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Zweites Buch

Am ersten Abend nach der Hochzeitsnacht traf Saxon Billy in der Tür, als er gerade hereinwollte. Als sie sich umarmt hatten, wanderten sie Hand in Hand durch die Stube und in die Küche, und hier sog Billy mit hörbarem Wohlbehagen die Luft durch die Nase ein.

»Herrgott, wie gut dieses Haus riecht, Saxon! Es ist nicht der Kaffee – den rieche ich auch! Es ist das ganze Haus. Es riecht wie, nun ja, es riecht gut, soviel weiß ich.«

Er wusch sich am Ausguß, und unterdessen setzte sie die Bratpfanne auf das vorderste Herdloch. Während er sich die Hände trocknete, wichen seine Augen nicht von ihr, und er gab laut seinen Beifall zu erkennen, als sie das Fleisch auf die Bratpfanne legte.

»Wo hast du gelernt, Beefsteak auf einer trockenen, heißen Pfanne zu braten? Das ist die einzig richtige Art, aber es gibt verflucht wenig Frauen, die sie kennen.«

Als sie den Deckel von einem Topf nahm und begann, den duftenden Inhalt mit einem Küchenmesser umzurühren, stellte er sich hinter sie, legte ihr die Arme in die Achselhöhlen, so daß seine Hände auf ihrer Brust ruhten, und beugte den Kopf über ihre Schulter, bis seine Wange die ihre berührte.

»Oh – um-um-m-m! Bratkartoffeln mit Zwiebeln, wie Mutter sie zu machen pflegte. Das ist etwas für mich. Das riecht gut. Um-um-m-m-m!«

Seine Hände ließen sie los, und seine Wange glitt liebkosend an der ihren herab; dann umschlossen seine Hände sie wieder. Sie fühlte seine Lippen auf ihrem Haar und hörte ihn tief und zufrieden atmen.

»Um-um-m-m-m! Und du riechst auch gut. Ich habe nie verstanden, was man meinte, wenn man sagte, ein Mädchen sei süß. Aber jetzt weiß ich es. Und du bist die süßeste, die ich je gekannt habe.«

Seine Freude war grenzenlos. Als er sich im Schlafzimmer gekämmt hatte und sich ihr gegenüber an den Tisch setzte, hielt er inne, Messer und Gabel in der Hand.

»Weißt du, verheiratet sein ist wahrhaftig nicht wenig mehr, als man glauben sollte, wenn man verheiratete Leute reden hört. Weiß Gott, Saxon, wir können ihnen etwas zeigen, wir beide! Nur eines ärgert mich.«

Die Furcht, die sich sofort in ihren Augen zeigte, ließ ihn vor Lachen glucksen.

»Und das ist, daß wir uns mit dem Heiraten nicht mehr beeilt haben. Eine ganze Woche habe ich verloren.«

Ihre Augen strahlten vor Dankbarkeit und Glück, und in der Tiefe ihres Herzens gelobte sie sich feierlich, daß es, solange sie lebten, nie anders werden sollte.

Als sie gegessen hatten, räumte sie ab und begann, die Teller aufzuwaschen. Als er Miene machte, sie zu trocknen, faßte sie ihn am Rockaufschlag und stieß ihn rückwärts in einen Stuhl.

»Jetzt rate ich dir, hübsch sitzenzubleiben – und vergiß nicht, was ich sage. Jetzt nimmst du dir eine Zigarette – nein, du sollst mich nicht ansehen. Neben dir liegt die Morgenzeitung. Und wenn du dich nicht ein bißchen beeilst und sie liest, dann bin ich mit den Tellern fertig, ehe du angefangen hast.«

Ein paar Minuten vergingen, dann legte Billy die Zeitung mit einem Seufzer hin.

»Es hat keinen Zweck«, klagte er. »Ich kann nicht lesen.«

»Was ist los?« neckte sie ihn. »Sind deine Augen schlecht?«

»Ja«, antwortete er. »Sie tun weh. Und nur eines kann helfen, nämlich, daß ich dich ansehe.«

»Ja – ja, armer kleiner Billy; ich bin gleich fertig.«

Die salzige Kühle in der Luft, die nach Sonnenuntergang der Segen aller Hafenstädte ist, drang zu ihnen herein. Vom Bahnhof her konnten sie das Schnaufen der Rangiermaschinen und das Poltern der Lokalbahn hören, wenn sie langsam von der Mole nach dem West-Oaklander Bahnhof fuhr. Von der Straße hörte man den Lärm von Kindern, die im Sommerabend spielten, und von den Treppen der Nachbarhäuser die leise Unterhaltung der Hausfrauen.

»Weißt du«, sagte Billy, »jedesmal, wenn ich an mein möbliertes Zimmer zu sechs Dollar denke, werde ich krank vor Ärger, weil ich mir so vieles habe entgehen lassen. Aber eines tröstet mich. Wenn ich die Veränderung früher vorgenommen hätte, würde ich dich jetzt nicht haben. Vor ein paar Wochen wußte ich ja noch nicht einmal etwas von deiner Existenz.«

Seine Hand glitt über ihren Unterarm und in den Ärmel am Ellbogen.

»Deine Haut ist so kühl. Nicht kalt, aber kühl. Sie fühlt sich so gut an.«

»Es dauert wohl nicht lange, dann nennst du mich deinen kleinen Kühlapparat«, lachte sie.

»Und deine Stimme ist kühl«, beharrte er. »Sie gibt mir genau dasselbe Gefühl wie deine Hand, wenn du sie auf meine Stirn legst. Es ist etwas Merkwürdiges, und ich kann es nicht erklären, aber deine Stimme geht gleichsam durch mich hindurch, kühl und fein. Sie ist wie eine schwache Brise. Wie die erste Brise vom Meer, wenn sie abends nach einem brennendheißen Tage durch die Stadt streicht. Und zuweilen, wenn du leise sprichst, klingt es so rund und schön wie das Cello im Macdonough-Theater. Ich denke mir, daß die Engel im Himmel, wenn es welche gibt, solche Stimmen haben müssen.«

Ein paar Minuten vergingen, in denen sie sich so unsagbar glücklich fühlte, daß sie immer nur ihre Hand durch sein Haar gleiten ließ und sich an ihn schmiegte, und dann begann er wieder:

»Jetzt will ich dir sagen, woran du mich erinnerst. Hast du nie Vollblutstuten gesehen, wenn sie im Stall stehen und glänzen? Haar wie Seide, und eine Haut so dünn und weich, daß der geringste Schmitz mit der Peitschenschnur sich abzeichnet. Nerven durch und durch, fein und empfindsam. Und dabei können sie an Ausdauer den stärksten Ochsen bezwingen und können sich wie ein Blitz eine Sehne verzerren und erfrieren, wenn sie nur eine Nacht ohne Decke stehen. Ich will dir nur sagen, daß man nicht viel in der Welt sehen kann, was so schön ist. Sie sind so feinfühlend und empfindsam und zart. Du bist von andern Frauen ebenso verschieden wie eine solche Stute von einem gewöhnlichen derben Arbeitspferd. Du bist ein Vollblut. Du hast Linie, Geist und Figur. Rede mir nicht von Annette Kellermann! Der bist du über. Sie ist Australierin, und du bist Amerikanerin, nur nicht nach deiner Figur. Du bist anders, du bist reizend. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Andere Frauen sind nicht wie du gewachsen. Du gehörst in ein anderes Land. Du bist französisch, das ist es. Du bist wie eine Französin gewachsen, aber viel schöner – die Art, wie du dich bewegst, wie du gehst, wie du sitzt, und wenn du nichts tust.«

Und er, der nie außerhalb Kaliforniens, ja nicht einmal eine Nacht außerhalb seiner Geburtsstadt Oakland gewesen war, hatte recht in seinem Urteil. Sie war eine Blüte der angelsächsischen Rasse, eine Seltenheit mit ihren ungewöhnlich kleinen Händen und Füßen, mit der Frische ihrer Haut, mit ihrer Anmut – sie war ein Rückschlag in jene fernen Zeiten, da die verheerenden französischen Normannen ihr Blut mit der kräftigen sächsischen Rasse vermischten.

