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Die Gebeine Kahekilis

Über die hohen Koolau-Berge hinweg kamen schwärmende Ausläufer des Passats gestrichen, ließen leicht die starren Bananenblätter schwanken, rauschten in den Palmen und bewegten flüsternd das Spitzengewebe der Algarobablätter. Nur zeitweise kam dieses Atmen der Natur – denn ein Atmen war es, das Seufzen der matten hawaiischen Nachmittage. In den Pausen zwischen den sanften Atemzügen wurde die Luft schwer und balsamisch von dem Duft der Blumen und dem Dunst der fetten, lebendigen Erde.

Viele Menschen waren um das bungalowartige Haus herum, aber nur ein einziger schlief. Die übrigen verhielten sich mäuschenstill. Hinter dem Hause ließ ein kleines Kind ein klägliches Wimmern hören, das selbst die schnell dargereichte Brust nicht zu beschwichtigen vermochte. Die Mutter, eine schlanke Hapa-Haolin in einem lose herabfließenden Holoku aus weißem Musselin, lief schnell mit dem Kind unter den Bananen und Papaias fort, daß die Ferne das Geräusch verschlang. Andere Frauen, Eingeborene und Hapa-Haolen, beobachteten sie ängstlich, als sie floh.

Vor dem Haus kauerten zwanzig Hawaiianer im Gras. Alle waren muskulöse, breitschultrige, stämmige Männer. Braunhäutig, mit leuchtenden braunen und schwarzen Augen und großen, regelmäßigen Zügen. Alles ließ darauf schließen, daß sie ebenso gutmütig, fröhlich und sanft waren wie die Luft ihrer Heimat. Scheinbar im Widerspruch hierzu stand die Wildheit ihrer Ausrüstung. Aus den rauhen Ledergamaschen hervor ragten die Griffe langer Messer. An den Hacken trugen sie mit mächtigen Rädern versehene spanische Sporen. Wie die Straßenräuber hätten sie ausgesehen, wären nicht die Blumenkränze und die duftenden Mailen gewesen, die die schwankenden Cowboyhüte umwanden und einen seltsamen Kontrast zu dem andern bildeten. Einer von ihnen, der anmutig und von der spitzbübischen Schönheit eines Fauns war, hatte sich eine doppelte Hibiskusblüte kokett hinter das Ohr gesteckt. Über ihren Köpfen breitete sich ein weitverzweigter Baldachin aus Ponciana regia aus und bildete, eine Flamme aus Blüten, einen Schirm gegen die Sonne. Aus jeder Blüte sprangen Quasten gefiederter Staubfäden. Von weit her drang, durch die Entfernung gedämpft, das Stampfen ihrer angebundenen Pferde schwach herüber. Aller Augen richteten sich aufmerksam auf den einsamen Schläfer, der, einige hundert Fuß entfernt, auf einer Lauhala-Matte unter den Johannisbrotbäumen lag.

Waren die hawaiischen Cowboys groß, so war der Schläfer doch noch größer. Auch war er, wie sein schneeweißes Haar bezeugte, viel älter. Seine starken Handgelenke und kräftigen Finger ließen unter den losen Dungareehosen und dem nicht zugeknöpften baumwollenen Hemd, das die Brust vom Zwerchfell bis zum Adamsapfel frei ließ, eine mächtige Gestalt ahnen. Die Brust war mit wirrem Haar, so weiß wie sein Kopf- und Barthaar, bedeckt. Ihre Tiefe und Breite und die Elastizität ihrer jetzt gelösten, plastischen Muskeln bezeugten die geballte Kraft in ihm. Dabei vermochten die Bräune und die Verwitterung durch Sonne und Wind nicht das Zeugnis seiner Haut zu widerlegen: Er war ein Haole – ein Weißer.

Er lag auf dem Rücken, und mit jedem Atemzug hob und senkte sich sein langer weißer, nie von einem Schermesser berührter Bart, während sich der weiße Schnurrbart gleich den Stacheln eines Stachelschweins sträubte und legte. Ein vierzehnjähriges, nur mit einem einfachen Hemd, dem Muumuu, bekleidetes Mädchen, eine Enkelin des Schlafenden, kauerte neben ihm und verscheuchte mit einem Federwedel die Fliegen. Ihr Gesicht drückte Sorge und Furcht aus, als diente sie einem Gott.

Und wirklich war Hardman Pool, der bärtige Schläfer, für sie und viele andere ein Gott – eine Quelle des Lebens, eine Quelle der Nahrung, ein Bronnen der Weisheit, Gesetzgeber, lächelnder Wohltäter und die Finsternis von Donner und Strafe – kurz, ein Herr, für dessen Kraft vierzehn lebende erwachsene Söhne und Töchter, sechs Urenkel und mehr Enkel, als er in seinen lichtesten Augenblicken zu zählen vermochte, zeugten.

Vor einundfünfzig Jahren war er mit einem offenen Boot in Laupahoehoe an der Luvküste von Hawaii gelandet. Das Boot war alles, was von dem Walfänger »Black Prince« aus New Bedford übriggeblieben war. Er selbst war in New Bedford geboren, war zwanzig Jahre alt und hatte es dank seiner Kraft und Geschicklichkeit zum zweiten Steuermann auf dem untergegangenen Walfänger gebracht. Er kam nach Honolulu und sah sich um, dann heiratete er Kalama Mamaiopili, wurde erst Hafenlotse in Honolulu, eröffnete dann eine Kneipe und ein Logierhaus und befaßte sich schließlich nach dem Tode von Kalamas Vater mit Viehzucht auf den weiten Ländereien, die sie geerbt hatte.

Mehr als ein halbes Jahrhundert hatte er unter den Hawaiianern gelebt, und man gab zu, daß er ihre Sprache besser kannte als die meisten von ihnen selbst. Mit Kalama hatte er nicht nur ihren Grundbesitz, sondern auch ihren Häuptlingsrang erheiratet, und die Lehnstreue, zu der die Vasallen seit vielen Generationen verpflichtet waren, wurde auch ihm zugebilligt. Dazu kam, daß ihm alle Eigenschaften eines Häuptlings angeboren waren: der riesige Wuchs, der Stolz und die Reizbarkeit des Edlen, der keine Unverschämtheit, keine Beleidigung duldete, der sich selbst von der höchsten Macht, die auf zwei Beinen wandelte, nicht einschüchtern ließ, und der geringere Sterbliche in seinen Dienst zwang, nicht durch unedlen Kauf, sondern durch Herablassung und Großzügigkeit, die er nicht in Worte zu kleiden brauchte. Er kannte seine Hawaiianer in- und auswendig, kannte sie besser, als sie sich selbst kannten, mit ihren polynesischen Umschweifen, ihrem Glauben, ihren Sitten und Mysterien.

Und jetzt lag er, einundsiebzig Jahre alt, nach einem Morgenritt über die Ranch, der um vier Uhr begonnen hatte, unter den Johannisbrotbäumen und hielt seine gewohnte und geheiligte Siesta, die kein Vasall zu stören wagte oder einem Gleichberechtigten unter den Großen des Landes zu stören gestattet hätte. Nur dem König hätte ein solches Recht zugestanden, aber der hatte erfahren, daß die Siesta Hardman Pools zu stören hieß, einen sehr gereizten, verdrießlichen Hardman Pool zu wecken, der frei von der Leber weg manche Wahrheit zu reden pflegte, die den Ohren des Königs nicht angenehm war.

Die Sonne flammte am Himmel. Die Pferde stampften in der Ferne. Der leise Passat verhauchte seufzend und raschelnd mit immer größeren Pausen. Der Wohlgeruch wurde schwerer. Die Frau kam zurück mit dem Kind, das sich jetzt beruhigt hatte. Die Johannisbrotblüten entfalteten ihre Blätter und sanken in stiller Ohnmacht in der milden Luft tiefer über den Schläfer. Das Mädchen verscheuchte immer noch die Fliegen, fast atemlos von der ungeheuerlichen Feierlichkeit ihres Amtes, und die zwanzig Cowboys sahen noch immer schweigend und aufmerksam zu.

