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Das ist ein ausnehmend schöner Tag heute, denkt Jan und sieht über das Moor hin.
Die Heidlerchen singen, die Moormännchen steigen auf und nieder, die Grillen geigen und die Schillebolde flitzen hin und her.
Alles das hört und sieht Jan kaum noch; er ist es schon zu lange gewöhnt. Aber daß keine Wolke am Himmel steht, daß der Herdrauch unentwegt nach Westen geht, und daß das Wetter eine Weile so bleiben wird, das sieht er, und das fühlt er in seinen alten Knochen, und das ist ihm die Hauptsache. Ein ausnehmend schöner Tag, denkt er; dabei trocknet der Torf vorzüglich.
Denn um den Torf hat sich Jans Denken sein ganzes Leben lang gedreht, seitdem er die Kinderschuhe vertreten hatte, und vorher auch schon, war doch sein Vater Arbeitsmann bei dem Fehnbauern gewesen und Jan bei dessen Sohne Knecht. Er war dann manches Mal mit dem Torfschiff in der Stadt gewesen, aber es wollte ihm dort nicht so recht gefallen. »Na, wie war's denn nu', Jan?« hatte ihn hinterher Geesche gefragt; »war da woll mächtig fein, Jan, was?« Er hatte die Schultern hochgenommen: »Tja, Geesche, ich bin lieberst hier. Das riecht da alles so wunderlich, die Luft und die Leute und das Essen, so gar nicht nach Torf.«
Als sein Vater starb und Jan sein kleines Erbteil auf den Tisch gezählt bekam, was ihm mächtig viel vorkam, hatte er es mit seinen Ersparnissen zusammengerechnet, und am nächsten Sonntag, als er mit der Magd das Haus hütete, sie gefragt: »Soviel habe ich nu', Geesche. Wieviel hast du?« Das Mädchen holte ihr Buch, rechnete zusammen, dann zählte Jan ihr Geld zu seinem und fragte weiter, indem er mit seiner großen Hand nach dem Moore wies: »Ich habe mir da oben eine Stelle ausgesucht, und da will ich Kolon werden. Willste mit, Geesche?« Sie überlegte einen Augenblick, und dann sagte sie: »Ja, Jan, das will ich.« Das war die Verlobung.
Der Bauer schüttelte den Kopf, als sein Knecht ihm seine Absicht erklärte. »Du bist unklug, Jan,« meinte er, »hier hast du es gut, und da quälst du dich zuschanden und hast nichts davon.« Aber Jan blieb fest. Er kaufte das Stück Moorland, er baute die Kate, wobei Geesche ihm half, er stach die Bunkerde ab, er machte Gräben, er fuhr Sand und Mist heran, er arbeitete schon, ehe die Heidlerchen auf waren, und arbeitete, bis die Himmelsziegen meckerten, und sogar an dem Morgen des Tages, als er mit Geesche zusammengegeben wurde, grub er noch, wenn auch bloß das Loch, in das er am Nachmittage die Eiche pflanzte, unter der er nun sitzt und über das Moor blickt.
Die Eiche rührt ihre Blätter in dem heißen Winde. Jan sieht über sich. Ostwind, Rostwind, denkt er; da röstet der Torf fein bei. Aus dem neuen Hause kommt eine Frau heraus, hält die Hand über die Augen und späht nach der Kolonie hin. Sie ist groß und hat stramme Knochen. Genau als wie Geesche, denkt Jan. Die war auch so: groß, stark von Knochen, immer fleißig und zufrieden in guten und bösen Tagen. Eine andere hätte Jan auch nicht gebrauchen können hier im Moore. Als sie schon zehn Jahre seine Frau war, kaufte sie sich ein neues Sonntagskleid, und erst auf sein Antreiben. Und als sie es zum erstenmal anhatte, lachte sie, schlug ihren Mann auf die Schulter und sagte: »Nu' mußt du dir aber auch einen neuen Kirchenrock machen lassen, Jan; ansonsten bereden die Leute mich.«
Das hatte er denn schließlich auch getan, denn die letzten drei Jahre waren von Segen gewesen. Das Moorkorn hatte dreißigfachen Ertrag gebracht, der Hafer hatte nur so gebollwerkt, die Kartoffeln waren gediehen, die Hühner hatten gut gelegt, die Enten waren alle hochgekommen und die Gänse auch, und mit den Ferkeln hatte es ebenfalls geglückt; da konnten sie sich schon einmal etwas leisten. Aber deswegen gaben sie doch keinen Groschen unnütz aus, denn es konnte auch einmal wieder anders kommen. Als sie drei Jahre verheiratet waren, regnete es das ganze Frühjahr über, so daß das Moor nicht gebrannt werden konnte. Da mußte Jan, ob er wollte oder nicht, Hollandsgänger werden. Und als er zurückkam, stand die Kate leer; Geesche wollte das Bargeld nicht anfassen und war über Sommer wieder bei dem Bauern in Dienst gegangen.
