommt mit einem Tablett die Treppe herab, geht zu einem Tisch und legt einen Brief hin. Das sieht ganz einfach aus und ist es auch im Vergleich mit anderen Szenen, macht aber doch dem Regisseur Mühe genug.

Der Apparat ist eingestellt, der Aufnahmeausschnitt genau festgelegt. Was innerhalb dieses Ausschnittes vorgeht, kommt nachher auf den Film. Zunächst muß aber geprobt werden.

Die Methoden sind verschieden. Mancher Regisseur probt ein dutzendmal, dann wird ein-, zweimal gedreht. Einer unserer bekanntesten probt nur ein- oder zweimal, dreht dann los, wiederholt die Szenen nun aber zehn- bis vierzigmal! Er hat dabei den Vorteil, daß er sich aus der großen Menge von Aufnahmen die am besten gelungene aussuchen kann. Andererseits ermüden die unzähligen Wiederholungen die Darsteller, so daß die vierte oder fünfte Aufnahme meistens besser als die vierzigste sein dürfte. Immerhin kann es vorkommen, daß auch einmal eine der letzten oder gerade die letzte Aufnahme die beste ist. Natürlich ist diese Arbeitsmethode sehr kostspielig, denn sowohl Zeit wie Material werden dabei verschwendet. Bei dem letzten Film, den dieser Regisseur drehte, verbrauchte er für eine Gesamtlänge von etwa 6000 Metern ungefähr 80 000 Meter Material. (Der Direktor einer Filmgesellschaft, dem ich dies erzählte, meinte, der Mann müsse aufgehängt werden!)

Derselbe Regisseur, welcher der schwedischen Schule angehört, ist derart minuziös in seinen Anordnungen, daß ihm nicht genügt, wie andere Regisseure etwa in vorliegendem Falle dem Darsteller des Dieners zu sagen: »Sie gehen langsam die Treppe hinunter und kommen drei Schritte herein, bleiben dann stehen, drehen sich etwas nach vorn, wenden den Kopf nach rechts, blicken wieder geradeaus, gehen dann zum Tisch und legen den Brief hin«; er hat vorher mit Kreide genau die Stellen auf dem Fußboden bezeichnet, wo er jedesmal hinzutreten hat. Ich halte dies persönlich für eine Übertreibung, die der Natürlichkeit der Bewegungen im Film Abbruch tun muß. Der Darsteller ist gezwungen, immer zu Boden zu sehen und aufzupassen, daß er nicht vorbeitritt. Was er dabei beabsichtigt, ist natürlich die genaue Kontrolle über Proportionen und Raumverteilung im Bilde, es sind also rein künstlerische Beweggründe, die ihn leiten. Ich habe den betreffenden Film nicht fertig gesehen, kann also über den Erfolg der Methode noch nichts Abschließendes sagen, vorgeführte Bruchstücke schienen jedoch meine Ansicht zu bestätigen.

Ist genügend geprobt, so gibt der Regisseur das Kommando: Aufnahme! Alle Nichtbeteiligten müssen nun sofort aus dem Gesichtswinkel verschwinden, das Licht wird eingeschaltet und die geprobte Szene von neuem gespielt, um diesmal festgehalten zu werden. Vorher wird eine Tafel mit der Nummer der Aufnahme vor den Apparat gehalten, so daß der Regisseur später, beim Bearbeiten des Films, genau weiß, was er vor sich hat.

Jetzt gilt es für den Regisseur, seine Persönlichkeit durchzusetzen. Er steht neben dem Apparat, damit er alles genau so sieht, wie die Linse es tut, und jetzt beschwört er seine Darsteller, haucht ihnen seinen Geist ein: »Sie treten ein, Sie sehen etwas Furchtbares, Sie erschrecken bis ins Innerste! Halt! Sie weichen zurück. Da sehen Sie Julia. Die Erlösung. Die Spannung läßt nach. Ein glückliches Lächeln usw.«

Von der Art, wie der Regisseur hier arbeitet, hängt alles ab. Kann er die Darsteller nicht mitreißen, nicht alles aus ihnen herausholen, so ist alle Mühe vergebens, es wird nur ein Durchschnittsfilm, der seinerseits wieder nicht vermag, den Zuschauer mitzureißen.

Fast nie gelingt eine Aufnahme auf den ersten Anhieb. Sie wird abgebrochen, muß von vorn beginnen. Zuweilen vergeht ein ganzer Tag, bis eine kleine unbedeutende Szene aufgenommen ist.

Dies Nichtberechnenkönnen der Zeit hat für das Personal, namentlich für den Darsteller, zwei Seiten. Die eine ist, daß er meistens mehr verdient, als vorher festgesetzt war (allerdings rechnen die Filmgesellschaften schon von vornherein mit einer Zeitspanne, die die unbeschäftigten Tage einrechnet, aber sie wird doch häufig überschritten). Die andere ist die, daß der Darsteller stunden-, ja tagelang unbeschäftigt dasitzen muß und nicht weiß, was er anfangen soll. Dieses Wartenmüssen ist eine Tortur. Er darf sich nicht vom Fleck rühren, weil es sein kann, daß er im nächsten Augenblick darankommt, er kann sich nicht beschäftigen, darf nicht einmal rauchen (wegen Feuersgefahr im Glashause streng verboten, und nur verwöhnte »Stars« kümmern sich zuweilen nicht um das Verbot).

Filmen ist schlimmer als Straßenpflastern. Hierbei hat man doch wenigstens das eintönige, aber taktvolle und zuweilen ganz melodische Geräusch der Rammen, sieht, was auf der Straße vorgeht. Der Filmdarsteller aber, der mehr oder weniger ein geistig reger Mensch ist und sich irgendwie beschäftigen muß, ist rettungslos tödlicher Langweile ausgesetzt. Er hat nicht einmal, wie der Schauspieler auf der Bühne, immer das Interesse am Stück; denn oft, wenn ihm nur eine kleinere Rolle zugeteilt ist, kennt er es gar nicht, wird nur über die einzelnen Szenen orientiert, in denen er gerade aufzutreten hat und die ihm, aus ihrem Zusammenhang herausgerissen, manchmal ganz sinnlos erscheinen müssen. Dazu kommt, daß ihm die direkte Verbindung mit dem Publikum fehlt, die ihn anfeuert und ermuntert, und die dem echten Schauspieler so sehr notwendig ist.

Der Filmdarsteller ist überhaupt nicht auf Rosen gebettet. Ist er gerade einmal beschäftigt, so verdient er gut, aber oft muß er Monate warten, bis er wieder einmal ein Engagement für acht Tage findet. Er muß von Filmgesellschaft zu Filmgesellschaft laufen, die Regisseure aufsuchen, wird, wenn er nicht einen großen Namen hat, wie ein stellungsloser Handlungsgehilfe behandelt, ist Demütigungen und Übergriffen ausgesetzt, die er wehrlos über sich ergehen lassen muß, da er nicht die Mittel besitzt, seine Rechte auf gerichtlichem Wege geltend zu machen (auch hier sind es meist die kleineren Privatgesellschaften, die die materielle Abhängigkeit des Schauspielers am ärgsten ausnutzen). Jeder Schauspieler sei heute davor gewarnt, ein festes Bühnenengagement, und sei es noch so bescheiden, aufzugeben, um sich ausschließlich dem Film zu widmen.

Natürlich gibt es Ausnahmen: die Berühmtheiten, um die jede Gesellschaft sich reißt, und die ihre Forderungen stellen können. Sie revanchieren sich zuweilen, indem sie ihre Filmgesellschaften ebenso schlecht behandeln, wie diese ihre Kollegen. Einer unserer besten Schauspieler sagte mir kürzlich auf meine Frage, warum er so selten filme: »Ich filme nur, wenn ich bestimmen kann, daß ich an diesem oder jenem Tage um zehn Uhr morgens mit dem Auto abgeholt werde, sofort spielen und um ein Uhr wieder zu Hause sein kann. Meine Zeit ist mir zu schade, als daß ich sie mit dem Herumstehen im Atelier vergeuden sollte.« Der Mann hatte natürlich recht, aber wie viele Schauspieler gibt es, die sich diesen Standpunkt leisten können?

Die Theaterdirektoren klagen seit Jahren darüber, daß der Film ihnen ihre besten Kräfte raube. Ich glaube, diese Gefahr ist heute nicht mehr so groß. Abgesehen davon, daß die Filmproduktion, namentlich in Deutschland, sehr eingeschränkt werden mußte, da der deutsche Film auch im eigenen Lande nur noch schwer mit dem amerikanischen konkurrieren kann, ist heute mit wenigen Ausnahmen jeder Schauspieler froh, wenn er ein festes Engagement hat, und verpflichtet sich in solchem Falle gern, gar nicht oder nur mit Erlaubnis des Bühnenleiters zu filmen. Die Mitglieder der Berliner »Truppe«, eines auf genossenschaftlicher Basis geleiteten Unternehmens, sind eine derartige Verpflichtung eingegangen, wobei allerdings neben den praktischen auch künstlerische Gründe mitsprechen.

Freude machen dem Darsteller manche Außenaufnahmen, zumal wenn es sich um See- oder Gebirgsreisen handelt. Ein Sommeraufenthalt, für den man noch dazu bezahlt wird, ist nicht das Schlechteste. Andererseits spielen die nicht unbedeutenden Gefahren des Berufs gerade bei Außenaufnahmen eine beträchtlich größere Rolle als bei Atelieraufnahmen, bei denen viel leichter die entsprechenden Vorsichtsmaßregeln getroffen werden können.

Nun ist nicht alles, was nachher auf der Leinwand so aussieht, daß dem Zuschauer der Atem stockt, bei der Aufnahme gefährlich gewesen. Im Gegenteil: meistens handelt es sich hier um geschickte »Tricks«. Mit die bekanntesten sind die Kletterei auf Dächern, das Herunterspringen aus großer Höhe und ähnliches. Das alles wird zumeist im Atelier gemacht, wobei der Kletterer auf allen vieren auf dem Boden herumkriecht oder allenfalls ein paar Meter hochklettert. Hin und wieder sind aber die »Sensationen« im Film doch echt, und dann sind sie oft gefährlich genug und haben schon manchen Arm- und Beinbruch, ja sogar schon Todesfälle zur Folge gehabt. Bekannt sind namentlich die Filme von Albertini und Harry Piehl; bei letzterem ist allerdings nicht alles ganz echt. Volle Wirklichkeit sind die fabelhaften sportlichen Leistungen in dem schon erwähnten »Berg des Schicksals«, alles Tricks der in seiner Art fast ebenso packende »Ausgerechnet Wolkenkratzer«. Es kommt im Grunde genommen ja nicht so sehr auf die Echtheit wie auf die erzielte Wirkung an. Der Film ist kein Zirkus. Wen nicht gruselt, weil er weiß, daß die Sensationen nicht echt sind, dem ist nicht zu helfen oder der Film ist schlecht. Wer die waghalsigen Kletterkünste Harald Lloyds in »Ausgerechnet Wolkenkratzer« gesehen hat, und wem das Herz dabei nicht stehengeblieben ist, der soll zu Hause bleiben! Dabei weiß jeder, daß es sich lediglich um Tricks handelt, vergißt es aber im Wirbel der Geschehnisse.

Wie diese Tricks gemacht werden, nun, das ist meistens das Geheimnis der Hersteller des betreffenden Films, die sich wohl hüten, es preiszugeben. Hin und wieder gelingt es aber doch, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Der erste primitive und harmlose Trick in der Geschichte des Films ist wohl das durch langsames Aufnehmen vorgetäuschte blitzschnelle Hintereinanderherlaufen bei den komischen Verfolgungen, die dann zuweilen wieder rückwärts abgekurbelt wurden. Noch heute wird dieser einfache Trick angewendet, wenn der Darsteller vom fahrenden Eisenbahnzuge herabspringen soll, bis zum letzten Augenblick in der Gefahr schwebt, vom daherrasenden Auto überfahren zu werden. Statt dreißig Aufnahmen in der Sekunde werden dann vielleicht nur zehn oder noch weniger gemacht. Da das Abkurbeln später bei der Vorführung in derselben Schnelligkeit vonstatten geht, mit der die übrigen Teile des Films gedreht werden, wirkt die Szene natürlich mit drei- und vierfacher Geschwindigkeit. (Es ist dies das umgekehrte Prinzip wie bei der »Zeitlupe«, von der noch die Rede sein wird.) Bei Filmen, in denen Menschen und reißende Tiere zusammen auftreten, befindet sich zuweilen eine Glasscheibe zwischen ihnen ( Quo Vadis?). Stürzt ein Mensch von einem Felsen herab, so wird eine Puppe hineingeschmuggelt, ebenso bei Automobil-, Eisenbahnunfällen und ähnlichem.

Zuweilen kann man mit ganz einfachen Mitteln hübsche Wirkungen erzielen. Regnet es im Film, aber nicht vorn auf dem Bilde (dann wird der wirklich regnende Röhrenapparat benutzt), sondern die Szene spielt im Zimmer, und man sieht den Regen nur gegen das Fenster klatschen, so steht dahinter ein Mann mit einem Eimer Wasser und einem Handbesen und spritzt das Wasser gegen die Scheibe; die Wirkung ist täuschend.

Viele Tricks entstehen auch erst bei der weiteren Bearbeitung des Films, beim Kopieren und Schneiden, oder es werden Doppelaufnahmen gemacht, die sich genau decken müssen, wie bei der Aufnahme Toter, deren Geist sich vom Körper loslöst (zum Beispiel in dem wunderschönen Schwedenfilm »Der Fuhrmann des Todes«).

Trick ist letzten Endes auch die Vortäuschung ungeheurer Menschenmassen, während es sich in Wirklichkeit nur um ein verhältnismäßig kleines Häufchen handelt.

