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Es kam die Lattenkiste. Da Del Mar sie in den Gepäckraum brachte, hegte Michael Verdacht gegen sie. Eine Minute später wurde sein Verdacht bestätigt. Del Mar forderte ihn auf, in die Lattenkiste zu gehen, aber er weigerte sich. Mit einem schnellen, gewandten Griff in das Halsband hinten am Halse erschütterte Del Mar seine Stellung und schleuderte ihn hinein, oder vielmehr fast hinein, denn es glückte Michael, seine Vorderpfoten auf den Rand der Packkiste zu pflanzen. Der Tierbändiger verlor keine Zeit. Mit der freien Faust schlug er zweimal auf Michaels Pfoten. Und in seinem Schmerz ließ Michael seinen Halt fahren. Im nächsten Augenblick war er hineingeschleudert, fletschte die Zähne vor Zorn und Wut und warf sich gleichzeitig gegen die Latten, während Del Mar die feste Tür abschloß.

Dann wurde die Lattenkiste hinausgeschafft und mit einer Anzahl Koffer auf einen Expreßwagen geladen. Del Mar war verschwunden, und die beiden Männer in dem Wagen, der jetzt über das Pflaster donnerte, waren Michael fremd. Es war gerade soviel Platz in der Kiste, daß Michael aufrecht zu stehen vermochte, wenn er auch den Kopf nur bis zur Schulterhöhe heben konnte. Und wie er so dastand, den Kopf gegen den Kistendeckel gepreßt, geriet der Wagen in ein Gleis auf der Straße und rumpelte so stark mit seinem Inhalt, daß Michael sich heftig den Kopf stieß.

Die Kiste war nicht ganz so lang wie Michael, so daß er gezwungen war, das Ende seiner Schnauze gegen die Kistenwand zu pressen. Ein Automobil kam aus einer Seitenstraße, und der Kutscher mußte unvermittelt anhalten und die Bremse gebrauchen. Dadurch wurde Michaels Körper nach vorn geschleudert. Er wurde durch keine Bremse aufgehalten, wenn man nicht seine weiche Schnauze als Bremse betrachtet, denn sie fing den Stoß auf.

Auf dem beschränkten Platz versuchte er, sich niederzulegen, und fühlte sich besser dabei, obwohl seine Lippen bis aufs Blut zerschnitten waren, weil sie so hart gegen seine Zähne gepreßt worden waren. Aber das Schlimmste sollte noch kommen. Eine seiner Pfoten glitt durch die Latten hindurch und blieb auf dem Boden des Wagens liegen, wo die Koffer pfiffen, kreischten und hüpften. Wieder geriet der Wagen in eine Schiene, und der zunächstliegende Koffer stellte sich hochkant, ruschte herunter und fiel gerade auf Michaels Pfote. Das geschah so unerwartet und quetschte ihn so heftig, daß er bellte und die Pfote instinktiv mit aller Kraft zurückzog. Dadurch verrenkte er sich die Schulter und fügte einen neuen Schmerz zu dem, den er bereits in der eingeklemmten Pfote fühlte.

Ein blinder Schrecken überkam Michael, ein Schrecken, der tief in allen Tieren und selbst im Menschen steckt – der Schrecken vor der Falle. Vollkommen außer sich, warf er sich wie wahnsinnig vor und zurück, straffte die Sehnen und Muskeln an Schultern und Beinen und beschädigte dadurch den eingeklemmten Fuß noch mehr. In seiner Qual griff er sogar die Latte mit seinen Zähnen an, um das Ungeheuer draußen, das ihn hielt und nicht mehr loslassen wollte, zu packen. Eine neue Schiene rettete ihn indessen, indem sie den Koffer gerade so weit hochwippte, daß es dem Hunde gelang, mit einer gewaltsamen Anstrengung den Fuß an sich zu ziehen.

Auf dem Bahnhof ging der Träger so nachlässig mit der Lattenkiste um, daß sie ihm halb aus den Händen glitt, sich seitwärts überschlug und erst gegriffen wurde, als sie schon an den Knien des Mannes vorbeigeglitten war, aber noch nicht den Zementboden erreicht hatte.

»Hu!« sagte Del Mar kurz darauf zu Michael, als er auf den Bahnsteig kam, wo die Lattenkiste mit anderm Gepäck, das mit dem Zuge fort sollte, auf einem Blockwagen aufgestapelt war. »Der Fuß ist kaputt. Schön, das wird dich lehren, die Füße drinnen zu halten.«

»Die Kralle ist hin«, sagte einer von den Gepäckträgern.