Hardman Pool wachte auf. Das nächste Ausatmen in dem langen Rhythmus erfolgte nicht. Ebensowenig hob sich der lange weiße Schnurrbart. Statt dessen blähten sich die Backen unter dem Vollbart, die Lider hoben sich und zeigten die cholerischen, sofort völlig klaren blauen Augen; die Rechte griff nach der halb ausgerauchten Pfeife an seiner Seite, die Linke nach den Streichhölzern. »Bring mir Milch mit Genever«, befahl er auf hawaiisch dem kleinen Mädchen, das sein plötzliches Erwachen erschreckt hatte.

Er steckte sich die Pfeife an, schien aber die Anwesenheit seiner wartenden Vasallen erst zu bemerken, als er Milch und Genever erhalten und getrunken hatte.

»Nun?« fragte er dann plötzlich, und die zwanzig Gesichter verzogen sich zu einem Lächeln, und die zwanzig dunklen Augenpaare leuchteten freudig, während er sich die letzten Tropfen von den behaarten Lippen wischte. »Was sitzt ihr da herum? Was wollt ihr? Kommt her!«

Zwanzig Riesen, die meisten jung und aufrecht, erhoben sich und schritten unter mächtigem Sporengeklirr zu ihm hin. Sie sammelten sich in einem Halbkreis um ihn und blickten ihn, einer über die Schulter des anderen hinweg, schüchtern an. Ihre Gesichter lächelten verlegen und doch unbewußt vertraulich. Tatsächlich war Hardman Pool ihnen mehr als nur ein Häuptling. Er war ihr älterer Bruder, ihr Vater oder Patriarch und ihnen allen nach hawaiischer Art durch seine Frau oder die Heirat eines seiner vielen Kinder und Enkel verwandt. Sein leisestes Stirnrunzeln konnte sie verwirren, sein Zorn sie in Schrecken versetzen, sein Befehl sie dem sicheren Tode anheimgeben. Andrerseits hätte keiner je daran gedacht, ihn anders als vertraulich bei seinem Vornamen zu nennen, welcher Name »Hardman« in ihrer Sprache zu Kanaka Oolea geworden war.

Er nickte, und der Halbkreis setzte sich in das Manienie-Gras und wartete, daß er seine Wünsche ausspräche.

»Was wollt ihr?« fragte er auf hawaiisch mit einer Schroffheit und Strenge, die, wie sie wußten, nur gemacht war.

Sie lächelten noch breiter, krümmten ihre breiten Schultern und wuchtigen Körper so anmutig wie bittende Hündchen. Hardman Pool wandte sich an einen unter ihnen.

»Nun, Iliiopoi, was willst du?«

»Zehn Dollar, Kanaka Oolea.«

»Zehn Dollar!« rief Pool in offensichtlichem Schrecken über eine so ungeheure Summe. »Heißt das, daß du dir eine zweite Frau nehmen willst? Denk an die Lehre der Missionare. Immer nur eine Frau zur Zeit, Iliiopoi; eine Frau zur Zeit. Denn wer sich mehrere Frauen nimmt, kommt ganz sicher in die Hölle.«

Kichern und lachende blitzende Augen begrüßten von allen Seiten diesen Witz.

»Nein, Kanaka Oolea«, lautete die Antwort. »Der Teufel weiß, daß es mir schwer genug wird, das Kow-kow für eine einzige Frau und all ihre Verwandten aufzubringen.«

»Kow-kow?« wiederholte Pool das von den Hawaiianern für ihr eigenes »Paina« aus dem Chinesischen übernommene Wort. »Haben deine Knaben heute mittag kein Kow-kow hier bekommen?«

»Doch, Kanaka Oolea«, fiel ein alter runzliger Eingeborener ein, der gerade aus dem Haus gekommen und zu der Gruppe getreten war. »Sie haben in der Küche Kow-kow bekommen, und reichlich dazu. Sie fraßen wie Pferde, die sich in den Lavabergen verirrt hatten.«

»Und was willst du, Kumuhana?« wandte Pool sich zu dem Alten und gab gleichzeitig dem kleinen Mädchen ein Zeichen, ihm die Fliegen auf der andern Seite zu verscheuchen.

»Zwölf Dollar«, sagte Kumuhana. »Ich muß mir einen Esel und einen gebrauchten Sattel und Zaumzeug kaufen. Ich werde zu alt, meine Beine wollen mich nicht mehr tragen.«

»Warte«, befahl sein Haole-Gebieter. »Wenn ich mit den andern fertig bin und sie fort sind, will ich das und anderes mit dir besprechen.«

Der runzlige Alte nickte und steckte sich umständlich seine Pfeife an.

»Das Kow-kow in der Küche war gut«, begann Iliiopoi wieder, sich die Lippen leckend. »Der Poi war tadellos, das Schwein fett, der Lachsbauch stank nicht, der Fisch war vollkommen frisch und sehr reichlich, nur die Opihis (winzige, sich an Felsen anklammernde Schaltiere) waren gesalzen und daher zäh. Nie sollten Opihis gesalzen werden. Oft schon sagte ich dir, Kanaka Oolea, daß Opihis nie gesalzen werden sollten. Ich bin voll von gutem Kow-kow. Mein Bauch ist schwer davon. Aber mein Herz ist nicht leicht davon, denn es ist kein Kow-kow in meinem eigenen Hause, wo meine Frau ist, die Tante der zweiten Frau deines vierten Sohnes, und mein kleines Töchterchen und die alte Mutter meiner Frau und das Pflegekind der alten Mutter meiner Frau, ein Krüppel, und die Schwester meiner Frau, die mit ihren drei Kindern bei uns lebt, seit der Vater gestorben ist.«

»Werden fünf Dollar euch alle einen oder mehrere Tage vor einem Leichenbegängnis bewahren?« unterbrach Pool die lange Rede kurzweg.

»Ja, Kanaka Oolea, und dazu werde ich noch meiner Frau einen neuen Kamm und mir etwas Tabak kaufen können.«

Einem Geldbeutel, den er aus der Hüfttasche seiner Dungarees zog, entnahm Hardman Pool das Goldstück und warf es geschickt in die hingehaltene Hand.

Ein Junggeselle, der sechs Dollar für neue Gamaschen, Tabak und Sporen verlangte, erhielt drei, desgleichen ein zweiter, der einen neuen Hut brauchte, und ein dritter, der bescheiden um zwei Dollar bat, bekam vier mit einem blumigen Kompliment für seine Tapferkeit, weil er einen wilden Bullen in den Bergen mit dem Lasso eingefangen hatte. Da sie wußten, daß ihre Forderungen gewöhnlich halbiert wurden, verdoppelten sie sie schon von vornherein. Und Hardman Pool, der das wußte, lächelte bei sich. Es war dies seine Art, mit seinen zahlreichen Verwandten umzugehen, und sie hatte sich gut bewährt und schadete seinem Ansehen in ihren Augen nicht.

»Und du, Ahuhu?« fragte er einen, dessen Name »Giftholz« bedeutete.

