Otto Ludwig
Die Makkabäer
Otto Ludwig

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Vierter Akt.

Auf dem Wege von Modin nach Jerusalem.

Mehrere Felswege kreuzen sich unter Sykomoren und Granaten. Schroffe Felswände zu beiden Seiten. Vorn rechts eine große Sykomore; links ein Granatenbusch. Hinten Jerusalem. Es dämmert.

Aaron und Gefolge mit dem gefangenen Johannes.

Aaron. Hier haltet einen Augenblick, bis Amri
Uns mit den Kleinen eingeholt.

Amri und Gefolge, in dessen Mitte Joarim und Benjamin.

Amri.                                               Wo ist
Mein Oheim?

Aaron.                   Herr, voraus.

Amri.                                           Hier laßt uns rasten!

Benjamin (zu Joarim).
Dort kommt die Mutter. Wer ist's, der sie führt?

Joarim. Sie wankt' und fiel und rafft' sich wieder auf
Und fiel von neuem –

Johannes.                           Welch ein Anblick!

Joarim.                                                               Da
Erbarmte sich ein ährenlesend Mädchen
Und lief herzu und hob sie auf.

Johannes.                                         O seht!
Zerrissen das Gewand; wie ein Gewölk
Vom Wind gepeitscht das Haar um ihre Schläfe,
Vom öftern Stürzen auf den Felsenkanten
Das Antlitz blutig und voll Staub!

Benjamin.                                               Ach, Mutter!

Joarim. Du arme Mutter!

Lea (erst noch in der Scene). Weile, blut'ger Amri!

Amri. Still, Brut, wenn sie am Leben bleiben soll.
Bei Simei! der Schwur ist heilig. Fort!

(Er winkt; Amris und ein Teil von Aarons Gefolge mit den Kindern ab.)

So ächzt der Kiebitz hinter seiner Brut.
Erst macht es Spaß mir, doch nun Langeweile.
Schnell fort, daß sie zurückbleibt! (bleibt stehen und packt Aaron.)
                                                      Daß der Herr
Dich treffe, Knecht! wo hast den Simon du,
Den Ältesten?

Aaron.                   Du bist nicht wütender
Als ich, und ich nicht schuldiger als du.

Amri. Nicht schuldiger, tilg' ich mit diesem Messer
Die Schulden dir!

Aaron.                           Erst höre, wie's geschah
Dort, wo der steilste Fels aus schmalstem Weg
Uns Mann nach Mann zu gehen zwang, dort sprang er
Wo die Gazelle nicht zu springen wagt –

Amri. Und keiner hielt ihn?

Aaron.                                 Doch. Assarja,
Der Nächste hinter ihm; ihn riß er mit
Und – lebt er? ist er tot? Ich weiß es nicht.

Lea. (tritt auf, von einem Mädchen geführt).
Häuf' nicht des Rächers Grimm! Gieb mir die Kinder,
Daß er dich schone!

Amri.                               Machst auch du den Kopf
Mir warm?

Lea.                   Wo seid ihr?

Amri.                                         Hörst du? Bleib zurück!

Lea. Johannes! Benjamin! Hört ihr?

Amri.                                               Ich will
Mir Ruhe schaffen. Bindet mir das Weib
Dort an die Sykomore!

Lea.                                     Binden? Mich,
Die schon die Schwäche bindet?

Amri.                                                   Schnell! Hierher!

(Sie wird ergriffen; das Mädchen flieht.)

Lea. Thu's nicht! Thu's nicht! Der Herr wird es nicht dulden,
Daß du es thust. – Läßt du die Luft doch mitgehn;
Sieh, die Gedanken könntst du mir nicht binden,
Daß sie nicht folgten deinem Schritt, und sieh,
So still wie ein Gedanke will ich sein.
Nicht einmal bitten will ich mehr!

Amri (zeigt an die vordere Seite des Stammes der Sykomore).
Vorwärts! (zu einem) Nicht weinen sollst du, binden, Schurke!

