Hermann Löns
Dahinten in der Heide
Hermann Löns

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Die Nachtigall

Weiter in der Umgegend hatte der Agent mehr Glück gehabt. Von Schedensen und Breeden aus konnte man die schwarzen Bohrtürme in den grünen Feldern sehen.

Wenn die Bauern aus den Nachbardörfern nach der Kirche erzählten, welche Einnahmen sie jetzt schon aus den Bohrverträgen hätten, dann kauten die Bauern von Schedensen und Breeden taub und manche Reethagener auch; aber der Berliner hatte von Reethagen ein so schlechtes Bild gemacht, daß sich dort kein Agent mehr sehen ließ.

Eines Tages hieß es im Weißen Rosse: »Nordhoff, hast du all gehört? Fürbotter hat sich aufgehängt; er hat sich in Bohrkuxen verspekuliert.«

So war es auch, und er war nicht der einzige, der sich bei den Papieren einen Bruch gehoben hatte.

Hier schlug ein Bauer lang hin, da kippte ein Ziegeleibesitzer um, dort lag ein Kaufmann auf der Nase; alle hatte das Bohrfieber umgeworfen. Sie hatten Kuxe gekauft, wenn eine Gesellschaft fündig geworden war, und hinterher kamen die Zubußen.

Hier hatte bei der Anwendung des Gefrierverfahrens der Magnesiumzement sich entmischt, und der Schwemmsand sprengte die Tubbings des Schachtes; da war man auf hundertfünfzig Meter niedergegangen, erlebte einen Wassereinbruch, und der Schacht ersoff rettungslos; da kam es gar nicht zum Abteufen, denn auf sechzig Meter trieb der Sand und knickte die Mannesmannstahlrohre wie Stroh.

An einer anderen Stelle hatten sich ölige Schichten auf den Moorgräben gezeigt; eine Gesellschaft riß alles Land, das sie kriegen konnte, zu hohen Preisen an sich und bezahlte zum Teil mit Kuxen, worüber die Verkäufer sehr froh waren. Dann kam ein Geologe von der Königlichen Landesanstalt und stellte fest, daß das kein Öl, sondern humussaures Eisenoxyd war. Da nun schon eine Straße gebaut und ein Schienengeleise gelegt, Dampfmaschinen hingebracht, Bohrtürme und Schuppen gebaut waren, so mußten die Kuxeninhaber nachzahlen, daß ihnen die Augen bluteten.

Aber die Krankheit ließ trotzdem nicht nach, denn kaum stieg man weiterhin auf Kali, so stürzte sich alles, was etwas bar Geld liegen hatte, auf die Kuxe wie die Bremsen auf die Heugespanne, und als es sich herausstellte, daß dort kein abbaufähiges Lager, sondern nur eine Linse stand, da hatte mancher Mann alles verloren, was er in zwanzig Jahren zusammengebracht hatte.

Dazu kam noch, daß es überall dort, wo gebohrt oder gar gefördert wurde, immer ungemütlicher ward.

Die fremden Arbeiter, die gut verdienten, saßen in den Wirtschaften vornan, und es verging keine Woche, ohne daß es eine böse Schlägerei zwischen ihnen und den jungen Leuten aus dem Dorfe gab; dem Wirt in Hülsingen wurde das halbe Haus zerschlagen, in Kronshagen wurde einem Anbauernsohn ein Auge ausgestochen, in Altmühlen kam es zu einer wahren Völkerschlacht, wobei es acht Schwerverwundete und einen Toten gab, und bei Schütthausen wurde die Frau des Schneiders Mögebier ermordet und beraubt im Busche gefunden.

Bald hier, bald da wurde eingebrochen, Vieh verschwand von der Weide, Wäsche von der Bleiche, überall wurde gewildert, die Brandstiftungen nahmen kein Ende, denn die Landstraßen waren lebendig voll von verdächtigem Volke, und wer nicht gab, der hatte den Schaden.

So dankten die Reethagener es ihrem Schöpfer, daß der Hilgenbauer sie vor dem Abschlusse bewahrt hatte, denn bei ihnen war noch ein ruhiges Leben möglich.

Da nun Volkmann bis auf die Schmisse in seinem Gesichte ganz so wie ein richtiger Bauer war, auch ursprünglich aus der Gegend stammte und jedem gefällig war mit Rat und Abfassen von Schriftsätzen an die Behörden, und die Leute, denen daran lag, ihn in den Graben zu werfen, verschwunden waren, so stand er im Herbste anders da als das Jahr vorher, und er hätte überall anklopfen können, wo eine Tochter war.