Del Mar bückte sich, um eine genauere Untersuchung anzustellen. »Der ganze Zeh auch«, sagte er, zog sein Taschenmesser heraus und klappte es auf. »Das ist sofort gemacht, wenn Sie mir behilflich sein wollen.« Er öffnete die Kiste und zog Michael mit dem gewöhnlichen Würgegriff am Hals heraus.

Michael drehte und wand sich und schlug mit beiden Pfoten, der verwundeten und unverwundeten, um sich, was seinen Schmerz noch vermehrte.

»Halten Sie das Bein hoch«, befahl Del Mar. »Er tut nichts, wenn man ihn so gepackt hat. Es dauert nur eine Sekunde.«

Es dauerte auch nicht länger. »Als der wütende Michael sich wieder in der Kiste befand, fehlte an der Zahl der Zehen, mit denen er zur Welt gekommen war, eine. Er blutete stark nach der rohen, aber wirksamen Operation und leckte sich die Wunde, von bangen Ahnungen erfüllt, daß irgendein furchtbares Schicksal – er wußte nicht, welches – seiner wartete und nicht mehr fern war. Noch nie war er in seinem Zusammenleben mit den Menschen so behandelt worden, und die Einsperrung im Korbe begann ihn wahnsinnig zu machen, weil sie ihm das Gefühl einflößte, in einer Falle gefangen zu sein. In einer Falle gefangen war er ja auch, und hilflos dazu, und das letzte Unglück des Lebens mußte Steward getroffen haben, der offenbar von dem Nichts verschlungen war, das Meringe, die Eugénie, die Makambo, Australien und die Mary Turner verschlungen hatte.

Plötzlich ertönte ein Stückchen weiter ein tollhausartiger Spektakel, der Michael in Erwartung neuen Ungemachs die Ohren spitzen ließ, daß sich ihm die Haare sträubten. Es war ein wirres Gemisch von Heulen, Kläffen und Bellen vieler Hunde.

»Herrgott – das sind die verfluchten Zirkushunde«, brummte der Oberträger seinem Kameraden zu. »Das ist doch zu arg.« »Es ist Petersons Truppe«, sagte der andere. »Ich hatte Dienst, als sie vorige Woche kamen. Einer von ihnen lag tot in seiner Kiste, und es sah sehr danach aus, daß er zu Tode geprügelt worden war.«

Der Lärm wuchs, als die Tiere von den Wagen auf den Blockwagen geschafft wurden, und als der Blockwagen vorrollte und neben dem Michaels stehenblieb, sah er, daß Kisten mit eingesperrten Hunden darauf aufgestapelt waren. Es waren fünfunddreißig Hunde aller Arten und Rassen, meistens aber gewöhnliche Köter, und daß sie alles eher als glücklich waren, ging aus ihrem Benehmen deutlich hervor. Einige heulten, einige winselten, andere knurrten und wüteten gegeneinander durch die Latten, und viele hatten sich stumm in ihr Elend ergeben. Mehrere leckten sich ihre zerquetschten Füße. Kleinere Hunde, die nicht so kampflustig waren, hatte man zu mehreren in einer Kiste zusammengepfercht. Ein halbes Dutzend Windhunde war in einer größeren Kiste verstaut, die aber bei weitem nicht groß genug war.

»Das sind die Springhunde«, sagte der Oberträger. »Aber sieh, wie sie zusammengequetscht sind. Peterson will nicht mehr Fracht bezahlen, als gerade notwendig ist. Sie haben nicht Platz genug, um aufzustehen. Es muß die reine Hölle für sie sein.«

Diese Hunde waren Gefangene auf Lebenszeit. Nur wenn sie auftreten sollten, wurden sie aus ihren Käfigen genommen. Es lohnte sich geschäftlich nicht, gute Pflege für sie zu opfern. Da diese Köter nicht viel Geld kosteten, war es billiger, sie, wenn sie starben, durch neue zu ersetzen, als sie so gut zu pflegen, daß sie nicht starben.

