Rudolph Hermann Lotze
Medizinische Psychologie
Rudolph Hermann Lotze

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§. 40. Von den angebornen individuellen Anlagen.

466. Wenden wir uns zu den Verschiedenheiten der individuellen Entwicklungsbedingungen, so finden wir zuerst durch das Geschlecht das gesamte geistige Leben in spezifische Bildungsbahnen gedrängt. Nicht so, dass dem einen Geschlecht überhaupt eine geistige Fähigkeit oder auch nur eine allgemeinere Äußerungsweise der Seelentätigkeit ganz fehlte, die dem andern zu Gebot stände; nur in den niedersten Tierklassen divergiert vielleicht mit der oft viel größern Verschiedenheit der Körperbildung auch das Seelenleben bis zu diesem Grade; in den höheren Ordnungen und namentlich in der menschlichen Gattung sehen wir nur das allgemeine Kolorit des geistigen Benehmens in unendlich vielen kleinen Zügen durch die Verschiedenheit der Geschlechter bedingt. So wichtig diese Unterschiede sind, so müssen wir doch mit wenigen Worten über sie hinweggehn; schon ihre bloße Darstellung ist eine der schwierigsten Aufgaben künstlerischer Phantasie, ihre wissenschaftliche Definition ist bisher weder der Psychologie ausreichend gelungen, noch ihre Erklärung der Physiologie. Die Tiere allein bieten uns ein unzweideutiges Material, indem auf ihre Entwicklung, Erziehung und Nachahmung keinen Einfluß haben, aber wir verstehen ihr Seelenleben zu wenig und sind daher auf Angaben über größere Kraft, schönere Körperbildung, lebhafteres Temperament und Ähnliches beschrankt, was in den höhern Klassen meist das Eigentum des männlichen Geschlechts ist. Unsere Beobachtungen über den Menschen dagegen leiden schon an der Ungewißheit, wie Vieles hier aus ursprünglicher Anlage unmittelbar, wie Vieles Andere dagegen nur mittelbar aus dem Lebensgange hervorgeht, zu welchem diese Anlage jedes Geschlecht bestimmt. Vergleicht man die Divergenz in der Richtung der geistigen Bildung, die in Kulturvölkern männliches und weibliches Geschlecht scheidet, mit dem, was sich bei wilden Stämmen findet, so ist zu befürchten, dass ein großer Teil der Zartheit, der Weichheit und des Gefühlsreichtums, den man so gern von der feineren und geschmeidigeren Textur des Weiblichen Körpers abhängig macht, ebenso wenig in diesem Grade eine direkte Naturanlage ist, als jene leiblichen Eigenschaften selbst. Mag immerhin auch bei wildern Völkern die Muskelfaser des Mannes straffer, seine Respiration energischer, sein Blut reicher an festen Bestandteilen, seine Nerven weniger reizbar sein, so sind doch alle diese Unterschiede ohne Zweifel selbst erst durch die Lebensweise der Zivilisation vergrößert, die vielleicht alle körperliche Kraft etwas herabsetzt, aber unverhältnismäßig mehr die des weiblichen Geschlechts, während sie zugleich, wie die Zähmung der Tiere, Schönheit und Feinheit der Gestalt steigert. Gewiß halten wir nicht allen psychischen Unterschied der Geschlechter für anerzogen; ihre verschiedene Bestimmung mag allerdings auf die Richtung der Bildung großen natürlichen Einfluß ausüben; dagegen sind wir überzeugt, dass die meisten detaillierten Darstellungen hierüber nicht Schilderungen eines natürlichen, sondern eines künstlichen und zwar bald eines depravirten, bald eines durch die Kultur höher entwickelten Zustandes sind. Gewiß gehört zu den Symptomen einer verkehrten Bildung und selbst einer depravirten Ansicht über die natürlichen Verhältnisse die ungemeine Wichtigkeit, welche man in dem weiblichen Seelenleben nicht sowohl den Geschlechtsfunktionen, als vielmehr der Reflexion über sie und der beständigen Erinnerung an sexuelles Leben beimißt, während man dem männlichen Geiste von Anfang an eine objektivere Richtung auf zusammenfassende Weltanschauung zuschreibt. Man begeht denselben Fehler, den man so häufig bei der Betrachtung der Instinkte begangen sieht; man vergißt, dass neben den einzelnen durch Naturanlage bestimmten Trieben noch ein bewegliches unabhängiges Geistesleben steht, und dass der Kreis der lnteressen nicht mit diesem einen Instinkte abgeschlossen ist.