Der Vorsteher und seine Frau ließen es an Anspielungen nicht fehlen, und er selbst sah ein, daß er nicht länger ledig bleiben dürfe; aber wenn er auch hier und da eine Bauerntochter antraf, die ihm ganz gut gefiel, sowie sie den Mund auftat, sah er einen Graben zwischen sich und ihr, denn dann fiel ihm die Stimme ein, die an jenem Vormittag im April an seiner Schulter gefragt hatte: »Ich bin Ihnen wohl recht schwer?«

Nicht, daß er mit Hoffnung an das schöne Mädchen, das wohl längst Frau und Mutter war, dachte, aber sie war ihm der Maßstab, den er überall anlegte, wo er mit einem Mädchen zusammenkam, das auf den Hilgenhof gepaßt hätte. Da er nun schwer arbeitete, dem Vorsteher alle Schreibereien abnahm und alle weiten Wege, so daß er abends meist schon einschlief, ehe er beide Beine unter der Decke hatte, so kam es ihm wenig in den Sinn, daß er ein einsamer Mann war.

Hatte er das Bedürfnis, mit einem Frauenzimmer zu reden, so ging er in das Häuslingshaus und freute sich an der fixen Frau Ramaker, die Zwillinge zu versorgen hatte und doch mit der vielen Arbeit zu Gange kam, oder er saß bei Garberdings und schnackte mit der Bäuerin, oder er blieb eine Stunde im Kruge und erzählte sich etwas mit den Frauensleuten, denn Nordhoff ging nur in die Gaststube, wenn er mußte.

Mit dem Vorsteher wurde es wieder schlechter, als es auf den Winter zuging, und so entbot er die sechs Vollmeier zu sich, sagte ihnen, er könne nicht mehr länger Vorsteher sein, und fragte sie, wer der Gemeinde wohl am besten anstehe.

»Am besten wäre Volkmann«, meinte Röpke, »wenn die Regierung nur keine Bedenken hat.«

Der Vorsteher schüttelte den Kopf. »Das hat sie nicht; was ihm zugestoßen ist, gilt mehr als ein Unglück, als eine, ja, na, als etwas, das nicht ehrenhaft ist. Ich habe mit dem Landrate lang und breit darüber gesprochen. Und meine Meinung ist: Einen besseren Vorsteher kriegen wir nicht; er steht gut da, hat mehr gelernt als wir alle zusammen, reibt es aber keinem unter die Nase, er schickt sich ganz gut in unsere Art, ist gefällig wie nur einer, und er hat die Gemeinde vor großem Schaden bewahrt. Und da ihr ja alle meiner Meinung seid, ist es das beste, ihr beredet euch mit den anderen, damit er einstimmig gewählt wird, denn ohne das, glaube ich, nimmt er nicht an.«

Der Plan lief nach Wunsch aus; Garberding legte sein Amt nieder, und der Hilgenbauer wurde einstimmig zu seinem Nachfolger gewählt. Volkmann wurde erst blaß und dann rot, als er gewählt wurde, und er wußte erst nicht, ob er annehmen sollte. Da stand Garberding auf und sprach:

»Ich weiß, warum unser Freund sich bedenkt, und viele, ja wohl die meisten von uns werden es auch wissen. Es steht mancher Mann hoch in Ansehen, dessen Hand ich nicht in meiner haben will, und mancher Mann gilt nicht für ehrenhaft vor der Welt, zu dem ich mich liebend gern an den Tisch setze. Was bedarf es noch vieler Worte? Wir haben unser eigenes Recht, das älter ist als die Gesetze, die in den Büchern stehen und manches Mal gar nicht auf unsere Art passen. Unser erstes Gesetz heißt die Gemeinde, das ist das Haupt; alles andere liegt weit weg. Und wenn ich, der ich meinen Freund durch und durch kenne, keinen lieber als ihn hier sehe, wo ich jetzt bin, und wenn der Herr Landrat ebenfalls der Ansicht ist, daß wir keinen besseren Vorsteher kriegen, so kannst du«, und damit drehte er sich nach Volkmann und gab ihm die Hand, »meinen Glückwunsch getrost annehmen.«

Als Vorsteher Volkmann aus der Versammlung nach Hause ging, mußte er immer an den Tag denken, an dem er auf dem Heidberge lag und dem Ortolan zuhörte, der in der Birke saß und sang.

Ein Landstreicher war er damals gewesen, ein heimatloser Mann, den jeder Gendarm stellen und nach seinen Papieren fragen durfte; jetzt hatte ihm die ganze Bauernschaft eine Ehre angetan, die er, der Bauern kannte, nach ihrem vollen Werte einschätzen konnte.