Unter diesen fünfunddreißig Hunden befand sich nicht ein einziger Überlebender von der Truppe, mit der Peterson vor vier Jahren angefangen hatte. Keiner der ursprünglichen Hunde war ausrangiert worden; sie waren alle gestorben. Von alledem wußte Michael ebensowenig wie der Träger. Das einzige, was er wußte, war, daß hier Heulen und Zähneklappern herrschten, und daß er zu demselben Schicksal bestimmt schien.

Als die Hunde unter verstärktem Heulen und Kläffen in den Güterwagen geladen worden waren, wurde Michaels Käfig mitten auf die anderen gestellt. Und einen Tag und fast zwei Nächte blieb er in dieser Hölle, während sie nach Osten reisten, dann wurden die anderen in irgendeiner großen Stadt ausgeladen, und Michael setzte die Reise unter ruhigeren, angenehmeren Verhältnissen fort.

Er nahm das alles als ein Unglück und Elend hin, war aber ebensowenig imstande, dies Unglück zu erklären wie die Verletzung seiner Pfote. Derlei kam eben vor. Das war das Leben, und das Leben enthielt viel Unglück. Ein Warum an die Dinge zu knüpfen, fiel ihm nie ein. Was war, das war eben. Wasser war naß, Feuer heiß, Eisen hart, Fleisch gut. Er nahm diese Dinge ganz einfach hin, wie er das ewige Wunder von Licht und Dunkelheit hinnahm, das in seinen Augen kein größeres Wunder war als sein eigener rauhhaariger Pelz, sein klopfendes Herz oder sein denkendes Hirn.

In Chikago wurde er auf einen Blockwagen geladen, durch die lärmenden Straßen der großen Stadt gefahren und in einem anderen Güterwagen verstaut, der schnell die Reise nach Osten fortsetzte. Das bedeutete wieder mehrere fremde Männer, die mit dem Gepäck hantierten, und dasselbe wiederholte sich in New York, wo er vom Gepäckraum der Eisenbahn in einen Expreßwagen geschafft und, immer noch als Gefangener in einer Kiste, nach Long Island geschickt wurde.

Hier gab es einen gewissen Harris Collins und die Tierhölle, in der er herrschte. Aber ein weniger wichtiges Ereignis soll zuerst erzählt werden. Michael sah Harry Del Mar nicht wieder. Wie die anderen Menschen, die er gekannt, aus seinem Leben gegangen waren, so verließ auch Harry Del Mar sowohl Michaels Bereich wie das Leben selbst. Ein Zusammenstoß der Hochbahn, und Harry Del Mar war verschwunden in dem Nichts, das die Menschen Tod nennen.

 

Harris Collins war zweiundfünfzig Jahre alt. Er war schlank und behende und seinem Aussehen und Auftreten nach so sanft und mild, daß er fast einen weibischen Eindruck machte. Man hätte ihn für den Vorsteher einer Mädchenschule oder Vorsitzenden eines Wohltätigkeitsvereins halten können.

Er hatte einen rosigen Teint, Hände, so weich wie die seiner Töchter, und wog hundertundzwölf Pfund. Er fürchtete sich vor seiner Frau, vor einem Schutzmann, vor physischer Gewalt und lebte in einer ständigen Angst vor Einbrechern. Das einzige, was er nicht fürchtete, waren wilde Tiere, wie Löwen, Tiger, Leoparden und Jaguare. Er kannte sein Geschäft und konnte den widerspenstigen Löwen mit einem Besenstiel bezwingen – im verschlossenen Käfig.

Seinen Beruf hatte er von seinem Vater gelernt. Dieser, Noel Collins, war ein erfolgreicher Tierbändiger in England gewesen, dann nach Amerika ausgewandert, und hier hatte er die große Dressurschule in Cedarwild gegründet, die von seinem Sohn später ausgebaut wurde. Harris Collins hatte auf der von seinem Vater gelegten Grundlage so gut weiter gebaut, daß sein Unternehmen als mustergültig in bezug auf sanitäre Verhältnisse und Humanität betrachtet wurde. Das bezeugten viele Besucher, die von der milden, reinen Atmosphäre der Anstalt begeistert waren. Sie sahen indessen nie die wirkliche Dressur. Gelegentlich wurde eine Vorstellung abgerichteter Tiere gegeben, die all ihre freundlichen Eindrücke von der Schule bestätigte. Hätten sie aber die Dressur der ungeübten Anfänger gesehen, so würden sie anders gedacht haben. Möglicherweise hätte es Spektakel gegeben. Die Anstalt war ein zoologischer Garten mit freiem Eintritt; denn außer den Tieren, die Harris Collins gehörten und die er dressierte, kaufte und verkaufte, bestand das Geschäft zu einem großen Teil darin, dressierte Tiere und Tiertruppen für ihre Besitzer, wenn sie kein Engagement hatten, in Pension zu nehmen. Von Mäusen und Ratten bis zu Kamelen und Elefanten, ja, hin und wieder sogar bis zu Nashörnern oder einem Paar Flußpferden, konnte er auf Wunsch jedes beliebige Tier liefern.