Von wirklichen Massenszenen ist man unter dem Druck der Verhältnisse (und dank ihnen) in den letzten Jahren beim deutschen Film immer mehr zurückgekommen. Volksaufzüge, wie wir sie im »Indischen Grabmal« und anderswo sahen, erforderten ein Personal, dessen Bezahlung selbst dem größten Unternehmen jetzt Schwierigkeiten gemacht hätte. Trotzdem verzichtete man keineswegs darauf, suchte nur die Wirkung auf andere Weise zu erzielen und hatte neben dem materiellen einen schönen künstlerischen Erfolg. Man fand, daß dreißig, vierzig Köpfe in rasender Bewegung, erhobene Fäuste, Gestikulieren, das alles in nahem Ausschnitt gesehen, unter Umständen weit mehr wirkte, als eine Fernaufnahme mit mehreren tausend Personen. Hier ist vielleicht in gewissem Sinne das Theater Vorgänger gewesen, und zwar die Kunst Reinhardts, die aus zwanzig Menschen auf der Bühne eine Armee machte. Die richtige Aufnahme von Massen aufnahmen ist sicher eines der Hauptkriterien eines guten Film- wie Theaterregisseurs.

Man hat überhaupt allmählich eingesehen, daß das Wesentliche im Film in der Großaufnahme (bei der die ganze Leinwand vom Kopf eines Darstellers oder doch denen einiger weniger ausgefüllt ist) oder in der Nahaufnahme (bei der im Gegensatz zur Fernaufnahme die Kamera dicht an die Spielenden herangerückt wird und sie nur mit einem kleinen Ausschnitt der Umgebung zeigt) gegeben werden kann. Einer der besten Filme, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, war der Foxfilm »Der Gefangene vom Castell d'If« (nach Alexander Dumas' »Graf von Monte Christo«). Dieser Film bestand fast ausschließlich aus Großaufnahmen, während alles andere nur gewissermaßen gelegentlich zur Erhellung der Situation eingestreut war. Fernaufnahmen gab es in diesem Film nur ganz wenige von kurzer Dauer. Alle Vorgänge spielten sich auf den Gesichtern der Darsteller ab, Freude und Leid, Haß und Liebe. Das war echte Filmkunst, freilich unterstützt von wirklichen Künstlern. Dieser Film stellte in gewisser Beziehung einen Höhepunkt dar. Ein anderer war der Film »Neuyork« der Hamburg-Amerika-Linie. Hier war alles wiederum nur Fernaufnahme, man sah die Einfahrt mit der Freiheitsstatue, den Hafen Neuyorks und dann die Stadt mit ihren Wolkenkratzern, ihrem Trubel an Autos und Hochbahnen und zuletzt mit ihrer betäubenden nächtlichen Reklame.

Ich hatte zuerst daran gedacht, das vorliegende Büchlein mit Illustrationen aus irgendwie hervorstechenden Filmen zu versehen, und wandte mich zu diesem Zweck auch an die Hamburg-Amerika-Linie mit der Bitte um Material aus diesem Film. Nun erhielt ich zwar sofort eine Photographie, eine sehr schöne Aufnahme, aber von dem, was den Film so unwiderstehlich gemacht hatte, war nichts mehr zu spüren. Es war die sehr schöne Wiedergabe von Neuyorker Wolkenkratzern, aber das hatte man schon tausendmal in allen illustrierten Blättern gesehen. Und ich erkannte wieder, was das Wesentliche eines jeden und ganz besonders dieses Films war: die Bewegung. Das geradezu Aufregende an dem Neuyorkfilm war der Wirbel der Bewegung, war diese Fahrt durch das steinerne Meer der Riesenstadt mit seinem Wellenschlag, war vor allem das Lichtgefunkel in der Nacht, dieser mächtige Rhythmus gewesen. Noch nie war mir das Treffende des Ausdrucks »lebende Bilder« so klar geworden. Der Film war mir ein Erlebnis gewesen, die Photographie eine Erkenntnis. Sie veranlaßte mich, auf einen Bildschmuck des Buches zu verzichten. Wer Illustrationen dazu sucht, gehe ins nächste Kino.

Was das Wesen des Films ausmacht, sind neben der Bewegung die Farbigkeit und die Plastik. Das klingt widersinnig, denn gerade diese beiden Eigenschaften sind es ja, die wir vermeintlich beim Film noch vermissen, nach denen wir streben.

Es mag eine persönliche Empfindung sein: Für mich ist jeder gut aufgenommene Film absolut plastisch. Wieder dieser Neuyorkfilm: Wir fahren im Auto durch die Straßen der Stadt, die sich vor unseren Augen gleichsam entwickelt; wir sehen die Häuser von einer Seite, lenken um sie herum, und sie verschieben sich vor unseren Blicken, so daß ihre Blockgestalt deutlich in die Erscheinung tritt. Dieselbe plastische Wirkung erzielte ein ganz einfacher Film, den ich einmal sah. Er zeigte Negerplastiken, die langsam gedreht wurden, und dieses Drehen, das sie allmählich von allen Seiten zeigte, erweckte den Anschein völlig plastischen Sehens.

Wenn der expressionistische Maler einen Menschen darstellt, will er seine Plastik, seine Bewegung dadurch wiedergeben, daß er Einzelheiten – von allen Seiten erfaßt – blitzhaft aufleuchten läßt, sie nebeneinander auf die Fläche bringt. Um ihm folgen zu können, bedarf es einer besonderen Einstellung. Der Film popularisiert den Expressionismus, er ist expressiv (auch in seinen Dekorationen, selbst wenn er die Natur als Hintergrund verwendet), ist Expressionismus an sich, und es ist daher Pleonasmus, wenn man für ihn besondere expressionistische Dekorationen schafft, abgesehen davon, daß stets ein Abgrund zwischen ihnen und den ihrer naturalistischen Form nicht zu entkleidenden Darstellern klafft.

Und die Farbigkeit. Jeder Farbenfilm, den ich bisher gesehen, wirkte auf mich entfärbt, entwirklicht. Solange der Film farblos, das heißt schwarz-weiß, ist, habe ich das Gefühl absoluter Natürlichkeit. Ich empfinde die Bäume grün, den Himmel blau, ich sehe (gleichsam) die Farben der Kleider. In der Farbenaufnahme spüre ich nur das Erkünstelte, Untreue, und ich glaube nicht, daß dies lediglich mit der bisherigen Unvollkommenheit der Technik zusammenhängt. Möglich, daß ich mich zum Farbenfilm bekehren ließe, wenn er technisch vollkommen gelöst wäre, wenn die Farben der Natur ohne Beigeschmack von der Leinwand widerleuchteten. Vorläufig hoffe ich, daß die Lösung nicht gefunden werde oder doch nur, um wissenschaftlichen Zwecken zu dienen; dort mag der Farbenfilm eine Mission zu erfüllen haben.

* * *

Ich bin ein wenig abgeschweift und habe den Dingen vorgegriffen. Doch nun zurück zur Aufnahme.

Während in dem einen fertigen Raum schon gedreht wird, sind in den anderen noch die Handwerker an der Arbeit. Da wird gemauert, gezimmert, tapeziert, gemalt, Mosaik- und Parkettfußboden gelegt (aus quadratischen Platten, die zusammengeschoben werden). Das riesige Glashaus enthält halbe Schlösser und Villen, Burgen und Ballsäle zugleich; es kommt vor, daß drei Filmgesellschaften gleichzeitig im selben Atelierhaus arbeiten, ohne daß eine etwas von der anderen weiß. Dann und wann huscht wie ein Wunder aus einer anderen Welt eine weißgeschminkte Gestalt herein und betrachtet mit den großen schwarzen Filmaugen neugierig die Bauten der Konkurrenz.

Die aufgebauten Räume stehen zuweilen monatelang, manchmal nur wenige Tage. Ist doch auch die Aufnahmedauer eines Films ungeheuer verschieden. Ein gewöhnlicher Spielfilm wird unter Umständen in vierzehn Tagen heruntergekurbelt; es darf nicht länger dauern, weil die Kosten sonst zu hoch würden, als daß der Film sich bezahlt machen könnte. (Immerhin stellt sich ein einfacher Spielfilm heute auf 50 000 bis 100 000 Mark.) Die Aufnahmen des schon erwähnten »Michael«, der schließlich auch nichts anderes als ein Spielfilm ist, für den jedoch Direktor wie Regisseur ihren ganzen Ehrgeiz eingesetzt hatten, beanspruchten mehr als ein halbes Jahr. Im ersteren Falle wird ein Festsaal, eine Bahnhofshalle in wenigen Tagen und Stunden zusammengehauen. Hier wurde monatelang gebaut. Da wurden Kamine und Öfen entworfen (um nachher auf den Müllhaufen geworfen zu werden), antike Möbel aus Papiermaché gepreßt, es wurden Ölgemälde von bedeutenden Malern besonders für diesen Film hergestellt, Abgüsse antiker Statuen gekauft, man entlieh bei Antiquitätenhändlern kostbare Porzellane, Vasen und Uhren, mexikanische Ausgrabungen wurden imitiert, echte Gobelins an die Wände gehängt, ein Pariser Hotelzimmer im reinsten Louis XVI. mit entzückenden Wandmalereien eines bekannten Künstlers geschmückt.

Man könnte meinen, daß es sich hier um einen Ausfluß von Snobismus gehandelt hätte, daß man genau dieselben Wirkungen leichter und billiger hätte erzielen können. Aber in diesem Film war die ganze Ausstattung von tiefer Bedeutung: sie spielte mit. Es wurde der Versuch gemacht, alles von einem Geiste durchdringen zu lassen, es zu einer Einheit zu machen. Dieser Geist sollte in gewissem Sinne der Herman Bangs sein.

Seltsam, spöttisch, nachtgezeichnet,
Wie der Sonne Morgenbrände
Flammend, liebtest du das Leben,
Stark und kämpfend bis zum Ende.

So hat Sophus Michaelis von Bang gesungen. Der Film sollte ein Denkmal für Bang werden. Freilich, es ist immer bedenklich, zwei Kunstarten zu verquicken, und es sei wieder gesagt, daß Film und Literatur nichts miteinander zu tun haben. Immerhin stand ein rein künstlerisches Wollen hinter der Schöpfung von Regisseur und Architekt, und manche feine geistreiche Anspielung im Michael-Film wird vielleicht vom Publikum unbeachtet bleiben, aber doch dazu beitragen, das Kolorit zu erhöhen. Fellner wiederum verzichtet in seinem Porten-Film »Das goldene Kalb« ganz auf solche Üppigkeit, er erzielt seine starken Wirkungen fast ausschließlich mit Hilfe der Beleuchtung, wie in der Gerichtsszene, in der die hohe, düstere Wand nur durch das Kruzifix belebt ist, dem ein paar helle Lichter aufgesetzt sind. Das ist höhere Kunst als das recht äußerliche Nachahmen exotischer Landschaften und Gebäude wie im »Indischen Grabmal«.

Es fällt im übrigen heute keinem Regisseur mehr ein, sich die Mühe zu machen, eine indische Stadt auf dem Tempelhofer Felde aufzubauen. Seit man gesehen hat, welch ein Unterschied zwischen solchen und Filmen besteht, die an Ort und Stelle aufgenommen werden, macht man derartige Aufnahmen lieber drüben. Die anderen bleiben doch immer nur Kulisse, ihnen fehlt die Atmosphäre, die sie erst echt wirken läßt, und so kommen sie jetzt nur noch in Betracht, wenn es sich um Episoden handelt, für die die Reise nicht lohnt.

Ist eine Dekoration im Film nicht mehr nötig, sind alle in ihr spielenden Szenen gedreht, so wird sie sofort abgerissen und eine neue an ihre Stelle gebaut. Darsteller, die nicht mehr gebraucht werden, können nach Hause gehen. Grotesk klingt es, wenn zuweilen eine Sterbeszene zuerst gedreht wird, und der Tote nachher in hundert anderen Szenen wieder auftritt, oder wenn der Hauptdarsteller, der im fertigen Film noch im letzten Augenblick auf der Leinwand erscheint, schon längst nach Hause gereist ist und noch wochenlang Szenen gefilmt werden, in denen er nichts zu tun hat.

Die Reihenfolge, in der gedreht wird, richtet sich lediglich nach praktischen Geichtspunkten: Aufbau und Darstellerhonorare. Das Künstlerische spielt hierbei keine Rolle, kann es leider bei dem heutigen Stande der Dinge nicht tun. In Amerika soll einer der bekannten Filmdarsteller (ich glaube, es war Douglas Fairbanks) einmal den Versuch gemacht haben, einen Film genau in der Szenenfolge aufzunehmen. Ob der Versuch geglückt ist, weiß ich nicht. Jedenfalls wird er bisher keine Nachfolge gefunden haben, da keine Filmgesellschaft den Idealismus so weit treibt, einer künstlerischen Idee, die sich nach außen kaum auswirken kann – es sei denn, in einer Vertiefung des Spieles –, solche Unsummen zu opfern, wie sie ein derartiges Experiment erfordert.

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Handelt es sich um einen großen Film, so werden wohl schon während der Dauer der Aufnahmen die einzelnen gedrehten Szenen entwickelt und kopiert und im Vorführungsraum, den heute jedes größere Atelier besitzt, projiziert. Der Regisseur sieht dann schon die Wirkung der fertigen Szene und kann sie unter Umständen noch einmal aufnehmen.