Als er auf den Hof trat, ging ihm Ramaker entgegen; die Augen des Häuslings glänzten, und er stotterte vor Aufregung, als er dem Bauern Glück wünschte, denn als er in der Heide Plaggen haute, war der Briefträger mit dem Rade den Pattweg heruntergekommen und hatte ihm zugerufen: »Den Bauern haben sie zum Vorsteher gemacht!«

Auch Frau Ramaker lachte über ihr ganzes rundes Gesicht, gab ihm die Hand, sagte: »Viel Glück auch!« und warf hinterher: »Wie sagt man denn jetzt: Bauer oder Herr Vorsteher?« Und als Volkmann antwortete: »Es bleibt alles so, wie es ist«, schüttelte sie den Kopf, daß ihre Flechte losging, und indem sie sie feststeckte rief sie: »Das will ich nicht hoffen, denn jetzt muß hier eine Frau her! Was ist denn das für ein Werk! Ein lediger Vorsteher? Das habe ich meinen Tag noch nicht erlebt. Und mir wird es mit der Arbeit zuviel: einen Mann, zwei kleine Kinder, das Vieh und zwei Haushaltungen, das halte ich nicht lange mehr aus.«

Am anderen Tage kam Freimut angefahren. »Mann«, schrie er über den Hof, daß die Schruthähne an zu kollern fingen, »siehst du mir nichts an?«

Volkmann lachte. »Bist du Justizrat geworden?«

Der Anwalt schnaubte. »Sehe ich denn schon so bresthaft aus?« Er hielt ihm seine linke Hand vor die Augen, die so groß war, daß ein junges Mädchen ihn einst bat: »Ach bitte, Herr Referendar, halten Sie doch Ihre Hand vor die Tür, es zieht so.«

Der Anwalt lachte. »Ja, die Liebe, sie hat mich zur Strecke gebracht, mich, den letzten der Mannen von Niefelheim, der die alte gute Sitte hochhielt und als dreimal destillierter Junggeselle einsam hinter dem Biertopf saß, wenn die anderen den Hausschlüssel nicht bekommen konnten. Nun barst auch diese letzte Säule, verödet ist die Stätte, wo das schöne Lied von den Brummelbeeren so oft erklang, denn jedweden Abend mache ich jetzt bei meiner Braut hübsch.

Hier ist sie.« Er zog ein Bild aus der Tasche. »Hildegard heißt sie, hat ein Haus mit einem Garten drum herum und auch sonst noch Vorzüge mannigfacher Art, vor allem den, daß sie beinahe so lang wie Schreiber Diese ist.

Mensch, nun mußt du auch noch heiraten, und ein Mädel, das auch von deinem Kaliber ist.

Bis Montag habe ich Urlaub, denn meine Hilde ist nach ihrer Tante gefahren, und ich will jetzt einige Hasen erschlagen.«

Als er von Ramaker hörte, daß sein Freund Vorsteher geworden war, schlug er auf den Tisch, daß es knallte, küßte Lüder ab und schrie: »Bei meinem Barte! Die Bauern hier sind noch klüger, als ich dachte. Donnerhagel noch einmal, werde ich aber mit dir protzen; mein Duzfreund, der Vorsteher!

Denn, mein Lieber, wenn du dich auch sträubst wie ein Borgfarken, zu meiner Hochzeit mußt du kommen. Es werden nur tüchtige Kerle und schöne Frauen und Mädchen eingeladen, und die Kirche soll voll von Maibäumen sein, daß es darin aussieht wie in der Lüneburger Heide, wenn die Dullerchen singen. Und meine zukünftige Hausehre hat dir schon eine Tischnachbarin ausgesucht, die schönste, die es auf der Welt geben soll von allen, was seine Haare in Flechten trägt.

So, und nun wollen wir los; mir kribbelt es im Drückefinger, und ich will morgen Hasenpfeffer so essen, wie es sich gehört, und nicht solchen labberigen Bratenabfall, den sie einem in den lackierten Herbergen als das auftischen.« Und er sang mit seinem Bierbasse: »Auf und an, spannt den Hahn, lustig ist der Jägersmann!«

Die Wintermonate sprangen Volkmann unter den Fingern fort, soviel Arbeit brachte ihm das Vorsteheramt. Die Arbeit machte ihm aber Freude, denn er lernte viel dabei und konnte allerlei Gutes wirken.