Die Tierbändiger des ganzen Landes erkannten ihn nicht allein als den reichsten in ihrem Fach an, sondern als den König der Dresseure und als den mutigsten Mann, der je seine Füße in einen Käfig gesetzt hatte. Und wer ihn bei der Arbeit gesehen, schwor darauf, daß er keine Seele hatte. Seine Frau und seine Kinder aber und der kleine Kreis, der seinen täglichen Umgang ausmachte, waren anderer Meinung. Da sie ihn nie bei der Arbeit gesehen hatten, waren sie überzeugt, daß nie ein edlerer Mann mit einem mutigeren Herzen gelebt hatte. Seine Stimme war leise und sanft, seine Handbewegungen waren so abgerundet, seine Anschauungen von Leben, Welt, Religion und Politik die denkbar mildesten. Ein freundliches Wort brachte ihn zum Schmelzen. Eine Entschuldigung besiegte ihn. Er gab allen Wohltätigkeitsanstalten der Stadt und war eine ganze Woche tief niedergeschlagen, als die Titanic unterging.

Seine Kinder liebte er so, daß er ihnen verbot, je seiner Arbeit beizuwohnen. Er hatte Höheres mit ihnen im Sinne. John, der Älteste, besuchte die Yale-Universität. Er wollte Wissenschaftler werden, hielt sich sein eigenes Auto und lebte auf entsprechendem Fuße in der Universitätsstadt New Haven. Harald und Friedrich besuchten eine Akademie für Millionärssöhne in Pennsylvanien, und Clarence, der Jüngste, befand sich auf einer Vorbereitungsschule in Massachusetts und schwankte noch, ob er Arzt oder Flieger werden sollte. Seine drei Töchter ließ er zu feinen Damen erziehen. Elsie sollte in allernächster Zeit ihr Examen an der Vassar-Universität machen. Mary und Madeleine, die Zwillinge waren, bereiteten sich an einem der feinsten und teuersten Seminarien für die Universität vor. Alles das kostete Geld, worüber Harris Collins nicht murrte, obwohl es seine Dressurschule stark in Anspruch nahm. Er mußte schwer arbeiten, obwohl seine Familie in dem Glauben lebte, daß er kraft seiner überlegenen Klugheit nur die Oberleitung hatte, und sie wären tief erschüttert gewesen, hätten sie ihn, eine Keule in der Hand, vierzig aufgeregte und unlenksame Köter bei der Dressur prügeln sehen.

Ein großer Teil der Arbeit wurde von seinen Gehilfen geleistet, aber Harris Collins unterwies sie beständig, und wenn es sich um wichtigere Tiere handelte, tat er die Arbeit selbst und ging ihnen mit gutem Beispiel voran. Seine Gehilfen waren ausnahmslos junge Menschen, die er mit scharfem Blick, rein intuitiv auf Erziehungsanstalten ausgewählt hatte. Er verlangte nichts von ihnen, als daß sie sich ihm unterordneten und Klugheit und Gefühllosigkeit zeigten, aber die Vereinigung dieser Eigenschaften mußte natürlich Grausamkeit ergeben. Heißes Blut, edles Denken und Empfindsamkeit paßten nicht zu seinem Geschäft, und die Cedarwild-Tierschule war von A bis Z Geschäft. Kurz, Harris Collins brachte alles in allem größeres Elend und größere Leiden über die Tiere als alle Vivisektionslaboratorien der ganzen Christenheit.

Und in diese Tierhölle stieg Michael hinab – nachdem er eine Strecke von dreitausendfünfhundert Meilen in einer Kiste transportiert worden war. Nicht ein einziges Mal war er während der Reise aus der Kiste herausgekommen, und er war daher schmutzig und verzweifelt. Dank seiner gesunden Natur heilte die Wunde an dem amputierten Zeh normal. Aber er klebte vor Schmutz und wimmelte von Flöhen.