Lea (während sie hingeschleppt und gebunden wird).
Unmenschen, ein ohnmächtig Weib zu binden!
Nein, nicht Unmenschen! denn ihr könnt's ja nicht.
Seht, hier sind meine Hände; wie ein Kind
Laß ich mich binden; denn ihr könnt's ja nicht.
Und hättet ihr's gethan, ihr fluchtet euch
Vor Mitleid selbst und schnittet wieder auf –

Amri. Lernt Hochmut selber betteln?

Lea.                                                   Sieh, wie ruhig
Dein Schmähn ich trage.

Amri.                                     Schwäche ist geduldig.

Lea. Mann, weine nicht, wenn du um mich weinst, was
Soll ich dann um die Kinder thun? Wenn du
Nur seufzest, müßt ich untergehn in Thränen.

Amri. Uns siedst du nicht in Thränen weich; versuch's
Nun mit dem Strang! Vielleicht reißt er aus Mitleid.

(Amri, Aaron und Gefolge gehen.)

Naemi tritt mit dem Mädchen auf, das auf Lea zeigt.

Lea. Ich weiß, ihr könnt nicht gehn, nicht so mich lassen –

Naemi. So ist's! ich danke dir. (Mädchen geht.) O, welch ein Anblick!

Lea. Weh mir! was ist's so still? Sie sind gegangen,
Und ich – was folg' ich nicht? Elendes Seil,
Willst du die Mutter von den Kindern trennen?
Sieh, was die Mutterliebe kann; so reiß
Ich dich in Stücken!
(Vergebliche Anstrengung; es wird Nacht.)
                                Weh mir! So allein
Im wilden Felsenthal muß ich verschmachten,
Und meine Kinder sterben fern von mir!

Naemi. Ich knüpf' sie los. O Hände, zittert nicht!

Lea. Wer spricht hier? Wem gehört die Helferhand?
Wer knüpft mich los? Auf meinen Händen fühl'
Ich Thränen; weiche Locken fallen drauf.
O, das sind Haare, so wie Joarims,
Ein Veilchenatem, so wie Benjamins.
O, wer du bist, wenn du kein Engel bist,
Laß deine Mutter nicht! laß dich nicht stehlen!
Sieh, auf den Knien, wär' ich frei, läg' ich
Vor dir: o Kind, gehorch ihr, ist sie doch
Die Brust nur, und du bist das Herz darin,
Doch redet sie von Größe, hör' sie nicht!
Ist ihr der Thron zu niedrig, Größe selbst
Nicht groß genug für dich, hör's nicht; jed' Wort
Zuckt tausend Schwerter einst auf dich und sie.
Und rief der Herr dich selbst, o hör' es nicht!
Wir müssen thun nach unserm Wort; er thut,
Was ihm gefällt; wer rechtet mit dem Herrn?
Er zieht den Vorhang seiner Wolken zu,
So wie die Mächtigen der Welt es thun!
Stürm' deine Klage hin, du Leidender;
Schrei aus um Unrecht, das sie dir gethan;
Sie lächeln ihrer Macht und hören's nicht!

Naemi. Ein Arm ist frei.