Ohne daß sie es merkten, brachte er den Bauern Verständnis für die Schönheiten der Landschaft bei, rettete den alten Wahrbaum vor dem Dorfe, der der Straßenverbreiterung weichen sollte, ließ die beiden Steingräber in der Heide, die zu Brückensteinen zerschossen werden sollten, für ewige Zeit schützen und verhinderte es, daß allerlei überflüssige Vereine sich bildeten und das dörfliche Leben städtisch machten.

Da die Vorarbeiten für die Bruchentwässerung in Angriff genommen wurden und eine Nachverkopplung notwendig wurde, die viel Lauferei und Schreibarbeit mit sich brachte, so war es mit einem Male mitten im Frühling, und es war ihm, als er die erste Lerche über der grünen Saat hörte, als wäre sie den Tag zuvor erst fortgezogen.

An einem Aprilabend, als er aus dem Bruche kam und an dem Ellernbusche vorbeiging, der zu beiden Seiten der Beeke lag, hörte er einen fremden Ton, und sofort sagte er sich: »Das ist ja eine Nachtigall.«

Er blieb stehen und wartete, bis sie weiterschlug, und dann mußte er lachen, denn an seine naturgeschichtliche Arbeit hatte er den ganzen Winter nicht denken können und an vieles andere auch nicht.

Ganz selten einmal, wenn er im Schummern am Herdfeuer saß und rauchend in die roten Flammen sah, hatte er an das große, schöne Mädchen mit der hellen, reinen Stimme gedacht, und nur so, wie man an einen Traum denkt, den man nicht vergessen kann und nicht vergessen will.

Nun aber, als er abends allein bei dem Feuer saß und an den einen Laut dachte, der aus dem Ellernbusche kam, war es ihm, als hätte er tags zuvor erst ihre Stimme an seiner Schulter gefühlt, und als der Spinnstuhl sich meldete, bedünkte es ihm, als hätte die Allerschönste dort eben gesessen und müsse im Augenblicke wieder hereinkommen, ihn anlächeln und ihre Stimme ihm entgegenflattern lassen.

Als er dann in der Dönze saß und noch einige Zahlen aus seinem Taschenbuche eintrug, da schrieb er, fast ohne zu wissen, was er tat, ein Dutzend Zeilen auf einen leeren Streifen Papier, und dann schüttelte er den Kopf über sich selber, denn seit seiner Burschenzeit hatte er kein Gedicht mehr geschrieben.

Er las es durch und nickte zustimmend, als hätte jemand anders es geschrieben, das Liedchen, das in zwölf Zeilen die Empfindung ausdrückt, die ein Mensch hat, der tief im braunen Bruche einen einzigen, verlorenen Nachtigallenlaut vernimmt.

Er las es noch einmal, lächelte und dachte, daß es wirklich gar kein schlechtes Gedicht wäre, und als er im Bett lag, war es ihm, als sei es nicht die Nachtigall gewesen, sondern eine andere Stimme, die ihn gezwungen hatte, stehenzubleiben.

Freimut hatte seine Hochzeit auf den ersten Mai, »den Tag der Odinsfreite«, wie er schrieb, angesetzt und dabei bemerkt: »Frack brauchst du nicht; wir kommen alle im Gevatterrock, dieweil wir nicht den Ehrgeiz haben, wie Kellner auszusehen. Einen Polterabend kann ich mir nicht leisten; ich habe an dem Tage eine Verteidigung.«

So packte Volkmann den Kirchenrock und den hohen Hut in den Reisekorb, den Freimut dagelassen hatte, und fuhr los. Seine Gabe, eine sehr schöne alte Beilade mit reicher Schnitzerei, die er hatte zurechtmachen lassen, hatte er durch den Baumeister schon in das Heim der Brautleute schicken lassen.

Als er in der großen Stadt war, suchte er sich ein ruhiges Gasthaus, ging dann durch die Straßen, kaufte sich Handschuhe und leichte Schuhe und ließ sie nach dem Gasthofe schicken. Dann setzte er sich an der Hauptstraße in ein Kaffeehaus, um hinter der Efeuwand her das bunte Leben zu betrachten.

Alle Leute blickten auf, als der bäuerlich angezogene lange, schöne Mann mit dem braunen bartlosen Gesichte zwischen den Marmortischen einherging. Die Männer lächelten spöttisch, die Frauen aber reckten sich die Hälse nach ihm aus, und mehr als eine flüsterte: »Wie interessant; ein Bauer mit Schmissen!«

Als er sich gesetzt hatte und dem Kellner winkte, dachte er so bei sich: Was für unverschämte Augen die Frauensleute hier doch machen; denn er hatte sich schon ganz an die dörfliche Art gewöhnt.