467. Fragen wir nun nach den anatomischen und physiologischen Unterschieden beider Geschlechter, so begegnen wir ihrer allerdings vielen, deren untrügliche Allgemeingültigkeit wir einstweilen gern zugeben wollen. Allein sie bestehen großenteils in Eigentümlichkeiten, deren psychischen Wert wir wenig schätzen können. Die intensiven periodischen Einflüsse freilich, welche auf das weibliche Seelenleben die vielgestaltige Reihe der Fortpflanzungsfunktionen während ihrer Ausübung äußern muß, sind leicht verständlich; das permanente Gepräge dagegen, welches während der Zeiten ihres Aussetzens die Gesamtentwicklung des Geistes festhält und das allein für uns von größerem Interesse sein würde, wissen wir aus physiologischen Motiven sehr wenig zu erklären. Die Dimensionen der Körperteile, des Kopfes, der Brust, des Unterleibes und die damit verbundenen Entwicklungsverschiedenheiten der inneren Organe mögen allerdings durch die abweichende Raschheit, Kraft und Reizbarkeit der Funktionen charakteristische Mischungen des Gemeingefühls bedingen, aus denen nicht nur Bevorzugung einzelner Gedankenkreise sondern auch eine Disposition zu gewissen formellen Eigentümlichkeiten des Vorstellungsverlaufs und der Phantasie folgen könnte. Am nächsten würde es uns liegen, die Verschiedenheiten der Entwicklung von der Natur des Nervensystems und seiner Erregungen abzuleiten. Bestimmte Unterschiede in der Struktur der Zentralorgane, die wir zu deuten wüßten, sind bisher nicht aufgefunden worden. Das Gehirn soll bei dem Weibe im Verhältnis zu den Nerven bedeutender sein, das Rückenmark massenreicher; die hintern Hirnlappen bei ihm, die vordem bei dem Manne größer; das weibliche Gehirn blutärmer, als das männliche, indem die Arterien kleiner und die zum Durchgange derselben bestimmten Schädellöcher enger sind. (Berthold in Wagners HWBch. I, S. 612.) Diese Beobachtungen lehren wenig; die Häufigkeit der Nervenkrankheiten bei dem weiblichen Geschlechte läßt jedoch in Verbindung mit sehr bekannten Erscheinungen annähernd einen allgemeinen formellen Ausdruck für die spezifische Tätigkeit seines Nervensystems zu. Wir bezeichnen sie als Hyperästhesie. Ob äußere Reize überhaupt im Allgemeinen dem weiblichen Nervensystem größere Erschütterungen verursachen, als dem männlichen, muß dahingestellt bleiben; wäre es der Fall, wofür allerdings die Empfindlichkeit für kleine Schmerzen sprechen könnte, so würde darum doch eine größere Akkommodationsfähigkeit nicht ausgeschlossen sein, die bei rascherem vegetativen Leben den weiblichen Körper befähigte, sich an intensivere Leiden zu gewöhnen, während die schwerer bewegliche Reizbarkeit des männlichen sich auch schwerer akkommodierte. Der wesentliche Charakter der Hyperästhesie besteht jedoch in der Leichtigkeit, mit welcher sensible Eindrücke aller Art sich auf andere Nerven irradiiren, oder Reflexbewegungen in weiten Gebieten motorischer Organe hervorrufen. Eine große Neigung zum Zusammenfahren, zu vielen Krampfformen, zu plötzlichen Sekretionen auf Nervenreize ist dem körperlichen Leben des weiblichen Geschlechte eigen; dieselbe Reizbarkeit können wir dem Gehirn auch in Bezug auf das psychische Leben zuschreiben. Vielleicht ist es so organisiert, dass einzelne Empfindungen mit geringerer Schärfe ihres qualitativen Inhalts wahrgenommen werden, aber mit größerer Kraft begleitende Gefühle erregen, dass ferner der Lauf der Vorstellungen leichter und kräftiger auf die reizbareren Nervensubstrate zurückwirkt und einen lebhaften Lauf der Phantasie hervorruft, der doch nicht sowohl durch die objektiven Verwandtschaften des Vorstellungsinhalts, als durch die Gefühle seines Wertes für die leicht erregte Individualität gelenkt wird. Man kann hinzufügen, dass gerade für organische Tätigkeiten, die einer großen Ablenkung von ihrem Gleichgewichte leicht fähig sind, der Wert günstiger Bedingungen, die ihnen dieses Gleichgewicht zu behaupten gestatten, bemerklicher werden muß, als wo das Maß der Veränderlichkeit überhaupt geringer ist. So möchte dem reizbaren Nervensystem des weiblichen Geschlechts ein Hang zu stillen harmonischen Gemütslagen, ein Trieb der Sauberkeit, des Schmuckes, Sinn für symmetrische Verhältnisse nicht unnatürlich und in höherem Grade, als dem männlichen Geschlechte eigen sein. Könnte eine vorwiegende Bestimmung zu objektiver Welterkenntnis dem letztern überhaupt mit Sicherheit zugeschrieben werden, so würde eine natürliche Entwicklungsbedingung hierfür in der langsameren Reife seines physischen Lebens liegen. Später findet sich wenigstens in unsern zivilisierten Zuständen bei dem Manne als bei dem Weibe jenes Selbstgefühl einer abgeschlossenen ausgebildeten Persönlichkeit ein, und eine längere Zeit der Erfahrung, der Verknüpfung und Weiterentwicklung seiner Beobachtungen ist ihm gestattet, ehe seine Individualität zu ihren später ziemlich feststehenden Umrissen gelangt. Doch wir brechen in einer Darstellung ab, der wegen des Mangels aller sicheren und ergiebigen Anhaltspunkte stets Gefahr droht, sich in Phantasien zu verirren, die nur die Poesie zu einem wertvollen Gemälde vereinigen, die Wissenschaft aber nicht zu nützlichen Gesichtspunkten präzisieren kann.

468. Ein Lieblingsgegenstand älterer Psychologien ist die Lehre von den Temperamenten, über deren speziellere Einzelheiten wir auf die umfassende Arbeit von Harless (in Wagners HWBch. III. 1. S. 531 ff.) verweisen müssen. Die Begriffsbestimmungen dessen, was man unter diesem Namen zusammenfaßt, sind sehr verschiedenartig ausgefallen, und wir müssen, um einen genauer begrenzten Gegenstand vor uns zu haben, manches von ihm ausscheiden, was der gewöhnliche Sprachgebrauch ihm beirechnet. Vor allem fallen die Temperamente in keiner Weise mit moralischen Richtungen des Charakters zusammen, obgleich in ihnen manche jener begünstigenden oder hemmenden Einflüsse liegen, welche die freie Entwicklung des sittlichen Geistes überall zu überwinden hat. Sie sind ebenso wenig mit bestimmten Größen der Intelligenz verknüpft, obschon sie Fortschritt und Richtung auch dieser mitzubedingen vermögen. Nicht gleichbedeutend sind sie ferner mit dauernden Stimmungen des Gemüts, vielmehr kann jeder Grad der Lust und Unlust in jedem Temperamente vorkommen, wenn gleich das eine schwieriger als das andere zu diesem oder jenem Extreme der Stimmung bewegt wird. Sprechen sie sich endlich unverkennbar in gewissen physiognomischen Eigentümlichkeiten aus, so steht doch keines von ihnen in einer ausschließlichen Verbindung mit einer bestimmten deutlich ausgeprägten Konstitution des Körpers, oder einer jener Krankheitsanlagen, die allerdings, wo sie vorhanden sind, eine Neigung zu einem einzelnen Temperamente begründen können. Nach dem allen bezeichnen wir mit diesem viel mißbrauchten Namen nur die formellen Verschiedenheiten, die sich teils auf den Anstoß äußerer Reize, teils ohne sie in der Geschwindigkeit, der Mannigfaltigkeit, der Intensität, in der Konsequenz oder Unstetigkeit zeigen, mit denen der Wechsel der Vorstellungen, der Gefühle und der Strebungen in den einzelnen Individuen vor sich geht. Wie sehr alle diese formellen Eigentümlichkeiten auf die Stimmungen des Gemüts, auf die Entwicklung der Intelligenz und die Bildung des Charakters einwirken müssen, ergibt sich von selbst, und leicht erklärlich wird dadurch jener Irrtum, welcher einzelne Züge dieses höhern geistigen Lebens unmittelbar dem Bilde der Temperamente hinzufügte. Wie sehr anderseits dieselben Eigentümlichkeiten mit körperlichen Dispositionen zusammenhängen müssen, mögen sie nun zum Teil von ihnen erzeugt sein, zum Teil rückwirkend sie selbst erst hervorbringen, ist nicht minder klar, und deshalb auch der andere Irrtum erklärlich, den Begriff der Temperamente durch Beziehung auf körperliche Konstitutionen und Krankheitsanlagen zu trüben.