Lea.                                 O Kinder! meine Kinder!
Ihr solltet Helden, solltet Kön'ge sein; –
O wärt ihr Bettler, doch ich hätt' euch hier,
Wärt ihr verachtet, doch in meinen Armen,
Wärt ihr verabscheut, doch an meiner Brust!
(Sie ist losgebunden.)
Herr, was strafst du die Kinder? Strafe mich!
Such' meine Schuld, Herr, an mir selber heim!
Was schläft dein Donner? Herr, ruf deinem Blitz!
Laß deine Winde rasen, dein Geschoß,
Den Hagel wirf nach mir; sieh, selber bahn'
Ich deinen Fluten einen Weg zu mir!
(Sie reißt ihr Obergewand ab.)
Fort, Spangen! Fluch, was glänzt und was verlockt!
Verflucht sei Größe, außen strahlenblendend,
Innen voll Dornen! Ruhm, verflucht seist du,
Ein Treiber ohn' Erbarmen! Winde, peitscht
(Sie reißt die Haare los.)
Mit meinen eignen Haaren mich. – O still.
Ein Hamster schleicht zu seinem Nest; er hat
Die Backen vollgefüllt für seine Kinder.
Der Vogel auf dem Zweig schrickt aus dem Schlaf,
Ein Habicht hat die Kinder ihm geraubt,
So träumt er, und er rafft sich auf, der Schwache,
Vom Starken sie zu retten. Seht mich, Mütter
In Feld und Wald, am Himmel und auf Erden,
Hier, eine Mutter, unnatürlich, wie
Sonst keine! Sieben Söhne, wie sie nie
Ein Mutterauge schöner sah, hat sie
Sie selbst verderbt! Helft mir der Tig'rin fluchen!
O, keine Tig'rin hätte das gethan! –
Der am einsamen Bett der Hindin steht, –
Ihr aushilft in der Stunde der Geburt,
Wenn ihre Seele zagt, Herr, sich verblutend
Ein Mutterherz aus sieben Todeswunden,
Das ganze Weib ein brechend Mutterherz,
Und sprich: Es ist genug! (Sie sinkt zusammen.)

Naemi (sie haltend).                Herrin, du sinkst,
Erquicke dich an diesem Quell.

Lea (matt).                                         Wer spricht?
Die Ährenleserin, die heut mich aufhob
Und führte? Geh und sei gesegnet; ist's
Auch nur der Segen eines armen Weibes.
Geh heim; ich bleibe hier; ich will hier sterben.

Naemi. Von ihrem Schmerz erfüllt, kennt sie mich nicht.
Trink, Herrin!

Lea.                         Deine Stimme thut mir weh.
Geh, Mädchen! Mädchen? Nein, du bist kein Mensch!
Die Mutter trinken, wenn die Kinder schmachten?

Naemi. Um deiner Kinder willen stärke dich,
Daß du sie rettest!

Lea (wie erschreckt).       Rettest? Was sagst du?
Sie rettest?

Naemi.               Ist der König doch ein Mensch;
Er wird die Kinder deinem Flehn nicht weigern.

Lea. Er wird – bist du ein Engel? wird er? ja!
Er wird! Kenntest du meinen Benjamin;
Sähst du ihn lächeln, o, du müßtest sagen:
Er kann den Kindern nichts zuleide thun!
Fort! Weh mir! Nun ich retten könnte, bin ich
Gelähmt.

Naemi.           Hier trinke, daß dein Geist zurückkehrt
Zu dir. Ich führe dich, und wirst du matter,
So trag ich dich –

Lea.                             Gieb! Gieb den Trank. Vergebt
Mir, Kinder, daß ich trinke! (Sie trinkt.) Trink ich doch
Nur, euch zu retten. – Sieh, nun bin ich stark.
Doch wohin führt der Weg zum Syrier nun?

Naemi. Schon such' ich ihn. Hörst du die fernen Klänge?
Ein Bußpsalm – dorther kommt er, wo das Licht
Der Nacht den milden Silberduft sich selbst
Voranschickt und den breiten, dunkeln Hügel
Abzeichnet, hinter dem's heraufkommt. Dort
Der Hügel muß der Ölberg sein, dort liegt
Jerusalem –

Lea.                     Die Stimme! Das ist nicht
Die Ährenleserin –

Naemi.                           Und dort im Thal
Seh' ich des Königs Zelte schimmern. Komm
Den Weg hier; schon wird's hell.

(Der Mond geht über Jerusalem auf.)

Lea.                                                     Du bist Naemi!
Was willst du dort?

Naemi.                             Die Kinder retten.