»Und das Geld für ein Paar Dungarees«, beschloß Ahuhu die Liste der Dinge, die er benötigte. »Ich bin viel und hart hinter deinem Vieh hergeritten, Kanaka Oolea, und wo meine Dungarees sich am Sattelplatz gerieben haben, haben meine Dungarees keinen Boden mehr. Es ist nicht gut, wenn man von einem Cowboy Kanaka Ooleas, der gleichzeitig der Vetter von der Halbschwester von Kanaka Ooleas Frau ist, sagen könnte, daß er sich schämen müsse, wenn man ihn außerhalb des Sattels sehe, es sei denn, er ging vor allen, die ihn anblickten, rückwärts wie ein Krebs.«

»Du sollst Geld für ein Dutzend Dungarees haben, Ahuhu«, lachte Hardman Pool und warf ihm die nötige Summe zu. »Ich bin stolz, daß meine Familie meinen Stolz mit mir teilt. Nachher, Ahuhu, wirst du mir von deinem Dutzend Dungarees eine abgeben, damit ich nicht rückwärts zu gehen brauche, denn meine eigenen – die einzigen, die ich habe sind ebenso durchgeritten und machen mir Schande.«

Und unter herzlichem Gelächter über den witzigen Einfall, mit dem ihr Haole-Häuptling die Audienz beschloß, brach die ganze Gesellschaft von kindlichen Riesen auf und begab sich zu den wartenden Pferden. Nur der alte runzlige Kumuhana, dem er zu warten geboten hatte, blieb.

Volle fünf Minuten saßen sie schweigend da. Dann befahl Hardman Pool dem kleinen Mädchen, ein Glas Milch mit Genever zu holen, und als sie es gebracht hatte, gab er ihr durch ein Zeichen mit dem Kopf zu verstehen, daß sie es Kumuhana reichen sollte. Der setzte das Glas erst von den Lippen, als es leer war, worauf er hörbar ausatmete und schmatzte.

»Viel Awa habe ich in meinem Leben getrunken«, sagte er nachdenklich. »Aber Awa ist nur das Getränk des gemeinen Mannes, während der Haole-Schnaps ein Getränk für Häuptlinge ist. Awa hat nicht die hitzige Kraft des Schnapses, womit der einem den Sporn in die Rippen des Gefühls stößt, einen wachbeißt, daß man froh ist, denn es ist eine Freude, lebendig zu sein.«

Hardman Pool nickte lächelnd, und der alte Kumuhana fuhr fort:

»Es ist Wärme darin. Er wärmt Leib und Seele. Er wärmt das Herz. Selbst Herz und Seele werden kalt, wenn man alt wird.«

»Du bist alt«, gab Pool zu. »Fast so alt wie ich.«

Kumuhana schüttelte den Kopf und murmelte:

»Wäre ich nicht älter als du, so würde ich ebenso jung sein wie du.«

»Ich bin einundsiebzig«, sagte Pool.

»So weiß ich das Alter nicht«, lautete die Antwort. »Was geschah, als du geboren wurdest?«

»Laß sehen«, berechnete Pool. »Jetzt haben wir achtzehnhundertachtzig, ziehe einundsiebzig ab, so haben wir das Jahr, als der Schotte Archibald Campell in Honolulu lebte.«

»Dann bin ich wahrlich älter als du, Kanaka Oolea. Ich entsinne mich gut des Schotten, denn ich spielte damals zwischen den Grashäusern von Honolulu und ritt schon in der Brandung mit den Frauen in Waikiki. Ich kann dich noch an die Stelle führen, wo das Grashaus des Schotten stand. Jetzt befindet sich die Seemannsmission dort. Doch ich weiß, wann ich geboren bin. Oft haben meine Großmutter und meine Mutter mir davon erzählt. Ich wurde geboren, als Madam Pele (die Feuer- oder Vulkangottheit) zornig auf das Volk von Paiea wurde, weil es keine Fische aus seinem Fischteich opferte, und eine Lavaflut von Huulalai herabsandte, die den Teich füllte. Für ewig wurde der Fischteich von Paiea gefüllt. Das geschah, als ich geboren wurde.«

»Das war achtzehnhundertundeins, als James Boyd Schiffe für Kamehameha in Hilo baute.« Pool hielt sich an den Kalender. »Du bist also neunundsiebzig oder acht Jahre älter als ich. Du bist sehr alt.«

»Ja, Kanaka Oolea«, murmelte Kumuhana mit einem rührenden Versuch, die eingesunkene Brust mit Stolz zu blähen.

»Und du bist sehr weise.«

»Ja, Kanaka Oolea.«

»Und du kennst viele der geheimen Dinge, die nur alte Menschen kennen.«

»Ja, Kanaka Oolea.«

»Und da weißt du –« Hardman Pool unterbrach sich, um desto wirksamer mit seinem festen eindringlichen Blick den andern Alten zu hypnotisieren. »Man sagt, daß die Gebeine Kahekilis aus ihrem Versteck geholt sind und jetzt im Königlichen Mausoleum liegen. Ich habe flüstern hören, daß du allein von allen Lebenden es wirklich weißt.«

»Ich weiß es«, lautete die stolze Antwort. »Ich allein weiß es.«

»Nun, liegen sie dort? Ja oder nein?«

»Kahekili war ein Alii (hoher Häuptling). Deine Frau Kalama stammt in gerader Linie von ihm ab. Sie ist eine Alii.« Der alte Vasall schwieg einen Augenblick und spitzte sinnend die dünnen Lippen. »Ich gehöre ihr, wie alle meine Vorfahren den Ihren gehörten. Nur sie kann mir befehlen, das große Geheimnis zu offenbaren. Sie ist weise, zu weise, um mir je zu befehlen, dies Geheimnis zu offenbaren. Dir, Kanaka Oolea, antworte ich nicht ja, antworte ich nicht nein. Dies ist ein Geheimnis.«

»Recht so, Kumuhana«, lobte Hardman Pool ihn. »Aber vergißt du, daß ich ein Alii bin und das, was meine gute Kalama sich nicht zu fragen traut, ich ihr zu fragen befehle? Ich kann nach ihr schicken, sogleich, und sie dir befehlen lassen zu antworten. Aber das wäre eine Dummheit, es sei denn, du zeigtest dich selbst doppelt so dumm. Erzähle mir das Geheimnis, und sie wird nie etwas erfahren. Frauenlippen müssen ausschwatzen, was auch immer durch das Ohr zu ihnen dringt. Ich bin ein Mann, und ein Mann ist anders. Wie du wohl weißt, schließen meine Lippen sich über einem Geheimnis so fest wie die Muschel am salzigen Felsgrund. Willst du es mir nicht allein erzählen, so wirst du es Kalama und mir zusammen sagen, und ihre Lippen werden reden. Ihre Lippen werden reden, so daß der letzte Malahini weiß, was sonst nur du und ich allein wissen würden.«

Lange saß Kumuhana schweigend da, überlegte und erwog, ohne die Logik des Gesagten umstoßen zu können.

»Groß ist deine Haolen-Weisheit«, gab er schließlich zu.

»Ja? Oder nein?« beharrte Hardman Pool eisern.

Kumuhana sah sich zuerst um, dann richtete er den Blick langsam auf das Mädchen mit dem Fliegenwedel.

»Geh«, befahl ihr Pool. »Und komm erst wieder, wenn du mich in die Hände klatschen hörst.«

Als das Mädchen im Hause verschwunden war, schwieg Hardman Pool, aber seine stahlharte Miene fragte: »Ja? – Oder nein?«

Wieder sah Kumuhana sich besorgt um und blickte hinauf in die Zweige des Johannisbrotbaumes, als fürchtete er einen versteckten Lauscher. Seine Lippen waren sehr trocken. Mehrmals feuchtete er sie mit seiner Zunge an. Zweimal versuchte er zu sprechen, brachte aber nur einen unartikulierten heiseren Laut hervor. Und schließlich senkte er den Kopf und flüsterte so leise und feierlich, daß auch Hardman den Kopf senkte, um zu hören: »Nein.«

Pool klatschte in die Hände, und das kleine Mädchen kam in zitternder Eile aus dem Hause gelaufen.