469. Bei der unendlichen Mannigfaltigkeit der Individualitäten konnte man nicht hoffen, aus der Beobachtung allein feste Typen der Temperamente zu finden; man hat stets, um sie wissenschaftlich zu fixieren, aus vorgängiger Überlegung möglicher Variationen die Haupt-formen der wirklichen zu erraten, und mit ihnen rückwärts die Erfahrungen zu vergleichen gesucht. Man irrte jedoch häufig, indem man willkürlich nicht gegebene, sondern vorausgesetzte Ursachen der Temperamente kombinierte, anstatt zunächst vielmehr die möglichen Veränderungen des geistigen Lebens zu erwägen und dann erst ihre körperlichen Ursachen zu ermitteln. Die Annahmen, welche die bekannten vier Temperamente nach den Elementarqualitäten der Materie, dem calidum, frigidum, siccum, humidum, oder nach dem Überwiegen der roten Blutbestandteile, des Blutwassers, der schwarzen und der gelben Galle, nach den verschiedenen denkbaren Kombinationen zwischen Reizbarkeit und Stärke der irritablen Faser ordneten, gehören zu diesen unverständlichen Schematen, in denen der Kausalzusammenhang der körperlichen Disposition mit der Eigentümlichkeit des Temperaments fehlt. Überlegen wir die möglichen Schwankungen, welche der Verlauf des Bewußtseins erleiden kann, so würden wir im Allgemeinen zuerst mehr und minder reizbare Temperamente unterscheiden dürfen, indem abgesehn von dem Werte, den der spezifische Inhalt einer Anregung für die konkrete empirische Persönlichkeit hat, schon ihre Stärke oder Form in den Zuständen des Einen größere, in denen des Andern geringere Veränderungen bewirkt. Man pflegt als zweiten Einteilungsgrund den Grad der lebendigen Rückwirkung zu benutzen, so dass sowohl die reizbaren als die apathischeren Temperamente bald mit schwachen, bald mit starken Reaktionen dem Impulse antworten. Dieser Gesichtspunkt würde zutreffend sein, wenn das innere Leben aus einer einzigen Klasse gleichartiger Bewegungen bestände, die im Ganzen nur nach Graden ihrer Intensität variieren könnten; er wird dagegen unzureichend durch die Verknüpfung, welche zwischen Intelligenz, Gemüt und Strebungen nicht überall in gleicher Art stattfindet, und der Rückwirkung der Seele auch formelle Differenzen möglich macht, während sie zugleich die Angabe eines Maßstabes für die Größe der Rückwirkung im Allgemeinen erschwert. Im natürlichen Verlaufe des Seelenlebens sind es die Wahrnehmungen, von deren Eindringlichkeit und Feinheit die Gefühle ihre Anregung erwarten, und von Gefühlen haben die Begehrungen ihren Ursprung zu nehmen. Berücksichtigen wir diese Verkettung der Tätigkeiten, so können wir folgende Übersicht der Temperamente entwerfen.

470. In der Hyperästhesie des Nervensystems mindert sich der normale Übergangswiderstand, der der Verbreitung der Erregungen von einer Faser zur andern entgegensteht; in weiter Ausdehnung und mit großer Schnelligkeit bringen die Empfindungen Mitempfindungen, Reflexbewegungen, Absonderungen hervor. Nicht eben hiervon abhängig, aber ähnlich können wir uns eine allgemeine Steigerung in der Erregbarkeit der einzelnen psychischen Prozesse durch einander denken; Vorstellungen würden rasch und in lebhaftem Wechsel eine Menge anderer reproduzieren, an jede würde sich ein Äquivalent des Gefühls und des Strebens knüpfen. Hier wie dort würde mit der leichten Erregbarkeit zugleich eine geringere Nachhaltigkeit jeder einzelnen Äußerung verbunden sein können; sie würde von selbst aus der gegenseitigen Hemmung hervorgehn, die so viele gleichzeitig oder in unmittelbarer Folge dem Bewußtsein zugeführte Erregungen einander verursachen. Dieses Bild stimmt sehr nahe mit dem bekannten sanguinischen Temperamente überein; seine formelle Eigentümlichkeit deutet auch auf die konkreteren Züge hin, die man diesem oft unmittelbar zurechnet. Denn am sprechendsten müßte dieser Typus in einer Seele ausgebildet sein, in welcher noch gar keine Erfahrung die Empfänglichkeit nach gewissen Richtungen gesteigert, nach andern gemindert hätte. So völlige Unparteilichkeit der Erregbarkeit kommt im wirklichen Leben nie, am meisten annähernd in dem kindlichen Alter vor, in welchem deshalb das sanguinische Temperament, wo es überhaupt vorhanden ist, am ausgesprochensten vorhanden zu sein pflegt. Für die spätere Ausbildung der Intelligenz sowohl als des Gemütes und des Charakters enthält diese Verfassung der Seele gleichartige Hindernisse, sie erschwert überall die konsequente Entwicklung einer ausgesprochenen Persönlichkeit; Sanguiniker sind untereinander am ähnlichsten und trotz mancher Liebenswürdigkeit ihres Temperaments zählen sie mehr als Andere nur als Exemplare einer Gattung. Die Schnelligkeit des Wechsels in den Vorstellungen hindert die Befestigung der Kenntnisse im Gedächtnis und die Auffindung allgemeiner Gesichtspunkte; die Geschwindigkeit, mit welcher an jede Wahrnehmung im Einzelnen sich Regungen des Gefühls und von ihnen abhängige Strebungen knüpfen, bringt eine Unstetigkeit des Handelns hervor, für welches die Motive nicht aus einer Zusammenfassung der Überlegung, nicht aus dem Ganzen, sondern voreilig und atomistisch zersplittert von den Einzelheiten der Eindrücke ausgehn. Neben großer Stärke der augenblicklichen Gefühle und Triebe steht daher dennoch Flachheit der allgemeinen Gemütsbildung und Unbeständigkeit der Gesinnungen als häufige Folge. Ein ebenso sprechendes Bild gewährt dem sanguinischen gegenüber das phlegmatische Temperament. Weder Intelligenz noch Gemüt noch Willenskraft sind ursprünglich in ihm geschmälert, aber ihre wechselseitige Erregbarkeit geringer. Der Vorstellungslauf entfernt sich wenig von seinem Ausgangspunkte; den gegebenen Eindruck begleiten weniger zahlreiche Assoziationen; dadurch mindert sich die Größe des ihm nachfolgenden Gefühls, die überall wesentlich von der Vielseitigkeit der Gesichtspunkte abhängt, von denen aus eine bewegliche Phantasie uns den ganzen Wert eines vorgestellten Inhalts zum Bewußtsein bringt. Wo aber einfache Verhältnisse, deren Bedeutung auch ohne Aufwand der Einbildungskraft eingesehen wird, das Gefühl wirklich kräftiger erregen, da fehlt doch ihm wieder die Fähigkeit, zu Handlungen zu disponieren. Denn tätige Äußerungen des Gefühls hängen nicht von seiner Intensität allein, sondern von der Leichtigkeit ab, mit der es rückwärts den Verlauf der Vorstellungen anregt, und durch ihn rasch die Bilder bestimmter Ziele und Verfahrungsweisen hervorruft, ohne die die leidenschaftlichste Erregung keinen Ausweg zu wirklichem Handeln fände. Der höheren Ausbildung stellt auch dieses Temperament Schwierigkeiten entgegen; es bedarf ausführlicher Belehrung, um die nötige Vielseitigkeit und Tiefe der Erkenntnis zu erwerben; es neigt zu Gewöhnungen, welche zwar einen gleichmäßigen, aber einen armen Charakter begründen. Nicht notwendig einseitig in seinen Ansichten, Gefühlen, Strebungen, wird es doch nie sehr vielseitig sein und ohne günstige Gestaltung der äußern Erregungen allerdings leicht großer Monotonie verfallen.

