Jack London
Südsee-Geschichten
Jack London

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Der blasse Schrecken

Er war Schotte von Geburt und ein Trinker, der mit seinem Whisky immer gründlich fertig wurde, indem er mit dem ersten Gläschen um sechs Uhr morgens begann und dann in regelmäßigen Zwischenräumen eines nach dem andern nahm bis zur Schlafenszeit, in der Regel also um Mitternacht. Er schlief nur fünf von vierundzwanzig Stunden, und in den übrigen neunzehn war er ordentlich und anständig betrunken. Während der acht Wochen, die ich mit ihm auf Oolong Atoll verbrachte, sah ich ihn nicht einen nüchternen Atemzug tun. Sein Schlaf war wahrhaftig so kurz, daß er nie Zeit hatte, wieder nüchtern zu werden. Es war der schönste, wirklich verewigte Rausch, den ich je gesehen habe.

McAllister hieß er. Er war ein alter Mann und recht wackelig auf seinen Stelzen. Seine Hand zitterte wie vom Schlagfluß, besonders merklich, wenn er sich seinen Whisky eingoß; aber ich beobachtete nie, daß er einen Tropfen verschüttete. Er wohnte seit achtundzwanzig Jahren in Melanesien, war von Deutsch-Neuguinea bis zu den deutschen Salomoninseln gewandert und hatte sich so vollkommen in diesen Teil der Welt eingelebt, daß er gewöhnlich das »Trepang« genannte Kauderwelsch sprach. So bedeutete in der Unterhaltung mit mir »Sonne sie kommen auf«: Sonnenaufgang, »kai-kai zu Ende«, daß das Mittagessen fertig sei, und »Bauch mir umhergehen« hieß, daß er Leibschmerzen hatte. Er war ein kleiner, welker Mann, innen und außen verbrannt von glühendem Alkohol und glühender Sonne. Er war eine Schlacke, ein Stückchen Mensch aus Backstein, ja ein Stück lebendiger Backstein, noch nicht ganz ausgebrannt, der sich steif, ruck- und stoßweise wie ein Automat bewegte. Er wog neunzig Pfund.

Aber das Ungeheure an ihm war die Macht, mit der er herrschte. Oolong Atoll maß hundertundvierzig Meilen im Umkreis. Man mußte den Kompaß gebrauchen, um über seine Lagune zu steuern. Es war von fünftausend Polynesiern bevölkert, lauter stämmigen Männern und Weibern, von denen viele sechs Fuß hoch waren und mehrere hundert Pfund wogen. Oolong war zweihundertundfünfzig Meilen vom nächsten Lande entfernt. Zweimal im Jahre kam ein kleiner Schoner, um Kopra zu sammeln. Der einzige weiße Mann auf Oolong war McAllister, Kleinhändler und unablässiger Säufer, und er herrschte über Oolong und seine fünftausend Wilden mit eiserner Hand. Er sagte: »kommt«, und sie kamen, »geht«, und sie gingen. Sie stellten nie seinen Willen oder sein Urteil in Frage. Er war so streitsüchtig, wie nur ein bejahrter Schotte es sein kann, und mischte sich fortwährend in ihre persönlichen Angelegenheiten. Als Nugu, die Tochter des Königs, Haunau vom andern Ende des Atolls heiraten wollte, sagte ihr Vater »ja«, aber McAllister sagte »nein«, und die Heirat kam nicht zustande. Als der König dem Oberpriester ein gewisses Inselchen in der Lagune abkaufen wollte, widersprach McAllister. Der König war mit einem Betrage von hundertundachtzigtausend Kokosnüssen in der Schuld der Gesellschaft, und bis die bezahlt war, durfte er nicht eine Kokosnuß für etwas andres ausgeben.