Das war ein guter und gerechter Mann, denkt der Alte und nickt nach dem Himmel hin, gerade als wenn er den Bauern dort sehen könnte. Als Jan aus Holland zurückkam, hatte er ihn gefragt: »Na, Jan, du hast nu' woll geseh'n, es geht da oben nicht. Wenn du willst, kannst du wieder bei mir arbeiten.« Der Kolon hatte seine Frau angesehen, und als die den Kopf schüttelte, meinte er: »Das ist dankenswert, Hinrich, aber einmal wollen wir es noch versuchen.« Es waren schwere Jahre gewesen, die drei nächsten. In dem einen erfror das Moorkorn, in dem anderen verfaulte es, und im dritten wollte der Torf nicht trocken werden. Hätte der Bauer nicht ausgeholfen, so hätte Jan nicht aus und ein gewußt, und mehr als einmal war er drauf und dran, den Spaten stecken zu lassen und wieder in das Dorf zu ziehen. Aber dann hatte Geesche ihm über die Hand gestrichen und gesagt: »Es kommt auch wieder anders, Jan,« und er war geblieben.
Ja, Geesche! denkt er. Drei Kinder an der Schürze, und eins in der Wiege und immer bei der Arbeit, von früh bis spät, und beständig unverdrossen. Nur Sonntags war sie nicht zufrieden, weil ihr dann die Arbeit fehlte. Schließlich hatte sie den Pfarrer gefragt, ob sie wohl an diesem Tage Besen binden oder Körbe machen dürfe, wenn auch nicht gerade in der Kirchzeit, und sie war sehr froh, als er ihr das erlaubte. In die Kirche gingen Jan und Geesche alle vier Wochen, solange die Kinder noch klein waren; öfter konnte Geesches Schwester nicht abkommen, denn es waren zwei Stunden Weges vom Dorfe bis zu der Moorkate. Aber welch ein Festtag war es dann auch, wenn die beiden durch das Moor gingen, Jan in dem hohen Hut und Geesche in der großen Haube. Nach der Kirche leistete sich Jan einen Schnaps oder ein Glas Grog beim Krüger und eine Zigarre, und es ärgerte ihn kein bißchen, wenn die anderen ihn Jan Torf nannten, weil er von nichts und weiter nichts reden konnte als vom Torf.
Der Alte nimmt ein Stück Torf auf, zerbröckelt es mit den harten Fingern und lächelt vor sich hin. Wie oft war er ausgelacht worden, daß er auf seine eigene Faust hier mitten auf das Moor gezogen war; heute lachte keiner mehr über ihn. Der Tausend auch, er war sogar so eine Art von Respektsperson geworden, seitdem der Landrat angefahren kam und ihm im Namen des Kaisers einen Orden verehrt hatte. Jan hatte sich ordentlich verjagt, als der feine Herr mit dem Vorsteher bei ihm vorfuhr, und ihm wurde ganz dumm zumut, als der Herr mit dem hohen Hut auf dem Kopf und dem Glase vor dem einen Auge ihn mit Herr Kolon Johannes Reimer anredete, und beinahe schämte er sich, als ihm hinterher das Kreisblatt zugeschickt wurde, in dem ein großer Satz über ihn zu lesen war, weil er in dieser Gegend der erste selbständige Neusiedler war. Ganz genau war sein Leben beschrieben, und wieviel Kinder und Kindeskinder er hatte. Aber das schönste war, daß Geesche das noch erlebt hatte; denn ein Jahr darauf hatte sie ihn verlassen müssen.