471. So scharf nun diese beiden Temperamente sich von einander abheben, so sind die beiden andern, das cholerische und melancholische um so schwieriger von fremdartigen Elementen zu trennen. Das letztere ist entweder kein Temperament, oder sein Name in der Bedeutung, die er gegenwärtig hat, sehr unpassend. Melancholie ist nicht mehr eine formelle Eigentümlichkeit des Bewußtseins, sondern eine konkrete Stimmung, die aus dem Begriffe eines Temperaments jedenfalls auszuscheiden ist. Wir wählen daher anstatt dieses Namens den andern des sentimentalen: denn nicht darin besteht die Eigentümlichkeit dieses im wirklichen Leben oft so deutlich ausgeprägten Temperamentes, dass es beständig zu Unlust, sondern darin, dass es überhaupt beständig zu Gefühlen erregt wird, und dass alle Empfindungen und Wahrnehmungen in ihm zu Ausgangspunkten länger dauernder Stimmungen werden, in denen der harmonisch oder disharmonische Wert der Eindrücke nachgenossen wird. So ist dieses Temperament die Basis, auf der ein großer Teil des edelsten Geisteslebens ruht. Vorzüglich befähigt zur Auffassung des Gefühlswertes, der formellen Verhältnissen inwohnt, liebt es nachträumende Wiederholung alles Rhythmischen, aller ästhetischen Eindrücke überhaupt; es neigt zu theoretischer Unbestimmtheit, da ihm weniger die genaue Reproduktion der konkreten Beziehungspunkte gelingt, zwischen denen jene formellen Verhältnisse bestanden; es ist unpraktisch an sich, da es wohl den Wert jener Stimmungen auch handelnd wiedererzeugen möchte, aber keine Teilnahme für die gleichgültigen Einzelheiten der Mittel hat, die dazu führen. So zeigt es formell dieselben Eigentümlichkeiten, die man dem melancholischen Temperament zuschreibt, nur abgelöst von der unstatthaften Verbindung mit einer konkreten Stimmung, angeknüpft dagegen an eine allgemeine Erhöhung der Empfänglichkeit für den affektiven Wert, der allen unsern Erregungen neben ihrem Inhalt eigen ist. In der gewöhnlichen Schilderung des cholerischen Temperamentes endlich begegnen wir einzelnen Zügen, in denen man eine der Bildung des Charakters entspringende Stetigkeit der Strebungen mit einer natürlichen Anlage zur Ausbildung dieses Charakters verwechselt hat. Die schwierige Erregbarkeit, die man zugleich mit großer Energie der einmal provozierten Rückwirkung diesem Temperamente zuschreibt, ist ohne Zweifel am häufigsten die Wirkung entweder einer sittlichen Kraft des Gemütes, die sich für bestimmte Zwecke entschieden hat und durch fremdartige Reize sich von ihrem Wege nicht abbringen läßt, oder auch einer durch Monotonie der Lebensumstände entstandenen Einseitigkeit des Vorstellungsverlaufs, die für viele Reize das natürliche Interesse abgestumpft hat. Doch kommt schon in Kindern sehr deutlich diese Hartnäckigkeit in der Verfolgung einmal entstandener Richtungen des geistigen Lebens vor und sie mag daher allerdings als ein eigenes Temperament gelten können. Wir würden den wesentlichen Zug desselben in der Beschränkung finden, mit welcher die scharf aufgefaßten Eindrücke nur die nächsten zu ihnen gehörigen Vorstellungen sachgemäß reproduzieren, keine mit einem leichterregten und übermäßigen Gefühle begleitet, oder durch eine auseinandergehende Mannigfaltigkeit von Assoziationen verdunkelt. Mit ähnlicher Energie regen auch die Gefühle den Vorstellungslauf rückwirkend an, und so ist dieses Temperament das vorzugsweis praktische, sowohl um der Bestimmtheit der Ziele willen, die ihm die Phantasie vorführt, als weil sein weniger anspruchsvolles Gefühl nicht von der Durchführung der Mittel abhält, die ihm keine unmittelbare Befriedigung gewähren.

472. Mit dieser Schilderung müssen wir uns fast begnügen; schon die allgemeinere Frage, wieviel von alle dem auf körperliche Anlagen komme, ist schwer zu lösen, noch weniger aber zu sagen, worin diese Anlagen bestehen. So wenig wir die Temperamente mit Krankheitsformen vermischen möchten, so gibt doch nur die Tatsache, dass die letztern oft Stimmungen hervorrufen, welche den dauernderen Temperamenten formell analog sind, eine Hindeutung darauf, dass eine somatische Grundlage für sie vorhanden ist. Selbst das macht dieser Einfluß der Krankheiten wahrscheinlich, dass nicht Strukturverhältnisse oder andere permanente Eigenschaften der Zentralorgane, sondern die Natur der Erregungen, die ihnen der übrige Körper zuführt, die Basis der Temperamente bildet. Unleugbar ist dem phlegmatischen das ähnlich, was wir oben apathische Stimmung nannten; dem sentimentalen entspricht die Reizbarkeit, die dem Ausbruche vieler Krankheiten vorangeht; das sanguinische findet in fieberhaften, das cholerische in einigen psychischen Störungen, die von körperlichen Ursachen ausgehend, den Gedankenlauf zur Verfolgung, einer einzigen Ideenreihe verengern, eine allerdings weit unvollkommnere Analogie. Vielleicht haben in der Tat die Modifikationen der Säfte, die man sonst als Charakteristiken der Temperamente ansah, auf sie einen wesentlichen Einfluß, obgleich die physiologische Chemie sie freilich anders nennen und erklären würde, als jene früheren Zeiten; namentlich dürfte die Mischung des Blutes, die Proportionen seiner Bestandteile, von denen die roten Körperchen zahlreicher bei Sanguinikern als bei Phlegmatischen sein sollen, ferner die Größe der Zirkulation und des Atmens, von der zum andern Teile die Reizkraft des Bluts abhängt, die Form und Größe der Erregbarkeit in den Zentralorganen bestimmen. Doch auch die festen Teile würden durch die unzähligen kleinen Erregungen, die sie dem Gehirn beständig zuführen, Stimmung und Elastizität der geistigen Tätigkeiten eigentümlich gestalten können. Denken wir uns endlich, dass im Allgemeinen der Stoffwechsel des Körpers wie der Zentralorgane hier rascher, dort langsamer ist, dass ferner das durch ihn erzeugte Maß lebendiger Wirkungsfähigkeit in beiden Fällen größer oder kleiner ausfallen, dass endlich aus seinen qualitativen Veränderungen auch Abweichungen in den Proportionen der psychischen Tätigkeiten entspringen können: so haben wir hierin allerdings Elemente genug, aus deren wechselnden Kombinationen die ganze Fülle der verschiedenen Temperamente erklärlich schiene; leider besitzen wir jedoch bisher keinen Leitfaden für die Benutzung dieser Erklärungsmittel.