Und doch liebten der König und sein Volk McAllister nicht. Sie haßten ihn sogar, und wie ich erfuhr, versuchte die ganze Bevölkerung, mit den Priestern an der Spitze, drei Monate lang vergeblich, ihn totzubeten. Die Teufel, die sie auf ihn losließen, waren zwar greulich, aber da McAllister nicht an Teufel glaubte, hatten sie keine Macht über ihn. Gegen betrunkene Schotten ist kein Kraut gewachsen. Sie sammelten Reste der Nahrung auf, die seine Lippen berührt hatten, eine leere Whiskyflasche, eine Kokosnuß, aus der er getrunken, ja sogar seinen Speichel, und vollführten jede Art Fetischismus damit. Doch McAllister lebte weiter. Seine Gesundheit war ausgezeichnet. Er bekam niemals Fieber noch Schnupfen oder Husten; die Ruhr ging an ihm vorüber, und die bösartigen Geschwüre und häßlichen Hautkrankheiten, die in diesem Klima Schwarze wie Weiße gleicherweise befallen, suchten ihn nie heim. Er war offenbar so von Alkohol durchtränkt, daß er der Niederlassung von Bakterien Trotz bot. Ich pflegte mir einzubilden, daß sie in Schauern von mikroskopischen Schlacken zu Boden fielen, sobald sie in den Bereich seines whiskygesättigten Hauches kamen. Niemand liebte ihn, nicht einmal die Bakterien, während er nur Whisky liebte.

Es war erstaunlich. Ich konnte nicht begreifen, daß fünftausend Eingeborene sich nicht gegen diesen ausgedörrten tyrannischen Knirps auflehnten, daß er nicht längst eines gewaltsamen Todes gestorben war. Denn die Bevölkerung glich nicht den feigen Melanesiern, sie war mutig und kriegerisch. Auf dem großen Friedhofe befanden sich zu Kopf und Füßen der Gräber Reliquien aus einer blutigen Vergangenheit: Walfängerharpunen, rostige alte Bajonette und Säbel, kupferne Pfeile, Ruderbeschläge, Kanonenkugeln, Ziegel, die nur aus dem Tranofen eines Walfängers stammen konnten, und alte Bronzekanonen aus dem sechzehnten Jahrhundert, Zeugen der alten Spanierzeit. Schiff auf Schiff war bei Oolong gestrandet. Vor noch nicht dreißig Jahren war die ganze Besatzung des Walfängers ›Blennerdale‹, der zur Reparatur in die Lagune eingelaufen war, niedergemacht worden. Auf die gleiche Weise war die Mannschaft der ›Gasket‹, eines Sandelholzfahrers, umgekommen. Eine große französische Bark, die ›Tulon‹, enterten die Insulaner nach schwerem Kampfe in der Lipaupassage und machten sie zum Wrack; der Kapitän entkam mit einer Handvoll Matrosen im Beiboot. Und dann die spanischen Geschütze, die vom Verlust eines der ersten Forschungsschiffe erzählten. Alles dies ist ein Stück Geschichte, die man im Südseehandbuch nachlesen kann. Daß es aber noch eine andre, ungeschriebene Geschichte gibt, sollte ich erst lernen. Vorläufig wunderte ich mich, daß fünftausend primitive Wilde einen degenerierten schottischen Despoten am Leben ließen.

An einem heißen Nachmittag saßen McAllister und ich auf der Veranda und blickten über die Lagune mit all ihren Wundern juwelenschillernder Farben. Hinter uns, jenseits des hundert Ellen breiten, mit Kokospalmen bewachsenen Strandes brüllte die Brandung gegen das Riff. Es war entsetzlich heiß. Wir befanden uns auf dem vierten Grad südlicher Breite, und die Sonne stand direkt zu unsern Häupten, nachdem sie wenige Tage zuvor auf ihrer Reise gen Süden den Äquator passiert hatte. Kein Wind war zu spüren, nicht einmal ein Hauch, so sanft wie eine Katzenpfote. Die Zeit des Südostpassats war früh zu Ende gegangen, und der Nordwestmonsun hatte noch nicht zu wehen begonnen.

»Ihre Tänze sind nicht einen Pfifferling wert«, sagte McAllister.

Ich hatte zufällig erwähnt, daß die polynesischen Tänze denen der Papuaner überlegen wären, und McAllister hatte das geleugnet, lediglich aus Streitsucht. Aber es war zu heiß, um zu disputieren, und so erwiderte ich nichts. Im übrigen hatte ich die Einwohner von Oolong noch nie tanzen sehen.

»Ich will es Ihnen beweisen«, sagte er und winkte den schwarzen Burschen aus Neuhannover heran, einen geworbenen Arbeiter, der als Hausknecht und Koch diente. »He du, du Bursche, König sagen, er zu mir kommen.«

Der Bursche ging, und es erschien der Premierminister, ganz verstört, voller Unbehagen und geschwätzig, überströmend von Entschuldigungen und Erklärungen. Kurz gesagt: der König schlief und durfte nicht gestört werden.