Ist es bei den Aufnahmen im Glashause möglich, jede gewünschte Beleuchtung hervorzubringen und bei jeder Witterung, zu jeder Tages- und Jahreszeit zu arbeiten, so sind die Außenaufnahmen an eine ganze Reihe von Vorbedingungen geknüpft, die sich der Natur nicht abtrotzen lassen. Zunächst kann – von gewissen Nachtaufnahmen abgesehen, bei denen prachtvolle Wirkungen erzielt werden können – die Aufnahme nur bei Tageslicht erfolgen, das zudem noch günstig sein muß. Bei Großstadtaufnahmen würde häufig der starke Verkehr stören. Man muß daher die Aufnahmen am zeitigen Morgen machen, wenn die Straßen noch still sind, was wiederum nur im Sommer geschehen kann, oder sie in Gegenden verlegen, die in der Peripherie der Stadt liegen und vom Verkehr noch wenig oder gar nicht berührt werden. So gibt es gewisse Gegenden, die zu Filmaufnahmen bevorzugt werden, wie Berlin-Westend, wo man eine Zeitlang fast täglich Zeuge mehr oder weniger interessanter Filmaufnahmen werden konnte. Für Aufnahmen, die einen bestimmten landschaftlichen Charakter tragen sollen, müssen häufig erst wahre Entdeckungsreisen gemacht werden, und wirklich haben diese Reisen manche verborgene Schönheit – auch von Städtebildern – zutage gefördert. Eine verschneite Landschaft, ein vereistes Flußufer lassen sich mit dem besten Willen nur im Winter aufnehmen, blühende Kirschbäume (der Japaner mit seinem dekorativen Sinn weiß, warum er sie so liebt) nur im Frühling. Um Aufnahmen des stürmischen Meeres zu machen, muß man oft wochenlang auf den rechten Augenblick warten, wenn im allgemeinen auch die Zeit des Mondwechsels wegen der meist damit verbundenen Springflut günstig ist.

Für den Nanukfilm mußte eine Expedition ausgerüstet werden, die monatelang unter den schwierigsten Verhältnissen arbeitete. Prinz Wilhelm von Schweden und sein Landsmann Bengt Bernt hatten auf ihren Filmreisen in Afrika hundert Gefahren zu bestehen. Freilich lohnte die Mühe sich: der Zugvögelfilm des letzteren ist eine der schönsten Schöpfungen der Kinematographie. Übrigens waren die letzteren Reisen nicht wie im Falle Nanuks ausschließlich zum Zweck von Filmaufnahmen unternommen worden. Es waren Forschungsreisen, bei denen die Kamera allerdings eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Shackletons Südpolfahrt wurde im Film festgehalten, Amundsens Nordpolflug wird in ihm verewigt werden. »Der Berg des Schicksals« wurde in den Dolomiten aufgenommen, und selbst die Besiegung des Mount Everest wird auf der Leinwand gezeigt.

Eine große Rolle spielt im Film die moderne Verkehrstechnik. Wie oft sieht man zum Beispiel Szenen, bei denen die Eisenbahn aktiv oder passiv mitwirkt. Für solche Zwecke muß sich der Regisseur mit dem Eisenbahnfiskus in Verbindung setzen und sich zuweilen eine Rangierstrecke zur Verfügung stellen lassen, ein paar Lokomotiven und ganze Züge mieten. Natürlich ist das immer eine kostspielige Sache, die aber bei den ungeheuren Gesamtkosten eines modernen Films kaum ins Gewicht fällt. Auch das Flugzeug findet immer häufigere Verwendung im Film. Sieht man aber den Helden im Aeroplan aufsteigen, so ist es meistens ein Trick: statt seiner fährt ein geübter Pilot, der möglichst die gleiche Figur und genau die gleiche Kleidung wie der Schauspieler hat. Kappe und Brille besorgen dann die weitere Unkenntlichmachung. Ebenso pflegt es bei waghalsigen Varieténummern gemacht zu werden. Wer darauf achtet, wird bemerken, daß bei ihnen fast nie das Gesicht erkennbar ist. Zwischendurch wird wohl, um die Illusion zu erhöhen, eine Groß- oder Nahaufnahme gebracht, sie zeigt aber den Artisten dann stets in Ruhestellung, also etwa auf dem Trapez sitzend. Reitszenen sind häufig, und tatsächlich sind manche unserer bekannten Filmdarsteller ebenso gute Reiter wie Fechter und Tänzer; gehören doch diese Fertigkeiten zu den fast unumgänglichen Vorbedingungen, die an einen Schauspieler hier noch weit mehr als beim Theater gestellt werden. Schöne Reitszenen sah man zum Beispiel im Fridericusfilm, prachtvoll sind oft die amerikanischen Cowboydarstellungen.

Das Automobil hat sich den Film ganz erobert. Seine Schnelligkeit, die dekorativen Möglichkeiten, die es bietet, machen es zu einem ausgezeichneten Instrument für die neue Kunst, mit der es gleichzeitig herangewachsen ist, in seiner ganzen Entwickelung gleichen Schritt gehalten hat. Für den Zuschauer dokumentiert sich der Reichtum einer Filmgestalt schon, wenn sie im eigenen Auto dahergesaust kommt; der Bankdirektor fährt bei seiner Bank vor, der vornehme Engländer müßte, ginge es nach dem Film, nur im Auto und im Klub leben. Die aufregende Jagd im Auto, nervenerschütternde Unfälle, tragische und komische Pannen, alles das haben wir Hunderte von Malen gesehen. Sehr reizvoll sind nächtliche Aufnahmen im Auto. Sie werden wirklich des Nachts während der Fahrt mit Hilfe besonderer Lampen gemacht. Zusammenstöße besetzter Autos sind natürlich Trickaufnahmen. Die Wagen fahren langsam (und langsam gedreht) aufeinander los; im letzten Augenblick wird abgestoppt, oder die Wagen werden ganz langsam zusammengeschoben. Dagegen hat man schon leere oder mit Puppen besetzte Autos wirklich zusammenstoßen, Abhänge hinunterstürzen lassen und ähnliches. Daß man dazu keinen Daimler neuester Konstruktion nimmt, ist klar.

Mit das Schönste, was der Film uns gegeben hat, sind Schiffsaufnahmen. Das Meer – ewig bewegt und wechselnd – leiht auch der weißen Wand etwas von seiner Unendlichkeit, seiner Großartigkeit, von seinem Rhythmus, der so sehr wichtig für den Film ist. Nie sehen wir so Lebendiges wie das Spiel der Wogen. Der geschickte Operateur kann durch Ausnutzung geeigneter Beleuchtungen Fabelhaftes mit seiner Kamera aus diesem Element herausholen, dessen Zauber uns hier wie in der Wirklichkeit immer wieder gefangen nimmt. Bei Szenen, die an oder auf dem Meere spielen, bedarf es nicht einmal des häufigen Szenenwechsels wie sonst, denn das Meer ist an sich schon in jeder Sekunde neue Szene.

Meeres- und Schiffsaufnahmen müssen häufig von einem anderen Fahrzeug aus gemacht werden. Da wirkt die eigene Schaukelbewegung manchmal störend: So weit geht unsere Illusionskraft nicht, daß wir uns, wenn wir im stickigen überfüllten Kino sitzen, selbst als Zuschauer auf ein Schiff versetzen könnten, zumal es ja in diesem Falle auch nur technisches Hilfsmittel ist, also mit derselben Phantasie, die es erzeugt, wieder hinweggedacht werden müßte. Wir brauchen einen Ruhepunkt, von dem aus wir betrachten können, einen durchaus unbeweglichen Ruhepunkt. Es wird Sache der Technik sein, eine Vorrichtung zu konstruieren, die die Schlingerbewegungen des Schiffes paralysiert.

Eine eigentümliche optische Täuschung entsteht oft, wenn wir Aufnahmen schäumender Flüsse und Gebirgsbäche sehen. Das Wasser scheint bergan zu fließen. Woran das liegt, weiß ich nicht, möglicherweise an der Aufstellung des Apparats, der etwas geneigt gewesen sein mag, vielleicht aber auch daran, daß wir die Herkunft der Bewegung auf der ausschnittartigen Aufnahme nicht sehen und daß die Bewegung an sich nicht einheitlich ist, sondern durch kurze Gegenwellen unterbrochen wird. Treibt ein Gegenstand, ein Boot oder ein Baumstamm, den Fluß hinab, so erkennt man sofort die Richtung der Strömung.

Nichts zeigt so, wo die Technik aufhört und die Kunst anfängt, wie Landschaftsaufnahmen. Die photographische Linse arbeitet an sich ganz unkünstlerisch, ganz mechanisch (oder besser: chemisch). Alles hängt davon ab, daß der Operateur eine gewisse Stimmung zu erfassen und festzuhalten weiß. Immer muß er daran denken, daß die Landschaft nicht nur ein leerer Rahmen um die handelnden Personen sein darf, sondern ganz mit ihnen und der Stimmung des Stückes selbst beziehungsweise der betreffenden Szene verschmelzen muß, daß der Darsteller vielmehr ein Teil des Bildes ist. Achtel er nicht hierauf, so wird der Film nur seelenlose Photographie. Auch die Bewegung in der Natur, und nicht zum wenigsten sie, muß der Operateur seinen Zwecken dienstbar machen: ein stürmischer Abend auf herbstlicher Heide erweckt eine trübe, ahnungsschwangere, verzweifelte Stimmung (Thit Jensens wundervolles Buch »Der König von Sande« umreißt sie in Worten), leicht bewegte Birken am sonnigen, sanft rieselnden Bache geben Frohsinn und Heiterkeit wieder.

Der Operateur muß Künstler sein, er muß die in seinem Objekt schlummernden Möglichkeiten erwecken und zum Ausdruck bringen können. Er muß Licht- und Schattenwirkung genau zu beurteilen wissen, muß die Blende im richtigen Augenblick anwenden. Das Ab- und Wiederaufblenden erhöht nicht nur den Stimmungsgehalt des Films, sondern ist manchmal zum Verständnis der Handlung, zum Beispiel, wenn es sich um »Visionen« (Träume, Visionen usw.) handelt, unbedingt notwendig. Wo geblendet werden soll, muß der Regisseur beim Bearbeiten des Drehbuches genau vor sich sehen, und der Operateur muß es im Gefühl haben, mit welcher Schnelligkeit und in welcher Weise es erfolgen soll. Zu den Erfordernissen seiner Technik gehört ferner, daß er im Atelier den Lichtquellen genau ihren Platz anzuweisen, ihre Stärke zu bestimmen vermag. Er muß, wie der Architekt, die Schwarz-Weiß-Wirkung jeder Farbe beurteilen können. Gute Operateure sind denn auch sehr gesucht und erhalten hohe Gagen.

Dem Statisten beim Theater entspricht beim Film der Komparse, »die stumme Person, die bloß durch ihre körperliche Erscheinung mitwirkt«. Nach dieser Definition müßte ja eigentlich jeder Filmdarsteller, auch der Star, als Komparse bezeichnet werden, der Sprachgebrauch benennt so nur die Personen, die namenlos in Massenszenen und dergleichen mitwirken.

Im Zentrum Berlins befindet sich die Filmbörse: Ein Café, in dem Tisch an Tisch gedrängt alles sitzt, was Beschäftigung beim Film sucht. Jedes Alter, jeder Typ ist vertreten. Fesche junge Mädchen mit Asta-Nielsen-Augen und ausgemergelte Greise, Kinder mit süßen Pagengesichtern und Lebemänner, deren Züge von allen Lastern zu erzählen scheinen, behäbige Mütter und Tanten und knusprige Backfischlein warten wie Dornröschen auf ihren erlösenden Prinzen, der hier in der Gestalt des Hilfsregisseurs auftritt.

Der Hilfsregisseur ist die rechte Hand des Regisseurs, sein Mädchen für alles, und dazu der Schuld- und Sündenbock. Er muß für alles sorgen, ist für alles verantwortlich: daß die Darsteller zu den Aufnahmen, in denen sie gebraucht werden, rechtzeitig erscheinen, daß die Stars im Auto abgeholt werden, daß die als Bardame engagierte Komparse gerade Beine hat, daß der in der Varietészene auftretende Zauberkünstler wirklich zaubern kann, daß bei der Außenaufnahme die Sonne scheint, oder daß es zur rechten Zeit blitzt und donnert; er muß mit den Behörden verhandeln, Eisenbahnen und weiße Mäuse besorgen, und wehe ihm, wenn etwas nicht klappt! Alles wird ihm in die Schuhe geschoben, selbst ein Streik des städtischen Elektrizitätswerks. Seine schlechte Laune über die unmöglichen Leistungen der Diva, die der Regisseur sie selbst nicht zu fühlen lassen wagt, läßt er am Hilfsregisseur aus. Eine beneidenswerte Stellung hat dieser somit nicht, und ihn mag nur die Hoffnung trösten, daß er es selbst einmal zum Regisseur bringen und dann seinerseits wieder seinen Hilfsregisseur herumjagen und abkanzeln wird.

Einen großen Augenblick aber hat er: wenn er die Filmbörse betritt. Hier ist er ein großer Mann, und das weiß er. Alles umdrängt ihn, bietet sich an, macht ihm schöne Augen. Und er zieht seine Liste aus der Tasche, überschaut mit dem Blick des geborenen Herrschers sein Volk und wählt. Heute braucht er ein Tänzerpaar für eine Barszene (nein, nicht wieder die Harrissons, die haben ihm das letztemal Vorwürfe genug eingebracht), einen alten Herrschaftsdiener (ein würdiger alter Herr mit weißem Haar erhebt sich), einen Geheimrat (so kann nur ein Geheimrat aussehen!), eine ganze Ballgesellschaft (dreißig Personen, die Herren haben im Frack, die Damen in Gesellschaftstoilette, möglichst tief dekolettiert, zu erscheinen), eine Spreewälder Amme und ein paar Strolche. Das nächste Mal vielleicht eine Anzahl Inder oder Chinesen.

Noch eine andere Filmbörse gibt es: die der Tiere. Es gibt Geschäfte, die lediglich das Ausleihen von Tieren für den Film betreiben. Da findet man dressierte Polizeihunde und seidige Schoßhündchen, weiße Mäuse, Krokodile und Affen, Löwen, Tauben und Flamingos, Schildkröten und Dromedare, Känguruhs und Bären, Eidechsen und Pferde, kurz alles, was das Herz begehrt. Was nicht auf Lager ist, wird schnellstens besorgt.