»Und wie du deine Kleider trägst! Sie sind mit dir verwachsen. Sie sind gleichsam ein Teil von dir, wie deine Haut und die Kühle deiner Stimme. Sie sind immer, wie sie sein sollen und könnten nicht anders sein. Und weißt du, ein Mann zeigt sich nun einmal gern mit einem Mädchen wie du, deren Kleider wie ein Traum an ihr sitzen, und hört gern die andern Männer sagen: ›Wer ist Billys neues Mädel? Donnerwetter, ist die fesch! Die möcht ich gern mal zu fassen kriegen!‹ Und dergleichen mehr.«

Und Saxon drückte ihre Wange gegen die seine und fühlte sich reich belohnt für die vielen nächtlichen Stunden, die sie mit Nähen verbracht, die vielen qualvollen Stunden, da sie schläfrig über dem Nähzeug genickt hatte, todmüde nach der Arbeit des Tages, während sie für ihren eigenen Bedarf die Ideen neu schuf, welche sie von den eleganten Kleidungsstücken, die unter ihrem fleißigen Eisen dampften, gestohlen hatte.

»Wirst du meiner nie überdrüssig werden?« fragte sie.

»Deiner überdrüssig? Weiß Gott, wir sind doch für einander geschaffen.«

»Ist es nicht wie ein Wunder, Billy, daß wir uns treffen sollten! Denk, wenn wir uns nie getroffen hätten. Es war doch der reine Zufall.«

»Wir sind Glückskinder«, erklärte er. »Das ist sicher.«

»Vielleicht ist es mehr als Zufall«, meinte sie.

»Gewiß. Es ist Schicksal. Nichts in der Welt hätte uns voneinander fernhalten können.«

Sie saßen schweigend da, aber das Schweigen zitterte von einer Liebe, die keine Worte fand. Langsam zog er sie an sich, seine Lippen zitterten an ihrem Ohr, und sie hörte ihn flüstern: »Was meinst du, wollen wir zu Bett gehen?«

 

Viele Abende verbrachten sie auf diese Art. Zuweilen aber gingen sie aus und tanzten oder gingen ins Orpheum oder ins Bell-Theater oder ins Kino und zu den Freitagskonzerten im City-Hall-Park. Sonntags packten sie oft einen Frühstückskorb und fuhren mit Prince und King, die Billys Chef gern von ihm bewegen ließ, in die Berge.

Jeden Morgen wurde Saxon vom Wecker geweckt. Am ersten Morgen hatte Billy darauf bestanden, daß er mit ihr zusammen aufstehen und Feuer im Herd machen sollte. Sie erlaubte es ihm am ersten Morgen; aber später legte sie alles abends zurecht, so daß sie am Morgen nichts zu tun hatte, als ein Streichholz anzuzünden. Und dann zwang sie ihn, im Bett zu bleiben und weiterzuschlafen, bis sie ihn rief, wenn das Frühstück fertig war. In den ersten Wochen gab sie ihm sein Essen mit. Dann kam eine Woche, in der er mittags nach Hause kam. Dann mußte er wieder Essen mitnehmen. Es hing davon ab, wie weit er zu fahren hatte.

»Du machst es nicht richtig mit deinem Mann«, versicherte Mary ihr. »Du bedienst ihn zu sehr. Du verziehst ihn ja direkt. Und er sollte dich verziehen.«

»Er ist der Versorger«, antwortete Saxon. »Er arbeitet schwerer als ich. Ich habe so viel Zeit übrig, daß ich nicht weiß, was ich damit machen soll. Außerdem verziehe ich ihn, weil ich ihn liebe und weil ... nun, weil ich es will.«

 

Trotz der sorgfältigen Besorgung des Haushalts merkte Saxon doch, sobald sie es in ein System gebracht hatte, daß sie freie Zeit genug hatte. Namentlich, wenn ihr Mann sein Essen mitnahm, so daß sie mittags nicht zu kochen brauchte, stand ihr ein großer Teil des Tages zur Verfügung. An die vieljährige Routine der Arbeit in der Fabrik und der Plätterei gewöhnt, konnte sie sich noch schwer mit diesem Müßiggang versöhnen, und es war ihr kaum erträglich, dazusitzen und nichts zu tun, zumal ihre Freundinnen aus der Mädchenzeit sie nicht besuchen konnten, da sie immer noch in der Fabrik oder in der Plätterei arbeiteten. Die Nachbarfrauen kannte sie nicht, mit Ausnahme einer wunderlichen alten Frau, die nebenan wohnte. Saxon und sie unterhielten sich hin und wieder über das Gitter hinweg, das die beiden Höfe trennte.

Eine Beschäftigung, mit der sie doch immerhin einige Zeit totschlug, erlaubte der viele Müßiggang ihr: sie konnte baden, sooft sie wollte. Als Kind und bei Sarah hatte sie sich mit einem Bad wöchentlich begnügen müssen. Als sie heranwuchs, hatte sie versucht, häufigere Bäder einzuführen. Aber der Versuch scheiterte. Sarah war erstarrt in dem Glauben an das wöchentliche Bad am Sonnabend, und was über diesen Reinigungsprozeß hinausging, betrachtete sie als Anstellerei und Verdächtigung ihrer eigenen persönlichen Reinlichkeit. Außerdem war es ein sinnloser Mißbrauch von Brennmaterial und vermehrte die Wäsche des Hauses unnötig mit Handtüchern. Hier aber, in Billys Haus, wo Herd, Wanne, Handtuch und Seife ihr gehörten, und niemand Einspruch erheben konnte, ergab Saxon sich täglich diesem Genuß. Die Wanne war allerdings nur ein einfacher Waschzuber, den sie in die Küche stellte und selbst mit Wasser füllte; aber es waren vierundzwanzig Jahre vergangen, ehe sie sich diesen Luxus erlauben konnte. Es war die wunderliche Frau von nebenan, die eines Tages in einer zufälligen Unterhaltung etwas erwähnte, das dieses Bad zum Höhepunkt des Wohlbefindens machte. Eine ganz einfache Sache – nur ein paar Tropfen Ammoniak ins Wasser, aber Saxon hatte nie etwas davon gehört.

Sie sollte mit der Zeit vieles von der wunderlichen Frau lernen. Die Bekanntschaft wurde eines Tages im Hof geschlossen, als Saxon einiges von ihrer feinsten Wäsche zum Trocknen aufhängte. Die Frau, die sich an das Verandageländer lehnte, fing ihren Blick auf und nickte, soweit Saxon sehen konnte, halb ihr, halb der Wäsche an der Leine zu.