473. Wir haben endlich noch der spezifischen angebornen Anlagen der einzelnen Individuen zu gedenken, und erinnern nur kurz an die allgemeinen Betrachtungen, die uns hierbei leiten. Nicht jede Fähigkeit, die in dem ausgebildeten Leben des Geistes als eine abgeschlossene in sich zusammenhängende Erscheinung hervortritt und sich in der Sprache einen besondern Namen erworben hat, kann auf einer ursprünglichen besondern Anlage beruhen, oder als eine Miniatur ihres spätern entwickelten Bildes schon in der Seele des Embryum vorhanden gewesen sein. Unsere geistigen Vermögen zerfallen vielmehr in eine unbestimmte Anzahl von Ordnungen, denn ihre eigne Anzahl ist unbegrenzt und die Feinheit der Menschenkenntnis kann sich stets in noch weiter gehender Sonderung derselben die Verdienste erwerben, nach welchen die Mehrzahl der Phrenologen so begierig ist. Wenige nur betrachten wir als primitive Fähigkeiten; sie führen jenes Material herbei, an dem die Seele ihre Kräfte üben soll; andere entstehen unmittelbar mit der beginnenden Übung; noch andere erst dann, wenn die jetzt gewonnenen Fertigkeiten auf weitere Probleme angewandt werden; einige endlich verlangen zu ihrer Entwicklung sogar eine genau bestimmte Natur der Objekte, die sie bearbeiten sollen. Doch über alles dies haben wir früher (§.8) so ausführlich gesprochen, dass wir uns hier kurz der bestimmteren Frage zuwenden können, welche von allen diesen Fähigkeiten wir als begründet durch besondere Teile der Zentralorgane und als variabel nach dem verschiedenen Baue dieser Nervenmassen ansehen können. Und auch die Antwort auf diese Frage können wir den vorhergehenden Darstellungen kurz entnehmen. Wir zweifeln nicht an ursprünglichen Verschiedenheiten der Sinneszentralorgane, die bald einem bald mehreren Sinnen größere Schärfe der Eindrücke und eine feinere Abschätzung ihrer gegenseitigen Verhältnisse möglich machen; musikalisches Gehör und Farbensinn wird gewiß angeboren und kommt häufig in erblicher Vollkommenheit durch mehrere Generationen vor. Wir zweifeln ebenso wenig, dass Verschiedenheiten der ersten Bildung die Energie der Gefühle bestimmen, die den Empfindungserregungen überhaupt, oder einzelnen Klassen derselben sich zugesellen; zahlreiche feine Idiosynkrasien für sinnliche Eindrücke und intellektuelle Zustände, häufig die Grundlage sehr schöner geistiger Entwicklungen, verdanken wir sicher der Gestaltung der Zentralorgane oder jener anderen Teile, deren Einflüsse in ihnen beständig eine eigentümliche Form der Erregung unterhalten. Ebenso wenig stellen wir in Abrede, dass materielle Organe uns zur formellen Auflassung räumlichen und unräumlichen Inhalts behilflich sind; aus ihrer besseren Struktur mögen jene angebornen Anlagen entspringen, welche zu künstlerischer Virtuosität, oder zu mathematischer Gewandtheit in der Behandlung der mannigfachsten Formen führen, und die zugleich für die Schärfe der Urteilskraft in jedem Gebiete förderlich sind. Auch dafür spricht die häufige Erblichkeit malerischer, und mathematischer Talente. Wir geben ferner zu, dass die Lebhaftigkeit der Erinnerung, der Phantasie und des Vorstellungsverlaufs von der Empfänglichkeit der Nervenmassen abhängt, die von der Seele aus mithelfende Oszillationen erleiden sollen; und obgleich wir nicht an lokale Organe für diese Fähigkeiten denken, so mögen sie doch von den dynamischen Modifikationen des nervösen Substrats in erheblicher Ausdehnung bestimmt werden. Dass endlich die Summe der körperlichen Bewegungen und die sinnlichen Triebe Zentralorgane ihrer Kombination verlangen, steht ebenso fest und so können wir gern zugestehn, dass manuelle Geschicklichkeiten aller Art, Gewandtheit technischer Verrichtung von der Güte dieser Organe und gleichzeitiger Trefflichkeit des Formsinnes entspringen mögen. Hiermit scheint uns der Kreis dessen geschlossen, was der Körper leisten kann; Verstand, Vernunft, Urteilskraft bedürfen weder eines besondern Organs, noch würden sie mit ihm etwas anzufangen wissen; was sie bedürfen, ist Tauglichkeit jener ebengenannten Organe, die ihnen genau und in hinlänglicher Intensität die Eindrücke zuführen, in deren Bearbeitung sie sich entwickeln sollen. Nicht sie selbst, wohl aber die Hilfsmittel, zu ihnen zu gelangen, sind uns körperlich angeboren und ein Suchen nach Organen für sie ist gleich töricht, als wenn wir für die Blume oder die Frucht einer Pflanze eine besondere Wurzel verlangten und uns nicht mit derjenigen begnügen wollten, aus der unter der langdauernden Erziehung durch angemessene Reize der Außenwelt samt der ganzen Pflanze und durch sie auch Blume und Frucht hervorgewachsen sind.

474. Zurückverweisend auf das, was wir über die Begründung der Kranioskopie früher im Allgemeinen bemerkten, wenden wir uns jetzt, nachdem wir die einzelnen Seelentätigkeiten kennen gelernt, noch einmal der Frage zu, in welcher Beziehung zu ihnen die Struktur der einzelnen Hirnteile und des Schädelgewölbes stehen möge. Man wird die Aufklärungen hierüber besonders von der experimentalen Physiologie und der pathologischen Anatomie erwarten und sich in beiden Erwartungen getäuscht finden. Die Hemisphären des großen Gehirns sind nach den Ergebnissen der Vivisektionen gegen mechanische und chemische Reize nicht empfindlich, und ebenso wenig ruft ihre Reizung Zuckungen hervor; ihre Exstirpation bei Vögeln, welche diese Operation Tage, ja Wochen lang überleben können, führte Verlust der Sinne, zuerst des Gesichts, dann des Geruchs, der freiwilligen Bewegung, des Gehörs herbei.,,Ist nicht zu viel Hirnmasse weggenommen, so erholt sich das Tier, und bleibt es auch blind, so ist doch sonst keine Störung der Seelentätigkeit merklich. Ist aber das große Gehirn völlig entfernt, so bleibt das Tier suporös, obschon Hühner in den Schlund gebrachtes Futter verschlingen und so Monate lang fortleben und gedeihen. Eine Henne, welcher die Hemisphären genommen sind, sitzt oder steht regungslos da, sie sieht ein vor die Augen gehaltenes Licht nicht, sie wird von dem heftigsten Geräusch, starken Gerüchen nicht affiziert, sitzt auf einem Getreidehaufen Tage lang ohne zu fressen. Bringt man ein Getreidekorn auf die Zunge, so bleibt es liegen, nur wenn man es auf die hinterste Wurzel der Zunge schiebt, wird es verschluckt; doch wird bei demselben Verfahren auch das Ungenießbarste verschlungen. Das Tier bewegt sich nie von selbst; wird es aber gestoßen, so läuft es gerade aus, in die Luft geworfen fliegt es, berücksichtigt aber keinen Widerstand, läuft gegen eine Wand, ohne umzukehren. Flourens folgert hieraus, dass die großen Hemisphären nicht nur der Sitz der höhern seelischen Vermögen, der Einbildungskraft, des Urteils, der Erinnerung, sondern selbst des Willens und der Sinnentätigkeit wären. Gegen diesen Schluß bemerkte schon Cuvier, dass ein Vogel, welcher gestoßen laufe, und in die Luft geworfen fliege, wahrscheinlich auch empfinde; aber warum setzte Cuvier nicht hinzu, dass ein Vogel, welcher fliegt, wenn er in der Luft freigelassen wird, doch wohl eine Vorstellung von seiner stützlosen Lage, und den Willen, ein Fallen zu vermeiden, haben müsse?" Diese letzte Frage Volkmanns, aus dessen Darstellung des Gehirns das Vorstehende entlehnt ist, scheint mir nicht ganz entscheidend. Die stützlose Lage bewirkt die Bewegungsversuche jedenfalls nach Art eines Reflexes, indem eine Zuleitung von nervösen, aber nicht notwendig psychischen Eindrücken die unwillkürlichen Hilfsmittel zur Behauptung des Gleichgewichts in Gang setzt. Daneben kann eine Vorstellung dieses Tuns stattfinden, doch muß sie wohl nicht; ich halte eine Maschine für möglich, welche dieselben Leistungen ausführte. "Für die Annahme, dass auch nach der Entfernung des großen Gehirns das Tier empfinde und wolle, sprechen entscheidende Beobachtungen. Flourens selbst erzählt, dass die von ihm verstümmelte Henne gewöhnlich geschlafen und hierbei den Kopf nach Gewohnheit der Hühner, unter den Flügel verborgen habe; zuweilen aber sei sie erwacht und dann habe sie sich geschüttelt, und mit dem Schnabel geputzt. Mir scheint es, dass die Spuren beginnenden Selbstgefühls und Willens hier unverkennbar sind. Übrigens hat die Entfernung der Hemisphären nicht bei allen Tieren eine gleiche Beschränkung der Seelentätigkeit zur Folge. Kaninchen und Meerschweinchen laufen nach der Operation frei umher, und die letztern sollen sich sogar verteidigen, wenn sie gereizt werden. Eine Ente, welcher Magendie das große Gehirn vollständig genommen hatte, fraß nicht nur selbständig, sondern suchte und fand auch den Ort, wo ihr Futter und Wasser gewöhnlich vorgesetzt wurde, sie schien so viel zu sehen, dass sie einigermaßen im Stande war sich zu finden (?). Die unzweideutigsten Beweise von Empfindung und Willkür geben aber Reptilien, welche das große Gehirn verloren; 24 Stunden nachdem ich einem Frosche die großen Hemisphären genommen, hüpfte das Tier in der Stube umher und schien die Absicht zu haben, sich unter einem Schranke zu verbergen, dem es sich immer von neuem zuwendete, auch wenn es mit dem Fuße zurückgestoßen oder mit der Hand umgewendet wurde. In einen großen Topf gesetzt, sprang es nicht vorwärts, sondern aufwärts, als ob es die Öffnung sähe." (Volkmann in Wagners HWBch. I. S. 579.).