»Bring ein Glas Milch mit Genever für den alten Kumuhana«, befahl Pool; und zu Kumuhana gewandt: »Jetzt erzähle mir die ganze Geschichte.«

»Warte«, lautete die Antwort. »Warte, bis die kleine Wahine gekommen und wieder gegangen ist.«

Und als das Mädchen verschwunden und Milch und Genever den ihnen bestimmten Weg gegangen waren, wartete Hardman Pool weiter, ohne zu drängen.

Kumuhana preßte seine Hand gegen die Brust und hustete ein paarmal hohl, um sich Mut zu machen; endlich aber sprach er: »Es war etwas Furchtbares, wenn in alten Tagen ein großer Alii starb. Kahekili war ein großer Alii. Er wäre vielleicht König geworden, hätte er lange genug gelebt. Wer weiß? Ich war ein junger Mann, noch unverheiratet. Du weißt, Kanaka Oolea, wann Kahekili starb, und du kannst mir sagen, wie alt ich damals war. Er starb, als Gouverneur Boki das Hotel der Weißen hier in Honolulu leitete. Du hast wohl davon gehört?«

»Ich war damals noch an der Luvküste von Hawaii«, erwiderte Pool. »Aber ich hörte davon. Boki errichtete eine Brennerei und pachtete Ländereien in Manoa, um Zuckerrohr anzubauen. Aber Kaahumanu, der damals Regent war, annullierte die Pacht, ließ das Zuckerrohr herausreißen und pflanzte Kartoffeln. Und Boki war zornig und bereitete sich zum Krieg vor. Er versammelte seine Krieger und ein Dutzend Deserteure von Walfängern mit fünf Sechspfündern aus Bronze bei Waikiki –«

»Gerade damals war es, daß Kehekili starb«, fiel Kumuhana ihm eifrig ins Wort. »Du bist sehr weise. Du kennst vieles aus den alten Tagen besser als wir alten Kanaken.«

»Das war achtzehnhundertneunundzwanzig«, fuhr Hardman Pool selbstzufrieden fort. »Du warst achtundzwanzig Jahre alt, und ich war zwanzig und war gerade nach dem Brand des ›Black Prince‹ im offenen Boot gelandet.«

»Ich war achtundzwanzig«, bestätigte Kumuhana. »Das klingt richtig. Ich erinnere mich noch gut an Bokis Bronzekanonen in Waikiki. Und zu dieser Zeit war es auch, daß Kahekili in Waikiki starb. Die Leute glauben bis auf den heutigen Tag, daß seine Gebeine in das Hale o Keawe (Mausoleum) zu Honaunau in Kona ...«

»... und lange darauf in das Königliche Mausoleum hier in Honolulu gebracht wurden«, ergänzte Pool.

»Manche, Kanaka Oolea, glauben auch bis auf den heutigen Tag, daß Königin Alice sie mit den Gebeinen ihrer übrigen Ahnen in großen Urnen in ihrem Tabu-Zimmer aufbewahrt. Aber alle haben unrecht. Ich weiß es. Die heiligen Gebeine Kahekilis sind für immer und ewig fort. Sie ruhen nirgends. Sie existieren nicht mehr. Und viele Kona-Winde haben die Brandung von Waikiki gepeitscht, seit der letzte Mann das Letzte erblickte, was von Kahekili übrigblieb. Ich allein lebe noch von diesen Männern, und ich bin nicht froh, daß ich der letzte bin.

Denn sieh! Ich war ein Jüngling, und mein Herz war weißglühende Lava für Malia, die im Hause Kahekilis lebte. Und auch das Herz Anapunis glühte weiß für sie, wenn sein Herz auch, wie du gleich hören wirst, schwarz von Farbe war. Wir waren auf einem Gelage – Anapuni und ich – in der Nacht, als Kahekili starb. Anapuni und ich gehörten nur zum gemeinen Volk, wie alle Kanaken und Wahinen (Frauen) bei diesem Gelage mit den Matrosen und Jägern von Walfängern. Wir lagen im Freien, nahe der Küste von Waikiki, bei dem alten Heiau (Tempel), an der Stelle, die jetzt Wilders Strand heißt. Ich erfuhr damals und für immer, welche Mengen die Haole-Matrosen trinken können. Uns Kanaken wurden die Köpfe heiß, leicht und rasselnd wie trockene Kürbisse von Rum und Whisky.

Mitternacht war vorbei, und ich entsinne mich noch gut, wie ich Malia, die ich noch nie bei einem Gelage erblickt hatte, über den nassen harten Strand kommen sah. Das Hirn brannte mir wie rote Höllenasche, als Anapuni, der, ihr am nächsten, mir gegenüber im Kreis saß, sie anblickte. Oh, ich weiß, es waren Whisky, Rum und Jugend, was mir den Kopf so heiß machte; aber in diesem Augenblick beschloß meine Tollheit, ihm, wenn sie zuerst mit ihm spräche und ihm einen Tanz gewährte, meine beiden Hände um die Kehle zu legen, mit ihm in die Brandung neben uns zu springen, sein Leben aus ihm herauszupressen und seinen Anblick zu verlöschen. Er war schuld daran, daß sie nicht schon längst mein war.

Sie war ein prachtvolles junges Weib, gewachsen wie eine Königin, ja noch edler, wie sie jetzt im Mondschein über den feuchten Sand geschritten kam. Selbst die Haole-Matrosen schwiegen und starrten sie mit offenen Mäulern an. Ihr Gang! Ich habe dich, Kanaka Oolea, erzählen hören von der Frau Helena, die den Trojanischen Krieg verursachte. Von Malia kann ich sagen, daß ihretwegen mehr Männer die Mauern der Hölle gestürmt haben würden, als die der alten Stadt, von der du viel zu viel und zu lange zu reden pflegst, wenn du wenig Milch und zu viel Genever getrunken hast.

Ihr Gang! Im Mondschein dort, während die Quallen sanft in der Brandung glommen wie die Rampenlampen, die ich in dem neuen Haolen-Theater gesehen habe. Es war nicht der Gang eines Mädchens, sondern der einer Frau. Sie flatterte nicht wie die kleinen Wellen, die sich an einem geschützten Strande kräuseln. In ihrem Gang war etwas Erhabenes, Königinnenhaftes, das an Naturkräfte gemahnte, an den Lavastrom, der rhythmisch die Hänge von Hau zum Meere herabkommt, an die regelmäßigen Wogen im Passat und an das Heben und Senken der vier großen Jahresfluten, die Musik im ewigen Ohr Gottes sein mögen, da sie zu langsam sind, um für einen gewöhnlichen raschpulsigen, kurzlebigen und schnellsterbenden Menschen zu tönen.

Anapuni saß ihr am nächsten. Aber sie sah mich an. Hast du je, Kanaka Oolea, einen Ruf gehört, der ohne Laut lauter ist als die Muscheln Gottes? So rief sie mich über den Kreis der Trinkenden hinweg. Ich setzte mich auf, denn ich war noch nicht völlig trunken. Aber Anapunis Arm fing sie und zog sie an sich, und ich ließ mich wieder auf den Ellbogen sinken und sah es voller Wut. Er tat, was er konnte, damit sie sich an seine Seite setzte, und ich wartete. Setzte sie sich, und tanzte sie dann mit ihm, dann – das wußte ich – war Anapuni, ehe der Morgen graute, ein Toter, von mir in der Brandung erwürgt und ertränkt.

Seltsam, nicht wahr, Kanaka Oolea, ist diese Hitze, die man Liebe nennt. Und doch nicht seltsam. Es muß so sein in der Zeit, da man jung ist, sonst würde das Geschlecht der Menschen nicht fortbestehen.«

»Deshalb eben muß der Wunsch nach dem Weibe größer sein als der Wunsch nach dem Leben«, stimmte Pool ihm zu. »Sonst würde es weder Männer noch Frauen geben.«

»Ja«, sagte Kumuhana. »Aber es ist viele Jahre her, daß die letzte Glut dieser Hitze mich verließ. Ich erinnere mich daran wie an einen alten Sonnenuntergang – als an etwas, das war. Und so wird man alt und kalt und trinkt Genever, nicht wegen der Tollheit, die er gibt, sondern wegen der Wärme. Und die Milch ist sehr bekömmlich.