Am nächsten Morgen hat sich das engagierte Personal (auch eventuell das vierbeinige) schon früh im Atelier einzufinden. Und nun beginnt ein anstrengender Tag, wobei die Aufnahmen zwar häufig durch stundenlanges, aber ebenso ermüdendes Warten unterbrochen werden. Versagt einmal das elektrische Licht, sitzt das Kleid der Diva nicht, so kann unter Umständen ein ganzer kostbarer Tag verlorengehen. Die Aufnahmen dauern zuweilen bis spät in die Nacht hinein. Bezahlte Überstunden gibt es nur für das technische Personal und die Komparserie. Die Darsteller erhalten nichts über die festgesetzte Gage hinaus, wenn nicht Extravergütungen ausgemacht sind.

Am Ende ist alles schachmatt, muß aber am nächsten Morgen wieder rechtzeitig zur Stelle sein. Zuweilen guckt auch der Herr Direktor in die Aufnahme hinein, hat auch wohl eine Kusine oder Freundin mitgebracht, die »so schrecklich gern einmal filmen möchte«. Was soll der arme, geplagte Regisseur machen! Er flucht innerlich und zeigt nach außen die größte Liebenswürdigkeit. Die Dame wird vielleicht in einer Gesellschaftsszene verwendet, wo sie nachher nicht auffällt – vielleicht wird sie auch später wieder herausgeschnitten.

Der Komparse ist oft mit Feuereifer bei der Sache, er ist unter Umständen begeisterter als der routinierte Star, namentlich wenn ihm einmal eine wirkliche »Rolle« anvertraut wird. Glänzende Erfahrungen haben manche Regisseure jedoch gemacht, die für Massenszenen, namentlich bei Straßenaufläufen und dergleichen, das sich zufällig ansammelnde Publikum verwandten, das sich dann viel freier und natürlicher gab als die einstudierte Komparserie. Bei Aufnahmen auf dem Lande, im Gebirge oder in Dörfern, ist es ja ein Festtag, ein Ereignis, wenn einmal eine Filmgesellschaft kommt und groß und klein mitspielen darf. Zudem spart die Gesellschaft die nicht geringen Gagen, die sie den Berufskomparsen sonst zu zahlen hätte. Hin und wieder findet man auch seltene Vögel in der Komparserie; so wirkt bei Berliner Aufnahmen häufig ein äußerst begabter und in gewissen Kreisen recht bekannter Maler mit, der sich ständig in Geldverlegenheit befindet und diesem Übelstande dann durch Filmen abzuhelfen sucht. In der Zeit der ärgsten Inflation, als der geistige Arbeiter in Deutschland tatsächlich vor dem Verhungern stand, sah man bei Filmaufnahmen bekannte Schriftsteller als Komparsen mitwirken, die froh waren, durch ihre Beziehungen zu dem betreffenden Filmregisseur oder Star ihr Leben auf diese Weise fristen zu können.

* * *

Lubitsch filmt.

Im weißen Kittel, Kaugummi kauend, steht er da, die scharfen Augen von den über der Nasenwurzel zusammengewachsenen schwarzen Brauen überwölbt, der Gesichtsausdruck ein wenig lässig überlegen. Man spürt, dieser Mann, der jetzt mit hastigen Schritten auf und ab geht, dessen Temperament sich in einer gewissen Nervosität verrät, weist, was er will, und vermag es durchzusetzen.

Neben ihm der kleine Hilfsregisseur, die Flöte am Munde.

Ein Wink von Lubitsch, und die Pfeife schrillt.

Im selben Augenblick steht alles gespannt da, kein Finger rührt sich, jeder strafft sich, als gelte es, einen Sportsieg zu erringen. Jeder fühlt sich selbst als ein Rädchen in der ungeheuren Maschinerie.

Pola lächelt. Diese winzige, hinreißende Bewegung ihres Mundes verrät unendlich viel. Dann wirft sie den Überhang der Garderobiere zu.

Ein paar kurze Worte, und das Bild ändert sich mit einem Schlage: Einen Augenblick scheint das Chaos zu herrschen, aber nur, um sich sofort wieder zu entwirren. Dabei geht alles so leise, so ohne jeden Lärm vor sich, daß es fast unheimlich wirkt. Stühle werden umgestellt, ein paar schwere Stücke lautlos (fast schon wie im fertigen Film) herbeigeschleppt. Die Ausnahmeapparate sind gestellt und gerichtet, die Operateure (zwei auf einmal) stehen bereit und warten.

Pola Negri erhebt sich. Das mattgelbe Gewand umfließt sie weich, sie schüttelt das wirre, schwarze Haar aus der niedrigen Slawenstirn. Neben sie tritt Thiemig, steht auf seinen Beinchen mit verträumtem Knabenlächeln da.

Das Spiel beginnt. Alles Geplauder, das noch vor kurzem den riesigen Glasraum durchrieselt hat, schweigt, als wäre es vor Jahrtausenden erstorben. Nur Lubitsch spricht jetzt. Leise und eindringlich. Und die beiden Menschen regen sich, bewegen sich gegeneinander, erwachen, fangen an zu sein, empfangen heißes Leben von dem Manne, der wenige Meter vor ihnen steht und ihnen seinen Willen einbläst, wie Mephisto im Faust. Seine schlaffen Züge straffen sich, seine Augen sprühen, er ist ein Bild zusammengedrängtester Energie.

Noch einmal. »Bravo, Pola!« ruft er. Lubitsch hat gelobt, und selbst das eitle Primadonnenherzchen schwillt vor Stolz.

»Aufnahme!« Der Hilfsregisseur gibt das Pfeifsignal. Es siedet und faucht in den Lampen, das Licht grellt von den geschminkten Gesichtern wider. Die Negri und Thiemig spielen wieder; noch hinreißender als zuvor, jetzt leben sie die Szene. Pola weint. Ihre Tränen erschüttern. Leise surren die Kurbeln der Aufnahmeapparate.

»Fertig!« Pfeife. Lubitsch steckt die Hände in die Tasche, schiebt den Kaugummi in die andere Backe, dreht sich um, gibt ruhig ein paar Weisungen. Die nächste Szene –

Dieser Mann – einmal einer von vielen Schauspielern Reinhardts – ist heute der Napoleon des deutschen Films.

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Sind die Aufnahmen beendet und ist der Film – bei modernen Großbetrieben in einer eigens dazu bestimmten Entwickelungsmaschine, die sich der hohen Anschaffungskosten wegen jedoch nur kapitalkräftige Gesellschaften leisten und rentabel machen können – entwickelt, so beginnt eine neue wichtige Arbeit für den Regisseur: das Schneiden.

Der Regisseur erhält den Film bruchstückweise Szene für Szene, und es genügt nicht, die Stücke jetzt einfach zusammenzukleben, denn dann würde nie eine künstlerische Wirkung, nie eine Einheit erzielt werden können. Das Schneiden ist ein Prozeß, der hohes künstlerisches Können beansprucht, und das Gelingen eines guten Films hängt nicht zum wenigsten vom richtigen Schneiden des Regisseurs ab.

Zunächst müssen die Szenen der Reihenfolge nach geordnet werden, was durch das erwähnte Photographieren der Szenennummer erleichtert wird. Dann gilt es, zu streichen, Unwesentliches (das sich oft jetzt erst als solches herausstellt) fortzulassen, Szenenanfänge und -schlüsse, die sich als zu gedehnt erweisen, zu kürzen, Übergänge herzustellen usw. Bisweilen müssen auch Szenen an andere Stellen gerückt werden, als im Drehbuch vorgesehen war, da dies das Verständnis der Handlung erleichtert, die künstlerische Wirkung oder die Spannung erhöht. Gerade die Spannung des Zuschauers erfordert oft ein Hinziehen, ein Einschieben neutraler Szenen; wir sehen das Messer gezückt, der Stoß muß im nächsten Augenblick erfolgen – da wird plötzlich eine andere Szene eingeschaltet, die mit der eben gezeigten nur in losem Zusammenhang steht. Ein gewisser Zusammenhang muß gewahrt werden, schweift der Film in solchem Augenblick gänzlich ab, so erlischt das Interesse an der Szene, und statt Erhöhung der Spannung wird gerade das Gegenteil erzielt. Unterdessen zittert der Zuschauer für das Leben des vom Messer Bedrohten. Wie gesagt: Im allgemeinen ist die Szenenfolge schon im Drehbuch festgelegt, immerhin kommt es häufig vor, daß beim Schneiden noch Änderungen vorgenommen werden, da der Regisseur den Film jetzt erst in seinen Wirkungen richtig beurteilen kann. Auch Retuschen erfolgen jetzt, die technischen Tricks, von denen oben die Rede war, werden ausgeführt.

Ebenfalls von nicht zu unterschätzender Wichtigkeit ist das Einsetzen der Titel.

Das Ideal eines Films ist der Film ohne Titel, und es gibt einige ganz wenige, in denen dies erreicht ist. Aber schon bei dem Film »Hintertreppe« hat man zu dem Notbehelf greifen müssen, einen Brief, den einer der Mitspielenden empfängt, auf der Leinwand erscheinen zu lassen; also schließlich doch ein verkappter Titel. Im allgemeinen kann der Film nicht auf Titel verzichten, und es gilt nur, sie so gut wie möglich dem Organismus des Films einzupassen. Notbehelf bleibt er immer. Manche Regisseure haben versucht, die Anästhetik des Titels dadurch zu überbrücken, daß sie ihn selbst bildhaft verzierten. Dadurch verschlimmerten sie nur das Übel. Der Titel soll kurz und prägnant, die Schrift muß klar, einfach und deutlich sein, er muß aufleuchten und durch das Auge Eingang in das Gehirn finden, darf aber nicht als Ding für sich wirken. Lange Sätze, die sich wohl noch in Fortsetzungen auf der Leinwand zeigen, sind ebenfalls nach Möglichkeit zu vermeiden. Man hat dann unwillkürlich das Gefühl, da säße man doch lieber zu Hause und läse ein Buch. Wirklich gute Titel können unter Umständen aber auch die Wirkungen des Films unterstreichen, akzentuieren. Ein guter Titel kann gelegentlich gleichsam hörbar werden, hörbarer, als wenn dieselben Worte vielleicht plötzlich von einem Sprecher oder einem Grammophon neben der Leinwand wirklich herausgeschrien würden. Müssen wir uns schon mit dem Titel abfinden, so laßt es uns wenigstens auf die beste Art tun und ihn, soweit möglich, der Filmkunst untertan machen.

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Mit dem Schneiden ist die Tätigkeit des Regisseurs im wesentlichen beendet. Was jetzt noch folgt, sind mehr oder weniger rein technische sowie kaufmännische Vorgänge.

Zunächst wird der fertige Negativfilm kopiert. Früher – in kleineren Betrieben geschieht es auch heute wohl noch – wurde das Negativ Stück für Stück kopiert, und dann klebte man die Positivteile zusammen. Abgesehen von der erheblichen Mehrarbeit, hatte dies auch den Nachteil, daß die Kopien stets – wenn auch nur ganz geringfügig – voneinander abwichen, denn das Zusammenkleben der einzelnen Teile konnte nicht mit absoluter Genauigkeit erfolgen. Heute ist man dazu übergegangen, das Negativ im ganzen zu kopieren, und erhält auf diese Weise ganz mechanisch stets den bis ins letzte gleichen Film.

Zuweilen werden jetzt noch Teile des Films getönt, wie wir es namentlich bei Mondschein- und Meeresaufnahmen häufig sehen, oder der Film wird koloriert, was in seiner einfachsten Form mit der Hand geschieht. Mit dem Farbenfilm, der auf ganz anderen Grundsätzen beruht, hat dies Kolorieren nichts zu hm. Künstlerisch ist und bleibt es, wie gesagt, anfechtbar.

Nun ist der Film zur Vorführung bereit, und die erste erfolgt in dem kleinen Vorführungsraum der Filmgesellschaft. Die Leinwand ist hier kaum mehr als einen Quadratmeter groß, es handelt sich aber auch nur darum, ihn Fachleuten, Verleihern usw. zu zeigen.

Es ist ein feierlicher Augenblick, wenn ein Film aus der Taufe gehoben wird, ein großer Augenblick namentlich für den Regisseur, der sein Werk nun zum ersten Male zu vollem Leben erwachen sieht. Jetzt offenbart sich, ob das Ergebnis der aufgewandten Mühe und Arbeit entspricht oder ob sie vertan sind. Manche Hoffnung ist schon in diesem Augenblick gescheitert, manche Erwartung aber auch weit übertroffen worden.

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Die Filmgesellschaften sind meistens so organisiert, daß sie der Vertrieb des fertigen Films nichts mehr angeht. Er wird dem Verleih überantwortet, der allerdings den großen Gesellschaften häufig als Tochterunternehmen angegliedert ist.

Der Filmverleih ist ein ganzer Zweig der Filmindustrie, und nicht der unbedeutendste, dazu ein recht rentabler, meistens in höherem Maße als die Herstellung des Films selbst. Freilich muß der Verleiher ein gewiegter Geschäftsmann sein, große Erfahrung besitzen und genau wissen, welche Absatzmöglichkeiten jeder einzelne Film hat. Der Verleiher ist Kaufmann, sonst nichts. Für ihn spielt das Künstlerische des Films nur insofern eine Rolle, als es die Verkäuflichkeit beeinflußt. Und leider haben die übelsten Kitsch- und Sensationsfilme immer noch die größten Möglichkeiten. Wir dürfen nicht den Maßstab anlegen, den wir von dem Publikum der großen internationalen Luxuslichtspielhäuser gewohnt sind. Ausschlaggebend ist das große Provinzpublikum. Nur so ist es verständlich, daß die Schwedenfilme durchaus kein gutes Geschäft sind.