Er fand, daß er an dem städtischen Leben gar keinen Anteil mehr hatte; so manches Gesicht kannte er noch von früher her, sah fein angezogene Leute, die damals einfach gingen, und andere, denen es nicht so gut zu gehen schien wie vordem.

Der Lärm, die Rastlosigkeit, die Reklame, der abscheuliche Gegensatz zwischen Protzerei und Elend, alles das widerte ihn an, und als der Kellner einen vor Nervenschwäche am ganzen Leibe fliegenden Mann, der Ansichtskarten feilbot, hinausweisen wollte, stand der Bauer auf, kaufte drei Karten und gab dem armen Menschen ein Zweimarkstück.

Gerade war er dabei, die Aufschriften abzufassen, denn er wollte die Karten an Garberding, Ramaker und Nordhoffs Lieschen schicken, da fuhr er in die Höhe, denn eine Stimme, die er nur einmal und nicht wieder in seinem Leben gehört hatte, erklang jenseits der Efeuwand.

Der Bleistift fiel ihm aus den Fingern, er sprang auf und trat auf die Straße, sah aber nur noch den Lohnwagen im Gewühl verschwinden.

Wie vor den Kopf geschlagen fiel er auf den Stuhl, trank einen Schluck von dem Bier, bezahlte und ging, ohne seine Postkarten mitzunehmen.

Er wanderte von der Hauptstraße nach den Anlagen und von da wieder in das Gewühl, ohne etwas zu sehen, ohne daran zu denken, daß er noch essen und sich umziehen müsse.

Mit knapper Not kam er in seinen Kirchenrock, ließ sich einen Wagen kommen und drängte sich durch den Kreis der Zuschauer in dem Augenblick in die Kirche, als die Orgel losjubelte und das Brautpaar zum Altar schritt.

Er sah nichts, er hörte nichts, denn alle seine Sinne waren bei seinem Erlebnisse an jenem Vormittage im April, als der Ortolan in der Hängebirke sang und die Luft nach Post und Juchten roch.

Die Kirche war voll von Juchtenduft, denn sie war mit grünen Maibäumen ausgeziert, und der Geruch der Heimatheide legte sich so eng um den Mann, daß er den Altar und den Priester und das Brautpaar wie ein Bild sah, das ihn kein bißchen anging, und die Traurede hörte sich für ihn nur an wie das Rauschen von Laub im Winde.

Dann aber machte sein Herz einen Satz, seine Augen wurden groß, und er tat einen Schritt voran, besann sich aber und sah nur, indem ihm das Blut umschichtig zum Kopfe und zum Herzen schoß, dahin, wo sie stand, deren Stimme er an jenem Apriltage und heute jenseits der Efeuwand vernommen hatte.

Er kannte sie auf den ersten Blick, obwohl ihr Gesicht und ihre Gestalt etwas voller waren als damals und obgleich sie ihm in dem ausgeschnittenen Kleide und den bloßen Armen ein wenig fremd vorkam. Er fühlte viel Glück in sich, und ein jähes Durstgefühl machte seine Lippen trocken, dann aber ging ihm ein Stich durch das Herz; sie war schon lange eines anderen Frau. Er trat auf dem Läufer leise näher, um die Gesichter der Männer zu sehen und zu erraten, wer es wohl sein könnte, der zu ihr gehörte.

Die Traurede war nur kurz, ihm aber deuchte sie kein Ende zu haben, und als das Brautpaar an ihm vorüberging, der junge Ehemann ihm zunickte und die junge Frau ihn anlächelte, starrte er sie an, als wenn er sie nicht kenne.

Dann aber kam der Baumeister auf ihn zu, nahm ihn beim Arm, und indem er sagte: »Kommt her, ich muß Euch Eurer Tischdame vorstellen, Ihr Bummler, der Ihr seid«, führte er ihn zu jener, der er dereinst dahinten in der Heide Beistand leistete.

Es waren nur zehn Schritte, die der Bauer zu machen hatte, aber er war todmüde und elend vor Aufregung, als er sie hinter sich hatte, und erst als Schönewolf gesagt hatte: »Ihr Tischherr, Fräulein Rotermund, der Vorsteher Volkmann, genannt Hilgenbur aus Reethagen«, da bekam er wieder Kraft und sah sie an.

Als sie mit glührotem Gesicht ihren Arm unter seinen schob und er sie zum Wagen führte, kam er sich vor, als machte er selber heute Hochzeit.


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