Seit der Zeit hat Jan so recht keine Lust mehr am Leben. Nicht, daß es ihm an Unterhaltung gebricht und an allerlei Freude, aber Geesche fehlt ihm, und so ist er eigentlich doch allein, trotz der Kinder und Kindeskinder. Und jetzt ist er sogar Urgroßvater geworden; heute wird der Junge getauft. Jan schüttelt den Kopf; beinahe hat er das vergessen. Er hatte mit in die Kirche sollen, aber das hatte er nicht gewollt. Seitdem seine Frau tot war, war er nicht mehr von seinem Grund und Boden heruntergekommen, wenn ihn die Söhne und Enkel auch noch so quälten, er solle mitfahren. Er sagte dann immer bloß: »Nee, nee, dazu bin ich nu' doch zu alt.« In Wahrheit hatte er Angst, daß er nicht auf seinem eigenen Lande sterben könne, und das wollte er. Hier hatte er sein Leben verbracht, und hier wollte er bleiben, bis sie ihn in den Sarg legten. Wenn es mit ihm zu Ende ging, dann wollte er vor die Tür gebracht werden und alles das mit dem letzten Blicke sehen, was er geschaffen hatte, hier bei der Kate und weiterhin, wo die anderen Häuser stehen; denn schließlich war doch das alles sein Werk, weil er den Anfang damit gemacht hatte.
Zehn Jahre war er mit Geesche und den Kindern allein hier auf dem Moore gewesen, und dann hatten sich nach und nach die andern angebaut, Prigge, Hilf, ten Meer, tor Möhlen, Lodinga, Alfken, Schöll, Meyer und wie sie alle hießen, und späterhin seine Söhne und Schwiegersöhne, zwölfe an der Zahl. Dann hatten sie die Schule bekommen, den Zweigkanal, die feste Straße und sogar das Telephon, aus dem Jan nie und nimmer klug wird, wie aus so vielem nicht, was die Menschen in der Welt heute anstellen.
Er weiß es noch ganz genau, wie der erste Radfahrer durch das Dorf flitzte, und er hatte auch ein Automobil zu sehen bekommen, als er zum letztenmal in der Kirche war, und nicht nur ein Luftballon war über das Moor geflogen, sondern neulich sogar ein großmächtiges Luftschiff, so daß alle Kiebitze in die Höhe gingen und die Schweine wie unklug im Hofe hin und her rannten. Doch alles das ist im Grunde nichts für Jan, denn es hat mit dem Torf nichts zu tun. Aber daß es jetzt Torfwerke mit Maschinenbetrieb und vielen Meilen Bahngleisen gibt, und daß dort Hunderte von fremden Arbeitern Torf stechen und das ganze Jahr über Torfstreu und Torfmehl gemacht wird, davon hört der Alte seinen Enkel Hinnerk, der das große Torfwerk Poggenmoor bei Hannover besehen hat, gern erzählen, wenn er sich die Sache auch nicht so recht vorstellen kann.
Tja, tja, denkt er, Torf bleibt doch Torf; man kann sagen was man will. Und er sieht nach dem Roggen, der im warmen Winde Wellen schlägt, und nach den Kartoffeln, die über und über blühen, hört dem Summen der Bienen zu und dem Geläute der Kuckucke. Die Kiebitze tummeln sich über den Wiesen, Möwen ziehen den Kanal entlang, auf dem ganz hinten ein hohes Segel wie Gold in der Sonne leuchtet, und die Luft ist voll von Schwalbengezwitscher. Es ist doch nirgendwo auf der Welt schöner als hier auf dem Moor, denkt Jan und stellt sich vor, wie es einst hier war, als nichts als Doppheide und Wollgras hier wuchs, die Moormännchen bei Tag sangen und Nachts die Rohrdommeln brummten.
Zwei Flachsköpfe, ein Junge und ein Mädchen, kommen angelaufen und schreien: »Großvater, Großvater, sie kommen!« Da steht der Alte auf und geht, sich auf das Mädchen stützend, dem neuen Hause zu, vor dem er sich auf die Bank setzt, die Augen mit der Hand beschattet und nach der Brücke hinsieht, die weiß und blank in den Himmel schneidet, und auf der jetzt ein Pferdekopf sichtbar wird. »Pferd und Wagen,« brummelt Jan vor sich hin, »Pferd und Wagen! Wie froh waren Geesche und ich, als wir uns die Kuh kaufen konnten. Wer hätte das gedacht?«