Äußerlich war Cedarwild alles eher als eine Hölle. Samtartige Rasenflächen, kiesbestreute Gänge und Fahrwege führten zwischen künstlerisch angelegten Blumenbeeten hindurch zu einem Komplex langer, niedriger Gebäude, von denen einige aus Fachwerk, andere aus Beton erbaut waren. Aber Michael wurde nicht von Harris Collins empfangen, der in diesem Augenblick gerade mit Harry Del Mars Telegramm vor sich auf dem Schreibtisch in seinem Privatkontor saß und im Begriff war, seinem Sekretär eine Anfrage an die Eisenbahn und die Expreßgesellschaft zu diktieren, wo der Hund blieb, den Harry Del Mar in einer Lattenkiste nach Cedarwild geschickt hätte. Ein helläugiger achtzehnjähriger Bursche nahm Michael in Empfang, quittierte für ihn und trug seine Kiste in einen gemauerten Raum mit schrägem Fußboden, wo es ekelhaft nach Desinfektionsmitteln roch.

Die neue Umgebung machte Eindruck auf Michael, aber er fühlte sich nicht von dem jungen Burschen angezogen, der sich die Ärmel aufkrempelte und eine große Wachstuchschürze vorband, ehe er die Kiste öffnete. Michael sprang heraus und schwankte auf seinen armen Beinen, die er mehrere Tage nicht bewegt hatte. Dieser besondere zweibeinige Gott war uninteressant. Er war so kalt wie der Zementboden, so methodisch wie eine Maschine, und ganz wie eine Maschine begann er, Michael zu waschen, zu schrubben und zu desinfizieren. Denn Harris Collins war in bezug auf die Behandlung der Tiere ein Anhänger wissenschaftlicher und antiseptischer Methoden, und Michael wurde nach allen Regeln der Wissenschaft gesäubert, ohne überlegte Härte, aber auch ohne eine Spur von Freundlichkeit und Rücksicht.

Natürlich verstand er nichts davon. Obwohl er aber weder Henkersknechte noch Folterkammern kannte, hatte er nach alledem doch das Gefühl, daß dieser nackte, zementierte, nach Chemikalien duftende Raum vielleicht der Schauplatz für die letzte Katastrophe seines Lebens werden, und daß dieser junge Bursche der Gott sein sollte, der ihn in das Dunkel schickte, das alle, die er gekannt und geliebt, verschlungen hatte. Was Michael aber jedenfalls verstand, war, daß dies alles kalt, unheilverkündend und erschreckend seltsam war. Er fand sich darein, daß die Hand des jungen Gottes ihn am Nacken faßte, nachdem das Halsband abgenommen war; als er aber die Spritze auf ihn richtete, wurde er zornig und leistete Widerstand. Der junge Mann, der ausschließlich nach den erhaltenen Anweisungen arbeitete, packte Michaels Fell am Halse fester und hob ihn vom Boden auf, während er gleichzeitig mit der anderen Hand den Wasserstrahl mit voller Kraft in sein Maul lenkte. Michael wehrte sich und wurde zum Lohn für alle seine Anstrengungen fast ertränkt, bis er, halb erstickt, hilflos nach Luft schnappte. Nach dieser Behandlung leistete er keinen Widerstand mehr und wurde gewaschen, geschrubbt und gesäubert mit der Spritze, einer großen harten Bürste und einer reichlichen Menge Karbolseife, deren brennender Schaum ihm in Augen und Nase kam und ihn weinen und heftig niesen ließ. Ängstlich, was der nächste Augenblick bringen würde, aber doch klar darüber, daß der junge Mann weder gut noch schlecht war, ließ sich Michael weiter ohne Widerstand behandeln, bis er sauber und neubelebt in einen angenehmen, sauberen Stall gebracht wurde, wo er schlief und für eine Weile vergessen wurde. Es war das Hospital oder die Quarantäneabteilung, und hier verbrachte er eine Woche, in der nichts geschah, als daß er regelmäßiges und gutes Futter und reines Wasser erhielt und vollkommen von jeder Verbindung mit allem Leben abgeschnitten war, abgesehen von dem jungen Gott, der ihn wie ein Automat versorgte.