»Sie sind jungverheiratet, nicht wahr?« fragte die Frau. »Ich bin Frau Higgins. Aber nennen Sie mich lieber beim Vornamen, Mercedes.«

»Und ich bin Frau Roberts«, antwortete Saxon. Es war ihr noch so ungewohnt zu sagen, daß sie errötete. »Mein Vorname ist Saxon.«

»Ein komischer Name für eine Yankeefrau«, bemerkte die andere.

»Ach, ich bin keine Yankeefrau«, erklärte Saxon. »Ich bin Kalifornierin.«

»Lala«, lachte Mercedes Higgins. »Ich vergaß, daß ich in Amerika bin. In andern Ländern nennt man alle Amerikaner Yankees. Aber nicht wahr, Sie sind jungverheiratet?«

Saxon nickte mit einem glücklichen Seufzer.

»Ach, Sie glückliches, süßes, schönes Geschöpfchen. Ich könnte Sie beinahe hassen – so beneide ich sie. Alle Männer werden sich mit Freuden um Ihren kleinen Finger wickeln lassen. Und dabei machen Sie nicht einmal Ihr Kapital zinstragend. Das tut niemand, ehe es zu spät ist.«

Saxon war verwirrt und verlegen, antwortete aber schnell:

»O doch, ich weiß wohl, wie glücklich ich bin. Ich habe den besten Mann von der Welt.«

Mercedes Higgins seufzte wieder und wechselte den Gegenstand. Nickend wies sie auf die Wäsche.

»Sie legen Wert auf schöne Dinge, sehe ich. Das ist sehr vernünftig für eine junge Frau. So etwas ist Köder für die Männer – eine große Waffe im Kampf zwischen den zwei Geschlechtern. Die Männer werden dadurch gewonnen und festgehalten –« Sie brach plötzlich ab und sagte fast herausfordernd: »Und Sie, Sie wollen Ihren Mann festhalten? Immer, immer – wenn Sie können?«

»Das will ich. Ich will alles tun, damit er mich liebt. Immer, immer.«

Saxon hielt inne, verwirrt und erstaunt, daß sie plötzlich mit einer Fremden so intim geworden war.

»Die Liebe der Männer ist etwas Komisches«, sagte Mercedes. »Und es ist der Fehler aller Frauen, daß sie glauben, die Männer zu kennen wie ein Buch. Und die meisten von ihnen sterben daher am gebrochenen Herzen, sterben, weil sie nichts von den Männern wissen und doch töricht genug sind zu glauben, sie kennten sie so gut. Oh, lala, die kleinen Dummköpfe. So sagen nun auch Sie kleine jungverheiratete Frau, Sie wollen alles tun, daß Ihr Mann Sie immer liebt – nicht wahr? Und so sagen sie alle und bilden sich ein, die Menschen und die Irrgänge der Liebe zu kennen. Es ist viel leichter, das große Los in der Lotterie zu gewinnen. Aber das weiß das kleine jungverheiratete Frauchen erst, wenn es zu spät ist. Aber Sie haben am richtigen Ende angefangen. Halten Sie sich nur weiter fein und schön. Wie Sie Ihren Mann gewonnen haben, so bleiben Sie, um ihn zu halten. Aber das ist nicht alles. Wir beide müssen einmal richtig miteinander reden, und dann werde ich Sie lehren, was wenige Frauen wissen wollen, was wenige Frauen zu wissen bekommen. – Saxon! – ein starker und schöner Name für eine Frau. Aber er paßt nicht zu Ihnen. O ja, ich habe Sie beobachtet. Französisch sind Sie, französisch. Darüber ist nicht zu streiten. Grüßen Sie Ihren Gatten und machen Sie ihm mein Kompliment für seinen guten Geschmack.«

Sie schwieg und blieb mit der Hand auf dem Türgriff stehen.

»Und besuchen Sie mich hin und wieder. Sie werden es nicht bereuen. Ich kann Sie vieles lehren. Kommen Sie nachmittags. Mein Mann ist Nachtwächter und schläft den ganzen Vormittag. Augenblicklich schläft er.«

Verwirrt und grübelnd ging Saxon hinein. Sie war so anders als andere Frauen, diese magere, dunkelhäutige Frau mit dem welken Gesicht, das aussah, als wäre es im Feuer gewesen, und den großen schwarzen Augen, die wie von einem nie erlöschenden inneren Brand funkelten und flammten. Alt mußte sie sein – Saxon schätzte sie auf zwischen fünfzig und siebzig. In ihrem Haar, das einmal ganz schwarz gewesen sein mußte, waren breite graue Streifen. Namentlich fiel Saxon ihre Sprache auf. Sie sprach Englisch, und ein besseres Englisch, als Saxon sonst zu hören gewohnt war, und doch war sie keine Amerikanerin. Aber sie sprach auch nicht mit Akzent; es war nur etwas Fremdes in ihrer Art zu sprechen, aber so unbestimmbar, daß Saxon nicht wußte, wo sie es hinbringen sollte.

»Oho«, sagte Billy, als Saxon ihm am Abend die Ereignisse des Tages berichtete. »So, das ist die Frau von Higgins. Er ist Nachtwächter. Und er hat nur einen Arm. Der alte Higgins und sie, das ist ein komisches Paar. Die Leute haben Angst vor ihr, oder doch jedenfalls manche. Die Italiener und manche von den alten Irländerinnen halten sie für eine Hexe. Sie wollen nichts mit ihr zu tun haben. Das hat mir Bert erzählt. Einer von meinen Kameraden im Stall – Henderson, weißt du – sagt, sie sei reif fürs Tollhaus.«

»Ach, ich weiß nicht«, antwortete Saxon, die sich getrieben fühlte, ihre neue Bekanntschaft zu verteidigen. »Sie ist vielleicht etwas komisch, aber sie sagt eigentlich dasselbe wie du. Sie sagt, meine Figur sei nicht amerikanisch, sondern französisch.«

»Dann ziehe ich den Hut vor ihr«, antwortete Billy. »Sie kann nicht so verrückt sein, wenn sie das sagt. Sie ist ein kluges altes Huhn, das kannst du ihr von mir bestellen.«

»Sie bat mich, dich zu grüßen und dir zu deinem guten Geschmack zu gratulieren«, lachte Saxon.

»Wirklich? Dann grüß sie herzlich von mir wieder. Ich weiß sie zu schätzen. Sie weiß, was gut ist. Aber sie sollte auch dir zu deinem guten Geschmack gratulieren, den du bewiesen hast, als du mich heiratetest.«

Ein paar Tage später nickte Mercedes wieder halb Saxon und halb der feinen Wäsche zu, die Saxon gerade zum Trocknen aufhängte.

»Ich ärgere mich über Ihre Wäsche, Sie kleines Frauchen«, sagte sie als Einleitung zu ihrem Gespräch.

»Ich bin doch viele Jahre lang in einer Wäscherei gewesen«, antwortete Saxon schnell.

Mercedes lachte höhnisch.