»König sehr fest schlafen«, war das Ende seiner Rede.

McAllister geriet dermaßen in Wut, daß der Premierminister unverzüglich davonlief, um mit dem König selbst wiederzukommen. Sie waren Prachtexemplare, die beiden, besonders der König, der eine Höhe von mindestens sechs Fuß und drei Zoll hatte. Seine Züge waren adlerhaft, wie man sie häufig bei den Indianern Nordamerikas findet. Er war zum Herrschen nicht nur geboren, sondern auch gestaltet. Seine Augen blitzten, als er das Verlangen hörte, aber ganz sanft gehorchte er McAllisters Befehl, hundert von den besten Tänzern des Dorfes, Männer und Frauen, zu bringen. Und sie tanzten, zwei geschlagene Stunden lang, in der glühenden Sonne. Nein, sie liebten ihn nicht, aber daraus machte er sich wenig und schickte sie schließlich mit Schimpf- und Spottworten fort.

Die verächtliche Unterwürfigkeit dieser prachtvollen Wilden war unheimlich. Wie war das möglich? Was für ein Geheimnis steckte hinter dieser Herrschaft? Soviel ich auch in den nächsten Tagen darüber grübelte, und trotz aller Beispiele seiner unbestrittenen Herrschermacht, die ich beobachtete, konnte ich den Schlüssel dafür nicht finden.

Eines Tages sprach ich zufällig meine Enttäuschung darüber aus, daß mir der Kauf eines wundervollen Paares gelber Kaurimuscheln mißglückt war. Das Paar war in Sydney sicher fünf Pfund wert. Ich hatte dem Eigentümer zweihundert Stück Tabak geboten, aber er hatte dreihundert verlangt. Als ich die Sache erwähnte, ließ McAllister unverzüglich den Mann holen, nahm ihm die Muscheln ab und überreichte sie mir. Fünfzig Stück war alles, was er mir zu zahlen erlaubte. Der Mann nahm den Tabak und schien noch hocherfreut, so gut davongekommen zu sein. Was mich betraf, so entschloß ich mich, meine Zunge in Zukunft besser im Zaum zu halten. Und immer mehr grübelte ich über das Geheimnis von McAllisters Macht. Ich ging sogar so weit, daß ich ihn direkt fragte; aber alles, was er tat, war, mich verschmitzt anzusehen, klug dreinzublicken und ein neues Glas zu nehmen.

Eines Abends fischte ich in der Lagune mit Oti, dem Manne mit den Kaurimuscheln. Ich hatte ihm heimlich hundertundfünfzig Stück zugelegt, und seither sah er mich mit einem an Verehrung grenzenden Respekt an, der merkwürdig war in Anbetracht des Umstandes, daß er ein alter Mann, mindestens doppelt so alt als ich selber war.

»Warum ihr Kanaken alle wie kleine Kinder?« begann ich. »Dieser Händler nur einer. Ihr Kanaken viele viele. Ihr Kanaken wie Hunde – viel Angst vor diesem Händler. Er euch nicht fressen. Er keine Zähne dazu. Warum ihr soviel Angst?«

»Du denken, viele Kanaken ihn töten?« fragte er.

»Er sterben«, erwiderte ich. »Ihr Kanaken viele weiße Männer töten lange früher. Warum ihr so Angst vor diesem weißen Mann?«

»Ja, wir viele töten«, lautete seine Antwort. »Mein Wort! Eine Masse! Lange her. Einmal, ich ganz junger Bursche, großes Schiff liegen draußen. Wind nicht wehen. Wir viele Kanaken holen Kanu, Menge Kanus, wir gehen fangen das große Schiff. Mein Wort – wir fangen in großer Schlacht. Zwei, drei weiße Männer schießen wie Teufel. Wir nicht Angst. Wir kommen heran, klettern Seite rauf, viele Burschen, ich meinen fünfmal zehn. Eine weiße Mary (Frau) gehören zu Schiff. Ich vorher nicht sehen weiße Mary. Wir viele weiße Männer erledigen. Schiffer er nicht sterben. Fünf, sechs weiße Männer nicht sterben. Er Schiffer laut rufen. Einige weiße Männer fechten. Einige weiße Männer lassen Boot zu Wasser. Dann alle zusammen gehen weg über Bord. Er Schiffer werfen weiße Mary runter. Dann sie spülen (rudern) ganz stark. Vater meiner er damals starker Bursche. Er werfen mit Speer. Speer treffen weiße Mary in Seite. Nicht dort bleiben. Mein Wort, Speer kommt raus andre Seite Mary. Sie erledigt. Ich keine Angst. Viele Kanaken keine Angst.«