Der Verleih erwirbt den Film vom Hersteller meistens mit den Rechten für die ganze Welt und veräußert sie dann wieder – im Inlande direkt an die einzelnen Kinos, im Auslande wohl in der Hauptsache an dortige Berufsgenossen, die ihrerseits wieder den Einzelvertrieb in ihrem Lande übernehmen.

Sehr wesentlich für einen guten Absatz des Films ist eine geeignete Propaganda. Wir brauchen nur auf die Straße zu treten oder in die Zeitung zu sehen, um das bestätigt zu finden. Riesige Plakate locken von allen Anschlagsäulen, von jeder leeren Wand. Sehr zu begrüßen ist es, daß in diesem Sinne der Film in neuerer Zeit die Presse zur Beurteilung herangezogen hat, und daß auf diese Weise eine spezielle Filmkritik entstanden ist. Vor wenigen Jahren noch wäre es undenkbar gewesen, daß eine ernste Tageszeitung über Filmaufführungen berichtet hätte. Heute hat jedes großstädtische Blatt seine eigenen Filmkritiker und -referenten und räumt ihnen manchmal schon einen erheblichen Platz in ihren Spalten ein.

Freilich krankt die Zünftige Filmkritik teilweise immer noch daran, daß sie die Eigenheit der Filmkunst noch nicht erkannt hat und den Maßstab anlegt, den sie vom Theater her gewohnt ist. Vor allem jedoch, daß sie beim Film auf das Literarische sieht. Nun hat aber der Film, wie schon früher gesagt, mit Literatur nicht das geringste zu schaffen, und es ist der reine Zufall, daß er sich seine Sujets zum Teil aus der Literatur geholt hat. Die Literatur lebt von der Sprache, ist ganz von ihr abhängig, der Film ist versichtbartes Gefühl, vor Augen geführte Empfindung (daher die stärkste Wirkung bei Großaufnahmen, bei denen jede Seelenregung sich offenbart!). Ich könnte mir denken, daß aus einem Courths-Mahler-Buche ein anständiger Film zu machen wäre, ebenso aber, daß ein Lagerlöf-Roman vollständig verkitscht würde, wenn er einem schlechten Regisseur und nicht gerade Stiller oder Sjöström in die Hände fiele. Die Verfilmung eines Dichtwerkes gleicht etwa dem Tanze nach einem Schubertschen Impromptu. Dichtung wie Komposition geben die Inspiration für die andere Kunstgattung. Tanz und Film haben überhaupt manche Berührungspunkte, und es ist sicher kein Zufall, daß die Tanzkunst im Zeitalter des Films ihre Wiedergeburt erlebt hat. In beiden Künsten sind Bewegung und Rhythmus die treibenden Kräfte.

Man kann nicht verlangen, daß einer völlig neuen, gleichsam aus dem Boden gestampften Kunst gleich eine ihr angemessene Kritik gegenüberstände. Es ist schon viel, daß die Erkenntnis dieser neuen Kunst sich allmählich immer mehr Bahn bricht, und daß man unter manchen schiefen Urteilen heute auch schon solche antrifft, die von Verständnis und Eindringen in die Voraussetzungen des Films zeugen. Um so weniger kann man von der Kritik schon völlige Reife erwarten, als die Schöpfer des Films selbst noch überwiegend auf Irrwegen wandeln. Auch ihnen ist – namentlich in Deutschland – die Literatur noch der alleinseligmachende Maßstab. Legt man ihn an, so muß das Leben selbst oft sentimental und kitschig erscheinen, viel mehr noch der Film, wenn er aus dem Leben schöpft, denn er ist nicht Leben selbst, nur sein Abbild. Das Publikum denkt oft gesunder.

Was schafft den amerikanischen Filmen ihre Welterfolge? Was macht den amerikanischen Durchschnittsfilm dem deutschen hundertfach überlegen? Daß er hineingreift ins Menschenleben, uns an unserem unverfälschten Gefühl packt, kein literarisch verbildetes Publikum voraussetzt. Der amerikanische Film weiß nichts von Literatur, er geht von den Geschehnissen des Tages aus. Der Ursprung des deutschen Films ist das Buch, der Roman; der des amerikanischen der Filmwochenbericht. Eine gefilmte Cowboyszene allein ist filmmäßig gut und spannend; wurden andere Szenen um sie herumkomponiert, so war der amerikanische Film fertig. Später griff er ins Gefühlsmäßige über und tat darin, das sei eingestanden, des Guten oft zuviel. Wenn man einen ganzen Abend Bilder von rührender Mutterliebe sieht, so ist das schon reichlich, aber doch – Warum läuft ein solcher Film tausendmal in einem Kino? Der Literaturkritiker wird antworten: Aus demselben Grunde, aus dem Marlitt-Romane zu Millionen gekauft und gelesen werden. Aber gerade der Marlitt-Roman zeichnet nicht das wirkliche Leben, er versüßlicht es, empfindet nicht mehr, sondern empfindelt. Im amerikanischen Mutterfilm dagegen sehen wir das Spiel der Darstellerin so viel echtes Gefühl durchfluten, daß es das etwa vom Manuskript her anhängende Unechte hinwegspült. Diese Art amerikanische Filme sind direkt aus dem Leben geschöpft, sie sind ebenso gesund, wie ein Courths-Mahler-Roman ungesund ist.

Daß der amerikanische Film dem deutschen auch technisch heute noch überlegen ist, sei nur nebenbei bemerkt. Man arbeitet dort mit viel größeren Lichtstärken, das Filmmaterial selbst ist feiner – namentlich als das deutsche Kriegsmaterial –, die Durchsichtigkeit der Luft von Los Angeles bietet uns kein deutscher Platz, und man achtet bei der Bearbeitung auf Staubfreiheit.

In Deutschland hat man versucht, Filme mit amerikanischem Hintergrund zu drehen. Sie konnten in Amerika selbst nur lächerlich wirken. Die ausländische Beurteilung weist dem deutschen Film heute in erster Linie das Feld des Historischen zu; auf ihm liegen die größten internationalen Erfolge deutscher Filme. »Madame Dubarry« und »Fridericus Rex« sind Meilensteine auf diesem Wege; letzten Endes auch »Die Nibelungen«, wenn auch hier das Wort historisch nur sehr bedingt gebraucht werden kann. Deutsche Gründlichkeit, die noch heute in der Welt anerkannt wird, hat zu diesen Erfolgen geführt. Nirgends ist das Studium der betreffenden Zeit mit solchem Ernste betrieben worden, und dazu kommt, daß deutsche Regisseure wie Lubitsch und Lang Takt und Feingefühl genug hatten, um nicht seelenlos kopieren zu wollen, daß sie auch, wo es not tat, stilisierten, teilweise, wie in den »Nibelungen«, direkt holzschnittartig wurden.

Dabei haben diese Filme eine Mission zu erfüllen und erfüllen sie. Sie zeigen der ganzen Welt das wahre Gesicht des deutschen Volkes und wirken daneben belehrend und aufklärend (in anderem Sinne, als die sogenannten »Aufklärungsfilme«, die in der Hauptsache doch wohl auf recht niedrige Instinkte berechnet sind).

Prächtiges leistete Deutschland im Märchenfilm. Ludwig Bergers »Verlorener Schuh« ist eins der schönsten Beispiele. Gerade der Märchenfilm bietet vielleicht noch reichste Möglichkeiten, da er der Phantasie weitesten Spielraum gewährt und auch Gelegenheit zu freier Entfaltung künstlerischer Ideen in der Ausstattung gibt. Hier wäre es unter Umständen möglich, einmal streng stilisierte Dekorationen zu geben, obwohl es auch hier schwer wäre, den Widerspruch zwischen ihnen und den auftretenden Darstellern, die sich doch nicht ihrer naturalistischen Form entkleiden ließen, zu lösen. Selbst der Caligari-Film krankt hieran, und er ist wohl immer noch der beste dieser Gattung, zumal die Wahnsinnsidee eine geschickte Brücke über diesen Zwiespalt bildet.

Merkwürdig ins Hintertreffen gedrängt ist der deutsche humoristische Film. Humor ist eine sehr empfindliche Pflanze, die nicht auf jedem Boden gedeiht, er ist zudem meist eine nationale Angelegenheit, ganz verwachsen mit dem heimischen Boden.

Ein Beispiel hierfür ist der dänische Lustspieldichter Holberg. Holberg ist nicht nur der Vater des dänischen Theaters, er ist in noch höherem Grade der Schöpfer des dänischen oder richtiger des Kopenhagener Humors. Liest man in einem dänischen Witzblatt etwa die Geschichte, wie der Onkel in Trauerkleidung ins Kinderzimmer tritt und zu den tobenden Kindern sagt: »Wenn ihr nicht artig seid, so dürft ihr nicht mit zu Tantes Beerdigung«, so ist das letzten Endes überlieferter Holbergscher Witz. Interessant ist vor allem, wie das dänische Theater heute noch vom Holbergschen Geiste getränkt ist, wie jede Lustspiel- oder Possenaufführung ganz à la Holberg gespielt wird, wie selbst eine Aufführung von »Figaros Hochzeit« am Königlichen Theater in Kopenhagen gänzlich verholbergt ist.

Und Holberg, neben Oehlenschläger der größte Dichter, den Dänemark je besessen, Holberg, der in seinem Vaterlande immer noch volle Häuser macht, begegnet im Auslande nur noch literarhistorischem Interesse. Der Holbergsche Humor läßt sich wohl dem Worte nach übertragen, sein Geist aber ist an die Heimat geknüpft.

Auch der dänische Lustspielfilm würde im Zeichen Holbergs stehen, wenn dessen Humor nicht so sehr ans Wort gebunden wäre. So ist er ganz vergröbert und veräußerlicht, grob, ohne die Kindlichkeit der Amerikaner zu besitzen.

Denn das ist das Geheimnis dieser Chaplin-, Lloyd- und Fattyfilme, daß hinter all ihrer Derbheit und grotesken Situationskomik so unendlich viel Kindlichkeit und zuweilen eine stille Wehmut liegt. Der amerikanische Grotestkomiker war der natürliche Vorläufer dieses Films, denn er hatte nichts mit der Sprache zu tun. Deutscher Humor aber spiegelt sich in Wilhelm Busch, und Busch läßt sich so wenig übertragen wie Raabe oder Thoma. Der deutsche humoristische Film ist, abgesehen davon, daß es auch für unseren Geschmack sehr wenig gute gibt, für das Ausland unverdaulich. Nur wenn er einmal darauf verzichtet, mit derben Mitteln auf die Lachmuskeln wirken zu wollen, wenn er zum feinen Lustspiel wird, kann er auf einen Erfolg auch jenseits der Reichsgrenzen rechnen. Ludwig Bergers schöner Film »Ein Glas Wasser« ist ein gutes Beispiel hierfür.

Vielleicht das Beste, was der deutsche Spielfilm, der es hier aber eben schon nicht mehr ganz ist, gebracht hat, sind die Hochgebirgsdramen von Fanck, namentlich der schon erwähnte »Berg des Schicksals«. Hier sind in eine großartige Natur lebendige Geschehnisse hineinkomponiert, mit ihr verknüpft, so daß eine absolute Einheit entstanden ist. Angesichts dieser Schöpfung fragt man sich, ob eine Steigerung überhaupt noch möglich sei.

Nach dem Stand der Dinge ist dies für den Spielfilm heute kaum anzunehmen. Daß aber der Spielfilm doch noch nicht den Gipfel der Vollkommenheit erreicht hat, zeigt etwas anderes, von dem gleich die Rede sein wird.

Vor der ersten öffentlichen Vorführung, die in Berlin in einem der großen Lichtspielpaläste stattzufinden pflegt, geht der Regisseur, der den betreffenden Film geschaffen hat, zu dem Kapellmeister des Theaters und bespricht mit ihm die Musikbegleitung; es ist dies unwiderruflich das letzte, was er persönlich für seine Schöpfung tun kann. Hin und wieder werden auch Filme vorgeführt, zu denen eine eigene Musik komponiert ist.

Der Musikbegleitung wird also eine gewisse Wichtigkeit für die Wirkung des Films zugeschrieben. Und hier kommen wir zu einer eigentümlichen Erscheinung: Im allgemeinen ist diese Musikbegleitung für den Film nicht nur wichtig, sondern einfach eine Notwendigkeit. Das hat man von Anfang an erkannt, und schon im Wanderkino, in der ersten Bretterbude, stand neben der Leinwand ein Klavier.

An die großen Orchester von heute, die es zuweilen mit dem einer ersten Oper aufnehmen – im Kopenhagener Palasttheater spielt im Winter die berühmte Tivolikapelle –, dachte man damals allerdings noch nicht. Das höchste war das mechanische Klavier oder allenfalls noch eine schwindsüchtige Geige. In der Kleinstadt wie im Vorstadtkino findet man heute noch diese primitive Begleitung, die uns verwöhnte Großstädter schon vor den Toren zur Umkehr zwingt. Einige große Berliner Lichtspielhäuser besitzen jetzt Orgeln, die sich durch ihre Klangfülle schon Berühmtheit erworben haben, ja in einem von ihnen finden hin und wieder besondere Orgelkonzerte statt, bei denen das Instrument durch einen bekannten Organisten bedient wird.

Aber was ist das Geheimnis der Musik? Warum wirkt ein Film, und sei es der beste, nüchtern und kalt, wenn er ohne Musikbegleitung abgedreht wird, warum verlieren die Vorgänge im Bilde soviel von ihrer Lebendigkeit und Mitreißungsfähigkeit?

Das enge verwandtschaftliche Verhältnis zwischen Film und Tanz ist schon berührt. Beide stehen wieder gleicherweise zur Musik. Alle drei Künste appellieren ausschließlich an unser Gefühlsleben, beide erzeugen Lust- und Unlustgefühle auf dem geradesten Wege, vermittels Schall- und Lichtwellen, Seh- beziehungsweise Gehörnerv; ganz primitiv.