Michael hatte Harris Collins noch nicht gesehen, wohl aber seine Stimme, die nicht laut, aber sehr gebieterisch war, oft aus der Ferne gehört. Daß der, dem diese Stimme gehörte, ein hochstehender Gott war, verstand Michael sofort, als er sie hörte. Sie war gewohnt zu befehlen.

 

Es war gegen elf Uhr vormittags, als der blasse junge Gott Michael mit Halsband und Leine versah, ihn zur Quarantäneabteilung hinausführte und einem dunklen jungen Gott übergab. Als Gefangener an einer Leine traf Michael unterwegs andere Gefangene, die in derselben Richtung wie er selber gingen. Er hatte nie ihresgleichen gesehen. Es waren drei schlurfende, schlendernde, ungeheure Bären, und bei ihrem Anblick sträubten sich Michael die Haare, und er stieß ein ganz leises Knurren aus, denn er erkannte sie instinktiv als uralte Feinde aus der Wildnis. Aber er hatte zuviel gesehen und war zu vernünftig, um sie anzugreifen. Statt dessen folgte er seinem Wächtergott an der Leine, auf steifen Beinen und äußerst vorsichtig, während er gierig den merkwürdigen Geruch der Tiere einschnupperte. Viele Gerüche füllten seine Nüstern. Wenn er auch nicht durch die Wände sehen konnte, so witterte er doch Gerüche, die er später wiedererkannte, und zwar als die Witterung von Löwen, Leoparden, Affen, Pavianen sowie von Seehunden und Seelöwen. Alles das bewirkte, daß er wach, gleichzeitig aber auch sehr vorsichtig wurde. Es war, als ginge er durch einen neuen, mit Ungeheuern bevölkerten Dschungel, dessen Wege und Bewohner er nicht kannte.

Als er die Manege betreten sollte, wollte er, noch steifbeiniger als zuvor, seitwärts ausbrechen, die Haare sträubten sich ihm auf Hals und Rücken, und er knurrte leise und tief in der Kehle. Denn aus der Manege kamen fünf Elefanten, kleine Elefanten, aber ihm erschienen sie wie die größten Ungeheuer und konnten seiner Meinung nach nur mit der Walkuh verglichen werden, die er flüchtig auf dem Wasser gesehen hatte, als sie die Mary Turner vernichtete. Die Elefanten nahmen jedoch keine Notiz von ihm. Sie gingen, jeder den Rüssel am Schwanz des Vorangehenden, wie sie es gelernt hatten, wenn sie zum Schluß abmarschieren sollten. Er kam in die Manege, die Bären dicht hinter ihm.

Es war ein mit Sägespänen bestreuter Kreis von der Größe einer Zirkusmanege, in einem quadratischen, mit einem Glasdach überdeckten Gebäude. Aber es gab keine Sitzgelegenheiten, da keine Zuschauer geduldet wurden. Nur Harris Collins und seine Gehilfen sowie Käufer und Verkäufer von Tieren und Fachleute durften zusehen, wie die Tiere gequält wurden, wenn sie Kunststücke lernten, die das Publikum vor Staunen und Lachen stumm machen sollten. Michael vergaß die Bären, die schnell auf der entgegengesetzten Seite des Kreises an die Arbeit gestellt wurden. Einige Männer, die starke, buntbemalte Fässer anrollten, welche, ohne zu zerbrechen, die Elefanten tragen konnten, nahmen für einen Augenblick seine Aufmerksamkeit in Anspruch. Als sein Wächter dann einen Augenblick stehenblieb, betrachtete er mit großem Interesse ein falbes Shetland-Pony. Es lag auf dem Boden. Ein Mann saß auf ihm. Und immer wieder hob es den Kopf von den Sägespänen und küßte den Mann. Das war alles, was Michael sah, aber dennoch fühlte er, daß etwas dabei nicht stimmte. Er wußte nicht, wieso, hatte keinen Anhaltspunkt, aber er spürte, daß Grausamkeit, Herrschsucht und Falschheit dahintersteckten. Was er nicht sah, war die lange Nadel in der Hand des Mannes. Jedesmal, wenn er das Pony in die Schulter stach, hob es vor Schmerz mit einer Reflexbewegung den Kopf, und der Mann begegnete schnell dem Maul des Ponys mit seinem Munde. Ein Zuschauerkreis hätte den Eindruck gehabt, daß das Pony auf diese Weise seine Liebe zu seinem Herrn ausdrücken wollte.