Der Stolz des alten Oti war berührt worden, denn plötzlich streifte er seinen Lava-Lava ab und zeigte mir die nicht zu verkennende Spur einer Kugel. Ehe ich etwas sagen konnte, lief seine Leine plötzlich aus. Er stoppte sie und versuchte, sie einzuholen; es zeigte sich aber, daß der Fisch um einen Korallenzweig geschwommen war. Oti warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, weil ich seine Wachsamkeit eingeschläfert hatte, und sprang dann, die Füße voran, über Bord. Unter Wasser drehte er sich um und folgte der Leine bis auf den Grund. Das Wasser war zehn Faden tief. Ich lehnte mich über Bord und verfolgte das Spiel seiner Füße; immer ungewisser leuchteten sie, und schließlich verhüllte ein matter gespenstischer Schimmer seine Bewegungen. Zehn Faden – sechzig Fuß – sie waren nichts für ihn, den alten Mann, verglichen mit dem Wert eines Hakens und einer Leine. Nach höchstens einer Minute, die mir aber so lang wie fünf erschien, sah ich ihn wie eine weiße Flamme aufsteigen. Er kam an die Oberfläche und ließ einen Dorsch, einen Kerl von zehn Pfund, ins Kanu fallen. Die Leine war unversehrt, und der Haken noch fest im Maule des Fisches.

»Kann sein,« sagte ich unbarmherzig, »ihr nicht Angst viel früher. Ihr jetzt viel Angst vor diesem Händler.«

»Ja, viel Angst«, gestand er und verließ damit den Gegenstand. Eine halbe Stunde lang zogen wir schweigend unsre Leinen ein und warfen sie wieder aus. Dann begannen kleine Haie anzubeißen, und nachdem wir jeder einen Haken verloren hatten, holten wir ein und warteten, daß die Haie wieder ihres Weges schwammen.

»Ich dir Wahrheit sagen,« fing Oti wieder zu sprechen an, »dann du wissen, wir jetzt Angst.«

Ich steckte meine Pfeife an und wartete. Die Geschichte, die Oti mir in entsetzlichem Trepang-Englisch erzählte, gebe ich hier in richtiger Sprache wieder. Im übrigen ist sie nach Form und Inhalt genau so, wie sie von Otis Lippen kam.

»Nach diesem Kampfe waren wir sehr stolz. Wir hatten viele Male mit den fremden weißen Männern gekämpft, die auf dem Wasser leben, und immer hatten wir sie besiegt. Einige von uns waren gefallen, aber was bedeutete das im Vergleich zu der Fülle von Reichtümern an tausend und abertausend Dingen, die wir auf den Schiffen fanden? Und dann kam eines Tages, vor vielleicht zwanzig oder auch fünfundzwanzig Jahren, ein Schoner gerade durch die Einfahrt in die Lagune. Es war ein großer Schoner mit drei Masten. Er hatte fünf weiße Männer an Bord und vielleicht vierzig Mann Besatzung, Schwarze aus Neuguinea und Neubritannien, und er kam, um Trepang zu fischen. Er ging jenseits der Lagune bei Pauloo vor Anker, und seine Boote zerstreuten sich nach allen Seiten. Die Leute kampierten an den Ufern, wo sie Trepang einsalzten. Diese Trennung machte sie schwach, denn die, die hier fischten, und die bei Pauloo waren fünfzig Meilen voneinander getrennt, und einige waren noch weiter entfernt.