475. Aus solchen Tatsachen kann natürlich jede Folgerung nur den Wert einer subjektiv wahrscheinlichen Vermutung haben. Die unsrige ist die, dass die Hemisphären des großen Gehirns und namentlich ihre Corticalsubstanz und alles ungefaserte Parenchym die Bedeutung eines Ernährungsorgans für das Nervenprinzip der Sinneswerkzeuge haben. Eine bestimmtere Funktion mag den spezifischer konstruierten Teilen an der Grundfläche des großen Gehirns, ferner dem Balken und den übrigen Commissuren zukommen; wir kennen sie nicht; doch stößt die gewöhnliche Annahme einer vorzugsweis psychischen Bedeutung der unpaaren Hirnteile an dem Mangel des Balkens z. B. bei Vögeln und niederen Klassen auf Widerspruch. Die Hemisphären direkt als Sitz der Intelligenz anzusehn, haben wir keinen Grund. Große Mengen Gehirnsubstanz können aus ihnen bei Verwundungen verloren gehn, ohne die psychischen Tätigkeiten in ihrer Form zu verändern, obgleich natürlich die Lebhaftigkeit ihrer Ausübung hier ebenso gut, wie bei jeder andern heftigen Verletzung sinkt. Liegen doch selbst Beispiele vor, in denen nach dem Verlust mehrerer Unzen von Gehirnsubstanz die geistigen Verrichtungen nach der Heilung lebhafter, das Temperament erregbarer wurde, als früher, oder wo mit gänzlichem Mangel einer Hemisphäre doch keine Verstandesschwäche verbunden war. Blödsinn ist häufig mit Kleinheit der Hemisphären verknüpft; Degenerationen derselben oft mit Irrsinn. Aber die Tatsachen, dass die letztern ebenso oft ohne Beeinträchtigung der Intelligenz, der erste oft ohne bemerkbare Destruktion der Hemisphären vorkommt, entkräften die zunächst sich hieraus darbietenden Schlüsse. Ich glaube jedoch, dass überhaupt die Beobachtungen, so wie sie bis jetzt gemacht sind, kein hinlängliches Material der Beurteilung bilden. Nach den allgemeinen Ansichten, die ich bisher entwickelt habe, muß ich vermuten, dass die Hemisphären auf die formellen Verfahrungsweisen sowohl der Sinne als der kombinierenden Erinnerung keinen direkten Einfluß besitzen, dass sie dagegen Kraft, Ausdauer und Lebhaftigkeit aller dieser Verrichtungen bestimmen, und dass deshalb ihre völlige Entfernung auch das gänzliche Aufhören von Sinnestätigkeiten herbeiführen kann, deren eigentliche, die Form ihres Wirkens bestimmende Organe gleichwohl anderswo liegen. Möglich ist es z. B., dass die Krankheiten der Hemisphären nicht Verstandesstörungen zu bedingen brauchen; aber vielleicht haben sie als Organe, welche die Funktionsfähigkeit der Nerven zu unterhalten bestimmt sind, den größten Einfluß auf die Energie der Sinnlichkeit, die Lebhaftigkeit der Erinnerung, auf die Stimmungen des Gemüts, auf die Temperamente, kurz auf alle jene unendlich wichtigen Modifikationen, denen die sinnliche und kombinierende Tätigkeit der Seele unterliegt, ohne dabei im Allgemeinen die typische und normale Form ihres Verfahrens zu verlieren. Über eine solche Voraussetzung zu urteilen, nach der in der Tat das große Gehirn, freilich in ganz anderm Sinne, ein Organ der Intelligenz heißen könnte, enthalten weder die Berichte der Vivisektionen, noch die der pathologischen Anatomie hinlänglich fein gesonderte Beobachtungen. Nannten wir also die Hemisphären Ernährungsorgane, so meinen wir doch nicht, dass ihre Funktion einzig in der Wiedererzeugung des physischen Prinzips der Nerventätigkeit sich erschöpfe. Durch die wechselnde Geschwindigkeit und Energie, durch mancherlei Modifikationen vielleicht, mit denen sie diese Aufgabe erfüllen, wirken sie zugleich mächtig umstimmend auf die Lebendigkeit, den Wechsel und die mannigfachen Kombinationen der Äußerungen jener andern Zentralorgane, denen eine bestimmte Form ihrer Tätigkeit eigentümlich ist. Wären sie nur physische Ernährungsorgane, so wäre ihre geringe Ausbildung bei kaltblütigen Tieren zwar begreiflich, aber nicht ebenso ihre außerordentliche Entwicklung bei dem Menschen, dessen Verbrauch an Nervenkraft wir nach seinen äußern Leistungen nicht als den bedeutendsten in der Tierreiche ansehn dürften. Aber wenn auch alle höhern Tiere die wesentlichen Aufgaben der Sinnlichkeit, der Raumanschauung, der Gliederbewegung gemein haben, so ist doch der Mensch bestimmt, aus diesem Material unendlich viel mehr zu machen, als das Tier. Nicht nur ein viel regsamerer und reicherer Lauf der Erinnerungen gehört ihm wahrscheinlich, sondern vor allem würde sein geistiges Leben ganz unvollständig sein ohne die wechselnden Färbungen, welche Gefühle und Stimmungen unaufhörlich über die theoretische Verarbeitung seiner Eindrücke verbreiten. Diese Mannigfaltigkeit der Beleuchtung des im Bewußtsein Gegebenen scheint einen größeren Aufwand von Nervenkraft und damit die größere Entwicklung der Hemisphären zu bedingen, die ohne das formgebende Organ irgend einer speziellen Tätigkeit zu sein, doch durch diese ihre allgemeine Einwirkung den wesentlichsten Einfluß auf das spezifisch Menschliche des Seelenlebens ausüben.