Unser Weltbild formt sich in der Hauptsache mit Hilfe des Gesichts und des Gehörs; die anderen Sinne sind uns Menschen im Laufe der Jahrzehntausende weniger wichtig geworden. Nasentiere waren wir nie, Geschmack und Gefühl sind eher Abwehrmittel, Warn- und Alarmapparate.

An und für sich ist das Gesicht natürlich das wichtigste. Das Augenlicht zu verlieren, ist wohl das schlimmste, was einem Menschen begegnen kann. Aber auch dem Tauben ist sein Gebrechen außerordentlich störend und sicher nicht nur in physischer Beziehung.

Wir können immer wieder beobachten, daß der Taube mürrisch und mißtrauisch ist, immer mithören und mitwissen will. Der Blinde ist viel stiller, resignierter. Er sieht mit dem inneren Auge – zuweilen mehr, als Gesunde mit dem äußeren.

Wenn wir Musik hören, können wir die Augen schließen und die Töne ganz auf uns wirken lassen. Manchen Menschen verbinden sich dabei bunte Bilder mit dem Gehörten, ja, ganz bestimmte Sehvorstellungen mit bestimmten Musikstücken. (So habe ich persönlich beim Anhören einer bestimmten Chopinschen Etüde seit Kindheit an jedesmal den so festen Eindruck einer Szene aus Altägypten, daß ich es für mich nur die ägyptische Etüde nenne.)

Wir können also sehr gut hören, ohne zu sehen, oder vielmehr: Das Gehörte erweckt in uns gleichzeitig Gesichtseindrücke.

Wenn wir den Film auf der Leinwand sehen, fehlt uns dagegen das Geräusch. Wir hören nur das leise Surren des Vorführungsapparats, hin und wieder ein störendes Husten im Zuschauerraum, und das lenkt uns von dem Gesehenen ab, ohne uns einen befriedigenden Ersatz zu geben. Die Musik ergänzt den Film in gewisser Beziehung, verbindet sich mit ihm, überbrückt etwas, was am Film noch unvollkommen ist.

Was ist das?

Der Film ist eine noch ganz junge Kunst. Sie steht erst am Anfang, und wir dürfen nicht von ihr verlangen, daß sie schon ganz selbständig ihren Weg schreitet. Sie kann ihre Krücke noch nicht fortwerfen. Diese Krücke ist die Musik. Das Wesen des Films liegt im Rhythmischen. Schaffen wir Filme, die absolut rhythmisch sind, so brauchen wir die Musik nicht mehr, dann kann die Schwester sich vom Bruder trennen.

Wir haben den Beweis:

Im Walther-Ruttmann-Film.

Walther Ruttmann ist Maler. Er ist vom rein Farbigen ausgegangen. Aber er erkannte als Wesentliches den Rhythmus, der schon in der Farbigkeit liegen muß. Und so packte er das Filmproblem bewußt vom Rhythmus aus an, entwickelte seine Filmkunst aus der rhythmischen Bewegung (die Farbigkeit seiner bisherigen Filme ist unwesentlich; sie wird vielleicht wieder verschwinden).

Wie ist der Ruttmann-Film?

Traumhafte Gebilde entstehen vor uns, Kugeln schwellen und schwinden, Zacken hacken wild stürmend gegeneinander, Blöcke türmen sich, hart stoßend, einer neben dem anderen. Seltsames Leben huscht dazwischen, verblaßt, schwindet. Alles wirrt sich zum Chaos, entwirrt sich wieder zur Gestalt.

Und über allem steht der Rhythmus, groß und gewaltig, pocht wuchtig mit seinem Maschinengestänge, das hier – eine neue Kunst gebärend – zu lauter Poesie wird.

Zu seinem ersten Film liest Ruttmann sich von einem Komponisten eine eigene Musik schreiben.

Und nun zeigte sich – vielleicht zum erstenmal in der Geschichte des Films –, daß diesem Film durch die begleitende Musik Abbruch getan wurde. Selbst die Begleitung, die sich ganz der Schöpfung Ruttmanns anzupassen suchte, beeinträchtigte ihre starke Wirkung, zufällig gewählte Musik aber erwies sich als ganz unmöglich.

Der Eigenrhythmus des Ruttmann-Films ist so stark, daß er den Rhythmus der Musik nicht nur nicht mehr zu seiner Unterstützung nötig hat, sondern ihn einfach nicht mehr erträgt. Dieser Rhythmus eines Films beweist die Selbständigkeit der ganzen Gattung als eine eigene Kunst, die Malerei und Plastik, Dichtung, Musik und Tanz ebenbürtig zur Seite steht.

In der Entwickelung des Films bedeutet der Walther-Ruttmann-Film sicher einen großen Schritt vorwärts, er ist bereits eine hochkultivierte Form der neuen Kunst. Ich sage nicht, daß er die einzige Lösung sei, im Gegenteil: der junge Baum wird sich hundertfach verästeln und mancherlei Frucht tragen. Ruttmann selbst plant die Übertragung seiner Prinzipien auf den Spielfilm, und dort wären die Möglichkeiten natürlich noch weit reicher.

Daß aber unter allen heutigen Formen der Ruttmann-Film vielleicht am höchsten steht, beweist mir eben seine Emanzipation von der Musik, sein Eigenrhythmus.

Der Öffentlichkeit sind die Ruttmann-Filme bisher nur in sehr beschränktem Maße zugänglich gewesen, und es ist auch zu bezweifeln, daß sie sich überhaupt in absehbarer Zeit ein breites Publikum gewinnen werden – wenigstens in geschlossener Form als selbständiges Kunstwerk –, dazu sind sie zu abstrakt, zu wenig gegenständlich; dagegen hat man sie schon zu Reklamezwecken verarbeitet gesehen und kennt die Ruttmann-Schöpfung vor allem aus Kriemhilds Traum in den »Nibelungen«, wo sie allerdings dadurch beeinträchtigt ist, daß sie einem bestimmten Programm folgen mußte und sich nicht frei entwickeln konnte.

* * *

Von der Erfahrung ausgehend, daß der Film im allgemeinen durchaus der musikalischen Begleitung bedurfte, versuchte man diese jenem nach Möglichkeit anzupassen. Man durchforschte die ganze Musikliteratur nach passenden Stücken, und eine Zeitlang hörte man in jedem Kino stets dasselbe Musikstück, wenn etwa fließendes Wasser auf der Leinwand vorgeführt wurde. Man versuchte den Film zur Oper, zum Musikdrama zu machen, ging schließlich so weit, daß man (wie beim Ruttmann-Film) eigene Musik dazu komponieren ließ, die völlig opernhaften Charakter annehmen konnte. Natürlich kümmerten sich nur die wenigen großer: Lichtspielhäuser darum, die kleinen Kinos spielten weiter statt dessen ihre alten Reißer herunter.

Früh schon hatte man angefangen, diese Begleitung tonmalerisch auszuwerten. Man wurde ganz naturalistisch. Noch jetzt kann man dies jeden Tag illustriert finden. Auf der Leinwand wird eine Glasscheibe zertrümmert, und im selben Augenblick klirrt es im Orchester, daß das Publikum erblassend zusammenfährt. Regen wird durch Scheuern auf der Pauke markiert, und daß Kanonendonner bisher nur durch Paukenschläge zart angedeutet wird, ist wohl nur liebenswürdige Rücksichtnahme auf die Nerven der Zuschauer.

Alles das ist Unfug. Ist die Musik einmal notwendig, so soll sie doch nie ihre Rolle vergessen und sich gebärden, als sei sie von einer Wichtigkeit, die ihre wahre Bedeutung in diesem Falle zehnfach übersteigt.

Es gehört natürlich Selbstüberwindung für einen Kapellmeister dazu, der mit einem großen Orchester in einem Lichtspieltheater konzertiert, wenn er sich nun mit der untergeordneten Rolle bescheiden soll, die das richtige Empfinden ihm zuweisen müßte. Oft ist es höchst wenig angebracht, wenn zu irgendeinem gleichgültigen Film Beethovens Fünfte gespielt wird. Wenn aber »Der Berg des Schicksals« von Mendelssohns »Fingalshöhle« begleitet wird, so wäre das eine geschmackvolle Wahl, würde die Musik nicht durch Paukenschläge unterbrochen, die das Rollen des Donners markieren sollen, wenn auf der Leinwand die Blitze zucken. An sich halte ich das Orchester überhaupt schon für einen Mißgriff. Das merkt man am deutlichsten, wenn die Musik eine Zeitlang pianissimo gespielt hat und dann plötzlich wieder mit voller Kraft einsetzt. Weniger wäre auch hier oft mehr. Am besten ist es, wenn man die Musik überhaupt nicht merkt, wenn sie wie ein leichtes Fluidum zwischen Leinwand und Publikum webt und beide verbindet.

* * *

Die Kunst ist eine Ausdrucksform der Kultur; sie steht in enger Beziehung zu ihrer Zeit, und es ist kein Zufall, daß sich gerade in unseren Tagen der Film, die demokratischste Kunst, entwickelt hat. Der Film ist international, er bedarf nicht, wie die Literatur, einer Übertragung, durch die immer viel verlorengehen muß – die Titel spielen dabei keine Rolle. Daher ist er in besonderem Matze geeignet, Kultur von Volk zu Volk zu übermitteln.

Wir haben uns bisher in der Hauptsache mit dem Spielfilm beschäftigt, und er ist sicher heute, nicht nur in praktischer Beziehung, der wesentlichste Bestandteil der Filmkunst. Wenn ich der Meinung bin, daß der Film eine Kunst ist, so sei damit noch nicht gesagt, daß nun auch jeder Film Kunst wäre. Im Gegenteil: es gibt Filme genug, die lediglich als Technik zu bewerten sind, die zu der kulturellen Bedeutung des Films als Kunst gewissermaßen ein zivilisatorisches Seitenstück bilden. Trotzdem sind sie Kulturträger von eminenter Bedeutung und wetteifern darin mit dem Spielfilm.

Dieser, der den berechtigten Anspruch erhebt, der Hauptträger der jungen Kunst zu sein, hat damit eine Mission übernommen, die er getreulich erfüllt.

Früher waren die großen Schauspieler ein Monopol der Hauptstädte, nur hin und wieder führte eine Gastspielreise sie in die Provinz, und ganz selten einmal verirrten sie sich in die abseits der großen Straßen liegenden Ortschaften. Was wußte man dort von den Leistungen eines Kainz, einer Wolter, einer Duse? Diese ganz Großen kannte nicht einmal der Durchschnittsgroßstädter, denn, wenn sie gelegentlich in seiner Stadt auftraten, waren die Kassenpreise für ihn unerschwinglich.

Der Film nivelliert alles. Er bringt die großen Darsteller (für viele ist er leider zu spät geboren) in das entlegenste Dorf, zeigt Orten, die früher nur ärgste Schmiere kannten, höchste Darstellungskunst, bietet arm und reich genau dasselbe. Das einzige, was Herr Raffke vor seinem Chauffeur voraushat, ist, daß er sich in der Loge breitmachen kann, während dieser sich mit einem bescheidenen Vorderplatz begnügen muß. Sie sehen aber beide dasselbe.

Der Spielfilm in seiner jetzigen Form bringt dem breiten Publikum manches wertvolle Werk der Weltliteratur nahe, erweckt das Interesse dafür. So wäre es denkbar, daß Selma Lagerlöf Tausende von neuen Lesern durch die Verfilmung ihrer Werke gewonnen hätte. Zweifelhaft ist dieser Gewinn freilich, wenn es sich um Detektivfilme und ähnliches handelt, und man wird nicht gerade behaupten wollen, daß der Massenabsatz, den »Dr. Mabuse« als Ullsteinbuch dadurch gefunden hat, daß er eine der größten Sensationen auf dem Filmmarkt war, der Literatur irgendwie zugute gekommen sei.

Hier handelt es sich also um eine Verquickung von Film und Literatur, die kulturell fördernd wirken kann. Dies mag wie ein Widerspruch zu früher Gesagtem klingen, es handelt sich aber nur um natürliche Folgeerscheinungen, der Richtung entsprungen, die der Film bisher mehr oder weniger zufällig eingeschlagen hat. Wenn ich es für falsch halte, im Film expressionistische Dekorationen zu verwenden, so kann es daher doch für das Publikum belehrend sein, wenn es auf diese Weise vielleicht zum erstenmal Auge in Auge einer neuen – und gleich angewandten – Kunstrichtung gegenübergestellt wird.

Ebenso liegt es auf der Hand, daß der Film, speziell der Spielfilm, belehrend und anregend auf jeden wirkt, der beruflich irgendwie mit dem Theater zu tun hat, auch wenn er selbst praktisch dem Film fernsteht. Jeder Schauspieler, der irgendwie Gelegenheit dazu hat, sieht sich Asta-Nielsen-Filme an, weil er aus der unerhörten Darstellungskunst dieser Frau immer noch lernt, er macht seine Studien, wenn er diesen oder jenen großen Schauspieler im Film sieht, und das nicht nur, um es für den Film selbst wieder nutzbar zu machen, sondern auch, um Lehren für die Bühne daraus zu ziehen. Es gibt viele Menschen, die nie ein Buch lesen, wenige, die nie ins Kino gehen. Sie alle finden außer Zerstreuung auch ethische und kulturelle Gewinne.

Man sehe sich daraufhin einmal einen Chaplin-Film an! Die ungeheure Zugkraft dieses Mannes mit den wehmütigen Beinen, mit dem Gesicht, hinter dessen Komik eine ganze Welt von Tragik liegt. (Ich erinnere namentlich an » The Kid«, in dem er mit Jackie Coogan zusammen spielt.) Oder Lilian Gish in ihrer ergreifenden Menschlichkeit, Tora Teje in ihrer absoluten Natürlichkeit. Man sehe Paul Wegener – jetzt hin und wieder leicht ins Komödiantenhafte verzerrt –, Emil Jannings, Arnold Marlé(Gruß dir, Arnold!) und vor allem – immer wieder – Asta Nielsen! Man schöpft Erkenntnisse aus manchem guten Film.