Kaum zehn Schritt weiter benahm sich ein anderes Shetland-Pony, ein kohlschwarzes, ebenso merkwürdig, wie es behandelt wurde. An seine Vorderbeine waren Leinen gebunden, deren jede von einem Gehilfen gehalten wurde, der kräftig daran zog, während ein dritter Mann, vor dem Pony stehend, es mit einer kurzen steifen Peitsche aus spanischem Rohr über die Knie schlug, worauf das Pony vor dem Mann mit der Peitsche in den Sägespänen niederkniete. Dem Pony war das nicht angenehm, zuweilen widersetzte es sich mit gespreizten Beinen und gespannten Muskeln so gut, daß es dem Zerren an den Leinen widerstand, dann aber wurde es seitwärts geschwungen, daß es schwer niederfiel und erst wieder aufstehen konnte, wenn die straffen Leinen gelockert wurden. Und immer wieder wurde es mit Hilfe der Leinen auf die Knie geworfen, Angesicht zu Angesicht mit dem Mann, der es mit der Peitsche schlug. Es lernte auf diese Weise knien, was stets das Publikum erfreut, das nur die Ergebnisse des Unterrichts sieht, sich aber nie träumen läßt, auf welche Weise der Unterricht erfolgt. Kurz, diese Tierschule von Cedarwild war eine Schule des Leidens.

Harris Collins nickte den braunen, jungen Gott zu sich heran und betrachtete Michael untersuchend und abschätzend.

»Del Mars Hund, Herr Collins«, sagte der Führer.

Collins Augen leuchteten auf, und er sah sich Michael genauer an.

»Weißt du, was er kann?« fragte er.

Der junge Bursche schüttelte den Kopf.

»Harry war ein gerissener alter Junge«, fuhr Collins fort, offenbar zu dem jungen Gott gewandt, aber doch mehr für sich – er war gewohnt, laut zu denken. »Er schrieb, der Hund wäre eine Glanznummer. Aber was kann er? Das ist die Frage. Der arme Harry ist weg, und wir wissen nicht, was das Vieh kann. – Mach' die Leine los.«

Als Michael losgebunden war, sah er den Obergott an und wartete, was geschehen würde. Der durch die Manege dringende Schmerzensschrei eines der Bären gab ihm eine Ahnung dessen, was er zu erwarten hatte.

»Hierher«, kommandierte Collins in seinem kalten, harten Ton.

Michael ging hin und stellte sich vor ihm auf.

»Hinlegen!«

Michael legte sich, tat es aber langsam und mit deutlichem Unwillen.

»Verdammt vollblütig«, höhnte Collins. »Magst die Glieder nicht gern schmieren, was? Schön, das kriegen wir schon. Aufstehen! – Hinlegen! – Aufstehen! – Hinlegen! – Aufstehen! – Hinlegen!«

Seine Befehle kamen abgerissen wie Revolverschüsse oder Peitschenknallen, und Michael gehorchte wie zuvor auf seine langsame, unwillige Art.

»Englisch versteht er jedenfalls«, sagte Collins. »Gott weiß, ob er einen doppelten Salto machen kann«, fügte er hinzu und drückte mit diesen Worten den goldenen Traum aller Hundedresseure aus. »Legt ihm die Leinen an. – Komm her, Jimmy. Noch eine Leine.« Ein anderer junger Schüler der Reformschule gehorchte und schnallte Michael einen Gurt, an dem eine dünne Leine befestigt war, um die Lenden.

»Strafft die Leinen«, befahl Collins. »Fertig? Los!«

Und Michael wurde jetzt ein Gegenstand der erstaunlichsten, verblüffendsten und gemeinsten Behandlung. Auf den Befehl »Los!« wurde die Leine an seinem Halsband angeruckt, wodurch er hochflog, während gleichzeitig die Leine um sein Hinterteil ihn vor- und hochzog und der kurze steife Stock in Collins Hand ihn unter die Schnauze traf. Hätte er das Manöver gekannt, so würde er sich wenigstens einen Teil des Schmerzes erspart haben, indem er hochgesprungen wäre und sich rücklings in die Luft geworfen hätte. Jetzt hatte er das Gefühl, als würde er in Stücke gerissen, und der Schlag unter die Schnauze betäubte ihn fast. Er wirbelte heftig durch die Luft und schlug mit dem Hinterkopf voran in die Sägespäne.