Lea.                                                                Du?
Fort! sei barmherzig! – Du, die ich gehaßt?
Die ich verfolgt?

Naemi.                       Du mußtest mich verfolgen,
Damit du endlich meine Treue sähst.

Lea. Dem Glücke folg'; ich hab' nichts mehr zu geben.
Zu deinem Vater geh', zu seinen Göttern!

Naemi. Ich geh' mit dir, wohin dein Fuß dich führt.
Dein Gott ist mein Gott; wo du stirbst, da sterb
Ich auch; da will ich auch begraben sein.
Kehr' dich nicht weg. So wahr der Herr lebt, nur
Der Tod soll mich von Judas Mutter scheiden.

(Lea sinkt vor ihr auf die Knie.)

Naemi. Was thust du, Herrin?

Lea.                                         Laß mich! Du bist besser
Als ich. Vergieb mir, und dann segne mich,
Damit ich gehe!

Naemi.                       Ohne mich?

Lea.                                                 Wohin
Ging ich von nun, daß du nicht mit mir gingest
Als meiner Seele bessrer Teil? O sieh,
Schon hab' ich meiner armen Kinder Erbe
An dich gegeben, meine letzten Thränen. –
Soll dich, das schöne, junge Weib, das Aug'
Der rohen Krieger sehn? Nein, bleibe hier
Und warte mein; bald kehr' ich mit den Kindern.

Naemi. Gehorsam deinem Worte bleibt Naemi,
Und es geleiten dich des Herren Engel!

Sie führt sie ab. Von der anderen Seite kommen Juda, Usiel und einige Krieger.

Juda (zu den Kriegern im Auftreten).
Schnell fort und ruft's durchs ganze Israel;
Ich schleiche nach Jerusalem mich durch.
Dort herrscht der Hunger und die Pest; doch hat
Die Herzen nur die Not noch nicht gelähmt,
Und kann ich's halten, bis ihr Hilfe bringt,
Dann, Syrier, sitz' fest auf deinem Thron,
Sonst schüttelt Juda dich wie reifes Obst!

(Die Krieger gehen; Naemi kommt zurück.)

Naemi. Hier im Granatenbusch will ich mich setzen,
Doch schlafen nicht; sonst säh' ich sie nicht kehren.

Juda (einige Schritt nach hinten).
Wie Sicherheit hier mit bequemem Flügel
Dies Lager brütet. Kein Verhau! Kein Graben!
Ist Juda tot? Ist er ein Thor geworden,
Daß man ihn höhnen darf? Geduld, bis dir
Die ausgefallnen Schwingen wieder wachsen;
Dann zahl' die neue Schuld ihm mit der alten.
Nun nach Jerusalem!

Naemi (aufschreiend).         Es nahen Männer!
Die Stimme – ja, er ist's!

(Sprachlos zu seinen Füßen.)

Juda.                                         Was will dies Weib?

Naemi. Mein Herr!

Juda (überrascht, er hebt sie auf). Röslein von Saron! Lilie
Im Garten Salomo!

Naemi (weinend).           Voll Staub und Blut –

Juda. Nichts; nur mein Bett hat abgefärbt.

Naemi.                                                       Du schliefst
Auf Stein, mein armer Herr? und ohne Polster?

Juda. Wie mancher schlief die Nacht gar ohne Kopf.

Naemi (lachend). Daß ich dich wieder habe, lieber Herr!

Juda (sie an sich drückend).
Blüh auf, mein Röschen, blüh'; hier ist dein Boden.

Naemi. So schlug die Nachtigall, wie du zuerst
Hierher mich pflanztest, und so wob der Mond
Um sie und den Granatbusch all sein Gold.

Juda. Und doch, mein Röschen, deine Nachtigall
Um einen Mund voll Brot, all deinen Mondschein
Um einen Becher Wein, und wär' er sauer!

Naemi. Du Armer hungerst, und ich habe nichts!