Zuweilen greift der Spielfilm schon in andere Gebiete über, namentlich in die von Geschichte und Geographie. Noch nie ist der Aufstieg Preußens der breitesten Masse so veranschaulicht worden wie im Fridericus-Film, nie haben wir die wilde Schönheit Nordschwedens gespürt wie in der »Herrenhofsage«. Wir wurden in ferne Gegenden geführt, sahen sie vor unseren Augen, und vieles prägte sich uns bildhaft ein. Selbst das Vaterland entdeckte sich manchem erst im Film. Der Nibelungenfilm erschloß vielleicht Tausenden zum erstenmal einen Blick in die Schönheiten der alten Sage. Auch die Kenntnis von technischen Dingen fördert schon der Spielfilm: die meisten Menschen sahen das erste Flugzeug im Film, und zwar m einem Spielfilm, aufsteigen.

In einer Zeit, wie die jetzige, da es dem Deutschen im allgemeinen nicht vergönnt ist, seinem alten Wandertriebe nachzukommen und Reisen zu machen, ist der Film oft der einzige Vermittler von Eindrücken, die wenigstens einer: schwachen Ersatz hierfür bieten. Und noch etwas, das mit der Zeit zusammenhängt: Während und nach dem Kriege, wenn man hungrig und frierend zu Hause sitzen mußte, bildete der Film oft die einzige Möglichkeit, einmal andere Eindrücke zu schöpfen. Er verjagte für ein paar Stunden die Sorgen, die uns sonst tagein, tagaus nicht aus den Krallen ließen, und das wollen wir ihm danken.

Auch das: Im Leben sah man nur ausgemergelte, vergrämte Gesichter um sich, sieht auch heute nur selten einen wirklich schönen Menschen. Der Film bot und bietet in dieser Beziehung eine Auslese, namentlich an Frauenschönheiten, wie denn die Filmdarstellerin nur allzuoft lediglich nach diesem Gesichtspunkt, unter Außerachtlassung der Talentfrage, gewählt wird. Man trifft aber auch, namentlich in amerikanischen Filmen, oft Schönheit und Talent in hohem Grade vereinigt, wie bei Mabel Norman, Konstanze Talmadge oder Mary Pickford mit dem berühmten Lächeln, von deutschen Darstellerinnen Mady Christians, Margit Barnay, Henny Porten und manche andere. Daß eine Künstlerin sich auch durchsetzen kann, wenn sie nicht schön im eigentlichen Sinne des Wortes ist, beweist wieder Asta Nielsen, beweisen neben ihr Jenny Hasselquist und die kleine Viola Dana. Aber sie sind Ausnahmen, und Tilla Durieux, die jetzt die Amerikaner auf der Bühne begeistert, wandte sich nach wenigen Versuchen endgültig vom Film ab.

Auch auf den Geschmack der Masse wie des einzelnen konnte der Spielfilm unter Umständen guten Einfluß haben (daß er, so der Verbrecherfilm, auch schlechten Einfluß namentlich auf jugendliche Gemüter ausüben konnte, ist sicher). Man sah, besonders in ausländischen Filmen, gutgekleidete Menschen, man sah gute Architektur, geschmackvolle Interieurs, schöne Gartenanlagen, ausgesuchte Straßen- und Städtebilder. Dem Provinzler wurde durch den Film die erste Bekanntschaft mit dem neuen Kunstgewerbe, mit den Leistungen erster Bildhauer und Architekten vermittelt. Auch die Wirkung schöner Bewegungen erkannte man nirgends so deutlich wie im Film, und ich halte es für sehr möglich, daß manche Frau Lehren für ihre Bewegungen wie für ihre Kleidung aus dem Film gezogen hat. Der Binnenländer erfuhr vielleicht zum erstenmal, wie ein moderner Ozeandampfer, ein Linienschiff, ein Torpedo- oder Unterseeboot aussah, er erkannte die nie geahnte Schönheit des Meeres, wie der Bewohner des Tieflandes die Großartigkeit der Gebirgswelt mit ihren Schroffen und Gipfeln, ihren Wasserfällen und Abgründen kennenlernte. Aus einem Hagenbeckfilm lernte der Zuschauer in Hinterpommern vielleicht erst, wie wilde Tiere, von denen er bisher nur einzelne klägliche Exemplare in einer reisenden Menagerie kennengelernt hatte, wirklich aussahen.

Und das alles übermittelte der Spielfilm nebenbei, im Zusammenhang mit einer spannenden Handlung. Er konnte zwar auch schiefe Begriffe verursachen, denn wie sollte der naive Zuschauer erkennen, was wirklich und was falsch, was natürlich und was gestellt war? Er mußte unbedingt annehmen, daß das »Indische Grabmal« in Indien aufgenommen war, daß es in Indien so und nicht anders aussieht, und das war und ist eine Gefahr des Spielfilms, die zwar im Rückgang begriffen ist, da, wie erwähnt, große Filme immer mehr an Ort und Stelle gedreht werden. Dies Durcheinander von Wahrheit und Lüge mußte natürlich in manchen Köpfen Verwirrung anrichten, und nicht ohne Grund wurde »jugendlichen Personen unter achtzehn Jahren« ein für allemal der Besuch von Lichtspielhäusern, mit Ausnahme besonderer Jugendvorstellungen, verboten. Dieses Verbot schießt meiner Ansicht nach übers Ziel hinaus. Es gibt viele Filme, die jedes Kind, ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen, ohne weiteres sehen könnte, die ihm aber dennoch versagt bleiben. Die seltenen Jugendvorführungen in Kinos, Schulen usw. bieten nur einen geringen Ersatz. Man sollte den Film in weitestem Umfange der Jugenderziehung dienstbar machen! Er bietet tausend Möglichkeiten, von denen sich unsere »Schulweisheit« – die Herren Studienräte – im allgemeinen noch nichts träumen läßt.

Besonders geeignet für die Vorführung in Schulen sind aber Reise-, Tier- und Lehrfilme.

Von den ersteren beiden haben wir schon etwas in Verbindung mit dem Spielfilm gehört, da sie häufig zur Erhöhung der Spannung mit einer fesselnden Handlung verknüpft werden. Prachtvolle Ansichten schöner Landschaften wirken aber auch für sich allein. Wenn wir im Eisenbahnzuge durch die Rocky Mountains fahren, chinesische Ortschaften auf Flußdampfern oder in Rickschas besuchen, eine Rheinfahrt unternehmen, die Wasserfälle am Sambesi bewundern, einen Abstecher nach Neuseeland machen, immer werden wir uns an den schönen Bildern erfreuen, neue Eindrücke sammeln oder alte Erinnerungen auffrischen.

Am interessantesten sind natürlich Aufnahmen aus erotischen Ländern, die uns gleichzeitig Einblicke in das Leben der Eingeborenen gewähren. Im bequemen Sessel folgen wir den Spuren Stanleys und Livingstones, begleiten Sven Hedin in das geheimnisvolle Tibet, Wilhelm von Schweden an den Tanganjika. Wir durchwandern mit Lumholtz die Gebiete der Menschenfresser auf Borneo und Neu-Guinea, durchqueren mit Knut Rasmussen Grönland.

Wir kommen nach der Arktis und sehen Nanuk, den Eskimo. Dieser Film ist ja in seiner Art klassisch geworden. Und er verdient seinen Ruhm. Ist er doch das schönste Beispiel einer Filmreise, einer eigens dazu unternommenen, unter tausend Gefahren ausgeführten Expedition, die in Gegenden führte, die kaum der Fuß eines Weißen je zuvor betreten hatte. Hier, in der weißen Einöde, suchte man Nanuk, den Eskimo, auf und belauschte ihn in seinem Leben, in seinem Kampf ums tägliche Brot. Wann haben wir je Schöneres, wann je Spannenderes gesehen? Kein Spielfilm kann den Wettkampf mit Nanuk, dem Eskimo, aufnehmen.

Herrlich waren die Aufnahmen von der Besteigung des Mount Everest, selbst wenn sie in technischer Beziehung noch zu wünschen übrig ließen, herrlich – auch in diesem Zusammenhang sei er genannt – »Der Berg des Schicksals«.

* * *

Die Tierphotographie ist an sich noch recht jung. Man wird sich des Aufsehens erinnern, das C. G. Schillings' prächtiges Buch »Mit Blitzlicht und Büchse« bei seinem Erscheinen erregte. Damals war es unerhört, daß ein Jäger sich mit der Kamera an das Wild heranpirschte. Jahrelange Studien hatte Schillings in der Heimat gemacht, bis er daran gehen konnte, das afrikanische Großwild zu belauschen. Sein Buch wurde ein Dokument seiner Zeit. Was man bis dahin gesehen hatte, war mehr oder weniger »gestellt«, hinter schützendem Gitter photographiert worden, wenn man sich nicht damit begnügt hatte, ausgestopfte Tiere in eine tropische Landschaft zu kopieren.

Das ist jetzt zwanzig Jahre her. In diesen zwanzig Jahren ist der Film geworden, hat er die Kinderschuhe ausgetreten. Was sind diese Photographien in Schillings' Buch gegen die lebenden Tierbilder, die wir heute sehen können! Wer von uns hätte im Kriege nicht gern gehamstert, wenn er Gelegenheit dazu gehabt hätte? Hand aufs Herz! Aber einen wirklichen Hamster ( Cricetus cricetus L.) hatte man kaum je gesehen, es sei denn einmal im Zoologischen Garten.

Und nun erscheint er vor uns auf der Leinwand, macht Männchen, sieht sich um, füllt sich seine Backentaschen – fühlt sich ganz allein, als Herr über sein Reich, das Kornfeld. Er ahnt nicht, daß er belauscht, daß jede seiner Bewegungen festgehalten wird. Jetzt kommt Frau Hamsterin hinzu und mit ihr die ganze Schar ihrer Kinderchen. Sie spielen und tollen, glauben sich ganz unbeachtet, ahnen es nicht, daß ihr Todfeind nur wenige Schritte von ihnen neben seinen beiden Augen ein drittes auf sie gerichtet hat, daß seine Hand geräuschlos die Kurbel dreht. Plötzlich schrecken sie zusammen – haben sie etwas gehört? Vater Hamster richtet sich auf und äugt – dann: husch, husch, verschwindet die ganze Gesellschaft im Bau. –

Der Film hat uns das Seelenleben der Tiere nahe gebracht. Wir sehen das Familienleben nistender Seevögel, folgen den Wanderungen der Zugvögel, belauschen die scheue Antilope an der Tränke, den Tiger im Dschungel.

Mit dem Unterseeboot tauchen wir tief ins Meer hinab und holen uns Bilder aus dem Leben der Tiefsee, einem Leben, das uns gespenstisch aus runden Fischaugen anglotzt. Da sperren sich die Mäuler furchtbarer Haie, Polypen strecken ihre unentrinnbaren Fangarme aus, eine Welt des Grauens ersteht vor uns.

Noch schlimmer ist es, sehen wir den Wassertropfen. In tausendfacher Vergrößerung hängt er vor uns an der Wand. Und da wimmelt es von Drachen und Schlangen, von Ungeheuern mit tausend Füßen, mit schuppigen Leibern und gemähnten Häuptern. Wütende Kämpfe werden ausgefochten; eins verschlingt das andere. Der ärgste Spuk der Hölle kann nicht schlimmer sein, keine Ausgeburt einer krankhaften Phantasie kann so malen.

* * *

Von der Leinwand grüßt uns eine Rosenknospe. Noch ist der Kelch geschlossen, ganz zart und leicht hebt das Köpfchen sich.

Auf einmal durchläuft ein zartes Zittern die Pflanze, und nun – wir ahnen es erst – erwacht die Knospe. Die Blätter bauschen sich, schwellen, und jetzt – ein Wunder – vor unseren Augen erschließt sich die Blüte, entfaltet sich – und ist erblüht. Langsam dreht die volle stolze Rose sich vor uns. Wir sehen sie – plastisch – von allen Seiten. – Das Geschehen von zwei Tagen schauen wir in wenigen Minuten.

Wie ist das möglich? Nun, es ist der gleiche Vorgang, den wir schon an anderer Stelle im Spielfilm kennen gelernt haben: Statt dreißig Aufnahmen in der Sekunde wird vielleicht jede Minute eine gemacht. In gewöhnlicher Schnelligkeit abgekurbelt drängt sich alles dann ungeheuer zusammen. Die Zeitrafferaufnahme. Wir können das Gras wachsen sehen, wenn auch nicht hören.

Umgekehrt die Zeitlupe.

Die Zeitlupe ist eine Ausnutzung filmtechnischer Möglichkeiten, die ungeheure wissenschaftliche Ausblicke eröffnet.

Hier wird die Aufnahmegeschwindigkeit stark gesteigert, die Bewegung einer Sekunde fünfhundertfach gegliedert. Im gewöhnlichen Tempo bei der Vorführung abgekurbelt, sehen wir ganz genau das Entstehen, erkennen wir die geringste Phase der Bewegung.