Wütend, mit gesträubten Nackenhaaren, flog er hoch, knurrend und mit gefletschten Zähnen, bereit zu beißen, und er hätte seine Zähne auch in das Fleisch des Obergottes gebohrt, wäre er nicht das Opfer tückischer Kniffe gewesen. Die zwei jungen Burschen wußten, was sie zu tun hatten. Der eine straffte die Leine vorn, der andere hinten, und Michael knurrte, und seine Haare sträubten sich in ohnmächtiger Wut. Er konnte nichts tun, weder vor- noch zurückgehen oder sich seitwärts werfen. Er konnte weder den jungen Mann hinter ihm, noch den vor ihm oder Collins angreifen, der, wie Michael deutlich merkte, der Urheber all dieser Bosheit und Pein war.

Michaels Zorn war ebenso groß wie seine Hilflosigkeit. Er konnte nichts tun, als seine Wut mit gesträubten Haaren an seinen Stimmbändern auslassen. Für Collins aber war dies ein wohlbekanntes, ermüdendes Erlebnis.

»Ach, du Vollblut«, höhnte er Michael. »Lockert die Leine! Los!« Im selben Augenblick, als die Leine gelockert wurde, flog Michael auf Collins los, der aber trat zurück und versetzte ihm einen Tritt unters Kinn, daß er rücklings in die Sägespäne flog.

»Halt!« kommandierte Collins. »Strafft seine Leinen!« Und die beiden jungen Burschen, die jeder nach einer Seite an den Leinen zogen, hielten ihn rettungslos fest.

»Ich glaube, er hat noch nie einen Salto geschlagen«, meinte Collins, der für einen Augenblick zu dem Problem Michael zurückkehrte. »Nimm deine Leine ab, Jimmy. Geh hinüber und hilf Smith. – Johnny, halt ihn ein bißchen auf der Seite und achte auf deine Beine.«

Er zog Del Mars Telegramm aus der Tasche, las es wieder und warf zwischendurch ab und zu einen Blick auf Michael. »Del Mar war fabelhaft«, sagte er zu Johnny, der Michael an der Leine hielt. »Wenn er mir telegraphierte, daß ich seine Hunde verkaufen sollte, so bedeutete das, daß er eine bessere Nummer hatte, und hier ist nur ein einziger Hund, der die ganze Nummer repräsentiert, und dazu ein Vollblut. Aber worin in Gottes Namen besteht denn die Nummer? Er hat nie in seinem Leben einen Salto gemacht, und noch weniger einen doppelten, was meinst du, Johnny? Denk' nach!«

»Vielleicht kann er zählen«, meinte Johnny.

»Mit Hunden, die zählen können, ist der Markt schon überfüllt, na, aber wir können ja mal versuchen.«

Aber Michael, der ohne einen Irrtum zählen konnte, weigerte sich, eine Probe seiner Kunst zu geben.

»Wenn er ein ordentlicher Hund ist, kann er jedenfalls gehen«, sagte Collins, der eine neue Idee hatte.

Und Michael mußte die demütigende Probe über sich ergehen lassen, von Johnny auf die Hinterbeine gezerrt zu werden, während Collins ihm mit dem Stock unter die Schnauze und über die Knie schlug. In seiner Wut versuchte er den Obergott zu beißen, wurde aber an der Leine fortgezogen und fast erwürgt.

»Laß es genug sein«, sagte Collins müde. »Wenn er nicht auf den Hinterbeinen stehen kann, kann er auch keine Tonnensprünge machen. – Du hast wohl von Ruth gehört, Johnny. Die war großartig. Konnte auf den Hinterbeinen in Tonnen hinein- und wieder herausspringen, ohne je die Vorderpfoten zu benutzen. Sie war eine Goldmine, aber Carson verstand sie nicht zu behandeln, und sie krepierte am Cripple Creek an Lungenentzündung.«

»Ob er nicht Teller auf der Schnauze schnurren lassen kann?« meinte Johnny.

»Kann ja nicht auf den Hinterbeinen stehen«, lehnte Collins ab. »Außerdem ist an einer solchen Nummer nichts Besonderes. Der Hund hat eine Spezialität, und die müssen wir herauskriegen. Ich muß mich seiner schon selber annehmen. Nimm ihn weg, Johnny. Bring' ihn nach Nummer achtzehn. Später können wir ihn in eine Einzelabteilung stecken.«

* * *

 


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