Aber Malia setzte sich nicht zu ihm. Ihre Augen waren wild, ihr Haar hing herab und flatterte, als sie sich zu ihm neigte und ihm etwas ins Ohr flüsterte. Und ihr Haar verdeckte und verhüllte ihn, als sie ihm zuflüsterte, und der Anblick ließ mein Herz gegen die Rippen pochen und machte mich schwindeln, daß mir schwarz vor den Augen wurde. Und mit der ganzen Kraft meines Willens beschloß ich, durch den Kreis zu gehen und sie zu holen, wenn sie nicht bald von selber käme.

Aber es war bestimmt, daß das nicht geschehen sollte. Erinnerst du dich des Häuptlings Konukalani? Der schritt jetzt auf den Kreis zu. Sein Gesicht war schwarz vor Zorn. Er packte Malia, nicht am Arm, sondern am Haar, zog sie hinter sich her und war verschwunden. Und noch heute verstehe ich das nur halb. Ich, der ich ihretwegen hatte Anapuni erschlagen wollen, ich erhob weder die Hand noch die Stimme, um dagegen zu protestieren, daß Konukalani sie am Haar fortschleppte – und Anapuni tat es ebensowenig. Gewiß, wir waren einfache Männer, und er war Häuptling. Das weiß ich. Aber warum mußten zwei einfache Männer, die toll nach einem Weibe waren, und in denen der Wunsch nach dem Weibe stärker als der Wunsch nach dem Leben war, warum mußten sie zulassen, daß irgendein Häuptling, und wenn es der höchste im Lande war, dieses Weib am Haar fortschleppte? Mehr als ihr Leben wünschten sie sie; warum mußten die beiden Männer sich fürchten, den einen Häuptling zu erschlagen? Hier ist etwas, das stärker ist als das Weib – aber was? Und warum?«

»Ich will dir die Antwort darauf geben«, sagte Hardman Pool. »Weil die meisten Männer Toren sind, und weil daher die wenigen Männer, die weise sind, für sie sorgen müssen. Das ist das Geheimnis der Führerschaft. In der ganzen Welt stehen Häuptlinge über Männern. In der ganzen Welt hat es von jeher Häuptlinge gegeben, die den Toren sagen mußten: Tut dies, tut jenes. Arbeitet, und arbeitet so, wie ich es euch sage, sonst wird euer Bauch leer bleiben, und ihr werdet zugrunde gehen. Gehorcht den Gesetzen, die wir euch gegeben haben, oder ihr werdet wie die Tiere sein, und es wird keinen Platz für euch in der Welt geben. Ihr würdet nicht existieren, wären nicht vor euch Häuptlinge gewesen, die euern Vätern befahlen und ihr Leben regelten. Ihr würdet keine Saat zeugen, würden wir euch nicht befehlen und euer Leben regeln. Haltet Frieden, benehmt euch ordentlich und putzt euch die Nase. Geht zeitig zu Bett am Abend und steht zeitig auf am Morgen, wenn ihr Betten zum Schlafen haben und nicht wie die dummen Vögel in den Bäumen nächtigen wollt. Jetzt ist es Zeit, Yams zu pflanzen, darum pflanzt jetzt. Jetzt, sagen wir, und nicht Feste und Hulas heute und Yam pflanzen morgen oder an einem von den vielen sorglosen Tagen. Tötet nicht, und laßt die Frau eures Nächsten in Frieden. So soll euer Leben sein, denn ihr denkt nur immer an einen Tag auf einmal, aber wir, eure Häuptlinge, denken für euch alle Tage und für kommende Tage.«

»Wie eine Wolke auf dem Bergesgipfel, die sich herabsenkt und dich einhüllt, und in der du undeutlich die Wolke erkennst, so erscheint mir deine Weisheit, Kanaka Oolea«, murmelte Kumuhana. »Aber es ist traurig, daß ich als niedriger Mann geboren werden und als niedriger Mann all meine Tage leben sollte.«

»Das kommt daher, daß du selbst niedrig bist«, versicherte Hardman Pool ihm. »Wenn ein Mann niedrig geboren ist, aber seine Natur nicht niedrig ist, so erhebt er sich, überwältigt die Häuptlinge und macht sich zum Häuptling über die Häuptlinge. Warum leitest du nicht meine Ranch mit ihrem tausendzähligen Vieh, treibst es in der Regenzeit auf andere Weiden, wählst die Bullen aus und besorgst den Verkauf des Fleisches an Handels- und Kriegsschiffe und an die Leute, die in Honolulu leben? Warum streitest du dich nicht mit Rechtsanwälten herum, hilfst Gesetze machen und sagst sogar dem König, was zu tun klug für ihn und was gefährlich ist? Warum tut kein Mann, was ich tue? All die vielen Männer, die für mich arbeiten, werden von mir ernährt und lassen mich für sich denken mich, der schwerer arbeitet als irgendeiner von ihnen, der nicht mehr ißt als irgendeiner von ihnen, und der nur auf einer Lauhalamatte auf einmal schlafen kann wie irgendeiner von ihnen?«

»Ich bin nicht mehr in der Wolke, Kanaka Oolea«, sagte Kumuhana, und sein Gesicht hellte sich auf. »Ich sehe klarer. All meine langen Jahre haben die Aliis, unter denen ich geboren ward, für mich gedacht. Immer, wenn ich hungrig war, kam ich zu ihnen, wie ich jetzt in deine Küche komme. Viele Menschen essen in deiner Küche, und wir alle nehmen teil an den Festen, wenn du fette junge Ochsen schlachtest. Deshalb ist es, daß ich heute zu dir komme, ich, ein alter Mann, dessen Arbeit keinen Shilling die Woche mehr wert ist, und dich um zwölf Dollar bitte, um mir einen Esel und einen gebrauchten Sattel und Zaumzeug zu kaufen. Deshalb ist es, daß zweimal zehn Toren dich vor einer halben Stunde unter diesen Johannisbrotbäumen um einen Dollar oder um zwei, vier, fünf, zehn oder zwölf baten. Wir sind die Sorglosen aus den sorglosen Tagen, die nicht zur rechten Zeit Yams pflanzen würden, wenn unser Alii uns nicht dazu zwänge, die nicht einen Tag für uns selber denken, und die wissen, daß unser Alii, wenn wir mit dem Alter wertlos werden, Kow-kow in unsern Magen und ein Grasdach über unser Haupt denken wird.«

Hardman Pool neigte zustimmend den Kopf und meinte: »Aber die Gebeine Kahekilis? Der Häuptling Konukalani hatte gerade Malia an den Haaren fortgeschleppt, und du und Anapuni bliebt ohne Widerspruch im Kreis der Trinkenden sitzen. Was war es, das Malia Anapuni ins Ohr flüsterte, als sie sich über ihn beugte, daß ihr Haar sein Gesicht verhüllte?«

»Daß Kahekili tot war. Das war es, was sie Anapuni zuflüsterte. Daß Kahekili tot, soeben gestorben war, daß die Häuptlinge befohlen hatten, daß alle, die in den Häusern waren, drinnen bleiben sollten, und daß sie jetzt, bevor noch ein Wort von seinem Tode verlautet war, berieten, wo seine Gebeine und sein Fleisch begraben werden sollten. Daß der Hohepriester Eoppo ihnen die Frage vorgelegt hatte, wer als Opfer auserwählt werden sollte, um Kahekili und seine Gebeine zu begleiten und ihn für immer im Schattenreich der anderen Welt zu bedienen, und daß sie niemand anders als Anapuni und mich dazu bestimmt hatten.«

»Das Moepuu, das Menschenopfer«, erläuterte Pool. »Aber es war doch schon neun Jahre her, seit die Missionare gekommen waren.«

»Und in dem Jahre, bevor sie kamen, waren die Götzenbilder gestürzt und die Tabus gebrochen worden«, fügte Kamuhana hinzu. »Aber die Häuptlinge hielten noch an den alten Gebräuchen, an der Sitte des Hunakele fest, versteckten die Gebeine der Aliis, wo kein Mensch sie finden konnte, und verfertigten Angelhaken aus ihren Kinnladen oder aus ihren langen Knochen Pfeilspitzen für die lustige Mäusejagd. Schau, Kanaka Oolea!«

Der alte Mann streckte die Zunge aus, und Pool sah zu seiner Bestürzung, daß die Oberfläche dieses empfindlichen Organs von der Wurzel bis zur Spitze mit verschlungenen Zeichen tätowiert war.