Unser König hielt mit den Häuptlingen Rat, und ich war mit in dem Boot, das den ganzen Nachmittag und den ganzen Abend über die Lagune ruderte, um den Männern auf Pauloo zu sagen, daß wir am nächsten Morgen die Fischerlager angreifen wollten, und daß sie gleichzeitig den Schoner nehmen sollten. Wir, die wir den Bescheid überbracht hatten, waren zwar vom Rudern ermüdet, nahmen aber doch am Angriff teil. Auf dem Schoner standen zwei weiße Männer, der Schiffer und der zweite Steuermann, mit einem halben Dutzend Schwarzer. Den Schiffer und drei Schwarze überrumpelten wir an Land und erschlugen ihn dort, aber vorher tötete der Schiffer acht von uns mit seinen zwei Revolvern. Wir kämpften in dichtem Handgemenge.

Der Kampflärm sagte dem Steuermann, was vorging, und er brachte Nahrung, Wasser und ein Segel in das kleine Beiboot, das kaum zwölf Fuß maß. An tausend Mann, die ganze Lagune mit unsern Booten bedeckend, gingen wir auf den Schoner los. Und wir bliesen auf Muscheln, sangen Kriegsgesänge und schlugen die Seiten der Kanus mit den Rudern. Welche Möglichkeit hatten ein weißer Mann und drei Schwarze gegen uns? Gar keine, und der Steuermann wußte das.

Weiße Männer sind Teufel. Ich habe sie viel beobachtet, und ich bin jetzt ein alter Mann, und ich verstehe endlich, warum die weißen Männer sich alle Inseln im Meer genommen haben. Weil sie Teufel sind. Du sitzest hier im Boot mit mir. Du bist kaum mehr als ein Knabe. Du bist nicht klug, denn jeden Tag sage ich dir eine Menge Dinge, die du nicht weißt. Als ich ein kleines Kind war, wußte ich mehr vom Fisch und den Wegen des Fisches, als du jetzt weißt. Ich bin ein alter Mann, aber ich tauche bis auf den Grund der Lagune, und du kannst mir nicht folgen. Wozu bist du überhaupt gut? Vermutlich nur zum Kämpfen. Ich habe dich nie kämpfen sehen, aber ich weiß, daß du wie deine Brüder bist und kämpfen kannst wie die Hölle. Und du bist auch verrückt wie deine Brüder. Ihr wißt nie, wann ihr besiegt seid. Ihr kämpft bis zum Tode, und ein toter Mann weiß nicht, daß er besiegt ist.

Nun höre, was der Steuermann tat. Als wir, die See bedeckend und auf unsern Muscheln blasend, herankamen, stieß er in dem kleinen Boot mit den drei Schwarzen vom Schoner ab und ruderte nach der Einfahrt. Auch das war wieder verrückt, denn kein kluger Mann wäre in einem so kleinen Boot in See gestochen. Der Rand seines Bootes befand sich keine vier Zoll über Wasser. Zwanzig mit zweihundert jungen Leuten bemannte Kanus verfolgten ihn. Wir ruderten fünf Faden, wenn seine schwarzen Burschen einen machten. Er hatte keine Möglichkeit, zu entkommen, aber er war verrückt. Er stand aufrecht im Boot mit einer Flinte und schoß viele Male. Er war kein guter Schütze; als wir aber näherkamen, waren viele von uns verwundet und tot. Aber er hatte doch keine Möglichkeit.

Ich erinnere mich, daß er die ganze Zeit eine Zigarre rauchte. Als wir noch vierzig Fuß entfernt waren und uns schnell näherten, warf er die Flinte weg, zündete mit der Zigarre ein Stück Dynamit an und warf es nach uns. Er zündete eines nach dem andern an und warf sehr schnell viele nach uns. Ich weiß jetzt, daß er jedenfalls die Enden der Zünder gespalten und Streichholzenden hineingesteckt hatte, daß sie so schnell brannten. Auch waren die Zünder sehr kurz. Manchmal gingen die Dynamitstücke in der Luft los, die meisten aber in den Kanus. Und so oft sie in einem Kanu losgingen, war das Kanu erledigt. Von den zwanzig Kanus wurde die Hälfte zerschmettert. So wurde das Kanu, in dem ich saß, zerschmettert und ebenso die zwei Männer, die mir zunächst saßen. Das Dynamit fiel zwischen sie. Die andern Kanus wendeten sich zur Flucht. Da brüllte der Steuermann ›Hu! Hu! Hu!‹ hinter uns her. Auch schoß er wieder mit der Flinte nach uns und tötete viele. Und die ganze Zeit ruderten die Schwarzen in dem Boot weiter; du siehst, ich sage die Wahrheit, dieser Steuermann war ein Teufel.