Juda. Hör', Usiel, ein Rätsel. Sprich, was ist's?
Der Männer hunderttausend sprengen's nicht.
Doch füllt ein einzig flüsternd Weib es aus. –
Doch wie kommst du hierher? Was macht meine Mutter?
Was meine Brüder?

Naemi.                             Deine Brüder sind –
Beim Syrier.

Juda.                     Mehr als ich fürchtete.
Und meine Mutter? wo, als bei den Kindern?
Wie? ja, ich traf's?

Naemi.                             Sie hofft –

Juda.                                                   Sie hofft –? Kein Weib
War weiser, keine Mutter thörichter!
(Zu Usiel.)
Ich eile nach Jerusalem; hörst du
Uns aus den Thoren brechen, wirf dein Häuflein
Vom Fels in ihre Sicherheit. Vom Syrier
Hoffst du die Kinder, Mutter? Selbst ein Kind
In deinem Wahn. Der Syrier wird sie geben
Nicht deinem Flehn, doch deines Juda Schwert!
(Will gehen, bleibt.)
Und wenn – nein – bleib – hinunter, Herz; ich kann
Nicht helfen, Mutter! Mit Jerusalem
Ist Israel verloren. Nein; ich darf
Das Spiel nicht wagen. Hier verblute, Mensch
In Juda; wohn' von hier in dir allein,
Errettung Israels, des Juda Seele!
Ich lasse dich im Schutze Usiels,
Mein Weib. Leb' wohl! Vielleicht sehn wir uns wieder.

Naemi. Nie, wenn du mit ›vielleicht‹ Naemi tötest!
Herr, wer giebt dir das Recht, allein zu sterben?
Ich geh' mit dir; mein Leben ist in deinem.

Juda. Nicht sterben, leben will ich! Geh! Leb' wohl!

Er geht einige Schritt nach hinten, Usiel und Naemi nach der Seite; er bleibt stehen und wendet sich unwillkürlich noch einmal nach Naemi; er schämt sich, den wahren Grund seines Umwendens merken zu lassen, und ruft.)

Usiel!

Usiel (indem er und Naemi sich wenden).
            Ja, Herr; was willst du?

Juda.                                                   Nichts; es kam
Mir ein Gedanke nur, doch nahm ich ihn
Zurück. (Naemi sprachlos in seinen Armen.)
              Röslein von Saron – (Er bezwingt sich.) Geh! Leb' wohl!

Er macht sich los und geht rasch nach hinten, Usiel und Naemi nach der Seite ab.


Verwandlung.

Eine Straße in Jerusalem mit Aussicht nach dem Tempel; Mondschein, Gewitterwolken am Himmel.

Hungernde und Kranke vor den Thüren, vorn ein Weib mit einem Kinde und ein Greis.

Simon von der einen, Jonathan von der anderen Seite, sehen sich, wenden sich traurig ab, dann fallen sie sich schluchzend in die Arme.

Simon. O daß ich nie entrann den Händen Amris!

Jonathan. O Simon!

Simon.                       Jonathan!

Jonathan.                                   Alles verloren!
Durch Zions Gassen rief ich auf zur Wehr –
Keine Antwort, kaum ein Blick, der matt sich hob,
Als wollt' er fragen: Wer stört mich im Sterben?
Und schwach zurückfiel, eh' er mich erreicht.

Simon. Kein lebend Menschenaug' sah, was das meine
Den kurzen Weg durch Akras Straßen sah.
Hier tot ein junges Weib, das Kind verschmachtend
An ihrer Brust, und über sie hinweg
Lacht wild der Wahnsinn ans dem Aug' des Gatten.

Jonathan. Ich sah, wie Sterbende sich niederlegten
Gleichgiltig so, als wär's zum Schlaf, und Leichen
Zum Polster nahmen für ihr Haupt, um andern
Denselben Dienst zu leisten.