»Das geschah, nachdem die Missionare gekommen waren, mehrere Jahre später, als Keopuolani starb. Auch schlug ich mir vier Schneidezähne aus und brannte mit glühender Rinde Halbkreise auf meinem Leibe ein. Und wer sich in jener Nacht zur Tür hinauswagte, wurde von den Häuptlingen erschlagen. Auch durfte in keinem Hause Licht gebrannt oder das leiseste Geräusch gemacht werden. Selbst Hunde und Schweine, die Lärm machten, wurden erschlagen, und die ganze Nacht durften die Haolen im Hafen nicht die Schiffsglocken läuten. Es war in jenen Tagen etwas Furchtbares, wenn ein Alii starb. Doch die Nacht, in der Kahekili starb! Als Konukalani Malia an den Haaren fortgeschleppt hatte, blieben wir weiter im Kreise der Trinkenden sitzen. Einige der Haolen-Matrosen murrten; aber ihrer waren in jenen Tagen wenige in unserem Land, und der Kanaken waren viele. Und nie hat ein Mensch je Malia wiedergesehen. Konukalani allein wußte, wie sie beseitigt war, und er sprach nie. Und wie konnten in jenen Tagen niedrige Männer wie Anapuni und ich es wagen, zu fragen? Nun hatte sie zu Anapuni gesprochen, ehe sie fortgeschleppt worden war. Aber Anapunis Herz war schwarz. Mir sagte er nichts. Wert war er, getötet zu werden, wie ich es gedacht hatte. Im Kreise befand sich ein riesenhafter Harpunier, dessen Singen dem Gebrüll von Stieren glich; ich sah ihn bestürzt an, wie er irgendein Lied auf das Meer brüllte, und als ich dann wieder zu Anapuni hinüberblickte, war Anapuni verschwunden. Er war in die hohen Berge geflohen, wo er sich sieben Monate lang bei den Vogelstellern versteckte. Das erfuhr ich später. Ich? Ich saß noch da und schämte mich, daß mein Verlangen nach dem Weibe geringer gewesen war als mein Sklavengehorsam gegen einen Häuptling. Und ich ertränkte meine Schande in Strömen von Rum und Whisky, bis die ganze Welt sich um mich und in meinem Kopf drehte, die Southern Cross eine Hula in den Wolken tanzte und die Koolauberge ihren hohen Gipfel gegen Waikiki neigten, daß die Brandung von Waikiki ihnen die Stirn küßte. Und der riesenhafte Harpunier brüllte immer noch, und seine Stimme klang mir in den Ohren, als ich rückwärts auf die Lauhalamatte fiel und wie ein Toter schlief.

Als ich aufwachte, brach schon die Dämmerung herein. Ein nackter Fuß stieß mich hart in die Rippen. So ungeheuer viel ich auch getrunken hatte, war doch das Gefühl, als der Fuß mich stieß, nicht angenehm. Die Kanaken und Wahinen hatten das Gelage verlassen. Ich war allein unter den schlafenden Matrosen zurückgeblieben, und der riesenhafte Harpunier hatte den Kopf auf meine Füße gelegt und schnarchte wie ein Wal.

Weitere Fußtritte folgten. Ich setzte mich auf, und mir war sehr schlecht. Aber der, welcher mich trat, war ungeduldig und fragte, ob ich wüßte, wo Anapuni sei. Und ich wußte es nicht und bekam Fußtritte, diesmal von beiden Seiten von zwei ungeduldigen Männern, weil ich es nicht wußte. Ich wußte auch nicht, daß Kahekili tot war. Jedoch erriet ich, daß etwas Ernstes im Gange war, denn die beiden Männer, die mir Fußtritte versetzten, waren Häuptlinge, und kein gemeiner Mann kroch hinter ihnen her, um ihre Befehle auszuführen. Der eine war Aimoku von Kaneche, der andere Humuhumu von Manoa.

Sie befahlen mir, mit ihnen zu kommen, und ihr Befehl war nicht freundlich, und als ich aufstand, rollte der Kopf des riesenhaften Harpuniers von meinen Füßen über den Rand der Matte in den Sand. Er grunzte wie ein Schwein, seine Lippen öffneten sich, seine Zunge wälzte sich aus dem Munde heraus auf den Sand, und er zog sie nicht zurück. Zum erstenmal sah ich, wie lang die Zunge eines Menschen ist. Als ich sah, wie der Sand auf der Zunge klebte, wurde mir wieder schlecht. Es ist etwas Schreckliches, der Tag nach einer durchzechten Nacht. Ich war wie Feuer, trockenes Feuer, mein ganzes Innere war wie ausgebrannte Schlacke, wie Aa-Lava, trocken und sandig, wie die Zunge des Harpuniers. Ich bückte mich nach einer halb ausgetrunkenen Kokosnuß, aber Aimoku stieß sie mir aus den zitternden Fingern, und Humuhumu schlug mich mit der Faust in den Nacken.

Sie schritten nebeneinander vor mir her, mit feierlichen schwarzen Gesichtern, und ich schritt hinter ihnen. Mein Mund stank nach dem Trinken, und mein Kopf war krank von dem schalen Dunst, und ich hätte mir die Hand abschneiden können für einen Trunk Wasser, einen Trunk, nur einen Schluck. Und hätte ich ihn gehabt, so wäre er in meinem Magen verzischt wie auf heiße Röststeine vergossenes Wasser. Es ist etwas Schreckliches, der Tag nach einer durchzechten Nacht. Das Leben vieler Männer, die jung starben, ist an mir vorübergegangen, seit ich imstande war, solch tolles Trinken der Jugend mitzumachen, die kein Maß kennt und sich nicht abschrecken läßt.

Als wir aber weitergingen, merkte ich, daß irgendein Alii gestorben war. Kein Kanake lag schlafend im Sande oder stahl sich heim nach der Liebesnacht, kein Kanu war draußen zum frühen Fischfang, der leichter ist als innerhalb des Riffs beim Gezeitenwechsel. Als wir an dem Heiau (Tempel) vorbeikamen, an der Stelle, wo der große Kamehameha mit seinen Briggs und Schonern hinauszufahren pflegte, sah ich, daß die Matten von dem großen Doppelkanu Kahekilis im Kanuschuppen abgenommen waren, und daß viele Männer gerade dabei waren, es jetzt bei Ebbe über den Sand zum Wasser zu schleppen. Aber all diese Männer waren Häuptlinge. Und obwohl meine Augen schwammen und sich alles in meinem Kopfe drehte und drehte, und mein Inneres wie ausgebrannte Schlacke war, erriet ich doch, daß der Alii, der gestorben war, Kahekili war. Denn er war alt und von allen Aliis dem Tode am nächsten gewesen.«

»Ich habe gehört, daß es mehr sein Tod als die Vermittlung Kekuanaos war, was den Aufstand Gouverneur Bokis verhinderte«, bemerkte Hardman Pool.