»Dampfwäsche, ja, danke schön. Das ist ein Geschäft, und ein dummes. Nur gewöhnliche Sachen soll man in eine Dampfwäscherei schicken – das ist die Strafe dafür, daß sie gewöhnlich sind. Aber die guten Sachen, Zeug, so fein wie Spinngewebe – la la, mein Kind, das zu waschen ist eine Kunst. Das erfordert Verstand, Talent und eine Behutsamkeit, so fein wie die Dinge selbst. Ich werde Ihnen ein Rezept für selbstgemachte Seife geben. Sie macht das Zeug nicht hart, sondern weiß, weich und lebendig. Sie können es lange tragen, und feine weiße Wäsche ist etwas, das einen froh machen kann. Ja, feine Wäsche ist ein Raffinement, eine Kunst. Es ist, wie wenn ein Künstler mit Begeisterung und Liebe ein Bild malt oder ein Gedicht schreibt. Es ist ein Sakrament der Schönheit.

Ich will Sie die Kunst lehren, mein liebes Kind, eine Kunst, die ihr Yankees nicht kennt.« Sie nickte in der Richtung der Leine mit Saxons feiner Wäsche.

»Sie machen kleine Spitzen, sehe ich. Ich kenne alle Arten Spitzen – Malteser, Mechelner – ach, viele, viele Arten herrlicher Spitzen. Ich will Sie einige von den leichten Mustern lehren, so daß Sie sie selbst für sich und ihren hübschen Mann machen können, den Sie immer, immer lieben wollen.«

Bei ihrem ersten Besuch bei Mercedes Higgins bekam Saxon das Rezept für die selbstgemachte Seife, und sie verließ sie, den Kopf voll von minutiösen Regeln für die Kunst, feines Leinen zu waschen. Die wunderliche alte Frau erzählte ihr alles Neue und Sonderbare, was sie wußte, und es war, als brächte sie ihr Botschaft von einem weiteren Horizont und neuen, unbekannten Himmelsstrichen.

»Sie sind Spanierin?« fragte Saxon vorsichtig.

»Nein und ja. Mein Vater war Irländer, meine Mutter spanische Peruanerin, ihr gleiche ich in Farbe und Aussehen. In vielem andern gleiche ich meinem Vater, dem blauäugigen Kelten mit dem Gesang auf den Lippen und dem heißen Blut, das ihn ruhelos von Ort zu Ort trieb. Dasselbe heiße Blut hat mich ebenso weit und noch weiter getrieben, als er je kam.«

»Ach«, rief Saxon, »da sind Sie Südamerikanerin.«

Mercedes zuckte die Achseln.

»Irgendwo muß man ja geboren werden. Es war eine große Viehranch, die meiner Mutter gehörte. Ganz Oakland könnte auf einer von ihren Weiden Platz finden.«

Mercedes Higgins seufzte zufrieden und verlor sich in Erinnerungen. Saxon wollte gern mehr von dieser merkwürdigen Frau hören, deren Leben in vielem an das der spanischen Kalifornier in alten Tagen erinnern mußte.

»Sie haben eine gute Erziehung genossen«, wagte sie sich vor. »Sie sprechen ein so schönes Englisch.«

»Ach, Englisch, das kam später und nicht in der Schule. Aber, nun ja, ich genoß eine gute Erziehung in allem außer dem wichtigsten: Männer. Auch das kam später. Und wenig ließ meine Mutter – sie war eine große Dame, das, was man eine Viehkönigin nennt – wenig ließ meine Mutter sich träumen, daß ich bei der guten Erziehung, die sie mir gab, als Nachtwächtersfrau enden sollte.« Der komische Gedanke ließ sie in herzliches Lachen ausbrechen. »Nachtwächter, Arbeiter, Hunderte, ja Tausende arbeiteten für uns. Die Peonen, die im Grunde nichts waren als Sklaven. Und unsere Cowboys, die zweihundert Meilen von einem Ende bis zum andern reiten konnten, ohne unser Gebiet zu verlassen. Und zahlloses Gesinde in dem großen Hause. La la, im Hause meiner Mutter gab es viele Dienstboten.«

Mercedes Higgins vergaß allmählich alles andere über ihren Erinnerungen.

»Aber unsere Dienstboten waren faul und schmutzig. Chinesen sind glänzende Dienstboten; Japaner auch, wenn man das Glück hat, die richtigen zu finden, aber sie sind nicht so gut wie Chinesen. Japanische Dienstmädchen sind hübsch und heiter, aber man weiß nie, ob sie nicht am nächsten Tage weglaufen. Die Hindus sind nicht stark, aber gehorsam. Sie betrachten Sahibs und Memsahibs als Götter. Ich war eine Memsahib – was Frau bedeutet. Einmal hatte ich einen russischen Koch, der immer in die Suppe spuckte, denn das bedeutet Glück. Es war sehr komisch. Wir ließen es uns gefallen, denn es war Landesbrauch.«

»Sie müssen viel gereist sein, wenn sie so viele sonderbare Dienstboten hatten«, sagte Saxon, die gern mehr gehört hätte.

Die alte Frau lachte.

»Die sonderbarsten von allen waren aber doch die schwarzen Sklaven in der Südsee, kleine, wollköpfige Kannibalen, die sich Knochen durch die Nase steckten. Wenn sie etwas vergaßen oder wenn sie stahlen, wurden sie an eine Kokospalme gebunden und mit einer Peitsche aus Nilpferdhaut gepeitscht. Sie schrien nie. Das war ihr Stolz. Da war der kleine Vibi, er war erst zwölf Jahre alt – er war mein Diener – und als sein Rücken ganz zerfleischt war und ich über ihn weinte, lachte er nur und sagte: ›Warten klein bißchen, dann mich nehmen Kopf, gehören groß fella weiß Master.‹ – Es war Bruce Anstey, ein Engländer, der ihn peitschte. Aber der kleine Vibi bekam seinen Kopf doch nicht. Er lief fort, und da schnitten die Buschleute ihm den Kopf ab und fraßen ihn mit Haut und Haaren.«

Saxon schauderte, und ihr Gesicht war ernst. Mercedes Higgins aber fuhr heiter fort:

»Ach, es war eine lustige, wahnsinnige, wilde, tolle Zeit! Glauben Sie mir, mein Mädelchen, im Laufe von drei Jahren tranken diese englischen Pflanzer Ozeane von Champagner und schottischem Whisky und setzten dreißigtausend Pfund bei dem Abenteuer zu. Nicht Dollar, nein Pfund, das heißt hundertfünfzigtausend Dollar. Sie waren Fürsten, solange es dauerte. Es war prachtvoll, großartig. Und wahnsinnig war es. Ich mußte die Hälfte meines Schmuckes in Neuseeland verkaufen, ehe ich wieder von vorn anfangen konnte. Bruce Anstey schoß sich eine Kugel durch den Kopf. Roger heuerte für acht Pfund monatlich als Steuermann auf einem Handelsschiff mit schwarzer Besatzung an. Und Jack Gilbraith – das war der merkwürdigste von allen. Er war aus reicher, vornehmer Familie, und er ging heim nach England und stellte auf ihren großen Gütern alles auf den Kopf, bis sie ihm Geld für eine Gummiplantage in Ostindien oder auf Sumatra – oder war es Neu-Guinea – gaben.«

Als Saxon wieder in ihrer Küche stand und das Abendessen für Billy bereitete, fragte sie sich, welches Verlangen und welche Begierde wohl die alte dunkelhäutige Frau von der großen peruanischen Farm durch die ganze Welt bis nach West-Oakland und zu Barry Higgins geführt haben mochte, der sicher nicht der Mann war, seinen Anteil von hundertfünfzigtausend Dollar zu verschwenden, und der sich noch weniger je Hoffnung auf einen solchen Reichtum machen konnte. Und merkwürdig war auch, daß Mercedes immer nur von andern Männern sprach, aber nie von ihm.