Aber das war noch nicht alles. Bevor er den Schoner verließ, steckte er ihn in Brand und legte alles Pulver und Dynamit auf einen Haufen, so daß es auf einmal losgehen mußte. Es waren Hunderte von uns an Bord, die versuchten, das Feuer zu löschen, indem sie Wasser über Bord holten, als der Schoner in die Luft ging. So ging alles, wofür wir gekämpft hatten, verloren, und dazu waren viele von uns tot. Noch jetzt in meinem hohen Alter habe ich zuweilen böse Träume, in denen ich den Steuermann brüllen höre. Mit Donnerstimme brüllt er ›Hu! Hu! Hu!‹. Aber in den Fischerlagern wurden alle erschlagen.

Der Steuermann ruderte in seinem kleinen Boot zur Einfahrt hinaus, und wir waren überzeugt, daß das sein Ende sein würde, denn wie konnte ein so kleines Boot mit vier Mann sich auf dem Meere halten? Ein Monat verging, da segelte eines Morgens zwischen zwei Regenböen ein Schoner durch unsre Einfahrt und ging vor dem Dorfe vor Anker. Der König und die Häuptlinge hielten großen Rat, und es wurde beschlossen, daß wir in zwei oder drei Tagen den Schoner nehmen sollten. Inzwischen fuhren wir, unsrer Gewohnheit gemäß, immer freundlich zu scheinen, in Kanus zu ihm hinüber und brachten Bündel von Kokosnüssen, Geflügel und Schweine, um zu handeln. Als aber viele Kanus von uns neben dem Schoner lagen, begannen die Männer an Bord, uns mit Flinten zu beschießen, und als wir wegruderten, sah ich den Steuermann, der in dem kleinen Boot in See gestochen war, auf die Reling springen und tanzen und hörte ihn ›Hu! Hu! Hu!‹ brüllen.

Am Nachmittage landete der Schoner drei mit weißen Männern gefüllte Boote. Sie gingen mitten durch das Dorf und schossen jeden Mann, den sie sahen, nieder. Ebenso schossen sie die Hühner und Schweine nieder. Wir, die wir nicht getötet wurden, flüchteten in die Kanus und ruderten auf die Lagune hinaus. Als wir zurückblickten, konnten wir sehen, daß alle Häuser in Flammen standen. Spät am Nachmittage sahen wir viele Kanus von Nihi kommen, dem an der Nihi-Passage im Nordosten gelegenen Dorfe. Sie waren alles, was übriggeblieben war, und wie bei uns, war ihr Dorf durch einen zweiten Schoner niedergebrannt worden, der durch die Nihi-Passage gekommen war.

Wir fuhren in der Dunkelheit gegen Westen nach Pauloo, aber mitten in der Nacht hörten wir Frauen weinen und gerieten dann in eine große Flotte von Kanus. Sie waren der ganze Überrest von Pauloo, das ebenfalls in Asche gelegt war, denn ein dritter Schoner war durch die Pauloo-Passage gekommen. Du siehst, dieser Steuermann und seine schwarzen Burschen waren nicht ertrunken. Er hatte die Salomoninseln erreicht und dort seinen Brüdern erzählt, was wir auf Oolong getan hatten. Und alle seine Brüder hatten ihm zugesagt, daß sie kommen und uns bestrafen wollten, und nun waren sie da mit ihren drei Schonern, und unsre drei Dörfer wurden weggefegt. – Und was sollten wir dabei machen? Am Morgen segelten die zwei Schoner aus Luv mitten in der Lagune auf uns los. Der Passat wehte kräftig, und sie fuhren unsre Kanus zu Dutzenden über den Haufen. Und die Flinten sprachen unaufhörlich. Wir zerstreuten uns wie fliegende Fische vor der Bonita, und wir waren unser so viele, daß wir zu Tausenden auf die Inseln hier und dort am Rande des Atolls entkamen.