»Es war Kahekilis Tod, der ihn verhinderte«, bestätigte Kumuhana. »Als sein Tod in jener Nacht bekannt wurde, floh das Volk in den Schutz der Grashäuser, zündete weder Licht noch Pfeifen an, hielt den Atem an, blieb drinnen und war deshalb tabu für die Opferung. Und sowohl die gemeinen Krieger Gouverneur Bokis wie seine Haolen-Deserteure flohen auf diese Weise, so daß er keine Bedienung für die Bronzekanonen hatte, und seine Handvoll Häuptlinge vermochte nichts auszurichten. Aimoku und Humuhumu ließen mich dort, wo das große Doppelkanu zu Wasser gebracht wurde, auf dem Sande niedersitzen. Und als es schwamm, waren alle die Häuptlinge, die solche schwere Arbeit nicht gewohnt waren, durstig; und man befahl mir, die Palmen neben den Kanuschuppen zu erklettern und Trink-Kokosnüsse herunterzuwerfen. Sie tranken und erquickten sich.

Dann trugen sie Kahekili aus seinem Haus in einem neuen, geölten und gefirnißten Haolen-Sarg zum Kanu. Der Sarg war von einem Schiffszimmermann verfertigt, der gedacht hatte, er müsse ein Boot bauen, das nicht lecken dürfe. Er war vollkommen abgedichtet, und über der Stelle, wo das Gesicht Kahekilis lag, war nichts als dünnes Glas. Die Häuptlinge hatten die Bretter nicht über dem Glas angeschraubt. Vielleicht kannten sie die Art der Haolen-Särge nicht; jedenfalls aber war ich sehr glücklich darüber, wie du sehen wirst.

›Es ist nur ein Moepuu‹, sagte der Priester Eoppo, als er mich im Kanu auf dem Sarge sitzen sah. Die Häuptlinge paddelten das Kanu schon durch das Riff hinaus.

›Der andere ist fortgelaufen und hat sich versteckt‹, antwortete Aimoku. ›Wir haben nur diesen einen bekommen.‹

Und da wußte ich es. Ich wußte alles. Ich sollte geopfert werden. Anapuni war zum zweiten Opfer bestimmt gewesen. Das war es, was Malia ihm beim Gelage zugeflüstert hatte. Und sie war fortgeschleppt worden, ehe sie es mir hatte erzählen können. Und in der Schwärze seines Herzens hatte er mir nichts gesagt.

›Es müßten zwei sein‹, sagte Eoppo. ›So will es das Gesetz.‹

Aimoku hielt im Paddeln inne und sah nach dem Ufer zurück, als wollte er umkehren und ein zweites Opfer holen. Aber mehrere von den Häuptlingen widersprachen und sagten, alles gemeine Volk sei in die Berge geflohen oder habe Tabu-Schutz in den Häusern gesucht, und es könne Tage dauern, ehe sie auch nur einen einzigen fingen. Schließlich gab Eoppo nach, wenn er auch hin und wieder murmelte, daß das Gesetz zwei Moepuus verlange.

Wir paddelten weiter, an der Diamantenspitze vorbei, und hielten uns auf der Höhe der Kokospitze, bis wir mitten im Kanal von Molokai waren. Hier gingen die Wellen hoch, obgleich der Passat nur leise wehte. Die Häuptlinge ruhten sich vom Paddeln aus, mit Ausnahme des Steuermanns, der die Kanus mit dem Bug gegen Wind und Seegang hielt.

Und ehe sie weiter paddelten, öffneten sie noch einige Kokosnüsse und tranken.

›Daß ich das Moepuu sein soll, ist nicht so schlimm‹, sagte ich zu Humuhumu, ›aber ich möchte gern etwas zu trinken, ehe ich erschlagen werde.‹

Ich bekam nichts zu trinken. Aber ich sprach die Wahrheit. Ich war zu krank von dem vielen Rum und Whisky, als daß ich mich vor dem Tode gefürchtet hätte. Dann stank mein Mund wenigstens nicht mehr, mein Kopf schmerzte nicht mehr, und mein Inneres war nicht mehr so trocken wie heißer Sand. Fast am allerschlimmsten war mir der Gedanke an die Zunge des Harpuniers, wie ich sie, mit Sand bedeckt, gesehen hatte. Kanaka Oolea, welche Tiere sind junge Männer, wenn sie trinken! Erst wenn sie alt geworden sind, wie du und ich, zügeln sie die Ausschweifung ihres Durstes und trinken mäßig – wie du und ich.«

»Weil wir müssen«, stimmte Hardman Pool ihm zu. »Alte Mägen sind verbraucht und empfindlich, und wir trinken mäßig, weil wir nicht mehr zu trinken wagen. Wir sind weise, aber die Weisheit ist bitter.«

»Der Priester Eoppo sang einen langen Mele über Kahekilis Mutter und die Mutter von Kahekilis Mutter und alle ihre Mütter bis zum Beginn der Zeiten zurück«, berichtete Kumuhana weiter. »Und es schien, daß ich sterben sollte, ehe meine sandheiße Trockenheit gelöscht war. Und er rief alle Götter der unteren, der mittleren und der oberen Welt an, daß sie für den toten Alii sorgen und freundlich zu ihm sein und daß sie die Flüche erhören sollten, die er gegen jeden später Lebenden aussprach, der die Knochen Kahekilis je zur Mäusejagd entweihen sollte.

Weißt du, Kanaka Oolea, der Priester sprach eine ganz andere Sprache, und ich weiß, daß es die Priestersprache, die alte Sprache war. Wenn er von Maui sprach, sagte er nicht Maui, sondern Maui-Tiki-Tiki und Maui-Po-Tiki. Und Hina, die Göttermutter Mauis, nannte er Ina. Und den Göttervater Mauis nannte er zuweilen Akalana und zuweilen Kanaloa. Merkwürdig, daß einer, der sterben soll und sehr durstig ist, sich solcher Dinge erinnert! Und ich erinnere mich, daß der Priester Hawaii Vaii und Lanai Ngangai nannte.«

»Das waren die Maori-Namen«, erklärte Hardman Pool, »und die samoanischen und tonganischen Namen, die die Priester auf ihren ersten Reisen aus dem Süden mitbrachten, vor langen, langen Zeiten, als sie Hawaii entdeckten und sich hier niederließen.«

»Groß ist deine Weisheit, Kanaka Oolea«, gab der Alte feierlich zu. »Ku, unsere Himmelsstütze, nannte der Priester Tu oder auch Ru; und La, unsern Sonnengott, nannte er Ra –«

»– und Ra war vor alten Zeiten ein Sonnengott in Ägypten«, unterbrach Pool ihn mit aufflammendem Interesse. »Wahrlich, ihr Polynesier seid weit gereist in Raum und Zeit, seit euerem Anbeginn. Es ist ein weiter Weg vom alten Ägypten zu der Zeit, als Atlantis noch nicht untergegangen war, bis nach dem jungen Hawaii im nördlichen Stillen Ozean.

Doch fahre fort, Kumuhana. Erinnerst du dich sonst noch an etwas von dem, was der Priester Eoppo sang?«

»Ganz zum Schluß«, nickte der Alte, »sang er etwas, von dem ich jedes Wort behalten habe, obwohl ich halbtot war und bald unter dem Messer des Priesters sterben sollte. Höre! Es war so.«

Und mit tremolierender Kopfstimme, in den üblichen Vierteltönen, sang der Alte.