Der Turner schwingt am Reck: wir sehen das Schwellen der Muskeln – ganz langsam und allmählich; wir sehen den Sprung des Schwimmers, wir sehen, wie der Galoppsprung des Pferdes sich formt. Und mehr noch sehen wir – den Vogelflug. Um fliegen zu lernen, mußte der Mensch erst wissen, wie der Vogel fliegt. Was er mit bloßem Auge sah, war nicht allzuviel, die Bewegung war so schnell, daß ihm die Einzelheiten entgehen mußten. Da gab ihm die Zeitlupe das Mittel in die Hand, zu sehen, was dem bloßen Auge verschlossen gewesen. Die Zeitlupe entsprach ganz dem Mikroskop im Räumlichen. Hier eine Vergrößerung der Raummaße, die es dem Forscher ermöglichte, Bakterien zu entdecken und dadurch den gefährlichsten Krankheiten, gegen die bisher kein Kraut gewachsen schien, zu Leibe zu gehen, dort die Vergrößerung der Zeitmaße. Wir wissen nicht, welchen Segen diese Erfindung bringen wird; die Möglichkeiten sind groß. Chemische Prozesse, die wir bisher nur als ein Brodeln und Aufbrausen kannten, werden wir nun vielleicht zerlegen, der Techniker, der Arzt, der Lehrer – sie alle werden ihren Nutzen daraus ziehen können. Die Zeitlupe ist eine Erfindung, die wir ihrer Bedeutung nach getrost der Entdeckung der Röntgenstrahlen an die Seite stellen können.

* * *

Alles das kann unter Umständen schon als Lehrfilm angesprochen werden. Aber es gibt Lehrfilme noch ganz anderer Art. Jeder Mensch führt das Wort »Einsteintheorie« im Munde, wer aber versteht, um was es sich dabei handelt? Alle Beschreibungen konnten immer nur so abstrakt gehalten sein, daß der Durchschnittsmensch, der Laie, nichts als einen ganz oberflächlichen, dazu meist schiefen Begriff von der Sache erhielt. Da kam der »Einsteinfilm« und machte die Theorie mit einem Schlage anschaulich. Man sah in graphischer Darstellung die Abweichung des Lichtstrahles, man erkannte die Größenveränderungen zwischen haltendem und fahrendem Eisenbahnzug. Der Film machte die Einsteintheorie allgemeinverständlich.

Und der Steinachfilm. Da sahen wir die Ratte Methusalem, die, mehrfach operiert und verjüngt, munter herumhüpfte, uns wurde die Operation selbst in allen Teilen vorgeführt und klargemacht, was das Geheimnis der Verjüngung durch die Steinachmethode ist. Dazu viele interessante Aufnahmen von Zwischentypen usw.

Der Skagerrakfilm zeigte der Welt die Wahrheit über die größte Seeschlacht aller Zeiten; die graphische Darstellung wurde belebt durch herrliche Aufnahmen von Torpedobooten und Schlachtschiffen.

»Die Hexe« ist ein kulturhistorischer Vortrag im Bilde von höchster Eindringlichkeit.

Der Lehrfilm führte uns in Fabriken und Werkstätten. Er zeigte uns Spinnereien und Eisengießereien, wies uns die Herstellung von Schokolade und Gummireifen, schilderte uns den Landmann bei der Arbeit, den Bergwerksarbeiter im Schacht, die Entstehung einer elektrischen Birne wie das Werden eines Buches. Wir sahen das Walzen von Eisenbahnschienen und das Ziehen von Kanonenrohren, den Bau eines Schiffes und den Werdegang der Seide vom Kokon bis zum fertigen Gewebe. Die Fabrikation des Porzellans wurde uns vorgeführt und die Anfertigung des Klaviers. Sogar hinter die Kulissen des Films selbst führte uns der Film. Unendlich viel haben wir durch den Film gelernt und lernen wir immer noch durch ihn.

Zuweilen verwischt sich der Übergang vom Lehr- zum Reklamefilm. Die Reklame hat es von jeher verstanden, sich jedes neue Gebiet der Technik nutzbar zu machen, und mit dem Film vermochte sie sehr viel anzufangen. Eine Schuhfabrik zeigte uns die Entstehung des Damenschuhes, und zuletzt erschienen Name und Fabrikmarke auf der Leinwand. Das ließ sich hundertfach variieren, aber es führte schließlich doch zu Wiederholungen und wurde damit uninteressant. Nirgends ist der Drang nach Neuem ja so groß wie in der Reklame.

Da kam der gezeichnete Film, für den es keine Unmöglichkeiten mehr gab.

Wer hat den gezeichneten Chaplin-Film, einen der bekannten Münchener Bilderbogen, gesehen? Chaplin tritt auf, Chaplin, wie er leibt und lebt. Aber er ist nur gezeichnet, mit ein paar Strichen hingesetzt. Und doch lebt er, latscht durch die gezeichnete Landschaft, schiebt den Horizont, der ihm zu niedrig hängt, mit seinem Stöckchen in die Höhe, wickelt den Mann, der ihn mit Fußtritten regaliert, schließlich an seinem Umrißstrich auf und steckt ihn in die Tasche, geht übers Meer und überhüpft die Wellenkämme. Der gezeichnete Chaplin-Film ist dem echten Chaplin-Film kongenial.

Die Technik der gezeichneten Filme ist verschieden. Meistens werden sie wohl so gemacht, daß der Zeichner Karten mit den verschiedenen Bewegungsphasen anfertigt, die dann nacheinander aufgenommen und hinterher im richtigen Tempo abgedreht werden. Letzten Endes also die Rückkehr zur alten Schlitztrommel, der Stammutter des Kinematographen. Eine Unsumme von Arbeit und künstlerischem Können steckt in so einem gezeichneten Film.

Wie die Reklame ihn sich nutzbar gemacht hat, weiß jeder. Wir sahen die Geschichte vom Fuchs, dem der Jäger auf die Spur gekommen war, und der sich schnell einen Möbelwagen bestellte und in seinen anderen Bau verzog. Der Möbelwagen trug die Firma eines großen Spediteurs. Oder den Stierkampf mit dem Gummiabsatz, dessen Refrain war: Continental-Gummiabsätze sind unvergleichlich.

Die Verwendung der Zeichnung im Lehrfilm sahen wir bei den erwähnten: Einstein-, Steinach- und Skagerrak-Film.

Auch hier sind die Entwickelungsmöglichkeiten groß. Unter anderem führten sie zum Ruttmann-Film.

* * *

Wohin geht der Weg des Films? Wohin streben wir?

Dreierlei ist es, was den Schöpfern des Films von vornherein als Ideal vorgeschwebt hat:

der Farbenfilm;

der plastische Film;

der sprechende Film.

Diese Ziele sind, wie wir sehen, ganz naturalistisch, ganz technisch – haben sie etwas mit Kunst zu tun, können sie der Film kunst dienstbar werden?

Zunächst: wie weit sind wir gekommen, wo stehen wir heute?

Alle drei Probleme sind im Prinzip gelöst.

Der Farbenfilm auf der Grundlage der Farbenphotographie – wieder von Lumière. Bei der Farbenphotographie werden bekanntlich alle Farben in die drei Grundfarben: blau, rot, gelb zerlegt. Es geschieht dies mit Hilfe sogenannter Farbenfilter, die je zwei dieser Farben ausschalten, die dritte also auskristallisieren. Auf diese Weise werden drei Platten von jeder Aufnahme gemacht. Unser heutiger Farbendruck beruht hierauf. Dabei wird von jeder Platte ein Zinkklischee hergestellt; die drei Klischees werden dann mit der betreffenden Farbe, also blau, rot und gelb, übereinander gedruckt, und man erhält nun die natürlichen Farben, oder vielmehr, man erhielte sie, wenn uns die Grundfarben in völliger Reinheit zu Gebote stünden. Da dies nicht der Fall ist, erhalten wir doch immer nur unnatürliche Abklatsche.

In der Theorie erscheint das für den Film vielleicht ebenso einfach wie für die gewöhnliche Farbenphotographie und den Farbendruck. In der Praxis sind aber noch mancherlei Schwierigkeiten zu lösen, und so befindet sich der Farbenfilm noch im Versuchsstadium.

Vom plastischen Film hörte man schon kurz vor dem Kriege. Gesehen habe ich ihn damals nicht, kann also nicht darüber urteilen. Es handelte sich, wenn ich nicht irre, um eine amerikanische Erfindung, die in einem Hamburger Theater vorgeführt wurde. Dann kam der Krieg, und es wurde wieder still vom plastischen Film. Erst vor kurzem ging eine Notiz durch die Presse, daß das Problem des plastischen Films auf stereoskopischer Grundlage gelöst sei. Näheres darüber bleibt abzuwarten. Der unter der Bezeichnung »Plastigramm« vorgeführte Film, den man durch eine blaurote Brille betrachten mußte, war eine Enttäuschung.

Und endlich der sprechende Film.

Wieder einmal saß ich vor der stillen – und oft doch so lauten – Wand. Ein gewöhnlicher Spielfilm war gedreht worden, und ich wartete der Dinge, die da kommen sollten. –

Ein kurzes Vorspiel des Orchesters, dann schweigt es.

Ein Lichtstrahl huscht durch den dunklen Raum, sucht und findet die Leinwand.

Jetzt sitzt dort ein russischer Bauer, hält seine Balalaika auf den Knien. Er berührt die Saiten mit den Fingern und …

Im selben Augenblick klingen Töne, nicht die des Orchesters, nicht die eines Grammophons, die vollen, echten, unverkennbaren Töne einer Balalaika. Der Mann sitzt vor mir und spielt, und die Klänge entströmen direkt seinem Instrument. Und ganz natürlich sind diese Töne, haben nichts Grammophonhaftes, sind vielleicht zu natürlich im Vergleich zu dem Bilde auf der Wand, das doch nicht volle Natur ist.

Dann erscheinen die drei Erfinder (auch auf der Leinwand), führen ihre Apparate vor und erläutern sie: Die Schallwellen werden auf elektrischem Wege in Lichtwellen umgesetzt. Der Filmstreifen, etwas breiter als der normale, nimmt sie graphisch am Rande auf. Auch dieser Streifen wird vergrößert gezeigt; man sieht den Rand mit breiteren und schmäleren, längeren und kürzeren Strichen, ähnlich den Stanzungen eines Pianolastreifens, einer Spieldosenplatte. Und durch einen neuen Apparat neben der Leinwand werden diese Lichtrunen wieder in Töne umgesetzt.

Das klingt einfach. Aber es hat jahrelanger konzentriertester Arbeit bedurft, bis die Erfinder so weit waren, wie sie heute sind.

Selten hat etwas auf mich gewirkt wie der sprechende Film, als ich ihn das erstemal sah und hörte. Es war die Verwirklichung eines Traumes. Zwar haften der Erfindung noch technische Mängel an: Der S-Laut ist nicht ganz rein in der Wiedergabe, es können vorläufig nur ganz einfache Szenen aufgenommen werden, und vor allem: Wenn das Filmband reißt, und das geschieht, wie jeder Kinobesucher weiß, leicht und häufig, so merkt man es nicht im Bilde, wenn zwei oder drei, vielleicht auch mehr der winzigen Bilder fortgeschnitten sind und der Film wieder zusammengeklebt ist, der Ton aber läßt sich nicht zerreißen und wieder zusammenstücken. Es würde vielleicht ein halbes Wort, vielleicht nur ein einziger Laut fehlen, immerhin genug, um die Wirkung zu zerstören.

Aber das sind Kleinigkeiten, die der Tatsache gegenüber nicht ins Gewicht fallen, daß das Problem des sprechenden Films wirklich gelöst ist.

Unendlich reiche Folgen kann diese Erfindung zeitigen: Hätte die Menschheit den sprechenden Film vor einem Jahrhundert gehabt, so wüßten wir jetzt genau, wie Goethe sich bewegte und wie er sprach; hätten wir ihn nur vor einem Menschenalter besessen, Bismarck wandelte lebend unter uns.

Schon das Grammophon steht heute im Dienste der Wissenschaft. Die Stimmen der Völker werden uns in der Grammophonplatte aufbewahrt. Jetzt aber können wir den Bantuneger nicht nur sprechen hören, sondern auch sprechen sehen. Unsere Nachkommen werden Eugen d'Albert die Appassionata spielen sehen und hören, wie wir ihn gesehen und gehört haben, sie werden Bassermann und Klöpfer sehen und hören.

Wie lange wird es dauern, und wir werden den »Götz von Berlichingen«, vom Personal des Berliner Staatstheaters gespielt, in Kötzschenbroda sehen und hören (schade, daß der sprechende Film nicht mehr international ist), der stumme Film wird der Vergangenheit angehören. –

Der stumme Film –?

Nein, das wird nie geschehen! Dem sprechenden Film sind Grenzen gesetzt, die er nie überschreiten kann. Er wird den stummen Film nicht verdrängen, nur neben ihm seine Ziele verfolgen.

Und die liegen auf ganz anderen Gebieten. Der stumme Film kehrt sich ab vom Naturalismus, der sprechende geht zu ihm zurück, der stumme Film stilisiert, der sprechende tötet den Stil. Er schafft eine Verquickung zweier Kunstarten, führt wieder zurück dorthin, wo der stumme Film, wo die Filmkunst ausgegangen ist. Der stumme Film ist dabei, das Theater zu überwinden, der sprechende sucht es wieder auf.

Farbenfilm, plastischer und sprechender Film kehren sich von der Kunst ab. Die Film kunst hat mit ihnen nichts zu schaffen, wird es auch nur in bedingtem Maße je haben. Sie sind großartige technische Errungenschaften, nicht mehr und nicht weniger.

Ist das nicht genug? Ich denke ja. Schließlich ist die Kunst ja nicht alles im Leben, wir freuen uns auch unserer zivilisatorischen Errungenschaften, würden es noch mehr tun, wenn sie mehr zu kulturellen Zwecken angewandt würden (der modernen Kriegstechnik brauchen wir uns nicht zu rühmen).

Nun, die Film technik hat ihre Kulturmission so gut wie die Film kunst. Beide werden gemeinsam weiterstreben, werden Hand in Hand weiter die Bahn gehen, die noch auf eine lange Strecke bergan führt.

Vielleicht werden sich ihre Wege einmal trennen …

Vielleicht werden sie eine weite Strecke jede für sich wandern …

Aber sie werden wieder zusammenfinden, sie müssen es, wenn sie sich in den Dienst der Kultur stellen, wenn sie – bewußt oder unbewußt – nicht nur dem Gedanken, sondern auch der Seele dienen.

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