Vieles andere hatte sie erzählt, aber bruchstückweise, ohne nähere Erklärungen. Es schien kein Land, keine Stadt in der alten und neuen Welt zu geben, wo sie nicht gewesen war. Selbst in Klondike war sie vor zehn Jahren gewesen. Mercedes Higgins schien immer mit Männern zusammen gewesen zu sein, für die Geld wie Wasser war.

 

Saxon, die immer noch über ihrem Problem grübelte, wie sie sich die Liebe Billys bewahren und darauf achten sollte, daß ihre gegenseitigen Gefühle nichts von ihrer Frische einbüßten und daß sie nicht von den Höhen herabstiegen, auf denen sie jetzt wanderten, fühlte sich von Frau Higgins stark angezogen. Wenn überhaupt jemand, dann wußte sie Bescheid; denn hatte sie nicht die Kenntnis eines Wissens verraten, das das gewöhnlicher Frauen weit überstieg?

Einige Wochen vergingen, in denen Saxon sie oft besuchte. Aber Frau Higgins sprach von allen möglichen andern Dingen, lehrte Saxon einfache Spitzen machen und weihte sie in die Kunst des Waschens und des Einkaufens ein. Dann aber kam wieder ein Nachmittag, an dem Saxon sie redseliger als sonst fand und die Worte wie ein beständiger Strom kamen, so schnell, daß sie fast übereinanderfielen. Ihre Augen flammten, ihr Gesicht flammte. Es roch nach Alkohol bei ihr, und Saxon merkte, daß die alte Frau getrunken hatte. Nervös und ängstlich, doch verzaubert lauschte sie auf den wilden Redestrom der alten Frau, während sie ein Taschentuch für Billy säumte.

»Hören Sie, Liebste. Ich will Ihnen von Männern, von ihren Gedanken und von ihrem Tun und Lassen erzählen. Glauben Sie nicht wie Ihre Landsleute, daß ich verrückt und eine Hexe mit bösem Blick bin. Haha! Wenn ich an die dumme Maggie Donahue denke, die ihrem Kind das Gesicht zudeckt, wenn wir uns treffen! Eine Hexe bin ich zwar gewesen, das ist wahr. Aber es waren Männer, die ich verhexte. Oh, ich bin klug, sehr klug, mein Kind. Ich will Ihnen erzählen, wie Frauen zu Männern und Männer zu Frauen sind, und ich kenne die besten sowohl wie die schlechtesten. Ich kenne das Tier, das in allen Männern lebt, und weiß, welche Männer es sind, die dummen Frauen, die nichts verstehen, das Herz brechen. Und alle Frauen sind dumm. Aber ich bin es nicht. La la, hören Sie. Ich bin eine alte Frau, und wie andere Frauen sage ich nicht, wie alt ich bin. Aber dennoch kann ich Männer fesseln. Ja, und wenn ich hundert Jahre alt und zahnlos wäre und meine Nase über das Kinn herabhinge, so würde ich doch noch Männer fesseln können. Keine jungen Männer. Die beherrschte ich, als ich selber jung war. Aber die alten, die für mein Alter taugen. Und es ist gut für mich, daß ich diese Macht habe. Ich habe weder Freunde noch Geld. Aber Klugheit besitze ich und Erinnerungen – Erinnerungen, die jetzt Asche sind, aber herrliche Asche, von Jubel funkelnde Asche. Alte Frauen wie ich hungern und frieren, oder sie kommen ins Armenhaus und in Armengräber. Aber ich nicht! Ich halte meinen Mann fest. Es ist zwar nur Barry Higgins – der alte Barry, schwerfällig wie ein Ochse, aber er ist ein Mann und sonderbar wie alle Männer. Allerdings hat er nur einen Arm.« Sie zuckte die Achseln. »Das hat auch sein Gutes. Er kann mich nicht schlagen, und alte Knochen sind empfindlich.

Liebe kleine Frau, Sie müssen lernen. Abwechslung! Das ist das Zauberwort. Das ist der goldene Schlüssel. Das ist das Spielzeug, das sie ergötzt. Wenn die Frau das nicht hat, dann wird der Mann ein Pascha. Hat sie es, so wird er ihr Sklave und nur der ihre. In einer Frau müssen viele Frauen stecken. Wenn Sie sich die Liebe Ihres Mannes bewahren wollen, müssen Sie alle Frauen für ihn verkörpern. Sie müssen immer neu sein, betaut vom Glanz der Neuheit, eine Blume, die sich nie so weit entfaltet, daß sie welkt. Sie müssen ein ganzer Blumengarten sein, immer neu, immer frisch, immer verschieden. Und in Ihrem Garten soll der Mann nie den letzten Strauß pflücken dürfen. Hören Sie, kleine Frau. Im Garten der Liebe lebt eine Schlange: der Gemeinplatz. Zertreten Sie ihr den Kopf; sonst vernichtet sie Ihren Garten. Vergessen Sie den Namen nicht: der Gemeinplatz. Werden Sie nie zu intim. Männer sind scheinbar plump, aber Frauen sind plumper als Männer. Widersprechen Sie mir nicht, kleine Frau. Sie sind noch ein Kind. Frauen sind weniger feinfühlig als Männer. Sollte ich das nicht wissen? Erzählen Sie nicht andern Frauen ihre intimsten Liebesgeheimnisse mit ihren eigenen Männern? Das tun Männer nie. Können Sie das erklären? Es gibt nur eine Erklärung: In allem, was Liebe betrifft, sind Frauen weniger feinfühlig als Männer. Das ist ihr großer Fehler. Das ist es, was den Gemeinplatz schafft, und der Gemeinplatz ist es, der wie eine ekle Schlange die Liebe mit Schlamm beschmutzt und vernichtet.

Seien Sie feinfühlig, kleine Frau. Zeigen Sie sich nie ohne Schleier, ohne viele Schleier. Hüllen Sie sich in tausend Schleier ein, die von kostbaren Stoffen und von teuren Juwelen schimmern und funkeln. Lassen Sie sich nie den letzten Schleier entreißen. Verschanzen Sie sich gegen den morgigen Tag mit mehr Schleiern, neuen Schleiern, Schleiern ohne Zahl. Nur dürfen die vielen Schleier nicht nach vielen aussehen. Jeder Schleier muß wie das einzige sein, was zwischen Ihnen und Ihrem hungernden Liebhaber ist, der nicht weniger haben will als Sie ganz und gar. Jedesmal muß es aussehen, als bekäme er alles, als zerreiße er den letzten Schleier, der Sie verbirgt. Das muß er glauben. Aber es darf nicht geschehen. Am nächsten Tag muß er wieder einen letzten Schleier finden, den er noch nicht gesehen hat.

Vergessen Sie das nicht, jeder Schleier muß wie der letzte und einzige sein; immer muß es aussehen, als gäben Sie alles preis, und immer müssen Sie noch etwas in Reserve haben, das Sie morgen und an den folgenden Tagen preisgeben können. Auf die Weise entsteht Abwechslung, Überraschung, so daß das Verlangen Ihres Mannes nie nachläßt, und daß seine Augen weiter nach dem Neuen in Ihnen spähen und nicht nach andern Frauen sehen. Daß Sie und Ihre Schönheit frisch und neu in seinen Augen waren, das war das Mysterium, mit dem Sie Ihren Mann gewannen. Wenn ein Mann eine Blume gepflückt und all ihre Süße getrunken hat, dann sieht er sich nach andern Blumen um. Sie müssen immer eine Blume sein, die beinahe und doch nie ganz gepflückt wird, ein Becher voller Süßigkeit, den er nie austrinkt, obwohl er ihn beständig leert.