Und dann jagten uns die Schoner die Lagune auf und ab. Zur Nachtzeit entschlüpften wir ihnen. Aber am nächsten Tage oder in zwei, drei Tagen erwarteten wir, die Schoner zurückkehren und uns nach dem andern Ende der Lagune jagen zu sehen. Und so kam es. Wir zählten und beklagten unsre Toten nicht mehr. Zwar waren wir viele und sie wenige. Aber was konnten wir tun? Ich war in einem der zwanzig mit Männern gefüllten Kanus, die den Tod nicht fürchteten. Wir griffen den kleinsten Schoner an. Sie schossen uns in Haufen nieder. Sie warfen Dynamit in die Kanus, und als ihnen das Dynamit ausging, gossen sie heißes Wasser auf uns herab, und die Flinten hörten nicht auf zu sprechen. Und die, deren Kanus zertrümmert waren, wurden im Wegschwimmen erschossen. Und der Steuermann tanzte oben auf dem Kajütendach herum und brüllte ›Hu! Hu! Hu!‹

Jedes Haus auf jeder kleinsten Insel wurde verbrannt. Nicht ein Schwein oder Huhn wurde am Leben gelassen. Unsre Habe wurde mit dem Blut der Erschlagenen besudelt oder mit Korallenblöcken bedeckt. Wir waren fünfundzwanzigtausend auf Oolong, ehe die Schoner kamen. Heute sind wir fünftausend. Als die Schoner wegfuhren, waren wir nur dreitausend, wie du sehen wirst.

Schließlich wurden die drei Schoner müde, uns hin und her zu jagen. So fuhren sie alle drei nach Nihi im Nordosten, und dann trieben sie uns beständig nach Westen. Ihre neun Boote waren auch zu Wasser gelassen. Sie durchsuchten jede Insel auf ihrem Wege. Sie trieben uns, trieben uns, trieben uns Tag für Tag. Und jede Nacht bildeten die drei Schoner und die neun Boote eine wachsame Kette, die sich von einem Rand der Lagune bis zum andern erstreckte, so daß wir nicht entwischen konnten. Sie konnten uns nicht ewig in dieser Richtung treiben, denn die Lagune hat ja ihre Grenze, und schließlich wurden alle von uns, die noch lebten, auf die letzte Sandbank getrieben. Hinter uns war die offene See. Wir waren unser zehntausend, und wir bedeckten die Sandbank vom Rande der Lagune bis zu der donnernden Brandung auf der andern Seite. Keiner konnte sich niederlegen. Es war kein Platz. Wir standen Hüfte an Hüfte, Schulter an Schulter. Zwei Tage hielten sie uns hier fest, und der Steuermann kletterte in die Takelage, um uns zu verhöhnen und ›Hu! Hu! Hu!‹ zu brüllen, bis es uns ganz leid tat, daß wir ihm und seinem Schoner je ein Leid zugefügt hatten. Wir hatten nichts zu essen und mußten zwei Tage und zwei Nächte auf den Füßen stehen. Die kleinen Kinder starben, und die Alten und Schwachen starben, und die Verwundeten starben. Und das schlimmste von allem war, daß wir kein Wasser hatten, um unsern Durst zu löschen, und zwei Tage lang brannte die Sonne auf uns hernieder, und es gab keinen Schatten. Viele Männer und Frauen wateten ins Meer hinaus und ertranken, und die Brandung warf ihre Leichen wieder an den Strand. Und dazu kam eine Fliegenplage. Einige Männer schwammen zu den Schonern hinaus, aber sie wurden bis auf den letzten niedergeschossen. Und uns, die wir noch am Leben waren, tat es sehr leid, daß wir in unserm Übermut versucht hatten, den Dreimastschoner zu nehmen, der zum Trepangfischen gekommen war. Am Morgen des dritten Tages kamen die Schiffer der drei Schoner und jener Steuermann in einem kleinen Boot. Sie alle hatten Flinten und Revolver und wollten mit uns sprechen. Nur weil sie des Tötens müde wären, hätten sie damit aufgehört, sagten sie. Und wir sagten ihnen, daß wir es bereuten und daß wir nie wieder einem weißen Manne etwas Böses tun würden, und als Zeichen unsrer Unterwerfung streuten wir Sand auf unsre Köpfe. Und alle Weiber und Kinder brachen in lautes Jammern nach Wasser aus, so daß sich zeitweilig kein Mann Gehör verschaffen konnte. Dann wurde uns unsre Strafe mitgeteilt. Wir mußten die drei Schoner mit Kopra und Trepang füllen. Und wir stimmten zu, denn wir brauchten Wasser, und unser Herz war gebrochen, und wir wußten, daß wir Kinder im Kampf waren, wenn wir mit weißen Männern kämpften, die wie die Teufel sind. Und als die ganze Unterredung beendet war, stand der Steuermann auf, verspottete uns und brüllte ›Hu! Hu! Hu!‹ Darauf ruderten wir in unsern Kanus fort und suchten nach Wasser.