Simon.                                           Hunger dient
Der Pest, und die dem Tod, schrecklich wetteifernd
In ihres Dienstes Hast; und wo nicht Tod,
Da schaut Verzweigung aus den stieren Augen.
Sie haben keinen Fluch mehr, keine Thränen.
Der Feind pocht an das Thor; sie hören's nicht.
Kein Ruf weckt die lebend'gen Leichen mehr.

Das Weib (zu Jonathan, sein Gewand fassend).
O, einen Bissen nur! Sieh, Herr, mein Kind
Verschmachtet. Einen Bissen nur, und wär' er
So, daß dein Hund ihn ekelnd liegen ließ!

Jonathan (reißt sich los, schmerzlich).
Unglückliche, wer giebt mir, euch zu geben?
Wollt' ich von meinem eignen Fleisch dir geben,
Nicht so viel ließ mir Hunger, dich zu sätt'gen.

Das Weib. Um deines Bruders Juda willen, Herr!
Meine Mutter, Herr, und meine sieben Brüder,
Sie hofften bis zum letzten Augenblick:
Käm' Juda nur, dann wären wir gerettet.
Sie starben alle, und kein Juda kam.

Jonathan. Unglückliche, hier hilft kein Juda mehr!

Greis (ohne sich zu bewegen).
Kommt Juda?

Weib.                     Hörst du, Herr? Er hörte uns
Den Juda nennen. Mein, mein armer Vater!

Simon. Was ist das? Hörst du? Fernes Schrein –

Jonathan.                                                             Das ist
Der Syrier, der unsre Schwäche nutzt.
Auf, Volk Jerusalems! der Syrier stürmt!
Auf! zu den Mauern, Krieger!

Simon.                                             Ruf die Steine:
Sie hören dich; doch diese Leichen nicht.

Jonathan. Schon naht der Lärm; er ist schon in den Mauern.
Herr, was beginnen?

Simon.                               Frag' die Weisen hier;
Beredt ist ihre stumme Antwort: Sterben!

Jonathan. Doch das ist weder Kriegsgeschrei noch Wehruf!

Simon. 's ist Jubel –

Jonathan.                 Näher kommt's. Sie rufen –

Volk (erst noch in der Scene ganz fern).                   Juda!

Jonathan. Deutlich hör' ich den Ruf! Er ist's!

Volk.                                                               Er ist's!

Die Herumliegenden (halb aufgerichtet).
Der Juda?

Weib (zum Greise). Hörst du, Vater? Juda kommt!

Greis. Der Juda – (Er stirbt.)

Weib.                     Herr, er stirbt! Weh mir, er stirbt
Und hat den Juda nicht gesehn!

Volk (näher jubelnd).                         Er ist's!

(Die Herumliegenden sitzen voll Spannung, manche raffen sich auf.)

Simon. Auf rafft sich, was halbtot schon lag; nur einer
Ist aus der Welt, der das vermag.

Volk (näher).                                         Der Juda!
Der Vater!

Weib.                 Ja, er ist's!

Die Übrigen (sich aufraffend). Er ist's!

Weib (zu ihrem Kinde, das sie hochhebt). Schau, Joel,
Mein Knäblein, Juda, unser aller Vater!

Jonathan. Sieh, wie sie seine Knie umfassen. Kaum
Kann er den Fuß erheben. Lachend, schluchzend
Wie Kinder zu dem lang vermißten Vater,
Dursten sie auf zu seinem Heldenantlitz
Und trinken Mut aus ihm.

Simon.                                     Sieh, wie dies Weib
Mit ausgezehrtem Arm ihr Kind erhebt,
Daß es ihn seh'!

Jonathan.                 Todkranke Greise schleppen
Sich mit der letzten Kraft in seinen Weg,
Nur um des Helden Kleider zu berühren.
O Schauspiel sondergleichen! Wunderanblick!
So wie ein Adler seine Kinder trägt,
So trägt er Israel auf seinen Schwingen.
Wie hinter Scherzen er sein Mitleid birgt,
Der Mann, der seine Tugenden verhüllt,
Daß unsre Armut nicht an sich verzweifle!