»Ein Maori-Totenlied, ganz unverkennbar«, erklärte Hardman Pool, »von einem Hawaiianer mit tätowierter Zunge gesungen! Wiederhole es noch einmal.«

Und als der andere es wiederholt hatte, sagte er es langsam auf englisch:

»Aber der Tod ist nichts Neues.
Der Tod ist und war von je, seit der alte Maui starb.
Da lachte Pata-tai laut.
Und weckte den Koboldgott,
Der ihn zerstückelte und einsperrte,
So daß die Abenddämmerung kam.«

»Und schließlich«, ergriff Kumuhana wieder das Wort, »schließlich wurde ich doch nicht erschlagen. Eoppo, der das tötende Messer schon in der Hand hielt und hob, stieß nicht zu. Und ich? Was fühlte und dachte ich? Oft, Kanaka Oolea, habe ich seitdem bei dem Gedanken daran gelacht. Ich war sehr durstig. Ich wollte nicht sterben, und immer wieder mußte ich an die tausend Wasserfälle denken, die unnütz an der Luvseite der Koolauberge herabstürzten. Aber immer wieder sah ich vor meinen Augen die mit trockenem Sand bedeckte Zunge des Harpuniers, wie ich sie zuletzt im Sande gesehen hatte. Meine Zunge war ebenso. Und auf dem Boden des Kanus rollten viele Kokosnüsse herum. Aber ich versuchte nicht zu trinken, denn sie waren Häuptlinge, und ich war ein gemeiner Mann.

›Nein‹, sagte Eoppo und befahl den Häuptlingen, den Sarg über Bord zu werfen. ›Es sind nicht zwei Moepuus, und deshalb soll es keinen geben.‹

›Erschlage den einen‹, riefen die Häuptlinge.

Aber Eoppo schüttelte den Kopf und sagte: ›Wir können Kahekili nicht mit Tarospitzen allein auf seinen Weg schicken.‹

›Ein halber Fisch ist besser als gar keiner‹, sagte Aimoku mit dem alten Sprichwort.

›Nicht bei der Beisetzung eines Aliis‹, lautete die schnelle Antwort des Priesters. ›So lautet das Gesetz. Wir können bei Kahekili nicht knausern und ihm nur die Hälfte des Opfers geben, das ihm zusteht.‹

So wurde ich denn nicht in dem Augenblick, als der Sarg über Bord ging, erschlagen. Und seltsam: In dieser Sekunde freute ich mich, daß ich leben durfte. Und ich begann an Malia zu denken und Rache an Anapuni zu brüten. Und wie mein Blut wieder frischer wallte, fühlte ich zehnfach meinen Durst, und meine Zunge und mein Mund und meine Kehle schienen so sandig zu sein wie die Zunge des Harpuniers. Da der Sarg jetzt über Bord war, konnte ich auf dem Boden des Kanus sitzen. Eine Kokosnuß rollte mir zwischen die Beine, und ich schloß sie über ihr. Als ich sie aber in meine Hand nahm, schlug Aimoku meine Hand mit der Paddelschneide beiseite. Schau!«

Er hob die Hand und zeigte zwei Finger, die gekrümmt waren, weil man sie ihm nicht wieder eingerenkt hatte. »Ich hatte keine Zeit, meinen Schmerz zu fühlen, denn Schlimmeres stand mir bevor. Alle Häuptlinge schrien laut auf vor Schrecken. Der Sarg war nicht gesunken, er schwamm mit dem Kopfende oben. Achtern vor uns tanzte er auf und nieder in der See. Und das Kanu, in dem niemand mehr darauf achtete, den Bug in See und Wind zu halten, wurde von See und Wind gegen den Sarg getrieben. Und die Glasscheibe war gerade vor uns, so daß wir Gesicht und Kopf Kahekilis durch das Glas sehen konnten. Und er grinste uns durch das Glas an und schien schon in der andern Welt zu leben und, zornig auf uns, mit der Macht der andern Welt seinen Zorn über uns auszulassen. Auf und nieder tanzte er, und das Kanu trieb immer näher auf ihn zu.

›Töte ihn!‹ – ›Laß ihn bluten!‹ – ›Stoß ihm das Messer ins Herz!‹ So riefen die Häuptlinge in ihrer Furcht Eoppo zu. ›Hinüber mit den Tarospitzen!‹ ›Laß den Alii seinen halben Fisch haben!‹

Eoppo war, obwohl Priester, ebenfalls erschrocken, und seine Vernunft schwand beim Anblick Kahekilis in seinem Haolensarg, der nicht sinken wollte. Er packte mich am Haar, zog mich auf die Füße und hob das Messer, um es mir ins Herz zu stoßen. Und in mir war kein Widerstand. Wieder wußte ich nur, daß ich durstig war, und vor meinen schwimmenden Augen baumelte dicht vor mir in der Luft die sandige Zunge des Harpuniers. Ehe aber das Messer niedersauste, geschah das, was mich rettete. Akai, ein Halbbruder des Gouverneurs Boki, wie du wohl weißt, war der Steuermann des Kanus und war deshalb – im Stern des Bootes – dem Toten mit seinem Sarg, der nicht sinken wollte, am nächsten. Er war wild vor Angst und schlug mit der Spitze der Paddel nach dem Sarg, um den Alii abzuhalten, an Bord zu kommen. Die Paddelspitze traf das Glas. Das Glas zerbrach –«

»– und der Sarg sank sofort«, unterbrach ihn Hardman Pool. »Die Luft, die ihn oben gehalten hatte, entwich durch das zerbrochene Glas.«

»Der Sarg sank sofort, da er von dem Schiffszimmermann wie ein Boot gebaut war«, bestätigte Kumuhana. »Und ich, der ich ein Moepuu war, wurde wieder ein Mensch. Und ich lebte, wenn ich auch vor Durst tausend Tode starb, ehe ich wieder an den Strand von Waikiki kam.

Und daher, Kanaka Oolea, kommt es, daß die Gebeine Kahekilis nicht im Königlichen Mausoleum liegen. Sie sind auf dem Grunde des Kanals von Molokai, wenn sie nicht längst zu treibendem Schlammstaub geworden oder, umschlossen von den Körpern der toten und vergangenen Korallentiere, selbst Korallenriff geworden sind. Von Menschen bin ich der einzige Lebende, der die Gebeine Kahekilis im Kanal von Molokai versinken sah.«

In dem eintretenden Schweigen, währenddessen Hardman Pool in tiefes Nachdenken versunken war, leckte Kumuhana sich immer wieder die trockenen Lippen. Schließlich brach er die Stille:

»Die zwölf Dollar, Kanaka Oolea, für den Esel und den gebrauchten Sattel und das Zaumzeug?«

»Die zwölf Dollar wären dein«, erwiderte Pool und reichte dem Alten sechs und einen halben Dollar, »hätte ich nicht gerade unter dem Gerumpel in meinem Stall das Zaumzeug, das du brauchst, und den Sattel, und das sollst du haben. Für diese sechseinhalb Dollar kannst du dir den passenden Esel dazu von dem Pake (Chinesen) zu Kokako kaufen, der mir gestern sagte, daß er so viel kostete.«

Sie saßen da, und Pool sagte sinnend immer wieder das Maori-Totenlied, das er gehört hatte, vor sich hin, namentlich die eine Zeile: »So daß die Abenddämmerung kam«, die seinem Schönheitssinn unendlich zusprach; Kumuhana leckte sich die Lippen und gab zu erkennen, daß er noch auf etwas wartete. Schließlich brach er das Schweigen.

»Ich habe lange gesprochen, Kanaka Oolea. Die Feuchtigkeit in meinem Mund hält nicht mehr so lange vor wie in meiner Jugend. Mir scheint, der qualvolle Durst ist wieder über mir, den ich litt, als ich die Zunge des Harpuniers vor mir zu sehen glaubte. Milch mit Genever ist sehr gut, Kanaka Oolea, für eine Zunge wie die des Harpuniers.«

Der Schatten eines Lächelns flackerte über das Gesicht Pools. Er klatschte in die Hände, und das kleine Mädchen kam gelaufen.

»Bring ein Glas Milch mit Genever für den alten Kumahana«, befahl Hardman Pool.


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