476. Die Corpora striata, die Sehhügel, die Vierhügel, die Brücke und jene einzelnen in der Nachbarschaft dieser Teile gelegenen Kerne von Fasern und Zellen, deren genauere Beschreibung man an andern Orten nachsehn möge, (Kölliker, mikrosk. Anatomie II, S. 481 ff.) halte ich für diejenige Organreihe, in welcher die Kombination der Sinneseindrücke unter sich zu räumlichen Auffassungen und mit Erregungen motorischer Nerven zu zweckmäßig gruppierten Bewegungen hervorgebracht wird, und da in dieser Aufgabe mit Einschluß der Ausbildung der Gefühle die Summe der möglichen Leistungen des Körpers besteht, so können jene Teile überhaupt ausschließlich als die Organe der Seele betrachtet werden. Ihre Funktionen genauer zu repartieren, fehlt es uns an Unterlagen; bekannt ist nur die Blindheit, die so oft gerade den Verletzungen der Vierhügel folgt und die Phänomene gestörter Koordination der Bewegungen, die, wie früher bemerkt, mit Destruktionen einzelner Teile des kleinen Gehirns und der Vierhügelgruppe verbunden sind. Welche einzelnen Bedenken auch dieser Verteilung der Funktionen entgegenstehn, ist ebenfalls mehrfach erwähnt, und nur kurz gedenken wir noch der monstruosen Idee, als könnte ein so umfängliches Organ, wie das kleine Gehirn, einzig dem Geschlechtstrieb dienen, für dessen Verkehr mit dem übrigen Seelenleben wenige Primitivfasern genug schienen. Was endlich die Hirnschenkel oder wenigstens ihre Ausstrahlungen in die Hemisphären betrifft, so bekennen wir, diesen so umfänglichen Teilen des Gehirns gar keine psychische Bedeutung zuzugestehn; sie scheinen uns nur Verlängerungen der wirksamen Fasern über die Organe hinaus, in welchen ihre den Funktionen dienende Wechselwirkung stattfindet, und zwar Verlängerungen zu dem Zwecke, in das ernährende Parenchym der Hemisphären überzugehn und aus ihm beständig neue Funktionsfähigkeit zu schöpfen. Wie Vieles auch diese unsere Ansicht unberücksichtigt und ungedeutet läßt bedarf keiner Erwähnung. (Vergl. Kölliker a. a. O.)

477. Nach dem Allen sind wir weit entfernt, jenen allbekannten Phantasien, welche die Intelligenz im großen Gehirn, den Willen im kleinen, das Gemüt oder die Fähigkeit der Kombination im Mittelhirn suchen, die mindeste Bedeutung zuzugestehn, obgleich wir, wenn Zeit und Raum uns dazu jetzt ausreichte, die meisten der physiognomischen und kranioskopischen Beobachtungen, mit denen man solche Hypothesen zu bestätigen sucht, auch für unsere Ansichten benutzen könnten. Aber wir müssen uns begnügen, auf die doppelte Kritik zu verweisen, welche diese Lehren in dem Handwörterbuch der Physiologie von Volkmann (I, S. 563 ff.) und von Harless (III, 1. S. 469 ff.) gefunden haben, und entlehnen der letztern Arbeit eine auszügliche Darstellung des Versuchs von Lafargue, die Proportionen der Schädeldimensionen auf einfache mechanische Gesetze zurückzuführen. "Die ganze Form der Schädels ist je nach der Haltung, nach der Größe des Unterkiefers verschieden, stets aber so berechnet, dass das Gleichgewicht des Kopfes möglichst gewahrt ist. Bei den Vierfüßlern ist das Gehirn klein, der Unterkiefer groß, darum muß dieser nach vorn lange Hebel balanciert werden durch ein Zurücktreten an der Stirne. Erweitern des Schädels in der Schläfegegend und Verlängerung nach hinten. Die Fleischfresser haben einen vorwiegend in der Breite entwickelten Schädel; ihr Naturell weicht gewiß sehr von dem des friedfertigen, keineswegs raubgierigen Bibers ab und doch zeigt auch sein Schädel dieselbe Konfiguration, aus demselben mechanischen Grund, den Schädel zu aequilibriren. Beide besitzen starke und schwere Kinnladen, kräftige Schläfemuskeln und dem schweren Gesicht entsprechen die stark ausgebildeten Knochenleisten nach hinten. Bei allen Vierfüßlern, welche kurze Extremitäten haben und die mehr kriechend gehen, mag sonst ihre Art sein wie sie will, mögen sie die verschiedensten Anlagen haben, bei allen diesen ist der Schädel ähnlich gebaut, nämlich so, dass die größere Masse Gehirn hinter die Mitte der Längsachse fällt und die Gegend über den Jochbeinen eingedrückt ist. Wäre diese Verteilung der Massen anders, der Kopf rund, die größte Masse des Gehirns in der Gegend der Jochbeine, so würde ihre Schnautze immer gegen die Erde gekehrt sein. Solche Tiere sind die Maus, die Ratte, der Maulwurf. Bei den Affen werden die Kinnladen kleiner, entsprechend auch die Leisten am Schädel, und beim Menschen, welcher das kleinste Gesicht und das größte Gehirn hat, tritt die Kugelform am reinsten hervor, weil dadurch diejenige Massenverteilung möglich wird, welche der Aequilibrirung des Kopfes am günstigsten ist; wo bei ihm der Unterkiefer mehr hervortritt, da verlängert sich auch zugleich der Schädel nach hinten. Beim Neger tritt die Stirne zurück, sein Kopf ist mehr lang und schmal; beim Europäer ist die Kinnlade klein, die Stirn erhabener, der Kopf höher und breiter, am meisten kugelförmig, bei Malaien und Mongolen sind dagegen die Schläfegegenden schon breiter, da der Unterkiefer ebenfalls mehr entwickelt und schwerer ist." Dem allen fehlt die nötige Klarheit.