Simon. Willkommen, großes Herz von Israel!
Laß uns entgegen, wenn es möglich ist,
Dies Volksmeer zu durchschwimmen! (Beide ab.)

Volk (hereindringend, durcheinander. Die Frauen ihre Schleier schwingend).
                                                              Hosianna!
Hosianna in der Höh'! Juda, der Vater!

Juda tritt auf mit Simon und Jonathan. Das Volk kämpft darum, an seinem Wege kniend, seine Kleider zu berühren.

Juda. Mein Volk –

Volk (wie vorhin).   Still, Juda spricht! Tod, wer ihn stört!

Juda (ist aufgeregt und bezwingt gewaltsam seine Rührung).
Ihr hungert, Kinder? Desto besser wird's
Euch schmecken, wenn der Syrier heimgejagt
An trocknen Rinden kauen muß. Und bald
Jag' ich ihn heim. Nur noch zehn Tage haltet
Jerusalem, dann zieht ein Heer von Brüdern
Heran, euch zu befrein.

Jonathan.                             Zehn Tage, Herr
Und Bruder? –

Simon.                     Kaum drei Tage reicht der Vorrat,
Das Leben ärmlich uns zu fristen, nur
Daß wir nicht sterben.

Juda.                                   Steht es so? – Dann hat
Der Herr uns auf uns selbst gestellt, zu zeigen,
Was er vermag. – So bringt, was ihr noch habt,
Zu einer Mahlzeit in des Tempels Vorhof;
Daß Kraft den schwachen Gliedern wiederkehre;
Dann in des Wetters Schutz, und wenn der Mond
Vom Himmel wich, mit leisem Tritte schleichen
Wir in des Syriers Lager uns, die Priester
Mit den Posaunen auf die Berge rings
Umher; und wenn die letzten unsrer Krieger
Im Lager, dann weckt ihr Posaunenruf
Den unsern und ringsum den Ruf der Höhn
Und die Verwirrung in dem Syrierlager,
Die, sich bedrängt von allen Seiten meinend,
Dem Tod im Innern selbst entgegenfliehn,
(Es wetterleuchtet.)
Was zagen? Lebt der alte Gott nicht mehr?
Zieht er nicht selber seinem Volk zu Hilfe?
Dort in der Wetterwolk' steht er gelagert
Mit allem Himmelsheer. Seht ihr das Glühn
Der Helm'? der Schwerter Glanz? der Speere Blitzen?
In seinen Händen hält er seine Donner;
Die Sterne streiten mit auf ihrer Bahn,
Wie da Deborah einst und Barak siegten,
Nun laßt umarmt uns sitzen bei dem Mahl,
Von dem Gesetz des Herren uns erzählend,
Wie oft dem Volke half sein Helfergott!
Wer einen Feind hat unter seinen Brüdern,
Der such' ihn auf, mit ihm sich zu versöhnen,
Umschling' ihn mit dem Arm, der ihn umschlingt,
Und küß' den Friedenskuß auf seine Stirne,
Daß wir ein heilig Heer sind vor dem Herrn.
(Zu dem Weibe, indem er das Kind ihr von den Armen nimmt.)
Läßt du dein Kind? – und soll der Herr uns lassen?
Sein Kind? Sein Knäblein Jeschirun?
(Er nimmt's auf den Arm und schwingt's in die Höhe.)
                                                            So wird
Er's heben mit den Armen seiner Macht;
So wird er lächeln, wie dies Kindlein lächelt.
(Er giebt das Kind wieder.)
Auf, Brüder, nun zum Mahl, und dann zum Sieg!

(Er geht ab, Simon und Jonathan umschlingend).

Volk. (indem es ihm, begeistert umarmt, folgt, durcheinander.)
Ein heilig Heer des Herrn zum Mahl! zum Sieg!

(Alle nach hinten.)

Vorhang fällt.


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