Und wochenlang arbeiteten wir, fischten Trepang, salzten ihn ein, sammelten Kokosnüsse und verarbeiteten sie zu Kopra. Tag und Nacht stieg der Rauch in Wolken von allen Gestaden der Inseln von Oolong empor, als wir die Strafe für unsre Übeltat bezahlten. Denn in diesen Todestagen wurde es unsern Gehirnen deutlich eingeprägt, daß es ein großes Unrecht ist, einem weißen Manne ein Leid zuzufügen.

Als die Schoner allmählich mit Kopra und Trepang gefüllt und unsre Bäume kahl von Kokosnüssen waren, riefen die drei Schiffer und jener Steuermann uns zu einer großen Besprechung zusammen. Und sie sagten, sie freuten sich, daß wir unsre Lektion gelernt hätten, und wir sagten zum zehntausendsten Male, daß es uns leid täte, und daß wir es nicht wieder tun wollten. Auch streuten wir Sand auf unsre Köpfe. Darauf sagten die Fischer, es wäre alles sehr gut so; um uns aber zu zeigen, daß sie uns nicht vergäßen, würden sie uns einen Teufel schicken, den wir nie vergessen und an den wir stets denken sollten, so oft wir Lust hätten, einem weißen Manne Böses zu tun. Darauf verspottete der Steuermann uns wieder und brüllte ›Hu! Hu! Hu!‹. Dann wurden sechs von unsern Leuten, die wir längst totgeglaubt hatten, von einem der drei Schoner an Land gesetzt, und die Schoner hißten die Segel und fuhren nach den Salomoninseln. Die sechs an den Strand gesetzten Leute wurden als erste von dem Teufel gepackt, den die Schiffer uns geschickt hatten.«

»Eine große Krankheit kam«, unterbrach ich ihn, denn ich kannte den Kniff. Der Schoner hatte Masern an Bord gehabt, und die sechs Gefangenen waren der Krankheit frei ausgesetzt worden.

»Ja, eine große Krankheit«, fuhr Oti fort. »Es war ein schrecklicher Teufel. Die ältesten Leute hatten noch nie so etwas gehört. Diejenigen unsrer Priester, die noch am Leben waren, töteten wir, weil sie den Teufel nicht bezwingen konnten. Die Krankheit breitete sich aus. Ich habe gesagt, daß zehntausend von uns Hüfte an Hüfte und Schulter an Schulter auf der Sandbank standen. Als die Krankheit uns verließ, waren nur noch dreitausend am Leben. Dazu kam die Hungersnot, da wir all unsre Kokosnüsse zu Kopra verarbeitet hatten.

Dieser Bursche Händler«, schloß Oti, »er sehr viel schmutzig. Er kai-kai (essen) Muscheln, wenn ganz stinken. Er wie großer Hund, kranker Hund, viele Flöhe an ihm. Wir keine Angst vor diesem Händler. Wir Angst, weil er weißer Mann. Wir viel zu sehr wissen, daß nicht gut, weißen Mann töten. Dieser kranke Hund von Händler er viele Brüder, weiße Männer kämpfen wie Teufel. Wir nicht Angst vor Händler. Manchmal er machen Kanaken böse auf ihn, und Kanaken ihn wollen töten, Kanaken denken an Teufel und Kanaken hören diesen Steuermann rufen: ›Hu! Hu! Hu!‹, und dann Kanaken nicht töten.«

Oti befestigte ein Stück Tintenfisch, das er mit den Zähnen von dem noch lebenden und sich windenden Ungetüm gerissen, als Köder an seinem Haken, und Haken und Köder sanken wie weiße Flammen auf den Grund. »Hai nicht mehr hier«, sagte er. »Ich denken, wir fangen Menge Fische.«

Seine Leine zuckte wild. Er zog sie schnell, aber vorsichtig ein, und ein großer, schnappender Dorsch landete im Kanu.

»Sonne sie stehen auf, ich machen diesem verdammten Händler ein Geschenk das große Fisch«, sagte Oti.


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