478. Sehr ausführliche Untersuchungen über die Genesis der Schädelformen hat Engel begonnen. Aus seiner gedankenreichen durch eine außerordentliche Menge mühsamer Messungen unterstützten Darstellung können wir hier nur die einfachsten Gesichtspunkte hervorbeben. Zwei Systeme mechanischer Kräfte wirken auf den Schädel, wenn auch nicht in einer auf den ersten Blick greifbaren, aber doch bemerklichen Weise ein, da ihre Tätigkeit eine unausgesetzte ist und die Effekte derselben sich summieren müssen. Zuerst übt das Gehirn bei seiner steten Vergrößerung von innen nach außen einen Druck auf sämtliche Schädelknochen aus, dessen Wirkung jedoch wegen der ungleichen Nachgiebigkeit der Knochen und ihrer Nähte verschieden ausfällt. In aufrechter Stellung wird er an, der Grundfläche des Schädels am größten und an den Seitenflächen um so größer sein, je tiefer, nach abwärts, je näher der Grundfläche der gedrückte Teil liegt. Nur die Gelenkhöker des Hinterhaupts haben eine feste Unterstützung, und entgehen der Verschiebung, der die übrigen Knochen durch ihre nachgiebigen Nähte eine Zeit lang ausgesetzt sind, obgleich diese so ineinander greifen, dass ein beträchtliches Auseinanderweichen verhütet wird. Ein zweites System von Kräften wirkt auf den Menschenschädel von außen nach einwärts, der Zug der Muskeln. Mehrere starke Muskelgruppen haben ihre Angriffspunkte am Schädel und ihre Wirkung kann deshalb nicht außer Acht gelassen werden. Dem M. frontalis freilich oder dem occipitalis kann kein Einfluß zugeschrieben werden; selbst die Gruppe der am Hinterhaupt befestigten Muskeln, die den Kopf nach hinten beugen, hat wenig Wirkung, da zu der Zeit, wo die Schuppe des Hinterhaupts noch in beweglicher Verbindung mit seinen Gelenkteilen ist, die Tätigkeit dieser Muskeln noch gering ist. Ähnliches gilt von dem an der Schuppe des Felsenbeins befestigten Schläfenmuskel. Für ansehnlicher hält Engel die Wirkung des M. sternocleidomasloideus. Er soll an dem Warzenteile eine Verschiebung nach abwärts zu erzeugen streben, die um so bedeutender sein könne, da seine unteren Befestigungspunkte, Sternurn und Clavicula, einen größeren Widerstand wegen der an ihnen befindlichen Last zu leisten im Stande sind, als der obere. Dazu komme die bedeutende Länge des Muskels, wodurch jede Zusammenziehung desselben einen größeren Ausschlag gebe und daher auch eine stärkere Verrückung der an ihm befindlichen Knochen begünstige. Endlich sei der mit ihm in Verbindung stehende Knochen in der ersten Lebenszeit nur sehr lose, und im ersten Jahre, wo bereits ausgedehnte Bewegungen dieses Muskels stattfinden, noch nicht so stark wie andere Knochen befestigt, so dass die Nachweisbarkeit seiner Wirkung auf die Lage der Schädelknochen wahrscheinlich werde. Der vorderste Teil der Grundfläche des Schädels hat überdies noch das Gesichtsgerüst zu tragen, dessen Einfluß nicht gleichgültig ist, da diese Anhäufung von Knochenmasse im Laufe der Entwicklung um ein Bedeutenderes zunimmt, als die übrigen knöcheren Teile. Wollte man die Einwirkung dieser von außen wirkenden mechanischen Kräfte gern zugeben, dagegen den Wert ihres Effektes doch gering anschlagen, so erwidert Engel, dass eine Größe von einem halben bis einem ganzen Millimeter bei kleineren Knochenstücken je nach Umständen schon eine bedeutende Winkelgröße ergebe, und auch ohne Zirkel und Maßstab anzuwenden, sei fast jedes Auge im Stande, einen Winkel von 3–5 Graden ziemlich nahe abzuschätzen und dadurch einen bestimmten Schädeltypus sich zu abstrahieren. Wo sich nun vorzüglich durch die Wirkung beider mechanischer Systeme von Kräften die primitiven Verrückungen des Schädels bilden, und wie sie weiter wirkend in entfernteren Teilen jene Ausschläge geben, die uns an einzelnen so wie an typisch nationalen Kopfbildungen bemerklich werden, hierüber müssen wir auf die Untersuchung Engels selbst verweisen, der ein weiteres Gedeihen und die Teilnahme Anderer zu wünschen ist. (Engel, Untersuchungen über Schädelformen. Prag 1851.)

479. Alle diese Versuche, die mechanische Genesis der verschiedenen Kopfbildungen aufzuhellen, lassen den phrenologischen Wert derselben an sich unentschieden. Es bleibt immer möglich, dass das Wachsen des Gehirns, indem einzelne seiner Partien sich ungleichförmig entwickeln, die Besonderheiten der Schädelform veranlaßt, oder dass die Muskelkräfte, die von anderer Seite her seine Gestalt bestimmen, doch selbst in der Häufigkeit und Stärke ihrer Ausübung von der werdenden Organisation des Gehirns abhängen. Und diese letztere selbst kann ebensowohl der Effekt völlig physischer Bildungstätigkeiten sein, als sie auch umgekehrt von der primitiven Natur der Seele mitbedingt werden kann. Die Scheu, das Gehirn und die von ihm vorbereiteten Äußerungen des Seelenlebens als abhängig von physischen Kräften zu fassen, ist zu unbegründet, um für eine dieser Annahmen entscheidend zu sein. Nicht wir sind es, die unser Geschlecht wählen, sondern der Lauf der Natur, und doch wird schon hierdurch unser ganzes geistiges Leben auf durchgreifende Weise bestimmt. Krankheiten aller Art, Verwundungen, Erschütterungen des Gehirns schädigen auch unser Seelenleben, und keine Anstrengung des Willens hält die Wirkungen einer Gehirnentzündung auf. Sind wir in so vielen Stücken durch die physischen Kräfte bedingt, so haben wir wohl keinen Grund, über die Unabhängigkeit unserer Hirnbildung von morphotischen Tätigkeiten des Körpers eifersüchtig zu wachen; wir würden die Auflösung der Widersprüche, in welche diese Verhältnisse uns zu versetzen scheinen, vielmehr in einer ethischen Weltauffassung versuchen müssen. Gelänge ferner die versuchte mechanische Erklärung der Schädelbildungen vollständig, so würde sie doch nicht die Möglichkeit einer Physiognomik und Kranioskopie, sondern nur die ungeschickten Erklärungen aufheben, die man zwischen die körperliche Bildung und die geistigen Eigenschaften, welche sie andeuten, zu stellen gewohnt ist. Wir haben früher schon gezeigt, wie leicht eine bestimmte Gestalt des Kopfes oder des Gesichtes auf eine geistige Fähigkeit zurückdeuten kann, ohne dass ein vorwiegend ausgebildeter Teil dieser körperlichen Hülle sogleich unmittelbar ein Organ jener Fähigkeit umschlösse. Aus den Bewegungen der Glieder, der Hand vor Allem, aus der ganzen Haltung des Körpers schließen wir gleich wahrscheinlich auf psychisches Leben, und doch liegen in diesen Teilen des Körpers nicht überall Nervenmassen zerstreut, die als Organe geistiger Funktionen unmittelbar dienen könnten. Wünschen wir daher diesen mechanisch anatomischen Untersuchungen die größte Vollendung, so ist es doch kaum notwendig, aus ihnen ein Mißtrauen gegen physiognomische, selbst kranioskopische Ansichten herzuleiten; vielmehr mag die Entwicklung der letztern ebenfalls, obschon als eine vielfachen Täuschungen unterworfene Unternehmung, mit Vorsicht fortgeführt werden.


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