Dumme Frauen – und sie sind alle dumm – glauben, wenn sie einen Mann erst gewannen, so haben sie für immer gesiegt. Dann setzen sie sich hin und werden fett und schlaff und tot und öde im Herzen. Ach, sie sind so dumm, so dumm! Aber Sie, Kindchen, die Sie Ihren ersten Sieg errungen haben, Sie müssen Ihr Liebesleben zu einer endlosen Reihe von Siegen machen. Jeden Tag müssen Sie Ihren Mann von neuem gewinnen. Und wenn Sie den letzten Sieg errungen haben, wenn Sie nicht mehr gewinnen können, dann ist es vorbei mit der Liebe. Ja, vorbei, und Ihr Mann wandert in fremde Gärten. Vergessen Sie das nicht: Liebe muß stets unbefriedigt sein, sie muß eine Begierde, scharf wie eine Messerschneide sein und nie gestillt werden. Sie müssen den Hunger Ihres Geliebten stillen, so gut, ach so gut! Ja, geben Sie, geben Sie, aber lassen Sie ihn hungrig von Ihnen gehen, dann kommt er wieder, um mehr zu erhalten.«

Frau Higgins erhob sich plötzlich und verließ das Zimmer. Saxon bemerkte unwillkürlich, daß immer noch Geschmeidigkeit und Anmut in diesem mageren und welken Körper wohnten. Sie beobachtete Frau Higgins, als sie wiederkam, und stellte fest, daß diese geschmeidige Anmut nicht nur Einbildung war.

»Heute habe ich Sie nicht einmal den ersten Buchstaben vom Alphabet der Liebe gelehrt«, sagte Frau Higgins, als sie sich wieder setzte.

Sie hielt in ihren Händen ein kleines Instrument aus feinem Holz von warmen braunen Farben. Es glich einer Guitarre, hatte aber nur vier Saiten. Sie ließ die Finger darüber hingleiten und begann, mit zarter, leiser Stimme eine Melodie in einer fremden Sprache mit vielen warmen Vokalen zu singen. Weich vibrierend stiegen Stimme und Saiten wie Wogen der Leidenschaft, erstarben in Flüstern und Kosen, verirrten sich in das Dunkel der Liebe oder schwollen wieder zu einem barbarischen, gebieterischen Liebesschrei, worin klagende Rufe und wahnsinnige Lockungen und Versprechungen sich mischten. Es bezauberte Saxon, so daß sie schließlich selber zu lauter zitternden Saiten wurde. Wie ein Traum erschien es ihr, und als Mercedes schließlich aufhörte, schwindelte es ihr.

»Wenn Ihr Mann Ihnen Ihr allerletztes Geheimnis entrissen hat und alles an Ihnen ihm bekannt und alt geworden ist, dann müssen Sie dieses Lied singen, das ich Ihnen jetzt vorgesungen habe, und sein Arm wird sich wieder nach Ihnen ausstrecken, und seine Augen werden in der alten wilden Flamme brennen. Verstehen Sie das, kleine Frau?«

Saxon begnügte sich damit zu nicken. Ihre Lippen waren zu trocken, um zu sprechen.

»Der goldene Koa, der König der Wälder«, summte Mercedes zu den Tönen des Instrumentes. »Eine Ukulélé nennen die Hawaianer es. Das bedeutet: der springende Floh. Golden ist ihre Haut, die der Männer von Hawai, sie sind eine Rasse von Liebenden in der lauen Kühle der Tropennacht, wo der Passat weht.«

Wieder ließ sie ihre Finger über die Saiten gleiten. Sie sang in einer andern Sprache, die Saxon für französisch hielt. Es war ein lustiges, übermütiges Lied, hüpfend und kitzelnd. Ihre großen Augen wurden noch größer. Als sie fertig war, sah sie Saxon an, als wollte sie ihre Meinung hören.

»Das gefällt mir nicht so gut«, sagte Saxon.

Mercedes zuckte die Achseln.

»Jedes zu seiner Zeit, kleine Frau. Es gibt Zeiten, da Männer mit Wein berauscht werden müssen, es gibt Zeiten, da Männer mit Liedern berauscht werden müssen, so seltsam sie sind. La la, es gibt so viele Arten, so viele Arten. Auch Ihre feine Wäsche gehört dazu, mein Mädelchen. Die ist auch ein Zauber. Kein Fischer auf der See hat mehr Fische in seinem Netz gefangen als wir Frauen mit unserm Putz. Sie sind auf dem richtigen Wege. Ich habe gesehen, wie Männer von Unterwäsche gefangen wurden, die weder schöner noch feiner war als die, welche Sie zum Trocknen aufgehängt haben.

Ich sagte, daß das Waschen von feinen Dingen eine Kunst sei. Aber nur als Zweck. Die größte aller Künste ist, Männer zu erobern. Liebe ist die Summe aller Künste und die Existenzberechtigung jeder Kunst. Hören Sie mich an! Zu allen Zeiten, in allen Zeitaltern hat es große, kluge Frauen gegeben. Es war nicht nötig, daß sie schön waren. Ihre Klugheit war mehr wert als Frauenschönheit. Die Fürsten und Mächtigen der Erde beugten sich vor ihnen. Völker kämpften, Reiche gingen unter um ihretwillen. Religionen erstanden um sie. Aphrodite, Astarte, Göttinnen der Nacht – hören Sie von ihnen, kleine Frau, hören Sie von den großen Frauen, die Welten von Männern eroberten.«

Und Saxon lauschte voller Verwunderung auf dieses Wirrwarr, dessen seltsamer, zuweilen sinnloser Inhalt mit unklarer, geheimnisvoller Bedeutung geladen war. Es war, als fing sie einen Schimmer von Abgründen, die von unsagbarem, unnennbarem Wissen von gesetzlosen, schrecklichen Dingen erzählten. Die Rede der alten Frau, heiß und brennend, war wie ein Lavastrom, und eine tiefe Röte ergoß sich über Saxons Wangen, Stirn und Hals. Sie zitterte vor Angst, einen Augenblick wurde ihr schlecht und sie glaubte, ohnmächtig zu werden; es war, als ginge ihr Hirn durch. Aber loszureißen vermochte sie sich nicht. Das Nähzeug sank in ihren Schoß, und sie starrte verloren, wie unter einem furchtbaren Alp, vor sich hin. Als sie endlich fühlte, daß sie es nicht mehr ertragen konnte, als sie sich schon die trockenen Lippen befeuchtet hatte, um es herauszuschreien, hielt Mercedes inne.

»Und hier endet die erste Stunde«, sagte sie vollkommen ruhig. Und im selben Augenblick brach sie in ein Lachen aus, das Saxon schmerzte. »Was gibt es? Habe ich Sie erschreckt?«

»Ich fürchte mich«, stammelte Saxon, der die Tränen im Halse saßen. »Sie machen mir bange. Ich bin sehr dumm. Ich weiß so wenig, und ich habe mir nie etwas hiervon träumen lassen.«

Mercedes nickte verständnisvoll.

»Ja, da kann man sich auch fürchten«, sagte sie. »Es ist feierlich; es ist schrecklich; es ist großartig!«

 

Saxon war immer klarsichtig gewesen, wenn ihr Horizont auch begrenzt gewesen war. Klarsichtig war sie gewesen seit den Kinderjahren, die sie bei dem Gastwirt Cady und seiner gutmütigen, aber unmoralischen Frau verbracht hatte, sie hatte vieles beobachtet und später eine gewisse allgemeine Lehre von dem Verhältnis zwischen Mann und Frau daraus gezogen. Sie kannte das Problem, das nach der Ehe entsteht – nämlich: sich die Liebe des Mannes zu bewahren – das nur wenige Frauen, gleichgültig welcher Klasse, kennen, und sie kannte auch das Problem, das der Ehe vorausgeht, das Problem, sich einen Mann zu wählen, wie nur wenige junge Mädchen der arbeitenden Klasse es kannten.

Sie hatte sich auf eigene Faust eine außerordentlich vernünftige Theorie über die Liebe gebildet. Instinktiv und doch halb bewußt hatte sie die Gefahren gemieden, die entstehen, sobald etwas gewohnheitsmäßig und alltäglich wird. Nie hatte Billy sie in den Wochen, die ihre Ehe jetzt dauerte, nachlässig gekleidet oder verdrießlich gesehen. Und sie hatte bewußt dafür gesorgt, daß die Atmosphäre von Kühle, Frische und Gleichgewicht, die über ihr selber lag, sich auch auf das ganze Heim verbreitete. Es hatte ihr auch nicht an Verständnis für den Wert von Begriffen wie Überraschung und Anmut gefehlt. Ihre Phantasie hatte nicht geschlafen, und sie war von der Natur mit Klugheit begnadet. Sie hatte das große Los in der Lotterie gezogen, als sie Billys Liebe gewann, und sie wußte es. Sie wußte, daß er ein starker Liebhaber war, und darauf war sie stolz. Seine Freigebigkeit, sein Wunsch, ihr das Beste von allem zu verschaffen, seine persönliche Sauberkeit und Zuverlässigkeit erhoben ihn weit über das übliche Maß. Er war nie plump. Er begegnete Feingefühl mit Feingefühl, wenn ihr auch einleuchtete, daß die Initiative in allen diesen Punkten immer von ihr ausgehen mußte.

Aber obgleich sie immer eine klare Vorstellung davon gehabt hatte, wie sie sich Billy am besten als Liebhaber bewahren konnte, war es doch ein weit größeres Panorama, das Mercedes Higgins vor ihren Augen aufgerollt hatte. Die alte Frau hatte ihre eigenen Schlüsse bestätigt, hatte ihr neue Ideen geschenkt, hatte alte Vorstellungen bestätigt und sogar mit großer Leidenschaft die traurige Bedeutung des ganzen Problems nachgewiesen. Saxon erinnerte sich vieler Einzelheiten aus dieser wahnsinnigen Predigt. Wenn auch vieles aus Mangel an Erfahrung und Verständnis über sie hinweggegangen war, so erriet und fühlte sie doch vieles, und das half ihr, sich eine noch größere und stärkere Theorie von der Liebe zu bilden.

Mit erneutem Eifer stürzte Saxon sich auf ihre Hausarbeit, ihre hübschen Dinge und alles andere, womit sie Billy gewinnen konnte. Sie machte ihre Einkäufe in dem lebendigen Gefühl, daß es galt, das Beste zu finden, wenn sie auch andererseits die Sparsamkeit nicht aus den Augen ließ. Aus den Sonntagsbeilagen und den Frauenzeitschriften in der Volksbibliothek hatte sie allerhand gelernt, wie sie sich ihre Schönheit bewahren konnte. Sie trieb Gymnastik, und gewisse Stunden des Tages verwandte sie stets zu Gesichtsmassage und ähnlichem, um sich ihre festen runden Linien und frischen Farben zu bewahren. Davon wußte Billy nichts. Diese Toilettengeheimnisse gingen ihn nichts an. Nur die Ergebnisse waren für ihn berechnet.

Sie studierte oft die Schaufenster der Konfektionsgeschäfte in den feineren Stadtteilen und war nicht darüber erhaben, wenn sie irgendeine Kleinigkeit kaufte, die Ladentische mit der handgestickten Wäsche zu untersuchen. Sie hatte sogar eine Zeitlang Pläne, sich handgemaltes Porzellan zu kaufen, gab es aber wieder auf, als sie hörte, wie teuer es war.

Allmählich ersetzte sie die bescheidene Wäsche aus ihrer Jungmädchenzeit durch bessere Stücke, die, wenn auch immer noch bescheiden, doch mit schöner französischer Stickerei, mit Spitzen und Einsätzen versehen waren. Sie häkelte feine Spitze an das billige wollene Unterzeug, das sie im Winter trug. Sie verfertigte kleine Untertaillen und Hemden aus feinem, aber nicht besonders teurem Leinen, und ihre mit kleinen Blumenmustern versehenen und ungewöhnlich schön gewaschenen und geplätteten Nachthemden waren immer hübsch und zierlich. In irgendeiner Zeitschrift hatte sie eine Notiz gelesen, daß französische Damen sich mit entzückenden kleinen Häubchen am Frühstückstisch zeigten. Es machte keinen Unterschied für sie, daß sie in diesem Falle selbst zuerst für das Frühstück sorgen mußte. In größter Eile verschaffte sie sich ein Meter Punktmull und war bald eifrig damit beschäftigt, verschiedene Formen auszuprobieren und ihren kleinen Spitzenvorrat zu untersuchen, um das Brauchbarste zu finden. Das zierliche kleine Ding, das das Ergebnis all dieser Mühe war, erregte den begeisterten Beifall von Mercedes Higgins.

Saxon nähte sich auch einige einfache Hausblusen aus nettem Gingang mit hübschen Umlegekragen, die ihren reizenden runden Hals gut zur Geltung kommen ließen. Eine Arbeit, die Billys Bewunderung erregte, war eine gehäkelte Bettdecke.

Die Monate vergingen in eitel Glück, und sie war nie müßig. Auch Billy wurde nicht vergessen. Als es kalt zu werden begann, strickte sie Pulswärmer für ihn, Pulswärmer, die er gewissenhaft trug, wenn er das Haus verließ, und in die Tasche steckte, sobald er draußen war. Die beiden Sweater, die sie für ihn verfertigte, waren ihm hingegen sehr willkommen und ebenso die Pantoffeln. Sie bestand darauf, daß er sie trug, wenn sie die Abende daheim verbrachten.

Der gesunde, praktische Verstand der Mercedes Higgins kam Saxon im hohen Maße zugute. Sie stand dem ökonomischen Problem gegenüber, in einer Gesellschaft hauszuhalten, wo die Kosten schneller stiegen als der Lohn für ehrliche Arbeit. Und hier erteilte die alte Frau ihr einen so gründlichen Kursus im Einkaufen, daß sie mit einem halben Dollar ebensoweit, ja weiter kam als die andern Frauen der Nachbarschaft mit einem Dollar.

Jeden Sonnabend abend schüttete Billy ihr seinen ganzen Wochenlohn in den Schoß. Er verlangte nie eine Abrechnung von ihr, wiederholte aber immer wieder, daß er noch nie so gut gelebt hätte. Und solange der Wochenlohn noch unangetastet in ihrem Schoß lag, ließ sie ihn gern nehmen, was er in der kommenden Woche brauchte. Und sie forderte ihn nicht nur auf, reichlich zu nehmen, sondern hielt streng darauf, daß er so viel extra nähme, wie er im Laufe der Woche brauchen konnte. Und ebenso streng hielt sie darauf, daß er ihr nicht erzählen durfte, wozu er das Geld brauchte.

»Du hast immer Geld in der Tasche gehabt«, sagte sie, »und daß du dich verheiratet hast, ist kein Grund, daß es anders sein soll. Oh, ich weiß schon, wie Männer sind, wenn sie zusammenkommen. Zuerst traktiert der eine, dann der andere, und das kostet Geld. Wenn du jetzt nicht ebenso flott wie die andern traktieren kannst, ja, dann wirst du gar nicht mehr mitmachen, so gut kenne ich dich doch. Und das würde nicht richtig sein, ich meine, gegen dich. Ich will, daß du mit andern Männern zusammen bist. Das tut Männern gut.«

Und Billy preßte sie an sich und sagte, sie sei das prachtvollste Frauenzimmerchen, das je in einem Paar Schuhe gegangen wäre.

»Ja«, sagte er triumphierend, »nicht nur, daß ich besser esse, besser lebe, ebenso gut wie alle Kameraden auskomme; ich spare auch direkt Geld oder vielmehr, du tust es für mich. Hier sitzen wir in Möbeln, die ich regelmäßig jeden Monat abbezahle, und mit einer kleinen Frau, nach der ich ganz verrückt bin, und obendrein habe ich noch Geld auf der Sparkasse. Wieviel ist es jetzt?«

»Zweiundsechzig Dollar«, sagte sie. »Das ist ein sehr hübscher kleiner Notgroschen. Du könntest ja krank werden oder zu Schaden kommen oder sonst etwas.«

Eines Tages im Winter kam Billy heim und begann, mit sichtlicher Anstrengung mit Saxon von Geld zu sprechen. Sein alter Freund Billy Murphy hatte Influenza, und eins seiner Kinder war beim Spielen auf der Straße von einem Wagen überfahren worden. Das Kind war schlimm zugerichtet, und Murphy, der immer noch schwach von zweimonatigem Krankenlager war, hatte Billy gebeten, ihm fünfzig Dollar zu leihen.

»Das Geld ist ganz sicher«, schloß er. »Ich kenne ihn, seit wir zur Schule gingen. Er ist der ehrlichste Mensch von der Welt.«

»Das hat nichts damit zu tun«, sagte Saxon vorwurfsvoll. »Wenn du unverheiratet wärest, würdest du es ihm doch gleich geliehen haben?«

Billy nickte.

»Dann kann es nicht anders sein, weil du verheiratet bist. Es ist dein Geld, Billy.«

»Es ist, weiß Gott, nicht mein Geld!« rief er. »Es ist unseres! Und ich könnte mir nicht denken, jemand etwas davon zu geben, ohne erst mit dir darüber gesprochen zu haben.«

»Das hast du ihm doch hoffentlich nicht gesagt?« rief sie erschrocken.

»Nein«, lachte Billy. »Ich wußte ja gut, daß du wütend werden würdest, wenn ich das täte. Ich sagte, ich wollte nachrechnen, ob es sich machen ließe. Nun, ich war übrigens sicher, daß du das Geld geben würdest, wenn du es hättest.«

»Ach, Billy«, sagte sie leise, mit einem tiefen, zärtlichen Klang in der Stimme. »Du weißt es vielleicht selber nicht, aber das ist mit das Schönste, was du mir gesagt hast, seit wir verheiratet sind.«

Je mehr Saxon mit Mercedes Higgins zusammenkam, desto weniger verstand sie sie. Daß diese Frau furchtbar geizig war, das zu entdecken, brauchte sie nicht lange. Und sie konnte diesen Zug nicht recht mit all ihren Geschichten von den Reichtümern, die sie verschwendet hatte, zusammenreimen. Andererseits war sie ganz verblüfft über Mercedes' Verschwendung in allem, was ihre eigene Person betraf. Ihre, selbstverständlich mit der Hand genähte Wäsche war sehr kostbar. Das Essen, das sie Barry vorsetzte, war gut, aber das Essen, das sie sich selber vorsetzte, unvergleichlich besser. Und dennoch stand beides zusammen auf dem Tisch. Während Barry mit gewöhnlichem Ochsenfleisch vorliebnahm, aß Mercedes nur Mürbebraten. Gab es ein mächtiges zähes Hammelkotelett für Barry, so aß Mercedes selbst winzige kleine französische Koteletts. Der Tee wurde in verschiedenen Töpfen bereitet. Während Barry Tee für fünfundzwanzig Cent das Pfund aus einem großen, schweren Topf trank, bekam Mercedes Tee, der drei Dollar das Pfund gekostet hatte, und sie trank ihn aus einer winzigen Teetasse, so zerbrechlich wie eine Eierschale. Ebenso wurde sein Kaffee zu fünfundzwanzig Cent mit Milch gemischt, ihr eigener echter Mokka zu achtzig Cent hingegen mit Sahne.

»Das ist gut genug für den Alten«, sagte sie zu Saxon. »Er kennt es nicht besser, und es wäre ein Jammer, Gottes Gaben an ihn zu verschwenden.«

Die beiden Frauen begannen allmählich Geschäfte miteinander zu machen. Als Mercedes Saxon die Kunst gelehrt hatte, sich auf der Ukulélé zu begleiten, was namentlich ein geschmeidiges Handgelenk erfordert, schlug sie ihr einen Tauschhandel vor. Die Zeit sei vorbei, daß sie sich etwas aus derlei Dummheiten mache, und sie bot Saxon das Instrument im Tausch gegen ein Morgenhäubchen an, das sie so bewunderte.

»Sie ist immerhin einige Dollar wert«, sagte Mercedes. »Sie hat mich selbst zwanzig gekostet, aber das ist natürlich einige Jahre her. Aber sie ist immer noch so viel wert wie ein Morgenhäubchen.«

»Aber geht das Morgenhäubchen nicht auch unter dem Begriff Dummheiten?« fragte Saxon, obgleich sie mit dem Tausch sehr zufrieden war.

»Es ist nicht für meine eigenen grauen Locken«, erklärte Mercedes offen. »Ich verkaufe es und bekomme Geld dafür. Viele von den Dingen, die ich verfertige, wenn die Gicht meine Finger nicht untauglich macht, verkaufe ich. La la, mein Kind, für Barrys fünfzig Dollar monatlich kann ich mir nicht alle teuren Gewohnheiten leisten. Den Rest verschaffe ich mir selber. Und alte Leute brauchen Geld für Dinge, von denen junge Menschen keine Ahnung haben.«

»Ich bin mit dem Tausch sehr einverstanden«, sagte Saxon, »und ich kann mir ja, wenn ich mir Geld für das Material gespart habe, ein neues Häubchen machen.«

»Machen Sie gleich mehrere«, riet Mercedes. »Ich verkaufe sie für Sie – natürlich gegen eine kleine Provision für meine Mühe. Ich kann Ihnen sechs Dollar für jedes geben. Wir können ja immer noch darüber reden. Für das, was Sie an dem Geschäft verdienen, können Sie sich Material für ihr eigenes verschaffen und noch etwas dazu.«

* * *

 


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